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German Pages 298 Year 2008
Robert Heine Wahrnehmung von Online-Musikrechten durch Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt Schriften zum europäischen Urheberrecht EurUR 7
Schriften zum europäischen Urheberrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer, Köln Prof. Dr. Karl Riesenhuber, M. C. J., Bochum
EurUR Band 7
De Gruyter Recht . Berlin
Wahrnehmung von Online-Musikrechten durch Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt Von
Robert Heine
De Gruyter Recht . Berlin
Dr. iur. Robert Heine, LL.M. (Chicago), Rechtsanwalt in Berlin
Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 978-3-89949-474-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 2008 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Datenkonvertierung/Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany
Geleitwort
Geleitwort Geleitwort Geleitwort Mit dem vorliegenden Band widmet sich der Verfasser einer für Autoren und die Medienwirtschaft gleichermaßen wichtige Frage. Der Frage nämlich, wie innerhalb des Europäischen Binnenmarktes zukünftig OnlineMusikrechte vergeben werden sollen. Einer Frage, die in Deutschland besonders aktuell ist, wurde doch gerade erst der Abschlussbericht der Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ vorgelegt (BT-Drucks. 16/ 7000), der hierzu eine deutliche Position einnimmt. So hat die EnquêteKommission, die immerhin aus allen im Bundestag vertretenen Parteien besteht, in aller Deutlichkeit gesagt, dass die bisherigen Gegenseitigkeitsverträge zwischen Verwertungsgesellschaften innerhalb Europas einen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in Europa leisten und durch Übernahme kultureller und sozialer Aufgaben staatsentlastend wirken. Der vom Autor des Bandes überzeugend beleuchtete Ansatz der EU-Kommission, EU-weit operierende Verwertungsgesellschaften in einen Wettbewerb um individuelles Repertoire treten zu lassen mit dem Ziel oligopolistischer Strukturen, wird von der Enquête-Kommission ebenso wie von dem Autor zu Recht abgelehnt, würde doch der Solidargedanke zwischen den Rechteinhabern aufgegeben und damit der Schutz schwächerer Marktteilnehmer entfallen – ganz abgesehen davon, dass auch ein OneStop-Shop für die Nutzer nicht mehr zur Verfügung stünde, diese vielmehr zersplittertes Repertoire aus unterschiedlichen Quellen erwerben müssten. Der Lösungsvorschlag des Autors, stattdessen Kooperationen zwischen Verwertungsgesellschaften vom EU-Kartellrecht freizustellen und gleichzeitig einer Kontrolle nach einheitlichen europäischen Standards im Wege der Harmonisierung des Wahrnehmungsrechtes zu unterwerfen, ist begrüßenswert. Er wird auch zwischen den Verwertungsgesellschaften seit mehreren Jahren intensiv diskutiert. Doch hat sich hier in der Praxis ein Zuständigkeitsproblem gezeigt. So ist für die Harmonisierung des Rechts der Verwertungsgesellschaften die EU-Generaldirektion Binnenmarkt zuständig, während kartellrechtliche Freistellungen unter den Zuständigkeitsbereich der Generaldirektion Wettbewerb fallen. Dies macht die Verknüpfung beider Komplexe ausgesprochen schwierig, obwohl letztlich das geeignete Instrumentarium von der EU-Kommission als Ganzes verabschiedet werden müsste. Dass die von der Kommission bei der Regelung für Online-Musikdienste gewählte Form der Empfehlung, die an den demokratischen Mitwirkungserfordernissen des EUParlamentes vorbeigeht, kein geeignetes Instrumentarium darstellt, hat V
Geleitwort der deutliche Protest des EU-Parlamentes im sog. Lévai-Bericht gezeigt. Eine Erfahrung übrigens, die die Kommission jüngst beim gescheiterten Versuch, eine Harmonisierung der Vergütung der Privatkopie im Wege der Empfehlung zu erreichen, schmerzlich machen musste. Insofern besteht begründete Hoffnung darauf, dass die wichtige Frage der Onlinelizenzierung grenzüberschreitender Musikdienste wieder in der bewährten Form der EU-Richtlinie erfolgt, wobei die vorliegende Arbeit eine hervorragende Grundlage für die Analyse der unterschiedlichen Modelle und ihrer Auswirkungen bietet. Trotz des komplexen Themas sei sie jedem nachdrücklich empfohlen, der sich mit dieser ganz grundsätzlichen Frage beschäftigt, die da lautet: Welche Struktur bietet weiterhin einen One-Stop-Shop für das Gesamtrepertoire, ermöglicht grenzüberschreitende Nutzungen und verhindert einen Tarifwettbewerb zulasten der Kreativen? Hierfür gibt die Arbeit wichtige Ansätze, die auch die gegenwärtige Schutz- und Ausgleichsfunktion der Verwertungsgesellschaften zugunsten der Schwächeren nicht gefährden. Tilo Gerlach
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Vorwort
Vorwort Vorwort Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2007 an der juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand vom September 2007. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Oliver Castendyk, für die Betreuung der Arbeit. Herrn Prof. Dr. Karl Riesenhuber gebührt Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Ihm und Herrn Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer danke ich zudem für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zum europäischen Urheberrecht. Besonderen Dank aussprechen möchte ich ferner dem Cusanuswerk für die großzügige Förderung meines Studiums und meiner Promotion sowie Herrn Dr. Martin Schaefer für seine Hilfestellung bei der Themenwahl. Sonja Eisenberg stand mir während der Promotion mit Rat und Tat zur Seite. Für die große Unterstützung danke ich ihr von ganzem Herzen. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet. Berlin, im Oktober 2007
Robert Heine
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Vorwort
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Typische Nutzungsformen I. Download-Angebote . . . II. Abonnement-Angebote . III. Tauschbörsen . . . . . . . . IV. Internetradio . . . . . . . . . V. Sonstige Formen . . . . . .
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C. Urheber- und Leistungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz der Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urheberrechtsgesetz (UrhG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vervielfältigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht der öffentlichen Zugänglichmachung . . . . . c) Senderecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internationale Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler 1. Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller nach dem UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler nach dem UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Internationale Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Erschöpfung der Verwertungsrechte . . . . . . . . . . .
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D. Die Verwertungsrechte im Rechtsverkehr I. Vertragsbeziehungen der Urheber . . . . . 1. Rolle der Musikverlage . . . . . . . . . . 2. Praxis der Subverlegung . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
II. Vertragsbeziehungen der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet . . . . . . . . . . . I. Technische Reichweite von Internetangeboten . . . II. Geltung des Schutzlandprinzips . . . . . . . . . . . . . III. Ermittlung des Eingriffsorts im Internet . . . . . . . 1. Vervielfältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sendung und öffentliche Zugänglichmachung a) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgen für den Lizenzverkehr . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . .
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A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arbeitsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mandatierung im Wahrnehmungsvertrag . 2. Festlegung der Nutzungsbedingungen . . . 3. Erteilung von Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . 4. Inkasso und Verteilung der Einnahmen . . 5. Kontrolle unautorisierter Nutzungen . . . . IV. Ökonomische Funktionen . . . . . . . . . . . . . .
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B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften . . . . . . . . . I. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG) . . . . a) Behördliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Rechteinhabern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Verwertern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) . II. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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X
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Inhaltsverzeichnis
1. Maßnahmen der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Wahrnehmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Acquis Communautaire . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitteilung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . c) Entschließung des Europäischen Parlaments . . 2. Bedeutung des EG-Wettbewerbsrechts . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge . . .
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A. Definition und Bedeutung der Gegenseitigkeitsverträge .
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B. Funktionen der Gegenseitigkeitsverträge I. Für die Rechteinhaber . . . . . . . . . . . . . II. Für die Verwerter . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Für die Verwertungsgesellschaften . . . .
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C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich . . . . . . . . I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. GEMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Binnenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des Berechtigungsvertrags . . . . . . . . . . c) Verteilungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. GVL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Verwertungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung der Freizügigkeit der Rechteinhaber . . . . . . . . . . . . . a) Wahlfreiheit der Rechteinhaber . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit der „Spartenlizenzierung“ . . . . . . c) Tatsächlicher Befund: Geringer grenzüberschreitender Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. CISAC-Standardvertrag (öffentliche Wiedergabe von Musikwerken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territoriale Beschränkungen . . . . . . . . . 3. Verteilungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . II. BIEM-Standardvertrag (mechanische Rechte) 1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territoriale Beschränkungen . . . . . . . . . 3. Verteilungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Lizenzierung der öffentlichen Wiedergabe musikalischer Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten bei der Tonträgerlizenzierung . . . . . . . . 1. Lohn- und Konzernpressungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Zentrallizenzierung . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung der Zentrallizenzierung . . . . . . . . . b) Vorteile der Zentrallizenzierung . . . . . . . . . . . . . c) Ausprägung des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . d) Konfliktpotential des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . II. Das Tournier-Urteil des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt und Begründung des Urteils . . . . . . . . . . . . . a) Blankettlizenzierung und Höhe des SACEM-Tarifs b) Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele der Verträge und Auswirkungen auf den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichbehandlung der Rechteinhaber . . . . . . . . . b) Inanspruchnahme der Verwertungs- und Kontrollstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bildung des Weltrepertoires . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herleitung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Heranziehung der lizenzkartellrechtlichen Judikatur des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII
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Inhaltsverzeichnis
aa) Coditel II-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Maissaatgut-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . cc) Vergleich mit den Gegenseitigkeitsverträgen b) Bedeutung des Territorialitätsprinzips . . . . . . . c) Kein potentieller Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglichkeit einer Freistellung vom Kartellverbot . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
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A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich I. GEMA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berechtigungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verteilungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. GVL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. MCPS-PRS (Großbritannien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission . . . . . I. Gegenstand der Simulcasting-Vereinbarung . . . . . . . . . II. Inhalt und Begründung der Entscheidung . . . . . . . . . . 1. Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung der Lizenzgebühr . . . . . . . . . . . . . 2. Freistellung vom Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit . . . . . b) Keine Ausschaltung des Wettbewerbs . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Simulcasting-Vereinbarung im Lichte des Tournier-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahrung des urheberrechtlichen Monopols . bb) Potentieller Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
2. 3.
Zuständigkeitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urheberrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . b) Beurteilung als Wettbewerbsbeschränkung . c) Freistellung vom Kartellverbot . . . . . . . . . aa) Exkurs: Tonträgerlizenzierung . . . . . . . bb) Prüfung der Unerlässlichkeit . . . . . . . . 4. Getrennte Ausweisung der Verwaltungskosten . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005 I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahlrecht der Rechteinhaber . . . . . . . . . . . . . . a) Spartenlizenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen der UrheberVerwertungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand und Inhalt der Abkommen . . . . . . . . . . . 1. Definition des Lizenznehmers . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmung der Lizenzgebühr . . . . . . . . . . . . . . 4. Verteilungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abrechnung der Verwaltungskosten . . . . . . . . . . . II. Ablehnende Haltung der Kommission . . . . . . . . . . . . III. Folgen für die Lizenzierungspraxis . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendung der herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beanstandung durch die Kommission (CISACVerfahren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV
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Inhaltsverzeichnis
c) Vereinbarkeit eines Wahrnehmungszwangs mit der Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerechte Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Repräsentation der Rechteinhaber . . . . . . . . . . . . 4. Transparenz der Verwertungsgesellschaften . . . . . 5. Mechanismen zur Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . III. Folgen der Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatsächliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwertungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechteinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Online-Musikanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorteile des empfohlenen Wettbewerbs . . . . . . . . . 2. Nachteile für die kulturelle Vielfalt in der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachteile für die Online-Musikanbieter . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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233 234 235
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts . . . . . . . . . . I. Unterschiede in den nationalen Wahrnehmungsrechten II. Internationaler Anwendungsbereich des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Primärrechtliche Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . 2. Dienstleistungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
238 238
. . . . .
242 244 244 250 255
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277
XV
Inhaltsverzeichnis
XVI
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
ABl. Adami AEPI AER AFMA AfP AGICOA AIDAA AKM Amtl. Begr. ASCAP Austromechana AWA Az. Bd. BGBl. BGH BIEM BITKOM BMI BMJ BMR Buma CIAM CISAC CR CRM c’t DPMA DRM Drs.
Amtsblatt der Europäischen Union Société Civile pour l’Administration des Droits des Artistes et Musiciens Interprétes Hellenic Copyright Society Association of European Radios Anstalt für musikalische Aufführungsrechte Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (Archiv für Presserecht) Association de Gestion Internationale Collective des Œvres Audiovisuelles Association Internationale des Auteurs de l’Audiovisuel Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (Österreich) Amtliche Begründung American Society of Authors, Composers and Publishers (USA) Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte (Österreich) Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiet der Musik (DDR) Aktenzeichen Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bureau International des Sociétés Gérant les Droits d’Enregistrement et de Reproduction Mécanique Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien Broadcast Music, Inc. (USA) Bundesministerium der Justiz British Music Rights Het Bureau voor Muziekauteursrecht (Niederlande) International Council of Authors and Composers of Music Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs Computer und Recht (Zeitschrift) Collective Rights Manager Magazin für Computertechnik (Zeitschrift) Deutsches Patent- und Markenamt Digital Rights Management Drucksache
XVII
Abkürzungsverzeichnis DVBl. EAÜ EBU EDiMA E.I.P.R. EL Ent.L.R. EP EuG EuGH EuZW Fn. FS GD GDT GEMA GESAC GRUR GRUR-FS
GRUR Int. GÜFA GVL GWFF h.M. Hrsg. ICMP-CIEM IFPI IIC IMPA IMRO IPrax J.Copyr.Soc USA JurPC JZ
XVIII
Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Eesti Autorite Ühing (Estland) European Broadcasting Union European Digital Media Association European Intellectual Property Review (Zeitschrift) Ergänzungslieferung Entertainment Law Review (Zeitschrift) Europäisches Parlament Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Fußnote Festschrift Generaldirektion Genossenschaft Deutscher Tonsetzer Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte Groupement Européen des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht und ihrer Zeitschrift Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (Zeitschrift) Gesellschaft zur Übernahme und Wahrnehmung von Filmaufführungsrechten Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten herrschende Meinung Herausgeber The International Confederation of Music Publishers – Confédération Internationale des Editeurs de Musique International Federation of the Phonographic Industry International Review of Industrial Property and Copyright Law (Zeitschrift) International Music Publishers’ Association Irish Music Rights Organization Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Journal of the Copyright Society of the USA Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht (www.jurpc.de) Juristenzeitung
Abkürzungsverzeichnis KODA LG LUG MCPS MMC MMR MPA MPI MR-Int NCB NJW OECD OLG OSA PPI PPL PRS RBÜ RegE RGBl. R.I.D.A. RL Rn. Rs. SABAM SACD SACEM SCAPR SDRM
SGAE SIAE Slg. SOZA
Selskabel & Forvatning af Internationale Kemponlstretfighederi Danmark Landgericht Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst Mechanical-Copyright Protection Society Ltd. (Großbritannien) Monopolies and Mergers Commission (Großbritannien) Multimedia und Recht (Zeitschrift) Music Publishers’ Association Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbsund Steuerrecht Medien und Recht International (Zeitschrift) Nordisk Copyright Bureau Neue Juristische Wochenschrift Organisation for Economic Co-operation and Development Oberlandesgericht The Performing and Mechanical Rights Society of Composers, Authors and Publishers (Tschechische Republik) Phonographic Performance Ireland Phonographic Performance Ltd. (Großbritannien) Performing Right Society (Großbritannien) Revidierte Berner Übereinkunft Regierungsentwurf Reichsgesetzblatt Revue Internationale du Droit d’Auteur (Zeitschrift) Richtlinie Randnummer Rechtssache Société d’Auteurs Belge – Belgische Auteurs Maatschappij (Belgien) Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques (Frankreich) Société des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique (Frankreich) Societies’ Council for the Collective Management of Performers Rights Société pour l’Administration du Droit de Reproduction Mécanique des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique (Frankreich) Sociedad General de Autores y Editores (Spanien) Società Italiana degli Autori ed Editori (Italien) Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Slovak Performing and Mechanical Rights Society (Slowakei)
XIX
Abkürzungsverzeichnis SPA SPRE STAGMA Stemra STIM SUISA TRIPs Uabs. UFITA UMI UrhR VGF VFF VO VPRT WAP WCT WEA WIPO WPPT WRP WUA WuW WuW/E ZAIKS Zf. ZUM
XX
Sociedade Portuguesa de Autores (Portugal) Société pour la Perception de la Rémunération Equitable (Frankreich) Staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Urheberrechte Stichting tot Exploitatie van Mechanische Reproductierechten der Auteurs (Niederlande) Svenska Tonsättares Internationella Musikbyrå (Schweden) Suisse Auteurs – Schweizerische Gesellschaft für die Rechte der Urheber musikalischer Werke Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Unterabsatz Archiv für Urheber- und Medienrecht (Zeitschrift) Universal Music International Urheberrecht Verwertungsgesellschaft für Nutzungsrechte an Filmwerken Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten Verordnung Verband privater Rundfunk und Telekommunikation e.V. Wireless Application Protocol WIPO Copyright Treaty Warner/Elektra/Atlantic Corporation World Intellectual Property Organization WIPO Performances and Phonograms Treaty Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Welturheberrechtsübereinkommen Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) WuW-Entscheidungssammlung Association of Authors and Stage Composers (Polen) Ziffer Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
Gang der Untersuchung
Gang der Untersuchung Gang der Untersuchung Gang der Untersuchung Gegenstand der Arbeit ist die Lizenzierung von Internet-Musiknutzungen durch Verwertungsgesellschaften. Es wird untersucht, auf welche Weise die europäischen Verwertungsgesellschaften ihre Werkbestände Online-Musikanbietern zur Verfügung stellen können, ohne mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft in Konflikt zu kommen. Herkömmlicherweise ist in jedem Land der Welt und auch in jedem Mitgliedstaat der EU nur eine Verwertungsgesellschaft tätig, die für die Verwaltung ihres Territoriums allein zuständig ist. Die Wahrnehmung ihrer Werkbestände im Ausland lassen die Verwertungsgesellschaften von ihren jeweiligen Schwestergesellschaften, also den in den ausländischen Ländern operierenden Verwertungsgesellschaften ausführen. Diese Zusammenarbeit ist in sog. Gegenseitigkeitsverträgen geregelt. Unmittelbare grenzüberschreitende Lizenzierungen von ausländischen Musiknutzungen nehmen die Verwertungsgesellschaften dagegen nicht vor. Die dadurch bewirkten Marktabschottungen stehen jedenfalls auf den ersten Blick im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht. Den wirtschaftlichen Zielen der europäischen Integration – Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes und Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs – laufen Gebietsabgrenzungen entlang der Staatsgrenzen fundamental entgegen. Im Falle der hier untersuchten Internet-Nutzungen kommt erschwerend hinzu, dass diese Form der Verwertung grenzüberschreitend erfolgt, da das Internet ein globales, an den Staatsgrenzen nicht Halt machendes Medium ist. Die Marktorganisation der Verwertungsgesellschaften ist deshalb gerade in jüngster Zeit in das Visier der Europäischen Kommission geraten, die ein System der grenzüberschreitenden Wahrnehmung von Urheberrechten verwirklichen möchte und im Oktober 2005 eine entsprechende Empfehlung erlassen hat (Empfehlung vom 18. Oktober 2005, ABl. Nr. L 276, S. 54 ff.). Ziel der Arbeit ist herauszuarbeiten, ob Gebietsabgrenzungen im besonderen Fall der Verwertungsgesellschaften gerechtfertigt sind. Das erste Kapitel („Musikverwertung im Internet“) beginnt mit einer Darstellung der typischen Formen von Musiknutzungen im Internet, ihrer technischen Potentiale und ihrer Bedeutung für die Musikwirtschaft, gerade im Verhältnis zum herkömmlichen Tonträgerabsatz. Es folgt eine Darstellung des Urheber- und Leistungsschutzes im Internet: Welche Rechte haben die Urheber (Komponisten, Textdichter und Bearbeiter) 1
Gang der Untersuchung
und die Leistungsschutzberechtigten (Tonträgerhersteller und ausübende Künstler) bei der Verwertung ihrer Werke im Internet? Schließlich wird der Frage nachgegangen, welche kollisionsrechtlichen Regeln im Falle eines grenzüberschreitenden Musikangebots gelten. Die Frage ist für die Arbeit von Bedeutung, weil das Urheberkollisionsrecht mit darüber entscheidet, welche Nutzungsrechte ein Online-Musikanbieter in territorialer Hinsicht von den Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften erwerben muss. Im zweiten Kapitel („Verwertungsgesellschaften“) erfolgt eine Darstellung von Recht und Praxis der Verwertungsgesellschaften. Erläutert werden die Bedeutung und die Aufgaben der Verwertungsgesellschaften im System der Rechteverwertung. Anschließend wird die Regulierung der Verwertungsgesellschaften in Deutschland und der Rechtsrahmen in der Gemeinschaft erörtert. Es folgt ein Überblick über die im Musikbereich tätigen Verwertungsgesellschaften. Konkret wird die Arbeitsweise der deutschen Verwertungsgesellschaften GEMA und GVL dargelegt. Das dritte Kapitel („Das System der Gegenseitigkeitsverträge“) beleuchtet die Gegenseitigkeitsverträge, in denen die internationale Zusammenarbeit zwischen den Verwertungsgesellschaften geregelt ist. Im ersten Unterabschnitt werden die Gegenseitigkeitsverträge definiert und ihre Bedeutung für die Rechteinhaber, Verwerter und die Verwertungsgesellschaften erörtert. Anschließend erfolgt eine Darstellung der herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträge, die im Musikbereich zwischen der GEMA und den ausländischen Verwertungsgesellschaften abgeschlossen werden (sog. CISAC-Standardvertrag und BIEM-Standardvertrag). Der Schwerpunkt des Kapitels liegt in der Analyse des Tournier-Urteils des Europäischen Gerichtshofs (Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565 ff.). Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung aus dem Jahr 1989 die Gegenseitigkeitsverträge für grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig erklärt. Was die dogmatische Begründung angeht, lässt das Urteil jedoch viele Fragen offen. Es wird herausgearbeitet, welche Implikationen das Urteil für die Beurteilung der im Online-Bereich abgeschlossenen Gegenseitigkeitsverträge hat. Diese Gegenseitigkeitsverträge sind Gegenstand des vierten Kapitels („Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich“). Es beginnt mit einer Darstellung der Wahrnehmungs- und Lizenzbedingungen der Verwertungsgesellschaften im Internet. Den Schwerpunkt bildet eine kritische Analyse 2
Gang der Untersuchung
der Simulcasting-Entscheidung der Europäischen Kommission vom 8. Oktober 2002, in der die Kommission einen Online-Gegenseitigkeitsvertrag der Verwertungsgesellschaften der Tonträgerhersteller wettbewerbsrechtlich gewürdigt hat. Untersucht wird, ob die praktizierte Territorialität im Online-Bereich – wie die Kommission meint – tatsächlich hinfällig geworden ist und die Verwertungsgesellschaften in einen gemeinschaftsweiten Wettbewerb um Verwerter eintreten müssen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden auf die anschließende Analyse der neueren Gegenseitigkeitsverträge übertragen, die von den Verwertungsgesellschaften der Musikurheber für den Online-Bereich konzipiert wurden (sog. Santiago- und Barcelona-Abkommen). Im abschließenden fünften Kapitel („Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung im Binnenmarkt“) geht es um die aktuellen rechtspolitischen Entwicklungen im Bereich des europäischen Wahrnehmungsrechts. Wie oben angesprochen, hat die Kommission im Oktober 2005 eine Empfehlung verabschiedet, in der sie ihre Vorstellungen über die zukünftige länderübergreifende Wahrnehmung von Urheberrechten dargelegt hat (ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54 ff.). Die Vorschläge der Kommission bedeuten einen radikalen Systemwechsel. Die Kommission strebt die Schaffung eines vollständigen Wettbewerbs zwischen Verwertungsgesellschaften an, der sowohl ihr Verhältnis zu den Rechteinhabern als auch das zu den Verwertern umfassen soll. Der Inhalt und die potentiellen Auswirkungen einer solchen Reform werden diskutiert. Am Schluss der Arbeit werden Alternativen und Ergänzungen zum Kommissionsansatz erwogen. Unter Einbeziehung des Einflusses der Dienstleistungsrichtlinie auf die Verwertungsgesellschaften wird diskutiert, ob das Wahrnehmungsrecht der Mitgliedstaaten im Wege einer Richtlinie harmonisiert werden sollte.
3
Gang der Untersuchung
4
A. Einführung
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
A.
Einführung
A. Einführung Musik wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im industriellen Stil verwertet. Eine Musikwirtschaft gab es zwar schon vor dieser Zeit.1 Erst um die Jahrhundertwende entstanden aber in den USA Verlagshäuser, die industrielle Produktionsverfahren verwendeten, die Vermarktungsmethoden der modernen Wettbewerbswirtschaft auf den Notendruck übertrugen und aus dem Notenvertrieb nennenswerte Erträge erwirtschaften konnten.2 Die Musikverleger blieben allerdings nicht lange Hauptakteure der Musikindustrie. Ihre Bedeutung für die Musikwirtschaft nahm ab, als die Erfindungen der Schallplatte und des Grammophons es möglich machten, Musik bereits in klingender Form industriell herzustellen.3 Die Vermittlung von Musik setzte nun nicht mehr die Präsenz aufführender Musiker voraus. Erstmals konnte Musik einem breiten Verbraucherkreis als Ware verkauft werden. Der Erfolg der Schallplatte war durchschlagend – Ende der 20er Jahre wurden in Deutschland bereits 30 Millionen und in den USA 80 Millionen Schallplatten abgesetzt.4 Stimuliert wurde der Tonträgermarkt vom ebenfalls noch jungen Rundfunk, der sich etwa zur gleichen Zeit zu einem Massenmedium entwickelte, das ohne Tonträgeraufnahmen nicht auskam.5 Die Verbreitung von Musik über Tonträ________ 1 2
3 4 5
Dazu Sikorski, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 281 ff. Einer der Hauptabsatzmärkte für gedruckte Noten und zugleich Werbeträger für die verlegte Musik waren die Broadway-Bühnen in New York City, in deren Umfeld sich im Laufe der Zeit die meisten Musikverlage ansiedelten. Für die amerikanische Verlagsindustrie jener Jahre hat sich der Begriff „Tin Pan Alley“ (engl. für „Blechpfannen-Allee“) eingebürgert – eine Anspielung auf den ständigen Lärm, der aus den Fenstern der Musikverleger drang, als die um Verträge buhlenden Komponisten den Verlegern ihre Songs präsentierten; siehe den Artikel „Tin Pan Alley“, in: Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 22, S. 183. Vgl. Ahlberg, in: Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg.), FS Raue, S. 353, 354. Artikel „Musikindustrie“, in: Brockhaus multimedial 2005. Vgl. Rudorf, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 167, 171; Keyzer, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 49.
5
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
ger wurde infolge dieser Entwicklung zum dominierenden Segment des Musikmarkts und dieser etablierte sich in den Industriestaaten als ein gewichtiger Industriezweig. Rund einhundert Jahre nach den Anfängen der modernen Musikwirtschaft hat mit dem Internet ein neues Kapitel in der Geschichte des Musikvertriebs begonnen. Der Tonträger hat zwar den Wechsel zum neuen Jahrhundert als wichtigstes Medium der Musikverwertung überlebt – noch immer steht der Begriff der „Tonträgerindustrie“ im Sprachgebrauch für die Musikwirtschaft im Allgemeinen. Für die Verbraucher sind physische Tonträger jedoch keine Notwendigkeit mehr, seitdem sich Musik einfach und schnell in unkörperlicher Form über das Internet übertragen lässt. Die Bandbreite der Datenleitungen wird beständig größer, ebenso wachsen Ausgereiftheit, Popularität und Konsum von mobilen Abspielgeräten.6 Musik ist damit zu einem Wirtschaftsgut geworden, das vom physischen Gegenstand losgelöst verbreitet werden kann. Dieser mediale Wechsel hat tief greifende Auswirkungen auf das Verhalten der Verbraucher, auf die Strukturen der Musikindustrie und auf die Art und Weise, wie Musik vertrieben wird.7 Seit Jahren ist der Absatz physischer Tonträger weltweit rückläufig.8 Die Marktanteile illegaler und legaler Musikanbieter im Internet steigen dagegen kontinuierlich an.9 Wie das ________ 6
7 8
9
6
Dazu zählen „mp3-Player“ wie der iPod, zunehmend aber auch Mobiltelefone, die zum Abspielen digitaler Musik verwendet werden können; vgl. IFPI, Digital Music Report 2007, S. 10 f. Vgl. Sjurts (Hrsg.), Gabler Lexikon Medienwirtschaft, „Internet-Musikverwertung“, S. 295; Davies, Ent.L.R. 2005, 137, 138 ff. Die Einnahmen aus Tonträgerverkäufen sinken seit dem Jahr 2000, vgl. Music & Copyright vom 12. April 2006, S. 1 f. Nach den Branchendaten des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft wurden in Deutschland 1999 insgesamt 272,6 Mio. Tonträger (Single, CD, MC, Vinyl-LP, DVD-Audio, SACD) abgesetzt – 2003 waren es mit 173,6 Mio. mehr als ein Drittel weniger; vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft (Hrsg.), Jahrbuch Phonographische Wirtschaft 2004, S. 24. Die Stagnation des Tonträgermarkts wirkt sich auch negativ auf die Einnahmen der Verwertungsgesellschaften aus, siehe Becker, in: GEMA-Geschäftsbericht 2005, S. 6. Nach Angaben der IFPI machten die Einnahmen aus digitalen Verkäufen (inklusive Mobilfunk) in den Jahren 2004/2005 ca. 6% der Gesamteinnahmen der weltweiten Tonträgerindustrie aus, vgl. IFPI, Digital Music Report 2006, S. 4. Im Jahr 2006 stieg dieser Wert auf ca. 10%, IFPI, Digital Music Report 2007, S. 3; Music & Copyright, 25. Oktober 2006, S. 3. Schätzungen der IFPI
B. Typische Nutzungsformen
Ende dieser Entwicklung aussieht, wird wohl noch lange Zeit nicht absehbar sein und hängt von vielerlei Faktoren ab, insbesondere der weiteren technischen Entwicklung, den Marktstrategien der Musikbranche und nicht zuletzt von den rechtlichen Rahmenbedingungen der Musikverwertung im Internet. In diesem Kapitel sollen zunächst die typischen Nutzungsformen von Musik im Internet aufgezeigt werden. Danach wird der rechtliche Schutz dargestellt, der den Urhebern und Leistungsschutzberechtigten bei der Verwertung im Internet zukommt, sowie die im Musikgeschäft üblichen vertraglichen Beziehungen. Schließlich wird erörtert, welche Vorgaben sich aus dem Urheberkollisionsrecht für die von den Internet-Musikanbietern einzuholenden Nutzungsrechte ergeben.
B.
Typische Nutzungsformen
B. Typische Nutzungsformen Musik wird im Internet in vielfältiger Form verwertet. Die im Folgenden dargestellten Nutzungsformen haben sich bereits etabliert.
I.
Download-Angebote
Der Download von Audiodateien ist die bekannteste Vertriebsform für Musik im Internet. Download-Anbieter halten auf ihren Servern10 Datenbanken mit Musiktiteln bereit, die in der Regel vorbestehende Tonträgeraufnahmen sind. Die Nutzer können die Datenbank des Anbieters durchsuchen, etwa nach bestimmten Interpreten, Titeln oder Genres, und die Musiktitel oder auch ganze Alben käuflich erwerben. Anschließend lassen sich die Dateien, in denen die Titel gespeichert sind, im Wege des Downloads vom Server des Anbieters auf den Computer des Kunden übertragen. ________ 10
zufolge könnte der Umsatzanteil digitaler Verkäufe in den nächsten Jahren auf 25% anwachsen, vgl. IFPI, Digital Music Report 2007, S. 3. Als Server wird der Computer bezeichnet, der in einem Netzwerk wie dem Internet seine Dienste anderen Computern (den sog. Clients) zur Verfügung stellt; vgl. Federrath/Pfitzmann, in: Moritz/Dreier, Rechts-Handbuch zum ECommerce, S. 2.
7
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Einen guten Teil des Internet-Musikgeschäfts macht der Online-Vertrieb von Klingeltönen für Mobiltelefone aus. Angeboten werden zum einen sog. monophone und polyphone Klingeltöne, bei denen es sich um eigens für Mobiltelefone produzierte synthetische Arrangements von Musikwerken handelt. Die sog. Master-Klingeltöne (Real Tones) stellen dagegen Extrakte vorbestehender Tonträgeraufnahmen dar.11 Der Vertrieb von Klingeltönen über das Internet erfolgt gewöhnlich in der Weise, dass die Kunden den gewünschten Klingelton unter Angabe ihrer Mobilfunknummer auf den Internetseiten des Anbieters auswählen und die gewünschte Datei anschließend vom Server des Anbieters über ein Mobilfunknetz via SMS, WAP12 oder andere Übertragungstechniken auf das Endgerät des Kunden übermittelt wird. In vertriebswirtschaftlicher Hinsicht zeichnen sich Download-Angebote vor allem durch zwei Eigenschaften aus: Zum einen können die Nutzer die Musik, die sie erwerben wollen, aus dem bereitgehaltenen Musikrepertoire selbst auswählen – Download-Angebote sind also interaktiv und werden aus diesem Grund zu den sog. „Music on Demand“-Diensten gerechnet, bei denen nicht der Anbieter ein von ihm zusammengestelltes Programm zur Verfügung stellt, sondern der Verbraucher konkret darüber entscheidet, welche Musik er zu welcher Zeit konsumieren möchte.13 Zum anderen ist für die Download-Dienste charakteristisch, dass sie nicht nur die bloße Möglichkeit zum Anhören von Musik anbieten, sondern die erworbenen Titel als Dateien dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Die Nutzer können die Dateien auf der Festplatte des eigenen Computers speichern und, soweit dies nicht durch technische Schutzmaßnahmen des Anbieters ausgeschlossen wird,14 mit ihnen grundsätzlich verfahren, wie sie wollen.
________ 11 12 13 14
8
Vgl. Castendyk, ZUM 2005, 9, 10; Prill, Urheberrecht und Klingeltöne, S. 19 ff. WAP (Wireless Application Protocol) ist ein Protokoll, das für die Übertragung von Internetinhalten im Mobilfunk eingesetzt wird. Zum Begriff vgl. Haller, Music on demand, S. 1 ff. Mit Verfahren der digitalen Rechteverwaltung (Digital Rights Management – DRM) können Anbieter ihre Urheber- und Vermarktungsrechte an den vertriebenen Titeln in digitaler Form schützen. Zur Praktikabilität solcher Systeme im Musikgeschäft vgl. etwa Haller, Urheberrechtsschutz in der Musikindustrie, S. 116 ff.; Music Week, 17. Juli 2004, S. 9; Billboard, 4. Februar 2006, S. 4.
B. Typische Nutzungsformen
Wegen dieser beiden Charakteristika (Interaktivität und dauerhafter Erwerb) lassen sich die Download-Dienste vertriebswirtschaftlich mit dem Tonträgerabsatz vergleichen. Auch ein herkömmlicher Schallplattenladen funktioniert auf Basis von Interaktion zwischen dem Betreiber und seinen Kunden, und die auf Tonträgern verkörperte Musik wird den Kunden dort ebenfalls dauerhaft übertragen. Aufgrund dieser Ähnlichkeit haben die Download-Angebote einen besonders starken Substitutionseffekt auf den traditionellen Vertrieb von Tonträgern.15 Music on DemandAngebote werden daher zum Bereich der sog. Erstverwertung urheberrechtlich geschützter Musikwerke und Tonträgeraufnahmen gezählt.16 Die technischen Voraussetzungen für Download-Angebote sind seit etwa Mitte der 90er Jahre vorhanden. Zu dieser Zeit verfügte bereits eine nennenswerte Anzahl von Verbrauchern in Deutschland über einen ISDNZugang zum Internet, der den einigermaßen zügigen Austausch von Daten über das Telefonnetz möglich machte. Neben der Verbesserung der Datenübertragungsverfahren war die Entwicklung digitaler Kompressionstechniken und Dateiformate, insbesondere des Audiostandards „mp3“17 dafür verantwortlich, dass Audiodateien in vertretbarer Geschwindigkeit über das Internet übertragen werden konnten. Einer der ersten Download-Dienste in Deutschland wurde 1997 auf Initiative des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft in Kooperation mit der Deutschen Telekom AG unter dem Namen „Music-on-DemandProjekt“ entwickelt.18 Mit dieser Unternehmung startete die deutsche
________ 15 16
17
18
Siehe Haller, Music on demand, S. 31 ff. Auch wenn es sich chronologisch oft um eine Zweitverwertung handelt, wenn die über das Internet verbreitete Musik einer vorbestehenden Tonträgeraufnahme entnommen wird. „mp3“ ist das am häufigsten verwendete Dateiformat für komprimierte Audiodateien. Es wurde 1987 am Fraunhofer Institut entwickelt und basiert auf dem Prinzip, dass die vom menschlichen Gehör nicht wahrnehmbaren Töne vor der eigentlichen Kompression der Tonträgeraufnahme entfernt werden. Dadurch ist es möglich, die Speichergröße einer digitalen Aufnahme deutlich zu reduzieren, ohne dass dabei die wahrnehmbare Klangqualität wesentlich abnimmt; vgl. Sjurts (Hrsg.), Gabler Lexikon Medienwirtschaft, „Internet-Musikwirtschaft“, S. 294; Röttgers, Mix, Burn & R.I.P., S. 102 f. Dazu Wolf, ZUM 1998, 303 ff.; Schaefer, ZUM 1998, 301 ff.; Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, Jahrbuch Phonographische Wirtschaft 2004, S. 48 f.; Schult, c’t 1/1998, 122; Rochlitz, in: Rehbinder/Schaefer/Zombik
9
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Tonträgerindustrie den Versuch, die Auswertung ihrer Tonträgeraufnahmen im Internet soweit wie möglich selbst zu steuern.19 Technische Dienstleister, wie im Falle des Music-on-Demand-Projekts die Deutsche Telekom AG, sollten bei der Internetauswertung nur insoweit involviert werden, wie es in technisch-administrativer Hinsicht nötig war. Damit versuchte die Tonträgerindustrie, die ihr vom traditionellen Vertrieb von Tonträgern bekannte Wertschöpfungskette auf den Musikvertrieb im Internet zu übertragen. Auf diesem Grundsatz baute auch das einige Jahre später von der deutschen Tonträgerindustrie und der Deutschen Telekom AG gestartete Projekt Phonoline auf, das als technische Plattform geplant war, auf die Vertriebspartner ihre eigenen Online-Musikläden aufbauen sollten. Obwohl Phonoline mit einem umfangreichen Repertoire von ca. 250.000 Musiktiteln an den Start ging, stellte die Plattform aber nach nur wenigen Monaten im September 2004 ihren Betrieb aufgrund technischer Schwierigkeiten und wirtschaftlichen Misserfolgs ein.20 Das Music-on-Demand-Projekt gab die Tonträgerindustrie in der Folgezeit ebenfalls wirtschaftlich aus der Hand; es wurde in das von der Telekom-Tochter T-Online betriebene Download-Angebot Musicload integriert, das heute in Deutschland einer der Marktführer im Bereich Music on Demand ist.21 Heute werden Download-Dienste von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Betreiber angeboten. Ende des Jahres 2006 registrierte der internationale Dachverband der Tonträgerhersteller IFPI weltweit etwa 500 Unternehmen – davon 320 in Europa –, die Musik im Internet zum Verkauf anbieten.22 Es sind unter anderem Internet-Provider, Handelsketten, Computerhersteller, Mobilfunkanbieter und klassische Medienunternehmen wie Fernsehsender und Zeitungsverlage, die sich auf dem Download-Markt engagieren.23 Als Pionier gilt der iTunes Music Store des Computerherstellers Apple, der im April 2003 in den USA und etwa ein Jahr später in Deutschland, Frankreich und Großbritannien in Betrieb ________ 19 20 21 22 23
10
(Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme des Urheber- und Leistungsschutzes sowie der Rechtewahrnehmung, S. 67, 77 f. Vgl. Schaefer, ZUM 1998, 301 ff. Vgl. Handelsblatt, 27. September 2004, S. 13. Vgl. Handelsblatt, 8. März 2006, Beilage S. 7. IFPI, Digital Music Report 2007, S. 5, 8. Vgl. Handelsblatt, 21. Juni 2005, S. 19.
B. Typische Nutzungsformen
genommen wurde.24 Die wesentlichen Faktoren im Wettbewerb zwischen den Music on Demand-Anbietern sind die Größe, Aktualität und Exklusivität des angebotenen Sortiments, der Preis pro Track/Album, die Qualität der Audiodateien, der Kompressionsstandard sowie Art und Umfang technischer Kopierbeschränkungen, die Geschwindigkeit bei der Übertragung vom Server des Anbieters auf den Computer des Nutzers, das Angebot von verwandten Produkten (wie zum Beispiel Audioplayern oder Fan-Artikeln), die Anwenderfreundlichkeit der verwendeten Software, die redaktionelle Einbettung der Shops und die Bewerbung des Musikrepertoires bei den Verbrauchern.25
II.
Abonnement-Angebote
Abonnement-Angebote („subscription services“) sind eine weitere Form von Music on Demand. Sie bieten dem Verbraucher gegen Zahlung eines monatlichen Entgelts den unbeschränkten Zugriff auf ihr Musikrepertoire an. Teilweise erlauben diese Dienste den Kunden das Herunterladen von Musiktiteln, bei anderen wird die gewünschte Musik bei jedem Anhören als sog. Audio-Stream26 zeitgleich auf den heimischen Computer übertragen, ohne dass ein dauerhaftes Speichern der Datei auf einem Datenträger möglich ist. Einige Angebote bieten den Kunden auch die Wahl, Musiktitel entweder im Wege des Streamings anzuhören oder, ge________ 24
25 26
Später folgten in Europa Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden und die Schweiz; vgl. „Apple iTunes“ in: Wikipedia – Die Freie Enzyklopädie (www.wikipedia.de), Stand: 8. September 2007; im Juli 2005 erreichte „iTunes“ bereits die Marke von 500 Millionen, im Februar 2006 die von einer Milliarde verkaufter Musiktitel, siehe Heise Online, 18. Juli 2004; Billboard, 11. März 2006, S. 12. Vgl. Wiedmann/Frenzel/Nowak, Digitales Musikshopping in Deutschland und den USA, S. 34 ff. Unter Audio-Stream versteht man eine Methode der Datenübertragung, bei der digitalisierte Audiodaten kontinuierlich über ein Computer-Netzwerk gesendet werden. Das Besondere an diesen Verfahren ist, dass die Daten schon während des Herunterladens abgerufen werden können – der Nutzer muss beim Streaming also nicht abwarten, bis die Audiodatei komplett übertragen ist. Weil die überspielten Daten jedoch nicht gespeichert werden, erfordert jedes nochmalige Anhören einen erneuten Abruf beim Anbieter; vgl. Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 670 f.
11
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
gebenenfalls gegen einen Aufpreis, dauerhaft herunterzuladen. In jedem Fall können die Titel nur solange genutzt werden, wie der Kunde Abonnent beim jeweiligen Anbieter ist. Nach Ablauf des Abonnements ist ein Zugriff auf die Musikdateien nicht mehr möglich, bereits heruntergeladene Musiktitel werden mit technischen Mitteln gesperrt und lassen sich nicht mehr abspielen.27 Abonnement-Dienste haben ebenfalls einen Substitutionseffekt auf den körperlichen Vertrieb von Tonträgern, weil Abonnenten die Musik, die sie hören möchten, frei wählen können (Interaktivität) und von daher auf den zusätzlichen Erwerb physischer Tonträger nicht unbedingt angewiesen sind. Im Unterschied zu den Download-Angeboten endet mit dem Ablauf des Abonnements aber die Befugnis und Möglichkeit zur Nutzung der ausgewählten Musik. Manche Marktbeobachter sehen Subskriptionsangebote gegenüber den Download-Diensten dennoch im Vorteil und bewerten sie als das zukunftsträchtigere Modell für Online-Musikangebote, weil die Abonnement-Angebote den Nutzern den Aufwand bei der Verwaltung von Audiodateien auf dem heimischen Rechner ersparen und umgekehrt die Rechteinhaber und Anbieter nicht zu befürchten brauchen, dass die Nutzer die erworbene Musik unautorisiert verwenden, etwa in illegale Musiktauschbörsen einspeisen.28 Der Anteil der AbonnementDienste am Markt für Online-Musik ist derzeit aber noch gering.29 Eines der ersten Unternehmen im Bereich der Abonnement-Dienste war der Anbieter Real Networks mit seinem im Dezember 2001 an den Start gegangenen Online-Dienst Rhapsody.30
III. Tauschbörsen Internet-Tauschbörsen sind Plattformen zum Austausch von Dateien. Anders als bei den bislang beschriebenen Diensten werden die Dateien nicht auf einem zentralen Server bereitgehalten, sondern sind auf den Computern der Kunden verteilt. Wer eine Datei herunterladen möchte, greift direkt auf den Computer eines anderen Nutzers zu. Alle mit dem Netzwerk verbundenen Rechner sind gleichrangig, weshalb man dezen________ 27 28 29 30
12
Zur Funktionsweise vgl. OECD, Digital Broadband Content: Music, S. 57 f. Roettger, Mix, Burn & R.I.P., S. 56 ff.; Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 672. Er betrug 2005 ca. 7%, vgl. Music & Copyright vom 12. April 2006, S. 1, 2. Roettger, Mix, Burn & R.I.P., S. 56, 109.
B. Typische Nutzungsformen
tral aufgebaute Tauschbörsen auch als „Peer-to-Peer“- oder einfach „P2P“-Netzwerke bezeichnet.31 Seitdem im Jahr 1999 mit Napster die erste Software eingeführt wurde, die es privaten Nutzern ermöglichte, im Internet Musikdateien untereinander auszutauschen,32 haben sich Tauschbörsen zu einem beliebten Forum für die unautorisierte Weitergabe urheberrechtlich geschützter Musik entwickelt. Die Musikindustrie hat hierauf mit zahlreichen gerichtlichen Klagen reagiert und konnte die Stilllegung einiger größerer Netzwerke wie Napster und Grokster herbeiführen.33 An der Tatsache, dass das illegale File Sharing eines der dringlichsten Probleme im Bereich der sog. Musikpiraterie darstellt, hat dies bislang freilich nichts geändert.34 In jüngerer Zeit versuchen Anbieter zunehmend, die „P2P“-Technologie für die Zwecke der Rechteinhaber nutzbar zu machen und im Rahmen kommerzieller Online-Musikdienste zu verwenden. So sind legale Tauschbörsen entstanden, in denen die Nutzer Musikdateien nur mit Zustimmung der betroffenen Rechteinhaber und gegen Zahlung einer
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Vgl. Freiwald, Die private Vervielfältigung im digitalen Kontext am Beispiel des Filesharing, S. 28; Kreutzer, GRUR 2001, 193, 194; Haller, Urheberrechtsschutz in der Musikindustrie, S. 109 ff. „Napster“ gilt als die erste Musiktauschbörse im Internet; vgl. zur Entstehungsgeschichte und dieser Plattform Röttgers, Mix, Burn & R.I.P., S. 17 ff. Heute wird unter dem Namen Napster ein Online-Musikdienst betrieben. Der Tauschbörse Grokster hat ihren unautorisierten Betrieb nach einem Urteil des US-Supreme Court vom Juni 2005 eingestellt, vgl. dazu Gampp, ZUM 2005, 795 ff. Napster beendete sein Dasein als Musiktauschbörse im Sommer 2001, nachdem ein kalifornisches Bezirksgericht dem Anbieter aufgegeben hatte, den Tausch urheberrechtlich geschützter Titel durch eine Filtersoftware zu verhindern, und eine Übernahme durch den Medienkonzern Bertelsmann gescheitert war, vgl. Wenzl, Musiktauschbörsen im Internet, S. 93 ff.; Röttgers, Mix, Burn and R.I.P., S. 41 ff.; Gottschalk, GRUR Int. 2002, 95, 102 ff. Siehe Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, Jahrbuch Phonographische Wirtschaft 2004, S. 50 ff.; IFPI, Digital Music Report 2007, S. 18 ff. Nach Schätzungen ist die Anzahl der Internetnutzer in Europa, die urheberrechtlich geschützte Musik aus unautorisierten Musiktauschbörsen beziehen, dreimal so hoch wie die Anzahl der Nutzer, die für Download-Dienste bezahlen, vgl. BBC News, 28. November 2005. Einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge stammten im Jahr 2005 sogar 81% aller Musikdownloads aus illegalen Quellen, siehe Zombik, ZUM 2006, 450 ff.
13
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Vergütung austauschen können.35 Der Vorteil dieses Vertriebswegs dürfte vor allem in den Kommunikationsmöglichkeiten der Nutzer liegen, die sich über die gemeinsame Plattform darüber austauschen können, welche Musiktitel sie präferieren. So entsteht ein gegenseitiger Anreiz zum Musikerwerb.36 Kommerzielle Tauschbörsen lassen sich ebenfalls der Kategorie der Music on Demand-Angebote zurechnen, weil sie wie die Download- und Abonnement-Dienste interaktiv funktionieren.
IV. Internetradio Als Internetradio bezeichnet man das Internet-basierte Angebot von Radiosendungen. Anders als beim Music on Demand wird den Nutzern hier ein vorgefertigtes Programm bereitgestellt. Die Bezeichnung „Internetradio“ verdeutlicht die Nähe zum herkömmlichen Hörfunk. Inhaltlich setzt Internetradio zwar nicht notwendigerweise die Wiedergabe von Musik voraus. Wegen der vergleichsweise geringen Produktionskosten solcher Programme sind Musikbeiträge im Internetradio jedoch besonders beliebt; viele der aktuellen Angebote bestehen sogar ausschließlich aus der Wiedergabe von Musik. Die Übertragung der Daten erfolgt in der Regel im Wege des „Audio-Stream“, das Programm kann also während des Übertragungsvorganges gehört, anschließend aber nicht gespeichert werden.37 Internetradio wird sowohl von privaten und von kommerziellen Anbietern angeboten. Einer der ersten kommerziellen Anbieter war der US-amerikanische Onlinedienst America Online, der Ende 2002 sein Programm Broadband Radio AOL startete.38 Um einen größeren Empfängerkreis zu erreichen, übertragen auch viele Hörfunksender ihr Programm zeitgleich im Internet. Man spricht in diesem Fall von „Simulcasting“, während bei Anbietern, die ihr Programm ausschließlich im Internet senden, von „Webcasting“ die Rede ist.
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Vgl. OECD, Digital Broadband Content: Music, S. 78 f.; IFPI, Digital Music Report 2006, S. 14; zu möglichen „P2P“-Geschäftsmodellen im Einzelnen Berkman Center, Content and Control, S. 16 ff. Vgl. Röttgers, Mix, Burn & R.I.P., S. 21. Siehe oben Fn. 26. Vgl. „Internetradio“ in: Wikipedia – Die Freie Enzyklopädie (www. wikipedia.de), Stand: 25. Oktober 2006 (abgerufen am 10. November 2006).
B. Typische Nutzungsformen
Internetradio in der reinen Form ist kein interaktiver Dienst und kann deshalb nicht dem Music on Demand zugerechnet werden, bei dem die Nutzer entscheiden können, welche Musiktitel sie zu welchem Zeitpunkt empfangen. Wie der klassische Hörfunk ist das Internetradio daher eine Form der sog. Zweitverwertung urheberrechtlich geschützter Musik, weil diese Verwertungsform dem eigentlichen Vertrieb von Tonträgeraufnahmen nachgeschaltet ist und ihn wirtschaftlich nicht ersetzt, sondern ergänzt. Im Laufe der Zeit sind allerdings zahlreiche neue Auswertungsformen des Internetradios entstanden, bei denen das Programm in mehr oder minder großem Maße vom Nutzer beeinflusst werden kann.39 Zum Teil stellen Anbieter auf ihrer Website beispielsweise Programmarchive bereit, die es den Hörern ermöglichen, ein bereits gesendetes Programm nochmals aufzurufen und damit auch gezielt auf bestimmte Musiktitel zurückzugreifen.40 Andere Anbieter senden ihr Programm ständig wiederkehrend in bisweilen sehr engen zeitlichen Intervallen („Near on demand“) oder bieten die Funktion an, einzelne Musiktitel im Programm zu überspringen.41 Je stärker der Nutzer mit Funktionen dieser Art technisch in die Lage versetzt wird, das Programm selbst zu gestalten und gezielt auf bestimmte Musiktitel zuzugreifen, desto näher rücken diese Dienste zum interaktiven Music on Demand und damit in den Bereich der Erstverwertung urheberrechtlich geschützter Musik.
V.
Sonstige Formen
Bei den eben beschriebenen Angeboten liegt die Vermittlung von musikalischen Werken im Vordergrund. In anderen Internetangeboten wird Musik nur als Mittel zur Förderung eines anderen Produktes bzw. einer Dienstleistung eingesetzt, zum Beispiel als stimmungsfärbende Hintergrundmusik einer Website, oder als Bestandteil einer im Internet platzierten Videodatei (etwa eines Werbeclips). Auch bei der Übertragung von Fernsehsendungen (Web-TV) oder Kinofilmen über das Internet (Video on Demand) wird Musik verwertet. Eine unkörperliche Online-Verwertung musikalischer Werke stellt es schließlich dar, wenn Versandanbieter ________ 39 40 41
Vgl. Schwenzer, GRUR Int. 2001, 722 ff. Beispiel: Der Anbieter WFMU (www.wfmu.org). Schwenzer, GRUR Int. 2001, 722, 724, 728.
15
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
im Internet physische Tonträger mit Hilfe sog. Pre-Listenings bewerben, also kurzen Musikeinblendungen, die dem Kunden einen Eindruck der Musik bieten sollen.
C.
Urheber- und Leistungsschutz
C. Urheber- und Leistungsschutz Die Dienste haben gemeinsam, dass sie urheberrechtlich geschützte Musik verwerten. Internetanbieter, die einen dieser Dienste erbringen, müssen sich deshalb von den Inhabern der betroffenen Rechte die Nutzungsbefugnis einholen, wenn sie sich nicht dem Risiko von Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen aussetzen wollen. Die Verwerter müssen sich dabei grundsätzlich mit zwei Gruppen von Rechteinhabern auseinandersetzen: Auf der einen Seite den Urhebern, die an der Herstellung der Werke schöpferisch mitwirken – das sind die Komponisten, Textautoren und Bearbeiter vorbestehender Werke. Zum anderen müssen die Rechte all jener Personen eingeholt werden, die im Rahmen der Darbietung und Fixierung eines musikalischen Werkes eine künstlerisch, wirtschaftlich oder organisatorisch maßgebliche Leistung vollbringen und hierfür einen rechtlichen Leistungsschutz genießen – das sind die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler. Der Rechtsschutz in der Musikwirtschaft ist somit zweigleisig aufgebaut.
I.
Schutz der Urheber
Den Ausgangspunkt der Musikverwertungskette bilden die Komponisten und Textdichter. Sie sind die geistigen Urheber der Werke und ermöglichen mit ihrer schöpferischen Tätigkeit überhaupt erst deren wirtschaftliche Nutzung. Das UrhG gibt dem Komponisten an seiner musikalischen Komposition (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG) und dem Textdichter an dem zugehörigen Sprachwerk (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG) jeweils ein eigenes Urheberrecht.42 Wirken mehrere Komponisten bzw. mehrere Textautoren an der Schöpfung eines ________ 42
16
Musik und Text eines Songs sind urheberrechtlich Werkverbindungen im Sinne von § 9 UrhG mit der Folge, dass kein eigenes Urheberrecht am Lied, sondern getrennte Urheberrechte an Musik und Text bestehen; vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 291.
C. Urheber- und Leistungsschutz
Werkes mit, entsteht unter den Voraussetzungen des § 8 UrhG Miturheberschaft. Das Recht zur Veröffentlichung und Verwertung des Werkes steht dann gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 UrhG den Miturhebern zur gesamten Hand zu. Ein eigenes Urheberrecht hat ferner der Bearbeiter eines vorbestehenden Musik- oder Sprachwerks, sofern es sich bei der Bearbeitung gemäß § 3 UrhG um eine persönliche geistige Schöpfung handelt.43 Solche Bearbeitungen, sei es einer musikalischen Komposition (Neueinspielungen, Orchestrierungen, Remix-Versionen) oder eines Textes (Coverversionen mit übersetzten Liedtexten), finden sich besonders häufig in der Unterhaltungsmusik. 1.
Urheberrechtsgesetz (UrhG)
Damit die Urheber an der kommerziellen Nutzung und am Erfolg ihrer Werke angemessen beteiligt werden, gewährt ihnen das Urheberrecht Verwertungsrechte, mit denen sie die weitere wirtschaftliche Verwertung kontrollieren und sich eine angemessene Vergütung für die Nutzung der Werke sichern können (§ 11 S. 2 UrhG). Das UrhG unterscheidet dabei die beiden Kategorien der körperlichen und der unkörperlichen Verwertungsrechte (§ 15 UrhG). Für die Kontrolle der Verwertung von Musikwerken im Internet sind das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19 a UrhG) und das Senderecht (§ 20 UrhG) von Bedeutung. Das Vervielfältigungsrecht zählt zu den körperlichen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UrhG), die beiden letztgenannten Rechte zu den unkörperlichen Verwertungsrechten (§ 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und 3 UrhG). Das Vervielfältigungsrecht und eines der unkörperlichen Verwertungsrechte sind bei Musikverwertungen im Internet in der Regel kumulativ betroffen. Ein eigenständiges und einheitliches „Internet-Verwertungsrecht“ kennt das UrhG nicht.44
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Zur Schutzfähigkeit musikalischer Bearbeitungen vgl. Czychowksi, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 9 Rn. 74 ff. Vgl. Dreier/Buhrow, in: Moritz/Dreier (Hrsg.), Rechts-Handbuch zum ECommerce, S. 294.
17
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
a)
Vervielfältigungsrecht
Gemäß § 16 UrhG hat der Urheber das alleinige Recht, Vervielfältigungsstücke seines Werkes herzustellen. Unter Vervielfältigung versteht man die körperliche Festlegung eines Werkes, die geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Weise wahrnehmbar zu machen.45 Auf welcher Art von Material und in welchem Verfahren das Vervielfältigungsstück hergestellt wird, ist dabei unerheblich.46 Das Vervielfältigungsrecht des Urhebers ist deshalb nicht nur in der „analogen Welt“ anwendbar, sondern auch bei digitalen Reproduktionen von Musikwerken.47 Im Rahmen der Online-Verwertung von Musik kommt es typischerweise zu folgenden Vervielfältigungshandlungen: Eine Vervielfältigung stellt zunächst bereits das Digitalisieren48 einer Tonträgeraufnahme sowie das Konvertieren der Audiodatei in einen anderen Kompressionsstandard, etwa in das mp3-Format dar.49 Des Weiteren ist das Abspeichern einer digitalisierten Fassung auf der Festplatte des Anbieters oder einem sonstigen Datenträger eine Vervielfältigung.50 Auch das Kopieren einmal abgespeicherter Musikdateien auf einen anderen Datenträger beinhaltet eine Vervielfältigung, die unter § 16 UrhG fällt. Der für Internetanbieter in jedem Fall notwendige „Upload“ der Musikdateien, d. h. die Datenübertragung auf den Server des Anbieters, ist ebenfalls eine Vervielfältigung.51 Für all diese Vorgänge bedürfen Internetanbieter daher grundsätzlich gemäß § 16 UrhG der Erlaubnis der Urheber. Ebenfalls eine Vervielfältigungshandlung stellt das Herunterladen (der Download) einer Datei auf den heimischen Rechner des Kunden eines On-
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49 50 51
18
Loewenheim, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 20 Rn. 4. Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 16 UrhG Rn. 7. Loewenheim, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 20 Rn. 10. Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 16 UrhG Rn. 7, 13; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 378. In der Regel sind Tonträgeraufnahmen heute allerdings schon von vornherein nur in digitalisierter Form vorhanden, etwa auf CD, so dass eine Digitalisierung durch den OnlineAnbieter nicht notwendig ist. Dreyer, in: ders./Kotthoff/Meckel (Hrsg.), UrhR, § 16 UrhG Rn. 26, 35. Vgl. Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht (Hrsg.), § 16 UrhG Rn. 17. Vgl. Loewenheim, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 20 Rn. 14.
C. Urheber- und Leistungsschutz
line-Dienstes dar.52 Ein Download bewirkt, dass die auf dem Server des Anbieters bereitgehaltene Datei über das Internet übertragen und auf der Festplatte des Kunden gespeichert wird. Es entsteht also ein weiteres Vervielfältigungsstück. Der Download stellt eine Vervielfältigungshandlung des Abnehmers dar, der ihn initiiert, nicht aber des Anbieters, der ihn möglich macht.53 Der Abnehmer kann sich auf die Schrankenbestimmung des § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG berufen, wenn er den Download zum privaten Gebrauch vornimmt, und bedarf hierfür daher keiner Einwilligung des Rechteinhabers. b)
Recht der öffentlichen Zugänglichmachung
Gemäß § 19 a UrhG hat der Urheber das ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung. Hierunter versteht das Gesetz das Recht, ein urheberrechtlich geschütztes Werk „drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist“. Im Gegensatz zum Vervielfältigungsrecht, das ein altes Verwertungsrecht ist und auf den neuen Sachverhalt der Internet-Verwertung angewandt wird, handelt es sich bei § 19 a UrhG um eine speziell auf die Nutzung im Internet und anderen elektronischen Netzen zugeschnittene Verwertungsbefugnis.54 Gegenstand des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Bereitstellen von geschützten Werken zum interaktiven Abruf. Ein wesentliches Tatbestandsmerkmal des § 19 a UrhG besteht darin, dass schon das „Bereitstellen“ von dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung umfasst ist. Internetanbieter müssen deshalb die Erlaubnis des Urhebers bereits dann einholen, wenn sie ihren Kunden den Abruf eines urheberrechtlich geschützten Musikwerkes über das Internet nur ermöglichen. Ob, wann und in welchem Umfang das Werk auch tatsächlich abgerufen
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54
Heerma, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 16 UrhG Rn. 14. Junker, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, S. 212 f.; Nieland, Die Online-Lieferung im Urheberrecht, S. 170; für das „Filesharing“ Freiwald, Die private Vervielfältigung im digitalen Kontext am Beispiel des Filesharing, S. 144 f. Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung wurde durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft mit Wirkung zum 13. September 2003 in das UrhG eingefügt.
19
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
wird, ist für § 19 a UrhG irrelevant.55 Unerheblich ist es aus diesem Grund auch, ob der Abruf als Download erfolgt oder die Musikdateien – wie zumeist bei den Abonnementdiensten – im Wege des AudioStreamings übermittelt werden. In beiden Fällen wird das bereitgehaltene Werk im Sinne des § 19 a UrhG öffentlich zugänglich gemacht.56 Entscheidend ist nach § 19 a UrhG, dass die Öffentlichkeit das Werk ortund zeitunabhängig abrufen kann. Deshalb fallen die oben beschriebenen Internetnutzungen nur dann unter das Verwertungsrecht der öffentlichen Zugänglichmachung, wenn sie interaktiv ausgestaltet sind, wie es bei Music on Demand-Diensten der Fall ist.57 Wenn die Nutzer dagegen keine Möglichkeit haben, den Abruf des Angebots zeitunabhängig zu initiieren, liegt kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19 a UrhG vor. In Betracht kommt in diesem Fall eine Subsumption unter das Senderecht (§ 20 UrhG). c)
Senderecht
Das Senderecht aus § 20 UrhG vermittelt dem Urheber das alleinige Recht, sein Werk „durch Funk, wie Ton- und Fernsehrundfunk, Satellitenrundfunk, Kabelfunk oder ähnliche technische Mittel, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“. Auch die digitale Sendung ist von diesem Recht umfasst.58 Reine Webcasting- und Simulcasting-Dienste, die ein dem klassischen Hörfunk vergleichbares Programm zu einem bestimmten Zeitpunkt über das Internet übertragen, fallen deshalb unter § 20 UrhG.59 Nach einer Entscheidung des BGH gilt das auch für sog. Mehrkanaldienste, bei denen die Empfänger aus einer großen Anzahl bestimmter Spartenkanäle wäh-
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20
Vgl. Bullinger, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 19 a UrhG Rn. 10. Vgl. OLG Hamburg, ZUM 2005, 749, 750. Bullinger, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 19 a UrhG Rn. 25. Castendyk, MMR 2000, 294, 295 f.; Koch, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 78 Rn. 70; Völker, in: Ensthaler/Bosch/Völker (Hrsg.), Handbuch Urheberrecht und Internet, S. 181 f.; Brunner, Urheber- und leistungsschutzrechtliche Probleme der Musikdistribution im Internet, S. 176 f. Dreier/Buhrow, in: Moritz/Dreier (Hrsg.), Rechts-Handbuch zum E-Commerce, S. 298 f.; Knies, JurPC Web-Dok. 42/2004, Abs. 5; Handig, GRUR Int. 2007, S. 206, 209 ff.
C. Urheber- und Leistungsschutz
len können, welche Art von Musik (Jazzmusik, Musik mit klassischer Gitarre etc.) sie hören möchten.60 Bei Online-Angeboten, die einer Rundfunksendung im herkömmlichen Sinne weniger ähnlich sind, ist hingegen oftmals zweifelhaft, ob das Senderecht einschlägig ist. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen zum Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 19 a UrhG. Beide Rechte sind insoweit identisch, als sie das „Zugänglichmachen“ von geschützten Werken an die Öffentlichkeit erfassen. Während jedoch § 19 a UrhG verlangt, dass die Nutzer die bereitgestellten Werke „zu Zeiten ihrer Wahl“ abrufen können, ist das Senderecht nur einschlägig, wenn der Sendende die zeitliche Reihenfolge der Programmbestandteile bestimmt.61 Die Schutzrechte lassen sich somit dadurch abgrenzen, dass § 19 a UrhG die interaktiven Nutzungsformen und § 20 UrhG die vom Anbieter zeitlich vorgegebene Zugänglichmachung erfasst. Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist daher betroffen, wenn Internetradioanbieter Programmarchive bereithalten, die den Nutzern den wiederholten Abruf bereits gesendeter Programme ermöglichen; denn die Nutzer können die verwerteten Musikwerke in diesem Fall im Sinne des § 19 a UrhG zu Zeiten ihrer Wahl abrufen. Einen Grenzfall bilden sog. Near on demandDienste, die ihr Programm ständig in kurzen Intervallen wiederholen.62 Sie werden von Teilen der Literatur als Sendung,63 von anderen als öffentliche Zugänglichmachung angesehen.64 ________ 60
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BGH GRUR 2004, 669, 670 – Mehrkanaldienst. Ein Teil der Literatur beurteilt Mehrkanaldienste dagegen nicht als Sendung im urheberrechtlichen Sinne, weil die Verwendungsmöglichkeiten der Empfänger größer sind als beim herkömmlichen Rundfunk und im Vergleich zu diesem ein höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Empfänger einen konkret gewünschten Titel zu einem bestimmten Zeitpunkt vorfindet; siehe Schwenzer, GRUR Int. 2001, 722, 729. Vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 20 UrhG Rn. 13. Dazu Castendyk, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 75 Rn. 37. Castendyk, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 75 Rn. 37; Reinbothe, GRUR Int. 2001, 733, 736; Spindler, GRUR 2002, 105, 108; Dreier, ZUM 2002, 28, 30; Brunner, Urheber- und leistungsschutzrechtliche Probleme der Musikdistribution im Internet, S. 176; Nieland, Die Online-Lieferung im Urheberrecht, S. 64. So Bullinger, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 19 a UrhG Rn. 20, für den Fall, dass das Werk aus Sicht des Nutzers in so kurzen Abständen abgerufen werden kann, dass es für ihn als nahezu jederzeit zugänglich erscheint; Drei-
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
2.
Gemeinschaftsrecht
Das Urheberrecht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist durch die EG-Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (RL zur Informationsgesellschaft) weitgehend harmonisiert worden.65 Der soeben skizzierte Schutz der Musikurheber bei der Verwertung ihrer Werke im Internet wird daher in vergleichbarer Weise auch in den Urheberrechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten der EG gewährt. Art. 2 lit. a) der RL zur Informationsgesellschaft gewährleistet das ausschließliche Vervielfältigungsrecht der Urheber.66 In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist das ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke verankert. Darüber hinaus gibt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie den Urhebern das ausschließliche Recht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu gestatten oder zu verbieten. Dieses – laut der 23. Begründungserwägung der Richtlinie in einem weiten Sinn zu verstehende – Recht stellt auch die Sendung urheberrechtlich geschützter Werke über das Internet unter seinen Schutz. Insgesamt sind daher die oben beschriebenen Verwertungsrechte der Urheber, die bei der Online-Nutzung von musikalischen Werken einschlägig sind, auf einem gemeinschaftsrechtlich harmonisierten Stand. Die RL zur Informationsgesellschaft war bis zum 22. Dezember 2002 in innerstaatliches Recht umzusetzen (Art. 13 Abs. 1 RL 2001/29/EG).67 ________ 65
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22
er, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 19 a UrhG Rn. 10; Schwenzer, GRUR Int. 2001, 722, 729. RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. Nr. L 167 vom 22. 6. 2001, S. 10 ff.). Ausgenommen sind gemäß Art. 5 Abs. 1 der RL zur Informationsgesellschaft (entsprechend in § 44 a UrhG) ephemere Vervielfältigungshandlungen, wie sie zum Beispiel beim Caching oder Browsing vorkommen; siehe dazu Loewenheim, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 20 Rn. 15. Harmonisiert ist auch die Schutzfrist gemäß Art. 1 der Schutzdauer-RL (RL 93/98/EWG des Rates zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte vom 29. Oktober 1993, ABl. Nr. L 290 vom 24. 11. 1993, S. 9 ff.).
C. Urheber- und Leistungsschutz
Auf die national gewährten Verwertungsrechte können sich in der Gemeinschaft in jedem Fall alle Urheber berufen, die Staatsangehörige einer der EG-Mitgliedstaaten sind. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Die Urheberrechtsordnungen bauen traditionell auf dem gegenteiligen Prinzip auf, ausländischen Staatsangehörigen nur unter bestimmten Voraussetzungen und nach Maßgabe von internationalen Staatsverträgen Schutz zu gewähren. Durch dieses System des sog. Fremdenrechts, das in Deutschland in den §§ 120 ff. UrhG geregelt ist, schaffen sich die Staaten gegenseitig Anreize, Staatsverträge zum Schutz der Urheber abzuschließen oder bestehenden internationalen Konventionen beizutreten sowie den inländischen Immaterialgüterschutz zu verbessern.68 In der EG sind allerdings fremdenrechtliche Einschränkungen zu Lasten von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Phil Collins-Urteil des EuGH vom 20. Oktober 1993 für rechtswidrig erklärt worden.69 Der Gerichtshof entschied, dass eine fremdenrechtliche Schlechterstellung von Staatsangehörigen aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber Inländern mit dem Diskriminierungsverbot in Art. 12 Uabs. 1 EG unvereinbar sei. Danach sind EU-Ausländer in allen Mitgliedstaaten den Inländern urheberrechtlich gleichgestellt.70 Soweit daher ein Mitgliedstaat der Gemeinschaft seinen Urhebern ein bestimmtes Schutzniveau gewährt, gilt dies auch für die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten. 3.
Internationale Abkommen
Die internationalen Abkommen zum Urheberschutz sind eine weitere wichtige Rechtsquelle des Urheberrechts. Sie sorgen für eine gewisse Vereinheitlichung der Urheberrechtsordnungen in den Vertragsstaaten und stellen sicher, dass die Urheber auch im Ausland urheberrechtlich nicht schutzlos gestellt sind. Aufgrund der eben dargestellten EuGH-Recht________ 68
69 70
Soweit ein Staat keinem Staatsvertrag beitritt, muss er damit rechnen, dass seinen Staatsangehörigen im Ausland urheberrechtlicher Schutz versagt wird. Die Staatsverträge sorgen wiederum mit ihren grundlegenden Prinzipien der Inländerbehandlung und der Mindestrechte (dazu näher unten) für einen Anreiz der Verbandsländer, das Schutzniveau international anzugleichen, vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, Vor §§ 120 ff. Rn. 19. Rs. C 326/92, Slg. 1993, S. I–5145 ff. In Umsetzung dieser Rechtsprechung hat der deutsche Gesetzgeber die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten der EU den deutschen Staatsangehörigen in § 120 Abs. 2 Nr. 2 UrhG gleichgestellt.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
sprechung („Phil Collins“) nehmen die EU-angehörigen Urheber allerdings bereits kraft Gemeinschaftsrechts den gleichen Schutz in Anspruch, der den inländischen Urhebern in einem Mitgliedstaat gewährt wird.71 Die internationalen Abkommen, die im Folgenden nur des Überblicks halber dargestellt werden sollen,72 sind im Gemeinschaftsgebiet deshalb vor allem für die nicht EU-angehörigen Rechteinhaber von Bedeutung. Die wichtigsten Abkommen zum Schutz der Urheber sind die Revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ) vom 9. September 1886,73 das Welturheberrechtsübereinkommen vom 6. September 1952 (WUA)74 und der WIPO Copyright Treaty (WCT) vom 20. Dezember 1996.75 Deutschland ist Vertragsstaat aller drei Verträge, die EG Vertragspartner des WCT.76 Die RBÜ wird von der WIPO mit Sitz in Genf verwaltet; sie hat die größte Anzahl von Vertragsstaaten. Das WUA hat ein wesentlich geringeres Schutzniveau als die RBÜ und wurde geschaffen, um auch die Staaten international einzubinden, denen der Schutz der RBÜ zu weit reicht.77 Der WCT wurde im Rahmen der WIPO abgeschlossen und ist ein Sonderabkommen zur RBÜ (Art. 1 Abs. 1 WCT).78 Er dient der Anpassung des internationalen Konventionsrechts an die Informations- und Kommunikationstechnologien, d. h. unter anderem die Digitalisierung und das Internet. ________ 71 72
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24
Siehe oben C.I.2. Ausführlich zum internationalen Schutz der Musikurheber im Internet Baierle, Der Online-Vertrieb von Musikwerken im Internet unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten, S. 74 ff. Revidiert in Paris am 24. Juli 1971, geändert am 2. Oktober 1979 (BGBl. 1984 II, S. 81 ff.). Revidiert in Paris am 24. Juli 1971 (BGBl. 1973 II, S. 1111 ff.). Abgedr. in deutscher Übersetzung in GRUR Int. 2004, 112 ff. Listen der Vertragsparteien von RBÜ und WCT sind auf der Website der WIPO unter www.wipo.int/treaties/en/statistics/ veröffentlicht; der WCT ist für Deutschland und die EG noch nicht in Kraft getreten. Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 853. Die heutige Bedeutung des WUA ist eher gering, weil die USA, Russland und China mittlerweile der RBÜ bzw. dem TRIPs (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) beigetreten sind, das den Inländerbehandlungsgrundsatz und die Mindestrechte der RBÜ einschließt („Berne-Plus-Approach“), Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 TRIPs; vgl. v. Lewinski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 57 Rn. 68 ff. Vgl. v. Lewinski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 57 Rn. 79.
C. Urheber- und Leistungsschutz
Die letzte Revision der RBÜ datiert aus dem Jahr 1971 und konnte diese technischen Entwicklungen nicht mit einbeziehen. Die Abkommen bauen auf den beiden grundlegenden Prinzipien der Inländerbehandlung und der Mindestrechte auf. Der Grundsatz der Inländerbehandlung (Art. 5 Abs. 1 RBÜ; Art. II Abs. 1 WUA) besagt, dass ausländische Urheber für ihre konventionsrechtlich geschützten Werke inländischen Urhebern gleichgestellt werden müssen. Im Anwendungsbereich der jeweiligen Abkommen dürfen die Vertragsstaaten ihren Staatsangehörigen nicht mehr Schutz vermitteln als den Angehörigen der anderen Vertragsstaaten. Ein Inländern gewährter Schutz erstreckt sich auf die Angehörigen der Vertragsstaaten. Materiellrechtlich wird das Prinzip der Inländerbehandlung in den Abkommen durch eine Anzahl von Mindestrechten ergänzt. Die Mindestrechte stellen den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, den jeder Vertragsstaat erfüllen muss. Auf die in der RBÜ normierten Mindestrechte können sich die Urheber unmittelbar berufen, im WUA begründen die Mindestrechte nur eine Umsetzungsverpflichtung der Vertragsstaaten.79 In Bezug auf musikalische Werke schützen RBÜ und WUA unter anderem das Vervielfältigungsrecht,80 das Aufführungsrecht81 und das Recht der Rundfunksendung.82 Der WCT gewährt den Urhebern in Art. 8 das ausschließliche Recht der öffentlichen Wiedergabe einschließlich des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung. Auf dieser Norm beruht auch die entsprechende gemeinschaftsrechtliche Regelung in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/ EG zur Informationsgesellschaft,83 in deren Umsetzung wiederum das deutsche Verwertungsrecht in § 19 a UrhG geschaffen wurde.
II.
Schutz der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler
Die Tonträgerhersteller sind für die Musikverwertung im Internet ebenso unverzichtbar wie die Urheber. Zwar handeln Online-Musikanbieter, die einen der oben beschriebenen digitalen Dienste betreiben, nicht mit ________ 79 80 81 82 83
Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 849 und 856. bis Art. 9 RBÜ; Art. IV WUA. bis Art. 11 RBÜ; Art. IV WUA. bis bis Art. 11 RBÜ; Art. IV WUA. Vgl. 15. Begründungserwägung der Richtlinie.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
physischen Tonträgern. Ebenso wie der herkömmliche Tonträgerhandel verkaufen sie ihren Kunden aber Musik, die ein Tonträgerhersteller zuvor unter organisatorischem und wirtschaftlichem Aufwand produziert und aufgezeichnet hat. Auch der unkörperlichen Musik-Verwertung im Internet liegen geschützte Tonträgeraufnahmen zugrunde. Die Anbieter digitaler Musikdienste müssen daher die erforderlichen Nutzungsrechte der Tonträgerhersteller einholen, bevor sie deren Aufnahmen im Internet verwerten. An den Tonträgeraufnahmen wirken ferner ausübende Künstler mit. Die Leistungen der ausübenden Künstler werden bei der Online-Verwertung von Musik ebenfalls ausgewertet mit der Folge, dass hierfür auch der Erwerb der Rechte der ausübenden Künstler erforderlich ist. 1.
Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller nach dem UrhG
§ 85 UrhG gibt dem Hersteller eines Tonträgers einen Leistungsschutz, mit dem seine wirtschaftliche, technische und organisatorische Leistung bei der Herstellung des Tonträgers honoriert wird. Schutzgegenstand der Leistungsschutzrechte ist die im Tonträger fixierte Herstellerleistung.84 Das bei der Aufnahme angewandte technische Verfahren und das für die Fixierung verwendete Material sind dabei irrelevant. Als Tonträger im Sinne des § 85 UrhG kommen deshalb nicht nur Schallplatten und CDs, sondern auch digitale Tonaufnahmen in Dateien in Betracht.85 Der Schutz kommt gemäß § 85 Abs. 1 S. 3 UrhG nur demjenigen zugute, der die betreffende Aufnahme als erster fixiert.86 Wer einen bereits bestehenden Tonträger vervielfältigt oder eine Musikdatei mit einer Tonträgeraufnahme lediglich kopiert, erhält dafür keinen Leistungsschutz, sondern muss sich im Gegenteil die für die Vervielfältigung erforderlichen Nutzungsrechte bei demjenigen beschaffen, der die Aufnahme erstmalig festgelegt hat. Die Verbotsrechte der Tonträgerhersteller werden in § 85 Abs. 1 UrhG abschließend aufgezählt. Danach hat der Tonträgerhersteller die ausschließliche Befugnis, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten ________ 84 85 86
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Schaefer, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 85 UrhG Rn. 2. Vogel, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 40 Rn. 30. Vogel, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 85 UrhG Rn. 21.
C. Urheber- und Leistungsschutz
und öffentlich zugänglich zu machen. Das Recht der Verbreitung ist im Bereich des herkömmlichen Tonträgervertriebs relevant; für die Verwertung von Tonträgern im Internet sind hingegen vor allem das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung von Bedeutung: Das Vervielfältigungsrecht gibt dem Tonträgerhersteller die Möglichkeit, das Kopieren, Digitalisieren und Konvertieren der von ihm hergestellten Tonträgeraufnahme sowie das Einspielen der Aufnahme in das Internet durch einen Online-Anbieter zu gestatten oder zu verbieten. Wegen des ausschließlichen Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung müssen Internetanbieter ferner die Erlaubnis der Tonträgerhersteller einholen, wenn sie Aufnahmen im Internet im Rahmen eines Music on DemandDienstes zum Abruf bereithalten.87 Insoweit verläuft der rechtliche Schutz der Tonträgerhersteller parallel zum Schutz der Urheber – beide Rechteinhaber verfügen über das ausschließliche Vervielfältigungsrecht und das ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, nur ist der Gegenstand des Schutzes ein anderer. Unterschiede zwischen dem Schutzumfang der Urheber und der Tonträgerhersteller gibt es allerdings beim Senderecht. Anders als die Urheber (§ 20 UrhG) haben Tonträgerhersteller nach dem UrhG kein ausschließliches Senderecht. Wer Tonträgeraufnahmen im Internet sendet, bedarf deshalb grundsätzlich keiner Erlaubnis der Hersteller der Tonträger. In aller Regel wird es sich bei den gesendeten Tonträgern allerdings um bereits erschienene Tonträger handeln, auf denen die Darbietungen ausübender Künstler aufgenommen sind. Für diesen Fall sieht § 86 UrhG vor, dass die Tonträgerhersteller einen Beteiligungsanspruch gegen die ausübenden Künstler haben, denen wiederum gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 1 UrhG ein Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Sender zusteht, wenn ihre Darbietung nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 UrhG erlaubterweise gesendet wird. Im Ergebnis teilen sich die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler demnach die von den Sendeunternehmen zu leistende Vergütung. Ein Verbotsrecht, d. h. ein Ausschließlichkeitsrecht gegen das Senden bereits erschienener Tonträger, haben die Tonträgerhersteller dagegen nicht. Ein bloßer Vergütungsanspruch ist wirtschaftlich von geringerem Wert als ein Ausschließlichkeitsrecht. Die Tonträgerhersteller können mit ei________ 87
Vgl. Vogel, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 40 Rn. 45.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
nem bloßen Vergütungsanspruch Sendungen nicht unterbinden und befinden sich deshalb in einer schwächeren Verhandlungsposition, wenn sie mit den Sendern Vergütungssätze aushandeln.88 Mit dieser Schlechterstellung der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler gegenüber den Urhebern will der Gesetzgeber die Sendeunternehmen schützen. Ihre Tätigkeit soll nicht dadurch erschwert werden, dass neben den Einwilligungen der Urheber (§ 20 UrhG) auch die der Tonträgerhersteller einzuholen sind.89 Der Umstand, dass dieses sog. „Sendeprivileg“ in Zeiten der Informationstechnologie nicht mehr nur den klassischen Hörfunk betrifft, sondern ebenso die Anbieter von internetbasiertem Radio begünstigt, wird insbesondere von der Tonträgerindustrie, aber auch in Teilen der Literatur kritisiert. In diesem Zusammenhang wird vor allem geltend gemacht, dass die Substitutionswirkungen des Internetradios auf den Tonträgervertrieb stärker seien als beim herkömmlichen Rundfunk und deshalb ein bloßer Vergütungsanspruch der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler nicht angemessen sei.90 Umso intensiver wird aus diesem Grund auch darum gefochten, jedenfalls solche Online-Dienste, bei denen die Grenzen zu interaktiven Angeboten verschwimmen, dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung zuzuordnen und auf diesem Wege ein Ausschließlichkeitsrecht der Tonträgerhersteller (§ 85 Abs. 1 UrhG) zu begründen.91 Was das geltende Recht angeht, kann aber zusammengefasst werden: Die Tonträgerhersteller haben gemäß § 85 Abs. 1 UrhG ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht und ferner das Recht, die Verwertung ihrer Tonträger im Internet zu erlauben bzw. zu verbieten, sofern es sich bei der Verwertung um ein öffentliches Zugänglichmachen handelt. Wenn für das Angebot wie beim reinen Webcasting oder Simulcasting nicht das ________ 88 89 90
91
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Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 674; Handig, GRUR Int. 2007, S. 206, 211. Vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 78 UrhG Rn. 11. Schwenzer, GRUR Int. 2001, 722 ff.; Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 674 ff.; Schaefer, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 86 UrhG Rn. 5 ff.; Vogel, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 40 Rn. 49; Rochlitz, in: Rehbinder/Schaefer/Zombik (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme des Urheberund Leistungsschutzes sowie der Rechtewahrnehmung, S. 67, 73; Stellungnahme der Deutschen Landesgruppe der IFPI e. V. und des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft e. V. zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 20. Februar 2006, S. 4 f. Vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 20 UrhG Rn. 15.
C. Urheber- und Leistungsschutz
Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, sondern das Senderecht betroffen ist, steht den Tonträgerherstellern kein Verbotsrecht zu, sondern ein Beteiligungsanspruch gegen die ausübenden Künstler. 2.
Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler nach dem UrhG
Wie die Tonträgerhersteller haben auch die ausübenden Künstler eigene Leistungsschutzrechte, mit denen sie die Verwertung ihrer Leistung kontrollieren und am dadurch erzielten kommerziellen Erfolg partizipieren können. Schutzgegenstand der in den §§ 73 ff. UrhG geregelten Rechte ist die Darbietung eines urheberrechtlich schutzfähigen Werkes. Die Darbietung muss dabei nicht notwendig öffentlich erfolgen.92 Musiker sind auch dann geschützt, wenn sie an einer Aufnahme im Tonstudio mitwirken. Neben den Musikern selbst (Sänger, Solisten, Studiomusiker etc.) können im Einzelfall auch Personen wie der Tonmeister oder der sog. künstlerische Produzent, von denen die klangliche Gestaltung und Endmischung einer Musikaufnahme im Studio festgelegt werden, als ausübende Künstler geschützt sein. Dies aber nur dann, wenn sie an der Aufnahme als interpretierende Künstler mitwirken und ihr Beitrag nicht ein rein handwerklicher, technischer oder organisatorischer ist.93 Dem ausübenden Künstler steht gemäß § 77 Abs. 1 UrhG das ausschließliche Recht zu, seine Darbietung aufzunehmen. Gemäß § 77 Abs. 2 UrhG hat er das ausschließliche Recht, Tonträger, auf denen seine Darbietungen aufgenommen sind, zu vervielfältigen. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UrhG steht ihm ferner das ausschließliche Recht zu, die Darbietung öffentlich zugänglich zu machen oder zu senden. Wie im Zusammenhang mit dem Schutz der Tonträgerhersteller erörtert, reduziert sich sein ausschließliches Senderecht im Falle der Sendung bereits erschienener Tonträger jedoch gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 UrhG auf einen bloßen Vergütungsanspruch gegen den Sender, an dem der Hersteller des Tonträgers anschließend gemäß § 86 UrhG zu beteiligen ist.
________ 92 93
Büscher, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 73 UrhG Rn. 6. Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 599 ff.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
3.
Gemeinschaftsrecht
Die ausschließlichen Rechte zur Vervielfältigung und zum öffentlichen Zugänglichmachen bestehen für die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler – vermittelt durch die Richtlinie 2001/29/EG zur Informationsgesellschaft – auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene.94 Anders als den Urhebern (Art. 3 Abs. 1) gesteht die Richtlinie den Tonträgerherstellern und den ausübenden Künstlern jedoch kein umfassendes Recht der öffentlichen Wiedergabe zu, sondern beschränkt den Schutz auf das ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (Art. 3 Abs. 2 lit. a) und b)).95 Ein ausschließliches Senderecht gibt die Richtlinie 2001/29/EG den Tonträgerherstellern und ausübenden Künstlern nicht. Gemeinschaftsrechtlich vorgegeben ist aufgrund der RL 92/100/ EWG nur, dass die Mitgliedstaaten im Falle der Sendung erschienener Tonträger mindestens eine Vergütung für die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler gewährleisten.96 Auf diese unvollständige Harmonisierung ist es zurückzuführen, dass die Ansprüche der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler im Falle einer Sendung in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft nicht einheitlich ausgestaltet sind. In einigen Staaten haben die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler ein ausschließliches Senderecht, in anderen, wie in Deutschland, erschöpft sich ihre Rechtsposition in einem Vergütungs- bzw. einen Beteiligungsan________ 94
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Art. 2 lit. b) RL 2001/29/EG gibt den ausübenden Künstlern ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen, Art. 2 lit. c) den Tonträgerherstellern in Bezug auf ihre Tonträger; gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a) RL 2001/29/EG haben die ausübenden Künstler, gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b) die Tonträgerhersteller das ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ihrer fixierten Darbietung bzw. ihrer Tonträger. Die Vertragsstaaten des WPPT, auf dem die Regelungen zum Schutz der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler in der Richtlinie 2001/29/EG beruhen, konnten sich über den Umfang der Sende- und Wiedergaberechte, die Tonträgerhersteller und ausübende Künstler im Informationszeitalter beanspruchen sollten, nicht einigen, siehe Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 675. Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 92/100/EWG vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. Nr. L 346 vom 27. 11. 1992, S. 61 ff.); ein darüber hinausgehender Schutz der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler ist den Mitgliedstaaten ausweislich der Begründungserwägungen der Richtlinie erlaubt.
C. Urheber- und Leistungsschutz
spruch.97 Das urheberrechtliche Schutzniveau, auf das sich die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler bei der Verwertung im Internet berufen können, kann demnach davon abhängig sein, nach welcher Rechtsordnung sich ein Sendevorgang im Internet beurteilt.98 Fremdenrechtliche Schlechterstellungen von Tonträgerherstellern und ausübenden Künstlern aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind wie im Bereich des Urheberschutzes nach Art. 12 Uabs. 1 EG verboten. Auf den in einem Mitgliedstaat bestehenden Leistungsschutz können sich daher alle Tonträgerhersteller mit Staatsangehörigkeit bzw. Sitz in einem der EU-Mitgliedstaaten berufen.99 4.
Internationale Abkommen
Auf internationaler Ebene ist für den Schutz der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller vor allem das sog. Rom-Abkommen vom 26. Oktober 1961 maßgeblich.100 Wie die internationalen Konventionen zum Schutz der Urheber baut auch das Rom-Abkommen auf den beiden Prinzipien der Inländerbehandlung (Art. 2) und der Mindestrechte auf. Ausübende Künstler haben unter anderem das Recht der Erstfixierung ihrer Darbietung (Art. 7 Abs. 1 lit. b)).101 Das Recht der Tonträgerhersteller, Vervielfältigungen ihrer Tonträger zu erlauben oder zu verbieten, wird in Art. 10 Rom-Abkommen geschützt. Die Funksendung oder sonstige öffentliche Wiedergabe bereits fixierter Darbietungen begründet nach Art. 12 Rom-Abkommen einen (einzigen) Vergütungsanspruch der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller.
________ 97 98
99 100 101
Vgl. Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 675. Gemeinschaftsrechtlich harmonisiert ist wie bei den Urhebern die Schutzdauer der Rechte der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler nach Art. 3 Abs. 1 und 2 der Schutzdauer-RL (siehe oben Fn. 67). Vgl. § 126 S. 2 und 3 UrhG (Tonträgerhersteller) und § 125 Abs. 1 S. 2 UrhG (ausübende Künstler). Internationales Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen, BGBl. II, S. 1245 ff. Weitere Vervielfältigungen können die ausübenden Künstler gemäß Art. 7 Abs. 1 lit c) Rom-Abkommen nur unter bestimmten Bedingungen untersagen; vgl. v. Lewinski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 57 Rn. 50.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Als weiteres Abkommen im Bereich des Leistungsschutzes ist das Genfer Tonträgerabkommen vom 29. Oktober 1971 zu nennen.102 Es schützt die Tonträgerhersteller gegen die unautorisierte Herstellung und Verbreitung von Vervielfältigungsstücken (Art. 2). Ziel des Abkommens ist die Bekämpfung der Tonträgerpiraterie auch in den Staaten, die dem RomAbkommen nicht beitreten wollen, weil ihnen der dort vermittelte Schutz der ausübenden Künstler und der vom Rom-Abkommen ebenfalls erfassten Senderunternehmen zu weit reicht.103 Parallel zum WCT ist 1996 auf WIPO-Ebene auch zum Schutz der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller ein zusätzliches Abkommen entwickelt worden, der WPPT („WIPO Performances and Phonograms Treaty“).104 Art. 10 und Art. 14 WPPT gewähren den ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern das ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung von Tonträgeraufnahmen. Für die Sendung und die öffentliche Wiedergabe steht ihnen gemäß Art. 15 Abs. 1 WPPT ein gemeinsamer Vergütungsanspruch zu. Die schwierige Frage, unter welchen Voraussetzungen Online-Übertragungen (wie zum Beispiel Mehrkanaldienste oder Near on demand-Angebote) einem Ausschließlichkeitsrecht der ausübenden Künstler/Tonträgerhersteller unterfallen,105 lässt der WPPT dabei offen. Die Verhandlungsdelegationen der Vertragsstaaten konnten hierüber keine Einigkeit erzielen. Sie haben in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, dass diese Frage einer künftigen Regelung vorbehalten sein soll.106
III. Keine Erschöpfung der Verwertungsrechte Anders als das Verbreitungsrecht (§ 17 Abs. 2 UrhG) unterliegen die für die Internetnutzung relevanten Verwertungsrechte keiner Erschöpfung. ________ 102 103 104 105 106
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Übereinkommen zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger, BGBl. 1973 II, S. 1670 ff. Vgl. v. Lewinski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 57 Rn. 56. Abgedr. in deutscher Übersetzung in GRUR Int. 2004, 116 ff. Siehe oben 1. Kapitel, C.I.1.c). Vgl. die Vereinbarten Erklärungen zum WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger, abgedr. in Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert (Hrsg.), Quellen des Urheberrechts, Bd. 6, Anhang Multilaterale Abkommen; dazu Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 675.
C. Urheber- und Leistungsschutz
Der Grundsatz der Erschöpfung besagt, dass der Inhaber eines Immaterialgüterrechts die Weiterverbreitung eines einmal mit seiner Zustimmung in Verkehr gebrachten Werkstücks nicht untersagen kann, das Recht ist „erschöpft“.107 Dem Rechteinhaber steht daher nur das Recht der Erstverbreitung, d. h. des erstmaligen Inverkehrbringens zu.108 Die Weiterverbreitung kann er nicht mit Hilfe seines Schutzrechts kontrollieren. Der Erschöpfungsgrundsatz dient in erster Linie der Verwirklichung des freien Warenverkehrs. Nach dem Inverkehrbringen eines Werkstücks soll der Rechteinhaber die freie Zirkulation der Ware nicht durch Ausübung seines Schutzrechts behindern dürfen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs109 gilt der Erschöpfungsgrundsatz auch auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts: Ein nationales Schutzrecht, das seinem Inhaber erlaubt, den Import eines Werkstücks aus einem Mitgliedstaat zu untersagen, in dem das Erzeugnis von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung bereits rechtmäßig in Verkehr gebracht worden ist, stellt eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 EG dar, die im Interesse des freien Warenverkehrs verboten ist und auch nicht nach Art. 30 EG (zum „Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums“) gerechtfertigt werden kann.110 Mit Art. 4 Abs. 2 der RL 2001/29/EG zur Informationsgesellschaft wurde der Erschöpfungsgrundsatz in der Gemeinschaft gesetzlich verankert. Der gemeinschaftsrechtliche Erschöpfungsgrundsatz ist von großer praktischer Bedeutung für den europäischen Tonträgervertrieb.111 Innerhalb der Gemeinschaft können die Rechteinhaber, also die Urheber, ________ 107
108 109 110 111
Der Erschöpfungsgrundsatz gilt für das Verbreitungsrecht der Urheber (§ 17 Abs. 2 UrhG) und entsprechend auch für das Verbreitungsrecht der Tonträgerhersteller (vgl. Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 85 UrhG Rn. 36) sowie das der ausübenden Künstler (a. a. O., § 77 UrhG Rn. 7). Vgl. Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 2, S. 95, Rn. 87. Vgl. EuGH Rs. 119/75, GRUR Int. 1976, 402, 410 f. – Terranova/Terrapin; Loewenheim, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 17 UrhG Rn. 35 a m. w. N. EuGH Rs. 55/80, GRUR Int. 1981, 229, 230 – Gebührendifferenz II. Vgl. dazu Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 99 ff.; Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 98 ff.; Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 34 ff.; van Rij, in: Lester (Hrsg.), Mechanical Rights, S. 35, 36 ff.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler bzw. die Inhaber derivativer Rechte, die Einfuhr einmal in Verkehr gebrachter Tonträger nicht untersagen, etwa um damit unterschiedliche Preisniveaus im Gemeinschaftsgebiet aufrechtzuerhalten. Ist zum Beispiel ein Tonträger in Frankreich mit Zustimmung des Rechteinhabers in Verkehr gebracht worden, kann seine (Wieder-)Einfuhr in Deutschland nicht mit Hilfe des Verbreitungsrechts untersagt werden, auch wenn dem französischen Lizenznehmer, der die Tonträger in Frankreich in Verkehr gebracht hat, vertraglich nur ein territorial beschränktes Verbreitungsrecht eingeräumt wurde.112 Ebenso wenig dürfen Rechteinhaber den Import einmal in Verkehr gebrachter Werkstücke dadurch behindern, dass sie ihn von der Zahlung einer höheren Urhebervergütung abhängig machen und die Differenz zwischen der im Export- und Importstaat üblichen Lizenzgebühren einfordern.113 Der Erschöpfungsgrundsatz bewirkt somit, dass eine preispolitische Aufspaltung des Binnenmarkts schwer durchsetzbar ist. Unterschiedliche Preispolitiken in der Gemeinschaft sind zwar unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten nicht unmittelbar verboten – der Urheber hat in jedem Fall das Bestimmungsrecht über den Ort und die Bedingungen des ersten Inverkehrbringens –, können aber durch den Export bereits erschöpfter Werkstücke aus Niedrigpreisländern in Hochpreisländer auf einfache Weise unterlaufen werden.114 Auf die unkörperliche Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke ist der Erschöpfungsgrundsatz indessen nicht anwendbar. Kennzeichnend für die Verwertung eines Werks durch seine öffentliche Wiedergabe ist das berechtigte Interesse der Rechteinhaber, an jeder Verwertungs________ 112 113 114
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Vgl. EuGH Rs. 78/70, GRUR Int. 1971, 450 – Polydor. EuGH Rs. 55/80, GRUR Int. 1981, 229, 232 – Gebührendifferenz II. In der Praxis werden dadurch vor allem Tonträgerhersteller in Großbritannien begünstigt, weil dort niedrigere Urheber-Vergütungssätze gelten als in Kontinentaleuropa. Das war ursprünglich darauf zurückzuführen, dass die Nutzung musikalischer Werke zur Vervielfältigung von Tonträgern in Großbritannien einer gesetzlichen Lizenz unterlag. Diese wurde 1989 zwar aufgegeben, die britische Tonträgerindustrie konnte aber gegenüber der dort zuständigen Verwertungsgesellschaft MCPS vor der zuständigen Schlichtungsstelle, dem Copyright Tribunal, ein niedrigeres Gebührenniveau als in Kontinentaleuropa durchsetzen; vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 44 ff.; Wirtz, Die Kontrolle von Verwertungsgesellschaften, S. 173 ff.
C. Urheber- und Leistungsschutz
handlung wirtschaftlich zu partizipieren, d. h. für jede Aufführung, Sendung, öffentliche Zugänglichmachung etc. eine Vergütung zu verlangen.115 Deshalb sind die unkörperlichen Verwertungsrechte der Urheber und Leistungsschutzberechtigten nach allgemeiner Auffassung keiner Erschöpfung zugänglich.116 Das gilt auch für das im Internet maßgebliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19 a UrhG). Dieses Recht soll bereits nach dem ausdrücklichen Willen des europäischen Gesetzgebers keiner Erschöpfung unterliegen.117 Deshalb gilt: Wer ein urheberrechtlich geschütztes Werk in unkörperlicher Form im Internet nutzt, kann sich in keinem Fall auf den Erschöpfungsgrundsatz berufen, d. h. auch dann nicht, wenn die Nutzung auf einem mit Zustimmung des Rechteinhabers in Verkehr gebrachten Werkstück beruht (also etwa ein Tonträger digitalisiert wurde) oder die Daten mit Zustimmung des Rechteinhabers bereits elektronisch empfangen wurden. Jede Weiterübertragung bedarf vielmehr der erneuten Zustimmung des Inhabers des betroffenen Rechts.118 Anders als im Bereich der körperlichen Tonträgerverwertung hindert der Gesichtspunkt der Erschöpfung Rechteinhaber somit nicht daran, innerhalb der Gemeinschaft in wirksamer Weise territorial beschränkte Lizenzen zu vergeben und auf diese Weise unterschiedliche Preisniveaus in den Mitgliedstaaten zu etablieren. „Importe“, d. h. unautorisierte öffentliche Wiedergaben eines Werks in einem Mit________ 115 116
117 118
Vgl. EuGH Rs. 62/79, GRUR Int. 1980, 602, 607 – Coditel I. EuGH Rs. 62/79, GRUR Int. 1980, 602, 607 – Coditel I; Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2571 – Tournier; Loewenheim, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 20 Rn. 34; ders., in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 17 UrhG Rn. 52, sowie v. Ungern-Sternberg, a. a. O., § 15 UrhG Rn. 38; Schack, Urheberund Urheberverlagsrecht, Rn. 389; Walter, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht, S. 1130, 1142 (Rn. 59); Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 17 UrhG Rn. 30; Dreyer, in: ders./Kotthoff/Meckel (Hrsg.), UrhR, § 17 UrhG Rn. 64; Heerma, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 17 UrhG Rn. 19; Jestaedt, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Fallgruppen Rn. 279; Niethammer, Erschöpfungsgrundsatz und Verbraucherschutz im Urheberrecht, S. 163; LG München I, CR 2006, 159, 160 f.; auch das Vervielfältigungsrecht ist grundsätzlich (zu einem Ausnahmefall: BGH NJW 2000, 3783, 3785 – Parfumflakon) nicht erschöpfungsfähig. Art. 3 Abs. 3 RL 2001/29/EG sowie 29. Begründungserwägung der RL 2001/ 29/EG. Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 128; Schulze, in: Dreier/ Schulze (Hrsg.), UrhG, § 17 UrhG Rn. 30.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
gliedstaat, können die Rechteinhaber mit Hilfe ihrer Schutzrechte abwehren, auch wenn das betreffende Werk bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft mit ihrer Zustimmung entsprechend verwertet worden ist.119
D. Die Verwertungsrechte im Rechtsverkehr D. Die Verwertungsrechte im Rechtsverkehr Die originären Rechteinhaber nehmen die Vermarktung ihrer Werke sowie die Auswertung ihrer Rechte regelmäßig nicht selbst vor. In der Praxis werden mit dieser Aufgabe Musikvermittler betraut. Diese erwerben von den originären Rechteinhabern in Rechtebeschaffungsverträgen die erforderlichen Rechte, um selbst Nutzungshandlungen zu lizenzieren und hieraus Erträge zu erwirtschaften. Im Einzelnen unterscheidet sich die Rechte- und Wertschöpfungskette wiederum abhängig davon, ob es um den Urheber- oder den Leistungsschutzbereich geht.
I.
Vertragsbeziehungen der Urheber
Die Aufgabe, Verwerter zu finden, die sich für die Nutzung der Werke interessieren, nehmen die Musikurheber in der Regel nicht selbst in die Hand. Den einzelnen Urhebern fehlt es meist an den erforderlichen Kontakten, der Zeit und dem Know-How, um die Verwertung ihrer Werke effektiv zu fördern und zum Beispiel Tonträgeraufnahmen oder Aufführungen anzubahnen.120 1.
Rolle der Musikverlage
Über solcherlei Verbindungen und Möglichkeiten verfügen die Musikverlage. Es ist deshalb eine im Musikgeschäft übliche Vorgehensweise, dass Musikurheber ihre Werke einem Musikverlag zur Verwertung anvertrauen und diesen mit der Verkaufsförderung und dem Erschließen ________ 119
120
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Es gibt keine Erschöpfung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe durch Erstaufführung in einem Mitgliedstaat, Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 674. Vgl. Czychowski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 68 Rn. 31.
D. Die Verwertungsrechte im Rechtsverkehr
neuer Märkte beauftragen. In dieser Tätigkeit liegt heutzutage die Hauptaufgabe der im Bereich der U-Musik (Unterhaltungsmusik) und F-Musik (funktionale Musik, Gebrauchsmusik) tätigen Musikverlage.121 Das Notengeschäft, das sog. „Papiergeschäft“, das die Arbeit der Musikverlage früher maßgeblich bestimmt hat, spielt vor allem im Zusammenhang der E-Musik, also der „ernsten Kunstmusik“ eine größere Rolle.122 Neben der Verkaufsförderung und Promotion gehört zu den Aufgaben eines modernen Musikverlags auch die Auswertung der Urheberrechte von Komponisten, Textdichtern und Bearbeitern. Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, lassen sich die Musikverlage von den Urhebern in den Musikverlagsverträgen nicht nur die Rechte für das Papiergeschäft, d. h. den Notendruck, sondern auch und gerade die Rechte für andere Nutzungsformen, die sog. Nebenrechte einräumen.123 Zu diesen Nebenrechten gehören auch die – in aller Regel ausschließlich übertragenen – Nutzungsrechte für die oben beschriebenen Verwertungsformen im Internet. Soweit Komponisten und Textdichter also verlagsgebunden sind, und dies ist meist der Fall, geht ihre urheberrechtlich gewährleistete Befugnis, Lizenzen für die Online-Verwertung ihrer Werke (Download, Streaming, Internetradio) zu vergeben, auf Grundlage des Musikverlagsvertrags auf den Musikverlag über.124 Der Musikverlag nimmt die ihm eingeräumten Rechte zum Teil selbst wahr, zum Teil lässt er sie durch Verwertungsgesellschaften wahrnehmen. 2.
Praxis der Subverlegung
Gewöhnlich räumen die Urheber den Musikverlagen die weltweiten Rechte an ihren Werken ein.125 Den Musikverlagen wird hierdurch die Rechtsmacht verliehen, die Verwertungsrechte global auszuwerten. Besonders lukrativ kann die weltweite Verwertung sein, wenn ein Werk dem internationalen Musikgeschmack entspricht. Das ist häufig bei ________ 121 122
123 124 125
Vgl. Gorsˇ c´ ak, Der Verlagsvertrag über U-Musik, S. 16 ff. Vgl. Sikorski, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 281, 287; Czychowski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 68 Rn. 35 f.; Ahlberg, in: Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg.), FS Raue, S. 353, 354. Vgl. Schricker, Verlagsrecht, § 1 Rn. 83; Ventroni/Poll, MMR 2002, 648, 652. So zum Beispiel das Vertragsmuster in Delp, Der Verlagsvertrag, S. 74 ff. Vgl. Rossbach/Joos, in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 333, 342.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Werken aus dem anglo-amerikanischen Repertoire der Fall. Es macht (bei Unterschieden in den einzelnen Ländern) etwa 70% der weltweiten Tonträgerverkäufe aus.126 Unter kommerziellen Gesichtspunkten wird das anglo-amerikanische Repertoire daher als das wertvollste Repertoire im Musikgeschäft angesehen. Die Auswertung ihrer Rechte im Ausland überlassen die Musikverlage gewöhnlich einem dort ansässigen Musikverlag, dem sog. Subverlag.127 Diesem überträgt der Originalverleger im Wege territorial begrenzter Lizenzen einzelne oder ganze Kataloge von Rechten für die Auswertung im Subverlagsgebiet. Der Subverlag ist dafür verantwortlich, die Werke in seinem Gebiet effektiv zu fördern, die eingeräumten Rechte wahrzunehmen sowie die anfallenden Lizenzgebühren einzuziehen und an den Originalverleger weiterzuleiten.128 Einen Anteil an den Einnahmen behält der Subverleger als Vergütung für seine Tätigkeit. Für diese Praxis des „Subpublishing“, das vor allem für die anglo-amerikanischen Verleger bei der Wahrnehmung der Rechte für die Tonträgervervielfältigung und -verbreitung von Bedeutung ist,129 gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen verfügen Musikverlage nicht über das erforderliche Know-How, um ihr internationales Repertoire in jedem Land der Welt vermarkten zu können. Die Subverleger kennen den heimischen Musikmarkt genauer, sie haben die erforderlichen geschäftlichen Kontakte im Subverlagsgebiet und sind besser in der Lage, die Erfolgschancen eines Werkes einzuschätzen und zu steigern.130 Ein weiterer Grund für die Praxis der Subverlegung ist die Beschleunigung des Geldflusses. Überträgt ein Musikverlag die Auswertungsrechte an einen Subverleger, so ________ 126
127
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Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 63; umgekehrt wird aber auch zum Beispiel das deutsche Musikrepertoire im Ausland konsumiert, siehe Heine/Hauptfleisch, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 310, 312. Die großen Musikverlagsunternehmen haben im Ausland eigene Töchterfirmen, die mit der Aufgabe des Subverlegens betraut werden, vgl. Ende, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 296 ff. Vgl. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 344. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 343. Czychowski, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 68 Rn. 79.
D. Die Verwertungsrechte im Rechtsverkehr
kann dieser die in seinem Gebiet tätige Verwertungsgesellschaft mit der Wahrnehmung der Rechte mandatieren. Der Originalverleger ist in der Regel Mitglied seiner lokalen Verwertungsgesellschaft, der Subverleger hat einen besseren Zugang zu der in seinem Gebiet tätigen Verwertungsgesellschaft. Die Ausschüttungen seiner Verwertungsgesellschaft leitet der Subverleger unverzüglich an den Originalverleger weiter. Das Subverlagssystem stellt damit eine effizientere Alternative zum internationalen Abrechnungssystem der Verwertungsgesellschaften.131 Der verlagsinterne Geldtransfer gilt als schneller, transparenter und kostengünstiger.132
II.
Vertragsbeziehungen der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler
Der Tonträgerherstellermarkt ist weltweit stark konzentriert und wird von vier großen internationalen Medienkonzernen, den sog. Majors beherrscht.133 Diese Konzerne haben nicht nur eine starke Marktmacht auf dem Tonträgermarkt, sondern sind auch vertikal in der Weise integriert, dass sie die Kontrolle über die großen Musikverlage ausüben.134 Die Tonträgerunternehmen der Majors verfügen über die erforderlichen Kapazitäten, um ihre Leistungsschutzrechte selbst wahrzunehmen. Dabei gehen sie im Einzelnen allerdings nicht einheitlich vor. Gewöhnlich lassen die ________ 131 132
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Zu den Gegenseitigkeitsverträgen der Verwertungsgesellschaften, die Grundlage für die internationale Abrechnung sind, näher unten Kapitel 3. Rossbach/Joos, in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 333, 361; Heine/ Hauptfleisch, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 310, 313; Haller, Urheberrechtsschutz in der Musikindustrie, S. 72. Universal Music Group, Sony BMG Music Entertainment, Warner Music Group und EMI Group; der gemeinsame Marktanteil der Majors wird auf etwa 80% geschätzt, vgl. Mahlmann, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 178, 194 ff.; Emes, Unternehmergewinn in der Musikindustrie, S. 50. Vgl. zu den Konzernverlagen Ende, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 296 ff. Als Markführer galt in der Vergangenheit EMI Music Publishing, gefolgt von Universal Music Publishing Group, Warner/Chappell Music, BMG Music Publishing und Sony/ATV Music, vgl. Billboard, 25. März 2006, S. 28 ff. Im Herbst 2006 wurde die Übernahme von BMG Music Publishing durch Universal Music bekannt gegeben, vgl. Billboard, 16. September 2006, S. 10.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
internationalen Konzerne die Tonträgerrechte auf nationaler Basis durch ihre jeweiligen nationalen Tochtergesellschaften wahrnehmen, die auch Inhaber der (territorial beschränkten) Rechte für die Auswertung in ihren Ländern sind.135 Im Übrigen sind eine Vielzahl kleinerer und mittelgroßer Tonträgerunternehmen auf dem Tonträgermarkt tätig, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit von den Majors als Independents bezeichnet werden.136 Im Internetbereich lassen sie ihre Rechte häufig durch Zwischenhändler wahrnehmen, sog. Aggregatoren und Distributoren, die über spezielles Know-How bei der Internet-Auswertung verfügen und die Nutzungsrechte der sie mandatierenden Tonträgerunternehmen gebündelt an die Online-Musikverwerter vermitteln können.137 Zusätzlich befinden sich in der Hand der Tonträgerhersteller auch die Verwertungsrechte der ausübenden Künstler, die bei den Tonträgeraufnahmen mitwirken. Im Zuge einer Tonträgeraufnahme lassen sich Tonträgerhersteller diese Rechte gewöhnlich in umfassender Weise von den an der Aufnahme mitwirkenden Künstlern abtreten. Die Verträge mit den Künstlern enthalten einen umfangreichen Rechtekatalog zugunsten der Tonträgerhersteller, der sich nicht auf die Übertragung der Auswertungsrechte im Hinblick auf die Produktion und den Vertrieb physischer Tonträger beschränkt, sondern auch die Rechte zur Nutzung der Aufnahmen in Online-Diensten übergehen lassen.138 Üblicherweise erfolgt die Rechteübertragung an den Tonträgerhersteller weltweit und zeitlich unbeschränkt.139 Für die Internetanbieter, die auch diese Rechte beachten müssen, bedeutet das in der Praxis eine Erleichterung, da sie sich nicht die Zustimmung jedes einzelnen mitwirkenden Künstlers einholen müssen, bevor sie die Darbietungen verwerten.
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Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 673, 676. Vgl. dazu Vormehr, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 223 ff. Vgl. IFPI, Digital Music Report 2006, S. 9; ein solches Unternehmen ist beispielsweise Zebralution (www.zebralution.de). Rossbach, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 69 Rn. 14. Rossbach/Joos, in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 333, 367.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
E.
Urheber-Kollisionsrecht im Internet
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet Das Internet ist ein weltweites Computer-Netzwerk und somit nicht an Ländergrenzen gebunden. Ein Zugriff auf Inhalte, die in das Internet eingespeist wurden, ist grundsätzlich von jedem mit einem Internetzugang ausgestatteten Rechner möglich. Im Folgenden wird erörtert, welche Konsequenzen sich daraus für den urheberrechtlichen Lizenzverkehr ergeben.
I.
Technische Reichweite von Internetangeboten
Obwohl das Internet oft als seiner Natur nach grenzenloser Marktplatz und ubiquitäre Kommunikationsplattform dargestellt wird, ist es technisch nicht zwingend, dass Online-Angebote tatsächlich von jedem Ort der Welt aus abrufbar sind. Vor allem im Mobilfunkbereich sind territoriale Beschränkungen leicht zu realisieren, da die Mobilfunkanbieter, über deren Netze die Inhalte versendet werden, ihre Kunden registrieren und die von ihnen verwendeten Endgeräte lokalisieren können. Damit kann sichergestellt werden, dass der Dateiversand nur innerhalb eines bestimmten Territoriums erfolgt. Die Online-Anbieter, die ihre Musikdateien direkt über das Internet an ihre Kunden übertragen, haben ebenfalls Möglichkeiten, den Nutzerkreis territorial einzugrenzen. Zum Beispiel können sie den Zugang zu ihrem Online-Dienst von einer Nutzerregistrierung abhängig machen, auf diesem Weg den Wohnsitz der Nutzer ermitteln und diese gegebenenfalls ausschließen.140 Auch durch die sprachliche Fassung und die sonstige inhaltliche Ausgestaltung einer Internetseite können Angebote in gewissem Umfang territorial platziert werden – ein Musikportal in finnischer Sprache mit finnischer Musik wird etwa ganz überwiegend von Benutzern in Finnland aufgerufen werden. Schließlich lassen sich Internet-Nutzer durch die Abfrage ihrer IP-Adresse141 lokalisieren und gegebenenfalls von der Nutzung eines On________ 140 141
Vgl. Junker, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, S. 351 ff. Jedes an das Internet angeschlossene Gerät verfügt über eine sog. IP-Adresse, mit der das Gerät im Netzwerk identifiziert werden kann. Mit Hilfe von sog. „Geo-Targeting“-Software können IP-Adressen geographisch zugeordnet werden. Die hierdurch gewonnenen Informationen werden von OnlineAnbietern nicht nur dazu genutzt, ihr Angebot territorial zu begrenzen,
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
line-Angebots abhalten. Von all diesen Möglichkeiten wird in der Praxis Gebrauch gemacht, um Online-Angebote auf bestimmte Territorien zu beschränken.142 Viele Musikangebote im Internet richten sich dennoch nicht an territorial beschränkte Nutzerkreise, sondern sind in der ganzen Welt abrufbar. Vor allem Internetradio-Angebote verfügen oftmals über keine geographischen Beschränkungen beim Abruf und verzichten auf eine vorherige Registrierung ihrer Nutzer. Music on Demand-Anbieter haben jedenfalls einen wirtschaftlichen Anreiz, ihr Angebot territorial auszuweiten. Musik ist zum großen Teil ein internationales Produkt und die Erschließung neuer Nutzerkreise im Online-Bereich erfordert in technischer und administrativer Hinsicht verhältnismäßig geringe Kosten. Hierin liegt ein maßgeblicher Unterschied des „e-Commerce“ zum herkömmlichen Vertrieb von Waren: Während es beim letzteren Vertriebsweg meist kostenaufwändig ist, das Angebot territorial auszuweiten und Nutzerkreise im Ausland zu erfassen, erfordert es beim Online-Vertrieb umgekehrt einen technischen Aufwand, das Angebot territorial zu begrenzen.143 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Online-Angebote trotz des Charakters des Internets als ein nicht an territoriale Grenzen gebundenes Computer-Netzwerk nicht zwingend von jedem Ort in der Welt abrufbar sind. In der Praxis finden sich insbesondere Music on Demand-Anbieter im Internet, die ihr Angebot auf Nutzer aus bestimmten Staaten beschränken. Weil die territoriale Beschränkung eines Online-Angebots einen technischen und wirtschaftlichen Aufwand erfordert und Musikverwerter einen möglichst großen Kundenkreis erschließen wollen, haben sie jedoch gewöhnlich die Tendenz, ihren Dienst in mehreren Terri________
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sondern können auch dazu dienen, die Inhalte je nach der Herkunft des Abrufes zu variieren und so zum Beispiel die auf den Seiten geschaltete Werbung auf den Nutzer abzustimmen; ausführlich dazu Hoeren, MMR 2007, 3, 4 ff.; vgl. auch „Geotargeting“ in: Wikipedia – Die Freie Enzyklopädie (www. wikipedia.de), Stand: 20. Juni 2007. Zum Beispiel wurde der iTunes Music Store im Jahr 2003 zunächst nur in den USA eingeführt; ebenso der Musikdienst Napster, vgl. Heise Online, 8. Dezember 2005. So hat iTunes sein Angebot nach der erfolgreichen Einführung in den USA sukzessive auf viele weitere Länder (darunter die meisten europäischen Staaten und Japan) erweitert (siehe oben B.I, und auch der Musikdienst Napster ist seit Ende 2005 in Deutschland verfügbar.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
torien oder gar ohne jede geographische Beschränkung, also weltweit anzubieten.
II.
Geltung des Schutzlandprinzips
Damit stellt sich die Frage, welche Rechtsordnung anwendbar ist, wenn ein Musikanbieter im Internet grenzüberschreitend tätig wird, d. h. urheber- und leistungsschutzrechtlich geschützte Angebote in mehreren Territorien abrufbar macht. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist Aufgabe des Internationalen Privatrechts. Trotz des Begriffs ist es seinem Wesen nach nationales Recht.144 Es stellt Regeln darüber auf, welches Recht über Lebenssachverhalte entscheidet, die einen zwischenstaatlichen Bezug haben (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Die Verletzung eines Urheberrechts löst deliktische Ansprüche des Rechteinhabers aus, nämlich Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche sowie bei Verschulden Schadenersatzansprüche (§ 97 Abs. 1 UrhG). Für das Deliktsrecht gilt im deutschen Recht die Anknüpfung an die lex loci delicti commissi – das anwendbare Recht richtet sich nach dem Tatort (Art. 40 EGBGB). Das Urheberrecht folgt eigenen Anknüpfungsregeln, die in Rechtsprechung und Literatur allerdings umstritten sind. Nach überwiegender Ansicht in der Literatur und nach der Rechtsprechung des BGH wird das internationale Urheberrecht vom Territorialitätsprinzip beherrscht.145 Auch der EuGH geht in seiner neueren Rechtsprechung von der Geltung des Territorialitätsprinzips im Urheberrecht ________ 144 145
Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 8. BGH IPrax 1995, 246, 247 – Folgerecht bei Auslandsbezug; NJW 1993, 2183, 2185 – The Doors; Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 120, 124; Hartmann, in: Möhring/Nicolini, UrhG, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 2; Kotthoff, in: Dreyer/Kotthoff/Meckel (Hrsg.), UrhR, § 120 UrhG Rn. 4; v. Bahr, Internationales Privatrecht, Bd. II, Rn. 707 ff.; Hohloch, in: Schwarze (Hrsg.), Rechtsschutz gegen Urheberrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstöße in grenzüberschreitenden Medien, S. 93, 102; Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 535; Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 976; Buchner, GRUR Int. 2005, 1004, 1005; Muth, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Urheberverletzungen im Internet, S. 56 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 654 ff.; Rabe, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 174, 181 f.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
aus.146 Das Territorialitätsprinzip besagt, dass ein durch die Gesetzgebung eines Staates gewährtes Urheberrecht nur innerhalb der Grenzen dieses Staates, also räumlich beschränkt wirkt.147 Das Urheberrecht ist danach kein einheitliches Recht, das länderübergreifend beansprucht werden kann. Vielmehr besitzt der Urheber in den verschiedenen Staaten verschiedene Urheberrechte, gleichsam einen Blumenstrauß, Bündel
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EuGH Rs. C-192/04, IPRax 2006, 275, 279 – Lagardère ./. SPRE. Diesem Vorlageverfahren lag der gleiche Sachverhalt zugrunde, den der BGH in der Entscheidung vom 7. November 2002, JZ 2003, 799 ff. – Sender Felsberg, beurteilt hat, wobei die Entscheidung des Gerichtshofs nicht auf seine Vorlage, sondern im Rahmen eines parallel vor französischen Gerichten geführten Rechtsstreits ergangen ist: Ein französischer Rundfunkanbieter sendet sein an ein französisches Publikum gerichtetes Programm unter Verwendung von geschützten Tonträgeraufnahmen von einem in Deutschland gelegenen Sender und wird deswegen von zwei Verwertungsgesellschaften, der französischen SPRE und der deutschen GVL, in Anspruch genommen; aufgrund Art. 8 Abs. 2 der RL 92/100 haben die Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler einen Anspruch auf angemessene Vergütung gegen das Sendeunternehmen (siehe oben 1. Kapitel, C.II.3.), der in der Praxis von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen wird (siehe unten 4. Kapitel, B.II.). Geht man davon aus, dass sowohl die französische als auch die deutsche Verwertungsgesellschaft bei diesem grenzüberschreitenden Sachverhalt dem Grunde nach einen Anspruch auf angemessene Vergütung gegen das Sendeunternehmen haben, stellt sich die Frage, ob bei der Bemessung der einen Gebühr die Höhe der anderen zu berücksichtigen ist und die Vergütungen vom Sendeunternehmen einseitig verrechnet werden dürfen. Nach Auffassung des BGH in der Felsberg-Entscheidung steht das Territorialitätsprinzip einer Berücksichtigung ausländischer Sachverhalte bei der Gebührenbemessung und damit einer Gebührenverrechnung nicht entgegen. Nach dem UrhWG seien die Verwertungsgesellschaften vielmehr gehalten, bei der Tarifbemessung zu berücksichtigen, ob die Sendeunternehmen auch nach ausländischem Recht in Anspruch genommen werden (BGH JZ 2003, 799, 802 – Sender Felsberg). Im Gegensatz dazu versteht der Gerichtshof das Kriterium der Angemessenheit strikt territorial: Nach seiner sehr weiten Auslegung des Territorialitätsprinzips können in die Gebührenbemessung nach dem Recht eines Mitgliedstaates ausschließlich inländische Sachverhalte einfließen (EuGH Rs. C-192/04, IPRax 2006, 275, 279 f.). Die Verwertungsgesellschaften können nach Auffassung des Gerichtshofs daher von vornherein nur inländische Kriterien (Einschaltquoten im Inland etc.) berücksichtigen, für eine Verrechnung gibt es gar keinen Raum. Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 123.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
oder Flickenteppich.148 Befürworter des Territorialitätsprinzips folgern aus ihm im Hinblick auf das Urheber-Kollisionsrecht, dass alle Fragen, die das Entstehen und den Schutzbereich des Schutzrechts betreffen, der Rechtsordnung zu unterstellen sind, für deren Gebiet der Schutz beansprucht wird, also unerlaubte Verwertungshandlungen abgewehrt werden sollen (sog. Schutzlandrecht oder lex loci protectionis).149 Gegen diese aus dem Territorialitätsprinzip hergeleitete umfassende Anknüpfung an das Schutzlandrecht wird in der Literatur zweierlei eingewandt: Zum einen wird die Berechtigung des Territorialitätsprinzips im Urheberrecht grundsätzlich in Zweifel gezogen.150 Anders als zum Beispiel ein Patentrecht entstehe ein Urheberrecht nicht kraft eines staatlichen Verleihungsaktes, sondern beruhe auf einem Realakt des Schöpfers. Deshalb sei die Vorstellung falsch, dass das Urheberrecht ein bündelweise verliehenes, in jedem Staat gesondert entstehendes Recht sei. Richtigerweise müsse man es als universelles, ganzheitliches Recht begreifen, das durch die einzelnen Rechtsordnungen nicht jeweils neu geschaffen, sondern lediglich unterschiedlich ausgestaltet werde (sog. Universalitätsprinzip).151 Zum anderen wird dem Territorialitätsprinzip ein kollisionsrechtlicher Gehalt abgesprochen.152 Das Territorialitätsprinzip wirke allein auf der Ebene des Fremdenrechts (§§ 120 ff. UrhG). Für die kollisionsrechtliche Fragestellung, aufgrund welchen Rechts ein Urheberrecht bei Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug geschützt werden soll, gebe es nichts her.153 Die Frage des anwendbaren Rechts müsse ________ 148 149
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Vgl. Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 121. Vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, Vor §§ 120 ff. UrhG, Rn. 28; Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. Rn. 124; Hartmann, in: Möhring/Nicolini, UrhG, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 4. Schack, Zur Anknüpfung des Urheberrechts im internationalen Privatrecht, S. 23 ff.; ders., Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 798 ff.; ders., MMR 2000, 59, 62; Braun, Schutzlücken-Piraterie, S. 58. Vgl. Klass, GRUR Int. 2007, 373, 380 ff. Schack, Zur Anknüpfung des Urheberrechts im internationalen Privatrecht, S. 21 ff.; ders., Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 804 f., 890 f.; Braun, IPrax 1995, 227; ders., Schutzlücken-Piraterie, S. 59; v. Welser, IPrax 2003, 440, 441; ders., in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 5; Walter, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 58 Rn. 13 f.; Drexl, in: MüKo-BGB, Bd. 11, IntImmGR Rn. 13. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 805.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
vielmehr differenziert unter Berücksichtigung der jeweils berührten Interessen beantwortet werden. Bestimmte Aspekte des Urheberrechts, wie zum Beispiel das Entstehen und die erste Inhaberschaft des Urheberrechts, sollten anstatt nach dem Schutzlandrecht nach dem Recht des Ursprungslands entschieden werden. Hier liege eine einheitliche Anknüpfung im Interesse der Verkehrssicherheit.154 Das Recht des Schutzlands solle hingegen im Interesse des dortigen Rechtsverkehrs über die Ausgestaltung der urheberrechtlichen Befugnisse bestimmen, zum Beispiel darüber, welche Verwertungsrechte das Urheberrecht umfasse und welchen Schranken es unterliege.155 Im Ergebnis gelangen somit beide Auffassungen (mit unterschiedlicher Begründung) zu einer Anknüpfung an das Recht des Schutzlands, soweit es darum geht, welchen Inhalt und Schutzumfang das Urheberrecht hat.156 Das bedeutet: Die Frage, ob der Verletzer in ein Verwertungsrecht des Urhebers eingegriffen hat, welchen Schutzumfang das Recht hat und welche Schranken gelten, ist nach dem Schutzlandrecht zu beantworten.157 Nach der vom Territorialitätsprinzip beeinflussten Ansicht folgt das daraus, dass ein Urheberrecht über die Grenzen eines Staates nicht hinausreicht. Die Befürworter einer interessengeleiteten Anknüpfung ________ 154
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Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 894 ff.; ders., JZ 1998, 753, 761; ders., MMR 2000, 59, 63 f.; v. Welser, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 11. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 918, 920.; ders., JZ 1998, 753, 761; ders, MMR 2000, 59, 63; v. Welser, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 12. Vgl. Obergfell, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Rn. 1779. Davon zu unterscheiden ist die Frage nach dem auf lizenzvertragsrechtliche Ansprüche anwendbaren Recht. Das Vertragsstatut richtet sich nach den Art. 27 ff. EGBGB. Beim Fehlen einer Rechtswahl ist gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB das Recht des Staates anwendbar, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist. Das ist gemäß der Vermutung in Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB der Staat, wo die Vertragspartei mit der charakteristischen Leistungspflicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ihre Hauptverwaltung hat. Bei ausschließlichen Lizenzen führt das regelmäßig zur Anwendung des Rechts des Sitzstaats des Lizenznehmers, bei einfachen Lizenzen des Lizenzgebers. Umstritten ist, ob das Vertragsstatut auch über das Verfügungsgeschäft entscheidet; vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 1142 ff., 1147.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
leiten die Anknüpfung an das Schutzland aus den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs ab. Das Schutzlandprinzip ist für Verletzungen von Immaterialgüterrechten im Gemeinschaftsrecht nunmehr auch gesetzlich verankert. In Art. 8 Abs. 1 der EG-Verordnung Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“)158 ist vorgesehen, dass auf außervertragliche Schutzverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden ist, für den der Schutz beansprucht wird. Nach Inkrafttreten der Rom IIVerordnung am 11. Januar 2009 (Art. 32) wird das Schutzlandprinzip bei Urheberrechtsverletzungen damit gemeinschaftsweit unmittelbar anwendbar sein.159
III. Ermittlung des Eingriffsorts im Internet Das nach dem Recht des Schutzlands anwendbare Verwertungsrecht des Urhebers entscheidet über die Lokalisierung einer grenzüberschreitenden Verletzungshandlung.160 Wird ein geschütztes Musikwerk im Internet angeboten, muss somit nach den einzelnen Verwertungshandlungen unterschieden werden. 1.
Vervielfältigung
Die Lokalisierung der Vervielfältigungen gemäß § 16 Abs. 1 UrhG, die ein Anbieter im Vorfeld des Zugänglichmachens der Daten regelmäßig vornehmen muss, bereitet in der Regel keine nennenswerten Probleme. Die Vervielfältigung findet jeweils an dem Ort statt, an dem das körperliche Vervielfältigungsstück entsteht.161 Befinden sich die vom Online-Anbie________ 158 159 160 161
ABl. Nr. L 199 vom 31. 7. 2007, S. 40 ff. Vgl. dazu Buchner, GRUR Int. 2005, 1004, 1005 ff.; zum Anwendungsbereich des Schutzlandprinzips Obergfell, IPRax 2005, 9, 12 f. Vgl. Schack, MMR 2000, 59, 65. Muth, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, S. 78 f.; Spindler, IPrax 2003, 412, 416; Junker, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, S. 193; Gesmann-Nuissl, in: Ensthaler/Bosch/Völker (Hrsg.), Handbuch Urheberrecht und Internet, S. 413.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
ter zum Digitalisieren und Speichern verwendeten Computer, Server und Datenbanken innerhalb Deutschlands, so finden die Vervielfältigungshandlungen auf deutschem Territorium statt. Ist der Server des Anbieters, auf den er die im Internet verfügbar gemachten Werke im Wege des Uploads abspeichert, auf dem Territorium eines anderen Staates gelegen, findet die Vervielfältigung dort statt. 2.
Sendung und öffentliche Zugänglichmachung
Schwieriger ist die Lokalisierung der unkörperlichen Verwertungshandlungen, nämlich des öffentlichen Zugänglichmachens im Sinne des § 19 a UrhG und des Sendens gemäß § 20 UrhG. a)
Auffassungen in der Literatur
In der Literatur werden hierzu verschiedene Ansichten vertreten. Manche Stimmen wollen die unkörperlichen Verwertungshandlungen im Internet ausschließlich an einem Ort lokalisieren. Zumeist wird dabei auf den Ort abgestellt, an dem die geschützten Werke in das Internet eingegeben werden. Als Eingabeort wird hier wiederum teilweise der Serverstandort, zum Teil der Ort der Veranlassung des Zugänglichmachens verstanden.162 Alternativ wird nach anderer Ansicht der Ort für maßgeblich erachtet, an dem der Betreiber des Internetangebots seinen tatsächlichen Sitz hat.163 Die Konsequenz einer Lokalisierung an nur einem Ort ist in jedem Fall, dass es auf die Orte, an denen die Werke abrufbar sind, nicht ankommt. Die Vertreter dieser Auffassung machen in diesem Zusammenhang geltend, es komme für das in den §§ 19 a und 20 UrhG enthaltene Tatbestandsmerkmal des „Zugänglichmachens“ nicht darauf an, ob die übertragenen Werke auch tatsächlich empfangen bzw. abgerufen würden. Deshalb sei auch die Handlung eines Internet-Verwerters ausschließlich an dem Ort anzusiedeln, von welchem aus das Werk der Öf-
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Dieselhorst, ZUM 1998, 293, 299; Hoeren, GRUR Int. 2000, 893, 894; Koch, CR 1999, 121, 123; Brunner, Urheber- und leistungsschutzrechtliche Probleme der Musikdistribution im Internet, S. 50 ff.; für die Sendung, einschließlich der Internetsendung urheberrechtlich geschützter Inhalte Schwarz/Reber, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 21 Rn. 100 ff. Spindler, IPrax 2003, 412, 420 f.; Handig, GRUR Int. 2007, S. 206, 213, 218.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
fentlichkeit zugänglich gemacht werde.164 Zum anderen wird auf die praktischen Auswirkungen hingewiesen, die eine Lokalisierung der Verwertungshandlung am Ort des Empfangs hätte. Für Internetanbieter sei es unzumutbar, wenn die Nutzungshandlungen nicht ausschließlich am Ort der Eingabe verortet würden, weil sie sich im Falle einer grenzüberschreitenden Zugänglichmachung mit einer Vielzahl von Rechtsordnungen auseinandersetzen und ihr Angebot auf diese Rechtsordnungen abstimmen müssten.165 Nach anderer, herrschender Auffassung sind die Verwertungshandlungen des öffentlichen Zugänglichmachens und des Sendens nicht nur am Eingabeort zu lokalisieren, sondern auch an all jenen Orten, an denen ein Abruf bzw. Empfang der geschützten Werke möglich ist.166 Zur Begründung wird vor allem geltend gemacht, dass es bei einem Abstellen auf den Serverstandort im Ergebnis dem Verwerter überlassen werde, sich den Ort seiner Verletzungshandlung auszusuchen. Dem Anbieter werde es damit ermöglicht, die Verwertung geschützter Inhalte von einem Staat mit einem unzureichenden Urheberschutz vorzunehmen. Im Hinblick auf das bestehende Schutzgefälle in den nationalen Rechtsordnungen sei dies nicht sachgerecht.167 b)
Stellungnahme
Es ist richtig, die Verwertungshandlungen des öffentlichen Zugänglichmachens und des Sendens mit der h. M. sowohl am Eingabeort als auch an ________ 164
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So für das Senderecht Schwarz/Reber, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 21 Rn. 101; für § 19 a UrhG Dreyer, in: ders./Kotthoff/Meckel (Hrsg.), UrhR, § 19 a UrhG Rn. 29; Spindler, IPrax 2003, 412, 420. Hoeren, GRUR Int. 2000, 893, 894; Spindler, IPrax 2003, 412, 421. Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 145; v. Welser, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 19; Schack, MMR 2000, 59, 65; Drexl, in: MüKo-BGB, Bd. 11, IntImmGR Rn. 165 ff.; Junker, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, S. 215; Hohloch, in: Schwarze (Hrsg.), Rechtsschutz gegen Urheberrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstöße in grenzüberschreitenden Medien, S. 93, 106; Gesmann-Nuissl, in: Ensthaler/Bosch/Völker (Hrsg.), Handbuch Urheberrecht und Internet, S. 415 ff.; LG Hamburg GRUR-RR 2004, 313, 314 f. Walter, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 58 Rn. 50; Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 41; v. Welser, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 19.
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Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
den Orten zu lokalisieren, an denen ein Abruf bzw. der Empfang der geschützten Werke möglich ist. Die Auffassung, nach der das Recht der öffentlichen Wiedergabe nur am Eingabeort verletzt wird, überzeugt nicht. An den Tatbeständen der §§ 19 a und 20 UrhG kann eine ausschließliche Lokalisierung am Eingabeort nicht festgemacht werden. „Zugänglichmachen“ im Sinne dieser Vorschriften bedeutet, dass Dritten der Zugriff bzw. der Empfang des betreffenden geschützten Werkes eröffnet wird. Öffnet ein Anbieter den Zugriff auf ein geschütztes Werk weltweit, dann findet die betreffende Verwertungshandlung entsprechend weltweit statt.168 Es ist unerheblich, dass es für ein „Zugänglichmachen“ im Sinne der §§ 19 a, 20 UrhG nicht auf den tatsächlichen Empfang bzw. einen tatsächlich erfolgten Abruf des betreffenden Werkes ankommt. Die Verwertungsrechte der §§ 19 a und 20 UrhG sollen bereits Vorbereitungshandlungen der Verwerter erfassen. Eine ausschließliche Lokalisierung auf den Ort der Eingabe hat der Gesetzgeber damit nicht bezweckt. Ganz im Gegenteil sollen die Rechteinhaber durch die frühzeitige Erfassung von Nutzungshandlungen möglichst umfassend geschützt und ihnen eine frühzeitige Kontrolle über die Verwertung ihrer Werke gesichert werden.169 Der Umstand, dass die bloße Abrufs- bzw. Empfangsmöglichkeit für einen Eingriff in die Verwertungsrechte ausreicht, spricht somit eher gegen eine ausschließliche Lokalisierung der Nutzungshandlungen am Ort der Eingabe. Auch der Einwand, mit einer Lokalisierung am Ort des Abrufs bzw. Empfangs sei eine ungebührliche Belastung weltweit agierender Verwerter verbunden, kann nicht ausschlaggebend sein. Für Verwerter, die urheberrechtlich geschützte Werke in mehreren Ländern auswerten, ist es zumutbar, sich in die entsprechenden Rechtsordnungen einzufinden und ihr Angebot entsprechend abzustimmen. Mit der Möglichkeit, urheberrechtlich geschützte Musik einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen, steigen ihre potentiellen Einnahmen.170 Eine ausschließliche Anknüpfung an den Ort der Eingabe hätte auch zur Folge, dass Internetanbieter den Standort ihrer Server in Länder verlagern könnten, in denen ________ 168 169
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50
Schack, MMR 2000, 59, 65; ders., Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 933. Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drs. 15/38, S. 17: „Maßgebliche Verwertungshandlung ist damit bereits das Zugänglichmachen des Werks für den interaktiven Abruf, wodurch ein frühzeitiger Schutz zugunsten des Urhebers sichergestellt wird.“ Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 933.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
ein geringes Schutzniveau der Rechteinhaber herrscht. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts wäre damit manipulierbar und missbrauchsanfällig, das Interesse der Rechteinhaber an einem angemessenen Urheberschutz würde ins Hintertreffen geraten.171 Gegen eine ausschließliche Lokalisierung der Internetsendung und öffentlichen Zugänglichmachung am Ort der Eingabe spricht schließlich auch die Vorschrift des § 20 a Abs. 1 UrhG, mit welcher der Gesetzgeber einen bestimmten Fall der Sendung einer speziellen Regelung zugeführt hat. § 20 a UrhG ist eine Sonderregelung für grenzüberschreitende Satellitensendungen, die ihren Ursprung in einem Mitgliedstaat der EU und des EWR haben. Die auf die EG-Richtlinie 93/83/EWG172 zurückgehende Vorschrift wurde vor dem Hintergrund der rechtlichen Meinungsverschiedenheit darüber eingeführt, ob derjenige, der sein Programm über einen Satelliten sendet, dessen Ausleuchtzone mehrere Staaten erfasst, nur in dem Staat sendet, von dem die Signale ausgestrahlt werden, oder ob die Sendung auch in sämtlichen Empfangsländern erfolgt.173 Nach überwiegender Auffassung finden internationale Satellitensendungen im Sendeland und kumulativ auch in allen Empfangsländern174 oder jedenfalls in den Ländern, in die der Sender intendiert einstrahlt,175 statt. Satellitensendeunternehmen müssen von den Rechteinhabern daher die ________ 171
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175
Walter, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 58 Rn. 50; Schack, JZ 1998, 753, 761; Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 41; Spindler, IPrax 2003, 412, 418; v. Welser, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. Rn. 19; Kotthoff, in: Dreyer/Kotthoff/Meckel (Hrsg.), UrhR, § 120 UrhG Rn. 20; in Bezug auf das Senderecht BGH JZ 2003, 799, 801 – Sender Felsberg. Siehe Art. 1 Abs. 2 lit. b) Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl. Nr. L 248 vom 6. 10. 1993, S. 15 ff.); dazu Dreier, in: Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht, S. 399, 418 ff. (Rn. 7 ff.). Vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 20 a UrhG Rn. 2; Castendyk/v. Albrecht, GRUR Int. 1992, 734. Sog. Bogsch- oder Empfangslandtheorie, vgl. Schack, IPRax 2003, 141, 142; Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 20 a UrhG Rn. 4; v. Welser, IPRax 2003, 440, 442; ders., in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 18; Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 141. Sog. Theorie des intendierten Sendegebiets, vgl. Castendyk/v. Albrecht, GRUR Int. 1992, 734, 735.
51
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
territorialen Senderechte auch für die (intendierten) Empfangsländer erwerben. Der EG-Gesetzgeber sah hierin ein Hindernis für die grenzüberschreitende europäische Sendung via Satellit. Um den Rechteerwerb für Satellitensendeunternehmen zu erleichtern, bestimmt § 20 a Abs. 1 UrhG in Umsetzung von Art. 2 lit. b) der RL 93/83/EWG, dass eine Satellitensendung, die innerhalb des Gebietes eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft ausgeführt wird, ausschließlich als in diesem Mitgliedstaat erfolgt gilt.176 Eine entsprechende Regelung für die Verwertung geschützter Werke im Internet gibt es nicht. Auch eine analoge Anwendung des § 20 a UrhG auf andere Bereiche als die Satellitensendung ist angesichts des Charakters der Norm als Sonderregelung ausgeschlossen.177 Die Kommission hat vielmehr ausdrücklich von ihrer ursprünglichen Absicht Abstand genommen, das Ursprungslandprinzip durch eine – materiell- oder kollisionsrechtliche – Harmonisierung auch für den Bereich des Internets gesetzlich zu verankern.178 Systematisch gesehen spricht die Ausnahme________ 176
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Bei der Regelung handelt es sich um eine materiellrechtliche (keine kollisionsrechtliche) Harmonisierung des Satellitensenderechts, durch die eine ausschließliche Lokalisierung der Satellitensendung am Ort ihres Ausgangs erreicht wird, siehe Castendyk/v. Albrecht, GRUR Int. 1992, 734; dies., GRUR Int. 1993, 300 f.; Schack, MMR 2000, 59, 63; Roth, IPRax 1994, 165, 172; die Regelung bewirkt, dass derjenige, der eine europäische Satellitensendung vornimmt, nur noch der Rechte im Sendeland bedarf – umgekehrt sind dinglich wirkende territoriale Beschränkungen bei der Vergabe urheberrechtlicher Lizenzen nicht mehr möglich; vgl. Castendyk, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 75 Rn. 64; Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 20 UrhG Rn. 3; Pfeifer, ZUM 2006, 1, 6. Allgemeine Auffassung, vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, § 20 a UrhG Rn. 5 und Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 41; Dreyer, in: ders./Kotthoff/Meckel (Hrsg.), UrhR, § 19 a UrhG Rn. 27; Pfeifer, ZUM 2006, 1, 6; Junker, Anwendbares Recht und internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet, S. 203 f.; Gesmann-Nuissl, in: Ensthaler/Bosch/Völker (Hrsg.), Handbuch Urheberrecht und Internet, S. 429 f. Vgl. das EG-Grünbuch zum Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten in der Informationsgesellschaft, KOM(95) 382 endg., und den Bericht dazu in CR 1995, 573: „The applicable law ought to be the law of the Member state from which the service originates“ (S. 41); im Folgedokument „Initiativen zum Grünbuch Informationsgesellschaft“ vom 20. November 1996, KOM (96) 568 endg. 8, nahm die Kommission hiervon wegen der Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Ausgangslands und im Hinblick auf die Gefahr von Schutzlücken Abstand; vgl. Walter, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 58 Rn. 49 f.
E. Urheber-Kollisionsrecht im Internet
regelung in § 20 a UrhG somit dafür, dass nach § 20 UrhG zu beurteilende Internetsendungen nicht ausschließlich als in dem Mitgliedstaat erfolgt gelten, von dem sie ihren Ausgang nehmen. Das öffentliche Zugänglichmachen und die Sendung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet finden daher grundsätzlich an all jenen Orten statt, von denen sie abgerufen bzw. an denen sie empfangen werden können. Zusätzlich ist immer auch der Ort als maßgeblich anzusehen, an dem der Anbieter die geschützten Werke in das Internet einspeist.179 Dafür spricht der Zweck des UrhG, den Urhebern eine möglichst frühzeitige Kontrolle über die Nutzung ihrer Werke zu ermöglichen. Auch Teilakte grenzüberschreitender Verwertungsvorgänge sind grundsätzlich geeignet, ein Schutzrecht im Inland zu verletzen.180 So hat der BGH für den Bereich der terrestrischen Sendung entschieden, dass bereits die Ausstrahlung einer Sendung eine für § 20 UrhG relevante Handlung ist, die der Rechteinhaber selbst dann verbieten lassen kann, wenn die eigentliche wirtschaftliche Auswertung vorwiegend im Ausland vorgenommen wird.181 Dementsprechend muss auch für den Bereich der Internetverwertung gelten, dass die Verwertungsrechte aus §§ 19 a oder 20 UrhG auch dort verletzt werden, von wo die urheberrechtlich geschützten Werke auf den Server eingespielt werden. 3.
Ergebnis
Bei der Verletzung eines urheberrechtlichen Verwertungsrechts beurteilt sich das Deliktsstatut nach dem Eingriffsort. Die Bestimmung des Eingriffsortes erfolgt nach dem Schutzlandrecht, d. h. dem Recht desjenigen Landes, für dessen Gebiet der Verletzte unerlaubte Verwertungshandlungen abwehren möchte. Ist danach deutsches Recht berufen, muss differenziert werden, ob der Verwertungsvorgang das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19 a ________ 179
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Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 145; Drexl, in: MüKo-BGB, Bd. 11, IntImmGR Rn. 156; Hohloch, in: Schwarze (Hrsg.), Rechtsschutz gegen Urheberrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstöße in grenzüberschreitenden Medien, S. 93, 106. Katzenberger, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 120 ff. Rn. 135. BGH JZ 2003, 799, 800 ff. – Sender Felsberg (dazu oben Fn. 146); ebenso Schack, JZ 2003, 803 f.; ders., IPrax 2003, 141, 142; v. Welser, IPrax 2003, 440, 442.
53
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
UrhG) oder das Senderecht (§ 20 UrhG) des Rechteinhabers betrifft. Die eigentliche Lokalisierung der Verwertungshandlungen ist Aufgabe dieses zur Anwendung berufenen materiellen Rechts. Die für eine Online-Verwertung erforderlichen Vervielfältigungen finden an dem Ort statt, an dem der körperliche Vervielfältigungsgegenstand entsteht. Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und das Senderecht sind sowohl dort verletzt, wo die Dateien in das Internet eingegeben werden, als auch an den Orten, an denen sie abgerufen bzw. empfangen werden können.
IV. Folgen für den Lizenzverkehr Die kollisionsrechtliche Anknüpfung an das Schutzlandrecht hat Auswirkungen darauf, welche Nutzungsrechte Online-Anbieter in territorialer Hinsicht von den Rechteinhabern erwerben müssen. Multiterritorial agierende Anbieter müssen von den Rechteinhabern die Nutzungsrechte für alle Territorien erwerben, in denen die geschützten Werke abrufbar sind.182 Da weder das Vervielfältigungsrecht noch die unkörperlichen Verwertungsrechte erschöpfungsfähig sind,183 können die Rechteinhaber Nutzungen, die außerhalb der Reichweite territorial beschränkt erteilter Nutzungsrechte stattfinden, mittels ihrer Schutzrechte abwehren. In der Praxis kann die Notwendigkeit des Erwerbs multiterritorialer Rechte zu Erschwernissen für Internetanbieter führen, wenn die benötigten Rechte nicht in einer Hand vereint, sondern aufgrund territorialer Rechteaufspaltungen auf eine Vielzahl von Rechteinhabern verteilt sind.184 Wirtschaftlich liegt es aber im Interesse der Rechteinhaber, solche Schwierigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden. Aufgabe der Rechteinhaber ist es deshalb, die Vergabe von Nutzungsrechten in der Weise zu organisieren, dass die Online-Anbieter bei Bedarf ohne großen Aufwand multiterritoriale Lizenzen erwerben können.
________ 182 183 184
54
Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 933; Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 673, 676, 678. Siehe oben C.III. Vgl. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), UrhG, Vor §§ 120 ff. Rn. 31.
F. Zusammenfassung
F.
Zusammenfassung
F. Zusammenfassung 1. Mit der Entwicklung der Computer- und Internettechnologie sowie der Verbreitung digitaler Abspielgeräte bei den Verbrauchern ist Musik zu einem Wirtschaftsgut geworden, das vom physischen Medium losgelöst vertrieben werden kann. Die Nutzungsformen digitaler Musik im Internet lassen sich in interaktive Music on Demand-Dienste (Download-Plattformen, Abonnement-Angebote und Musiktauschbörsen) sowie die dem klassischen Hörfunk ähnlichen Webcastingund Simulcasting-Angebote (Internetradio) unterteilen. Erstere haben eine besonders starke Substitutionswirkung auf den Vertrieb von Tonträgern und sind daher wirtschaftlich dem Bereich der Erstverwertung zuzuordnen, während letztere eine Form der Zweitverwertung darstellen. 2. Online-Musikverwerter vertreiben urheberrechtlich geschützte Musik und Tonträgeraufnahmen und müssen daher von den betroffenen Rechteinhabern die entsprechenden Nutzungsrechte einholen. Sie stehen dabei zwei Gruppen von Berechtigten gegenüber: Zum einen den Urhebern der verwerteten Werke (Komponisten, Textdichter und Bearbeiter) und zum anderen den Leistungsschutzberechtigten, d. h. den Tonträgerherstellern und ausübenden Künstlern. Die Urheber räumen ihre Nutzungsrechte regelmäßig einem Musikverlag zur umfassenden Auswertung ein, während sich die Rechte der ausübenden Künstler meist in den Händen der Tonträgerhersteller befinden. 3. Handelt es sich bei der Online-Verwertung um ein Music on DemandAngebot, benötigt der Anbieter von den Rechteinhabern das Recht zur Vervielfältigung und das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung. Anbieter von Internetradio müssen von den Rechteinhabern das Vervielfältigungs- und Senderecht einholen. In der Gemeinschaft ist der Rechtsschutz der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten insoweit durch die RL 2001/29/EG zur Informationsgesellschaft weitgehend harmonisiert worden. Unterschiede bestehen allerdings beim Senderecht der Leistungsschutzberechtigten. Es ist in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterschiedlich ausgestaltet. 4. Anders als das beim Tonträgervertrieb einschlägige Verbreitungsrecht unterliegen die für den Online-Musikvertrieb relevanten Verwertungsrechte keiner Erschöpfung. Deshalb bedürfen die Online-Anbieter für jede Weiterübertragung im Gemeinschaftsgebiet der erneuten Zustimmung der Rechteinhaber. Daraus folgt, dass die 55
Erstes Kapitel: Musikverwertung im Internet
Rechteinhaber im Hinblick auf das Urheberrecht nicht daran gehindert sind, innerhalb der Gemeinschaft territorial beschränkte Lizenzen zu vergeben und auf diese Weise unterschiedliche Preisniveaus in den Mitgliedstaaten zu etablieren. 5. Online-Musikanbieter werden typischerweise grenzüberschreitend tätig. Sie bieten urheberrechtlich geschützte Musik und Tonträgeraufnahmen in mehreren Ländern an. Kollisionsrechtlich stellt sich die Frage, auf welches Recht sich die Urheber- und Leistungsschutzberechtigten berufen können, um unerlaubte Verwertungshandlungen abzuwehren. Dafür ist das Recht des Schutzlands maßgeblich, d. h. das Recht des Landes, für dessen Gebiet Schutz beansprucht wird (lex loci protectionis). Nach dem Schutzlandrecht entscheidet sich die im Internet erforderliche Lokalisierung einer Verwertungshandlung. Nach vorzugswürdiger Auffassung gilt, dass die öffentliche Zugänglichmachung (§ 19 a UrhG) und die Sendung (§ 20 UrhG) sowohl am Ort der Eingabe der Datei in das Internet als auch an all jenen Orten stattfinden, an denen die Werke bzw. Tonträgeraufnahmen über das Internet abgerufen bzw. empfangen werden können. Liegen diese Orte in unterschiedlichen Ländern, müssen die Online-Anbieter von den Rechteinhabern multiterritoriale Nutzungsrechte einholen.
56
A. Allgemeines
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
A.
Allgemeines
A. Allgemeines Mit der Vermittlung der Verwertungsrechte soll den Urheber- und Leistungsschutzberechtigten eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke bzw. Leistungen gesichert werden (§ 11 S. 2 UrhG). Dadurch allein ist deren Auskommen aber nicht gewährleistet. Damit die Urheberrechte nicht nur auf dem Papier stehen, müssen sie so effektiv wie möglich wahrgenommen werden. Oftmals sind die einzelnen Rechteinhaber hierzu nicht ohne Weiteres in der Lage. Ihnen fehlt es am Zugang zu den vielen potentiellen Verwertern und an den erforderlichen Kenntnissen und der Infrastruktur, um Lizenzverträge aushandeln und Vergütungsansprüche wirksam durchsetzen und kontrollieren zu können. Aus diesem Grund haben sich zunächst Urheber und Musikverleger, später auch ausübende Künstler und Tonträgerhersteller zusammengetan und Verwertungsgesellschaften zur gemeinsamen Wahrnehmung von Urheber- bzw. Leistungsschutzrechten gegründet. Hauptaufgabe der Verwertungsgesellschaften ist es, die Bedingungen für die Nutzung der wahrgenommenen Werke festzusetzen, deren Verwertung zu kontrollieren, die Vergütungen einzuziehen sowie anschließend unter den Rechteinhabern zu verteilen. Diese Art der Rechtewahrnehmung bezeichnet man als kollektive Rechtewahrnehmung, in Abgrenzung zur individuellen Rechtewahrnehmung, von der dann die Rede ist, wenn Rechteinhaber ihre Rechte selbst wahrnehmen.
I.
Bedeutung
In der urheberrechtlichen Praxis nehmen Verwertungsgesellschaften eine bedeutende Stellung ein, weil die Rechteinhaber viele ihrer Rechte kollektiv wahrnehmen lassen. Verwertungsgesellschaften bilden in weiten Teilen der Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten das Bindeglied zwischen den Rechteinhabern und den Verwertern. Obwohl sie dabei im Lager der Rechteinhaber stehen, von denen sie vertraglich mit der Wahrnehmung der Rechte beauftragt werden, profitieren nicht nur diese von den Verwertungsgesellschaften. Auch für die Verwerter sind Verwertungsgesellschaften grundsätzlich von Nutzen, weil sie die 57
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
benötigten Nutzungsrechte dort in einer Hand vereint vorfinden und gebündelt erwerben können.185 Verwertungsgesellschaften gibt es in den meisten Staaten der Welt186 und in nahezu jedem Mitgliedstaat der EU.187 Sachlich ist der Wahrnehmungsbereich der einzelnen Verwertungsgesellschaften immer auf bestimmte Nutzungsrechte bzw. Berufsgruppen begrenzt, zum Beispiel auf die Vertretung von Musikurhebern und -verlegern, von Wortautoren oder auf die Wahrnehmung von Nutzungsrechten an Filmwerken. Aus diesem Grund sind in einem Land in der Regel mehrere Verwertungsgesellschaften tätig, ohne dass sich deren Tätigkeitsbereiche überschneiden. Begonnen hat die Geschichte der Verwertungsgesellschaften im musikalischen Bereich, und zwar mit der Gründung der französischen SACEM im Jahr 1850.188 Ziel ihrer Gründung war es, die Rechte von Textdichtern, Musikverlegern und Komponisten effektiv durchzusetzen. Mitglied der SACEM konnten nicht nur französische, sondern auch ausländische Komponisten werden.189 Anlass der Bildung der SACEM war die vergleichsweise frühe gesetzliche Anerkennung des ausschließlichen Aufführungsrechts der Urheber in Frankreich. Dieses Recht ließ sich am zweckmäßigsten durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen. Schon wenige Zeit nach dem Entstehen der SACEM, im Jahr 1852, erfolgte in ________ 185 186
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58
Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, vor §§ 1 ff. WahrnG Rn. 1. Eine Übersicht findet sich in den Länderprofilen des „WIPO Guide To Intellectual Property Worldwide“, Second Edition (Publication 479(E)), unter www.wipo.int/about-ip/en/ipworldwide/ (letzter Abruf am 8. September 2007); siehe auch Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighboring rights, S. 768 ff. Das Gebiet Luxemburgs wird von Agenturen der französischen Verwertungsgesellschaften verwaltet; vgl. Bungeroth, in. Möhring/Schulze/Ulmer/ Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Bd. 2, Luxemburg/I, S. 14. Nordemann, R.I.D.A. 1988, 30 ff.; Schwab, Recht und Praxis der Urheberverwertungsgesellschaften in Frankreich, S. 7 ff.; Schmidt, Die Anfänge der musikalischen Tantiemenbewegung in Deutschland, S. 83 ff. Die deutschen Komponisten konnten daraus allerdings zunächst keinen Vorteil erzielen, weil die SACEM wegen des Fehlens einer Verwertungsgesellschaft und entsprechender Einnahmen für französische Urheber in Deutschland die Auszahlung der eingenommenen Tantiemen an ihre deutschen Mitglieder verweigerte, vgl. Dümling, Musik hat ihren Wert, S. 24 ff.; Schmidt, Die Anfänge der musikalischen Tantiemenbewegung in Deutschland, S. 85 f.
A. Allgemeines
Italien die wohl erste Gründung einer Verwertungsgesellschaft außerhalb Frankreichs (SIAE).190 Auch die SIAE nimmt die Rechte von Komponisten und Musikverlegern wahr. Die Etablierung von Verwertungsgesellschaften im außermusikalischen Bereich ließ noch bis in das 20. Jahrhundert hinein auf sich warten.191 Die Bedeutung der Verwertungsgesellschaften im Musikbereich ist bis heute am größten, was an den hohen Einnahmen deutlich wird, die von den „musikalischen“ Verwertungsgesellschaften erzielt werden.192 Die Ausgangslage, die zur Bildung der ersten Verwertungsgesellschaften geführt hat, stellt sich für die Rechteinhaber heute nicht grundlegend anders dar. Sie sind zur Wahrung ihrer Rechte bei massenhaften Werknutzungen weiterhin auf Verwertungsgesellschaften angewiesen. Allerdings hat sich die Landschaft der Verwertungsgesellschaften seit ihren Anfangstagen zum Teil geändert. In den USA sind etwa Verwertungsgesellschaften entstanden, die anders als die klassischen Gesellschaften mit Gewinnerzielungsabsicht handeln.193 In Europa dominiert aber immer noch das Bild der ohne Gewinnerzielungsabsicht handelnden, mitgliedschaftlich organisierten und dem Solidaritätsgedanken verpflichteten Verwertungsgesellschaften.194 ________ 190 191
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Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 45 Rn. 9. Nordemann, in: ders./Vinck/Hertin, Urheberrecht, Einl. WahrnG Rn. 1; die erste Verwertungsgesellschaft für literarische Rechte wurde in Deutschland erst 1926 gegründet, vgl. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 45 Rn. 12. Nach einer Untersuchung der Kommission sind die zehn größten Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft im Musiksektor tätig. Sie erzielen 80% aller Lizenzeinnahmen im Bereich der kollektiven Rechtewahrnehmung; vgl. „Study on a community initiative on the cross-border collective management of copyright“ vom 7. Juli 2005, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), S. 21 f. So die 1930 gegründete SESAC (deren Name auf die ursprüngliche Bezeichnung „Society of European Stage Authors and Composers“ zurückgeht). Sie vertritt in Konkurrenz zu den beiden älteren und größeren Organisationen ASCAP und BMI die Aufführungsrechte von Musikautoren und Verlegern in den USA und behält einen Teil ihrer Einnahmen als Eigengewinn ein; vgl. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 89 ff.; Kendrick, in: ders. (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 30, 35 f. Vgl. Corbet, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 22 f.
59
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
II.
Aufgaben
Aufgabe einer Verwertungsgesellschaft ist es, den Urheber- und Leistungsschutzberechtigten eine angemessene Vergütung für die Verwertung ihrer Werke und Leistungen zu sichern. Damit die Verwertungsgesellschaften diese Aufgabe erfüllen können, lassen sie sich von den Rechteinhabern Nutzungsrechte einräumen, um mit der Erteilung von Lizenzen und der Durchsetzung von Vergütungsansprüchen Einnahmen erzielen zu können und diese an die Rechteinhaber anschließend auszuschütten. Eine weitere Aufgabe der Verwertungsgesellschaften besteht darin, ihre Mitglieder in der Öffentlichkeit und in der Politik zu vertreten.195 Wegen ihrer Repräsentationsfunktion und ihrer Expertise werden Verwertungsgesellschaften zum Beispiel in Gesetzgebungsprozesse im Urheberrecht einbezogen. Sie fungieren in diesem Zusammenhang als Lobbyisten der Rechteinhaber und versuchen auf diese Weise, auf eine Stärkung der Urheberrechte hinzuwirken und die Erträge der Berechtigten zu steigern.196 Die Wahrung berufsständischer Belange sah auch der Gesetzgeber des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes (UrhWG) 1965 als eine der Aufgaben der Verwertungsgesellschaften an.197 Auf internationaler Ebene gehen ihr eine Reihe von Dachorganisationen der Verwertungsgesellschaften nach, deren bedeutendste die 1926 gegründete CISAC („Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs“) mit Sitz in Paris ist.198 Diese Repräsentationsfunktion zeigt, dass Verwertungsgesellschaften keine reinen Inkassoorganisationen sind. Vor allem die kontinentaleuro________ 195 196 197 198
60
Sterling, World Copyright Law, Rn. 12.26; Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 45 Rn. 5. Vgl. Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighboring rights, S. 14. Vgl. amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 284. Der CISAC gehören über 200 Gesellschaften aus mehr als 100 Ländern an. Für die Interessenvertretung der musikalischen Urheber gibt es innerhalb der CISAC eine eigene Verwaltungseinheit, die CIAM („International Council of Authors and Composers of Music“); näher Karnell, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 29.
A. Allgemeines
päischen Verwertungsgesellschaften verstehen sich traditionell als Solidargemeinschaften ihrer Mitglieder und als Träger einer staatsentlastenden Tätigkeit.199 Am stärksten kommt dieses Selbstverständnis in dem sozialen Engagement der Verwertungsgesellschaften für ihre Mitglieder zum Ausdruck. Sie betreiben etwa Autorenversorgungswerke, bilden Sozialfonds, fördern vergünstigte Krankenversicherungen sowie Pensionszuschüsse und gewähren Notfallkredite und Subventionen.200 Manche Verwertungsgesellschaften erbringen für ihre Mitglieder auch Beratungsleistungen, zum Beispiel bei Fragen der Vertragsgestaltung.201 Daneben widmen sich Verwertungsgesellschaften der Kulturförderung. Sie gewähren Stipendien und Darlehen, schreiben Preise aus und bieten ihren Mitgliedern die Teilnahme an Workshops und Seminaren an. Außerdem werden kulturell bedeutende Werke bei der Verteilung der Einnahmen bevorzugt. Mit solchen Maßnahmen sollen Anreize für die Urheber entstehen, neue Werke zu schaffen und das Repertoire der Verwertungsgesellschaften zu erweitern und zu verbessern.202 In der Regel verfolgen die Verwertungsgesellschaften dabei das Ziel, speziell das nationale Musikrepertoire zu fördern.203 Beispiele sind die finnische Verwertungsgesellschaft Teosto, die zur Förderung finnischer Musik ein eigenes Institut, das Finnish Music Information Centre, betreibt,204 die spanische SGAE, die mit der Fundación Autor ein solches Unternehmen in Spanien finanziell unterstützt,205 oder die slowakische SOZA, die Förderpreise an Radiostationen vergibt, die besonders häufig slowakische Musik senden.206 Der Erfüllung sozialer und kultureller Aufgaben haben sich schon die ersten Verwertungsgesellschaften in Europa gewidmet.207 Zum Teil wird ________ 199
200 201 202 203 204 205 206 207
Becker, in: ders./Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 27, 30 f.; Corbet, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 22, 24 f.; kritisch Hauptmann, Die Vergesellschaftung des Urheberrechts, S. 121 f. Vgl. Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighbouring rights, S. 480 ff.; Dietz, J.Copyr.Soc. USA 2002, 897, 912 ff. Vgl. v. Lewinski, in: Ohly u. a. (Hrsg.), FS Schricker, S. 401, 409. Vgl. Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighboring rights, S. 483 ff. Vgl. Kretschmer/Klimis/Wallis, Prometheus 2/1999, 163, 171. Siehe www.fimic.fi. Vgl. Music & Copyright, 21. Juni 2006, S. 12, 14. Siehe www.soza.sk. Vgl. Becker, in: ders./Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 27, 33.
61
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
diese Praxis aber kritisiert. Vor allem im anglo-amerikanischen Raum wird die Inkassofunktion der Verwertungsgesellschaften stärker in den Vordergrund gestellt.208 Kritik wird insbesondere an der Vorgehensweise der Verwertungsgesellschaften geübt, mit den aus der Verwertung ausländischer Werke erzielten Einnahmen soziale und kulturelle Förderleistungen mit zu finanzieren, die ganz überwiegend inländischen Rechteinhabern zugute kommen.209 Dennoch hat sich international durchgesetzt, dass die Verwertungsgesellschaften ihre für ausländische Rechteinhaber erzielten Einnahmen mit einem Abzug von bis zu 10% für Pensions-, Hilfs- oder Unterstützungskassen belasten.210 Dadurch wird die Solidargemeinschaft der Rechteinhaber zu einer internationalen.
III. Arbeitsweise Die einzelnen Arbeitsschritte der Verwertungsgesellschaften lassen sich wie folgt unterteilen. 1.
Mandatierung im Wahrnehmungsvertrag
Die Erteilung des Wahrnehmungsmandats durch die Rechteinhaber erfolgt im Wahrnehmungsvertrag, den die Verwertungsgesellschaften mit jedem ihrer Mitglieder abschließen. Kernpunkt des Wahrnehmungsvertrags ist die Einräumung von Nutzungsrechten und die Übertragung gesetzlicher Vergütungsansprüche durch die Rechteinhaber. Üblicherweise lassen sich die Verwertungsgesellschaften die Nutzungsrechte exklusiv und auch für die zukünftigen, also die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht geschaffenen Werke der Rechteinhaber einräumen.211 Mit dem Abschluss des Wahrnehmungsvertrags verlieren die ________ 208 209
210 211
62
Vgl. Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 192. Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 1226; Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 898; Bartels, Die Abzüge der Verwertungsgesellschaften für soziale und kulturelle Zwecke, UFITA Bd. 2006/II, 325, 336 ff.; Hauptmann, Die Vergesellschaftung des Urheberrechts, S. 73 f. Grundlage für diese Praxis sind die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften; näher unten 3. Kapitel, C.I.3. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 16, 18.
A. Allgemeines
Rechteinhaber daher ihre Befugnis, die Rechte selbst wahrzunehmen.212 Ein weiterer Regelungspunkt in den Wahrnehmungsverträgen ist die Ermächtigung der Verwertungsgesellschaften zum Empfang der von den Verwertern zu zahlenden Vergütungen und zur Erteilung von entsprechenden rechtsverbindlichen Quittungen. Die Verwertungsgesellschaften werden ferner ermächtigt, die wahrgenommenen Rechte gerichtlich geltend zu machen und unautorisierte Nutzungen zu verfolgen. Umgekehrt verpflichten sie sich, die erzielten Einnahmen an die Rechteinhaber auszuschütten. Die für die Verteilung der Einnahmen maßgeblichen Regeln sind nicht unmittelbar in den Wahrnehmungsverträgen enthalten, sondern finden sich in den Verteilungsplänen der Verwertungsgesellschaften.213 2.
Festlegung der Nutzungsbedingungen
Die Festlegung der Nutzungsbedingungen überlassen die Verwertungsgesellschaften nicht individuellen Verhandlungen mit den Verwertern. Sie legen im Voraus allgemeingültige Konditionen fest. Recht und Praxis der Verwertungsgesellschaften sehen hierfür verschiedene Mechanismen vor. In einigen Ausnahmefällen sind die Tarife der Höhe nach gesetzlich bestimmt.214 Im Regelfall setzen die Verwertungsgesellschaften die Höhe der Vergütung entweder einseitig in Tarifen fest oder handeln sie in Vereinbarungen mit Vereinigungen von Verwertern, sog. Gesamtverträgen aus. Den Gesamtverträgen kommt in der Praxis der Verwertungsgesellschaften eine große Bedeutung zu. Dabei handelt es sich um Rahmenverträge zwischen Verwertungsgesellschaften und Verwertervereinigungen, in denen die wesentlichen Bedingungen festgelegt werden, zu denen einzelne Verwerter ihre Nutzungserlaubnis erhalten. Ziel der Gesamtverträge ist es, den Verwertungsgesellschaften die Realisierung ihrer Ansprü________ 212 213 214
Vgl. OLG München ZUM 2006, 473, 477. Siehe unten 2. Kapitel, A.III.4. Gesetzliche Tarife gibt es gemäß § 54 d UrhG für die gesetzlichen Vergütungsansprüche aus §§ 54 Abs. 1 (Geräte- und Trägerabgabe) und 54 a Abs. 1 UrhG (Reprographieabgabe); abweichende Vereinbarungen durch die Beteiligten sind aber zulässig (§ 54 d Abs. 1 UrhG).
63
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
che gegenüber den Mitgliedern der Verwertervereinigungen zu erleichtern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Verwertervereinigungen, den Verwertungsgesellschaften Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu leisten, etwa durch die regelmäßige Übermittlung von Mitgliederlisten oder die Ermahnung ihrer Mitglieder zu vertragstreuem Verhalten.215 Die Bedeutung der Gesamtverträge folgt des Weiteren daraus, dass die Verwertungsgesellschaften in der Praxis auch ihre einseitig festgesetzten Tarife auf Grundlage der Gesamtverträge entwickeln.216 3.
Erteilung von Lizenzen
Zu den Tarif- oder Gesamtvertragsbedingungen schließen die Verwertungsgesellschaften mit den Verwertern Lizenzverträge ab, die zur Nutzung ihrer Repertoires berechtigen. In der Regel geschieht das in Einzelnutzungsverträgen, die sich auf einen konkreten Nutzungsvorgang beziehen. Mit einigen Nutzern schließen die Verwertungsgesellschaften Pauschalverträge, in denen eine zeitlich bestimmte Anzahl von Nutzungsvorgängen pauschal erfasst werden.217 Typisch für die kollektive Rechtewahrnehmung ist, dass die Verwertungsgesellschaften sog. Blankettlizenzen erteilen. Darin wird den Verwertern das Recht eingeräumt, vom gesamten Repertoire der Verwertungsgesellschaft Gebrauch zu machen, ohne dass die benötigten Werke schon vor der Nutzungshandlung identifiziert werden müssen.218 Mit den Blankettlizenzen reduzieren die Verwertungsgesellschaften ihre Transaktions- und Durchsetzungskosten. Sie müssen nicht überprüfen, ob die Verwerter Werke nutzen, die von den erteilten Lizenzen nicht umfasst sind.219 Außerdem führt das System der Blankettlizenzen zu einer erheblichen Verminderung der Vertrags- und Verhandlungskosten der Verwertungsgesellschaften, weil sie ihr Repertoire nicht aufteilen und zu gesonderten Bedingungen anbieten müssen.
________ 215 216 217 218 219
64
Vgl. Vogel, GRUR 1993, 513, 527. Tolkmitt, Tauschgerechtigkeit im kollektiven Urheberrecht, S. 41, 43. Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 12 UrhWG Rn. 17. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 48 Rn. 6. Vgl. Tolkmitt, Tauschgerechtigkeit im kollektiven Urheberrecht, S. 39 f.; Hansen/Schmidt-Bischoffshausen, GRUR Int. 2007, 461, 471.
A. Allgemeines
4.
Inkasso und Verteilung der Einnahmen
Weitere Aufgaben der Verwertungsgesellschaften sind das Inkasso der Vergütungsforderungen und die anschließende Ausschüttung der Einnahmen an die Mitglieder. Die Verteilung der Einnahmen erfolgt nach festen Regeln, die in den sog. Verteilungsplänen der Verwertungsgesellschaften niedergelegt sind. Ziel der Verteilungspläne ist die Gewährleistung einer möglichst gerechten Verteilung der Einnahmen. Aus Sicht des Urheberrechts als Individualrecht ist das Höchstmaß an Verteilungsgerechtigkeit erreicht, wenn die Ausschüttung der Einnahmen zu 100% an die tatsächlichen Nutzungsvorgänge anknüpft (Prinzip der Einzelverrechnung). Tatsächlich verteilen die Verwertungsgesellschaften ihre Einnahmen aber nicht vollständig auf diesem Wege. Wie oben angesprochen, nehmen sie regelmäßig einen Abzug zugunsten sozialer und kultureller Zwecke vor. Eine weitere Durchbrechung des Prinzips der Einzelverrechnung erfolgt dadurch, dass die Verwertungsgesellschaften die Nutzungsvorgänge in vielen Bereichen nicht im Einzelnen erfassen. Dann kann auch die Verteilung der Einnahmen nicht im Wege der Einzelverrechnung vorgenommen werden. Stattdessen stellen die Verwertungsgesellschaften in diesen Fällen auf die objektive Nutzungsmöglichkeit ab und versuchen, die Nutzungsvorgänge mit Hilfe von statistischen Hochrechnungen möglichst genau zu schätzen. Wenn Verwertungsgesellschaften bei der Verteilung auf Pauschalisierungen, Typisierungen und Schätzungen zurückgreifen und wertende Kriterien, wie die kulturelle Bedeutung der Werke, anwenden, spricht man von einer kollektiven Verwaltung der Einnahmen.220 Die Verwertungsgesellschaften rechtfertigen diesen Verteilungsmodus damit, dass massenhafte Nutzungen schwer kontrollierbar seien und ihre Verwaltungskosten bei einer vollständigen Erfassung der Nutzungsvorgänge ins Unverhältnismäßige steigen würden.221 Pauschalverteilungssysteme und die Anwendung von Wertungsverfahren werden außerdem als Ausdruck der Solidargemeinschaft der Berechtigten angesehen.222
________ 220 221 222
Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 41. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 39. Dördelmann, GRUR 1999, 890, 894 f.; Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 8 Rn. 1; Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 7 WahrnG Rn. 2.
65
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Die Verteilungspläne regeln auch die Frage, wie die Einnahmen zu verteilen sind, wenn an einem Werk mehrere Rechteinhaber beteiligt sind. Hierfür werden feste Quoten festgesetzt, die den Vereinbarungen zwischen den Rechteinhabern, etwa den Verlagsverträgen zwischen Musikverlagen und Urhebern, nicht unbedingt entsprechen müssen. Die Rechteinhaber haben aber die Möglichkeit, die Ausschüttungen im Innenverhältnis entsprechend ihrer Individualvereinbarungen im Wege der sog. Refundierung auszugleichen.223 Die Verwertungsgesellschaften schütten an ihre Mitglieder nicht ihre gesamten Lizenzerträge aus, sondern behalten einen Teil zur Abgeltung ihrer Verwaltungskosten ein.224 Dieser Verwaltungskostenanteil besteht in einem prozentualen Satz, der auf alle Mitglieder einheitlich angewandt wird. Das bedeutet, dass die Verwertungsgesellschaften den einzelnen Berechtigten nicht den Anteil an den Verwaltungskosten berechnen, der tatsächlich für die Wahrnehmung ihrer Werke angefallen ist, sondern dass jeder Rechteinhaber relativ gleichermaßen belastet wird. Eine Zurechnung der Verwaltungskosten zur Wahrnehmung der Einzelrechte ließe sich bei einer kollektiven Rechtewahrnehmung praktisch nicht realisieren. Bei den Kosten handelt es sich insofern um Gemeinkosten.225 5.
Kontrolle unautorisierter Nutzungen
Um den Verwertern den Anreiz zu nehmen, urheberrechtlich geschützte Werke ohne Autorisierung und Vergütung zu nutzen, müssen sie einer wirksamen Kontrolle unterworfen werden. In der Praxis geschieht das zum Beispiel dadurch, dass bei Veranstaltungen, in denen urheberrechtlich geschützte Werke aufgeführt werden, Kontrollpersonal der Verwertungsgesellschaften anwesend ist. Ergibt die Kontrolle, dass ein Verwerter unbefugt handelt, ist die Verwertungsgesellschaft zur Durchsetzung urheberrechtlicher Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche ermächtigt.
________ 223 224 225
66
Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 35. Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 7 UrhWG Rn. 2. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 769; Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 151.
A. Allgemeines
IV. Ökonomische Funktionen Verwertungsgesellschaften reduzieren die Transaktionskosten im urheberrechtlichen Lizenzverkehr. Anstatt einer Vielzahl von individuellen Lizenzverträgen müssen die Rechteinhaber und die Verwerter jeweils nur einen Vertrag mit der zuständigen Verwertungsgesellschaft abschließen. Dadurch verringern sich ihre bei der Suche nach potentiellen Vertragspartnern entstehenden Such- und Informationskosten.226 Dadurch dass die Verwertungsgesellschaften die Nutzungsbedingungen nicht individuell aushandeln, sondern im Voraus in Gesamtverträgen und Tarifen einheitlich festlegen, reduzieren sich ferner die Vertrags- und Verhandlungskosten der Rechteinhaber und Verwerter.227 Ein weiterer Transaktionskostenvorteil der kollektiven Rechtewahrnehmung besteht darin, dass die etwa bei der Kontrolle öffentlicher Veranstaltungen entstehenden Fixkosten (Personalkosten etc.) für die einzelnen Rechteinhaber niedriger sind, wenn sie von den Mitgliedern einer Verwertungsgesellschaft gemeinsam getragen werden.228 Neben der Ersparnis von Transaktionskosten wird den Verwertungsgesellschaften die Funktion zugesprochen, ein Gegengewicht zu den marktmächtigen Musikverwertern zu bilden.229 Die Musikverwertungsmärkte, vor allem im Bereich der Tonträgerverwertung, sind durch eine starke Unternehmenskonzentration gekennzeichnet.230 Gegenüber den großen Musikverwertern wären die einzelnen Urheber strukturell meist nicht in der Lage, ihre Rechte und Interessen effektiv durchzusetzen.231 ________ 226 227
228 229
230 231
Bing, Die Verwertung von Urheberrechten, S. 174; Hansen/Schmidt-Bischoffshausen, GRUR Int. 2007, 461, 462, 469 f. Tolkmitt, Tauschgerechtigkeit im kollektiven Urheberrecht, S. 39; Towse, Creativity, Incentive and Reward, S. 98; Hansen/Schmidt-Bischoffshausen, GRUR Int. 2007, 461, 471. Bing, Die Verwertung von Urheberrechten, S. 176; Hansen/Schmidt-Bischoffshausen, GRUR Int. 2007, 461, 470. Gervais, in: Graber u. a. (Hrsg.), Digital Rights Management: The End of Collecting Societies?, S. 27, 31; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 773; Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheberund Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 124; Tolkmitt, Tauschgerechtigkeit im kollektiven Urheberrecht, S. 45 f. Siehe oben 1. Kapitel, D.II. Karnell, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 15, 20.
67
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Verwertungsgesellschaften können gegenüber den Verwertern mit dem nötigen Gewicht auftreten. Der Gerichtshof und die Kommission haben diese Funktion der Verwertungsgesellschaften anerkannt und deshalb ihr Interesse an einem möglichst umfassenden Rechterepertoire als im Grundsatz legitim bewertet.232
B.
Regulierung der Verwertungsgesellschaften
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften Rechtliche Vorgaben für die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften in der EU ergeben sich zum einen aus dem jeweiligen nationalen Recht der Mitgliedstaaten und zum anderen aus dem Gemeinschaftsrecht. Die internationalen Abkommen zum Urheberrecht enthalten dagegen keine Vorschriften über Verwertungsgesellschaften.233
I.
Deutsches Recht
In den meisten Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ist die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften gesetzlich reguliert. Dies entweder im jeweiligen Urheberrechtsgesetz oder in einem speziellen Wahrnehmungsgesetz.234 In Deutschland ist das Recht der Verwertungsgesellschaften im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG) geregelt. Für die kartellrechtliche Kontrolle sind die allgemeinen Regeln des GWB maßgeblich. ________ 232 233
234
68
EuGH Rs. 127/73, GRUR Int. 1974, 342, 344 – SABAM III; Kommission, Entscheidung vom 2. Juni 1971, UFITA Bd. 65 (1972), 344, 358 – GEMA I. Die ursprüngliche Absicht des Verwaltungsorgans der WIPO, dem Internationalen Büro, in die WIPO-Verträge zum Urheberrecht Vorschriften über die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften aufzunehmen, wurde mangels Unterstützung der Vertragsstaaten nicht realisiert, vgl. v. Lewinski, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 35. In der Praxis berät die WIPO vor allem Entwicklungsländer bei der Errichtung von Verwertungsgesellschaften. Sie hat eine eigene Abteilung für diesen Bereich geschaffen und veranstaltet regelmäßig Konferenzen. Siehe Dietz, J.Copyr.Soc. of the USA 2002, 897 f.; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 125 f.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
1.
Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG)
Das UrhWG gilt im internationalen Vergleich als das umfassendste Regelwerk seiner Art.235 Das Gesetz unterstellt die Verwertungsgesellschaften einer behördlichen Kontrolle und stellt Vorgaben für das Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Rechteinhabern und den Verwertern auf. a)
Behördliche Kontrolle
Die Gründung von Verwertungsgesellschaften war in Deutschland ursprünglich genehmigungsfrei.236 1965 führte der Gesetzgeber des UrhWG, der ein Monopol der Verwertungsgesellschaften zwar wünschte, gleichzeitig aber einen Missbrauch fürchtete, eine Genehmigungspflicht für Verwertungsgesellschaften ein.237 Gemäß § 1 Abs. 1 UrhWG bedarf seitdem der behördlichen Erlaubnis, „wer Nutzungsrechte, Einwilligungsrechte oder Vergütungsansprüche, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz ergeben, für Rechnung mehrerer Urheber und Inhaber verwandter Schutzrechte zur gemeinsamen Auswertung wahrnimmt“. Gemäß §§ 2 S. 1, 3, 18 UrhWG wird die Erlaubnis von der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA), im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt erteilt, wenn kein Versagungsgrund vorliegt. Die Versagungsgründe sind abschließend in § 3 UrhWG aufgezählt. In § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UrhWG werden Anforderungen an die Satzung und die Zuverlässigkeit des Betreibers aufgestellt, wie sie für öffentlich-rechtliche Erlaubnisvorschriften typisch sind.238 Eine höhere Schwelle stellt der Versagungsgrund in § 3 Abs. 1 Nr. 3 UrhWG dar, der in der Praxis auch die bedeutendere Rolle spielt.239 ________ 235
236
237 238 239
Riesenhuber, Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 13; Dietz, Das Urheberrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 280; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 127. Zwar galt das sog. STAGMA-Gesetz vom 4. Juli 1933 (oben Fn. 344) nach 1945 fort; dies galt aber nicht für dessen Genehmigungserfordernis in § 1, vgl. Riesenhuber, Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 11 f. Vgl. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 1 ff. WahrnG Rn. 7. Vgl. amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 279. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 50 Rn. 5.
69
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Danach ist die Erlaubnis zum Betrieb einer Verwertungsgesellschaft zu versagen, wenn die „wirtschaftliche Grundlage der Verwertungsgesellschaft eine wirksame Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte oder Ansprüche nicht erwarten lässt.“ Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass die Verwertungsgesellschaften über die notwendige Leistungsfähigkeit verfügen, um die ihnen anvertrauten Rechte umfassend und wirksam wahrzunehmen.240 Nach der Gesetzesbegründung ist für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unter anderem relevant, ob die antragstellende Verwertungsgesellschaft auch eine Wahrnehmung der Rechte im Ausland gewährleisten kann, also etwa entsprechende Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften abgeschlossen hat.241 Die Präventivkontrolle wird durch eine laufende behördliche Überwachung der Verwertungsgesellschaften ergänzt. Gemäß § 19 Abs. 1 UrhWG kontrolliert das DPMA, ob die Verwertungsgesellschaften ihren Verpflichtungen aus dem UrhWG ordnungsgemäß nachkommen. Im Prinzip umfasst die Kontrolle alle Verpflichtungen der Verwertungsgesellschaften gegenüber ihren Mitgliedern, den Verwertern und der Allgemeinheit.242 Tatsächlich steht aber das Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Rechteinhabern im Vordergrund und dabei insbesondere die Kontrolle der Wahrnehmungsbedingungen und der Verteilungspläne der Verwertungsgesellschaften.243 Das DPMA kann gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 UrhWG alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllen.244 Das schließt den Erlass von Verwaltungsakten ein.245 In der Aufsichtspraxis des DPMA überwiegt aber informelles Verwaltungshandeln.246 Das DPMA hat eine Reihe von Informationsrech________ 240 241 242 243 244
245 246
70
Amt. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 279; Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 3 WahrnG Rn. 10. Amt. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 279; zu den Gegenseitigkeitsverträgen unten 3. Kapitel. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 19 WahrnG Rn. 1. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 1189; Vogel, GRUR 1993, 513, 529. Die Bestimmung wurde durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 in das UrhWG aufgenommen. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 19 WahrnG Rn. 4. Vogel, GRUR 1993, 513, 530; Becker, in: ders./Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 27, 43.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
ten247 und gemäß § 19 Abs. 4 UrhWG das Recht, an Mitgliederversammlungen, Aufsichtsrats- und Beiratssitzungen teilzunehmen. Als ultima ratio gibt § 4 UrhWG der Aufsichtsbehörde bei Verstößen gegen das UrhWG die Möglichkeit, die Erlaubnis zur Rechtewahrnehmung zu widerrufen. Verwertungsgesellschaften, die ohne die erforderliche Erlaubnis tätig werden, kann das DPMA gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 UrhWG die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs untersagen. Gemäß § 9 Abs. 1 UrhWG sind die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, unverzüglich nach dem Schluss des Geschäftsjahres einen Jahresabschluss sowie einen Lagebericht aufzustellen. Die Regelung entspricht den Vorschriften über die Rechnungslegung von Kapitalgesellschaften im HGB.248 Das Besondere an ihr ist, dass sie für alle Verwertungsgesellschaften gilt, unabhängig von ihrer Rechtsform. Damit ist sichergestellt, dass auch diejenigen Verwertungsgesellschaften, die, wie zum Beispiel die GEMA oder die VG Wort, als Verein organisiert sind, strengen Rechnungslegungsvorschriften unterliegen und nicht lediglich den einfachen Buchführungspflichten der Kaufleute.249 Die Rechnungslegungspflichten bezwecken den Schutz der Allgemeinheit und der Rechteinhaber und sind Ausfluss der Treuhandstellung der Verwertungsgesellschaften.250 Der Transparenz dient auch § 9 Abs. 6 UrhWG, wonach die Verwertungsgesellschaften den Jahresabschluss und den Lagebericht im Bundesanzeiger veröffentlichen müssen. Vorher müssen Jahresabschluss, Buchführung und Lagebericht gemäß § 9 Abs. 4 UrhWG durch einen Abschlussprüfer geprüft werden. Den Prüfungsbericht, den Jahresabschluss und den Lagebericht müssen die Verwertungsgesellschaften unverzüglich der Aufsichtsbehörde übermitteln, § 20 S. 2 Nr. 6 UrhWG.
________ 247
248 249 250
§ 19 Abs. 3 UrhWG (Auskunft über die Geschäftsführung, Vorlage der Geschäftsbücher); § 20 UrhWG (Unterrichtungspflichten der Verwertungsgesellschaften zum Beispiel über einen Wechsel der vertretungsberechtigten Personen, Satzungsänderungen, Tarife, Gesamtverträge und Vereinbarungen mit ausländischen Verwertungsgesellschaften). Vgl. §§ 264 ff. HGB. Riesenhuber, ZUM 2004, 417, 418. Vgl. amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 281; Riesenhuber, ZUM 2004, 417.
71
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
b)
Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Rechteinhabern
Charakteristisch für das deutsche Wahrnehmungsrecht ist der Wahrnehmungszwang (§ 6 Abs. 1 UrhWG). Danach sind die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte auf Verlangen der Rechteinhaber zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen, wenn eine wirksame Rechtewahrnehmung anders nicht möglich ist. Der Wahrnehmungszwang ist Ausfluss der rechtlichen und faktischen Abhängigkeit der Rechteinhaber von den Verwertungsgesellschaften.251 Der Wahrnehmungszwang aus § 6 Abs. 1 UrhWG ist kein Aufnahmezwang.252 Die Verwertungsgesellschaften sind nicht verpflichtet, jeden Rechteinhaber als stimmberechtigtes Mitglied aufzunehmen, sondern können die gesellschaftsrechtliche Mitgliedschaft von dem Erfordernis einer ausreichenden wirtschaftlichen Bedeutung der von den Rechteinhabern eingebrachten Rechte abhängig machen. Zum Schutz der Rechteinhaber, die nicht Mitglieder ihrer Verwertungsgesellschaft sind, schreibt § 6 Abs. 2 UrhWG eine gemeinsame Vertretung vor. Der Wahrnehmungszwang gilt nach h. M. nicht nur zugunsten der originären Rechteinhaber, sondern auch der Zessionare und Verleger.253 Nach anderer Ansicht folgt aus der urheberschützenden Funktion des UrhWG, dass nur die originären Rechteinhaber den Wahrnehmungszwang geltend machen können.254 Einigkeit besteht dagegen darüber, dass die Verwertungsgesellschaften selbst sich gegenüber anderen Verwertungsgesellschaften nicht auf den Wahrnehmungszwang berufen können. § 6 Abs. 1 UrhWG vermittelt einer ausländischen Verwertungsgesellschaft somit keinen Anspruch auf Abschluss eines Gegenseitigkeitsvertrags mit einer deutschen Verwertungsgesellschaft, selbst wenn die ausländische ________ 251 252 253
254
72
Amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 279. Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 6 UrhWG Rn. 28. OLG Frankfurt, Urteil vom 19. November 2002, Az.: 11 U 10/00 (BeckRS 2002 30294286); DPMA, Bescheid vom 26. Oktober 1981, UFITA 94 (1982), 364, 369; Staudt, Die Rechteübertragungen im Berechtigungsvertrag der GEMA, S. 17 ff. Vogel, GRUR 1993, 513, 517 f.; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 1197.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
Gesellschaft auf die Kooperation angewiesen ist, um ihre Rechte außerhalb ihres Verwaltungsgebiets effektiv wahrnehmen zu können.255 Der Wahrnehmungszwang nach § 6 Abs. 1 UrhWG besteht unabhängig davon, ob die Wahrnehmung der fraglichen Rechte wirtschaftlich rentabel ist.256 Verhindert wird damit ein „Rosinenpicken“ der Verwertungsgesellschaften, d. h. eine Geschäftspolitik, die darauf abzielt, nur die Rechte besonders produktiver Urheber wahrzunehmen, um sich auf dem Markt unentbehrlich zu machen und von den Verwertern höhere Tarife verlangen zu können.257 Die Verwertungsgesellschaften sind nicht nur verpflichtet, sich der Berechtigten überhaupt anzunehmen, sondern haben deren Rechte gemäß § 6 Abs. 1 UrhWG auch „zu angemessenen Bedingungen“ wahrzunehmen. Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, für dessen Ausfüllung sich keine besonderen Anhaltspunkte im UrhWG finden. Nach der Gesetzesbegründung ist gegenüber den Nichtmitgliedern einer Verwertungsgesellschaft als angemessen anzusehen, was sie auch ihren vereinsrechtlichen Mitgliedern an Bedingungen auferlegt.258 Nach heute herrschender Auffassung enthält § 6 Abs. 1 UrhWG jedoch mehr als ein solches Diskriminierungsverbot. Die Rechteinhaber, gleich ob Mitglieder oder nicht, sollen aus § 6 Abs. 1 UrhWG einen Anspruch darauf herleiten können, dass die Verwertungsgesellschaft ihre Rechte zu Bedingungen wahrnimmt, die als Äquivalent zu den eingebrachten Rechten angesehen werden können.259 Ob die Verwertungsgesellschaften den Vorgaben des § 6 Abs. 1 UrhWG gerecht werden, unterliegt gemäß § 19 Abs. 1 UrhWG der Aufsicht des DPMA.
________ 255
256 257
258 259
Häußer, FuR 1980, 57, 65; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland; Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 6 WahrnG Rn. 12; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 1197. Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 769. Nach der Rechtsprechung sind Verwertungsgesellschaften zur Wahrnehmung allerdings nur verpflichtet, soweit ihnen dies wirtschaftlich zumutbar ist, BGH GRUR 2002, 332, 334 – Klausurerfordernis. Amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 280. Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 1198; Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 6 WahrnG Rn. 13; Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 6 WahrnG Rn. 16; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland.
73
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Offen lässt der Wortlaut des Gesetzes, ob eine Verwertungsgesellschaft dem Wahrnehmungszwang unterworfen ist, wenn in ihrem Wahrnehmungsbereich auch andere Gesellschaften tätig sind. Nach der Gesetzesbegründung soll sich ein Rechteinhaber in diesem Fall erst dann auf § 6 Abs. 1 UrhWG berufen können, wenn er zuvor bei allen anderen Verwertungsgesellschaften erfolglos um die Wahrnehmung seiner Rechte nachgesucht hat.260 Die heute h. M. versteht § 6 Abs. 1 UrhWG jedoch anders: Nach dem Schutzzweck der Vorschrift sollen die Berechtigten an einem möglichst effektiven, nicht bloß an irgendeinem System der kollektiven Rechtewahrnehmung teilhaben können. Das bedeutet, dass eine Verwertungsgesellschaft dem Verlangen eines Rechteinhabers auch dann nachkommen muss, wenn er die Wahl zwischen mehreren konkurrierenden Verwertungsgesellschaften hat.261 Auf den Wahrnehmungszwang können sich deutsche sowie EU- und EWR-angehörige Rechteinhaber unabhängig von ihrem Wohnsitz berufen. Ausländer aus Drittstaaten haben nach § 6 Abs. 1 S. 1 UrhWG einen Wahrnehmungsanspruch, wenn sie ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Ob der Wahrnehmungszwang Ausländern aus Drittstaaten darüber hinaus auch unter Berufung auf das konventionsrechtliche Prinzip der Inländerbehandlung (siehe oben 1. Kapitel, C.I.3) zustehen kann, ist umstritten. Die h. M. bejaht dies im Grundsatz, beschränkt den Wahrnehmungszwang aber auf Rechte, die nach dem UrhG verwertungsgesellschaftspflichtig sind.262 Gemäß § 7 Satz 1 UrhWG sind Verwertungsgesellschaften verpflichtet, für die Verteilung ihrer Einnahmen unter den Rechteinhabern feste Regeln, d. h. Verteilungspläne zu schaffen, die ein willkürliches Vorgehen ________ 260 261
262
74
Amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 280. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), § 6 WahrnG Rn. 12; Nordemann, in: ders./ Vinck/Hertin, Urheberrecht, § 6 WahrnG Rn. 3; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 185 f.; Mauhs, Der Wahrnehmungsvertrag, S. 36 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 91, 96; a. A. Melichar, Die Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften, S. 35. Siehe Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 6 UrhWG Rn. 24; Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 11; a. A. Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 6 WahrnG Rn. 11, unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte von § 6 UrhWG.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
ausschließen. Der Verteilungsplan ist von der Aufsichtsbehörde gemäß § 19 Abs. 1 UrhWG zu überprüfen. Die behördliche Kontrolldichte ist umstritten.263 Ungeachtet dessen steht fest, dass das Leitbild einer willkürfreien Verteilung im Sinne des § 7 UrhWG in einer möglichst vollständigen individuellen Ausschüttung der Einnahmen an die Rechteinhaber besteht (Leistungsprinzip).264 Wie erörtert, lässt sich dies nicht realisieren, wenn eine genaue Ermittlung der tatsächlichen Nutzungen zu unverhältnismäßig hohen Verwaltungskosten führen würde.265 Insoweit ist anerkannt, dass die Verwertungsgesellschaften objektivierte Verteilungsregeln, Pauschalierungen und Vereinfachungen anwenden dürfen.266 Gemäß § 7 S. 2 UrhWG soll der Verteilungsplan dem Grundsatz entsprechen, dass „kulturell bedeutende Werke und Leistungen zu fördern sind“. Durch diese Sollvorschrift wird den Verwertungsgesellschaften eine bevorzugte Behandlung kulturell wertvoller Werke nahe gelegt.267 In den Augen des Gesetzgebers tragen die Schöpfer wertvoller Werke mittelbar zu einer wirtschaftlichen Stärkung der Verwertungsgesellschaft bei, auch wenn ihre Werke nicht massentauglich sind und weniger nachgefragt werden.268 Gemäß § 8 UrhWG sollen die Verwertungsgesellschaften ferner Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen für die Berechtigten schaffen.269 An diesen Vorschriften wird deutlich, dass auch der deutsche Ge________ 263
264
265 266 267
268 269
Nach einer Ansicht sind die Verteilungspläne auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 1189; Vogel, GRUR 1993, 513, 521; nach anderer Auffassung ist § 7 UrhWG enger, nämlich als reines Willkürverbot zu verstehen, Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 33; Häußer, FuR 1980, 57, 68 f.; Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 102 ff. Riesenhuber, Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 88; Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 1219; Vogel, GRUR 1993, 513, 522; Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 107 f. Siehe oben 2. Kapitel, A.III.4. BGH ZUM 2005, 739, 741 f. – PRO-Verfahren; GRUR 2005, 757, 760 – GEMA-Verteilungsplan; GRUR 1988, 782, 783 – GEMA-Wertungsverfahren. Die Einhaltung des § 7 S. 2 UrhWG ist nicht erzwingbar und unterliegt daher nicht der Aufsicht des DPMA, vgl. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 7 WahrnG Rn. 10. Amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 280. Auch diese Vorschrift ist nicht erzwingbar, vgl. amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 281; Himmelmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 34, 46; Reinbothe, in. Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 8 WahrnG Rn. 2.
75
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
setzgeber die Verwertungsgesellschaften nicht als bloße Inkassounternehmen ansieht, sondern ihnen kulturelle und soziale Funktionen zuweist.270 c)
Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Verwertern
Die Verwertungsgesellschaften sind gemäß § 11 Abs. 1 UrhWG verpflichtet, jedermann auf Verlangen Nutzungsrechte zu angemessenen Bedingungen einzuräumen. Dieser sog. Abschlusszwang ist neben dem Wahrnehmungszwang aus § 6 Abs. 1 UrhWG ein weiteres Korrektiv gegen die Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften.271 Der Gesetzesbegründung nach gilt § 11 Abs. 1 UrhWG allerdings auch dann, wenn Verwertungsgesellschaften im Wettbewerb mit anderen Verwertungsgesellschaften stehen.272 Der Zugang der Nutzer zu den benötigten Rechten soll also in jedem Fall gewährleistet sein. Abgesichert wird der Abschlusszwang dadurch, dass die Lizenzerteilung gemäß § 11 Abs. 2 UrhWG nicht hinausgezögert werden kann, wenn die Höhe der Lizenzgebühr zwischen der Verwertungsgesellschaft und dem Verwerter streitig ist. Das Nutzungsrecht gilt als eingeräumt, wenn der Nutzer den unstreitigen Teil unbedingt und den streitigen Teil unter Vorbehalt zahlt oder hinterlegt.273 Eine weitere Ergänzung des Abschlusszwangs stellt § 10 UrhWG dar, wonach die Verwertungsgesellschaften bereits vor Abschluss eines Nutzungsvertrags zur Auskunft über das wahrgenommene Repertoire verpflichtet sind. Dadurch können die Verwerter erfahren, von welcher Verwertungsgesellschaft sie die Erlaubnis zur Verwertung bestimmter Werke oder Leistungen einholen müssen. Gemäß § 13 UrhWG sind die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, Tarife über die Vergütung aufzustellen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Verwertungsgesellschaften einzelne Verwerter nicht preislich diskri________ 270 271 272 273
76
Siehe oben 2. Kapitel, A.II. Riesenhuber/v. Vogel, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 633, 645. Amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 281. Mit der Änderung des § 11 UrhWG durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. 9. 2003 (BGBl. I S. 1774) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es nicht genügt, wenn auch der unstreitige Teil unter Vorbehalt geleistet wird; das war vorher umstritten, vgl. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 48 Rn. 15.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
minieren und dass die Nutzungsbedingungen nicht in jedem Einzelfall neu verhandelt werden müssen.274 Die Tarife müssen angemessen sein (§ 11 Abs. 1 UrhWG). Berechnungsgrundlage für die Tarife sollen gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 UrhWG in der Regel die „geldwerten Vorteile“ der Nutzung sein. Der Urheber ist am wirtschaftlichen Erfolg des Verwerters zu beteiligen. Maßgeblich ist der mit dem Werk erzielte Umsatz.275 In der Praxis hat sich eine Umsatzbeteiligung von 10% der Bruttoeinnahmen des Verwerters als eine Art Regelvergütung herausgebildet.276 Eine normative Bedeutung kommt diesem Wert allerdings nicht zu.277 Die 10%-Regel darf nur als Hilfestellung verstanden werden, die eine Verschiebung nach unten wie nach oben zulässt. Wenn die geldwerten Vorteile aus einer Werknutzung nicht mit vertretbarem wirtschaftlichen Aufwand erfasst werden können oder solche Vorteile gar nicht bestehen, erlaubt § 13 Abs. 3 S. 2 UrhWG eine Tarifberechnung nach anderen Kriterien, wie zum Beispiel der Zuschauerzahl oder der Raumgröße bei einer öffentlichen Aufführung. Schließlich sollen die Verwertungsgesellschaften gemäß § 13 Abs. 3 S. 4 UrhWG bei der Tarifgestaltung auf religiöse, kulturelle und soziale Belange angemessen Rücksicht nehmen. All diese Tarifbemessungsregeln sind Soll-Vorschriften und können von der Aufsichtsbehörde nicht erzwungen werden.278 Die Aufsichtsbehörde überprüft die Tarife allerdings allgemein auf ihre Angemessenheit im Sinne von § 11 Abs. 1 UrhWG.279 In der Praxis weitaus wichtiger als die behördliche Kontrolle ist die gerichtliche Überprüfung der Tarife. Die Angemessenheit im Sinne von § 11 Abs. 1 UrhWG ist voll justitiabel.280 Ein Verwerter, der einen Tarif für unangemessen oder nicht anwendbar hält, kann den streitigen Teil gemäß § 11 Abs. 2 UrhWG unter Vorbehalt zahlen oder hinterlegen und die Vergütungshöhe gerichtlich klären lassen. Dafür ist der ordentliche
________ 274 275 276 277 278
279 280
Amtl. Begr. UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 282. Strittmatter, Tarife vor der urheberrechtlichen Schiedsstelle, S. 138. Becker, in: ders./Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 27, 47. Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhG, § 13 WahrnG Rn. 7. Zwingend ist nur § 13 Abs. 3 S. 3 UrhWG, wonach bei der Tarifgestaltung angemessen Rücksicht auf den Anteil der Werknutzung am Gesamtumfang des Verwertungsvorganges genommen werden muss. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 13 WahrnG Rn. 12. Becker, in: ders./Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 27, 50.
77
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Rechtsweg gegeben.281 Im Gerichtsverfahren trägt die Verwertungsgesellschaft die Beweislast für die Angemessenheit des Tarifs.282 Gemäß § 16 Abs. 1 UrhWG können Streitfälle über die Höhe der Tarife allerdings erst dann klageweise geltend gemacht werden, wenn vorher ein Schlichtungsverfahren durchgeführt wurde. Die für dieses Verfahren zuständige Schiedsstelle (§ 14 UrhWG) ist ein unabhängiges Verwaltungsorgan, das beim DPMA gebildet ist. Sie ist kein Gericht und erlässt keine verbindlichen Entscheidungen, sondern soll gemäß § 14 Abs. 5 S. 1 UrhWG auf eine gütliche Beilegung des Streitfalls hinwirken. Gemäß § 14 a Abs. 2 S. 1 UrhWG unterbreitet es den Parteien am Ende eines Schlichtungsverfahrens einen Einigungsvorschlag. Das Verfahren bezweckt eine Entlastung der Gerichte und soll die besondere Sachkunde der Mitglieder der Schiedsstelle in die Konfliktlösung einbeziehen.283 Die Schiedsstelle wird nicht nur im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen tätig, sondern kann gemäß § 14 Abs. 1 UrhWG auch bei außergerichtlichen Auseinandersetzungen auf Antrag einer Partei eingeschaltet werden. Gemäß § 12 UrhWG sind die Verwertungsgesellschaften zum Abschluss von Gesamtverträgen verpflichtet.284 Diese Vorschrift bildet neben dem Wahrnehmungs- und dem Abschlusszwang den dritten Kontrahierungszwang der Verwertungsgesellschaften. Er kann ebenfalls klageweise durchgesetzt werden. Ausschließlich zuständig ist dafür gemäß § 16 Abs. 4 S. 1 UrhWG das für den Sitz der Schiedsstelle zuständige Oberlandesgericht, d. h. das OLG München. Prozessuale Voraussetzung für eine Klage ist wiederum die Durchführung eines Verfahrens vor der Schiedsstelle (§ 16 Abs. 1 UrhWG). Für die Durchsetzung von Ansprüchen gegen unautorisierte Verwerter steht den Verwertungsgesellschaften das allgemeine urheber- und zivilrechtliche Instrumentarium zur Verfügung, also insbesondere die in § 97 UrhG genannten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadenersatz. Dabei können sich die Verwertungsgesellschaften auf die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelten Rechtsinstitute der sog. GEMA-Vermutung und der doppelten Tarifgebühr stützen. Die GEMAVermutung vereinfacht die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen. ________ 281 282 283 284
78
Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, § 13 WahrnG Rn. 13. Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 11 UrhWG Rn. 13. Strittmatter, Tarife vor der urheberrechtlichen Schiedsstelle, S. 76. Zur Bedeutung der Gesamtverträge oben 2. Kapitel, A.III.2.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
Unter bestimmten Voraussetzungen wird vermutet, dass eine Verwertungsgesellschaft die Wahrnehmungsbefugnis für die fraglichen Rechte besitzt und die verwendeten Werke urheberrechtlich geschützt sind.285 Dem Anspruchsgegner wird damit der pauschale Einwand abgeschnitten, er habe nur GEMA-freie Musik bzw. gemeinfreie Werke verwendet – er muss dies gegebenenfalls darlegen und beweisen.286 Nach dem Grundsatz der doppelten Tarifgebühr wird Verwertungsgesellschaften, die einen umfangreichen und kostspieligen Überwachungsapparat unterhalten müssen, bei Schadenersatzansprüchen ein Zuschlag von 100% zu den üblichen Tarifsätzen zugesprochen.287 2.
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Als in aller Regel marktbeherrschende Unternehmen sind die Verwertungsgesellschaften dem Kartellrecht unterworfen. Das kommt verfahrensrechtlich in § 18 Abs. 3 UrhWG zum Ausdruck, wonach das DPMA über Anträge auf Erteilung der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb einer Verwertungsgesellschaft und über deren Widerruf im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt entscheiden muss. Im Verhältnis zu den speziellen Regelungen des UrhWG hat die kartellrechtliche Regulierung im GWB für die Verwertungsgesellschaften allerdings bislang eine untergeordnete Rolle gespielt.288 Gemäß § 30 GWB a. F. waren die Verwertungsgesellschaften im Wesentlichen vom Kartellverbot freigestellt. Die Freistellung bezog sich sowohl auf die Gründung von Verwertungsgesellschaften als auch auf ihre Verträge und Beschlüsse, soweit sie zur wirksamen Wahrnehmung von Urheberrechten erforderlich und der Aufsichtsbehörde gemeldet waren. Umfasst waren auch die
________ 285 286 287
288
BGH GRUR 1986, 62 – GEMA-Vermutung I; GRUR 1986, 66 – GEMAVermutung II; NJW 1986, 1249 – GEMA-Vermutung III. Vgl. AG Oldenburg, NJW-RR 1999, 196 f. Bejaht wurde dies für die besonders kostenintensive Kontrolle von öffentlichen Aufführungen durch die GEMA (BGH NJW 1973, 96 – Doppelte Tarifgebühr), nicht aber für die Kontrolle widerrechtlicher Tonträgerpressungen, vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 97 UrhG Rn. 71. Gerlach, in: Tades/Danzl/Graninger (Hrsg.), FS Dittrich, S. 119 ff., 121; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 203 ff.
79
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften.289 Das Missbrauchsverbot in § 19 GWB und das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB schränkte § 30 GWB a. F. allerdings nicht ein, beide Verbote galten in vollem Umfang.290 Fallrecht hat sich in der Vergangenheit zu § 20 GWB gebildet.291 Entscheidungen des Bundeskartellamts und gerichtliche Auseinandersetzungen blieben aber insgesamt selten. Mit dem Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle am 1. Juli 2005 ist § 30 GWB a. F. ersatzlos weggefallen.292 Der Novelle des GWB war die Reform des EG-Kartellverfahrensrechts durch die VO 1/2003 vorausgegangen.293 Die VO 1/2003 hat erhebliche Auswirkungen auf die nationalen Kartellrechtsordnungen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 müssen die Wettbewerbsbehörden und Gerichte der Mitgliedstaaten auf Maßnahmen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, auch europäisches Wettbewerbsrecht anwenden. Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Grundsatz in § 22 GWB n. F. übernommen. Für im Vergleich zum europäischen Recht milderes nationales Wettbewerbsrecht, also auch für Freistellungen wie in § 30 GWB a. F., besteht grundsätzlich kein Raum mehr. Freistellungen aufgrund nationalen Rechts sind nur noch möglich, wenn es um Unternehmensabsprachen geht, die keine spürbaren Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel haben können, d. h. keinen Zwischenstaatlichkeitsbezug aufweisen, sondern rein lokale oder regionale Bedeutung haben.294 Verwertungsgesellschaften sind überregional tätig, so dass der nach europäischem Kartellrecht erforderliche Zwischenstaatlichkeitsbe________ 289
290 291 292 293
294
80
Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 30 Rn. 13; vgl. zum Erfordernis der behördlichen Anmeldung von Gegenseitigkeitsverträgen nach § 102 a GWB a. F. (der Vorgängervorschrift von § 30 GWB a. F.) die Entscheidung des KG vom 5. Januar 1977, WuW/E OLG 1863 ff. – GEMA. Eine eingeschränkte Missbrauchskontrolle galt gemäß § 30 Abs. 2 GWB a. F. nur für nach § 16 Abs. 4 UrhWG gerichtlich festgesetzte Gesamtverträge. Vgl. BGH GRUR 1988, 782 – GEMA-Wertungsverfahren. Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1954). Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. Nr. L 1 S. 1 vom 4. 1. 2003; die VO ist am 1. Mai 2004 in Kraft getreten (Art. 45). Vgl. Lutz, WuW 2005, 718, 719.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
zug, für den ohnehin keine hohen Anforderungen gelten,295 regelmäßig erfüllt ist.296 Vor diesem Hintergrund sah der Gesetzgeber der 7. GWBNovelle für die Freistellung der Verwertungsgesellschaften vom Kartellverbot keine weitere Berechtigung, weil im europäischen Recht eine entsprechende Sonderregelung nicht existiert.297 Das Kartellverbot des GWB ist deshalb zwar nunmehr uneingeschränkt auf Verwertungsgesellschaften anwendbar, bei Sachverhalten mit Zwischenstaatlichkeitsbezug genießt aber das EG-Recht Vorrang. Das bedeutet, dass für die Gründung von Verwertungsgesellschaften sowie für deren Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen europäisches Wettbewerbsrecht maßgeblich ist.298 Etwas anderes gilt für die Missbrauchsaufsicht. Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO 1/ 2003 erlaubt mitgliedstaatliche Vorschriften, die einseitige Handlungen von Unternehmen strengeren Bedingungen unterwerfen, als sie im europäischen Kartellrecht gelten. Es besteht insoweit nach wie vor Raum für eine gegenüber dem europäischen Kartellrecht (Art. 82 EG) strengere Missbrauchskontrolle der Verwertungsgesellschaften nach nationalem Recht.299 Der Gesetzgeber der 7. GWB-Novelle hat sich zur weitgehenden Beibehaltung der §§ 19, 20 GWB entschieden. Der Stellenwert der Missbrauchsaufsicht nach dem GWB über die deutschen Verwertungsgesellschaften war angesichts der spezialgesetzlichen Regulierung im UrhWG allerdings schon bislang eher gering.300 Es ist nicht ersichtlich, dass er zukünftig steigen wird. Insgesamt kann deshalb festgehalten werden, dass die Bedeutung des GWB für die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften in Deutschland mit der 7. GWB-Novelle gesunken sein dürfte,
________ 295 296 297 298
299 300
Vgl. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 1, S. 224, Rn. 264; näher unten 3. Kapitel, E.I. So schon der Gesetzgeber der 6. GWB-Novelle, vgl. Begr. RegE v. 7. 11. 1997, BR-Drs. 852/97, S. 55. Begr. RegE, BT-Drs. 15/3640, S. 49. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers ergeben sich aus dem Wegfall des § 30 GWB a. F. keine wesentlichen Änderungen für die Verwertungsgesellschaften, weil deren Tätigkeit von der Rechtsprechung des Gerichtshofs als gerechtfertigt angesehen werde; vgl. Begr. RegE, BT-Drs. 15/3640, S. 49 f. Vgl. Lettl, Kartellrecht, Rn. 516. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 216, 218.
81
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
während das EG-Wettbewerbsrecht für Verwertungsgesellschaften an Bedeutung gewonnen hat.301
II.
Gemeinschaftsrecht
Im Gemeinschaftsrecht ist ebenso wie auf mitgliedstaatlicher Ebene zwischen dem Urheberwahrnehmungsrecht und dem Kartellrecht zu unterscheiden. 1.
Maßnahmen der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Wahrnehmungsrechts
Das Urheberrecht ist auf der Ebene der EU in weiten Teilen harmonisiert. Eine spezielle Regulierung des Wahrnehmungsrechts, wie sie in Deutschland mit dem UrhWG existiert, gibt es in der Gemeinschaft bislang jedoch nicht. Die Kommission hat aber in einer Mitteilung Maßnahmen zur Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts angekündigt. Das Europäische Parlament hat zur Notwendigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Regulierung der Verwertungsgesellschaften in einer Entschließung Stellung genommen. a)
Acquis Communautaire
Das Urheberrecht wird in der Gemeinschaft seit Anfang der neunziger Jahre schrittweise harmonisiert. Zwischen 1991 und 2001 hat die EG sieben Richtlinien verabschiedet, die auf eine teilweise Harmonisierung des materiellen Urheberrechts abzielen.302 Obgleich ein Teil dieser Richtli________ 301 302
82
Riesenhuber, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 183, 227. Die erste Richtlinie zur Angleichung von Rechtsvorschriften für den Gemeinsamen Markt war die RL 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. Nr. L 122 vom 17. 5. 1991, S. 42); es folgten die RL 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. Nr. L 346 vom 27. 11. 1992, S. 61), neu bekannt gemacht durch die RL 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl. Nr. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 28); RL 93/83/EWG des Rates vom
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
nien ausdrücklich auf die Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften Bezug nimmt, wurde das Recht der Verwertungsgesellschaften hierdurch nicht harmonisiert.303 Auch die RL 2001/29/EG zur Informationsgesellschaft, deren Zweck die Beseitigung von Beschränkungen des Binnenmarkts bei den neuen Formen der Rechteverwertung ist,304 ________
303
304
27. 9. 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl. Nr. L 248 vom 6. 10. 1993, S. 15); RL 93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl. Nr. L 290 vom 24. 11. 1993, S. 9), neu bekannt gemacht durch die RL 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl. Nr. L 372 vom 27. 12. 2006, S. 12); die RL 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (ABl. Nr. L 77 vom 27. 3. 1996, S. 20); RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. N. L 167 vom 22. 6. 2001, S. 10); und die RL 2001/ 84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks (ABl. Nr. L 272 vom 13. 10. 2001, S. 32); vgl. den Überblick bei Reinbothe, in: Ohly u. a. (Hrsg.), FS Schricker, S. 483, 486 ff. So wurden die Mitgliedstaaten in Art. 4 Abs. 4 der Vermiet- und Verleihrichtlinie (RL 92/100/EWG) ermächtigt, den Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung nach Art. 4 Abs. 1 RL verwertungsgesellschaftspflichtig zu machen (so geschehen in Deutschland, § 27 Abs. 3 UrhG); Art. 9 der Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitungs-RL (RL 93/83/EWG) schreibt für die Kabelweiterverbreitung die Rechtewahrnehmung durch eine Verwertungsgesellschaft vor, wobei Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie den Begriff „Verwertungsgesellschaft“ als eine „Organisation, die Urheber- oder verwandte Schutzrechte als einziges Ziel oder als eines ihrer Hauptziele wahrnimmt oder verwaltet“ definiert, ohne dass dadurch aber die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften geregelt werden soll, siehe ausdrücklich Art. 13 RL 93/83/EWG; zum Wahrnehmungsrecht im acquis communautaire vgl. Reinbothe, ZUM 2003, 27, 28 f.; Riesenhuber/v. Vogel, EuZW 2004, 519; v. Lewinski, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 36; Mitteilung der Europäischen Kommission „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ vom 16. 4. 2004, KOM(2004) 261 endg., S. 17. Vgl. den 5. Begründungserwägung der Richtlinie; Mitteilung der Kommission „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ vom 16. 4. 2004, KOM(2004) 261 endg., S. 8.
83
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
beschränkt sich auf eine Anpassung der materiellen Bestimmungen der Mitgliedstaaten. Lediglich in den Erwägungsgründen der RL kommt zum Ausdruck, dass der EG-Gesetzgeber die kollektive Wahrnehmung für das Funktionieren des Binnenmarkts als bedeutsam ansieht. Zugleich wird dort ausdrücklich klargestellt, dass das Wahrnehmungsrecht der Mitgliedstaaten durch die Richtlinie nicht berührt wird.305 b)
Mitteilung der Kommission
Mitte der neunziger Jahre begann die Kommission zuerst in ihrem Grünbuch „Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ vom 19. Juli 1995306 und dann in der Mitteilung „Initiativen zum Grünbuch“ vom 20. November 1996307 stärker auch die Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten in den Blick zu nehmen. Damit reagierte die Kommission nicht zuletzt auf Stimmen in der Literatur, die eine rein kartellrechtliche Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften auf Ebene der EG für unzureichend erklären.308 Rechtssicherheit und ein unverzerrter Wettbewerb in Europa, so die Auffassung Vieler, könnten nur durch eine Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts erreicht werden.309 Dementsprechend nahm die Kommission poli________ 305 306 307
308
309
84
Vgl. 17. und 18. Begründungserwägung der RL 2001/29/EG. KOM(95) 382 endg. Mitteilung „Initiativen zum Grünbuch über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“, KOM(96) 568 endg.; dazu Dillenz, in: Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht, S. 66, 90 (Rn. 29). Vgl. v. Lewinski, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 37; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 260. Siehe Vogel, GRUR 1993, 513, 531; ders., in: Schricker/Bastian/Dietz (Hrsg.), Konturen eines europäischen Urheberrechts, S. 79, 82 ff.; Dillenz, in: Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht, S. 66, 89 ff.; ders., GRUR Int. 1997, 315, 319 ff.; Reinbothe, Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 150 ff., 166; Dördelmann, GRUR 1999, 890, 893; Dietz, Das Urheberrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 304, 310 f.; ders., J.Copyr.Soc. of the USA 2002, 897, 903 f., 915; Gerlach, in: Tades/Danzl/Graninger (Hrsg.), FS Dittrich, S. 119, 131; Cherpillod, in: Hilty (Hrsg.), Die Verwertung von Urheberrechten in Europa, S. 44 f.; Wirtz, Die Kontrolle von Verwertungsgesellschaften, S. 235 ff.; für eine Gruppenfreistellung der Verwertungsgesellschaften
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
tische Sondierungen zum Wahrnehmungsrecht vor und veranstaltete im November 2000 eine Anhörung über die kollektive Wahrnehmung von Schutzrechten.310 Den vorläufigen Abschluss dieses Prozesses bildet die Mitteilung der Kommission vom 16. April 2004 „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“.311 In der Mitteilung legt die Kommission dar, dass sie eine gesetzgeberische Initiative auf dem Gebiet der kollektiven Wahrnehmung für erforderlich hält, und entwirft Konzepte für eine zukünftige Harmonisierung des europäischen Wahrnehmungsrechts. Ausgangspunkt der Mitteilung ist die Feststellung, dass die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke zunehmend europaweit erfolge. In diesem Zusammenhang stellt die Kommission vor allem auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen im digitalen Umfeld ab: Hier sei der grenzüberschreitende Vertrieb „die Regel geworden“. Für die meisten Formen der Verwertung sei deshalb der Binnenmarkt der geeignete wirtschaftliche Rahmen.312 Gleichzeitig stellt die Kommission fest, dass die Rahmenbedingungen für die kollektive Rechtewahrnehmung in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich seien. Darin sieht die Kommission ein Hemmnis für den Binnenmarkt, das es zu beseitigen gelte. Die Kommission fordert deshalb, dass es in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Merkmale der kollektiven Rechtewahrnehmung mehr Gemeinsamkeiten geben solle.313 Harmonisierungsbedarf sieht sie zum einen bei der Gründung von Verwertungsgesellschaften, für die gemeinschaftsweit ähnliche Voraussetzungen hinsichtlich der Rechtsform, der Transparenzpflichten, der Mindestzahl vertretener Rechteinhaber ________ 310
311
312 313
vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 260. Anhörung über die kollektive Verwaltung von Schutzrechten, Brüssel, 13. und 14. November 2000; eine kurze Zusammenfassung der Anhörung findet sich auf der Website der Kommission, Politikbereich Binnenmarkt; vgl. auch Reinbothe, in: Ganea/Heath/Schricker (Hrsg.), FS Dietz, S. 517, 526 ff. KOM(2004) 261 endg.; dazu Riesenhuber, EuZW 2004, 519 ff.; ders., Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 150 ff.; Frabboni, Ent.L.R. 2005, 144 ff.; Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 147, 151 ff.; Enzinger, GRUR Int. 2006, 985, 987 f.; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 117, 132 f. KOM(2004) 261 endg., S. 8 f. KOM(2004) 261 endg., S. 20 ff.
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Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
und des für eine Genehmigung erforderlichen Nachweises der Leistungsfähigkeit einer Verwertungsgesellschaft gelten sollen.314 Auch die gerichtliche bzw. behördliche Kontrolle der Verwertungsgesellschaften müsse auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.315 Weiter seien die Beziehungen zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Verwertern einheitlichen Mindestregeln zu unterwerfen. Verwertungsgesellschaften sollen überall in der Gemeinschaft verpflichtet werden, ihre Gebührensätze zu veröffentlichen und Lizenzen zu angemessenen Bedingungen zu erteilen.316 Außerdem sollen die Verwerter die Möglichkeit zur Anfechtung der Gebührensätze vor einem Gericht oder einer Schiedsstelle haben.317 Schließlich nennt die Kommission bestimmte Bedingungen, die im Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Rechteinhabern eingehalten werden müssten. So sollen die Berechtigten die Laufzeit der Wahrnehmungsverträge und den Umfang der Rechteübertragung flexibel bestimmen und ihre Rechte zurückrufen können.318 Insgesamt lässt sich in der Mitteilung das Bestreben der Kommission ausmachen, die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten überall in der Gemeinschaft zum Funktionieren zu bringen.319 Der Schutz der Rechteinhaber und Verwerter soll auf einem hohen Niveau festgeschrieben und die Verwertungsgesellschaften zu Effizienz und Transparenz angeleitet werden.320 c)
Entschließung des Europäischen Parlaments
Ob und in welcher Weise die Kommission das Projekt einer Harmonisierung des Urheberwahrnehmungsrechts vorantreiben wird, erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen. Dafür sind nicht zuletzt Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament verantwortlich. Das Parlament hat seine Sichtweise zur Bedeu________ 314 315 316 317 318 319 320
86
KOM(2004) 261 endg., S. 21. KOM(2004) 261 endg., S. 22. KOM(2004) 261 endg., S. 21. KOM(2004) 261 endg., S. 21. KOM(2004) 261 endg., S. 22. So schon vor Erlass der Mitteilung der damalige Leiter der Generaldirektion Binnenmarkt der EG-Kommission Reinbothe, ZUM 2003, 27, 31. KOM(2004) 261 endg., S. 22.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
tung und Funktion der Verwertungsgesellschaften in seiner Entschließung vom 15. Januar 2004 zu einem Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte321 dargelegt. Dort erklärt das Parlament, einer Harmonisierung des Urheberwahrnehmungsrechts in der Gemeinschaft zwar grundsätzlich positiv gegenüber zu stehen. Gleichzeitig signalisiert es aber, dass es einen Ansatz, wonach die Verwertungsgesellschaften in einen verstärkten Wettbewerb treten sollten, nicht vorbehaltlos befürworten würde. Die Kommission verhält sich zu diesem Ansatz in ihrer Mitteilung zur Rechtewahrnehmung insgesamt eher unkritisch. In ihren neueren Stellungnahmen favorisiert die Kommission einen Wettbewerbsansatz ausdrücklich (dazu näher unten 5. Kapitel, A.). Ganz im Gegensatz dazu möchte das Parlament die monopolistischen Strukturen der Verwertungsgesellschaften nicht grundsätzlich in Frage stellen.322 Die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Verwertungsgesellschaften müsse auf Fälle des Missbrauchs beschränkt werden.323 Sogar eine Ausnahme vom Wettbewerbsrecht wird ins Auge gefasst.324 Verwertungsgesellschaften seien notwendig, damit die Urheber ihre Interessen gegenüber der konzentrierten Medienindustrie durchsetzen können.325 Das Parlament betont auch sehr viel stärker als die Kommission die sozialen und kulturellen Funktionen der Verwertungsgesellschaften. Ihre Praxis der Förderung kulturell wertvoller Werke trage zur Entwicklung der kulturellen Vielfalt in der Gemeinschaft bei.326 Das Ziel der Förderung grenzüber-
________ 321
322 323 324 325 326
Mit der Entschließung (ABl. Nr. C 92 E vom 16. 4. 2004, S. 425 ff.) nahm das Parlament den Bericht des EP-Ausschusses für Rechte und Binnenmarkt vom 11. Dezember 2003 (2002/2274(INI)), an, der nach der Berichterstatterin „Echerer Report“ genannt wird; vgl. v. Lewinski, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 37; Gotzen, in: Ohly u. a. (Hrsg.), FS Schricker, S. 299, 303; Dietz, IIC 2004, 809 ff.; Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 147, 149 ff.; Enzinger, GRUR Int. 2006, 985, 986 f. ABl. Nr. C 92 E vom 16. 4. 2004, S. 425, 427, Zf. 14. ABl. Nr. C 92 E vom 16. 4. 2004, S. 425, 428, Zf. 17. Echerer Report (siehe oben Fn. 321), S. 15. Echerer Report (siehe oben Fn. 321), S. 15. ABl. Nr. C 92 E vom 16. 4. 2004, S. 425, 428, Zf. 18.
87
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
schreitend tätiger Verwertungsgesellschaften findet in der Entschließung dagegen nur am Rande Erwähnung.327 Wie die Kommission in ihrer Mitteilung sieht allerdings auch das Europäische Parlament einen Bedarf, die Regulierung der Verwertungsgesellschaften in den Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. In vielen Punkten entsprechen die Forderungen des Parlaments somit den Vorstellungen der Kommission, beispielsweise was die Einführung von Schlichtungsmechanismen für Streitfälle zwischen Verwertungsgesellschaften und Musiknutzern angeht und die Verpflichtung der Verwertungsgesellschaften zur Veröffentlichung ihrer Tarife.328 Dem Parlament wie der Kommission geht es darum, ein „level playing field“ für die Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt zu schaffen und einen Regulierungsrahmen zu entwerfen, der gewährleistet, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Monopolstellung nicht ausnutzen können und effizient arbeiten. Trotz der Gemeinsamkeiten macht die Entschließung des Europäischen Parlaments offenbar, dass über die Grundsätze, an denen sich eine europäische Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts ausrichten sollte, in den Institutionen der Gemeinschaft keine Einigkeit herrscht. Aus diesem Grund sowie nicht zuletzt wegen der Herausforderungen, die sich durch die EU-Erweiterung 2004 ergeben haben – in vielen der neuen Mitgliedstaaten wurden Verwertungsgesellschaften überhaupt erst vor wenigen Jahren gegründet –, wird mit einer raschen Harmonisierung des Urheberwahrnehmungsrechts eher nicht gerechnet.329
________ 327
328 329
88
Im Echerer Report (siehe oben Fn. 321), S. 16, wird gefordert, dass die für die Online-Nutzung erforderlichen Rechte von den Verwertungsgesellschaften EU-weit vergeben werden müssten. „Echerer Report“ (siehe oben Fn. 321), Zf. 15, S. 18. Vgl. auch v. Lewinski, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 36; Reinbothe, in: Ohly u. a. (Hrsg.), FS Schricker, S. 483, 497; zur Notwendigkeit einer Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts siehe unten 5. Kapitel, B.
B. Regulierung der Verwertungsgesellschaften
2.
Bedeutung des EG-Wettbewerbsrechts
Da es bislang kein spezielles Wahrnehmungsrecht der Gemeinschaft gibt, stellt das EG-Wettbewerbsrecht den wichtigsten gemeinschaftsrechtlichen Maßstab für die Beurteilung von Verwertungsgesellschaften dar.330 Trotz fehlender Gewinnerzielungsabsicht sind Verwertungsgesellschaften als Unternehmen im Sinne der Art. 81 und 82 EG und somit Regelungsadressaten des EG-Wettbewerbsrechts anzusehen.331 Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf Verwertungsgesellschaften ist auch weder durch nationale Freistellungen (wie § 30 GWB a. F.) noch durch Art. 86 Abs. 2 EG ausgeschlossen. Nationale Vorschriften können die Anwendbarkeit des vorrangigen EG-Rechts von vornherein nicht beeinflussen,332 und die Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EG für eine wettbewerbsrechtliche Freistellung von Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, sieht der Gerichtshof in Bezug auf Verwertungsgesellschaften als nicht erfüllt an.333 EuGH und Kommission haben dem EG-Wettbewerbsrecht im Bereich der kollektiven Rechtewahrnehmung in einer ganzen Reihe von Entscheidun________ 330 331
332 333
Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193, 194. Der Unternehmensbegriff der Art. 81 ff. EG wird weit ausgelegt und ist funktional zu verstehen; siehe Roth/Ackermann, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Grdfr. Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Rn. 11, 19. Verwertungsgesellschaften bieten den Verwertern Leistungen, nämlich die Erteilung von Lizenzen an, verhalten sich also marktbezogen und werden deshalb als Unternehmen beurteilt; vgl. nur Kommission, Entscheidung vom 29. Oktober 1981, GRUR Int. 1982, 242, 245 – GVL. Außerdem sind sie Unternehmensvereinigungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG, nämlich Vereinigungen der einzelnen Urheber, vgl. Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerb, S. 60 f.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 770. Siehe nur Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.): EU- und EG-Vertrag, Bd. 1, Art. 1 EG Rn. 24. Nach seiner Rechtsprechung müssen Unternehmen durch einen Hoheitsakt der öffentlichen Gewalt mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sein, um nach Art. 86 Abs. 2 EG freigestellt zu sein. Eine besondere behördliche Überwachung wie nach dem UrhWG reicht dafür nicht aus, vgl. EuGH Rs. 7/82, GRUR Int. 1983, 734, 738 – GVL; siehe auch EuGH Rs. 127/73, GRUR Int. 1974, 342, 344 – SABAM III.
89
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
gen Konturen verliehen und dadurch einen maßgeblichen Einfluss auf die Tätigkeit der europäischen Verwertungsgesellschaften ausgeübt. Entschieden wurde über Aspekte, die das Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu ihren Mitgliedern betreffen – Umfang der Rechteeinräumung in den Wahrnehmungsverträgen, Laufzeit der Wahrnehmungsverträge und Diskriminierungen von EG-Angehörigen durch Verwertungsgesellschaften.334 Ein weiterer Teil der Judikatur befasst sich mit dem Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zu den Verwertern. Dabei geht es insbesondere um die Praxis der Blankettlizenzierung sowie um die Missbrauchskontrolle der Lizenzgebühren.335 Schließlich haben sich Kommission und Gerichtshof auch mit den Beziehungen der europäischen Verwertungsgesellschaften untereinander und dem zwischen den Gesellschaften bestehenden Geflecht von Gegenseitigkeitsverträgen beschäftigt.336
________ 334
335
336
90
Zur Freizügigkeit der Rechteinhaber in der Gemeinschaft unten 2. Kapitel, C.II.2.; Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 88 ff.; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 244 ff.; Pickrahn, Verwertungsgesellschaften nach deutschem und europäischen Kartellrecht, S. 152 ff.; Leßmann, Verwertungsgesellschaften nach deutschem und europäischem Kartellrecht und deren Herausforderungen im Hinblick auf digitale Techniken, S. 172 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 771 ff.; Stamatoudi, E.I.P.R. 1997, 289, 290 ff.; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 121 f. Dazu näher unten 3. Kapitel, E.II.2.a); vgl. Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 148 ff.; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 234 ff., 254 ff.; Pickrahn, Verwertungsgesellschaften nach deutschem und europäischen Kartellrecht, S. 139 ff., 170 ff.; Leßmann, Verwertungsgesellschaften nach deutschem und europäischem Kartellrecht und deren Herausforderungen im Hinblick auf digitale Techniken, S. 194 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 779 ff.; Stamatoudi, E.I.P.R. 1997, 289, 293 ff.; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 122 f. Dazu unten 3. und 4. Kapitel.
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
C.
Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich In Deutschland sind im musikalischen Bereich als Verwertungsgesellschaften auf Seiten der Urheber und Musikverlage die GEMA und für die ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller die GVL tätig. In den anderen Mitgliedstaaten der EG und des EWR gibt es entsprechende Verwertungsgesellschaften.
I.
Deutschland
Die erste dauerhaft337 bestehende deutsche Verwertungsgesellschaft wurde 1903 mit der „Anstalt für musikalische Aufführungsrechte“ (AFMA)338 gegründet, nur wenige Zeit nachdem die Komponisten durch das LUG339 erstmals in den Genuss eines uneingeschränkten Aufführungsrechts an erschienenen Werken der Tonkunst gekommen waren.340 In der Folgezeit entstanden in Deutschland weitere Verwertungsgesellschaften, die zum Teil miteinander konkurrierten.341 Das Nebeneinander mehrerer gleichartiger Verwertungsgesellschaften wurde jedoch als unbefriedigend empfunden – die Nutzer konnten ein vollständiges Repertoire nur ________ 337
338
339 340
341
Zum ersten, erfolglosen Versuch einer funktionierenden Verwertungsgesellschaft in Deutschland, der „Leipziger Anstalt“, ausführlich Schmidt, Die Anfänge der musikalischen Tantiemenbewegung in Deutschland, S. 102 ff., 270 ff. Sie entstand unter dem Dach der von Richard Strauss mitbegründeten Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT), vgl. Dümling, Musik hat ihren Wert, S. 64; Schmidt, Die Anfänge der musikalischen Tantiemenbewegung in Deutschland, S. 279 ff., 428 ff. Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst vom 19. Juni 1901 (RGBl. S. 277). Unter dem zuvor geltenden UrhG von 1870 hatten die Komponisten nur dann ein Aufführungsrecht an ihren Werken, wenn sie sich dieses Recht „auf dem Titelblatt oder an der Spitze des Werkes . . . vorbehalten“ hatten (§ 50 Abs. 2 S. 2 UrhG 1870); aus Furcht vor Absatzeinbußen verzichteten die Urheber meist darauf, diesen Vorbehalt anzubringen mit der Folge, dass sie gegen unautorisierte Aufführungen ihrer Werke nicht vorgehen konnten, vgl. Melichar, UFITA 117 (1991), 5, 6; Schmidt, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 5, 8. Ausführlich Dümling, Musik hat ihren Wert, S. 84 ff.; Ulmer/Bußmann/Weber, Das Recht der Verwertungsgesellschaften, S. 5.
91
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
durch Lizenzen von mehreren Verwertungsgesellschaften erwerben.342 So taten sich 1930 die wichtigsten Musikverwertungsgesellschaften in einem gemeinsamen Dachverband, dem „Musikschutzverband“ zusammen.343 Das damit entstandene faktische Wahrnehmungsmonopol wurde 1933 durch das „Gesetz über die Vermittlung von Musikaufführungsrechten“ legalisiert,344 dessen Hauptzweck die Verhinderung einer aufreibenden Konkurrenz zwischen Verwertungsgesellschaften war.345 Die Verwertungsgesellschaften reagierten darauf mit ihrer vollständigen Vereinigung zur STAGMA. 1934 wurde ihr im Verordnungswege das rechtliche Monopol zur Vermittlung von Musikaufführungsrechten verliehen.346 Nach dem 2. Weltkrieg nahm die STAGMA ihre Tätigkeit unter der Bezeichnung GEMA wieder auf. Später bildeten sich in der Bundesrepublik auch im außermusikalischen Bereich Verwertungsgesellschaften.347 Heu-
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344 345 346
347
92
Vgl. Riesenhuber, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 5, 13. Dem Musikschutzverband („Verband zum Schutze musikalischer Aufführungsrechte für Deutschland“) gehörten neben der GDT die österreichische „Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger“ (AKM) und die „Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte“ (die sog. „alte“ GEMA) an, vgl. Reinbothe, in: Schricker, Urheberrecht (Hrsg.), vor §§ 1 ff. WahrnG Rn. 2. Die AKM war mit der AFMA zunächst durch ein Gegenseitigkeits-Abkommen verbunden gewesen, hatte ihre Tätigkeit ab 1913 aber auch auf Deutschland erstreckt, Riesenhuber/Rosenkranz, UFITA Bd. 2005/II, 467, 472 f.; Schmidt/Riesenhuber/Mickler, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 5, 12. Vom 4. Juli 1933, RGBl. I S. 452, sog. STAGMA-Gesetz; vgl. Reinbothe, in: Schricker (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 1 ff. WahrnG Rn. 3. Riesenhuber, Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 5. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Vermittlung von Musikaufführungsrechten vom 15. Februar 1934 (RGBl. I S. 100); näher Mickler, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 5, 17 ff. In der DDR wurden die musikalischen Aufführungsrechte und mechanischen Vervielfältigungsrechte der Urheber ab 1951 von der „Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiet der Musik“ (AWA) wahrgenommen. Ihre Mitglieder schlossen sich nach der Wiedervereinigung der GEMA an; vgl. Wandtke, in: Becker/Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 789, 794 ff.
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
te gibt es in Deutschland insgesamt zwölf Verwertungsgesellschaften.348 Abgesehen von einer Reihe von Gesellschaften, die nebeneinander Filmund Fernsehrechte wahrnehmen,349 sowie der vor einiger Zeit in Konkurrenz zur GEMA gegründeten VG Werbung, betätigen sich diese Verwertungsgesellschaften in unterschiedlichen sachlichen Bereichen und verfügen über faktische Monopole. 1.
GEMA
Die musikalischen Urheberrechte werden in Deutschland von der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA) wahrgenommen. Die GEMA ist Rechtsnachfolgerin der STAGMA350 und die älteste Verwertungsgesellschaft in Deutschland. Gemessen an ihren Einnahmen gilt sie als die größte Verwertungsgesellschaft der Welt.351 Organisiert ist die GEMA, wie die beiden anderen deutschen Urheber-Gesellschaften VG Wort und VG Bild-Kunst, als rechtsfähiger Verein kraft Verleihung (§ 22 BGB). Sie repräsentiert satzungsgemäß drei Berufsgruppen: Außer den beiden Urhebergruppen (Komponisten und Textdichter) sind auch Musikverlage in der GEMA vertreten. a)
Binnenorganisation
In der GEMA besteht ein abgestuftes Mitgliedschaftssystem. Die Satzung unterscheidet zwischen ordentlichen, außerordentlichen und ange________ 348
349 350 351
Neben der GEMA sind das die VG Wort für Wortautoren und Verleger; die VG Bild-Kunst für Künstler, Fotografen und Filmurheber; die GVL für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller, Veranstalter und Hersteller von Videoclips; die VG Musikedition für die Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben und die Herausgeber von nachgelassenen Werken, vor allem im Bereich der Musik; im Filmbereich VFF, VGF, GWFF, GÜFA, AGICOA und VG Media; die jüngste Gründung ist die VG Werbung+Musik GmbH, die seit März 2004 in Konkurrenz zur GEMA Nutzungsrechte im Bereich der Musik wahrnehmen möchte; vgl. die Übersichten in Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 1159, und Himmelmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 34, 35. Vgl. Castendyk, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 75 Rn. 340 ff. Nordemann, in: Beier u. a. (Hrsg.), GRUR-FS, Bd. II, S. 1197, 1199. Music & Copyright, 12. April 2006, S. 13.
93
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
schlossenen Mitgliedern.352 Letztere sind keine Mitglieder im vereinsrechtlichen Sinn, sondern einfache Wahrnehmungsberechtigte.353 Um die außerordentliche Mitgliedschaft zu erwerben, müssen die Rechteinhaber einen bestimmten Werkumfang nachweisen können.354 Die ordentliche Mitgliedschaft ist erst nach fünfjähriger außerordentlicher Mitgliedschaft möglich und setzt ein gewisses Mindestaufkommen voraus.355 Nur die ordentlichen Mitglieder haben ein Stimmwahlrecht in der Mitgliederversammlung.356 Die angeschlossenen und außerordentlichen Mitglieder werden in der Mitgliederversammlung nur mittelbar durch Delegierte vertreten, obwohl sie den ordentlichen Mitgliedern zahlenmäßig weit überlegen sind.357 Diese Abstufung beruht auf der Erwägung, dass die ordentlichen Mitglieder den weitaus größten Teil des Ertrages der GEMA beisteuern – in den Geschäftsjahren 2005 und 2006 waren es mehr als 60%.358 Wesentliche Entscheidungen, wie zum Beispiel Änderungen der Satzung, des Berechtigungsvertrags oder des Verteilungsplans, werden in der GEMA nach dem Kuriensystem getroffen. Es garantiert jeder Berufsgruppe ein gleiches Stimmgewicht.359 Damit sollen Majorisierungen zu Lasten einer Berufsgruppe vermieden werden. Für das Funktionieren eines Nebeneinanders von Urhebern und Musikverlegern in der GEMA ist das Kuriensystem von großer Bedeutung, weil sich die Berufsgruppen ________ 352
353 354 355
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94
§ 6 Abs. 1 GEMA-Satzung. Die Zulässigkeit eines abgestuften Mitgliedschaftssystems entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers des UrhWG, vgl. amtl. Begr. zum RegE, UFITA Bd. 46 (1966), S. 271, 280, und ergibt sich aus § 6 Abs. 2 UrhWG. § 6 Abs. 2 GEMA-Satzung. § 6 Abs. 3 GEMA-Satzung i. V. m. der Geschäftsordnung für das Aufnahmeverfahren. Gemäß § 7 Abs. 1 und 2 GEMA-Satzung müssen Komponisten und Textdichter in fünf aufeinander folgenden Jahren ein Mindestaufkommen von 30.677,51 Euro von der GEMA bezogen haben, dabei in vier aufeinander folgenden Jahren mindestens 1.840,65 Euro jährlich. § 10 Abs. 2 GEMA-Satzung. Laut ihrem Geschäftsbericht 2005, S. 36, hatte die GEMA am 31. Dezember 2005 insgesamt 61.942 Mitglieder, davon 52.686 angeschlossene, 6.303 außerordentliche und 2.953 ordentliche. GEMA-Geschäftsbericht 2005, S. 38; GEMA-Geschäftsbericht 2006, S. 34. § 11 b) GEMA-Satzung; auch der Aufsichtsrat wird nach einem Kuriensystem gewählt und besetzt, vgl. §§ 11 lit. a) und 13 Abs. 1 GEMA-Satzung.
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Stärke auf Augenhöhe gegenüberstehen. b)
Inhalt des Berechtigungsvertrags
Der Wahrnehmungsvertrag der GEMA heißt Berechtigungsvertrag.360 Er enthält in § 1 einen umfassenden Katalog von Nutzungsrechten, die der GEMA von den Rechteinhabern eingeräumt werden.361 Wer die Rechte in die GEMA juristisch einbringt – der Urheber oder sein Musikverlag – entscheidet sich dabei nach dem Prioritätsgrundsatz. In der Regel hat der Urheber seine Rechte bereits vor Abschluss eines Musikverlagsvertrags (oben 1. Kapitel, D.I.1.) im Wege der Vorausverfügung an die GEMA übertragen.362 Dann geht die Rechteeinräumung im Verlagsvertrag ins Leere.363 Umgekehrt geht die Rechteeinräumung durch den Urheber an die GEMA fehl, wenn er seine Rechte vor Abschluss des Wahrnehmungsvertrags bereits wirksam einem Musikverlag eingeräumt hat. Praktische Konsequenzen ergeben sich daraus nicht. Die GEMA verteilt ihre Einnahmen unter den Urhebern und Musikverlagen nach festen Quoten, unabhängig davon, von wem sie die Rechte bei formaljuristischer Betrachtung erhalten hat.364 Zu den von der GEMA wahrgenommenen Rechten gehören insbesondere das musikalische Aufführungsrecht,365 das Senderecht für Rundfunk und Fernsehen, das Filmvorführungsrecht, das Vervielfältigungs- und
________ 360
361 362 363 364 365
Zur Terminologie (Wahrnehmungsvertrag/Berechtigungsvertrag) Riesenhuber, Die Auslegung und Kontrolle des Wahrnehmungsvertrags, S. 11; ders., in: ders. (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 91, 95. Ausführlich Staudt, Die Rechteübertragungen im Berechtigungsvertrag der GEMA, S. 26 ff. Gorsˇ c´ ak, Der Verlagsvertrag über U-Musik, S. 101; Staudt, Die Rechteübertragungen im Berechtigungsvertrag der GEMA, S. 20. Ventroni/Poll, MMR 2002, 648, 652. Vgl. Rossbach/Joos, in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 333, 345 f.; Gorsˇ c´ ak, Der Verlagsvertrag über U-Musik, S. 105. Das Aufführungsrecht wird der GEMA allerdings unter Ausschluss der sog. „großen“ Rechte der bühnenmäßigen Aufführung dramatisch-musikalischer Werke eingeräumt, vgl. ausführlich Staats, Aufführungsrecht und kollektive Wahrnehmung bei Werken der Musik, S. 58 ff.
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Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
Verbreitungsrecht, mit Einschränkungen das Filmherstellungsrecht366 sowie die gesetzlichen Vergütungsansprüche aus §§ 27 und 54 UrhG. Die Haupterträge der GEMA stammen aus der Wahrnehmung von Aufführungs-, Vorführungs-, Sende- und Wiedergaberechten. Etwas geringere Einnahmen erzielt sie mit der Wahrnehmung von Vervielfältigungsrechten, während die Erträge aus den gesetzlichen Vergütungsansprüchen deutlich geringer sind.367 Die Rechteinhaber räumen der GEMA für jede der im Berechtigungsvertrag aufgeführten Nutzungsarten die territorial unbeschränkten Rechte ein.368 Eine Ausnahme gilt gemäß § 6 a) GEMA-Satzung für Angehörige und Verlagsfirmen aus den Mitgliedstaaten der EG.369 Sie haben die Möglichkeit, den Umfang der Rechteeinräumung auf bestimmte Nutzungsarten (sog. Spartenlizenzierung) und/oder auf bestimmte Länder zu beschränken.370 Auf dieses Recht können sich auch die deutschen Rechteinhaber berufen.371 Die GEMA hat es auf Betreiben der EG-Kommission im Jahr 1972 in ihren Berechtigungsvertrag eingeführt.372 Territorial beschränkt mandatiert wird die GEMA beispielsweise von den Subverlagen, da diese von den Originalverlegern nur für die Auswertung des internationalen Repertoires in Deutschland beauftragt und ermächtigt werden.373 ________ 366
367 368 369
370 371
372 373
96
Mit Ausnahme von bestimmten Fällen der Fernsehproduktion erfolgt die Rechteübertragung gemäß § 1 i) Berechtigungsvertrag auflösend bedingt. Der Berechtigte kann der GEMA innerhalb einer Frist mitteilen, dass er seine Filmherstellungsrechte individuell wahrnehmen möchte; vgl. Castendyk, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 75 Rn. 296. Siehe GEMA-Geschäftsbericht 2005, S. 25; GEMA-Geschäftsbericht 2006, S. 29. § 1 Berechtigungsvertrag. Die 1972 in die GEMA-Satzung aufgenommene Klausel spricht noch von Angehörigen der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“, die aber durch den Vertrag von Maastricht in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt worden ist. Effektiv dürfte sie auch die Angehörigen der EWR-Staaten erfassen. § 16 GEMA-Berechtigungsvertrag i. V. m. § 3 Abs. 2 GEMA-Satzung. Anders Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 1202, der eine Inländerdiskriminierung durch die GEMA feststellt; § 16 Berechtigungsvertrag i. V. m. § 3 Abs. 2 GEMA-Satzung nimmt Deutsche aber nicht aus. Näher unten 2. Kapitel, C.II.2.b). Zur Subverlagspraxis oben 1. Kapitel, D.I.2.
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
c)
Verteilungsplan
Im Geschäftsjahr 2005 erwirtschaftete die GEMA Erträge in Höhe von etwa 874 Mio. Euro. Nach Abzug ihrer Aufwendungen konnte sie ca. 752 Mio. Euro unter ihren Mitgliedern verteilen.374 Die Verteilungssumme wurde damit im Vergleich zum Vorjahr erhöht, während die GEMA ihren durchschnittlichen Verwaltungskostensatz mit 13,9% um 0,2 Prozentpunkte senken konnte.375 Grundlage für die Verteilung der Einnahmen der GEMA ist ihr Verteilungsplan.376 Das rund 50 Seiten umfassende Regelwerk ist in drei Hauptteile untergliedert: Für die Verteilung der Einnahmen aus dem Aufführungs- und Senderecht gilt der Verteilungsplan A, für die Verteilung der Einnahmen aus dem mechanischen Vervielfältigungsrecht der Verteilungsplan B. Die Verteilung der Einnahmen aus Internet-Nutzungen erfolgt auf Grundlage des Verteilungsplans C.377 Eine individuelle Verteilung im Wege der Nettoeinzelverrechnung nimmt die GEMA für das mechanische Vervielfältigungsrecht, also im Bereich des Verteilungsplans B vor. Im Bereich des Aufführungs- und Senderechts werden die Einnahmen, abgesehen von einigen Ausnahmefällen,378 nicht im Wege der Einzelverrechnung, sondern nach bestimmten Kriterien auf der Grundlage von Pauschalisierungen verteilt.379 So nimmt die GEMA zum Beispiel in der Sparte E (Veranstaltungen ernster Musik) eine kollektive Verrechnung vor, bei der mehrere Einzeleinnahmen zur gemeinsamen Abrechnung zusammengefasst und anschließend auf alle genutzten Werke nach gleichen Kriterien verteilt werden. Werke, die schwerpunktmäßig in Veranstaltungen mit niedrigen Einnahmen aufgeführt werden, werden dadurch begünstigt. Das Prinzip der kollektiven Verrechnung ________ 374 375 376 377 378
379
GEMA-Geschäftsbericht 2006, S. 2. GEMA-Geschäftsbericht 2006, S. 2. Abgedr. im GEMA-Jahrbuch 2006/2007, S. 283 ff.; ausführlich dazu Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 31 ff. Näher unten 4. Kapitel, B.I.3. Eine Einzelverrechnung wird ausnahmsweise auch nach dem Verteilungsplan A in bestimmten Sparten vorgenommen, wie zum Beispiel bei Bühnenaufführungen, vgl. GEMA-Verteilungsplan in der Fassung vom 29. und 30. Juni 2004, Ausführungsbestimmungen für das Aufführungs- und Senderecht, Zf. XIII. Kreile/Becker, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 687, 704 f.
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Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
kommt daher vor allem denjenigen Urhebern zugute, deren Werke zwar innovativ sein mögen, aber noch nicht in besonders großem Maß nachgefragt werden. Das hierin zum Ausdruck kommende Selbstverständnis als Solidargemeinschaft380 verwirklicht die GEMA darüber hinaus durch die Bereitstellung eines Teils ihrer Einnahmen aus dem Aufführungs- und Senderecht für soziale und kulturelle Zwecke.381 Finanziert wird damit unter anderem die GEMA-Sozialkasse, die ordentlichen Mitgliedern der GEMA im Alter und in Notfällen finanzielle Unterstützung gewährt.382 2.
GVL
Für die kollektive Wahrnehmung der Rechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller ist in Deutschland die GVL zuständig. Sie wurde 1959 von der Deutschen Orchestervereinigung e. V. und der Deutschen Landesgruppe der IFPI in der Rechtsform einer GmbH gegründete und sitzt in Berlin. Die GVL ist in Deutschland die einzige Verwertungsgesellschaft ihrer Art. Durch ihre Gegenseitigkeitsverträge mit ausländischen Verwertungsgesellschaften verfügt sie über ein internationales Repertoire. Anders als die GEMA nimmt die GVL keine Erstverwertungsrechte wahr, sondern nur die Rechte, die für die Nutzung bereits fixierter oder gesendeter Darbietungen erforderlich sind (Zweitverwertungsrechte). Zu den Hauptbereichen gehören Tonträgersendungen, die öffentliche Wiedergabe von Tonträgern und Sendungen sowie die private Vervielfältigung.383
II.
Europäische Union
In nahezu jedem Mitgliedstaat der Gemeinschaft existieren Verwertungsgesellschaften wie die GEMA und die GVL. Die Verwertungsgesellschaften sind zwar weitgehend in einer gemeinsamen Tradition entstan________ 380 381 382
383
98
Ausführlich Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 145 f., 187. § 1 Zf. 4 a) Verteilungsplan A; vgl. Bartels, UFITA Bd. 2006/II, 325, 328 f. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen sind in der Satzung der GEMA-Sozialkasse geregelt (i. d. Fassung v. 1. Januar 2005 abgedr. im GEMA-Jahrbuch 2006/2007, S. 379 ff.). Vgl. Dünnwald/Gerlach, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 708, 710 f.
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
den. Es lassen sich aber viele Unterschiede ausmachen. Die Rechteinhaber in der Gemeinschaft können wählen, welcher Verwertungsgesellschaft sie ihre Rechte anvertrauen wollen. 1.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Verwertungsgesellschaften
Mit der Struktur der europäischen Verwertungsgesellschaften hat sich die Kommission in einer Studie vom 7. Juli 2005 zur grenzüberschreitenden Wahrnehmung von Urheberrechten befasst.384 Dort werden die Verwertungsgesellschaften nach ihrem Einnahmevolumen unterteilt. Zu den kleinen Verwertungsgesellschaften im musikalischen Bereich, deren jährliche Lizenzeinnahmen bis zu 10 Mio. Euro betragen, gehören vor allem Verwertungsgesellschaften aus den Beitrittsländern, zum Beispiel die slowakische SOZA mit ca. 1.500 Mitgliedern.385 Zu den mittelgroßen Gesellschaften, die ein jährliches Einnahmevolumen von 10 bis 100 Mio. Euro haben, zählen etwa die finnische Teosto386 oder die österreichische AKM.387 In der Gruppe der großen Verwertungsgesellschaften mit einem jährlichen Einnahmevolumen von über 100 Mio. Euro befinden sich acht musikalische Urheber-Gesellschaften.388 Absteigend geordnet nach ihren Erträgen im Geschäftsjahr 2003 sind das die GEMA, die französische ________ 384 385 386
387
388
„Study on a community initiative on the cross-border collective management of copyright“, siehe oben Fn. 192. Vgl. www.soza.sk. Teosto hat ca. 18.000 Mitglieder; 2006 erzielte Teosto im Inland im Bereich der „performing rights“ Einnahmen von rund 36,5 Mio. Euro, die zu über 50% an ausländische Schwestergesellschaften ausgeschüttet wurden. Im Gegenzug erhielt Teosto von ausländischen Verwertungsgesellschaften ca. 2,8 Mio. Euro für Aufführungen finnischer Musik (vor allem Jean Sibelius) im Ausland; vgl. den Jahresbericht der Teosto 2006, veröffentlicht auf der Website der Teosto unter www.teosto.fi. (letzter Abruf am 8. September 2007). Mit Lizenzerträgen 2006 von rund 69,2 Mio. Euro im Inland und 8,6 Mio. Euro im Ausland, vgl. den Jahresbericht 2006 der AKM, S. 13 f., veröffentlicht auf der Website der AKM unter www.akm.co.at (letzter Abruf am 8. September 2007). Insgesamt gibt es in der Gemeinschaft laut der Studie 152 Verwertungsgesellschaften, von denen zehn ein jährliches Einnahmevolumen von über 100 Mio. Euro erwirtschaften. Innerhalb dieser Spitzengruppe sind zwei Verwertungsgesellschaften (die GVL und die britische PPL), die keine UrheberGesellschaften sind; vgl. Studie (oben Fn. 192), S. 21.
99
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
SACEM, die italienische SIAE, die britische PRS, die französische SDRM, die britische MCPS, die spanische SGAE und die niederländische Buma. Die genannten Verwertungsgesellschaften sind alle im Musiksektor tätig, definieren ihren Tätigkeitsbereich im Einzelnen aber unterschiedlich. Meistens werden die sog. mechanischen Rechte, d. h. die Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte, und die öffentlichen Wiedergaberechte von einer einzigen Verwertungsgesellschaft wahrgenommen. In einigen Ländern werden die beiden Bereiche dagegen von eigenständigen Verwertungsgesellschaften verwaltet, die aber dort, wo es für eine effektive Lizenzvergabe nötig ist, zusammenarbeiten.389 Schließlich gibt es Verwertungsgesellschaften, die neben Komponisten auch Urheber aus anderen Werkbereichen vertreten. Beispiel ist die belgische SABAM, die Urheber aus mehreren Disziplinen (Musik, Literatur, Film u. a.) repräsentiert. Die meisten musikalischen Urheber-Gesellschaften setzen sich wie die GEMA intern aus zwei Mitgliedergruppen zusammen, nämlich den einzelnen Urhebern (Komponisten, Textdichter und Bearbeiter) auf der einen und den Musikverlagen auf der anderen Seite. Da die Musikverleger zu den Musikverwertern zählen und von daher in einem anderen Lager als die Urheber stehen, spricht man davon, dass die Verwertungsgesellschaften nicht gegnerfrei organisiert sind. Die Mitgliedschaft von Verlegern in Verwertungsgesellschaften ist historisch erklärbar – Verleger waren schon an der Errichtung der ersten Verwertungsgesellschaften maßgeblich mitbeteiligt.390 Es können aber Interessenkollisionen zwischen ihnen und den Urhebern entstehen.391 Aus diesem Grund nehmen einige, wenngleich wenige Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft ausschließlich Musikurheber als Mitglieder auf. Nach einer Untersuchung der Kommission sind das die griechische AEPI, die polnische ZAIKS,392 ________ 389 390 391
392
100
Beispiele: SDRM und SACEM in Frankreich; Buma und Stemra in den Niederlanden; PRS und MCPS in Großbritannien. Gorsˇ c´ ak, Der Verlagsvertrag über U-Musik, S. 17. Vgl. Kretschmer/Klimis/Wallis, Prometheus 2/1999, 163, 172 f.; kritisch zur Mitgliedschaft von Verlegern deshalb Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 1166. Die GEMA begegnet möglichen Interessenkonflikten in ihrer Satzung mit einem Stimmrechtsausschluss für Verlage, die mit der GEMA oder einer anderen Verwertungsgesellschaft als Musikverwerter in Vertragsbeziehungen stehen, § 8 Abs. 3 GEMA-Satzung. Nach Angaben von Badowski, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 63, 70, nimmt die ZAIKS aus histori-
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
die portugiesische SPA und die französische SACD.393 Eine umgekehrte Ausnahme von der Regel der nicht gegnerfreien Verwertungsgesellschaften bildet die britische MCPS. Sie ist Tochtergesellschaft eines Musikverlegerverbands.394 Die MCPS akzeptiert zwar auch Urheber als Mitglieder, die Besetzung ihres Aufsichtsrats wird jedoch von den Musikverlegern bestimmt. Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass die Verwertungsgesellschaften in Europa im Hinblick auf ihre Binnenstruktur kein einheitliches Bild abgeben, in den meisten Fällen aber Urheber und Musikverleger unter einem Dach vereinigen. Beide Gruppen verbindet das Interesse an einer effektiven Rechtewahrnehmung und möglichst hohen Lizenzeinnahmen. Weitere Unterschiede in der Wahrnehmungspraxis der Verwertungsgesellschaften resultieren daraus, dass sie in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen sind. Das betrifft zum einen das zwar weitgehend, aber nicht vollständig gemeinschaftsrechtlich harmonisierte materielle Urheberrecht, vor allem aber das Urheberwahrnehmungsrecht.395 Neben den rechtlichen sind auch die verschiedenen wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Verwaltungsgebieten der Verwertungsgesellschaften für Unterschiede in der Wahrnehmungspraxis ausschlaggebend. Insbesondere die Tarife werden von den Verwertungsgesellschaften weitgehend autonom bestimmt mit der Folge, dass für einen gleichartigen Nutzungsvorgang in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Lizenzgebühren anfallen.396 Wer ________ 393
394
395 396
schen Gründen keine Musikverleger auf; während des sozialistischen Regimes habe es in Polen keine privaten Musikverlage gegeben. „Impact assessment reforming cross-border collective management of copyright and related rights for legitimate online music services“ vom 11. Oktober 2005, SEC(2005) 1254, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), S. 10. Der „Music Publishers’ Association“ (MPA); vgl. Wirtz, Die Kontrolle von Verwertungsgesellschaften, S. 132; Cornish, in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 643, 675; Music & Copyright, 12. Mai 2004, S. 1, 12. MPA repräsentiert über 90% der britischen Musikverleger, vgl. Kommission, „Impact assessment reforming cross-border collective management of copyright and related rights for legitimate online music services“ (siehe oben Fn. 393), S. 22. Vgl. oben 2. Kapitel, B.II.1. Zur Ausnahme der gemeinschaftsweit verhandelten Tonträgerlizenzen unten 3. Kapitel, C.II.
101
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
ein musikalisches Werk in Deutschland aufführt, muss hierfür möglicherweise eine andere Vergütung an die GEMA zahlen als bei einer Aufführung ein und desselben Werks in Frankreich an die dort zuständige SACEM. In anderen Bereichen gibt es Gemeinsamkeiten. So arbeiten die Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft typischerweise nicht gewinnorientiert. Das entspricht europäischer Tradition: Die Verwertungsgesellschaften wurden von den Rechteinhabern selbst, d. h. den Komponisten und Verlagen, als eine Art Selbsthilfeorganisation gegründet. Dementsprechend sind die meisten Urheber-Gesellschaften mitgliedschaftlich organisiert und ihre Direktionen der direkten Kontrolle der Rechteinhaber unterstellt.397 2.
Gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung der Freizügigkeit der Rechteinhaber
Die EG-angehörigen Rechteinhaber haben von Rechts wegen die freie Wahl, welcher Verwertungsgesellschaft in der Gemeinschaft sie ihre Rechte zur Wahrnehmung anvertrauen wollen. Bislang machen die Rechteinhaber von dieser Möglichkeit allerdings wenig Gebrauch. a)
Wahlfreiheit der Rechteinhaber
Ungleichbehandlungen von EG-angehörigen Rechteinhabern durch Verwertungsgesellschaften verstoßen gegen das wettbewerbsrechtliche Diskriminierungsverbot in Art. 82 Uabs. 2 lit. c) EG. In ihrer GEMA I-Entscheidung aus dem Jahr 1971 untersagte die Kommission deshalb eine Bestimmung in der Satzung der GEMA, durch welche die Möglichkeit einer ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedschaft Deutschen vorbehalten wurde.398 Später schritt die Kommission gegen die Praxis der GVL ein, Wahrnehmungsverträge nur mit Rechteinhabern abzuschließen, die ihren Wohnsitz in Deutschland hatten oder deutsche Staatsangehörige waren.399 Die GVL versuchte die Diskriminierung ausländischer Rechteinhaber vor allem mit dem eingeschränkten Leistungs________ 397 398 399
102
Vgl. Corbet, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 22 f. UFITA Bd. 65 (1972), 344, 355 f. – GEMA I. Entscheidung der Kommission vom 29. 10. 1981, GRUR Int. 1982, 242.
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
schutz ausländischer Künstler in Deutschland zu rechtfertigen.400 Die Kommission ließ dies nicht gelten und entschied, dass den Künstlern nicht von vornherein die Möglichkeit genommen werden dürfe, ihre Rechte in einem anderen Mitgliedstaat durchzusetzen. Der Gerichtshof bestätigte die Kommissionsscheidung.401 Ob die Verwertungsgesellschaften durch die Ungleichbehandlung von Rechteinhabern auch das allgemeine Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 Uabs. 1 EG verletzen, ist zweifelhaft. Die Geltung dieser Vorschrift zwischen Privaten ist umstritten.402 Ohne Zweifel sind aber die Mitgliedstaaten gemäß Art. 12 Uabs. 1 EG verpflichtet, die EG-angehörigen Rechteinhaber wahrnehmungsrechtlich gleich zu behandeln.403 Darauf ist es zurückzuführen, dass seit 1995 in Deutschland gemäß § 6 Abs. 1 UrhWG gesetzlich klargestellt ist, dass auch EU-Ausländer einen Wahrnehmungsanspruch gegen die Verwertungsgesellschaften haben. b)
Möglichkeit der „Spartenlizenzierung“
Die Wahlfreiheit der Rechteinhaber zwischen den Verwertungsgesellschaften wird durch die Möglichkeit der sog. Spartenlizenzierung ergänzt und unterstützt. Danach können die Rechteinhaber den Wahrnehmungsvertrag mit einer Verwertungsgesellschaft auf bestimmte Nutzungsarten beschränken. Ihnen wird dadurch ermöglicht, im Übrigen die Dienste einer anderen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen oder ihre Rechte selbst zu verwalten. Die Spartenlizenzierung wurde Anfang der siebziger Jahre in den Kommissionsentscheidungen GEMA I und GEMA II entwickelt.404 Bis dahin hatte die GEMA den Rechteinhabern keine Möglichkeit gegeben, einzelne Nutzungsarten vom Wahrnehmungsauftrag auszunehmen. Die Rechteinhaber konnten der Verwertungsgesellschaft ihre Rechte entweder im Ganzen oder gar nicht anvertrauen. Die Kommission gab der GEMA auf Grundlage des wettbe________ 400 401 402 403 404
Bis 1995 galten für EG-Ausländer in Deutschland gemäß § 125 UrhG a. F. noch fremdenrechtliche Beschränkungen. EuGH Rs. 7/82, GRUR Int. 1983, 734, 739 – GVL. Vgl. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 12 EGV Rn. 39. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 878; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 776. UFITA Bd. 65 (1972), 344, 367 f. – GEMA I; UFITA Bd. 65 (1972), 369 ff. – GEMA II.
103
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
werbsrechtlichen Missbrauchsverbots auf, ihren Berechtigungsvertrag dahingehend zu ändern, dass die Rechteinhaber einzelne Nutzungsarten, sog. Sparten, von der Rechteübertragung ausnehmen dürfen.405 Als Nutzungsart definierte die Kommission – unter Aufzählung von Beispielen (den sog. „GEMA-Kategorien“) – „alle wirtschaftlich trennbaren Formen der Ausübung des Urheberrechts“.406 Neben der Möglichkeit der Spartenlizenzierung forderte die Kommission von der GEMA, dass den Rechteinhabern die Möglichkeit offen stehen solle, die Mandatierung auf bestimmte Territorien zu beschränken.407 Die Rechteinhaber sollten außerdem das Recht erhalten, den Wahrnehmungsvertrag mit einer Frist von höchstens drei Jahren vollständig oder bezogen auf einzelne Sparten zu kündigen.408 Die Möglichkeit der Spartenlizenzierung ist heute Bestandteil des Berechtigungsvertrags der GEMA.409 Andere Verwertungsgesellschaften haben sie erst wesentlich später oder gar nicht zugelassen. Nur in selte-
________ 405
406
407 408 409
104
Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der „Sparte“ ist von dem Spartenbegriff im Verteilungsplan der GEMA zu unterscheiden, der die Einnahmen der Verwertungsgesellschaft zwecks Anwendung unterschiedlicher Abrechnungsprinzipien unterteilt, vgl. dazu Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 148 f. Als Beispiele für Nutzungsarten nannte die Kommission: „a) das allgemeine Aufführungsrecht, b) das Senderecht für Rundfunk, c) das Wiedergaberecht von im Rundfunk gesendeten Werken, d) das Senderecht für Fernsehen, e) das Wiedergaberecht von im Fernsehen gesendeten Werken, f) das Filmaufführungsrecht, g) das mechanische Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht, h) das Wiedergaberecht mechanisch vervielfältigter Werke, i) das Filmherstellungsrecht, j) das Recht zur Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung von Trägern für Bildaufzeichnungsgeräte, k) das Recht zur Wiedergabe von Trägern für Bildaufzeichnungsgeräte, l) die Rechte zu Benutzungshandlungen, die durch die technische Entwicklung oder eine Änderung der Gesetzgebung in Zukunft entstehen“, vgl. UFITA Bd. 65 (1972), 369, 370 f. – GEMA II. In der GEMA I-Entscheidung hatte die Kommission die Sparten noch abschließend definiert, siehe UFITA Bd. 65 (1972), 344, 367 f. – GEMA I. UFITA Bd. 65 (1972), 344, 357 – GEMA I; UFITA Bd. 65 (1972), 344, 372 – GEMA II. UFITA Bd. 65 (1972), 344, 372 – GEMA II. Siehe oben C.I.1.b).
C. Verwertungsgesellschaften im Musikbereich
nen Fällen, zum Beispiel in Belgien,410 sind Verwertungsgesellschaften bereits auf Grund spezieller wahrnehmungsrechtlicher Vorschriften zur Anerkennung der Spartenlizenzierung verpflichtet. Im Übrigen mussten bzw. müssen die Rechteinhaber ihren Wunsch nach einer Spartenlizenzierung notfalls mit Hilfe des Wettbewerbsrechts durchsetzen. In mehreren Mitgliedstaaten hat es in diesem Zusammenhang Kartellverfahren gegeben: In Griechenland wurde die Verwertungsgesellschaft AEPI durch eine jüngere Entscheidung der nationalen Kartellbehörde verpflichtet, ihren Mitgliedern die Wahl zwischen einer Voll- und einer Teilübertragung der Rechte zu geben.411 In Großbritannien setzten die Mitglieder der Musikgruppe U2 Anfang der neunziger Jahre mit Hilfe der britischen Wettbewerbsbehörde „Monopolies and Mergers Commission“ (MMC) gegenüber der Verwertungsgesellschaft PRS durch, ihre Aufführungsrechte für Live-Konzerte selbst wahrnehmen zu können.412 In Frankreich entschied die Kommission einen Streit zwischen der SACEM und der Musikgruppe Daft Punk dahingehend, dass Daft Punk einzelne Nutzungsarten von der Rechteeinräumung an die SACEM ausschließen durfte, um sie individuell wahrzunehmen.413 In Polen ist eine entsprechende Auseinandersetzung zwischen dem Amt für Wettbewerb- und Verbraucherschutz und der Verwertungsgesellschaft ZAIKS anhängig.414
________ 410
411
412 413
414
Nach belgischem Urheberrecht ist es den Verwertungsgesellschaften ausdrücklich verboten, Rechteinhaber daran zu hindern, einzelne Sparten von Rechten einer anderen Verwertungsgesellschaft anzuvertrauen oder selbst wahrzunehmen, siehe Art. 66 Urhebergesetz vom 30. Juni 1994 (i. d. F. vom 3. April 1995 in deutscher Übersetzung abgedr. in GRUR Int. 1996, 233 ff.). Die Entscheidung der griechischen Wettbewerbskommission vom 14. Juli 2003, GRUR Int. 2004, 966 ff., orientiert sich maßgeblich an den GEMAEntscheidungen der Kommission. Vgl. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 252. Vgl. zum Daft Punk-Fall das Schreiben der Kommission vom 12. August 2002, COMP/C2/37.219 – Banghalter & Homem Christo/SACEM; Wood, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 147, 166 f.; Allendesalazar/Vallina, Collecting Societies: The Usual Suspects, S. 15 ff. Vgl. Błeszyn´ski, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 105, 124 ff.
105
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
c)
Tatsächlicher Befund: Geringer grenzüberschreitender Verkehr
Trotz ihrer gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Wahlfreiheit hat sich jedoch bislang kein bedeutender Verkehr der Rechteinhaber zwischen den europäischen Verwertungsgesellschaften entwickelt. In der Praxis vertrauen die meisten Rechteinhaber ihre Rechte den in ihren jeweiligen Heimatländern ansässigen Verwertungsgesellschaften an. Der Zugang zu ausländischen Verwertungsgesellschaften ist ihnen nicht zuletzt durch sprachliche Barrieren versperrt.415 Ein französischer Komponist oder Verleger kann seine Interessen in der Mitgliederversammlung der SACEM besser artikulieren und durchsetzen als in der deutschen GEMA oder der finnischen Teosto. Weil die Verwertungsgesellschaften zudem durch ihre Gegenseitigkeitsverträge sicherstellen, dass die Rechte ihrer Mitglieder auch im Ausland wahrgenommen werden (dazu unten 3. Kapitel), besteht für die Rechteinhaber keine zwingende Notwendigkeit, zu ausländischen Verwertungsgesellschaften zu wechseln. Umgekehrt haben aber auch die Verwertungsgesellschaften keine Anreize, ausländische Rechteinhaber anzuwerben, da sie über deren Rechte bereits auf Grund der Gegenseitigkeitsverträge verfügen.416 Infolge der Verbundenheit der Rechteinhaber mit ihren lokalen Verwertungsgesellschaften repräsentieren die verschiedenen Gesellschaften bis heute überwiegend nationales Musikrepertoire: Das deutsche Repertoire urheberrechtlich geschützter Musik befindet sich in der Hand der GEMA. Die Teosto kontrolliert den Bestand finnischer Musik. Die Rechte französischer Urheber werden von der SACEM wahrgenommen.
D. Zusammenfassung D. Zusammenfassung 1. Verwertungsgesellschaften sind Vereinigungen von Urheber- und Leistungsschutzberechtigten, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke und Leistungen zu kontrollieren und daraus Einnahmen für ihre Mitglieder zu erzielen. In der kontinentaleuropäischen Tradition verstehen sich die Verwer________ 415 416
106
Vgl. Dillenz, in: Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht, S. 66, 95 (Rn. 41 f.). Vgl. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 351.
D. Zusammenfassung
tungsgesellschaften darüber hinaus als Solidargemeinschaften ihrer Mitglieder, unterhalten soziale Einrichtungen und unterstützen kulturell bedeutendes Schaffen. 2. Im musikalischen Bereich sind in Deutschland die GEMA als Verwertungsgesellschaft der Musikurheber, Textautoren und Musikverlage sowie die GVL als Verwertungsgesellschaft der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller tätig. In den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gibt es entsprechende Verwertungsgesellschaften, die sich allerdings in der Größe, der Mitgliederstruktur und dem Tätigkeitsbereich voneinander unterscheiden. 3. Unterschiede in der Wahrnehmungspraxis resultieren unter anderem daraus, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaft herrschen. Das Recht der Verwertungsgesellschaften ist auf europäischer Ebene nicht harmonisiert. Die Kommission hat in einer Mitteilung vom 16. April 2004 aber Konzepte für eine zukünftige Harmonisierung des europäischen Wahrnehmungsrechts entwickelt. Bislang stellt das EG-Wettbewerbsrecht den wichtigsten Maßstab für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung von Verwertungsgesellschaften dar. 4. Aus dem Gemeinschaftsrecht folgt, dass die Urheber- und Leistungsschutzberechtigten zwischen den Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft frei wählen können. Die Rechteinhaber haben auch die Möglichkeit, den Wahrnehmungsvertrag mit einer Verwertungsgesellschaft auf bestimmte Nutzungsarten zu beschränken, um im Übrigen die Dienste einer anderen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen oder die Rechte individuell wahrnehmen. Trotz dieser Wahlfreiheit hat sich bis jetzt aber kein bedeutender Verkehr der Rechteinhaber zwischen den europäischen Verwertungsgesellschaften entwickelt. Die meisten Rechteinhaber vertrauen ihre Rechte ihren nationalen Verwertungsgesellschaften an. Ursache hierfür sind sprachliche Barrieren und nicht zuletzt die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften, in denen sie sich untereinander zur Wahrnehmung der Rechte ihrer Mitglieder im Ausland ermächtigen.
107
Zweites Kapitel: Verwertungsgesellschaften
108
A. Definition und Bedeutung der Gegenseitigkeitsverträge
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
A.
Definition und Bedeutung der Gegenseitigkeitsverträge
A. Definition und Bedeutung der Gegenseitigkeitsverträge Die Musikverwerter sind nicht nur am nationalen Repertoire einer Verwertungsgesellschaft interessiert, sondern benötigen auch die Nutzungsrechte für Werke aus dem Ausland. Grund ist die Nachfrage der Konsumenten nach internationaler Musik. Aus dieser Nachfrage folgt umgekehrt, dass die Rechteinhaber einen Bedarf haben, ihre Rechte im Ausland effektiv wahrnehmen zu lassen. Die Verwertungsgesellschaften begegnen dem durch sog. Gegenseitigkeitsverträge. Unter Gegenseitigkeitsverträgen versteht man bilaterale Verträge zwischen Verwertungsgesellschaften aus unterschiedlichen Ländern. Die Verwertungsgesellschaften beauftragen sich in den Verträgen gegenseitig mit der Wahrnehmung der ihnen von ihren Mitgliedern anvertrauten Rechte im Gebiet der anderen vertragsschließenden Gesellschaft.417 So mandatiert etwa die französische SACEM die deutsche GEMA mit der Wahrnehmung ihrer „französischen Rechte“ in Deutschland und erhält im Gegenzug von der GEMA den Auftrag, in Frankreich die Rechte der GEMA-Mitglieder wahrzunehmen. Die Verwertungsgesellschaften schließen nach Möglichkeit mit jeder Verwertungsgesellschaft im Ausland Gegenseitigkeitsverträge ab. Das dadurch entstehende Netz der Gegenseitigkeitsverträge führt dazu, dass jede beteiligte Verwertungsgesellschaft über die Rechte am sog. Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik verfügt. Das Repertoire der Verwertungsgesellschaften setzt sich somit aus den Werken ihrer eigenen Mitglieder (nationales Repertoire) und aus den Werken ihrer ausländischen „Schwestergesellschaften“ zusammen (ausländisches Repertoire).418 ________ 417
418
Der gegenseitige Rechtetransfer ist die Regel; einseitige Verträge werden nur ausnahmsweise geschlossen, vgl. Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighboring rights, S. 646. Vgl. Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 25 f.; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 54 ff.
109
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Inhaltlich lassen sich die Gegenseitigkeitsverträge mit den Wahrnehmungsverträgen vergleichen.419 In beiden Verträgen geht es darum, dass eine Verwertungsgesellschaft mit der Wahrnehmung von Urheber- oder Leistungsschutzrechten beauftragt wird und ihr zu diesem Zweck Nutzungsrechte treuhänderisch eingeräumt werden. Dementsprechend wird der Gegenseitigkeitsvertrag nach deutschem Recht vertragstypisch wie der Wahrnehmungsvertrag beurteilt, nämlich als urheberrechtlicher Geschäftsbesorgungsvertrag.420 Die Verwertungsgesellschaften schließen die Gegenseitigkeitsverträge zu dem Zweck ab, sich bei der Erfüllung ihrer wahrnehmungsvertraglichen Pflichten gegenüber ihren Mitgliedern zu unterstützen und eine weltweite Verwertung der Werke zu ermöglichen. Für die Gegenseitigkeitsverträge ist charakteristisch, dass sich die Vertragsparteien verpflichten, die ihnen eingeräumten ausländischen Rechte zu den gleichen Bedingungen wie die Rechte ihrer eigenen Mitglieder wahrzunehmen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Die Pflicht zur Gleichbehandlung umfasst im Grundsatz sämtliche Wahrnehmungsbedingungen. Die Verwertungsgesellschaften müssen die gleichen Tarife zur Geltung bringen, bei der Durchsetzung der ausländischen Rechte ebenso effektiv vorgehen wie hinsichtlich der inländischen Rechte und die gleichen Verteilungsregeln anwenden.421
B.
Funktionen der Gegenseitigkeitsverträge
B. Funktionen der Gegenseitigkeitsverträge Die Gegenseitigkeitsverträge erfüllen für die Rechteinhaber, die Verwerter und die Verwertungsgesellschaften die folgenden Funktionen.
________ 419 420
421
110
Zum Wahrnehmungsvertrag oben 2. Kapitel, A.III.1. Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 25; Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 91; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 54. Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighboring rights, S. 647; Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 722.
B. Funktionen der Gegenseitigkeitsverträge
I.
Für die Rechteinhaber
Die Urheber- und Leistungsschutzberechtigten profitieren von den Gegenseitigkeitsverträgen dadurch, dass sie ihre Rechte nicht an verschiedene nationale Verwertungsgesellschaften übertragen müssen, um eine weltweite Rechtewahrnehmung sicherzustellen.422 Sie müssen nur einen Wahrnehmungsvertrag mit einer einzigen Verwertungsgesellschaft abschließen. Das führt zu einer erheblichen Ersparnis von Transaktionskosten. Darüber hinaus wäre es für die Rechteinhaber oftmals auch schwierig oder gar unmöglich, eine ausländische Verwertungsgesellschaft zu beauftragen, weil sich viele Gesellschaften jedenfalls primär, zum Beispiel sprachlich bedingt, an die nationalen Rechteinhaber richten. Daran zeigt sich eine weitere Funktion der Gegenseitigkeitsverträge, die für die Rechteinhaber von Bedeutung ist. Aufgrund der internationalen Abkommen zum Urheberrecht sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, den Urhebern den gleichen Schutz zu gewähren wie den eigenen Staatsangehörigen (Grundsatz der Inländerbehandlung).423 Dieser Grundsatz liefe in praktischer Hinsicht leer, wenn ein Rechteinhaber mit einer ausländischen Verwertungsgesellschaft entweder gar nicht oder zu ungünstigeren Bedingungen kontrahieren könnte als die dort ansässigen Rechteinhaber, obwohl er auf die Wahrnehmung seiner Rechte durch sie faktisch oder rechtlich angewiesen ist.424 Durch den Abschluss von Gegenseitigkeitsverträgen wird den Rechteinhabern der direkte Gang zu ausländischen Verwertungsgesellschaften erspart. Die Pflicht zur Gleichbehandlung gewährleistet, dass ihre Rechte zu den Bedingungen wahrgenommen werden, die auch für inländische Rechteinhaber gelten. Das verhilft dem Prinzip der Inländerbehandlung zur praktischen Durchsetzung.425 ________ 422
423 424
425
Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 59; Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 723. Siehe oben 1. Kapitel, C.I.3. Aus diesem Grund wird in der Literatur diskutiert, ob die Angehörigen der Konventionsstaaten wegen des Gebots der Inländerbehandlung einen Anspruch auf Abschluss eines Wahrnehmungsvertrags aus § 6 UrhWG haben; siehe oben 2. Kapitel B.I.1.b). EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2572 – Tournier; Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 92;
111
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
II.
Für die Verwerter
Ohne die Gegenseitigkeitsverträge müssten die Verwerter mit jeder Verwertungsgesellschaft, deren Repertoire sie nutzen wollen, gesonderte Lizenzvereinbarungen schließen. Infolge der Gegenseitigkeitsverträge können sie die Nutzungsrechte für das Weltrepertoire in einem einzigen Vertrag erwerben.426 Wie für die Rechteinhaber führen die Gegenseitigkeitsverträge somit auch auf Seiten der Verwerter zu einer Ersparnis von Transaktionskosten.427 Der einfache Rechteerwerb für das Weltrepertoire erhöht außerdem die Rechtssicherheit der Verwerter, weil sie nicht befürchten müssen, sich durch die Nutzung von geschützten Werken haftbar zu machen.
III. Für die Verwertungsgesellschaften Die Verwertungsgesellschaften selbst vermeiden durch den Abschluss von Gegenseitigkeitsverträgen den mit einer Tätigkeit im Ausland verbundenen Verwaltungsaufwand. Sie können sich auf die bestehenden Verwaltungsstrukturen der ausländischen Verwertungsgesellschaften stützen und müssen nicht eigene Niederlassungen im Ausland gründen, Personal einstellen, mit den Verwertern Lizenzbedingungen aushandeln sowie Kontrollen vornehmen.428 Die Verwertungsgesellschaften sorgen mit den Gegenseitigkeitsverträgen dafür, dass in einem Verwertungsgebiet keine doppelten Infrastrukturen für die Wahrnehmung und Kontrolle von Urheberrechten entstehen. Jede Verwertungsgesellschaft kann sich auf die Rechtewahrnehmung in einem begrenzten Gebiet konzentrieren.
________ 426 427 428
112
Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 59 f. Karnell, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 15, 17. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 60. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 60.
C. Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken
C.
Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken
C. Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken Die Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken sind weltweit weitgehend harmonisiert. Für die Koordinierung der Verträge sind die internationalen Dachorganisationen der Verwertungsgesellschaften zuständig. Im Bereich der öffentlichen Wiedergaberechte ist das die CISAC,429 im Bereich der mechanischen Rechte das BIEM („Bureau International des Sociétés Gérant les Droits d’Enregistrement et de Reproduction Mécanique“).
I.
CISAC-Standardvertrag (öffentliche Wiedergabe von Musikwerken)
Grundlage für die Gegenseitigkeitsverträge im Bereich der öffentlichen Wiedergabe musikalischer Werke ist der sog. CISAC-Standardvertrag.430 Dabei handelt es sich um einen von der CISAC entworfenen Vertragstext, den die Verwertungsgesellschaften als Vorlage verwenden. 1.
Gegenstand
Gegenstand des CISAC-Standardvertrags sind die Rechte zur öffentlichen Wiedergabe musikalischer Werke. Beispielhaft nennt der Vertrag in Art. 1 Abs. 3 etwa die Live-Aufführung, die Aufführung mittels Tonträger (zum Beispiel in Diskotheken), die Vorführung von Tonfilmen oder die rundfunkmäßige Verbreitung musikalischer Werke. Die von den InternetMusikanbietern benötigten Nutzungsrechte, d. h. das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und das Internet-Senderecht, werden nicht ausdrücklich erwähnt. In der Praxis werden sie aber als vom CISACStandardvertrag umfasst angesehen. In den bilateralen Gegenseitigkeitsverträgen, die dem CISAC-Standardvertrag nachgebildet sind (CISAC-Gegenseitigkeitsverträge) räumen sich die vertragsschließenden Parteien gegenseitig die Befugnis ein, die Nutzungsrechte an ihren Repertoires wahrzunehmen, d. h. die öffentliche ________ 429 430
Zur CISAC siehe oben 2. Kapitel, A.II. Abgedr. im GEMA-Jahrbuch 2006/2007, S. 241 ff.
113
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Wiedergabe von Werken zu erlauben, nicht-autorisierte Nutzungen zu untersagen und von den Verwertern mit schuldbefreiender Wirkung Lizenzgebühren zu kassieren.431 Dabei verpflichten sich die Verwertungsgesellschaften, die fremden und die eigenen Rechte in gleicher Weise zur Geltung zu bringen, insbesondere zu den gleichen Tarifen wahrzunehmen (Gleichbehandlungsgrundsatz).432 Ein vertragliches Informationsund Kontrollinstrumentarium sorgt dafür, dass die Verwertungsgesellschaften überprüfen können, ob die Wahrnehmung ordnungsgemäß vonstatten geht.433 Die Verwertungsgesellschaften sind unter anderem verpflichtet, sich über ihre Tarife,434 Mitgliederverzeichnisse435 und Verteilungspläne436 zu informieren. Sie haben ferner die Möglichkeit, die vertragsgemäße Verwaltung ihrer Rechte durch Einblick in die entsprechenden Unterlagen der anderen Gesellschaften zu überprüfen.437 2.
Territoriale Beschränkungen
Der CISAC-Standardvertrag sieht in territorialer Hinsicht eine wichtige Einschränkung vor: Die Mandatierung ist stets auf das Gebiet beschränkt, in dem die beauftragte Verwertungsgesellschaft tätig ist.438 Das bedeutet, dass die beauftragte Verwertungsgesellschaft nur in die Lage versetzt wird, Nutzungen zu lizenzieren, die in ihrem Verwaltungsgebiet stattfinden. So sieht zum Beispiel der zwischen der deutschen und der französischen Verwertungsgesellschaft bestehende Gegenseitigkeitsvertrag vor, dass die französische Gesellschaft Rechte der Mitglieder der deutschen Gesellschaft nur an französische Diskotheken vergeben kann. Deutsche oder in einem anderen Land gelegene Diskotheken kann die französische Verwertungsgesellschaft nicht mit Lizenzen über das Repertoire ihrer deutschen Schwestergesellschaft ausstatten.
________ 431 432 433 434 435 436 437 438
114
Art. 2 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag. Art. 3 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag. Vgl. dazu Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 730. Art. 3 Abs. 2 CISAC-Standardvertrag. Art. 10 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag. Art. 10 Abs. 2 CISAC-Standardvertrag. Art. 5 Abs. 2 CISAC-Standardvertrag. Vgl. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. 6 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag.
C. Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken
Im Ergebnis führen die CISAC-Gegenseitigkeitsverträge dazu, dass die Verwertungsgesellschaften in ihren Verwaltungsgebieten jeweils die einzigen Gesellschaften sind, die das sog. Weltrepertoire wahrnehmen. Sie verfügen über das Monopol am Weltrepertoire. Verwerter müssen sich an die Verwertungsgesellschaft halten, die im jeweiligen Gebiet zuständig ist. 3.
Verteilungsregeln
Für die Verteilung der aus den ausländischen Rechten erzielten Einnahmen gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung.439 Aus diesem Grund ist es den Verwertungsgesellschaften etwa verboten, den eigenen Mitgliedern ein Mindesteinkommen zu garantieren.440 Die Verteilung der aus ausländischen Rechten erzielten Einnahmen muss sich nach den gleichen Prinzipien richten, die für die Mitglieder der abrechnenden Gesellschaft gelten.441 Im Einzelnen liegt der internationalen Verteilung der Lizenzeinnahmen ein komplexes Regelwerk zugrunde.442 Das ist unter anderem deshalb notwendig, weil der abrechnenden Verwertungsgesellschaft nicht immer vollständige Dokumentationen vorliegen. Zum Teil gehören die bezugsberechtigten Rechteinhaber verschiedenen Gesellschaften an. Grundsätzlich gilt, dass die Verwertungsgesellschaften immer zur Abrechnung verpflichtet sind und keine Einnahmen als nicht verteilbar behandeln und für sich behalten dürfen.443 Besondere Bestimmungen gibt es für subverlegte Werke: Die verteilende Gesellschaft darf höchstens 50% der auf ein Werk anfallenden Beträge an den Subverlag in ihrem Gebiet ausschütten.444 Dadurch stellen die Verwertungsgesellschaften sicher, dass auch
________ 439 440 441 442 443 444
Art. 3 Abs. 1 Uabs. 1 S. 2 CISAC-Standardvertrag. Zf. 3 lit. b) Zusatzprotokoll zum CISAC-Standardvertrag. Art. 7 Abs. 2 CISAC-Standardvertrag. Vgl. Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 730 ff. Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 733. Vgl. GEMA-Verteilungsplan A, Anhang zu den Ausführungsbestimmungen, Abschnitt I Zf. 2 Abs. 2.; dazu Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 263 ff.; zur Subverlagspraxis oben 1. Kapitel, D.I.2.
115
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
die ausländischen Urheber einen Anteil am Aufkommen erhalten und nicht nur die Verlage.445 Als Ausnahme von dem Grundsatz, dass es keine nicht verteilbaren Einnahmen gibt, sind die Verwertungsgesellschaften aufgrund des CISACStandardvertrags berechtigt, einen Prozentsatz der Einnahmen zur Deckung ihrer Verwaltungskosten einzubehalten. Der Prozentsatz ist nicht starr begrenzt. Er darf allerdings nicht höher sein, als der bei den eigenen Mitgliedern in Abzug gebrachte Anteil. Außerdem muss sich der Abzug auf das Erforderliche beschränken.446 Die Verwaltungsabzüge sind ein Ersatz für die Aufwendungen, die der abrechnenden Verwertungsgesellschaften durch die Wahrnehmung und Verteilung der ausländischen Rechte entstehen. Der CISAC-Gegenseitigkeitsvertrag erlaubt die Vornahme eines weiteren Abzugs von bis zu 10% für die Pensions-, Hilfs- oder Unterstützungskassen der Verwertungsgesellschaften.447 Wie erörtert, ist die Rechtfertigung für diesen Sozialabzug umstritten, weil die hiermit unterstützten Vorsorgeeinrichtungen überwiegend den eigenen Mitgliedern der Verwertungsgesellschaften zugute kommen, aber durch die auf die ausländischen Rechteinhaber anfallenden Einnahmen mitfinanziert werden.448 Nachdem die abrechnende Gesellschaft die nach Abzug der Kosten verbleibenden Nettoeinnahmen an die ausländischen Verwertungsgesellschaften verteilt hat, schütten diese die Beträge an ihre Mitglieder aus. Wie die Verwertungsgesellschaften dabei vorgehen und welche Verteilungsschlüssel sie zu Grunde legen, ist nicht im CISAC-Standardvertrag geregelt, sondern in den Wahrnehmungsverträgen und Verteilungsplänen der Verwertungsgesellschaften. In der Praxis werden die Beträge vor Ausschüttung an die Mitglieder mit einem weiteren Verwaltungskostenabzug belastet. Dieser Abzug entschädigt die Verwertungsgesellschaft für den Aufwand, der durch die Beauftragung der ausländischen Verwer________ 445 446
447 448
116
Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 344. Art. 8 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag; jede Gesellschaft muss gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 CISAC-Standardvertrag bestrebt sein, sich bei der Berechnung der Verwaltungskosten „in vernünftigen Grenzen entsprechend den lokalen Bedingungen ihrer Verwaltungsgebiete zu halten“. Vgl. Art. 8 II CISAC-Standardvertrag. Siehe oben 2. Kapitel, A.II.
C. Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken
tungsgesellschaften und die Verteilung der Auslandseinnahmen unter ihren Mitgliedern entsteht. Die GEMA berechnet in den Sparten des Aufführungsrechts derzeit einen Kostensatz in Höhe von 5%.449 Im Ergebnis unterliegen die im Wege der Gegenseitigkeitsverträge erzielten Einnahmen also zwei Verwaltungskostenabzügen: Einen ersten Abzug nimmt die ausländische Verwertungsgesellschaft auf Grundlage des Gegenseitigkeitsvertrags vor; einen zweiten die ausschüttende Verwertungsgesellschaft nach Maßgabe der Berechtigungsverträge und ihres Verteilungsplans. Für die Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft ist es wichtig, die erzielten Einnahmen möglichst schnell zu erhalten. Die CISAC-Gegenseitigkeitsverträge sehen vor, dass die Abrechnung der internationalen Einnahmen grundsätzlich zu den gleichen Terminen erfolgt, die in Bezug auf die eigenen Mitglieder der abrechnenden Gesellschaften gelten, mindestens aber einmal pro Jahr.450 Der Datenaustausch bei der Abrechnung erfolgt nach einheitlichen Standards und Formaten, auf die sich die CISAC-Verwertungsgesellschaften im Interesse eines zügigen und effizienten Dokumentations- und Abrechnungsverkehrs von Zeit zu Zeit neu verständigen.451 Die Entwicklung der Computertechnologien hat die Bearbeitung in den vergangenen Jahren dabei erheblich erleichtert.452
II.
BIEM-Standardvertrag (mechanische Rechte)
Das BIEM mit Sitz im französischen Neuilly-sur-Seine wurde 1929 zur Wahrnehmung der mechanischen Rechte der Musikurheber gegründet. Ihm gehören zur Zeit 50 Verwertungsgesellschaften aus 46 Ländern an.453 ________ 449 450 451
452 453
Müller/Karbaum, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 372, 376. Art. 9 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag. Die in Art. 9 Abs. 2 CISAC-Standardvertrag vorgesehene Form der Abrechnung über Abrechnungslisten ist überholt und wurde mittlerweile durch das Datensystem Common Information System (CIS) ersetzt; vgl. Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 735 f. Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 736. Quelle: Website des BIEM unter www.biem.org (letzter Abruf am 8. September 2007).
117
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Ursprünglich fungierte das BIEM selbst als Lizenzgeber für die Schallplattenhersteller. Die erforderlichen Rechte wurden ihr von den nationalen Verwertungsgesellschaften eingeräumt.454 In den 60er Jahren orientierte sich die Tonträgerlizenzierung jedoch grundlegend neu. Die Verwertungsgesellschaften, allen voran die GEMA, kündigten das bestehende System auf und zogen ihre Repertoires aus dem BIEM heraus.455 Seitdem lizenzieren die nationalen Verwertungsgesellschaften die Tonträger selbst. Das BIEM beschränkt sich darauf, im BIEM-Standardvertrag456 die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften zu koordinieren. Eine weitere Aufgabe des BIEM liegt daran, mit dem internationalen Dachverband der Tonträgerhersteller IFPI einen Mustervertrag für die Lizenzvereinbarungen zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Tonträgerherstellern auszuhandeln (sog. BIEM/IFPI-Normalvertrag).457 In diesem Vertrag werden die wesentlichen Bedingungen, vor allem die Lizenzgebühren (Berechnungsgrundlage, Gebührensatz, Mindestvergütungen) festgesetzt. Die Tonträgerhersteller sind international in der IFPI organisiert und operieren zum Teil selbst international. Deshalb ist es möglich, die Lizenzbedingungen auf dieser Ebene zu verhandeln.458 Das unterscheidet das BIEM-System vom CISAC-System, in dem nur die Gegenseitigkeitsverträge, nicht aber auch die im Verhältnis zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Verwertern geschlossenen Vereinbarungen global koordiniert werden und dementsprechend vereinheitlicht sind. Obwohl der letzte BIEM/IFPI-Normalvertrag im Juni 2000 ausge-
________ 454 455
456 457
458
118
Mestmäcker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Ernst-Joachim Mestmäcker, Beiträge zum Urheberrecht, S. 55, 78. Vgl. Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 96; Rigg, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 18, 23. Abgedr. im GEMA-Jahrbuch 2006/2007, S. 251 ff. Ausführlich Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 64 ff.; Best, in: Lester (Hrsg.), Mechanical Rights, S. 27 ff.; der BIEM/IFPI-Normalvertrag ist auf der Website des BIEM unter www.biem.org veröffentlicht (letzter Abruf am 8. September 2007). Praktiziert wird dies vom BIEM und der IFPI schon seit 1947; vgl. Steinmetz, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 64; Liholm, E.I.P.R. 2002, 112, 115.
C. Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken
laufen ist,459 orientieren sich die Verwertungsgesellschaften weiterhin an dessen Regelungen.460 1.
Gegenstand
Gegenstand des BIEM-Standardvertrags sind die mechanischen Rechte.461 Das ist einmal das Recht, ein Werk aufzunehmen und zu vervielfältigen (Vervielfältigungsrecht) und ferner das Recht, die hergestellten Aufnahmen und Vervielfältigungsexemplare zu verbreiten (Verbreitungsrecht).462 Diese Rechte brauchen Tonträgerhersteller für die Produktion und den Vertrieb von Tonträgern. Vom BIEM-Standardvertrag sind aber auch die von den Rundfunkanstalten und Internet-Musikanbietern benötigten Vervielfältigungsrechte (siehe oben 1. Kapitel, C.I.1.a)) umfasst. 2.
Territoriale Beschränkungen
Im Hinblick auf die territoriale Reichweite der Mandatierung im BIEMStandardvertrag muss zwischen dem Vervielfältigungs- und dem Verbreitungsrecht unterschieden werden. Das Recht zur Vervielfältigung räumen sich die Verwertungsgesellschaften territorial beschränkt ein. Die beauftragte Verwertungsgesellschaft erhält von der anderen Gesellschaft das auf ihr Verwaltungsgebiet begrenzte Recht, Verwertern Vervielfältigungslizenzen zu erteilen.463 Die Verwertungsgesellschaften können aufgrund der Gegenseitigkeitsverträge daher nur Vervielfältigungen erlauben oder verbieten, die in ihren jeweiligen Verwaltungsgebieten stattfinden.464 Das Recht zur Verbreitung der hergestellten Aufnahmen und Vervielfältigungsexemplare räumen sich die Verwertungsgesellschaften dagegen ________ 459 460 461 462 463
464
Vgl. Music & Copyright, 27. April 2005, S. 1; Music & Copyright, 26. Mai 2004, S. 1. Liholm, E.I.P.R. 2002, 112, 115. Art. I Abs. 1 BIEM-Standardvertrag. Art. I Abs. 2 BIEM-Standardvertrag. Art. I Abs. 2 BIEM-Standardvertrag: „Die Wahrnehmung (. . .) hat die Aufnahme und die mechanische Vervielfältigung der Werke des Repertoires der anderen Gesellschaft in dem entsprechenden Verwertungsgebiet der vertragsschließenden Gesellschaft (. . .) zum Gegenstand.“ Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 56 f.
119
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
territorial unbeschränkt ein. Die beauftragte Verwertungsgesellschaft wird im Gegenseitigkeitsvertrag ermächtigt, den Verwertern das weltweite Verbreitungsrecht zu erteilen.465 Die Verwertungsgesellschaften können somit die Verbreitung ordnungsgemäß hergestellter Tonträger mit dem Weltrepertoire in der ganzen Welt erlauben.466 3.
Verteilungsregeln
Die Verteilung der auf Grundlage der BIEM-Gegenseitigkeitsverträge erzielten Einnahmen folgt ähnlichen Grundsätzen wie im CISAC-System. Die abrechnende Gesellschaft verteilt die Einnahmen aus dem ausländischen Repertoire an die entsprechenden Verwertungsgesellschaften im Ausland. Diese schütten die Beträge an ihre Mitglieder aus. Dabei gilt das Prinzip der Gleichbehandlung. Die Verwertungsgesellschaften müssen bei der Verteilung der Einnahmen aus dem in- und ausländischen Repertoire die gleichen Methoden anzuwenden.467 Ebenso wie im System der CISAC-Gegenseitigkeitsverträge nimmt die abrechnende Verwertungsgesellschaft vor der Verteilung ihrer Einnahmen an die ausländische Verwertungsgesellschaft einen Verwaltungskostenabzug als Ersatz für ihre Aufwendungen vor. Der genaue Prozentsatz wird in den Gegenseitigkeitsverträgen allerdings festgeschrieben.468 In diesem Punkt unterscheiden sich die BIEM-Gegenseitigkeitsverträge von den CISAC-Verträgen, in denen der Verwaltungskostensatz nicht starr definiert, sondern flexibel auf das Erforderliche beschränkt wird.469 Für die Lizenzierung von Industrietonträgern berechnen diejenigen europäischen BIEM-Verwertungsgesellschaften, die Vertragsparteien des sog. Cannes-Agreement sind,470 derzeit eine Kommission von 7%.471 ________ 465
466 467 468 469 470 471
120
Art. I Abs. 2 BIEM-Standardvertrag: „Die Wahrnehmung (. . .) hat (. . .) die Verbreitung der so hergestellten Aufnahmen und Vervielfältigungsexemplare, gleichgültig in welcher Form und an welchem Ort, zum Gegenstand.“ Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 56 f., 66. Vgl. Art. IV und VI BIEM-Standardvertrag. Art. VII Abs. 1 BIEM-Standardvertrag. Siehe oben 3. Kapitel, C.I.3. Dazu näher unten 3. Kapitel, D.II.2.d. Karbaum/Oeller, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 720, 736 f.
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften Die territorialen Beschränkungen in den Gegenseitigkeitsverträgen wirken sich darauf aus, ob zwischen den Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft ein Wettbewerb um Verwerter möglich ist. Dabei muss zwischen dem CISAC-System und dem Bereich der Tonträgerlizenzierung unterschieden werden.
I.
Lizenzierung der öffentlichen Wiedergabe musikalischer Werke
Wie erläutert, ist die Rechteeinräumung in den CISAC-Gegenseitigkeitsverträgen territorial auf das Verwaltungsgebiet der lizenznehmenden Verwertungsgesellschaft beschränkt.472 Die Verwerter können die Nutzungsrechte für das Weltrepertoire ausschließlich von der Verwertungsgesellschaft erhalten, in deren Verwaltungsgebiet sie tätig sind. Allein diese Verwertungsgesellschaft ist in der Lage, ihnen eine Lizenz für das Weltrepertoire zu erteilen. Etwas anderes gilt für die nationalen Repertoires der Verwertungsgesellschaften. Ursprünglich enthielten die CISAC-Gegenseitigkeitsverträge zwar eine Ausschließlichkeitsregelung: Die Verwertungsgesellschaften ermächtigten sich gegenseitig exklusiv zur Wahrnehmung ihrer Rechte auf einem Territorium. Nach Intervention der Kommission im Jahr 1971 mussten die Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft diese Praxis aber ändern.473 Seitdem ist in den Gegenseitigkeitsverträgen vorgesehen, dass die Rechteeinräumung nicht-ausschließlich erfolgt.474 Das hat die von der Kommission beabsichtigte Folge, dass die Verwertungsgesellschaften nach Abschluss eines Gegenseitigkeitsvertrags die Rechtsmacht behalten, ihre nationalen Repertoires im Ausland selbst wahrzunehmen. Dadurch werden grenzüberschreitende Lizenzvereinbarungen über das nationale Repertoire einer Verwertungsgesellschaft möglich (sog. Direktlizenzierung). ________ 472 473 474
Siehe oben 3. Kapitel, C.I.2. Siehe Kommission, I. Wettbewerbsbericht 1972, S. 84 Fn. 1; Ruete, Copyright, „geistiges Eigentum“ und britische Verwertungsgesellschaften, S. 170 f. Vgl. Art. 1 Abs. 1 CISAC-Standardvertrag.
121
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Dennoch hat sich in der Gemeinschaft keine Praxis einer Direktlizenzierung entwickelt.475 Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen besteht an den Rechten für die isolierten nationalen Repertoires der Verwertungsgesellschaften eine eher geringe Marktnachfrage. Die Verwerter sind regelmäßig am Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik interessiert, um einen umfassenden Zugriff auf nahezu alle musikalischen Werke zu erhalten. Wegen der territorialen Beschränkungen in den Gegenseitigkeitsverträgen ist in einem Territorium aber nur jeweils eine einzige Verwertungsgesellschaft zur Erteilung von Lizenzen über das Weltrepertoire in der Lage. An diese Verwertungsgesellschaft halten sich die Verwerter. Zum anderen ist zu beobachten, dass die Verwertungsgesellschaften den daran interessierten ausländischen Verwertern den Zugang zum nationalen Repertoire verweigern. Sie treten ausschließlich mit den Verwertern in vertragliche Beziehungen, die innerhalb ihrer Verwaltungsgebiete tätig sind. Auf diese Weise sichern sich die Verwertungsgesellschaften die Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle ihrer Lizenznehmer und den einfacheren Zugriff auf das Vermögen der Verwerter.476 Der Gerichtshof hat dieses Verhalten der Verwertungsgesellschaften in seinem Tournier-Urteil im Grundsatz als wettbewerbsrechtlich zulässig beurteilt (dazu näher unten 3. Kapitel, E.II.2.b)). Dennoch kann festgestellt werden, dass die Verwertungsgesellschaften durch die Verweigerung von Direktlizenzen und den Abschluss territorial beschränkter Gegenseitigkeitsverträge erreichen, dass sie in ihren Verwaltungsgebieten über Monopole verfügen. Ein Wettbewerb um Verwerter ist im Anwendungsbereich der CISAC-Gegenseitigkeitsverträge ausgeschlossen.477
II.
Besonderheiten bei der Tonträgerlizenzierung
Die der Tonträgerlizenzierung zugrunde liegenden BIEM-Gegenseitigkeitsverträge sehen vor, dass sich die Verwertungsgesellschaften die terri________ 475 476 477
122
Vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 61 ff. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 175 f. Vgl. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 352.
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
torial beschränkten Vervielfältigungsrechte und die territorial unbeschränkten Verbreitungsrechte einräumen.478 Das hat zur Folge, dass Tonträgerhersteller die Vervielfältigungsrechte für das Weltrepertoire nur von der Verwertungsgesellschaft erhalten können, in deren Verwaltungsgebiet sie die Tonträger vervielfältigen wollen. Die Tonträger können dann allerdings in der ganzen Welt verbreitet werden. Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte werden in der Praxis allerdings nur zusammen erteilt. Die BIEM-Gegenseitigkeitsverträge haben deshalb einen ähnlichen marktaufteilenden Effekt wie die CISAC-Verträge. Jedem Tonträgerhersteller in der Gemeinschaft ist die Verwertungsgesellschaft zugeordnet, in deren Verwaltungsgebiet er tätig ist, d. h. seine Tonträger herstellt und vervielfältigt. Von dieser starren Zuordnung lässt das BIEM-System für den Binnenmarkt eine wichtige Ausnahmen zu: Den Tonträgerherstellern ist unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, auf Grundlage einer inländischen Vervielfältigungslizenz Tonträger im Ausland vervielfältigen zu lassen (sog. Lohn- und Konzernpressung). Aufbauend auf dieser Konzeption schließen einige Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft mit den großen multinationalen Tonträgerherstellern sog. Zentrallizenzverträge mit Wirkung für den gesamten europäischen Raum. Dies hat zu einem Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft um Tonträgerhersteller geführt. Die Lohn- und Konzernpressung sowie das System der Zentrallizenzierung werden daher im Folgenden näher erläutert. 1.
Lohn- und Konzernpressungen
Die im BIEM-Standardvertrag vorgesehene Aufteilung der Verwaltungsgebiete der Verwertungsgesellschaften beruht auf der mittlerweile überholten Vorstellung, dass Tonträgerhersteller ihre Tonträger in eigenen Presswerken produzieren, die sich in dem Land ihrer Niederlassung befinden. Heutzutage betreiben die meisten Tonträgerunternehmen keine eigenen Presswerke, sondern beauftragen entweder unabhängige dritte Unternehmen oder eigene Konzernunternehmen mit der Herstellung der Tonträger. Die Fertigungsstätten befinden sich dabei oftmals im
________ 478
Siehe oben 3. Kapitel, C.II.2.
123
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Ausland.479 Bei einer wörtlichen Auslegung der BIEM-Gegenseitigkeitsverträge hätte das zur Folge, dass sowohl der auftraggebende Tonträgerhersteller (als Veranlasser der Vervielfältigung) als auch das Pressunternehmen (als unmittelbar Handelnder) einer Vervielfältigungslizenz bedürften, für die zwei verschiedene Verwertungsgesellschaften zuständig wären. Der dadurch drohende administrative Mehraufwand wird mit dem System der Lohn- und Konzernpressung („custom pressing“) vermieden. Die Konzeption besteht darin, dass die Pressung von Tonträgern allein dem auftraggebenden Tonträgerhersteller zugerechnet wird.480 Von Lohnpressung spricht man, wenn das andere Unternehmen ein unabhängiges Fertigungswerk ist, und von Konzernpressung, wenn das Fertigungsunternehmen dem Konzern des Auftraggebers zugehört. Die Zurechnung bewirkt, dass nur das die Pressung in Auftrag gebende Tonträgerunternehmen einer Vervielfältigungslizenz bedarf. Das Fertigungsunternehmen benötigt keine Lizenz, muss aber spezielle Informationspflichten gegenüber der in seinem Gebiet zuständigen Verwertungsgesellschaft erfüllen.481 Schuldner der Lizenzgebühr ist allein das auftraggebende Tonträgerunternehmen.482 Für die Erteilung der Vervielfältigungslizenz ist die Verwertungsgesellschaft zuständig, in deren Verwaltungsgebiet das auftraggebende Tonträgerunternehmen seinen Sitz hat.483 Dadurch wird gewährleistet, dass die lizenzgebende Verwertungsgesellschaft Zugriff auf das Vermögen des Unternehmens hat, das für die Tonträgerherstellung wirtschaftlich und organisatorisch verantwortlich ist und in dem sich die Gewinne aus dem Tonträgervertrieb niederschlagen.484 Die Verwertungsgesellschaft, in de-
________ 479 480 481 482 483 484
124
Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 57, 79. Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 107. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 77. Best, in: Lester (Hrsg.), Mechanical Rights, S. 27, 32. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 57. Die Zuständigkeitsverteilung folgt damit der für die Leistungsschutzrechte der §§ 85 f. UrhG geltenden Definition des Tonträgerherstellers; vgl. Block,
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
ren Gebiet das Fertigungsunternehmen tätig ist, beschränkt sich dagegen auf die Kontrolle, ob sich das Fertigungsunternehmen im Rahmen seines Auftrags hält und das auftraggebende Unternehmen über eine ordnungsgemäße Lizenz der in seinem Niederlassungsland tätigen Verwertungsgesellschaft verfügt. Für diese Tätigkeit kann die ausländische Verwertungsgesellschaft von der lizenzerteilenden Gesellschaft eine Aufwandsentschädigung verlangen. Dieser Anspruch ist in Zusatzverträgen zu den BIEM-Gegenseitigkeitsverträgen geregelt.485 2.
Europäische Zentrallizenzierung
Die europäische Zentrallizenzierung stellt eine Fortentwicklung der Lohn- und Konzernpressung für die multinationalen Tonträgerkonzerne dar. Die Lizenzen berechtigten zur Herstellung und zum Vertrieb von Tonträgern mit Werken aus dem Weltrepertoire in allen Ländern der Gemeinschaft. a)
Entwicklung der Zentrallizenzierung
Das System der Zentrallizenzierung wird seit Ende der achtziger Jahre praktiziert.486 Zu dieser Zeit setzte in der Gemeinschaft die Europäisierung des Tonträgervertriebs an. Gestärkt durch den Erfolg der neuen Compact Disc begannen die Tonträgerunternehmen mit der europaweiten Vermarktung ihrer Tonträger.487 Die nationalen Grenzen der Tonträgermärkte wurden durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur gemeinschaftsweiten Erschöpfung der Verbreitungsrechte weiter abgebaut.488 Die Verwertungsgesellschaften und die IFPI befanden sich in schwierigen Verhandlungen über eine Verlängerung des 1981 ausgelau________ 485
486 487 488
Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 57. In der Praxis scheint die gegenseitige Abrechnung von Entschädigungsansprüchen allerdings nicht einwandfrei zu funktionieren; vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 78. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 82 ff. Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 106. Siehe oben 1. Kapitel, C.III.
125
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
fenen BIEM/IFPI-Normalvertrags.489 Diese Situation nutzte die Kommission, um die Verwertungsgesellschaften dazu zu drängen, den Tonträgervertrieb in der Gemeinschaft durch die Gewährung länderübergreifender Lizenzen zu erleichtern. Infolge dieser Entwicklung schloss die niederländische Verwertungsgesellschaft Stemra 1983 einen ersten Zentrallizenzvertrag mit dem (später von Sony übernommenen) Tonträgerherstellerunternehmen CBS.490 1987 folgte ein Zentrallizenzvertrag mit Polygram (heute Universal Music Group).491 Die relativ kleine Verwertungsgesellschaft rechnete damit die gemeinschaftsweiten Tonträgerverkäufe zweier großer Tonträgerhersteller ab. Das provozierte den Widerstand der anderen Verwertungsgesellschaften. Die GEMA kündigte ihren Gegenseitigkeitsvertrag mit der Stemra fristlos. Unter dem Druck der Kommission gab die GEMA ihre ablehnende Haltung jedoch bald auf. Wenig später schloss sie selbst zwei Zentrallizenzverträge, nämlich mit der Bertelsmann Music Group sowie WEA (heute Warner Music Group).492 Die BIEM-Verwertungsgesellschaften erkannten die Möglichkeit der Zentrallizenzierung offiziell an.493 In den folgenden Jahren schloss dann jedes der großen Tonträgerunternehmen einen Zentrallizenzvertrag mit einer europäischen Verwertungsgesellschaft.494 b)
Vorteile der Zentrallizenzierung
In territorialer Hinsicht stellen Zentrallizenzen keine Besonderheit dar. Wie erläutert, ist es auf Grundlage des Systems der Konzernpressung zu________ 489 490
491 492 493 494
126
Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 100. Vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 82; Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 103. Vgl. Steinmetz, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 64, 66. Zum Ganzen Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 103 ff. Steinmetz, in: Peeperkorn/van Rij /Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 64, 66. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 82 f.
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
lässig, dass ein Konzern mit einer Vervielfältigungslizenz Tonträger im Ausland herstellen lässt. In den BIEM-Gegenseitigkeitsverträgen ermächtigen sich die Verwertungsgesellschaften ferner zur Erteilung weltweiter Verbreitungsrechte. Mit der Zentrallizenzierung machen die Verwertungsgesellschaften von den sich hieraus ergebenden Möglichkeiten Gebrauch, wenn sie den Tonträgerkonzernen Lizenzen zur gemeinschaftsweiten Vervielfältigung und weltweiten Verbreitung von Tonträgern erteilen.495 Der eigentliche Zweck der Zentrallizenzierung liegt in der Erzielung von Rationalisierungseffekten. Durch die zentrale Erfassung und Abrechnung aller Tonträger eines Konzerns durch eine Verwertungsgesellschaft können Kosten gespart werden.496 Für die Tonträgerhersteller hat die Zentrallizenzierung darüber hinaus den Vorteil, dass die Lizenzgebühren erst fällig werden, wenn die Tonträger an einen Dritten außerhalb des Konzerns veräußert werden – Lagerausgänge sind nicht gebührenpflichtig. Die Tonträgerhersteller können somit freier über ihre Tonträger disponieren.497 Im Gegenzug verpflichten sich die Konzerne in den Zentrallizenzverträgen zu einer häufigeren, in der Regel dreimonatigen Abrechnung der Tonträgerverkäufe. Im BIEM/IFPI-Normalvertrag ist nur eine sechsmonatige Abrechnungsperiode vorgesehen.498 Den Verwertungsgesellschaften wird dadurch eine bessere Datenerfassung ermöglicht. Die Rechteinhaber kommen schneller an ihr Geld.499
________ 495 496
497
498 499
Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 85. Schulze, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift Mestmäcker, S. 461, 465; Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 214. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 83, 85 f.; Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 107. Thurow, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 95, 107. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 85.
127
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Die Verteilung der Lizenzeinnahmen unter den Verwertungsgesellschaften folgt ebenfalls besonderen Regeln.500 Hier gibt es maßgebliche Abweichungen von der herkömmlichen Tonträgerlizenzierung. Wie erörtert, sehen die BIEM-Gegenseitigkeitsverträge vor, dass die Verwertungsgesellschaften die Lizenzgebühren gegenüber den Tonträgerherstellern abrechnen und die Einnahmen anschließend unter ihren Mitgliedern sowie den ausländischen Verwertungsgesellschaften verteilen.501 Bei den Zentrallizenzverträgen erfolgt eine Aufspaltung der Zuständigkeiten für das Inkasso und für die Verteilung:502 Die Verwertungsgesellschaften, die einen Zentrallizenzvertrag verwalten, sind nicht in der Lage, die umfangreichen Einnahmen aus der Nutzung des ausländischen Repertoires zuverlässig zu verteilen.503 Aus diesem Grund sind sie nur für das Inkasso der Einnahmen verantwortlich. Die Einnahmen überweisen sie an die jeweiligen ausländischen Verwertungsgesellschaften, in deren Verwaltungsgebieten die Tonträger verkauft wurden. Erst diese Gesellschaften verteilen die Einnahmen unter ihren Mitgliedern und den Verwertungsgesellschaften, aus deren Repertoires die Werke stammen. Es kann deshalb auch zu Rücküberweisungen von Beträgen an die zentrallizenzierende Verwertungsgesellschaft kommen. Die Aufgabenteilung wirkt sich auf die Zusammensetzung, nicht aber auf die Höhe des Verwaltungskostenabzugs aus, mit dem die Lizenzeinnahmen vor Ausschüttung an die Rechteinhaber belastet werden. Der Höhe nach entspricht der bei der Zentrallizenzierung erhobene Kostenanteil dem Prozentsatz, den die BIEM-Verwertungsgesellschaften bei der herkömmlichen Tonträgerlizenzierung einheitlich erheben.504 Den sich daraus ergebenden Betrag teilen die Verwertungsgesellschaften unter sich auf. Einen Anteil erhält die zentrallizenzierende Verwertungsgesellschaft für ihren Verwaltungsaufwand bei der Erteilung und Verwaltung der Zentrallizenz sowie dem Inkasso. Der übrige Teil fließt den Verwer________ 500
501 502 503 504
128
Dazu ausführlich Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 84 f. Siehe oben 3. Kapitel, C.II.3. Vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 84. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 84, 88. Dazu oben 3. Kapitel, C.II.3.
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
tungsgesellschaften zu, die für die Verteilung der Einnahmen zuständig sind. In der Summe entsprechen beide Verwaltungskostenabzüge dem Satz, mit dem das Gebührenaufkommen bei der herkömmlichen Tonträgerlizenzierung belastet wird.505 c)
Ausprägung des Wettbewerbs
Das System der Zentrallizenzierung von Tonträgern ermöglicht einen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft. Die Tonträgerunternehmen, die hier als Lizenznehmer in Betracht kommen, verfügen über europaweite Geschäftsstrukturen. In den einzelnen Mitgliedstaaten operieren sie über nationale Konzernunternehmen. Im Grundsatz steht es ihnen daher frei, entweder über das Mutterunternehmen oder über eines ihrer leistungsfähigen Tochterunternehmen mit jeder Verwertungsgesellschaft über den Abschluss eines Zentrallizenzvertrags zu verhandeln, die zur Durchführung eines solchen Vertrags in der Lage ist.506 Die Verwertungsgesellschaften haben am Abschluss von Zentrallizenzverträgen ein erhebliches Interesse, weil die Verwaltung dieser ertragreichen Verträge zu einer Auslastung ihrer Kapazitäten und einer Reduzierung ihrer Verwaltungskosten führen kann.507 Dementsprechend stehen die Verwertungsgesellschaften im Wettbewerb um die Tonträgerkonzerne. Dieser Wettbewerb hat folgende Ausprägungen: Alle Verwertungsgesellschaften bieten den Tonträgerherstellern das gleiche „Produkt“, nämlich die mechanischen Rechte für das Weltrepertoire an. Den Zentrallizenzverträgen liegen auch weitgehend die gleichen Gebührensätze, nämlich die im BIEM/IFPI-Normalvertrag auf europäischer Ebene ausgehandelten Lizenzgebühren zugrunde.508 Ein Produktwettbewerb um das Repertoire und ein Preiswettbewerb um die Lizenzgebühren zwischen den ________ 505
506 507
508
Siehe im Einzelnen Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 84. Schulze, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), FS Mestmäcker, S. 461, 465. So konnte die belgische SABAM nach dem Abschluss eines Zentrallizenzvertrags mit Universal Music International im Jahr 2004 ihren Verwaltungskostensatz von 18,6% auf 15,4% senken, siehe Music & Copyright, 1. Februar 2006, S. 8, 10. Siehe oben 3. Kapitel, C.II.
129
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Verwertungsgesellschaften ist dadurch ausgeschlossen. Die Verwertungsgesellschaften können aber die Kosteneinsparungen, die sie durch die Zentrallizenzen erreichen, an die Tonträgerhersteller in Form von Rabatten weitergeben.509 Diese Rabatte bilden den bestimmenden Faktor im Wettbewerb um die Tonträgerhersteller.510 d)
Konfliktpotential des Wettbewerbs
Der Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften hat in der Vergangenheit wiederholt zu Friktionen geführt. Hintergrund der Konflikte ist, dass sowohl die Musikverlage als auch die Tonträgerunternehmen von den Kosteneinsparungen der Verwertungsgesellschaften profitieren wollen. Im Jahr 1996 schloss die MCPS mit dem vertikal integrierten PolygramMusikkonzern einen Zentrallizenzvertrag, der eine direkte Ausschüttung der Gebühreneinnahmen der MCPS aus den Tonträgerverkäufen der Polygram Records an den konzerneigenen Musikverlag Polygram Music vorsah (sog. „direct accounting“).511 Die bis dahin übliche Aufteilung der Inkasso- und Verteilungsaufgaben zwischen den Verwertungsgesellschaften512 wurde von Polygram Music, wie auch von anderen Musikverlagen, als zu umständlich angesehen. Die übrigen Verwertungsgesellschaften lehnten das einseitige Vorgehen der MCPS jedoch ab. Ihnen wurde durch die zentrale Abrechnung die Möglichkeit abgeschnitten, eigene Verwaltungskosten vom Aufkommen der MCPS abzuziehen. Sie wandten ein, dass ihre Wahrnehmungsleistungen, insbesondere die Kontrolle von Tonträgerverkäufen in ihren Verwaltungsgebieten, entschädigungslos blieben, wenn nur noch die MCPS Verwaltungskosten erheben könne. Die zentrale Abrechnung ginge vor allem zu Lasten derjenigen Verwertungsgesellschaften, die nicht über die nötigen Kapazitäten ________ 509 510 511
512
130
Schulze, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), FS Mestmäcker, S. 461, 465. Vgl. Music & Copyright, 28. April 2004, S. 1 ff; Music & Copyright, 12. Mai 2004, S. 1. Vgl. Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 347 f.; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 88 f.; Rigg, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 18, 27; Kreile, in: Musikhandel 1997, 294 ff. Siehe oben 3. Kapitel, D.II.2.b).
D. Möglicher Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften
verfügten, um eigene Zentrallizenzverträge zu verwalten.513 Außerdem sei die MPCS nicht in der Lage, den mit einer zentralen Abrechnung verbundenen Verwaltungsaufwand zu bewältigen.514 Den Konflikt um den MCPS/Polygram-Zentrallizenzvertrag legten die Verwertungsgesellschaften und die Musikverlage 1997 mit dem sog. Cannes-Agreement vorläufig bei.515 Die Verlage ließen die Forderung nach einer zentralen Abrechnung fallen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Verwertungsgesellschaften zu mehr Transparenz bei der Abrechnung ihrer Einnahmen und einer effizienteren Rechteverwaltung. Insbesondere wurde vereinbart, dass die Verwertungsgesellschaften den seinerzeit üblichen Verwaltungskostensatz von 8% stufenweise auf höchstens 6% senken würden.516 Die Verlage verstärkten in der Folgezeit ihre Forderung nach einer Reduzierung der Verwaltungsgebühren der Verwertungsgesellschaften. Die vereinbarten Höchstwerte werden von den Verwertungsgesellschaften regelmäßig ausgeschöpft.517 Im Cannes Extension Agreement, das 2003 an die Stelle des im Juni 2002 ausgelaufenen Cannes Agreement trat, setzten die Verlage durch, dass die Verwertungsgesellschaften den Tonträgerherstellern ohne Absprache mit den Rechteinhabern keine Preisnachlässe gewähren sollten.518 Die Verlage wollten an den Kosteneinsparungen der Verwertungsgesellschaften, mit denen solche Preisnachlässe im Wesentlichen finanziert werden, stärker beteiligt werden. Dementsprechend weigerte sich die MCPS im Zuge der 2004 geführten Verhandlungen über eine Verlängerung ihres Zentrallizenzvertrags mit Universal Music International (UMI), dem Tonträgerunternehmen weiterhin einen ________ 513 514
515
516 517 518
Vgl. Music & Copyright, 28. April 2004, S. 1 ff. Vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 88; Kreile, in: Musikhandel 1997, 294, 295. Dazu Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 348; Rigg, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 18, 27; Gervais, in: Graber u. a. (Hrsg.), Digital Rights Management: The End of Collecting Societies?, S. 27, 54 f.; Music & Copyright, 28. April 2004, S. 1; Music Week, 29. Mai 2004, S. 9. Kreile, Musikhandel 1997, 294, 294 f. Vgl. Music & Copyright, 28. April 2004, S. 1. Vgl. Kommission, Anmeldung der Cannes-Verlängerungsvereinbarung, ABl. Nr. C 282 vom 25. 11. 2003, S. 14, Zf. 6; Music & Copyright, 28. April 2004, S. 1.
131
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Rabatt zu gewähren. UMI wechselte daraufhin zur belgischen Verwertungsgesellschaft SABAM.519 Zudem strengte UMI gegen die Vertragsparteien des Cannes Extension Agreement ein Kartellverfahren vor der Kommission an.520 Die Kommission erwirkte daraufhin, dass die Verwertungsgesellschaften das Verbot eigenmächtiger Preisnachlässe im Wege einer Verpflichtungszusage zurücknahmen.521 Die Konflikte um die Zentrallizenzierung verdeutlichen das Spannungsverhältnis, in dem sich die Verwertungsgesellschaften im Wettbewerb bewegen. Ihr Eigeninteresse am Abschluss von Zentrallizenzverträgen führt sie in einen Konditionenwettbewerb, von dem in erster Linie die Tonträgerhersteller profitieren. Die Rechteinhaber können dem durch ihre mitgliedschaftlichen Möglichkeiten der Einflussnahme entgegensteuern und darauf hinwirken, dass die Verwertungsgesellschaften Kosteneinsparungen nutzen, um ihre Verwaltungsgebühren zu senken.
III. Fazit Im Bereich der europäischen Zentrallizenzierung von Tonträgern gibt es einen Konditionenwettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft um Tonträgerhersteller. Insgesamt betrachtet ist der Wettbewerb aber die Ausnahme. Die Verwertungsgesellschaften operieren weitgehend als Monopole. Für die Erteilung von Lizenzen am Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik ist in den Mitgliedstaaten regelmäßig jeweils nur eine Verwertungsgesellschaft zuständig.
________ 519 520 521
132
Music & Copyright, 11. Oktober 2006, S. 5; Music & Copyright, 12. Mai 2004, S. 1, 12; Music Week, 29. Mai 2004, S. 9. Music & Copyright, 12. Mai 2004, S. 1, 12; Music & Copyright, 28. April 2004, S. 1. Bekanntmachung der Kommission gemäß Artikel 27 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in der Sache COMP/C.2/38.681 – Universal International Music BV/MCPS und andere (Verlängerung des CannesAgreements) (2006/C 122/02), ABl. Nr. C 122 vom 23. 5. 2006, S. 2 f.; Presseerklärung der Kommission vom 4. Oktober 2006, IP/06/1311; Music & Copyright, 11. Oktober 2006, S. 5.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
E.
Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht Im Folgenden wird untersucht, wie die Gegenseitigkeitsverträge am Maßstab des EG-Wettbewerbsrecht zu beurteilen sind. Im Vordergrund steht dabei die Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs, der in seinem Tournier-Urteil zur Zulässigkeit der oben beschriebenen CISACGegenseitigkeitsverträge Stellung genommen hat. Die Implikationen, die sich daraus für die Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich ergeben, werden anschließend im 4. Kapitel erörtert.
I.
Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 EG
Art. 81 Abs. 1 EG verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezwecken oder bewirken. Durch das Merkmal der Eignung der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels (Zwischenstaatlichkeitsklausel) wird der Anwendungsbereich des gemeinschaftlichen von dem des mitgliedstaatlichen Wettbewerbsrechts abgegrenzt. Der Gerichtshof und die Kommission legen es weit aus.522 Der erforderliche Zwischenstaatlichkeitsbezug ist gegeben, wenn sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann.523 An den Gegenseitigkeitsverträgen sind Verwertungsgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt. Sie betreffen einen grenzüberschreitenden Vorgang, nämlich die Wahrnehmung von Urhe________ 522 523
Vgl. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/ Teil 1, S. 225, Rn. 264. EuGH Rs. 56/65, Slg. 1966, S. 281, 303 – Société technique minière/Maschinenbau Ulm; Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags (2004/C 101/07), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 81, 83 Rn. 23.
133
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
berrechten im Ausland. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel ist damit erfüllt.524 Die Gegenseitigkeitsverträge sind Vereinbarungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG. Sie verstoßen gegen das Kartellverbot, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Beeinträchtigung des Wettbewerbs herbeiführen. Diese Merkmale werden unter dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zusammengefasst.525 Für den Begriff des Wettbewerbs gibt es allerdings keine eindeutige Definition.526 Im Kern schützt das Wettbewerbsrecht die wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Unternehmen vor Einschränkungen.527 Jedes Unternehmen soll, so der Gerichtshof, selbständig bestimmen, welche Politik es auf dem Markt betreiben will (Selbständigkeitspostulat).528 Unternehmen dürfen nicht eine bewusste praktische Zusammenarbeit an Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lassen.529 Als Beispiele für eine Wettbewerbsbeschränkung nennt Art. 81 Abs. 1 EG unter anderem die Festsetzung von Preises oder sonstigen Geschäftsbedingungen, die Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes und die Aufteilung der Märkte. Art. 81 Abs. 1 EG erfasst dabei nicht nur Wettbewerbsbeschränkungen, die Gegenstand oder Zweck der Unternehmensabsprache sind. Es genügt, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt wird, d. h. sich als Folge aus der Vereinbarung ergibt. Das Vorliegen einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung wird im Wege eines Vergleichs mit den hypothetischen Wettbewerbsverhältnissen festgestellt, wie sie ohne das fragliche Verhalten bestünden.530 ________ 524
525 526 527 528 529 530
134
Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 80; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 151. Siehe Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/ Teil 1, S. 178, Rn. 131. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 262. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 1, S. 183, Rn. 146. EuGH Rs. C-49/92, Slg. 1999, S. I–4163, 4202 Rn.116 – Kommission gegen Anic Partecipazioni. Vgl. Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 72 f. Vgl. Bunte, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Generelle Prinzipien Rn. 100.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
II.
Das Tournier-Urteil des Gerichtshofs
Die Frage, ob die Gegenseitigkeitsverträge den Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften beschränken und gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen, hat der Gerichtshof in seinem Tournier-Urteil aus dem Jahr 1989 beantwortet.531 Das Urteil ist eine seiner wichtigsten Entscheidungen im Bereich der internationalen Urheberrechtslizenzierung. 1.
Sachverhalt
Das Tournier-Urteil erging im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 EG. Die Vorlagefragen entstanden in einem französischen Strafverfahren gegen den damaligen Generaldirektor der französischen Verwertungsgesellschaft SACEM, Jean-Louis Tournier. Hintergrund des Ausgangsverfahrens war ein seit mehreren Jahren schwelender Streit zwischen Diskothekenbetreibern in Frankreich und der SACEM. Streitig waren die Lizenzbedingungen, zu denen die SACEM den Diskotheken die Wiedergabe musikalischer Werke durch das Abspielen von Tonträgern gestattete.532 Das vorlegende französische Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob der SACEM bzw. ihrem Generaldirektor unlautere, das französische Wettbewerbs- und Strafrecht verletzende Geschäftspraktiken vorzuwerfen waren. Die Diskothekenbetreiber waren der Auffassung, die SACEM nutze ihre marktbeherrschende Stellung in Frankreich aus, um willkürliche Lizenzbedingungen durchzusetzen. Die SACEM verlange weitaus höhere Lizenzgebühren als die Verwertungsgesellschaften in den anderen Mitgliedstaaten. Außerdem lehne sie es ab, isolierte Lizenzen über die Teile des Weltrepertoires zu erteilen, die von den Diskotheken besonders häufig gespielt würden – Tanzmusik aus dem anglo-amerikanischen Repertoire. Die Diskothekenbetreiber führten das Verhalten der SACEM unter anderem auf ihre Gegenseitigkeitsverträge zurück, die ihr in Frankreich ein faktisches Monopol über die Repertoires der ausländischen Verwertungsgesellschaften sicherten. Die ausländischen Verwertungsgesell________ 531
532
EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2572 ff.; insoweit wortgleich die Entscheidung des Gerichtshofs im Parallelverfahren verb. Rs. 110/88, 241/88 und 242/88, Slg. 1989, S. 2823, 2827 ff. – Lucazeau u. a. gegen SACEM. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs, Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2536, 2539 f.
135
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
schaften wiederum weigerten sich, so der Vorwurf der Diskothekenbetreiber, grenzüberschreitende Lizenzverträge über die Nutzung ihrer eigenen Bestände in Frankreich zu schließen. Deshalb bestehe keine Möglichkeit, die Rechte für die ausländischen Repertoires direkt von den betreffenden Verwertungsgesellschaften zu erhalten. 2.
Inhalt und Begründung des Urteils
Die Beschwerden der Diskotheken betreffen drei verschiedene Komplexe, die im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind: Die Praxis der Verwertungsgesellschaften, Blankettlizenzen zu erteilen, die Höhe des SACEM-Tarifs und das Netz der Gegenseitigkeitsverträge. Der Gerichtshof beurteilte diese Fragen am Maßstab des Wettbewerbsrechts wie folgt. a)
Blankettlizenzierung und Höhe des SACEM-Tarifs
Wie erläutert, dient die Erteilung von Blankettlizenzen der Kostenreduzierung. Die Verwertungsgesellschaften müssen nicht überprüfen, ob die Musikverwerter Werke nutzen, die von ihren Lizenzen nicht umfasst sind.533 Der Gerichtshof erkannte diese Funktion der Blankettlizenzierung an. Die Praxis der Blankettlizenzierung verstoße nur dann gegen Art. 81 Abs. 1 EG, wenn die Interessen der Rechteinhaber auch bei einer Vergabe von Teillizenzen voll gewahrt werden könnten, „ohne dass sich deswegen die für die Verwaltung der Verträge und die Überwachung der Nutzung der geschützten Musikwerke entstehenden Kosten erhöhten.“534 Die Entscheidung wird allgemein als wettbewerbsrechtliche Billigung der Blankettlizenz durch den Gerichtshof verstanden.535 Die Höhe des SACEM-Tarifs überprüfte der Gerichtshof am Maßstab des Missbrauchsverbots. Art. 82 Uabs. 2 lit. a) EG verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch Erzwingung ________ 533 534 535
136
Siehe oben 2. Kapitel, A.III.3. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2576. So Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 149; Goldmann, Die kollektive Wahrnehmung musikalischer Rechte in den USA und Deutschland, S. 240 f.; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 185 f.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
unangemessener Preise und Geschäftsbedingungen. Ein Preis gilt als unangemessen, wenn er zum wirtschaftlichen Wert der Ware oder Dienstleistung in einem Missverhältnis steht. Die Ermittlung einer solchen Diskrepanz ist allgemein schwierig.536 Besondere Probleme wirft die Preismissbrauchskontrolle aber im urheberrechtlichen Bereich auf. Ein Vergleich zwischen den Herstellungskosten und dem Preis scheidet hier als Methode von vornherein aus, weil die Kosten für die Schöpfung urheberrechtlich geschützter Werke regelmäßig nicht quantifizierbar sind.537 Anstatt eines Preis-/Kostenvergleichs griff der Gerichtshof deshalb auf das Konzept des räumlichen Vergleichmarkts zurück. Diese Methode besteht darin, den Preis für die gleichen Waren und Dienstleistungen auf einem anderen geographischen Markt zu ermitteln, auf dem der Wettbewerb funktioniert, und ihn mit dem Preis zu vergleichen, den das betreffende Unternehmen in seinem Markt verlangt.538 Die Kommission war in einer Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass die SACEMTarife weit über dem Durchschnitt der von den übrigen europäischen Verwertungsgesellschaften geforderten Tarife lagen.539 Hierin sah der Gerichtshof im Sinne einer Beweislastumkehr540 ein Indiz für ein missbräuchliches Verhalten. Es obliege der SACEM, die sich aus dem Vergleich mit den ausländischen Verwertungsgesellschaften ergebende Gebührendifferenz unter Hinweis auf objektive Unterschiede zwischen den Wahrnehmungsbedingungen in den betreffenden Mitgliedstaaten zu rechtfertigen. Die SACEM versuchte in diesem Zusammenhang, ihren Tarif mit dem angeblich hohen Urheberschutzniveau in Frankreich und den hohen Eintrittspreisen französischer Diskotheken zu rechtfertigen. Außerdem berief sie sich auf den Wunsch ihrer Mitglieder, ein besonders umfassendes Kontrollsystem zu betreiben. Die Wahrnehmung der Rechte in Frankreich verursache höhere Kosten als in anderen Mitgliedstaaten, wo die ________ 536 537 538 539 540
Vgl. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Vertrag, Bd. 2, Art. 82 EG Rn. 182. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs, Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2536, 2553. Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 780 f. Schlussanträge des Generalanwalt Jacobs, Rs. 396/87, Slg. 1989, S. 2536, 2556 f.; Urteil des EuGH, Slg. 1989, S. 2565, 2576. Wood, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 159, 162 f.
137
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Verwertungsgesellschaften oftmals auf die Einziehung von Gebühren bei kleinen, über das Land verstreuten Diskotheken und Veranstaltern verzichten würden.541 Der Gerichtshof ließ diese Argumente nicht gelten. Er stellte fest, dass die SACEM nicht nur höhere Lizenzgebühren von den Nutzern verlange als die Verwertungsgesellschaften in den anderen Mitgliedstaaten. Auch ihre Verwaltungskosten hätten ein im internationalen Vergleich hohes Niveau. Nach der Berechnung des französischen Conseil de la Concurrence waren die Verwaltungskostensätze der SACEM ungefähr 2,5 Mal so hoch wie im Ausland.542 Darin sah der Gerichtshof einen Hinweis darauf, dass die SACEM mangels jeglichen Wettbewerbs mit anderen Verwertungsgesellschaften über einen schwerfälligen Verwaltungsapparat verfüge. Diese Ineffizienz rechtfertige den Schluss, dass auch die Tarife der SACEM missbräuchlich hoch seien.543 b)
Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge
Der Gerichtshof beurteilte sowohl die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften als auch ihre Praxis, ausländischen Nutzern grenzüberschreitende Direktlizenzen zu verweigern, als im Grundsatz mit Art. 81 Abs. 1 EG vereinbar.544 Nach seiner Auffassung sind die Gegenseitigkeitsverträge Vereinbarungen über die Erbringung von Dienstleistungen, mit denen die Verwertungsgesellschaften zwei legitime Ziele verfolgen: Zum einen, im Einklang mit dem konventionsrechtlichen Grundsatz der Inländerbehandlung die Gesamtheit der geschützten Musikwerke ohne Rücksicht auf deren Herkunft einheitlichen Bedingungen für die in ein und demselben Staat ansässigen Verwerter zu unterwerfen. Zum anderen, sich für den Schutz ihrer Bestände in einem anderen Staat auf die von der dort tätigen Verwertungsgesellschaft aufgebaute Organisation zu stützen, ohne genötigt zu sein, diese Organisation durch ein eigenes Netzwerk von Verträgen mit den Verwertern und eigene an Ort und Stelle vorgenommene Kontrollen zu ergän________ 541 542 543 544
138
EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2577. Stellungnahme des Conseil de la Concurrence vom 20. April 1993, GRUR Int. 1994, 339, 347. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2578. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2572 ff.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
zen.545 Eine Wettbewerbsbeschränkung erkannte der Gerichtshof in diesen Vertragszwecken nicht. Im Hinblick auf die Weigerung der Erteilung von Direktlizenzen in das Ausland stellte der Gerichtshof fest, dass die Verwertungsgesellschaften auf Betreiben der Kommission die vormals enthaltenen Ausschließlichkeitsklauseln aus ihren Gegenseitigkeitsverträgen entfernt hätten.546 Direktlizenzen über das nationale Repertoire der Verwertungsgesellschaften in das Ausland seien demnach nicht durch die Gegenseitigkeitsverträge ausgeschlossen. Nach Ansicht der Beschwerdeführer war das Verhalten der Verwertungsgesellschaften aber auf eine nach Art. 81 Abs. 1 EG verbotene Abstimmung zwischen den Verwertungsgesellschaften zurückzuführen.547 Dazu stellte der Gerichtshof grundsätzlich fest, dass eine Abstimmung zwischen den Verwertungsgesellschaften, die einen systematischen Ausschluss ausländischer Verwerter von den nationalen Repertoires der Gesellschaften bewirken würde, mit dem Kartellverbot nicht vereinbar wäre. Die Frage, ob eine solche Abstimmung tatsächlich vorlag, ließ der Gerichtshof jedoch offen. Diese Beurteilung sei Sache der innerstaatlichen Gerichte. Der Gerichtshof gab den Gerichten aber einen Kontrollmaßstab an die Hand, der für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG nicht viel Raum lässt. Eine abgestimmte Verhaltensweise, so der Gerichtshof, könne nicht vermutet werden, wenn das Parallelverhalten der Verwertungsgesellschaften durch andere Gründe erklärt werden könne. Als einen legitimen Grund ließ es der Gerichtshof gelten, wenn den Verwertungsgesellschaften im Falle einer Direktlizenzierung höhere Kosten bei der Verwaltung der Lizenzverträge und der Überwachung der Nutzer entstehen würden als bei einer Beschränkung der Tätigkeit auf das Inland.548 Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs gelangte der französische Conseil de la Concurrence zu dem Ergebnis, dass die Verweigerung der Direktlizenzierung in das Ausland nicht auf einer verbotenen Abstimmung, sondern auf der individuellen Motivation jeder einzelnen Gesellschaft beruhe.549 Allgemein wird die Entscheidung des Gerichtshofs deshalb als wettbewerbsrechtliche Legi________ 545 546 547 548 549
EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2572. Siehe dazu bereits oben 3. Kapitel, D.I. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2573. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2574. Stellungnahme des Conseil de la Concurrence vom 20. April 1993, GRUR Int. 1994, 339, 341.
139
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
timation der Praxis der Verwertungsgesellschaften bewertet, keine Direktlizenzierungen über ihre eigenen Werkbestände in das Ausland vorzunehmen.550 Festgehalten werden kann, dass der Gerichtshof die wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit der Zusammenarbeit zwischen den Verwertungsgesellschaften maßgeblich mit der Erwägung begründet hat, dass die Verwertungsgesellschaften ohne die Gegenseitigkeitsverträge gezwungen wären, im Ausland eigene Verwertungs- und Kontrollstrukturen zu errichten. Damit erklärt und rechtfertigt der Gerichtshof die Praxis der Verwertungsgesellschaften, ihre Tätigkeit auf ein bestimmtes Territorium zu beschränken.
III. Stellungnahme Im Vordergrund der folgenden kritischen Analyse des Tournier-Urteils wird die Frage nach einer plausiblen dogmatischen Fundierung der Entscheidung stehen. Auf dieser Grundlage können die Implikationen der Entscheidung für die im 4. Kapitel zu untersuchenden Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich beurteilt werden. 1.
Ziele der Verträge und Auswirkungen auf den Wettbewerb
Die Gegenseitigkeitsverträge sind aus Sicht des Gerichtshofs Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen, mit denen die Verwertungsgesellschaften zwei rechtmäßige Ziele verfolgen, nämlich zum einen die Durchsetzung des Inländerbehandlungsgrundsatzes und zum anderen die gegenseitige Inanspruchnahme ihrer Verwaltungs- und Kontrollstrukturen. Ein drittes, vom Gerichtshof aber nicht genanntes Ziel der Gegenseitigkeitsverträge besteht darin, dass sich die Verwertungsgesellschaften ________ 550
140
Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 183; Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 170; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 776.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
durch die Akkumulation ihrer Werkbestände in die Lage versetzen, Lizenzen über das Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik zu erteilen. Dieses Ziel soll ebenfalls in die Analyse einbezogen werden. a)
Gleichbehandlung der Rechteinhaber
Fraglich ist, welche Bedeutung dem Hinweis des Gerichtshofs auf den konventionsrechtlichen Inländerbehandlungsgrundsatz bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge zukommen kann. Der Grundsatz der Inländerbehandlung verpflichtet dazu, Ausländern im Anwendungsbereich der internationalen Abkommen zum Urheberrecht den gleichen urheberrechtlichen Schutz zu gewähren wie den eigenen Staatsangehörigen.551 Normadressaten des Inländerbehandlungsgrundsatzes sind die Vertragsstaaten der Abkommen. Private Rechtssubjekte werden durch die Abkommen nicht verpflichtet.552 Das gilt auch für die Verwertungsgesellschaften. Auf sie kann der Inländerbehandlungsgrundsatz allenfalls durch eine konventionsfreundliche Auslegung von nationalen Vorschriften des Urheberwahrnehmungsrechts wie § 6 Abs. 1 UrhWG durchschlagen. Sie wären dann verpflichtet, auf Verlangen die Rechte konventionsangehöriger Rechteinhaber wahrzunehmen.553 Zur Gleichbehandlung ausländischer Rechteinhaber, deren Rechte ihnen im Wege von Gegenseitigkeitsverträgen anvertraut werden, sind sie aber weder konventionsrechtlich noch aufgrund nationalen Wahrnehmungsrechts gezwungen. Wenn die Verwertungsgesellschaften sich in den Gegenseitigkeitsverträgen zur Gleichbehandlung aller Werke verpflichten, verwirklichen sie vielmehr aus freiem Antrieb eine Solidaritätsidee. Dabei müssen sie die Vorgaben des Wettbewerbsrechts einhalten. Der Grundsatz
________ 551 552
553
Siehe oben 1. Kapitel, C.I.3. Karnell, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 22; Sinacore-Guinn, Collective administration of copyrights and neighboring rights, S. 623. Zu dem Streit, ob und inwieweit sich konventionsangehörige Ausländer unter Berufung auf den Inländergrundsatz auf § 6 Abs. 1 UrhWG stützen können, siehe oben, 2. Kapitel B.I.1.b).
141
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
der Inländerbehandlung bewirkt somit keine Einschränkung des Kartellverbots in Art. 81 Abs. 1 EG.554 b)
Inanspruchnahme der Verwertungs- und Kontrollstrukturen
Die Gegenseitigkeitsverträge ermöglichen den Verwertungsgesellschaften, sich außerhalb ihrer Verwaltungsgebiete auf die bereits etablierten Verwertungs- und Kontrollstrukturen der dort ansässigen Verwertungsgesellschaften zu stützen. Der Aufbau einer eigenen Infrastruktur im Ausland ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass eine Verwertungsgesellschaft grenzüberschreitend tätig wird. Zur Verwertungsstruktur einer Verwertungsgesellschaft gehört zum einen ein Tarifsystem, mit dem die typischen Nutzungsformen einheitlichen Lizenzbedingungen unterworfen werden. Die Tarife einer Verwertungsgesellschaft müssen dabei den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihres Verwertungsgebiets angepasst sein. Teil einer Verwertungsstruktur sind ferner Gesamtverträge mit Nutzervereinigungen.555 Auch über eine Kontrollstruktur müssen Verwertungsgesellschaften verfügen, um die Nutzung ihrer Bestände fortwährend überwachen und geeignete Maßnahmen gegen Verletzungen der Urheberrechte ergreifen zu können. Die Verwertungsgesellschaften müssen hierfür Personal beschäftigen und ihre Angestellten mit den erforderlichen Sachmitteln ausstatten. Die Gegenseitigkeitsverträge befreien die Verwertungsgesellschaften von der Notwendigkeit, solche Strukturen im Ausland zu etablieren. Die Verwertungsgesellschaften müssen wegen der Gegenseitigkeitsverträge außerhalb ihrer Verwaltungsgebiete keine Tarife aufstellen, keine Gesamtverträge mit ausländischen Verwertern abschließen, die Nutzung ihrer Werkbestände im Ausland nicht kontrollieren und dort kein Personal beschäftigen. Ohne Gegenseitigkeitsverträge hätten die Verwertungsgesellschaften dagegen einen Anreiz, ihre Repertoires auch selbst im Ausland ________ 554
555
142
Ebenso Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 175; Mestmäcker/ Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 92. Der Abschluss von Gesamtverträgen ist auch außerhalb Deutschlands gängige Praxis der Verwertungsgesellschaften; vgl. den Sitzungsbericht in der Sache Tournier, EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2524, 2526.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
anzubieten und die dafür notwendige Infrastruktur zu errichten. Dies ist wiederum Voraussetzung für einen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften, weil ohne eigene Wahrnehmungsstrukturen im Ausland grenzüberschreitende Lizenzierungen in Konkurrenz zu anderen Gesellschaften nicht möglich sind. Die Feststellung des Gerichtshofs, die Gegenseitigkeitsverträge beschränkten mit dem Ziel der Inanspruchnahme der Verwertungs- und Kontrollstrukturen der Verwertungsgesellschaften nicht den Wettbewerb, ist vor diesem Hintergrund fragwürdig. Die gegenseitige Inanspruchnahme der Verwertungs- und Kontrollstrukturen durch die Verwertungsgesellschaften steht einem Wettbewerb gerade entgegen. c)
Bildung des Weltrepertoires
Ein weiteres maßgebliches Ziel der Gegenseitigkeitsverträge ist die Bildung des sog. Weltrepertoires.556 In ihrer Gesamtheit führen die Verträge dazu, dass die Verwertungsgesellschaften den Verwertern in ihren Verwaltungsgebieten das Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik anbieten können. Der Gerichtshof ist auf diese wichtige Funktion der Gegenseitigkeitsverträge nicht eingegangen. Weder hat er die Bildung des Weltrepertoires als legitimes Ziel der Verträge genannt, noch hat er sich in der Urteilsbegründung mit den möglichen Folgen für den Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften auseinandergesetzt. Wie erörtert, ist infolge der territorialen Beschränkungen der Gegenseitigkeitsverträge in einem Mitgliedstaat nur jeweils eine Verwertungsgesellschaft in der Lage, Lizenzen über das Weltrepertoire zu erteilen.557 Außerhalb ihrer Verwaltungsgebiete können die Verwertungsgesellschaften nur die Nutzung ihrer eigenen Bestände erlauben. Grenzüberschreitende Direktlizenzen, mit denen eine Verwertungsgesellschaft in Konkurrenz zu einer ausländischen Gesellschaft treten könnte, wären also zwangsläufig auf ihr eigenes Repertoire beschränkt, während die ausländischen Gesellschaften aufgrund der Gegenseitigkeitsverträge Lizenzen zur Nutzung des Weltrepertoires erteilen können. Grenzüberschreitende Lizenzen werden für die Verwertungsgesellschaften damit aus folgenden Gründen zu einer unvorteilhaften und unrealistischen Option: ________ 556 557
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 774; siehe oben 3. Kapitel, B.II. Siehe oben 3. Kapitel, C.I.2.
143
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Zum einen haben die Verwertungsgesellschaften ein vom Gerichtshof im Tournier-Urteil anerkanntes558 praktisch-wirtschaftliches Interesse daran, den Verwertern nicht lediglich die Nutzungsrechte für Teilbestände, sondern immer nur Blankettlizenzen über das gesamte verwaltete Repertoire, d. h. das Weltrepertoire zu erteilen. Mit der Erteilung von Blankettlizenzen reduzieren die Gesellschaften ihre Transaktionskosten.559 Diese Kostenvorteile könnten die Verwertungsgesellschaften bei grenzüberschreitenden Lizenzierungen über ihre eigenen Repertoires nicht realisieren. Das mindert den Anreiz zur Erteilung grenzüberschreitender Lizenzen. Zum anderen sind die im Inland ansässigen Verwertungsgesellschaften aufgrund der Gegenseitigkeitsverträge in der Lage, den Verwertern mit dem Weltrepertoire ein wesentlich größeres und wertvolleres Repertoire anzubieten als die grenzüberschreitend tätigen Verwertungsgesellschaften. Durch die Schaffung des Produkts „Weltrepertoire“ mindern die Verwertungsgesellschaften den wirtschaftlichen Wert und die Handelbarkeit ihrer eigenen Repertoires – die Erteilung von Lizenzen über die eigenen Repertoires wird, so Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen, „geschäftlich gesehen lebensfremd.“560 Die Bildung des Weltrepertoires wirkt sich dadurch als ein weiteres Hemmnis für die grenzüberschreitende Lizenzierung aus. Auch unter diesem Gesichtspunkt stellen die Gegenseitigkeitsverträge eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG dar.561 2.
Herleitung des Urteils
Trotz ihrer danach bestehenden Eignung, den Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt zu beschränken, hat der Gerichthof die Gegenseitigkeitsverträge als mit Art. 81 Abs. 1 EG vereinbar beurteilt. Angesichts der Knappheit der Urteilsbegründung stellt sich die Frage, wie das Urteil zu interpretieren ist und mit welcher dogmatischen ________ 558 559 560 561
144
Siehe oben 3. Kapitel, E.II.2.a). Siehe oben A.III.3. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs, Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2536, 2546. Ebenso Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 171 f.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
Begründung sein Ergebnis plausibel am Überzeugendsten hergeleitet werden kann. a)
Heranziehung der lizenzkartellrechtlichen Judikatur des EuGH In der Literatur wird das Tournier-Urteil zum Teil mit dem Hinweis auf die Besonderheiten der Verwertung von Immaterialgüterrechten gerechtfertigt. Die Verwertungsgesellschaften seien kraft Urheberrechts befugt, sich in den Gegenseitigkeitsverträgen territorial beschränkt zu ermächtigen, weil nur dadurch gewährleistet werden könne, dass die Urheberrechte ihrem gesetzlichen Konzept entsprechend als ausschließliche Rechte erhalten blieben und nicht zur Wahrnehmung auf mehrere Hände, d. h. bei einer Vielzahl von unterschiedlichen Verwertungsgesellschaften verteilt seien. Unter Berufung auf die lizenzkartellrechtliche Judikatur des Gerichtshofs, namentlich auf die EuGH-Entscheidungen Coditel II562 und Maissaatgut563, wird daraus die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit territorial beschränkter Gegenseitigkeitsverträge hergeleitet.564 aa)
Coditel II-Entscheidung
In der Coditel II-Entscheidung ging es um die wettbewerbsrechtliche Beurteilung eines Filmlizenzvertrags. Dem Lizenznehmer wurde das ausschließliche Recht erteilt, einen urheberrechtlich geschützten Film in Belgien vorzuführen und die Verbreitung durch Dritte in diesem Gebiet zu untersagen. Der Gerichtshof entschied, dass die Ausschließlichkeit der Lizenz für sich genommen nicht den Schluss rechtfertige, dass die Lizenzvereinbarung Gegenstand, Mittel oder Folge einer nach Art. 81 Abs. 1 EG verbotenen Kartellabsprache sei. Ähnlich wie in der Maissaatgut-Entscheidung (dazu sogleich) stellte das Gericht dabei auf die berechtigten Alleinverwertungsinteressen des Lizenznehmers ab. Das Gericht bezog sich dabei auf seine in der vorangegangenen Coditel I-Entscheidung getroffenen Feststellungen, in der er den gleichen Sachverhalt mit Blick auf den freien Dienstleistungsverkehr beurteilt hatte. Der Inhaber eines Filmurheberrechts und seine Lizenznehmer hätten ein berechtigtes ________ 562 563 564
EuGH Rs. 262/81, GRUR Int. 1983, 175 ff. (Slg. 1982, S. 3381 ff.). EuGH Rs. 258/78, GRUR Int. 1982, 530 ff. (Slg. 1982, S. 2015 ff.). Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 162 ff., 180 f.
145
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Interesse, für jede Vorführung des Films eine Vergütung zu verlangen.565 Es sei deshalb zulässig, wenn der Schutzrechtsinhaber dem Lizenznehmer durch die Erteilung einer ausschließlichen Lizenz ermögliche, gegen unautorisierte Vorführungen bzw. Sendungen im Lizenzgebiet vorzugehen. Auch der Umstand, dass das Lizenzgebiet im Coditel II-Fall mit Staatsgrenzen zusammenfiel, führte nach Auffassung des Gerichtshofs zu keiner anderen Betrachtungsweise. Eine andere Abgrenzung von Gebietslizenzen sei für den Lizenzverkehr häufig nicht praktikabel, da die Veranstaltung von Fernsehsendungen in den Mitgliedstaaten weitgehend auf gesetzlichen Monopolen beruhe.566 bb)
Maissaatgut-Entscheidung
Gegenstand der Maissaatgut-Entscheidung war ein sortenschutzrechtlicher Lizenzvertrag. Dem Lizenznehmer wurde darin das ausschließliche Recht zur Herstellung und zum Vertrieb einer nach dem Sortenschutzgesetz geschützten Maissorte in Deutschland eingeräumt. Der Lizenzgeber verpflichtete sich in dem Vertrag, in Deutschland keine weiteren Lizenzen zu erteilen und dem Lizenznehmer auch selbst keine Konkurrenz zu machen.567 Der Gerichtshof befand, dass die Vereinbarung insoweit nicht gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoße. Er stellte dabei im Wesentlichen darauf ab, dass der Lizenznehmer ohne die Ausschließlichkeitszusage das Risiko des Anbaus und Vertriebs des neuartigen Erzeugnisses nicht übernehmen würde. Ein Wettbewerb zwischen dem neuen und ähnlichen vorhandenen Erzeugnissen wäre ohne den Lizenzvertrag nicht zu erwarten.568 Für den ________ 565 566
567
568
146
EuGH Rs. 62/79, GRUR Int. 1980, 602, 607 – Coditel I. Gleichzeitig wies der Gerichtshof in der Coditel II-Entscheidung darauf hin, dass die Ausübung des Urheberrechts nicht zu Wettbewerbsverfälschungen führen dürfe, die im Hinblick auf die Bedürfnisse der Filmindustrie ungerechtfertigt seien. Beispiele sind unangemessen hohe Vergütungen und eine übermäßig lange Dauer des Lizenzrechts, siehe EuGH Rs. 262/81, GRUR Int. 1983, 175, 177. Der Gerichtshof nannte dies eine „offene ausschließliche Lizenz“ im Gegensatz zur „Konzession mit absolutem Gebietsschutz“, in der sich ein Lizenzgeber darüber hinaus verpflichtet, den Import der betreffenden Erzeugnisse durch Parallelimporteure zu verhindern. Die Konzession mit absolutem Gebietsschutz ist nach Auffassung des Gerichtshofs nicht mit Art. 81 Abs. 1 EG vereinbar, weil sie zur künstlichen Aufrechterhaltung nationaler Märkte führe, EuGH Rs. 258/78, GRUR Int. 1982, 530, 535. EuGH Rs. 258/78, GRUR Int. 1982, 530, 535.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
Gerichtshof waren somit die positiven Auswirkungen der Ausschließlichkeitszusage auf den Wettbewerb zwischen dem Schutzgegenstand und substituierbaren Marktprodukten entscheidend (sog. Interbrand-Wettbewerb).569 cc)
Vergleich mit den Gegenseitigkeitsverträgen
Den Entscheidungen Maissaatgut und Coditel II ist gemeinsam, dass der Gerichtshof das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung nicht bereits deshalb bejahte, weil die Lizenzgeber sich mit der ausschließlichen Lizenzen eines Teils ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit begeben hatten, nämlich der Möglichkeit, im betreffenden Lizenzgebiet weitere Lizenzen zu vergeben. Der Gerichtshof nahm vielmehr die gesamten Wettbewerbswirkungen der Lizenzvereinbarungen in den Blick und berücksichtigte bei der Beurteilung der Lizenzverträge die Funktionsweise des betroffenen Marktes, seine besonderen Absatzbedingungen und die Amortisationsrisiken des Lizenznehmers.570 Fraglich ist, ob diese Überlegungen auch bei der Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge greifen können. Lizenzverträge und Gegenseitigkeitsverträge lassen sich insofern miteinander vergleichen, als beide die Einräumung von Nutzungsrechten an Immaterialgütern zum Gegenstand haben. ________ 569 570
Vgl. Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 2, S. 151 ff., Rn. 28. Vgl. Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 2, S. 151 ff., Rn. 28; in der Literatur wird dies zum Teil dahingehend gedeutet, dass der Gerichtshof eine „rule of reason“-Methode angewendet habe; Sucker/ Guttuso/Gaster, in: Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 723 (Rn. 71); Axster/Schütze, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Anh. 3 Art. 81, Rn. 183; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 163, 180. Die „rule-of-reason“Doktrin stammt aus dem US-amerikanischen Kartellrecht (Sherman Act) und besagt, dass bei Vereinbarungen, die keinem „per-se“-Verbot unterfallen, eine Gesamtwürdigung der wettbewerblichen Auswirkungen vorzunehmen ist, vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 208 ff. Einer Übertragung dieser Regel steht aber die Rechtsprechung des EuG entgegen, der ausdrücklich entschieden hat, dass die rule-of-reason-Doktrin im europäischen Kartellrecht keine Anwendung findet, vgl. EuG Rs. T-328/03, MMR 2006, 446, 448, Rn. 69 – T-Mobile/O2.
147
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Im Ergebnis erscheinen Rückschlüsse aus den genannten Entscheidungen auf die Gegenseitigkeitsverträge jedoch nicht möglich. Zunächst ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Tournier-Urteil nicht auf die Maissaatgut- und Coditel II-Entscheidungen verwiesen hat.571 In den Entscheidungsgründen findet sich auch die in seiner lizenzkartellrechtlichen Rechtsprechung ansonsten durchgängig verwendete Formel vom Schutzrechtsverhalten als „Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache“572 nicht. Vor allem aber trifft die Begründung der Zulässigkeit ausschließlicher Gebietslizenzen bei den Verwertungsgesellschaften nicht zu. Den Gegenseitigkeitsverträgen liegt eine andere wirtschaftliche Interessenlage zugrunde als den Lizenzverträgen, um die es in den Entscheidungen Maissaatgut- und Coditel II ging. Bei den Gegenseitigkeitsverträgen handelt es sich nicht um Verwertungsverträge, sondern um Wahrnehmungs-, d. h. Geschäftsbesorgungsverträge.573 Die Verwertungsgesellschaften bedürfen wirtschaftlich keiner Ausschließlichkeitsstellung, um die ihnen anvertrauten Rechte effektiv wahrnehmen zu können. Die Rechtewahrnehmung ist nicht mit Investitionskosten und Verwertungsrisiken verbunden, die eine Alleinstellung der Gesellschaften in ihren Gebieten rechtfertigen. Durch die Gegenseitigkeitsverträge wird auch kein Interbrand-Wettbewerb gefördert, wie es für die Entscheidungen Maissaatgut und Coditel II kennzeichnend war. Die Verwertungsgesellschaften erreichen mit den Verträgen im Gegenteil, dass das gesamte verfügbare Repertoire, also alle Substitutionsprodukte, in einem Gebiet ausschließlich von einer einzigen Verwertungsgesellschaft angeboten werden kann. Als weiterer Gesichtspunkt kommt entscheidend hinzu, dass sich der Gerichtshof in seinem Tournier-Urteil gerade gegen die Zulässigkeit von Ausschließlichkeitsklauseln in Gegenseitigkeitsverträgen ausgesprochen hat.574 Die Verwertungsgesellschaften dürfen mit der Beauftragung ausländischer Verwertungsgesellschaften nicht ihre Freiheit einschränken, selbst Lizenzen über ihre Repertoires im Ausland zu erteilen. Daraus folgt umgekehrt, dass die territorialen Beschränkungen in den Verträgen nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden können, dass sie das ________ 571 572 573 574
148
Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 176. Vgl. Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Bd. 1, Rn. 682. Siehe oben 3. Kapitel, A. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2573.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
Urheberrecht als ausschließliches Recht erhalten. Dieses Ziel der Gegenseitigkeitsverträge ist wettbewerbsrechtlich nicht legitim. b)
Bedeutung des Territorialitätsprinzips
Fraglich ist, ob die territorialen Beschränkungen in den Gegenseitigkeitsverträgen unter dem Gesichtspunkt des urheberrechtlichen Territorialitätsprinzips für zulässig erachtet werden können.575 Wie oben erläutert, besagt das Territorialitätsprinzip, dass die Wirkung eines Urheberrechts auf das Gebiet des Staates beschränkt ist, dessen Rechtsordnung dem Urheber sein Recht verleiht.576 Der Gerichtshof bezeichnet das Territorialitätsprinzip als einen das Urheberrecht bestimmenden Grundsatz.577 Folgt man dem Territorialitätsprinzip, so ist das Urheberrecht kein einheitliches Recht. Der Urheber besitzt in jedem Land ein anderes Urheberrecht. Aus den verschiedenen Urheberrechten leiten sich dann auch die Nutzungsrechte ab, die der Urheber seinen Lizenznehmern einräumt. In der Literatur wird daraus gefolgert, dass eine „Beschränkung des Nutzungsrechts“ im eigentlichen Sinne bei der Vergabe von Lizenzen nach Staaten nicht vorliege, sondern ein von vornherein beschränktes Recht eingeräumt werde.578 Bezogen auf die Verwertungsgesellschaften bedeutet das, dass ihnen in den Wahrnehmungsverträgen mit den Rechteinhabern ein Bündel verschiedener nationaler Nutzungsrechte eingeräumt wird, die sie dann in den Gegenseitigkeitsverträgen den entsprechenden nationalen Verwertungsgesellschaften zur Wahrnehmung im Ausland anvertrauen.579 Damit könnte man zu der Auffassung gelangen, dass die in den Gegenseitigkeitsverträgen praktizierte Zuständigkeitsverteilung ________ 575
576 577 578 579
So wohl Rabe, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 174, 184 ff., der das System der Gegenseitigkeitsverträge als „auf die Wirkungen des Territorialitätsprinzips gegründet“ bezeichnet (S. 187). Siehe oben 1. Kapitel, E.II. EuGH Rs. C-192/04, IPRax 2006, 275, 279 – Lagardère ./. SPRE; dazu oben Fn. 146. Schricker, in: ders. (Hrsg.), Urheberrecht, Vor §§ 28 ff. UrhG Rn. 54. So BGH NJW 1988, 1847, 1848 – GEMA-Vermutung IV, der mit dieser Begründung die Anwendbarkeit von § 34 Abs. 4 UrhG auf die Wahrnehmungsverträge ausländischer Verwertungsgesellschaften herleitet; Rabe, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 174, 182.
149
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
zwischen den Verwertungsgesellschaften zulässig ist, weil sie sich an eben den Staatsgrenzen orientiert, über die das Urheberrecht nach dem Territorialitätsprinzip nicht hinauswirkt. Bei Lichte besehen steht das Territorialitätsprinzip der grenzüberschreitenden Wahrnehmung von Urheberrechten jedoch nicht entgegen. Die Verwertungsgesellschaften sind aufgrund des Territorialitätsprinzips nicht daran gehindert, die Rechte inländischer (oder ausländischer) Urheber im Ausland selbständig wahrzunehmen und mit den dort ansässigen Verwertungsgesellschaften in einen Wettbewerb zu treten. Der Umstand, dass etwa eine deutsche Verwertungsgesellschaft, würde sie in Frankreich tätig werden, französische und nicht mehr nur deutsche Urheberrechte wahrnähme, hat für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge keine Bedeutung. Dass grenzüberschreitend tätige Unternehmen verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen und sich dementsprechend anpassen müssen, wird im Binnenmarkt vielmehr vorausgesetzt. Urheber- und Leistungsschutzrechte müssen nicht notwendig im nationalen Rahmen wahrgenommen werden.580 Das Territorialitätsprinzip rechtfertigt die territorialen Beschränkungen in den Gegenseitigkeitsverträgen nicht. c)
Kein potentieller Wettbewerb
Somit muss nach einer anderen Interpretation des Tournier-Urteils gesucht werden. Möglicherweise könnte die Entscheidung des Gerichtshofs dahingehend verstanden werden, dass es an einem potentiellen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften fehlte. Ein (zumindest) potentieller Wettbewerb ist Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung des Kartellverbots. Wo kein potentieller Wettbewerb besteht, kann es auch keine Wettbewerbsbeschränkung geben. Gemäß der Definition der Kommission wird ein Unternehmen als potentieller Wettbewerber angesehen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass es ohne die Vereinbarung die notwendigen zusätzlichen Investitionen auf sich nehmen könnte und wahrscheinlich auch würde, um als Reaktion auf eine geringfügige, aber dauerhafte Erhöhung der relativen Preise ________ 580
150
Gervais, Graber u. a. (Hrsg.), Digital Rights Management: The End of Collecting Societies?, S. 27, 55.
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
gegebenenfalls in den Markt einzutreten.581 Dieser Einschätzung müssen realistische Erwartungen zugrunde liegen. Die rein theoretische Möglichkeit eines Marktzutritts reicht nicht aus. Von einem potentiellen Wettbewerb kann man erst dann ausgehen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des neuen Konkurrenten innerhalb einer angemessenen Frist besteht.582 Wie erörtert, erfordert eine effektive Wahrnehmung von Urheberrechten ein leistungsfähiges Verwertungs- und Kontrollsystem. Die Errichtung und Unterhaltung solcher Strukturen verursacht hohe Kosten.583 Diese sind vom Auslastungsgrad der Verwertungsgesellschaften weitgehend unabhängig – es handelt sich weitgehend um Fixkosten. Deshalb sinken die durchschnittlichen Kosten der Verwertungsgesellschaften mit der Anzahl ihrer Mitglieder. Die Marktkonstellation der kollektiven Rechtewahrnehmung weist somit Elemente eines natürlichen Monopols auf. Von einem natürlichen Monopol spricht man, wenn wegen subadditiver Kostenstrukturen ein Anbieter in der Lage ist, die Nachfrager kostengünstiger zu bedienen als zwei oder mehrere Anbieter, die jeweils Teilmengen übernehmen. Natürliche Monopole finden sich vor allem in Märkten, die mit hohen Fixkosten verbunden sind.584 Die Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten hat darüber hinaus einen territorialen Bezug, der das Eindringen in neue Märkte zusätzlich erschwert. In den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft herrschen unterschiedliche rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Rechtewahrnehmung.585 Erweitert eine Verwertungsgesellschaft ihr Verwaltungsgebiet, muss sie ihre Tätigkeit dem jeweiligen regulativen und wirtschaftlichen Umfeld anpassen, d. h. etwa neue ________ 581
582
583 584
585
Leitlinien der Kommission zur Anwendbarkeit von Art. 81 Abs. 1 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (2001/C 3/02), ABl. Nr. C 3 vom 6. 1. 2001, S. 29 Fn. 9. Vgl. Bunte, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Generelle Prinzipien Rn. 53; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.): EU- und EG-Vertrag, Bd. 2, Art. 81 EG Rn. 96. So betrug der Personal- und Sachaufwand der GEMA im Geschäftsjahr 2005 über 121 Mio. Euro, vgl. GEMA-Geschäftsbericht 2006, S. 2. Vgl. Berg/Cassel/Hartwig, in: Bender u. a. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, S. 200 f.; Faull/Nikpay, The EC Law of Competition, Rn. 1.96. Siehe dazu näher unten 5. Kapitel, B.I.
151
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
Tarife aufstellen und mit den ausländischen Verwertern Gesamtverträge aushandeln. Außerdem steigen die Kontrollkosten der Verwertungsgesellschaft. Je größer das Verwaltungsgebiet, desto höher werden die Kosten für die Kontrolle unautorisierter Nutzer. Insgesamt ist deshalb festzustellen, dass die Märkte, auf denen die Verwertungsgesellschaften operieren, hohe Marktzutrittsschranken aufweisen.586 Dieser Umstand spricht grundsätzlich für die Annahme, dass es an einem potentiellen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften fehlen kann.587 Gegen ein Abstellen auf den potentiellen Wettbewerb bei der Herleitung des Tournier-Urteils könnte allerdings sprechen, dass der Gerichtshof diesen Gesichtspunkt nicht erwähnt hat.588 Allerdings ist die Entscheidung insgesamt nicht ausführlich begründet. Entscheidend muss daher sein, dass die Urteilsbegründung dem Verweis auf einen potentiellen Wettbewerb nicht entgegensteht. Eine solche Auslegung hat den Vorteil, dass bei zukünftigen Beurteilungen von Gegenseitigkeitsverträgen möglichen Änderungen der Marktbedingungen Rechnung getragen werden kann. Denkbar ist etwa, dass die Marktzutrittsschranken für die Verwertungsgesellschaften sinken, weil das regulative Umfeld in der Gemeinschaft angeglichen wird oder die Kontroll- und Verwertungskosten der Verwertungsgesellschaften durch technische Innovationen niedriger werden. Mit dieser Auslegung des Tournier-Urteils wird erreicht, dass die territoriale Aufteilung des Binnenmarkts durch die Verwertungsgesellschaften nicht unter Berufung auf den Gerichtshof auf alle Zeiten festgeschrieben werden kann.589 ________ 586 587 588
589
152
Vgl. Corbet, in: Peeperkorn/van Rij (Hrsg.), Collecting Societies in the Music Business, S. 22, 26. Schröter, in: Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 238 ff. Rn. 114. Generalanwalt Jacobs hatte in seinen Schlussanträgen dagegen vorgeschlagen, das Vorliegen einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung der Gegenseitigkeitsverträge von einer genauen Untersuchung der Wettbewerbsbedingungen durch die Kommission abhängig zu machen, vgl. Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2536, 2547. In diesem Sinne wird die Tournier-Entscheidung von weiten Teilen der Literatur verstanden; siehe Fikentscher, in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 149, 187: „Der jetzige Zustand, nämlich die Verwertungsgesellschaft als nationales Monopol, wird (. . .) vom EuGH toleriert, nicht aber zementiert.“; Capobianco, E.I.P.R. 2004, 113, 118; Steden, Das Monopol der GEMA, S. 81; Leßmann, Ver-
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
3.
Möglichkeit einer Freistellung vom Kartellverbot
Damit stellt sich die Frage, ob Gegenseitigkeitsverträge vom Kartellverbot freigestellt werden können. Das Kartellverbot in Art. 81 Abs. 1 EG ist nicht anwendbar, wenn die Voraussetzungen für eine Freistellung gemäß Art. 81 Abs. 3 EG erfüllt sind. Den Unternehmen wird dadurch der Abschluss von Vereinbarungen ermöglicht, die zwar den Wettbewerb beschränken, aber zu Effizienzgewinnen führen und in dieser Hinsicht wettbewerbsfördernde Auswirkungen haben. Beispiele für positive Auswirkungen einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung sind die Senkung von Produktionskosten, die Verbesserung der Produktqualität oder die Entwicklung eines neuen Produkts.590 Art. 81 Abs. 3 EG kann auf Gruppen von Vereinbarungen angewandt werden (Gruppenfreistellungsverordnungen) oder auf konkrete Vereinbarungen. Von den bestehenden Gruppenfreistellungsverordnungen kommt im Hinblick auf die Gegenseitigkeitsverträge allein eine Anwendung der VO 2790/1999 über Vertikalvereinbarungen in Betracht.591 Gemäß Art. 2 Abs. 4 der VO ist eine Freistellung von wechselseitigen vertikalen Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, wie sie die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften darstellen, jedoch ausgeschlossen. Möglich ist somit nur eine Einzelfreistellung der Gegenseitigkeitsverträge. Gemäß dem zur Zeit des Tournier-Urteils geltenden EG-Kartellverfahrensrecht in der VO 17/62592 mussten Vereinbarungen zum Zwecke der Einzelfreistellung bei der EG-Kommission angemeldet und von ihr genehmigt werden. Für die Zeit bis zu einer Freistellungsentscheidung wa-
________ 590 591
592
wertungsgesellschaften nach deutschem und europäischem Kartellrecht und deren Herausforderungen im Hinblick auf digitale Techniken, S. 156. Vgl. Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EGVertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 102 Zf. 33. VO 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. Nr. L 336 vom 29. 12. 1999, S. 21 ff. VO Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrags, ABl. Nr. 13 vom 21. 2. 1962, S. 204 ff.
153
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
ren sie nach überwiegender Ansicht schwebend unwirksam.593 Dieses Anmelde- und Genehmigungssystem wurde mit der am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen VO 1/2003594 durch ein System der Legalausnahme ersetzt. Vereinbarungen, die unter den Tatbestand des Art. 81 Abs. 3 EG fallen, sind danach erlaubt, ohne dass eine vorherige Genehmigung durch die Kommission erforderlich ist.595 Art. 81 Abs. 3 EG ist damit unmittelbar anwendbar geworden. Die beteiligten Unternehmen müssen eigenständig prüfen, ob seine Voraussetzungen erfüllt sind.596 Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag hat vier Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen:597 Die fragliche Vereinbarung muss (1) unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn (2) zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass (3) den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder (4) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Die Gegenseitigkeitsverträge bewirken, dass die Urheber durch den Vertragsschluss mit nur einer Verwertungsgesellschaft sicherstellen können, dass ihre Rechte nahezu weltweit wahrgenommen werden. Die Verwertungsgesellschaften müssen in einem Gebiet nicht mehrfache Verwertungs- und Kontrollstrukturen errichten und optimieren damit die Auslastung ihrer Kapazitäten. Außerdem schaffen die Gegenseitigkeitsverträge mit der das musikalische Weltrepertoire umfassenden Lizenz ein neues „Produkt“, das es ohne die Vereinbarungen nicht gäbe. Das trägt zu Kosteneinsparungen598 und Qualitätssteigerun________ 593 594
595 596 597
598
154
Vgl. Jaeger, in: in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 81 Abs. 2 EG Rn. 5. Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. Nr. L 1 vom 4. 1. 2003, S. 1 ff. Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG Rn. 138. Vgl. die Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 103 Zf. 38. Kosteneinsparungen durch Skalenvorteile (economies of scale) beurteilt die Kommission als einen positiv zu berücksichtigenden Effizienzgewinn, siehe
E. Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge nach EG-Wettbewerbsrecht
gen599 bei. Die zweite Voraussetzung des Art. 81 Abs. 3 EG (Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung) ist somit erfüllt. Da die Gegenseitigkeitsverträge ferner den Zugang der Verwerter zum benötigten Weltrepertoire erleichtern, ist auch das Merkmal „angemessene Beteiligung der Verbraucher“ gegeben.600 Eine Freistellung der Gegenseitigkeitsverträge scheidet aber wegen der vierten genannten Voraussetzung aus. Art. 81 Abs. 3 EG verlangt, dass trotz der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen ein wirksamer Wettbewerb auf dem betreffenden Markt bestehen bleiben muss.601 Effizienzgewinne um den Preis des Wettbewerbsausschlusses sind nach Art. 81 Abs. 3 EG nicht möglich.602 Nach Abschluss der fraglichen Vereinbarung müssen Wettbewerbsparameter verbleiben, die unter den Beteiligten einen ausreichenden Binnenwettbewerb erwarten lassen.603 Die Gegenseitigkeitsverträge schließen nahezu jede Möglichkeit eines Restwettbewerbs aus. Die Verwertungsgesellschaften verfolgen mit ihnen gerade den Zweck, den Aufbau eigener Verwertungs- und Kontrollsysteme im Ausland zu vermeiden. Aus diesem Grund kam eine Freistellung der vom Gerichtshof beurteilten Gegenseitigkeitsverträge durch die Kommission nicht in Betracht. Das Netz der Gegenseitigkeitsverträge konnte nur aufrechterhalten werden, wenn bereits das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG verneint wurde.604 ________ 599
600
601 602 603
604
Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EGVertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 106 Zf. 66. Qualitative Effizienzgewinne, wie etwa höherwertige oder neue Produkte, werden ebenfalls als positive Auswirkung einer Vereinbarung berücksichtigt, siehe Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EGVertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 107, Zf. 69 f. Unter „Verbraucher“ im Sinne von Art. 81 Abs. 3 EG sind abweichend vom üblichen Sprachgebrauch alle Nutzer der Produkte, auf die sich die Vereinbarung bezieht, zu verstehen; vgl. Bunte, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und Europäischen Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Generelle Prinzipien, Rn. 159. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 356. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG Rn. 157. Meessen, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 81 Abs. 3 EG Rn. 28; Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 113, Zf. 110. Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs, Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2536, 2547; ebenso Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Ur-
155
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
4.
Fazit
Der Gerichtshof hat das gegenwärtige System der Marktaufteilung zwischen den Verwertungsgesellschaften im Tournier-Urteil für mit Art. 81 Abs. 1 EG vereinbar erklärt. Folge der Entscheidung ist, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Verwaltungsgebiete bis heute an den Staatsgrenzen der Mitgliedstaaten entlang definieren – ein Sachverhalt, der, wie Generalanwalt Jacobs in den Schlussanträgen bemerkte, in jedem anderen Sektor offensichtlich mit Art. 81 EG unvereinbar wäre.605
F.
Zusammenfassung
F. Zusammenfassung 1. Gegenseitigkeitsverträge sind bilaterale Vereinbarungen zwischen Verwertungsgesellschaften, in denen sich die Vertragsparteien mit der Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten im Ausland beauftragen. Durch das Netz der Gegenseitigkeitsverträge verfügt jede Verwertungsgesellschaft über die Rechte am sog. Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik. Damit wird den Verwertern der Zugang zu den benötigten Nutzungsrechten erleichtert. Außerdem dient das System dazu, den Rechteinhabern eine effektive Wahrnehmung ihrer Rechte im Ausland zu ermöglichen und doppelte Infrastrukturen der Verwertungsgesellschaften in einem Land zu vermeiden. 2. Die Gegenseitigkeitsverträge für die Nutzung von Musikwerken sind weltweit harmonisiert. Im Bereich der öffentlichen Wiedergabe beruhen sie auf einem Mustervertrag der CISAC. Die Gegenseitigkeitsverträge für die mechanischen Rechte werden durch das BIEM koordiniert. In beiden Verträgen ist vorgesehen, dass sich die Verwertungsgesellschaften nur territorial beschränkt ermächtigen. Infolgedessen ist auf einem Territorium jeweils nur eine Verwertungsgesellschaft in der Lage, den Verwertern die Rechte über das Weltrepertoire zu erteilen. Ein Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften ist ausgeschlossen. 3. Besonderheiten gelten für die Tonträgerlizenzierung in der Gemeinschaft. Die Verwertungsgesellschaften und die großen internationalen Tonträgerhersteller schließen Zentrallizenzverträge mit Wirkung für ________ 605
156
heber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 183 f. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs, Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2536, 2546.
F. Zusammenfassung
den gesamten europäischen Raum. Dies hat zu einem Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften um die Tonträgerhersteller geführt. Die Zentrallizenzierung führt zu Rationalisierungseffekten, die von den Verwertungsgesellschaften an die Tonträgerhersteller in Form von Preisnachlässen weitergegeben werden. Die Rechteinhaber wollen von den Kosteneinsparungen jedoch ebenfalls profitieren und drängen die Verwertungsgesellschaften dazu, ihre Verwaltungsgebühren zu senken. 4. Insgesamt betrachtet ist der Wettbewerb aber die Ausnahme. Die Verwertungsgesellschaften operieren in ihren Verwaltungsgebieten weitgehend als Monopole. Ausländischen Verwertern verweigern sie auch den Zugang zu ihren nationalen Repertoires. Der Gerichtshof hat diese Praxis für den Bereich der Lizenzierung von Diskotheken in seiner Tournier-Entscheidung für wettbewerbsrechtlich zulässig beurteilt (Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565 ff.). Er erklärt die Marktaufteilung durch die Verwertungsgesellschaften maßgeblich damit, dass die Verwertungsgesellschaften ohne die Gegenseitigkeitsverträge gezwungen wären, im Ausland kostenaufwändige Verwertungs- und Kontrollstrukturen zu errichten. 5. Die Begründung des Tournier-Urteils ist fragwürdig. Der Aufbau eigener Verwertungs- und Kontrollstrukturen im Ausland ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Verwertungsgesellschaften grenzüberschreitend tätig werden und in einen Wettbewerb treten können. In der Literatur wird deshalb vorgeschlagen, in dem Verhalten der Verwertungsgesellschaften einen Ausdruck ihrer urheberrechtlichen Befugnisse zu sehen, territorial beschränkte Lizenzen zu erteilen. Ferner lässt sich in Betracht ziehen, die territorialen Beschränkungen in den Gegenseitigkeitsverträgen mit dem Verweis auf das Territorialitätsprinzip zu rechtfertigen. 6. Beides kann nach hier vertretener Ansicht nicht überzeugen. Das Tournier-Urteil ist nur unter der Voraussetzung plausibel, dass es bereits an einem potentiellen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften fehlt. Dafür sprechen die hohen Marktzutrittsschranken für die Verwertungsgesellschaften. Ein Abstellen auf den potentiellen Wettbewerb hat den Vorteil, dass bei einer zukünftigen Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge Änderungen der Marktbedingungen Rechnung getragen werden kann. Die territoriale Aufteilung des Binnenmarkts durch die Verwertungsgesellschaften kann damit nicht unter Berufung auf das Tournier-Urteil festgeschrieben werden. 157
Drittes Kapitel: Das System der Gegenseitigkeitsverträge
158
A. Ausgangslage
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
A.
Ausgangslage
A. Ausgangslage Internet-Musikanbieter nutzen ein ebenso großes Musikrepertoire wie Tonträgerhersteller, Radiosender oder Diskotheken. Im Unterschied zur herkömmlichen Musikverwertung sind ihre Angebote aber nicht notwendigerweise räumlich begrenzt. Sie benötigen territorial unbeschränkte Nutzungsrechte, wenn sie geschützte Werke in mehreren Territorien anbieten.606 Die Internet-Anbieter haben somit einen Bedarf an Lizenzen, die ein möglichst umfassendes Musikrepertoire und zugleich mehrere Territorien abdecken (Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenzen). Die Verwertungsgesellschaften können aufgrund ihrer Gegenseitigkeitsverträge nur territorial beschränkte Lizenzen erteilen (Eingebietslizenzen). Zum Erwerb der erforderlichen Nutzungsrechte für mehrere Gebiete müssen die Anbieter Lizenzvereinbarungen mit mehreren Verwertungsgesellschaften schließen. Damit ist eine administrative Belastung verbunden, die oft dazu führt, dass Internetanbieter auf den Lizenzerwerb verzichten. Den Urheber- und Leistungsschutzberechtigten entgehen dadurch Einnahmen, auf die sie einen Anspruch haben. Um den Rechteinhabern diese Einnahmen zu sichern und den Internetanbietern den Lizenzerwerb zu erleichtern, müssen sich die Verwertungsgesellschaften in den Gegenseitigkeitsverträgen zur Erteilung multiterritorialer Nutzungsrechte über das Weltrepertoire ermächtigen. Die Verwertungsgesellschaften haben in den letzten Jahren damit begonnen, solche Gegenseitigkeitsverträge abzuschließen. Die Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich werfen neue wettbewerbsrechtliche Fragen auf. Die Kommission hat dazu erstmals in der Simulcasting-Entscheidung vom 8. Oktober 2002 Stellung genommen.607 Die Analyse dieser Grundsatzentscheidung bildet den Schwerpunkt in diesem Kapitel (unten C.). Vorab wird an den Beispielen der GEMA und der GVL sowie der britischen MCPS dargelegt, in welchem Umfang die Ver________ 606 607
Siehe oben 1. Kapitel, E.IV. Entscheidung der Kommission vom 8. Oktober 2002 2003/300/EG in der Sache COMP/C2/38.014 – IFPI „Simulcasting“, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58 ff.
159
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
wertungsgesellschaften im Online-Bereich tätig sind und welche Wahrnehmungsbedingungen sie dabei anwenden.
B.
Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich
B. Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich Wie erläutert, berührt die Internetverwertung von Musikaufnahmen sowohl Urheber- als auch Leistungsschutzrechte.608 In Deutschland sind als Verwertungsgesellschaften auf Seiten der Urheber und Musikverlage die GEMA und für die ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller die GVL tätig.
I.
GEMA
Die Wahrnehmungs- und Lizenzbedingungen der GEMA im OnlineBereich lassen sich wie folgt zusammenfassen. 1.
Berechtigungsvertrag
Die GEMA hat ihre Tätigkeit 1996 auf den Bereich der digitalen Werknutzungen erweitert.609 Die Rechteeinräumung zur digitalen Nutzung ist in § 1 h) GEMA-Berechtigungsvertrag geregelt.610 Die GEMA lässt sich von ihren Mitgliedern in § 1 h) Berechtigungsvertrag das Recht einräumen, die Werke „auf Ton-, Bildton-, Multimedia- und andere Datenträger“ aufzunehmen. Ferner das Recht, „Werke der Tonkunst (mit oder ohne Text) in Datenbanken, Dokumentationssysteme oder in Speicher ähnlicher Art ________ 608 609
610
160
Siehe oben 1. Kapitel, C. Eine entsprechende Änderung des GEMA-Berechtigungsvertrags wurde in den Mitgliederversammlungen am 9./10. Juli 1996 und am 25./26. Juni 2002 beschlossen; vgl. Becker, in: GEMA-Jahrbuch 2002/2003, S. 90, 93; Staudt, Die Rechteübertragungen im Berechtigungsvertrag der GEMA, S. 214. Die Einbeziehung der Ergänzungen in die bereits bestehenden Berechtigungsverträge steht unter dem Vorbehalt, dass die Mitglieder der GEMA ausdrücklich zustimmen. Nach Angaben der GEMA ist die Zustimmung in ca. 80% aller Fälle erteilt worden. Die Berechtigten, die einer Ergänzung ihrer Berechtigungsverträge nicht zugestimmt haben, mandatieren die GEMA für jeden Musik-Anbieter gesondert; vgl. Staudt, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 232, 306.
B. Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich
einzubringen“. Darunter lässt sich insbesondere der Vorgang des Uploads einer Audiodatei auf den Server des Online-Anbieters subsumieren. Neben diesen Vervielfältigungsrechten räumen die Berechtigten der GEMA die Rechte für die unkörperliche Verwertung im Internet ein, nämlich „das Recht, Werke der Tonkunst (mit oder ohne Text), die in Datenbanken, Dokumentationssysteme oder in Speicher ähnlicher Art eingebracht sind, elektronisch oder in ähnlicher Weise zu übermitteln, einschließlich z. B. für mobile Internetnutzung und für Musiktauschsysteme.“ Die GEMA wird damit ermächtigt, Internetanbietern Nutzungsrechte für die öffentliche Zugänglichmachung und für die Sendung im Internet zu erteilen. Umfasst sind sowohl Streamingals auch Download-Angebote.611 Für die Wahrnehmung der Rechte zur Nutzung von Klingeltönen gelten besondere Regeln. Die GEMA hat das Klingeltonnutzungsrecht mit Beschluss der Mitgliederversammlung vom 25./26. Juni 2002 in ihren Berechtigungsvertrag eingefügt.612 Sie ist allerdings nur mit der Wahrnehmung der Vervielfältigungs- und Wiedergaberechte an Klingeltönen befasst. Die darüber hinaus erforderlichen Bearbeitungsrechte sowie die gegebenenfalls notwendige persönlichkeitsrechtliche Einwilligung in den Vertrieb von Klingeltönen nehmen die Rechteinhaber dagegen individuell wahr. Klingeltonanbieter müssen sich für den Rechteerwerb daher sowohl an die GEMA als auch an die Rechteinhaber, vor allem die Musikverlage wenden.613 Den Einwänden der Anbieter zum Trotz hat dieses zweigleisige System der Rechtewahrnehmung bislang vor der Rechtsprechung standhalten können.614 ________ 611
612
613 614
Staudt, Die Rechteübertragungen im Berechtigungsvertrag der GEMA, S. 217 f.; Siebert, Die Auslegung der Wahrnehmungsverträge unter Berücksichtigung der digitalen Technik, S. 59 ff. Die Ergänzung des Berechtigungsvertrags war wegen einer Entscheidung des OLG Hamburg (ZUM 2002, 480 ff.) notwendig geworden. Das Gericht hatte entschieden, dass es sich bei der Klingeltonnutzung zum Zeitpunkt des Berechtigungsvertrags in der Fassung vom 9./10. Juli 1996 um eine neue Nutzungsart im Sinne von § 31 Abs. 4 UrhG handelte, so dass der GEMA die Rechte nicht wirksam eingeräumt worden waren. Vgl. Prill, Urheberrecht und Klingeltöne, S. 34 ff. Bei dem Streit um die Wahrnehmungsbefugnis der GEMA geht es um die Auslegung ihres Berechtigungsvertrags. Das OLG Hamburg entschied mit Urteil vom 18. Januar 2006 (ZUM 2006, 335 ff.), dass die für die Verwertung von Klingeltönen erforderlichen Bearbeitungsrechte nicht von der GEMA wahrgenommen werden, sondern in der Hand der Rechteinhaber liegen; ebenso v. Einem, ZUM 2005, 540, 542 ff.; a. A. Castendyk, ZUM 2005, 9 ff.; Poll,
161
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
2.
Tarife
Die GEMA verfügt über Tarife für die wichtigsten Nutzungsformen im Internet. Exemplarisch werden im Folgenden die Tarife für Music on Demand-Dienste sowie für Internetradio skizziert.615 Music on Demand-Dienste werden von der GEMA danach unterschieden, ob der Endverbraucher die Möglichkeit zum Download hat oder die Übermittlung im Wege des Streamings erfolgt. Für Download-Angebote ist der GEMA-Tarif „VR-OD 2“616 und für Angebote ohne DownloadMöglichkeit der Tarif „VR-OD 3“617 einschlägig. Die Vergütung für jedes abgerufene Werk mit einer Spieldauer von bis zu fünf Minuten beträgt nach beiden Tarifen seit dem 1. Januar 2007 15% der Vergütungsgrundlage.618 Bis zum 31. Dezember 2005 galt ein ermäßigter Satz von 10% ________
615
616
617
618
162
ZUM 2006, 379 ff.; Dehmel, MMR 2006, 318 ff.; Ventroni, MMR 2006, 308, 310 f.; Ulbricht, CR 2006, 468, 470 ff.; differenzierend zwischen den verschiedenen Formen von Klingeltönen Prill, Urheberrecht und Klingeltöne, S. 74 ff. Die GEMA hat § 1 lit. k) des Berechtigungsvertrags mittlerweile dahingehend klargestellt, dass die Rechte zur Bearbeitung, Umgestaltung und/oder Kürzung eines Werkes der Tonkunst zur Verwendung als Ruftonmelodie und/oder Freizeichenuntermalungsmelodie nicht an sie übertragen werden; siehe GEMA-Brief Nr. 55, September 2005. Daneben gibt es unter anderem Tarife für Hintergrundmusik auf privaten und gewerblichen Websites zu Präsentationszwecken (VR-W 1) sowie für Hörbeispiele und Prelistenings (VR-W 2). Die Tarife sind gemäß § 13 Abs. 2 im Bundesanzeiger sowie auf der Website der GEMA unter www.gema.de veröffentlicht; Überblicke bei Ventroni/Poll, MMR 2002, 648, 651 f.; Kreile/ Becker, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 632, 648; Becker, in: GEMA-Jahrbuch 2002/2003, S. 90, 105 ff.; Baierle, Der Online-Vertrieb von Musikwerken im Internet unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten, S. 175 ff. „Vergütungssätze VR-OD 2 für die Nutzung von Werken des GEMARepertoires Music-on-Demand mit Download beim Endnutzer zum privaten Gebrauch (ausgenommen Ruftonmelodien)“, in der letzten Fassung veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 241 vom 21. Dezember 2005, S. 16878. „Vergütungssätze VR-OD 3 für die Nutzung von Werken des GEMARepertoires Music-on-Demand ohne Download beim Endnutzer zum privaten Gebrauch“, in der letzten Fassung veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 241 vom 21. Dezember 2005, S. 16878. Die Mindestvergütungen sind dagegen verschieden: Nach dem Tarif VR-OD 2 beträgt sie 0,175 Euro, nach dem Tarif VR-OD 3 0,125 Euro (jeweils Zf. II Nr. 1).
B. Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich
und in der darauf folgenden Zeit 12,5%. Vergütungsgrundlage ist grundsätzlich der Preis abzüglich der Mehrwertsteuer, den der Endverbraucher für die Leistungen des Music on Demand-Dienstes zahlt. Dies allerdings nur dann, wenn das Angebot nicht auf andere Weise finanziert wird, zum Beispiel durch Werbung, Sponsoring, Abonnementsgebühren oder Kompensationsgeschäfte. In diesem Fall muss der Anbieter mit der GEMA eine gesonderte Vereinbarung über die Vergütungsgrundlage treffen.619 Die Tarife für Music on Demand-Angebote gelten ausdrücklich nicht für die Nutzung von Werken als Klingeltöne.620 Für das Klingeltongeschäft gilt der Tarif „VR-OD 1“.621 Da die Nutzungsrechte an Klingeltönen zweigleisig wahrgenommen werden, müssen die Anbieter zudem eine Vergütung an die Rechteinhaber selbst zahlen. Die Vergütung für Internetradio-Dienste mit Musik bemisst sich nach dem GEMA-Tarif für Radio („S-VR/Hf-Pr“).622 Die Regelvergütung beträgt 7,75% der Einnahmen des Veranstalters, wenn der Musikanteil 90–100% beträgt.623 Der Mindestbetrag für Webradios beläuft sich auf 30 Euro im Monat.624 Er ist vor allem für die vielen nichtkommerziellen Internetradio-Anbieter relevant, die keine wesentlichen Umsätze erzielen und bei denen eine prozentuale Beteiligung daher fehl am Platze wäre. Um die Lizenzierung von Webradio-Angeboten zu erleichtern, hat die GEMA einen sog. „Internet-Lizenzshop“ eingerichtet, der den Erwerb einer Lizenz über ein elektronisches Formular auf ihrer Website ermöglicht.625 Für sog. Premium-Radioangebote gibt es einen eigenen Tarif („S-ZR/ PHf-Pr“).626 Darunter versteht die GEMA zum einen Radioangebote mit ________ 619 620 621
622 623 624 625 626
Zf. II. Nr. 3 VR-OD 2 und VR-OD 3. Vgl. Zf. III. Nr. 3 VR-OD 2. „Vergütungssätze VR-OD 1 für die Nutzung von Werken des GEMARepertoires in Form von Ruftonmelodien Music-on-Demand mit Download beim Endnutzer zum privaten Gebrauch“, in der letzten Fassung veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 241 vom 21. Dezember 2005, S. 16877. „Tarif Radio für die Nutzung von Werken des GEMA-Repertoires durch private Veranstalter von Hörfunk (alle Sendearten ohne Premium-Radio)“. Zf. I Nr. 1 Tarif S-VR/Hf-Pr. Zf. I Nr. 2 d) Tarif S-VR/Hf-Pr. Unter http://lizenzshop.gema.de; vgl. Becker, in: GEMA-Geschäftsbericht 2005, S. 7 f. „Tarif Premium-Radio für die Nutzung von Werken des GEMA-Repertoires durch private Veranstalter von Premium-Radio (alle Sendearten)“.
163
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
zehn oder mehr nach Musiksparten definierten Kanälen, die einen Musikanteil von annähernd 100% aufweisen (Mehrkanaldienste) und zum anderen interaktive Radioangebote, bei denen die Hörer das Programm etwa durch Bestimmung des Musikgenres oder die Verwendung bestimmter Wiedergabefunktionen wie Titel überspringen, Titel wiederholen etc. beeinflussen können.627 Sobald die Hörer die Musikauswahl vollständig bestimmen, insbesondere konkrete Titel auswählen können, ist nicht mehr der Premium-Radio-Tarif, sondern einer der Music on Demand-Tarife einschlägig.628 Gesamtvertraglich privilegierte Internetanbieter erhalten von der GEMA einen Nachlass in Höhe von 20%.629 Die Gesamtvertragsfähigkeit der phonographischen Wirtschaft wurde von der Schiedsstelle des DPMA in Entscheidungen vom Februar 2006 allerdings verneint.630 InternetMusikanbieter haben eine Reihe von Verfahren vor der Schiedsstelle anhängig gemacht, in denen sie die Höhe der Online-Tarife der GEMA anfechten.631 Einem veröffentlichten Einigungsvorschlag der Schiedsstelle vom 11. Dezember 2006 ist zu entnehmen, dass die Schiedsstelle in Abweichung des GEMA-Tarifs VR-OD 2 für den Bereich Music-on-Demand mit Download einen Grundlizenzsatz von 11% des Endverkaufspreises für angemessen hält (im GEMA-Tarif sind 15% vorgesehen).632 Im Streit zwischen dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) und der GEMA über einen Gesamtvertrag für die Nutzung musikalischer Werke als Klingeltöne hat die Schiedsstelle am 24. Oktober 2006 ebenfalls einen Einigungsvorschlag gemacht.633 Eine gerichtliche Überprüfung der einschlägigen GEMATarife hat bislang – soweit ersichtlich – nicht stattgefunden.
________ 627 628 629
630 631 632 633
164
Zf. II Nr. 1 a) und b) Tarif S-ZR/Phf-Pr. Vgl. Zf. II Nr. 1 b) Abs. 2 Tarif S-ZR/Phf-Pr. Zf. III Nr. 6 Tarif VOR-OD 1 (Ruftonmelodien), Tarif VR-OD 2 (Music-onDemand mit Download) und Tarif VR-OD 3 (Music-on-Demand ohne Download); Zf. I Nr. 3 Tarif S-VR/Hf-Pr (Radio) und Tarif S-ZR/Phf-Pr (PremiumRadio). Vgl. GEMA-Brief Nr. 58, Mai 2006. Siehe Becker, in: GEMA-Geschäftsbericht 2005, S. 7. Siehe den Einigungsvorschlag der Schiedsstelle vom 11. Dezember 2006, abgedr. in ZUM 2007, 243 ff. ZUM 2007, 77 ff.
B. Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich
3.
Verteilungsregeln
Die Verteilung der aus dem Nutzungsbereich Online erzielten Einnahmen unter den Mitgliedern wird im GEMA-Verteilungsplan C geregelt.634 Danach erfolgt die Verteilung grundsätzlich im Wege der Nettoeinzelverrechnung.635 Im Übrigen beschränkt sich der Verteilungsplan im Wesentlichen darauf, auf die in den Verteilungsplänen A (Aufführungs- und Senderecht) und B (mechanische Rechte) enthaltenen Regeln zu verweisen. Welcher Verteilungsplan einschlägig ist, richtet sich nach der Art der Internetnutzung. Für Internetradio gilt, dass zwei Drittel der Einnahmen nach dem Verteilungsplan A und ein Drittel nach dem Verteilungsplan B verteilt werden. Das Gleiche gilt für alle anderen Internetdienste, bei denen kein Download möglich ist. Umgekehrt ist für die Verteilung der Einnahmen aus den Bereichen Music on Demand und Ruftonmelodien zu zwei Dritteln der Verteilungsplan B und zu einem Drittel der Verteilungsplan A maßgeblich. Die Aufteilung der Nutzungsarten orientiert sich also danach, ob die Nutzung eher mit der herkömmlichen Aufführung- oder Sendung eines Musikwerks vergleichbar ist (dann überwiegende Verteilung nach Verteilungsplan A) oder ob sie näher am Tonträgervertrieb liegt (dann überwiegende Verteilung nach Verteilungsplan B).636 Nach Einschätzung der GEMA entspricht dieser Verteilungsmodus der internationalen Praxis.637 Bislang bleiben die Einnahmen der Verwertungsgesellschaften aus der Internetnutzung hinter den Erwartungen zurück. 2005 erzielte die GEMA im Bereich Music on Demand und Websites Einnahmen von rund 1,4 Mio. Euro. Der Anteil an den Gesamterträgen der GEMA ist mit 0,08% (Online-Ruftonmelodien) und 0,31% (sonstiges Onlinegeschäft) sehr ge________ 634 635
636
637
Vorläufiger Verteilungsplan für den Nutzungsbereich Online, in der Fassung vom 27./28. Juni 2006 abgedr. im GEMA-Jahrbuch 2006/2007, S. 332 ff. Siehe § 1 Nr. 1: Allgemeine Grundsätze zum Verteilungsplan C. Bei den Einnahmen aus der Internetradio-Nutzung ist dagegen bislang keine Nettoeinzelverrechnung möglich, weil die Einnahmen zu gering sind, vgl. Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 226. Augenstein, Rechtliche Grundlagen des Verteilungsplans urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften, S. 94 f.; Müller, Der Verteilungsplan der GEMA, S. 171. Kreile/Becker, in: Moser/Scheuermann (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft, S. 632, 658.
165
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
ring.638 In anderen Ländern werden ähnliche Erfahrungen gemacht. Selbst in den USA, die traditionell als Vorreiter im Konsumbereich gelten, stellen die Online-Einnahmen der Verwertungsgesellschaften nur einen Bruchteil ihrer Gesamterträge dar.639 Aus Sicht der GEMA ist dies nicht zuletzt auf die fehlende Bereitschaft der Online-Anbieter zurückzuführen, die Urheberberechtigten angemessen an ihren Erlösen zu beteiligen.640
II.
GVL
Die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller lassen ihre Leistungsschutzrechte nur im Bereich der Zweitverwertung durch Verwertungsgesellschaften wahrnehmen.641 Dementsprechend ist auch der Wahrnehmungsumfang der GVL für Internetnutzungen eingeschränkt. Sie verfügt nur über die Rechte für Internetradio-Angebote, soweit diese nicht interaktiv ausgestaltet sind.642 Die Rechte für interaktives Internetradio sowie für Music on Demand befinden sich dagegen nicht in den Händen der GVL, weil diese Nutzungsarten dem Bereich der Erstverwertung zugehören.643 Die Tonträgerhersteller bevorzugen insoweit eine individuelle Wahrnehmung ihrer Rechte.644 Die Nutzungsbedingungen der GVL für Internetradio richten sich nach dem „Tarif für die Verwendung erschienener Tonträger für sog. Internetradio/Webcasting“.645 Der Tarif gilt explizit nur für Programmangebote, „bei denen die Programminhalte nicht-interaktiv gestaltet sind, linear ablaufen und dem Nutzer keine direkten Einflussnahmen auf das Programm erlauben“. Unter________ 638 639
640 641 642 643 644
645
166
Vgl. die Zahlen im GEMA-Geschäftsbericht 2006, S. 29. Die Einnahmen der ASCAP aus dem Bereich New Media betrugen 2005 nur 8,1 Mio. US-Dollar bei Gesamterträgen im Inland von 533 Mio. US-Dollar; vgl. Music & Copyright, 1. März 2006, S. 8 f. Becker, in: GEMA-Geschäftsbericht 2005, S. 7. Siehe oben 2. Kapitel, C.I.2. Vgl. Ventroni/Poll, MMR 2002, 648, 652 f. Siehe oben 1. Kapitel, B.I und B.IV. Die Tonträgerhersteller wenden dabei unterschiedliche Marktstrategien an. Die kleineren Tonträgerunternehmen schalten oftmals Zwischenhändler ein, vgl. oben 1. Kapitel, D.II. Vom 24. März 2005, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 70 vom 14. April 2005, S. 6051 und im Internet auf der Website der GVL unter www.gvl.de.
B. Praxis der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich
schieden wird zwischen nichtkommerziellen und kommerziellen Internetradio-Anbietern. Für nichtkommerzielle Anbieter ist eine Regelvergütung vorgesehen, die sich entweder nach der Anzahl der verwendeten Titel und Hörer oder alternativ nach der Minuten- und Hörerzahl richtet. Die jährliche Mindestvergütung beträgt, abhängig vom Tonträgeranteil im Programm, zwischen 250 und 500 Euro.646 Eine zusätzliche Vergütung wird für die im Rahmen eines Webcasting-Angebots erfolgenden Vervielfältigungen fällig.647 Die von den kommerziellen Anbietern zu zahlende Vergütung orientiert sich dagegen grundsätzlich an ihren Erlösen.648 Wenn die Erlöse 300.000 Euro im Jahr übersteigen, werden 12,5% fällig. Bei niedrigeren Erlösen reduziert sich der Prozentsatz oder sind Pauschalvergütungen zu zahlen.649 Kommerzielle Anbieter mit Erlösen über 500.000 Euro pro Jahr zahlen wiederum nicht erlösabhängig, sondern für jeden verwendeten Titel und Hörer oder alternativ pro Minute und Hörer.650 In diesem Fall wird auch hier eine zusätzliche Vergütung für Vervielfältigungen fällig.651 Gemäß § 12 UrhWG schließt die GVL mit Verwertervereinigungen Gesamtverträge. Für die Internetanbieter ermäßigt sich die Lizenzgebühr dann ebenso wie bei der GEMA um 20%.652
III. MCPS-PRS (Großbritannien) Die verschiedenen nationalen Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft wenden keine einheitlichen Tarife für Online-Nutzungen an.653 Verhandlungen zwischen den europäischen Verwertungsgesellschaften und der IFPI, die mit dem Ziel eines europaweit gültigen Online-Tarifs geführt wurden, hatten keinen Erfolg.654 ________ 646 647 648 649 650 651 652 653 654
Zf. I. Nr. 1 Webcasting-Tarif. Zf. I. Nr. 3 Webcasting-Tarif. Sind die Kosten des Anbieters höher als die Erlöse, sind nach Zf. I. 2. Webcasting-Tarif diese maßgeblich. Zf. II. Nr. 1 Webcasting-Tarif. Zf. II. Nr. 3 Webcasting-Tarif. Zf. II. Nr. 5 Webcasting-Tarif. Zf. III. Nr. 7 Webcasting-Tarif. Vgl. Gilliéron, IIC 2006, 939, 959; Music Week, 17. September 2005, S. 8; Music & Copyright, 26. Mai 2004, S. 1. Music & Copyright, 26. Mai 2004, S. 1, 4.
167
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Um die Unterschiede in den Tarifsystemen der einzelnen Gesellschaften zu veranschaulichen, wird im Folgenden exemplarisch der Online-Tarif der britischen Verwertungsgesellschaften MCPS und PRS erläutert. Die MCPS ist die britische Verwertungsgesellschaft für die Wahrnehmung der mechanischen Rechte für musikalische Werke. Die öffentlichen Wiedergaberechte werden von der PRS wahrgenommen. MCPS und PRS sind eigenständige Gesellschaften, arbeiten aber eng zusammen und operieren gemeinsam als die „MCPS-PRS Alliance“.655 Internetanbieter können die von der MCPS wahrgenommenen Vervielfältigungs- und die von der PRS wahrgenommenen öffentlichen Wiedergaberechte von der MCPSPRS Alliance aus einer Hand erwerben. Die MCPS-PRS Alliance stellt den Internetanbietern zwei Lizenzarten (Tarife) zur Verfügung: Die „MCPS-PRS limited Online Exploitation Licence (LOEL)“ ist für kleinere Musiknutzungen vorgesehen und erfasst zum Beispiel das Abspielen von bis zu 30 Sekunden langen Musikclips auf Internetseiten. Für Angebote, in denen Musik einen substantiellen Part spielt, also zum Beispiel Music on Demand und Internetradio, gilt die „MCPS-PRS Joint Online Licence“.656 Die Online-Tarife der MCPS-PRS Alliance wurden von der Verwerterindustrie angegriffen. Ein Anhörungstermin vor dem für die Streitschlichtung zuständigen Copyright Tribunal war bereits angesetzt. Im Herbst 2006 konnte die MCPS-PRS Alliance mit den meisten Online-Anbietern aber einen Vergleich erzielen.657 Der Tarif beträgt danach 8% der Einnahmen der Internetanbieter für On-demand Nutzungen sowie 6,5% für Webcasting-Dienste. Dabei gelten Mindestvergütungssätze, deren Höhe von der Art des Angebots abhängt. Vorerst ungeklärt blieb die Frage, welche Arten von Einnahmen (Gebühren der Nutzer, Werbeeinnahmen etc.) dem Lizenzsatz zugrunde zu legen sind. Insoweit wurde das Verfahren vor dem Copyright Tribunal fortgeführt.658 Im Juli 2007 hat das Copyright Tribunal eine Entscheidung erlassen und die Umstände definiert, ________ 655 656
657 658
168
Die Alliance besteht seit 1996, vgl. Parker, Music Business, S. 138. „Licensing scheme for the provision of online and mobile music services to the public for private use“; veröffentlicht auf der Website der MCPS-PRS unter www.mcps-prs-alliance.co.uk (letzter Abruf am 7. Dezember 2006). Music & Copyright, 25. Oktober 2006, S. 2; Music Week, 7. Oktober 2006, S. 3; Billboard, 14. Oktober 2006, S. 16; Billboard, 20. Oktober 2006, S. 14. Billboard, 14. Oktober 2006, S. 16; Music Week, 25. November 2006, S. 6 f.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
unter denen Werbeeinnahmen bei der Berechnung der Lizenzgebühr einfließen dürfen.659
IV. Fazit Für die Internetanbieter im europäischen Binnenmarkt gelten von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Lizenzbedingungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke und Tonträger. Die Ursachen dafür liegen darin, dass die Verwertungsgesellschaften bei der Tarifbildung autonom vorgehen, die Märkte in der Gemeinschaft nicht einheitlich sind und in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Regulierungen über die Tarifbildung und behördliche Tarifkontrolle herrschen.
C.
Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission Die unterschiedlichen Tarife stellen die Verwertungsgesellschaften bei der Erteilung multiterritorialer Lizenzen offenkundig vor eine Herausforderung. In ihrer Simulcasting-Entscheidung vom 8. Oktober 2002 hat die Kommission erstmals zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit eines Gegenseitigkeitsvertrags Stellung genommen, in dem sich Verwertungsgesellschaften zu Mehrgebietslizenzen ermächtigen.660 Gegenstand der ________ 659
660
Die Entscheidung des Copyright Tribunal vom 19. Juli 2007 (Az.: CT8490/05) ist auf dessen Internetseite unter www.ipo.gov.uk/ctribunal/ veröffentlicht (letzer Abruf am 8. September 2007). Entscheidung der Kommission vom 8. Oktober 2002 (2003/300/EG) in der Sache COMP/C2/38.014 – IFPI „Simulcasting“, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58 ff.; dazu XXXII. Wettbewerbsbericht der Kommission 2002, S. 51 f.; Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 680 ff.; Mestmäcker, in: Kreile/Becker/ Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 72, 75 ff.; ders., WuW 2004, 754, 756 ff.; Mendes Pereira, Competition Policy Newsletter 2003, 44 ff.; Capobianco, E.I.P.R. 2004, 113, 118 ff.; Guibault, e-Copyright Bulleting AprilJune 2005, 1, 4 ff.; Schwarze, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 45, 61 f.; v. Lewinski, in: Schricker (Hrsg.), International Encyclopedia of Comparative Law, Volume XIV – Copyright and Industrial Property, Chapter 6 – Collective Administration of Copyrights and Neighbouring Rights, S. 37 f.; Papadopoulou/Schmittmann, AfP 2002, 480 ff.; Gotzen, in: Ohly u. a. (Hrsg.), FS Schricker, S. 299, 301 f.; Senn, in: Graber u. a. (Hrsg.), Digital Rights Management: The End of Collecting Societies?, S. 123, 129 ff.;
169
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Entscheidung ist die Simulcasting-Vereinbarung. Dabei handelt es sich um einen Mustervertrag der IFPI, den diese im Namen von Tonträgerhersteller-Verwertungsgesellschaften bei der Kommission angemeldet hatte. Die Kommission stellte die Vereinbarung nach der seinerzeit geltenden VO 17/62 vom Kartellverbot frei. Der Freistellungsentscheidung gingen zwei Änderungen der erstmals im November 2000 angemeldeten Simulcasting-Vereinbarung voraus. Nach Auffassung der Kommission waren sie für eine Freistellung notwendig. Die Kommissionsentscheidung bezieht sich auf die zuletzt im Mai 2002 angemeldete Fassung der Vereinbarung. Die erste Änderung der Vereinbarung betraf die territoriale Zuständigkeit der Verwertungsgesellschaften für die Lizenzerteilung. Bei der zweiten Änderung ging es um die Frage, welche Tarife bei der Internetnutzung anwendbar sein sollen. Auf diese beiden Aspekte wird im Folgenden besonders eingegangen, da sie die Schwerpunkte und zugleich die umstrittenen Teile der Kommissionsentscheidung bilden.
I.
Gegenstand der Simulcasting-Vereinbarung
Die Simulcasting-Vereinbarung ist ein Mustervertrag für die bilateralen Gegenseitigkeitsverträge zwischen Verwertungsgesellschaften, die sich mit der Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten der Tonträgerhersteller befassen, unter ihnen die GVL und weitere Gesellschaften mit Sitz in der EU und im Gebiet des EWR.661 In diesen Verträgen ermächtigen ________
661
170
v. Einem, MMR 2006, 647, 650 f.; Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193, 196 f., 207 ff.; Gilliéron, IIC 2006, 939, 943 ff. Die an der freigestellten Vereinbarung beteiligten Verwertungsgesellschaften werden in der Simulcasting-Entscheidung aufgezählt, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 59 Zf. 8, und S. 82 ff.; aus dem (heutigen) EU-Raum: Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten Ges.m.b.H. (Österreich), Société de l’Industrie Musicale/Muziek Industrie Maatschappij (Belgien), GRAMEX (Dänemark), GRAMEX (Finnland), GVL (Deutschland), GRAMMO (Griechenland), Società Consortile Fonografici Per Azioni S.c.p.a. (Italien), PPI (Irland), Stichting ter Expoitatie van Naburige Rechten (Niederlande), Associação Fonográfica Portuguesa (Portugal), IFPI Schweden, PPL (Vereinigtes Königreich), Intergram (Tschechische Republik), Eesti Fonogrammitootjate Ühing (Estland), Zwiazek Producentów Audio Video (Polen); aus dem EWR: Sam-
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
sich die Verwertungsgesellschaften zur Erteilung von Lizenzen für die Nutzung geschützter Tonträger an sog. Simulcaster. Jede Verwertungsgesellschaft wird in die Lage versetzt, das Gesamtrepertoire der Gesellschaften an Simulcaster zu vergeben – dies nicht nur mit Wirkung für das eigene Territorium, sondern auch für die Verwaltungsgebiete der anderen Gesellschaften. Gegenstand der Simulcasting-Vereinbarung ist also die Erteilung von Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenzen.662 Als Simulcasting („Simultanübertragung“) definiert die Vereinbarung die gleichzeitige Verbreitung von Tonaufzeichnungen über das Internet, die über Rundfunk- und/oder Fernsehsignale durch Rundfunk- oder Fernsehsender übertragen werden.663 Simulcasting bezeichnet also den Fall, dass ein Rundfunk- oder Fernsehanbieter seine Sendungen zeitgleich zur herkömmlichen Funkausstrahlung auch im Internet zugänglich macht.664 Webcasting-Angebote, die ausschließlich über das Internet gesendet werden, sind von der Vereinbarung nicht umfasst. Im Anschluss an die Kommissionsentscheidung unterzeichneten die Verwertungsgesellschaften aber auch für den Webcasting-Bereich Gegenseitigkeitsverträge, die der Simulcasting-Vereinbarung inhaltlich entsprechen.665 ________
662 663
664 665
band Flitjenda og Hljomplötuframleidanda (Island), GRAMO (Norwegen); außerhalb EU/EWR: IFPI Schweiz, Phonographic Performance Ltd (Hongkong), Phonographic Performance Limited (Indien), Public Performance Malaysia Sdn Bhd (Malaysia), Recording Industry Performance Singapore Pte Ltd (Singapur), The Association of Recording Copyright Owners (Taiwan), Phonorights Ltd. (Thailand), Cámara Argentina de Productores de Fonogramas y Videogramas (Argentinien), Sociedad Mexicana de Productores de Fonogramas, Videogramas y Multimedia S.G.C. (Mexiko), Unión Peruana de Productores Fonográficos (Peru), Camara Uruguaya del Disco (Uruguay) und Recording Industry Association New Zealand (Neuseeland). Die Kommission spricht von „Mehrprogramm- und Mehrgebietslizenzen“. Die wörtliche Definition in der Vereinbarung lautet: „Simultanübertragung durch Rundfunk- und Fernsehanstalten über das Internet von Tonträgeraufzeichnungen in ihren Einkanal- und drahtlosen Übertragungen von Rundfunk- und/oder Fernsehsignalen gemäß den einschlägigen Vorschriften für die Erbringung von Rundfunkdiensten“, vgl. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 59 Fn. 6; eingehend zur Bedeutung des Simulcasting Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 670 ff.; Papadopoulou/Schmittmann, AfP 2002, 480 f. Siehe bereits oben 1. Kapitel, B.IV. Die Simulcasting- und die Webcasting-Vereinbarung sind nicht veröffentlicht. Die wettbewerbsrechtlich relevanten Klauseln können der Simulcasting-Entscheidung entnommen werden.
171
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Da einige der beteiligten Verwertungsgesellschaften ausschließlich Tonträgerhersteller vertreten, werden die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler von der Simulcasting-Vereinbarung nicht erfasst.666 Zwischen den Verwertungsgesellschaften der ausübenden Künstler wurden aber entsprechende Gegenseitigkeitsverträge für Mehrgebietslizenzen geschlossen.667
II.
Inhalt und Begründung der Entscheidung
Die Verwertungsgesellschaften legten die Vereinbarung der Kommission ursprünglich mit dem Antrag auf einen Negativattest vor.668 Gemäß Art. 2 VO 17/62 konnte mit einem Negativattest festgestellt werden, dass die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 1 EG nicht vorliegen, etwa mangels Wettbewerbsbeschränkung. Die Kommission folgte diesem Antrag nicht, sondern stellte die Vereinbarung, wie von den Parteien hilfsweise beantragt, durch eine Entscheidung nach Art. 81 Abs. 3 EG frei. Eine Freistellung vom Kartellverbot kommt nur in Betracht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt sind.669 Die Kommission hielt die Simulcasting-Vereinbarung für wettbewerbsbeschränkend. 1.
Wettbewerbsbeschränkungen
Nach Auffassung der Kommission wirkte sich die Vereinbarung auf den Lizenzmarkt aus, d. h. auf den Markt der Lizenzerteilung durch Verwertungsgesellschaften an Simulcaster.670 Eine Wettbewerbsbeschränkung sah die Kommission zum einen in der ursprünglich vorgesehenen Zuständigkeitsregelung und zum anderen in der Regelung über die anwendbaren Lizenzgebühren.
________ 666 667 668 669 670
172
Vgl. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 68 Zf. 56. Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 677; Gerlach, ZUM 2000, 856, 857. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58 Zf. 1. Vgl. Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EGVertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 30. 4. 2003, S. 97, 103, Zf. 40. Simulcasting Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 70 Zf. 68.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
a)
Zuständigkeitsregelung
Nach der zuerst vorgelegten Fassung der Simulcasting-Vereinbarung vom November 2000 sollte jede Verwertungsgesellschaft ausschließlich dafür zuständig sein, Simultanübertragungslizenzen für die Sender in ihrem Verwaltungsgebiet zu erteilen.671 Diese starre Zuständigkeitsregelung („customer allocation clause“) entsprach den im 3. Kapitel erörterten CISAC- und BIEM-Gegenseitigkeitsverträgen. Gemäß diesen Verträgen sind die Verwertungsgesellschaften in ihren Verwaltungsgebieten für die Lizenzerteilung über das Weltrepertoire ebenfalls allein zuständig.672 Die Kommission lehnte die von den Verwertungsgesellschaften vorgesehene Zuständigkeitsregelung ab. Ihrer Auffassung nach ist die herkömmliche Rechtfertigung für starre Zuständigkeitsverteilungen zwischen Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich hinfällig. Die Lizenzierung im Internet erfordere keine physische Überwachung lokaler Anbieter, sondern könne im Wege der Fernüberwachung erfolgen. Man benötige hierfür nicht mehr als einen Computer und einen Internetanschluss.673 Für die Verwertungsgesellschaften ist es nach Meinung der Kommission somit nicht mehr notwendig, dass ihre Lizenznehmer im gleichen Territorium ansässig und tätig sind. Die Nutzung im Internet, so die Kommission, könne über das Internet überwacht werden. Es bedürfe keiner physischen Präsenz der Verwertungsgesellschaft am Ort des Anbieters. Um eine Freistellung der Vereinbarung nicht zu gefährden, ersetzten die Verwertungsgesellschaften die Zuständigkeitsregelung daraufhin durch eine Bestimmung, die den Simulcastern im EWR-Gebiet die freie Wahl gibt, bei welcher Verwertungsgesellschaft die Lizenz beantragt wird.
________ 671
672 673
Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 63 Zf. 27; Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung lautete: „Mit diesem Vertrag stimmt jede Vertragspartei darin überein, dass das in Artikel 2 genannte Recht auf Simultanübertragung in und nach ihrem eigenen Gebiet auf nicht ausschließlicher Grundlage der anderen Vertragspartei (. . .) für die Sender übertragen wird, deren Signale im Gebiet der anderen Vertragspartei ihren Ursprung haben und die von der anderen Vertragspartei eine Lizenz für das Simultanübertragen erhalten.“. Siehe oben 3. Kapitel, C.I.2 und C.II.2. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 69 Zf. 61.
173
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
b)
Bestimmung der Lizenzgebühr
Im Hinblick auf die anwendbaren Lizenzgebühren traf die Kommission eine grundlegende Unterscheidung zwischen der eigentlichen Urheberrechtslizenzgebühr („copyright royalty“) und der Verwaltungsgebühr („administration fee“). Unter der Urheberrechtslizenzgebühr versteht die Kommission den Teil der den Simulcastern berechneten Gesamtgebühr, der den eigentlichen Wert der Nutzungserlaubnis widerspiegelt. Wie erläutert, bestimmen die Verwertungsgesellschaften diese Gebühr für ihre Verwaltungsgebiete autonom.674 In einem Gegenseitigkeitsvertrag für Mehrgebietslizenzen wie der Simulcasting-Vereinbarung wären im Prinzip drei Mechanismen zur Bestimmung der anwendbaren Lizenzsätze denkbar:675 Einmal könnte die lizenzerteilende Verwertungsgesellschaft die für die Nutzung des Weltrepertoires anfallende Lizenzgebühr autonom von den anderen Verwertungsgesellschaften und unabhängig von dem Gebiet bestimmen, in dem das Internetangebot abgerufen wird. Folge einer solchen Regelung wäre, dass die Internetanbieter unterschiedliche Lizenzgebühren zu zahlen hätten, je nachdem, mit welcher Verwertungsgesellschaft sie den Lizenzvertrag abschlössen. Zwischen den Verwertungsgesellschaften fände dann ein Tarifwettbewerb statt. Als zweite Möglichkeit ist vorstellbar, dass sich die Verwertungsgesellschaften auf die Anwendung eines einheitlichen Tarifs einigten, der möglicherweise in Gesamtverträgen mit Vereinigungen der Verwerter ausgehandelt würde. Dieser Tarif würde den Simulcastern unabhängig davon in Rechnung gestellt werden, welche Gesellschaft die Lizenz erteilt und in welchem Gebiet das Angebot abgerufen wird. Ein Tarifwettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften wäre in diesem Fall ausgeschlossen. Alle Verwertungsgesellschaften würden den gleichen Tarif verlangen. Die Verwertungsgesellschaften folgten in der Simulcasting-Vereinbarung einem dritten Vergütungsmodell, dem sog. Bestimmungslandprinzip
________ 674 675
174
Siehe oben 4. Kapitel, B.IV. Vgl. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 79 Zf. 109.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
(„country-of-destination principle“).676 Für die Berechnung der Lizenzgebühr ist maßgeblich, in welchem Gebiet die Sendungen des Simulcasters empfangen werden. Jede Verwertungsgesellschaft setzt ihren Gebietstarif für ihr Verwaltungsgebiet autonom fest. Die anderen Verwertungsgesellschaften wenden die nationalen Tarife bei der Erteilung von Mehrgebietslizenzen an. Erteilt also beispielsweise die GVL einem Simulcaster eine Lizenz für die Gebiete Deutschland und Italien, bemisst sich die Lizenzgebühr zum einen nach dem Tarif, der von der GVL in ihrem eigenen, und zum anderen nach dem Tarif, der von der italienischen Verwertungsgesellschaft im italienischen Gebiet angewandt wird. Die gleiche Gebühr fällt an, wenn die Lizenz von der italienischen oder auch von einer dritten, etwa der griechischen Verwertungsgesellschaft erteilt wird. Die Tarife der einzelnen Verwertungsgesellschaften kommen also immer dann zur Anwendung, wenn in ihren Gebieten ein Empfang stattfindet, und unabhängig davon, welche Verwertungsgesellschaft die Simulcasting-Lizenz erteilt.677 Die Kommission beurteilte das gewählte Vergütungsmodell als Beschränkung des Preiswettbewerbs im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG.678 Die lizenzerteilende Verwertungsgesellschaft werde in ihrer Freiheit eingeschränkt, die Lizenzvergütung selbst festzusetzen. Da jede Verwertungsgesellschaft in ihrem Gebiet über die Tarifhoheit verfüge, stehe die Gebühr bei der Erteilung einer Mehrgebietslizenz schon weitgehend fest. Aus Sicht der Simulcaster mache es im Hinblick auf den Preis keinen Unterschied, bei welcher Verwertungsgesellschaft sie die Lizenz beantragten. Auch einen Konditionenwettbewerb, wie er sich bei der Zentrallizenzierung von Tonträgern entwickelt hat (siehe oben 3. Kapitel, D.II.2), sei im Simulcasting-Bereich nicht zu erwarten.679 Viele Simulcaster seien kleine und mittelgroße Unternehmen. Die Vereinbarungen mit diesen Unternehmen erreichten nicht das erforderliche Volumen, um den Verwertungsgesellschaften einen Raum für Preisnachlässe zu geben. ________ 676 677
678 679
Vgl. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 62 Zf. 21 ff. Zu den in Betracht kommenden Berechnungsmodellen für SimulcastingTarife (Pauschalbeträge, nutzungsabhängige oder einnahmebasierte Beträge) vgl. Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 682 ff. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 70 Zf. 67. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 70 f. Zf. 69.
175
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Die Kommission stellte neben dem Bestimmungslandprinzip eine weitere Beschränkung des Preiswettbewerbs fest. Sie bemängelte, dass den Simulcastern von den Verwertungsgesellschaften nicht offengelegt werde, welcher Teil der Lizenzgebühr dem Ausgleich der mit der Erteilung einer Mehrgebietslizenz verbundenen Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften diene.680 Durch die Vermischung der eigentlichen Urheberrechtslizenzgebühr mit der Verwaltungsgebühr könnten die Simulcaster nicht die Effizienz der einzelnen Verwertungsgesellschaften ermitteln. Sie würden daran gehindert, auf die Dienstleistung derjenigen Gesellschaft zurückzugreifen, die sie zu den niedrigsten Kosten anbiete.681 2.
Freistellung vom Kartellverbot
Im Ergebnis betrachtete die Kommission also drei Punkte der ursprünglich vorgelegten Fassung der Simulcasting-Vereinbarung als Wettbewerbsbeschränkung: Die starre Zuständigkeitsregelung, die Anwendung des Bestimmungslandprinzips bei der Festsetzung der Urheberrechtslizenzgebühr sowie die unterlassene Ausweisung einer gesonderten Verwaltungsgebühr. Nachdem die Verwertungsgesellschaften die Zuständigkeitsregelung im EG-/EWR-Bereich zugunsten einer freien Wahl der Simulcaster geändert hatten, blieb für die Kommission zu prüfen, ob die Vereinbarung im Hinblick auf die beiden letztgenannten Punkte gemäß Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot freizustellen war. Wie erörtert, lassen sich die Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 3 EG in vier Voraussetzungen unterteilen.682 Die Voraussetzungen der „Verbesserung der Warenverteilung oder Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“ und der „angemessenen Beteiligung der Verbraucher am entstehenden Gewinn“ waren bei der SimulcastingVereinbarung nach Auffassung der Kommission erfüllt.683 Die Vereinbarung schaffe mit der Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenz ein Produkt, das es vorher nicht gegeben habe.684 Mit dem Prinzip des „one stop shop“ erleichterten die Verwertungsgesellschaften den Verwertern den Erwerb der erforderlichen Nutzungsrechte. Dies führe wiederum dazu, ________ 680 681 682 683 684
176
ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 71 f. Zf. 71 ff. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 71 Zf. 71. 3. Kapitel, E.III.3. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 74 ff. Zf. 84 ff. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 74 Zf. 87.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
dass einer größeren Anzahl von Verbrauchern Ton- und Bildaufzeichnungen über das Internet angeboten werden.685 a)
Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit
Eine Freistellung vom Kartellverbot setzt darüber hinaus voraus, dass den Unternehmen in der Vereinbarung nicht Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung der Ziele nicht unerlässlich sind (Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG). Die Anwendung des Bestimmungslandprinzips beurteilte die Kommission als in diesem Sinne unerlässlich, um die Ziele der SimulcastingVereinbarung verwirklichen zu können.686 Wie erläutert, gibt es zum Bestimmungslandprinzip zwei Alternativen. Das erste Alternativmodell besteht in der Vereinbarung eines gemeinsamen, von den Verwertungsgesellschaften einheitlich angewandten Tarifs. Die Kommission verwarf dieses Vergütungsmodell mit dem Hinweis, dass es den Preiswettbewerb noch stärker einschränke als das Bestimmungslandprinzip.687 Als weniger wettbewerbsbeschränkende Option bewertete die Kommission das zweite Alternativmodell, in dem die Urheberrechtslizenzgebühr allein von der lizenzerteilenden Gesellschaft bestimmt wird.688 Die Kommission sah diese Option jedoch als nicht realistisch an. Es sei nicht zu erwarten, dass die Verwertungsgesellschaften einem solchen Vergütungsmodell folgen würden. Sie benötigten ein Mindestmaß an Kontrolle über die Bedingungen, zu denen ihre Repertoires angeboten werden. Die Kommission verwies in diesem Zusammenhang auf das Coditel I-Urteil des Gerichtshofs und den darin anerkannten Anspruch der Rechteinhaber, für jede Darbietung ihrer Werke eine Vergütung verlangen zu können.689 Ohne das Bestimmungslandprinzip bestünde das Risiko, dass einzelne Verwertungsgesellschaften die Lizenzgebühr im Wettbewerb um Verwerter unterhalb der Grenze festsetzten, die von den anderen Gesellschaften für angemessen gehalten werde.690 Die Kommission folgerte daraus, dass die mit dem Bestimmungslandgrundsatz einhergehende Beschränkung ________ 685 686 687 688 689 690
ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 75 Zf. 89. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 79 f. Zf. 108 ff. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 79 Zf. 109 f. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 79 Zf. 110. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 80 Zf. 114. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 79 Zf. 111.
177
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
des Preiswettbewerbs eine unerlässliche Voraussetzung für die Simulcasting-Vereinbarung darstelle. Anders beurteilte die Kommission die unterlassene Ausweisung der Verwaltungsgebühren durch die Verwertungsgesellschaften. Ohne eine Ausweisung der Verwaltungsgebühren könne die Vereinbarung nicht als unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 EG beurteilt werden.691 Die Vermengung von Urheberrechtslizenzgebühr und Verwaltungskosten in einer Gesamtlizenzgebühr sei nicht erforderlich, um eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber zu sichern. Sie entspreche eher einem Finanzkonstrukt.692 Das begründete die Kommission wie folgt: Die Verwertungsgesellschaften finanzierten ihre Leistungen durch Vornahme eines Verwaltungskostenabzugs von ihren Lizenzeinnahmen. Das bedeute, dass in jedem nationalen Tarif einer Verwertungsgesellschaft ein Verwaltungskostenteil enthalten sei. Rechne man die nationalen Tarife der Verwertungsgesellschaften bei der Berechnung der Lizenzgebühr für eine Mehrgebietslizenz unter Anwendung des Bestimmungslandprinzips zusammen, würden dem Lizenznehmer die Verwaltungskosten aller Verwertungsgesellschaften in den Empfangsländern berechnet werden und nicht nur die der lizenzerteilenden Gesellschaft. Dadurch werde verhindert, dass die Simulcaster von den erzielbaren Rationalisierungseffekten profitierten.693 Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen der Kommission verpflichteten sich die Verwertungsgesellschaften in der letzten Fassung der Vereinbarung vom Mai 2002 in einer Absichtserklärung zu einer getrennten Ausweisung einer Verwaltungsgebühr gegenüber den Simulcastern.694 Die Simulcasting-Tarife der Verwertungsgesellschaften weisen nach der am Ende freigestellten Fassung der Vereinbarung somit zwei Elemente auf: Die eigentliche Urheberrechtslizenzgebühr wird von jeder Verwertungsgesellschaft mit Wirkung für ihr eigenes Verwaltungsgebiet festgelegt und ist auch von den anderen Verwertungsgesellschaften anzuwenden. Sie wird fällig, sobald ein Empfang der Sendung in dem betreffenden Verwaltungsgebiet stattfindet und unabhängig davon, welche Gesellschaft die Lizenz erteilt. Ein Gebührenwettbewerb zwischen den Verwer________ 691 692 693 694
178
ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 76 ff. Zf. 99 ff. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 76 Zf. 101. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 77 Zf. 101. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 77 Zf. 103.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
tungsgesellschaften ist damit ausgeschlossen. Das zweite Element des Tarifs ist die Verwaltungsgebühr. Sie spiegelt die Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften wider. Die lizenzerteilende Gesellschaft legt ihre Verwaltungsgebühr autonom fest. Die anderen Verwertungsgesellschaften können auf sie keinen Einfluss nehmen.695 Die Verwaltungsgebühren werden somit im Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften herausgebildet. b)
Keine Ausschaltung des Wettbewerbs
Weitere Voraussetzung von Art. 81 Abs. 3 EG ist, dass die fragliche Vereinbarung nicht den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausschaltet. Wie im 3. Kapitel ausgeführt wurde, ist eine Freistellung der herkömmlichen territorial beschränkten Gegenseitigkeitsverträge vom Kartellverbot wegen dieses Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen. Die Verträge bewirken eine starre Bindung der Verwerter zu den lokalen Verwertungsgesellschaften und machen einen Wettbewerb unmöglich.696 Diesen grundsätzlichen Bedenken unterlag die Simulcasting-Vereinbarung nicht, nachdem die Verwertungsgesellschaften die ursprünglich von ihnen vorgesehene Zuständigkeitsregelung zugunsten einer Wahlfreiheit der Verwerter aufgegeben hatten. Die Kommission hob diesen Unterschied in ihrer Entscheidung positiv hervor und stellte fest, dass die bislang weitgehend durch das Fehlen jeglichen Wettbewerbs gekennzeichnete kollektive Rechtewahrnehmung mit der Vereinbarung einem Wettbewerb zugeführt werde.697
III. Stellungnahme Im Folgenden wird zunächst untersucht, ob sich die SimulcastingEntscheidung in die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Gegenseitigkeitsverträgen einfügt. Danach wird diskutiert, ob der Entscheidung in den strittigen Punkten der Zuständigkeitsregelung, der Anwendung des Bestimmungslandprinzips und der getrennten Ausweisung der Verwaltungsgebühren zuzustimmen ist. ________ 695 696 697
Vgl. Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 682. Siehe oben 3. Kapitel, E.III.3. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 81 Zf. 117, 119.
179
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
1.
Die Simulcasting-Vereinbarung im Lichte des Tournier-Urteils
Der Gerichtshof hat sich mit Gegenseitigkeitsverträgen im Online-Bereich bislang nicht auseinandergesetzt. Will man die Simulcasting-Vereinbarung am Maßstab seiner Rechtsprechung beurteilen, muss auf das Tournier-Urteil aus dem Jahr 1989 zurückgegriffen werden.698 Es stellt sich die Frage, ob die Begründung dieses Urteils auch auf Gegenseitigkeitsverträge wie die Simulcasting-Vereinbarung zutrifft, in denen sich Verwertungsgesellschaften zur Erteilung von Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenzen an Internetanbieter ermächtigen. a)
Vergleichbarkeit
Wie erörtert, hat der Gerichtshof die Gegenseitigkeitsverträge im Tournier-Urteil mit Blick auf zwei rechtmäßige Ziele für wettbewerbsrechtlich unbedenklich erklärt: Die Durchsetzung des Grundsatzes der Inländerbehandlung durch die Gleichbehandlung in- und ausländischer Werke und die Vermeidung doppelter Verwertungs- und Kontrollstrukturen auf einem Territorium.699 Im Hinblick auf den Aspekt der Inländerbehandlung kann die Begründung des Gerichtshofs auf die Simulcasting-Vereinbarung ohne Weiteres übertragen werden. Der Inländerbehandlungsgrundsatz gilt nicht nur für Urheberrechte, sondern ist auch Bestandteil der internationalen Abkommen zum Schutz der Tonträgerhersteller.700 Ebenso wie die im Tournier-Urteil beurteilten CISAC-Gegenseitigkeitsverträge gewährleistet die Simulcasting-Vereinbarung, dass die Gesamtheit der Schutzgegenstände, d. h. alle Tonträger, in einem Mitgliedstaat ohne Rücksicht auf ihre Herkunft einheitlichen Bedingungen unterworfen werden. Die zweite Erwägung des Gerichtshofs trifft ebenfalls auf die Simulcasting-Vereinbarung zu. Die ursprünglich vorgesehene Zuständigkeitsregelung hätte bewirkt, dass die Verwertungsgesellschaften nur für die Kontrolle der in ihren Verwaltungsgebieten niedergelassenen Simulcaster zuständig gewesen wären. Mit dem Bestimmungslandprinzip er________ 698 699 700
180
EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565 ff. – Tournier. Siehe oben 3. Kapitel, E.II.2.b). Siehe oben 1. Kapitel, C.II.4.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
reichen die Verwertungsgesellschaften zudem, dass sie keine eigenen Tarife für die Nutzung ihres Repertoires im Ausland erstellen müssen, sondern die bereits bestehenden Tarifsysteme der ausländischen Gesellschaften anwenden können. Mit der Zuständigkeitsregelung und der Anwendung des Bestimmungslandprinzips ermöglichen sich die Verwertungsgesellschaften somit im Sinne des Tournier-Urteils die gegenseitige Inanspruchnahme ihrer Kontroll- und Verwertungssysteme. Wie die im Tournier-Urteil beurteilten Gegenseitigkeitsverträge701 enthält die Simulcasting-Vereinbarung schließlich auch keine Ausschließlichkeitsregelung.702 Grenzüberschreitende Lizenzen über die isolierten nationalen Repertoires der Verwertungsgesellschaften bleiben möglich. Bei einer wörtlichen Anwendung des Tournier-Urteils wäre die Simulcasting-Vereinbarung deshalb bereits in ihrer ursprünglichen Fassung als wettbewerbsrechtlich zulässig zu beurteilen gewesen wäre. b)
Abgrenzung
Entscheidend ist somit, ob es zwischen der Simulcasting-Vereinbarung und den herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträgen einen anderen Unterschied gibt, der eine wettbewerbsrechtliche Neubewertung rechtfertigt. Wie erörtert, wird das Tournier-Urteil des Gerichtshofs im Hinblick auf seine dogmatische Herleitung unterschiedlich interpretiert. aa)
Wahrung des urheberrechtlichen Monopols
Nach einer Ansicht sind die Verwertungsgesellschaften kraft Urheberrechts befugt, sich in den Gegenseitigkeitsverträgen nur territorial beschränkt zu ermächtigen. Die Beschränkungen gewährleisteten, dass die Urheberrechte als ausschließliche Rechte erhalten bleiben und nicht bei mehreren Verwertungsgesellschaften verteilt seien. Daraus wird die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit territorial beschränkter Gegenseitigkeitsverträge hergeleitet.703
________ 701 702 703
Siehe oben 3. Kapitel, E.II.2.b). Vgl. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 63, 81 Zf. 27. Siehe oben 3. Kapitel, E.III.2.a).
181
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Auf der Grundlage dieser Erklärung des Tournier-Urteils müsste die Aufteilung der Zuständigkeitsgebiete zwischen den Verwertungsgesellschaften als zulässig beurteilt werden.704 Die ursprünglich von den Verwertungsgesellschaften vorgesehene starre Zuständigkeitsregel hätte die gleiche Folge gehabt wie eine territoriale Beschränkung der Gegenseitigkeitsverträge. Auf einem Territorium wäre jeweils nur eine Verwertungsgesellschaft zur Lizenzerteilung über das Weltrepertoire befugt gewesen. Ohne eine starre Zuständigkeitsregel bleiben die Urheberrechte nicht als ausschließliche Rechte erhalten, sondern werden von allen beteiligten Verwertungsgesellschaften parallel wahrgenommen. bb)
Potentieller Wettbewerb
Wie oben festgestellt, ist eine andere Auslegung des Tournier-Urteils vorzugswürdig. Die Ausführungen des Gerichtshofs sollten dahingehend verstanden werden, dass die Verwertungsgesellschaften keine potentiellen Wettbewerber waren.705 Im Zusammenhang mit der SimulcastingVereinbarung gilt es somit zu untersuchen, ob die Annahme von einem fehlenden potentiellen Wettbewerb auch im Online-Bereich gerechtfertigt ist. Dafür könnte zunächst sprechen, dass die Verwertungsgesellschaften auch in diesem Bereich ihre im Inland etablierten Verwertungssysteme nicht ohne Weiteres auf ausländische Märkte übertragen können. Ein für den französischen Markt entwickelter Tarif ist nicht unbedingt auch in Großbritannien, Finnland oder Polen angemessen. Grenzüberschreitend tätige Verwertungsgesellschaften müssen deshalb ihre Tarife dem jeweiligen rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld im Ausland anpassen. Erforderlich sind ferner der Abschluss von Gesamtverträgen mit ausländischen Verwertergruppen und die Schaffung geeigneter Strukturen zur Durchsetzung der Rechte. Die Tarife, Lizenzverträge und Informationsmittel der Verwertungsgesellschaften, zum Beispiel ihre Websites, müssen in andere Sprachen übersetzt werden. Gegebenenfalls wären fremdsprachlich qualifizierte Mitarbeiter einzustellen. Vor diese Herausforderungen sind Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich ebenso gestellt, wie sie es im Falle einer Ausweitung ihrer Verwaltungsgebiete im Offline-Bereich, ________ 704 705
182
So v. Einem, MMR 2006, 647, 651. Oben 3. Kapitel, E.III.2.c).
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
etwa bei der Lizenzierung von Diskotheken wären. Was die Verwertungsstrukturen der Verwertungsgesellschaften angeht, lassen sich Online- und Offline-Bereich daher nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die Verwirklichung des Binnenmarkts seit der im Jahr 1989 ergangenen Tournier-Entscheidung fortgeschritten ist. Mit der Richtlinie 2001/29/EG zur Informationsgesellschaft wurde der Rechtsschutz der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten im Internet weitgehend harmonisiert.706 Außerdem können die Verwertungsgesellschaften in ihren Lizenzvereinbarungen mit ausländischen Verwertern das ihnen bekannte inländische Vertragsrecht für anwendbar erklären und einen inländischen Gerichtsstand vereinbaren.707 Gegen unautorisierte Angebote, die in ihrem Verwaltungsgebiet abrufbar sind, können sie auf Grund des Schutzlandprinzips ebenfalls nach inländischem Urheberrecht vorgehen.708 Eröffnet ist in diesem Fall auch der besondere Gerichtsstand am Deliktsort, d. h. die Verwertungsgesellschaften müssen ihre Rechte nicht vor ausländischen Gerichten geltend machen.709 Die Möglichkeit der Anerkennung und Vollstreckung ________ 706 707
708 709
Siehe oben 1. Kapitel, C.I.2 und C.II.3. Das Vertragsstatut unterliegt gemäß Art. 27 Abs. 1 EGBGB der Parteiautonomie; ebenso nach Art. 3 Nr. 1 des Kommissionsentwurfs einer Verordnung über das auf vertragliche Schutzverhältnis anzuwendende Recht (ROM I) vom 15. Dezember 2005, KOM(2005) 650 endg.; Gerichtsstandsklauseln sind gemäß Art. 23 EuGVVO (VO Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12 vom 16. 1. 2001, S. 1 ff.) möglich. Siehe oben 1. Kapitel, E. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO; vgl. OLG Köln, Urteil vom 21. April 2006 (Az. 6 U 145/05), für den Fall eines Verstoßes gegen das UWG durch ein auf Zypern ansässiges Unternehmen durch Veranstaltung von Sportwetten im Internet. Der Gerichtshof legt den Gerichtsstand des Deliktsorts allerdings restriktiv aus: In der Sache Fiona Shevill u. a. gegen Presse Alliance SA (Rs. C-68/93, Slg. 1995, S. I–450 ff.) entschied er, dass bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch international verbreitete Presseveröffentlichungen der Gesamtschaden nur am Niederlassungsort des Verlags eingeklagt werden kann, vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 306. Sollte der Gerichtshof diese Rechtsprechung auf Internetdelikte im Urheberrecht ausdehnen (dafür etwa Berger, GRUR Int. 2005, 465, 468 f.; Bachmann, IPrax 1998, 179, 187), können Rechteinhaber am Gerichtsstand des Erfolgsort nur den dort erlittenen Schaden geltend machen.
183
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
von Urteilen mitgliedstaatlicher Gerichte innerhalb der Gemeinschaft wird durch die Regelungen der EuGVVO gewährleistet.710 Die Verwertungsgesellschaften haben im Haftungsfall also Zugriff auf das Vermögen der im EG-Ausland niedergelassenen Lizenznehmer. Insgesamt ist festzustellen, dass der „territoriale Bezug“ der Rechtewahrnehmung in der Gemeinschaft dadurch schwächer geworden ist. Für eine Abgrenzung spricht aber vor allem, dass die Kontrollkosten der Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich wesentlich geringer sind als im Bereich der öffentlichen Aufführungen, um den es im TournierUrteil ging. Die öffentliche Aufführung geschützter Werke muss durch physisch am Veranstaltungsort präsentes Personal überprüft werden. Online-Nutzungen können die Verwertungsgesellschaften dagegen zum großen Teil im Wege der Fernüberwachung kontrollieren. Zwar müssen sich Verwertungsgesellschaften auch im Online-Lizenzverkehr die Möglichkeit sichern, die Angaben der Lizenznehmer zu den genutzten Werken und zur Höhe ihrer gebührenrelevanten Einnahmen bestätigen zu können. Entsprechende Kontrollen müssen am Ort der wirtschaftlichen Niederlassung des Verwerters durchgeführt werden. In der Praxis bedingen sich die Verwertungsgesellschaften in ihren Lizenzvereinbarungen daher das vertragliche Recht aus, Einsicht in die Bücher der Lizenznehmer zu nehmen und zu diesem Zweck deren Betriebsräume zu betreten.711 Die Verwertungsgesellschaften müssen solche Kontrollen jedoch nicht notwendigerweise selbst durchführen. Üblich ist vielmehr, diese Aufgabe unabhängigen Wirtschaftsprüfern zu überlassen. Eine physische Präsenz der Verwertungsgesellschaften am Ort ihrer Lizenznehmer ist daher nicht notwendig. Vor diesem Hintergrund ist der Auffassung der Kommission zuzustimmen, dass die Verwertungsgesellschaften in der Lage seien, Online________ 710
711
184
Gemäß Art. 33 Abs. 1 EuGVVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Die Art. 38 ff. EuGVVO sehen ein vereinfachtes Vollstreckbarerklärungsverfahren vor. Vgl. die Joint Online Licence der MCPS-PRS (siehe oben 4. Kapitel, B.III.): „11.1 The Licensee shall keep and make available for inspection upon reasonable notice (. . .) proper, detailed books and records relating to (a) the use of all Musical Works and (b) any income or other consideration received by or on behalf of the Licensee in relation to the Licensed Services (. . .), 12.2 For the purposes of this clause 11, the Licensee shall allow upon reasonable notice (. . .) access to its premises to inspect accounting records (. . .)“.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
Rechte grenzüberschreitend wahrzunehmen. Im Interesse einer gegenseitigen Durchdringung der Märkte dürfen die Anforderungen an das Vorliegen eines potentiellen Wettbewerbs in der Gemeinschaft nicht zu hoch bemessen werden.712 Die Verwertungsgesellschaften sind im Online-Bereich somit als potentielle Wettbewerber anzusehen. Dementsprechend ist eine wettbewerbsrechtliche Neubewertung ihrer Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich erforderlich. 2.
Zuständigkeitsregelung
Eine starre Zuständigkeitsregelung, wie sie in der Simulcasting-Vereinbarung ursprünglich vorgesehen war, beschränkt die Verwertungsgesellschaften in ihrer Freiheit, ausländischen Verwertern im Wettbewerb mit anderen Verwertungsgesellschaften Lizenzen über die Nutzung des Weltrepertoires zu erteilen. Aus diesem Grund ist sie als Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG zu bewerten. Eine Freistellung vom Kartellverbot ist ausgeschlossen, weil Gebietsabgrenzungen dieser Art einen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften vollständig verhindern (Art. 81 Abs. 3 lit. b) EG).713 Die Auffassung der Kommission, die auf eine Änderung der geplanten Zuständigkeitsregel drängte, ist zutreffend. 3.
Bestimmungslandprinzip
Fraglich ist, wie die Anwendung des Bestimmungslandprinzips bei der Tarifbemessung am Maßstab von Art. 81 EG zu bewerten ist. a)
Urheberrechtliche Bedeutung
Die Kommission bemerkt in ihrer Entscheidung, das Bestimmungslandprinzip spiegele offensichtlich die gegenwärtige Rechtslage im Urheberrecht wider.714 Diesen Zusammenhang griff sie im Folgenden nicht wieder auf. Bei der eigentlichen Würdigung der Vereinbarung spielte er keine Rolle. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Das Bestimmungsland________ 712 713 714
Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 2, Rn. 579. Siehe oben 3. Kapitel, E.III.3. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 62 Zf. 21.
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Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
prinzip in seiner urheberrechtlichen Bedeutung muss von dem Vergütungsmodell der Simulcasting-Vereinbarung unterschieden werden. Urheberrechtlich ist mit dem Bestimmungslandprinzip gemeint, dass eine grenzüberschreitende Sendung nicht nur an dem Ort erfolgt, von dem sie technisch ausgeht, sondern auch in den Staaten, in denen sie bestimmungsgemäß empfangen werden kann.715 Damit soll vermieden werden, dass Sendeunternehmen ihren Standort zu Umgehungszwecken in Gebiete mit nur unzureichendem Urheberschutz verlegen können. Das Bestimmungslandprinzip dient dem Schutz der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten vor Schutzlücken im Sendestaat.716 Nach herrschender Auffassung gilt es auch für Internet-Sendungen.717 Mit dem Vergütungsmodell in der Simulcasting-Vereinbarung verfolgen die Verwertungsgesellschaften einen anderen Zweck, als die Rechteinhaber vor Schutzlücken im Sendestaat zu schützen. Den Verwertungsgesellschaften geht es darum, sich die Tarifhoheit in ihren Verwaltungsgebieten zu sichern. Diese würden sie verlieren, wenn sie sich in den Gegenseitigkeitsverträgen ermächtigen würden, bei der Erteilung von Mehrgebietslizenzen den Tarif vollständig autonom zu bestimmen. Der Gefahr, dass einzelne Rechtsordnungen einen Vergütungsanspruch der Rechteinhaber in den Empfangsgebieten nicht anerkennen, also nicht dem urheberrechtlichen Bestimmungslandprinzip, sondern dem gegenteiligen Ursprungslandprinzip folgen, begegnen die Verwertungsgesellschaften in der Simulcasting-Vereinbarung auf andere Weise. Sie stellen die Gegenseitigkeitsverträge unter den Vorbehalt, dass in den Empfangsgebieten ein gesetzlicher Vergütungsanspruch oder ein Ausschließlichkeitsrecht der Rechteinhaber besteht.718 ________ 715
716 717 718
186
Das Prinzip wurde für den Satellitenrundfunk entwickelt und wird dort unter dem Begriff „Bogsch-Theorie“ bzw. als „Theorie des intendierten Sendegebiets“ diskutiert. Sein Gegensatz ist das Ursprungslandprinzip, das nach der Satellitenfunk- und Kabelweiterverbreitungs-Richtlinie für europäische Satellitensendungen gilt (siehe oben 1. Kapitel, E.III.2.b)); vgl. Castendyk/ v. Albrecht, GRUR Int. 2002, 734, 735. Dreier, in: ders./Schulze (Hrsg.), Urheberrechtsgesetz, Vor §§ 120 ff. Rn. 38. Siehe oben E.III.2. Art. 10 Abs. 2 der Simulcasting-Vereinbarung lautet: „Die Vereinbarung wird eingegangen, sofern gemäß den einschlägigen nationalen Gesetzen in den Ländern, in die die Signale gesendet werden, das Recht besteht, zu untersagen/genehmigen oder eine angemessene Vergütung zu verlangen. Sollte ein Gericht oder eine (. . .) Behörde befinden
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
Das urheberrechtliche Bestimmungslandprinzip stünde einer vertraglichen Regelung, die der lizenzerteilenden Gesellschaft eine vollständige Autonomie bei der Tarifbemessung gibt, nicht entgegen. Sein Gehalt besteht darin, dass die Verwertungsgesellschaften, würden sie bei der Tarifbemessung autonom handeln, den Tarif für eine Mehrgebietslizenz auch an den Rechtsordnungen der Empfangsländer auszurichten hätten. Die Bildung eines auf das Empfangsland angepassten Tarifs muss aber nicht notwendigerweise durch die in diesem Land tätige Verwertungsgesellschaft vorgenommen werden. Die Verwertungsgesellschaften sind urheberrechtlich nicht dazu gezwungen, ihre tariflichen Zuständigkeiten anhand ihrer Verwaltungsgebiete zu definieren. b)
Beurteilung als Wettbewerbsbeschränkung
Das Vergütungsmodell in der Simulcasting-Vereinbarung schränkt die Verwertungsgesellschaften in ihrer Freiheit ein, die Vergütung für eine Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenz selbständig festzulegen. Ein Tarifwettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften wird dadurch ausgeschlossen. Die Verwerter erhalten die Rechte zur Nutzung des Weltrepertoires bei allen Verwertungsgesellschaften zum gleichen Preis. Das Vergütungsmodell verstößt demnach gegen Art. 81 Abs. 1 EG. Dieser Beurteilung könnte die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum „spezifischen Gegenstand“ entgegenstehen. Danach gilt, dass die dem Inhaber des Urheberrechts zustehende Möglichkeit, eine Vergütung für jede öffentliche Aufführung seines Werks zu verlangen, zum „spezifischen Gegenstand“, d. h. zum wesentlichen Inhalt des Urheberrechts gehört.719 Der Gerichtshof hat den Begriff des spezifischen Gegenstands im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit entwickelt.720 Im Coditel ________
719 720
oder eine Vertragspartei der Auffassung sein, dass neben der Verwertung im Land des Ursprungs der Signale eine Verwertung im Land der Übertragung der Signale nach dessen nationalen Recht nicht erforderlich ist, so dass diese Partei nicht befugt ist, Lizenzgebühren für die Simultanübertragung in dieses Gebiet einzunehmen, wird diese Vertragspartei keine Simultanübertragungsrechte im Namen der anderen Vertragspartei ausüben.“, vgl. Simulcasting-Entscheidung, ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 62 Zf. 22. Vgl. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2571 – Tournier. Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.): EU- und EG-Vertrag, Bd. 1, Art. 30 EG Rn. 78 ff.
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Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
I-Urteil, auf das die Kommission in der Simulcasting-Entscheidung Bezug nahm, hat er es auf die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) übertragen.721 Gemäß Art. 30 EG kann der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums Ausnahmen von den Regeln der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen, sofern die Beschränkung weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellt.722 Bei der Anwendung von Art. 30 EG ist eine Abwägung zwischen den Erfordernissen des freien Warenverkehrs und dem Schutzzweck der immaterialgüterrechtlichen Norm vorzunehmen, auf die sich der Schutzrechtsinhaber beruft.723 In diesem Rahmen, also zum Zwecke der Abwägung zwischen dem freien Warenverkehr und dem Schutzweck der Norm, dient der spezifische Gegenstand dem Gerichtshof dazu, die rechtspolitischen Funktionen der mitgliedstaatlichen Schutzrechtsregelung zu ermitteln.724 Immaterialgüterrechtliche Befugnisse, die den Warenverkehr einschränken, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann im Sinne des Art. 30 EG gerechtfertigt, wenn sie zur Wahrung von Rechten erforderlich sind, die den spezifischen Gegenstand des Immaterialgüterrechts ausmachen.725 Ob die Formel des spezifischen Gegenstands auch bei der wettbewerblichen Überprüfung von immaterialgüterrechtlichen Verwertungs- und Wahrnehmungsverträgen Anwendung finden kann, ist umstritten. Auf den spezifischen Gegenstand berufen sich vor allem diejenigen, die insgesamt für eine zurückhaltende Anwendung des Wettbewerbsrechts auf ________ 721 722
723 724 725
188
EuGH Rs. 62/79, GRUR Int. 1980, 602, 607 – Coditel I. Die Vorschrift schließt das Urheberrecht ein, vgl. EuGH Rs. 55/80, GRUR Int. 1981, 229, 230 – Gebührendifferenz II; Rs. 402/85, GRUR Int. 1988, 243, 245 – Basset/SACEM, und auch die Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller, vgl. EuGH Rs. 341/87, Slg. 1989, S. 92, 95 – EMI Electrola/Patricia Imund Export. Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.): EU- und EG-Vertrag, Bd. 1, Art. 30 EG Rn. 79. Ullrich, Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 2, S. 65 ff., Rn. 55 f. EuGH Rs. 78/70, GRUR Int. 1971, 450, 454 – Deutsche Grammophon/MetroSB-Großmärkte; Rs. 16/74, GRUR Int. 1974, 456 – Centrafarm/Wintrop; vgl. Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 2, S. 59 ff., Rn. 51 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 672 ff.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
Verträge über die Verwertung von Immaterialgüterrechten plädieren.726 Nach Ansicht derer, die eine uneingeschränkte Anwendung der Wettbewerbsregeln für richtig halten, ist der Begriff des spezifischen Gegenstands bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln mangels Subsumtionsfähigkeit hingegen nicht verwendbar.727 Diese Auffassung ist vorzugswürdig. Die EG-Wettbewerbsregeln enthalten keine dem Art. 30 EG entsprechende Ausnahmebestimmung für Immaterialgüterrechte. Die Rechtsprechung zum spezifischen Gegenstand des Urheberrechts steht der Beurteilung des Vergütungsmodells der Simulcasting-Vereinbarung somit nicht entgegen. c)
Freistellung vom Kartellverbot
Nach Ansicht der Kommission erfüllte das Vergütungsmodell des Bestimmungslandprinzips die Voraussetzungen für eine Freistellung gemäß Art. 81 Abs. 3 EG. aa)
Exkurs: Tonträgerlizenzierung
Diese positive Bewertung durch die Kommission war angesichts ihrer bisherigen Entscheidungspraxis nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Im Zusammenhang mit der Tonträgerlizenzierung im Binnenmarkt hat die Kommission in der Vergangenheit vielmehr den Standpunkt vertreten, dass das Bestimmungslandprinzip mit den Wettbewerbsregeln nicht vereinbar ist. Ursprünglich hatten die Urheber-Verwertungsgesellschaften ihre Lizenzgebühren nach dem im Land der Tonträgerverbreitung geltenden Gebührensatz und dem dort geltenden Verkaufspreis,728 also ebenfalls auf Grundlage des Bestimmungslandprinzips berechnet.729 Seit ________ 726 727 728
729
Sack, WRP 1999, 592, 594. Ullrich, Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EG/Teil 2, S. 137 f., Rn. 14. Vergütungsgrundlage waren dabei zunächst die durchschnittlichen Einzelhandelspreise im Verkaufsland; auf Betreiben der Kommission wurden die Gebühren später nach den von den Herstellern veröffentlichten Verkaufspreisen an die Einzelhändler berechnet; vgl. Deringer, NJW 1985, 513, 517. Vgl. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 69 f.; Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 106.
189
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Mitte der achtziger Jahre forderte die Kommission von den Verwertungsgesellschaften, dass nicht nur für Inlandsverkäufe, sondern auch für Tonträgerexporte in andere Mitgliedstaaten grundsätzlich der im Tonträger-Herstellungsland anwendbare Vergütungssatz gelten müsse.730 Den Tonträgerherstellern werde es bei Anwendung des Bestimmungslandprinzips unmöglich gemacht, Kosten- und Preisvorteile im Land der Herstellung der Tonträger an die Verbraucher im Verkaufsland weiterzugeben. Aus Sicht der Tonträgerhersteller, die ihre Tonträger in einem Niedrigpreisland produzierten, hätten die unterschiedlichen Lizenzgebühren in der Gemeinschaft die Wirkung eines Strafzolls, wenn die Tonträger in ein Hochpreisland exportiert würden. Auch eine Freistellung des Bestimmungslandprinzips wäre aus Sicht der Kommission allenfalls für eine gewisse Übergangszeit in Frage gekommen.731 Die Verwertungsgesellschaften kehrten das Bestimmungslandprinzip deshalb in sein Gegenteil um und wendeten innerhalb der Gemeinschaft die im Exportland geltenden Lizenzbedingungen an (Export- oder Ursprungslandprinzip).732 Die Auffassung der Kommission wird in der Literatur kritisiert. Die Kommission habe nicht berücksichtigt, dass das Bestimmungslandprinzip die Tonträgerhersteller nicht belaste, sondern im Gegenteil begünstige, wenn sie Tonträger aus einem Hochpreis- in ein Niedrigpreisland exportierten. Wenn sich, wie die Kommission forderte, die Lizenzgebühr in diesem Fall nach dem Ursprungslandprinzip, also den Preisen im Herstellungsland richte, würden entgegen ihrer Absicht Exporte bestraft und der freie Warenverkehr beeinträchtigt werden.733 Auf die Simulcasting-Vereinbarung kann dieser Einwand allerdings nicht übertragen werden. Denn anders als die zwischen den BIEM-Verwertungsgesellschaften geschlossenen Gegenseitigkeitsverträge im Bereich der Tonträgerlizenzierung gibt die Simulcasting-Vereinbarung den Internetanbie________ 730 731
732 733
190
Deringer, NJW 1985, 513, 517. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 214 f., 223; Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Bd. 2, IntR, 6. Abschnitt, S. 106 f. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 222. Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 222; Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 210.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
tern die Möglichkeit, die Lizenzen bei einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl zu beantragen, d. h. unabhängig von dem Ort ihrer Geschäftstätigkeit. Auch bei Anwendung des Ursprungslandprinzips würde daher die Gefahr, dass Internetanbieter beim „Export“ ihres Angebots in ein Hochpreisland mit höheren Lizenzgebühren belastet werden, nicht bestehen. Im Schwerpunkt bezieht sich die Kritik gegen die Auffassung der Kommission aber auf ihre rechtliche Herleitung. Die Kommission begründete die Unzulässigkeit des Bestimmungslandprinzips bei der Tonträgerlizenzierung mit warenverkehrsrechtlichen Erwägungen. Ein Tonträgerhersteller, der in einem Mitgliedstaat eine Lizenz für die Verbreitung von Tonträgern erhalten habe, dürfe die lizenzierten Tonträger grundsätzlich überall in der Gemeinschaft verbreiten. Das Verbreitungsrecht sei, so die Kommission, in dem Moment erschöpft, in dem ein Tonträger alle Voraussetzungen erfülle, um rechtmäßig in einem Mitgliedstaat vertrieben zu werden.734 Diesem von der Kommission als „Grundsatz der gemeinschaftsweiten Lizenz“ bezeichneten735 Ansatz wurde in der Literatur zu Recht entgegengehalten, dass die Kommission die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Erschöpfung von Tonträgern falsch auslege. Das Verbreitungsrecht ist nicht schon mit der Erteilung einer Verbreitungslizenz erschöpft. Die Erschöpfung tritt erst mit dem erstmaligen Inverkehrbringen des Tonträgers ein.736 Die Warenverkehrsfreiheit steht einer am Bestimmungsort orientierten Vergütung daher nicht entgegen. Anders als für die Gegenseitigkeitsverträge und Lizenzvereinbarungen im Bereich der Tonträgerlizenzierung spielt die Warenverkehrsfreiheit für die Internetnutzung von Musikwerken und Tonträgern keine Rolle. Die Internetanbieter bieten keine in den Anwendungsbereich der Art. 28 ff. EG fallenden Waren an, sondern erbringen Dienstleistungen im Sinne von Art. 49 EG. Die dafür benötigten Nutzungsrechte unterliegen keiner Er________ 734 735 736
Zustimmend Pickrahn, Verwertungsgesellschaften nach deutschem und europäischem Kartellrecht, S. 144 f. Siehe Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 217 f. Mestmäcker, in: Scheuermann/Strittmatter (Hrsg.), FS Reichardt, S. 141, 157; Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 231; Wünschmann, Die kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nach europäischem Wettbewerbsrecht, S. 210 f.
191
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
schöpfung.737 Internetanbieter können sich daher von vornherein nicht auf den Grundsatz der Erschöpfung berufen, wenn ihr Angebot in anderen Mitgliedstaaten empfangen bzw. abgerufen wird. Der Erschöpfungsgrundsatz steht einer Aufspaltung der Gemeinschaft in Gebiete mit unterschiedlichen Preisniveaus nicht entgegen. Es mag auf diesen Unterschied zwischen den Internetdienstleistungen und dem Tonträgervertrieb zurückzuführen sein, dass die Kommission die Anwendung des Bestimmungslandprinzips in der Simulcasting-Vereinbarung für freistellungsfähig beurteilte, während sie im Bereich der Tonträgerlizenzierung in der Vergangenheit eine strengere Sichtweise vertreten hat.738 bb)
Prüfung der Unerlässlichkeit
Die Argumentation die Kommission zur Freistellung des Vergütungsmodells überzeugt gleichwohl nicht. Die Kommission hielt das Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit für erfüllt, weil die Verwertungsgesellschaften nur bei Anwendung des Bestimmungslandprinzips das benötigte Mindestmaß an Kontrolle über die Verwertung ihrer Bestände hätten. Für die Verwertungsgesellschaften sei die Anwendung des Bestimmungslandprinzips eine notwendige Bedingung für den Abschluss der Simulcasting-Vereinbarung.739 Die Kommission legte Art. 81 Abs. 3 EG also dahingehend aus, dass eine Wettbewerbsbeschränkung unerlässlich ist, wenn die beteiligten Unternehmen die Vereinbarung ohne die Wettbewerbsbeschränkung nicht eingehen würden. Eine solche Auslegung ist mit dem Wortlaut und Zweck des Art. 81 Abs. 3 EG nicht vereinbar. Gemäß Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG scheidet die Freistellung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung aus, wenn den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung der angestrebten Ziele nicht unerlässlich sind. Mit den „Zielen“, auf die sich das Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit bezieht, sind die in Art. 81 Abs. 3 EG genannten wirtschaftlichen Vorteile ________ 737 738
739
192
Siehe oben 1. Kapitel, C.III. Dafür spricht, dass die Kommission in der Simulcasting-Entscheidung (ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 80 Zf. 114) ausdrücklich auf die Coditel IEntscheidung des Gerichtshofs Bezug nimmt, in welcher er eine Übertragung des Erschöpfungsgrundsatzes auf das Recht der öffentlichen Wiedergabe abgelehnt hat; EuGH Rs. 62/79, GRUR Int. 1980, 602, 607. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 79 Zf. 110.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
gemeint, d. h. die Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und das Ziel der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Eine Wettbewerbsbeschränkung ist nur dann unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG, wenn sie unbedingt erforderlich ist, um gerade diese wirtschaftlichen Vorteile zu ermöglichen.740 Die Unerlässlichkeit kann nur bejaht werden, wenn es zwischen der vereinbarten Wettbewerbsbeschränkung und den positiven Wirkungen der Vereinbarungen einen spezifischen Zusammenhang gibt.741 Die Verwertungsgesellschaften verfolgen mit der Anwendung des Bestimmungslandprinzips im Wesentlichen zwei Ziele: Zum einen entledigen sie sich der Aufgabe, Tarife für ausländische Gebiete zu bilden und gegenüber den dortigen Verwertern durchzusetzen. Das Bestimmungslandprinzip führt unter diesem Gesichtspunkt zu einer Aufgabenteilung. Die Verwertungsgesellschaften können Mehrgebietslizenzen erteilen und bleiben doch nur für die Tarifbildung und -durchsetzung in ihren eigenen Verwaltungsgebieten verantwortlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Vorgehensweise zu einer Reduzierung der Kosten der Verwertungsgesellschaften beiträgt, das Bestimmungslandprinzip in dieser Hinsicht also effizienzfördernd wirkt. Für die Rechtfertigung der mit ihr einhergehenden Beschränkung des Preiswettbewerbs ist diese Kostenersparnis aber nicht ausreichend. Preisfestsetzungen sind eine besonders schwerwiegende Form der Wettbewerbsbeschränkung.742 Art. 81 Abs. 1 EG nennt die Festsetzung der Verkaufspreise ausdrücklich als Beispiel einer Wettbewerbsbeschränkung. In den Gruppenfreistellungsverordnungen werden sie durchweg als nicht freistellungsfähige Kernbeschränkungen behandelt.743 Bei einer Wettbewerbsbeschränkung vom ________ 740 741 742 743
Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG Rn. 152. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 353. Vgl. nur Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Bd. 1, Rn. 280 ff. Art. 4 lit. a) VO Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, ABl. Nr. L 336 vom 29. 12. 1999, S. 21 ff.; Art. 5 lit. a) VO Nr. 2658/2000 der Kommission vom 29. November 2000 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. Nr. L 203 vom 5. 12. 2000, S. 3 ff.; Art. 4 Abs. 1 lit. a) VO Nr. 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. Nr. L 123 vom 27. 4. 2004, S. 11 ff.
193
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Ausmaß einer Preisfestsetzung, die, wie bei der Simulcasting-Vereinbarung der Fall, zudem eine Gebietsaufteilung zwischen den beteiligten Unternehmen bewirkt, müssten die mit ihr erreichten Effizienzvorteile deshalb sehr groß sein, um die Beschränkung als unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG beurteilen zu können.744 Die Kommission selbst geht in ihren Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG davon aus, dass eine Freistellung solcher Kernbeschränkungen unwahrscheinlich ist.745 Das spricht dafür, die Kostenvorteile, die sich aus der Anwendung des Bestimmungslandprinzips ergeben, im Hinblick auf den Grad der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkung als nicht ausreichend für eine Freistellung anzusehen. In der Simulcasting-Entscheidung ist die Kommission auf den Aspekt der Kostenvorteile im Zusammenhang mit dem Bestimmungslandprinzip folglich überhaupt nicht eingegangen. Aus Sicht der Verwertungsgesellschaften wichtiger als das Ziel der Arbeitsteilung ist es, dass sie mit der Anwendung des Bestimmungslandprinzips erreichen, bei der Tarifbildung nicht miteinander zu konkurrieren. Für die Bestimmung des Tarifs in einem Gebiet ist immer nur eine Verwertungsgesellschaft verantwortlich. Die Tarifbildung erfolgt nicht im Wettbewerb und die Verwertungsgesellschaften können sich im Wettbewerb um Verwerter tariflich nicht gegenseitig unterbieten. Die Anwendung des Bestimmungslandprinzips ist somit direkt auf die Verhinderung des Tarif-, d. h. Preiswettbewerbs gerichtet. Für die Verwertungsgesellschaften ist diese Wirkung des Bestimmungslandprinzips von großer Bedeutung. Anders als im Bereich der Tonträgerlizenzierung, in dem die Urheber-Verwertungsgesellschaften mit den Verwertern weitgehend einheitliche Gebührensätze vereinbaren,746 wenden die Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich unterschiedliche Tarife an. Eine Tarifautonomie der Verwertungsgesellschaften würde die Gefahr herbeiführen, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Li________ 744
745
746
194
Je ausgeprägter die Wettbewerbsbeschränkungen sind, desto strenger fällt die Prüfung der Unerlässlichkeit aus; Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 108, Zf. 79. Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 108, Zf. 79. Siehe oben 3. Kapitel, C.II.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
zenzgebühren im Wettbewerb um die Online-Anbieter zu Lasten der Rechteinhaber immer weiter heruntersetzten.747 Zwar sind die Verwertungsgesellschaften aufgrund ihrer Wahrnehmungsverträge mit ihren Mitgliedern verpflichtet, möglichst hohe Einnahmen zu erzielen und die Lizenzen nicht unterhalb eines angemessenen Preisniveaus zu erteilen. Der angemessene Preis für ein urheberrechtliches Nutzungsrecht kann aber nicht objektiv bestimmt werden. Das unterscheidet die Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten vom Vertrieb anderer Erzeugnisse und Dienstleistungen. Für den Hersteller einer gewöhnlichen Ware ergeben sich keine Kostenrisiken, wenn er zulässt, dass über die Preise auf der Handelsstufe frei disponiert wird. Er kann seine Kosten schon durch den Verkauf an die Händler amortisieren. Deshalb ist es gerechtfertigt, wenn das Wettbewerbsrecht den Intrabrand-Wettbewerb, d. h. den Wettbewerb beim Vertrieb von Erzeugnissen ein und desselben Herstellers, vor Beschränkungen schützt und Preisfestsetzungen auf der Handelsstufe generell untersagt.748 Im Urheberlizenzverkehr sind die Schaffungskosten dagegen nicht bestimmbar. Es gibt somit keinen Wert, der den Tarif nach unten begrenzt. Bei einem Tarifwettbewerb bestünde deshalb die Gefahr, dass einzelne Verwertungsgesellschaften in dem Bestreben, Verwerter an sich zu binden, eine Vergütung festsetzen, die unterhalb dessen liegt, was von den anderen Verwertungsgesellschaften und den Rechteinhabern als angemessen betrachtet wird. Hieraus kann gleichwohl nicht geschlossen werden, dass die Anwendung des Bestimmungslandprinzips als unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG zu beurteilen ist. Die Schlussfolgerung der Kommission, dass das Merkmal der Unerlässlichkeit erfüllt sei, weil die Verwertungsgesellschaften ohne die Anwendung des Bestimmungslandprinzips die Vereinbarung nicht eingegangen wären, ist unzulässig. Die Beurteilung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG ist, muss einem objektiven Maßstab folgen. Auf die Vor________ 747
748
Bortloff, GRUR Int. 2003, 669, 685; v. Einem, MMR 2006, 647, 650 f.; für den Bereich der Tonträgerlizenzierung Block, Die Lizenzierung von Urheberrechten für die Herstellung und den Vertrieb von Tonträgern im Europäischen Binnenmarkt, S. 225 f.; allgemein Kreile/Becker, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), FS Mestmäcker, S. 77, 94; Dünnwald, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, S. 79, 87. Vgl. Art. 4 lit. a) VO Nr. 2790/1999 (siehe oben Fn. 743).
195
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
stellungen der beteiligten Unternehmen kommt es nicht an.749 Das Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes:750 Nicht erforderliche Wettbewerbsbeschränkungen sind mit den Wettbewerbsregeln nicht vereinbar. Es gibt den beteiligten Unternehmen aber nicht die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, welche Wettbewerbsbeschränkung sie für ihre Zwecke als erforderlich ansehen, um die Vereinbarung eingehen zu können. Allein entscheidend ist, ob die fragliche Beschränkung objektiv erforderlich ist, um die bezweckten Effizienzgewinne zu verwirklichen. In ihren Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG stellt die Kommission deshalb ausdrücklich fest, dass bei der Unerlässlichkeitsprüfung die Frage nicht laute, ob die Vereinbarung ohne die Beschränkung nicht geschlossen würde, sondern ob mehr Effizienzgewinne mit der Beschränkung als ohne sie erzielt werden.751 Im Ergebnis ist nicht erkennbar, dass die Anwendung des Bestimmungslandprinzips eine effizienzfördernde Wirkung hat, die es rechtfertigt, die damit einhergehende Verhinderung des Tarifwettbewerbs zwischen den Verwertungsgesellschaften als unerlässlich zu beurteilen. Die Verwertungsgesellschaften verfolgen mit der Anwendung des Bestimmungslandgrundsatzes vielmehr das Ziel, einen Preiswettbewerb zwischen ihnen auszuschließen. Dieses Ziel kann im Rahmen einer Freistellungsentscheidung keine Berücksichtigung finden. Bei einer strikten Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG wäre eine Freistellung der SimulcastingVereinbarung daher nicht möglich. 4.
Getrennte Ausweisung der Verwaltungskosten
Der Auffassung der Kommission, dass die unterlassene Ausweisung einer Verwaltungsgebühr gegenüber den Verwertern eine Wettbewerbsbeschränkung darstellt, kann ebenfalls nicht zugestimmt werden. ________ 749
750 751
196
Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Bd. 1, Rn. 1932; Bunte, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2, Art. 81 Generelle Prinzipien Rn. 162. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG Rn. 152. Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (2004/C 101/08), ABl. Nr. C 101 vom 27. 4. 2004, S. 97, 107, Zf. 74.
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
Grundlage für die Einschätzung der Kommission ist die Annahme, dass sich die Verwaltungskosten einer Verwertungsgesellschaft unmittelbar in ihren Lizenzgebühren niederschlagen, die Lizenzgebühren also aus zwei Bestandteilen bestehen: der Urheberrechtslizenzgebühr, die den eigentlichen Nutzungswert der Lizenz bildet, und den Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften.752 Unterstellt man, dass diese Beurteilung zutreffend ist, erscheint auch die Folgerung der Kommission richtig, den Lizenznehmern würden unter Anwendung des Bestimmungslandprinzips Verwaltungskosten berechnet, die nicht allein die Kosten der lizenzerteilenden Gesellschaft widerspiegelten. Die Annahme, dass sich die Verwaltungskosten einer Verwertungsgesellschaft unmittelbar in ihren Lizenzgebühren niederschlagen, ist aber unzutreffend. Die Kommission hat verkannt, auf welcher vertraglichen Grundlage die Verwaltungskosten entstehen und abgerechnet werden. Die Verwertungsgesellschaften sind zum Abzug ihrer Verwaltungskosten nicht aufgrund ihrer Lizenzverträge mit den Verwertern berechtigt. Den Rechtsgrund hierfür bilden die Gegenseitigkeitsverträge. Die Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften bilden das Entgelt oder die Aufwandsentschädigung für die Wahrnehmung ausländischer Rechte im Inland.753 Die Praxis der Verwertungsgesellschaften, diese Kosten nicht gegenüber den Lizenznehmern, sondern allein gegenüber den anderen Verwertungsgesellschaften, also ihren Vertragspartnern offenzulegen, kann deshalb nicht als künstliche Beeinflussung des Wettbewerbs auf dem Lizenzmarkt angesehen werden. Sie entspricht den vertraglichen Beziehungen, auf deren Grundlage die Kosten verursacht werden.754 Entgegen der Ansicht der Kommission fallen die Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften somit dort an, wo sie entstehen, wenn sie als interner Abzugsposten im Zahlungsverkehr zwischen den Verwertungsgesellschaften behandelt werden. Die Verwaltungskosten könnten allenfalls als Wettbewerbsfaktor auf dem Markt der Dienstleistungen zwischen den Verwertungsgesellschaften angesehen werden, aber nicht als Wettbewerbsfaktor auf dem Lizenzmarkt.
________ 752 753 754
Siehe oben 4. Kapitel, C.II.1.b). Siehe zum CISAC-Standardvertrag oben 3. Kapitel, C.I.3. Mestmäcker, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 72, 86 f.; ders., WuW 2004, 754, 765 f.
197
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Die Kommission beruft sich in der Simulcasting-Entscheidung auf das Tournier-Urteil des Gerichtshofs.755 Wie erörtert, hat der Gerichtshof dort festgestellt, dass ein Vergleich der Verwaltungskosten mehrerer Verwertungsgesellschaften in Gemeinsamen Markt als Indiz dafür herangezogen werden kann, dass eine Verwertungsgesellschaft von ihren Lizenznehmern unangemessene Lizenzgebühren verlangt.756 Die Kommission hat aus dieser Feststellung des Gerichtshofs einen unzulässigen Schluss gezogen. Für den Gerichtshof ist die Höhe der Verwaltungskosten einer Verwertungsgesellschaft ein möglicher Bezugspunkt für die Feststellung eines Preismissbrauchs im Sinne von Art. 82 Uabs. 2 lit. a) EG. Nach Ansicht des Gerichtshofs waren die von der SACEM verlangten Lizenzgebühren missbräuchlich hoch. Als missbräuchliches Verhalten bewertete der Gerichtshof aber nicht das Verhalten der SACEM, ihre Verwaltungskosten allein gegenüber den anderen Verwertungsgesellschaften und nicht gegenüber den Lizenznehmern offenzulegen. Diese Praxis der Verwertungsgesellschaften blieb vom Gerichtshof unbeanstandet. Für ihn waren die vergleichsweise hohen Verwaltungskosten der SACEM vielmehr ein Indiz dafür, dass die SACEM ihre Monopolstellung in Frankreich auch bei der Bemessung ihrer Lizenzgebühren ausnutze. Das Vorgehen des Gerichtshof entspricht daher in gewisser Weise einem sachlichen Vergleichsmarktkonzept: Hohe Verwaltungskosten im Verhältnis zu den Rechteinhabern sprechen für unangemessene Lizenzgebühren im Verhältnis zu den Verwertern. Eine Zuordnung der Verwaltungskosten auf den Lizenzmarkt hat der Gerichtshof damit nicht vorgenommen. Eine Verpflichtung der Verwertungsgesellschaften zur Gebührentrennung könnte dem Tournier-Urteil auch dann nicht entnommen werden, wenn man den vom Gerichtshof festgestellten Preismissbrauch dahingehend verstünde, dass die SACEM ihre Verwaltungskosten auf ihre Lizenznehmer abgewälzt habe. Interpretiert man das Urteil auf diese Weise, so kann ihm doch nur der Vorwurf eines missbräuchlichen Verhaltens der SACEM entnommen werden. Aus dem Urteil kann nicht gefolgert werden, dass auch die Verwertungsgesellschaften in den anderen Mitgliedstaaten ihre Verwaltungskosten in die Lizenzgebühren einfließen lassen. Hiervon geht die Kommission in der Simulcasting-Entscheidung ________ 755 756
198
Vgl. ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 71 Zf. 71, S. 77 Zf. 101. EuGH Rs. 395/87, Slg. 1989, S. 2565, 2578; siehe dazu oben 3. Kapitel, E.II.2.a).
C. Die Simulcasting-Entscheidung der Kommission
zu Unrecht aus, da sie alle Verwertungsgesellschaften zur Gebührentrennung verpflichtet. Der von der Kommission geforderten Gebührentrennung stehen schließlich praktische Schwierigkeiten entgegen. Es erscheint nicht möglich, den Aufwand einer Verwertungsgesellschaft bei der Lizenzerteilung objektiv zu ermitteln und von den Kosten, die gegenüber den Rechteinhabern entstehen, zu trennen. Die oben erörterten Auseinandersetzungen im Bereich der europäischen Zentrallizenzierung von Tonträgern belegen die Schwierigkeiten einer Kostenzuordnung.757 Eine Trennung der gegenüber den Rechteinhabern und den Verwertern entstehenden Kosten würde bedingen, dass sich der Sach- und Personalaufwand der Verwertungsgesellschaften entsprechend aufspalten ließe. Die Entscheidung der Kommission vermittelt keine Anhaltspunkte, wie diese Aufgabe bewerkstelligt werden kann. Eine Gebührentrennung würde vielmehr Konflikte mit den Rechteinhabern heraufbeschwören, wenn Verwertungsgesellschaften im Wettbewerb um Verwerter niedrige Verwaltungsgebühren ansetzten und die Kosten anschließend in Form höherer Verwaltungskostenabzüge auf die Rechteinhaber abwälzten. Verwertungsgesellschaften wären zudem versucht, ihre Wahrnehmungsleistungen, etwa die Rechtsdurchsetzung oder die Kontrolle, zu Lasten der Rechteinhaber qualitativ einzuschränken, um Kosten zu sparen.758 Schließlich ist zu bezweifeln, dass die von der Kommission geforderte Gebührentrennung im Ergebnis tatsächlich zu Kosteneinsparungen der Verwerter führt. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Verwaltungsgebühren zuvor von den bestehenden, nach dem Bestimmungslandprinzip zusammenzurechnenden Tarifen der Verwertungsgesellschaften abgezogen würden. Soweit ersichtlich, spielen die Verwaltungskosten in der Praxis der Tariffestlegung und bei der behördlichen und gerichtlichen Tarifkontrolle jedoch keine Rolle. Werden aber die Verwaltungskosten nicht von den Tarifen der Verwertungsgesellschaften abgezogen, bevor sie den Verwertern in Form einer Verwaltungsgebühr in Rechnung gestellt werden, werden die Verwerter zusätzlich belastet – ein Resultat, das nicht im Sinne der wettbewerbspolitischen Zielsetzung der Kommission sein kann. ________ 757 758
Siehe 3. Kapitel, D.II.2.d). v. Lewinski, in: Ohly u. a. (Hrsg.), FS Schricker, S. 401, 406.
199
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die ursprünglich in der SimulcastingVereinbarung vorgesehene unterlassene Trennung von Verwaltungskosten und Urheberrechtslizenzgebühr keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG darstellt. Folglich bedurfte es in diesem Punkt auch keiner Freistellung vom Kartellverbot.759
IV. Ergebnis Die Position der Kommission, dass Gegenseitigkeitsverträge über Mehrgebietslizenzen keine Zuständigkeitsverteilung zwischen den Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt herbeiführen dürfen, ist zutreffend. Starre Zuständigkeitsregelungen, die den Verwertern die Möglichkeit nehmen, eine Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl zu beauftragen, stellen eine nicht freistellungsfähige Wettbewerbsbeschränkung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG dar. Als Wettbewerbsbeschränkung beurteilt die Kommission auch zutreffend die Anwendung des Bestimmungslandprinzips bei der Bemessung der Simulcasting-Tarife. Das Bestimmungslandprinzip verhindert einen Preiswettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften. Das Interesse der Verwertungsgesellschaften am Ausschluss eines solchen Wettbewerbs ist zwar nachvollziehbar und legitim – ein Preiswettbewerb könnte die wahrgenommenen Rechte devalvieren. Nach dem geltenden Wettbewerbsrecht kann es aber nicht berücksichtigt werden. Die Anwendung des Bestimmungslandprinzips ist für das Erreichen der effizienzfördernden Ziele der Gegenseitigkeitsverträge nicht unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 EG. Auch die Auffassung der Kommission zu den Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften ist unzutreffend. Die Verwaltungskosten entstehen nicht gegenüber den Verwertern, sondern stellen eine Aufwandsentschädigung im Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zueinander dar. Das Unterlassen einer Gebührentrennung ist demnach nicht als Wettbewerbsbeschränkung zu beurteilen. Mit der Offenlegung der Verwaltungskosten gegenüber den Verwertern kann kein funktionsfähiger Preiswettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften herbeigeführt werden.
________ 759
200
Ebenso Mestmäcker, in: Kreile/Becker/Riesenhuber (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, S. 72, 81 ff.; ders., WuW 2004, 754, 761 ff.
D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen
D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen der Urheber-Verwertungsgesellschaften D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen Die Urheber-Verwertungsgesellschaften haben mit den sog. Santiagound Barcelona-Abkommen ebenfalls Gegenseitigkeitsverträge für den Online-Bereich entworfen. Die Abkommen stellen Ergänzungen der bestehenden CISAC- und BIEM-Gegenseitigkeitsverträge dar. Weil sie auf den Widerspruch der Kommission gestoßen sind, waren sie allerdings nur für eine begrenzte Zeit in Kraft.
I.
Gegenstand und Inhalt der Abkommen
Vertragspartner des Santiago-Abkommens waren Verwertungsgesellschaften aus dem EU-und EWR-Gebiet für die öffentliche Wiedergabe von Musikwerken. Das Abkommen wurde vor der Kommission im April 2001 von den Verwertungsgesellschaften PRS (Großbritannien), SACEM (Frankreich), GEMA und Buma (Niederlande) angemeldet.760 Mit Ausnahme der portugiesischen SPA schlossen sich in der Folge alle Verwertungsgesellschaften im EWR sowie die schweizerische SUISA der Vereinbarung an.761 Gegenstand des Santiago-Abkommens ist das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und das Senderecht im Internet. Das Barcelona-Abkommen wurde von den BIEM-Verwertungsgesellschaften für die mechanischen Rechte abgeschlossen. Es wurde der Kommission im Februar 2002 notifiziert.762 Gegenstand des Barcelona-Abkommens sind die von den Internet-Musikanbietern benötigten Vervielfältigungsrechte. ________ 760
761
762
Siehe Kommission, Fall COMP/C2/38.126 – BUMA, GEMA, PRS, SACEM, Anmeldung von kooperativen Vereinbarungen, ABl. Nr. C 145 vom 17. 5. 2001, S. 2. AKM (Österreich), IMRO (Irland), SABAM (Belgien), STIM (Schweden), Teosto (Finnland), KODA (Dänemark), STEF (Island), TONO (Norwegen), AEPI (Griechenland), SIAE (Italien), SGAE (Spanien) und SUISA (Schweiz, Liechtenstein); vgl. die Mitteilung der Kommission gemäß Art. 27 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 in den Sachen COMP/C2/39152 – BUMA und COMP/C2/39151 – SABAM (Santiago Agreement – COMP/C2/38126), ABl. Nr. C 200 vom 17. 8. 2005, S. 11; Pressemitteilung der Kommission vom 3. Mai 2004 (IP/04/586). Siehe Kommission, Fall COMP/C-2/38.377 – BIEM Barcelona Agreements, Anmeldung von kooperativen Vereinbarungen, ABl. Nr. C 132 vom 4. 6. 2002, S. 18.
201
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
In den Santiago-/Barcelona-Abkommen ermächtigten sich die Verwertungsgesellschaften zur Erteilung von Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenzen an Internet-Musikanbieter. Inhaltlich sind die Abkommen weiter gefasst als die Gegenseitigkeitsverträge der TonträgerherstellerVerwerungsgesellschaften. Letztere nehmen nur Zweitverwertungsrechte wahr, während der Wahrnehmungsauftrag der Urheber-Verwertungsgesellschaften auch den Bereich der Erstverwertung einschließt. Die Santiago-/ Barcelona-Abkommen erfassen dementsprechend nicht nur die Lizenzierung von Webcasting- und Simulcasting-Angeboten, sondern auch Music on Demand- und Video on demand-Dienste mit oder ohne Möglichkeit zum Download.763 1.
Definition des Lizenznehmers
An einem Internetangebot sind mehrere Personen beteiligt, die unabhängige Beiträge leisten. Haftungsrechtlich wird im Allgemeinen zwischen dem Content Provider (Inhalteanbieter), dem Betreiber der Server, auf den sich die geschützten Werke befinden (Host Provider), und dem Access Provider, der den Zugang zum Server vermittelt, unterschieden.764 Die Santiago-/Barcelona-Abkommen sehen als Lizenznehmer den Content Provider vor.765 Dieser wird als die Person definiert, die in der Übertragungskette tatsächlich dafür verantwortlich ist, dass die geschützten Werke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.766 Mit der Festlegung auf den Content Provider als Lizenznehmer ist ausgeschlossen, dass die Verwertungsgesellschaften Lizenzen an Personen vergeben, die nicht selbst Internet-Nutzungen vornehmen, sondern andere dazu ermächtigen wollen, von ihren Lizenzen Gebrauch zu machen. Die
________ 763
764 765 766
202
Siehe Kommission, Fall COMP/C2/38.126 – BUMA, GEMA, PRS, SACEM, Anmeldung von kooperativen Vereinbarungen, ABl. Nr. C 145 vom 17. 5. 2001, S. 2. §§ 8 ff. TDG; vgl. Freytag, in: Moritz/Dreier (Hrsg.), Rechts-Handbuch zum ECommerce, S. 552 ff. Vgl. Becker, in: GEMA-Nachrichten Nr. 163. Für Musiknutzungen in privaten und persönlichen Websites sehen die Abkommen ausnahmsweise vor, dass die Lizenz, soweit gesetzlich zulässig, auch an den Access- oder Hosting-Provider vergeben werden kann, der für die Zugänglichmachung technisch verantwortlich ist.
D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen
Erteilung von Sublizenzen (insbesondere durch Tonträgerhersteller) sollte nach dem Willen der Verwertungsgesellschaften nicht möglich sein.767 2.
Zuständigkeitsregelung
Zuständig für die Lizenzvergabe ist diejenige Verwertungsgesellschaft, in deren Verwaltungsgebiet der Content Provider seine wirtschaftliche Niederlassung hat („economic residence“). Bei der Bestimmung des Orts der wirtschaftlichen Niederlassung stellen die Santiago- und Barcelona-Abkommen wahlweise (zwei der drei folgenden Kriterien müssen erfüllt sein) auf das Land ab, in dem (1) das Hauptbüro des Lizenznehmers liegt oder (2) der Lizenznehmer die Mehrheit seiner Angestellten beschäftigt oder (3) dessen Regelungen zur Rechnungslegung der Lizenznehmer unterfällt.768 Die so definierte Zuständigkeit ist eine ausschließliche – Content Provider sollen ihre Verwertungsgesellschaft im Binnenmarkt nicht frei wählen können. Um die benötigten Lizenzen von einer anderen Verwertungsgesellschaft zu erhalten, müssen sie ihren Sitz in den Mitgliedstaat verlegen, in dem die Verwertungsgesellschaft tätig ist. Diese starre Zuständigkeitsverteilung gilt nach den Santiago-/Barcelona-Abkommen ausdrücklich auch für Unternehmensgruppen, die in mehreren Ländern operieren. Jede Konzerntochter, bei der die Voraussetzungen für die Qualifizierung als Content Provider erfüllt ist, muss eine separate Lizenz in dem Land erwerben, in dem sie ihre wirtschaftliche Niederlassung hat.769 Multiterritorial agierende Konzerne können unter den Santiago-/Barcelona-Abkommen demnach keine Zentrallizenz mit Gültigkeit für alle Konzernunternehmen erwerben. Die Regelung entspricht somit im Wesentlichen der Zuständigkeitsverteilung, die von den Verwertungsgesellschaften der Tonträgerhersteller in der Simulcasting-Vereinbarung ursprünglich vorgesehen war, dort
________ 767
768 769
Kritisch die Stellungnahme der IFPI vom 28. Juli 2005 zur Studie der Kommission vom 7. Juli 2005 – „Study on a community initiative on the crossborder collective management of copyright“ –, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), S. 3. Vgl. Becker, in: GEMA-Nachrichten Nr. 163; Capobianco, E.I.P.R. 2004, 113, 119. Vgl. Guibault, e-Copyright Bulletin, April-June 2005, 1, 9.
203
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
aber auf Betreiben der Kommission zugunsten einer Wahlfreiheit der Internetanbieter entfernt wurde.770 3.
Bestimmung der Lizenzgebühr
Die Tarife, zu denen die Online-Lizenzen erteilt werden, sollen nach den Santiago-/Barcelona-Abkommen grundsätzlich unter Zugrundelegung des Bestimmungslandprinzips errechnet werden. Der anwendbare Tarif richtet sich danach, in welchem Land die Angebote abgerufen werden.771 Für den Fall, dass die internationalen Verhandlungen zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Vereinigungen der Internetanbieter über einen Online-Tarif zum Erfolg führen, sehen die Abkommen vor, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Internetlizenzen einheitlich zu diesem Tarif vergeben. Wie bereits erwähnt, waren solche Verhandlungen bislang nicht erfolgreich. Die Verwertungsgesellschaften wenden in ihren Gebieten unterschiedliche Tarife an.772 Die Berechnung der Internettarife erfolgt daher grundsätzlich in der gleichen Weise, wie es in der Simulcasting-Vereinbarung vorgesehen ist. 4.
Verteilungsregeln
Den größten Umfang in den Abkommen nehmen die Regelungen über die Verteilung der Einnahmen ein. Wie erörtert, gibt es hier grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten. Die herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträge, die zur Erteilung von Eingebietslizenzen ermächtigen, sehen vor, dass die Verwertungsgesellschaften die Einnahmen an die entsprechenden ausländischen Gesellschaften verteilen, von denen die Beträge anschließend an ihre Mitglieder ausgeschüttet werden.773 Im Bereich der TonträgerZentrallizenzierung gilt dagegen, dass nicht die lizenzerteilende, sondern die im Verkaufsgebiet tätige Verwertungsgesellschaft für die Verteilung unter den ausländischen Verwertungsgesellschaften verantwortlich ist.774 Denkbar ist schließlich, dass die lizenzerteilende Gesellschaft die Ein-
________ 770 771 772 773 774
204
Siehe oben 4. Kapitel, C.II.1.a). Vgl. Becker, in: GEMA-Nachrichten Nr. 163. Siehe oben 4. Kapitel, B.IV. Siehe zum CISAC-Standardvertrag oben 3. Kapitel, C.I.3. Siehe oben 3. Kapitel, D.II.2.b).
D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen
nahmen direkt an die Rechteinhaber verteilt („direct accounting“).775 Die Santiago-/Barcelona-Abkommen orientieren sich grundsätzlich an dem ersten Verteilungsmodell. Die lizenzerteilende Gesellschaft verteilt ihre Einnahmen an die Gesellschaften, zu deren Repertoires die genutzten Werke jeweils gehören.776 5.
Abrechnung der Verwaltungskosten
Die Abkommen enthalten keine Regelungen über die Abrechnung der Verwaltungskosten der Verwertungsgesellschaften. Anders als in der Simulcasting-Vereinbarung ist insbesondere nicht vorgesehen, dass die Verwertungsgesellschaften von ihren Lizenznehmern eine gesonderte Verwaltungsgebühr verlangen. Wie der Verwaltungsaufwand abgerechnet wird, bestimmt sich nach den herkömmlichen Regungen in den CISAC- und BIEM-Standardverträgen. Nach Angaben der GEMA haben sich die Verwertungsgesellschaften dabei darauf verständigt, dass die Kommissionen für die internationale Wahrnehmung von Online-Nutzungsrechten 20% und von Klingelton-Nutzungsrechten 15% nicht übersteigen. Die Aufteilung der Kommissionen zwischen der lizenzerteilenden und den verteilenden Gesellschaften erfolge im Verhältnis 75% zu 25%.777 Die Verwertungsgesellschaften haben sich demnach wie im Bereich der Tonträgerlizenzierung auf feste Kostensätze geeinigt, die nicht überschritten werden dürfen.778 ________ 775 776
777
778
Siehe oben 3. Kapitel, D.II.2.d). Diesem Grundsatz folgen die Verwertungsgesellschaften auch außerhalb der Santiago-/Barcelona-Abkommen; nach Angaben der GEMA haben sich die Verwertungsgesellschaften in Resolutionen aus den Jahren 2002 („Tallinn Resolution“) und 2004 („Hongkong Resolution“) darauf verständigt, ihre Online-Einnahmen ohne Umweg über die Gesellschaft des Landes, in dem der Download erfolgt, an die Gesellschaften der beteiligten Urheber und Verlage zu überweisen, vgl. die Stellungnahme der GEMA vom 27. Juli 2005 zur Studie der Kommission vom 7. Juli 2005 – „Study on a community initiative on the cross-border collective management of copyright“ –, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), S. 9. Vgl. die Stellungnahme der GEMA vom 27. Juli 2005 zur Studie der Kommission vom 7. Juli 2005 – „Study on a community initiative on the crossborder collective management of copyright“ –, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), S. 9. Siehe oben 3. Kapitel, C.II.3.
205
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
II.
Ablehnende Haltung der Kommission
Nach Auffassung der Kommission verstoßen die ihr notifizierten Santiago- und Barcelona-Abkommen gegen das EG-Wettbewerbsrecht. Eine Freistellung der Vereinbarungen vom Kartellverbot hat sie verweigert.779 Im Mai 2004 teilte sie den Verwertungsgesellschaften ihre Beschwerdepunkte mit.780 Im Grundsatz begrüßt sie zwar den in den Abkommen verankerten Grundsatz der Einmallizenz („one stop shop“), nach dem die Verwertungsgesellschaften zur Erteilung von Mehrgebietslizenzen ermächtigt sind. Als mit den Binnenmarktregeln unvereinbar sieht es die Kommission aber an, dass die Verwertungsgesellschaften ihre nationalen Monopole auf den Online-Bereich übertragen wollen. Konkret geht es der Kommission dabei vor allem um die starren Zuständigkeitsregeln in den Santiago-/Barcelona-Abkommen. Die Kommission fordert, dass die Verwerter in der Gemeinschaft die freie Wahl zwischen den Verwertungsgesellschaften haben sollen. Sie beruft sich dabei auf ihre SimulcastingEntscheidung. Die Urheber-Verwertungsgesellschaften sollten ebenso wie die Tonträgerhersteller-Verwertungsgesellschaften in einen Wettbewerb um Lizenznehmer eintreten.
III. Folgen für die Lizenzierungspraxis Die Mehrzahl der Urheber-Verwertungsgesellschaften erklärt sich dennoch bis heute nicht bereit, auf die in den Santiago-/Barcelona-Abkommen vorgesehene Gebietsaufteilung zu verzichten.781 Die Verwertungsgesellschaften ließen die Santiago-/Barcelona-Abkommen daher zum Ende des Jahres 2004 auslaufen. In der Praxis haben die Abkommen bislang somit keine nennenswerte Rolle gespielt. ________ 779 780 781
206
Siehe Music & Copyright, 12. Mai 2004, S. 13. Siehe Pressemitteilung der Kommission vom 3. Mai 2004 (IP/04/586). Anders die niederländische BUMA und die belgische SABAM, die Verpflichtungszusagen abgegeben haben, keine Gegenseitigkeitsverträge über Online-Nutzungen unter Verwendung von starren Zuständigkeitsklauseln abzuschließen; vgl. die Mitteilung der Kommission gemäß Art. 27 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in den Sachen COMP/C2/39152 – BUMA und COMP/C2/39151 – SABAM (Santiago Agreement – COMP/C2/ 38126), ABl. Nr. C 200 vom 17. 8. 2005, S. 11 f.
D. Die Santiago- und Barcelona-Abkommen
1.
Anwendung der herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträge
Die Verwertungsgesellschaften erteilen die Lizenzen im Online-Bereich deshalb auf Grundlage der bestehenden CISAC- und BIEM-Gegenseitigkeitsverträge. Internetanbieter können dementsprechend nur Eingebietslizenzen erwerben, auch wenn ihr Angebot in mehreren Ländern abrufbar ist. Mehrgebietslizenzen wurden von den Verwertungsgesellschaften in der Vergangenheit nur in Ausnahmefällen erteilt. Dazu zählt nach Angaben der GESAC782 eine Lizenzvereinbarung zwischen der finnischen Teosto und dem Mobilfunkanbieter Nokia über die Mobilfunknutzung des Weltrepertoires in mehreren europäischen und außereuropäischen Territorien.783 Der Musikanbieter iTunes erhielt von der französischen SACEM eine Lizenz für Frankreich, Luxemburg, Monaco und Belgien.784 Ferner haben die GEMA und die MCPS-PRS Alliance eine Vereinbarung geschlossen, auf deren Grundlage sie deutschen und britischen Content-Providern grenzüberschreitende Lizenzen für Klingelton-Angebote erteilen können.785 Zu einem Konflikt führte dagegen der Versuch der niederländischen Buma/Stemra, dem US-amerikanischen Online-Musikanbieter eMusic bei seinem Markteintritt in Europa im Herbst 2006 eine gemeinschaftsweit gültige Lizenz zur Nutzung des Weltrepertoires zu erteilen. Die anderen Verwertungsgesellschaften widersprachen dem einseitigen Vorgehen der Buma/Stemra und machten geltend, einer derartigen Lizenz nicht zugestimmt zu haben.786 Die Auseinandersetzung erinnert an die Anfänge der europäischen Zentrallizenzierung im Tonträgerbereich. Auch dort war es die niederländische Stemra, die, den Widerspruch der ________ 782
783
784 785 786
GESAC ist eine im Jahr 1990 zur Vertretung gegenüber den Institutionen der Europäischen Gemeinschaft gegründete Dachorganisation europäischer Verwertungsgesellschaften (Art. 4 GESAC-Satzung, abgedr. im GEMAJahrbuch 2006/2007, S. 235 ff.). Vgl. die Stellungnahme der GESAC vom 28. Juli 2005 zur Studie der Kommission vom 7. Juli 2005 – „Study on a community initiative on the crossborder collective management of copyright“ –, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), S. 13. Vgl. Gilliéron, IIC 2006, 939, 958. Siehe die Stellungnahme der GEMA vom 27. Juli 2005 zur Studie der Kommission vom 7. Juli 2005 (siehe oben Fn. 777), S. 3. Vgl. Music & Copyright, 27. September 2006, S. 12, 14; Billboard, 14. Oktober 2006, S. 16; Billboard, 30. September 2006, S. 6.
207
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
anderen Verwertungsgesellschaften in Kauf nehmend, 1983 mit der Erteilung gemeinschaftsweit gültiger Lizenzen begann und damit den Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften um die Tonträgerhersteller einläutete.787 2.
Beanstandung durch die Kommission (CISAC-Verfahren)
Die Kommission hat Anfang des Jahres 2006 ein kartellrechtliches Verfahren gegen die CISAC und ihre dem EWR angehörenden musikalischen Verwertungsgesellschaften eingeleitet, in der sie die Praxis der Verwertungsgesellschaften, Online-Anbietern auf Grundlage der CISAC- und BIEM-Standardverträge nur territorial beschränkte Lizenzen anzubieten, auf ihre Vereinbarkeit mit dem EG-Wettbewerbsrecht überprüft.788 Auslöser des Verfahrens sind Beschwerden des Sendeunternehmens RTL und des Online-Musikanbieters Music Choice Europe.789 Die Beschwerdeführer sehen in den territorial beschränkten Gegenseitigkeitsverträgen eine unzulässige Marktaufteilung, die einen Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um die Erteilung gemeinschaftsweit gültiger Lizenzen verhindert.790 Grenzüberschreitend tätige Sendeunternehmen und Internetanbieter seien gezwungen, mit jeder Verwertungsgesellschaft in der Gemeinschaft gesonderte Lizenzverträge abzuschließen.791 Die Kommission hat sich dieser Auffassung in einer ersten Einschätzung angeschlossen und den Verwertungsgesellschaften im Januar 2006 ihre Beschwerdepunkte mitgeteilt.792 ________ 787 788
789
790 791 792
208
Siehe oben 3. Kapitel, D.II.2.a). Vgl. die Presseerklärungen der Kommission vom 7. Februar 2006 (MEMO/ 06/63) und vom 14. Juni 2007 (IP/07/829); Music Week, 18. Februar 2006, S. 5; Music & Copyright, 15. Februar 2006, S. 12 ff. Die Beschwerde von RTL datiert vom 30. November 2000 und ist gegen die GEMA gerichtet; Music Choice Europe reichte am 4. April 2003 eine gegen die CISAC gerichtete Beschwerde ein; beide Beschwerden wurden von der Kommission im „CISAC-Verfahren“ zusammengefasst; vgl. Zf. 2 der Mitteilung der Kommission gemäß Art. 27 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 in der Sache COMP/38698 – CISAC, ABl. Nr. C 128 vom 9. 6. 2007, S. 12. Music & Copyright, 15. Februar 2006, S. 12. Vgl. Music & Copyright, 26. April 2006, S. 1. Vgl. Zf. 4. der Mitteilung der Kommission gemäß Art. 27 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 in der Sache COMP/38698 – CISAC, ABl. Nr. C 128 vom 9. 6. 2007, S. 12. Die Verwertungsgesellschaften haben daraufhin im März 2006 Verpflichtungszusagen gemäß Art. 9 Abs. 1 VO 1/2003 abgegeben, um
E. Fazit
IV. Stellungnahme Die Verwertungsgesellschaften gestehen grundsätzlich ein, dass eine Lizenzierung im Online-Bereich auf Grundlage der herkömmlichen CISACund BIEM-Standardverträge nicht sinnvoll ist. Auf Seiten der Internetanbieter besteht eine Nachfrage nach Mehrgebietslizenzen. Ursächlich für die Lizenzierungspraxis ist die Meinungsverschiedenheit zwischen den Verwertungsgesellschaften und der Kommission über die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der zur Erteilung von Mehrgebietslizenzen ermächtigenden Santiago- und Barcelona-Abkommen. Das RTL/Music Choice-Verfahren ist folglich vor allem als Druckmittel der Kommission zu verstehen, mit dem sie ihre wettbewerbspolitischen Vorstellungen gegenüber den Verwertungsgesellschaften vehementer durchsetzen kann. Das mit den Santiago- und Barcelona-Abkommen verfolgte Ziel der Verwertungsgesellschaften, sich zur Erteilung von Mehrgebietslizenzen über das Weltrepertoire zu ermächtigen, ist zu begrüßen. Die in den Santiagound Barcelona-Abkommen enthaltene Zuständigkeitsregel ist allerdings mit dem EG-Wettbewerbsrecht nicht vereinbar. Wie im Zusammenhang mit der Simulcasting-Entscheidung der Kommission erörtert, verstoßen derartige Regelungen gegen das Kartellverbot in Art. 81 Abs. 1 EG. Sie führen zu einer Marktaufteilung entlang der Grenzen der Mitgliedstaaten. Ein Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um Lizenznehmer wird dadurch ausgeschlossen. Deshalb scheidet auch eine Freistellung der Santiago-/Barcelona-Abkommen vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG aus.793
E.
Fazit
E. Fazit Das EG-Wettbewerbsrecht setzt den Gegenseitigkeitsverträgen im Online-Bereich enge Grenzen. Die Verwertungsgesellschaften dürfen die ________
793
einer Entscheidung der Kommission zuvorzukommen (veröffentlicht auf der Website der GD Wettbewerb der Kommission); sie willigen dort unter anderem ein, sich künftig in ihren Gegenseitigkeitsverträgen zur Erteilung von Mehrgebietslizenzen an Internetbieter im EWR-Gebiet zu bevollmächtigen; eine Entscheidung der Kommission über die Verpflichtungszusagen steht noch aus. Siehe oben 4. Kapitel, C.III.2.
209
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
grenzüberschreitende Erteilung von Lizenzen in das Ausland nicht dadurch verhindern, dass sie sich ausschließlich zur Lizenzerteilung an inländische Verwerter ermächtigen. Nach geltendem Wettbewerbsrecht verboten ist ferner die Festsetzung der Lizenzgebühren durch die Anwendung des Bestimmungslandprinzips, da hierdurch ein Preiswettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften ausgeschlossen wird. Weder die von der Kommission freigestellte Simulcasting-Vereinbarung noch die Santiago- und Barcelona-Abkommen der Urheber-Verwertungsgesellschaften erfüllen diese Voraussetzungen. Die Vereinbarungen sind daher als wettbewerbsrechtlich unzulässig zu beurteilen. Wie erörtert, stellt der von der Kommission zum Leitbild erhobene Verwaltungskosten-Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften keine Lösung dar. Ein solcher Wettbewerb erscheint nicht funktionsfähig, weil die Kosten zwischen den Verwertungsgesellschaften entstehen und in diesem Verhältnis abgerechnet werden müssen. Spricht man den Verwaltungskosten aber die Eignung als Wettbewerbsfaktor auf dem Lizenzmarkt ab, wäre eine Freistellung der Gegenseitigkeitsverträge nur zu erreichen, wenn die Verwertungsgesellschaften in einen Tarifwettbewerb träten, d. h. die Tarife vollständig autonom bestimmen würden. Aus Sicht der Verwertungsgesellschaften ist diese Option aus nachvollziehbaren Gründen nicht realisierbar. Ein Tarifwettbewerb würde das Vergütungsniveau zu Lasten der Rechteinhaber herabsetzen. Für die Verwertungsgesellschaften ist die Aufteilung des Binnenmarkts in Gebietsmonopole bei der Tarifsetzung notwendig. Das Wettbewerbsrecht stellt die Verwertungsgesellschaften, Wettbewerbsbehörden und Gerichte in der Gemeinschaft somit vor ein Dilemma. Es steht Gegenseitigkeitsverträgen entgegen, mit denen die bestehenden Zuständigkeits- und Tarif-Monopole der Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft aufrechterhalten werden, und erlaubt nur solche Gegenseitigkeitsverträge, deren Abschluss für die Verwertungsgesellschaften im Hinblick auf den Schutz vor einer Entwertung der wahrgenommenen Rechte nicht in Betracht kommen. Ohne Gegenseitigkeitsverträge können die Verwertungsgesellschaften den Musikverwertern die benötigten Nutzungsrechte für das Weltrepertoire aber nicht verschaffen. Eine Lösung könnte darin bestehen, dass die Nutzungsrechte bei wenigen Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft konzentriert werden. Die Verwertungsgesellschaften wären dann ohne Gegenseitigkeits210
F. Zusammenfassung
verträge in der Lage, den Musikverwertern Mehrgebietslizenzen über ein umfangreiches Repertoire anzubieten. Ein solches Modell würde auf einen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften um die Rechteinhaber hinauslaufen. Diesen Markt hat die Kommission in ihren Entscheidungen über die Gegenseitigkeitsverträge bislang außer Acht gelassen.794 Wie im folgenden Kapitel erörtert wird, bildet er in jüngerer Zeit dagegen den Mittelpunkt ihres Interesses.
F.
Zusammenfassung
F. Zusammenfassung 1. Die Verwertungsgesellschaften können den Bedarf der Online-Musikanbieter nach territorial unbeschränkten Lizenzen auf der Grundlage ihrer herkömmlichen Gegenseitigkeitsverträge nicht befriedigen. Deshalb haben die Urheber-Verwertungsgesellschaften mit den sog. Santiago- und Barcelona-Abkommen und die Verwertungsgesellschaften der Tonträgerhersteller mit der Simulcasting- und der Webcasting-Vereinbarung neue Gegenseitigkeitsverträge geschlossen, in denen sie sich gegenseitig zur Erteilung von Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenzen ermächtigen. 2. Die Kommission hat zu den wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen solcher Gegenseitigkeitsverträge erstmals in ihrer Simulcasting-Entscheidung aus dem Jahr 2002 Stellung genommen (ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58 ff.). Zuständigkeitsregelungen in Gegenseitigkeitsverträgen, die dazu führen, dass Internetanbieter die benötigten Lizenzen nur von der Verwertungsgesellschaft im Inland erhalten können, hält sie für unzulässig. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Eine starre Zuständigkeitsregelung beschränkt die Verwertungsgesellschaften in der Freiheit, ausländischen Verwertern im Wettbewerb mit anderen Verwertungsgesellschaften Lizenzen über die Nutzung des Weltrepertoires zu erteilen. Eine Freistellung vom Kartellverbot ist ausgeschlossen, weil Gebietsabgrenzungen dieser Art einen Wettbewerb vollständig verhindern. Gegenseitigkeitsverträge sind mit dem europäischen Wettbewerbsrecht nur vereinbar, wenn die Verwer________ 794
In der Simulcasting-Entscheidung führte die Kommission aus, dass die Simulcasting-Vereinbarung direkt nur den sachlichen Markt der Dienstleistungen zwischen den Verwertungsgesellschaften sowie den Lizenzmarkt betreffe, siehe ABl. Nr. L 107 vom 30. 4. 2003, S. 58, 64 f. Zf. 32 ff.
211
Viertes Kapitel: Gegenseitigkeitsverträge im Online-Bereich
ter wählen können, bei welcher Verwertungsgesellschaft in der Gemeinschaft sie ihre Lizenz beantragen. 3. Ein weiterer umstrittener Punkt in den Gegenseitigkeitsverträgen ist die Bestimmung der Lizenzgebühr. In der Simulcasting-Vereinbarung und den Santiago-/Barcelona-Abkommen ist vorgesehen, dass sich die Gebühr für eine Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenz nach dem Tarif richtet, der im Land des bestimmungsgemäßen Empfangs bzw. Abrufs gilt (Bestimmungslandprinzip). Das bedeutet, dass die Verwerter die Lizenzen bei allen Verwertungsgesellschaften zum gleichen Preis erhalten. Die Kommission hat dieses Vergütungsmodell zu Recht als eine Beschränkung des Preiswettbewerbs bewertet. Sie hält es aber für gemäß Art. 81 Abs. 3 EG freistellungsfähig. Dies aber nur dann, wenn die Verwertungsgesellschaften den Verwertern eine getrennte Gebühr berechnen, die ihren Verwaltungsaufwand bei der Erteilung der Mehrrepertoire- und Mehrgebietslizenz widerspiegelt. Die Kommission möchte damit einen Wettbewerb herbeiführen, in dem die Verwertungsgesellschaften mit niedrigen Verwaltungsgebühren um die Musikverwerter konkurrieren. 4. Der Kommission kann weder im Hinblick auf die Freistellungsfähigkeit des Bestimmungslandprinzips noch auf die Verpflichtung zur Erhebung einer gesonderten Verwaltungsgebühr gefolgt werden. Die Anwendung des Bestimmungslandprinzips ist für das Erreichen der effizienzfördernden Ziele der Gegenseitigkeitsverträge nicht unerlässlich im Sinne von Art. 81 Abs. 3 lit. a) EG. Die Verwertungsgesellschaften zielen mit dem Bestimmungslandprinzip direkt auf eine Beschränkung des Preiswettbewerbs ab. Eine Freistellung der Vereinbarung vom Kartellverbot wäre bei einer strikten Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG daher nicht möglich gewesen. Das Fehlen einer getrennten Verwaltungsgebühr bewirkt hingegen keine Wettbewerbsbeschränkung. Die Verwaltungskosten einer Verwertungsgesellschaft bilden keinen Wettbewerbsfaktor auf dem Lizenzmarkt. Sie entstehen im Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zueinander. Mit der Offenlegung der Verwaltungskosten gegenüber den Verwertern kann deshalb kein funktionsfähiger Preiswettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften herbeigeführt werden.
212
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung im Binnenmarkt Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
A.
Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005 Die Kommission hat in der Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ aus dem Jahr 2004 angekündigt, bestimmte Aspekte der kollektiven Rechtewahrnehmung regeln zu wollen.795 Ein erster Schritt in diese Richtung ist ihre Empfehlung „für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale OnlineMusikdienste benötigt werden“ vom 18. Oktober 2005 (2005/737/EG).796 Anders als nach der Mitteilung erwartet wurde,797 verfolgt die Kommission in dieser Empfehlung keinen horizontalen Ansatz, sondern beschränkt sich auf den Bereich der Online-Musikrechte. Hier erkennt sie den größten Handlungsbedarf. Der Verabschiedung der Empfehlung ging eine Studie der Kommission voraus, die den Interessenvertretern zur Stellungnahme zugeleitet wurde (im Folgenden „Studie“).798 Die Ergebnisse der Konsultation nahm die ________ 795 796
797 798
KOM(2004) 261 endg., S. 22 f.; dazu oben 2. Kapitel, B.II.1.b). ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54 ff., mit Berichtigung im ABl. Nr. L 284 vom 27. 10. 2005, S. 10, abgedr. in GRUR Int. 2006, 220 ff.; dazu Frabboni, Ent.L.R. 2006, S. 65, 67 ff.; Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 147, 165 ff.; Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193 ff.; v. Einem, MMR 2006, 647 ff.; Gilliéron, IIC 2006, 939, 942 ff.; Poll, MMR 2007 Heft 2, XXVII ff.; Lüder, GRUR Int. 2007, 649, 655 ff. Als „Grundstein für ein europäisches Wahrnehmungsrecht“ versteht etwa Riesenhuber, EuZW 2004, 519, die Mitteilung der Kommission. „Study on a community initiative on the cross-border collective management of copyright“ vom 7. Juli 2005; die Studie und die Stellungnahmen sind auf der Website der Kommission veröffentlicht (letzter Abruf am 8. September 2007); vgl. dazu Schmidt, ZUM 2005, 783 ff.; Wittmann, MR-Int 2005, 84 ff.; Frabboni, Ent.L.R. 2005, 204 ff.; Pfennig, in: Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg.), FS Raue, S. 593, 607 ff.; Tuma, Ent.L.R. 2006, 220, 227 f.; Music & Copyright, 20. Juli 2005, S. 1, 4; 4; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 117, 134 ff.
213
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Kommission zum Anlass zu einer Neufassung der Studie mit dem Titel „Impact assessment reforming cross-border collective management of copyright and related rights for legitimate online music services“ (nachstehend „Folgenabschätzung“).799 Die Studie und die Folgenabschätzung können bei der Auslegung der Empfehlung herangezogen werden und sind für das Verständnis ihrer Zielsetzung hilfreich.
I.
Zielsetzung
Die Kommission will die Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten im Online-Musikbereich verbessern. Dadurch soll das Wachstum von OnlineMusikdiensten im Gemeinsamen Markt beschleunigt werden.800 Nach Ansicht der Kommission ist das Potential des europäischen OnlineMusikmarkts nicht ausgeschöpft. Im Vergleich zum US-amerikanischen Markt wachse der Markt zu langsam. Die Kommission stellt fest, dass die Einnahmen aus dem Online-Musikvertrieb in den USA im Jahr 2004 um ein achtfaches höher gewesen seien als in Westeuropa.801 Eine der Hauptursachen für diese Divergenz sieht die Kommission in der Organisation der Rechtewahrnehmung in der Gemeinschaft. Die Lizenzen der Verwertungsgesellschaften seien oft auf ein Territorium beschränkt. Online-Anbieter seien gezwungen, in jedem Mitgliedstaat einen gesonderten Lizenzvertrag mit der dort tätigen Verwertungsgesellschaft abzuschließen.802 Nach Meinung der Kommission benötigen die Anbieter ein multiterritorial ausgelegtes Lizenzierungssystem, das der Grenzenlosigkeit der Online-Welt gerecht werde. Hiervon verspricht sich die Kommis-
________ 799
800 801 802
214
Vom 11. Oktober 2005, SEC(2005) 1254; veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007); dazu Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 147, 154 ff. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 2; Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 15 f. Studie (siehe oben Fn. 798), S. 6. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 7. Begründungserwägung.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
sion mehr Rechtssicherheit für die Online-Anbieter und eine Reduzierung ihrer Transaktionskosten.803 Umgekehrt möchte die Kommission sicherstellen, dass allen Rechteinhabern in der Gemeinschaft die Möglichkeit einer gemeinschaftsweiten Wahrnehmung ihrer Rechte offen steht. Die Rechteinhaber sollen an den höheren Einnahmen, die sich die Kommission von einem länderübergreifenden Lizenzierungssystem verspricht, diskriminierungsfrei und möglichst direkt beteiligt werden. Weder ihre Staatsangehörigkeit oder ihr Sitz noch der Ort der Nutzung dürfe für die Verteilung der Einnahmen eine Rolle spielen. Mehr Transparenz und eine höhere Effizienz der Verwertungsgesellschaften sollten dazu beitragen, dass das Vertrauen der Rechteinhaber in die grenzüberschreitende Wahrnehmung ihrer OnlineRechte gestärkt werde.804 Der Schlüssel für eine Optimierung der länderübergreifenden OnlineNutzung liegt für die Kommission in einer Stärkung der Position der Rechteinhaber gegenüber den Verwertungsgesellschaften. Nach ihrer Ansicht ist die herkömmliche Rechtewahrnehmung über Gegenseitigkeitsverträge, die jeder Verwertungsgesellschaft das Weltrepertoire vermitteln, im Online-Bereich nicht mehr angemessen. Die Kommission möchte den Rechteinhabern deshalb die Option vermitteln, ihre OnlineRechte einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl zur Wahrnehmung im gesamten Gemeinschaftsgebiet anzuvertrauen.805 Damit soll ein Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften um Rechteinhaber herbeigeführt werden.806 Mögliche Wettbewerbsfaktoren sieht die Kommission in der Qualität der technischen Mechanismen zum Schutz der Werke im Internet, der Effizienz der Verwertungsgesellschaften, die sich in der Höhe ihrer Verwaltungskostenabzüge niederschlägt, und der Geschwindigkeit sowie der Transparenz bei der Verteilung der Einnahmen unter den Rechteinhabern.807 Ein Wettbewerb würde nach Auffassung der Kommission dazu führen, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Wahrnehmungsleistungen verbessern und ihr Kostenbewusstsein steigern. ________ 803 804 805 806 807
Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 7. Begründungserwägung; Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 31. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 10. Begründungserwägung; Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 15 f. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 18. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 26. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 17, 31.
215
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Hiervon profitierten nicht nur die Rechteinhaber, sondern auch die Online-Verwerter.808
II.
Inhalt
Die Kommission schlägt eine Reihe spezieller Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtewahrnehmung in der Gemeinschaft vor. Die Empfehlung ist dabei nicht nur an die Mitgliedstaaten, sondern auch an die Verwertungsgesellschaften selbst gerichtet.809 1.
Wahlrecht der Rechteinhaber
Die Rechteinhaber in der Gemeinschaft sollen die Befugnis haben, die Wahrnehmung aller Online-Rechte, die zum Betrieb legaler OnlineMusikdienste notwendig sind, in einem territorialen Umfang ihrer Wahl einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl anzuvertrauen. Das Wahlrecht soll unabhängig vom Sitz und der Staatsangehörigkeit der Verwertungsgesellschaft oder des Rechteinhabers bestehen.810 Für die Verwirklichung der Pläne der Kommission spielt das Wahlrecht eine entscheidende Rolle, weil es Voraussetzung für den angestrebten Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften ist. a)
Spartenlizenzierung
Die Rechteinhaber sollen festlegen können, für welche Online-Rechte sie der Verwertungsgesellschaft einen Wahrnehmungsauftrag erteilen.811 Das bedeutet, dass die Rechteinhaber das Wahrnehmungsmandat auf bestimmte Nutzungsarten beschränken können. Die Empfehlung fügt sich insoweit in die wettbewerbsrechtliche Entscheidungspraxis der Kommission zur sog. Spartenlizenzierung ein.812 Offengelassen wird allerdings, wie die Sparten zu definieren sind. Einen Anhaltspunkt dafür bieten die ________ 808 809 810 811 812
216
Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 21. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 57 Zf. 19. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 3. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 5 lit. a); Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 37. Dazu oben 2. Kapitel, C.II.2.b).
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
GEMA-Entscheidungen der Kommission aus den Jahren 1971/72. In der GEMA II-Entscheidung hatte die Kommission von der GEMA eine Aufteilung nach allen „wirtschaftlich trennbaren Formen der Ausübung des Urheberrechts“ gefordert.813 Übertragen auf die Empfehlung folgt daraus, dass den Rechteinhabern die Befugnis zustehen soll, beispielsweise eine Verwertungsgesellschaft mit der Lizenzierung von Webcasting-Diensten und eine andere mit der Lizenzierung von Music on Demand-Nutzungen zu beauftragen. Die Rechteinhaber sollen ferner das Recht haben, den territorialen Umfang des Wahrnehmungsmandats zu bestimmen.814 Es soll ihnen freistehen, ob sie eine einzige Verwertungsgesellschaft mit der gemeinschaftsweiten Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragen oder ob sie das Mandat auf bestimmte Territorien beschränken wollen. Die Rechteinhaber sollen ihre Rechte nach dem Willen der Kommission also territorial beschränkt durch mehrere Verwertungsgesellschaften im Gemeinamen Markt wahrnehmen lassen können. b)
Kündigungsrecht
Umgekehrt soll es den Rechteinhabern freistehen, ihre Online-Rechte aus dem Mandat einer Verwertungsgesellschaft wieder herauszunehmen und einer anderen Verwertungsgesellschaft anzuvertrauen.815 Vor dem Hintergrund der wettbewerbsrechtlichen Entscheidungspraxis der Kommission ist dies dahingehend zu verstehen, dass eine Kündigung einzelner Sparten auch dann erfolgen kann, wenn der Rechteinhaber eine individuelle Wahrnehmung der Rechte plant. Gegen die Zulässigkeit einer Kündigung zu diesem Zweck wurde zwar wiederholt geltend gemacht, die Urheber müssten vor Abhängigkeitsverhältnissen mit marktstarken Verwertern geschützt werden, die sich von ihnen gerade die wirtschaftlich bedeutendsten Rechtesparten abtreten lassen könnten.816 Nach Auffassung der Kommission tragen diese Bedenken im Zeitalter der digitalen ________ 813 814 815 816
Vgl. UFITA Bd. 65 (1972), 369, 370 f. – GEMA II. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 5 lit. b); Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 37. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 5 lit. c); Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 37. Vgl. Staudt, Die Rechteübertragungen im Berechtigungsvertrag der GEMA, S. 226 f.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Werknutzung und -kontrolle jedoch nicht mehr, weil den Rechteinhabern eine selbständige Wahrnehmung ihrer Rechte möglich sei. Machen die Verwertungsgesellschaften die Herausnahme einzelner Rechtekategorien von der Mandatierung einer anderen Verwertungsgesellschaft abhängig, verstoßen sie daher gegen das Missbrauchsverbot in Art. 82 EG.817 Diesen Standpunkt vertritt die Kommission auch in ihrer Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“: Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Systemen der digitalen Rechteverwaltung müsse den Rechteinhabern zumindest prinzipiell die Möglichkeit offen stehen, bestimmte Rechte individuell wahrzunehmen, wenn sie das wünschten.818 In diesem Sinne ist auch die Empfehlung der Kommission zu verstehen.819 In der Empfehlung ist in diesem Zusammenhang vorgesehen, dass die Rechteinhaber ihre Rechte „nach Ankündigung ihres Vorhabens innerhalb einer angemessenen Frist“ herausnehmen dürfen (Ziffer 5 lit. c). Welche Frist angemessen ist, wird nicht spezifiziert. Auch hier kann möglicherweise ein Blick auf die GEMA-Entscheidungen Klärung bringen. In der GEMA I-Entscheidung gab die Kommission der GEMA auf, ihren Mitgliedern den Entzug des Wahrnehmungsmandats in Bezug auf einzelne Sparten nach ordnungsgemäßer Kündigung zum Ende eines jeden Jahres zu erlauben.820 In der GEMA II-Entscheidung akzeptierte die Kommission eine dreijährige Kündigungsfrist, verlangte im Gegenzug aber eine höhere Sparten-Differenzierung.821 Ob diese Wertung der Kommission aus dem Jahr 1972 auf die Wahrnehmung von Online-Rechten übertragen werden kann, ist aber zweifelhaft. Die Freizügigkeit der Rechteinhaber ist für das Ziel der Empfehlung, einen Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften zu ermöglichen, von grundlegender Bedeutung. Eine angemessene Frist dürfte deshalb eher bei einem als bei drei Jahren ________ 817 818
819 820 821
218
Vgl. Schreiben der Kommission vom 12. August 2002, COMP/C2/37.219 – Banghalter & Homem Christo/SACEM (Daft Punk), S. 11 f. KOM(2004) 261 endg., S. 22; so auch der für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständige Kommissar Charlie McCreevy in einer Rede vom 3. Oktober 2006 vor dem Music Publishers’ Congress, veröffentlicht auf der Website der Kommission (letzter Abruf am 8. September 2007), SPEECH/06/558, S. 3. Ebenso Schmidt, ZUM 2005, 783, 784; Majer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 147, 166. UFITA Bd. 65 (1972), 344, 367 – GEMA I. UFITA Bd. 65 (1972), 369, 370 – GEMA II.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
liegen. Mangels einer konkreten Festlegung in der Empfehlung wird den Verwertungsgesellschaften bei der genauen Bestimmung der Fristen allerdings ein Ermessen zuzugestehen sein. c)
Vereinbarkeit eines Wahrnehmungszwangs mit der Empfehlung
Die Empfehlung verhält sich nicht ausdrücklich dazu, ob die Verwertungsgesellschaften einem Wahrnehmungszwang wie nach § 6 Abs. 1 UrhWG unterworfen sein sollen.822 Im Falle eines Wahrnehmungszwangs wären die Verwertungsgesellschaften verpflichtet, die OnlineRechte auf Verlangen eines Rechteinhabers auch dann wahrzunehmen, wenn dies wirtschaftlich unrentabel ist. Nach verbreiteter Auffassung widerspricht ein Wahrnehmungszwang dem Wettbewerbskonzept der Kommission.823 Für die Unvereinbarkeit eines Wahrnehmungszwangs mit der Empfehlung spricht das von der Kommission ursprünglich verfolgte Ziel einer Repertoire-Spezialisierung der Verwertungsgesellschaften. Die Studie der Kommission nennt die Spezialisierung der Verwertungsgesellschaften nach Musikgenres als möglichen Weg für Effizienzsteigerungen.824 Voraussetzung für die Bildung eines Genre-Profils wäre aber, dass die Verwertungsgesellschaften einzelne Rechteinhaber ablehnen dürften. Ein Wahrnehmungszwang würde mit diesem Ziel kollidieren. Die Kommission hat das Ziel der Genre-Spezialisierung in der späteren Folgenabschätzung und in der Empfehlung allerdings nicht weiter ausgeführt. Für die Zulässigkeit eines Wahrnehmungszwangs spricht, dass es der Kommission vor allem um einen diskriminierungsfreien Zugang aller Rechteinhaber in der Gemeinschaft zu den Verwertungsgesellschaften geht. Das Wahlrecht der Rechteinhaber bildet das Kernstück der Kommissionsempfehlung. Ohne einen Wahrnehmungszwang wäre nicht ________ 822
823
824
Auch in der Mitteilung vom 16. April 2004 über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, KOM (2004) 261, hat sich die Kommission zu dieser Frage nicht geäußert. Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193, 230 ff.; MPI, GRUR Int. 2006, 222, 223 f.; Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 2006, 303, 305; v. Einem, MMR 2006, 647, 649. Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798), S. 36.
219
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
gewährleistet, dass die Rechteinhaber dieses Wahlrecht uneingeschränkt ausüben können. Die Verwertungsgesellschaften könnten vor allem den Rechteinhabern im EG-Ausland den Abschluss von Wahrnehmungsverträgen aus Kostengründen verweigern. Mit einem Wahrnehmungszwang soll aber gerade auch ausgeschlossen werden, dass die Rechteinhaber zwischen den Verwertungsgesellschaften hin und her verwiesen werden.825 Aus diesem Grund gilt der Wahrnehmungszwang im deutschen Recht nach h. M. auch in einer Wettbewerbssituation.826 Das spricht dafür, dass ein gesetzlicher Wahrnehmungszwang nicht gegen die Zielsetzung der Empfehlung verstoßen würde. Umgekehrt muss allerdings festgehalten werden, dass die Empfehlung einen Wahrnehmungszwang nicht ausdrücklich verlangt. 2.
Gerechte Verteilung
Die Verwertungsgesellschaften sollen die erzielten Einnahmen unter allen vertretenen Rechteinhabern oder Kategorien von Rechteinhabern gerecht verteilen.827 Sie sollen den Rechteinhabern außerdem regelmäßig Rechenschaft über die erzielten Einnahmen und die vorgenommenen Ausschüttungen ablegen.828 Auf welche Änderungen die Kommission mit dieser Forderung vor allem abzielt, wird bei ergänzender Betrachtung der Studie und der Folgenabschätzung deutlich. Die bislang übliche Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten über Gegenseitigkeitsverträge sieht die Kommission als nicht geeignet an, um eine schnelle, diskriminierungsfreie und effiziente Ausschüttung der Lizenzeinnahmen an die Rechteinhaber in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Wie erörtert, zahlen die Verwertungsgesellschaften ihre im Anwendungsbereich der Gegenseitigkeitsverträge erzielten Einnahmen nicht direkt an die Rechteinhaber aus, sondern verteilen sie an die Verwertungsgesellschaften, zu deren Repertoires die genutzten Werke gehören.829 Die Rechteinhaber erhalten ihre Lizenzeinnahmen ________ 825 826 827 828 829
220
Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 6 WahrnG Rn. 15. Siehe oben 2. Kapitel, B.I.1.b). Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 10. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 57 Zf. 14. Vgl. zu den CISAC- und BIEM-Gegenseitigkeitsverträge oben 3. Kapitel, C.I.3 und C.II.2, und zu den Santiago-/Barcelona-Abkommen oben 4. Kapitel, D.I.4.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
von der Gesellschaft, mit der sie wahrnehmungsvertraglich verbunden sind. An der Verteilung der Lizenzeinnahmen aus der Verwertung des internationalen Repertoires sind deshalb immer zwei Verwertungsgesellschaften beteiligt. Jede beansprucht dabei eine Entschädigung für ihren Verwaltungsaufwand. Bevor die Beträge an die Rechteinhaber gelangen, werden sie mit zwei Verwaltungskostenabzügen belastet. Die Kommission beurteilt diese Art der Verteilung als intransparent und schwer kontrollierbar. Es bestehe die Gefahr, dass die Verwertungsgesellschaften ihre eigenen Mitglieder bevorzugten und ausländische Rechteinhaber nicht entsprechend der tatsächlich erfolgten Werknutzungen teilhaben ließen.830 Aus Sicht der Rechteinhaber sei ein Lizenzierungssystem ohne Gegenseitigkeitsverträge vorzuziehen, weil die Verwertungsgesellschaften ihre Einnahmen direkt, d. h. ohne Zwischenschaltung eines Mittlers verteilen würden, und jedem Rechteinhaber unabhängig von seiner Herkunft unmittelbar vertraglich verantwortlich wären. Die Kommission verspricht sich davon eine schnellere und gerechtere Verteilung. Bei direkter Auszahlung an die Mitglieder würden die Lizenzeinnahmen nicht mehr Gegenstand zahlreicher Verwaltungskostenabzüge sein. Dadurch könnten die Verteilungssummen erhöht werden.831 3.
Repräsentation der Rechteinhaber
Ein eigener Abschnitt der Empfehlung befasst sich mit der Vertretung der verschiedenen Gruppen von Rechteinhabern in den Verwertungsgesellschaften. Die Gesellschaften sollen alle Gruppen gleich behandeln und den Grundsatz befolgen, dass die Rechteinhaber an den internen Entscheidungsprozessen in fairem und ausgewogenem Umfang beteiligt ________ 830
831
Vgl. die Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798), S. 25 f. Besonders vehement werden die sog. B-Verträge kritisiert, auf deren Grundlage die Verwertungsgesellschaften keinen Geldtransfer vornehmen und die Beträge vollständig an die eigenen Mitglieder auszahlen, siehe Studie, S. 11 ff., und Folgenabschätzung, S. 11, 29. Soweit ersichtlich werden B-Verträge im Musikbereich von einigen Verwertungsgesellschaften für die Rechte der ausübenden Künstler angewandt. Eine internationale Verteilung der Lizenzeinnahmen, so versuchen die Gesellschaften ihre Praxis zu rechtfertigen, sei mangels genauer Werknutzungsangaben unmöglich; vgl. die Stellungnahme des Dachverbands SCAPR vom 5. Oktober 2005 zur Studie, S. 1 ff. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 31.
221
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
werden.832 Die Kommission zielt mit diesem Teil der Empfehlung vor allem auf eine Stärkung der Position der Musikverlage in den Verwertungsgesellschaften ab. Verwertungsgesellschaften werden in der Regel von verschiedenen Berufsgruppen getragen. Die musikalischen Urheber-Gesellschaften setzen sich auf der einen Seite aus den Urhebern, d. h. den Komponisten und Textautoren, und auf der anderen Seite aus den Musikverlagen zusammen. In der Folgenabschätzung beanstandet die Kommission, dass dies nicht bei allen Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft der Fall sei. Einige Verwertungsgesellschaften verweigerten den Musikverlagen die zur Stimmberechtigung führende Mitgliedschaft.833 Obwohl sie einen bedeutenden Teil der Repertoires der Verwertungsgesellschaften beisteuerten, könnten die Musikverlage nicht über die Lizenzbedingungen und die Verteilungsmodalitäten mit bestimmen.834 Die Kommission möchte solche Ungleichbehandlungen ausschließen. Die Rechteinhaber sollen unabhängig von ihrer Berufsgruppe die gleichen Stimmrechte erhalten. Die Kommission lässt allerdings offen, ob die Verwertungsgesellschaften Majorisierungen zu Lasten einzelner Berufsgruppen entgegensteuern dürfen, zum Beispiel durch ein Kuriensystem.835 Dagegen könnte sprechen, dass die Kommission in der Folgenabschätzung ein Mitspracherecht der Rechteinhaber am Maßstab des kommerziellen Werts der von ihnen in die Verwertungsgesellschaft eingebrachten Rechte befürwortet.836 Das würde bedeuten, dass vor allem die Major-Musikverlage, deren Rechte wirtschaftlich besonders wertvoll sind, ein größeres Stimmgewicht erhalten müssten. Die Forderung nach einer kommerziell gewichteten Stimmbeteiligung hat allerdings keinen Eingang in die Empfehlung der Kommission gefunden. Anders als in der Folgenabschätzung ist in der Empfehlung lediglich allgemein davon die Rede, dass alle Rechteinhaber „in fairem und ausgewogenem Umfang“ an den Entscheidungsprozessen der
________ 832 833 834 835 836
222
Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 13 lit. a) und b), 13. Begründungserwägung. Dazu oben 2. Kapitel, C.II.1. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 10. Vgl. zum Kuriensystem der GEMA oben C.I.1.a). Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 38.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
Verwertungsgesellschaften beteiligt werden sollen.837 Für ein Kuriensystem, mit dem die Interessen der einzelnen Berufsgruppen in Einklang gebracht werden sollen, besteht somit weiterhin Raum. 4.
Transparenz der Verwertungsgesellschaften
Eine ganze Reihe von Bestimmungen in der Empfehlung zielen auf eine höhere Transparenz der Verwertungsgesellschaften ab. Die Verwertungsgesellschaften sollen die Rechteinhaber und die gewerblichen Nutzer über ihre Repertoires, ihre Gegenseitigkeitsverträge, den räumlichen Geltungsbereich ihrer Vertretungsmacht und die Tarife informiert halten.838 Veränderungen des Repertoires sollen die Verwertungsgesellschaften innerhalb einer angemessenen Frist bekannt geben.839 Ausdrücklich wird verlangt, dass sie dabei das Internet als Informationsmedium verwenden.840 In ihren Wahrnehmungsverträgen, den Satzung und bei Auszahlung der Einnahmen an die Rechteinhaber sollen die Verwertungsgesellschaften offenlegen, welche Beträge für andere Zwecke als die erbrachten Wahrnehmungsleistungen einbehalten werden.841 Damit sind die Abzüge der Verwertungsgesellschaften für kulturelle und soziale Maßnahmen gemeint.842 Hintergrund der Empfehlung ist der vor allem von britischen Musikverlegern geäußerte Unmut über die Praxis der Verwertungsgesellschaften, kulturelle und soziale Fonds zu bilden, die hauptsächlich den inländischen Rechteinhabern zugute kommen, aber aus dem internationalen Repertoire mitfinanziert werden.843 Die Kommission möchte, dass die ausländischen Rechteinhaber stärker in die Entscheidungen über die Höhe und die Verwendung solcher Abzüge einbezogen werden.844 Die ________ 837 838 839 840 841 842 843
844
Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 13 lit. b). Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 6. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 7. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 37. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 56 Zf. 11 und 12. Siehe oben 2. Kapitel, A.II. Vgl. die Stellungnahmen des britischen Musikverlegerverbands MPA, S. 7, der MCPS/PRS vom 28. Juli 2005, Zf. 3.2, und der British Academy of Composers & Songwriters, S. 1, zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798). Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 20 f.
223
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
sozialen und kulturellen Aktivitäten sollen zu einem Wettbewerbsfaktor zwischen den Verwertungsgesellschaften werden.845 Rechteinhaber sollen ihre Verwertungsgesellschaften wechseln können, wenn sie mit den Abzügen für solche Zwecke nicht einverstanden sind. 5.
Mechanismen zur Streitbeilegung
Den Mitgliedstaaten wird empfohlen, effektive Mechanismen zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Verwertungsgesellschaften und Verwertern oder Rechteinhabern zu schaffen. Die Online-Anbieter sollen in einem solchen Verfahren insbesondere die Tarife und Lizenzbedingungen der Verwertungsgesellschaften anfechten können. Auf Seiten der Rechteinhaber soll die Überprüfung der Übertragung oder des Entzugs ihrer Online-Rechte möglich sein.846 Zuständig sollen die Behörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten sein.847 Nationale Streitbeilegungsmechanismen sind nach dem Dafürhalten der Kommission notwendig, damit Verwertungsgesellschaften mit einem großen Repertoire nicht ihre Verhandlungsmacht missbräuchlich ausnutzen und unangemessene Tarife durchsetzen.848 Mit dieser Empfehlung knüpft die Kommission an ihre Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ aus dem Jahr 2004 an. Dort wurde die Einführung von besonderen Gerichten, Behörden oder Schiedsstellen in allen Mitgliedstaaten sowie die Schaffung einer gemeinsamen Grundlage für ihre Zuständigkeiten, ihre Zusammensetzung und den Status ihrer Entscheidungen befürwortet.849 In der Studie wird darauf hingewiesen, dass es solche speziellen Streitbeilegungsmechanismen nur in wenigen Mitgliedstaaten gebe.850 Als Vorbild für die von der Kommission empfohlenen Streitbeilegungsmechanismen könnten grundsätzlich die Regelungen über das Schlichtungsverfahren im deutschen Wahrnehmungsrecht dienen (§§ 14 ff. UrhWG).851 Anders als die Kommission fordert, ist die deutsche Schieds________ 845 846 847 848 849 850 851
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Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 24. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 57 Zf. 15. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 24. S. 29. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 24. S. 29. KOM(2004) 261 endg., S. 22. Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798), S. 20. Siehe oben 2. Kapitel, B.I.1.c).
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
stelle allerdings nicht für Auseinandersetzungen zwischen Verwertungsgesellschaften und Rechteinhabern berufen. Sie beurteilt nicht die Wahrnehmungs-, sondern nur die Nutzungsbedingungen der Verwertungsgesellschaften.852 Insofern bleibt die Rechtslage in Deutschland hinter der Empfehlung zurück.
III. Folgen der Empfehlung Im Hinblick auf die Folgen der Empfehlung muss zwischen ihrer rechtlichen Wirkung und ihren tatsächlichen Konsequenzen unterschieden werden. 1.
Rechtliche Wirkung
Gemäß Art. 249 Abs. 5 EG sind Empfehlungen der Gemeinschaftsorgane unverbindlich. Sie binden ihre Adressaten rechtlich nicht und sind gerichtlich nicht durchsetzbar.853 Die Empfehlung der Kommission begründet demnach keine Rechtspositionen der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten oder der Online-Anbieter gegenüber den Mitgliedstaaten oder den Verwertungsgesellschaften. Auf der anderen Seite ist anerkannt, dass Empfehlungen der Kommission nicht rechtlich irrelevant sind.854 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs haben die nationalen Gerichte Empfehlungen der Kommission bei den Entscheidungen über Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen. Das gilt vor allem dann, wenn eine Empfehlung Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben kann oder wenn sie verbindliche gemeinschaftsrechtliche Vorschriften ergänzen soll.855 Die Mitgliedstaaten sind außerdem gehalten, Empfehlungen nicht zu ignorieren. Ein ablehnender Standpunkt muss ausreichend be-
________ 852 853 854 855
Vgl. Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 14 WahrnG Rn. 6. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 249 EGV Rn. 213. Vgl. Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.): EU- und EG-Vertrag, Bd. 4, Art. 249 EG Rn. 50. EuGH Rs. 322/88, Slg. 1989, 4407 – Grimaldi.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
gründet werden. Das folgt aus der allgemeinen Treuepflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft (Art. 10 EG).856 Übertragen auf die Kommissionsempfehlung vom 18. Oktober 2005 bedeutet das: Sobald ein Mitgliedstaat Maßnahmen zu ihrer Umsetzung getroffen hat, namentlich durch Änderung seines Wahrnehmungsrechts, ist die Empfehlung von den Gerichten als Auslegungsmaßstab heranzuziehen. Mangels rechtlicher Verbindlichkeit der Empfehlung sind die Mitgliedstaaten allerdings nicht zur Umsetzung verpflichtet. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern die Empfehlung auch ohne Umsetzung bei der Auslegung geltender Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen ist. Das könnte im Hinblick auf das EG-Wettbewerbsrecht zu bejahen sein. Die in der Empfehlung geforderte Spartenlizenzierung war bereits Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen der Kommission. Bei zukünftigen Streitigkeiten zwischen Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften könnte sie deshalb als Auslegungsmaßstab des Wettbewerbsrechts heranzuziehen sein. Auf der anderen Seite wird auf das Wettbewerbsrecht in der Empfehlung jedoch nicht ausdrücklich Bezug genommen. Laut ihren Begründungserwägungen stützt sich die Empfehlung auf die Mitteilung der Kommission „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ sowie auf die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Rechtewahrnehmung aus dem Jahr 2004.857 Beide Maßnahmen sind ihrerseits rechtlich unverbindlich. Das spricht dafür, dass die Empfehlung als rein politische Stellungnahme der Kommission zu verstehen ist. Bei der Auslegung des Wettbewerbsrechts muss sie von den innerstaatlichen Gerichten somit nicht berücksichtigt werden. 2.
Tatsächliche Auswirkungen
Trotz ihres fehlenden normativen Gehalts hat die Empfehlung eine verhaltenssteuernde Wirkung auf die Verwertungsgesellschaften. Die Kommission hat mit der Empfehlung verdeutlicht, welches System der kollektiven Rechtewahrnehmung sie im Online-Bereich bevorzugt. Damit ist die ________ 856 857
226
Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 249 EGV Rn. 213. ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 1.–3. Begründungserwägung; zu der Kommissionsmitteilung und der EP-Entschließung siehe oben 2. Kapitel B.II.1.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
Richtung vorgegeben, in die sich die Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft nach ihrem Willen entwickeln sollen. Die Verwertungsgesellschaften können auf die politische Unterstützung der Kommission zählen, wenn sie die Wahrnehmung ihrer Online-Rechte entsprechend der Empfehlung neu strukturieren. Wie sich zuletzt am CISAC-Verfahren gezeigt hat, kann die Kommission zudem in ihrer Eigenschaft als Wettbewerbsbehörde einen beträchtlichen Einfluss über die Verwertungsgesellschaften ausüben und auch auf diese Weise auf die Umsetzung ihrer Empfehlung drängen.858 a)
Verwertungsgesellschaften
In einer Wettbewerbssituation ist es für die Verwertungsgesellschaften entscheidend, möglichst viele leistungsstarke Rechteinhaber an sich zu binden. Nur mit einem großen und häufig nachgefragten Musikrepertoire können sie in einem Wettbewerb erfolgreich bestehen. Langfristig erwartet die Kommission dabei die Herausbildung von etwa drei bis vier gemeinschaftsweit tätigen Verwertungsgesellschaften.859 Die anderen Verwertungsgesellschaften werden dadurch ihre Daseinsberechtigung nicht verlieren. Viele Musikwerke werden vorwiegend auf lokalen Märkten gehört. Den Rechteinhabern ist zudem häufig an einer engen sprachlichen und kulturellen Bindung an ihre lokale Verwertungsgesellschaft gelegen. Im Ergebnis werden daher wohl wenige große Verwertungsgesellschaften das international gefragte Repertoire verwalten, während die lokalen Verwertungsgesellschaften sich auf die Wahrnehmung der vorwiegend auf nationalen Märkten genutzten Werke beschränken werden. Der Wechsel der besonders leistungsstarken Rechteinhaber zu den großen Verwertungsgesellschaften wird einen Anstieg der Verwaltungskostensätze der lokalen Verwertungsgesellschaften herbeiführen. Sie müssen ihre Kosten auf eine geringere Anzahl von Rechteinhabern verteilen. Mit den Gegenseitigkeitsverträgen entfällt ferner die Möglichkeit, die Einnahmen aus dem internationalen Repertoire mit einem Sozialabzug zu versehen. Die Kommissionsempfehlung wird deshalb vor allem von den kleineren Verwertungsgesellschaften und den Interessenvertretern ________ 858 859
Siehe oben 4. Kapitel, D.III.2. Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798), S. 42.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
der Urheber kritisiert. Sie befürchten, dass ein Wettbewerb zu Lasten der wirtschaftlich weniger erfolgreichen Rechteinhaber und damit der kulturellen Vielfalt in der Gemeinschaft gehen wird.860 Diese Befürchtung wird vom Europäischen Parlament geteilt. Das Parlament hat in einer Entschließung vom 13. März 2007 zu der Kommissionempfehlung festgestellt, dass die nationalen Verwertungsgesellschaften bei der Förderung von kleinen Rechteinhabern, des lokalen Repertoires und der kulturellen Vielfalt weiterhin eine wichtige Rolle spielen sollten.861 Einen Wettbewerb, wie ihn die Kommission empfiehlt, lehnt das Parlament deshalb ab. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass die Kommissionsempfehlung von den Verwertungsgesellschaften umgesetzt wird. Im Januar 2006 kündigte der weltgrößte Musikverlag EMI Music Publishing an, die Online-Rechte an seinem anglo-amerikanischen Repertoire durch ein für diesen Zweck zu gründendes Joint Venture der MCPS/PRS und der GEMA gemeinschaftsweit wahrnehmen lassen zu wollen.862 Diese Pläne wurden mittlerweile mit der Gründung des GEMA-MCPS/PRS Gemeinschaftsunternehmens CELAS realisiert, von dem Musikverwerter gemeinschaftsweit gültige Lizenzen für die Online-Nutzung von Musikwerken aus dem EMI-Repertoire erwerben können.863 EMI verspricht sich dadurch eine bessere Lizenzierung, effektivere Kontrolle, transpa________ 860
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Vgl. die Stellungnahmen der „Small and medium sized collecting societies“ (Artisjus – Ungarn, AKM und Austro Mechana – Österreich, KODA – Dänemark, NCB – Skandinavien, STIM – Schweden, Teosto – Finnland, TONO – Norwegen) vom 29. August 2005; der Teosto vom 28. Juli 2005; der Artisjus vom 19. Juli 2005; der GESAC vom Juli 2005; der CISAC vom 28. Juli 2005; der niederländischen Buma/Stemra vom 4. August 2005; des die Interessen von Film- und TV-Urheber vertretenden Verbands AIDAA sowie des Interessenverbands der ausübenden Künstler Adami vom 28. Juli 2005 zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798). Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2007 zu der Empfehlung 2005/737/EG der Kommission vom 18. Oktober 2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden (2006/2008(INI), Erwägungsgrund I. Dazu Billboard, 11. Februar 2006, S. 26; Music Week, 28. Januar 2006, S. 1; Financial Times (London), 24. Januar 2006, S. 8; Music & Copyright, 1. Februar 2006, S. 1 ff. Siehe die Homepage von CELAS unter www.celas.eu; vgl. auch GEMA-Brief, Nr. 61, März 2007.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
rentere Rechnungslegung sowie einen schnelleren Erhalt der Lizenzeinnahmen.864 Als zweiter Musikverlag kündigte Warner/Chappell Music im Juni 2006 an, mehrere Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft mit der gemeinschaftsweiten Wahrnehmung der Online-Musikrechte an seinem anglo-amerikanischen Repertoire mandatieren zu wollen. Den Verwertungsgesellschaften sollen dabei Transparenz- und Effizienzvorgaben gestellt werden.865 Als weitere Initiative zur Umsetzung der Kommissionsempfehlung ist die beabsichtigte Gründung eines Joint Ventures durch die Verwertungsgesellschaften SACEM (Frankreich), SGAE (Spanien) und SIAE (Italien) zu nennen.866 Die anlässlich der Musikmesse Midem im Januar 2007 angekündigte Gründung des Joint Ventures verfolgt das Ziel, einen „one stop shop“ für europaweite Lizenzen im digitalen und Mobilfunkbereich zu schaffen. Die Gesellschaften wollen unter anderem im IT-Bereich kooperieren und dadurch ihre Leistungen beim Monitoring, Inkasso und bei der Ausschüttung verbessern. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass sich dieser Konsolidierungsprozess bei den europäischen Verwertungsgesellschaften fortsetzen wird und sich jedenfalls auch die übrigen Major-Musikverlage dazu entscheiden werden, ihre Repertoires von einzelnen Verwertungsgesellschaften oder neu entstehenden Gemeinschaftsunternehmen gemeinschaftsweit wahrnehmen zu lassen.867 b)
Rechteinhaber
Die internationalen Musikverlage profitieren von der Kommissionsempfehlung am meisten.868 Die Befugnisse aus der Empfehlung sollen zwar nicht nur den institutionellen, sondern allen Rechteinhabern, also auch den einzelnen Urhebern zustehen. Die großen Musikverlage können das ________ 864 865
866 867 868
Music Week, 4. Februar 2006, S. 11. Vgl. die Presseerklärung von Warner/Chappell vom 2. Juni 2006, abrufbar auf der Website der Warner Music Group unter www.wmg.com (letzter Abruf am 8. September 2007); Billboard, 3. Februar 2007, S. 12. Vgl. Heise Online, 21. Januar 2007; Billboard, 3. Februar 2007, S. 12. Music Week, 2. April 2006, S. 11; Music Week, 8. Juli 2006, S. 4 f.; Billboard, 3. Februar 2007, S. 12. Zustimmend deshalb die Stellungnahmen der Interessenvereinigung der Major-Musikverlage IMPA vom 28. Juli 2005 und des britischen Musikverlegerverbands MPA vom Juli 2005 zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798).
229
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Recht zur Freizügigkeit aber am besten nutzen. Sie sind ohnehin international organisiert und verfügen über die erforderlichen Strukturen, um die Möglichkeiten des Binnenmarkts auszuschöpfen. Den Wettbewerb werden die Verwertungsgesellschaften deshalb vor allem um die Musikverlage führen.869 Für die Verwertungsgesellschaften bedeutet das, dass sie den Interessen der Verlage zukünftig ein größeres Gewicht einräumen müssen. Die Verlage werden bei der Gestaltung der Tarife und Wahrnehmungsbedingungen der Verwertungsgesellschaften einen stärkeren Einfluss haben. Sie sind in einem Wettbewerb nicht mehr auf die Leistungen der nationalen Verwertungsgesellschaften angewiesen und können ihre Rechte bei Bedarf einer konkurrierenden Gesellschaft anvertrauen oder sie gar selbst wahrnehmen. Die im europäischen Dachverband GESAC870 organisierten Verwertungsgesellschaften haben sich mit dem Musikverleger-Interessenverband ICMP-CIEM im Juli 2006 auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, in der die Grundregeln für die zukünftige Wahrnehmung von Online-Musikrechten festgehalten werden.871 Wie in der Kommissionsempfehlung gefordert, sollen die Musikverleger auf Verlangen als Mitglieder der Verwertungsgesellschaften aufgenommen werden. In den leitenden Gremien der Verwertungsgesellschaften sollen sie mit mindestens einem Drittel der Sitze vertreten sein. In Übereinstimmung mit der Empfehlung sollen die Verwertungsgesellschaften ihre Mitglieder regelmäßig über die Lizenzen, Vergütungssätze, Einnahmen, Verteilungsregeln und das Repertoire informieren. GESAC verspricht eine Umsetzung der vereinbarten Regelungen innerhalb von zwölf Monaten. Außerdem wurde vereinbart, dass die Mitgliedstaaten zur Implementierung der Kommissionsempfehlung aufgefordert werden sollen. c)
Online-Musikanbieter
Nach einem Wegfall der Gegenseitigkeitsverträge werden die Zuständigkeiten der Verwertungsgesellschaften nicht mehr territorial, sondern re________ 869
870 871
230
Ebenso die Stellungnahmen der GESAC vom 28. Juli 2005, Zf. 2.3., und des Interessenverbands der Online-Verwerter EDIMA vom 29. Juli 2005, S. 5, zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798). Siehe oben Fn. 782. Vgl. Billboard, 22. Juli 2006, S. 20.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
pertoirebezogen definiert sein.872 Die Verwertungsgesellschaften können dann Mehrgebietslizenzen erteilen, die aber nur zur Nutzung ihrer eigenen Repertoires berechtigten. Für die Online-Anbieter bedeutet dass, dass sie zukünftig mit mehreren Verwertungsgesellschaften Lizenzvereinbarungen abschließen müssen, um die Nutzungsrechte am Weltrepertoire zu erwerben. Die Verstreuung des Weltrepertoires bei den verschiedenen Verwertungsgesellschaften wird dazu führen, dass die Online-Anbieter weniger Rechtssicherheit haben, wenn sie urheberrechtlich geschützte Werke nutzen.873 Um Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche der Rechteinhaber zu vermeiden, müssen sie sich genau darüber informieren, welche Werke zu den Repertoires der einzelnen Verwertungsgesellschaften gehören.
IV. Stellungnahme Bei der Bewertung der Kommissionsempfehlung muss zwischen dem Gesichtspunkt der Binnenmarktverwirklichung und des Wettbewerbsrechts sowie dem der kulturellen Vielfalt und der Interessen der OnlineAnbieter unterschieden werden. 1.
Vorteile des empfohlenen Wettbewerbs
Zu den grundlegenden Zielen der Gemeinschaft gehört die Schaffung eines Binnenmarkts und eines freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 3 Abs. 1 lit. c) EG). Der Bereich der Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten durch Verwertungsgesellschaften ist bislang weitgehend durch das Fehlen eines nennenswerten Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gekennzeichnet. Die Verwertungsgesellschaften richten ihre Wahrnehmungs- und Lizenzleistungen überwiegend an inländische Rechteinhaber und Verwerter. In einem gemeinschaftsweiten Wettbewerb würde der Sitz der Rechteinhaber und der Verwerter für die Verwertungsgesellschaften erstmals keine Rolle spielen. Die Verwertungsgesellschaften würden um alle Rechteinhaber in ________ 872 873
Vgl. Schmidt, ZUM 2006, 783, 785. Ebenso Frabboni, Ent.L.R. 2006, 65, 66; Stellungnahme der EDIMA vom 29. Juli 2005 zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798), S. 4.
231
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
der Gemeinschaft konkurrieren. Es würde ein grenzüberschreitender Verkehr von Wahrnehmungs- und Lizenzleistungen entstehen. Aus der Perspektive des Binnenmarkts und des freien Dienstleistungsverkehrs ist die Empfehlung daher zu begrüßen. Im Hinblick auf das geltende EG-Wettbewerbsrecht ist die Empfehlung ebenfalls zustimmungswürdig. Die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften haben eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung. Das gilt sowohl für den Lizenzmarkt mit den Musikanbietern als Nachfragern als auch für den Markt der Wahrnehmungsleistungen gegenüber den Rechteinhabern. Was den Lizenzmarkt angeht, stellt die Kommission zutreffend fest, dass sich unter der Geltung von Gegenseitigkeitsverträgen allenfalls ein unzureichender Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften entwickeln kann. Beispiele für einen solchen Wettbewerb sind die europäische Tonträger-Zentrallizenzierung sowie im Online-Bereich die Simulcasting- und Webcasting-Lizenzierung der Verwertungsgesellschaften der Tonträgerhersteller.874 Da im Anwendungsbereich der Gegenseitigkeitsverträge alle Verwertungsgesellschaften das gleiche Repertoire anbieten, können sie sich im Wettbewerb voneinander nur mit Zugeständnissen an die Verwerter abgrenzen. Dies geht notwendigerweise zu Lasten der Rechteinhaber, in deren Diensten die Verwertungsgesellschaften wahrnehmungsvertraglich stehen. Die Kommission führt in der Folgenabschätzung zutreffend aus, dass ein solches Lizenzierungssystem die Gefahr birgt, dass die Verwertungsgesellschaften im Wettbewerb um Verwerter Lizenzbedingungen anwenden, die für die Rechteinhaber nachteilig sind. Starke Verwerter könnten gegenüber kleinen Verwertungsgesellschaften mit wenig Verhandlungsmacht auf ein niedriges Tarifniveau drängen und auf diese Weise ein „race to the bottom“ herbeiführen.875 Wettbewerbsrechtlich ist der Initiative der Kommission schließlich aus dem Grund zuzustimmen, dass sie erstmals die Auswirkungen der Gegenseitigkeitsverträge auf dem Wahrnehmungsmarkt in den Blick nimmt. Unter der Geltung von Gegenseitigkeitsverträgen ist es für Verwertungsgesellschaften nicht entscheidend, Rechteinhaber unmittelbar wahrnehmungsvertraglich zu binden. Mittels der Gegenseitigkeitsver________ 874 875
232
Siehe oben 3. Kapitel, D.II.2. (Zentrallizenzierung), und 4. Kapitel, C. (Simulcasting-Vereinbarung). Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 26 f., 30.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
träge nehmen sie in jedem Fall die Rechte aller Rechteinhaber wahr, ohne um diese konkurrieren zu müssen. Ein wirksamer Wettbewerb auf dem Wahrnehmungsmarkt ist unter dieser Voraussetzung nicht möglich. Erst nach Wegfall der Gegenseitigkeitsverträge werden die Verwertungsgesellschaften einen wettbewerblichen Anreiz haben, aktiv um Rechteinhaber zu werben. Das wird zu einer Verbesserung ihrer Kundenorientierung, Effizienz und Transparenz führen. 2.
Nachteile für die kulturelle Vielfalt in der Gemeinschaft
Verwertungsgesellschaften sind keine reinen Inkassounternehmen, sondern erfüllen auch urheberschützende, kulturelle und soziale Funktionen. Konkret äußert sich das etwa in ihren Sozialfonds, der Bevorzugung kulturell bedeutender Werke in den Verteilungsplänen sowie den Beratungsleistungen der Verwertungsgesellschaften. Insofern sind die Verwertungsgesellschaften Teil der kulturellen Infrastrukturen der Mitgliedstaaten. Die Verwertungsgesellschaften bekennen sich dabei ausdrücklich zu ihrer Absicht, das nationale Musikrepertoire zu fördern.876 Sie tragen damit zum Erhalt der kulturellen Vielfalt in der Gemeinschaft bei – einem Schutzgut, dem der EG-Vertrag in Art. 151 besondere Bedeutung zumisst. In einem Wettbewerb können die Verwertungsgesellschaften diese Funktionen nur eingeschränkt ausüben.877 Das gilt vor allem für die kleineren Verwertungsgesellschaften. Die Gegenseitigkeitsverträge geben ihnen die Möglichkeit, nicht nur das nationale Repertoire urheberrechtlich geschützter Musik wahrzunehmen, sondern auch die Rechte für das im Markt besonders nachgefragte internationale Repertoire. Folge ist, dass sie ihre Leistungen zu geringeren Verwaltungskosten anbieten können. Zudem können die Verwertungsgesellschaften die Einnahmen aus dem ausländischen Repertoire mit einem Abzug zur Finanzierung ihrer Sozialund Förderungsfonds belasten. Daran wird deutlich, dass die Gegenseitigkeitsverträge auch ein Ausdruck der (internationalen) Solidargemeinschaft der Urheber sind, als die sich vor allem die kontinentaleuropäischen
________ 876 877
Siehe oben 2. Kapitel, A.II. So auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 13. März 2007 (siehe oben Fn. 861).
233
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Verwertungsgesellschaften verstehen.878 Diese Solidargemeinschaft wird in einem Wettbewerb nicht aufrecht erhalten werden können. Von dem Wettbewerb profitieren deshalb in erster Linie die Rechteinhaber, deren Werke zwar international nachgefragt werden, aber nicht unbedingt die Eigenarten der verschiedenen Kulturen in der Gemeinschaft widerspiegeln. Für die Wahrung der kulturellen Vielfalt ist die Kommissionsempfehlung insgesamt nicht förderlich.879 3.
Nachteile für die Online-Musikanbieter
Im Hinblick auf die Interessen der Online-Musikanbieter ist die Kommissionsempfehlung nicht plausibel. Ausweislich ihrer Begründungserwägungen bezweckt sie, den Zugang der Verwerter zu den benötigten Nutzungsrechten in der Gemeinschaft zu verbessern und ihre Rechtssicherheit zu erhöhen.880 Tatsächlich bringt ein Wegfall der Gegenseitigkeitsverträge den Musikverwertern aber keine Vorteile. Sie müssen mit vielen Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft kontrahieren, um die benötigten Rechte für das Weltrepertoire zu erwerben. Das Gegenmodell der Gegenseitigkeitsverträge ist für die Verwerter günstiger als die Verteilung des Weltrepertoires bei mehreren Verwertungsgesellschaften.881 Die Interessenverbände der Anbieter verhalten sich zu der Empfehlung deshalb aus nachvollziehbaren Gründen ablehnend. Sie machen geltend, dass ihr Zugang zu den benötigten Nutzungsrechten erschwert ________ 878
879
880
881
234
Becker, in: ders./Lerche/Mestmäcker (Hrsg.), FS Kreile, S. 27, 34; in diesem Sinne auch die Entschließung der Europäischen Parlaments vom 13. März 2007 (siehe oben Fn. 861), Erwägungsgrund J. („dass das bestehende Netz der nationalen Verwertungsgesellschaften eine wichtige Rolle bei der finanziellen Unterstützung zur Förderung von neuen Repertoires und von Minderheitenrepertoires in Europa spielt, und dass dies nicht verloren gehen sollte“). Ebenso Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193, 213 ff., 238; Pfennig, in: Jacobs/Papier/ Schuster (Hrsg.), FS Raue, S. 593, 597; v. Einem, MMR 2006, 647, 649; Gilliéron, IIC 2006, 939, 968 f.; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 138. Vgl. Empfehlung 2005/737/EG, ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54, 7. und 8. Begründungserwägung; so auch die Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 1 f. Ebenso Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193, 196 f., 208; v. Einem, MMR 2006, 647, 649.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
wird.882 Diesen Gesichtspunkt greift auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 13. März 2007 auf und fordert die Beibehaltung der Verfügbarkeit des Weltrepertoires.883 Weitere Nachteile drohen den Musikverwertern dadurch, dass die wenigen im Wettbewerb verbleibenden Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft über eine größere Marktmacht verfügen werden. Das könnte zu Tariferhöhungen führen. Die Empfehlung der Kommission, effektive Streitschlichtungsmechanismen in allen Mitgliedstaaten einzuführen, bietet in dieser Hinsicht keinen ausreichenden Schutz, da sie rechtlich nicht verbindlich ist und die Mitgliedstaaten ihr nicht unbedingt Folge leisten werden.884
V.
Fazit
Die Kommission hat mit ihrer Empfehlung eine mögliche Perspektive für die zukünftige Organisation der kollektiven Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten in der Gemeinschaft aufgezeigt. Aus Sicht der Binnenmarktverwirklichung und des Wettbewerbsrechts ist sie zu begrüßen. Ein Wegfall der Gegenseitigkeitsverträge würde die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen durch die Verwertungsgesellschaft fördern, ihnen erstmals einen wettbewerblichen Anreiz zur Verbesserung ihrer Wahrnehmungsleistungen geben und die ________ 882
883 884
Vgl. die Stellungnahmen der EDiMA vom 29. Juli 2005; der IFPI vom 28. Juli 2005; des Interessenverbands der Sendeunternehmen EBU vom 22. August 2005; des Interessenverbands von Radiounternehmen AER vom 30. August 2005 und des Interessenverbands der privaten elektronischen Medienunternehmen in Deutschland VPRT vom 8. August 2005 zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798). Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2007 (siehe oben Fn. 861), Zf. 6. Der österreichische Gesetzgeber hat die Empfehlung 2005/737/EG im Gesetzgebungsverfahren zum neuen österreichischen Wahrnehmungsrecht (VerwGesG 2006) ignoriert; zu den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts heißt es in der Gesetzesbegründung (abgedr. in: Riesenhuber, Das österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, S. 88 ff.), dass die Rechtewahrnehmung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene noch nicht geregelt sei. Ablehnend auch die deutsche Bundesregierung, vgl. die Stellungnahme des BMJ vom 20. September 2005 zur Studie der Kommission (siehe oben Fn. 798).
235
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
bestehenden nationalen Monopole der Verwertungsgesellschaften beseitigen. Auf der anderen Seite würde die Einführung eines Wettbewerbs aber die Leistungsfähigkeit und damit die kulturellen und sozialen Funktionen vor allem der kleineren Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft in Frage stellen. Außerdem könnten die Verwertungsgesellschaften den Online-Musikanbietern in einem Wettbewerb nicht mehr das Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik anbieten. Für die kulturelle Vielfalt in der Gemeinschaft sowie im Hinblick auf das Interesse der Verwerter an einem einfachen Zugang zu den benötigten Nutzungsrechten ist das Kommissionsmodell deshalb nachteilig. In Anbetracht dieser Folgen ist die Initiative der Kommission bislang überwiegend auf Kritik gestoßen.885 Es muss bezweifelt werden, dass sie von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden wird. Die Entwicklung eines Wettbewerbs zwischen den Verwertungsgesellschaften um die Rechteinhaber ist aber dennoch kaum aufzuhalten. Jedenfalls die größeren Musikverlage sind auf die Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich nicht mehr angewiesen. Sie können ihre Rechte weitgehend selbst wahrnehmen. Die kollektive Rechtewahrnehmung steht längst in einem Systemwettbewerb mit der individuellen Rechtewahrnehmung.886 Das verleiht der Forderung der Rechteinhaber nach Effizienzsteigerungen der Verwertungsgesellschaften ein größeres Gewicht. Verwirklichen lassen sie sich am besten in einem Wettbewerb. Aus diesem Grund ist damit zu rechnen, dass sich das Wettbewerbsmodell jedenfalls bei der Wahrnehmung des internationalen Musikrepertoires in der Gemeinschaft durchsetzen wird. Das System der Gegenseitigkeitsverträge wird dadurch für den OnlineBereich nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Kommission gibt den Rechteinhabern die Wahl, ihre Rechte aus den Gegenseitigkeitsverträgen herauszunehmen, will sie hierzu aber nicht zwingen. Sie erklärt in der ________ 885
886
236
Vgl. die meist kritischen Stellungnahmen zur Studie der Kommission vom 7. Juli 2005 (siehe oben Fn. 798); MPI, GRUR Int. 2006, 222, ff.; Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 2006, 303; Drexl, in: Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 193, 202 ff; Rabe, a. a. O., S. 174, 187 ff.; v. Einem, MMR 2006, 647 ff.; Geiger u. a., GRUR Int. 2006, 475, 486 ff.; Gilliéron, IIC 2006, 939, 966 ff.; kritisch auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 13. März 2007 (siehe oben Fn. 861). MPI, GRUR Int. 2006, 222, 224.
A. Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005
Folgenabschätzung ausdrücklich, dass es den Rechteinhabern unbenommen bleiben soll, Verwertungsgesellschaften weiterhin mit der Wahrnehmung ihrer Online-Rechte im Wege von Gegenseitigkeitsverträgen zu beauftragen, wenn sie dies für vorzugswürdig halten.887 Gegenseitigkeitsverträge könnten vor allem in den weniger lukrativen, besonders verwaltungsaufwändigen Bereichen der Rechtewahrnehmung bestehen bleiben, beispielsweise bei der Lizenzierung von nicht-kommerziellen Webradio-Angeboten. Auch der Simulcasting-Vereinbarung der Tonträgerhersteller-Verwertungsgesellschaften wird mit der Kommissionsempfehlung nicht der Boden entzogen. In Zukunft werden in der Gemeinschaft somit voraussichtlich verschiedene Arten der Rechtewahrnehmung parallel betrieben werden. Einige Rechteinhaber werden ihrer Rechte individuell wahrnehmen, wie es partiell bereits seit längerem im Bereich der Klingeltonnutzung von Musikwerken üblich ist.888 Insbesondere die Musikverlage, aber auch einzelne Urheber, werden verstärkt dazu übergehen, die Rechte an den international besonders nachgefragten Werken durch gemeinschaftsweit tätige Verwertungsgesellschaften wahrnehmen zu lassen. In anderen Bereichen wird das System der Gegenseitigkeitsverträge weitergeführt werden. Daraus folgt, dass die Kommissionsempfehlung nicht an der Notwendigkeit vorbeiführt, die mit den Gegenseitigkeitsverträgen verbundenen wettbewerbsrechtlichen Probleme einer Lösung zuzuführen. Wie im 4. Kapitel erörtert, haben die Verwertungsgesellschaften ein legitimes Interesse daran, in den Gegenseitigkeitsverträgen einen Tarifwettbewerb zwischen ihnen auszuschließen.889 Mit dem geltenden Wettbewerbsrecht ist das jedoch nicht zu vereinbaren. Die Gemeinschaft sollte deshalb erwägen, die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften vom Kartellverbot partiell auszunehmen. Den Verwertungsgesellschaften soll________ 887
888 889
Vgl. Folgenabschätzung, SEC(2005) 1254, S. 18: „(. . .) But it should be left to right-holders themselves whether they want to avail themselves of this option. Other right-holders should still have the option of being indirectly represented by reciprocal representation agreements and the societies that have been elected as EU-wide licensors would remain in the network of reciprocal agreements in order to be able to offer the traditional aggregate EU musical repertoire next to the specific repertoire they have been entrusted with.“. In der vorangegangenen Studie (siehe oben Fn. 798) war die Kommission noch deutlich zurückhaltender, was die mögliche Aufrechterhaltung des Systems der Gegenseitigkeitsverträge anbelangt. Siehe oben 4. Kapitel, B.I.1. Siehe oben 4. Kapitel, C.III.3.c)bb).
237
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
te erlaubt werden, ihre Tarife anzugleichen oder die Lizenzgebühren im Falle von Mehrgebietslizenzen nach dem Bestimmungslandprinzip zu berechnen.890 Die damit bewirkte Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Verwertungsgesellschaften kann rechtspolitisch hingenommen werden. Den Verwertern ist mit einem einfachen Zugang zum Weltrepertoire besser gedient als mit einem Repertoirewettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften, wie ihn die Kommission in der Empfehlung befürwortet.
B.
Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts Bei allen Unwägbarkeiten und Auseinandersetzungen über die weitere Entwicklung der kollektiven Rechtewahrnehmung steht fest, dass die Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft zunehmend grenzüberschreitend tätig werden. Die nationalen Monopole der Verwertungsgesellschaften haben im Online-Bereich jedenfalls auf längere Sicht keinen Bestand. Damit stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, das Wahrnehmungsrecht weiterhin auf mitgliedstaatlicher Ebene zu regeln, oder ob eine gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung geboten ist, um die länderübergreifende Rechtewahrnehmung zu vereinfachen.
I.
Unterschiede in den nationalen Wahrnehmungsrechten
Die Wahrnehmungsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten haben sich nicht einheitlich entwickelt und weichen zum Teil erheblich voneinander ab.891 Unterschiedlich werden bereits die Voraussetzungen für die Aufnahme der Tätigkeit einer Verwertungsgesellschaft geregelt. In einigen Mitgliedstaaten genießen die Verwertungsgesellschaften ein gesetzliches Monopol. So hat die Verwertungsgesellschaft SIAE in Italien ge________ 890 891
238
So auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 13. März 2007 (siehe oben Fn. 861), Zf. 6, Spiegelstrich 9. Vgl. Reinbothe, in: Ganea/Heath/Schricker (Hrsg.), FS Dietz, S. 517, 526 ff.; Karnell, GRUR Int. 1991, 583, 592; Rigg, in: Kendrick (Hrsg.), Collective Licensing: Past, Present and Future, S. 18, 24 f.; Dietz, J.Copyr.Soc. of the USA 2002, 897 ff.; Tuma, Ent.L.R. 2006, 220, 221 f.; KEA, The Collective Management of Rights in Europe, S. 60 ff.; Guibault/van Gompel, in: Gervais (Hrsg.), Collective Management of Copyright and Related Rights, S. 127.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
setzlich die ausschließliche Befugnis zur Wahrnehmung von Urheberrechten.892 Weiteres Beispiel ist das am 1. Juli 2006 in Kraft getretene österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz (VerwGesG).893 Darin ist vorgesehen, dass für die Wahrnehmung eines bestimmten Rechts „jeweils nur einer einzigen Verwertungsgesellschaft eine Betriebsgenehmigung erteilt werden“ darf (§ 3 Abs. 2 S. 1 VerwGesG).894 Bewerben sich in Österreich mehrere Verwertungsgesellschaften um die gleiche Betriebsgenehmigung, so ist die Genehmigung gemäß § 3 Abs. 2 S. 2 VerwGesG derjenigen zu erteilen, von der zu erwarten ist, dass sie ihre Aufgaben und Pflichten am besten erfüllen wird. Im Zweifel wird hierbei davon ausgegangen, dass bestehende Verwertungsgesellschaften besser geeignet sind als solche, denen noch keine Betriebsgenehmigung erteilt worden ist. Andere Jurisdiktionen schaffen zwar kein rechtliches Monopol, geben aber dem faktischen Monopol den Vorzug. Dazu zählt das deutsche UrhWG, dessen Gesetzesgeber ein faktisches Monopol der Verwertungsgesellschaften ausdrücklich für wünschenswert hielt. Von der Schaffung eines gesetzlichen Monopols wurde in Deutschland allein aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken abgesehen.895 Die Vorschriften im UrhWG bauen weitgehend auf der Vorstellung auf, dass die Verwertungsgesellschaften in Deutschland keiner Konkurrenz ausgesetzt sein sollen. So dient die in den §§ 1 ff. UrhWG vorgesehene Erlaubnispflicht unter anderem der Zulassungsbeschränkung für Verwertungsgesellschaften, um die faktischen Monopole der Verwertungsgesellschaften zu erhalten.896 ________ 892
893
894 895 896
Vgl. Singer, in: Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Bd. 3, Italien/1, S. 21; Katzenberger, in: Hilty (Hrsg.), Die Verwertung von Urheberrechten in Europa, S. 1, 9; der Gerichtshof wurde in der Rs. C101/96, Slg. 1996, S. I–3081 ff. – Strafverfahren gegen Italia Testa, um Vorabentscheidung ersucht, ob das SIAE-Monopol mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (siehe GRUR Int. 1996, 842); die Vorlage wurde aber mangels zureichender Begründung als unzulässig abgewiesen und das Verfahren ohne Sachenentscheidung abgeschlossen. Die italienische Regierung hat in der Vergangenheit wiederholt einen erheblichen Einfluss auf die SIAE ausgeübt, vgl. Billboard, 4. Juni 2005, S. 14. Abgedr. in GRUR Int. 2006, 585 ff., und in Riesenhuber, Das österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, S. 74 ff. (mit Gesetzesbegründung, S. 88 ff.). Vgl. dazu Handig, GRUR Int. 2006, 365, 367; Riesenhuber, Das österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, S. 26. Vgl. amtl. Begr. UFITA 46/1966, S. 271, 274 f. Vgl. Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhR, § 1 UrhWG Rn. 1.
239
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Einer Erlaubnispflicht unterliegen die Verwertungsgesellschaften auch in vielen anderen Staaten, zum Beispiel in Belgien,897 Griechenland,898 den Niederlanden,899 Polen,900 der Slowakei901 und der Tschechischen Republik.902 In anderen Ländern, etwa in Frankreich,903 existiert nur eine Anzeigepflicht oder ist die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften weitgehend unreguliert (Großbritannien).904 Zum Teil wird für den Betrieb einer Verwertungsgesellschaft eine bestimmte Rechtsform vorgeschrieben. In Frankreich ist die bürgerliche Gesellschaft (société civile) zwingend.905 In Polen dürfen Verwertungsgesellschaften ausschließlich als Verein betrieben werden.906 Im Gegensatz zum polnischen erachtet der österreichische ________ 897
898 899
900
901 902 903 904
905 906
240
Art. 67 belgisches Urhebergesetz vom 3. April 1995, abgedr. in Möhring/ Schulze/Ulmer/Zweigert (Hrsg.), Quellen des Urheberrechts, Bd. 1, Belgien/ II, S. 24 ff., in deutscher Übersetzung in GRUR Int. 1996, 233 ff. Art. 54 des griechischen Urhebergesetzes 2121/93, in deutscher Übersetzung in Auszügen abgedr. in GRUR Int. 1997, 531 ff. In den Niederlanden bedarf nur die Vermittlung von musikalischen Werken der staatlichen Genehmigung, vgl. Brauns, in: Möhring/Schulze/Ulmer/ Zweigert (Hrsg.), Quellen des Urheberrechts, Bd. 4, Niederlande/I, S. 23. Art. 104 Abs. 2 Zf. 2 des polnischen Gesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 4. Februar 1994, in deutscher Übersetzung i. d. F. vom 1. September 2005 auszugsweise abgedruckt in Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen, Deutschland und Europa, S. 255 ff. § 4 lit. c) slowakisches Wahrnehmungsgesetz vom 3. Oktober 1997, in deutscher Übersetzung abgedr. in GRUR Int. 1998, 974 ff. § 98 tschechisches Urhebergesetz vom 7. April 2000, abgedr. in deutscher Übersetzung in GRUR Int. 2000, 871 ff. Dreier, in: Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert (Hrsg.), Quellen des Urheberrechts, Bd. 2, Frankreich/I, S. 30. Vgl. Katzenberger, in: Hilty (Hrsg.), Die Verwertung von Urheberrechten in Europa, S. 1, 7 ff.; zum französischen und britischen Recht der Verwertungsgesellschaften Weichhaus, Das Recht der Verwertungsgesellschaften in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, S. 41 ff.; zu den britischen Verwertungsgesellschaften Cornish, in: Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Bd. 2, Großbritannien/I, S. 19; ders., in: Beier u. a. (Hrsg.), Urhebervertragsrecht, S. 643, 674 ff.; Dietz, J.Copyr.Soc. of the USA 2002, 899 f.; Tuma, Ent.L.R. 2006, 220, 221. Dreier, in: Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Bd. 2, Frankreich/I, S. 30. Vgl. Art. 104 des polnischen Gesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 4. Februar 1994 i. d. F. vom 1. September 2005, auszugsweise abgedruckt in Riesenhuber (Hrsg.), Wahrnehmungsrecht in Polen,
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
Gesetzgeber die Vereinsform wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Verwertungsgesellschaften für ungeeignet;907 die Verwertungsgesellschaften in Österreich müssen deshalb als Genossenschaft oder als Kapitalgesellschaft geführt werden, und zwar mit Sitz in Österreich (§ 3 Abs. 1 S. 1 VerwGesG). Das deutsche908 und das griechische909 Wahrnehmungsrecht messen der Rechtsform hingegen keine Bedeutung zu und stellen sie frei. Die Zugangsvoraussetzungen werden von den Mitgliedstaaten also in ganz unterschiedlicher Weise geregelt. Verschieden geregelt sind ferner die Bedingungen der kollektiven Rechtewahrnehmung. Den in Deutschland vorgesehenen Wahrnehmungszwang der Verwertungsgesellschaften (§ 6 Abs. 1 UrhWG) gibt es nicht in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft.910 Ebenso variieren die Wahrnehmungsrechte im Hinblick auf die Verpflichtung der Verwertungsgesellschaften zum Abschluss von Lizenz- oder Gesamtverträgen. Im Gegensatz zu Deutschland (§ 11 UrhWG), Österreich (§ 17 VerwGesG) und anderen Ländern911 sind Verwertungsgesellschaften zum Beispiel in Frankreich keinem Abschlusszwang unterworfen.912 Weitere Unterschiede betreffen die behördliche Kontrolle der Verwertungsgesellschaften, ihre Transparenz- und Rechnungslegungspflichten, die Beilegung von Streitigkeiten mit Nutzern und Rechteinhabern, die Tarifkontrolle sowie die Zuweisung sozialer und kultureller Aufgaben an die Verwertungsgesellschaften.913 Auch dort, wo es gesetzliche Gemeinsamkeiten gibt, sorgen ihre unterschiedliche Auslegung und Handhabung durch die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte dafür, dass ________ 907
908 909
910 911 912 913
Deutschland und Europa, S. 255 ff.; dazu Ke˛ mpin´ski, a. a. O., S. 9, 14 f.; Badowski, a. a. O., S. 63, 68. Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 3 VerwGesG 2006, Zf. 1 (abgedruckt in: Riesenhuber, Das österreichische Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, S. 88 ff., 91). Vgl. Melichar, in: Loewenheim (Hrsg.), Handbuch des Urheberrechts, § 50 Rn. 3. Vgl. Art. 54 Abs. 1 griechisches Urhebergesetz, GRUR Int. 1997, 531 ff.; dazu Marinos, in: Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Bd. 2, Griechenland/I, S. 18. Siehe KEA, The Collective Management of Rights in Europe, S. 68 f. Vgl. KEA, The Collective Management of Rights in Europe, S. 70. Dreier, in: Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Bd. 2, Frankreich/I, S. 31. Vgl. KEA, The Collective Management of Rights in Europe, S. 60 ff.
241
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Recht und Praxis der kollektiven Rechtewahrnehmung in der Gemeinschaft nicht einheitlich sind.
II.
Internationaler Anwendungsbereich des nationalen Rechts
Die Regelungsunterschiede in den Mitgliedstaaten würden kein Hemmnis für den grenzüberschreitenden Verkehr darstellen, wenn die Verwertungsgesellschaften ausschließlich dem Wahrnehmungsrecht im Niederlassungsstaat unterworfen wären. Das ist indessen nicht der Fall. Der Anwendungsbereich der mitgliedstaatlichen Wahrnehmungsrechte erstreckt sich auch auf Verwertungsgesellschaften mit Sitz im Ausland. In Deutschland ist dies grundsätzlich anerkannt,914 ohne dass die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des UrhWG auf ausländische Verwertungsgesellschaften allerdings näher geregelt sind. Der deutsche Gesetzgeber hatte grenzüberschreitende Sachverhalte nicht im Blick. Anknüpfend an § 1 Abs. 1 UrhWG lässt sich aber feststellen, dass die behördliche Kontrolle nach dem UrhWG eröffnet ist, wenn eine Verwertungsgesellschaft mit Sitz im Ausland Urheber- oder Leistungsschutzrechte für Rechnung mehrerer Urheber oder Leistungsschutzberechtigter zur gemeinsamen Auswertung in Deutschland wahrnimmt. Das kann einerseits dadurch geschehen, dass eine Verwertungsgesellschaft Lizenzen mit Wirkung in Deutschland vergibt. Zum anderen kann eine ausländische Verwertungsgesellschaft aktiv Rechteinhaber in Deutschland akquirieren, so wie in der Kommissionsempfehlung vom 18. Oktober 2005 gefordert. Gelegentliche oder kurzfristige Tätigkeiten einer Verwertungsgesellschaft in Deutschland bleiben dabei gemäß § 1 Abs. 2 UrhWG außer Betracht. Eine behördliche Kontrolle ausländischer Verwertungsgesellschaften setzt also voraus, dass die betreffende Gesellschaft eine Wahrnehmungstätigkeit in Deutschland ausübt, die von gewisser Dauer ist. ________ 914
242
Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Hrsg.), UrhG, § 1 WahrnG Rn. 8 und § 19 WahrnG Rn. 2; Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), UrhG, § 1 UrhWG Rn. 26; Dördelmann, GRUR 1999, 890, 893; Meyer, Verwertungsgesellschaften und ihre Kontrolle nach dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, S. 42 ff.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
Im Hinblick auf die Kontrahierungspflichten des UrhWG, also den Wahrnehmungszwang (§ 6 Abs. 1 UrhWG), den Abschlusszwang (§ 11 UrhWG) und den Gesamtvertragszwang (§ 12 UrhWG), lässt sich das gleiche Ergebnis im Wege einer entsprechenden Anwendung des im Wettbewerbsrecht gemäß § 130 Abs. 2 GWB geltenden Auswirkungsprinzips herleiten. Die Anwendung dieser Kollisionsregel auf das Recht der Verwertungsgesellschaften rechtfertigt sich daraus, dass die Kontrahierungszwänge des UrhWG ebenso wie etwa das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot in § 20 GWB dazu dient, der Missbrauchsgefahr marktbeherrschender Unternehmen entgegenzuwirken. Gemäß § 130 Abs. 2 GWB findet deutsches Wettbewerbsrecht auf alle Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung, die sich im Geltungsbereich des Gesetzes auswirken, auch wenn sie außerhalb Deutschlands veranlasst werden. Übertragen auf das Wahrnehmungsrecht bedeutet das, dass eine ausländische Verwertungsgesellschaft etwa von einem Verwerter aus § 12 UrhWG auf Abschluss eines Gesamtvertrags in Anspruch genommen werden kann, wenn sich ihr Verhalten auf den Wettbewerb in Deutschland auswirkt. Das setzt wiederum voraus, dass die Verwertungsgesellschaft auf dem deutschen Lizenzmarkt dauerhaft tätig ist. Umgekehrt kann eine Verwertungsgesellschaft nicht nach deutschem Wahrnehmungsrecht zum Abschluss einer Lizenzvereinbarung mit Wirkung im Ausland verpflichtet werden. Steht eine Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke auf ausländischen Märkten in Frage, ist das UrhWG entsprechend dem Auswirkungsprinzip nicht anwendbar.915 Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass ausländische Verwertungsgesellschaften in den Anwendungsbereich des UrhWG fallen, wenn sie in Deutschland dauerhaft auf dem Wahrnehmungs- oder Lizenzmarkt tätig sind. Die Verwertungsgesellschaften bedürfen dann grundsätzlich einer ________ 915
Vgl. OLG München ZUM 2006, 466, 471 ff.; das Gericht wies dort die gegen eine deutsche Verwertungsgesellschaft gerichtete und auf § 12 UrhWG gestützte Klage eines französischen Diskothekenverbands auf Abschluss eines Gesamtvertrags mit Gültigkeit in Frankreich ab. Die Begründung des Urteils überzeugt allerdings nicht. Das OLG München verneint einen Anspruch unter anderem deshalb, weil die Verwertungsgesellschaft ihre Rechte in Frankreich von der dort ansässigen Verwertungsgesellschaft im Wege eines Gegenseitigkeitsvertrags wahrnehmen lasse und dazu selbst nicht in der Lage sei. Entgegen dieser Begründung schied die Anwendbarkeit von § 12 UrhWG bereits kollisionsrechtlich aus, da es um die Verwertung in einem ausländischen Markt ging.
243
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Erlaubnis, sind der Kontrolle des DPMA unterworfen und müssen sich auch im Übrigen an die Regelungen des UrhWG halten. Geht man davon aus, dass der internationale Anwendungsbereich der Wahrnehmungsrechte in den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in gleicher oder ähnlicher Weise definiert ist, sind im Falle einer länderübergreifend tätigen Verwertungsgesellschaft zahlreiche divergierende Kontrollregime anwendbar.
III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts Die Mitgliedstaaten müssen sich bei der Regulierung der Verwertungsgesellschaften aus dem EG-Ausland allerdings an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben halten. Dazu zählen zum einen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, vor allem die Dienstleistungsfreiheit, sowie zum anderen nach Ablauf ihrer Umsetzungsfrist die vor kurzem verabschiedete Dienstleistungsrichtlinie. 1.
Primärrechtliche Dienstleistungsfreiheit
Maßgaben für die Regulierung grenzüberschreitend tätiger Verwertungsgesellschaften aus der Gemeinschaft enthalten die Art. 43 ff. EG (Niederlassungsfreiheit) und die Art. 49 ff. EG (Dienstleistungsfreiheit). Auf diese Vorschriften können sich Gesellschaften berufen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft gegründet wurden und ihren satzungsgemäßen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben (Art. 48 Abs. 1 i. V. m. 55 EG). Die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit schließen sich grundsätzlich gegenseitig aus. Die Abgrenzung erfolgt am Begriff der Niederlassung.916 Niederlassungsrecht ist einschlägig, wenn sich der Dienstleistungserbringer im Aufnahmemitgliedstaat niederlässt, d. h. volkswirtschaftlich integriert.917 Geht die Erbringung der Dienstleistung dagegen nicht mit dem Aufenthalt und einer wirtschaftlichen Integration im Aufnahmemitgliedstaat einher, sind die Vorschriften über die ________ 916 917
244
Vgl. EuGH Rs. C-55/94, Slg. 1995, S. I–4186, 4194 – Gebhard. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 43 EGV Rn. 24.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
Dienstleistungsfreiheit anwendbar. Das ist auch dann der Fall, wenn die fragliche Dienstleistung nicht nur vorübergehend erbracht wird.918 Man spricht insoweit von einer Korrespondenzdienstleistung.919 Verwertungsgesellschaften, die Lizenzen mit Gültigkeit in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erteilen, ohne sich dort niederzulassen, können sich demnach auf die Dienstleistungsfreiheit berufen. Die Art 49 ff. EG enthalten ein Diskriminierungs- sowie ein Beschränkungsverbot.920 Die praktische Bedeutung der Dienstleistungsfreiheit rührt vor allem aus ihrer Auslegung als Beschränkungsverbot: Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verstoßen Maßnahmen eines Mitgliedstaats auch dann gegen Art. 49 Abs. 1 EG, wenn sie unterschiedslos auf in- und ausländische Dienstleistungserbringer anwendbar sind, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeit eines Dienstleistungserbringers aus einem anderen Mitgliedstaat zu unterbinden, zu behindern oder auch nur weniger attraktiv zu machen.921 Solche Beschränkungen sind nur erlaubt, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: Sie müssen (1) in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, (2) aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, (3) geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie dürfen nicht (4) über das zur Erreichung des Ziels Erforderliche hinausgehen.922 Als zwingende Allgemeininteressen, die eine Beschränkung ________ 918
919
920 921 922
Art. 50 Abs. 3 EG spricht zwar von einer „vorübergehenden“ Ausübung einer Dienstleistung, stellt damit aber lediglich klar, dass die Dienstleistungsfreiheit auch dann einschlägig ist, wenn sich der Erbringer im Aufnahmestaat nur vorübergehend aufhält, vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 49/50 EGV Rn. 33; Oppermann, Europarecht, S. 540. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 49 EGV Rn. 40; Randelzhofer/ Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 49/50 EGV Rn. 44. Ein Beispiel für eine Korrespondenzdienstleistung aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das telefonische Anbieten einer Finanzdienstleistung an Kunden, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Dienstleistungserbringer ansässig sind, EuGH Rs. C-384/93, Slg. 1995, S. I– 1167, 1174 – Alpine Investments. Vgl. Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU- und EGVertrag, Bd. 1, Art. 49 EG Rn. 32. EuGH Rs. C-55/94, Slg. 1995, S. I–4186, 4197 f. – Gebhard; Rs. C-76/90, Slg. 1991, S. I–4239, 4243 – Säger. EuGH Rs. C-55/94, Slg. 1995, S. I–4186, 4194 – Gebhard; Rs. C-164/99, Slg. 2002, S. I–787, 805, 813 – Portugaia Construções.
245
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
rechtfertigen können, hat der Gerichtshof unter anderem den Verbraucherschutz, den Schutz des geistigen Eigentums und die Lauterkeit des Handelsverkehrs anerkannt.923 Eine abschließende Liste anerkennungsfähiger Allgemeininteressen gibt es allerdings nicht. Die Mitgliedstaaten haben bei der Bestimmung schützenswerter Belange einen gewissen Spielraum.924 Wendet man diese Grundsätze auf grenzüberschreitend tätige Verwertungsgesellschaften an, ergibt sich, dass eine ganze Reihe von Regelungen in den mitgliedstaatlichen Wahrnehmungsrechten offensichtlich nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit stellt beispielsweise das oben angesprochene österreichische Erfordernis eines Inlandsitzes dar (§ 3 Abs. 1 S. 1 VerwGesG).925 Niederlassungserfordernisse für Unternehmen aus dem EGAusland stellen eine Negation der Dienstleistungsfreiheit dar, deren Gewährleistung gerade darin besteht, Unternehmen die grenzüberschreitende Erbringung ihrer Dienstleistungen zu ermöglichen, ohne sich am Ort der Dienstleistungserbringung niederlassen zu müssen.926 Eine Rechtfertigung hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung bislang daher durchweg abgelehnt.927 Ebenfalls unvereinbar mit den Art. 49 ff. EG sind Rechtsformerfordernisse für Verwertungsgesellschaften. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs behindern Rechtsformerfordernisse die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen, wenn der Dienstleistungserbringer die fragliche Dienstleistung in seinem Niederlassungsstaat rechtmäßig in einer anderen Rechtsform erbringt.928 Die beschränkende Wirkung von ________ 923 924 925 926
927 928
246
Vgl. Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU- und EGVertrag, Bd. 1, Art. 49 EG Rn. 72. Vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 49/50 EGV Rn. 128. Ebenso Dillenz, GRUR Int. 1997, 315, 328; ungenau Enzinger, GRUR Int. 2006, 985, 992 f. EuGH Rs. C-101/94, Slg. 2002, S. I-2719, 2728 – Kommission gegen Italien; Rs. C-355/98, EuZW 2000, 344, 345 – Kommission gegen Königreich Belgien. Vgl. Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU- und EGVertrag, Bd. 1, Art. 49 EG Rn. 49. Vgl. EuGH Rs. C-171/02, Slg. 2004, S. I–5674, 5690 f. – Kommission gegen Portugal, zum portugiesischen Erfordernis, einen privaten Sicherheitsdienst in der Rechtsform einer juristischen Person zu erbringen.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
Rechtsformerfordernissen für Verwertungsgesellschaften wird am Beispiel der Wahrnehmungsrechte Österreichs und Polens besonders deutlich. Nach polnischem Recht dürfen Verwertungsgesellschaften nur als Verein betrieben werden, während in Österreich die Vereinsform ausdrücklich abgelehnt wird und nur Genossenschaften und Kapitalgesellschaften zugelassen sind.929 Art. 49 EG verlangt zur Lösung dieses Widerspruchs, dass Verwertungsgesellschaften mit Sitz im EG-Ausland sowohl in Polen als auch in Österreich in jeder beliebigen Rechtsform betrieben werden dürfen. Für einen Typenzwang besteht kein zwingender Grund des Allgemeininteresses.930 Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit stellen auch Genehmigungserfordernisse als solche dar,931 wie sie unter anderem in den Wahrnehmungsrechten Österreichs (§ 2 Abs. 1 VerwGesG) und Deutschlands (§ 1 Abs. 1 UrhWG) statuiert sind. Grundsätzlich sind sie allerdings rechtfertigungsfähig, sofern mit ihnen zwingende Gründe des Allgemeininteresses verfolgt werden.932 Die Erwägung, dass Verwertungsgesellschaften gewichtige Vermögensinteressen ihrer Mitglieder wahrnehmen, regelmäßig über eine starke Marktmacht verfügen und deswegen einer besonderen Kontrolle bedürfen, erscheint in diesem Zusammenhang als ein hinreichender im Allgemeininteresse liegender Grund für eine staatliche Kontrolle und einen Genehmigungsvorbehalt. Dass einige Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft das staatliche Kontrollinteresse mit milderen Mitteln verfolgen und es für Verwertungsgesellschaften etwa bei einer bloßen Anzeigepflicht belassen (Frankreich), steht dem nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten verfügen über eine Einschätzungsprärogative, ob die Verfolgung bestimmter Anliegen erforderlich ist und auf welchem Wege dies zu geschehen hat.933 Unverhältnismäßig sind Genehmigungserfordernisse nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber dann, wenn den mit ihnen verfolgten Allgemeininteressen bereits durch Vorschriften ________ 929 930
931 932 933
Siehe oben 5. Kapitel, B.I. Dementsprechend kommt die Kommission in ihrer Mitteilung vom 16. April 2004 „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten“, KOM(2004) 261 endg., S. 21, zu dem Ergebnis, dass Verwertungsgesellschaften in der Rechtsform ihrer Wahl betrieben werden sollten. EuGH Rs. C-355/98, EuZW 2000, 344, 346 – Kommission gegen Königreich Belgien. EuGH verb. Rs. 110 und 111/78, NJW 1979, 1764 – Van Wesemael. EuGH Rs. C-384/93, Slg. 1995, S. I-1167, 1181 – Alpine Investments.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Rechnung getragen wird, denen der Dienstleistungserbringer in seinem Herkunftsland unterliegt.934 Damit werden unnötige Doppelkontrollen von Dienstleistungserbringern ausgeschlossen.935 Das bedeutet: Sofern eine Verwertungsgesellschaft in einem Mitgliedstaat über die erforderliche Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb verfügt, darf sie ihre Leistungen grenzüberschreitend erbringen, ohne verpflichtet zu sein, den Aufsichtsbehörden in anderen Mitgliedstaaten einen Nachweis für die Erfüllung der Kriterien zu erbringen, die schon von der Aufsichtsbehörde im Niederlassungsstaat geprüft worden sind. Umgekehrt ist eine behördliche Kontrolle durch den Aufnahmestaat zulässig, wenn der Niederlassungsstaat eine solche nicht vorsieht. Im Ergebnis müssen sich die Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten vor einer Anwendung ihrer Vorschriften deshalb darüber informieren, welche Vorgaben die Verwertungsgesellschaften in ihren Niederlassungsstaaten erfüllen müssen. In den meisten Mitgliedstaaten ist eine solche Prüfung nicht vorgesehen.936 In anderen Bereichen ist die Beurteilung nicht eindeutig. Beispiel ist die Pflicht der Verwertungsgesellschaften zur Transparenz. Nach deutschem Wahrnehmungsrecht müssen Verwertungsgesellschaften unter anderem ihren Jahresabschluss, den Lagebericht sowie ihre Tarife im Bundesanzeiger veröffentlichen.937 Der Gesetzgeber möchte damit den Rechteinhabern, den Verwertern und der Allgemeinheit die Kontrolle der Verwertungsgesellschaften erleichtern. Dieses Ziel bildet einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Das führt zu der Frage, ob etwa das DPMA als zuständige Aufsichtsbehörde in Deutschland auch von Verwertungsgesellschaften mit Sitz im EG-Ausland verlangen kann, dass sie die deutschen Transparenzpflichten einhalten. Das könnte vor allem dann zweifelhaft sein, wenn die betreffenden Verwertungsgesellschaften bereits in ihren Niederlassungsstaaten vergleichbaren Anforderungen un________ 934 935 936
937
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EuGH verb. Rs. 110 und 111/78, NJW 1979, 1764 – Van Wesemael; Rs. C355/98, EuZW 2000, 344, 346 – Kommission gegen Königreich Belgien. Vgl. Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU- und EGVertrag, Bd. 1, Art. 49 EG Rn. 77. Vgl. Dillenz, GRUR Int. 1997, 315, 328. Gemeinschaftsrechtskonform ist insoweit das belgische Wahrnehmungsrecht: Gemäß Art. 65 des belgischen Urhebergesetzes vom 30. Juni 1994 (i. d. F. vom 3. April 1995 in deutscher Übersetzung abgedr. in GRUR Int. 1996, 233 ff.) darf eine Verwertungsgesellschaft in Belgien tätig sein, wenn sie in einem Land der EU ordnungsgemäß gegründet wurde und dort erlaubterweise tätig ist. § 9 Abs. 6 und § 13 Abs. 2 UrhWG.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
terliegen. Dann würden Doppelkontrollen drohen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs vermieden werden sollen. Andererseits sind die Transparenzvorschriften in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen aber regelmäßig auf inländische Märkte abgestimmt. Ein britischer Verwerter kann sich über die Tarife der GEMA nicht ohne Weiteres Klarheit verschaffen, wenn sie in deutscher Sprache im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Deshalb ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die nationalen Transparenzvorschriften ohne Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit auf EG-ausländische Verwertungsgesellschaften angewandt werden können. Ein weiterer Normenkomplex, der einer gemeinschaftsrechtlichen Überprüfung standhalten könnte, sind die Kontrahierungszwänge. In Deutschland sind die Verwertungsgesellschaften etwa zum Abschluss von Lizenzvereinbarungen und Gesamtverträgen zu angemessenen Bedingungen verpflichtet (§ 11 Abs. 1 und 12 UrhWG). Gegen die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit der Dienstleistungsfreiheit könnte vorgebracht werden, dass die Verwertungsgesellschaften bei einer Zunahme grenzüberschreitender Tätigkeiten nicht mehr als Monopole agieren würden, mithin der gesetzgeberische Grund für die Kontrahierungszwänge nicht mehr gegeben wäre. Dem lässt sich andererseits entgegenhalten, dass das Interesse der Verwerter an einem Zugang zu den Rechten der Verwertungsgesellschaften auch in einer Wettbewerbssituation schützenswert ist. Die Kommission selbst befürwortet etwa in ihrer Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten“ einen Abschlusszwang.938 Wettbewerb und Abschlusszwang schließen sich ihrer Ansicht nach also nicht aus. Das spricht dafür, dass wahrnehmungsrechtliche Regelungen über Kontrahierungszwänge mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sind. Somit kann festhalten werden: Ob die Anwendung nationalen Wahrnehmungsrechts auf Verwertungsgesellschaften mit Sitz im EG-Ausland mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Vorschriften, die den Verwertungsgesellschaften den Zugang in das EG-Ausland versperren (Beispiel: Niederlassungs- und Rechtsformerfordernisse), verstoßen offensichtlich gegen die Art. 49 ff. EG und sind nicht zu rechtfertigen. Die Rechtfertigung von Genehmigungsvorbehalten und behördlichen Kontrollen hängt dagegen maßgeb________ 938
KOM(2004) 261 vom 16. April 2004, S. 21.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
lich davon ab, welchem Kontrollniveau die Verwertungsgesellschaften in ihren Niederlassungsstaaten unterworfen sind. Vorschriften, die das Marktverhalten im Inland regeln, wie zum Beispiel die Regelungen zu den Transparenzpflichten der Verwertungsgesellschaften und die Kontrahierungszwänge, können mit gutem Grund als gemeinschaftsrechtskonform angesehen werden – gerichtliche Entscheidungen lassen sich aber nicht voraussagen. Alles in allem besteht im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit keine Rechtssicherheit für grenzüberschreitend tätige Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft. 2.
Dienstleistungsrichtlinie
Weitergehende Vorgaben für das mitgliedstaatliche Recht der Verwertungsgesellschaften ergeben sich aus der Dienstleistungsrichtlinie.939 Mit der Dienstleistungsrichtlinie will die Gemeinschaft die primärrechtlich gewährleistete Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit einer bereichsübergreifenden Regelung zuführen, um den Abbau der Hindernisse für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zu beschleunigen. Der Gesetzgebungsprozess wurde mit einem Richtlinienvorschlag der Kommission vom Februar 2004 eingeleitet.940 Kern des Entwurfs war das Herkunftslandprinzip.941 Dienstleistungserbringer sollten danach allein den Vorschriften ihres Niederlassungsstaats unterliegen (Art. 16 Abs. 1 RL-Entwurf). Dieser Vorschlag löste eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit aus. Kritiker des Entwurfs, zu denen auch die Verwertungsgesellschaften gehörten,942 machten geltend, dass für Dienstleistungserbringer der Anreiz entstehe, ihr Unternehmen in den Mitgliedstaat mit dem niedrigsten Schutzstandard zu verlegen.943 In Anbetracht dieser Einwände und der politischen Widerstände aus dem Eu________ 939
940 941 942
943
250
RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. Nr. L 376 vom 27. 12. 2006, S. 36). KOM(2004) 2 endg. vom 25. Februar 2004. Dazu Albath/Giesler, EuZW 2006, 38, 40 ff. Siehe die gemeinsame Stellungnahme der Verwertungsgesellschaften GEMA, GVL, VG Bild-Kunst und VG Wort, im Internet veröffentlicht unter www.vgwort.de/stellungnahme_eudlrl.php (letzter Abruf am 8. September 2007). Vgl. die Darstellung von Schlichting/Spelten, EuZW 2005, 238, 239 f.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
ropäischen Parlament944 legte die Kommission im April 2006 einen geänderten Vorschlag vor,945 in dem sich das Herkunftslandprinzip nicht wieder fand. Der Entwurf wurde vom Rat im Juli 2006 im Wesentlichen angenommen946 und vom Parlament in der zweiten Lesung am 15. November 2006 gebilligt.947 Die am 28. Dezember 2006 in Kraft getretene Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 28. Dezember 2009 umzusetzen (Art. 44 Abs. 1 Dienstleistungs-RL). Die Dienstleistungsrichtlinie differenziert zwischen mitgliedstaatlichen Beschränkungen des Niederlassungsrechts (Art. 9 ff.) und Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 16 ff.). Als Niederlassung definiert Art. 4 Abs. 5 Dienstleistungs-RL die „tatsächliche Ausübung einer von Artikel 43 des Vertrags erfassten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Dienstleistungserbringer auf unbestimmte Zeit und mittels einer festen Infrastruktur, von der aus die Geschäftstätigkeit der Dienstleistungserbringung tatsächlich ausgeübt wird.“ Dienstleistungsrecht ist dagegen einschlägig, wenn der Dienstleistungserbringer seine Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen seiner Niederlassung erbringt (vgl. Art. 16 Abs. 1 Dienstleistungs-RL). Die Richtlinie orientiert sich bei der Abgrenzung zwischen Niederlassungs- und Dienstleistungsrecht demnach an den Grundsätzen, die der Gerichtshof zu den Grundfreiheiten entwickelt hat. Auf die Verwertungsgesellschaften sind demnach die Regelungen über den freien Dienstleistungsverkehr anwendbar, wenn sie länderübergreifend gültige Lizenzen erteilen, ohne sich in anderen Mitgliedstaaten mittels einer festen Infrastruktur dauerhaft niederzulassen. ________ 944
945
946 947
Siehe den Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 16. Februar 2006 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2006/. . ./EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (EP-PE_TC1-COD(2004)0001), nicht im ABl. veröffentlicht. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 4. April 2006, KOM(2006) 160 endg. Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 16/2006 des Rates vom 24. Juli 2006, ABl. Nr. C 270E vom 7. 11. 2006, S. 1 ff. Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in zweiter Lesung am 15. November 2006 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2006/. . ./EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (EP-PE_TC2-COD(2004)0001), nicht im ABl. veröffentlicht.
251
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Die Mitgliedstaaten achten gemäß Art. 16 Abs. 1 Uabs. 1 DienstleistungsRL das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen. Sie dürfen die Aufnahme oder Ausübung von Dienstleistungen in ihren Hoheitsgebieten nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen die Richtlinie verstoßen. Der Begriff der „Anforderungen“ wird dabei weit verstanden. Er umfasst alle Auflagen, Verbote, Bedingungen oder Beschränkungen, die in den Vorschriften der Mitgliedstaaten festgelegt sind oder sich aus der Rechtsprechung oder der Verwaltungspraxis ergeben.948 Nicht erfasst sind nur solche Anforderungen, die nicht spezifisch die Dienstleistung betreffen, sondern von allen beachtet werden müssen (Straßenverkehrsvorschriften, Baunormen etc.).949 Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistung nur unter den in Art. 16 Abs. 1 lit. a)–c) Dienstleistungs-RL genannten Voraussetzungen von Anforderungen abhängig machen: (1) Die Anforderungen dürfen nicht diskriminierend sein, (2) sie müssen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sowie (3) verhältnismäßig sein. Die Richtlinie geht insoweit über den Gewährleistungsgehalt der Art. 49 ff. EG hinaus: Während Beschränkungen der primärrechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können, lässt die Dienstleistungsrichtlinie als Rechtfertigungsgründe nur die öffentliche Ordnung, Sicherheit, Gesundheit und den Umweltschutz zu. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses können nach der Richtlinie nur als Rechtfertigung für Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit herhalten.950 Verwertungsgesellschaften sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht ausgenommen. Die Dienstleistungs-RL enthält in Art. 17 Abs. 11 nur eine Ausnahmevorschrift für „die Urheberrechte und die verwandten Schutzrechte“. In der Literatur wird zum Teil erwogen, diese Vorschrift dahingehend auszulegen, dass sie auch die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaf________ 948 949 950
252
Siehe die Begriffsbestimmung in Art. 7 Abs. 7 Dienstleistungs-RL. 9. Begründungserwägung der Dienstleistungs-RL. Vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) Dienstleistungs-RL zur Rechtfertigung von Genehmigungsregelungen.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
ten erfasst.951 Gegen eine solche Auslegung spricht aber die Entstehungsgeschichte der Richtlinie. Im Gesetzgebungsprozess wurden verschiedene Vorschläge gemacht, die auf eine Ausnahme der Verwertungsgesellschaften abzielten. Der Ausschuss des Europäischen Parlaments für Binnenmarkt und Verbraucherschutz wollte die Ausnahmevorschrift für die Urheberrechte um die Formulierung „die Gesellschaften zur Verwertung dieser Rechte“ ergänzen.952 Auch der Ausschuss für Kultur und Bildung sprach sich für eine Nichtanwendung der Richtlinie auf die Verwertungsgesellschaften aus.953 Dem schloss sich das Europäische Parlament in der ersten Lesung an und schlug vor, die „Dienste von Verwertungsgesellschaften für die Rechte am geistigen Eigentum“ vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie auszuschließen.954 Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Vorschlag des Parlaments jedoch nicht weiter verfolgt. Es entspricht demnach dem Willen des Richtliniengebers, dass das Wahrnehmungsrecht der Mitgliedstaaten vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst ist. Für eine entgegengesetzte Auslegung der Ausnahmevorschrift in Art. 17 Abs. 11 Dienstleistungs-RL besteht kein Raum. Die Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie wird tief greifende Folgen für die mitgliedstaatlichen Wahrnehmungsrechte haben. Nur in einigen Bereichen ergeben sich keine Unterschiede zum geltenden Recht. So verstoßen die in Art. 16 Abs. 2 lit. a) Dienstleistungs-RL nunmehr ausdrücklich verbotenen Niederlassungserfordernisse auch bisher schon gegen die primärrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit.955 In anderen wahrnehmungsrechtlichen Bereichen ändert sich die Rechtslage. Das geltende Primärrecht erlaubt den Mitgliedstaaten, ihre Wahrnehmungsrechte auf Verwertungsgesellschaften aus dem EG-Ausland anzuwenden, wenn dies aus „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ erforderlich ist. Dadurch können die Mitgliedstaaten das gewünschte ________ 951 952 953 954 955
Geiger u. a., GRUR Int. 2006, 475, 488; Mestmäcker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Ernst-Joachim Mestmäcker – Beiträge zum Urheberrecht, S. 407, 420. Vgl. den Berichtsentwurf des Ausschusses vom 25. Mai 2005, nicht im Amtsblatt veröffentlicht, S. 76 f. Vgl. die Stellungnahme des Ausschusses vom 22. April 2005, nicht im Amtsblatt veröffentlicht, S. 18. 29. Begründungserwägung des in der ersten Lesung am 16. April 2006 festgelegten Standpunkt des Europäischen Parlaments (siehe oben Fn. 944). Siehe oben 5. Kapitel, B.III.1.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
Schutzniveau in ihren Hoheitsgebieten auch gegenüber ausländischen Verwertungsgesellschaften durchsetzen. Nach der Zielsetzung der Dienstleistungsrichtlinie soll dies nicht mehr möglich sein, da die „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ von ihr nicht als Rechtfertigung für Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs anerkannt werden. Das bedeutet, dass die Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft nach Inkrafttreten der Richtlinie keinem anderen Wahrnehmungsrecht unterworfen sein werden als dem ihrer Niederlassungsstaaten. Mit der Dienstleistungsrichtlinie setzt die Gemeinschaft auf eine Kontrolle der Dienstleistungserbringer durch den Staat ihrer Niederlassung. Rechtspolitisch ist dieses Ergebnis aus mehreren Gründen nicht wünschenswert. Zum einen werden die Mitgliedstaaten von vornherein daran gehindert sein, Verwertungsgesellschaften aus dem EG-Ausland behördlich zu kontrollieren.956 Das gilt auch dann, wenn es sich um Verwertungsgesellschaften handelt, die in ihrem Niederlassungsstaat nicht entsprechend kontrolliert werden. Die Dienstleistungsrichtlinie führt damit zu Wettbewerbsverzerrungen. Verwertungsgesellschaften, die in Mitgliedstaaten mit strengen Regulierungen niedergelassen sind, werden im Wettbewerb mit anderen Verwertungsgesellschaften, die in ihren Niederlassungsstaaten weniger strengen Regeln unterworfen sind, benachteiligt. Die Dienstleistungsrichtlinie könnte zudem dazu führen, dass die Verwertungsgesellschaften sich in Mitgliedstaaten mit einem niedrigen Schutzniveau niederlassen, um ihre Tätigkeit gemeinschaftsweit möglichst ungehindert ausüben zu können. Das Interesse der Mitgliedstaaten, die Verwertungsgesellschaften besonderen Regeln zu unterstellen, wird dadurch in Frage gestellt. Zum anderen führt die Richtlinie zu nicht hinnehmbaren Lücken bei der Regulierung grenzüberschreitend tätiger Verwertungsgesellschaften. Diese Lücken ergeben sich daraus, dass die Wahrnehmungsrechte der Mitgliedstaaten ausschließlich auf inländische Sachverhalte anwendbar sind. Das wird am Beispiel der wahrnehmungsrechtlichen Kontrahierungszwänge deutlich. Wird etwa eine deutsche Verwertungsgesellschaft in Österreich tätig, kann sich ein dort ansässiger Verwerter weder auf die einschlägigen Vorschriften im österreichischen VerwGesG noch auf das deutsche UrhWG stützen, um eine angemessene Lizenzgebühr zu er________ 956
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Genehmigungserfordernisse sind gemäß Art. 16 Abs. 2 lit. b) Dienstleistungs-RL ausdrücklich unzulässig.
B. Harmonisierung des Wahrnehmungsrechts
zwingen. Die Anwendung des im österreichischen Wahrnehmungsrecht vorgesehenen Kontrahierungszwangs auf die deutsche Verwertungsgesellschaft ist ausgeschlossen, weil ein Kontrahierungszwang eine Anforderung darstellt, die nicht aus den in Art. 16 Abs. 1 Dienstleistungs-RL genannten Gründen (öffentliche Ordnung, Sicherheit etc.), sondern nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann. Der gemäß § 11 UrhWG in Deutschland geltende Abschlusszwang ist in Österreich dagegen kollisionsrechtlich nicht anwendbar.957 In Art. 3 Abs. 2 Dienstleistungs-RL ist ausdrücklich festgehalten, dass die Richtlinie die Regeln des internationalen Privatrechts unberührt lässt. Insgesamt führt die Dienstleistungsrichtlinie also dazu, dass Verwertungsgesellschaften außerhalb ihres Niederlassungsstaats weitgehend unreguliert agieren können.
IV. Fazit Die Unterschiede in den nationalen Wahrnehmungsrechten stellen ein Hindernis für Verwertungsgesellschaften dar, die ihre Verwaltungsgebiete in der Gemeinschaft erweitern und grenzüberschreitend tätig werden wollen. Die Unterschiede werden weder durch die primärrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit noch durch die Dienstleistungsrichtlinie in zufrieden stellender Weise ausgeglichen. Das Primärrecht lässt die Anwendung nationalen Wahrnehmungsrechts auf EG-ausländische Verwertungsgesellschaften zu, wenn dies aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Angesichts der Regelungsunterschiede in den Mitgliedstaaten führt dies bei länderübergreifend tätigen Verwertungsgesellschaften zu beträchtlichen Umstellungskosten und erheblicher Rechtsunsicherheit. Die Dienstleistungsrichtlinie vermeidet dies durch das Prinzip der alleinigen Kontrolle durch den Niederlassungsstaat, hat aber Regelungslücken und Wettbewerbsverzerrungen zur Folge, die im Hinblick auf den Schutz der Rechteinhaber und der Verwerter nicht akzeptabel sind. Im Ergebnis verdeutlichen die Dienstleistungsrichtlinie und die Empfehlung vom 18. Oktober 2005 den Willen der Kommission, die weitere Entwicklung der kollektiven Rechtewahrnehmung in der Gemeinschaft ________ 957
Siehe oben 5. Kapitel, B.II.
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Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
weitestgehend dem Markt zu überlassen. Dieser Ansatz kollidiert aber mit dem Anspruch der Mitgliedstaaten, das Recht der Verwertungsgesellschaften mehr oder weniger umfassend zu regulieren und bestimmte Schutzstandards aufrechtzuerhalten. Es liegt im Interesse einer ungehinderten länderübergreifenden Rechtewahrnehmung, diesen Konflikt zu überwinden. In der Gemeinschaft sollten einheitliche Voraussetzungen für die Zulassung der Verwertungsgesellschaften, die behördliche Kontrolle und die Bedingungen ihrer Tätigkeit geschaffen werden. Nur durch eine bereichsspezifische Richtlinie zum Wahrnehmungsrecht kann das Ziel eines freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus realisiert werden.
C.
Zusammenfassung
C. Zusammenfassung 1. Die Kommission hat mit ihrer „Empfehlung vom 18. Oktober 2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden“ (ABl. Nr. L 276 vom 21. 10. 2005, S. 54 ff.) erstmals den Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um die Rechteinhaber in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung gestellt. Ausgangspunkt ist ihre Feststellung, dass ein Wettbewerb um Verwerter die Gefahr einer Entwertung der wahrgenommenen Urheberrechte birgt. 2. Die Kommission geht zutreffend davon aus, dass ein funktionsfähiger Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um die Rechteinhaber den Wegfall ihrer Gegenseitigkeitsverträge bedingt. Die Rechteinhaber sollen deshalb ihre Online-Rechte einer Verwertungsgesellschaft ihrer Wahl zur Wahrnehmung im gesamten Gemeinschaftsgebiet anvertrauen. Von dem dadurch herbeigeführten Wettbewerb verspricht sich die Kommission, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Wahrnehmungsleistungen verbessern und ihr Kostenbewusstsein steigern. 3. Das Wettbewerbskonzept der Kommission ist aus Binnenmarkt- und wettbewerbsrechtlicher Perspektive sinnvoll. Ein gemeinschaftsweiter Wettbewerb würde die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen durch die Verwertungsgesellschaften fördern. Er wäre ein geeignetes Mittel, um die bestehenden nationalen Monopole der Verwertungsgesellschaften zu beseitigen. Außerdem hätten die 256
C. Zusammenfassung
Verwertungsgesellschaften erstmals einen wettbewerblichen Anreiz zur Verbesserung ihrer Wahrnehmungsleistungen gegenüber den Rechteinhabern. 4. Im Hinblick auf den Schutz der kulturellen Vielfalt in der Gemeinschaft ist das Wettbewerbskonzept dagegen abzulehnen. Der Wegfall der Gegenseitigkeitsverträge hätte einen Anstieg der Verwaltungskosten der kleineren Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft zur Folge, weil sie nicht mehr die im Markt besonders nachgefragten Rechte für das internationale Musikrepertoire wahrnehmen würden. Diese Verwertungsgesellschaften könnten deshalb ihre kulturellen und sozialen Funktionen nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Für die Musikverwerter wäre ein Wegfall der Gegenseitigkeitsverträge ebenfalls nachteilig. Die Verwertungsgesellschaften könnten ihnen nicht mehr die Rechte für das Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik zur Verfügung stellen. Angesichts ihrer Zielsetzung, den Zugang der Verwerter zum Musikrepertoire zu erleichtern, ist die Empfehlung in dieser Hinsicht nicht plausibel. 5. Trotz der Kritik an der Empfehlung dürfte die Entwicklung eines Wettbewerbs kaum aufzuhalten sein. Die institutionellen Rechteinhaber sind auf die Verwertungsgesellschaften im Online-Bereich nicht angewiesen und können sich mit ihrer Forderung nach Effizienzsteigerungen, die sich am besten in einem Wettbewerb verwirklichen lassen, durchsetzen. Das System der Gegenseitigkeitsverträge wird dadurch für den Online-Bereich allerdings nicht grundsätzlich in Frage gestellt und könnte etwa bei der Lizenzierung von Webcasting- und Simulcasting-Angeboten Bestand haben. In Zukunft werden somit voraussichtlich verschiedene Arten der Rechtewahrnehmung parallel angewandt werden. Welche Option sich dabei auf lange Sicht durchsetzen wird, ist offen. Die Kommission will darüber den Markt entscheiden lassen. 6. Die Gemeinschaft sollte erwägen, die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften vom Kartellverbot partiell auszunehmen. Die Verwertungsgesellschaften haben ein legitimes Interesse daran, in den Gegenseitigkeitsverträgen einen Tarifwettbewerb zwischen ihnen auszuschließen. Tarifangleichungen oder das in der SimulcastingVereinbarung angewandte Vergütungsmodell des Bestimmungslandprinzips sollten deshalb der kartellrechtlichen Kontrolle entzogen werden. Die damit bewirkte Einschränkung des Preiswettbewerbs der Verwertungsgesellschaften um die Musikverwerter kann rechtspoli257
Fünftes Kapitel: Neuordnung der kollektiven Rechtewahrnehmung
tisch hingenommen werden, weil den Verwertern mit einem einfachen Zugang zum Weltrepertoire besser gedient ist als mit einem Repertoirewettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften. 7. Unabhängig davon, welches Modell der Rechtewahrnehmung sich in der Gemeinschaft durchsetzen wird, sind weitere Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene notwendig, um die grenzüberschreitende Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten zu erleichtern. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Anwendung nationalen Wahrnehmungsrechts keine Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Verwertungsgesellschaften bewirkt. Mit der Dienstleistungsrichtlinie, die auf die Verwertungsgesellschaften anwendbar ist, wird dieses Ziel nicht erreicht. Sie führt zu dem unerwünschten Ergebnis, dass die Verwertungsgesellschaften außerhalb ihrer Niederlassungsstaaten weitgehend unreguliert tätig werden können. Daher ist es vorzugswürdig, das Recht der Verwertungsgesellschaften bereichsspezifisch im Wege einer Richtlinie zu harmonisieren.
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Literaturverzeichnis
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Sachregister
Sachregister Sachregister Sachregister Abonnement-Angebote 11–12, 19 Abschlusszwang 76, 241, 243, 249, 255 Ausübende Künstler 29–32, 39–40, 98, 172 Barcelona-Abkommen 201–206 Bestimmungslandprinzip 174–176, 177, 185–196, 200, 204, 210, 238 BIEM/IFPI-Normalvertrag 118, 126, 127, 129 BIEM-Standardvertrag 117–120, 173, 209 Blankettlizenzen 64, 136–138, 144 Bogsch-Theorie 51 Buma 100, 201, 207 Cannes-Agreement 120, 131 CISAC-Standardvertrag 113–117, 173, 209 CISAC-Verfahren 208, 227 Content Provider 202
Gesamtverträge 63–64, 78, 182 GVL 98, 166–167, 170 Herkunftslandprinzip 250 IFPI 10, 98, 118, 167, 170 Inländerbehandlung 25, 138, 141– 142 Internetradio 14–15, 166 Klingeltöne 8, 161, 164, 205 Lohn- und Konzernpressung 123– 125 MCPS/PRS 100, 167–169, 207 mp3 9, 18 Music on Demand 8, 9, 15, 20, 165, 202 Musikverlage 5, 36–39, 130–131, 221–222, 228–230, 236 Near on demand 15
Direct Accounting 130, 205 Direktlizenzen 121–122, 139–140 Download-Angebote 7–11 Erschöpfungsgrundsatz 32–36, 125, 191–192 Europäische Zentrallizenzen 125– 132 Fremdenrecht 23 Gegenseitigkeitsverträge Definition 109 Gleichbehandlungsgrundsatz 110, 111, 114, 115, 120, 141–142 GEMA 93–98, 99, 104, 117, 160–166, 201, 207 GEMA-Vermutung 78–79
Öffentliche Zugänglichmachung 19–20, 22, 25, 48, 113 One stop shop 176, 206, 229 SABAM 100, 132 SACEM 58, 100, 105, 135 Santiago-Abkommen 201–206 Satellitensenderecht 51–53 Schiedsstelle 78, 86, 164, 224–225 Schutzlandprinzip 43–47, 183 Senderecht 20–21, 48, 113 SGAE 61, 100, 229 SIAE 59, 100, 229, 238 Simulcasting-Vereinbarung 169–172 SOZA 61, 99 Spartenlizenzierung 103–105, 216– 217 Stemra 126, 207
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Sachregister Tauschbörsen 12–14 Teosto 61, 99, 207 Territorialitätsprinzip 43–46, 149– 150 Tonträgerhersteller 25–29, 30–32, 39–40, 129, 166 Tournier-Urteil 135–140, 180–181, 198 Transaktionskosten 67, 111, 112, 144, 215 Ursprungslandprinzip 190 Verteilungspläne 65–66, 70, 74–75, 116, 165 Vervielfältigungsrecht 18–19, 22, 25, 30, 47–48 Verwertungsgesellschaften Erlaubnispflicht 69–70, 239–240, 247 Geschichte 58–59 in der EU 99–102 Kulturelle und soziale Funktionen 60–62, 75–76, 87, 233–234
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Monopol 69, 87, 115, 135, 151, 236, 238–239 Ökonomische Funktionen 67–68 Rechtsform 240–241, 246–247 Regulierung 68–90, 238–242, 254 Tarife 63, 76–77, 142, 162–164, 166–167, 174, 235 Transparenz 71, 85, 215, 223– 224, 248 Verwaltungskosten 66, 116–117, 120, 128–129, 131, 138, 178– 179, 196–200, 221, 227 Wettbewerb 121–132, 143, 215, 227–229, 232–233 Video on Demand 15, 202 Wahrnehmungsvertrag 62–63, 95, 109, 149 Wahrnehmungszwang 72–74, 219– 220, 241, 243, 249 Weltrepertoire 109, 112, 115, 120, 122, 129, 143–144, 154, 234, 238