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German Pages 192 [193] Year 2003
DANIEL H. SHARMA
Zustellungen im Europäischen Binnenmarkt
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard HeB Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum, Joachim Vogel sämtlich in Tübingen
Band 67
Zustellungen im Europäischen Binnenmarkt
Von Daniel H. Sharma
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D2l Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-10974-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Meinen Eltern Edda und Kailash Chandra
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2002 als Dissertation von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommen. Ich bin besonders meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Burkhard HeB zu Dank verpflichtet für die mir gewährte Unterstützung und zahlreiche Anregungen und Diskussionen zum Thema. Zu danken habe ich auch Herrn Professor Dr. Wolfgang Münzberg für die Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Professor Dr. Thomas Oppermann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht. Mareike WeiB und Svenja Zeuch danke ich herzlich für ihre redaktionelle Unterstützung. Frankfurt am Main, den 12. Februar 2003 Daniel H. Sharma
Inhaltsverzeichnis § 1 Grundlagen.. ..... ....... ....... . . .... ... . .. ........ .. ............ . .. ...... . .... ..
19
I. Problemstellung ......... ...... ......... .. .. ..... ........... ...... . . .......... ..
21
a) Wirtschaftliche Bedeutung . .. .. ....... .. .. .. ... .. ........ . .. .. .. .... ...... ..
21
b) Die Funktion der Zustellung . .. .. . .. . . . . . ..... . . . ...... . ....... . .. . .... ... ..
22
aa) Klägerinteresse ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
(1) Die Effektivität des Rechtsschutzes .. ........ ................ .. ....
22
(2) Wettlauf zu den Gerichten im Rahmen des EuGVÜ / der VO 44 /01
23
bb) Beklagteninteresse ..... ... . ..... . . .... . .. . . . . ..... ......... .. .. ..... . . .
25
cc) Weitere Funktionen der Zustellung ......................... . ...........
25
dd) Folgen nicht ordnungsgemäßer Zustellung . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
c) Die herrschende Meinung zur Rechtsnatur der Zustellung.... .. .. ....... .. ..
28
d) Auswirkungen auf die Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
aa) Das Problem: staatlicher Souveränitätsanspruch im Zivilprozess ........
29
bb) Die bisherige Lösung: das Rogationsprinzip . . ... . ........ . .... . ........
29
2. Zustellungsregelungen im internationalen Rechtsverkehr im Überblick . .. . . . .. .
30
a) Verwaltungsrecht ......... . ..... . .... . ....... .... . . ............ . . . ... . ......
30
b) Strafrecht . ......... .......... .......... ... . ... .. . . . . . . ... . ...... . . .. ........
32
aa) Vertragsloser Rechtshilfeverkehr .. . ... . . ..... . .. ..... .... . ..... .. .... ..
32
bb) Zustellungen in das EU-Ausland. ..... .. ....... .. . . ...... .. ..... . ... ....
33
(1) Grundsatz.............. .. .......... .... ...... .... ...... ........ ....
33
(2) Ausnahme ......... .. .. ..... ....... . .. . .. . ..... ..... . ... . .. . ... . . ..
34
(3) Sprachregelung .... .. ............ .. ... . ............ . . . .. .. .... . . . ..
34
(4) Übermittlung von Rechtshilfeersuchen .. .... . . . . .. . .. ... . . . . . . . .. . .
34
(5) Bewertung . . .... . .. . . . . . . . ............. . . . .. . ....... . ... . ..... ... ..
35
cc) Zustellungen im Rahmen des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens ...... ..... ..... . ... ... . ..... ......... . .. .. .... ......... .. . ..... . . .
35
c) Zivil- und Handelsrecht.. . ... ... . . . .. ..... .. . .. . ... . ... . . ... .... .. .. . . .. . . . .
35
aa) Bilaterale Vereinbarungen .. . ... . .. . . .. . . ... . .. ... . . . .... .. . ..... ...... .
36
10
Inhaltsverzeichnis bb) Multilaterale Übereinkommen .. .. . . . .. . .. . . .. ... . ... ... . .. ..... . .... . . .
37
cc) Deutsche Vorschriften . ...... . ... .. . . . . . . .... . . .. .. .. ... . .. .. . . .. ... ... .
38
§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung . .............. ... .. .. ............ . ......
39
1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt . . . . ... . . . . . . . .. .. .. ... . .......
39
a) Rechtsprechung ..... ....... ..... . . ....... . .. .. .. ...... .. . .......... . ... . . . ..
39
aa) Der EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
bb) Deutsche Gerichte ...... .. . . .. . ......... . . . . .. . .... ........... . ..... . ...
41
b) Literatur... .. . .. . .... .. .. .. .. . ... . ... ... .. . . . . . . . . ..... ... . ....... .. . .. . .. ..
43
aa) Die Schutzfunktion ......... . ........ . ..... . ...... . ........ . . ... . .... ...
44
bb) Die Warnfunktion ........ . .............. . ................... . ... . . . . . ..
45
cc) Die Aufklärungsfunktion . . . .... ......... . . . .. . . . ......... . .. .. ..... .. ..
45
c) Voraussetzungen der Qualifikation der Zustellung als Hoheitsakt . ... . ... .. ..
46
aa) Gewährleistung rechtlichen Gehörs als staatliche Aufgabe .... . .... ... ..
46
bb) Zustellung durch staatlichen Organisationsapparat ......................
46
cc) Beurkundung als hoheitliche Aufgabe ...... . . .. ...... .. ........... . ....
47
d) Kritik .. ... ... .. .... ... . .. ... .. . . ... ..... .. . ... . .. .. .... . . . .. ..... .. .. .. . . ...
48
aa) Die Schutzfunktion .................... . . . . . ... . ............ . .. . ... . ....
48
(1) Wirtschaftliche Realität . .. ................. . ................ . ... . ..
48
(2) Kein rechtshilferechtlicher ordre public . . .............. .. . . ........
49
(3) Integrationsstand der Prozessrechte und Umsetzung der Verträge . ..
50
(4) Die Umgehung der Schutzfunktion .. . ........ . .... . ... . .. ... ... .. ..
53
bb) Beibehaltung der Warn- und Aufklärungsfunktion ? .....................
53
cc) Die Neubewertung ...... .... .............. . . . ..... . .. . ..... . ... ..... ...
54
(1) Beachtung aller Interessen eines Rechtsstreits . . . . ... .. . . .... . ... . . .
55
(2) Der Fall des Postmonopols . . ........ . . .. . . ... . .................. . ..
56
(3) Die Neudefinition der Zustellung.. . . . . ... . . . .. .. . .. . . . . . . . . .. . . .. . .
57
2. Die fiktive Inlandszustellung an Ausländer .... . .... . . .. . . .. . ........ .. .. . . . ....
57
a) Die Problematik ......... . ..... ... ... . ................. . ..... .......... . . ...
57
aa) Die gesetzliche Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
bb) Die Rechtsprechung zu § 175 ZPO a.F. ............. . ...................
59
b) Kritik der Rechtsprechung .... . . ..... ............. . ..................... . ...
63
aa) Anwendung der verlängerten Einspruchsfrist des § 339 Abs. 2 ZPO . . . . .
64
bb) Richterliche Hinweispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
Inhaltsverzeichnis c) Die Besonderheiten des europäischen Binnenmarktrechts
11
68
aa) Die Europäische Zustellungsverordnung ... ..... ... . .. ........ . ...... .. .
68
bb) Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue ... ....... . . . . . ... ... .. . . . .......
68
cc) Das Diskriminierungsverbot . . ...... .. ... . ..... . .......... . .. . ... . .. . ...
69
d) Getrennte Behandlung von europäischen Binnen- und anderen Sachverhalten ........ .. .... .. ...... ...... .... .. . .. ....... .. ..... ... ........ . ..... .. . .. .
73
3. Das völkerrechtliche Prinzip der Gegenseitigkeit im System der internationalen Zustellung. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ... . .
74
a) Das völkerrechtliche Prinzip der Gegenseitigkeit. . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .
74
b) Auswirkungen auf das Zivilprozessrecht ................ . .... . ... . .... . .....
75
c) Das Gegenseitigkeitserfordernis im Binnenmarkt ... .... . . . . .. . . ... ... . .....
75
§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung durch die EU-Verordnung vom 29. Mai 2000 .......... . ................. . .. . ........................ .. ............
77
1. Die (unendliche?) Geschichte des Europäischen Zustellungsrechts .... . ... . ... . .
77
2. Die neue Rechtsforrn der Verordnung . . .. .. . .. . .. .. . .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
a) Neue Rechtsgrundlage ............... . .............. . .......... . ...... . . . ...
79
b) Unmittelbare Geltung und Angleichung nationaler Vorschriften ..... . ... . . ..
79
c) Unzulässigkeit von Vorbehalten.... . ........ . ........ . . . ... . . . . ........ . . . ..
80
d) Durchführungshoheit der Kommission . . . ... .... .. .. .. .. .. . ... .... ... . . . ....
80
e) Kontrolle durch den EuGH . ................ .... . . ............. .... ..... . . . . .
81
3. Der Anwendungsbereich der EZVO .... .. ................. . ... . . .. ... . ... . . . ...
81
a) Territorialer Anwendungsbereich ...... . .... . . . ............ . .. . ...... . ..... .
81
b) Sachlicher Anwendungsbereich ...... . ...... . . . . . ............... .. ... . ......
82
aa) Zivil- und Handelssachen. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... . . . . . . . . .. . . . . . . ..
82
bb) Gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
cc) Unbekannte Anschrift des Empfängers . .. . . ............. ... . . .... ... . . .
84
4. Verfahren nach der EZVO ..................... . .. . .............................
85
a) Dezentralisierung .. ...... . .... . ..... . ....... . . . . . ..... .. . . ... .... . . . . . . ... ..
85
aa) Der neue Grundsatz der Dezentralität .................... . . . ........ . ...
85
bb) Die Ausnahme: Abweichung vom Dezentralisierungsgrundsatz .... .. . . .
86
b) Zentrale Inforrnationsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
c) Flexible Übermittlung ...... . .... . ..... .. . . ... .. ... . ........ .. ... . ... .. . . . . .
88
12
Inhaltsverzeichnis d) Sprachregelung
90
aa) Formblätter ............................................................ .
90
bb) Zuzustellende Schriftstücke ........................................... .
90
e) Regelung der Fristen ................................. . ..................... .
91
f) Andere Arten der Übermittlung und Zustellung . . .... . ................ . .. .. .
92
aa) Konsularische und diplomatische Zustellung ..... . .... ... ..... .. ... ... . .
90
bb) Zustellung durch die Post .............................................. .
93
cc) Direktkontakt zwischen Partei und Zustellperson ...................... .
94
g) Weitere Regelungen ....... . ..... .. ... . ............ . ...... . ... ... .... . .... . .
94
5. Verhältnis zu anderen Ab- und Übereinkommen ............................... .
96
6. Kritik der EZVO .......................................................... . ... .
97
a) Struktur und Systematik des "neuen" Zustellungsrechts .................. . . .
98
b) Einzelne Regelungen ............ .. ......................................... 100 aa) Die Sprachregelung ............ ... ..................................... 100 bb) Direkte Postzustellung .............................................. .. .. 101 cc) Ungeschriebener Ablehnungstatbestand in Art. 19 EZVO? ........ .... .. 102 c) Keine Heilungsvorschriften ................................................. 103 d) Internationale Rechtshilfe: Angelegenheit der Verwaltung oder der Rechtsprechung? ................................................................. 104 e) Die EZVO - kleine Lösung einer geschlossenen Gemeinschaft? ... . ......... 105
§ 4 Auswirkungen der EU-Rechtsgemeinschaft auf das Zustellungsrecht der Europäischen Union................................................................... 106 I. Anforderungen an die verfahrenseinleitende Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106 a) Art. 6 EMRK ............................................................... 106 b) Art. 12 EG ... . .............................................................. 107 c) Art. 27 Nr. 2 und Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ / Art. 34 Nr. 2 und Art. 26 VO 44/0l/EG ... ..................................................... ... ...... 108 d) Art. 10 EG .... . .... . .......... .. .... . .......... .... . ... . .......... .. .. . . .. .. 109 e) Die Grundfreiheiten .......................................... .... ........... 109 2. Der Vorschlag der Kommission für ein europäisches Zivilverfahrensrecht . . . . . . . 110 a) Die Vorschläge zur Zustellung ............. .. ........ . . . ............ . .. . . . ..
111
b) Fazit............................. .. ......... . .. ... ....... ............ .. .. . ..
112
Inhaltsverzeichnis
13
3. Die Europäische Grundrechtscharta . . . . .. . . . . ... ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . 112 a) Art. 41 EGC
113
b) Art. 47 EGC
113
c) Fazit........................................................................ 114 4. Der europäische Vollstreckungstitel ............................................. 114 a) Das Modell................................................................. 114 b) Anforderungen an das Zustellungsrecht - der Passeport ludiciaire Europeen 115 aa) Umfassende Information von Behörden und Gerichten.................. 116 bb) Die Beweiskraft eines einheitlichen Zustellungszeugnisses ............. 118 (1) Das Interesse der Parteien an der Beweiskraft eines Zustellungs-
zeugnisses ......................................................... 119 (2) Die Grenzen der Beweiskraft............................... .. ...... 119 c) Der Passeport ludiciaire als Teil einer umfassenden Neuregelung ........... 121 aa) Sprachregelungen ...................................................... 122 bb) Belehrungen............................................................ 124 cc) Zur Notwendigkeit einer Auslandszustellung ........................... 125 dd) Die Regelung der Fristen ............................................... 125 ee) Die Anforderungen an die Zustellperson ............. .. .............. . .. 128 ff) Heilungsmöglichkeiten .................... .. ........ .. ......... .. ......
130
d) Die Regelungstechnik....................................................... 130 e) Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen. . . . . . . . . . . . .. 132 § 5 Die Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts im Lichte der Anforderungen der Europäischen Rechtsgemeinschaft ...................................... 134
l. Die wichtigsten Neuerungen.................................................... 134
a) Systematik.................................................................. 134 b) Die Definition der Zustellung.............................. .. ........... .. .. 135 c) Die Heilung mangelhafter Zustellungen..................................... 135 d) Ausweitung der Ersatzzustellung ................................ . ........... 136 e) Auslandszustellung ......................................................... 139 f) Zustellungsbevollmächtigter ................................................ 140
g) Erweiterung der Zustellmöglichkeiten der Geschäftsstelle ................... 141 2. Die Anforderungen des Binnenmarktes......................................... 142
14
Inhaltsverzeichnis
§ 6 Weitere Vorschläge für eine Verbesserung des Europäischen Zustellungsrechts
144
1. Sprachregelungen . .. . . .... . ..... . . .. ... . ......... . . .. . .... .. . .... ........... ... 145
2. Der Grundsatz der Direktzustellung ..... ............ . .... . . . ............ . .. . ... 147 3. Beschleunigung der internationalen Zustellung durch neue Technologien . . . . . . . 149 a) Die Technologien ... . .... . ..... . . . . .. . . ... . ....... .. ... . .... . . ... ... . .... .. . 149 b) Exkurs: Die Reform des deutschen Rechts der Formvorschriften und ihre Auswirkungen auf das Zustellungsrecht ..................................... 152 aa) Allgemeines und Definitionen... . ... .. . ... . . . .. .. ... ...... . . .. .. ..... . . 152 bb) Materiellrechtliche Anpassung . ... ... . .... . .. ...... ... .. .. . ......... . .. 153 cc) Prozessrechtliche Auswirkungen .............. .. .............. . ... . .... 153 (1) Zulassung von elektronischen Signaturen als Beweismittel . . ... . ... 154
(2) Anscheinsbeweis bezüglich der Echtheit von Signaturen .. .. ....... 154 (3) Auswirkungen auf das Zustellungsrecht .. ... . . . .. ... . .. .. .... .. .. .. 154 4. Die Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten................. ... . . ... 157 a) Bisherige Regelungen . .... . .. .... . . . . . ....... . ........ . ...... . ..... . . . . . . . . . 157 b) Mögliche Neuerungen . .. ..... .. . . . . . ... .. . .. ..... .. .... .... .. . ..... . .. .. . .. 159 5. Parteivereinbarungen ........ .. ......... .. ...................... ... . . ........... 161 6. Der Vorschlag G. Geimers für ein neues Zustellungsübereinkommen ... .. ....... 162 a) Der Ansatz . .. ..... . .... . ...... . . . . . . . ... .. ..... . . .. . . . .... . . . . . .. . .. .. .. . .. 162 b) Zustellungsformen . . ....... ... . . . . . .. ........... .. .... . ... . ... . . ... . ...... .. 163 c) Fazit...... . ... . .............. ... ... . . ........... . ................ .. .. . . . . . .. 164 § 7 Die beste Lösung: Eine strukturelle Reform des Europäischen Zustellungs-
rechts .... . ..... . ..... .. ....... ..... ........ ... .... . .... ... . . ...... . .. . .... . .... ... 165 1. Das bisherige System der internationalen Rechtshilfe . ...... . . . ... . .. .... . . . . . .. 165 2. Neue Strukturen: Subsidiarität der staatlichen Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Der Zweck des Zivilprozesses . . .... . . . ...... . . . .. . . ... ..... . .. . ....... . .... 165 b) Die Verschiedenartigkeit der Lösungen. . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . ... 166 aa) Ein kurzer Überblick: das anglo-amerikanische Zustellungsrecht in Zivil- und Handelssachen. . ... ... . .. .... ..... ... . .... ... . . ... . . . .. ....... . 167 bb) Der Gegensatz: der deutsche Grundsatz der Amtszustellung .... . . . . .. . . 169
Inhaltsverzeichnis
15
c) Folgen für die Struktur europäischer Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Die Praxis: Dreiteilung des Zustellungsrechts ? ....... . .............. . ... . .. 172 § 8 Zusammenfassung................................................................ 174 § 9 Summary .......... .. ..... .... .. ......... .. ....................................... 176
Materialien ............ .. ....... .... ......... .. ...................... .... ......... .. .. 178 Literaturverzeichnis . .. . . . .. . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . 180 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a. a. O.
am angegebenen Ort
Ab!.
Amtsblatt
AcP
Archiv für die ci viiistische Praxis
a.F.
alte Fassung
AVAG
Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGB!.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BMJ BT-Drs.
Bundesminister(ium) der Justiz
BVerfG
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
CJQ
Civil lustice Quarterly
CMLRev.
Common Market Law Review
CPR
Civil Procedure Rules
ders.
derselbe
Bundestagsdrucksache
DGVZ
Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung
dies.
dieselbe
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
ebd. EDV
ebenda
EFfA
European Free Trade Organisation
EG
Einführungsgesetz
EGC
Europäische Grundrechtscharta
EGGVG
Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz
Ein!. E-mail EMRK
Elektronische Datenverarbeitung
Einleitung electronic mail Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
E.R.P.L.
European Review of Public Law
EU
Europäische Union
EuG
Europäisches Gericht erster Instanz
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGHSlg.
Sammlung der Rechtsprechung des EuGH
Abkürzungsverzeichnis EuGVÜ
EuR EuRStrÜ EUV EVZÜ EWGV EZÜ
EZVO
17
Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 Europarecht Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen Vertrag über die Europäische Union Europäisches Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland Römischer Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Ziviloder Handelssachen in den Mitgliedstaaten
EZVR
Europäisches Zi vil verfahrensrecht
FamRZ
Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
Fn.
Fußnote Federal Rules of Civil Procedure
FRCP FuR GG ggf. GmbH GmS-OGB GVG HZPÜ HZÜ IPRax IZPR
Familie und Recht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gerichtsverfassungsgesetz Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationales Privatrecht
IZVR lura JZ LG lit. LM
Internationales Zivilverfahrensrecht Juristische Ausbildung luristen-Zeitung
LugÜ
Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen Nouveau code de procedure civile
MDR m.w. N. n.c.p.c. 2 Shanna
Landgericht Buchstabe Lindenmaier / Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs
18
n.F.
Abkürzungsverzeichnis
NJW
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
OLG PostG
Oberlandesgericht 1Rechtsprechung der Oberlandesgerichte
RabelsZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet v. Ernst Rabel Reichsgesetzblatt
RGBI. RiVASt
Postgesetz
RIW
Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der internationalen Wirtschaft
Rz.
Randziffer
SDÜ SigG
Schengener Durchführungsübereinkommen Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und zur Änderung weiterer Vorschriften
SigV
Verordnung zur elektronischen Signatur
StPO
Strafprozessordnung Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vergleiche Verordnung Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten Verwaltungszustellungsgesetz World Trade Organisation zum Beispiel
V044/01
vgl. VO 1347/00/EG
VwZG WTO
z. B. ZEuP ZIP ZPO ZRHO ZRP ZustDG
ZustRG ZZP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilprozessordnung Rechtshilfeordnung für Zivilsachen Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten Zustellungsreformgesetz Zeitschrift für Zivilprozess
§ 1 Grundlagen "Am Ende wird ein spezieller Binnenmarktprozeß stehen, der in seinen Funktionen, Grundsätzen und in seiner Handhabung weitgehend unabhängig von den nationalen Prozeßrechten sein wird."l
Sollte diese Einschätzung der zukünftigen zivilverfahrensrechtlichen Beziehungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Rechtswirklichkeit werden, so wäre dies ein bedeutender Fortschritt im "Prozeß der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas" z. Dann wäre die Union dem Ziel, "die Freizügigkeit unter gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit ihrer Bürger durch die Einfügung von Bestimmungen über Justiz und Inneres zu fördern, .....3, ein großes Stück näher gekommen. Bislang ist das internationale Verfahrensrecht, auch innerhalb der Europäischen Union, jedoch von traditionellen völkerrechtlichen Erwägungen und Erfordernissen geprägt, die ihren Ursprung vor allem im Grundsatz der staatlichen Souveränität haben. 4 Auf der anderen Seite befindet sich die Europäische Union auf dem Wege fortschreitender Integration, die alle Bereiche von Wirtschaft, Verwaltung und auch persönlicher Lebensumstände der Bürger umfasst. 5 Hierzu gehört ebenfalls die Möglichkeit für jede Privatperson, ihre Rechte grenzüberschreitend geltend zu machen. Die Akzeptanz eines gemeinsamen Europas hängt nicht zuletzt auch von einer funktionsfähigen Rechtsgemeinschaft ab. 6 Dies haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erkannt und deshalb zum Beispiel bereits in Art. 220 EWGV 1958, vor allem aber in Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) die Möglichkeit einer Verstärkung der europäischen justiziellen Zusammenarbeit eröffnet. Im Rahmen dieser "dritten Säule" der Europäischen Union wurde zunächst als wesentliche Harmonisierungstechnik der Abschluss internationaler Vereinbarungen vorgesehen. 7 Heß, JZ 1998,1021,1032. Präambel zum Vertrag über die Europäische Union ("Maastricht-Vertrag") vom 7. Februar 1992, BGBI. 1992 II, 1251. 3 Ebd. 4 Vgl. etwa lpsen, Rz. 93 ff.; Die Auswirkungen der Souveränität auf das Zustellungsrecht im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika beschreibt Leipold, S. 51 ff.; Zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen: Fleischhauer; S. 59 ff. 5 Zur Europäisierung der Zivilrechtspflege allgemein: Heß, NJW 2000, 23 ff. 6 Vgl. auch Müller-Graf!/ Kainer; DRiZ 2000, 350, 350 f. 1
2
2*
20
§ 1 Grundlagen
Dies hat sich mit dem Amsterdamer Vertrag vom 2. Oktober 1997 8 grundlegend geändert: nunmehr ist die gemeinsame Justizpolitik durch Art. 65 EG vergemeinschaftet worden. 9 Neben dem allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht, das sich besonders in den Übereinkommen der Haager Konferenzen und in unzähligen bilateralen Abkommen wiederfindet, bildet sich also im Rahmen der "Wertegemeinschaft" der Europäischen Union immer stärker ein Europäisches Zivilverfahrensrecht heraus. \0 Besonders im Zivilverfahrensrecht spielt die Zustellung gerichtlicher, aber auch nichtgerichtlicher Schriftstücke eine wichtige Rolle. 11 Kommt es hier zu Störungen, so hat das für die Beteiligten an einem Rechtsstreit unter Umständen nachteilige Folgen. 12 Gemäß Art. 61 lit. c EG wird "zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" nun auch die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen nach Art. 65 EG, und damit auch das dort explizit in Art. 65 lit. a EG genannte Zustellungsrecht, von verstärkten europäischen Harmonisierungsbestrebungen erfasst. Es kann jetzt auch mittels EG-Sekundärrecht vereinheitlicht werden. 13 Dieser - oft unterschätzte - Bereich der Zustellungen im europäischen Binnenmarkt ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Dabei wird zunächst auf grundsätzliche, vor allem völkerrechtliche Fragen der Zustellung eingegangen und hiernach das bisherige Zustellungsverfahren im internationalen (europäischen) Zivilprozess ausführlich und in den Bereichen des Straf- und Verwaltungsrechts im Überblick dargestellt. Außerdem werden die Bemühungen zur Schaffung eines neuen europäischen Zustellungsrechts untersucht. Das ehrgeizige Ziel der Einführung eines 7 Heß, NJW 2000, 23, 25; in diesem Kontext ist auch der Abschluss des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 26. Mai 1997 zu sehen, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 1 ff. s BGB!. 1998 II 386, in Kraft seit 1. Mai 1999. 9 Einen (kritischen) Überblick über die durch den Amsterdamer Vertrag eingeführten Neuerungen gibt Besse, ZEuP 1999, 107 ff.; polemische Kritik übt hingegen Schack, ZEuP 1999, 805 ff. 10 Zur Frage eines möglichen neuen Verfahrenstyps .. Binnenmarktprozess": Heß, JZ 1998, 1021 ff.; zur Geschichte der europäischen justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen allgemein: Pirrung, ZEuP 1999, 834, 835 ff.; zusammenfassend auch Müller-Graffl Kainer; DRiZ 2000, 350 ff. II Im Rahmen dieser Arbeit wird zumeist auf klageeinleitende Schriftstücke oder Urteile Bezug genommen, da diese die ..Prototypen" zuzustellender Schriftstücke darstellen. 12 Zu den Folgen nicht ordnungsgemäßer Zustellung siehe unten § I.l.b.dd. 13 Künftig wird die Harmonisierung also vornehmlich durch Maßnahmen nach Art. 249 EG vorangetrieben, besonders durch Verordnungen und Richtlinien.
1. Problemstellung
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Europäischen Vollstreckungstitels wird ebenso Auswirkungen auf das Zustellungsrecht haben. Diese werden genau so beleuchtet wie die Änderungen im autonomen deutschen Zustellungsrecht. In der Vergangenheit sind die Fragen der Zustellung an Exterritoriale und Staaten bereits häufig und umfassend diskutiert worden. 14 Sie bleiben deshalb in dieser Arbeit unberücksichtigt.
1. Problemstellung a) Wirtschaftliche Bedeutung
Internationale Zustellungen, also grenzüberschreitende Übermittlungen von Schriftstücken, finden immer dann statt, wenn einem Verfahren ein Sachverhalt mit internationalem Charakter zugrunde liegt. Sie erfolgen bislang im Rahmen der internationalen Rechtshilfe. Anhand der Rechtshilfestatistiken lässt sich daher die wirtschaftliche Bedeutung grenzüberschreitender Übermittlung von Schriftstücken erkennen. Der Rechtshilfeverkehr der Bundesrepublik umfasste 1998 insgesamt 88.563 ein- und ausgehende Rechtshilfeersuchen, davon 82.808 Zustellungsersuchen. Die große Bedeutung des Rechtshilfeverkehrs für die Bundesrepublik wird noch deutlicher, wenn man sich die Steigerung gegenüber dem Jahre 1991 vor Augen hält (72.863 Rechtshilfeersuchen, davon 63.212 Zustellungsersuchen). 15 Der größte und wirtschaftlich wichtigste Teil des Rechtshilfeverkehrs betraf dabei die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Regelungen der internationalen Zustellung erscheinen auf den ersten Blick als unnötige, formalistische Hürde auf dem Weg zu einer funktionierenden grenzüberschreitenden Zivilgerichtsbarkeit. Die Vielzahl der Ab- und Übereinkommen ist nicht geeignet, die einfache Handhabung der internationalen Zustellung durch die hierfür zuständigen Personen und Institutionen zu fördern. Erst recht wird hierdurch aber das Vertrauen der Bürger in den internationalen Handel gefährdet. So gab es in der Vergangenheit Urteile europäischer Gerichte, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes führten, weil Zustellungsvorschriften nicht peinlichst genau eingehalten wurden. 16 Statt aller: Heß, RIW 1989,254 ff. Vgl. hierzu die einschlägigen Rechtshilfestatistiken des BMJ. 16 Vgl. etwa OLG Saarbrücken IPRax 1995, 35 ff. mit Anmerkung Heß, IPRax 1995, 16 ff.: in diesem Fall war die verurteilte Partei schließlich in Konkurs gefallen, bevor die französische Klägerin ihren Titel vollstrecken konnte. Zur ausführlichen Darstellung vgl. unten § 2.l.d.aa.(3). Weiteres Beispiel: EuGH Slg. 19901-2725 - "Peters"; Rauscher, IPRax 1991, 155, 159 hält diese Entscheidung allerdings im Sinne des Beklagtenschutzes für richtig. 14
15
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§ 1 Grundlagen
Andererseits ist für den mitteleuropäischen Juristen die Vorstellung einer Zustellung, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika für zulässig erachtet wurde, schwer vorstellbar: eine mit der Zustellung beauftragte Prozess bevollmächtigte wurde durch die Leibwachen des Beklagten an der Zustellung gehindert. Das Gericht erlaubte in diesem Fall der Prozessbevollmächtigten, die Papiere auf den Boden des Anwesens des Beklagten zu werfen, um anschließend vor dessen Leibwachen zu flüchten. 17
b) Die Funktion der Zustellung Zustellung eines Schriftstücks bedeutet die Bekanntgabe an den Adressaten oder an eine Person aus dessen Sphäre (vgl. § 166 ZPO).18 Im sicherlich häufigsten Fall der rechtshilferechtlichen internationalen Übermittlung, nämlich bei einer Klageschrift, lässt sich die Funktion der Zustellung gut betrachten. 19 Eine ordnungsgemäße Zustellung liegt im Interesse beider Parteien.
aa) Klägerinteresse Auf der einen Seite steht das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes als Ausfluss des Justizgewährungsanspruchs des Klägers. Dieses Justizgrundrecht wird im deutschen Recht durch Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG gewährt?O Auf europäischer Ebene wird dieser Anspruch als Menschenrecht durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gesichert? 1
(1) Die Effektivität des Rechtsschutzes Im gerichtlichen Verfahren benötigt der Kläger das Datum der amtlich veranlassten Kenntnisnahme durch den Beklagten zu Beweiszwecken. Dieses Datum 17 So berichtet von Pfennig, S. 133; de lege lata wäre eine solche Zustellung allerdings auch in der Bundesrepublik nicht ausgeschlossen: § 186 ZPO erlaubt der Zustellperson, bei Annahmeverweigerung "das zu übergebende Schriftstück am Ort der Zustellung zurückzulassen.", vgl. Baumbach I Lauterbachl Albers I Hartmann-Hartmann, § 186 Rz. 3; vgl. auch § 179 ZPO nach der Neufassung des deutschen Zustellungsrechts. 18 Baumbach I Lauterbach I Albers/Hartmann-Hartmann, Übers § 166, Rz. 3; zum Internationalen Zivilprozessrecht: Schack, IZVR Rz. 584; Zur durch das Zustellungsreformgesetz eingeführten Neudefinition und vor allem zum Erfordernis der Beurkundung siehe unten, § 5.l.b. 19 Zum Zweck der Zustellung auch: Pfeiffer, Prozeßhandlungen, S. 80, 89; Heß, NJW 2001, 15, 15 f. 20 Ausführlich Wilfinger, S. 8 ff. 21 van Dijk/van Hoof, S. 242; auch zum rechtsgeschichtlichen Hintergrund: G. Geimer, S. 6 ff.
1. Problemstellung
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ist für den Kläger vor allem hinsichtlich bestimmter Ausschlussfristen von Bedeutung, die sich im deutschen Recht etwa in den §§ 221, 296, 516, 552 ZPO finden. Kann aber der Kläger wegen verfahrensrechtlicher Hindernisse seinen Anpruch nicht durchsetzen, so fehlt es an der Effektivität des Rechtsschutzes. Solche Hindernisse können sowohl durch ein ineffizientes Verfahren entstehen, als auch durch den Beklagten selbst herbeigeführt werden, indem dieser die Zustellung durch bewusste Nichtannahme vereitelt.
(2) Wettlauf zu den Gerichten im Rahmen des EuGVÜ/der va 44/01 In diesem Zusammenhang ergibt sich auch im europäischen Rahmen, nämlich im Anwendungsbereich des Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ)22 ein besonderes Problem. Gemäß Art. 21 EuGVÜ / Art. 27 VO 44/01 soll eine doppelte Rechtshängigkeit im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten vermieden werden. 23 Ein Fall, den das Landgericht München 11 im Jahre 1997 zu entscheiden hatte 24, veranschaulicht, wie sich die Unwägbarkeiten der internationalen Zustellung auf die Rechtshängigkeit und damit auf die internationale und örtliche Zuständigkeit auswirken können: Die deutsche Klägerin hatte im Juni 1996 Klage gegen die italienische Beklagte vor dem Landgericht München 11 erhoben. Diese wurde der Beklagten im Wege der internationalen Rechtshilfe im September 1996 zugestellt. Bereits im Mai 1996 hatte jedoch die italienische Partei ihrerseits Klage vor einem italienischen Gericht gegen ihre deutsche Vertragspartnerin erhoben?5 Da die deutsche Partei die Annahme dieser Klage anlässlich eines Zustellversuchs verweigert hatte, und das Schriftstück entgegen § 186 ZPO a.F. nicht bei ihr zurückgelassen wurde, sah das Landgericht München 11 die zeitlich früher eingereichte Klage in Italien als zweitrangig im Sinne des Art. 21 EuGVÜ an, während es im Ergebnis der Klage der deutschen Partei stattgab.
22 BGBl. 1972 II 774; nunmehr: Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Amtsblatt der EG Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1 ff. 23 Kropholler; vor Art. 21 EuGVÜ Rz. 1. 24 LG München II IPRax 1998, 477; Auf diese Problematik weist auch Gottwald (Habscheid/Beys), S. 23 mit weiteren Nachweisen hin. 25 Diese Konstellation war aufgrund einer Gerichtsstandsklausel mit folgendem (unbeglaubigt übersetzten) Wortlaut möglich:" Gerichtsstand für etwaige Streitigkeiten ist der Sitz des Klägers".
24
§ I Grundlagen
Ohne im Zuge dieser Einführung in die Problematik der internationalen Zustellung allzu konkret auf dieses Urteil einzugehen, wird doch bereits durch die Sachverhaltsschilderung deutlich, wie wichtig für den Kläger - in diesem Fall für die italienische Partei - eine rechtmäßige und zügige Zustellung ist. 26 In einem englischen Verfahren, das schließlich vor dem House of Lords verhandelt wurde, ging es um eine ähnliche Frage?7 Die Kläger, Daimler-Chrysler Canada Ltd. (bei Klageerhebung noch Chrysler Canada Ltd.) und die Verwalter verschiedener, von Daimler-Chrysler Canada Ltd. für seine Angestellten eingerichteter Pensionskassen, hatten einen writ gegen insgesamt 37 Beklagte28 eingereicht. Die Beklagten wurden beschuldigt, in betrügerischer Weise die Investition von insgesamt 240.000.000,00 kanadischen Dollar in Unternehmen empfohlen zu haben, die schließlich insolvent wurden. Verschiedene Beklagte29 hatten sich gegen die Zuständigkeit englischer Gerichte gewehrt, weil sie der Ansicht waren, das Verfahren sei vor ausländischen Gerichten zuerst anhängig geworden, da die Zustellung des englischen writs 30 an Herrn Stolzenberg zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem dieser bereits negative Feststellungsklage vor einem deutschen Gericht erhoben hatte. Unter den sechs verbliebenen Beklagten waren zwei mit Wohnort bzw. Sitz in der Schweiz, also einem Vertragsstaat des LugÜ. Zu beantworten war daher die Frage, ob ein Prozessrechtsverhältnis über Art. 2 und Art. 6 Nr. I LugÜ begründet worden war. Dabei war von entscheidender Bedeutung, wann ein Verfahren anhängig im Sinne des Lugano-Übereinkommens ist: bereits mit dem Datum der "initiation of proceedings" oder erst mit dem Datum des "service of process". Das House of Lords entschied sich schließlich für erstere Lösung, da mit den einschlägigen Vorschriften die Anstrengung des Verfahrens ("initiation of proceedings") gemeint sei. Von Bedeutung war hierbei das Argument, dass ansonsten die Gefahr bestehe, dass sich ein Beklagter der Zustellung entziehe, sobald er Kenntnis vom (schwebenden) Verfahren habe. Daher werde mit der nunmehr getroffenen Entscheidung Rechtssicherheit geschaffen. Auch wenn hier also die Zustellung nicht der entscheidende Zeitpunkt war, so wird doch wiederum deutlich, dass sie bei internationalen Zuständigkeitsstreitigkeiten in den meisten Fällen eine wichtige Rolle spielt. 31
26 Vgl. hierzu auch die Anmerkung von Hau, IPRax 1998,456, der das Urteil des Landgerichts München 11 als "ungerecht" und sogar "geradezu empörend" beschreibt. Einen Fall gleicher Problematik beschreibt Krusche, MDR 2000, 677 ff., mit Ausführungen zum Beginn der Rechtshängigkeit in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, S. 680. 27 Canada Trust Co v Stolzenberg [2000J 3 WL.R. 1376 (H.L.). 28 Unter anderem gegen den Beklagten Stolzenberg. 29 Im Verfahren vor dem House of Lords ging es nur noch um sechs Beklagte. 30 Im Wege des substituted service. 3\ Für den Geltungsbereich der EuGVÜ-Nachfolgeverordnung wird der Eintritt der internationalen Rechtshängigkeit künftig durch Art. 30 VO 44/01 lEG einheitlich bestimmt.
I. Problemstellung
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bb) Beklagteninteresse Auf der anderen Seite ist es das vitale Interesse des Beklagten, von allen wichtigen Verfahrenshandlungen in Kenntnis gesetzt zu werden. Beginnend bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, wird ihm damit erst die Möglichkeit eröffnet, sich zu verteidigen. 32 Die Notwendigkeit der Zustellung ist nicht nur praktischer Ausfluss des lustizgrundrechts auf rechtliches Gehör, das für das deutsche Verfahrensrecht in Art. 103 Abs. 1 GG verankert ist. 33 Auch der Grundsatz des fairen Verfahrens, der sich aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt, macht ein effektives Zustellungsrecht erforderlich. 34 Damit wird deutlich, dass sich die Regelung der internationalen Zustellung im Spannungsfeld zwischen der Effektivität des Rechtsschutzes und dem Recht auf rechtliches Gehör bewegt. Da auch Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalte35 verfassungsimmanenten Schranken unterliegen, nämlich den kollidierenden Grundrechten Dritter36 , ist es entscheidend, ein angemessenes Verhältnis zwischen diesen beiden strukturbestimmenden Polen des Zustellungsrechts zu finden.
cc) Weitere Funktionen der Zustellung Eine weitere Funktion der Zustellung im Common Law-System ist mit dem berühmten Fall der Maharanee of Baroda gegen Wildenstein 37 ins Blickfeld gerückt. Durch die Zustellung einer Klage an den französischen Beklagten, der sich nur vorübergehend beim Pferderennen in Ascot aufhielt, wurde die Zuständigkeit des englischen Gerichts begründet. 38 32 Heß, NJW 2001, 15, 16; Was durch eine effektive Auslandszustellung vermieden werden könnte, zeigt anschaulich Albus, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. März 2000, S. 58: während urlaubsbedingter Abwesenheit der Beklagten wird ein Mahnbescheid über eine fiktive Forderung durch Niederlegung zugestellt. Hieran schließt sich ein zwei Jahre dauerndes Verfahren vor deutschen und französischen Gerichten an, das vor allem durch Missverständnisse im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr immer wieder verzögert wird. Am Ende gelingt es zwar, die Kontosperrung aufzuheben und die Zwangsversteigerung des Hauses abzuwenden. Es sind allerdings Gerichtsgebühren, Anwalts- und Übersetzungskosten in Höhe von rund DM 40.000,- entstanden. 33 BVerfGE 37, 93, 97; von Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 Rz. 15. 34 BGH NJW 2000, 3284, 3285; dieser Grundsatz findet sich auch in Art. 6 Abs. I EMRK. 35 Wie etwa Art. 103 Abs. I GG. 36 G. Geimer; S. 9 mit weiteren Nachweisen. 37 [1972]2 All ER 689 [C.A.]. 38 Ausführlich dargestellt bei Schack, IZVR Rz. 225; Die Möglichkeit, an eine sich vorübergehend im Inland aufhaltende Person, die ihren (Wohn-) Sitz im Ausland hat, zuzustellen, besteht wohl in den meisten Rechtsordnungen. Hiervon ist jedoch zu unterscheiden, ob durch die Zustellung auch die internationale Zuständigkeit begründet werden kann, wie dies in England und den U.S.A. der Fall ist.
26
§ 1 Grundlagen
Auch im V.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht kann durch die Zustellung die Gerichtsbarkeit des entsprechenden lokalen Gerichts begründet werden. 39 Nach rule 4 (k) (1) der Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) wird jurisdiction grundsätzlich dann durch Zustellung etabliert, wenn dies das Recht des Bundesstaates, in dem sich das angegangene Gericht befindet oder spezielle bundesrechtliche Regelungen erlauben. 4o Bemerkenswert ist ferner die "Auffangklausel" in rule 4 (k) (2) FRCP: "If the exercise of jurisdiction is consistent with the Constitution and laws of the Uni ted States, serving a summons or filing a waiver of service is also effective, with respect to claims arising under federal law, to establish personal jurisdiction over the person of any defendant who is not subject to the jurisdiction of the courts of general jurisdiction of any state."
Im Übrigen stellt personal service jedoch eine von mehreren Voraussetzungen für die Zuständigkeit amerikanischer Gericht dar, neben der "proper jurisdictional basis" und der Vereinbarkeit der Zuständigkeitsausübung mit der Bundesverfassung. 41 dd) Folgen nicht ordnungsgemäßer Zustellung Im Erkenntnisverfahren ist die Folge nicht ordnungsgemäßer Zustellung42 des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, dass gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kein Versäumnisurteil erlassen werden darf, weil die Klage nicht rechtshängig geworden ist. 43 39 Dies ist die Wirkung der transient jurisdiction, auch in Verbindung mit dem Erfordernis des "minimum contact", Schack, Einführung, S. 25 f. Zur transient jurisdiction auch Wiehe, S. 6 f.; Klaus P. Mössle, S. 210 ff. 40 Vgl. auch Schack, Einführung, S. 36 f. 41 Näher: Bischof, S. 111; Bertele, S. 371 f.; zum diskussionswürdigen Verhältnis des U.S.amerikanischen Zivilprozessrechts zu irnrnunitätsrechtlichen Fragen, vgl. Heß, Festschrift Schütze, S. 269 ff., der auch den Fall Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2 nd Cir. 1995), 247 kommentiert, in welchem dem Beklagten eine Klage anlässlich eines Besuchs der Vereinten Nationen in New York zugestellt worden war. Über einen weiteren, kuriosen Zustellungsvorgang berichtet Der Spiegel in der Ausgabe Nr. 32/2000 vorn 7. August 2000, S. 17: die Leiterin der Arbeitsgruppe "Scientology" in der Hamburger Innenbehörde musste ihren Florida-Urlaub überstürzt abbrechen, um weitere Verwicklungen zu vermeiden. Zuvor war ihr von Scientology-Anwälten eine Ladung zur Vernehmung unter der Hotelzirnrnertür durchgeschoben worden, worauf sie sich einern fünfstündigen Verhör in der Scientology-Zentrale in Clearwater aussetzen musste. 42 Als typische Fehlergruppen identifiziert Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, S. 75 ff.: 1. Inlandszustellung statt erforderlicher Auslandszustellung, 2. Falscher Übermittlungsweg, 3. Durchführungsfehler seitens der ersuchten Behörde, 4. Fehlende Übersetzung. Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, S. 115 f. mit weiteren Nachweisen, ergänzt diese Auflistung um drei weitere Fallgruppen: 1. Nicht rechtzeitige Zustellung, 2. Unerledigte Zustellung, 3. Fiktive Auslandszustellung. 43 Baumbach / Lauterbach 1Albers / Hartmann-Hartmann, § 335 Rz. 4.
1. Problemstellung
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Im Vollstreckungs- bzw. Anerkennungsverfahren stellt eine ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks die Voraussetzung für die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung dar (§ 328 Abs. I Nr. 2 ZPO).44 Ausgangspunkt für die Regelung der Folgen von Fehlern im (EU-)europäischen Rahmen ist Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 bzw. Art. 27 Abs. I Nr. 2 LugÜ. Danach ist Folge einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung regelmäßig die Nichtanerkennung grenzüberschreitender Urteile. Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des EuGH ist dabei zu beachten, dass die Zustellung sowohl ordnungsgemäß als auch -kumulativ- rechtzeitig zur Eröffnung effektiver Verteidigungsmöglichkeit bewirkt worden sein muss. 45 Diesen Grundsatz hat auch das OLG Düsseldorf in seiner jüngst ergangenen Entscheidung angewandt. 46 In dem Verfahren vor einem niederländischen Gericht hatte der deutsche Beklagte lediglich acht Tage Zeit gehabt, seine Verteidigung vorzubereiten, um ein Versäumnisurteil abzuwenden. Das OLG sah diese Zeitspanne als nicht ausreichend an und hob die Vollstreckbarerklärung der Vorinstanz auf. 47 Auch im Vollstreckungsverfahren innerhalb des EuGVÜ bzw. der VO 44/01 sind Zustellungsregelungen von zentraler Bedeutung. Diese wird deutlich, wenn man das im EuGVÜ / der VO 44 / 01 und im darauf beruhenden deutschen Ausführungsrecht vorgesehene Vollstreckbarerklärungsverfahren betrachtet48 : Gemäß Art. 38 Abs. 1 VO 44 / 01 wird eine ausländische Entscheidung auf Antrag in Deutschland für vollstreckbar erklärt. Das entsprechende Verfahren ergibt sich neben der VO 44/01 auch (im Wesentlichen) aus dem Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz AVAG)49. Gemäß Art. 40 Abs. 2 Satz 1 VO 44/01 hat der ausländische Vollstreckungsgläubiger im Bezirk des angerufenen Gerichts ein Wahldomizil zu begründen. 5o Kommt er dem nicht nach oder ist das Wahldomizil im Recht des Vollstreckungsstaates nicht vorgesehen, so hat er einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, Art. 40 Abs. 2 Satz 2 VO 44/01. Die Obliegenheit zur Benennung eines ZustelBaumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann-Hartmann, § 328 Rz. 20. Lancray SAlPeters und Sickert KG, EuGH Sig. 1990 1-2725; beide Voraussetzungen prüft auch das Vollstreckungsgericht, vgl. Stümer, Festschrift Nagel, S. 452; Nach Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 lEG sind künftig nur noch Rechtzeitigkeit und hinreichende Verteidigungsmöglichkeit erforderlich, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung des Erstgerichts trotz Möglichkeit kein Rechtsmittel eingelegt. 46 OLG Düsseldorf NJW 2000, 3290. 47 Ebd. 48 In vereinfachter, auf die Bedeutung der Zustellung bezogener Darstellung. 49 BGBI. 2001 1288. 50 Dies soll künftige Zustellungen im Verfahren erleichtern. 44 45
§ 1 Grundlagen
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lungsbevollmächtigten ergibt sich auch für das deutsche Recht. Sie wird durch § 5 Abs. 1 Satz 1 AVAG konkretisiert. § 5 AVAG enthält weitere technische Regelungen zur Zustellung5l , deren wichtigste der ausdrückliche Hinweis auf §§ 175, 192, 213 ZPO ist (Zustellung durch Aufgabe zur Post bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 AVAG). Gemäß Art. 42 Abs. 2 VO 44/01 wird die Vollstrechbarerklärung bzw. die Grundentscheidung dem Schuldner zugestellt werden.
c) Die herrschende Meinung zur Rechtsnatur der Zustellung
Um zu verstehen, weshalb die Regelung der internationalen Zustellung im Vergleich zu den nationalen Bestimmungen so komplex und damit kompliziert ist, ist zunächst ein Blick auf ihre Rechtsnatur zu werfen. Hierzu ist immer noch herrschende Meinung, dass die Zustellung einen staatlichen Hoheitsakt darstellt. 52 Zwar wird dies in jüngster Zeit durchaus heftig kritisiert. 53 Einer allzu undifferenzierten Betrachtungsweise ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Vertreter dieser Hoheitsakt-Theorie keineswegs zwangsläufig Anhänger eines überzogenen Souveränitätsverständnisses sind und "das rechtliche Gehör des (deutschen) Beklagten [ ... ] auf dem Altar überzogener deutscher Souveränitätsvorstellungen ..
opfern wollen. 54 Zwar besteht die Zustellung, ganz praktisch gesehen, tatsächlich nur in der Übergabe des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten. Dieser Vorgang wird daher teilweise auch als Realakt angesehen, mit dem eine Prozesshandlung, etwa die Klageerhebung (§ 253 Abs. 1 ZPO), vollendet wird. 55 Im common law-System ist deshalb auch die Zustellung durch Privatpersonen zulässig. 56
51 Eigenschaften des Zustellungsbevollmächtigten, Hinweis auf den freien Dienstleistungsverkehr der Rechtsanwälte. 52 Geimer/Schütze, EZVR Art. 27 EuGVÜ Rz. 76; Schmitz. S. 12; G. Geimer; S. 23; Pfeiffer, Prozeßhandlungen, S. 88 f.; Kondring. Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, S. 31; Gottwald. Sicherheit vor Effizienz? - Auslandszustellung in der Europäischen Union in Zivil- und Handelssachen, S. 230; Schlosser, EuGVÜ, Art. 10 HZÜ Rz. 1. 53 Zum Beispiel Schack. IZVR Rz. 589; Gottwald. Festschrift Schütze, S. 229 f.; überraschend, wenn auch vorsichtig vorgetragen, als Vertreter der Bundesregierung, der das EUÜbereinkommen vom 26. Mai 1997 mit verhandelt hat: Meyer; IPRax 1997,401,404. 54 Schack. IZVR Rz. 591. 55 Kondring. Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, S. 30, mit weiteren Nachweisen. 56 Geimer, IZPR Rz. 2075.
1. Problemstellung
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Fraglich ist aber, ob diese Vorstellungen ins kontinentaleuropäische Prozessrecht übernommen werden könnten. 57 Denn es ist nicht bestreitbar, dass an die Zustellung unter anderem die Auslösung der Rechtshängigkeit und bestimmter Fristen geknüpft sind, die zweifelsfrei hoheitliche Wirkungen hervorrufen. 58 Die Rechtsprechung jedenfalls hat die Annahme eines Hoheitsaktes bislang noch nicht ernsthaft in Frage gestellt. 59 Es wird freilich im Rahmen dieser Arbeit auch zu untersuchen sein, ob diese Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt im Europäischen Binnenmarkt noch ihre Berechtigung hat. 60 d) Auswirkungen auf die Praxis
aa) Das Problem: staatlicher Souveränitätsanspruch im Zivilprozess Wie im deutschen Recht wird auch in den anderen kontinental-europäischen Rechtsordnungen vertreten, dass die Zustellung einen Hoheitsakt darstellt. 61 Das bedeutet aber, dass eine deutsche Person, die etwa eine französische verklagt, dieser nicht ohne weiteres das verfahrenseinleitende Schriftstück durch ein deutsches Gericht, eine deutsche Behörde oder selbst durch ein deutsches Konsulat zustellen lassen kann. Die Eröffnung eines deutschen Verfahrens gegen eine französische Staatsangehörige mit der Bewirkung der Zustellung durch eine deutsche Behörde in Frankreich kann nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Denn dies würde aus eigentlich für überholt gehaltener, wohl aber immer noch vertretener Auffassung, eine Verletzung der französischen Souveränität darstellen. 62 Dieselbe Auffassung wird natürlich im umgekehrten Fall (Zustellung an eine deutsche Person durch französische Behörden) ebenfalls vertreten. 63 bb) Die bisherige Lösung: das Rogationsprinzip Das Beispiel umreißt die Problematik der internationalen Zustellung. Das internationale Zivilprozessrecht versucht, sie unter Anwendung des Rogationsprinzips aufzulösen. Hiernach ersuchen die Behörden des Gerichtsstaates diejenigen im Aufenthaltsstaat des Zustellungsadressaten um Rechtshilfe. 64 Im beschriebenen Wohl dafür Schack, IZVR Rz. 589 ff. Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung S. 98. 59 Zum Beispiel BVerfGE 91,335,339. 60 Hierzu unten § 2.1.d.cc. 61 Vgl. hierzu auch Nagel/Gottwald, IZPR, Rz. 495 ff.; Schack, IZVR, Rz. 589; PfeilKammerer; S. 24; für die Schweiz: Volken, S. 29; Wiehe, S. 96 Fn. 2. 62 Schack, IZVR Rz. 133. 63 Vgl. Volken, S. 29. 64 Heß, NJW2001, 15, 17; G. Geimer; S. 1. 57
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§ I Grundlagen
Fall ist deshalb ein Rechtshilfeersuchen bezüglich der Zustellung an Frankreich zu richten. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen dabei die im Urteilsstaat geltenden Vorschriften eingehalten werden.65 Allerdings legt bei Auslandszustellungen jeder Staat Wert darauf, dass nach seinen Regeln zugestellt wird. Nach deutschem Recht66 müsste im oben angeführten Fall die beklagte Partei, der das verfahrenseinleitende Schriftstück ins Ausland zugestellt wurde, für weitere Korrespondenz einen Zustellungsbevollmächtigten benennen (§ 174 Abs. 2 ZPO a.F.). Tut sie dies nicht, so können weitere Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt werden (§ 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F.). Bei dieser fiktiven Inlandszustellung, die in ähnlicher Form ebenfalls in den meisten anderen europäischen Prozessrechten existiert, ist die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Zustellungsadressaten keineswegs gewährleistet, obwohl die Zustellung selbst als bewirkt anzusehen ist (§ 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO a.F.).67 Zwar ist nach deutschem Prozessrecht die Zustellung durch Aufgabe zur Post erst zulässig, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück tatsächlich und persönlich zugestellt wurde. Dies ist jedoch nicht überall so. Bei der im romanischen Rechtskreis vorherrschenden remise au parquet wird ein ähnliches Verfahren bereits von Beginn des Prozesses an angewandt. Das Bemühen der Rechtspolitik muss es aus diesen Gründen sein, internationale Vereinbarungen zu treffen, die einfache und zügige grenzüberschreitende Zustellungen unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten erlauben, im Interesse der Effektivität auch grenzüberschreitenden Rechtsschutzes.
2. Zustellungsregelungen im internationalen Rechtsverkehr im Überblick Um den durch die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt entstandenen souveränitäts- und völkerrechtlichen Erfordernissen gerecht zu werden, gibt es in allen Rechtsgebieten zahlreiche bi- und multilaterale Ab- und Übereinkommen. 68
a) Verwaltungsrecht Als wichtigste multilaterale Vereinbarung ist das Europäische Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland vom EuGH Sig. 19931-1963 - "Sonntag"; Schlosser, Art. 27 -29 EuGVÜ Rz. 11. Zur Verdeutlichung der Kritik wird auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des ZustRG Bezug genommen. 67 Hierzu unten § 2.2. 68 Dargestellt werden hier die wichtigsten Übereinkünfte; ausführlich zu diesem Bereich z. B. G. Geimer, S. 175 ff. 65
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24. November 1977 (EVZÜ) zu nennen. 69 Es handelt sich um ein Übereinkommen, das im Rahmen des Europarats ausgearbeitet wurde. 7o Gleichwohl besteht nach Art. 19 Abs. 1 EVZÜ die Möglichkeit, dass auch Staaten, die nicht Mitglied des Europarates sind, dem EVZÜ beitreten können. Hierzu ist ein Beschluss der Versammlung des Europarats mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen einschließlich der Stimmen aller Vertragsstaaten erforderlich. Das EVZÜ orientiert sich in wesentlichen Teilen am Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 (HZPÜ)71 und am Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (HZÜ).72 Außerdem wurde auch das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EuRStrÜ) 73 berücksichtigt, um eine "möglichst weitgehende inhaltliche und formelle Übereinstimmung mit anderen multilateralen Übereinkommen über gegenseitige Hilfe in Zivil- und Handelssachen einerseits und in Strafsachen andererseits herzustellen. ,,74
Das EVZÜ basiert daher auf dem Rogationsprinzip (Art. 3 EVZÜ). Die Zustellungsarten sind ebenfalls denjenigen der Haager Übereinkommen angepasst (Art. 6 EVZÜ). Nach der Sprachenregelung des Art. 7 EVZÜ braucht einem ausländischen Schriftstück dann keine Übersetzung beigefügt zu werden, wenn das Schriftstück in einer der Formen, die das Recht des ersuchten Staates für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, zugestellt wird, und der Empfänger bereit ist, es anzunehmen. Eine Übersetzung ist entweder von der zentralen Behörde des ersuchten Staates oder der ersuchenden Behörde des Ausgangsstaates lediglich dann zu besorgen, wenn der Empfanger die Annahme mit der Begründung ablehnt, dass er die Sprache nicht verstehe (Art. 7 Abs. 2 EVZÜ). Die Umsetzung dieser Regelung ist in der Bundesrepublik derart geschehen, dass ohne Übersetzung lediglich eine formlose Übergabe mit ausdrücklicher Belehrung zugelassen wurde. 75 Bemerkenswert ist schließlich noch die Regelung des Art. 21 EVZÜ, nach der Vorbehalte zum Übereinkommen nicht zulässig sind. Dieser Grundsatz wird freilich durch die wichtigen Widerspruchseröffnungen zu Art. 1 Abs. 2 (Anwendungsbereich), Art. 1 Abs. 3 (Gegenseitigkeit), Art. 10 Abs. 2 (Zustellung durch Konsularbeamte an andere als eigene Staatsangehörige; Gegenseitigkeit), Art. 11 Abs. 2 BGBI. 1981 11 533. Zur Geschichte des Übereinkommens ausführlich: Erläuternder Bericht des Europarats, Bundestags-Drucksache 9/68, 37, 37. 71 BGBI. 195811 577. 72 BGBI. 1977 11 1453. 73 BGBI. 1964 11 1369, 1386. 74 Denkschrift der Bundesregierung zum EVZÜ, Bundestags-Drucksache 9/68, 29, 29. 75 Vgl. Begründung zum Ausführungsgesetz, Bundestags-Drucksache 9/69, S. 4, 5. 69
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(Postzustellung) wieder entwertet. Vorschriften zur Heilung mangelhafter Zustellungen enthält das EVZÜ nicht. Im Bereich des Verwaltungsrechts existieren des weiteren noch zahlreiche bilaterale Abkommen, die den Rechtshilfeverkehr der Bundesrepublik mit einzelnen anderen Staaten vereinfachen sollen. Von großer Bedeutung sind insbesondere der deutsch-österreichische Vertrag über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31. Mai 1988 76 , sowie zahlreiche Sozialversicherungsabkommen und Abkommen in Steuersachen, die insbesondere die Direktzustellung von Schriftstücken durch die Post zulassen. 77 Als nationale Ausgangsregelung des deutschen Verfahrensrechts stellt § 14 Abs. 1 VwZG schließlich fest, dass nach dem Rogationsprinzip die zuständige Behörde des ausländischen Staates um Rechtshilfe zu ersuchen ist, oder -in zulässigen Fällen- die deutschen Auslandsvertretungen mit der Zustellung betraut werden sollen. b) Strafrecht
Nach Angaben aus der Praxis besitzen Zeugenladungen die weitaus größte Bedeutung unter den international zuzustellenden Schriftstücken im Strafverfahrensrecht. 78 Zustellungen im internationalen Strafprozess werden auf Basis der folgenden Regelungen durchgeführt: aa) Vertragsloser Rechtshilfeverkehr Im vertragslosen Rechtshilfeverkehr ist auch im internationalen Strafverfahrensrecht anerkannt, dass es keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Leistung von Rechtshilfe gibt. 79 Rechtshilfe erfolgt im Rahmen der courtoisie internationale. Die Geschäftswege in diesem Bereich sind gewohnt langwierig: Generalstaatsanwaltschaften, Ministerien, Konsulate und Botschaften sind einzuschalten, in manchen Fällen wird auch der Weg über das Bundeskriminalamt, Interpol und die lustizbehörden des Empfangsstaates gewählt. 80 BGBI. 1990 11 357. Abkommen zu den genannten Bereichen bestehen unter anderem mit Israel, Jugoslawien, Kroatien, Marokko, Polen, Rumänien, der Schweiz, der Türkei, Slowenien und Tunesien. Vgl. hierzu Volbers, S. 167. 78 Für die Darstellung der Rechtspraxis gilt der besondere Dank des Verfassers Herrn Richter am Landgericht Christoph Hölscher, der am Landgericht Stuttgart das "Competence Centre" im Rechtshilfeverkehr darstellt. Mit Hilfe eines EDV-Programms werden dort Anfragen einzelner Spruchkörper rasch und zuverlässig nach der neuesten Rechtslage beantwortet. 79 Pfennig, S. 22 m. w. N. 80 Auf eine detaillierte Darstellung wird hier verzichtet, nicht zuletzt deshalb, weil die Wahl eines bestimmten Geschäftsweges offenbar auch von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängt. 76
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bb) Zustellungen in das EU-Ausland Im Bereich des Strafrechts ist bei Zustellungen in das EU-Ausland vor allem das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der BeneluxWirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen 81 von Bedeutung. Ferner sind als interne Verwaltungsvorschriften - ähnlich der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen (ZRHO)82 - die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) zu beachten. Darüber hinaus existieren auch zahlreiche bilaterale Abkommen zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten, die den strafrechtlichen Verkehr mit dem Ausland erleichtern. Zustellungen in die meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden - wie beschrieben - durch das Schengen-II-Übereinkommen geregelt, das mit Wirkung vom 26. März 1995 in Kraft gesetzt worden ist. Vertragsstaaten sind die EUMitglieder Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Italien und Österreich. 83 Das Verfahren nach dem Schengen-II-Übereinkommen verdient nähere Betrachtung, weil sich hieraus einige Ableitungen für das zivil prozessuale Verfahren ergeben könnten. Folgende Strukturen werden durch das Übereinkommen bereitgestellt: ( 1) Grundsatz
Im Schengen lI-Übereinkommen wird die internationale Zustellung im 3. Titel, 2. Kapitel ("Rechtshilfe in Strafsachen", Artt. 48 ff.) geregelt. 84 Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 kann jede Vertragspartei solchen Personen, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, gerichtliche Urkunden unmittelbar durch die Post übersenden. Gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 leiten die Vertragsparteien eine Liste der Urkunden, die auf diesem Weg übersandt werden dürfen, dem Exekutivausschuss ZU. 85 Diese Regelung findet ihre Umsetzung im nationalen deutschen Recht in § 37 Abs. 2 StPO. 86 81 Das sogenannte Schengen lI-Übereinkommen; BGBI. 1993 II 1010; Allgemein hierzu Bieber; NJW 1994, 294 ff. 82 Vgl. hierzu unten § 1.2.c.cc. 83 Vgl. die Beitrittsübereinkommen mit Griechenland (BGBL 1996 11 2542), Italien (BGBL 199311 1990), Österreich (BGBI. 199711 966), Portugal (BGBI. 199311 1902), Spanien (BGBI. 1993 II 1902). 84 Gemäß Art. 48 Abs. 1 des Übereinkommens ergänzen diese Vorschriften das Europäische Rechtshilfeübereinkommen des Europarats; hierzu näher: unten, § 1.2.b.bb.
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Zu beachten ist, dass Zustellungen nach Art. 8 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens keine Zwangsandrohungen gegen Zeugen oder Sachverständige enthalten dürfen. 87 Art. 52 Abs. 3 des Schengen lI-Übereinkommens regelt außerdem selbst, dass Zwangsmaßnahmen nicht aufgrund einer Ladung nach dieser Norm ergriffen werden dürfen.
(2) Ausnahme Gemäß Art. 52 Abs. 5 ist die Zustellung durch Übermittlung der lustizbehörde des Empfangsstaates nur noch ausnahmsweise zulässig, nämlich wenn die Anschrift des Empfängers unbekannt ist oder die ersuchende Vertragspartei eine förmliche Zustellung fordert. 88
(3) Sprachregelung Nach der Sprachregelung des Art. 52 Abs. 2 Satz 1 ist die zuzustellende Urkunde - oder sind zumindest wesentliche Passagen - in eine der Sprachen der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet sich der Empfänger aufhält, zu übersetzen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Empfänger der Sprache, in der die Urkunde ursprünglich abgefasst ist, unkundig ist. Art. 52 Abs. 2 Satz 2 schreibt jedoch vor, dass die Urkunde - oder zumindest ihre wesentlichen Passagen - in die entsprechende andere Sprache zu übersetzen sind, wenn der zustellenden Behörde bekannt ist, dass der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist.
(4) Übermittlung von Rechtshilfeersuchen Art. 53 Abs. 1 lässt bei der Übermittlung von Rechtshilfeersuchen den unmittelbaren Geschäftsweg von lustizbehörde zu lustizbehörde ZU. 89 Nach Art. 53 Abs. 2 bleibt allerdings auch die Möglichkeit offen, Rechtshilfeersuchen durch die lustizministerien oder über die nationalen Zentralbüros der internationalen kriminalpolizeilichen Organisationen (Interpol) als Boten zuzustellen oder zu beantworten. 9o 85 Vgl. für die Bundesrepublik BGBl. 199611 242 ff.; sämtliche Listen der Vertragsparteien sind abgedruckt in Schomburg/Lagodny-Schomburg, Art. 52 SDÜ Rz. 10 ff. 86 Schomburg, NJW 1995, 1931, 1932. 87 Schomburg/Lagodny-Schombu'B', Art. 52 Rz. 3; zur Verschränkung von Schengen-IIÜbereinkommen und Europäischen Rechtshilfeübereinkommen vgl. Art. 48 Abs. 1 Schengen-lI-Übereinkommen. 88 Dieses Regel- / Ausnahmeverhältnis ist bemerkenswert, insbesondere, wenn man sich die entsprechenden Vorschriften des Internationalen Zivilverfahrensrechts betrachtet. Hierzu ausführlich unten § 3.4. 89 Schomburg/Lagodny-Schomburg, Art. 53 Rz. 1.
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(5) Bewertung Das Übereinkommen regelt damit eine dezentrale und sehr effiziente Form der Zustellung. Die Sprachregelung richtet sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten und gewährleistet einen wirklich effektiven Schutz des Zustellungsempfängers. Auf der anderen Seite wird dem Erfordernis eines schnellen Verfahrens durch die Eröffnung der Direktzustellung Rechnung getragen. 91 Besonderes Augenmerk verdient die Normierung der Postzustellung als Regelform der Übermittlung von Schriftstücken. cc) Zustellungen im Rahmen des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens Im Bereich des Europarats ist als wichtige Vereinbarung das Europäische Übereinkommen über Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 195992 zu nennen, das auch für das Schengen-II-Übereinkommen als Grundlage dient. 93 Nach Art. 7 des Übereinkommens findet hier die internationale Zustellung grundsätzlich im Wege der Rechtshilfe statt. 94 Die aus dem Europäischen Rechtshilfeübereinkommen entspringende Zustellungspraxis wird im Übrigen auch im Verhältnis zu osteuropäischen Staaten, die nicht Vertragspartner des Übereinkommens sind, angewandt. 95 Das Europäische Rechtshilfeübereinkommen regelt auch mangelhafte bzw. unsichere Zustellungen. Gemäß seinem Art. 7 Abs. 3 ist eine Wartefrist von 50 Tagen ab der Zustellung von Verfahrensurkunden einzuhalten, soweit eine solche Erklärung bei Ratifizierung des Übereinkommens abgegeben wurde. Erst dann darf das Verfahren weitergeführt werden.
c) Zivil- und Handelsrecht
Die internationale Zustellung wird weitgehend durch internationale Verträge geregelt. Nichts desto trotz gibt es jedoch immer wieder Situationen, in denen auch ohne internationalen Vertrag zugestellt werden muss. In diesen Fällen findet die Schornburg/Lagodny-Schomburg, Art. 53 Rz. 2. In der Praxis erfolgt freilich - zumindest arn Landgericht Stuttgart - eine Überprüfung internationaler Zustellungen durch den Präsidenten. 92 BGB!. 1976 II 799. 93 Vg!. Art. 48 Abs. 1 des Schengen-II-Übereinkornrnens. 94 Art. 7 Abs. 1: "Der ersuchte Staat bewirkt die Zustellung von Vet:{ahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen, die ihm zu diesem Zweck vom ersuchenden Staat übermittelt werden. " 95 Dies wird für das Landgericht Stuttgart berichtet. 90
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Zustellung im Rahmen der courtoisie internationale statt. 96 Diese ermöglicht unter Umständen sogar eine wesentlich flexiblere Sicht der Dinge. So hat die Kommission in einem wettbewerbsrechtlichen Fall, an dem auch die schweizerischen Gesellschaften Geigy und Sandoz beteiligt waren, diesen ein Schriftstück formlos übersandt. Dies wurde von den Zustellungsadressaten als Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör angesehen. Der EuGH entschied jedoch zugunsten der Kommission und hielt dieses pragmatische Vorgehen für gerechtfertigt, um die Wirksamkeit des europäischen Rechts zu sichern. 97 Die zur Regelung der Rechtshilfe mit Bezug zur internationalen Zustellung in Zivil- und Handelssachen geschlossenen bi- und multilateralen Ab- und Übereinkommen sind dennoch zahlreich. 98
aa) Bilaterale Vereinbarungen Bedeutend99 für die Bundesrepublik sind derzeit die Abkommen mit Belgien lOO , Dänemark lOl , Frankreich 102, Luxemburg 103, den Niederlanden lO4 , Norwegen 105, Österreich lO6 , Polen lO7 , Schweden lO8 und der Schweiz lO9 • Diese Abkommen wurden als Ergänzungsvereinbarungen zum Haager Abkommen über den Zivilprozess vom 17. Juli 1905 110 und zum Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1. März 1954 111 (HZPÜ) geschlossen. Nach Art. 24 HZÜ sind die Abkommen mangels anderweitiger Vereinbarung auch in Bezug auf das HZÜ anzuwenden. Als weitere wichtige Vereinbarungen sind ferner das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr ll2 , das deutsch-griechische Abkommen über die geG. Geimer, S. 158 m. w. N. EuGH Slg. 1972,787,826; Die Heranziehung dieses Arguments im Verhältnis zu einem Drittstaat erscheint allerdings sehr problematisch. 98 Ausführlich zu den jeweiligen Zustellungsrege1ungen mit besonderem Augenmerk auf die Postzustellung: G. Geimer, S. 189 ff. 99 Bei Ansicht der Rechtshilfestatistiken des BMJ. 100 BGBI. 1959 II 1524. 101 RGB!. 1910,871; 1914,205; 1932 II 20; BGB!. 1953 II 186; BGBI. 1960 II 1853. 102 BGBI. 1961 II 1040. 103 RGBI. 1909,907; BGBI. 1954 II 718; BGBI. 1960 II 1853. 104 BGBI. 1964 11 468. 105 BGBI. 1979 II 1292. 106 BGBI. 1959 II 1523. 107 BGBI. 1994 II 361. 108 RGBI. 1910,465; BGBI. 196011 1853. 109 RGBI. 1910,674; RGBI. 193011 1; BGBI. 196011 1853. 110 RGBI. 1909,409. 111 BGBI. 1958 11 576. 96 97
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genseitige Rechtshilfe in Angelegenheiten des bürgerlichen und Handelsrechts 113, das deutsch-türkische Abkommen über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen l14 , der deutsch-tunesische Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit 1l5 und der deutsch-marokkanische Vertrag über die Rechtshilfe und Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen l16 zu nennen. bb) Multilaterale Übereinkommen Unter den multilateralen Übereinkommen ist vor allem das Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 von Bedeutung, das im Verhältnis zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands 117 die Zustellungsvorschriften des Haager Übereinkommens über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 118 (HZPÜ) ersetzt. 119 Am 26. Mai 1997 wurde in Brüssel durch Vertreter der 15 EU-Staaten ein neues "Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union,,120
(EZÜ) unterzeichnet. Dieses sollte für den zustellungsbezogenen Rechtshilfeverkehr zwischen den Vertragsstaaten einige bedeutsame Neuerungen bringen, wurde allerdings von den Mitgliedsstaaten nicht in Kraft gesetzt. 121 Nach der Ermächtigung zur Schaffung eines europäischen Justizraumes durch den Amsterdamer Vertrag l22 , wurde das Übereinkommen mit lediglich marginalen Änderungen in die 112 RGBI. 192911 133; Zur Geltung gegenüber solchen Staaten, die früher aufgrund ihrer Beziehung zum Vereinigten Königreich ihre internationalen Beziehungen noch nicht selbst wahrnehmen konnten vgl. Jayme/Hausmann, Nr. 116 Fn. 2. 113 RGBI. 193911 848; BGBI. 195211 634. 114 RGBL. 193011 6; RGBI. 1931 II 539; BGBI. 195211 608. 115 BGBI. 196911 889; 197011 125. 116 BGBI. 198811 1054; Über den deutsch-marokkanischen und den deutsch-tunesischen Vertrag wurden 1995 jeweils rund 50 Ersuchen abgewickelt. 117 Vgl. die Rechtshilfestatistiken, z. B. für das Jahr 1995: Meyer; IPRax 1997,401,402. 118 V gl. oben Fn. 111. 119 Die Zustellungsregeln des HZPÜ gelten nur noch im Verhältnis zu Argentinien, Weißrussland, Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien, Kroatien, Lettland, dem Libanon, Marokko, Moldawien, Österreich, Polen, Rumänien, der Russischen Föderation, Slowenien, Surinam, Ungarn und der Vatikanstadt, vgl. Jayme/Hausmann, Nr. 106 Fn. 7. 120 Amtsblatt der EG Nr. 261 C vom 27. 08. 1997, S. 1 ff. mit Protokoll zur Auslegung durch den EuGH, S. 17 ff. 121 Näher hierzu: unten § 3. 122 Vgl. oben § 1.
§ 1 Grundlagen
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"Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten" 123
(EZVO) umgegossen. 124 Für diejenigen Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 16. September 1988 125 (LugÜ), die nicht Vertragsstaaten des HZÜ sind, findet Art. 20 Abs. 2 LugÜ Anwendung.
cc) Deutsche Vorschriften Weiterhin sind als autonome deutsche Regelungen die Vorschriften der ZPO über die Zustellung (§§ 166 ff. ZPO a.F. / n.F.) anzuwenden. Schließlich regelt die Rechtshilfeordnung in Zivilsachen (ZRHO) als Verwaltungsvorschrift, wie innerhalb von Verwaltung und Justiz mit ein- und ausgehenden Rechtshilfeersuchen umzugehen ist.
123 Veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 37ff. 124 Ausführlich hierzu unten § 3. 125 BGBI. 1994112660.
§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung 1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
Die Frage, ob die Zustellung gerichtlicher bzw. außergerichtlicher Schriftstücke einen Hoheitsakt darstellen muss, ist für das internationale Zustellungsrecht von zentraler Bedeutung 1• Bislang sind der überwiegende Teil von Literatur und Rechtsprechung zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen. Nach dieser Auffassung ist die Zustellung als Hoheitsakt zu qualifizieren. In den meisten Meinungsäußerungen zur Rechtsnatur der Zustellung wird dies allerdings ohne weitere Begründung mehr oder weniger kritiklos festgestellt. 2
a) Rechtsprechung
aa) Der EuGH Aus der Rechtsprechung des EuGH ist zwar keine eindeutige Aussage bekannt, nach der er Zustellungen ausdrücklich als Hoheitsakt qualifiziert. 3 Er scheint jedoch stillschweigend von dieser Qualifikation auszugehen, wenn er Vorlagefragen mitglied staatlicher Gerichte beantwortet, denn hinsichtlich der internationalen Zustellung wird regelmäßig der Zweck des strikten Beklagtenschutzes in den Vordergrund gestellt. 4 Die Gewährleistung von Beklagtenschutz erfolgt sinnvollerweise aber hoheitlich. Dass für die Beurteilung der rechtswirksamen Zustellung das Recht des Gerichtsstaates entscheidend ist, ergibt sich aus dem Grundsatz der institutionellen und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. 5 Solange es keine gemeinschaftsVgl. oben § l.l.c. Kritisch hierzu auch Schack, IZVR Rz. 589. 3 In Verfahren vor dem EuGH und dem EuG selbst werden Zustellungen im übrigen auf dem Postweg durch Einschreiben mit Rückschein oder durch tatsächliche Übergabe gegen Quittung veranlasst (Art. 79 EuGH-Verfahrensordnung, Art. 100 EuG-Verfahrensordnung). 4 Urteile des EuGH, die mangelhafte Zustellungen betreffen sind z. B. EuGH Slg. 1990, 2725 (Lancray SA gg. Peters und Sickert KG); EuGH Slg. 1981, 1593 (Klomps gg. Michel); EuGH Slg. 1982, 2723 (Pendy Plastic gg. Pluspunkt); EuGH Slg. 1985, 1779 (Debaecker und Plouvier gg. Bouwman). 5 Rodrfguez 19lesias, NJW 2000, 1889, 1892; Der EuGH folgt in seiner Peters-Entscheidung (siehe Fn. 4) der Auffassung, dass es die Entscheidung der nationalen Prozessrechte ist, 1
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§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
rechtlichen Regelungen gibt, geht der EuGH weiterhin vom Grundsatz der prozeduralen Autonomie der Mitgliedstaaten aus. 6 Damit schließt er sich zwangsläufig auch der Ansicht an, wonach der Staat verpflichtet ist, den Bürger vor bestimmten Verfahrenshandlungen zu schützen, die eine Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs beinhalten. Denn in den meisten europäischen Prozessrechten wird die Zustellung mit eben dieser Begründung als Hoheitsakt eingestuft? Im Rahmen seiner Entscheidungen zum Anerkennungsrecht nach dem EuGVÜ hat der EuGH auch wiederholt zur Frage der internationalen Zustellung zwischen den Mitgliedstaaten Stellung genommen. Dabei hat er zum Kriterium der Rechtzeitigkeit in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bereits zu Beginn der achtziger Jahre entschieden, dass auch das Zweitgericht im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat die rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Sinne von Art. 15 HZÜ 8 nachzuprüfen hat. Diese Nachprüfung sei notwendig, um die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten zu gewährleisten. 9 Seit der EuGH-Entscheidung Lancray SA gg. Peters und Sickert KG IO war ebenfalls entschieden, dass gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ eine Zustellung sowohl ordnungsgemäß als auch rechtzeitig erfolgt sein muss, damit das Urteil anerkannt werden kann. 11 Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte eine französischsprachige Klageschrift rechtzeitig, aber ohne die erforderliche deutsche Übersetzung zugestellt bekommen. Dies war für den EuGH nicht ausreichend, um das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit zu erfüllen. Dass diese Anforderungen im Sinne rechtsstaatlicher Ordnung innerhalb der Union nicht unbedingt notwendig sind, zeigen die
wann eine Auslandszustellung erforderlich ist. Damit macht er deutlich, dass er auch in seiner Rechtsprechung auf die mitgliedstaatlichen Prozessrechte aufbaut. Folge ist, dass die hoheitliche Einschätzung des Ausgangsgerichtsstaates sich auch auf die Verfahren vor dem EuGH bezieht. Dies entspricht dem lex-fori-Prinzip. Etwas anderes würde gelten, wenn es eine eindeutige, autonom auszulegende Regel des europäischen Rechts gäbe, die die Erforderlichkeit der Auslandszustellung definiert. 6 Jokisch, S. 93 f. m. w. N. 7 V gl. Schack, IZVR Rz. 589; zur Schutzfunktion des Zustellungsrechts vgl. unten § 2 l.b.aa. 8 Auch im Anwendungsbereich des EuGVÜ richten sich Zustellungen nach dem HZÜ, vgl. Art. IV des Protokolls zum EuGVÜ vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 11 S. 808); Künftig finden sich Zustellungsvorschriften in Art. 26 VO 44/01 lEG. 9 Pendy Plastic gg. Pluspunkt, EuGH Slg. 1982,2723; Zum Kriterium der Rechtzeitigkeit im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vgl. auch ausführlich OLG Köln EuZW 1995, 381 ff., das die Rechtzeitigkeit unabhängig von den Einlassungsfristen des ausländischen Gerichtsverfahrens beurteilen will. 10 EuGH Slg. 1990,2725. 11 EuGH IPRax 1991, 177, 178.
I. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
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"Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" 12
und die "Verordnung Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten" .13
In Art. 34 Nr. 2 va 44 / 01/ EG ist der bisher sehr strenge Maßstab des EuGVÜWortlauts (Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ) abgemildert worden. Eine Entscheidung wird demnach anerkannt auch wenn sie nicht rechtzeitig und/ oder in einer Weise zugestellt wurde, dass sich der Beklagte verteidigen konnte, wenn dieser trotz bestehender Möglichkeit keinen Rechtsbehelf gegen sie eingelegt hatte. Nach Art. 15 Abs. llit. b va 1347 /OO/EG ist zur grenzüberschreitenden Anerkennung eines Urteils im Gegensatz zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht eine ordnungsgemäße und rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks notwendig, sondern lediglich eine rechtzeitige Zustellung, die gewährleistet, dass sich der Antragsgegner verteidigen konnte. 14 Die strikte Linie der Peters-Entscheidung zum Beklagtenschutz hat der EuGH auch im Verfahren Hendrikman, Feyen gg. Magenta Druck und Verlag GmbH bezüglich anderer Fragen des vorlegenden niederländischen Gerichts weiterverfolgt, was erneut seine Auffassung zur Funktion von Zustellungsregelungen -und damit eben auch zur staatlichen Garantie des rechtlichen Gehörs- deutlich werden ließ. 15
bb) Deutsche Gerichte Die deutschen Gerichte haben ihre Ansicht über die Zustellung als Hoheitsakt zahlreichen Entscheidungen zugrunde gelegt. 16 Eine Begründung dafür sucht man 12 Also die EuGVÜ-Nachfolgeverordnung, Amtsblatt der EG Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. I ff. 13 Die Verordnung basiert auf der sogenannten Brüssel-II-Konvention (hierzu ausführlich Finger FuR 1998,346 ff.) und ist veröffentlicht im Amtsblatt der EG Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 19 ff.; ausführlich zur neuen Verordnung: Kohler; NJW 2001,10 ff. 14 Art. 15 Abs. 1 lit. b der Verordnung lautet: "Eine Entscheidung, die die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe betrifft, wird nicht anerkannt, wenn dem Antragsgegner; der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, es wirdfestgestellt, daß er mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist; ... ". IS Vgl. EuGH IPRax 1997, S. 333. 16 Vgl. etwa BVerfGE 63, 343, 371 ff., wo die Zustellung österreichischer Abgabenbescheide mittels Einschreiben als" in Deutschland zu bewirkender österreichischer Hoheitsakt" qualifiziert und, mangels Zustimmung deutscher Organe, kritisiert wird. Am Ende hatte
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§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
aber auch hier vergeblich. So hat etwa das Bundesverfassungsgericht in seiner bekannten Punitive Damages-Entscheidung über die Zulässigkeit der Rechtshilfe durch Zustellung einer Klage, in der Strafschadensersatz geltend gemacht wird, ausgeführt: "Die Zustellung ist ein staatlicher Hoheitsakt, mit dem ein ausländisches Gerichtsverfahren gefördert wird." 17
Auch die Zustellung einer Klage in Sachen Tschernobyl an den sowjetischen Botschafter wurde aus souveränitätsrechtlichen Gründen von deutschen Gerichten abgelehnt 18 : der Hoheitsakt einer Klagezustellung könne nicht an den sowjetischen Botschafter bewirkt werden. 19 In einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf2o zur Zustellung einer "antisuit injunction,,21 wurde die Rechtshilfehandlung mit der Begründung abgelehnt, sie sei nach Art. 13 Abs. I HZÜ geeignet, die Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden,z2 Zwar hat das Gericht durchaus erkannt, dass die englische Verfügung lediglich den Gegner des Rechtsstreits betraf und nicht direkt ein deutsches Gericht. 23 Es hat jedoch eine jedenfalls mittelbare Beeinträchtigung der deutschen Souveränität durch die Zustellung gesehen. Nur, wenn die Zustellung und ihre Durchführung als Hoheitsakt qualifiziert wird, kann man jedoch zum Schluss der Souveränitätsgefährdung kommen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist in der internationalen Zustellung vor allem deshalb ein Hoheitsakt zu sehen, weil durch sie ein ausländischer Staatsangehöriger unter die Gerichtsgewalt eines fremden Staates gezwungen wird. 24 Damit wird deutlich, dass der gesamten Diskussion der völkerrechtliche Ausgangspunkt der staatlichen Souveränität zugrunde liegt.
die Rüge des Beschwerdeführers jedoch keinen Erfolg, da seine verfassungsmäßigen Rechte dadurch nicht verletzt worden seien. Eine Übersicht über Entscheidungen deutscher Gerichte zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ findet sich zum Beispiel bei Rauscher; IPRax 1997,314 Fn. 1. 17 BVerfGE 91,335,339. 18 LG Bonn 11. 2.1987-5 T 151186, IPRax 1987,231; OLG Köln 23. 3. 1987-1 W 14/87, IPRax 1987, 233 (Zusammenfassung) - zu heiden Entscheidungen Mansei, IPRax 1987,210 ff. 19 Vgl. Mansei, IPRax 1987, 210, 211; zu den immunitätsrechtlichen Fragen ausführlich: Heß, RIW 1989,254 ff. 20 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1996-3 VA 11195, ZZP (109) 1996,221 mit Anmerkung Stümer; ZZP (109) 1996,224; hierzu auch: Hau, IPRax 1997,245 ff. 21 Eine antisuit injunction ist das Verbot des Prozessgerichts an einen Beteiligten am Rechtsstreit, den Streit vor einem ausländischen Gericht (weiter-) zu führen, vgl. Maack, S.24. 22 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1996-3 VA 11/95, ZZP (109) 1996,221, 222. 23 Zu dieser Unterscheidung (kritisch) Berti, Liher Amicorum Kurt Siehr, S. 38 f. 24 Vgl. BGHZ 58, 197.
I. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
43
b) Literatur In der Literatur findet man oft keinen Begründungsversuch zur Rechtsnatur der Zustellung. Auch hier wird - häufig kritiklos - von einem Hoheitsakt ausgegangen?5
Pfeiffer argumentiert freilich, dass der Zustellungsadressat26 keine Wahl habe, sondern sich auf das Verfahren einlassen müsse, um keine Rechtsnachteile zu erleiden?? In dieser "mittelbaren Zwangswirkung" manifestiere sich der Eingriffscharakter der Zustellung, deren "Einordnung als Hoheitsakt somit unausweichlich" bleibe. 28 Als Kronzeugen führt er hierbei das Bundesverfassungsgericht an. 29 Siegrist betont, dass für die Einstufung der internationalen Zustellung als Hoheitsakt ebenfalls spreche, dass diese durch Postbeamte, und damit durch Hoheitsträger ausgeführt werde. Diese würden durch eine fremde Staatsgewalt für die Verfolgung fremder Ziele eingesetzt. Die Antwort auf die Frage, ob bereits die Benutzung der ausländischen Post fremde Hoheitsrechte verletze, könne daher nur "Ja" lauten. 3D Braun ist der Ansicht, dass innerhalb der Europäischen Union kein Anlass bestehe, über die Einstufung der Zustellung als Hoheitsakt nachzudenken. Wenn er allerdings schreibt: "Außerdem besteht zwischen den EG-Staaten ein funktionierendes Rechtshilfesystem, das die Übermittlung gerichtlicher Schriftstücke im direkten Verkehr der lustizbehörden oder über zentrale Stellen ausreichend zügig erledigt.,,31,
so verkennt er nicht nur die prozessuale Realität in Europa hinsichtlich der internationalen Zustellung, sondern befindet sich in einem fundamentalen Irrtum. 32
25 Z. B. Pfennig, S. 1, S. 14; Schmitz, S. 12; K.I. Mössle, S. 108 f.; Maack, S. 90; Frank, S. 34 Fn. 21; Pfeil-Kammerer; S. 24; Nagel/Gottwald, IZPR, § 7 Rz. 2; Stadler; S. 284 ff.; Zöller-Geimer; § 199 Rz. 3; auch G. Geimer; S. 129 ff., will offenbar bei der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke an die Parteien eines Rechtsstreites nicht von der Einordnung als Hoheitsakt abrücken. 26 Also regelmäßig der Beklagte. 27 Pfeiffer; Prozeßhandlungen, S. 88, der mit Rechtsnachteilen wohl den Erlass von Versäumnisentscheidungen gegen den Zustellungsadressaten meint. 28 Ebd. 29 BVerfG NJW 1995,649,649, das zwar einen hoheitlichen Charakter bejaht, aber einen möglichen Eingriff in Art. 2 Abs. I GG durch Zustellung einer V.S.-amerikanischen punitive damages-Klage jedenfalls als gerechtfertigt ansieht. 30 Sieg rist, S. 173. 31 Braun, S. 155. 32 Ein Beispiel: Die Dauer für die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens an Spanien beträgt nach Rahm/ Künkel, VIII. Kapitel, Rz. 42: mindestens 2 Jahre, wenn überhaupt! Außerdem ist zu beachten, dass durch die Zustellung das jeweilige Prozessrechtsverhältnis begründet wird.
§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
44
G. Geimer will 33 zwischen dem indiviualrechtlichen Ansatz der Begriindung eines Hoheitsaktes und einem rein zwischenstaatlichen Ansatz 34 unterscheiden. Dabei gibt er letzterem den Vorzug. 35 Diese Ansicht ist jedoch jedenfalls in der Europäischen Union nicht mehr angemessen. Das Ziel des Zustellungsrechts im Binnenmarkt muss es sein, einen Dienstleistungsrahmen für Private zu errichten. Staatliche Souveränitätsvorstellungen nach herkömmlichem völkerrechtlichem Muster haben darin keinen Platz mehr. Vielmehr muss sich staatliche Gewalt im innereuropäischen Prozessrechtsverkehr darauf beschränken, einen einheitlichen Raum des Rechts zugunsten der Büger zu schaffen. Der innereuropäischen prozessrechtlichen Freizügigkeit würde es aber widersprechen, wenn ein Staat aus Souveränitätsgriinden verweigern würde, dass ausländische Institutionen in seinem Gebiet Zustellungen "veranstalten,,36. Bei der Berufung auf staatliche Prüfungsund Eingriffsbefugnisse anlässlich der Zustellung aus dem EU-Ausland kann es daher allenfalls noch um den individuellen Schutz gehen. aa) Die Schutzfunktion Wenn man näher untersucht, welchen Sinn die Einordnung der Zustellung als Hoheitsakt haben kann, so ist das stärkste Argument der Befürworter der Hoheitsakt-Theorie sehr deutlich zu sehen: eine Verletzung von nationalen Zustellungsvorschriften durch die Behörde eines anderen Staates bedeutet einen Eingriff in die Souveränität des Zustellungsstaates. Auf Grundlage des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips, nach welchem kein Staat Handlungen eines anderen Staates auf seinem Territorium dulden muss 37, scheint das weitere Schicksal des Rechtsstreits, der durch fehlerhafte Zustellung in Gang gekommen ist, im Zustellungs- und möglicherweise auch Vollstreckungsstaat damit besiegelt. Eine VollstreckbarerkIärung durch das Zweitgericht ist wohl ausgeschlossen. 38 So wird dann auch argumentiert, dass die "einlösbare Funktion völkerrechtlicher Regeln bei der internationalen Zustellung" darin liegen müsse, dass "jeder Staat Schutzpflichten zugunsten der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Personen ausübt. ".39 Inhalt solcher Schutzpflichten sei "in der Regel nur die Sicherung angemessener Kenntnisverschaffung zugunsten der gebietsansässigen Zustellungsadressaten ".40 Entgegen der überwiegenden Literaturrneinung, vgl. G. Geimer, S. 173 f. Also eine Betrachtung der Frage auf der Ebene des Zwischen-Staaten-Rechts. 35 G. Geimer, S. 174. 36 Ebd. 37 Schack, IZVR, Rz. 133. 38 Diese vereinfacht dargestellte Konstellation ist der Ausgangspunkt praktisch sämtlicher Gerichtsentscheidungen zum internationalen Zustellungsrecht. 39 Pfeiffer, Prozeßhandlungen, S. 88; vorsichtiger allerdings ders., S. 89: " Vor diesem Hintergrund scheint ein völliger Verzicht auf das Prinzip der völkerrechtlichen Schranken internationaler Zustellung nicht indiziert. " 33 34
1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
45
Nach diesen Ausführungen sollen also internationale Zustellungsregelungen letztlich verurteilte Privatrechtspersonen vor der Vollstreckung von Entscheidungen schützen, von denen sie keine Kenntnis hatten.
bb) Die Warnfunktion Neben der Schutzfunktion wird zusätzlich argumentiert, die Zustellung als Hoheitsakt diene auch der Warnung des Empfängers. 41 So trägt Stümer vor, allein durch die Mitwirkung einer deutschen Behörde werde der Empfänger vor möglichen nachteiligen Folgen, nämlich" leichtfertigen Reaktionen", gewarnt. 42 Mit praxisbezogener, beachtlicher Begründung plädiert auch Braun für die grundsätzliche Beibehaltung der Qualifikation als Hoheitsakt. Er argumentiert in Anlehnung an das U.S.-amerikanische Zustellungsrecht: "Wer nähme schon eine Übermittlung durch einen völlig Unbekannten bei sich zu Hause, im Restaurant oder sogar auf offener Straße emst?,,43
Dabei beachtet er jedoch nicht, um mit einem ebenfalls praxisbezogenen Argument zu antworten, dass ein so zugestelltes Schriftstück regelmäßig einen beim Empfänger bekannten Absender, zum Beispiel den Namen eines Geschäftspartners, trägt. Es würde daher keineswegs als lästige Postwurfsendung oder Werbebroschüre angesehen werden. Hinzu kommt, dass ein Fehlgehen der "Warnung" im Erkenntnisverfahren immer noch im Rahmen des Anerkennungsverfahrens korrigiert werden könnte. 44
cc) Die Aufklärungsfunktion Schließlich wird angeführt, dass der Empfänger durch die nach deutschem Recht erforderliche Förmlichkeit immer in die Lage versetzt werde, auch eine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks zu verlangen: "Es ist nicht gut, den Bürger der EG in einer ihm nicht oder schwer verständlichen Sprache vor ein fremdes Gericht zu rufen. Es reicht, wenn er später in einer fremden Sprache, mit fremden Anwälten, vor fremden Richtern und unter fremden Prozessregeln sein Recht wahrnehmen muss. ,,45
Ders., S. 89. Stümer; JZ 1992, 325,330. 42 Ebd. 43 Braun, S. 151 ff. 44 So auch Kondring, IPRax 1997,242,244; Der geplante europäische Vollstreckungstite1 spielte für die Argumentation der Befürworter der Hoheitsakttheorie noch keine Rolle. 45 Stümer; JZ 1992,325,330. 40
41
46
§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
Es handele sich insoweit um eine Aufklärungsfunktion, die durch die Zustellungsregelungen gewährleistet sei.46
c) Voraussetzungen der Qualifikation
der Zustellung als Hoheitsakt
Um feststellen zu können, ob die Zustellung in Zivilsachen auch heute noch zwingend als Hoheitsakt gesehen werden muss, ist zunächst ein Blick auf die abstrakten Voraussetzungen von Hoheitsakten zu werfen. Im Anschluss daran ist zu untersuchen, ob die Aufgaben der Zustellung auch auf privater Ebene erfüllt werden könnten.
aa) Gewährleistung rechtlichen Gehörs als staatliche Aufgabe Der Anknüpfungspunkt der herrschenden Meinung zur Rechtsnatur der Zustellung ist, dass die Zustellung der Erfüllung staatlicher Aufgaben diene. Dies soll die Einstufung als Hoheitsakt begründen. Gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hat der Staat die Verpflichtung, allen Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Die gerichtlich verfügte Zustellung wird daher als direkte Folge des Justizgrundrechts auf rechtliches Gehör angesehen.47 Der Staat gewährleiste ein "subjektives Prozeßrecht" der Bürger.48 In Art. 6 Abs. 1 EMRK ist das rechtliche Gehör auch für den Zivilprozess vorgeschrieben49 , ebenso wie in Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948. Es herrscht damit sowohl national als auch international Einigkeit, dass es zumindest hoheitliche Aufgabe ist, allen Beteiligten eines staatlichen Gerichtsverfahrens rechtliches Gehör zu gewähren.
bb) Zustellung durch staatlichen Organisationsapparat Der traditionellen Ansicht des Hoheitsakts entspricht ebenfalls, dass ein staatlicher Organisationsapparat diesen erst ermöglicht. 5o Dies trifft dann auch auf Zustellungen zu, solange das Postwesen noch staatliche Aufgabe iSt. 51 Sieg rist trägt 46 Ebd.; Deutlicher ist diese Funktion bei der französischen Signification gewährleistet, bei der eine Erläuterung durch den huissier de justice erfolgt. 47 v. Münch-Kunig, Art. 103 Rz. 15. 48 Bonner Kommentar-Rüping, Art. 103 Abs. 1, Rz. 23. 49 van Dijk/van Hoof, S. 428. 50 Siegrist, S. 166. 51 Ders. S. 173.
1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
47
hierzu vor, dass wegen der völkergewohnheitsrechtlichen Regel der staatlichen Organisations- und Personalhoheit "No state has any right at all to employ [ . . . ] other agents to effect on its behalf service 0/ documents in another state . ..52
cc) Beurkundung als hoheitliche Aufgabe Da die (förmliche) Zustellung nach alter gesetzlicher Definition in der beurkundeten Übergabe bestand (vgl. §§ 170, 190 f. ZPO), stellte die Beurkundung eine Wirksamkeitsvoraussetzung dar. 53 Sie erfolgte bislang durch Postbeamte als Staatsbedienstete. Die Neustrukturierung des deutschen Postrechts macht nunmehr auch eine Neubewertung dieses bislang originär hoheitlichen Beurkundungsaktes notwendig 54 : Aus Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich, dass bestimmte Postdienstleistungen als privatwirtschaftliche Tätigkeiten durch die Deutsche Post AG und andere private Anbieter erbracht werden. Gemäß § 5 Abs. 1 PostG bedarf einer Lizenz, wer Briefsendungen, deren Einzelgewicht nicht mehr als 1000 Gramm beträgt, gewerbsmäßig für andere befördert. Auf die Erteilung einer solchen Lizenz besteht gemäß § 6 Abs. I Satz 3 PostG ein Rechtsanspruch, soweit nicht ein Versagungsgrund gemäß § 6 Abs. 3 PostG vorliegt.55 § 33 Abs. 1 PostG statuiert die Verpflichtung eines Lizenznehmers, der Briefzustelldienstleistungen erbringt, Schriftstücke unabhängig von ihrem Gewicht nach den Vorschriften der Prozessordnungen und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln, förmlich zuzustellen. 56 In diesem Umfang ist der Unternehmer dann als Beliehener mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet. Die Zustellpersonen sind also nicht mehr Postbeamte und damit Staatsbedienstete. Sie nehmen als Beliehene lediglich abgeleitete Hoheitsbefugnisse wahr.
52 Ders. S. 173 f. ; Diese Auffassung mutet angesichts der Rechtswirklichkeit von Postzustellungen eher theoretisch an. 53 Zu den Folgen einer Neudefinition durch das Zustellungsreformgesetz vgl. unten § 5.1.b. 54 Vgl. auch Gottwald, Festschrift Schütze, S. 229; ausführlich zur Beweiskraft von Zustellungsurkunden: Graßhoj, S. 132 ff. 55 Versagungsgründe sind demnach: fehlende Leistungsfahigkeit, Zuverlässigkeit oder Fachkunde; Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung; nicht unerhebliche Unterschreitung der bei der Beförderung von Briefsendungen bis 1000 Gramm üblichen Arbeitsbedingungen. 56 Allerdings hat die Regulierungsbehörde (Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, vgl. §§ 66 ff. TelekommunikationsG) den Lizenznehmer auf Antrag von dieser Verpflichtung zur förmlichen Zustellung zu befreien, wenn er nicht marktbeherrschend ist und eine flächendeckende förmliche Zustellung gewährleistet bleibt (§ 33 Abs. 2 PostG).
48
§ 2 Volkerrechtliche Fragen der Zustellung
Damit werden Beurkundungen durch Privatunternehmen aber nur noch im Wege einer Fiktion als Hoheitsakt angesehen (§§ 195 Abs. 2 Satz 3 a.F., 418 ZPO). d) Kritik Jede rechtliche Regelung im internationalen Zivilrechtsverkehr muss sich daran messen lassen, welchen Nutzen sie in der Praxis erzielt. Entgegen der Auffassung Stürners ist daher auch die Rechtsprechung des EuGH, die sich an der Qualifikation der Zustellung in den Mitgliedstaaten orientiert, nicht schon deshalb zu begrüßen, weil sie deutschen Vorstellungen vom Wesen einer Zustellung entgegen kommt. 57 Denn damit ist noch nichts über die Effizienz der deutschen oder internationalen Zustellungsvorschriften gesagt. Es fragt sich vielmehr, ob die in den Begründungen zur Qualifikation der Zustellung als Hoheitsakt genannten Funktionen auch in einem privaten und damit effizienteren Verfahren erfüllt werden könnten. 58
aa) Die Schutzfunktion Der von der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung vertretenen Schutzschildtheorie ist zuzugeben, dass sie ihren Dienst in der Vergangenheit gewiss getan hat. Der Regelfall in Zeiten abgrenzbarer Wirtschaftskreisläufe war, dass Vermögensmassen zum Beispiel auch von international tätigen Unternehmen dennoch im Heimatstaat des Unternehmens blieben. Gab es also Rechtsstreitigkeiten, die eine internationale Zustellung notwendig beinhalteten, so war der Kläger gezwungen, mit seinem im Heimatstaat erstrittenen Urteil zu versuchen, im Herkunftsland des Verurteilten eine Vollstreckung zu erreichen. Hatte im Erkenntnisverfahren der Verurteilte mangels ordnungsgemäßer Zustellung keine Möglichkeit gehabt, sich gegen die Klage zu verteidigen, so wurde die Vollstreckung verweigert. Der Staat hatte ihn somit vor negativen Folgen geschützt. ( 1) Wirtschaftliche Realität
Mit dieser streng am bisherigen Völkerrecht orientierten, dogmatischen Lösung kann jedoch keiner der am Rechtstreit Beteiligten zufrieden sein. Mittlerweile haben sich die internationalen Wirtschaftsbeziehungen drastisch verändert. Die Schutzschildtheorie zeugt von einem nicht mehr zeitgemäßen Ver57 So aber Stümer, JZ 1992, 325, 330: "Die Entscheidung des EuGH kommt also deutschen Vorstellungen vom Wesen einer Zustellung entgegen und ist deshalb zu begrüßen . .. 58 Von höherer Effizienz einer privaten Organisation des Zustellwesens ist deshalb auszugehen, weil in einem solchen System die jeweilige, die Zustellung veranlassende Partei seIbst die Verantwortung für die Übermittlung trägt. Sie wird regelmäßig ein höheres Interesse an einer zügigen Zustellung haben, als ein Geschäftsstellenbeamter.
1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
49
ständnis wirtschaftlicher Beziehungen und schadet auch den eigenen Staatsangehörigen. Die zunehmende europäische, aber auch darüber hinausgehende internationale Verflechtung der Wirtschaft hat zum einen dazu geführt, dass die Schutzschildfunktion ihre Wirkung im Handelsverkehr gar nicht mehr entfalten kann. Denn eine immer größere Zahl international tätiger Unternehmen hat inzwischen auch im Ausland vollstreckbares Vermögen. Die großen internationalen Fusionen der letzten Zeit machen deutlich, dass in diesem Bereich das Prozessrecht der wirtschaftlichen Realität hinterherhinkt.
(2) Kein rechtshilferechtlicher ordre public Wenn darüber hinaus heute zwar vorgetragen wird, die hoheitliche Einordnung der Zustellung diene grundsätzlich nicht der Überprüfung des materiellen Gegenstandes der Klage, sondern nur der Sicherung angemessener Kenntnisverschaffung zugunsten des gebietsansässigen Adressaten 59 , so wird dieses eigentlich gewichtige Argument durch das unscharfe Eingeständnis entwertet, dass wiederum dann eine Ausnahme angebracht wäre, wenn das Klageziel "offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaates verstieße ,,60. Auch der Hinweis auf internationale Menschenrechtsübereinkommen kann diese Ausnahme nicht präzisieren. Es liegt der Verdacht nahe, dass eben doch mittels des Zustellungsrechts materiell-rechtlich unliebsamen Entscheidungen die Durchsetzung verweigert werden soll. Hierfür stellt das Zustellungsrecht aber nicht das richtige Forum dar. 61 Es darf im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens kein "kleines Anerkennungsverfahren" geben, bei dessen negativem Ausgang die Zustellung verweigert wird. 62 Ein solcher zustellungsrechtlicher ordre public hätte letztlich zur Folge, dass auch für in Deutschland gebietsansässige Parteien die Führung eines Rechtsstreites wesentlich schwieriger würde.63 Der Gesetzgeber sollte sich vielmehr darauf beschränken, mit dem Zustellungsrecht eine Dienstleistungsordnung zur Verfügung zu stellen, die der Streitentscheidung zwischen Privatpersonen dienlich ist.
Pfeiffer, Prozeßhandlungen, S. 89. Ebd. 61 So auch Schlosser, EuGVÜ, Art. 13 HZÜ Rz. 3. 62 Für eine Zustellungshilfe auch bei negativer Anerkennungsprognose plädiert ebenfalls G. Geimer, S. 69. 63 Dies hat auch das BVerfG NJW 1995, 649, 651 in seiner punitive damages-Entscheidung erkannt: "Schließlich ist zu bedenken, daß die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, inländischen Parteien im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten eine Form der Zustellung zu gewährleisten, die ihre Chancen zur wirksamen Beteiligung sicherstellt, empfindlich beeinträchtigt wären, wenn die Zustellung solcher Klagen abgelehnt würde. " Zum dieser Einschätzung weiter zugrunde liegenden völkerrechtlichen Prinzip der Gegenseitigkeit vgl. unten § 2.3. 59
60
4 Shanna
§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
50
Ein "zustellungsrechtlicher ordre public" ist im europäischen Rechtsraum nicht mehr vertretbar. 64 G. Geimer weist bereits für das allgemeine internationale Zustellungsrecht nach, dass dies für die Zustellung aller in den letzten Jahren umstrittenen Rechtsfiguren gilt, nämlich für die Zustellung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, punitive damages-Klagen 65 , dass actions, antisuit injunctions66 , sowie für Subpoenas. 67 Mit besonderem Fokus auf die Europäische Union muss dies angesichts des wesentlich höheren Harmonisierungsstandes erst recht gelten. Hierfür spricht auch, dass in der neuen EZV0 68 keine dem Art. 13 Abs. 1 HZÜ entsprechende Vorbehaltsklausel mehr enthalten ist. 69 Eine Gefährdung der Hoheitsrechte Deutschlands durch die Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks in Zivil- oder Handelssachen aus einem EU-Partnerstaat an eine in Deutschland gebiets ansässige Person ist schwerlich vorstellbar. Schlosser identifiziert als mögliche Ablehnungsgründe nach Art. 13 Abs. I HZÜ70 zwei Denkmodelle. Zum einen könnte die Sicherheit dann gefährdet sein, wenn in dem zuzustellenden Schriftstück zu einem rechtswidrigen Tun oder Unterlassen aufgefordert wird. Zum anderen könnte eine Gefährdung vorliegen, wenn durch die Zustellung fundamentale Freiheitsrechte tangiert würden. 71 Beide Ablehnungsgründe, die schon im Rahmen des HZÜ praktisch nicht zur Anwendung kommen, erscheinen innerhalb des europäischen Binnenmarktes ausgeschlossen. 72 Darüber hinaus ist für die Europäische Union zu beachten, dass, im Vergleich zum allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht, durch die Europäischen Gerichte ein erhöhter Rechtsschutz besteht. Urteile nationaler Gerichte, die fundamentalen Rechten von Prozessbeteiligten nicht gerecht werden, haben regelmäßig die Chance, an den allgemein anerkannten Grundrechtsstandards des EGRechts gemessen zu werden. (3) Integrationsstand der Prozess rechte und Umsetzung der Verträge
Es muss ebenfalls ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob das enge Souveränitätsdenken der Mitgliedstaaten den gemeinsamen Zielen der Europäischen UniDifferenzierend: Stümer, ZZP (109) 1996,221,224. Vgl. auch BVerfG NJW 1995,649. 66 Ausführlich zur Zustellung englischer antisuit injunctions und ordre public: Maack, S. 84 ff.; hierzu auch: Berti, Liber Amicorum Kurt Siehr, S. 39 f. 67 G. Geimer, S. 72 ff. 68 Ausführlich zur EZVO, unten § 5. 69 Zur von Maack, S. 129 ff. aufgeworfenen Frage eines ungeschriebenen Ablehnungstatbestandes im EZÜ vgl. unten, § 3.6.b.cc. 70 Neben der Gefährdung von Hoheitsrechten des Zustellungsstaates. 71 Schlosser, EuGVÜ Art. 13 Rz.2. n Zu Einzelfällen vgl. Schlosser, EuGVÜ Art. 13 Rz. 6. 64 65
1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
51
on, die auch in den Verträgen zum Ausdruck kommen73 , nicht schon früher widersprochen hat. 74 Wenn etwa ein Erwägungsgrund zur neuen EZVO statuiert, "Die Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau dieses Raums erläßt die Gemeinschaft unter anderem im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen.,,75,
so stellt sich die Frage, ob die durch die mitgliedstaatliche Einstufung der Zustellung als Hoheitsakt entstehenden Reibungsverluste nicht einem "reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes" im Wege stehen. Die einschlägigen Urteile und Berichte über internationale Zustellungen innerhalb des Binnenmarktes76 und die Dauer der Zustellungsverfahren in den EU-Mitgliedstaaten 77 sprechen eher dafür. Am Beispiel einer Entscheidung des OLG Saarbrücken wird deutlich, welche Folgen die im internationalen Zustellungsrecht bestehenden, überaus komplizierten und unübersichtlichen Regelungen, welche ihren Grund in dem angesprochenen Souveränitätsdenken finden, haben können78 : Die französische Klägerpartei hatte aufgrund eines französischen Versäumnisurteils die deutsche Vollstreckbarerklärung beantragt und diese auch erlangt. Daraufhin legte die deutsche Beklagte Beschwerde ein, und das OLG Saarbrücken hatte nun zu entscheiden, ob eine ordnungsgemäße Zustellung im Sinne von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vorlag. Der deutsche Gerichtsvollzieher hatte gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1 der deutsch-französischen Zusatzvereinbarung zur Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs vom 6. Mai 1961 (ZV)79 und Art. 5 Abs. 3 HZÜ die formlose Zustellung versucht, war aber gescheitert, da der Adressat die Annahme verweigerte. Eine förmliche Zustellung war nicht ausdrücklich beantragt worden, so dass der Gerichtsvollzieher die Klage mit entsprechendem Vermerk wieder nach Frankreich zurücksandte. Hätte er gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ in Verbindung mit §§ 166 ff. ZPO eine förmliche Zustellung versucht, so hätte er bei Erfolglosigkeit das Schriftstück nach § 186 ZPO a.F. (Zustellung bei verweigerter Annahme) beim Adressaten zurücklassen können. Selbst die für eine förmliche Zustellung erforderliche Übersetzung Vgl. nur die Präambeln zum EUVoder Amsterdamer Vertrag. Meyer, Europäisches Übereinkommen über die Zustellung, IPRax, 401,404; zu den konkreten Auswirkungen des EG-Rechts auf das Zustellungsrecht vgl. unten § 5. 75 Amtsblatt der EG Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 37. 76 Als eindrucksvolles Beispiel siehe sogleich die Entscheidung des OLG Saarbrücken, IPRax 1995,35 ff. 77 Vgl. die Aufstellung in Rahm/ Künkel, VIII. Kapitel, Rz. 42. 78 OLG Saarbrücken, IPRax 1995, S. 35 ff. 79 BGBI. 196111 1041. 73
74
4*
§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
52
war beigefügt. Daraus hätte der Gerichtsvollzieher möglicherweise den Schluss ziehen können, dass konkludent auch die förmliche Zustellung beantragt war. Er entschied sich jedoch anders. Aufgrund der Ansammlung verschiedener Vorschriften hatte der Gerichtsvollzieher offensichtlich die Übersicht verloren oder er wollte die Verantwortung für die förmliche Zustellung nicht übernehmen. 8o Für die französische Klägerin war der Grund des Unterbleibens der Zustellung letztlich unbedeutend, weil sie ihren Titel nicht durchsetzen konnte. Die deutsche Beklagte war zwischenzeitlich in Konkurs gefallen. Damit war sicherlich im Sinne der Schutzschildtheorie die deutsche Beklagte vor nachteiligen Folgen geschützt. Eine effektive Rechtsdurchsetzung, wie sie im Binnenmarkt selbstverständlich sein sollte, war jedoch nicht gewährleistet. Sie scheiterte an unnötigen Formalismen. 81 Hinzu kommt, dass nunmehr Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EG die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem EG oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben, zu treffen. 82 Die Vertrags staaten müssen nach Art. 10 Abs. 2 EG auch alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrags gefährden könnten, unterlassen. 83 Art. 61 lit. c EG statuiert aber, dass die Union zum schrittweisen Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, im Bereich der justitiellen Zusammenarbeit Maßnahmen nach Art. 65 EG erlässt. Gleichzeitig sieht die Europäische Union wiederum die Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Sinne von Art. 65 lit. a EG als für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich an. Dies folgt schon aus der Tatsache, dass der Rat am 29. Mai 2000 die neue EZVO beschlossen hat. Daraus ergibt sich, dass spätestens seit der Vergemeinschaftung des europäischen Zustellungsrechts durch den Amsterdamer Vertrag eine unnötige Behinderung von Zustellungen, etwa unter Berufung auf einen zustellungsrechtlichen ordre public, durch das Erfordernis des gemeinschaftstreuen Verhaltens nach Art. 10 EG ausgeschlossen ist. Die langwierige Überprüfung von Rechtshilfeersuchen aus EU-Partnerstaaten würde diesem Prinzip ebenfalls nicht gerecht werden. 84
Vgl. hierzu ausführlich Heß. IPRax 1995, S. 16, S. 19. Zur rechtspolitischen Bewertung der komplizierten Zustellungsregelungen des HZÜ vgl. auch Schack. JZ 1993,621,622. 82 Schwarze-Hatje. Art. 10 EG Rz. 43. 83 Ders. Art. 10 EG Rz. 47. 84 Vgl. auch Heß. NJW 2001, 15. 17. 80 81
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(4) Die Umgehung der Schutifunktion Ein weiteres, wenn auch für sich allein nicht zwingendes Argument spricht gegen die Einordnung der Zustellung als Hoheitsakt. Auch durch die heutigen Regelungen wird nämlich keineswegs der lückenlose Schutz eines inländischen Zustellungsempfängers gewährleistet. Sollte etwa die deutsche Zustellungsbehörde die Zustellung eines ausländischen verfahrenseinleitenden Schriftstücks an eine gebietsansässige Person verhindern, so hätte dies für das ausländische Verfahren lediglich eine Verzögerung zur Folge. Im Rahmen des HZÜ würde durch das ausländische Gericht am Ende Art. 15 Abs. 2 HZÜ angewandt, der den Fortgang des ausländischen Verfahrens nach einer Wartefrist von sechs Monaten erlaubt. 85 Wenn, was im internationalen Rechtshilfeverkehr durchaus möglich ist, zudem die absolute Wiedereinsetzungsfrist von einem Jahr (§ 234 Abs. 3 ZPO) verstrichen ist, hat der Beklagte keine Möglichkeit mehr, sich gegen das Urteil zu wehren. Denn dann liefe auch die in Art. 16 Abs. I HZÜ vorgesehene Wiedereinsetzungsmöglichkeit ins Leere. Außerhalb des HZÜ86 fav.den die autonomen Regelungen des Gerichtsstaats, die dann regelmäßig zu einer Zustellungsfiktion führen, Anwendung. 87
bb) Beibehaltung der Warn- und Aufklärungsfunktion? Die, wie Stürner meint 88 , durch die Einstufung der Zustellung als Hoheitsakt erzielbare Wam- und Aufklärungsfunktion könnte auch auf anderem Wege erreicht werden. Dass ein Bürger auf die Zustellung einer Klage leichtfertig reagieren könnte, ist gewiss nicht davon abhängig, ob der Überbringer eines Schriftstücks ein Bediensteter eines privaten Zustelldienstes ist oder eine Privatperson. Der Zustellungsempfänger könnte heute schon gar nicht entscheiden, ob der Überbringer ein Beliehener nach § 33 Abs. I PostG oder eine andere Privatperson ist. Wer die Zustellung schlussendlich bewirkt, wäre dann unerheblich, wenn dem Verfasser und Überbringer des Schriftstücks ein Mindestmaß an Inhalt gesetzlich vorgeschrieben würde. Dazu könnten beispielsweise die gleichen Bestandteile zählen, wie sie bislang von § 253 ZPO bei der Zustellung einer Klageschrift verlangt werden. Denkbar ist auch, einheitliche Deckblätter89 für Klageschriften zu erstellen, um die gewünschte "Wamfunktion" zu erhalten. 9o 85
Voraussetzung
ist allerdings,
dass
der Vertrags staat eine Erklärung gemäß
Art. 15 Abs. 2 HZÜ abgegeben hat, vgl. hierzu Jayme/ Hausmann, Nr. 107 Fn. 9.
86 Auch die bilateralen Rechtshilfabkommen sehen lediglich eine Karenzfrist und nicht ein gänzliches Scheitern der Verfahren vor. 8? Zur deutschen Fiktion des § 175 ZPO a.F. vgl. unten § 2.2. 88 Stümer; JZ 1992,325,330. 89 In der gebotenen Klarheit, so dass sie auch für Laien verständlich sind.
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§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
Soweit argumentiert wird, die hoheitliche Einordnung diene auch dadurch dem inländischen Beklagten, dass bei förmlicher Zustellung stets eine Übersetzung verlangt werden könne 91 , überzeugt dies nicht. Auch die Befürworter der Schutzschildtheorie sehen ein, dass ein Beklagter oder sein Prozessvertreter im Laufe des Verfahrens vor dem Erstgericht mit einer möglicherweisen fremden Sprache zurecht kommen müssen. Die künstliche Unterscheidung, dass dies beim verfahrenseinleitenden Schriftstück jedoch noch nicht der Fall sein soll, leuchtet nicht ein. Durch eine Übersetzung geht nicht nur viel Zeit für den Kläger verloren, sie kann auch erhebliche zusätzliche Kosten beim inländischen Beklagten verursachen, wenn diesem bei Unterliegen im Prozess die Übersetzungskosten auferlegt werden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang allerdings weiter, wie sich die Sprachenvielfalt im Europäischen Binnenmarktprozess fortentwickeln wird. Es ist wahrscheinlich, dass im Zuge der Erweiterung der Union zukünftig auch vermehrt Fremdsprachen in die Verfahren vor nationalen Gerichten Einzug halten werden. Zusätzlich ist bereits absehbar, dass sich mittelfristig das Sprachenproblem für europäische Anwälte immer weiter relativiert. Schon heute kommunizieren nicht nur Großkanzleien, sondern auch Sozietäten mittlerer Größe und kleine, spezialisierte Kanzleien mehrsprachig. Mit dem Fortgang dieser Entwicklung wird aber auch das Argument der Aufklärungsfunktion an Bedeutung verlieren. Mehrsprachigkeit der Rechtsberatung wird künftig zu einer wichtigen beruflichen Qualifikation für Rechtsberater werden. Soweit diese den neuen Anforderungen nachkommen, steht auch nicht zu befürchten, dass Prozessparteien über Verfahrensinhalte nicht aufgeklärt werden. 92
cc) Die Neubewertung Es ist deutlich geworden, dass die Befürworter der Einstufung der Zustellung als Hoheitsakt durchaus legitime Interessen verfolgen. Für sie steht der Schutz des 90 Vgl. auch die Schlussfolgerungen des Vorsitzes Europäischer Rat (Tampere) 15./16. 10. 1999, B.V.Nr. 31, die in die gleiche Richtung tendieren: "Für mehrsprachige Formulare oder Schriftstücke, die in grenzüberschreitenden gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten unionsweit anzuwenden wären, sollten gemeinsame Mindeststandards aufgestellt werden. Deranige Schriftstücke oder Formulare sollten dann unionsweit bei allen Gerichtsveifahren als gültige Dokumente gegenseitig anerkannt werden. "; vgl. dazu auch die Planungen der Kommission: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines "Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" in der Europäischen Union, 3.1 (S. 14), Dokument KOM (2000) 167 endgültig, vorn 24. März 2000. 91 Stümer, JZ 1992,325,330. 92 Zu erwägen ist allerdings, dass in solchen Streitigkeiten, in denen kein Anwaltszwang herrscht (in Deutschland zumeist im amtsgerichtlichen Verfahren), Übersetzungserfordemisse angeordnet werden.
1. Die Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt
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Beklagten im internationalen Zivilprozess im Vordergrund. 93 Insoweit wirft ihnen auch niemand vor, sie seien Anhänger "eines Souveränitätsdenkens", das "historischer Ballast eines überholten kleinstaaterischen Absolutismus" ist. 94 Vielmehr gibt es zu dieser Zielsetzung keine Alternative. Sie stellt eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz einer weiteren internationalen und europäischen Integration auch im justiziellen Bereich dar. (J)
Beachtung aller Interessen eines Rechtsstreits
Zu fragen ist aber, ob diese Zielsetzung mit anderen Interessen eines Prozesses nicht besser in Einklang zu bringen sind, als es heute der Fall ist. Insbesondere das Interesse des Klägers an einer effektiven Rechtsdurchsetzung95 ist hierbei zu beachten. Nach Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 196696 hat jedermann Anspruch darauf, dass über seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen durch ein Gericht in billiger Weise verhandelt wird. Daher darf nicht nur einseitig der Beklagtenschutz, sondern muss auch die Garantie effektiver Rechtsdurchsetzung im Auge behalten werden. Gleiches ergibt sich auch aus Art. 6 EMRK. 97 Dabei ist selbstverständlich auch der Kläger aus einem fremden Staat mit vom Schutzbereich der Vorschriften erfasst. Der Schutz des einzelnen durch Gewährung des rechtlichen Gehörs ist nach dem Gesagten nicht davon abhängig, ob nun ein Gerichtsvollzieher, ein Postbeamter oder eine am Rechtsstreit beteiligte Partei die Zustellung beispielsweise einer Klageschrift bewirkt. Durch die gesetzliche Regelung des Mindestinhalts von bestimmten, immer wiederkehrenden zustellungsbedürftigen Schriftstücken, werden Schutz-, Warn- und Aufklärungsfunktion gewährleistet. Durch das Absehen von der Einstufung der Zustellung als Hoheitsakt wird darüber hinaus die Heilungsmöglichkeit von Formfehlern erhöht. Auch Befürworter der Qualifizierung der Zustellung als Hoheitsakt sehen ein, dass dem Zustellungsadressaten durch die Zustellung weder ein bestimmtes Handeln abverlangt, noch ihm ein bestimmtes Verhalten verboten wird.98 Soweit allerdings weiter ausgeführt wird, durch den Zwang, sich auf ein Verfahren einzulassen, um keine Rechtsnachteile zu erleiden, manifestiere sich eine mittelbare Zwangswirkung, die zur Einordnung der Zustellung als Hoheitsakt führe 99 , so ist dieser Stümer, JZ 1992, 325, 331. Ebd. 95 Vgl. oben, § l.1.b.aa.(1). 96 BGBI. 197311 S. 1534, für die Bundesrepublik am 23. März 1976 in Kraft getreten, vgl. BGBI. 197611 S. 1068. 97 Vgl. auch Heß, NJW 2001,15,18. 98 Pfeiffer, Prozeßhandlungen, S. 88. 99 Ebd. 93
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Schluss nicht zwingend. Denn Rechtsnachteile erleidet jeder, der selbst einfache vertragliche Pflichten eines rein privatrechtlichen Vertrages vernachlässigt. Nach der soeben ausgeführten Definition wären auch die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen (zum Beispiel Schadensersatz) mittelbare Zwangswirkungen, weil der Kläger die Sanktion gerichtlich aussprechen lassen kann. Dennoch wird normalen Verträgen keine hoheitliche Wirkung zugebilligt. Es handelt sich also um die einfache Subsumtion eines tatsächlichen Vorgangs unter eine Rechtsnorm. Der unmittelbare Zweck einer Klagezustellung liegt vornehmlich eben doch in der Benachrichtigung des Beklagten über das Verfahren. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist die Zustellung durch Private der Regelfall. Nach dortiger Rechtsauffassung sind Zustellungen eben nicht als Amtshandlungen anzusehen. 100 Trotzdem werden auch dort unbestrittenermaßen durchaus rechtsstaatliche Verhältnisse gewahrt. Dies zeigt, dass über ein Umdenken ernsthaft diskutiert werden kann. Es bleibt dabei: ein Schutz der deutschen Beklagten im ausländischen Verfahren ist durch die herrschenden Souveränitätsvorstellungen bei der internationalen Zustellung kaum erreichbar. Der ausländische Kläger wird jedoch in seinem Anspruch auf effektive Rechtsdurchsetzung gehemmt. (2) Der Fall des Postmonopols Soweit argumentiert wurde, die Zustellung sei als Hoheitsakt einzustufen, weil sie durch Postbeamte, also durch einen staatlichen Organisationsapparat bewirkt werde 101 , hat sich durch die Reform des Postrechts eine grundlegende Änderung ergeben. Da nun Postdienste grundsätzlich durch Private geleistet werden 102, konnte vor dem ZustRG die förmliche Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Sinne von § 33 Abs. I PostG nur noch mit Hilfe einer gesetzlichen Fiktion als Hoheitsakt durchgeführt werden (§§ 195 Abs. 2 Satz 3,418 ZPO).103 Dieser Kunstgriff ist durch die Neudefinition der Zustellung unter Verzicht auf das Erfordernis der Beurkundung obsolet geworden.
100 Sieg rist, S. 177; Pfeil-Kammerer; S. 24 f.; zur Privatzustellung in Deutschland im Vergleich zu den U.S.A. bereits damals innovativ: Vollkommer; ZZP 1967, 248, 260 f. 101 V gl. Sieg rist, S. 173. 102 Die Europäische Kommission will den Weg der Liberalisierung des Postverkehrs weitergehen, vgl. NJW 2000 (Heft 27), LI; Informationen der Wettbewerbsdirektion auch unter http://www.europa.eu.int/comm/dgs/competition/index_de.htm. 103 BGH NJW 1998, 1716.
2. Die fiktive Inlandszustellung an Ausländer
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(3) Die Neudefinition der Zustellung
Mit dem Zustellungsreformgesetz wurde das deutsche Zustellungsrecht umfassend reformiert. 104 Ziel der Reform ist vor allem, die Gesetzeslage der Rechtswirklichkeit anzupassen. 105 Nach dem in Kraft getretenen Reformgesetz wird künftig das Erfordernis der Beurkundung förmlicher Zustellungen als Wirksamkeitsvoraussetzung aufgegeben. 106 Diese Neuerung wird zwei wesentliche Auswirkungen haben: zum einen ist die Zustellung nicht mehr allein aufgrund der hoheitlichen Beurkundung durch Beamte auch als staatliches Handeln einzustufen. Zum anderen werden auch neue Formen des Zugangsnachweises zuzulassen sein. Es wird deutlich, dass das Konzept des Hoheitsakts im Zustellungsrecht nunmehr zu überdenken ist.
2. Die fiktive Inlandszustellung an Ausländer Die deutsche Zivilprozessordnung sah, nicht anders als viele andere Rechtsordnungen, für den Fall der Beteiligung eines im Ausland lebenden Zustellungsadressaten an einem deutschen Gerichtsverfahren eine fiktive Inlandszustellung vor. 107 a) Die Problematik
Diese Zustellungsform verdient Kritik, vor allem, wenn man ihre Folgen für den Zustellungsadressaten betrachtet. 108 Mit Blick auf den Zivilrechtsverkehr im Binnenmarkt, also im geplanten einheitlichen Raum des Rechts, erscheinen solche Zustellungen völlig unangebracht. 109 aa) Die gesetzliche Regelung Für die Durchführung einer fiktiven Inlandszustellung nach § 175 ZPO mussten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Mit der förmlichen Zustellung des verfah104 Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz - ZustRG), BGBI. 2001 I S. 1206 ff. 105 Ausführlich hierzu unten § 5. 106 Vgl. hierzu unten § 5.l.b. 107 § 175 ZPO a.F. wird im Folgenden exemplarisch und stellvertretend für Fiktionen im Zustellungsrecht abgehandelt. Entscheidend ist dabei nicht die Staatsangehörigkeit des Empfängers, sondern der Aufenthaltsort im Ausland, OLG Köln RIW 1986, 730 stellt Deutsche und Ausländer gleich. V gl. auch die rechtsvergleichenden Übersichten über europäische Zustellungsregelungen bei Frank, S. 30 ff.; auch über außereuropäische Zustellungsregelungen (U.S.A.): NagellGottwald, IZPR, § 7 Rz. 2 ff. 108 Vgl. zur Rechtsprechung zu § 175 ZPO unten, § 2.2.a.bb. 109 Hierzu unten, § 2.2.c.
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renseinleitenden Schriftstücks 110 im Wege der Rechtshilfe (§ 199 ZPO) wurde der Empfänger gemäß § 174 Abs. 2 ZPO unmittelbar kraft Gesetzes verpflichtet, einen Zustellungsbevollmächtigten am Gerichtsort zu bestellen. 111 Hierfür bedurfte es, etwa im Gegensatz zum internationalen Mahnverfahren im Rahmen des EuGVÜ (vgl. § 34 Abs. 3 Satz 2 AVAG), keiner gerichtlichen Anordnung. ll2 Der Zustellungsbevollmächtigte ist in der ersten mündlichen Verhandlung, in welcher der im Ausland Wohnhafte aufzutreten hat, zu benennen. 113 An ihn werden dann alle weiteren Zustellungen bewirkt. 114 Unterließ die sich im Ausland befindende Partei die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten, so konnten gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. alle weiteren Zustellungen solange durch Aufgabe zur Post bewirkt werden, bis der Obliegenheit nachgekommen wurde. 1l5 § 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. erfasste alle Zustellungen, also auch Urteile und Versäumnisurteile im schriftlichen Verfahren. 116 Dies ergab sich ausdrücklich aus § 276 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO a.F. Dabei war die Zustellung nach § 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO "mit der Aufgabe zur Post als bewirkt" anzusehen, "selbst wenn die Sendung als unbestellbar zurückkommt". Es handelte sich hierbei also um eine Inlandszustellung, die mit dem Einwurf des Schriftstücks in den Briefkasten bewirkt ist. 117 Insoweit ergeben sich auch bei § 184 ZPO n.F. keine Änderungen. 118
110 BGH NJW 1972, 1004; nicht deutlich, dass nach deutschem Recht eine Klageschrift nicht nach § 175 ZPO zugestellt werden darf: Stümer; Der Justizkonflikt zwischen U.S.A. und Europa, S. 21 f.; im Irrtum darüber, dass die Zustellung für ein verfahrenseinleitendes Schriftstück nicht in Betracht kommt, befand sich offenbar auch das OLG Stuttgart, vgl. BGH NJW 1998,988,989. 111 Thomas-Putzo, § 174 Rz. 7. 112 Geimer; IZPR Rz. 2113. 113 Steinl1onas-Roth, § 175 Rz. 4. 114 Fleischhauer; S. 308. 115 Ebd. 116 Vgl. zuletzt BGH NJW 2000, 3284, 3285; Stein / Jonas-Roth, § 175 Rz. 10; Auch im internationalen Mahnverfahren im Rahmen des EuGVÜ ist eine Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 32 Abs. 3 AVAG zulässig. 117 Vgl. auch BGHZ 98, 263, 267; Denkschrift der Bundesregierung zum Haager Zustellungsübereinkommen v. 15. 11. 1965, BT-Drs. 8/217, S. 38,40 f.; Geimer IZPR Rz. 2116; NagellGottwald, IZPR, Rz. 485; a.A. Schmitz, S. 167 ff., der der Auffassung ist, dass auch die Mitteilung ins Ausland über die erfolgte Zustellungswirkung im Inland den hoheitlichen Charakter des Zustellungsverfahrens teile; im Ergebnis wohl ebenso Stümer; Der Justizkonflikt zwischen U.S.A. und Europa, S. 22: ,,[ .. . ldie Problematik des Eingriffs in fremde Souveränität wird nur verschleiert, indem man diese Zustellungen als Inlandszustellungen deklariert. .. 118 Abgemildert wird diese Regelung aber nunmehr durch § 184 Abs. 2 ZPO.
2. Die fiktive Inlandszustellung an Ausländer
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bb) Die Rechtsprechung zu § 175 ZPO a.F. Die umstrittene Folge dieser fiktiven Inlandszustellung tritt vor allem bei Versäumnisurteilen deutlich zutage. Denn häufig gehen Nichtbenennung eines Zuste1lungsbevollmächtigten und Nichteinlassung auf ein Verfahren miteinander einher. Da es sich bei der Zustellung durch Aufgabe zur Post um eine Inlandszustellung handelte, galt nach wie vor die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsprechung hat es abgelehnt, eine längere Frist gemäß der Ennessensvorschrift des § 339 Abs. 2 ZPO festzusetzen. Eine analoge Anwendung der Vorschrift lehnt sie ebenfalls ab. 119 Problematisch ist bei einer solchen Situation, dass der Empfänger im Ausland oftmals erst nach Ablauf der Einspruchsfrist das Versäumnisurteil zugestellt oder zur Kenntnis bekommt. Dies hat eine beinahe unumkehrbare Verschlechterung seiner prozessualen Situation zur Folge. Auch die (deutsche) Rechtsprechung hatte das Problem erkannt und wollte es durch das Instrument der Wiedereinsetzung "entschärfen ".120 Denn eine allgemeine Lösung durch die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 339 Abs. 2 ZPO sei nicht möglich. 121 Als Argument wurde von der Rechtsprechung angeführt, dass die Lösung über das Instrumentarium der Wiedereinsetzung auch durch Art. 16 Abs. 1 lit. a HZÜ vorgesehen sei. 122 Dabei nahmen die Gerichte allerdings in Kauf, dass auch eine großzügige Handhabung von Wiedereinsetzungsmöglichkeiten fehlgehen kann. Dies ist der Fall, wenn die absolute Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 3 ZPO verstrichen ist. 123 In einem Beschluss vom 24. Juli 2000 - bei dem es um ein anderes Problem im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag ging - ist der BGH allerdings im Gegensatz zu den Vorinstanzen großzügig verfahren. 124 In diesem Fall war die Beklagte mit der verfahrenseinleitenden Auslandszustellung, unter Hinweis auf die Folgen einer Unterlassung, zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert worden. Nachdem sie nicht reagiert hatte, erging Versäumnisurteil, das durch Aufgabe zur Post zugestellt wurde. Etwa vier Monate später erfolgte auf Antrag der Klägerin eine nochmalige, fönnliche Zustellung des Urteils. Erst in der Folge legte die Beklagte Einspruch, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag, ein. Sie versicherte an Eides statt, dass sie das durch die erste Zustellung - durch Aufgabe zur Post - übennitte1te Schriftstück nicht erhalten habe. Zwar stellt der BGH lediglich am Rande fest, dass das Zustellungsverfahren nach § 175 ZPO a.F. verfassungsrechtlich unbedenklich sei. 125 Er folgte jedoch im BGH NJW 1992, 1701, 1702; BGH NJW 1999, 1871, 1872. BGH RIW 1992,398. 121 Ebd. 122 BGH RIW 1992,398. 123 Vgl. z. B. den Fall in BGH NJW 1999, 1871, in dem die absolute Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 3 ZPO verstrichen war. 124 BGH NJW 2000, 3284 ff. 125 BGH NJW 2000, 3284, 3285, mit Hinweis auf BVerfG NJW 1997, 1772. 119
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Anschluss daran nicht der Auffassung der Vorinstanzen. Diese hatten nämlich entschieden, dass ein Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten bereits deshalb zurückgewiesen werden müsse, weil sie es versäumt habe, zu Beginn des Verfahrens einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Sie habe somit auch die Gefahr des Untergangs des zuzustellenden Schriftstücks beim Verfahren durch Aufgabe zur Post zu tragen. Zurecht betont der BGH, dass eine solche doppelte Sanktion gegen die Beklagte mit dem Recht auf ein faires Verfahren nicht zu vereinbaren sei. Da eine" wesentliche Aufgabe der Zustellung" sei, dem Empfänger rechtliches Gehör zu verschaffen und ein faires Verfahren zu gewährleisten, müssten für die Beurteilung des Verschuldens der Fristversäumnis die konkreten Hinderungsgründe geprüft werden. 126 Die allgemeine Praxis der Rechtsprechung zur Zustellung - vor allem von Versäumnisurteilen - im Rahmen von § 175 ZPO a.F. erscheint aber auch noch aus einem anderen Grund inkonsequent. Zwar ist den Gerichten längst klar, dass gerade bei internationalen Zustellungen außerhalb Europas zwei Wochen als Postlaufzeiten nicht ausreichen. 127 Dennoch sehen sie keinen Anlass, eine längere Einspruchsfrist analog § 339 Abs. 2 ZPO zu bestimmen, um der Gefahr einer für einen Einspruch zu späten Kenntnisnahme durch den Zustellungsempfänger zu begegnen. Diese Vorgehensweise orientiert sich bedingungslos am Interesse des Klägers an einem schnellen Verfahren. Auf der anderen Seite will die Rechtsprechung jedoch eine Zustellung bereits dann nicht als ordnungsgemäß zulassen, wenn auf dem Schreiben nicht das Zielland des Empfängers genannt ist. Denn dieser Teil der Adresse sei für einen ordnungsgemäßen störungsfreien Postweg wesentlich. 128 Die Rechtsprechung versucht also unter allen Umständen, mit einem Zeitfenster von zwei Wochen zurecht zu kommen, obwohl sie längst eines Besseren belehrt wurde. Im Rahmen der Adressangabe scheint sie die Realität des internationalen Postverkehrs zu akzeptieren, bei der Bestimmung einer Einspruchsfrist zieht sie sich dagegen auf das formale Argument der Inlandszustellung zurück. Die Regelung der fiktiven Inlandszustellung an Ausländer wurde hart kritisiert. In der Besprechung eines Urteils des Oberlandesgerichts München l29 stellt Roth fest, die Handhabung dieser Praxis sei einer "der rückständigsten und ungerechtesten Teile der Zivilprozeßordnung".130 126
Ebd.
Vgl. BOH JZ 1999,414,418 f.: "Allerdings kann es im Einzelfall zu Problemen kommen, da die Postlaufzeit wegen der Fiktion des § 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu Lasten des Zustellungsadressaten geht, was im Extremfall sogar dazu führen kann, daß beim tatsächlichen Erhalt des Versäumnisurteils die Einspruchsfrist bereits abgelaufen ist. ". Da nicht der Zugang beim Empfänger die Frist auslöst, sondern bereits der Einwurf des Schriftstücks in den Briefkasten, müssten innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist sowohl die Zustellung des Versäumnisurteils, als auch eine eventuelle Rücksendung einer Einspruchsschrift stattfinden. 128 BOHZ 73, 388. 129 OLO München IPRax 1990, 111 ff. 130 Roth, IPRax 1990,90 ff. 127
2. Die fiktive Inlandszustellung an Ausländer
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In dem Verfahren ging es um einen Wiedereinsetzungsantrag einer italienischen Beklagten, gegen die, nach ordnungsgemäßer Einleitung des Verfahrens durch Auslandszustellung, in erster Instanz ein Versäumnisurteil ergangen war. Die ihr gesetzte Frist des § 339 Abs. 1 ZPO hatte sie verstreichen lassen und daraufhin mit dem Argument die Wiedereinsetzung beantragt, sie habe von dem Versäumnisurteil erst nach Ablauf der Einspruchsfrist Kenntnis erhalten. Das Gericht hätte gemäß § 339 Abs. 2 ZPO eine längere Frist bestimmen müssen, und im Übrigen verstoße § 175 Abs. 1 S. 3 ZPO a.F. gegen das europäische Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWG-Vertrag. Das Oberlandesgericht folgte dieser Argumentation nicht. Insbesondere verstoße die Regelung der fiktiven Inlandszustellung mangels Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht gegen Europäisches Recht. Art. 7 EWGV (=Art. 12 EG) basiere auf dem Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. 13l Die Regelung trage dem Umstand Rechnung, dass bei Prozessbeteiligten im Ausland "die Gefahr einer ständigen Verzögerung" bestehe, "wenn für jede gerichtliche Zustellung im Laufe dieses Verfahrens der gegenüber dem innerstaatlichen Zustellungsverfahren umständliche und langwierige Weg der internationalen Rechtshilfe beschritten werden muß. Dies gilt auch für den Rechtshilfeweg, den das Haager Zustellungsübereinkommen vorsieht.". 132
Da die Regelung nicht das verfahrenseinleitende Schriftstück betreffe, sondern nur die Fortführung des Verfahrens, stelle sie auch nicht einen unverhältnismäßigen Eingriff in die prozessuale Stellung der betroffenen Partei dar. Weiter urteilte das Oberlandesgericht, dass eine Fristbestimmung nach § 339 Abs. 2 ZPO nicht möglich war, weil es sich bei der Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht um eine Auslandszustellung, sondern um eine Inlandszustellung handele. In einem weiteren Urteil des BGH aus dem Jahre 1998 133 findet sich eine sehr sorgfältige Begründung der von großen Teilen der Literatur kritisierten gerichtlichen Praxis zu § 175 ZPO a.F. Der Entscheidung ging das schriftliche Vorverfahren einer deutschen Klägerin gegen einen dänischen Beklagten voraus. Die Klage wurde dem Beklagten zunächst im Wege der Auslandszustellung übergeben. Zugestellt wurden auch die gerichtliche Verfügung über das schriftliche Vorverfahren und eine Belehrung über die Folgen der Säumnis (nicht aber eine Belehrung über die Obliegenheit, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen). Als bis zum 16. Oktober 1995 keine Reaktion des Beklagten erfolgt war, erließ das Gericht Versäumnisurteil (§ 331 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO). Dem Beklagten wurde das Urteil am 19. Oktober 1995 durch Aufgabe zur Post zugestellt. Dabei wurde ihm - entgegen 131 132 133
OLG München IPRax, 1990, 111, 112. Ebd. BGH JZ 1999,414 ff., Anmerkung Roth, JZ 1999,419.
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§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
der bisherigen Rechtsprechung zu § 339 Abs. 1 ZPO - eine drei wöchige Einspruchsfrist eingeräumt. Am 13. November 1995 legte der Beklagte Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Nachdem seine Prozessbevollmächtigten am 29. November 1995 Akteneinsicht genommen hatten, stellten sie am 14. Dezember 1995 Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist und rügten die Unwirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils. 134 Der BGR verhalf der Revision des Beklagten nicht zum Erfolg. So urteilte der Senat insbesondere, dass eine vorherige Belehrung über die Folgen einer fehlenden Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht notwendig gewesen sei. Er berief sich dabei zunächst auf das Wortlaut-Argument. § 174 Abs. 2 ZPO statuiere ausdrücklich, dass die Verpflichtung zur Benennung eines Bevollmächtigten auch ohne Anordnung des Gerichts bestehe. Eine unsachgemäße Differenzierung zwischen Sachverhalten mit Auslandsbezug und rein innerstaatlichen Sachverhalten ergebe sich nicht. Denn aufgrund der Auslandsansässigkeit würden die mit der förmlichen Auslandszustellung eines jeden Schriftstücks verbundenen Erschwernisse und Verzögerungen letztlich den Justizgewährungsanspruch des Klägers beeinträchtigen. Aus demselben Grund komme auch eine Verletzung von Art. 6 EG nicht in Betracht. Der in der Literatur vertretenen Auffassung, über den Wortlaut des § 174 ZPO a.F. hinaus auch bei Auslandsbezug eine richterliche Rinweispflicht anzunehmen (Art. 103 Abs. 1 GG)\35, wollte der BGR ebenfalls nicht folgen. 136 Zum einen sei die unterschiedliche Behandlung von internationalem Mahnverfahren, das in § 34 Abs. 3 AVAG eine richterliche Rinweispflicht vorsehe, und § 174 ZPO gerechtfertigt. Denn sie ergebe sich bereits daraus, dass im Mahnverfahren keine Schlüssigkeitsprüfung stattfinde. Zum anderen habe auch das Bundesverfassungsgericht den Verzicht auf Rechtsmittelbelehrungen im Zivilprozess ausdrücklich gebilligt. 137 Daher ergebe sich kein allgemeiner Rechtsgedanke dieser Art. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK liege ebenfalls nicht vor, da die prozessrechtliche Ausgestaltung des fair-trial-Grundsatzes den nationalstaatlichen Prozessrechten überlassen sei. Bezüglich der Bestimmung der Einspruchsfrist vermied der BGR eine klare Stellungnahme. Die Frage, ob vorliegend § 339 Abs. 2 ZPO einschlägig gewesen sei, wie durch das Berufungsgericht angenommen, da es eine dreiwöchige Einspruchsfrist bestimmt hatte, stellte sich nicht. Denn auch die dreiwöchige Ein-
Verkürzte, sich auf die Zustellungsprobleme konzentrierende Darstellung. Die verfassungs- und völkerrechtskonforrne Auslegung wird teilweise auf Art. 103 Abs. 1 GG, aber auch auf Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK (Grundsatz des "fair trial") und auf "allgemeine Erwägungen" gestützt, vgl. BGH JZ 1999,414,417 m. w. N. 136 So auch bestätigt in BGH NJW 1999, 1187, 1190. 137 BVerfG NJW 1997,3173. 134
I35
2. Die fiktive Inlandszustellung an Ausländer
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spruchsfrist hatte der Beklagte verstreichen lassen. Der BGH beließ es bei dem Hinweis, dass für die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO "vieles spricht ,,\38. Beide Entscheidungen geben die wesentlichen Argumente der Befürworter einer eng am Wortlaut orientierten Auslegung der §§ 174, 175 ZPO a.F. wieder. Der Hintergrund der Entscheidungen war jeweils ähnlich: zwar hatten die ausländischen Parteien möglicherweise tatsächlich erst nach Ablauf der Einspruchsfrist Kenntnis vom Versäumnisurteil erhalten. Die Urteilsbegründungen sind aber beachtlich. Denn angesichts der immens langwierigen Zustellungsverfahren im Wege der Rechtshilfe 139 nach dem Haager Zustellungsübereinkommen, ist es nach Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten, nämlich dem effektiven Rechtsschutz auf der Klägerseite und dem rechtlichen Gehör auf der Beklagtenseite, durchaus sachgemäß, eine weitere Verzögerung des Verfahrens nicht zu fördem. 14o Die Beklagten wussten vom Prozesstermin beziehungsweise vom schriftlichen Vorverfahren, da ihnen das verfahrenseinleitende Schriftstück durch förmliche Zustellung zugegangen war (§ 199 ZPO). Sie mussten also nach ihrer Säumnis mit Konsequenzen rechnen.
b) Kritik der Rechtsprechung
Die Kritik an dieser Rechtsprechung knüpfte vor allem an zwei Schwachpunkten an. Zum einen wurde die Anwendung von § 339 Abs. 1 ZPO für nicht sachgemäß gehalten. 141 Zum anderen wurde vertreten, dass sich auch im Verfahren mit Auslandsbezug eine Verpflichtung des Gerichts ergebe, die ausländische Partei auf die Folgen der nicht erfolgten Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten hinzuweisen. Der Partei müsse deutlich gemacht werden, dass bei Nichtbenennung fortan alle Zustellungen mit der Aufgabe des Schriftstücks zur Post bewirkt sind. 142
BGH JZ 1999,414,419. Vgl. hierzu auch die Aufstellung zur Dauer der Rechtshilfeverfahren bei Rahm/ Künkel, VIII. Kapitel, Rz. 42. 140 Das Argument, eine Auslandszustellung sei aus Zeit- und Kostengründen unzumutbar, findet sich häufig, vgl. (zu einem Zuständigkeitstreit) BGH NJW 1998,988,989: "Die Erhebung einer Klage vor einem deutschen Gericht, deren Zustellung im Ausland mit solchen Ungewißheiten behaftet gewesen wäre, hätte dem Kläger nicht zugemutet werden können. " 141 Kritisch wohl auch Stümer, JZ 1992,325,328, Fn. 28. 142 Geimer; IZPR Rz. 2113. 138 139
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§ 2 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung
aa) Anwendung der verlängerten Einspruchsfrist des § 339 Abs. 2 ZPO Große Teile der Literatur forderten für Versäumnisurtei1e, die durch Aufgabe zur Post zugestellt werden, eine verlängerte Einspruchsfrist. 143 Eine Beschränkung der ausländischen Partei auf das Instrument der Wiedereinsetzung, wie sie die Rechtsprechung vorschlug, genügte den Autoren nicht. Denn diese Lösung ist, wie beschrieben, unter anderem mit der entscheidenden Schwäche der absoluten Wiedereinsetzungsfrist behaftet. 144 Roth wies zurecht auf die teilweise schwerwiegenden Folgen für die ausländische Prozesspartei hin, die sich durch die Zustellungsfiktion des § 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO a.F. ergeben konnten. 145 Durch den Kunstgriff einer" einschränkenden Handhabung der Fiktionswirkungen aus dem Gesetzeszweck " versuchte er daher, die Fiktionswirkungen für den Beklagten bezüglich der Frist des § 339 Abs. 1 ZPO zu mildem. 146 Er wollte der Rechtsprechung mit dieser Begründung die Anwendung des § 339 Abs. 2 ZPO ermöglichen. Dabei wollte er diese Erleichterung für die ausländische Partei nicht einmal auf die Europäische Union beschränken. Der Vorschlag erscheint aus Sicht der jeweiligen ausländischen Partei auch durchaus sachgemäß. Fleischhauer schlug eine Orientierung an den allgemeinen Postlaufzeiten vor. 147 Und auch Linke hielt eine Verlängerung der Einspruchsfrist für notwendig. Allerdings lehnte er eine Analogie zu § 339 Abs. 2 ZPO ab. 148 Für ihn ergab sich die Verlängerung der Frist aus § 274 Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F., nach der bei der Zustellung einer Ladung ins Ausland die Einlassungsfrist durch eine richterliche Ermessensentscheidung bestimmt wurde. Der Forderung nach einer verlängerten Einspruchsfrist in der beschriebenen Konstellation ist zuzustimmen. Grundlage des Rechtsbehelfsrechts als Bestandteil des Zivilprozesses ist die Gewährleistung eines fairen Verfahrens. 149 Welchen Sinn sollte aber das gesetzliche Bestehen eines Rechtsbehelfs überhaupt haben, wenn er in dem Zeitpunkt, in dem der potentielle Rechtsmittelführer von der Notwendigkeit der Einlegung erfährt, bereits verfristet ist? Eine solch formalistische Betrachtungsweise, wie sie die Rechtsprechung anstellte, ist nicht geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung deutscher Gerichte zu stärken. 150 Darüber hinaus erscheint 143 Roth. IPRax 1990,90,91; Geimer; IZPR Rz. 2116; Fleischhauer; S. 311 f.; Linke. IZPR Rz. 228, der eine Verlängerung allerdings in Analogie zu § 274 Abs. 3 Satz 2 ZPO erreichen will; G. Geimer; S. 44; Schack. IZVR Rz. 599; Wiehe S. 21. Fn. 61. 144 Vgl. zuletzt BGH NJW 1999, 1871. 145 Roth. IPRax 1990, 90 ff. 146 Ders .• S. 91. 147 Fleischhauer; S. 31l. 148 Linke. IZPR Rz. 228. 149 BVerfGE 46, 325, 334 f.
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eine spätere Versagung der Anerkennung der so ergangenen Entscheidung nicht ausgeschlossen. Die von der Literatur aufgezeigten Wege einer Analogie zu anderen Bestimmungen in der ZPO (§ 339 Abs. 2 oder § 274 Abs. 3 Satz 2 ZPO) zeigten einen gangbaren Weg auf, der nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar geboten erschien. 151 Das von der Rechtsprechung bevorzugte Instrument der Wiedereinsetzung (§§ 233 ff. ZPO) konnte die negativen Folgen der Förmelei nicht auffangen. Denn es griff dann nicht, wenn die absolute Wiedereinsetzungsfrist abgelaufen war (vgl. § 234 Abs. 3 ZPO). Darüber hinaus würden auch durch die (rechtzeitige) Wiedereinsetzungsentscheidung Verzögerungen entstehen, die aber durch das Verfahren nach § 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. gerade vermieden werden sollten. 152 Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass ausländische Prozessparteien ausreichend virtuos auf der Klaviatur des deutschen Prozessrechts spielen und alle Strategien im deutschen Zivilprozess beherrschen. 153 Dass es im Übrigen manch einem Gericht offensichtlich nicht wohl dabei war, wenn es die Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO ansetzte, zeigt auch das oben angesprochene Urteil des Oberlandesgerichts München. 154 Es hatte die Einspruchsfrist für den dänischen Beklagten auf drei Wochen festgesetzt. Als Lösung bietet sich an, eine gerichtliche Ermessensentscheidung vorzusehen, die sich grundsätzlich an den üblichen Postlaufzeiten im jeweils betroffenen Aufenthaltsstaat des Zustellungsempfängers orientiert. 155 Damit könnten auch besondere Umstände wie zum Beispiel ein Streik im Zustell wesen des Empfangsstaates berücksichtigt werden. Eine starre Regelung, nach der die Zustellungswirkung beispielsweise 14 Tage nach der Aufgabe des Versäumnisurteils zur Post eintritt, könnte diese Flexibilität jedoch nicht leisten. Mit der erstgenannten Lösung hingegen, ließe sich letztlich auch die Gefahr einer späteren Anerkennungsverweigerung des Urteils im Zustellungs- und Vollstreckungsstaat auf ein Minimum reduzieren. Zwar ist der Rechtsprechung zuzugeben, dass eine Anerkennungsverweigerung innerhalb der Europäischen Union nicht auf Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 begründet werden könnte. 156 Bei durch Aufgabe zur Post zugestellten Schriftstücken handelt es sich nämlich nicht um solche, die das Verfahren einleiten. Es ist jedoch denkbar, dass die Anerkennung unter Berufung auf den prozessualen ordre public des Art. 34 Nr. 1 VO 44/01 verweigert wird. Dies namentlich dann, wenn angesichts der Postlaufzeiten eine rechtzeitige Einlegung von Rechtsmitteln von vornherein zu überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen war. Der deutsche 150 Zum "forum shopping" und den Eigenarten des Binnenmarktprozesses, die eine Gerichtsstaatswahl durchaus ermöglichen vgl. Heß. JZ 1998, 1021 ff. 151 So auch Wiehe. S. 21 Fn. 61; Geimer; IZPR Rz. 2116; Fleischhauer S. 311 f. 152 Fleischhauer; S. 310. 153 Im gleichen Sinne: G. Geimer; S. 44 f. 154 JZ 1999,414. 155 Fleischhauer; S. 311. 156 BGH JZ 1999,414,415.
5 Shanna
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Gesetzgeber hat der beschriebenen Diskussion mit dem § 184 Abs. 2 ZPO n.F. nunmehr Rechnung getragen.
bb) Richterliche Hinweispflicht Ausgangspunkt des weiteren Streits um die Wirkungen des § 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. war die Frage, ob bei der Aufforderung an den ausländischen Beklagten, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen (§ 174 Abs. 2 ZPO), ein richterlicher Hinweis auf die Folgen einer unterlassenen Benennung erfolgen musste. § 174 Abs. 2 ZPO a.F. bestimmte allerdings ausdrücklich, dass die Obliegenheit, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, auch ohne gerichtliche Anordnung besteht. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob damit auch der Schluss der Rechtsprechung zwingend war, dass es einer richterlichen Hinweispflicht über die Folgen der unterlassenen Benennung nicht bedürfe. Wenn der BGH anführte, dass ,,[ ... ] die Auslandsansässigkeit einer Partei nämlich durchaus ein sachliches Dijferenzierungskriteriumjür die unterschiedliche Behandlung [ist], weil die mit der förmlichen Auslandszustellung eines jeden Schriftstücks verbundenen Erschwernisse und Verzögerungen letztlich den Justigewährungsanspruch des Klägers beeinträchtigen würden ... 157,
so vermochte dieses Argument noch nicht zu begründen, weshalb eine richterliche Hinweispflicht unterbleiben sollte. Denn den Erschwernissen und Verzögerungen, die den Justizgewährungsanspruch des Klägers beeinträchtigen würden, wird doch bereits mit der Wahl der Form der Zustellung durch Aufgabe zu Post entgegengewirkt. Der richterliche Hinweis hat dagegen mit der Wahl der Zustellungsform zunächst einmal nichts zu tun. Er soll vielmehr gerade deshalb erfolgen, weil die Form der Zustellung durch Aufgabe zur Post gewählt wird, die nach Ansicht der Rechtsprechung ein wesentlich zügigeres Verfahren gewährleistet, als die Zustellung im Wege der Rechtshilfe. Wenn auf der einen Seite so deutlich der Justizgewährungsanspruch des Klägers betont wird, muss andererseits ein Ausgleich zugunsten eines ausländischen Beklagten stattfinden. Dieser wird sich regelmäßig nicht in den Tiefen des deutschen Prozessrechts auskennen. Und es ist überhaupt nicht zu erkennen, weshalb ein oder zwei zusätzliche Sätze in einer gerichtlichen Verfügung zu einer Beeinträchtigung des Justizgewährungsanspruchs des Kläges führen sollten. Im Gegenteil könnte mit Blick auf die mögliche spätere Anerkennungsverweigerung der richterliche Hinweis die Chancen auf eine wirklich effektive Rechtsdurchsetzung steigern. Der EuGH hat wiederholt festgestellt, dass Bestandteil eines ordre public-Vorbehalts auch die Verletzung von Art. 6 EMRK sein kann. Diese Vorschrift wird bei der Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen auch im Rahmen der Auslegung der VO 44/01 mit herangezogen, da sie allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts bein157
BGH JZ 1999,414,417.
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haltet. 158 Bestandteil von Art. 6 Absatz 1 EMRK ist aber auch der Grundsatz des fairen Verfahrens. 159 Der Hinweis auf die Folgen einer unterlassenen Benennung eines Zustellungs bevollmächtigten dient letztlich dem Ausgleich der Prozessbeschleunigung zugunsten des Klägers. Dadurch wird also die prozessuale Waffengleichheit der Parteien gewahrt. 160 Sieht man diese Argumente in einer Gesamtschau, so wird deutlich, dass ein richterlicher Hinweis durch den Grundsatz des fairen Verfahrens geboten ist, wie ihn Art. 6 Abs. 1 EMRK abstrakt vorschreibt und § 139 ZPO konkret ausfonnt. 161 Für den Fall der Zustellung eines Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post im schriftlichen Vorverfahren wies darüber hinaus Roth nach, dass diese bereits de lege lata 162 eines richterlichen Hinweises bedurfte. 163 Dies ergab sich daraus, dass § 276 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO a.F. nur auf § 175 ZPO a.F. anzuwenden war, und nicht auch auf § 174 Abs. 2 ZPO a.F., wonach eine Benennungsobliegenheit des ausländischen Beklagten auch ohne richterliche Anordnung bestand. Argumentierte aber die Rechtsprechung auf der einen Seite damit, dass deshalb keine richterliche Hinweispflicht bestehe, weil auch die Anordnungsobliegenheit der Benennung ohne Hinweis gelte, so musste andersherum das gleiche gelten. Da § 276 ZPO diesbezüglich die speziellste Regelung für das schriftliche Vorverfahren darstellt, folgte mit der gleichen Logik daraus, dass ein Hinweis auf die Benennungsobliegenheit besteht, auch, dass ein richterlicher Hinweis über die Folgen einer unterlassenen Benennung erfolgen musste. Bestanden hinsichtlich der Hinweispflicht im schriftlichen Verfahren nach dieser Begründung noch Zweifel, so wurden diese endgültig durch die Begründung zum Rechtspflege-Vereinfachungs gesetz vom 17. Dezember 1990 164 beseitigt. Auch hier wurde von einem Hinweis bezüglich der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten ausgegangen. 165
158 Vgl. zuletzt die Entscheidung des EuGH vom 28. März 2000, Rechtssache C-7/98 (Krombach .1. Bamberski), Nr. 27; auch abgedruckt in NJW 2000, 1853 ff. ; hierauf gründet sich die Entscheidung des BGH NJW 2000,3289 f.; Calliess/Ruffert-Wegener, Art. 220 EG Rz. 29; Calliess/Ruffert-Kingreen, Art. 6 EG Rz. 197 ff. 159 Peukert, RabelsZ 1999, 600, 613 f. 160 van Dijk/van Hoof, S. 430; Wilfinger, S. 177 f. 161 Zum Einfluss von Art. 6 EMRK auf das Zustellungsrecht auch: Heß, NJW 2001, 15, 18; Worauf sich der Grundsatz des fairen Verfahrens letztlich gründet, wird uneinheitlich beurteilt. Sachliche Unterschiede bezüglich der Reichweite des prozessualen Gebots ergeben sich jedenfalls vorliegend nicht. 162 Nach altem Recht. 163 Roth, JZ 1999,419, f. 164 BGBI. 1990 I S. 2847. 165 Hansens, NJW 1991,953,954.
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c) Die Besonderheiten des europäischen Binnenmarktrechts
Sah man schon bislang die Zustellung durch Aufgabe zur Post als sehr problematisch an, so musste dies erst recht nach der Vergemeinschaftung des Zustellungsrechts durch den Amsterdamer Vertrag gelten.
aa) Die Europäische Zustellungsverordnung In den letzten Jahren hat sich verstärkt die Vereinheitlichung europäischer Verfahrensregeln ergeben. 166 Von besonderer Bedeutung ist dabei die Europäische Zustellungsverordnung, die aus dem Europäischen Zustellungsübereinkommen von 1997 hervorgegangen iSt. 167 Aufgrund dieser Entwicklungen erscheint eine fiktive Auslandszustellung zumindest unter den EU-Mitgliedstaaten nicht mehr vermittelbar. Durch die zeitlichen Verbesserungen und die Eröffnung der Postzustellung werden Zustellungsfiktionen mit Auswirkungen wie bei den oben angeführten Fällen wohl kaum noch einer gerichtlichen Überprüfung durch den EuGH standhalten. 168 Insbesondere war nun auch - vor Inkrafttreten des ZustRG - von den Befürwortem einer strengen Wortlautauslegung des § 175 ZPO a.F. anzuerkennen, dass der Harmonisierung des Zustellungsrechts durch die neuen Art. 65 lit. a EG und Art. 61 lit. c EG besondere Bedeutung beigemessen wird. Aus der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus verschiedenen Entscheidungen des EuGH lassen sich zudem einige Argumente erschließen, die die Vereinbarkeit der Zustellungsfiktion des § 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO a.F. mit europäischem Recht unter den genannten veränderten Rahmenbedingungen zweifelhaft erscheinen lassen. 169
bb) Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue Nach Art. 10 EG müssen die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen treffen, die der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag dienen. Insbesondere müssen Heß, JZ 1998, 1021 ff. Zu den einzelnen Neuregelungen ausführlich: unten § 4. 168 Dies umso mehr, als in der Kommission bereits die stark beschleunigte Postzustellung im Vertragsgebiet ins Auge gefasst wurde: ab dem Jahr 2000 sollten über 90% der Postsendungen spätestens einen Tag nach Erreichen des Ziellandes beim Empfänger ankommen, Europa ohne Grenzen, Nr. 1-1999, Mitteilungen der EU-Kommission, GD-Information, Kommunikation, Kultur, Audiovisuelle Medien, (Monatlicher Brief ISSN 1021-2345), S. 2; Zu den Folgen eines höheren Integrationsstandards für die Toleranzschwelle abweichenden nationalen Prozessrechts vgl. Heß, JZ 1998, 1021, 1024. 169 EuGH Slg. 1994 I 474 = NJW 1994, 1271 (Mund & Fester ./. Hatrex); EuGH Slg. 1996 I 4672, 4675 (Data Delecta Aktiebolag & Ronny Forsberg ./. MSL Dynamics Ltd.); oder die Entscheidung zur Prozesskostensicherheit EuGH Slg. 1997 I 1720, 1723 ff. (Hayes ./. Kronenberger GmbH). 166
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sie alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrags gefahrden könnten (Art. 10 Abs. 2 EG).170 Dieses Verbot bezieht sich auch auf Maßnahmen, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Vertrages liegen. 171 Erst recht gilt es dann, wenn eine Materie als konkretes Ziel in den Vertrag aufgenommen und bereits durch eine Maßnahme des sekundären Gemeinschaftsrechts umgesetzt wurde. Zwar verbleibt es grundsätzlich bei der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. 172 Dies gilt aber zum einen nur, soweit es keine gemeinschaftrechtliche Harrnonisierung auf dem entsprechenden Gebiet gibt. Zum anderen tritt der Grundsatz dann zurück, wenn das Prinzip des wirksamen Rechtsschutzes dies erfordert. 173 Gegen beide Ausnahmen wird durch die Zustellung durch Aufgabe zur Post verstoßen. Die Union hat, wie bereits beschrieben, mit der EZVO eine Harmonisierungsmaßnahme erlassen, die die Zustellung in Zivil- und Handelssachen zwischen den Mitgliedstaaten regelt. Die eindeutige Ziel bestimmung in Art. 61 lit. c EG stellt außerdem klar, dass ein einheitlicher Raum des Rechts geschaffen werden soll. Die Differenzierungen bei der Zustellung durch Aufgabe zur Post zementieren aber gerade zwei Bereiche unterschiedlicher Anwendung von Zustellungsvorschriften. Wie gesehen, garantiert die Zustellung durch Aufgabe zur Post darüber hinaus auch keineswegs einen effektiven Rechtsschutz des ausländischen Beklagten. Dem ausländischen Beklagten wird unter Umständen zugemutet, einer Zwangsvollstreckung aus einem Urteil ausgesetzt zu sein, gegen das er keine Chance hatte, ein Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen. Die oben angeführten Entscheidungen deutscher Gerichte zeigen, dass die Zustellung durch Aufgabe zur Post diesen Erfordernissen nicht gerecht wurde. Selbst wenn man nicht zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Zustellung durch Aufgabe zur Post gegen das Gebot gemeinschaftstreuen Verhaltens verstößt, ist doch erwiesen, dass jedenfalls eine effektivere Gestaltung des grenzüberschreitenden Zustellungsrechts notwendig ist. 174
cc) Das Diskriminierungsverbot Die Zustellung durch Aufgabe zur Post verstieß aber auch gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG. Durch diese Vorschrift wird im Anwendungsbereich des EG-Vertrags "jede Diskriminierung aus Gründen der StaatsGeiger, Art. 10 EG Rz. 4. Bleckrnann-ders. Rz. 690. 172 Bleckrnann-ders. Rz. 725 m. w. N. 173 Rodriguez 19lesias, NJW 2000, 1889, 1892. 174 So auch die Ansicht des Wirtschafts- und Sozialausschusses des Europäischen Parlaments, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1999, Nr. C 368, 47,48: "Die Staaten müssen den wachsenden Anforderungen der Bürgergesellschaft in Bezug auf mehr Gleichheit, Gerechtigkeit und einen vergleichbaren Stand der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes gerecht werden . .. 170 171
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angehörigkeit verboten. " Von diesem Diskriminierungsverbot sind nicht nur offen auf die Staatsangehörigkeit abzielende, unsachgemäße Differenzierungen erfasst. Auch die versteckte Diskriminierung wird nach allgemeiner Auffassung verboten. 175 Eine solche ist dann gegeben, wenn zwar eine Regelung nicht ausdrücklich an die Ausländereigenschaft anknüpft, sie aber typischerweise nur auf Ausländer zutrifft. 176 Zwar wird immer wieder vorgetragen, dass die Obliegenheit, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, auch für inländische Parteien gelte, die nicht im Gerichtsbezirk ansässig sind. 177 Hierbei wird jedoch bereits nicht berücksichtigt, dass für diesen Fall eine gerichtliche Errnessensentscheidung die Grundlage bildet, die der betroffenen Partei mitzuteilen ist. Beide Sachverhalte sind also nicht ohne weiteres vergleichbar. Weiterhin wird argumentiert, dass es einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung von ausländischen Parteien gebe. Dieser bestehe "in der Gefahr der ständigen Verzögerung eines Verfahrens, an dem eine im Ausland wohnende Partei beteiligt ist, wenn für jede gerichtliche Zustellung im Laufe des Verfahrens der gegenüber dem innerstaatlichen Zustellungsverfahren umständliche und langwierige Weg der internationalen Rechtshilfe beschritten werden muß.,,178 Aus diesem Grunde lehnte der BGH zuletzt auch eine Vorlage der Frage an den EuGH ab, da keine "ernsthaften Zweifel" bestünden, die eine Diskriminierung im Sinne des damaligen Art. 6 EG begründen könnten. 179 Die Ansicht des BGH verdient Kritik. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist mit der fortschreitenden Harmonisierung der Prozessrechte auch eine immer niedrigere Toleranzschwelle für Ungleichbehandlungen im Binnenmarkt verbunden. 180 Angesichts der vielfältigen (geplanten) Neuerungen im europäischen Zustellungsrecht 181 hätte der BGH daher auch zur Zeit seiner Entscheidung 182 reflektieren können, dass die deutsche Haltung zur Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht mehr offensichtlich mit europäischem Recht vereinbar war. 183 Eine Vorlage an den Bleckmann-ders .• Rz. 1744; Stadler; Festschrift BGH III, S. 645, 646. 176 Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa EuGH Slg. 1994,1-474,479; EuGH Sig. 1997 I,
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285. 177
178 179 180 181 in JZ
BGH JZ 1999,414,417. BGH NJW 1999,1871,1872. Ebd. Vgl. Heß. JZ 1998, 1021, 1024. Vgl. die Anmerkung von Roth zu einer anderen einschlägigen Entscheidung des BGH
1999,419: "Das internationale Zustellungs recht gehört zu den unruhigsten Teilen des internationalen Zivilprozeßrechts. " 182 Am 3. Februar 1999; Zu diesem Zeitpunkt waren sowohl der Text des damaligen EZÜ als auch der Entwurf eines Zustellungsreforrngesetzes bekannt; dies erkent auch Geimer; LM H. 7/1999 § 175 ZPO Nr. 13.
183 Einführend und zusammenfassend zur Rechtsprechung des EuGH bezüglich diskriminierender Vorschriften des Zivilprozessrechts: Schlosser; Jura 1998, 65, 69 f.
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EuGH wäre angezeigt gewesen. 184 Denn der BGH-Beschluss hielt sich zwar im Rahmen der bis dorthin bekannten Rechtsprechung, war aber hinsichtlich europäischen Rechts bereits bedenklich. Nach den damals im BGH-Beschluss beschriebenen und durch den EuGH entwickelten Kriterien zum Vorabentscheidungsverfahren gemäß dem damaligen Art. 177 EG I85 war eine Vorlage nur dann entbehrlich, wenn entweder die Frage nicht entscheidungserheblich war oder wenn die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftrechts derart offenkundig war, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum blieb. 186 Letzteres wurde vom BGH in seiner Entscheidung vertreten, erscheint aber zweifelhaft. Grundsätzlich unterfiel der Rechtsstreit einer der Fallgruppen des Art. 177 EG, denn auch das Zivilprozessrecht selbst kann anhand der Marktfreiheiten sowie Art. 6 EG (heute: Art. 12 EG) überprüft werden. 187 Der Ansicht des BGH, dass nach seiner Überzeugung wegen der Offenkundigkeit der Vereinbarkeit von § 34 AVAG a.F., §§ 174, 175 ZPO a.F. mit Art. 6 EG eine Vorlage nicht angezeigt sei, war zwar im Hinblick auf die Rechtsprechung der letzten Jahre konsequent. Angesichts der in der Literatur geäußerten Zweifel an den angewandten Zustellungsnonnen und auch der Reaktion durch den Entwurf eines Zustellungsrefonngesetzes, wäre eine Vorlage jedoch notwendig gewesen. Selbst wenn der BGH die Vereinbarkeit von §§ 174, 175 ZPO a.F. mit europäischem Recht nicht angezweifelt hat, so stellte sich immer noch die Frage der richterlichen Hinweispflicht auf die Rechtsfolgen einer unterlassenen Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten. 188 Die angeblich sachlich gerechtfertigte Differenzierung bei Zustellungen ins Ausland musste damals schon fragwürdig erscheinen, weil eine faktisch von der Staatsangehörigkeit abhängige Unterscheidung vorlag. Denn Zustellungen an im Ausland ansässige Parteien gehen in der Regel an Ausländer. 189 Im Übrigen hatte der EuGH bei einer ähnlichen Problemstruktur bereits 1994 entschieden, dass bei der Zwangsvollstreckung eines Urteils die mit der grenzüberschreitenden Vollstreckung verbundenen Probleme innerhalb der Europäischen Union kein ausreichendes Differenzierungskriterium darstellten. 190 Auch dies hätte Ähnlich Stadler, Festschrift BGH III, S. 652, Roth. JZ 1999.419,420. Das Vorabentscheidungsverfahren ist für (künftige) Fragen des Zustellungsrechts nun in Art. 234, Art. 68 EG geregelt. 186 EuGH NJW 1983,1257 f.; Heß. ZZP 1995,59,80. 187 Heß. ZZP 1995,59,73 f. 188 Vgl. hierzu oben § 2.2.b.bb. 189 Ebenso: Roth, JZ 1999,419,420; Diesem Gesichtspunkt misst Wiehe. S. 19 zu wenig Bedeutung bei, wenn er schreibt: "Soweit reflexartig Ausländer öfter betroffen sind als Inländer, ist die Differenzierung zwischen den verschiedenen Gruppen sachlich durch die räumliche Nähe zum Gericht und die unterschiedlich gute Erreichbarkeit der Partei gerechtfertigt. ". Denn eine "reflexartige" Betroffenheit einer einzigen Gruppe, nämlich jener der im Ausland ansässigen Partei, will das Verbot mittelbarer Diskriminierung gerade verhindern. So auch zur alten Regelung des § 917 Abs. 2 ZPO: EuGH NJW 1994, 1271 Nr. 16 (Mund & Fester./. Hatrex). 184 185
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den BGH in seiner Sicherheit bezüglich der Vereinbarkeit mit europäischem Recht erschüttern müssen. 191 Ein weiteres Argument ergibt sich aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe. l92 Dieses hatte über die Vereinbarkeit der französischen Klagezustellung durch remise au parquet mit europäischem Recht, namentlich mit dem Diskriminierungsverbot (damals Art. 6 EG), zu befinden. 193 Die remise au parquet ähnelt der deutschen Zustellung durch Aufgabe zur Post insoweit, dass es sich bei ihr ebenfalls um eine fingierte Inlandszustellung handelt. Danach tritt die Zustellungswirkung bereits mit der Registrierung der Klage bei der Staatsanwaltschaft (Art. 684 f. n.c.p.c.) ein. Der ausländische Beklagte wird dann über die Klageerhebung lediglich mit einem eingeschriebenen Brief benachrichtigt. 194 Zwar wird im deutschen Recht erst nach tatsächlicher Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 175 ZPO a.F. (§ 184 n.F.) zugestellt. Dies ändert aber nichts an den Argumenten, die auch nach Ansicht des OLG Karlsruhe gegen eine Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot sprechen. Für das Gericht war entscheidend, dass die formalisierte Möglichkeit der Kenntnisnahme und der Zeitpunkt der erwarteten prozessualen Reaktion auseinanderfallen. 195 Gleiches gilt aber, wie gesehen, auch bei der Zustellung eines Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post. Der Zeitpunkt der Kenntnisnahme kann unter Umständen erst nach dem Ablauf der Einspruchsfrist liegen. Hinzu kommt, dass von der grenzüberschreitenden Übermittlung des Schriftstücks in deutscher, und damit für den Empfänger oftmals nicht verständlicher Sprache, eben typischerweise Ausländer betroffen sind. Das Gericht erklärte allerdings nicht das französische Zustellungsrecht schlechthin für vertragswidrig. Vielmehr sah es wegen der europäischen Harmonisierung eine europarechtskonforme Auslegung als notwendig an. 196 Auch die im ZustRG beschlossene Neuregelung der Zustellung durch Aufgabe zur Post zeigt, dass selbst der Gesetzgeber Handlungsbedarf sah. Nachdem ursprünglich vorgesehen worden war, diese Zustellungsform gänzlich wegfallen zu lassen, fällt die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nunmehr künftig in das Ermessen des Gerichts (§ 184 Abs. 1 ZPO n.F.).197 Darüber 190 191 192 193 498.
EuGH NJW 1994,1271,1272 (Mund & Fester.l. Hatrex). A.A.,jedoch ohne Begründung: Geimer, LM H. 7/1999 § 175 ZPO Nr. 13. OLG Karlsruhe, Beschluß vom 12. 3.1999-9 W 69/97, RIW 1999,538. Zur Vereinbarkeit der remise au parquet mit Art. 12 EG auch: Roth, IPRax 2000, 497,
194 Zur remise au parquet in weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, besonders zur griechischen Regelung, nach der nicht einmal eine Benachrichtigung durch formlosen Brief ins Ausland verlangt werde: Roth, IPRax 2000, 497 ff. 195 OLG Karlsruhe, Beschluß vom 12. 3.1999-9 W 69/97, RIW 1999,538,539. 1% OLG Karlsruhe, Beschluß vom 12.3. 1999-9 W 69/97, RIW 1999,538,539. 197 Begründung zum ZustRG, S. 52.
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hinaus wird den Hauptkritikpunkten an der gegenwärtigen Zustellung durch Aufgabe zur Post Rechnung getragen. Zum einen kann das Gericht den Eintritt der Zustellungswirkung selbst bestimmen (§ 184 Abs. 2 Satz 2 ZPO n.F.).198 Dadurch sollen solchen Fälle, in denen ein Schriftstück erst nach einer dort genannten Ausschlussfrist den Empfänger erreicht, künftig ausgeschlossen sein. Zum anderen ist in der Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten auf die Folgen einer Nichtbenennung hinzuweisen (§ 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO n.F.). Damit können sich ausländische Beklagte rechtzeitig auf die prozessualen Folgen einstellen, die eintreten, wenn sie ihrer Obliegenheit nicht nachkommen. Da nach der neuen EZVO künftig die direkte Postzustellung erlaubt sein wird, wird nach der Neuregelung zum ZustRG (§ 184 Abs. 1 Satz 1 iVm § 183 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO n.F.) die Zustellung durch Aufgabe zur Post im Europäischen Binnenmarkt -bis auf den Rechtsverkehr mit Dänemark l99 - ausgeschlossen sein. Im Ergebnis machen diese umfassenden Änderungen deutlich, dass nunmehr der deutsche Gesetzgeber erkannt hat, dass die bisherige Praxis der Zustellung durch Aufgabe zur Post den Anforderungen des Binnenmarktrechts nicht mehr genügte. Sie sind daher rechtspolitisch uneingeschränkt zu begrüßen. d) Getrennte Behandlung von europäischen Binnenund anderen Sachverhalten
Betrachtet man sich die langwierigen Zustellungsverfahren, insbesondere im nichteuropäischen Ausland, so wird trotz allem deutlich, dass die Balance zwischen Anspruch auf rechtliches Gehör auf der einen Seite, aber auch der Gewähr effektiver und effizienter Rechtsdurchsetzung auf der anderen Seite, gewahrt werden muss. Insbesondere mit Blick auf letztere muss darüber hinaus beachtet werden, dass zusätzlich die Effektivität der Rechtsprechung und auch die die Attraktivität des lustizstandorts Deutschland mit auf dem Spiel steht. 2OO Eine Lösung, die die rechtlichen Voraussetzungen des Europäischen Binnenmarktes respektiert, gleichzeitig aber auch die Realitäten im weltweiten internationalen Zivilverfahrensrecht mit in Betracht zieht, muss zweigeteilt sein. Eine getrennte Behandlung von Sachverhalten die sich innerhalb der Europäischen Union (bzw. den LuganoStaaten) abspielen und solchen, die außerhalb derselben stattfinden, ist erforderlich?OI Innerhalb der Union mit ihren eigenen Zustellungsregelungen kann eine Fiktion keinen Platz mehr haben. Ihr steht europäisches Recht entgegen. Konnte 198 Grundsätzlich gilt das Schriftstück allerdings zwei Wochen nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, § 184 Abs. 2 Satz I ZPO n. F. 199 V gl. hierzu unten, § 3.3.a.; § 5.l.e. 200 Diese Attraktivität muss angesichts der mannigfachen Möglichkeiten des forum shoppings im Europäischen Rechtsraum gestärkt werden. 201 Dies ist wohl auch die Konsequenz der Entscheidung des OLG Karlsruhe, Beschluß vom 12. 3.1999-9 W 69/97, RIW 1999,538,539.
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§ 2 Volkerrechtliche Fragen der Zustellung
früher mit dem Argument der langen Zustellungszeiten auch ins EG-partnerschaftliche Ausland die Zustellungsfiktion des § 175 ZPO a.F. begründet werden, so wird diese Rechtfertigung in Zukunft wegfallen, wenn die neuen Zustellungsregelungen tatsächlich so funktionieren sollten, wie es geplant ist. Dann hat die prozessuale Situation endlich Schritt aufgenommen mit dem materiellen Gebot der Inländergleichbehandlung. 202 Im außereuropäischen Ausland hingegen, muss die Zustellungsfiktion des § 184 ZPO auch in Zukunft eröffnet sein. Dies ist im Interesse einer effektiven
Rechtsdurchsetzung unverzichtbar. 203
3. Das völkerrechtliche Prinzip der Gegenseitigkeit im System der internationalen Zustellung Im internationalen Zivilprozessrecht spielt das Prinzip der Gegenseitigkeit eine wichtige Rolle. 204
a) Das völkerrechtliche Prinzip der Gegenseitigkeit Aus dem völkerrechtlichen Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) folgt, dass sich die geborenen Akteure des Völkerrechts
gleichberechtigt begegnen?05 Das bedeutet gleichzeitig, dass es eine Über- oder Unterordnung - mit entsprechenden Sanktionsmechanismen im Sinne einer staatlichen Rechtsordnung - in diesem Bereich des internationalen Rechts nicht geben kann. Das Völkerrecht ist daher stets auf einen Interessenausgleich angewiesen, will es effektiv bleiben. Tragendes Merkmal dieses Interessenausgleichs ist dann das Gegenseitigkeitsprinzip. 206 Neben der Durchsetzung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten ist inzwischen auch anerkannt, dass das Reziprozitätsprinzip schon im Entstehungsprozess von völkerrechtlichen Verträgen, also auch solchen des internationalen Verfahrensrechts, eine wichtige Rolle spielt. Die Antizipation reziproker Verhaltensweisen motiviert dabei die Staaten, Verträge abzuschließen?07 In Abwandlung des von 202 Eine öffentliche Zustellung im Sinne von § 203 ZPO muss es aber auch in Zukunft, unabhängig davon, ob der Empfänger im Inland oder im Ausland ist, geben. 203 Vgl. auch zur Zweiteilung EU-Recht I allgemeines internationales Zivilverfahrensrecht mit Bezug zur grenzüberschreitenden Beweisaufnahme: Stadler. Festschrift BGH III, S. 660. 204 Schack, IZVR, Rz. 38. 205 Decaux, S. 18. 206 Grundlegend: Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge; ders., Das Reziprozitätselement in der Entstehung des Volkergewohnheitsrechts. 207 Virally, S. I ff.; Schack, IZVR, Rz. 38.
3. Das völkerrechtliche Prinzip der Gegenseitigkeit
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Gouldner formulierten Ergebnisses einer rechtssoziologischen Studie zur Reziprozität läßt sich formulieren, daß die "norm 0/ reciprocity" nicht nur ein "starting mechanism 0/ International Law" ist20S , sondern eben gerade bei der Durchsetzung vertraglicher Pflichten eine tragende Rolle spielt. b) Auswirkungen auf das Zivilprozess recht
Auch im internationalen Zivilprozessrecht hat damit die Gegenseitigkeit ihren Niederschlag gefunden.209 Als Motivation zum Abschluß der verschiedenen internationalen Rechtshilfeverträge diente auch die Erkenntnis, dass im Zuge der immer weiter fortschreitenden internationalen Verflechtung Privatpersonen und Unternehmen eine grenzüberschreitende Rechtsverfolgungsmöglichkeit gegeben werden sollte. Im deutschen Recht ist als "Sicherung" gemäß § 328 Abs. I Nr. 5 ZPO als Anerkennungshindernis für Urteile ausländischer Gerichte vorgesehen, dass die Gegenseitigkeit nicht verbürgt iSt. 21O Dies macht in der internationalen Prozessrechtssystematik auch Sinn. Denn weshalb sollten die Gerichte eines Staates das Urteil eines fremden Staates gegen ihren eigenen Staatsangehörigen anerkennen, wenn umgekehrt die Anerkennung eigener Urteile im fremden Staat auch so gewährleistet ist? Das Gegenseitigkeitserfordernis stellt also, vor allem außerhalb vertraglicher Beziehungen, einen Sanktionsmechanismus im internationalen Prozessrecht dar. 211 Dennoch wird in der Literatur das Gegenseitigkeitserfordernis angezweifelt. Vor allem wird angeführt, dass es eine effektive, parteiorientierte Rechtsdurchsetzung verhindere. 212 c) Das Gegenseitigkeitserjordernis im Binnenmarkt
Die Anerkennung eines ausländischen Urteils hängt gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO davon ab, ob unter vergleichbaren Umständen eine deutsche Entscheidung im Ausland anerkannt würde?13 Bezüglich der europäischen Partnerstaaten Gouldner, American Sociological Review 25 (1960), 161, 176 f. Vgl. etwa zum Gegenseitigkeitserfordernis im deutschen und V.S.-amerikanischen Anerkennungsrecht: Hay, Liber Amicorum Kurt Siehr, S. 237, S. 239. 210 Das Gegenseitigkeitserfordernis spielt auf dieser Ebene jedoch nur dann eine Rolle, wenn internationale Übereinkünfte nicht eingreifen, Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann-Hartmann, § 328 Rz. 5, 46; innerhalb solcher Übereinkünfte kann Reziprozität allerdings wieder an Bedeutung gewinnen, vgl. etwa zur reziproken Wirkung des deutschen Widerspruchs zu Art. 10 HZÜ: Kondring, IPRax 1997,242,242. 211 Vgl. auch Pfeiffer, Prozeßhandlungen, S. 81. 212 Schack, IZVR, Rz. 38. m Thomas-Putzo, § 328 Rz. 20. 208
209
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§ 2 Volkerrechtliche Fragen der Zustellung
werden die Anerkennungshindernisse bei Urteilen in Zivil- und Handelssachen aber in Art. 34 VO 44/01 enumerativ aufgeführt. Für die Anerkennung von (EU-) ausländischen Titeln stellt Art. 34 VO 44/01 die speziellere Regelung dar und ist gern. Art. 249 EG ohnehin unmittelbar anwendbar?14 Eine Verpflichtung zur Anerkennung ergibt sich nunmehr nicht aufgrund des Prinzips der Gegenseitigkeit, sondern wegen "autonomen" europäischen Rechts. 215 Es bleibt damit festzuhalten, dass das Gegenseitigkeitserfordernis und die Kritik hieran für das europäische Zustellungsrecht in Zivil- und Handelssachen keine Rolle spielen?16 Im Rahmen der Europäischen Union ist man über dieses Relikt nationalstaatlicher Abschottung mittlerweile hinweggekommen.
214
Kropholler; Ein!. Rz 13, Art. 25 Rz. 6.
Der für die internationale Zustellung im Binnenmarkt relevante Art. 34 Nr. 2 VO 44/01/EG entspricht dabei dem § 328 Abs. I Nr. 2 ZPO. 216 Anders z. B. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 des Europäischen Verwaltungszustellungsübereinkommens. 215
§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung durch die EU-Verordnung vom 29. Mai 2000 Die Auswirkungen der hoheitlichen Qualifikation verkomplizieren die internationale Zustellung erheblich. Dies wird auch in der Praxis stark kritisiert. l
1. Die (unendliche?) Geschichte des Europäischen Zustellungsrechts
Die Versuche, das Zustellungsrecht in Zivil- und Handelssachen innerhalb der Europäischen Union zu verbessern, reichen weit zurück. Im Jahr 1992 wurde unter portugiesischem Vorsitz, unter Mitarbeit Großbritanniens und der Niederlande, ein entsprechender Fragebogen ausgearbeitet. Nach der Analyse der darauf aus den Mitgliedstaaten eingegangenen Antworten setzte der Rat der Justizminister im Jahr 1993 die Gruppe" Vereirifachung der Übermittlung von Schriftstücken" ein. Sie sollte ein "Rechtsinstrument" zur Vereinfachung und Beschleunigung der Übermittlung von Schriftstücken innerhalb der Europäischen Union ausarbeiten. Denn 1993 war auch dem Rat der Justizminister deutlich geworden, dass das bestehende System unbefriedigend ist. 2 Insbesondere wurde moniert, dass es durch die Vielzahl bi- und multilateraler Ab- und Übereinkommen sowie durch das HZÜ zu Verzögerungen, Irrtümern oder anfechtbaren Entscheidungen kommen könne. 3 Daher wurde im Rahmen der gemeinsamen Justizpolitik nach dem EUV das EZÜ ausgearbeitet. 4 Laut Präambel sollte damit die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen zum Zwecke der Zustel1 Vgl. Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, S. 97, der die internationale Zustellung als "schwerfällig, umständlich [ ... ] zu lang [ ... ] unüberschaubar und damit unkalkulierbar [ . .. ] fehleranfällig und dadurch kontraproduktiv. .. bezeichnet. Auch die Rechtsprechung sah das internationale Zustellungsrecht als problematisch an, vgl. nur BGH NJW 1998, 988, 989: "Die Erhebung einer Klage vor einem deutschen Gericht, deren Zustellung im Ausland mit solchen Ungewißheiten behaftet gewesen wäre, hätte dem Kläger nicht zugemutet werden können . .. 2 Vgl. Erläutender Bericht zum Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Bericht zum EZÜ), Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 26; zur Geschichte des EZÜ auch Kennett, CJQ 17 (1998), 284 ff. 3 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 26. 4 Amtsblatt der EG vom 27. August 1997 Nr. C 261, S. 1.
§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
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lung verbessert und beschleunigt werden. Dieses internationale Übereinkommen wurde von den Mitgliedstaaten jedoch nie ratifziert und ist nicht in Kraft getreten. Mittlerweile war nämlich die gemeinsame Justizpolitik aus der dritten Säule herausgelöst und durch den Amsterdamer Vertrag vergemeinschaftet worden. 5 Stattdessen legte die Kommission am 4. Mai 1999 einen" Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ,,6 vor, der allerdings den Inhalt des EZÜ ersetzen und den Fortbestand der Verhandlungsergebnisse weitgehend sichern sollte. 7 Die Kommission erhoffte sich nach den Erfahrungen des schleppenden Ratifizierungsverfahrens beim EZÜ eine wirkliche Verbesserung: "Mit der Transposition des Übereinkommens in einen Gemeinschaftsrechtsakt wird unter anderem gewährleistet, daß die Umsetzung zeitnah zu einem einheitlichen, im voraus bekannten Zeitpunkt erfolgt. ,,8
Nichts desto trotz wurde das neue europäische Zustellungsrecht aber dann doch nicht als Richtlinie verabschiedet, sondern am 29. Mai 2000 als Verordnung beschlossen. 9 Die neue Rechtsform hatte zuvor auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss in seiner Stellungnahme zum Richtlinienentwurf gefordert. Denn durch die Rechtsform der Verordnung könnten die Staaten den wachsenden Anforderungen der Bürgergesellschaft hinsichtlich mehr Gleichheit, Gerechtigkeit und einem vergleichbaren Stand der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes gerecht werden. 10 Inhaltlich hatten sich jedoch wiederum kaum Änderungen zum EZÜ von 1997 ergeben." Die EZVO trat gemäß Art. 25 am 31. Mai 2001 in Kraft.
5 Zur nicht zufriedenstelIenden Gemeinsamen Justizpolitik im Rahmen des EUV: Bericht des Rates (1995) über das Funktionieren des Vertrags über die Europäische Union, S. 35 ff. 6 KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102. 7 KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102, S. 5. 8 Ebd. 9 Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, Amtsblatt der EG Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 37 ff. 10 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten", Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 368 vom 20. Dezember 1999, S. 47, 48. 11 Vgl. auch die Präambel zur EZVO, Amtsblatt Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 37: "Die bei der Aushandlung dieses Übereinkommens [des EZÜ] erzielten Ergebnisse sind zu wahren. Daher übernimmt die Verordnung weitgehend den wesentlichen Inhalt des Übereinkom-
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2. Die neue Rechtsform der Verordnung
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2. Die neue Rechtsform der Verordnung Zustellungen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Zivilund Handelssachen werden damit ab dem 31. Mai 2001 aufgrund einer Verordnung durchgeführt werden.
a) Neue Rechtsgrundlage Bei der EZVO handelt es sich um einen Gemeinschaftsrechtsakt, also um sekundäres Gemeinschaftsrecht. Rechtsgrundlage ist nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags nunmehr Art. 61 lit. c EG. War zum Zeitpunkt des Beschlusses des EZÜ die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen noch Bestandteil der intergouvernementalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten nach Art. K.a Nr. 6 EUV, so wurde sie durch den neuen Art. 65 EG unmittelbar in das Gemeinschaftsrecht übertragen. 12
b) Unmittelbare Geltung und Angleichung nationaler Vorschriften Dies hat für Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit weitere Folgen. Die solchermaßen ergriffenen Maßnahmen sind zunächst einmal nicht mehr auf der Ebene völkerrechtlicher Verträge angesiedelt, sondern werden als unmittelbar geltendes l3 oder von den Mitgliedstaaten umzusetzendes l4 Gemeinschaftsrecht erlassen. Bei der EZVO hat sich der Rat für eine nach Art. 249 Abs. 1 EG unmittelbar geltende Verordnung entschieden. Damit bedarf es keines Transformationsaktes in nationales Recht mehr. 15 Es ist also sichergestellt, dass das neue Zustellungsrecht zu einem einheitlichen Zeitpunkt für alle Mitgliedstaaten in Kraft tritt und der wesentliche Regelungsgehalt der EZVO in gleichem Umfang in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten gilt. 16 Dies schließt freilich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten nicht aus, nationale Vorschriften dahingehend abzuändern, dass sie künftig mit den Regelungen der Verordnung in Einklang stehen. I? Die europäischen Vorschriften müssen vielmehr durch das nationale Recht zur Geltung gebracht werden. Für das deutsche Zustellungsrecht wurde eine solche Änderung insbesondere im Hinblick auf die ZulasHeß, NJW 2000, 23, 27. Bei Verordnungen, Art. 249 Abs. 2 EG. 14 Bei Richtlinien, Art. 249 Abs. 3 EG. 15 Lenz-Hetmeier; Art. 249 Rz. 7. 16 Zu den Ausnahmen in Bezug auf das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark vgl. sogleich unten § 3.3.a. 17 Lenz-Hetmeier; Art. 249 Rz. 7. 12
13
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
sung der Postzustellung notwendig. 18 Außerdem waren zahlreiche Änderungen der ZRHO vorzunehmen, die das konkrete Zustellungsverfahren in Bezug auf das Ausland regelt. Dies schließt etwa die Verwendung der neuen Formulare, die Verstärkung eigener Ermittlungstätigkeit der ersuchten Behörde, neue Berichtspflichten, die Berücksichtigung neuer, kürzerer Fristen, neue Sprachrege1ungen und auch Neufassungen im Länderteil mit ein.
c) Unzulässigkeit von Vorbehalten
War im EZÜ nach Art. 23 noch die Erklärung von Vorbehalten durch die Mitgliedstaaten ausdrücklich vorgesehen, so sind solche im Rahmen des Gemeinschaftsrechtsakts EZVO nicht mehr zulässig. Zugelassen werden lediglich Übergangs- und Sonderregelungen, die der Kommission mitzuteilen sind (Art. 23 Abs. I EZVO) und im Amtsblatt der EG veröffentlicht werden (Art. 23 Abs. 2 EZVO).19 Auch diese Sonderregelungen sind allerdings geeignet, den Vereinheitlichungseffekt der Verordnung nachhaltig zu beeinträchtigen.
d) Durchführungshoheit der Kommission Im EZÜ war durch Art. 18 die Einrichtung eines Exekutivausschusses vorgesehen, der unter anderem "alle allgemeinen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung dieses Übereinkommens zu prüfen." hatte. Ferner sollte er Beschlüsse fassen, die für die Durchführung des EZÜ von entscheidender Bedeutung gewesen wären: die Erstellung eines Handbuchs und eines Glossars sowie die Unterbreitung von Vorschlägen zur Beschleunigung der Übermittlung und Zustellung der Schriftstücke, zur Anpassung des einheitlichen Formblattes und auch zur Aufnahme von Verhandlungen für die Revision des Übereinkommens. Dieser Ausschuss wäre beim Rat angesiedelt gewesen, was einen großen Einfluss der Mitgliedstaaten erwarten ließ. Nach der EZVO (Art. 17 und Art. 18) obliegt die Durchführungshoheit künftig der Kommission, die von einem Ausschuss unterstützt wird. Die Übertragung der Durchführungshoheit erfolgt dabei auf Grundlage der Art. 202 und 211 EG. Damit scheint eine Ausgestaltung der Zustellungspraxis gewährleistet, die sich stärker und unabhängiger von nationalen Interessen an den Bedürfnissen einer wirklich 18 Zu den Änderungen durch das Zustellungsreformgesetz vgl. unten § 5.1. 19 Aus der neuen Rechtsform ergeben sich auch weitere formale Änderungen: Art. 24 (Annahme und Inkrafttreten), Art. 25 (Beitritt), Art. 26 (Änderungen) und Art. 27 (Verwahrer und Veröffentlichungen) EZÜ sind bei einem Gemeinschaftsrechtsakt entbehrlich. Auch sind redaktionelle Änderungen zu verzeichnen: so ist z. B. in Art. 2 Abs. 1 EZVO nicht mehr davon die Rede, dass jeder Mitgliedstaat die für die Zustellung zuständigen Behörden "bestimmen" kann. Er kann sie lediglich noch "benennen".
3. Der Anwendungsbereich der EZVO
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effizienten grenzüberschreitenden Übermittlung orientiert, als dies bei einem Exekutivausschuss im Rahmen des Rates der Fall gewesen wäre.
e) Kontrolle durch den EuGH Darüber hinaus bedarf es nunmehr auch keines Zusatzprotokolls mehr, das dem EuGH die Auslegungszuständigkeit für die Neuregelungen überträgt. Noch im Rahmen des ursprünglich beschlossenen EZÜ (vgl. Art. 17) war 1997 auch ein solches Zusatzprotokoll verabschiedet worden. 2o Die Auslegungskompetenz ergibt sich jetzt aber direkt aus Art. 68, Art. 220, Art 234 EG.
3. Der Anwendungsbereich der EZVO a) Territorialer Anwendungsbereich Grundsätzlich richtet sich die EZVO an alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ist für alle verbindlich. Zu beachten sind lediglich die Ausnahmen, die im Rahmen der gemeinsamen Justizpolitik dem Vereinigten Königreich, Irland und Dänemark zugebilligt wurden. Diese finden sich in Zusatzprotokollen zum EG wieder, auf die durch Art. 69 EG ausdrücklich verwiesen wird. Für das Vereinigte Königreich und Irland ist die Geltung der EZVO jedoch gewährleistet. Beide haben auf der Tagung des Rates "Justiz und Inneres" vom 12. März 1999 gemäß Art. 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands (zu Art. 69 EG) erklärt, sich an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen vollumfänglich beteiligen zu wollen. Damit werden sie auch die Anwendung der EZVO zulassen?' Nicht anwendbar ist die Verordnung jedoch im Verhältnis zu Dänemark, das von seinem grundsätzlichen Vorbehalt nicht zurückgetreten ist, vgl. Art. 7 des Protokolls (Nr. 5) über die Position Dänemarks (zu Art. 69 EG)?2 20 Rechtsakt des Rates vom 26. Mai 1997 über die Ausarbeitung des Protokolls betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 17, mit dem Erläuternden Bericht, ebd., S. 38. 21 Erwägungen des Rates der Europäischen Union zur Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29. Mai 2000, Nr. 17; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 5. 22 Erwägungen des Rates der Europäischen Union zur Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29. Mai 2000, Nr. 18; Kritisch zur abgestuften Integration im europäischen Verfahrensrecht: Heß. NJW 2000, 23, 27 f.
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
b) Sachlicher Anwendungsbereich Die EZVO gilt gemäß Art. 1 Abs. 1 zwischen den Mitgliedsstaaten der Union, wenn ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück in Zivil- und Handelssachen grenzüberschreitend zu übermitteln ist.
aa) Zivil- und Handelssachen Eine Definition der Begriffe Zivil- und Handelssachen erfolgt in der EZVO nicht. Nach Auffassung des Rates soll hierzu die Auslegung des EuGH zu Art. 1 EuGVÜ herangezogen werden, die eine autonome Definition der Begriffe auf der Grundlage der sich aus den nationalen Rechtssystemen ergebenden Grundsätze vornimmt. Ausdrücklich wird jedoch betont, dass sich der Bereich der Zivil- und Handelssachen jedenfalls nicht auf den sachlichen Anwendungsbereich des EuGVÜ beschränke. 23 Zwar sind dies eher Kommentierungen allgemeinrechtlicher Natur. Dass sich hieraus trotzdem kaum Streitigkeiten entwickeln werden, zeigt ein Vergleich mit dem HZÜ. Soweit das HZÜ von Zivil- und Handelssachen spricht (Art. 1 Abs. 1) wird eine autonome oder sogar einheitliche Auslegung für unmöglich gehalten. 24 Dies liege daran, dass der Kreis der Mitgliedstaaten des HZÜ sehr unterschiedlich sei und eine einheitliche Auslegungsinstanz fehle. 25 Legt man diese Kriterien an die EZVO an, so muss die Beurteilung anders ausfallen. Zum einen befinden sich die Mitgliedstaaten der Union auf einem weitaus höheren Integrationsstand. Die Zivilprozessrechte der Mitgliedstaaten flankieren den Weg zu einem einheitlichen Raum des Rechts. Zum anderen steht mit dem EuGH eine übergeordnete Auslegungsinstanz zur Verfügung. Zwar gab es auch im Rahmen des EuGVÜ durchaus Fälle, in denen über das Vorliegen einer Zivil- und Handelssache gestritten wurde?6 Mit den Erläuterungen zur EZVO scheint sich aber abzuzeichnen, dass es künftig eine großzügigere Auslegungspraxis - und damit weniger Streit - geben wird. Die EZVO verzichtet nicht nur darauf, zur Auslegung nicht auf die Prozessrechte von Übermittlungsoder Empfangsstaat zu verweisen. Die autonome Definition soll im Gegenteil auch die Ziele und den Aufbau des Rechtsinstruments berücksichtigen. 27 23 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 11. 24 Streit um Art. 1 HZÜ gab es etwa hinsichtlich der Frage der Zustellungsfähigkeit von Schriftstücken, die punitive damages zum Inhalt hatten. 25 Schlosser, EuGVÜ, Art. 1 HZÜ Rz. 1; Geimer, IZPR, Rz. 318. 26 Zumeist ging es um die Abgrenzung von Öffentlichem Recht und Privatrecht, vgl. etwa die Eurocontrol-Entscheidung, EuGH Sig. 1976, 1551 ff. Zur Abgrenzung zum Strafrecht: EuGH IPRax 1994,37 mit Anm. Heß IPRax 1994, 10. 27 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 11.
3. Der Anwendungsbereich der EZVO
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Nach den Erläuterungen fallen Steuer- und Strafsachen nicht unter den Anwendungsbereich der EZVO. Damit zusammenhängende zivilrechtliche Verfahren werden jedoch berücksichtigt. Dies wird als notwendig angesehen, um insbesondere die Verteidigungsrechte der Parteien zu wahren?8 Das bedeutet, dass etwa Mitteilungen im Adhäsionsverfahren künftig mittels Postzustellung (Art. 14 Abs. 1 EZVO) direkt übermittelt werden können?9 In diesem Zusammenhang bleibt jedoch das Verhältnis zu den einschlägigen strafprozessualen Zustellungsvorschriften zunächst unklar. Denn nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 des Schengen-II-Übereinkommens können alle gerichtlichen Urkunden, die von den Nationalstaaten in einer Liste gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 genannt werden, unmittelbar durch die Post übersandt werden. Die Bundesrepublik hat in diese Liste auch gerichtliche Mitteilungen im Adhäsionsverfahren aufgenommen. 30 Die doppelte Erfassung solcher Mitteilungen wäre unschädlich, wenn die Zustellungsvorschriften im Straf- und Zivilprozess inhaltsgleich wären. Dies ist jedoch nicht der Fall. Besonders bei den Übersetzungserfordernissen ergeben sich Unterschiede. So ist die Regelung im Strafprozess wesentlich flexibler3l als bei der internationalen Zustellung nach der EZVO. Bei letzterer steht den Mitgliedstaaten die durch Art. 14 Abs. 2 eingeräumte Befugnis offen, bei unmittelbar postalisch übersandten Mitteilungen vollständige Übersetzungen zu verlangen. 32 Die doppelte Erfassung kann jedoch möglicherweise durch Art. 20 EZVO aufgelöst werden. Hiernach bleibt es den Mitgliedstaaten möglich, Übereinkünfte oder Vereinbarungen zur weiteren Beschleunigung oder Vereinfachung der Übermittlung von Schriftstücken beizubehalten oder abzuschließen, sofern sie mit der EZVO vereinbar sind. Die Vorschriften des Schengen-II-Übereinkommens beinhalten eine solche weitere Vereinfachung. Da eine Unvereinbarkeit mit der EZVO nicht ersichtlich ist, können sie also Vorrang vor der EZVO beanspruchen.
bb) Gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke Unter gerichtlichen Schriftstücken werden solche verstanden, die "in Zusammenhang mit einem Gerichtsveifahren stehen. ,,33 28
Ebd.
Dass Titel aus dem Adhäsionsverfahren unter Art. 5 Nr. 4 EuGVÜ fallen, wurde erneut in der Entscheidung Krombach . / . Bamberski, EuGH NJW 2000, 1853 deutlich. 30 Vgl. BGBI. 199611 242 ff. 31 Vgl. oben § 1.2.b.bb.(3). 32 Vgl. hierzu die Angaben der Mitgliedstaaten gemäß Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, Mitteilungen der Kommission nach Art. 23 VO, Amtsblatt der EG 2001 C 151, S. 4 ff., C 202 S. 10 ff. und C 282, S. 2; Analyse der mitgliedstaatlichen Vorbehalte auch bei Stadler, IPRax 2001, 514, 519 f. 29
6*
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
Etwas schwieriger einzugrenzen ist der Begriff der außergerichtlichen Schriftstücke. Schon in der Begründung zur EZVO (bzw. zur Richtlinie)34 wird eine gewisse Unsicherheit deutlich: "Für außergerichtliche Schriftstücke erscheint eine genaue Definition nicht möglich. Man kann davon ausgehen, daß es sich hier um von einer Amtsperson erstellte Schriftstücke, wie etwa notariell beglaubigte Urkunden oder Vollstreckungsurkunden, handelt, um von amtlichen Stellen eines Mitgliedstaats erstellte Schriftstücke oder sonstige Schriftstücke, deren Art es rechtfertigt, daß sie dem Empfänger in einem amtlichen Verfahren zugeleitet und zur Kenntnis gebracht werden ... 35
Ein Blick in den Bericht zum EZÜ kann die Frage ebenfalls nicht weiter beantworten, denn auch dort wird von der Unmöglichkeit einer genauen Definition ausgegangen. 36 Als außergerichtliche Schriftstücke werden wohl solche angesehen, denen rechtliche Bedeutung zukommt, also auch etwa Kündigungsschreiben. 37 Als Anhaltspunkt könne demnach dienen, dass das entsprechende Schriftstück von einem lustizbeamten (z. B. notariell beglaubigte Urkunden, Vollstreckungsurkunden) oder einer staatlichen Stelle erstellt wurde, oder es sich um Schriftstücke handelt, "deren Art es rechtfertigt, daß sie dem Empfänger nach einem offiziellen Verfahren zugeleitet und zur Kenntnis gebracht werden ,,38, was immer das heißen mag. Soweit ersichtlich hat sich jedoch aus dem Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks noch kein Streit ergeben. 39 Die Frage erscheint daher von eher geringer Relevanz und wird ganz sicher keinen Hemmschuh für die Wirksamkeit der EZVO darstellen.
cc) Unbekannte Anschrift des Empfängers Schließlich bleibt noch darauf hinzuweisen, dass die EZVO gemäß Art. 1 Abs. 2 nicht gelten soll, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist. Damit wurde die Regelung des Art. 1 Abs. 2 HZÜ übernommen. Sinn dieser 33 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 10. 34 Substanziell geändert wurde letztlich nur die Rechtsform, nicht aber die Begründung des Rechtsakts. 35 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 10. 36 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 28. 37 Meyer; IPRax 1997,401,403. 38 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 28. 39 Zu Beispielen aus dem deutschen Recht, die als außergerichtliche Schriftstücke nach dem HZÜ angesehen werden, vgl. Schlosser; EuGVÜ, Art. 1 HZÜ Rz. 12.
4. Verfahren nach der EZVO
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Vorschrift ist es, in Fällen unbekannter Anschrift den Empfangsmitgliedstaat von der Verantwortung der Zustellung zu befreien. Allerdings sollen die zuständigen Stellen im Empfangsmitgliedstaat "mit den ihnen zur Veifügung stehenden Mitteln Nachforschungen" anstellen. 40 Falls die Anschrift des Empfängers nicht ermittelt werden kann, ist das Schriftstück "binnen kürzester Frist ,,41 an die Übermittlungsstelle zurückzuschicken. Eine zeitliche Eingrenzung für die Nachforschungen der Empfangsstelle ergibt sich hierbei jedenfalls aus Art. 7 Abs. 2 EZVO. Dieser sieht als Zustellungszeitraum maximal einen Monat seit Eingang bei der Empfangsstelle an. 4. Verfahren nach der EZVO
Die EZVO bringt für das grenzüberschreitende Zustellungsverfahren innerhalb der Union einige bedeutsame Neuerungen. Betroffen sind vor allem Bereiche, die sich in der Vergangenheit als besonders hemmend für eine zügige Zustellung erwiesen haben. 42 a) Dezentralisierung Die wichtigste Neuerung ist die Dezentralisierung des internationalen Zustellungswesens. aa) Der neue Grundsatz der Dezentralität Die Übermittlung von Schriftstücken soll nun nicht mehr wie im Rahmen des HZÜ über ZentralstelIen und weitere, zum Teil zahlreiche Zwischenstationen laufen. Stattdessen soll sich die übermittelnde Stelle direkt an diejenige Stelle wenden können, die im Empfangsstaat dann schließlich zustellt. (Art. 4 Abs. I EZVO). Es wird also - im Rahmen der Möglichkeiten eines Systems der Rechtshilfe - ein Unmittelbarkeitsprinzip eingeführt. Die Mitgliedsstaaten mussten daher die neuen 40 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 11. 41 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 11. 42 Kennet, CJQ 1998,284,295; Die Begründung zum Richtlinienentwurf nennt eingangs vier wesentliche Punkte: Direkte Beziehungen zwischen übermittelnden und zustellenden Behörden oder Stellen, neue praktische Hilfsmittel, neue Übersetzungsregelungen und die Einsetzung eines beratenden Ausschusses, vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/01 02 (CNS), S. 6 f.
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
Übennittlungs- und Empfangsstellen vor Inkrafttreten der EZVO gemäß Art. 2 Abs. I und Abs. 2 EZVO benennen. Außerdem haben die Mitgliedstaaten den Bereich der örtlichen Zuständigkeit der dezentralen Stellen, die den Empfangsstellen zur Verfügung stehenden technischen Mittel und die Sprachen, in denen das Fonnblatt des Zustellungsersuchens ausgefüllt werden dart 3 , mitzuteilen. Diese Daten werden in einem Handbuch gesammelt, welches dann - jährlich aktualisiertden mit Rechtshilfeverfahren befassten Stellen als Nachschlagewerk dienen soll (Art. 171it. a EZVO).
bb) Die Ausnahme: Abweichung vom Dezentralisierungsgrundsatz Nach Art. 2 Abs. 3 EZVO können die Mitgliedsstaaten allerdings auch weiterhin eine zentrale Stelle44 benennen, die allein für Übennittlungen und Durchführungen von Zustellungen zuständig sein soll. Es ist ebenfalls zulässig, jeweils eine Stelle für die Übennittlung, sowie eine für die Entgegennahme von Schriftstücken zu benennen. Mit diesen Ausnahmeregelungen kommt die Union solchen Staaten entgegen, die bislang eine zentrale Organisation des Zustellwesens hatten. 45 Eine solche Benennung nach dem Ausnahmetatbestand des Art. 2 Abs. 3 EZVO ist auf fünf Jahre befristet und kann jeweils für fünf weitere Jahre erneuert werden. Die Befristung ist mit der Hoffnung befrachtet, dass die Staaten, die dezentral arbeiten, innerhalb der ersten fünf Jahre solch gute Erfahrungen machen, dass auch diejenigen Staaten, die sich zunächst für eine Zentralstelle entschieden hatten, dann umstellen werden. 46 Hierzu dient auch die durch Art. 24 EZVO vorgesehene Evaluierung der neuen Zustellungspraxis. 47 Der Grund für diese ausführliche Regelung des Ausnahmetatbestands liegt in der prinzipiellen Entscheidung der EZVO für die Dezentralität. Denn die Benennung nur einer Stelle sah schon das HZÜ vor. Besonders die vielen Zwischenstufen bei der internationalen Zustellung wurden jedoch als Hemmnis für wirkliche Effizienz angesehen. 48 Sie dürfen nicht zu Verzögerungen in der Zustellung führen. Grund für die Aufweichung des Grundsatzes der DeZur Sprachregelung vgl. unten § 3.4.d. Diese ist nicht zu verwechseln mit der Zentralen Informationsstelle nach Art. 3 EZVO, vgl. hierzu sogleich § 3.4.b. 45 Vgl. zur Rechtslage in England und Schottland Kennet, CJQ 1998, 284, 296. 46 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 29; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 12. 47 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 12. 48 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 11. 43
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zentralität war am Ende vor allem die massive Ablehnung durch das Vereinigte Königreich, Schweden und Finnland. 49
b) Zentrale Infonnationsstelle Auch mit dem neuen System, das auf dem Grundsatz der Dezentralität basiert, sind aber Probleme nicht ausgeschlossen. Deshalb sieht Art. 3 EZVO zusätzlich die Benennung einer oder mehrereriO ZentralstelIen vor. Diese haben die Aufgabe, den Übermittlungsstellen Auskünfte zu erteilen (Art. 3 Iit. a EZVO), etwa wenn einer Übermittlungs stelle die zuständige Empfangsstelle nicht bekannt ist. Außerdem sollen die ZentralstelIen nach Lösungswegen suchen, wenn bei der Übermittlung von Schriftstücken Schwierigkeiten auftreten, die nicht bereits auf der Ebene der dezentralen Stellen gelöst werden können (Art. 3 lit. b EZVO). Nur in Ausnahmefällen soll die Zentralstelle schließlich auf Ersuchen einer Übermittlungsstelle einen Zustellungsantrag an die entsprechende Empfangsstelle weiterleiten (Art. 3 lit. c EZVO).51 Solch ein Ausnahmefall ist dann gegeben, wenn etwa die Empfangsstelle zerstört wurde, oder wenn wegen eines Streiks in der Region der Empfangsstelle nicht gearbeitet werden kann. 52 Damit dies restriktiv gehandhabt wird, wacht über die Anwendung des Art. 3 lit. c EZVO der bei der Kommission angesiedelte Ausschuss (Art. 24 EZVO). Den Mitgliedsstaaten wird empfohlen, als ZentralstelIen nach Art. 3 EZVO die bereits gemäß Art. 2 HZÜ benannten ZentralstelIen zu wählen. 53
Meyer, IPRax 1997,401,403. Bei Bundesstaaten, Staaten mit mehreren Rechtssystemen oder Staaten mit autonomen Gebietskörperschaften. 51 Meyer, IPRax 1997,401,403. 52 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 30; Verwirrung stiftet in diesem Zusammenhang die Feststellung im Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 21, wonach in solchen Fällen höherer Gewalt der -auch in der EZVO immer noch vorgesehene- diplomatische oder konsularische Weg (Art. 12 EZVO) gewählt werden soll. Aufzulösen ist dieser Widerspruch mit einer abgestuften Wahl des Übermittlungswegs: zunächst ist die Übermittlung über die Zentralstelle zu versuchen. Erst wenn diese fehlschlägt sollte der langwierige konsularische oder diplomatische Weg gewählt werden. 53 Vgl. auch Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 30; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14. 49
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
c) Flexible Übermittlung
Nach der EZVO wird der Hauptübennittlungsweg also idealerweise über die dezentralen Übermittlungs- und Empfangsstellen führen. 54 Dies geschieht konkret so, dass die Übennittlungsstelle dem Handbuch die zuständige Empfangsstelle entnimmt und dieser das Schriftstück gemäß Art. 4 Abs. 1 EZVO direkt und so schnell wie möglich unter Zuhilfenahme eines Fonnblattes (Art. 4 Abs. 3 EZVO) übennittelt. Art. 4 Abs. 2 EZVO bestimmt, dass die Übennittlung auf jedem geeigneten Übennittlungsweg erfolgen kann. Zum Schutz des Empfängers ist nur erforderlich, dass das empfangene mit dem übersandten Dokument inhaltlich genau übereinstimmt und alle Angaben mühelos lesbar sind. Nicht notwendig ist dagegen, dass übennitteltes und empfangenes Dokument das gleiche Schriftbild aufweisen. Stimmen die Dokumente nicht überein, so ist das Dokument der Übermittlungsstellle mit einem einheitlichen Fonnblatt55 unverzüglich zurückzusenden. 56 Die im Übereinkommen gewählte Fonnulierung lässt Raum für sämtliche Übermittlungsarten, die in den jeweiligen Staaten machbar und zulässig sind. Insbesondere ist sie flexibel genug, um auf technische Änderungen angemessen zu reagieren. 57 Welche Übennittlungsarten jeweils zulässig sind, ist wiederum dem Handbuch zu entnehmen. 58 Im Wege eines "Erst-Recht-Schlusses" stellt die Begründung zur EZVO weiterhin klar, dass eine Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke nicht verlangt werden darf (Art. 4 Abs. 4 EZVO). Denn selbst in zahlreichen einschlägigen Übereinkommen außerhalb der Europäischen Union sei eine Beglaubigung nicht vorgesehen. 59 Mit einer entsprechenden Mitteilung auf dem Fonnblatt kann die Übennittlungsstelle nach Art. 4 Abs. 5 EZVO den Wunsch äußern, mit der Eingangsbestätigung auch eine Abschrift des zugestellten Schriftstücks durch die Empfangsstelle zu er54 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14. 55 Fonnblatt "Benachrichtigung über die Rücksendung des Antrags und des Schriftstücks Nr.9.2". 56 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 30; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14. 57 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 30; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14. 58 Ebd. 59 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 15.
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halten. Damit diesem Wunsch entsprochen werden kann, ist das Schriftstück in zwei Exemplaren zu übermitteln, von denen eines wieder zurückgeschickt wird. Diese Vorgehensweise wird vor allem beim Postweg relevant. 6o Die Empfangsstelle hat der Übermittlungsstelle unmittelbar nach Erhalt des Zustellungsantrags auf schnellstmöglichem Wege, jedenfalls aber binnen sieben Tagen, mittels eines Formblattes den Empfang zu bestätigen (Art. 6 Abs. 1 EZVO). Erfolgt die Benachrichtigung nicht, so kann die Übermittlungsstelle davon ausgehen, dass der Antrag fehlgeleitet wurde, und denselben erneut übersenden. 61 Fehlen in dem Antrag Angaben, die für die Zustellung nötig sind, so nimmt die Empfangsstelle Verbindung zur Übermittlungsstelle auf, um die Zweifel auszuräumen (Art. 6 Abs. 2 EZVO). Ist eine Zustellung wegen formeller Mängel nicht möglich oder fällt der Antrag offensichtlich nicht unter die EZV0 62 , so ist er mit entsprechendem Hinweis zurückzusenden (Art. 6 Abs. 3 EZVO). Wurde der Antrag jedoch an eine örtlich nicht zuständige Empfangsstelle geschickt, so ist diese angehalten, den Antrag an die richtige Stelle weiterzuleiten (Art. 6 Abs. 4 EZVO). Die Zustellung selbst wird von der Empfangsstelle nach dem Wunsch des Antragstellers, wenn dieser mit dem Recht des Empfangsstaates unvereinbar ist, nach dem Recht des Empfangsstaates bewirkt (Art. 7 Abs. I EZVO). Diese Regelung entspricht Art. 5 Abs. 1 HZÜ. Die Zustellung soll so schnell wie möglich erfolgen. War sie nicht binnen eines Monats möglich, so hat die Empfangsstelle der Übermittlungsstelle dies mit dem entsprechenden Formblatt mitzuteilen. 63 Dabei ist die Frist nach dem Recht des Empfangsstaates zu berechnen (Art. 7 Abs. 2 Satz 3 EZVO). Sinnvoll wäre es an dieser Stelle gewesen, zusammen mit der Sachstandsmeldung auch eine Begründung zu verlangen. 64 Nach Abschluss des Zustellungs verfahrens bei der Empfangsstelle sendet diese ein entsprechendes Formular zur Bescheinigung der Zustellung und, falls dies gewünscht war, eine Abschrift des Schriftstücks an die Übermittlungsstelle zurück (Art. 10 Abs. 1 EZVO). Die Dienstleistungen der Empfangsstelle sind gemäß Art. 11 Abs. 1 EZVO gebührenfrei. Nach Art. 11 Abs. 2 EZVO sind vom Antragsteller aber die Kosten zu 60 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 31 ; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 15. 61 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 31; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 16 f. 62 Vgl. Art. I II EZVO. 63 Formblatt, Nr. 13. 64 Eine Änderung des Formblattes kann jedoch jederzeit nach Art. 17 lit. c EZVO durch die Kommission bzw. den ihr zuarbeitenden Ausschuss vorgenommen werden.
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
tragen, die entstehen, wenn im Empfangsstaat die Zustellung nicht von der staatlichen Verwaltung durchgeführt wird, oder eine bei der Empfangsstelle atypische aber zulässige Übermittlungsart gewünscht und gewährt wurde. 65
d) Sprachregelung
In der EZVO werden ebenfalls die Spracherfordernisse neu gerege1t. 66 aa) Formblätter Alle Formblätter existieren in den Amtssprachen sämtlicher Mitgliedsstaaten. Grundsätzlich ist aber eine Sprache zu wählen, die vom Empfangsstaat zugelassen wurde. Gemäß Art. 4 Abs. 3 EZVO ist jeder Staat verpflichtet, neben seiner eigenen Amtssprache67 noch mindestens eine weitere EU-Sprache zuzulassen. 68 Welche Sprachen dies sind, müssen die Staaten nach Art. 23 Abs. I EZVO der Kommission mitteilen, die diese dann im Amtsblatt veröffentlicht (Art. 23 Abs. 2 EZVO).69 Ferner werden die zugelassenen Sprachen auch im Handbuch verzeichnet. Um einer dennoch notwendigen Übersetzung möglichst aus dem Weg gehen zu können, wird in das Handbuch für die Übermittlungs- und Empfangsstellen ein Glossar der wichtigsten in den Formblättern vorkommenden rechtlichen Begriffe in allen Sprachen der EU aufgenommen. 70
bb) Zuzustellende Schriftstücke Die zu übermittelnden Schriftstücke sollen gemäß Art. 8 Abs. 1 EZVO in der Amtssprache des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll oder - und das ist bei 65 Bericht zum EuZustÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 34; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 21. 66 Ausführlich und sehr kritisch hierzu: Stadler; IPRax 2001,514,517 ff. 67 Oder seinen eigenen Sprachen bei mehreren Amtssprachen. 68 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 30; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 15. 69 Amtsblatt der EG Nr. C 151 vom 22. Mai 2001, S. 4 ff. 70 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 30; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivi1- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 15.
4. Verfahren nach der EZVO
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förmlichen Zustellungen neu - in einer Sprache des Übermittlungsstaates, die der Empfänger versteht, abgefasst werden. 71 Es besteht keine Pflicht des Antragstellers, dem Zustellungsersuchen eine Übersetzung beizufügen. Vielmehr wird dem Empfänger ein Annahmeverweigerungsrecht eingeräumt. 72 Um möglichen Verzögerungen vorzubeugen, hat die Übermittlungsstelle den Antragsteller nach Art. 5 Abs. 1 EZVO darauf hinzuweisen, dass der Empfänger die Annahme des Schriftsstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer der in Art. 8 Abs. 1 EZVO genannten Sprachen abgefasst ist. Der Empfänger ist von der Zustellperson über sein Annahmeverweigerungsrecht nach Art. 8 Abs. 1 EZVO in Kenntnis zu setzen.73 Verweigert der Empfänger die Annahme, so ist dies unter entsprechendem Vermerk im Formblatt (Nr. 14) der Übermittlungsstelle mitzuteilen (Art. 8 Abs. 2 EZVO). Bei Streitigkeiten über die sprachlichen Fähigkeiten des Empfängers soll das mit dem Verfahren befasste Gericht die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung prüfen.74 Ob dieser Hinweis allerdings hilfreich ist, ist zweifelhaft. Auch auf die Praktikabilität dieser Regelung wird noch einzugehen sein. 75 Etwaige Übersetzungskosten sind vom Antragsteller zunächst vorzuschießen (Art. 5 Abs. 2 EZVO). Ob er sie später ersetzt verlangen kann, hängt allein von der Kostenentscheidung des in der Hauptsache befassten Gerichts oder der Behörde ab.
e) Regelung der Fristen Da in den Mitgliedsstaaten zum Teil sowohl unterschiedliche Verfahrensvorschriften hinsichtlich prozessualer Fristen bestehen als auch unterschiedliche materiellrechtliche Folgen an das Versäumen von Fristen geknüpft sind, gestaltet sich die Regelung des Zustellungsdatums einigermaßen kompliziert. 76 Meyer; IPRax 1997,401,403. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 19. 73 Die EZVO überlässt die Art und Weise der Belehrung den Mitgliedstaaten. Besonders bei der postalischen Zustellung ist jedoch auf eine adäquate Aufklärung zu achten. Die Form der Belehrung ist in Nr. 12.3 des Formblatts festzuhalten. 74 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 33; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 19. 75 Vgl. hierzu unten § 3.6.b.aa. 76 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20. 71
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
Gemäß Art. 9 Abs. 1 EZVO gilt grundsätzlich als Datum der Zustellung der Tag, an dem nach dem Recht des Empfangsstaates zugestellt wurde. Diese Bestimmung liegt vor allem im Interesse des Empfängers. 77 Ist es für den Antragsteller allerdings wichtig, bestimmte Fristen einzuhalten, so gilt für ihn das Datum der Zustellung nach dem Recht des Übermittlungsstaates. Die Regelung findet ihren Ursprung darin, dass der Antragsteller alles in seiner Macht stehende zur Wahrung einer Frist getan hat, auf die Zustellung in einem fremden Staat aber keinerlei Einfluss mehr hat. Beide Regelungen können kumulativ angewandt werden. Das bedeutet, dass Zustellungswirkungen gegenüber der einen Partei zu einem anderen Zeitpunkt beginnen können als gegenüber der anderen. 78 Gemäß Art. 9 Abs. 3 EZVO kann jeder Mitgliedsstaat gegenüber der Kommission erklären, dass er die Regelungen nach Art. 9 nicht anwende (vgl. Art. 23 Abs. 1 EZVO).79
f) Andere Arten der Übermittlung und Zustellung Im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels (Art. 12 ff.) der EZVO wird die Zulässigkeit anderer Übermittlungswege geregelt. 80 Dies betrifft die traditionellen Übermittlungswege, wie den konsularischen und diplomatischen Weg (Art. 12 EZVO), die Zustellung durch konsularische oder diplomatische Vertretungen selbst (Art. 13 EZVO), die Zustellung durch die Post (Art. 14 EZVO) sowie die unmittelbare Zustellung (Art. 15 EZVO).
aa) Konsularische und diplomatische Zustellung Im Rahmen dieser weiteren zugelassenen Übermittlungsarten ist zunächst wichtig, dass der konsularische oder der diplomatische Weg in Zukunft die Ausnahme bleiben sollen. 81 77 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vorn 27. August 1997, S. 33; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20; Meyer, IPRax 1997,401, 403. 78 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vorn 27. August 1997, S. 33; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20. 79 Zur Kritik an Art. 9 Abs. 3 EZVO: Meyer; IPRax 1997,401,403. 80 Diese Übennittlungsarten sind subsidiär, was sich nicht nur aus dem erläuternden Bericht zum EZÜ sondern auch bereits daraus ergibt, dass sie unter einen besonderen Abschnitt zusammengefasst werden, a.A. Lindacher, ZZP 2001, 179, 185 f., Stadler, IPRax 2001, 514, 516; Näher hierzu: unten, § 3.6.a. 81 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vorn 27. August 1997, S. 34; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher
4. Verfahren nach der EZVO
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Nach der neuen Regelung des Art. 13 Abs. I EZVO können Konsulate oder Botschaften künftig Zustellungen direkt an Personen mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedsstaat ohne Anwendung von Zwang bewirken. Dies war auch bislang möglich, soweit es sich beim Empfänger um einen Staatsangehörigen des Übermittlungsstaates handelte. Neu ist, dass die Nationalität des Empfängers nun keine Rolle mehr spielen soll. Allerdings können die Mitgliedstaaten dieser Regelung widersprechen (Art. 13 Abs. 2 EZVO).
bb) Zustellung durch die Post Eine sehr wichtige Neuerung bringt Art. 14 Abs. 1 EZVO. Hiernach ist die unmittelbare Postzustellung in einen anderen Staat zulässig. Die Mitgliedstaaten können zwar nach Art. 14 Abs. 2 EZVO die Bedingungen festlegen, unter denen diese Form der Zustellung stattzufinden hat. 82 Gänzlich ausschließen, wie dies etwa durch Art. 10 HZÜ noch erlaubt ist, können sie die Postzustellung aber nicht mehr. 83 Diejenigen Mitgliedstaaten, in denen die Rechtslage noch keine Postzustellung im internationalen Rechtsverkehr zulässt, werden durch Art. 14 EZVO allerdings nicht verpflichtet, nationale Neuregelungen einzuführen, die eine Kompetenz für die Postzustellung eröffnen. 84 Jedoch sind Postzustellungen aus anderen Staaten nun zu dulden. 85 Als mögliche Bedingungen nach Art. 14 Abs. 2 EZVO kommen etwa das Erfordernis des Einschreibens mit Rückschein oder die Anwendung der Übersetzungsvorschriften der EZVO in Betracht. 86 Welche Bedingungen die einzelnen Staaten stellen, kann dann wieder dem Handbuch entnommen werden. 87
Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 21. 82 Vgl. die Angaben der Mitgliedstaaten gemäß Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, Mitteilungen der Kommission nach Art. 23 VO, Amtsblatt der EG 2001 C 151 , S. 4 ff., C 202 S. 10 ff. und C 282, S. 2. 83 Meyer, IPRax 1997,401,404. 84 Ebd.; Zu den einschlägigen Änderungen im deutschen Zustellungsrecht vgl. unten § 6.l.e. 85 Meyer, IPRax 1997,401,404. 86 Für die Bundesrepublik zeichneten sich nach Angaben des BMJ bereits bei den Verhandlungen diese bei den Voraussetzungen ab. 87 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 34; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 22.
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
cc) Direktkontakt zwischen Partei und Zustellperson Die EZVO sieht weiterhin eine unmittelbare Zustellung vor, in deren Verlauf der an der Zustellung Interessierte sich direkt mit einer zuständigen Person im Empfangsstaat in Verbindung setzen kann, um die Zustellung bewirken zu lassen (Art. 15 Abs. 1 EZVO).88 Dies ist allerdings nur für Staaten relevant, in denen kein Amtsbetrieb herrscht oder für Verfahren, die die Zustellung im Parteibetrieb vorsehen. 89 Diese Form der Zustellung könnte einen gangbaren Weg darstellen, um das Zustellungsrecht innerhalb der Union wirklich grundlegend und effizient zu erneuern. 90 Allerdings eröffnet Art. 15 Abs. 2 EZVO den Mitgliedstaaten wiederum die Möglichkeit zu erklären, dass sie eine solche Zustellung nicht zulassen.
g) Weitere Regelungen
Nach Art. 16 ist die EZVO ebenfalls auf außergerichtliche Schriftstücke anwendbar. 91 Zur Überwachung der neuen Zustellungsvorschriften ist im Gegensatz zur urspünglich geplanten Regelung des Art. 18 EZÜ nicht ein beim Rat angesiedelter Exekutivausschuss berufen. Vielmehr liegt die Überwachung im Verantwortungsbereich der Kommission, die im Komitologie-Verfahren - unter Beteiligung eines beratenden Ausschusses - über Maßnahmen entscheidet. 92 Der Kommission und dem beratenden Ausschuss obliegen drei wichtige Aufgaben: die Erstellung und jährliche Aktualisierung eines Handbuchs mit den von den Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 4 EZV093 mitgeteilten Angaben, die Erstellung eines Glossars in den Amtssprachen der Union über die Schriftstücke, die nach der EZVO zugestellt werden können und die Pflege des Formblatts. Durch Art. 19 EZVO werden die Regelungen von Art. 15 und Art. 16 HZÜ vollinhaltlich in das europäische Zustellungsrecht übernommen. Sie treffen Vorkehrungen zum Schutz des Empfängers von verfahrenseinleitenden Schriftstücken. Hier88 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 22. 89 Etwa das deutsche Zwangsvollstreckungsverfahren. 90 V gl. hierzu unten § 7.2.e. 91 Vgl. hierzu auch oben § 3.3.b.bb. 92 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 23. 93 Namen und Anschriften, örtliche Zuständigkeit, technische Ausstattung und Sprachoptionen der Empfangsstellen.
4. Verfahren nach der EZVO
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nach hat der Richter das Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug solange auszusetzen, bis festgestellt wurde, dass das Schriftstück zugestellt worden ist (Art. 19 Abs. 1 EZVO). Weitere Voraussetzung für die Fortsetzung des Verfahrens ist, dass die Zustellung so rechtzeitig erfolgt ist, dass der Beklagte über ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung verfügte. 94 Um einen angemessenen Ausgleich zwischen Beklagtenschutz und effektiver Rechtsdurchsetzung auf Seiten des Klägers zu gewährleisten, können die Mitgliedstaaten allerdings bestimmen, dass eine gerichtliche Entscheidung auch ohne ein Zustellungszeugnis ergehen kann (Art. 19 Abs. 2 EZVO).95 Hierfür müssen drei Voraussetzungen gegeben sein: zunächst muss das Schriftstück nach einem in der EZVO vorgesehenen Verfahren übermittelt96 worden sein. Zum Zweiten muss eine Frist verstrichen sein, die das Gericht als angemessen ansieht, die jedoch mindestens sechs Monate betragen muss. Und drittens durfte trotz aller zumutbaren Schritte von den zuständigen Stellen des Empfangsmitgliedstaats keine Zustellbescheinigung erlangt worden sein. Nach Art. 19 Abs. 4 EZV0 97 ist in diesem Fall die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. Voraussetzungen sind, dass die Säumnis nicht durch Verschulden des Empfängers entstanden war und eine Verteidigung nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Auch hier können die Mitgliedsstaaten nach Art. 23 Abs. 1 EZVO erklären, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich ist. Personenstandsentscheidungen sind von dieser Regelung ausgenommen, da hier die Rechtssicherheit Vorrang haben muss. 98 In den weiteren Schlussbestimmungen der EZVO finden sich noch Regelungen zum Verhältnis der EZVO zu anderen Übereinkünften oder Vereinbarungen (Art. 20 EZVO)99, zur Prozesskostenhilfe (Art. 21 EZVO)100 und zum Datenschutz (Art. 22 EZVO)101. Außerdem sind in Art. 23 EZVO nochmals alle Regelungen aufgeführt, zu denen Mitteilungen der Mitgliedstaaten an die Kommission notwen94 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 24. 95 Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 EZVO entsprechen Art. 15 HZÜ. 96 nicht: zugestellt; gemeint ist also die ordnungsgemäße Übermittlung des Rechtshilfeersuchens. 97 Diese Regelung entspricht Art. 16 HZÜ. 98 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 36; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 24. 99 V gl. hierzu sogleich § 3.5. 100 Keine Erstattungspflicht des ersuchenden Staates bei Zustellungsersuchen, falls das "Armenrecht" gewährt wurde. 101 Die Regelungen betreffen die Zweckgebundenheit der übermittelten Informationen, die Sicherung der Vertraulichkeit und das Auskunftsrecht von Betroffenen.
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
dig oder zulässig sind. Ausdrücklich nicht genannt ist an dieser Stelle Art. 14 Abs. 2 EZVO, der nicht als Vorbehalt bezeichnet wird, sondern lediglich die Möglichkeit einräumt, Bedingungen für eine Postzustellung zu benennen. 102 Nach Art. 24 EZVO hat schließlich die Kommission dem Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss erstmals spätestens nach drei Jahren einen Bericht über die neue Zustellungspraxis vorzulegen. 103 Danach soll alle fünf Jahre erneut berichtet werden. Die Berichte sollen notwendigenfalls auch Verbesserungsvorschläge enthalten. Außerdem sollen sie besonderes Augenmerk auf die Leistungsfähigkeit der Empfangs- und Übermittlungsstellen, die Belastung der ZentralstelIen mit Zustellungsersuchen und die Anwendung der Bestimmungen über das Zustellungsdatum richten. 104
5. Verhältnis zu anderen Ab- und Übereinkommen
Die EZVO ist mit zurückzuführen auf die Ergebnisse der Beratung der Gruppe "Vereinfachung der Übermittlung von Schriftstücken" im Jahr 1993. Diese hatte festgestellt, dass durch die zahlreichen Ab- und Übereinkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten eine "gewisse Verwirrung" darüber aufgekommen ist, welche Regelungen welcher Vereinbarung jeweils anzwenden sind. 105 Daher stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die EZVO zu den bereits bestehenden Regelungen stehen soll. Eine ausdrückliche Anordnung ist diesbezüglich in Art. 20 EZVO zu finden. Nach Art. 20 Abs. 1 EZVO hat die Verordnung gegenüber bereits bestehenden Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang. Dies gilt insbesondere bezüglich Art. IV des Protokolls zum EuGVÜ und bezüglich des HZÜ. 106 Der zukünftige Abschluss von Vereinbarungen, die die Beschleunigung oder Vereinfachung der internationalen Zustellung zur Folge haben, ist den Mitgliedstaaten jedoch erlaubt. Weitere Voraussetzung ist lediglich, dass diese neuen Vereinbarungen der EZVO nicht zuwiderlaufen (Art. 20 Abs. 2 EZVO). Solche Übereinkommen müssen allerdings der Kommission übermittelt werden, die über die Vereinbarkeit mit der EZVO wacht (Art. 20 Abs. 3 EZVO). Damit wird klar, dass Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 37. AbI. 2001, C-151, S. 4 ff. vom 22. Mai 2001 und C-202, S. 10 ff. vom 18. Juli 2001. 104 Vgl. auch Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 25 . 105 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 26. 106 Die im Amtblatt veröffentlichte deutsche Version der EZVO spricht wohl versehentlich vom "Haager Übereinkommen vom 15. November 1956"; die richtige Jahreszahl muss ,,1965" lauten. Zum Hintergrund und zum Verhältnis von EZÜ und HZÜ auch: Meijknecht, E.R.P.L. 1999,445 ff. 102 103
6. Kritik der EZVO
97
grundsätzlich diejenigen Ab- und Übereinkommen unberührt bleiben, die eine engere Zusammenarbeit zwischen zwei Mitgliedstaaten vereinbaren. 107 Das Vorhaben, nach welchem dem EZVO-Handbuch zu entnehmen ist, inwieweit Einzelvereinbarungen vorrangig angewandt werden müssen, ist in der EZVO nicht mehr ausdrücklich vorgesehen. 108 Da jedoch die Mitgliedstaaten weiterhin gemäß Art. 20 Abs. 3 EZVO der Kommission Abschriften solcher Vereinbarungen zu übergeben bzw. Kündigungen mitzuteilen haben, sollten diese Angaben ebenfalls im Rahmen des EZVO-Handbuchs mit aufgenommen werden. Durch die EZVO wird also ausdrücklich betont, dass sie im Verhältnis der Mitgliedstaaten der EU untereinander die Haager Übereinkommen von 1954 und 1965 ersetzt. 109 Da die VO 44/0 I, ebenso wie als Parallel abkommen das Luganer Übereinkommen von 1988, keine spezifischen Zustellungsregelungen beinhalten, besteht zu diesen Vereinbarungen keine Konkurrenz. Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 und Art. 27 Nr. 2 LugÜ betreffen lediglich die Folge für die Anerkennung eines Urteils, das im Zusammenhang mit einer mangelhaften Zustellung ergangen ist. Sie enthalten im Gegensatz zur EZVO keine Bestimmungen zur Durchführung der internationalen Zustellung. Positive Folge der EZVO wird damit sein, dass für den ganz überwiegenden Teil des deutschen internationalen Zustellungsverkehrs nur noch eine einzige Rechtsgrundlage einschlägig ist. Damit werden Zustellungsfehler, die durch die bisherige Vielzahl der Rechtsgrundlagen verursacht wurden, nicht mehr vorkommen.
6. Kritik der EZVO Die Diskussion über die EZVO steht am Beginn, da die Veröffentlichung erst am 30. Juni 2000 im Amtsblatt der EG erfolgte. In diesem eher technischen Bereich des internationalen Zivilverfahrensrechts wird der Erfolg der Verordnung entscheidend davon abhängen, ob sich die einzelnen Zustellungsregelungen als praxistauglich erweisen. Dies kann naturgemäß erst nach einiger Zeit der Anwendung beurteilt werden. Die EZVO trat am 31. Mai 2001 in Kraft. Soweit ohne einschlägige Praxiserfahrung überhaupt bereits ein Urteil gefällt werden kann, kristallisieren sich folgende Kritikpunkte und Fragen heraus:
Meyer; IPRax 1997, 401,404. Dies war beim EZÜ noch geplant, vgl. Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 36. 109 Bericht zum EZÜ, Amtsblatt der EG Nr. C 261 vom 27. August 1997, S. 36. 107
108
7 Shanna
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
a) Struktur und Systematik des "neuen" Zustellungsrechts Der Rat hat es versäumt, das Zustellungsrecht im Binnenmarkt wirklich strukturell neu zu ordnen. Nach der Systematik der EZVO verbleibt es regelmäßig beim Rogationsprinzip. In Abschnitt 1 des Kapitels "Gerichtliche Schriftstücke" wird zunächst die" Übermittlung und Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken" geregelt. Hiernach muss das Erstgericht weiterhin im ausländischen Staat um Rechtshilfe und Durchführung der Zustellung ersuchen. Die viel gepriesene llO direkte Postzustellung hingegen, findet sich lediglich unter der Überschrift "Andere Arten der Übermittlung und Zustellung gerichtlicher Schriftstücke", in Abschnitt 2 des Kapitels. Der Charakter als Anhängsel wird auch dadurch deutlich, dass im gleichen Abschnitt die Ausnahmeregelungen lll der diplomatischen und konsularischen Zustellung angesprochen werden, und dies systematisch sogar noch vor der Postzustellung. 112 Weshalb der Rat an der alten rechtshilferechtlichen Konzeption festhält, erscheint zunächst unklar. Denn sogar im äußerst sensiblen Bereich des internationalen Strafverfahrensrechts 113 erfolgt innerhalb der Schengen-II -Zone grundsätzlich die direkte Postzustellung zwischen veranlassender Stelle und Zustellungsadressaten (Art. 52 Abs. 1 Satz 1).114 Im internationalen Zivilverfahrensrecht, das weit mehr von der Privatautonomie der Streitenden geprägt ist, sollte daher auch eine mindestens ebenso flexible Zustellung möglich sein. Denn die Zivilprozessordnung dient nicht der Wahrung staatlicher Souveränität im internationalen Recht, sondern stellt einen staatlich geregelten Streitbeilegungsmechanismus zur Ver-
110 Vgl. etwa Meyer; IPRax 1997, 401, 404; der Wirtschafts- und Sozialausschuss bringt hingegen den Unterschied zwischen (1) direkter Postzustellung und (2) Zustellung durch eine Zustellperson des Zweitstaates -nach Übermittlung des Schriftstücks zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen- überhaupt nicht zum Ausdruck, sondern fordert nur eine Beschleunigung auf Grundlage des Rechtshilfeprinzips, vgl. Stellungnahme des Wirtschaftsund Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten", Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 368 vom 20. Dezember 1999, S. 47, 49. 111 Zum Charakter als Ausnahmeregelung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 21. 112 Unzutreffend meinen daher Lindacher; ZZP 2001, 179, 185 f. und Stad/er; IPRax 2001, 514,516, ein Subsidiaritätsverhältnis sei nicht gegeben. Vielmehr wird bereits durch die Zusammenfassung der "anderen Übermittlungsarten" unter einem Abschnitt klar, dass eine solche Subsidiarität vom Verordnungsgeber gewollt war. Daran ändert auch die Neufassung der Zustellungsvorschriften der ZPO -vgl. Lindacher; a. a. 0., S. 185 Fn. 22- nichts, die in § 183 Abs. 3 ZPO n.F. ausdrücklich bestimmt, dass die Vorschriften der EZVO "unberührt" bleiben. 113 Vgl. hierzu aus internationaler Sicht auch Craig/de Burca, S. 43. 114 V gl. hierzu ausführlich oben § 1.2.b.bb.
6. Kritik der EZVO
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fügung. 1l5 Damit sollte auch eine gesteigerte Verantwortung II 6 und Verantwortlichkeit ll7 der Parteien für das Verfahren einhergehen. Offensichtlich geht es vorliegend jedoch um eine grundsätzliche Frage, die das gesamte europäische Prozessrecht immer wieder beschäftigt: Ist die Harmonisierung der europäischen Rechtsordnungen mit der Subsidiarität der nationalen Verfahrensrechte vereinbar?118 Und wenn ja, wie ist das Verhältnis zwischen beiden auszugestalten? Die Entscheidung muss vorliegend zugunsten der europäischen Harmonisierung ausfallen. Schon aus der Wahl der Rechtsform der Verordnung resultiert ein Anpassungsdruck auf die nationalen Prozessrechte der Mitgliedstaaten. 119 Der Grundsatz der institutionellen und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten findet darüber hinaus Einschränkungen, die sich aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ergeben. 120 Gebietet aber das Klägerinteresse des effektiven Rechtsschutzes eine europarechtsfreundliche Gestaltung, so muss dies selbstverständlich auch für die Beklagtenseite gelten. Soweit zur Beachtung dieser beiden Interessen eine europäische Regelung notwendig ist, ist sie zu erlassen. Daher ist es auch unverständlich, dass in der EZVO weder Bestimmungen darüber enthalten sind, wann überhaupt eine Auslandszustellung notwendig ist l21 , noch darüber, wann eine Heilung von Zustellungsfehlern erfolgt. 122 Auch andere Institutionen der Union haben die Anregungen aus der Literatur nicht aufgenommen und damit einen echten Fortschritt im europäischen Zustellungsrecht verhindert. So hält etwa der Wirtschafts- und Sozialausschuss die getroffenen Regelungen für ausreichend. 123 Dass die neue EZVO keine wirkliche Innovation darstellt, verdeutlicht schließlich auch das verabschiedete neue deutsche Recht zur internationalen Zustellung. Gemäß § 183 ZPO n.F. wird zukünftig eine abgestufte Regelung Anwendung fin115 Ausführlich: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 238 ff.; zum Zweck des Zivilprozesses auch unten, § 7.2.a. 116 Auf Seiten der die Zustellung veranlassenden Partei. 117 Auf Seiten des Zustellungsempfangers. 118 Zu dieser Streitfrage ausführlich: Heß, JZ 1998, 1021 ff. 119 Vgl. Heß, JZ 1998, 1021, 1031; Grabitz-Hilf, Art. 189 Rz. 50. 120 Rodriguez Iglesias, NJW 2000, 1889, 1893. 121 Dies hätte geholfen, die bisweilen unerträglichen Wirkungen von Zustellungsfiktionen zu vermeiden. 122 Dies hätte (in der Regel) dem Kläger eines Rechtstreits zu effektiverem Rechtsschutz verholfen. Vgl. hierzu auch unten, § 3.6.C. 123 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten", Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 368 vom 20. Dezember 1999, S. 47, 48: "Im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt sich der Richtlinienvorschlag zudem auf das zur Erreichung dieser Ziele eiforderliche Mindestmaß. ..
7*
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
den, nach der grundsätzlich die direkte Postzustellung zu wählen ist (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.). Nur subsidiär kommen der rechshilferechtliche (§ 183 Abs. 1 Nr.2 ZPO n.F.) und der konsularische bzw. diplomatische (§ 183 Abs. 1 Nr. 3 ZPO n.F.) Weg in Betracht. 124 Eine Verpflichtung zu dieser Neuregelung bestand nicht. Denn nach Art. 14 EZVO sind die Mitgliedstaaten lediglich verpflichtet, die Postzustellung aus dem Ausland zuzulassen, nicht jedoch, eine Kompetenz für die Postzustellung ins Ausland neu einzuführen. Hinter dieser neuen Systematik nationalen Zustellungsrechts bleibt die EZVO zurück. Sie ist weiterhin mit dem umständlichen Prinzip der Rechtshilfe befrachtet. 125
b) Einzelne Regelungen aa) Die Sprachregelung Nach der neuen Sprachregelung können dem Empfänger auch Schriftstücke in der jeweiligen Amtssprache des Übermittlungsstaats, die der Adressat versteht, zugestellt werden (Art. 8 Abs. 1 EZVO).126 Dies kann zur Einsparung von Übersetzungskosten und zur Beschleunigung des Verfahrens führen. Allerdings hat der Empfänger die Möglichkeit, die Annahme des Schriftsstücks zu verweigern, wenn er angibt, die verwendete Sprache nicht zu verstehen. Damit tritt auch keine Zustellungswirkung ein. Im Rahmen der Neuregelung ist es denkbar, dass sich Beweisprobleme hinsichtlich der sprachlichen Fähigkeiten des Empfängers ergeben. Der Verdacht, der Zustellungsadressat wolle sich den Zustellungswirkungen entziehen, liegt nahe. Ob die Annahmeverweigerung berechtigt war, ist letztendlich jedoch vom Prozessgericht zu entscheiden. Eine Sprachprüfung durch die Empfangsstelle erfolgt in keinem Fall. 127 Um ganz sicher zu gehen, ist daher dem Kläger wohl auch in der Zukunft zu raten, die Schriftstücke mit einer Übersetzung in die Sprache des Empfangsstaats zu versehen. Dann hat der Empfanger keine andere Wahl, als anzunehmen. 128 124 Zur Neuregelung ausführlich: unten, § 5.l.e. 125 Zur Frage, ob diese unterschiedlichen Ansätze miteinander vereinbar sind, vgl. unten, § 5.2. 126 Grundsätzlich verbleibt es allerdings bei der Notwendigkeit, das zuzustellende Schriftstück in die Amtssprache des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, zu übersetzen, vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 18. 127 Meyer, IPRax 1997,401,403. 128 Stadler, IPRax 2001, 514, 518 weist zudem zurecht darauf hin, dass es in Zusammenhang mit Art. 34 Nr. 2 VO 44/Ol/EG zu einer Konstellation kommen kann, in der der Kläger seine Vollstreckungsmöglichkeit verliert, weil Erst- und Zweitgericht die Sprachfähigkeiten des Adressaten unterschiedlich einschätzen: Verneint das Zweitgericht die für eine ausreichene Verteidigungsmöglichkeit notwendigen Sprachfähigkeiten des Adressaten, lehnt es die Vollstreckbarerklärung ab. Einem erneuten Verfahren im Urteilsstaat, diesmal mit ordnungsgemäßer Zustellung, steht dort regelmäßig die Rechtskraft des ersten Urteils im Wege.
6. Kritik der EZVO
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Von großer Bedeutung wird auch sein, dass die Aufklärung über die Möglichkeit der Annahmeverweigerung von der Empfangsstelle durchgeführt und dies auch beweiskräftig dokumentiert wird. !29 Denn nur auf diesem Wege kann dem Zustellungsadressaten die Möglichkeit genommen werden, sich unter Berufung auf das rechtliche Gehör den Zustellungswirkungen zu entziehen.!30 Die EZVO überlässt es freilich den Mitgliedstaaten, die Form der Belehrung selbst zu wählen.!3! Die unterschiedliche Ausgestaltung dieser Belehrung könnte zu einem Stolperstein bei der Prüfung der ordnungsgemäßen Zustellung werden. Ob die Kritik hinsichtlich der Beweisbarkeit fehlender Sprachkenntnisse berechtigt ist, wird sich letztlich erst nach praktischen Erfahrungen beurteilen lassen. Jedenfalls ist die Eröffnung der angesprochenen Möglichkeit aber ein Fortschritt im Hinblick auf Beschleunigung im internationalen Rechtshilfeverkehr.
bb) Direkte Postzustellung Die nach Art. 14 Abs. 1 EZVO eröffnete Möglichkeit der direkten Postzustellung wird durch Art. 14 Abs. 2 EZVO wieder etwas relativiert. Anstatt einheitliche Bedingungen in der Verordnung selbst zu nennen, hat es der Rat den Mitgliedstaaten überlassen, Voraussetzungen zu nennen, unter denen sie die direkte Postzustellung zulassen. So hat die Bundesrepublik im "Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz - ZustDG)"132 grundsätzlich geregelt, dass eine direkte Postzustellung nur in der Versandform des Einschreibens mit Rückschein zulässig ist und das zuzustellende Schriftstück in deutscher Sprache, oder in einer Amtssprache des Übermittlungsmitgliedstaats abgefasst (oder übersetzt) sein muss, sofern der Adressat Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats ist (§ 2 Abs. 1 ZustDG). Neben der systematischen Fehlkonstruktion der Subsidiarität der Direktzustellung!33 stellt sich die Frage, ob die rein passive Duldungspflicht ausreichend ist für die Verbesserung der internationalen Zustellung. Denn durch Art. 14 EZVO werden die Mitgliedstaaten eben gerade nicht zur Einführung der Postzustellung 129 Dies ist in Nr. 12.3 des Formblattes vorgesehen. 130 Da die Gewährung rechtlichen Gehörs unabdingbare Voraussetzung eines fairen Prozesses ist, kann ohne bewiesenen Zugang nicht weiterverfahren werden, vgl. auch Art. 19 Abs. 1 EZVO. 131 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 19. 132 BGBI. 2001 I 1536. 133 Vgl. hierzu oben, § 3.6.a.
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
verpflichtet. Zwar ist nach der deutschen Neuregelung der Auslandszustellung (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.) auch die postalische Direktzustellung ins Ausland vorgesehen. Das geschah jedoch auf rein "freiwilliger" Basis und keineswegs aufgrund europäischen Harmonisierungsdrucks. An der Schnittstelle von Direktzustellung und Sprachregelung könnte sich noch ein weiteres Problem ergeben. Dies resultiert daraus, dass im Falle der Direktzustellung die Überprüfung der Spracherfordernisse durch den Zustellungsadressaten selbst erfolgen muss. 134 Bevor der Empfänger die Möglichkeit der Überprüfung bezüglich der verwendeten Sprache hat, muss ihm das Einschreiben durch die Post übergeben worden sein. Da er somit jedoch die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, müsste die Zustellperson, vorliegend also die Post, eine erfolgreiche "Zustellung" vermelden. In der Praxis wird es daher unvermeidbar sein, dass der nicht annahmebereite Empfänger die Entgegenahme des Schriftstücks nicht bereits bei der Übergabe verweigern kann, sondern selbst aktiv werden und -nach Feststellung der fehlenden Übersetzung- die Nichtannahme mitteilen muss. Möglicherweise hat er sich direkt an das ausländische Prozessgericht zu wenden. Den Mühen, die dem Empfänger in diesem Fall abverlangt werden, wird die Schärfe allerdings wiederum genommen, wenn man diese Zurückweisung bereits als Teil der Verteidigung sieht. Denn unter diesem Gesichtspunkt ist dem Empfänger die Kontaktaufnahme mit der Behörde durchaus zumutbar. 135 Linke schlägt hierfür eine Lösung nach § 12 Abs. 2 des österreichischen Zustellungsgesetzes vom 1. April 1982 vor, wonach sich der Empfänger binnen drei Tagen ablehnend zu äußern hat. 136
cc) Ungeschriebener Ablehnungstatbestand in Art. 19 EZVO?
In der Literatur findet sich die Ansicht, dass Art. 19 EZÜ einen ungeschriebenen Ablehnungstatbestand enthalte. Nach dieser Meinung soll der ersuchte Staat seine Mitwirkung an der Zustellung verweigern können, wenn das Zustellungsersuchen gegen Regeln des allgemeinen Völkerrechts verstößt. 137 Dies sei dann der Fall, wenn durch eine Zustellung gegen den Grundsatz der Immunität verstoßen würde, also etwa ein Staatsoberhaupt vor ein ausländisches Gericht geladen werden oder ein Hoheitsträger für acta iure imperii verklagt werden sol1. 138 Da diese Einschät134 Anders hingegen bei der rechtshilferechtlichen Zustellung, bei der die Prüfung durch die Empfangsbehörde stattfindet. 135 Dass ein Zustellungsadressat ohne Anlass in einen internationalen Rechtsstreit gezwungen wird, dürfte kaum der Fall sein. 136 Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, S. 106; vgl. auch Nagel/Gottwald, IZPR, § 7 Rz. 63. 137 Vgl. Maack, S. 129. 138 Ebd.
6. Kritik der EZVO
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zung jedoch für das EZÜ, also für den Charakter eines internationalen Vertrags, geäußert wurde, fragt sich, ob sie auch auf die EZVO zutrifft. Dies ist nicht der Fall. Denn jedenfalls mit der Rechtsformänderung in eine europäische Verordnung kann diese Ansicht keinen Bestand mehr haben. Ausdrücklich wurde auf die Normierung eines rechtshilferechtlichen ordre public verzichtet. 139 Auch gegen die direkte Postzustellung ist kein grundsätzlicher Widerspruch mehr möglich. Im Unterschied zu herkömmlichen völkerrechtlichen Verträgen befindet sich die EU-Justizpolitik auf einem wesentlich höheren Integrationsstand. Hoheitsrechtliche Erwägungen traditioneller Art sind dort - jedenfalls zustellungsrechtlich - nicht mehr von Bedeutung. 140 Die Ablehnung der Zustellung durch eine Empfangsstelle könnte ohnehin nur bei Rechtshilfeersuchen erfolgen. Auch diesbezüglich ist jedoch der Spielraum der zuständigen ersuchten Behörden beschränkt. Anders als in Art. 13 Abs. 1 HZÜ haben sie im Rahmen der EZVO kein Ermessen. Die Zustellung zu unterlassen wird nur erlaubt, soweit der Anwendungsbereich der EZVO nicht eröffnet ist.
c) Keine Heilungsvorschriften
Als großer Schwachpunkt der EZVO ist zu nennen, dass sie keine Vorschriften bezüglich der Heilung von Zustellungsmängeln enthält. Dies wäre vor allem im Interesse einer effektiven Rechtsdurchsetzung wichtig gewesen. Gerade vor dem Hintergrund der sehr strengen, formal argumentierenden einschlägigen Entscheidungen, die eine ordnungsgemäße Zustellung trotz tatsächlicher Kenntnis des Empfängers vom Schriftstück verneinten, wären solche Regelungen wünschenswert gewesen. Auch die Argumentation des BGH, nach der bei einer internationalen Zustellung aufgrund internationaler Vereinbarungen eine Heilung nur bei Eröffnung durch den internationalen Vertrag möglich sein soll, hätte eine Normierung nahegelegt. Denn einen europäischen Rechtsgedanken, nach dem mangelhafte Zustellungen durch tatsächliche Kenntnisnahme des Adressaten vom Schriftstück geheilt werden, hat die Rechtsprechung bislang stets abgelehnt. 141 Letztlich aufgrund des Souveränitätsprinzips müssten Heilungsvorschriften vielmehr durch internationale Vorschriften vereinbart werden. 142
Vgl. Heß, NJW 2001, 15, 16, Fn. 9. Bemerkenswert die Ausführungen eines an den EZÜ-Verhandlungen beteiligten deutschen Regierungsvertreters, Meyer; IPRax 1997, 401, 404: " Es erscheint widersprüchlich, wenn auf der einen Seite eine enge, vor allem auch rechtliche Gemeinschaft von Staaten geschaffen werden soll, die auf denselben Grundwerten beruht, und dann Überprüfungen im Hinblick auf ordre-public-Verstöße erfolgen müssen. Die Vorstellungen über die Wahrung der Hoheitsrechte, die noch den Bestimmungen des HZÜ zugrunde lagen, erscheinen in der Europäischen Union überzogen, unzeitgemäß und sachlich nicht gerechtfertigt. " 141 BOH NJW 1993,598,599; OLO Hamm RIW 1996, 156 f. 142 Vgl. auch Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, S. 120 f. 139
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§ 3 Die Neuregelung der europäischen Zustellung
Eine bemerkenswerte Entscheidung hat nunmehr aber das OLG Hamm getroffen. 143 Es hat im Fall einer nicht nach § 199 ZPO a.F. erfolgten 144 Zuleitung eines Schriftstücks an einen sich in Rumänien aufhaltenden Adressaten eine Heilung nach § 187 ZPO a.F. bejaht. Dem Gericht lagen Vergleichsunterschriften des Empfängers vom Rückschein der Postsendung und von der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor, sowie ein Erwiderungsschreiben auf das mangelhaft zugestellte Schriftstück. 145 Dies sah das Gericht als ausreichend an, um von einer tatsächlichen Kenntnisnahme des Schriftstücks auszugehen. Diese Entscheidung ist im Interesse einer effizienteren Verfahrensgestaltung zu begrüßen, und es bleibt zu hoffen, dass sie Vorbild in ähnlichen Konstellationen sein wird.
d) Internationale Rechtshilfe: Angelegenheit der Verwaltung oder der Rechtsprechung?
Bislang überprüften die nach internationalen Vereinbarungen zuständigen Zentralstellen die im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs ein- und ausgehenden Zustellungsersuchen. Die internationale Zustellungshilfe fiel deshalb in den Aufgabenbereich der Justizverwaltung. 146 Durch den neuen Grundsatz der Dezentralisierung wird sie künftig jedoch ausschließlich in den Bereich der Rechtsprechung fallen. Daraus ergeben sich zwei wesentliche Auswirkungen. Zum einen verschieben sich innerbehördliche Zuständigkeiten. Dies lässt nach der gegenwärtig notwendigen, bereits beschriebenen Odyssee eines zuzustellenden Schriftstücks im Ergebnis eine Beschleunigung der Rechtshilfeverfahren erwarten. Zum anderen wird nunmehr klarzustellen sein, dass § 23 EGGVG nicht mehr den statthaften Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung oder Maßnahme im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens darstellt. Dies wurde teilweise bereits zur alten Rechtshilferegelung vertreten, denn diese sei allein Sache der Gerichte. 147 Mit dem neuen Prinzip der Dezentralisierung sollte diese Streitfrage entschieden sein.
OLG Hamm FamRZ 2000, 898 f. Die Übermittlung erfolgte also nicht im Wege der förmlichen Zustellung über ein Rechtshilfeersuchen. 145 Das Gericht beruft sich in seiner Entscheidung ausdrücklich auf Zöller-Geimer, ZPO, 21. Auflage, § 199 Rz. 17 und stellt sich damit gegen die bisher herrschende Rechtsprechung. 146 Nagel, IPRax 1984,239,239; Pfennig, S. 48; K. I. Mössle, S. 131, Fn. 144. 147 K. I. Mössle, S. 132 m. w. N. 143
144
6. Kritik der EZVO
105
e) Die EZVO - kleine Lösung einer geschlossenen Gemeinschaft? Bereits das nicht ratifizierte EZÜ sah eine restriktive Beitrittsregelung vor. Der Beitritt zum Übereinkommen sollte nur Mitgliedsstaaten der EU offenstehen (Art. 25 Abs. I EZÜ). Die Mitgliedsstaaten der EU erachteten diese Beitrittsregelung für akzeptabel: In vielen EU-Verträgen werde die EU nicht als bloße Wirtschaftsgemeinschaft, sondern als echte europäische Gemeinschaft auf der Grundlage gemeinsamer Wertvorstellungen bezeichnet. 148 Das EZÜ sollte daher als Ausfluss der gemeinsamen Justizpolitik zu sehen sein. Es basiere auf weitgehend einheitlichen Rechtsvorstellungen. Es sollte also deutlich betont werden, dass von den EU-Staaten politisch ein autonomes Übereinkommen gewollt war. 149 Signifikantes Beispiel hierfür ist, dass die Art. 15, Art. 16 HZÜ beinahe wortgleich im EZÜ aufgenommen werden sollten, nur um eine Verweisung zu venneiden. Mit der neuen Rechtsfonn einer Verordnung hat sich die Union weiter von einer breit angelegten internationalen Neuregelung der Zustellungspraxis entfernt. Der Rechtshilfeverkehr mit wichtigen Handeispartnern 150 wird weiterhin nach dem noch komplizierteren Haager System ablaufen. Zwar hätte eine große Lösung im Rahmen der Haager Konferenz sicherlich zu weitaus umfangreicheren Abstimmungsprob1emen und zu weiteren Verzögerungen geführt. 151 Insofern ist zu begrüßen, dass mit der EZVO ein kleiner Schritt hin zu einer Verbesserung des internationalen Zivilprozessrechts gelungen ist. Eine Lösung im Rahmen der Haager Konferenz anzustreben, bleibt jedoch eine Aufgabe, die mit hoher Priorität versehen sein sollte. Denn die Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs auch mit solchen Handelspartnern, die nicht Mitglied der EU sind, muss Folge einer "immer kleiner werdenden Welt" sein. Das Zivilprozessrecht als Dienstleistungsordnung muss mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten.
Vgl. nur die Präambel zum EUV. So auch Meyer, S. 11; In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es für die Bundesrepublik keineswegs logische Konsequenz der neueröffneten Postzustellung nach Art. 14 EZÜ I EZVO ist, den Vorbehalt gegen Art. 10 lit. a HZÜ aufzugeben. Auch dadurch wird deutlich, dass eine Zweiteilung des internationalen Zustellungsrechts offenbar gewollt ist. 150 Z. B. U.S.A., Japan, Kanada oder China; die Verschränkung und Bedeutung des Handels mit diesen Staaten wird auch durch die Betrachtung der jeweiligen Anteile am Welthandel deutlich: Anteil an den Ausfuhren: Europa (19%), U.S.A. (16%), Japan (9%), Kanada (5%), China (9%); Anteil an den Einfuhren: Europa (18%), U.S.A. (21 %), Japan (6%), Kanada (4%), China (8%); Quelle: Eurostat, Die Europäische Union in Zahlen (2000), S. 34. 151 Zum Verhältnis von Europäischem Zivilverfahrensrecht zur konkurrierenden Rechtsvereinheitlichung anderer Institutionen, wie etwa der Haager Konferenz, Unidroit oder dem Europarat ausführlich: Heß. NJW 2000, 23, 32. 148
149
§ 4 Auswirkungen der EU-Rechtsgemeinschaft auf das Zustellungsrecht der Europäischen Union Das europäische Zivilverfahrensrecht befindet sich im Fluss. Die Neuregelung des europäischen Zustellungsrechts durch die EZVO, Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilverfahrensrecht l , die Revision des EuGVÜ und seine Substitution durch eine Verordnung 2 , die Brüssel-II-Konvention, die ebenfalls als Verordnung beschlossen wurde 3 , die Europäische Grundrechtscharta, das vom Europäischen Rat in Tampere vorgegebene Ziel der vollständigen Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen und die Bestrebungen, einen Europäischen Vollstreckungstitel zu etablieren4 , machen eine Auseinandersetzung mit den zustellungsrechtlichen Anforderungen an solche Maßnahmen erforderlich.
1. Anforderungen an die verfahrenseinleitende Zustellung
Die verfahrenseinleitende Zustellung ist dem Einfluss verschiedener europäischer Normen und internationaler Verfahrensgarantien ausgesetzt. Sie ergeben sich aus dem "menschenrechtlichen Mindeststandard des allgemeinen V6lkerrechts,,5 und speziellen Regelungen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen. 6
a) Art. 6 EMRK
Nach der Rechtsprechung des EuGH gehören die durch Art. 6 EMRK verbürgten Rechte auch zum Grundrechtsstandard der Union. 7 Hieraus ergeben sich daher Anforderungen an das europäische (EU-) Zivilverfahrensrecht. ZZP 109 (1996), 345. VO 44/01 lEG, Amtsblatt der EG Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1 ff. 3 Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, Amtsblatt der EG Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 19 ff. 4 Vgl. die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere. 5 Vgl. Kerameus, Diskrimierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit - Zivilverfahrensrecht, S. 115 ff. 6 Zu den Prinzipien des Europäischen Prozessrechts vgl. z. B. Habscheid, S. 455 ff.; zum europäischen Grundrechtsschutz: Pauly, EuR 1998,242 ff. 1
2
1. Anforderungen an die verfahrenseinleitende Zustellung
107
Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert dem Beklagten das rechtliche Gehör. 8 Rechtliches Gehör kann er nur finden, wenn ihm zunächst das zuzustellende Schriftstück überhaupt zur Kenntnis gebracht worden ist. Außerdem muss ihm das Schriftstück auch verständlich sein. Dies ist nur möglich, wenn es in einer dem Empfänger verständlichen Sprache abgefasst ist. Schließlich muss dem Beklagten das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt worden sein, dass er ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung hatte. Ebenfalls auf Art. 6 EMRK kann der Kläger seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz stützen. 9 Effektive Rechtsdurchsetzung ist jedoch nur gegeben, wenn sich der Beklagte nicht unter Berufung auf rein formale Aspekte einer wirksamen Zustellung entziehen kann. 1O Das bedeutet nicht nur, dass dem Kläger ein leistungsfähiges internationales Zustellungs system zur Verfügung gestellt werden muss. Die Staaten sind also zur Kooperation und effizienten Ausgestaltung des Verfahrens im Rahmen des Rechtshilfeverkehrs verpflichtet. 11 Vielmehr muss aus diesem Grund auch die Heilung mangelhafter Zustellungen möglich sein, falls der Empfänger vom Inhalt des Schriftstücks tatsächlich und rechtzeitig Kenntnis erhalten hat. Der europäische Verordnungsgeber hätte daher in die EZVO auch Vorschriften zur Heilung mangelhafter Zustellungen aufnehmen müssen. 12
b) Art. 12 EG
Durch Art. 12 EG wird die unterschiedliche Behandlung allein aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten. Dieses Verbot hat unmittelbare Auswirkungen auf die Zulässigkeit fiktiver Inlandszustellungen an im Ausland domizilierte Personen. Bislang haben die Mitgliedstaaten weitgehend am Konzept der fiktiven Inlandszustellung festgehalten. 13 Art. 12 EG gebietet hingegen, auch solche Zustellungs7 Vgl. auch Art. 6 EUVund EuGH 4/73, Slg. 1974,491,507; Pauly, EuR 1998,242,249; zur Geschichte des Grundrechtsschutzes in der EU z. B. Mancini, CML Rev. 1989, 595, 608 ff. B Ausführlich: van Dijk/van Hoof, S. 428 ff.; Habscheid, S. 457; Schlosser, Festschrift Matscher, S. 387 f. 9 van Dijk/van Hoof, S. 421. 10 V gl. auch die Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 10 (zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ): "Durch die derzeitige Lesart dieser Bestimmung erhält der böswillige Schuldner nämlich eine gefährliche Waffe, um sich der Zwangsvollstreckung zu entziehen. " 11 Bertele, S. 206. 12 In diesem Sinne auch Heß, NJW 2001, 15,22. 13 Diesbezüglich ist vor allem die romanische remise au parquet zu kritisieren, die - im Gegensatz zur deutschen Zustellung nach § 175 ZPO a.F. - bereits beim verfahrenseinleitenden Schriftstück eine Fiktion zulässt.
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formen, die sich allein am Aufenthaltsort des Adressaten orientieren, zu unterlassen. 14 Fiktive Inlandszustellungen werden dieser Voraussetzung im Binnenmarkt nicht gerecht. Da die internationale Zustellung innerhalb der Union jedoch auch weiterhin auf Basis des Rechtshilfeprinzips durchgeführt werden soll, wäre der europäische Verordnungsgeber nach Art. 12 EG ebenfalls aufgerufen gewesen, in der EZVO zu regeln, wann eine Auslandszustellung überhaupt notwendig ist und wann nicht. 15 Durch diese Unterlassung und die gleichzeitig nur halbherzige Eröffnung von Direktzustellungen wird es auch künftig bei Unsicherheiten und nationalen Zustellungsverfahren bleiben, die einen ausländischen Zustellungsempfänger entgegen europäischem Recht benachteiligen. 16
c) Art. 27 Nr. 2 und Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ I Art. 34 Nr. 2 und Art. 26 VO 44101 lEG
Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ und Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ setzen die durch Art. 6 EMRK und Art. 12 EG formulierten Grundsätze - teilweise - in verfahrensrechtliche Vorschriften um. Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird im Falle eines Versäumnisurteils durch eine Überprüfung von Ordnungsmäßigkeit und Rechtzeitigkeit der Zustellung im Exequaturverfahren sichergestellt, dass der Beklagte Gelegenheit hatte, sich zu verteidigen. Durch die Verweise in Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ und in Art. IV des EuGVÜ-Protokolls auf das HZÜ wird die Anwendung allgemeiner internationaler Zustellungsregelungen auf Binnenmarktverfahren sichergestellt. Dieses System wurde in dem Glauben etabliert, das HZÜ stelle eine leistungsfähige Zustellungsstruktur zur Verfügung. 17 Dass dem erstens nicht so ist, und dass dies zweitens auch erkannt wurde, zeigen nun die Bestrebungen zur Erneuerung des europäischen Zustellungsrechts. Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 lEG sieht nunmehr veränderte zustellungsrechtliche Anforderungen für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung vor. Hiernach ist zwar für die Anerkennungsfähigkeit einer Entscheidung nach wie vor erforderlich, dass dem Beklagten, der sich auf ein Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. In Art. 34 Nr. 2 a. E. VO 44/01 lEG 14 Zwar wird an den Aufenthaltsort des Empfängers angeknüpft und nicht an die Staatsangehörigkeit. Ausreichend ist jedoch, dass typischerweise Ausländer Leidtragende einer solchen Konstellation sind, EuGH N1W 1994, 1271 (Mund & Fester); vgl. auch jüngst OLG Karlsruhe RIW 1999,538 ff.; Lenz-ders., Art. l2 EG Rz. 6. 15 So verbleibt es weiterhin bei einer Entscheidung nach der lex fori des Erststaates. 16 Die nationalen "Abmilderungen", vgl. hierzu Heß, NJW 2001, 15, 18, ändern an der strukturellen Schwäche der derzeitigen Rechtslage nichts. Zur deutschen Neuregelung vgl. unten § 5. 17 Heß, NJW 2001,15,17.
1. Anforderungen an die verfahrenseinleitende Zustellung
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findet sich jedoch eine Ausnahme: hat der Beklagte gegen die ausländische Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte, wird die Entscheidung auch bei sogenannten Zustellungsmängeln anerkannt. Zu verzeichnen ist also eine Flexibilisierung der zustellungsrelevanten Vorschriften. Art. 26 Abs. 3 VO 44/0l/EG stellt die einheitliche Anwendung der EZVO sicher. In Art. 26 Abs. 4 VO 44/01 lEG wird schließlich klargestellt, dass bei Nichtanwendbarkeit der EZVO nach wie vor das HZÜ anwendbar bleibt. Diesbezüglich hat sich also keine Änderung gegenüber dem EuGVÜ ergeben.
d) Art. 10 EG Die Verpflichtung der nationalen Gesetzgeber, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Raumes des Rechts zum Durchbruch zu verhelfen, lässt sich Art. 10 EG entnehmen. 18 Schon der Wortlaut der Vorschrift stellt klar, dass das Gebot der Gemeinschaftstreue nicht nur bei der Umsetzung von konkreten Gemeinschaftsakten gilt, sondern auch bei der Gewährleistung allgemein formulierter Ziele. Die nationalen Zustellungsorgane sind daher verpflichtet, nicht nur effektiv, sondern auch effizient zuzustellen. Unnötige Kontrollmechanismen 19 müssen zukünftig entfallen. Darüber hinaus verpflichtet Art. 10 EG die Mitgliedstaaten, alles zu unterlassen, was die Verwirklichung der Vertragsziele gefahrden kann?O Vertragsziel ist seit der Amsterdamer Fassung des EG die Schaffung eines einheitlichen Raumes des Rechts (Art. 61 EG). Daher sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Hindernisse abzubauen, die zu einer unterschiedlichen Anwendung von Verfahrensnormen bei rein inländischen und bei internationalen Prozessen führen, soweit das Gemeinschaftsrecht betroffen ist. 21 e) Die Grundfreiheiten Hinsichtlich der Grundfreiheiten hat sich durch die Vergemeinschaftung der Gemeinsamen Justizpolitik ein neues Spezialitätsverhältnis ergeben. Für den Bereich des europäischen Zivilprozessrechts, mit Bezug zum freien Personenverkehr, stellen Art. 61 und Art. 65 EG nunmehr leges speciales dar. 22 Die daselbst genannten Ziele sollen durch geeignete Maßnahmen erreicht werden?3 Vgl. Lenz-ders., Art. 10 EG Rz. 5. Vgl. hierzu oben, § 2.1.c. 20 Schwarze-Hatje, Art. \0 EG Rz. 47. 21 So auch Jokisch, S. 96; Diesem Gedanken ist etwa auch die Regelung zum Arrestgrund der Auslandsvollstreckung im EU-Ausland zum Opfer gefallen. 22 Schwarze- Wiedmann, Art. 65 EG Rz. 20. 23 Schwarze- Wiedmann, Art. 61 EG Rz. 36. 18
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Eine andere Frage ist, ob das Gleichstellungsgebot Auswirkungen auf die Anerkennung von ausländischen Zustellungszeugnissen hat. 24 Es bleibt also festzuhalten, dass die Grundfreiheiten keine direkten Auswirkungen mehr auf europäisches Zustellungsrecht haben?5 Im Weiteren ist aber nun zu untersuchen, welche konkreten Zustellungsregelungen durch die gegenwärtigen Arbeiten am europäischen Zivilprozessrecht notwendig werden.
2. Der Vorschlag der Kommission für ein europäisches Zivilverfahrensrecht
Im Jahre 1994 hat die Kommission Vorschläge für eine starke Annäherung der Zivilverfahrensrechte der EU-Mitgliedstaaten unterbreitet. 26 Zwar handelt es sich dabei nicht um einen umfassenden Textvorschlag für ein Europäisches Zivilprozessgesetzbuch, der ab sofort die nationalen Verfahrensrechte ablösen könnte. Vielmehr sind lediglich einzelne Bereiche des Zivilprozesses bearbeitet und herausgestellt worden. In dem eindeutigen Bestreben, ein einheitliches Zivilverfahrensrecht für die Union zu schaffen, hatte sich die Kommission jedoch mit einem bemerkenswerten Gespür für die künftige Entwicklung des europäischen Prozessrechts eine klare Leitlinie gesetzt?7
24 Diese Frage wird jedoch nach der angestrebten Konzeption eines einheitlichen europäischen Zustellungszeugnisses - vgl. hierzu unten § 4.4.c - keine Rolle mehr spielen. 25 Eine andere Auffassung ließe sich vertreten, wenn man Maßnahmen nach Art. 65 EG lediglich als Verwirklichungsinstrumente für die Marktfreiheiten ansähe. Dies erscheint angesichts des Wortlauts von Art. 61 EG aber fraglich. 26 Storme, Rapprochement du Droit Judiciaire de I'Union europeenne - Approximation of Judiciary Law in the European Union; veröffentlicht auch in ZZP (109) 1996,345 ff.; Dieser sogenannte Bericht der Storme-Kommission soll zwar gerade nicht der Kommission zugerechnet werden, vgl. Storme, S. IX, dies hindert die Literatur jedoch nicht daran, genau dies zu tun. 27 Storme, S. 62; zur Diskussion über die Konzeption des künftigen europäischen Zivilprozesses - auf Basis der nationalen Prozessrechte oder als eigener, einheitlicher Verfahrenstypus - vgl. auch Stümer; Das europäische Zivilprozeßrecht - Einheit oder Vielfalt?, S. 1, S. 5; zur aktuellen Entwicklung Heß, JZ 1998, 1021; der Kommissionsvorschlag wurde heftig kritisiert, vgl. etwa Roth, ZZP (109) 1996, 271 ff. m. w. N. und den Diskussionsbericht von Lemken über die Diskussion auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer in Münster am 12. April 1996, ZZP (109) 1996, S. 337 ff.; mit einigem zeitlichem Abstand etwas milder: Kerameus, Die Angleichung des Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches, S. 85, S. 92 f.
2. Vorschlag für ein europäisches Zivilverfahrensrecht
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a) Die Vorschläge zur Zustellung Die Kommission hat einige Bereiche bearbeitet, auf welche die Zustellung indirekt einwirkt. Hierunter fallen etwa das Problem der (doppelten) Rechtshängigkeit28 , die Verjährungsunterbrechung29 , die Verfahrensaussetzung bei nicht rechtzeitiger Ladung 30 , die Fristberechnung 31 oder Heilungsvorschriften 32 . Da sich der Kommissionsvorschlag jedoch nicht durchgesetzt hat 33 , wird hier auf die eingehende Darstellung dieser Bereiche verzichtet. 34 Dargestellt werden im Folgenden nur die Zustellungsvorschriften des Entwurfs im engeren Sinne. 35 Die - auch für das deutsche Zustellungsrecht - bemerkenswerteste Regelung findet sich in Art. 2.1.2.1 : "It shall be the duty of the plaintiff or of the agent responsible for service, as the case may be, to take all steps necessary to ensure that the writ is served on the person to whom it is directed and if, for any reason, the address of that person in unknown, to ascertain it. ..36
Die Vorschrift legt die Verantwortung dafür, dass der Zustellungsadressat das zuzustellende Schriftstück erhält, also ausdrücklich in die Hände der Parteien. Diese Regelung würde für das deutsche Zustellungsrecht, das sich weitgehend nach dem Prinzip der Amtszustellung richtet, eine grundlegende, aber überlegenswerte Neuerung darstellen. 37 Entsprechend dem Prinzip der Parteiverantwortung ist auch die Ersatzzustellung ausgestaltet. Art. 2.1 .2.2 (I) statuiert: "Where personal service is not effected, the plaintiff or the agent responsible for service, as the case may be, shall ensure that he is in a position to decIare precisely and in detail the steps he has taken to ensure that the writ comes to the attention of the person to whom it is directed."
Da das Gericht in einem möglichen Versäumnisurteil (Art. 2.1.2.2 (2» auch darlegen muss, dass die zur Ersatzzustellung notwendigen Schritte, die bei ungewissem Aufenthaltsort des Adressaten gemäß Art. 2.1.2.3 auch die Einholung von Art. 2.2.2.1 - Art. 2.2.2.3 des Vorschlags. Art. 2.2.1 - Art. 2.2.1. 7 des Vorschlags. 30 Art. 8.1 des Vorschlags. 31 Art. 14.1.1- Art. 14.l.7 des Vorschlags. 32 Art. 14.2.1 - Art. 14.2.6 des Vorschlags. 33 Die Kommission hat den Vorschlag offensichtlich fallengelassen, vgl. Roth, ZZP (109) 1996,271,311 Fn. 213. 34 Sie werden jeweils an anderer Stelle bei Untersuchung der entsprechenden Themen aus anderen, aktuellen Vorschlägen berücksichtigt. 35 Substantielle Zustellungsvorschriften sind also entgegen der Ansicht G. Geimers, S. 216, durchaus im Vorschlag enthalten. 36 Der Textvorschlag liegt original in englischer und französischer Sprache vor. 37 Vgl. näher hierzu unten, § 7.2. 28
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Auskünften bei Sozialversicherungsträgern beinhalten38 , unternommen worden sind, erfolgt hier durchaus eine Kontrolle der Bemühungen des Klägers. Denn sollten die Schritte entgegen der Versicherung der die Zustellung betreibenden Partei nicht unternommen worden sein, stehen straf- und zivilrechtliche Verfahren gegen sie im Raum. Erst, wenn die persönliche Zustellung gescheitert ist und auch weitere Maßnahmen wie die Einholung von Auskünften über den Wohnort des Zustellungsadressaten keinen Erfolg erbracht haben, kann das Gericht Maßnahmen nach den nationalen Prozessrechten anordnen (Art. 2.1.2.4).
b) Fazit
Die Vorschläge der Storme-Kommission sind von der Gemeinschaft nicht weiterverfolgt worden, was sicherlich auch auf die harte Kritik zuriickzuführen war. Nachdem nunmehr aber die grundlegende Neuerung eines europäischen Vollstreckungstitels ansteht 39 , werden sie zwar in ihrer Gesamtheit den neuen Anforderungen eines europäischen Zivilprozesses nicht mehr gerecht. Das Zustellungsrecht muss in diesem Zusammenhang wesentlich umfangreichere Regelungen treffen. Als wichtiges Element sollte jedoch die Einführung des Prinzips der Parteiverantwortung bei der Zustellung beachtet werden. Dieses kann, bei Ergänzung durch die Unterstützung amtlicher Zustellpersonen, zu einer Verfahrensbeschleunigung führen, ohne auf Kosten der Zustellungssicherheit zu gehen. 4o
3. Die Europäische Grundrechtscharta Am 2. Oktober 2000 wurde der Entwurf einer Europäischen Grundrechtscharta (EGC), der von einer Kommission unter Vorsitz von Roman Herzog erarbeitet wurde, an den Europäischen Rat übermiuelt. 41 Nach einer Priifung auf der Sitzung des Europäischen Rats in Biarritz im Oktober 2000, wurde die Charta schließlich auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 feierlich beschlossen. 42 Unklar ist, welche rechtliche Wirkung die EGC haben wird. Die Alternativen lauten entweder Einbeziehung in das Vertragswerk der Europäischen Union, oder Belassen bei einer feierlichen Proklamation. 43 Die Europäische Kommission hat mitgeteilt, dass sie eine Einbeziehung in das Vertragswerk der Union grundsätzlich 38 Im Rahmen der nationalen Datenschutzgesetze: ,,[ ... ] subject to any law binding them to confidentiality, [... ]". 39 Vgl. hierzu sogleich unten, § 4.4. 40 Hierzu ausführlich unten, § 7.2. 41 Dokument Charte 4487/00 (Convent 50) vorn 28. September 2000. 42 Vgl. hierzu, jeweils zusammenfassend: zum Verfahren Häjner/Strawe/Zuegg, ZRP 2000,365,365; zum Inhalt Baer; ZRP 2000,361 ff. 43 Baer; ZRP 2000,361,364.
3. Die Europäische Grundrechtscharta
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für wünschenswert hält. 44 Die gleiche Ansicht vertreten das Europäische Parlament, der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen. 45 Unabhängig von der endgültigen rechtlichen Einordnung wird die Charta jedoch in jedem Fall Rechtswirkungen erzeugen. Falls sie in die Verträge einbezogen werden sollte, unmittelbar; für den Fall, dass es bei einer feierlichen Deklaration durch den Europäischen Rat bleiben sollte, im Rahmen der Auslegung durch den EuGH. An dieser Einschätzung hat auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften keinen Zweifel gelassen. 46 Einer näheren Prüfung bedarf die Frage, welche Wirkung die EGC auf die Rechtsprechung der nationalen Gerichte haben wird. 47 Unabhängig davon kann jedoch untersucht werden, welche Vorschriften der Charta Auswirkungen auf das europäische Zivilverfahrensrecht und besonders auf das Zustellungsrecht haben könnten. a) Art. 41 EGC
Eine überraschende Regelung findet sich etwa in Art. 41 EGC, der das Recht jeder Person auf "eine gute Verwaltung" statuiert. Sollte es auch in Zukunft im Bereich der Zustellung bei einem System der Rechtshilfe bleiben, die wenigstens teilweise durch die Verwaltung durchgeführt wird, ist es denkbar, dass diese Regelung Wirkung entfalten könnte. Art. 41 Abs. 3 EGC weist auch auf die Haftung administrativer Einrichtungen hin. Es ist jedoch zu beachten, dass sich Art. 41 EGC ausdrücklich lediglich auf die Verwaltungseinrichtungen der Union bezieht. Damit ist auch im Hinblick auf das Zustellungsrecht klar: ob die Vorschrift zukünftig in diesem Zusammenhang angewandt werden wird, hängt von der Beantwortung der Frage ab, welchen Weg das europäische Zivilprozessrecht gehen wird. Den der europäischen Eigenständigkeit oder den der weiteren Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen. Kurz- bis mittelfristig sind Auswirkungen dieser Vorschrift auf das Zustellungsrecht jedenfalls nicht zu erwarten. b) Art. 47 EGC
In Kapitel VI der EGC (Art. 47 bis Art. 50) werden die justiziellen Rechte normiert. Während in Art. 48 bis Art. 50 EGC die Rechte von Beteiligten in Strafpro44 Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokument KOM (2000) 644 endgültig, vom 11. Oktober 2000, Nr. 11. 45 Ebd. Nr. 5. 46 Ebd. Nr. 10. 47 Diese Untersuchung kann hier nicht geleistet werden. Es muss daher dabei bleiben, die Frage aufzuwerfen.
8 Sharma
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§ 4 Auswirkungen der EU-Rechtsgemeinschaft
zessen geregelt werden, statutiert Art. 47 EGC unter der Überschrift "Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein unparteiisches Gericht" einige Vorschriften, die auch für den Zivilprozess von Bedeutung sein können. Art. 47 Satz 2 EGC spricht von einem fairen Verfahren: "Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird."
Zur Anforderung des fairen Verfahrens gehört auch die Gewährung rechtlichen Gehörs. 48 Der Begriff des fairen Verfahrens ist jedoch bereits seit langem Bestandteil der europäischen Zivilverfahrensrechte. Da sich aus Art. 47 EGC und dem weiteren Bereich der justiziellen Rechte keine weiteren Hinweise ergeben, die Einfluss auf das Zustellungsrecht haben könnten, scheint die EGC diesbezüglich - außer einer positiven Normierung - keine Neuerungen zu bringen. c) Fazit
Die EGC wird für das Zustellungsrecht keine Neuerungen bringen. Sie schreibt lediglich den Verfahrensstandard fest, der bereits seit langem in der Union und den Mitgliedstaaten besteht, indem sie etwa das Recht auf ein faires Verfahren garantiert. 49 Es bleibt abzuwarten, welche Wirkung die EGC künftig entfalten wird. Falls sie etwa in die Verträge integriert würde, bekämen die Parteien eines Zivilprozesses ein weiteres Argument an die Hand, um bestimmte Verfahrenshandlungen überprüfen zu lassen.
4. Der europäische Vollstreckungstitel
Auch die Idee eines "europäischen Vollstreckungstitels", wie ihn der Europäische Rat von Tampere beschlossen hat50, könnte Auswirkungen auf das Zustellungsrecht haben.
a) Das Modell Das Modell eines europäischen Vollstreckungstitels wurde in der Kommission erstmals 1995 angedacht und die Idee 1998 im Amtsblatt veröffentlicht. 51 Nach van Dijk/van Hoof, S. 428 ff. Wenigstens in diesem Bereich handelt es sich also lediglich um die "Konsolidierung, Vereinfachung und Ergänzung" des bestehenden Rechts, vgl. Baer; ZRP 2000,361,363, auch zum Streit um Architektur und Umfang der EGC. 50 Schlussfolgerungen des Vorsitzenden Nr. 33 - 3, NJW 2000, 1925. 51 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Eu48
49
4. Der europäische Vollstreckungstitel
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einer Analyse der Schwächen grenzüberschreitender Zivil verfahren war deutlich geworden, dass potentielle Streitparteien vor allem durch den hohen Aufwand solcher Verfahren von der Wahrnehmung ihrer Rechte abgehalten wurden. Als dem Gedanken der Freizügigkeit widersprechend identifizierte die Kommission die gegenwärtige Rechtslage, nach der in einem gesonderten Exequaturverfahren im Vollstreckungsstaat der Titel des Erstgerichts zunächst noch mit einer Vollstreckungsklausel versehen werden muss. 52 Damit ist das Ziel eines europäischen Vollstreckungstitels bereits umrissen: ein vollstreckbarer Titel eines Mitgliedstaats soll ohne ein weiteres Zwischenverfahren auch in allen anderen Mitgliedstaaten der Union vollstreckt werden können.53 War 1998 die Schaffung eines einheitlichen VollstreckungstiteIs noch als verfrüht angesehen worden 54, so hat die Entwicklung spätestens seit den Beschlüssen des Europäischen Rates von Tampere erneut an Fahrt gewonnen. Darin wurde der Rat beauftragt, im Rahmen der Schaffung eines einheitlichen Raumes des Rechts ein Maßnahmenprogramm zur Schaffung des europäischen Vollstreckungstitels bis zum Ende des Jahres 2000 vorzulegen. 55 b) Anforderungen an das Zustellungsrecht der Passeport ludiciaire Europeen Die Etablierung eines europäischen Vollstreckungstitels hat auch Auswirkungen auf das europäische Zustellungsrecht. So wurde als Ergebnis einer von der französischen Ratspräsidentschaft organisierten Konferenz über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Zivilsachen festgestellt: ropäischen Union", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 3 ff.; Wagner, IPRax 2002, 75. 52 Die Kommission spricht hierbei leicht missverständlich zunächst von einem "Paß", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 6, meint aber die Vollstreckungsklausel. Irreführend ist auch, dass selbst im Rahmen des EuGVÜ von Urteilsfreizügigkeit gesprochen wird, obwohl genau diese nicht gegeben ist, vgl. etwa Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 9; hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des EuGVÜ gibt es durchaus auch andere Ansichten, etwa Roth, ZZP (109) 1996, 271, 311. 53 Eine ausführliche Abhandlung der Vor- und Nachteile, insbesondere auch Erwägungen hinsichtlich der Umsetzbarkeit angesichts der anstehenden Osterweiterung der Union, würde den Umfang dieser Arbeit sprengen. Sie konzentriert sich daher auf die zustellungsrechtlichen Erfordernisse, die ein solcher -durchaus reizvoller- Titel erfüllen müsste. Zu weiteren EinzeIfragen: Wagner, IPRax 2002, 75 . 54 Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 8. 55 Dieser einheitliche Vollstreckungstitel betrifft zunächst nur die Abschaffung von Hindernissen für geringfügige Ansprüche und familienrechtliche Streitfalle (Brüssel 11). Das Endziel des allgemeinen europäischen Vollstreckungstitels ist dagegen zeitlich noch nicht fixiert, vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines "Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" in der Europäischen Union, KOM (2000) 167 endgültig vom 24. März 2000, S. 14; hierzu wurde vom Rat am 30. November 2000 ein Maßnahmenprogramm beschlossen. 8*
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§ 4 Auswirkungen der EU-Rechtsgemeinschaft
"La suppression de l'exequatur et l'institution d'un titre executoire europeen ou d'une saisie europeenne ne sont pas concevables sans des procedures, rapides et sures, de signification et de notification des actes judiciaires. ,,56
Dass dies fast schon zwingend ist, wird bereits dadurch deutlich, dass die bisherige, strikt formale Überprüfung der Zustellung nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ 57 künftig modifiziert wird. Substitute zur Sicherung der Zustellungsfunktionen müssen also gefunden werden. Es bleibt daher zu untersuchen, was das Zustellungsrecht im Interesse eines einheitlichen Titels leisten muss. 58 Zur Lösung dieser Frage wird in der Literatur die Schaffung eines sogenannten "Passeport ludiciaire Europeen", eines europäischen lustizpasses vorgeschlagen. Dabei handelt es sich um ein Dokument, das idealerweise das gesamte Verfahren von seiner Einleitung bis zur Zwangsvollstreckung begleitet und dokumentiert. Der Passeport wandert also stets mit dem "Brennpunkt" des Prozesses mit, um den jeweiligen Stand und die Ordnungsmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu dokumentieren. Es handelt sich um ein "document unique a mains multiples,,59, das die Einhaltung eines rechtmäßigen Verfahrens sicherstellen soll.
aa) Umfassende Information von Behörden und Gerichten Zunächst ist entscheidend, dass die Vollstreckungsorgane im Zweitstaat60 wirklich umfassend über die Zustellungsvorgänge im entsprechenden Verfahren informiert werden. Auch nach der Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels bleibt es bei der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. 6 ] Sie müssen also weiterhin gewährleisten, dass grundlegende lustizrechte der Prozessparteien gewahrt bleiben. Bei der Zustellung betrifft dies vor allem das Recht des Beklagten, angemessene Verteidigungsmöglichkeiten zu erhalten, die ihm aber erst durch die Kenntnisnahme vom entsprechenden Schriftstück eröffnet werden. 62 Daher wird der Verlust des 56 Resultats du seminaire organise dans le cadre de la Presidence fran~aise de I' Union europeenne sur "La reconnaissance mutuelle des decisions civiles", http://www.justice. gouv.fr I europe I semi0407.htm, S. 4 (29. August 2000). 57 Vgl. Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 lEG, der dem Beklagten bei bestehender Möglichkeit die Obliegenheit der Rechtsbehelfseinlegung auferlegt. 58 Im Folgenden wird vom Prototyp des zuzustellenden Schriftstücks, einer Klageschrift, ausgegangen. 59 De Leval, La mise en place du passeport judiciaire: synthese des travaux, Arbeitspapier April 2000, S. 3. 60 Der Begriff "Zweitstaat" wird eine neue Bedeutung bekommen, nachdem das Exequaturverfahren weggefallen ist. 61 Rodriguez Iglesias, NJW 2000,1889,1893. 62 V gl. auch Normand, Les effets juridiques du Passeport Judiciaire (colloque international des huissiers de justice, Paris 21 - 22 oct. 1999), S. 2.
4. Der europäische Vollstreckungstitel
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nationalen Rechts, ausländische Titel in einem Exequaturverfahren mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen, nur akzeptabel sein, wenn eine umfassende und verlässliche63 Information des dann einzigen mit der Sache befassten Gerichts oder, in Staaten mit nichtgerichtlichen Vollstreckungsorganen eine Information eben dieser Vollstreckungsorgane, erfolgt ist. Denn durch die Abschaffung des Exequaturverfahrens im Vollstreckungs staat wird gleichzeitig auch die Pflicht einer ausländischen Partei etabliert, sämtliche Rechtsmittel beim für sie ausländischen Gericht einzulegen und zu verfolgen. Dies bringt eine erhebliche Verschlechterung ihrer Position mit sich, die nur zum Teil mit der aus dem HZÜ übernommenen Regelung des Art. 19 EZVO aufgefangen werden kann. 64 Die Partei muss sich, soweit im Prozess kein Anwaltszwang besteht und sie keinen Anwalt beauftragen kann oder will, über Rechtsmittel und Verfahrensfortgang informieren. 65 Sie muss wahrscheinlich ins Ausland reisen, um Verhandlungen beizuwohnen. Sie muss Schriftsätze in einer fremden Sprache einreichen. Die Beauftragung eines ausländischen Anwalts könnte diesbezüglich sicherlich Erleichterung mit sich bringen. Angesichts der enormen Gebührenunterschiede innerhalb der Union, muss die Partei jedoch mit unter Umständen ungewöhnlich hohen Kosten rechnen. 66 Diese Kosten würden nicht anfallen, wenn sich die Partei nach dem bisherigen Verfahren nur im eigenen Land gegen die Vollstreckbarerklärung hätte wehren müssen. Die Neuregelung des europäischen Vollstreckungstitels bringt also einen klaren Kostenvorteil für die grenzüberschreitend tätig werdende Partei. 67 Die Kosten, die für sie bislang im Rahmen des Exequaturverfahrens angefallen sind, werden nunmehr dem Beklagten auferlegt. Dies ist seitens der Gemeinschaft zwar ausdrücklich bezweckt. 68 Der Verlust der nationalstaatlichen Souveränität, das ausländische Verfahren nachzuprüfen, muss gleichzeitig aber durch die absolute Sicherstellung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten und Vollstreckungsschuldners ausgeglichen werden. Dies macht die umfassende Information des Prozessgerichts über erfolgte Zustellungen erforderlich. In dem über die Zustellung zu erstellenden Zeugnis muss für den Vollstreckungsbeamten ersichtlich sein, welches Schriftstück tatsächlich zugestellt wurde. Die bisherigen Zustellungszeugnisse nach dem HZÜ, bzw. nach der neuen EZVO, sehen nicht vor, dass eine Kopie des zuzustellenden Schriftstücks beizufügen ist. Dies ist im Sinne einer sicheren Zustellung aber notwendig. Da einem Zustellungszeugnis jedoch offensichtlich nicht ganze Klageschriften oder Urteile beigefügt werden können, muss dies im Rahmen einer Zusammenfassung erfolgen, ähnlich Hierzu sogleich unten, § 4.4.b.bb. Nämlich nur bei Nichteinlassung der Partei auf das Verfahren und wenn kein Zeugnis über die Zustellung erlangt werden kann, für regelmäßig sechs Monate, vgl. Art. 15 HZÜ und Art. 19 Abs. 1 EZVO. 65 Zur Frage der Belehrung vgl. unten, § 4.4.c.bb. 66 Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 5. 67 Diese wird regelmäßig der Kläger sein. 68 Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 5. 63
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der Regelung, die das europäische Strafverfahrensrecht trifft. 69 Bestandteil der Zusammenfassung könnte die stichwortartige Beschreibung des Sachverhalts sein, die als Mindestangaben auch Ort und Zeitpunkt70 des den behaupteten Anspruch auslösenden Ereignisses enthält. 7l Zwar ist dem Vollstreckungsorgan eine umfassende Prüfung nicht erlaubt. Im Rahmen der Auslegung muss jedoch sichergestellt werden, dass dem Vollstreckungsorgan etwa die Vollstreckungsparteien bekannt sind, um besonders schwere Fehler zu vermeiden. 72 Eine Einordnung des Anspruchs in rechtliche Kategorien ist dagegen bei der Zustellung einer Klageschrift nicht erforderlich, weil die rechtliche Bewertung ohnehin erst später durch das Gericht erfolgt. 73 Als weitere Sicherheit sollte das Zustellungszeugnis selbstverständlich auch das Aktenzeichen der Klageschrift enthalten. Damit der entsprechende Zustellungsvorgang lückenlos zurückverfolgt werden kann, ist es außerdem notwendig, die Zustellperson zu nennen. Nur so kann in einem späteren Rechtsmittelverfahren über die Art und Weise der Zustellung Klarheit über ihre Wirksamkeit erlangt werden?4 Schließlich sind die Absende- und Empfangsdaten sowie die Art der Zustellung zu bezeichnen. 75 Dass ein Vermerk über die Zustellungsart im Interesse der Klarheit eines möglicherweise nachfolgenden Überprüfungsverfahrens über die Zustellung wichtig ist, macht etwa die Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts deutlich. Denn hiernach wird der Zustellperson nach eigenem Ermessen erlaubt, ein zuzustellendes Schriftstück in den Briefkasten des Zustellungsadressaten einzuwerfen. Streitigkeiten über diese Ermessensentscheidung sind zu erwarten. 76
bb) Die Beweiskraft eines einheitlichen Zustellungszeugnisses Damit die umfassende Information des Gerichts ein großes Maß an Verlässlichkeit erhält, ist ein zu erstellendes Zustellungszeugnis mit hoher Beweiskraft auszustatten. Für Deutschland ergibt sich die Beweiskraft von Zustellungsurkunden aus §§ 190, 191,415,418 ZPO. Ein Blick in andere Rechtsordnungen zeigt, dass (öffentliche) Urkunden regelmäßig ein bedeutendes und verlässliches Beweismittel Vgl. hierzu oben, § l.2.b. Natürlich nur, soweit ermittelbar. 71 Also etwa: "Betr.: Schadensersatz wegen Körperverletzung durch einen Verkehrsunfall am ... in ... 72 Baumbach I Lauterbachl Albers I Hartmann-Hartmann, § 750 Rz. 2. 73 Hingegen könnten die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen bei der Zustellung eines Urteils vermerkt werden. 74 Zu den Anforderungen an Zustellpersonen vgl. sogleich unten, § 4.4.c.ee. 75 Also (im deutschen Recht) ob persönlich übergeben wurde, im Rahmen einer ErsatzzusteIlung an andere Personen übergeben wurde oder ob durch Niederlegung zugestellt wurde. 76 Zu den Änderungen ausführlich: unten, § 5.l.c. 69
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H.
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darstellen. Im französischen Recht trägt eine Urkunde, die von einer öffentlichen Behörde in entsprechender Form errichtet wurde, die Vermutung der Echtheit, womit der Inhalt der Urkunde voll bewiesen ist. 77 Im englischen Recht muss die öffentliche Urkunde außerdem der Öffentlichkeit zugänglich sein. 78 (1) Das Interesse der Parteien an der Beweiskraft
eines Zustellungszeugnisses
Die hohe Beweiskraft ist nicht nur, wie soeben gesehen 79 , für das Gericht von Bedeutung. Vielmehr lässt sich ihre Wichtigkeit auch aus der Perspektive der Parteien erklären: auf der einen Seite kann sich der Kläger im Idealfall eines begründeten Klageantrags auf einen zügigen Verfahrensfortgang und eventuell bereits auf die Zwangsvollstreckung einstellen. Die Beweiskraft dient also hier der effektiven Rechtsdurchsetzung. Auf der anderen Seite kann sich der Beklagte darauf verlassen, dass er sich auf kein anderes Verfahren einzulassen hat, als auf jenes, in dessen Rahmen ihm zugestellt wurde.8o Eine solche Verlässlichkeit kann nur erreicht werden, wenn ein Zeugnis für den europäischen Justizraum existiert, das überall den gleichen, nämlich "absoluten", Beweiswert genießt. (2) Die Grenzen der Beweiskraft Selbstverständlich muss es jedoch möglich bleiben, die Ordnungsmäßigkeit einer beurkundeten Zustellung überprüfen zu lassen. Deutsche Gerichte haben hierfür im Rahmen ihrer Rechtsprechung zu § 418 ZPO Kriterien entwickelt, die sowohl dem Vertrauen in die Beweiskraft der Urkunde gerecht werden sollen, als auch dem Anspruch des Adressaten, die mangelhafte Zustellung nachzuweisen. Dass beides unmöglich vollständig zu versöhnen ist, liegt in der Natur der Sache. So ergibt sich dann auch die strenge Voraussetzung, dass es zum Beweis der Unrichtigkeit einer Postzustellungsurkunde notwendig ist, einen konkreten Sachverhalt vorzutragen, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache ausschließt. 81 Zwar ist die Rechtsprechung hierzu nicht gänzlich einheitlich. Insbesondere ergeben sich graduelle Unterschiede hinAusführlich hierzu: Coester-Waltjen, Rz. 420 m. w. N. Allerdings kommt im englischen Recht nicht allen Urkunden das Prädikat des "conclusive evidence" zu, vgl. Coester-Waltjen, a. a. 0., Rz. 421 m. w. N. auch für das U.S.-amerikanische Recht. 79 Vgl. oben § 4.4.b.aa. 80 Die Schwachstelle in diesem Zusammenhang ist, dass nur Verfahren aus Staaten der Europäischen Union von dieser "Garantie" erfasst werden. Mittel- bis langfristig muss daher eine entsprechende Regelung im größeren Rahmen, etwa innerhalb der Haager Konferenz, angestrebt werden. 81 Vgl. zuletzt OLG Düsseldorf NJW 2000, 2831, 2832. 77
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sichtlich der Frage des Umfangs der Beweiskraft. 82 Und nur allzu oft scheinen die gerichtlichen Ausführungen dem unbefriedigenden Motto zu folgen "weil nicht sein kann, was nicht sein darf,.83 Betrachtet man die Gründe für die Konstruktion der Beweiskraft der Zustellungsurkunde 84 , so wird deutlich, dass ihr der hohe Beweiswert nur deshalb zugebilligt wird, weil die Tatsache unter öffentlichem Glauben, und zwar von einer "dazu berufenen Behörde oder Urkundsperson" bestätigt wird. 85 Auch angesichts der Privatisierung des europäischen Postwesens ist es daher angezeigt, über die Beweiskraft von Zustellungsurkunden nachzudenken. Lediglich in einer Entscheidung des Landgerichts Berlin wird sehr deutlich, dass es sich bei Beantwortung der Frage des Umfangs der Beweiskraft einer Zustellungsurkunde regelmäßig um die Anwendung einer -günstigenfalls durch Ermittlungen der Zustellperson unterstützte- Fiktion handelt. 86 Dies ist zutreffend und muss auch so sein. Denn nur durch diese Konstruktion kann eine hohe Verlässlichkeit im gerichtlichen Verfahren geschaffen werden. Dennoch stellt sich nunmehr die Frage nach der Qualifikation der Zustellperson. 87 Ausgehend von diesen nationalen Erfahrungen88 ergibt sich somit, dass im Rahmen eines europäischen Zustellungszeugnisses die Möglichkeit, seine Beweiskraft zu erschüttern, bereits konstruktiv und von vorneherein möglichst gering gehalten werden sollte. Bei Vermerk der oben erwähnten Fakten im Zustellungszeugnis sollte es möglich sein, die Konstellationen der Zeugnisanfechtung auf diejenigen Fälle zu reduzieren, in denen die Zuverlässigkeit der Zustellperson angezweifelt wird. Diese könnten wiederum vermutlich verringert werden, wenn die Zustellung nicht durch private Zustellunternehmen, sondern durch Amtspersonen besorgt würde. 89 82 Eine Aufstellung verschiedener Entscheidungen findet sich bei Graßhof, Festschrift Merz, S. 132, 135 ff. 83 So etwa bei der Entscheidung des OLG Köln MDR 1983, 139, das -nahe an einem Zirkelschluss- den Beweis der Wohnung des Adressaten bereits deshalb als erbracht ansah, weil nur in diesem Fall die Zustellperson die Zustellung durch Niederlegung ausführen durfte. Sollte dies andersherum bedeuten, dass von der Wohnung des Adressaten ausgegangen wurde, weil alle anderen Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung gegeben waren, und daher Nachforschungen über die Hauptvoraussetzung (nämlich, ob der Adressat überhaupt dort wohnhaft war) nur als störend empfunden wurden? Zuzubilligen ist der Entscheidung immerhin, dass sie zu einer Zeit des staatlichen Postmonopols gefallen ist. Aufgrund der Privatisierung des Zustellwesens ist jedoch heute eine Neubewertung notwendig, Zustellungen werden nicht mehr durch Beamte ausgeführt. 84 Bzw. der öffentlichen Urkunde nach § 418 ZPO, was in diesem Fall jedoch gleichzusetzen ist. 85 Vgl. auch Baumbach I Lauterbach I Albers/Hartmann-Hartmann, § 418 Rz. I, mit harter Kritik an der durch die Privatisierung der Bundespost hervorgerufenen, breiten Streuung von mit Zustellungen beauftragten Personen. 86 LG Berlin MDR 1987,503. 8? Vgl. hierzu § 4.4.c.ee. 88 Denn andere gibt es bislang nicht. 89 Damit soll nicht gesagt sein, private Zustelluntemehmen seien grundSätzlich unzuverlässig. Vielmehr geht es darum, das allgemeine Vertrauen in die Beweiskraft der Zustellungs-
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Es stellt sich schließlich die Frage, wie erreicht werden kann, dass ein europäisches Zustellungszeugnis im gesamten europäischen Justizraum die gleichen rechtlichen Wirkungen entfaltet. Denn nur so kann die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewährleistet werden. Einen ersten Anhaltspunkt kann hierbei das Formular im Anhang der EZVO geben, das einige der notwendigen Angaben enthält. 9o Allerdings ist zu beachten, dass in der EZVO konstruktiv regelmäßig von einer Zustellung im Rahmen der internationalen Rechtshilfe ausgegangen wird. Weil im Rahmen eines europäischen Vollsteckungstitels jedoch weitere Angaben notwendig werden, wäre das genannte Formblatt allein wohl nicht ausreichend. 91 Jedenfalls müssten die einzelnen Zustellungsformen jedoch anders gewichtet werden. 92
c) Der Passeport ludiciaire als Teil einer umfassenden Neuregelung
Ein europäischer Vollstreckungstitel würde im Vergleich zur bisherigen Regelung 93 den Kläger eines Rechtsstreits weiter bevorzugen. Es ist daher streng darauf zu achten, dass das rechtliche Gehör des Beklagten gewahrt wird. Darüber hinaus müssen als Reaktion auf den Verzicht der Zweitkontrolle nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ weitere wichtige Bereiche des Zustellungsrechts europaweit geregelt werden. Nur durch die gleichzeitige Festlegung einheitlicher europäischer Zustellungsstandards wird mit dem europäischen Vollstreckungstitel ein akzeptables und effizientes System des grenzüberschreitenden Zivilprozesses möglich sein. Angesichts der bevorstehenden Erweiterung der Union ist es unbedingt notwendig, ein solches System schnell zu etablieren und vor allem die Einhaltung seiner Vorgaben auch durch die jungen beitrittswilligen Rechtsstaaten sicherzustellen. Daher müssen genau die zentralen Bereiche des Zustellungsrechts, die die Gewährung der Verfahrensrechte der Beteiligten betreffen oder die bislang für Ineffizienz gesorgt haben, oder solche Bereiche, die bei einer Nichtregelung Ineffizienz befürchten lassen, in einem europäischen Rechtsakt geregelt werden. Nur so kann letztlich auch die Idee des europäischen Vollstreckungstitels, der durch einen Passeport Judiciaire dokumentiert wird, verwirklicht werden. Die diesbezüglich zu erlassenden Regelungen betreffen Sprachen, Belehrungen, Definition der Notwendigkeit einer Auslandszustellung, Fristen, die Anforderungen an Zustellpersonen und Heilungsmöglichkeiten nach mangelhaften "Zustellungen". urkunde zu gewährleisten. Dies ist mit der Beauftragung von Personen, hinter denen direkt staatliche Autorität steht, besser zu erreichen. Zu den Anforderungen an die Zustell person vgl. sogleich unten, § 4.4.c.ee. 90 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 160 vom 30. Juni 2000, S. 44 ff. 91 Mit diesem Problem hätte auch das Formblatt der deutsch-polnischen Vereinbarung zur weiteren Erleichterung des Rechtsverkehrs nach dem Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß, vom 21. Februar 1994, BGBI. 1994 II 366, zu kämpfen, das aber ansonsten eine gute Grundlage in Bezug auf Kürze und Übersichtlichkeit darstellt. 92 Dies kann der sogenannte passeport judiciaire leisten, näher hierzu unten, § 4.4.C. 93 Also mit einer Kontrolle nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ.
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aa) Sprachregelungen Zur Sicherung des Rechts des Beklagten auf angemessene Verteidigungsmöglichkeit ist es erforderlich, ihm Schriftstücke in einer ihm verständlichen Sprache zuzustellen. Die Erkenntnis, dass dies nicht notwendig eine Amtssprache des Aufenthaltsorts des Adressaten sein müsste, würde die Sprachwahl eigentlich erleichtern. In der EZVO findet sich hinsichtlich der Sprachwahl zwar eine Neuerung. Nachdem das HZÜ bisher die Übersetzung in eine der Amtssprachen des Ortes der Bewirkung der Zustellung forderte, geht die EZVO einen neuen Weg. Nach Art. 8 Abs. 1 lit. b EZVO kann das Schriftstück in einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaates, die der Empfänger versteht, abgefasst sein. Diese Neuregelung ist beachtlich, verlangt sie doch von den Mitgliedstaaten, dass sie im Gegensatz zur bisherigen Praxis bei förmlichen Zustellungen auf die Wahl ihrer Amtssprache verzichten. Nicht sinnvoll erscheint allerdings, dass zusätzlich zur Sprache des Empfangsstaates lediglich eine Sprache des Übermittlungsstaates gewährt werden darf, die der Adressat versteht. Dabei geht es nicht um das zweite Erfordernis, also das Verständnis des Adressaten. Dieses bildet vielmehr - wie gesehen - den Ausgangspunkt der Betrachtung. Die Notwendigkeit, dass nur eine Sprache des Übermittlungsstaates gewählt werden darf, sorgt aber dafür, dass die Neuregelung vor dem Hintergrund des wirklichen Wirtschaftslebens bereits wieder veraltet ist, bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. Warum sollte in einem Fall, in dem die gesamte Kommunikation zwischen zwei Parteien auf Englisch, der gängigsten Wirtschaftssprache, stattgefunden hat - jedenfalls bei der Verfahrenseinleitung -, nicht auch in dieser Sprache in einem gerichtlichen Verfahren weitergeführt werden können? Ein Beispiel: ein finnisches und ein deutsches Unternehmen schließen einen Vertrag über die Lieferung von Lebertran. Nicht nur die Vertragsanbahnung an der Bar eines Pariser Hotels anlässlich der Jahrestagung der europäischen Vereinigung mittelständischer Unternehmer der Fischindustrie (deren Konferenzsprache natürlich ebenfalls Englisch ist) geschieht auf Englisch, sondern auch der zwei Monate später geschlossene Vertrag ist in englischer Sprache abgefasst. Die im Vertrag enthaltene Mediationsklausel zur Lösung von Streitigkeiten sieht zwar als Ort eines Mediationsverfahrens Stockholm vor, Verfahrenssprache soll jedoch Englisch sein. Als Gerichtsstandsklausel für den subsidiären Fall eines staatlichen Gerichtsverfahrens vereinbaren die Parteien, dass Gerichtsstand der Sitz des Klägers sein soll. Nachdem es nun zum Streit gekommen ist, verhandeln die Parteien zunächst auf Englisch, ohne zu einer Lösung zu kommen. Das anschließende Mediationsverfahren in Stockholm wird ebenfalls auf Englisch durchgeführt, scheitert aber. Die Parteien können sich lediglich darauf einigen, dass die gesamte bisherige Korrespondenz und sämtliche Unterlagen aus dem Mediationsverfahren - ämtlich auf Englisch verfasst - vor Gericht verwertet werden dürfen. Das deutsche Unternehmen gewinnt das "Race to the Courthouse" und reicht Klage beim Landgericht Mün-
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chen ein. Nach der Neuregelung des Art. 8 EZVO muss die Klageschrift, gegebenenfalls mitsamt den Anlagen, in Finnisch (Art. 8 Abs. I lit. a EZVO) abgefasst werden. Zwar wäre grundsätzlich gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. b EZVO auch Deutsch möglich. Da die finnische Partei der deutschen Sprache aber nicht mächtig ist, kann die Norm nicht angewendet werden. Eine auf Englisch fortgesetzte Kommunikation erlaubt die EZVO nicht. 94 Die geschilderte Konstellation, die im europäischen Geschäftsverkehr häufiger vorkommt, macht deutlich, dass eine realistischere Sprachregelung Not tut. Besonders durch eine Vergrößerung der Sprachenvielfalt95 innerhalb der Union nach einer Erweiterung wird eine Vereinfachung unausweichlich. Als Vorbild könnte hierbei die Vorschrift des europäischen Strafverfahrensrechts dienen. Gemäß Art. 52 Abs. 2 des Schengen-II-Übereinkommens könnte im vorliegenden Fall auch in englischer Sprache zugestellt werden. 96 Diese Möglichkeit sollte auch in den europäischen Zivilprozess übernommen werden. Denn allein der grundlegende Zweck der Zustellung, die Kenntnisnahme durch den Adressaten, muss die Sprachwahl bestimmen. Darüber hinaus sollte jedoch auch eine Zusammenfassung der Klageschrift in der Sprache des Prozessgerichts vorliegen. Denn das Verständnis des Gerichts ist zum Beispiel in der Bundesrepublik auch für die Entscheidung wichtig, ob nach § 275 ZPO oder nach § 276 ZPO verfahren wird. 97 Im Übrigen könnte einer solchen Neuregelung auch unter einem anderen Gesichtspunkt einiges abgewonnen werden. Nach Art. 2, Art. 3 Abs. I lit. d EG sollen auch Maßnahmen der Zivilprozessrechtsharmonisierung dem Ziel der Errichtung eines wirklichen gemeinsamen Marktes dienen. Unter dieser Voraussetzung wäre es ohne weiteres vertretbar, die Sprachregelungen in der EZVO weiter zu flexibilisieren. Die neueröffneten Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung würden dann das reibungslose Funktionieren eines gemeinsamen Marktes nicht mehr hemmen, sondern fördern. 98
Im Auge zu behalten ist natürlich stets auch § 184 GVG. Etwa im Rahmen der anstehenden Erweiterung der Union. 96 Vgl. hierzu oben, § 1.2.b.bb.(3). 97 Vgl. hierzu auch unten, § 6.1. 98 So auch Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 7: "Der Vertrag von Amsterdam legt Zeugnis ab vom Bewußtsein der Mitgliedstaaten über die große Bedeutung dieses Gebiets [gemeint ist die Beseitigung von Hindernissen im grenzüberschreitenden Zivil verfahren] für die europäische Integration und für das Funktionieren des Binnenmarktes im besonderen. " 94 95
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bb) Belehrungen Bestandteil einer grenzüberschreitenden Zustellung99 muss ebenfalls eine Rechtsmittelbelehrung der Partei selbst sein. Denn keineswegs ist gewährleistet, dass ausländische Parteien stets durch einen Rechtskundigen vertreten sind. Eine fehlende Vertretung ist nicht nur im Falle von Versäumnisurteilen möglich. Die Bemühungen der Union zu einem grenzüberschreitenden vereinfachten Verfahren zur Geltendmachung von geringfügigen Forderungen, lassen auch andere Fälle erwarten. IOO In der Bundesrepublik besteht Anwaltszwang erst ab einer Forderung von über 5.000 EUR. Es gehört daher zum Gebot der prozessualen Chancengleichheit, dass die regelmäßige Unkenntnis der ausländischen Partei vom Verfahrensrecht im Prozessstaat durch eine Belehrung über ihre prozessualen Möglichkeiten ausgeglichen wird. lOl Mit dieser Begründung hat auch die Stonne-Kommission eine generelle Rechtsmittelbelehrung für den europäischen Zivilprozess vorgeschlagen. 102 In Art. 680 des französischen nouveau Code de procedure civile findet sich bereits eine solche Regelung, deren Übernahme in das europäische Prozessrecht gefordert wurde. l03 Die Rechtsmittelbelehrung könnte sowohl mündlich als auch in schriftlicher Form abgegeben werden. Die Frage, ob durch eine mündliche Erklärung eine erhöhte Aufmerksamkeit des Empfängers erreicht wird lO4 , ist wohl eher eine der Persönlichkeitsstruktur des Adressaten und lässt sich daher nicht allgemeingültig beantworten. Bei einer mündlichen Belehrung ist es aber jedenfalls wichtig, dass die Zustellperson Arbeitshilfen an die Hand bekommt, die ihr eine verlässliche Auskunft ermöglichen. 105 Inhalt und Form der Belehrung müssen in den Passeport Judiciaire aufgenommen werden. Auch bezüglich der vom Zustellungsveranlasser gewählten Sprache muss eine Belehrung erfolgen. Insoweit sollte es bei der Bestimmung des Art. 8 Abs. 1 EZVO bleiben. Der Adressat muss also darüber aufgeklärt werden, dass er die Annahme des Schriftstücks verweigern darf, wenn er die gewählte Sprache nicht versteht.
Insbesondere von rechtsmittelfähigen Entscheidungen. Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 8 ff. 101 Grundsätzlich eine Belehrung für jede förmliche Zustellung verlangend: Nonnand, Obervations sur la notification certifiee, Arbeitspapier, S. 7. 102 Vgl. Art. 14.3.3 des Vorschlags. 103 Vgl. de Leval, S. 3; auch: Heß, NJW 2001, 15,22. 104 So empfohlen von de Leval, S. 3. 105 Auch vor diesem Hintergrund macht eine Betrachtung zur Qualifikation der Zustellpersonen Sinn, vgl. hierzu unten, § 4.4.c.ee. 99
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cc) Zur Notwendigkeit einer Auslandszustellung Die bisherige, nicht-harmonisierte Rechtslage in diesem Bereich des Zustellungsrechts bringt auf Seiten der potentiellen Beteiligten eines Rechtsstreits, also regelmäßig beim Verbraucher, eine große Unsicherheit mit sich: Wann macht eine Auslandszustellung Sinn? Wie lange dauert sie? Kann das Verfahren durch eine (fiktive) Inlandszustellung begonnen oder fortgeführt werden? Wo ist am besten Klage zu erheben, im Inland oder im Ausland? Zu Recht ist deshalb kritisch darauf hingewiesen worden, dass die im europäischen Rahmen -je nach Zustellungs- und Prozessstaat- unterschiedlich ausfallenden Antworten auch zu unterschiedlicher Beurteilung der Frage führen, an welchem Ort bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt Klage erhoben wird. 106 Dies ist nicht im Sinne eines einheitlichen Raumes des Rechts und schon gar nicht im Sinne des regelmäßig im Prozessrecht unerfahrenen Verbrauchers. Denn ein entscheidendes Argument für die Etablierung der gemeinschaftsrechtswidrigen 107 fiktiven Auslandszustellungen war, dass die Frage nach der Notwendigkeit einer Auslandszustellung uneinheitlich beantwortet wurde. Darüber hinaus muss nach Wegfall des Exequaturverfahrens bereits der Richter im Prozessstaat allein die Ordnungmäßigkeit der Zustellung überprüfen. Ein deutscher Richter hätte anders zu urteilen als ein franzöischer. Eine deutsche Partei würde anders behandelt als eine französische. Allein entscheidend wäre, in welche Richtung der Rechtsstreit geführt wird, ob von Deutschland nach Frankreich oder andersherum. Damit kann im Extremfall durch den Zufall der zeitlich ersten Klageeinreichung über stark vereinfachte Zustellungsanforderungen entschieden werden. Auch dadurch wird deutlich, dass eine Definition der Notwendigkeit der Auslandszustellung durch die lex fori des Prozessstaates keinen Sinn mehr macht. Eine einheitliche europäische Regelung muss gefunden werden. 108 Bei gleichzeitiger Verbesserung des grenzüberschreitenden Zustellungsvorgangs sollte ein solcher "Verlust" für die Mitgliedstaaten verkraftbar sein. Dies um so mehr, als sich hier die Prozessrechtsharmonisierung eindeutig zugunsten der Verbraucher auswirken wird.
dd) Die Regelung der Fristen Eine Frage, die den Erfolg des neuen europäischen Zustellungsrechts entscheidend mit beeinflussen wird, ist die nach der Regelung der Fristen. Wie schwierig 106 Gottwald, Festschrift Schütze, S. 226; Zwar ist nach deutschem Recht die verfahrenseinleitende Zustellung (zunächst) als Auslandszustellung zu bewirken, als Beispiel kann jedoch die franzöische remise au parquet genannt werden. 107 Vgl. OLG Karlsruhe RIW 1999,538. 108 Ebenso: Heß, NJW 2001, 15,21 f.
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eine zufrieden stellende Lösung zu finden ist, zeigt die komplizierte Regelung in Art. 9 EZVO. Grundsätzlich soll danach das Recht des Empfangsstaates entscheiden (Art. 9 Abs. 1 EZVO). Nach Art. 9 Abs. 2 EZVO ist für die Wahrung oder Auslösung von Fristen im Interesse des Klägers jedoch das Recht des Übermittlungsstaates maßgeblich. Es handelt sich also um eine Theorie des "Doppel daturns", denn Abs. 1 und Abs. 2 können kumulativ angewandt werden. 109 Sie ist vor dem Hintergrund in die EZVO eingefügt worden, dass sich auf der einen Seite der Zustellungsempfänger nicht mit ihm fremden Fristen auseinandersetzen muss, die zudem bereits regelmäßig laufen, wenn er das Schriftstück tatsächlich erhält. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung zur Verfristung eines Rechtsmittels geurteilt, dass es entscheidend auf den Empfang der angegriffenen Entscheidung ankomme. llo Die Entscheidung ist richtig. Denn nur diese Lösung kann letztlich vor den Anforderungen des Beklagtenschutzes Bestand haben, will man dem Dilemma, das sich etwa aus der Zustellung nach dem deutschen § 175 ZPO a. F. ergibt, entgehen. 111 Auch auf der anderen Seite findet sich jedoch eine nachvollziehbare Argumentation: der Antragsteller einer internationalen Zustellung l12 kann den innerbehördlichen Zustellungsvorgang weder im Übermittlungs staat und schon gar nicht im Empfangsstaat beeinflussen. 113 Soweit er aber alles ihm mögliche für eine Zustellung veranlasst hat, besteht kein Grund mehr, ihm die für seine Position notwendige fristwahrende Wirkung seiner Prozesshandlungen zu verwehren. Deshalb ist die neue Regelung als Mittelweg im Grundsatz zu begrüßen. Sie wurde eingeführt, um die unterschiedlichen Lösungen in den Mitgliedstaaten im 109 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20. 110 EuGH vom 30. April 1999 (C-7/99, Campoli v. Kommission), Slg. 1999 I, 2679, 2683. 111 Im Maßnahmenprogramm vom 30. November 2000 ist eine Harmonisierung prozessualer Fristen im Übrigen ausdrücklich vorgesehen. 112 Zum Ausdruck "Antragsteller" vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20. Gemeint ist damit die die Zustellung veranlassende Partei, die jedoch nach der rechtshilferechtlichen Konzeption der EZVO streng genommen nicht Antragsteller ist. Den Antrag stellt nämlich die Übermittlungsstelle, die hierzu - nach deutschem Recht - jedenfalls im Erkenntnisverfahren von Amts wegen verpflichtet ist. Die amtliche Begründung der Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20, spricht zudem irrtümlich davon, dass Art. 9 Abs. 2 EZVO im Interesse des Empfängers liege; gemeint sein dürfte jedoch das Interesse der die Zustellung veranlassenden Partei. 113 Die im deutschen Prozess auf Untätigkeit des Gerichts hinweisende Formulierung der Parteivertreter: ". .. fragen wir höflich nach, wann mit . .. zu rechnen ist. " zeigt im nationalen Prozess schon regelmäßig keine Wirkung. Erst recht gilt dies im internationalen Prozess.
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zwischenstaatlichen Rechtsverkehr zu vereinheitlichen. 1I4 Man darf daher gespannt sein, wie sich Art. 9 EZVO in der Praxis auswirken wird. In der ähnlichen deutschen Regelung der §§ 270 Abs. 3, 207 Abs. 1, 696 Abs. 3, 691 Abs. 2, 693 Abs. 2 ZPO hat sich die Konzeption im großen und ganzen bewährt. 115 Soweit man den bisherigen Ausführungen folgt, mag man überrascht sein. Es scheint tatsächlich eine zufriedenstellende, einheitliche Lösung in einem schwierigen Bereich des internationalen Zustellungsrechts gefunden worden zu sein. Die Ernüchterung folgt jedoch auf dem Fuße: Gemäß Art. 9 Abs. 3 EZVO haben nämlich die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, der Neukonzeption zu widersprechen und damit allein ihrem nationalen System verpflichtet zu bleiben. Zwar spricht Art. 9 Abs. 3 Satz 1 EZVO davon, dass die Mitgliedstaaten "für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren" von den Abs. 1 und 2 abweichen können, was noch auf ein gewisses Verständnis gestoßen wäre. Die aufkeimende Hoffnung wird jedoch durch Art. 9 Abs. 3 Satz 2 EZVO sogleich wieder erstickt. Denn der sogenannte "Übergangszeitraum" kann von den Mitgliedstaaten beliebig in Abständen von fünf Jahren erneuert werden, und zwar aus Gründen, die sich aus den nationalen Rechtssystemen ergeben. 116 Es gehört wohl zu den hinzunehmenden Besonderheiten des europäischen Rechts, dass Übergangszeiträume ins Belieben der Mitgliedstaaten gestellt werden und theoretisch ins Unendliche ausgedehnt werden können. Um den Mitgliedstaaten nach dieser Regelung das Heft aus der Hand zu nehmen, bliebe somit nichts anderes übrig, als bei der Ursache für die Verlängerung des Übergangszeitraums, den nationalen Rechtssystemen, anzusetzen: Ein weiteres Argument für die Vereinheitlichung des europäischen Prozessrechts. Soweit die Konzeption eines Passeport Judiciaire und der Wegfall des Anerkennungsverfahrens in Frage stehen, ist es unabdingbar, dass eine einheitliche Regelung ausnahmslos zur Anwendung kommt. Die Verwirrung wäre komplett, wenn in verschiedenen europäischen Prozessen, je nach Gerichtsstaat, der Empfang eines Schriftstücks oder auch die Einreichung entscheidend wäre, oder wenn doch wiederum die Doppellösung Anwendung fände. Es stellt sich schließlich die Frage, wie sich die Einführung neuer Technologien auf die Regelung der Fristen auswirken wird. Eine Übermittlung durch Elektronische Post (electronic mail - e-mail) könnte in Sekundenschnelle vonstatten gehen. 117 Damit würde das heute noch komplizierte System der Fristbestimmung völlig in den Hintergrund treten. Allerdings scheint angesichts der insgesamt mäßi114 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 20. 115 Die ähnliche französische Regelung der Art. 668 f. NCPC (formlose Zustellung) wird dort -trotz einiger Rechtsprechung- ebenfalls als vernünftig angesehen, vgl. Normand, Observations sur la notification certifiee, Arbeitspapier, S. 6. 116 Abweichen von Art. 9 EZVO werden folgende Staaten: Belgien, Spanien, Frankreich, Irland, Niederlande, Portugal, Finnland, Schweden, Vereinigtes Königreich. 117 Zur Übertragungssicherheit vgl. unten § 6.3.
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gen Verbreitung des Systems in der Bevölkerung kurz- bis mittelfristig eine solche Lösung nicht in Betracht zu kommen. In diesem Bereich ist jedoch zu konstatieren, dass mit der rechtshilferechtlichen Grundkonzeption eine schnellere Nutzung von e-mail möglich wäre. Staatliche Einrichtungen können die entsprechenden Systemvoraussetzungen schnell schaffen und auch die Systempflege wird dort sicherlich professioneller durchgeführt als in Privathaushalten oder auch bei Rechtsanwälten. Die Errichtung eines europaweiten Intranets, in dem alle Justizbehörden verknüpft sind, könnte tatsächlich die Voraussetzungen für eine schnelle Übermittlung von Schriftstücken schaffen. 1l8 Zu beachten ist allerdings, dass zum einen nach der rechtshilferechtlichen Konzeption nur die Übermittlung von Übermittlungsstelle zu Empfangsstelle beschleunigt wird, nicht jedoch alle Vorgänge, die davor erfolgt sind und danach noch zu erfolgen haben. Zum anderen würde die Schaffung eines solchen Intranets Jahre dauern und mit hohen Kosten verbunden sein. Es bleibt dabei: eine grundsätzliche Neuausrichtung der europäischen Zustellung tut Not. Dies alles berücksichtigend, bedeutet dies im Rahmen der durch die EZVO getroffenen Regelung für den Passeport Judiciaire, dass sowohl das Absendedatum als auch das Empfangsdatum festgehalten werden müssen. Ersteres liegt im Interesse der die Zustellung veranlassenden Partei, letzteres ist für die Fristen entscheidend, die mit Wirkung gegenüber dem Zustellungsempfänger ausgelöst werden.
ee) Die Anforderungen an die Zustellperson Die neue Qualität der Zustellungen bei Einführung eines Passeport Judiciaire bringt auch die Frage mit sich, welche Anforderungen an die die Zustellung ausführenden Personen zu stellen sind. Dies um so mehr, als in der gesamten Union die ehemals staatlichen Postwesen privatisiert und neue Zustellunternehmen zugelassen werden. 1l9 Für die Bundesrepublik drückt sich dies in § 33 Abs. 1 PostG aus, nach dem zugelassene Zustellunternehmen grundsätzlich auch zur Ausführung von förmlichen Zustellungen für Behörden und Gerichte verpflichtet sind. Soweit sie solche Zustellungen ausführen, haben sie den Status eines Beliehenen. 120 Das Europäische Iustizielle Netz kann hierbei einen wichtigen Schritt darstellen. Allerdings kann der Ansicht nicht beigetreten werden, dass die Vorstellung schwer falle, dass ein gerichtliches Schriftstück einer Privatrechtsperson anvertraut werden soll, wenn sich diese im Wettbewerb befindet, vgl. Nonnand, Observations sur la notification certifiee, S. 6. Vielmehr könnte dies für eine sorgfältigere Ausführung sorgen. Der Schluss, dass private Zustellunternehmen die förmliche Zustellung gerichtlicher Schriftstücke nicht vornehmen sollten, ergibt sich aus anderen Gründen. 120 Nach Auskunft der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 8. Mai 2000 wurden bis Ende 1999 627 Lizenzen erteilt, deren Inhaber jedoch nicht alle tatsächlich förmliche Zustellungen vornehmen. Als Indikator für die Anzahl der Unternehmen, die förmliche Zustellungen vornehmen, sieht die Regulierungsbehörde die Anmeldung und Erhebung von Entgelten nach § 34 PostG an. Hiernach würden 56 Unternehmen solche Zustellungen durchführen. Auskünfte über die Qualität der Zustellungen konnten nicht erhalten werden. 118
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Es ist allerdings zweifelhaft, dass ein Angestellter eines privaten Zustellunternehmens die mit der neuen Zustellung verbundenen Aufgaben wahrnehmen kann. Wie gesehen, bekommt die Zustellperson zahlreiche neue Aufgaben. Der Zustellvorgang erschöpft sich nicht mehr - wie bisher - darin, das Schriftstück zu übergeben. Vielmehr ist nun die absolut verlässliche Ausführung erforderlich, da nach Wegfall des Exequaturverfahrens auch die zweite Zustellungskontrolle entfällt. Außerdem muss die Zustellperson den Empfänger des Schriftstücks belehren. Dies betrifft bei verfahrenseinleitenden Schriftstücken vor allem die Sprach- und Übersetzungsvoraussetzungen, bei vollstreckbaren Entscheidungen vor allem die Rechtsmittelbelehrung. Die Zustellperson muss daher mit neuen, möglicherweise mehrsprachigen 121 Formularen und Glossaren umgehen. Darüber hinaus wird ein neues, wirklich effizientes Zustellungsrecht auch noch eine andere Struktur mit sich bringen. Nicht mehr das Prinzip der Rechtshilfe 122 wird der Regelfall sein, sondern eine "direktere" Form. Diese kann entweder in der direkten Postzustellung bestehen 123 , in einer Kontaktaufnahme der die Zustellung veranlassenden Partei mit einer öffentlich bestellten Person, welche die an eine modeme Zustellung gestellten Anforderungen erfüllen muss, oder den Parteien die Wahlfreiheit zwischen den Zustellungswegen lassen. ledenfalls müssen Eintragungen in einen lustizpass gemacht werden, die eine maximale Verlässlichkeit im Interesse des Beklagtenschutzes erfordern. Deshalb wird etwa verlangt, der Passeport ludiciaire solle zu einem "acte authentique europeen" aufgewertet werden. 124 Dann aber muss die Zustellung durch lustizbeamte, etwa Gerichtsvollzieher, ausgeführt werden. Die französische Literatur fordert, dass Zustellungen nach dem neuen Konzept nur durch die Huissiers de lustice vorgenommen werden sollten. 125 Dem ist zuzustimmen. Auch angesichts der Beweiskraft, die einem Passeport ludiciaire in Zukunft beigemessen werden muss, werden die Zustellung betreffende Eintragungen durch einen lustizbeamten getätigt werden müssen. Es muss von vorneherein sichergestellt sein, dass der Passeport ludiciaire nur in einer absolut vernachlässigbaren Zahl unrichtige Eintragungen aufweist. Ansonsten wird sich das ehrgeizige Konzept des Europäischen Vollstreckungstitels nicht etablieren und durchführen lassen. Zwar ist die Ansicht, durch die Privatisierung des Zustell wesens und den dadurch entstehenden Wettbewerb werde die Qualität der Zustellungen steigen, 121 Jedenfalls sollte die Zustellperson zur Vermeidung von "Übersetzungslücken" in den Zustellungsformularen außer ihrer eigenen auch noch Kenntnisse in einer anderen EU-Sprache besitzen. 122 Mit Kontrollen durch die Übermittlungs- und Empfangsstellen. 123 Wobei die Belehrungen in diesem Fall von der die Zustellung veranlassenden Partei schwerlich zu kontrollieren sein dürften. 124 De Leval, La mise en place du passeport judiciaire: synthese des travaux, Arbeitspapier, April 2000, S. 6. 125 Ders., S. 3; Allerdings erscheint möglich, dass hinter dieser Forderung auch erheblicher Druck der französischen Gerichtsvollzieher steht.
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durchaus nachvollziehbar. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich die Mitgliedstaaten auf einen Versuch mit den Privaten gleich zu Beginn der Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels einlassen werden. Empfehlenswert erscheint vielmehr, zunächst die Ergebnisse der privaten Zustellunternehmen zu evaluieren und dann, bei positivem Befund, auch die förmliche Zustellung im europäischen Justizraum im Sinne des deutschen § 33 PostG durch private, öffentlich-rechtlich Beliehene zuzulassen. 126 ff) Heilungsmöglichkeiten
Schließlich bleibt noch darauf hinzuweisen, dass eine europäische Neuregelung des Zustellungsrechts selbstverständlich auch Vorschriften zur Heilung von mangelhaften Zustellungen enthalten muss. Art. 34 Nr. 2 VO 44/01 lEG stellt hierbei einen wichtigen Fortschritt dar. Es erscheint im europäischen Justizraum nicht mehr vertretbar, einem Kläger die nachteiligen Folgen einer formell nicht ordnungsgemäßen Zustellung aufzuerlegen, obwohl der Zustellungsempfänger das Schriftstück tatsächlich und auch rechtzeitig zur Vorbereitung seiner Verteidigung erhalten hat und dieses auch verstehen konnte. Im Passeport Judiciaire werden sowohl Sprache, Daten, als auch der Inhalt des zugestellten Schriftstücks zusammengefasst. Damit sind alle Voraussetzungen für einen effektiven Beklagtenschutz getroffen. Wenn die Gerichte also bislang nicht von einem europäischen Gedanken zur Heilung mangelhafter Zustellungen ausgehen wollten, so wird es mit der Neuregelung des Zustellungsrechts höchste Zeit, die Heilung positiv zu regeln. Dies bedeutet einen weiteren Schritt zur Urteilsfreizügigkeit und damit zu einem einheitlichen Raum des Rechts. d) Die Regelungstechnik Abschließend ist zu betrachten, mit welcher Regelungstechnik ein Passeport Judiciaire eingeführt werden sollte. Kamen bis 1997 noch Maßnahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit 127 in Betracht 128 , so konzentriert sich, seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags und der Übernahme des europäischen Zivil prozessrechts in die erste Säule, diese Frage auf die Entscheidung zwischen Richtlinie und Verordnung. Der Rat hat bei Erlass der EZVO trotz eines ursprünglichen Richtlinienvorschlags der Kommission am Ende eine Verordnung erlassen. 129 Diese Regelungs126 Dann würde auch der Aspekt der Marktöffnung im europäischen Zustellungswesen seine nachgewiesene und damit über jede Kritik erhabene Berechtigung haben. vgl. Heß. NJW 2001, 15,22. 127 Also internationale Verträge. 128 Vgl. etwa das EZÜ vorn 26. Mai 1997.
4. Der europäische Vollstreckungstitel
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fonn ist für das Zustellungsrecht zu begrüßen. Ob sie angesichts des Inhalts der EZVO tatsächlich notwendig gewesen wäre, ist zweifelhaft, da eine wirkliche Harmonisierung durch die Verordnung nicht geschafft wurde: es bleibt zunächst beim Prinzip der Rechtshilfe. 130 Eindeutiger fällt die Beurteilung hinsichtlich des Passeport ludiciaire aus. Die Einführung eines lustizpasses macht nur Sinn, wenn er gemeinsam mit einem Europäischen Vollstreckungstitel zur Anwendung kommt. Denn erst der Wegfall des Anerkennungsverfahrens im Zweitstaat wird - auch im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EG - eine allgemein anerkannte Berechtigung für solch weitgehende Neuerungen mit sich bringen. Die Entscheidung zwischen Richtlinie und Verordnung richtet sich danach, ob es sich beim neuen europäischen Zivilprozess um eine Annäherung nationaler Vorschriften handelt oder um originär neue Regelungen. Nur bei letzteren wäre die Rechtsfonn einer unmittelbar anwendbaren Verordnung vertretbar. Vor diesem Hintergrund sind die Auswirkungen des neuen Verfahrens zu betrachten: welche Kompetenzen verbleiben bei den Behörden und Gerichten im Vollstreckungsstaat? Die Antwort ist deutlich: Durch die Reduzierung des Verfahrens auf das Gericht eines Mitgliedstaates wird der bisherige Vollstreckungsstaat seiner herkömmlichen (Anerkennungs-)Befugnisse beraubt. Die Binnengrenzen innerhalb der Union spielen für die Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen keine Rolle mehr. Es wird also klar, dass der Europäische Zivilprozess der Zukunft einem heutigen, nationalen Verfahren ähnelt. Genau so, wie aber nationales Prozessrecht regelmäßig einheitliches, unmittelbar anwendbares Recht sein muss, wird dies auch für den Europäischen Prozess gelten. Eine Teilharmonisierung in diesem Bereich wäre nicht ausreichend. \31 Die Verordnung muss verlässliche und unmittelbar anwendbare, einheitliche Regeln schaffen. Eine Richtlinie würde lediglich zu einer Annäherung nationaler Vorschriften beitragen. Um im Bild des EuGH-Richters Mancini zu bleiben handelt es sich also eindeutig um "plain cooking" und nicht um "haute cuisine" in Bezug auf die Notwendigkeit der Einheitlichkeit. 132 Damit bleibt nur der Schluss, dass sowohl der Europäische Vollstreckungstitel als auch der Passeport ludiciaire gemeinsam in einer Europäischen Verordnung geregelt werden müssen.
129 Dies war auch vom Wirtschafts- und Sozialausschuss gefordert worden, vgl. Stellungnahme des Wirtschafts und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten", Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 368 vom 20. Dezember 1999, S. 47, S. 48. 130 Insofern wäre eine Richtlinie ausreichend gewesen, da diese den Mitgliedstaaten die Wahl von Form und Mitteln überlässt, vgl. Oppermann, Rz. 547. 131 Zur Erforderlichkeit von EG-Maßnahmen im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip z. B. Grundmann, JZ 1996,274,277. \32 Mancini, CML Rev. 1989,595,601, der dieses eingängige Begriffspaar zur Abgrenzung der beiden Regelungstechniken Verordnung und Richtlinie verwendet.
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§ 4 Auswirkungen der EU-Rechtsgemeinschaft
e) Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen
Am 18. April 2002 hat die Kommission einen "Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen" vorgelegt. 133 Zwar handelt es sich hierbei zunächst nur um einen Vorschlag für unbestrittene Forderungen l34 , jedenfalls die dort vorgesehenen Zustellungsregelungen scheinen jedoch die Richtung für künftige Entwicklungen beim umfassenden Europäischen Vollstreckungstitel anzudeuten. 135 Nach dem Vorschlag soll künftig das (Erst-)Gericht l36 die Zustellung des verfahrensleitenden Schriftstücks prüfen. Daher ordnen die Art. 11 bis 20 eine umfassende Vereinheitlichung der Zustellungsvorschriften an. Der Vorschlag definiert zunächst in Art. 11 die zulässigen Zustellungsformen, nämlich persönliche Zustellung mit Empfangsbestätigung durch den Adressaten oder die Zustellperson ("der zuständige Beamte")137, postalische oder elektronische Zustellung. Auch die Ersatzzustellung ist (in Art. 12) ausführlich geregelt, kann sie doch zu erheblicher Unsicherheit bei allen Beteiligten führen. Nicht zu überzeugen vermag deshalb allerdings wiederum die Unterscheidung zwischen "einfachen" Privatpersonen, Selbstständigen, Unternehmern und sonstigen juristischen Personen. 138 Der Beweis der Zustellung, das prozessuale "Herzstück" der Zustellungsvorschriften, ist in Art. 13 geregelt. Er wird durch die Empfangsbestätigung oder durch ein Zustellungszeugnis der Zustellperson geführt, wobei bei letzterer Variante Zeit, Ort und Form der Zustellung sowie ggf. der Name der Ersatzperson, an die zugestellt wurde, und das Verhältnis dieser Person zum Schuldner, anzugeben sind. 139 Interessant ist auch Art. 15 des Vorschlags, der Verteidigungsfristen des Schuldners erstmals konkret benennt: Bei der Inlandszustellung muss ihm eine Mindestfrist von 14, bei der Auslandszustellung von 28 Tagen zur Verfügung stehen, um KOM (2002) 159 endgültig; ausführlich zur Geschichte: Wagner, IPRax 2002, 75 ff. Nach Art. 3 Abs. 4 des Vorschlags gilt eine Forderung als unbestritten, wenn der Schuldner ihr durch Anerkenntnis oder gerichtlichem Vergleich zugestimmt hat, ihr im Verfahren zu keiner Zeit widersprochen hat, nicht zur Verhandlung erschienen ist und auch nicht vertreten war oder die Forderung ausdrücklich in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat. 135 So auch Stadler, IPRax 2002, 471, 477. 136 NB: Ein Erst- und Zweitgericht nach herkömmlichem Verständnis wird es dann selbstverständlich nicht mehr geben. 137 Es bleibt abzuwarten, ob sich aus dieser Formulierung Angriffsflächen für eine Anfechtung der Zustellung ergeben könnten. 138 Zur rechtspolitischen Dimension eines "Verbraucherprozessrechts": Heß. NJW 2002, 2417,2426. 139 Die möglicherweise zu benützenden Formulare sind im Anhang des Vorschlags abgedruckt, erscheinen jedoch als noch zu kompliziert und müssen optimiert werden. Kritisch zum Zustellungsnachweis auch: Heß. NJW 2002, 2417, 2426. 133
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seine Verteidigung vorzubereiten. Diese Regelung düfte einen großen Schritt nach vom darstellen, lässt sie doch keinem der Beteiligten einen irgendwie ausnutzbaren Ermessensspielraum mehr. Dass das verfahrenseinleitende Schriftstück den Schuldner bzw. Adressaten über alle notwendigen Details unterrichten muss, versteht sich von selbst und ist in Art. 16 des Vorschlags auch zu finden. Das verfahrensleitende Schriftstück muss ferner, nach Art. 17, eine Belehrung über die möglichen Anfechtungsmittel und einen Hinweis auf die möglichen Rechtsfolgen 140 dieses besonderen Verfahrens für den Schuldner enthalten. Die Kommission hat ebenfalls umfangreiche Regelungen zur Heilung von Verfahrensmängeln (Art. 19) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 20) niedergelegt. Insgesamt handelt es sich bei den Zustellungsvorschriften des Kommissionsvorschlags um eine durchaus brauchbare Diskussionsgrundlage. Die größte Schwachstelle scheint jedoch zu sein, dass Regelungen über andwendbare oder zu benützende Sprachen völlig ausgeklammert sind. Das Schweigen der Verordnung zu diesem wichtigen Punkt kann nicht das letzte Wort in dieser Frage sein. Hier wartet bis zum von der Kommission angeregten Inkrafttreten der Verordnung am 1. Januar 2004 (Art. 34) noch einige Arbeit auf den Verordnungsgeber.
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Inklusive Folgen der Säumnis, vgl. hierzu auch Art. 18 des Vorschlags.
§ 5 Die Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts im Lichte der Anforderungen der Europäischen Rechtsgemeinschaft Das Zustellungsrecht der deutschen ZPO wurde seit langem in großen Teilen kritisiert. Im Hinblick auf internationale Zustellungen sind vor allem die Folgen der Regelung des § 175 Abs. I ZPO a.F. genannt worden. 1 Außerdem wurde in der Literatur die Angleichung der Gesetzessystematik an die Praxis gefordert. Denn die §§ 166 ff. ZPO a.F. sahen systematisch immer noch die Zustellung im Parteibetrieb als Regelfall vor, während in der Praxis die Amtszustellung den weitaus größten Teil ausmachte. Darüber hinaus waren die Vorschriften über die ErsatzzusteIlung ebenso praxisfern wie die eingeschränkten Möglichkeiten einer Zustellung von Schriftstücken mittels neuer Technologien. 2 Nachdem bislang immer darauf verwiesen wurde, dass das Zustellungsrecht umfassend refonniert werden solle, wurde nunmehr ein Zustellungsrefonngesetz verabschiedet, das grundlegende Änderungen mit großen Auswirkungen auf die Praxis mit sich bringt? Im folgenden sind daher die Schwerpunkte der Refonn darzustellen und insbesondere ihre Auswirkung auf die internationale Zustellung von Schriftstücken zu untersuchen. 4 1. Die wichtigsten Neuerungen
a) Systematik Zunächst werden die Forderungen aus der Literatur, die Gesetzessystematik endlich an die Rechtswirklichkeit anzupassen, erfüllt. Der komplette zweite Titel im Dritten Abschnitt der ZPO (" Verfahren bei Zustellungen ") wird neugefasst und systematisch an das tatsächliche Verhältnis von Amts- und Parteizustellungen angepasst. Aus dem bisherigen Untertitel 1 ("Zustellungen auf Betreiben der Parteien ") wird der neue Untertitel 2. Der neue Untertitel 1 lautet nun "Zustellungen von Amts wegen". Vgl. nur Roth, JZ 1999,414,419 f. Dies liegt daran, dass das Zustellungsrecht seit der ersten Fassung der ZPO vom 30. Januar 1877 nicht grundlegend reformiert wurde. 3 Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz - ZustRG) vom 25. Juni 2001, BGBI. 2001 I 1206. 4 Vgl. hierzu auch Heß, NJW 2002, 2417 ff.; Stadler; IPRax 2002, 471 ff. I
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1. Die wichtigsten Neuerungen
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Es ist das erklärte Ziel des Gesetzes, mit den neuen Zustellungsregelungen ein gemeinsames Zustellungsrecht für das Verfahren der ordentlichen Gerichte und das Verfahren der Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit zu schaffen, das in der ZPO angesiedelt ist. 5 Es ist zwar zu begrußen, dass Rechtstatsächlichkeit und gesetzliche Regelung nunmehr übereinstimmen sollen. Da damit jedoch nur regelungstechnisch, nicht aber inhaltlich Änderungen im Zustellungsrecht vorgenommen werden, wird es allein hierdurch keine Auswirkungen auf den Zustellungsalltag geben.
b) Die Definition der Zustellung Wirkliche Auswirkungen dürfte die Neudefinition der Zustellung haben. Bislang wurde in der Rechtsprechung unter Zustellung die "beurkundete Übergabe" eines Schriftstücks verstanden (vgl. §§ 170, 190 f. ZPO). Nach dem neuen § 166 ZPO wird die Zustellung nunmehr als "Bekanntgabe eines Schriftstücks an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form" definiert. Dies bedeutet, dass die Beurkundung nur noch ein Hinweis auf eine wirksame Kenntnisnahme ist, nicht mehr jedoch Wirksamkeits voraussetzung, was auch durch § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. klargestellt wird. 6 Dadurch ergeben sich für solche Zustellungsempfänger, die sich den Zustellungswirkungen durch rein formale Argumente entziehen wollen, wesentlich weniger Angriffspunkte.
c) Die Heilung mangelhafter Zustellungen
Durch § 189 ZPO n.F. wird die Heilungsvorschrift bei mangelhaften Zustellungen in ihrer bisherigen Form (§ 187 ZPO) aufgegeben. Demnach soll für eine Heilung nur noch entscheidend sein, dass der Zustellungszweck erreicht wurde. Eine Ausnahme für das Ingangsetzen des Laufes von Notfristen (vgl. den bisherigen § 187 Satz 2 ZPO) gibt es künftig nicht mehr. Fraglich ist, ob die Neuregelung der Heilung mangelhafter Zustellungen ebenfalls Auswirkungen auf die Auslandszustellung hat. Die Rechtsprechung hat jedoch bei der Auslandszustellung bislang die Heilung von Zustellungsmängeln über § 187 ZPO abgelehnt, wenn nach den Regeln internationaler Vereinbarungen (regelmäßig nach dem HZÜ) zugestellt wurde. Ihr Argument war, dass bei Anwendung internationaler Vereinbarungen auch eine mögli5 Vgl. Begründung zum ZustRG, S. 27; allerdings verbleiben Spezialregelungen in den jeweiligen Verfahrensordnungen und auch das Vorverfahren bei Behörden richtet sich weiterhin nach dem Verwaltungszustellungsgesetz. 6 "Zum Nachweis der Zustellung nach §§ 177 bis 181 ist eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Vordruck anzufertigen. "
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§ 5 Die Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts
che Heilungsvorschrift dem jeweiligen Vertrag entnommen werden müsse. Solche Heilungsvorschriften sehen jedoch weder das HZÜ noch andere bilaterale Abkommen vor. Die Annahme eines europäischen Rechtsgedankens zur Heilung bei tatsächlicher und rechtzeitiger Kenntnisnahme des Empfängers vom Schriftstück, hat die Rechtsprechung abgelehnt. 7 Legt man diese Kriterien zugrunde, so ergeben sich auch künftig keine Anhaltspunkte dafür, dass eine mangelhafte Auslandszustellung geheilt werden könnte. Die Ausnahme des § 187 Satz 2 ZPO war auf die Argumentation der Rechtsprechung ohne Einfluss, so dass dessen Abschaffung auch keine Auswirkungen auf Auslandszustellungen haben kann. Eine Änderung der Rechtsprechung ist damit allenfalls unter allgemeinem Hinweis auf die europäische Prozessrechtsharmonisierung denkbar, zumal auch die neue Europäische Zustellungsverordnung keine Heilungsvorschriften enthält. Auch ohne explizite Vorschriften sollte gerade die Verabschiedung der EZVO von der Rechtsprechung zum Anlass genommen werden, ihre bisherige, streng formale Haltung aufzugeben. Vor dem Hintergrund der Schaffung eines einheitlichen Raumes des Rechts (vgl. Art. 61, Art. 65 EG) und den durch den Europäischen Rat von Tampere gezogenen Schlussfolgerungen, darf die Effizienz grenzüberschreitender Verfahren innerhalb der Gemeinschaft nicht länger durch solcherlei Formalismen verhindert werden. Das bedeutet keineswegs, dass Maßnahmen des Beklagtenschutzes in den Hintergrund gerückt werden. Denn nur, wenn dem Empfänger eines Schriftstücks auch ausreichend Zeit blieb, seine Verteidigung vorzubereiten, kann von einer geheilten, wirksamen Zustellung ausgegangen werden.
d) Ausweitung der Ersatzzustellung
Grundlegende Änderungen ergeben sich vor allem bei der Ersatzzustellung, die einen weiteren Schwerpunkt der Reform darstellt. Dabei ist es erklärtes Ziel, die große Zahl von Ersatzzustellungen durch Niederlegung nach Möglichkeit in der Zukunft zu vermeiden. 8 Geplant ist ein von der Zustellung durch persönliche Übergabe zu verschiedenen anderen Formen der Ersatzzustellung gestuftes Verhältnis: Zunächst ist das zuzustellende Schriftstück persönlich zu übergeben (§§ 173, 177 ZPO n.F.). Dieser Versuch stellt die ursprüngliche Zustellung, also noch keine Ersatzzustellung, dar. Die Übergabe kann an jedem Ort geschehen, an dem der Zustellungsadressat angetroffen wird (§ 177 ZPO n.F.). 7 BGH NJW 1993, 598, 599; OLG Hamm RIW 1996, 156 f.; anders jetzt OLG Hamm FamRZ 2000, 898 f. 8 Vgl. Begründung zum ZustRG, S. 23; nach der Untersuchung von Hohmann, veröffentlicht im Jahre 1977, S. 80, werden über 70% der Zustellungen in Deutschland als Ersatzzustellungen bewirkt, ein Großteil dürfte dabei durch Niederlegung erledigt werden.
1. Die wichtigsten Neuerungen
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- Ist die persönliche Übergabe nicht möglich, so kann das Schriftstück durch Übergabe an einen sich in der Wohnung des Zustellungsadressaten aufhaltenden9 , erwachsenen Familienangehörigen, an eine in der Familie beschäftigte Person oder an einen erwachsenen ständigen MitbewohnerIO zugestellt werden (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.E). In Geschäftsräumen ist die Zustellung an eine dort beschäftigte Person zulässig, sofern der Zustellungsadressat nicht selbst angetroffen wird (§ 178 Abs. 1 Nr. ZPO n.E). - Ist diese Form der Ersatzzustellung nicht möglich, so kann das Schriftstück künftig in einen zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingeworfen werden, § 180 Satz 1 ZPO n.E Diese Vorrichtung muss vom Adressaten für den Postempfang eingerichtet worden und" in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet" 11 sein. Die Zustellperson vermerkt dabei das Datum und die Uhrzeit des Einwurfes auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks (§ 180 Satz 3 ZPO n.E), weil es "Mit der Einlegung" als zugestellt gilt (§ 180 Satz 2 ZPO n.E). - Erst wenn auch der Einwurf in den Briefkasten nicht gelingt, kann zukünftig durch Niederlegung bei der Geschäftsstelle des örtlichen Amtsgerichts oder beim Leiter der Polizeidienststelle oder bei einer von der Post bestimmten Stelle zugestellt werden (§ 181 ZPO n.E). Das neue Stufenverhältnis, angefangen bei der persönlichen Übergabe, über die Zustellung an Ersatzpersonen, die Einlegung in den Briefkasten bis hin zur herkömmlichen Niederlegung, wird die bisherige klassische Ersatzzustellung praktisch obsolet machen. Denn in den allermeisten Fällen dürfte wenigstens der Einwurf in den Briefkasten des Zustellungsadressaten gelingen. Vor allem durch die Möglichkeit der Zustellung durch Einwurf in den Briefkasten ergeben sich jedoch neue Fragen: Welche Kriterien sind in die Ermessensentscheidung der Zustellperson einzustellen, ob eingeworfen werden kann oder es sicherer ist, niederzulegen? Wie kann der Zustellungsadressat widerlegen, dass ihm ordnungsgemäß zugestellt wurde, er das Schriftstück also tatsächlich und auch in dem auf dem Umschlag vermerkten Zeitpunkt im Briefkasten hatte, und damit die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand? Wie wird die Zuverlässigkeit der Zustellperson gewährleistet? 9 NB die Änderung zur bisherigen Regelung: nicht mehr erforderlich ist, dass der angetroffene und in den Zustellungsvorgang eingebundene Familienangehörige ständig in der Wohnung wohnt. Die familiären Bezüge rechtfertigen es, von einem ausreichenden Treueverhältnis auszugehen, das diese Erleichterung ennöglicht, vgl. Begründung zum ZustRG, S. 43. 10 Auch diese Möglichkeit ist neu. Bislang konnte nur an erwachsene Familienangehörige oder Angestellte übergeben werden. Mit der Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten bei der Ersatzzustellung wird auch auf Fonnen von Lebensgemeinschaften eingegangen, die bei Erlass der ZPO noch schlechthin undenkbar waren. 11 § 180 Satz 1 ZPO n.F.
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§ 5 Die Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts
Zur ersten Frage lässt sich der Begründung zum Gesetzentwurf entnehmen, dass sich die die Zustellung ausführende Person vor dem Einwurf davon überzeugen müsse, "dass der Briefkasten in einem ordnungsgemäßen Zustand ist, insbesondere eindeutig beschriftet und dem Adressaten zugeordnet ist. Ein ordnungsgemäßer Zustand liegt beispielsweise nicht vor, wenn der Briefkasten überquillt und hierdurch ein Indiz besteht, dass er nicht regelmäßig geleert wird." 12
Diese Formulierungen lassen weiten Raum zur Beurteilung. Ist die Tatsache, dass an einem Werktag, an dem der Zustellungsempfänger während seiner arbeitsbedingten Abwesenheit fünf Werbesendungen in den Briefkasten "gestopft" bekommt, ein Zeichen dafür, dass der Briefkasten regelmäßig nicht geleert wird? Einheitliche Standards einzuführen, ist praktisch unmöglich. Ohne einschlägige Praxiserfahrung eine abschließende Beurteilung abzugeben, ebenfalls. Sicher ist lediglich, dass die Neuregelung in rechtlicher Hinsicht, vor allem im Hinblick auf die Beweiskraft von Urkunden über eine solche Ersatzzustellung, keine Verbesserung gegenüber der bisherigen Situation darstellt. In diesem Zusammenhang ist auch die zweite Frage zu sehen. Denn was soll geschehen, wenn ein Zustellungsadressat geltend macht, er habe das Schriftstück vermutlich zusammen mit anderen Werbesendungen zum Altpapier gegeben. Das Schriftstück habe niemals in den überfüllten Briefkasten gelegt werden dürfen. Dies sei für einen pflichtbewussten Zusteller, oder jedenfalls für einen vernünftigen Dritten, auch erkennbar gewesen. Es ergeben sich also weitere Unklarheiten. Welcher Maßstab ist bei der Beurteilung anzulegen: derjenige eines pflichtbewussten Zustellers? Oder doch der Maßstab eines vernünftigen Dritten? Problematisch ist, dass über den Einwurf (und damit auch über die Zustellungswirkungen) ein Zustellungszeugnis erstellt wurde, welches eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 ZPO darstellt (vgl. § 182 Abs. 1 ZPO n.F.). Wie soll der Zustellungsadressat aber nachweisen können, dass sein Briefkasten tatsächlich in einem Zustand war, der einen Einwurf mit Zustellungswirkung nicht zuließ?\3 Zwar ließe sich einwenden, dass er dann auch eine in den Briefkasten eingelegte Benachrichtigung über die Niederlegung vermutlich weggeworfen hätte, es also gegenüber der bisherigen Regelung keinen Unterschied gebe. Bei pflichtgemäßer Dienstverrichtung wird aber die Zustellperson die Benachrichtigung über eine Niederlegung deutlich sichtbar an der Wohnung des Adressaten befestigen. 14 Dies darf Begründung zum ZustRG, S. 46. Dass diese Argumentation möglich und auch erfolgversprechend sein kann, zeigt die Entscheidung des BGH ZIP 1994, 1312 ff. - amtlicher Leitsatz:" Geht die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung nach ihrem Einwurfin den Türeinwurfschlitz einer Wohnung verloren, so indiziert die Unkenntnis des Empfängers von der Zustellung allein noch nicht dessen mangelhafte Sorgfalt bei der Postannahme. " 14 Hierzu auch Baumbach/Lauterbachl Albers/Hartmann-Hartmann, § 182 Rz. 9 ff. 12
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1. Die wichtigsten Neuerungen
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mit einem zuzustellenden Schriftstück gerade nicht geschehen, denn es muss dem Empfänger vertraulich übergeben werden. 15 Darüber hinaus ist der "überquellende Briefkasten" ein regelmäßig schnell beseitigbarer Zustand, was die Beweisführung zusätzlich erschweren dürfte. Hingegen ist die mangelnde Zuverlässigkeit einer Zustellperson auch im Nachhinein wohl einfacher nachzuweisen. Nach der Rechtsprechung ist es zum Beweis der Unrichtigkeit einer Postzustellungsurkunde notwendig, einen konkreten Sachverhalt vorzutragen, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache ausschließt. 16 Ob dies in der geschilderten Konstellation gelingen kann, ist fraglich. Man darf daher auf die hierzu ergehende Rechtsprechung gespannt sein.
e) Auslandszustellung
Grundlegende Neuerungen finden sich auch bei der eigentlichen Auslandszustellung. § 183 ZPO n.F. lautet: ,,(1) Eine Zustellung im Ausland erfolgt
1. durch Einschreiben mit Rückschein, soweit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, 2. auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts durch die Behörden des fremden Staates oder durch die diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes, die in diesem Staat residiert, oder 3. auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozess gerichts durch das Auswärtige Amt an einen Deutschen, der das Recht der Immunität genießt und zu einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehört. (2) Zum Nachweis der Zustellung nach Absatz 1 Nr. 1 genügt der Rückschein. Die Zustellung nach Nr. 2 und 3 wird durch ein Zeugnis der ersuchten Behörde nachgewiesen. (3) Die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (AbI. EG Nr. L 160 S. 37) bleiben unberührt. Eine Zustellung nach Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) 1348/2000 ist unbeschadet weitergehender Bedingungen des jeweiligen Empfangsmitgliedstaates nur in der Versandform des Einschreibens mit Rückschein zulässig. Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. "
Wiederum ist eine abgestufte Regelung zu erkennen. Während in Abs. I Nr. I die unmittelbare Zustellung zugelassen wird, behandelt Abs. 2 Nr. 2 die Zustellung im Wege der herkömmlichen Rechtshilfe und Abs. 2 Nr. 3 die diplomatische und konsularische l7 Zustellung. Damit scheint also die immer vehementer vorgetrage15 Vgl. auch zum Vertrauensverhältnis bei der Ersatzzustellung Begründung zum ZustRG, S. 43. 16 Vgl. OLG DüsseldorfNJW 2000, 2831, 2832.
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ne Forderung, die Möglichkeit der Direktzustellung zu eröffnen, nun Früchte zu tragen. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf soll durch diese Regelung dem EZÜ Rechnung getragen werden. 18 Sowohl das EZÜ als auch die EZVO, in der das EZÜ im Wesentlichen - vor allem aber in Bezug auf die Direktzustellung inhaltsgleich aufgegangen ist, sehen eine Verpflichtung zur Zulassung der Postzustellung aus dem Ausland vor. Lediglich die Modalitäten der Postzustellung können durch die nationalen Prozessrechte geregelt werden. Zwar wäre die Bundesrepublik nur zur Zulassung der Postzustellung aus dem Ausland verpflichtet gewesen (vgl. Art. 14 EZVO), in diesem Zusammenhang macht jedoch auch die komplementäre Zulassung bei der Zustellung ins Ausland Sinn. Die neue Regelung bringt eine Angleichung an die Vorschrift des § 37 Abs. 2 StPO. Diese ermöglicht seit langem die Postzustellung auch im internationalen Rechtsverkehr. Die Frage, ob die EZVO überhaupt eine völkerrechtliche Vereinbarung im herkömmlichen Sinne des § 183 ZPO n.F. darstellt, kann dahinstehen. Zum einen stellt § 183 Abs. 3 ZPO n.F. klar, dass die EZVO unberührt bleibt. Zum anderen ist der Integrationsstand der EU im Rahmen der Justiz- und Innenpolitik auf jeden Fall wesentlich höher, als bei einer sonstigen intergouvernementalen Zusammenarbeit durch internationale Verträge. 19 Die EZVO würde daher auch ohne den Absatz 3 durch § 183 ZPO n.F. erfasst. Es bleibt schließlich auf die Regelung des § 183 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. hinzuweisen. Danach genügt zum Nachweis der Zustellung der Rückschein der Postsendung. Bei diesem handelt es sich jedoch nicht um eine öffentliche Urkunde. Seine Beweiskraft bleibt also hinter der einer normalen Postzustellungsurkunde zurück. Diese Tatsache lässt erwarten, dass sich die neueröffnete Postzustellungsmöglichkeit nur schwer durchsetzen wird. Denn welcher Rechtsberater wird seinem Mandanten die unsichere Variante empfehlen, wenn ausreichend Zeit für den sicheren, herkömmlichen Weg bleibt?
f) Zustellungsbevollmächtigter
Von weitreichender Konsequenz ist auch die Neuregelung der bisherigen §§ 174, 175 ZPO. Nach der jahrelangen Kritik wird nun mit der Änderung dieser höchst fragwürdigen Vorschriften reagiert. Nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. liegt die Anordnung an die sich im Ausland aufhaltende Partei, einen Zustellungs bevollmächtigten zu benennen, künftig ausdrücklich im Ermessen des Prozessgerichts. Die Anordnung wird damit nur zulässig sein, wenn eine direkte Postzustellung nicht möglich ist. Kommt die Partei die17 Die grundsätzliche Regelung auch der "antiquierten" Zustellungsformen diplomatische / konsularische Zustellung macht als Auffangregelung Sinn. 18 Begründung zum ZustRG, S. 50. 19 Etwa im Rahmen der Haager Konferenz.
1. Die wichtigsten Neuerungen
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ser Aufforderung nicht nach, so kann auch künftig durch Aufgabe zur Post zugestellt werden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO n.F.). Allerdings tritt die Zustellungswirkung erst zwei Wochen nach Aufgabe des Schriftstücks zur Post ein (§ 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F.). Entsprechend der Stärkung des Ermessens des Prozessgerichts kann diese Frist auch verlängert werden. Neu ist auch, dass bei der Anordnung der Benennung auf die (ggf. fiktiven) Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Der Hinweis muss den einschlägigen Spracherfordernissen genügen, so dass ein Verständnis des Empfängers gewährleistet ist. Eine Untersuchung dieser Vorschriften ergibt für Zustellungen innerhalb der Union grundlegende Änderungen. Drastische Fälle wie beschrieben 20 sind künftig ausgeschlossen. Schon dadurch, dass die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nur dann ermessensgerecht ist, wenn eine direkte Postzustellung nicht möglich war, wird die Zustellung durch Aufgabe zur Post praktisch ausgeschlossen sein. Darüber hinaus dürfte durch die Mindestfrist von zwei Wochen bis zum Eintritt der Zustellungs wirkungen sichergestellt sein, dass der Empfänger das Schriftstück rechtzeitig erhält. Denn Zustellungen innerhalb der Union dauern heute sicherlich nicht mehr länger als zwei Wochen. Sollten Erfahrungen vorliegen, dass Zustellungen in den entsprechenden Staat doch länger als zwei Wochen dauern können, so ist im Interesses des Beklagtenschutzes nunmehr eine flexible Verlängerung durch das Gericht möglich. Schließlich ist auch der künftig obligatorische Hinweis auf die Folgen einer Unterlassung der Benennung eines Zustellungs bevollmächtigten zu begrüßen. Das unhaltbare Argument, eine Belehrung sei nicht notwendig, weil es sich um eine Inlandszustellung handele, ist damit nicht mehr verwendbar. g) Erweiterung der Zustellmöglichkeiten der Geschäftsstelle Die Erweiterung der Zustellmöglichkeiten der Geschäftsstelle kann ebenfalls Auswirkungen auf die Auslandszustellung haben. Erweiterungen ergeben sich sowohl aus inhaltlicher als auch aus technischer Sicht. Künftig kann bei bestimmten Personen gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden (§ 174 Abs. 1 ZPO n.F.). Genannt werden dabei ausdrücklich Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher, Steuerberater und sonstige Personen, bei denen aufgrund des Berufes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Die Aufzählung ist also keineswegs abschließend. Bemerkenswert ist auch die Regelung des § 176 Abs. 1 ZPO n.F., nach der das Gericht den Gerichtsvollzieher oder eine Behörde mit der Zustellung beauftragen kann, sofern die Zustellung durch die Post oder durch die Justizperson keinen Erfolg verspricht. Insbesondere die Erweiterung der technischen Zustellungsmöglichkeiten lässt eine Beschleunigung des gesamten Zustellungsvorganges erwarten. Gemäß § 174 20
V gl. ausführlich oben, § 2.2.
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§ 5 Die Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts
Abs. 3 ZPO n.F. kann an diejenigen Personen, an die mittels Empfangsbekenntnis zugestellt werden darf und an Behörden sowie Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts auch mittels elektronischer Kommunikationsmittel zugestellt werden?! Soweit es im Rahmen der internationalen Zustellung beim Rechtshilfeprinzip bleibt und die technischen Möglichkeiten sowohl bei der Übermittlungs- als auch bei der Empfangsstelle gegeben sind, ist hiermit also auch die innerstaatliche Umsetzung der EZVO gewährleistet. Eine Beschleunigung des Verfahrens dürfte damit erreicht werden. 2. Die Anforderungen des Binnenmarktes Sowohl das europäische als auch das deutsche Zustellungsrecht befinden sich in einer Phase mehr22 oder weniger23 grundlegender Veränderungen. Es fragt sich daher, wie die gegenseitigen Beziehungen ausgestaltet sind, vor allem jedoch, ob das neue Zustellungsrecht der ZPO den Anforderungen des Binnenmarktrechts genügt. Die aufgeworfene Frage ist eindeutig positiv zu beantworten. Die Neuregelungen der ZPO sind nicht nur dazu geeignet, europäische Vorgaben umzusetzen. Vielmehr gehen sie hinsichtlich Flexibilität und Beschleunigung im Zustellungswesen über die EZVO hinaus. Genau dies macht auch den Hauptkritikpunkt an der EZVO aus. Sie hat es im Gegensatz zur deutschen Neuregelung versäumt, das Zustellungsrecht strukturell zu verändern. Das Regel- / Ausnahmeverhältnis der Zustellungswege ist bei der EZVO genau umgekehrt, als im ZustRG. Während das europäische Recht am überkommenen 24 Rechtshilfeprinzip festhält, sieht § 183 ZPO n.F. ein gestuftes Verhältnis vor, das zunächst - und damit im Regelfall - auf die Direktzustellung setzt. Was aber wird die Folge der widerstreitenden Regel- / Ausnahmeverhältnisse sein? Es steht zu erwarten, dass bei Verfahren vor deutschen Gerichten, die Bezug zum Binnenmarkt haben, nunmehr die Regelung des § 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F., also die direkte Zustellung, zur Anwendung kommt. Denn nach Art. 14 EZVO kann die postalische Zustellung aus dem Ausland grundsätzlich nicht mehr ausgeschlossen werden. Einzig die Frage, ob sich der Rückschein als ausreichender Nachweis der Zustellung im Ausland durchsetzen wird, ist unklar. Wenn dem aber so ist, dann wird die europäische Regel der Zustellung im Wege der Rechtshilfe durch die nationale deutsche Regelung "ausgehebelt". Gleiches wird auch in anderen Mitgliedstaaten geschehen, die die Postzustellung ins Ausland zulassen. 21 22
23 24
Also insbesondere mittels e-mail und Fax. Das deutsche Zustellungsrecht. Das europäische Zustellungsrecht. Jedenfalls im Binnenmarkt.
2. Die Anforderungen des Binnenmarktes
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Damit ist aber die Frage zu stellen, ob die Mitgliedstaaten zur Statuierung eines Prinzips der postalischen Direktzustellung als Regelfall berechtigt sind.25 Hiergegen könnte sprechen, dass in der EZVO am Rogationsprinzip mit Bedacht festgehalten wurde, was zu einem Vorrang gemäß Art. 249 Abs. 2 EZVO führen könnte?6 Denn die EZVO wurde nach Maßgabe der Art. 61, Art. 65 EG, also "nach Maßgabe dieses Vertrags,,27 erlassen und kann damit Vorrang vor nationalem Recht beanspruchen?S Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten nach Art. 10 EG die Verpflichtung, dem Gemeinschaftsrecht zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. 29 Dennoch ist der Erlass des umgekehrten Regel- / Ausnahmeverhältnisses in den nationalen Prozessrechten zulässig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die EZVO als auch das geplante deutsche Zustellungsrecht die gleiche "Schnittmenge" von Zustellungsformen aufweisen, von der postalischen Direktzustellung bis zur Zustellung auf diplomatischem Weg?O Keine Zustellungsform kann mehr ausgeschlossen werden. Darüber hinaus verpflichtet Art. 10 Abs. 2 EG die Mitgliedstaaten, solche Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnten. Art. 61 EG statuiert als Ziel die Schaffung eines einheitlichen Raumes des Rechts. Diesem Ziel dient auch die EZVO. 31 Die Eröffnung der direkten postalischen Zustellung als Regelfall erleichtert jedoch die grenzüberschreitende Zustellung im Binnenmarkt. Im Vergleich zur rechtshilferechtlichen Zustellung führt sie zu einer schnelleren Erledigung von Zustellungen und ähnelt der Praxis des rein innerstaatlichen Zustellungsrechts. Die Postzustellung befindet sich daher im Rennen zum einheitlichen Raum des Rechts um Längen vor der rechtshilferechtlichen Konzeption. Auch die EZVO selbst erlaubt in Art. 20 Abs. 2 die Vereinbarung von Übereinkünften zur weiteren Beschleunigung oder Vereinfachung der Übermittlung von Schriftstücken, soweit sie mit den Vorschriften der Verordnung vereinbar sind. Dies ist jedoch -wie gesehen- der Fall: auch die EZVO lässt die Direktzustellung zu. Es bleibt damit zusammenzufassen, dass das ZustRG zulässigerweise über die Anforderungen der EZVO hinausgeht. Soweit in weiteren Staaten die Postzustellung ins Ausland eröffnet wird, bleibt zu hoffen, dass dies einen Impuls zu einer weiteren Vereinheitlichung des europäischen Zustellungsrechts geben wird.
25 26
Vgl. Heß, NJW 2001,15,19 f. Ebd.
Art. 249 Abs. 1 EG. EuGH Rs. 6/64, Costa/Enel, Slg. 1964, 1251, 1269 f. ; Schwarze-Biervert, Art. 249 EG Rz. 7. 29 Geiger, Art. 10 EG Rz. 4. 30 In dieser Beziehung ist der Hinweis in der Begründung zum ZustellRG, S. 23, richtig, nach dem die EZVO durch die Vorschläge des Gesetzentwurfs umgesetzt wurde. 31 Vgl. Präambel (1) zur EZVO. 27
28
§ 6 Weitere Vorschläge für eine Verbesserung des Europäischen Zustellungsrechts In der Literatur wurden zahlreiche weitere Vorschläge zur Verbesserung des internationalen Zustellungsrechts gemacht, deren Untersuchung sich vor allem im Hinblick auf die Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels lohnt. Die Vorschläge zielen teilweise auf die Verbesserung des Systems der Rechtshilfe ab, indem sie die Übermittlung von Schriftstücken beschleunigen sollen, teilweise wollen sie auch strukturelle Veränderungen erreichen. 1 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang neue Sprachregelungen, der Vorschlag der regelmäßigen Direktzustellung durch die Parteien, der Einsatz neuer Technologien, die Normierung von Heilungsmöglichkeiten2 , die Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten 3 , die Frage der Zulässigkeit von Partei vereinbarungen über Modalitäten der Zustellung oder auch ein Gesamtvorschlag für ein neues Zustellungsübereinkommen, wie er etwa von G. Geimer4 gemacht wurde. Die meisten der Vorschläge wurden gemacht, als entweder das Modell eines Europäischen Vollstreckungstitels noch nicht bekannt war, oder aber zu einer Zeit, als der Titel zwar bekannt, mit seiner Realisierung jedoch nicht ernsthaft gerechnet wurde. Nunmehr zeichnet sich aber ab, dass das Europäische Zivilverfahrensrecht grundlegenden Veränderungen unterworfen sein wird. Die Einführung des einheitlichen Titels scheint entschieden und es bleibt nur noch, seine Strukturen zu diskutieren.5 Vor diesem Hintergrund sind die im Raum stehenden Vorschläge zusätzlich zur bereits durchgeführten Untersuchung zum Passeport Judiciaire6 zu bewerten.
1 Zur europäischen Zivilprozessrechtsangleichung allgemein vgl. Kerameus, Die Angleichung des Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches, S. 85, S. 86 ff. 2 Vgl. hierzu bereits oben, § 3.3. 3 Mit der für das internationale Wirtschaftsrecht wichtigen Frage der Zustellung an Konzerne und deren Töchter. 4 G. Geimer; S. 301 ff. 5 Heß, NJW 2000, 23, 31 f. 6 Vgl. hierzu ausführlich oben, § 4.4.
I. Sprachregelungen
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1. Sprachregelungen
Nachdem die unflexiblen Sprachregelungen internationaler Zustellungskonventionen7 als Hemmschuh für eine effiziente Zustellung definiert worden waren, wurden verschiedene Vorschläge zur Änderung gemacht. Die Kritik aus der Literatur, die teuren und unflexiblen Übersetzungsanforderungen bei der förmlichen Zustellung seien jedenfalls dann unnötig, wenn die Klage in der Geschäftssprache verfasst ist, die Kläger und Beklagter ohnehin in ihrer bisherigen Kommunikation verwandt haben, ist daher berechtigt. 8 Gottwald schlägt vor, dass zumindest bei Kaufleuten es ausreichen solle, dass der Kläger versichere, dass Klageschrift und Anlagen in einer von den Parteien in ihrer Vertragskorrespondenz genutzten Sprache verfasst sind. 9 Erst später soll das Gericht, falls es auf einzelne Schriftstücke ankommt, die Vorlage einer Übersetzung anordnen oder eine Übersetzung in Auftrag geben. 1O Es fragt sich allerdings, ob dieser Vorschlag wirklich sinnvoll ist. Denn das Übersetzungserfordernis dient jedenfalls in der Praxis nicht nur der Förderung des Verständnisses 11 bei der anderen Partei, sondern regelmäßig auch der Unterstützung der Gerichte, die sicher nicht durchgängig über die notwendigen Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Wenn allerdings ein Richter die in der Klage (bzw. in Anlagen) benützte Fremdsprache nicht versteht, kann er sich auch keine Meinung darüber bilden, ob ein Schriftstück entscheidungserheblich sein könnte oder nicht. Der Hinweis, dass bei Unklarheiten im einzelnen dann die Übersetzung angeordnet werden könne 12, erscheint daher schwer vorstellbar. Darüber hinaus kann im deutschen Prozess der Inhalt des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes bereits Auswirkungen auf die Entscheidung des Gerichts haben, ob im schriftlichen Vorverfahren (§ 276 ZPO) oder mittels eines frühen ersten Termins (§ 275 ZPO) weiterverfahren wird. Entgegen der Ansicht Gottwalds l3 kann daher die Übersetzung des wesentlichen Inhalts der Klage (bzw. ihrer Anlagen) in die Amtssprache des Übermittlungsstaates durchaus Sinn machen. 14 Dieser "mittlere" Weg, der zwischen den Extrempositio7 Oder das, was in den Mitgliedstaaten aus den Regelungen gemacht wurde, vgl. etwa Art. 5 HZÜ, der nicht unbedingt eine Übersetzung in die Sprache des Aufenthaltstaates des Zustellungsempfangers voraussetzt. Die Bundesrepublik hat jedoch von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht und verlangt für eingehende förmliche Zustellungen (ebenso wie für ausgehende, § 25 Abs. I ZRHO) vollständige Übersetzungen, vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, BGBI. 1979 I, 779. 8 Siehe auch das oben, § 4.4.c.aa., genannte Beispiel. 9 Gottwald, Festschrift Schütze, S. 233. 10 Ebd. 11 Und damit auch der Wahrung des rechtlichen Gehörs. 12 Gottwald, Festschrift Schütze, S. 233. 13 Vgl. Gottwald, Festschrift Schütze, S. 233. 14 So auch G. Geimer, S. 245 f.
10 Sharma
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§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
nen "keine Übersetzung" und "vollständige Übersetzung" vermittelt, wird allen Interessen gerecht. Er entlastet den Kläger von zunächst anfallenden Kostenl 5 und er erweitert die Wahrscheinlichkeit, dass Gericht (und ggf. Beklagter) die zugestellten Schriftstücke wirklich verstehen.
Im Hinblick auf die Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels muss der Vorschlag Gottwalds ebenfalls sehr kritisch hinterfragt werden. Konnte man sich bislang auf die Zweitkontrolle im Vollstreckungsstaat nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ verlassen, die im Rahmen der Ordnungsmäßigkeit auch eine Prüfung der Spracherfordernisse umfasste, so ergibt sich künftig eine neue Lage. Der Wegfall der "Vollstreckungskontrolle" macht eine umfassende Sicherung der Beklagtenrechte bereits im Erststaat notwendig. Um zu gewährleisten, dass der Beklagte alle ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel im Gerichtsstaat ausschöpfen kann, muss sichergestellt sein, dass ihm alle Schriftstücke verständlich sind. Experimente auf Kosten des rechtlichen Gehörs werden künftig nicht mehr durch die Zweitkontrolle aufgefangen. Dies bringt mit sich, dass bereits vom Beginn des gerichtlichen Verfahrens an alle beteiligten Seiten, also Kläger, Beklagter und Gericht, vom Inhalt des Streits Kenntnis haben müssen. Nur dann wird sich der Vollstreckungstitel am Ende durchsetzen können. Im Hinblick auf eine verbesserte Regelung der Spracherfordernisse ist außerdem erneut ein Blick auf das internationale Strafverfahrensrecht zu werfen. Die Sprachregelung des Schengen-II-Übereinkommens (Art. 52 Abs. 2)16 gibt ein Beispiel, wie eine effiziente Lösung aussehen könnte, die allen Interessen gerecht wird. 17 Das Übereinkommen geht grundsätzlich von der ursprünglichen Sprache des Dokuments aus (Art. 52 Abs. 2 Satz 1). Dann wird die Verantwortung für die Sprachwahl jedoch in die Hände der beteiligten Personen gegeben: wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Empfänger die Originalsprache des Schriftstücks nicht versteht, kann eine Sprache der Vertragspartei, in deren Gebiet er sich aufhält gewählt werden. Und sollten Anhaltspunkte dahingehend vorliegen, dass der Empfänger nur eine von den bisherigen Möglichkeiten abweichende Sprache versteht, so ist diese zu wählen (Art. 52 Abs. 2 Satz 2). Darüber hinaus können Übersetzungskosten und Zeit dadurch eingespart werden, dass nur die wesentlichen Passagen des Schriftstücks übersetzt werden müssen. Zwar erfolgt die Sprachwahl im Strafverfahrensrecht durch die zustellende Behörde, während im Zivilverfahrensrecht die die Zustellung veranlassende Partei grundsätzlich auch die Sprache bestimmen kann. 18 Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Erwägungen, die von der 15 Die Übersetzungskosten bekäme er - jedenfalls in Deutschland - allerdings bei Obsiegen vom Beklagten ohnehin erstattet. 16 Vgl. ausführlich oben, § 1.2.b.bb.(3). 17 Die Regelung scheint sich nach Angaben aus der Praxis bewährt zu haben, zum gleichen Ergebnis kommt auch Heß, NJW 2001, 15,20. 18 Insbesondere kann eine formlose Zustellung in der Originalsprache des Dokuments versucht werden.
2. Der Grundsatz der Direktzustellung
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Behörde im Strafverfahrensrecht hinsichtlich der Sprachkenntnisse des Empfängers angestellt wurden, nicht ebenso von einer Partei reflektiert werden könnten. Das internationale Strafverfahrensrecht ist in zweifacher Hinsicht als sensibler einzustufen als das internationale Zivilverfahrensrecht: zum einen spielt hier der Strafanspruch des Staates, ein originär hoheitlicher Bereich, eine Rolle. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass im Rahmen des Amsterdamer Vertrags zwar das internationale Zivilverfahrensrecht von der dritten Säule der intergouvernementalen Zusammenarbeit der EU in die erste Säule übernommen wurde, nicht aber die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen. l9 Zum anderen sind die Folgen, die einem Beteiligten im Strafprozess drohen, wesentlich gravierender. Während im Zivilprozess am Ende regelmäßig die Zahlung eines Geldbetrags steht, erfolgt am Schluss eines Strafverfahrens häufig die Verhängung einer Freiheitsstrafe. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb gezögert wird, für den internationalen Zivilprozess ein Zustellungssystem zu übernehmen, das sich im Strafprozess als flexibler und effizienter erwiesen hat und rechtsstaatlichen Erfordernissen gerecht wird. 2o Eine andere Frage ist schließlich, wie im Rahmen der Neuregelung der EZVO bei einer formlosen Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein gewährleistet werden kann, dass der Empfänger die gewählte Sprache überprüfen und in dem Fall, dass er die Sprache nicht versteht, die Zustellungswirkung vermeiden kann. Eine Orientierung am Modell des österreichischen Zustellungsgesetzes (§ 12 Abs. 2) würde hier Sinn machen. Hiernach hat sich der Empfänger binnen drei Tagen zu äußern, wenn er die gewählte Sprache nicht akzeptieren kann?l Zwar wird dadurch eine Aktivität des Empfängers erforderlich, obwohl ihm gegenüber keine rechtlichen Wirkungen erzeugt wurden. 22 Sieht man diese Aktivität aber als ersten Bestandteil der Verteidigung gegen eine Klage an, so erscheint sie durchaus als zumutbar.
2. Der Grundsatz der Direktzustellung Die meisten Kritiker des herkömmlichen internationalen Zustellungsrechts plädieren für die Aufgabe des Rechtshilfeprinzips und die grundsätzliche Einführung der direkten (Post)Zustellung. 23 Sie halten diese systematische Änderung für notwendig, um eine nachhaltige Beschleunigung der internationalen Zustellung zu erCraig/de Burca. S. 43. Für die Übernahme von Elementen des internationalen Strafprozesses auch Heß, NJW 2001, 15,20. 21 Nagel/Gottwald, IZPR, § 7 Rz. 63. 22 Denn das Schriftstück gilt als nicht zugestellt. 23 Vgl. etwa Fleischhauer; S. 60; Gottwald, Festschrift Schütze, S. 228; G. Geimer; S. 217 ff.; Linke, Die Probleme der internationalen Zustellung, S. 122 ff.; Schack, IZVR, RZ.593. 19
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§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
reichen. Gleichzeitig wird die Wahrung rechtsstaatlicher Verhältnisse auch bei der Postzustellung als gegeben angesehen?4 Den Befürwortern der Postzustellung ist zuzugeben, dass ihre Einführung der Postzustellung wirklich zu einer Beschleunigung führen würde. Auch ist ihre Ablehnung mit der Begründung staatlicher Souveränitätsrechte, jedenfalls im Binnenmarkt, kaum noch vertretbar. Und auch das internationale Strafverfahrensrecht scheint wiederum als Vorbild herhalten zu können. Denn Art. 52 Abs. I des Schengen-lI-Übereinkommens lässt die unmittelbare Postzustellung zu. Mit der Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels und eines ihn begleitenden Passeport ludiciaire ergibt sich jedoch die Notwendigkeit einer Neubetrachtung. 25 Durch den Wegfall des Exequaturverfahrens im Vollstreckungsstaat entstehen - wie bereits beschrieben 26 - neue Anforderungen an die grenzüberschreitende Zustellung im Binnenmarkt. Da der Beklagte künftig zur Geltendmachung aller Rechtsmittel vor dem ausländischen Prozessgericht gezwungen wird, verschieben sich die Beschwernisse der Prozessführung weiter in seine Richtung. Es muss daher Aufgabe des Zustellungsrechts sein, von Beginn an die stets aktuelle und rechtzeitige Information des Beklagten zu gewährleisten und zu dokumentieren. 27 Hierzu eignet sich die direkte Postzustellung jedoch nicht. Eintragungen in den Passeport ludiciaire oder Belehrungen über die Folgen der Zustellung müssen durch hierzu besonders befähigte Personen oder Institutionen gemacht werden. Nur dadurch wird dem lustizpass der Wert gegeben, der auch den Verzicht auf ein Exequaturverfahren rechtfertigt. Dies macht deutlich, dass die Einführung eines Grundsatzes der direkten Postzustellung nicht angezeigt ist. Vielmehr bietet sich aufgrund der künftigen Annerkennungspraxis im internationalen Zivilprozess für die Zustellung eine andere Form an, die ebenfalls auf den Rechtshilfeverkehr in der bisher üblichen Form verzichtet, nämlich die Beauftragung von bestimmten Zustellpersonen durch die Parteien, die nun in Art. 15 EZVO niedergelegt ist. 28 Mit der Einführung des Art. 15 EZVO entsprechenden Grundsatzes wird jedoch weder die Möglichkeit der direkten Postzustellung noch die rechtshilferechtliche Zustellung aufgegeben. Vielmehr steht es jeder Partei nach wie vor frei, die formlose Direktübermittlung zu versuchen. Soweit sich der Zustellungsempfänger auf das zugestellte Schriftstück einlässt, ist der Zustellungszweck erfüllt. Insgesamt muss aber die Einführung der Direktzustellung als Grundsatz im Hinblick Vgl. die ausführliche Untersuchung bei G. Geimer, S. 217 ff. Im Zeitpunkt der soeben erwähnten Stellungnahmen waren die Pläne zur Einführung des Europäischen Vollstreckungstitels noch nicht bekannt bzw. ernst zu nehmen. 26 Vgl. oben, § 4.4. 27 Die Zustellung muss also nicht irgendeinen "Grundrechtsluxus" (G. Geimer, S. 238) gewährleisten, sondern grundlegende Verfahrensrechte und rechtsstaatliche Verhältnisse. 28 Freilich hat die Bundesrepublik die Anwendbarkeit von Art. 15 EZVO durch § 3 ZustDG ausgeschlossen. Ausführlich zum Parteibetrieb unten, § 7. 24
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3. Beschleunigung der Zustellung durch neue Technologien
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auf die künftige Struktur des Binnenmarktprozesses als ungeeignet angesehen werden. 29 3. Beschleunigung der internationalen Zustellung durch neue Technologien
Die Verwendung neuer Technologien kann zu einer Beschleunigung der internationalen Zustellung führen. Insbesondere nach der Konzeption der EZVO kommt dem Einsatz neuer Übertragungswege hohe Bedeutung zu. Denn sie setzt gerade darauf, die Übermittlung von Schriftstücken zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen zu verbessern: ,,(6) Die Wirksamkeit und Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren in Zivilsachen setzt
voraus, daß die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke unmittelbar und auf schnellstmöglichem Wege zwischen den von den Mitgliedstaaten benannten örtlichen Stellen erfolgt. [ ... 1 (7) Eine schnelle Übennittlung erfordert den Einsatz aller geeigneten Mittel, wobei be-
stimmte Anforderungen an die Lesbarkeit und die Übereinstimmung des empfangenen Schriftstücks mit dem Inhalt des versandten Schriftstücks zu beachten sind. Aus Sicherheitsgründen muß das zu übermittelnde Schriftstück mit einem Formblatt versehen sein, das in der Sprache des Ortes auszufüllen ist, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder in einer anderen vom Empfängerstaat anerkannten Sprache. ,,30
Auch in der Literatur wird der Einsatz neuer Technologien gefordert 31 , wobei die Übermittlungsformen Datex-J32, e-mail, Telefax und Telefon genannt werden?3 a) Die Technologien
Das Thema Telefax wurde in der Vergangenheit bereits sehr ausführlich beschrieben und untersucht. 34 Mit dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 200035 ist nunmehr auch die letzte große Streitfrage in diesem Bereich entschieden: So auch Heß, NJW 2001, 15,21. Präambel zur EZVO, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 160 vom 30 Juni 2000, S. 37. 31 Gottwald, Festschrift Schütze, S. 231; Kennet, c.J.Q. 17 (1998), 284, 288; G. Geimer; S. 259 ff. 32 Bzw. T-Online, der frühere Btx-Dienst. 33 G. Geimer führt in diesem Zusammenhang auch Videokonferenzen auf, konstatiert aber zugleich, dass diese die Beweisaufnahmen und nicht das Zustellungsrecht betreffen. Dem ist zuzustimmen. 34 Vgl. Liwinska, MDR 2000, 500 ff.; auch: G. Geimer; S. 259 ff. 35 GmS-OGB 1/98, NJW 2000, 2340 f. 29
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§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
"In Prozessen mit Vertretungszwang können bestimmende Schriftsätze form wirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden.,,36
Nach Auffassung des GmS-OBG ist für die Wirksamkeit eines elektronisch übermittelten Schriftsatzes nicht das Vorliegen einer beim Absender vorhandenen Kopiervorlage entscheidend, sondern allein die auf seine Veranlassung hin beim Empfangsgericht erstellte körperliche Urkunde. 3? Insofern kann auch die Entscheidung des LG Berlin keinen Bestand haben, nach der weiterhin verlangt wird, dass der Originalschriftsatz eines Telefaxschreibens unverzüglich zu den Akten zu reichen sei, um das Telefax - und damit seine fristwahrende Wirkung - zu bestätigen. 38 Die Übermittlung per Telefax wird zwar mittelfristig die Regel werden. Sie ist jedoch kein innovatives Zukunftsmodell für die Zustellung. Selbst wenn ein Schriftsatz per Computerfax übermittelt wird, wie das in dem vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes entschiedenen Fall geschehen war, so geschieht der Versand doch wiederum auf ein Faxgerät beim Empfänger, das per Fernkopie die übermittelten Schriftstücke auf Papier druckt. Insbesondere wenn jedoch mehrere Empfangs- und Übermittlungsstellen in einen Zustellungsvorgang eingebunden sind, wie das nach dem Konzept der EZVO der Fall ist39 , macht es Sinn, das "papierlose" Verfahren anzustreben, in dem ein Ausdruck nur dann zu erfolgen hat, wenn eine Stelle (regelmäßig wird das der Zustellungsempfänger sein) keine Möglichkeit des elektronischen Empfangs hat. Auch die Übennittlung per Telefon kommt nicht in Frage. 4o Bei dieser stellt sich das entscheidende Problem, dass eine physische Speicherung oder anderweitige Konservierung des zuzustellenden Schriftstücks regelmäßig nicht stattfindet. Die Aufnahme von Telefongesprächen auf Tonträger ist gänzlich unpraktikabel und im Hinblick auf die gerade im internationalen Prozess bestehenden Sprachprobleme nicht in Betracht zu ziehen. 41 Im folgenden wird daher der Schwerpunkt der Untersuchung auf die elektronische Übermittlung durch e-mail gesetzt. Mit Bedacht wurde in Art. 4 Abs. 2 EZVO eine Formulierung gewählt, die Raum auch für neue Übermittlungsarten lässt. 42 Dieser erfreuliche Ansatz wird al36 Leitsatz NJW 2000, 2340. 37 GmS-OGB NJW 2000, 2340, 2341; kritisch: Düwell, NJW 2000, 3334. 38 LG Berlin, Beschluss vom 5. Mai 2000-18 0 205/00, NJW 2000, 3291 f., das sich auf die fehlende Übereinstimmung von gefaxtem und nachgereichtem Schriftsatz stützt. 39 Das Schriftstück geht vom Verfasser zum Gericht, von dort intern zur Übermittlungsstelle, von dort zur Empfangsstelle, die das Schriftstück ggf. mit Vermerk zurücksendet oder es aber an die Zustellperson übermittelt, welche es dann an den Empfänger übergibt. Weitere Zwischenschritte sind, je nach interner Organisation, möglich. 40 A.A. für die telefonische Übermittlung im Bereich der EU-Staaten: G. Geimer, S. 274. 41 Auf die Sprachprobleme im internationalen Prozess wird von Befürwortern der telefonischen Übermittlung nicht eingegangen, vgl. G. Geimer, a. a. O.
3. Beschleunigung der Zustellung durch neue Technologien
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lerdings wiederum dadurch relativiert, dass die weitere Begriindung zur EZV043 dann von "vorgedruckten" Formularen spricht. 44 Es sollte klargestellt werden, dass auch elektronisch übermittelte, also nicht vorgedruckte, Formulare die Voraussetzungen der EZVO erfüllen können. Hinsichtlich der übermittelten Schriftstücke stellt Art. 4 Abs. 2 EZVO zwei ausdriickliche und eine ungeschriebene Anforderungen. So muss das empfangene Dokument inhaltlich genau mit dem versandten übereinstimmen und alle darin enthaltenen Angaben müssen mühelos lesbar sein. Mit dieser Formulierung ist auch klargestellt, dass etwa die Schriftbilder von versandtem und empfangenem Dokument keineswegs identisch sein müssen. Dies würde bei der Vielzahl der verwendeten Datenverarbeitungssysteme eine elektronische Übermittlung praktisch unmöglich machen. Die entscheidende Frage dürfte jedoch diejenige nach der Sicherheit der Übertragung sein. Diese betrifft sowohl den Datenschutz45 als auch, und vor allem, die Sicherheit der Übertragung und der Authentizität der übermittelten Schriftstücke. Die betrachtete Übermittlungskette soll dabei bei der Ausgangspartei beginnen: wie kann die Authentizität einer durch den Kläger verfassten und per e-mail übermittelten Klageschrift gesichert werden? Denn sie stellt den Ausgangspunkt aller weiterer Übermittlungen im Zustellungsverfahren dar. Die Begriindung zur EZVO regelt hierzu nichts, sondern verweist ausdriicklich auf die nationalen Prozessordnungen der Mitgliedstaaten: "Der Umstand, daß also jede geeignete Übermittlungsart benutzt werden kann, bietet die Möglichkeit, die Auswahl entsprechend den nach dem innerstaatlichen Recht zulässigen Verfahren, den jeweiligen Umständen und den Verbindungsarten, die zu der zuständigen Empfangsstelle hergestellt werden können, zu treffen.,,46
Den Ausgangspunkt der Betrachtung stellen also die nationalen Prozessrechte dar. Dabei stellt sich die Frage, welche Formen der Abgabe und des Empfangs von Erklärungen nach diesen Prozessordnungen erlaubt sind. In der Bundesrepublik befindet sich auch diese Thematik im Fluss und ist daher näher zu erläutern.
42 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14. 43 Bzw. zum Richtlinienentwurf. 44 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14. 45 Vgl. Präambel zur EZVO: ,,(13) Die nach dieser Verordnung übermittelten Daten müssen angemessen geschützt werden. [ ... j". 46 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 14.
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§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
b) Exkurs: Die Reform des deutschen Rechts der Formvorschriften und ihre Auswirkungen auf das Zustellungsrecht Die Reform des deutschen Rechts der Formvorschriften setzt sich aus verschiedenen Regelungswerken zusammen, die aufeinander abgestimmt sind. Am 2l. Mai 2001 wurde das "Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und zur Änderung weiterer Vorschriften" (SigG) veröffentlicht. 47 Es ersetzt das Signaturgesetz vom 28. Juli 1997, das seit l. August 1997 in Kraft war. 48 Die vollständige Neufassung war notwendig, weil zum einen die Ergebnisse des Berichtes der Bundesregierung über die Eifahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes von 199r9 einfließen sollten. Zum anderen war die Richtlinie 1999/93/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen50 umzusetzen. aa) Allgemeines und Definitionen Das SigG enthält vor allem technische Details, Definitionen und Anforderungen an die Sicherheitsinfrastruktur. Auch weitere Regelungen (z. B. Schadensersatzpflicht des Zertifizierungsdiensteanbieters, Bußge1dvorschriften, Aufsicht) sind für das Zustellungsrecht nicht in erster Linie bedeutend. Die auf Grund des SigG erlassene Signaturverordnunl 1 behandelt lediglich technische Fragen, wie etwa die näheren Anforderungen an die Prüfung technischer Komponenten. Die Umsetzung der Richtlinie in Bezug auf die Rechtswirkungen der elektronischen Signatur erfolgt vielmehr im Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modemen Rechtsgeschäftsverkehr. 52 Um eine Vorstellung vom Inhalt dieser für das deutsche Formvorschriftenrecht wahrlich grundlegenden Änderungen 53 zu bekommen, seien zunächst einige Definitionen, die sich wiederum im SigG finden, vorangestellt. BGB!. 2001 1876. BGB!. 11997,1870. 49 BT-Drs. 14/1191. 50 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 13 vom 19. Januar 2000, S. 12 ff. 51 Verordnung zur elektronischen Signatur (Signaturverordnung - SigV) vom 16. November 2001, BGB!. 2001 13074. 52 BGB!. 2001 I 1542, in Kraft getreten zum 1. August 2001. 53 Das bisherige Recht gilt seit Einführung des BGB praktisch unverändert, vg!. Begründung zum Gesetzentwurf, S. 16; durch die Änderungen werden zahlreiche Gesetze und Verordnungen erfasst, angefangen beim BGB, über das Bundeskleingartengesetz bis hin zur Börsen-Zulassungsverordnung. 47
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3. Beschleunigung der Zustellung durch neue Technologien
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"Elektronische Signaturen" sind Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen (§ 2 Nr. 1 SigG). Neben einfachen "elektronischen Signaturen" spricht das Gesetz noch von "fortgeschrittenen elektronischen Signaturen" (§ 2 Nr. 2 SigG) und "qualifizierten elektronischen Signaturen" (§ 2 Nr. 3 SigG). Letztere sind besonders für das Zivilprozessrecht von Bedeutung.
Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 1999/93/ EG müssen fortgeschrittene elektronische Signaturen die rechtlichen Anforderungen an eine Unterschrift in bezug auf elektronische Daten in gleicher Weise wie handschriftliche Unterschriften in bezug auf Daten in Papierform erfüllen und im Gerichtsverfahren als Beweismittel zugelassen werden. Die hiermit gemeinten Signaturen werden im SigG als" qualifizierte elektronische Signaturen" bezeichnet.
bb) Materiellrechtliche Anpassung Die wichtigste bürgerlich-rechtliche Regelung, die auch Auswirkungen auf das Zivilprozessrecht hat54 , findet sich nunmehr in § 126 a BGB, der durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modemen Rechtsgeschäftsverkehr eingefügt wurde: ,,( 1) Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. (2) Bei einem Vertrag müssen die Parteien jeweils ein gleichlautendes Dokument in der in Absatz 1 bezeichneten Weise elektronisch signieren."
Mit dieser neuen Regelung soll den Erfordernissen des modemen Geschäftsverkehrs Rechnung getragen werden. Im Rahmen der bisherigen dogmatischen Grundlagen zu Willenserklärungen ist unter der elektronischen Willenserklärung eine solche unter Abwesenden zu verstehen. 55
cc) Prozessrechtliche Auswirkungen Ausgehend von diesen Änderungen im materiellrechtlichen Bereich ergeben sich auch die Neuerungen im Zivilprozessrecht. Denn das, was materiellrechtlich erlaubt ist, muss auch verfahrensrechtlich umgesetzt werden.
Hierzu sogleich, § 6.3.b.bb. Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, S. 18; zum (elektronischen) Zugang auch bereits lohn, AcP 1984, 385, 403 ff. 54 55
154
§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
( J) Zulassung von elektronischen Signaturen als Beweismittel
Im Bereich des Zivilprozessrechts wird nach der Begründung zum Gesetzentwurf die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 der Richtlinie 1999/93/ EG, Signaturen als Beweis vor Gericht zuzulassen, durch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung des Gerichts bereits heute erfüllt. Insoweit gebe es keine Unterschiede zwischen nichtelektronischen und elektronischen Mitteln. 56 Es wird lediglich klargestellt, dass die rechtliche Einordnung im Beweisrecht über das Institut des Augenscheins erfolgt. 57 (2) Anscheinsbeweis bezüglich der Echtheit von Signaturen Die Echtheit elektronischer Signaturen soll im Zivilprozess nunmehr durch § 292 a ZPO gesichert werden: "Der Anschein der Echtheit einer in elektronischer Fonn (§ 126 a des Bürgerlichen Gesetzbuches) vorliegenden Willenserklärung, der sich auf Grund der Prüfung nach dem Signaturgesetz ergibt, kann nur durch Tatsachen erschüttert werden, die es ernsthaft als möglich erscheinen lassen, dass die Erklärung nicht mit dem Willen des Signaturschlüssel-Inhabers abgegeben worden ist."
Damit wird also ein Anscheinsbeweis gesetzlich statuiert, der vor allem dem Schutz des Erklärungsempfängers dient. Dieser kann sich in aller Regel darauf verlassen, dass die elektronisch abgegebene Erklärung auch rechtlich wirksam und bindend ist. Erklärtes übergeordnetes Ziel dieser Neuregelung ist auch, das Vertrauen in die Rechtssicherheit und die Verkehrsfähigkeit der elektronischen Form insgesamt zu stärken. 58 (3) Auswirkungen auf das Zustellungsrecht Neben diesen Änderungen, deren Darstellung zum Gesamtverständnis notwendig ist und die mittelbar auch Einfluss auf das Zustellungsrecht haben, ergeben sich durch die Reform des Rechts der Formvorschriften aber auch direkte Auswirkungen auf zustellungsrechtliche Regelungen. So lautet der neu eingefügte § 130 a ZPO wie folgt: ,,(1) Soweit für vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, für Anträge und Erklärungen der Parteien sowie für Auskünfte, Aussagen, Gutachten und Erklärungen Dritter die Schriftfonn vorgesehen ist, genügt dieser Fonn die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn dieses für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist. Die verantwortende Person soll das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen.
56 57
58
Begründung zum Gesetzentwurf, S. 46. Begründung zum Gesetzentwurf, S. 51. Begründung zum Gesetzentwurf, S. 22 f.
3. Beschleunigung der Zustellung durch neue Technologien
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(2) Die Bundesregierung und die Landesregierungen bestimmen für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt, von dem an elektronische Dokumente bei den Gerichten eingereicht werden können, sowie die für die Bearbeitung der Dokumente geeignete Form. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. Die Zulassung der elektronischen Form kann auf einzelne Gerichte oder Verfahren beschränkt werden. (3) Ein elektronisches Dokument ist eingereicht, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts es aufgezeichnet hat."
Mit dieser neuen Regelung wird zunächst grundsätzlich zugelassen, dass Schriftsätze von den Parteien an die Gerichte in elektronischer Fonn übennittelt werden können. Hierbei schließt sich natürlich unmittelbar die Frage an, wann Fristen unterbrochen werden. Denn der bisherige Eingangsstempel wird bei dieser Fonn der Übennittlung zwangsläufig ausgedient haben. Wann also werden Fristen unterbrochen: mit der Absendung? Mit der Versendungsmeldung des Providers? Mit Speicherung bei Gericht? Oder mit Ausdruck auf einem Drucker des Gerichts und Stempeln des Papiers? Die Antwort gibt das Gesetz selbst: eingegangen ist das Dokument nach Abs. 3 bereits mit der Speicherung und nicht etwa erst mit dem Ausdruck bei Gericht. Diese KlarsteIlung ist zu begrüßen, erspart sie der Praxis doch einen Streit, der mit Sicherheit aufgekommen wäre. Mit der Regelung des § 130 a ZPO wird die "Eingangsseite" der Übennittlung von Schriftstücken zwischen Partei und Gericht behandelt. Als "Komplementärregelung" für ausgehende Schriftstücke, also Zustellungen im engeren Sinne, dient der durch das ZustRG einzufügende § 174 Abs. 3 ZPO n.F.: "An die in Abs. 1 Genannten kann auch ein elektronisches Dokument zugestellt werden. Gleiches gilt für andere Verfahrenbeteiligte, wenn sie der Übermittlung elektronischer Dokumente ausdrücklich zugestimmt haben. Für die Übermittlung ist das Dokument mit einer elektronischen Signatur zu versehen und gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen. Das Empfangsbekenntnis kann als elektronisches Dokument, durch Fernkopie oder schriftlich erteilt werden. Wird es als elektronisches Dokument erteilt, genügt an Stelle der Unterschrift die Angabe des Namens des Adressaten."
In § 174 Abs. 1 ZPO n.F. wird der Personenkreis umrissen, an den gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden darf. Beispielhaft, aber nicht abschließend, werden genannt: Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher, Steuerberater. Außerdem darf an solche Personen zugestellt werden, bei denen "aufgrund ihres Berufes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann ", sowie an Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts. § 174 Abs. 3 ZPO n.F. regelt die Amtszustellung. Auch für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt findet sich jedoch eine neue Regelung. In § 195 ZPO n.F. wird künftig auf § 174 Abs. 3 ZPO n.F. verwiesen: ,,(1) Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Schriftstück auch dadurch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das zu übergebende Schriftstück dem anderen Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt). Auch Schriftsätze,
156
§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
die nach den Vorschriften dieses Gesetzes von Amts wegen zugestellt werden, können statt dessen von Anwalt zu Anwalt zugestellt werden, wenn nicht gleichzeitig dem Gegner eine gerichtliche Anordnung mitzuteilen ist. In dem Schriftsatz soll die Erklärung enthalten sein, dass von Anwalt zu Anwalt zugestellt werde. Die Zustellung ist dem Gericht, sofern dies für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist, nachzuweisen. Für die Zustellung an einen Anwalt gilt § 174 Abs 2 Satz J und Abs 3 Satz 1, 2 entsprechend. (2) Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt worden ist. § 174 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3, 4 gilt entsprechend. Der Anwalt, der zustellt, hat dem anderen Anwalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Zustellung zu erteilen.,,59
Diese Regelung könnte vor allem im Hinblick auf ein europäisches Zustellungssystem Bedeutung gewinnen, das nicht mehr auf die Amtszustellung setzt, sondern die Verantwortung für Zustellungen im Zivilprozess auf die Parteien überträgt. 6o Die (geplanten) ZPO-Änderungen erfordern eine innovative EDV-Infrastruktur, die heute noch keineswegs gewährleistet iSt. 61 Bis zur Anwendung elektronischer Zustellungen wird daher noch einige Zeit vergehen. Denn zunächst müssen bei den Gerichten die hierfür notwendigen technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Daher soll es gemäß § 130 a Abs. 2 ZPO dem Bund bzw. den Ländern überlassen werden, durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt des Beginns des "elektronischen Zeitalters" zu bestimmen. Mit diesen Neuerungen wird das deutsche Zustellungsrecht auf die Herausforderungen eines elektronischen Geschäftsverkehrs vorbereitet. Da Art. 4 EZVO diese innovativen Übermittlungsformen zulässt, könnte bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen bei der jeweiligen ausländischen Empfangsstelle eine beschleunigte elektronische Übermittlung erfolgen. Welche konkreten Empfangsmöglichkeiten bei den Gerichten bestehen, wird dem Handbuch zur EZVO zu entnehmen sein. Es bleibt abzuwarten, ob sich das europäische Zustellungsrecht damit wirklich spürbar verbessert. Hinsichtlich der elektronischen Übermittlung eines Schriftstücks von der Zustellperson (also vom Gericht beim System der Rechtshilfe oder - möglicherweise vom Gerichtsvollzieher bei einem System der direkten Zustellung) ergeben sich die Erleichterungen für das deutsche Recht aus § 174 ZPO n.F. In einen Passeport ludiciaire müsste dann das (elektronische) Empfangsbekenntnis aufgenommen werden, um die Zustellung nachzuweisen. Auch insofern kann die Eröffnung neuer technischer Möglichkeiten also nur Vorteile bringen. 62 59 Hervorhebungen durch den Verfasser. 60 Näher hierzu unten, § 7. 61 Dem Verfasser sind aus eigener Erfahrung Gerichte bekannt, in deren täglicher Arbeit elektronische Datenverarbeitung nicht vorkommt.
4. Die Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten
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4. Die Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten Ein weiterer Vorschlag zur Verbesserung der internationalen Zustellung betrifft die Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten. Darunter ist zum einen zu verstehen, dass künftig auch mit unmittelbarer Zustellungs wirkung an einen größeren Personenkreis zugestellt werden können soll.63 Zum anderen betrifft die aufgeworfene Frage auch den Kreis von Zustellungsempfängern, an den ersatzweise zugestellt werden können soll. 64
a) Bisherige Regelungen Im deutschen Recht erfolgt bislang die direkte Zustellung nach den §§ 208, 170 Abs. 1, 186 ZPO. Demnach ist das zuzustellende Schriftstück dem Adressaten direkt zu übergeben oder bei verweigerter Annahme zurückzulassen. Damit ist die Zustellungswirkung eingetreten. Bei juristischen Personen erfolgt der "physische Teil" der Zustellung - also die Übergabe des Schriftstücks - an ihre Organe65 , wodurch gegenüber der juristischen Person die Zustellungswirkung eintritt. Die Ersatzzustellung kann bei natürlichen Zustellungsadressaten auf verschiedene Weisen erfolgen. Es kommt die Übergabe an zur Familie gehörende "erwachsene Hausgenossen" oder in der Familie dienende erwachsene Personen oder auch bei Annahmebereitschaft an den im selben Haus wohnenden Hauswirt oder Vermieter in Betracht (§ 181 ZPO).66 Ebenfalls ist die Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 182 ZPO) oder im Geschäftsraum des Adressaten (§ 183 ZPO) möglich. Bei juristischen Personen erfolgt die Ersatzzustellung an andere im Geschäftslokal anwesende Bedienstete (§ 184 ZPO).67
62 Die Sorge von De Leval, La mise en place du passeport judiciaire, S. 8, dass es sich bei der elektronischen Zustellung an den Zustellungsadressaten nicht um geschlossene, also "sichere" Systeme handele, ist unberechtigt. Durch die elektronische Signatur wird die Authentizität gesichert. Im übrigen kann auch bei der Postzustellung ein Brief jederzeit von Dritten geöffnet werden. Mit dem Empfangsbekenntnis wird jedenfalls sichergestellt, dass der Adressat das Schriftstück tatsächlich erhalten hat. 63 Etwa bei der Zustellung an Konzerne, bzw. deren Töchter, näher sogleich in diesem Abschnitt. 64 G. Geimer, S. 247 f. 65 Besteht ein Organ aus mehreren Personen, so reicht die Übergabe an eine von ihnen, vgl. § 171 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO; im englischen Recht erfolgt die Zustellung an ein Unternehmen ("company or other corporation durch Zurücklassen des Schriftstücks bei einer Person, "holding a senior position within the company orcorporation. ", rule 6.4 (4) CPR. 66 Vgl. ausführlich Frank, S. 33 f. 67 Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann-Hartmann, § 184 Rz. 51. H
)
158
§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
Betrachtet man die Zustellungen in anderen Prozessordnungen, so ergeben sich teilweise große Unterschiede, die vor allem die Ersatzzustellung betreffen. 68 So kann diese in englischen Verfahren nach freiem Ermessen des Gerichts erfolgen. 69 Dieses entscheidet, welche Form der Ersatzzustellung am besten geeignet ist, dem Adressaten Kenntnis vom Schriftstück zu verschaffen (role 6.8 (1) CPR). Durch diese Flexibilität könnte auch etwa ein Zeitungsinserat aufgegeben werden, wenn dies Erfolg versprechen würde. Es verschwimmen also die Unterschiede, die das deutsche Recht zwischen der "normalen" Ersatzzustellung und der öffentlichen Zustellung macht, wobei im englischen Verfahren der Schwerpunkt auf der tatsächlichen Kenntnisnahmemöglichkeit durch den Adressaten liegt und nicht so sehr auf der Einhaltung von gesetzlich vorgeschriebenen Förmlichkeiten. In anderen Prozessordnungen ist die Ersatzzustellung auch an Nachbarn des Zustellungsadressaten oder Hausmitbewohner zulässig, die in keinem besonderen Verhältnis zum Adressaten stehen.?O Zusammenfassend lässt sich der Kreis der Empfangsberechtigten bei der Ersatzzustellung auf Familienangehörige, Angestellte, Hausmitbewohner und Nachbarn sowie auf Prozess- oder Zustellungsbevollmächtigte "eingrenzen".?l Hinsichtlich der Zustellung an ausländische juristische Gesellschaften, die Tochtergesellschaften im Inland haben, ergeben sich ebenfalls verschiedenartige Regelungen. Zu betrachten sind vor allem die Unterschiede zwischen dem deutschen Recht, das den Zustellungsdurchgriff im Konzern nicht kennt72 , und dem angloamerikanische Recht, das erwartungsgemäß einen sehr flexiblen Weg wählt. Hiernach ist die Zustellung an die ausländische "Mutter" durch Übergabe des Schriftstücks an die inländische "Tochter,,?3 möglich?4 Ein aufsehenerregender Fall war in diesem Zusammenhang der Fall Schlunk v. Volkswagen AG, in dem eine Klage 68 Vgl. hierzu auch die rechtsvergleichende Übersicht bei NagellGottwald, IZPR, § 7 Rz. 29 ff. 69 Der große Ennessenspielraum des Gerichts wird bereits in rule 6.1 - der ersten Zustellungsvorschrift der 1999 eingeführten CPR - deutlich: "The rules in this Part apply to the service 0/ documents, except where [ ... ] (b) the court orders otherwise. "; zur Praxis der Ersatzzustellung im neuen englischen Prozessrecht: Sime, S. 77. 70 Vgl. NagellGottwald, IZPR, § 7 Rz. 29 ff. 71 Ebd. 72 Kondring, S. 175, 193,251; Wiehe, S. 73 ff.; G. Geimer, S. 150; es gibt allerdings Tendenzen, die Zulässigkeit - im Ergebnis - auch für das deutsche Zustellungsrecht zu bejahen, so stützt Otto, S. 170, seine positive Einschätzung auf § 173 ZPO - Zustellung an Generalbevollmächtigte. 73 Oder an einen "officer, managing or general agent" für das U.S.-amerikanische Bundesrecht (FRCP 4 (h) (1». 74 Vgl. für England die Wahlfreiheit in rule 6.2(2) CPR: "A company may be served by any method permitted under this Part as an alternative to the methods 0/ service set out in[ ... ] (c) Section 694 A 0/ that Act [Companies Act 1985] (service 0/ documents on companies incorporated outside the UK and Gibraltar and having a branch in Great Britain). "; für die U.S.A.: FRCP 4 (h) (1).
4. Die Erweiterung des Kreises der Empfangsberechtigten
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gegen die (deutsche) Volkswagen AG an die U.S.-amerikanische Tochter zugestellt worden war, was die U.S.-amerikanischen Gerichte für zulässig hielten. 75 Es ist also an der ausländischen Gesellschaft, ihre internen Strukturen so zu ordnen, dass solche Zustellungen auch die entscheidenden Personen im Unternehmen erreichen. 76 Damit wird wieder die Grundtendenz des anglo-amerikanischen Rechts deutlich: es wird auf die Eigenverantwortung der Parteien gesetzt.
b) Mögliche Neuerungen Bei der Neuregelung des europäischen Zustellungsrechts sollte auch die Frage der Zustellung an inländische Töchter ausländischer Gesellschaften einheitlich geregelt werden. Das Argument, bei der Zustellung über eine inländische Tochter handele es sich um eine reine Inlandszustellung 77 mag zwar formal richtig sein, weil diese Zustellungsform nur durch nationales Prozessrecht zugelassen wird, und die Zustellungswirkung im Inland eintritt. Diese vereinfachte Zustellung auf Kosten eines ausländischen Unternehmens sollte jedoch jedenfalls innerhalb der Union einheitlich geregelt und damit "abgefedert" werden, bevor die nationalen Prozessrechte der Mitgliedstaaten wegen der immer stärkeren Verflechtung der Wirtschaft gezwungen werden, eigene und damit uneinheitliche Regelungen zu treffen. Es entspricht der vom Europäischen Rat in Tampere festgelegten Marschroute, ebenso wie dem vom Amsterdamer Vertrag festgelegten Ziel des einheitlichen Raumes des Rechts 78 , dass solche flexiblen Zustellungen künftig erlaubt werden. Wie bereits die Kommission festgestellt hat, gibt es immer noch große Hemmnisse bei grenzüberschreitenden Prozessen, die die Etablierung eines gemeinsamen Marktes erschweren. 79 Es ist daher Aufgabe eines neuen Zustellungsrechts im Binnenmarkt, diese Hemmnisse abzubauen. Die Gelegenheit der Einführung eines einheitlichen Vollstreckungstitels sollte für eine solche Neuregelung genützt werden. Für die betroffenen Unternehmen würde diese Form der Zustellung keine unerträgliche Belastung darstellen. Denn wer die Größe und Organisation besitzt, ausländische Zweigstellen zu betreiben, der muss auch die Organisationsfahigkeit haben, ein gerichtliches Schriftstück in die richtigen internen "Kanäle" zu schicken. 8o Darüber hinaus kann der Zustellungsdurchgriff auch für 75 Volkswagen AG v. Schlunk, 486 U.S. 694 (1988), zur Zustellung: Stadler; S. 285, Fn. 71; Heß, NJW 2001,15,17, Fn. 25 . 76 Daher müssen deutsche Unternehmen nach Fusionen mit- oder Übernahmen von amerikanischen Unternehmen die internen Strukturen oftmals "wasserdicht" machen. Es wird bei solchen Umstrukturierungen sogar von "Firewalls" gesprochen, die die Folgen des Durchgriffs (nicht nur im Zustellungsrecht) abmildern sollen. 77 Bertele, S. 339. 78 Vgl. Art. 61 EG. 79 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 3 ff.
160
§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
das betroffene Mutterunternehmen einen Vorteil haben. Würde etwa als Alternative öffentlich zugestellt, wäre die Wahrscheinlichkeit der Kenntnisnahme durch das Mutterunternehmen erheblich geringer. Die Tatsache, dass das anglo-amerikanische Prinzip des Durchgriffs funktioniert, ohne dass der Kernbestand des Rechtsstaats gefährdet wird, zeigt, dass ein Umdenken möglich iSt. 81 Eine einheitliche Regelung im internationalen Zivilprozessrecht, wenigstens im Binnenmarkt, würde schließlich zu größeren Rechtsschutzmöglichkeiten 82 und zu größerer Rechtssicherheit führen.83 Es fragt sich schließlich, ob auch der Kreis der Personen erweitert werden soll, an welche ersatzweise zugestellt werden kann. Dies ist jedoch abzulehnen. Wie bereits herausgestellt, gibt es innerhalb der Union durchaus unterschiedliche Regelungen, wie weit der Kreis der Empfangsberechtigten gezogen wird. Gerade vor dem Hintergrund der Einführung eines einheitlichen europäischen Vollstreckungstitels muss man in dieser Hinsicht Vorsicht walten lassen. Notwendig ist, dass das Schriftstück mit maximaler Sicherheit und auf schnellstmöglichem Wege den Zustellungsadressaten erreicht. Wird ersatzweise mit Zustellungswirkung zugestellt, und die Ersatzperson unterlässt die Weitergabe des Schriftstücks, so droht dem Adressaten künftig noch mehr Ungemach als bislang. Durch den Wegfall des seiner Verurteilung bisher folgenden Exequaturverfahrens entfällt auch eine weitere Zustellungskontrolle. Das europäische Zustellungsrecht sollte sich daher darauf konzentrieren, den Personenkreis festzuschreiben, an den ersatzweise zugestellt werden darf, und dieser sollte nicht zu weit gezogen werden. Die Lösung, die etwa die ZPO gefunden hat, nämlich die Ersatzzustellung auf solche Personen zu beschränken, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Zustellungsadressaten stehen, hat sich bewährt und könnte als Vorbild dienen. 84 Nicht empfehlens80 In diesem Sinne für das französische Recht auch Normand, Observations sur la notification certifiee, S. 5; Ähnliche Auswirkungen hätte auch die "Wahllösung", nach der als Sitz eines Organmitglieds sowohl der Staat des Gesellschaftssitzes als auch der hiervon verschiedene Wohnsitzstaat des Organmitglieds anzusehen sei, G. Geimer; S. 249. 81 Dabei wird nicht verkannt, dass sich hierbei weitere Probleme ergeben können (das deutsche System der Rechtspersönlichkeit, Offenlegung von Beteiligungen), deren Diskussion jedoch den Vmfang der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Auch im V.S.-amerikanischen Recht muss der Kläger die Kontrolle des Mutterkonzerns über die inländische Tochter nachweisen, vgl. hierzu auch Bischof, S. 430. Das erstinstanzliche Gericht hatte im Fall Schlunk v. Volkswagen entschieden: "Volkswagen of America is a wholly owned subsidiary of Volkswagen AG, [ ... ] a majority of the members of the board of Volkswagen of America are members ofthe board ofVolkswagen AG, and [ . .. ] Volkswagen of America is by contract the exclusive importer and distributor of Volkswagen AG products sold in the United States. "; ausführlich hierzu Born, S. 823 ff. 82 Vor allem für den europäischen Verbraucher würde die Möglichkeit des Zustellungsdurchgriffs eine Erleichterung darstellen. 83 Treffend Bertele (zum Zuständigkeitsdurchgriff im Konzern), S. 237: "Das Ausmaß der rechtlichen Trennung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ist keine Naturkonstante. " 84 Dies wäre nicht zuletzt auch aus Gründen des Datenschutzes empfehlenswert. Zum Verhältnis von Zustellungsrecht und Datenschutz auch G. Geimer; S. 296 ff.
5. Partei vereinbarungen
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wert erscheint die grundsätzliche Zulässigkeit, ersatzweise an Nachbarn zuzustellen. 85 Man stelle sich vor, eine Zustellung erfolgt an einen Nachbarn in der Anonymität großer Wohnblöcke. Das dieser Form der Ersatzzustellung zugrundeliegende Kleinbürgeridyll mit funktionierender sozialer Kontrolle gehört in vielen Städten längst der Vergangenheit an.
5. Parteivereinbarungen
Ein Vorschlag, dessen Umsetzung das Zustellungsrecht effizienter gestalten könnte, ist die Zulassung von Parteivereinbarungen. Solche Vereinbarungen können dabei nicht nur die Einigung der Parteien eines Gerichtsverfahrens über die Kommunikationssprache, sondern auch die Wahl der Zustellungsform betreffen. Hinsichtlich der Sprachwahl wurden bereits einige Anmerkungen gemacht. 86 Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Parteien, sondern auch die Gerichte die zwischen den Parteien laufende Kommunikation verstehen können müssen. Die Anordnung von Übersetzungen nur im Einzelfall 87 könnte unpraktikabel sein und den Abschluss gerichtlicher Verfahren noch weiter verzögern. Anders hingegen sieht es bei der Zustellungsform aus. Weshalb sollten die Parteien nicht vereinbaren dürfen, auf welchen Wegen Schriftstücke übermittelt werden können? Ist der Grundsatz der Dispositionsbefugnis der Parteien im Zivilprozess nicht auch hierauf erstreckbar? Aus der Rechtsprechung, dass die Parteien nicht eine Notfrist von sich aus verlängern können 88 , folgt noch nicht zwangsläufig der Schluss, Parteivereinbarungen über die Zustellungsform seien per se unzulässig. 89 Und auch wenn eine der rule 4 (d) FRCP entsprechende formularmäßige Vereinbarung zwischen den Parteien, nach der vor dem eigentlichen Prozess bereits auf förmliche Zustellungen verzichtet werden kann, in Deutschland an § 308 Nr. 6 BGB scheitern würde 9o, so sollte es im Einzelfall doch möglich sein, detaillierte Zustellungsvereinbarungen zu treffen. Das bislang angeführte Argument, eine Partei könne -letztlich aus Gründen staatlicher Souveränität- nicht auf das Verfahren des § 199 ZPO verzichten, ist längst nicht mehr glaubwürdig, schlüssig im Sinne eines effizienten Zustellungsverfahrens war es noch nie. 91 Souveränitätsrechte spielen darüber hinaus im Rahmen des Binnenmarktprozesses keine Rolle 85 Wie dies etwa in Frankreich, Italien oder Spanien möglich ist, vgl. Nagel/Gottwald. IZPR, § 7 Rz. 35 ff. 86 Vgl. oben, § 3.6.b.aa.; § 4.4.c.aa. 87 Wie von Gottwald. Festschrift Schütze, S. 233 vorgeschlagen. 88 BGH NJW 1994,2296. 89 Schlosser; Festschrift Matscher, S. 392. 90 Vgl. Heß. NJW 2001,15,22, Fn. 105. 91 Dies hat bereits Schlosser; Festschrift Matscher, S. 392 nachgewiesen; diese Feststellung gilt jedenfalls für Binnenmarktverfahren.
11 Shanna
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§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
mehr. Falls die Parteien mittels Brieftauben kommunizieren wollten, sollte ihnen das ebenso möglich sein, wie der Einsatz neuer elektronischer Übertragungswege. Wichtig ist nur, dass die Verteidigungsrechte gewahrt bleiben und die staatliche Ressource "Gerichtsverfahren" nicht durch die Parteivereinbarung über Gebühr be- und überansprucht wird. Bislang müsste für alternative Zustellungswege -falls die Zustellung überhaupt durch die Partei erfolgen konnte 92 - auf das Institut der rügelosen Einlassung zurückgegriffen werden, wenn man § 199 ZPO für abbedingbar hielte. 93 Mit der grundsätzlichen Zulässigkeit von Partei vereinbarungen hinsichtlich der Zustellform, die auch positiv festgeschrieben wird, könnte eine Deregulierung erreicht werden, die nicht auf Kosten der Sicherheit gehen muss. Die Erfahrungen aus der Schiedsgerichtsbarkeit zeigen dies. 94 Die Zulassung solcher Parteivereinbarungen wäre mithin ein Schritt in Richtung der größeren Bedeutung der Parteizustellung. An größerer Verantwortung der Parteien im Zivilprozess ist aber nichts auszusetzen. 95
6. Der Vorschlag G. Geimers für ein neues Zustellungsübereinkommen In einer großen Untersuchung hat G. Geimer das allgemeine internationale Zustellungsrecht betrachtet und dabei auch einen eigenen Textvorschlag für eine internationale Zustellungskonvention ausgearbeitet. 96 Einige wesentliche Punkte sollen im Folgenden auch auf ihre Tauglichkeit für den Binnenmarktprozess untersucht werden. 97
a) Der Ansatz Der Textvorschlag verfolgt den Ansatz, weder verbindliches "Zustellungsgesetz" noch "Rahmengesetz" für die internationale Zustellung zu sein. 98 Vielmehr seien die Regelungen "permissiv". Dies bedeutet, dass den Mitgliedstaaten des Konventionsentwurfes durch Art. 15 freigestellt wird, ob sie die angesprochenen Formen der Direktzustellung in ihr nationales Recht übernehmen wollen. Lediglich einige wenige Bereiche sollen verbindlich geregelt werden. Diese betreffen Hierzu näher unten, § 7.2. Vgl. Frank, S. 34. 94 Gottwald, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 72. 95 Im Ergebnis ebenso: Geimer, IZPR, Rz. 2101. 96 G. Geimer, S. 301 ff. 97 Dabei wird nicht verkannt, dass G. Geimer zum einen keinen besonderen Fokus auf die EU legte, und zum anderen die Pläne für einen Europäischen Vollstreckungstitel damals wohl noch nicht bekannt waren. 98 G. Geimer, S. 311. 92 93
6. Der Vorschlag Geimers für ein neues Zustellungsübereinkommen
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die Heilung von Zustellungsmängeln, die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Nichtvollstreckbarkeit von im Ausland zugestellten Subpoenas und Antisuit Injunctions. 99 Im Übrigen wird auf die nationalen Prozessrechte gesetzt. G. Geimer verfolgt mit diesem Ansatz ein gut nachvollziehbares Ziel. Angesichts der bisherigen, immer noch von starken Souveränitätsvorbehalten behinderten Strukturen im internationalen Zustellungsrecht, will er Formen der Direktzustellung nur nach und nach, also vorsichtig, einführen. Diese Strategie mag für das allgemeine internationale Zivilprozessrecht aufgehen. Für den Binnenmarktprozess ist sie jedoch nicht brauchbar. Innerhalb des Europäischen Binnenmarktes hat die Integration des Zivilprozesses mittlerweile stark an Fahrt gewonnen. 100 Das nächste große Projekt, die Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels bzw. die Einführung bedingungsloser Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, erfordert ein Höchstmaß an Rechtssicherheit im gesamten europäischen Justizraum. Daher kommt auch der Zustellung mit ihrer Dokumentation auf einem "feuille de route" große Bedeutung zu. Eine verbindliche und einheitliche Regelung der zentralen Fragen der Zustellung ist daher notwendig. 101 In einer Zustellungsverordnung muss folglich den nationalen Gerichten mit unmittelbarer Wirkung die Zustellung vorgeschrieben werden. Bleibt es bei uneinheitlichen Umsetzungen von internationalen "Prinzipien" in den Mitgliedstaaten, werden weder Bürger noch Gerichte Vertrauen in den Binnenmarktprozess entwickeln. Nur die europaweit einheitliche, direkte und unmittelbar wirkende Regelung des Zustellungsrechts wird die Akzeptanz eines einheitlichen Vollstreckungstitels mit sich bringen.
b) ZustellungsJormen
In dem Textvorschlag werden verschiedene Formen der Zustellung angesprochen. So soll zunächst eine Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertreter (Art. 2), direkt durch die Post (Art. 3), durch "Telekopie" (Art. 4), elektronisch (Art. 5) oder von Anwalt zu Anwalt (Art. 6) zulässig sein. Außerdem werden öffentliche Zustellungen (Art. 7) in einem Zentralregister der Mitgliedstaaten des Übereinkommens gespeichert. Eine Zustellung über Rechtshilfeersuchen ist im Textvorschlag nicht vorgesehen. Dies liegt daran, dass die neue Zustellungskonvention lediglich zur Ergänzung bestehender Übereinkommen dienen soll und sie gemäß Art. 14 diese " unberührt" lässt. Abgesehen von der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die genannten Formen der Direktzustellung auszuschließen (Art. 15)102, eignen sich diese auch nicht als Re99
Ebd.
wo Vgl. Heß, NJW 2000, 23 ff. 101 11*
Heß, NJW 2001, 15,22.
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§ 6 Weitere Vorschläge zur Verbesserung des Zustellungsrechts
gelfälle für die Zustellung im Binnenmarkt. Es ist wieder darauf hinzuweisen, dass durch die Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels die Zustellung als Sicherung grundlegender Verfahrensrechte stark aufgewertet werden wird. Zur Gewähr der Beteiligtenrechte sind daher möglichst alle Unsicherheitsfaktoren auszuschließen. Dies können die Formen der Direktzustellung jedoch nicht leisten. Angebracht wäre daher, eine Zustellung über eine Amtsperson, wie sie Art. 15 EZVO ausnahmsweise vorsieht, als Regelfall einzuführen. 103 Problematisch erscheint darüber hinaus auch die Einführung eines Zentralregisters aller Mitgliedstaaten für öffentliche Zustellungen (Art. 7 Abs. 1). Zwar müssen die Vertragsstaaten nach Art. 13 "ausreichenden Datenschutz nach Maßgabe ihres nationalen Rechts" sicherstellen, aber eben nur nach dieser Maßgabe. Je nachdem, welche Staaten Vertragsstaaten werden 104, kann der Datenschutz höchst unterschiedlich ausfallen.
c) Fazit
Der Textvorschlag eignet sich nicht für eine Neuregelung des Zustellungsrechts im Binnenmarkt. Er beschränkt sich zu sehr auf die Empfehlung von Prinzipien und lässt solche Regelungen, die für einen einheitlichen Binnenmarktprozess unbedingt notwendig sind, unberücksichtigt. Auch erscheint problematisch, dass die Konvention neben anderen, bereits bestehenden Übereinkommen stehen soll. Wenn zusätzlich die Vertragsstaaten auch noch einzelne oder alle angesprochenen Zustellungsformen ausschließen können, erfolgt genau das, was oft kritisiert wurde. Das internationale Zustellungsrecht wird noch unübersichtlicher, als es bislang der Fall war.
Was zur uneinheitlichen Anwendung führen würde, hierzu bereits oben, § 6.6.a. Vgl. hierzu unten, § 7.2.d. 104 Außerhalb der Europäischen Union sind die datenschutzrechtlichen Unterschiede mangels Harmonisierungsmaßnahmen (vgl. die Richtlinie 95 /46/ EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, Amtsblatt der EG Nr. L 281 vom 23. November 1995, S. 31, und die Richtlinie 97/ 66/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation vom 15. Dezember 1997) noch weitaus größer, auch wenn sich zahlreiche internationale Gremien mittlerweile mit diesem Thema beschäftigen (z. B. OECD, Europarat, WTO, EFfA oder das Internationale Arbeitsamt). 102 103
§ 7 Die beste Lösung: Eine strukturelle Reform
des Europäischen Zustellungsrechts Ausgehend von den Ergebnissen der bisherigen Untersuchung lässt sich nunmehr auch ein Zustellungssystem skizzieren, das den zukünftigen Anforderungen des Binnenmarktprozesses entspricht. Als kritische Elemente haben sich dabei erwiesen, dass die herkömmliche internationale Zustellung zu ineffizient ist, weil sie nach dem Rechtshilfeprinzip über zu viele Prüfstellen läuft. Außerdem muss die Zustellung im Angesicht der Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels bei gleichzeitigem Wegfall des Exequaturverfahrens ein Höchstmaß an Sicherheit und ein sehr hohes Maß an Einheitlichkeit gewährleisten.
1. Das bisherige System der internationalen Rechtshilfe Im Rahmen des Prinzips der Rechtshilfe erfolgt die Zustellung bisher langsam und ineffizient. Besonders hinderlich ist, dass -etwa bei Zustellungen nach dem HZÜ- etliche Prüfungsstellen zwischengeschaltet sind, bis endlich der "Kern" der Zustellung, nämlich die Übergabe des Schriftstücks an den Adressaten, erfolgt. Hier setzt zwar auch die EZVO an, indem sie den direkten Behördenverkehr zwischen den Gerichten zulassen will. Außerdem soll die Übermittlung von Schriftstücken zwischen Übermittlungs- und Empfangsstellen durch neue Technologien stark beschleunigt werden. Zukünftig sollte aber noch ein Schritt weiter gegangen werden. Das europäische Zustellungsrecht sollte -bei unbedingter Sicherung der bereits ausführlich geschilderten Verfahrensrechte der Beteiligten- auf eine größere Eigenverantwortung der Parteien setzen.
2. Neue Strukturen: Subsidiarität der staatlichen Rechtshilfe In einem neuen Zustellungssystem sollte daher die traditionelle staatliche Rechtshilfe eine subsidiäre Rolle spielen.
a) Der Zweck des Zivilprozesses
Es ist in diesem Zusammenhang hilfreich, sich erneut den Zweck eines Zivilprozesses vor Augen zu halten. Zwar hat die staatliche Zivil gerichtsbarkeit auch eine
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§ 7 Die beste Lösung: Eine strukturelle Refonn
gesellschaftliche Funktion. 1 Sie kanalisiert die Ansprüche von Parteien in einem geregelten und verlässlichen Verfahren und sorgt so für Ruhe und Ordnung, wo früher Faustrecht herrschte. Der Kern des Zivilprozesses und seiner Regelungen ist jedoch, den Streitparteien ein geordnetes Verfahren zur Entscheidung ihres Streits zur Verfügung zu stellen. 2 Das Zivilprozessrecht ist damit eine "Dienstleistungsordnung" für die ihm unterworfenen Personen. Dass der erstgenannte Zweck des Zivilprozesses, die gesamtgesellschaftlich-ordnende Funktion, mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden ist und damit auch im gesellschaftlichen Bewusstsein immer weiter in den Hintergrund tritt 3 , wird durch die immer größer werdende Bedeutung privater Formen der Konfliktbeilegung, wie Schiedsgerichtsbarkeit, Schlichtung oder Mediation deutlich. 4 Die Tatsache, dass solche Formen immer stärker Fuß fassen und mittlerweile sogar als Voraussetzung für ein gerichtliches Verfahren durchlaufen werden müssen5 , zeigt eine hoch entwickelte Streitlösungskultur: der unmittelbare staatliche Zwang in Form des Gerichts erscheint (zunächst)6 nicht mehr nötig. Diese Streitbeilegungsverfahren verdeutlichen jedoch ein weiteres: bei der Behandlung eines Konflikts zwischen Privatpersonen geht es um eine Dienstleistung im engsten Sinne des Wortes: es muss eine verlässliche Lösung des Disputs zur Verfügung gestellt werden.?
b) Die Verschiedenartigkeit der Lösungen
Übersetzt man diese Beobachtungen in das Zustellungsrecht, so kommt man zwangsläufig zu einem Schluss: die Parteien sollten den Großteil der VerantworI Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 270, nennt diese Funktion auch "Friedensfunktion", "Streitschlichtungsfunktion" oder "Konfliktlösungsfunktion". 2 Ders., S. 238 ff. 3 Dies mag im Straf- oder Verwaltungsprozess anders sein. 4 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 271 f., beschreibt sogar eine Wechselbeziehung zwischen der Funktion der Durchsetzung subjektiver Rechte und der Friedensfunktion: "Eine - freilich näherer Spezifikation bedüifende - Friedensfunktion des Zivilprozeßrechts läßt sich sinnvoll nicht bestreiten. Indessen erscheint sie eher als Mittel des Schutzes subjektiver Rechte denn als eigenständiger Zweck des Veifahrens. " 5 Vgl. etwa in Baden-Württemberg das seit 1. Oktober 2000 in Wirkung getretene Schlichtungsgesetz bei Streitigkeiten mit geringen Streitwerten. 6 Anders im Zwangsvollstreckungsverfahren: hier ist eine Durchführung durch Private undenkbar, weil damit das GewaItmonopol des Staates gefährdet würde. 7 Für den staatlichen Zivilprozess bedeutet dies: "Das Prozeßrecht bedient sich bei der Verwirklichung des materiellen Rechts subjektiver prozessualer Rechte, etwa des Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Der Zivilprozeß kann nicht nur, er muß sogar der Verwirklichung dieses Rechts dienen, denn erst durch die Einräumung eines solchen Rechts wird das Veifahren rechtsstaatlich. ", Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 243.
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tung im Streitlösungsverfahren - regelmäßig also im Zivilprozess - selbst tragen. Denn es sind ihre privaten Ansprüche, die sie durchzusetzen haben. Die bisher größtenteils gerichtliche Besorgung des Zustellungsvorgangs, die Ausgangspunkt vieler Verzögerungen ist, sollte zurück in die Hände der Parteien gegeben werden. Besonders das anglo-amerikanische Recht zeigt, dass über eine solche Verlagerung von Verantwortung im Bereich der Zustellungen nachgedacht werden kann.
aa) Ein kurzer Überblick: das anglo-amerikanische Zustellungsrecht in Zivil- und Handelssachen Betrachtet man als Beispiel zunächst das englische Zustellungsrecht8 , so ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es in seiner Struktur dem kontinentaleuropäischen Regel- / Ausnahmeverhältnis entspricht. 9 Das neue englische Zivilprozessrecht hat die bisher unterschiedlichen Regelungen für den High Court und die County Courts auf Grundlage des Woolf-Reports weitgehend vereinheitlicht. 10 Die grundlegenden Zustellungsregelungen finden sich in Part 6 der Civil Procedure Rules (CPR).l1 Nach rule 6.3 (l) CPR werden Zustellungen grundsätzlich durch das Gericht ausgeführt. Von dieser Regel können Ausnahmen gemacht werden: wenn eine speziellere Regelung die Parteizustellung anordnet 12 , wenn die die Zustellung veranlassende Partei dies beantragt 13 , wenn eine richterliche Verfahrensregel anderes bestimmt l4 , wenn das Gericht anderes entscheidet l5 oder wenn es dem Gericht nicht gelungen ist, das Schriftstück zuzustellen l6 . Hinsichtlich der Auslandszustellung im Rahmen völkerrechtlicher Vereinbarungen legen die rules 6.18 ff. CPR die in den Übereinkommen vereinbarten Verfahrensweisen fest. I7
8 Dargestellt werden nur die grundlegenden Regelungen, die nunmehr auf alle Verfahren vor High Court und County Courts Anwendung finden. 9 Einschlägige Darstellungen, wie etwa in Frank, S. 42 ff., haben die große Reform des englischen Zivilprozessrechts auf Grundlage des Woolf-Reports noch nicht eingearbeitet. Seit April 2000 ist die Reform, vgl. The Civil Procedure Act 1997 (Commencement No. 2) Order 1999, s. 3 und die verschiedenen Amendments, nunmehr gänzlich in Kraft getreten. 10 Zum Aufbau der englischen Zivilgerichtsbarkeit vgl. etwa Grafvon Bemstorff, S. 17 ff., S. 158 ff. 11 CPR, amended by the Ci vii Procedure (Amendment No. 2) Rules 2000, the Civil Procedure (Amendment No. 3) Rules 2000, the Civil Procedure (Amendment No 4) Rules 2000. 12 rule 6.3 (1) (a) CPR. 13 rule 6.3 (1) (b) CPR. 14 rule 6.3 (1) (c) CPR. 15 rule 6.3 (1) (d) CPR. 16 rule 6.3 (1) (e) CPR. 17 Die Überschrift lautet: Special Provisions about Service out of the lurisdiction.
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Die Regelungen zeigen, dass im Vereinigten Königreich eine vielseitige Annäherung an das Zustellungsrecht als erfolgversprechend, weil effizient, angesehen wird. Je nach Sachverhalts-Konstellation können entweder die Gerichte mit der Zustellung eines Schriftstück betraut, oder aber die weniger förmlichen Möglichkeiten einer Parteizustellung angewandt werden. Eine noch größere Flexibiltät gewährt das U.S.-amerikanische (Bundes-) Recht. 18 Eine Klage wird bereits durch Einreichung des Schriftsatzes bei Gericht rechtshängig, während die Zustellung lediglich der Realisierung der Prozesshandlung durch den Zustellungsempfänger dient. 19 Darüber hinaus wird dem Beklagten zu Beginn eines Zivilprozesses ein sogenannter" waiver of service ", also eine Erklärung, durch die er auf förmliche Zustellungen verzichtet, nahegelegt. 2o Erklärt er seinen Verzicht nicht, so können ihm die durch die Zustellung verursachten Kosten auferlegt werden, wenn dem keine wichtigen Gründe ("good cause") entgegenstanden?1 Besondere Aufmerksamkeit verdient die Regel, nach der die Benachrichtigung über die Klageerhebung von jeder Person, die nicht Partei und mindestens 18 Jahre alt ist, formungebunden bewirkt werden kann. Rule 4 (c) (2), Sätze I und 2 FRCP statuieren: "Service may be effected by any person who is not a party and who is at least 18 years of age. At the request of the plaintiff, however, the court may direct that service be effected by a United States marshai, deputy United States marshai, or other person or officer specially appointed by the court for that purpose."
Dass also grundsätzlich die (klagende) Partei für die Zustellung verantwortlich ist, ergibt sich bereits aus dieser Regel. Ihre Pflicht wird aber auch ausdrücklich in rule 4 (c) (1) Satz 2 FRCP erwähnt: "The plaintiff is responsible for service of a summons and complaint within the time allowed under subdivision (m) and shall fumish the person effecting service with the necessary copies of the summons and complaint."
Das Regel- / Ausnahmeverhältnis hinsichtlich der Amts- und Parteizustellung ist also umgekehrt sowohl zum deutschen 22 als auch zum englischen Zustellungsrecht. Bei letzteren bleibt es bei der grundsätzlichen Zustellung durch das Gericht. Während jedoch das deutsche Zustellungsrecht auch nach seiner Reform bei der
Schack, Einführung" S. 36. Nagel/Gottwald, IZPR, § 7 Rz. 18. 20 Rule 4 (d) FRCP. 21 Rule 4 (d) (2) FRCP. 22 Nach alter Rechtslage stellte das deutsche Zustellungsrecht zwar den Grundsatz der Parteizustellung auf. Die Rechtswirklichkeit sah aber genau umgekehrt aus: tatsächlich fand im Erkenntnisverfahren, bis auf § 699 Abs. 4 ZPO nach Antrag der Partei, die Amtszustellung Anwendung; vgl. auch oben, § 5.I.a. 18 19
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strengen Amtszustellung bleiben solf3 , erlaubt das englische Recht in großzügigerer Form die Zustellung durch die Partei, wenn sie dies beantragt. Die genannten Regeln aus dem englischen und U.S.-amerikanischen Zustellungsrecht zeigen, dass, bei Gewährleistung rechtstaatlicher Verhältnisse, eine flexiblere Sicht der Dinge möglich ist. Sie verspricht höhere Effizienz. Dennoch können solche Regelungen nicht kritiklos übernommen werden. Denn wie gesehen, erfordern die anstehenden Neuerungen des europäischen Zivilprozesses Antworten auf bisher unbekannte Fragen. Eine der Errichtung eines einheitlichen, grenzüberschreitenden Titels in Europa ähnliche Reform gab es bislang noch nicht. Mindestens 15 verschiedene 24 , hochentwickelte Verfahrensrechte müssen abgestimmt und das Vertrauen von Rechtsunterworfenen und Rechtsanwendern gewonnen werden. Daher sind bestimmte Förmlichkeiten unbedingt notwendig einzuhalten.
bb) Der Gegensatz: der deutsche Grundsatz der Amtszustellung Vergleicht man das soeben dargestellte amerikanische Zustellungsrecht mit dem deutschen Grundsatz der Amtszustellung im Erkenntnisverfahren, wird trotzdem die gesamte Unflexibilität der reinen Amtszustellung deutlich. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass letztere eine große Gewähr für die Sicherheit der Übermittlung bietet, was insbesondere beim neu einzuführenden einheitlichen europäischen Vollstreckungstitel von großer Bedeutung ist. Der Umweg über die Gerichte und, bei der Auslandszustellung, über die Prüfstellen bei Übermittlungs- und Empfangsbehörden stört die Effizienz des Zustellungsvorgangs jedoch erheblich. Wie gesehen, wäre, bei nach wie vor sicherer Zustellung, eine größere Partei verantwortung möglich, und zwar mit dem im Folgenden beschriebenen Verfahren.
c) Folgen für die Struktur europäischer Zustellungen
Die Parteiverantwortung im europäischen Zivilprozess wird künftig zwangsläufig zunehmen. Mit dem Abbau der zwischenstaatlichen Schranken, die bislang, etwa durch Art. 27 EuGVÜ in Verbindung mit den entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschriften25 , den ausländischen Beklagten schützten, erhöht sich bereits dessen Verteidigungslast vor dem ausländischen Prozessgericht erheblich.
23 Angepasst wurde lediglich die Rechtslage an die Rechtswirklichkeit, vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren, S. 26, S. 29. 24 Nach der ersten Erweiterungsrunde beträgt die Zahl der zu integrierenden Prozessrechte 25. 25 In der Bundesrepublik sind dies die Vorschriften des AVAG.
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Auch die Verantwortlichkeit der die Zustellung veranlassenden Partei sollte jedoch durch die Übertragung der Sorge für Ordnungsgemäßheit der Übermittlung gestärkt werden. Das hierfür am besten geeignete Zustellungs verfahren wäre die direkte Beauftragung der ausländischen, die Zustellung bewirkenden Amtsperson. Diese könnte in Frankreich beispielsweise der huissier de justice sein, in Deutschland der Gerichtsvollzieher. Diese Möglichkeit findet sich auch bereits in Art. 15 EZVO?6 Ein solcher direkter Kontakt zwischen der die Zustellung veranlassenden Partei und der die Zustellung ausführenden Person wird allen Seiten gerecht. Auf der Seite der die Zustellung veranlassenden Partei entfallen einige der bislang notwendigen Stationen des Zustellungsvorgangs. Die Zustellung kann dadurch beschleunigt werden. Des weiteren erhält die Partei ein hohes Maß an Flexibilität hinsichtlich des Zeitpunkts und der Umstände der Zustellung. In diese Richtung plädierte auch bereits die Stonne-Kommission mit ihren Vorschlägen für ein europäisches ZivilverfahrensrechtY Diese "Entstaatlichung" des Zustellvorgangs würde den Zivilprozess auch zu dem zurückführen, was er eigentlich darstellt: zu einem Verfahren, das die sichere und rechtsstaatliche Lösung von Konflikten zwischen privatrechtlich agierenden Personen ermöglicht. Auch in dieser Hinsicht spricht nichts dagegen, bei förmlichen Zustellungen die Parteizustellung vom Zwangsvollstreckungsverfahren auch auf das Erkenntnisverfahren auszuweiten. Auf der Seite des Zustellungsempflingers hingegen, sorgt die Durchführung der Zustellung durch eine Amtsperson auf keinen Fall für eine Verringerung der Zustell sicherheit. Der Grundsatz des fairen Verfahrens28 würde dem nicht entgegenstehen. Dies ist gerade im Hinblick auf die Einführung eines ohne Exequaturverfahren vollstreckbaren, europäischen Titels von entscheidender Bedeutung. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass diese Form der Zustellung auch der Struktur des europäischen Marktes der Wirtschaftskanzleien entspricht29 : viele der Rechtsanwaltskanzleien, die mit grenzüberschreitenden Verfahren befasst sind, sind in mehreren europäischen Ländern vertreten oder haben sich zu internationalen Netzwerken zusammengeschlossen. Für sie sollte es daher keine Schwierigkeit darstellen, eine Zustellung im Ausland in der genannten Art zu veranlassen. Für solche Anwälte, die noch nicht über diese internationalen Möglichkeiten verfügen, ist es erforderlich, dass sie sich auf die Anforderungen der Zukunft, und damit ein Dieser ist allerdings nach Art. 15 Abs. 2 EZVO von den Mitgliedstaaten ausschließbar. Vgl. oben, § 4.2.a. 28 Art. 6 EMRK, Art. 47 EGC. 29 Es könnte eingewandt werden, dass es sich bei diesem Argument eher um "Begleitmusik" zu einem neuen Zustellungsrecht handele. Die Bedeutung der Zivilprozessrechtsharmonisierung für die rechtsberatenden Berufe ist jedoch nicht zu unterschätzen, vgl. etwa Kerameus, Die Angleichung des Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches, S. 85, S. 87, S. 91; Heß, NJW 2001, 15,21. 26
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gewandeltes Berufsbild, einstellen. Die Zeiten voneinander getrennter Rechtsmärkte innerhalb Europas sind vorüber. Um letztgenannte Anwälte nicht aus dem Markt zu drängen, sollte allerdings auch weiterhin eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe, die über die Gerichte beantragt und durchgeführt wird, möglich bleiben. Dies führt auch zu einer weiteren Herausforderung, die ein neues Zustellverfahren im genannten Sinn mit sich bringen würde: die klagende Partei hat durch die Befassung mit der Zustellung zunächst höhere Kosten zu tragen. Neben der Beauftragung der Anwaltskanzlei steht auch noch die Bezahlung der Zustellperson im Raum. Auch um den Zugang zum Recht für finanziell schwächere Parteien nicht zu erschweren, ist es daher ebenfalls erforderlich, die Möglichkeit der Zustellung im Wege der Rechtshilfe beizubehalten. Diese gewährt ein ebenso hohes Maß an Sicherheit wie die Direktbeauftragung der Zustellperson. Es ist dabei zuzugeben, dass die Effizienz der nach dem Rechtshilfeprinzip durchgeführten Zustellung vermutlich geringer ist, als diejenige bei der direkten Beauftragung der Zustellperson durch die Partei. Denn darin besteht ja gerade ein gewichtiges Argument für die Einführung der Parteiverantwortung. Auf der anderen Seite verschlechtert sich die Lage gegenüber der jetzigen Situation keinesfalls. Dieses Argument kann daher auch einer teilweisen Verbesserung der internationalen Zustellung durch das neue Zustellungssystem nicht entgegenstehen. Die unmittelbare Zustellung auf Antrag einer Partei findet sich auch bereits in Art. 15 Abs. 1 EZVO. Nach der Systematik der Verordnung ist sie jedoch lediglich subsidiär zur rechtshilferechtlichen Zustellung anwendbar. Darüber hinaus kann sie gemäß Art. 15 Abs. 2 EZVO von den Mitgliedstaaten ausgeschlossen werden. 3o Es bedarf also tatsächlicher Änderungen, um dieser Zustellungsform zum Erfolg zu verhelfen. Die Ausnahme muss die Regel werden, die nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Die Mitgliedstaaten sollten verpflichtet werden, sie bei internationalen Zustellungen innerhalb der Union grundsätzlich zuzulassen. 3 ! Die Ansicht, dass eine Verlagerung der Zustellung in den Verantwortungsbereich der Parteien nicht in einem neuen Zustellungsrecht festgeschrieben werden sollte, weil sie den Bewegungsspielraum der nationalen Gesetzgeber einschränke32 , trifft für das 30 Von der Ausschlussmöglichkeit hat die Bundesrepublik auch bei der inhaltsgleichen Regelung des Art. 10 lit. c HZÜ Gebrauch gemacht. 31 Anders noch nach der bisher vorgesehenen Regelung in Art. 15 EZVO, vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 99/0102 (CNS), S. 22: "Dieser Artikel ist nicht so auszulegen, daß damit eine Rechtsgrundlage geschaffen würde, die es gestattet, daß ein Schriftstück von einer Partei unmittelbar einer Amtsperson übermittelt wird. Eine solche unmittelbare Übermittlung ist nämlich nur dann ordnungsgemäß, wenn sie mit den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren stattfindet, im Einklang steht. " 32 Vgl. G. Geimer, S. 259: "Doch sollte man in diesem Punkt von einer Festlegung auf völkerrechtlicher Ebene absehen, um den Bewegungsspielraum der nationalen Gesetzgeber nicht über Gebühr einzuschränken. "
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vergemeinschaftete Prozessrecht der Union nicht zu. Im Interesse eines einheitlichen Raumes des Rechts ist eine Vereinheitlichung der Zustellungsvorschriften, die zwangsläufig eine Einschränkung für die nationalen Prozessrechte mit sich bringt, notwendig. Die Tatsache, dass auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis eine Direktbeauftragung der Zustellperson durch die Parteien nicht zum Verlust der Rechtsstaatlichkeit im Zivilprozess geführt hat, macht deutlich, dass auch innerhalb der Union über diesen Weg nachgedacht werden sollte. Dabei ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass die Zustellungssysteme Folge der untschiedlichen Rechtsfamilien common law und civillaw wären. 33 Denn auch in Deutschland ist bereits eine Direktbeauftragung durch die Partei möglich, wenn auch nicht die Regel. 34 Entscheidend für eine Prozessrechtsangleichung ist in diesem Zusammenhang, dass die Zustellung sowohl im anglo-amerikanischen Rechtskreis als auch im civil law grundsätzlich die gleiche Funktion hat, nämlich die Information des Empfängers und die Eröffnung der Möglichkeit der Verfahrensfortsetzung auf der Klägerseite. Wenn in der Literatur als Grundsatz des europäischen Verfahrensrechts genannt wird: "Das Recht auf ein faires Verfahren, in dem die Parteien nicht Objekte, sondern Subjekte des Prozesses sind [ . .. ]; ,,35, so ist dessen logische Folge ebenfalls eine größere Parteiverantwortung. Auch in diesem Kontext wäre der Direktkontakt zwischen Partei und Zustellperson also folgerichtig. d) Die Praxis: Dreiteilung des Zustellungsrechts?
Bei der Erwägung, ein neues Prinzip bei der internationalen Zustellung im Binnenmarkt einzuführen, muss allerdings beachtet werden, dass ein Systemwechsel für den nationalen deutschen Zivilprozess wohl kaum realistisch ist. 36 Dies wird dazu führen, dass das Zustellungsrecht künftig zwei- oder dreigeteilt sein wird. 3? 33 Vgl. auch Kerameus, Die Angleichung des Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches, S. 85, S. 88, der die Diskussion über einige bislang sicherlich als grundlegend eingestufte Unterschiede zwischen common law und civillaw eher als rechtspolitische Herausforderung denn als rechtssystematisch unvereinbare Divergenzen ansieht: "Sie [die Verfahrensrechtsangleichung] setzt aber voraus, daß ein Grundkonsens über die Aufgaben der Justiz, vor allem im Hinblick auf andere Staatsfunktionen bzw. gesellschaftliche Mächte, erreicht werden kann. " 34 Vgl. auch Heß, NJW 2001, 15, 21, Fn. 90, der zurecht auf diese Möglichkeit für die ausländische Partei hinweist. 35 Habscheid, S. 456. 36 Dies umso mehr, wenn man das ZustRG betrachtet, das gerade auf die Amtszustellung als Grundsatz umgestellt wird, vgl. oben § 5.l.a. 37 Vgl. hierzu auch Kerameus, Die Angleichung des Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches, S. 85, S. 93, der davon ausgeht, dass es "innerhalb der im fortgeschrittenen Integrationsstadium befindlichen Europäischen Union keine wirklich transnationalen Fälle mehr geben [wird]".
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Zum einen wird es bei der herkömmlichen Amtszustellung im nationalen Verfahren bleiben. Die Amtszustellung sollte auch im Hinblick auf die internationale Zustellung in oder aus Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union oder eines Assoziierungsübereinkommens sind, beibehalten werden, ergänzt durch das Rechtshilfeverfahren. Auf der anderen Seite wird für die Zustellung ins EU-Ausland künftig die die Zustellung veranlassende Partei 38 verantwortlich zeichnen. Praktische Probleme sind dabei nicht ersichtlich: die Partei lässt sich das zuzustellende Schriftstück vom Prozess gericht zertifizieren und beauftragt sodann die ausländische Zustellperson. Der einzige technische Unterschied zur herkömmlichen Amtszustellung liegt darin, dass in letzterer das Schriftstück beim Gericht verbleibt, und die Geschäftsstelle für die Zustellung oder Übermittlung sorgt. Freilich dürfte die zweite Variante -im Hinblick auf Auslandszustellungen- weniger flexibel und effizient sein, als die erste. Abschließend bleibt in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auch nach dem bisherigen, zweigeteilten System (nationaler Prozess / internationaler Prozess) praktisch zwei Zustellungssysteme mit völlig eigenen Regeln Anwendung fanden. Denn die langsam mahlenden Mühlen der Rechtshilfe sind kaum mit der normalen Zustellung im innerdeutschen Prozess zu vergleichen. Daher sollte die Hinzufügung eines "Binnenmarktsystems" keine Überforderung der Justiz oder der Parteien darstellen, zumal die Gerichte bis auf die Zertifizierung mit der Zustellung nicht belastet würden. Und ob der Aufenthaltsstaat eines Zustellungsempfängers Mitglied der Europäischen Union oder eines Assoziierungsübereinkommens ist, lässt sich einfach feststellen. Optimisten erwarten ohnehin ein wirklich umfassendes und allgemein anwendbares europäisches Zivilverfahrensrecht, mit dessen Einführung auch eine Erleichterung der Rechtspraxis einhergehen wird: "Sodann wird man glücklich sein, einer zusätzlichen Definitionsschwierigkeit, nämlich zwischen den nationalen und den transnationalen Streitigkeiten, durch die allgemeine Anwendbarkeit des (auch nur teilweise) angeglichenen Zivilverfahrensrechts aus dem Wege zu gehen.,,39
Bzw. ihr Prozessbevollmächtigter. Kerameus, Die Angleichung des Zivilverfahrensrechts in der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches, S. 85, S. 93 . 38
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§ 8 Zusammenfassung Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Ursache der Diskussion über die internationale Zustellung in Zivil- und Handelssachen im staatlichen Souveränitätsprinzip und der Einordnung der Zustellung als Hoheitsakt liegt. Diese Sicht der Dinge führt zum ineffizienten Rechtshilfeverfahren. Sie ist jedoch nicht notwendig, wenn man sich die tatsächlichen Funktionen der Zustellung vor Augen hält. Es geht darum, dem Kläger als der typischen, die Zustellung veranlassenden Partei, ein effizientes System zur Verfügung zu stellen, das ihm die Klageerhebung mit ihren rechtlichen Wirkungen ermöglicht. Dem Beklagten als typischem Zustellungsadressaten hingegen, muss durch die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme die Gelegenheit zur Verteidigung eröffnet werden. Ein Blick auf die Regelungen der internationalen Zustellung in anderen Rechtsgebieten zeigt, dass im Zivilprozessrecht durchaus Nachholbedarf besteht. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb das hochsensible internationale Strafverfahrensrecht im Rahmen des Schengen-II-Übereinkommens wesentlich flexiblere Regelungen bereitstellt und eine reibungslose Praxis gewährleistet, während im Zivilprozess, der eigentlich viel stärker von der Parteiautonomie geprägt sein sollte, die genannten Hindernisse bestehen. Auch das Rechtshilfeprinzip kann die Verletzung von grundlegenden Verfahrensrechten nicht verhindern. Die Umgehungsstrategien der deutschen (Rechtsprechungs-)Praxis zu § 175 ZPO a.F. zeigen dies ebenso wie die romanische remise au parquet. Die Bemühungen der Europäischen Union, das Zustellungsrecht in Zivil- und Handelssachen im Rahmen des Art. 65 EG zu verbessern, sind zu begrüßen. Sie greifen jedoch zu kurz. Eine Neuregelung des europäischen Zustellungsrechts muss in die Gesamtheit der Normen, die den Europäischen Zivilprozess regeln, eingebettet sein. Die anstehende Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels wird dabei die Zustellung weiter in das Blickfeld der maßgeblichen Verfahrensschritte rücken. Durch den Wegfall des Exequaturverfahrens muss vor allem die Dokumentation der Zustellung verbessert werden. Dies kann durch die Einführung eines Passeport ludiciaire geschehen, in dem alle wesentlichen Verfahrenshandlungen verzeichnet werden, und der dem Prozessgericht als eine Entscheidungsgrundlage dient. Außerdem müssen für ein effizientes Zustellungsrecht die bislang nicht geregelten, teilweise aber bereits seit langem umstrittenen Bereiche wie Notwendigkeit der Auslandszustellung, Definition des Kreises der Empfangsberechtigten oder Heilung mangelhafter Zustellungen vereinheitlicht werden. Mit dem Vorschlag für eine Verordnung über einen europäischen Vollstreckungstitel
§ 8 Zusammenfassung
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für unbestrittene Forderungen hat die Kommission einen ersten, ausbaufähigen Schritt in diese Richtung getan. Im Vergleich zum bislang geplanten europäischen Zustellungsrecht, stellt die Reform des deutschen Zustellungsrechts eine wirkliche Flexibilisierung dar. Ähnlich dem internationalen Strafverfahrensrecht soll künftig die direkte Zustellung von Schriftstücken ins Ausland zugelassen werden, soweit hierfür völkerrechtliche Vereinbarungen bestehen. Darüber hinaus werden Vorkehrungen für die Nutzung neuer Technologien, vor allem der elektronischen Übermittlung mittels e-mail, getroffen. Das deutsche Signaturrecht sollte den Anforderungen des modemen Geschäftsverkehrs nunmehr ebenfalls gerecht werden. Es steht zu erwarten, dass mittelfristig einige Faktoren der Ineffizienz der Zustellung durch die technologische Entwicklung beseitigt werden. Die notwendigen Neuerungen im europäischen Zustellungsrecht in Zivil- und Handelssachen sollten jedoch als Gelegenheit gesehen werden, einen grundsätzlichen Systemwechsel vorzunehmen. Ähnlich dem anerkanntermaßen rechtsstaatlichen anglo-amerikanischen Prinzip, sollte die Verantwortung für die Zustellung in die Hände der Parteien gegeben werden. Diese Vorgehensweise würde dem Ideal der Parteiautonomie besser gerecht werden als das Prinzip der Amtszustellung. Die Sicherheit der Zustellung wird dann durch ihre Ausführung durch Amtspersonen, wie den deutschen Gerichtsvollzieher oder den französischen huissier de justice, gewährleistet. Diese sind auch qualifiziert, die dann entscheidenden Eintragungen in einen Passeport ludiciaire vorzunehmen. Die Einführung eines solchen Systems der direkten Kommunikation zwischen Partei und Zustell person würde keinerlei praktische Schwierigkeiten mit sich bringen. Sie würde insbesondere nicht zu einer Mehrbelastung der Gerichte führen. Von diesem System sind, auch wenn es als drittes, neben der nationalen Amtszustellung und der internationalen Zustellung im Rahmen der Rechtshilfe im allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht bestehen würde, nur Vorteile zu erwarten.
§ 9 Summary The study has shown that the source of the discussion over the international service in civil and commercial matters lies in the principle of state sovereignty and the classification of service as a sovereign act. Such a view of things leads to inefficient legal assistance procedures. Such inefficiency is not necessary though when one views the actual functions of service. These are to provide the claimant, as the typical party authorizing the service, an efficient system that enables hirn to file a legally effective claim. The defendants on the other hand, being the typical recipients of a service, need to have made available to them the opportunity for defence through the real possibility of notice. An examination of the regulations of international service in other jurisdictions shows, that civil procedural law has fallen behind. There are no visible reasons why the highly sensitive international criminal procedure law in the context of the Sehen gen-lI-agreement provides a considerably more flexible regulation, while the civil procedure, which should actually be much more strongly oriented along the autonomy of the parties, instead poses such obstacles. Even the principle of legal assistance cannot hinder the damaging of fundamental process rights. The avoidance strategies of Gerrnan (court-) practices regarding the old sec. 175 Code of Civil Procedure (Zivilprozessordnung) show this just as clearly as the roman remise auparquet. The efforts of the European Union to improve the law on service in civil and commercial matters in the context of Art. 65 of the Treaty establishing the European Community are welcome. However, their efforts fall short. Any revision of the European law on service of documents must be incorporated within the norrns that govern European civil procedural law. The upcoming introduction of a European enforcement title will draw service even more into the scope of relevant procedural steps. The loss of the Exequatur procedure necessitates an improvement in the documentation of service. This can be accomplished by introducing a Passeport Judiciaire, into which all relevant procdural steps can be entered, and which can serve as a basis for the courts' decisions. Furtherrnore, in order to attain an efficient service, harmonisation is needed especially among previously unregulated and disputed areas such as those regarding the necessity of a foreign service, the definition of those authorized to receive the service or the repairing of faulty services. The Commission has taken a first step in this direction with its Proposal for a Council Regulation creating a European enforcement order for uncontested claims, a step that can be built upon and expanded.
§ 9 Summary
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In comparison to the planned European law on service of documents, the reform of the German service law represents areal step towards increased flexibility. Similar to international criminal procedure rules, in the future it will be permissible to directly service documents into foreign countries, insofar as international treaties are in place. Furthermore, provisions are to be made for the use of new technologies, in particular for the e1ectronic transfer via e-mail. The German signature law should here once again meet the demands of the modern business world. In the mid-term one can expect to eliminate several factors which had contributed to inefficiency in service through such technological advancements. The necessary reforms in European law on service of documents in ci viI and commercial matters should however be seen as an opportunity for a fundamental change to the system. Similar to the admittedly constitutional Anglo-American principle, the responsibility for the service should be given over into the hands of the parties. This approach would come far doser to the ideal of having autonomous parties than the principle of service ordered by the court ex officio. The security of the service will be ensured then by their being executed by officials, such as the German Gerichtsvollzieher or the French huissier de justice. Such persons are also then qualified to make the necessary entries in a Passeport ludiciaire. The introduction of such a system of direct communication between the party and the process-server would not cause any practical difficulties. They would certainly not lead to an increased strain on the courts. Even as a third option standing next to the national service ex officio and the international service in the context of legal assistance in general international civil process law, this system offers only advantages.
12 Sharrna
Materialien Bundesministerium der Justiz: Jahresberichte über ausgehende und eingehende Ersuchen im Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen mit dem Ausland, 1991 bis 1998 Bundesregierung: Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland und zu dem Europäischen Übereinkommen vom 15. März 1978 über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland, BT-Drs. 9/69,4 ff.
- Denkschrift der Bundesregierung zum Europäischen Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland vom 24. November 1977, BT-Drs. 9/68, 37 ff. - Denkschrift der Bundesregierung zum Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965, BT-Drs. 8/217, 38 ff. - Entwurf eines Gesetzes über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und zur Änderung weiterer Vorschriften, Stand 16. August 2000 - Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modemen Rechtsgeschäftsverkehr, mit Begründung, Stand 6. September2oo0 - Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz - ZustRG), mit Begründung, Stand 16. August 2000 Europarat: Erläuternder Bericht des Europarats zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland, BT-Drs. 9/68, 37 ff. Kommission der EG: Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament - Anzeiger der Fortschritte bei der Schaffung eines "Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" in der Europäischen Union, KOM (2000) 167 endgültig, vom 24. März 2000
- Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: "Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", Amtsblatt der EG Nr. C 33 vom 31. Januar 1998, S. 3 ff. - Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, KOM (1999) 219 endgültig, 1999/0102 (CNS) - Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM 1999) 348 endgültig, 1999/0154 (CNS)
Materialien
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- Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, KOM (2002) 159 endgültig
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Sachverzeichnis Acta iure imperii 102 Adhäsionsverfahren 83 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 46 Amsterdamer Vertrag 20, 78 Amtsbetrieb 94 Amtssprache 90 Amtszustellung 169, 173 Andere Arten der Übermittlung und Zustellung 92 Anerkennung 108 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz 27 Anglo-amerikanisches Zustellungsrecht 167 Annahmeverweigerung 91, 1()() Annerkennungsverfahren 27 Anscheinsbeweis bezüglich der Echtheit von Signaturen 154 Antisuit injunction 42, 50 Anwendung von Zwang 93 Anwendungsbereich der EZVO 81, 83 Außergerichtliche Schriftstücke 84, 94 Aufklärungsfunktion 45 Ausländische Zustellungszeugnisse 11 0 Auslandszustellung 139 Auslegungszuständigkeit des EuGH 81 Aussetzung 95 Authentizität 151 Beglaubigung 88 Beitritt zur EZVO 105 Beklagteninteresse 25 Beklagtenschutz 55 Belehrung 101, 124 Beliehener 47 Bericht der Kommission über die neue Zustellungspraxis 96 Beschleunigung der internationalen Zustellung 149 Beschleunigung des Verfahrens 100
Beurkundung 47 Beweiskraft der Zustellungsurkunde 118, 120 Biarritz 112 Bilaterale Vereinbarungen 36 Binnenmarkt 51,142 Briefzustelldienstleistungen 47 Chrysler Canada Ltd. 24 Ci vii Procedure Rules 167 CI ass action 50 Computerfax 149 Courtoisie internationale 32, 36 Daimler-Chrysler Canada Ltd. 24 Dänemark 81 Datenschutz 95, 164 Datex-J 149 Definition der Zustellung 135 Deutsche Post AG 47 Dezentralität 85 Dienstleistungsordnung 166 Diplomatische Zustellung 92, 139 Direktkontakt zwischen Partei und Zustellperson 94 Direktzustellung 140, 147 Diskriminierungsverbot 69, 107 Dreiteilung des Zustellungsrechts 172 Durchführungshoheit der Kommission 80 E-mail 127, 149 Effektiver Rechtsschutz 22, 55, 99 Eingangsbestätigung 88 Einschreiben mit Rückschein 93, 101 Einwurf in den Briefkasten 137 Elektronische Kommunikationsmittel 142 Elektronische Signatur 152 Empfangsbekenntnis 141 Empfangsberechtigte 157 Ermessen 137, 140
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Sachverzeichnis
Ersatzzustellung 136, 158 Europäische Grundrechtscharta 106, 112 Europäische Menschenrechtskonvention 22, 55,106 Europäische Zustellungsverordnung 38, 68, 77 Europäischer lustizpass 116 Europäischer Vollstreckungstitel 106, 112, 114, 144, 148 Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen 132 Europäisches lustizielles Netz 128 Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen 31, 35 Europäisches Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland 30 Europäisches Zivilverfahrensrecht 20, 110 Europäisches Zustellungsübereinkommen 37, 77 Europarat 31 Evaluierung der neuen Zustellungspraxis 86 Exekutivausschuss 80 Exequaturverfahren 115 Exterritoriale 21 Faires Verfahren 25, 114 Faustrecht 166 Federal Rules of Civil Procedure 26, 168 Feuille de route 163 Fiktion 48 Fiktive Inlandszustellung 30, 57, 107 Flexible Übermittlung 88 Folgen nicht ordnungsgemäßer Zustellung 26 Formblatt 86,88,90-91,94 Formelle Mängel 89 Formlose Übergabe mit ausdrücklicher Belehrung 31 Formular 151 Formvorschriften 152 Freizügigkeit 115 Fristen 91, 125 Funktion der Zustellung 22 Gebühren 89 Gegenseitigkeit 74 Geigy 36
Gemeinsame lustizpolitik 78 Gemeinsames Zustellungsrecht 135 Gemeinschaftstreue 68, 109 Gerichtliche Schriftstücke 83 Gerichtsvollzieher 129 Glossar 94 Grenzen der Beweiskraft 119 Grundfreiheiten 109 Grundrechtsstandard 106 Gute Verwaltung 113 Haager Konferenz 105 Haager Übereinkommen über den Zivilprozess 31, 36 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen 31 Handbuch 88, 94 Harmonisierung 99 Hauswirt 157 Heilung mangelhafter Zustellungen 99, 103, 107, 130, 135 Hoheitsakt 28,39,41,43,45,47,49,51,53, 55 Huissiers de lustice 129 Immunität 102 Institutionelle und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten 39, 99 Integrationsstand der Prozessrechte 50, 103 Internationale Neuregelung der Zustellungspraxis 105 Internationale Rechtshilfe 165 Internationale Zustellungskonvention 162 Internationales Mahnverfahren 58 Internationales Strafverfahrensrecht 32 Interpol 34 Irland 81 Justizielle Rechte 113 lustizverwaltung 104 Klägerinteresse 22 Kollidierende Grundrechte Dritter 25 Komitologie 94 Konsularische Zustellung 92, 139 Kosten 117, 171
Sachverzeichnis Kritik der EZVO 97 Kündigungsschreiben 84 Landgericht München 23 Lizenz 47 Luganer Übereinkommen 38 Maharanee of Baroda gegen Wildenstein 25 Multilaterale Übereinkommen 37 Nachschlagewerk 86 Neue Technologien 127, 149 Neuregelung des deutschen Zustellungsrechts 134 Niederlegung 137 Nizza 112 Notariell beglaubigte Urkunde 84 Notfristen 135 Notwendigkeit der Auslandszustellung 99, 108,125 Offentliche Urkunde 119, 138 OLG Saarbrücken 51 Ordnungsmäßigkeit der Zustellung 27, 40 Papierloses Verfahren 150 Partei betrieb 94 Parteiverantwortung 111, 169, 173 Partei vereinbarungen 161 Passeport ludiciaire Europeen 115, 121, 148 Personenstandsentscheidungen 95 Persönliche Übergabe 136 Postmonopol 56 Postrecht 47 Postzusteliung 92-93, 98,100-101,148 Privatautonomie 98 Proper jurisdictional basis 26 Prozesskostenhilfe 95 Punitive Damages 42, 50 Qualifizierte elektronische Signatur 153 Realakt 28 Rechtliches Gehör 25, 46, 107 Rechtshängigkeit 111 Rechtshilfeordnung für Zivilsachen 33, 38 Rechtshilferechtlicher ordre public 49, 103
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Rechtshilfestatistik 21 Rechtsmittelbelehrung 124 Rechtsnatur der Zustellung 28 Rechtsstaatsgebot 25 Rechtzeitigkeit der Zustellung 27, 40 Regelungstechnik 130 Remise au parquet 30, 72 Reziprozität 74 Richterliche Hinweispflicht 66 Rogationsprinzip 29, 98 Sachlicher Anwendungsbereich 82 Sandoz 36 Schengen-II-Übereinkommen 33, 123, 146 Schlunk 158 Schriftbild 88 Schutzfunktion 44 Schutzschildtheorie 48, 52 Sicherheit 151 Signaturgesetz 152 Signaturverordnung 152 Souveränität 28 Sprachenvielfalt 54, 123 Sprachliche Fähigkeiten des Empfängers 100 Sprachprüfung 100 Sprachregelung 34, 90, 100, 122, 145 Staaten 21 Staatlicher Organisationsapparat 46 Steuer- und Strafsachen und EZVO 83 Stolzenberg 24 Storme-Kommission 112, 170 Strafrecht 32 Streitbeilegungsmechanismus 98 Streitigkeiten über die sprachlichen Fähigkeiten des Empfängers 91 Strukturreform des europäischen Zustellungsrechts 165 Stufenverhältnis der Ersatzzustellung 137 Subjektives Prozessrecht 46 Subpoena 50 Subsidiarität der Direktzusteliung 101 Subsidiarität der nationalen Verfahrensrechte 99 Subsidiarität der staatlichen Rechtshilfe 165, 167, 169, 171, 173 Systematik des deutschen Zustellungsrechts 98,134
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Sachverzeichnis
Tampere 106, 114 Telefax 149 Telefon 149 Territorialer Anwendungsbereich 81 Tschernobyl 42 Ubermittlung von Rechtshilfeersuchen 34 Übermittlungsarten 88 Übersetzung 90-91 Übersetzungskosten 91 Unbekannte Anschrift 84 Ungeschriebener Ablehnungstatbestand 102 Unmittelbare Geltung 79 Unmittelbare Zustellung 92 Unmittelbarkeitsprinzip 85 Unrichtigkeit einer Postzustellungsurkunde 119 Unterbrechung von Fristen 155 Vereinigtes Königreich 81 Verfahren nach der EZVO 85, 87, 89, 91, 93,95 Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten 116 Verfahrenseinleitende Zustellung 106 Vergemeinschaftung des europäischen Zustellungsrechts 52 Verhältnis der EZVO zu anderen Ab- und Übereinkommen 96 Verhältnis der EZVO zu anderen Übereinkünften oder Vereinbarungen 95 VeIjährungsunterbrechung 111 Verlängerte Einspruchsfrist 64 Vermieter 157 Verordnung 79 Verpflichtung zur Anpassung nationalen Rechts 79 Verteidigung 107 Verwaltungsrecht 30 Völkerrechtliche Fragen der Zustellung 39 Völkerrechtliche Vereinbarung 140 Volkswagen AG 158 Vollstreckbarerklärungsverfahren 27 Vollstreckungsurkunde 84
Vollstreckungsverfahren 27 Vorbehalte 80 Waiver of service 168 Warnfunktion 45 Wettbewerbsrecht 36 Wettlauf zu den Gerichten 23 Wiedereinsetzung 53, 95 Wirtschaftliche Bedeutung der Zustellung 21 Woolf-Report 167 Zentrale Informationsstelle 86, 87 Zentralregister für öffentliche Zustellungen 164 Zeugenladung 32 Zeugnisanfechtung 120 Zivil- und Handelssachen 82 Zivilprozessrecht als Dienstleistungsordnung 105 Zuständigkeitsbegründung durch Zustellung 25 Zustellbescheinigung 95 Zustellmöglichkeiten der Geschäftsstelle 141 Zustellperson 118, 128 Zustellung durch Aufgabe zur Post 30 Zustellung durch Privatpersonen 28 Zustellung eines Versäumnisurteils 67 Zustellung von Anwalt zu Anwalt 155 Zustellungen im internationalen Strafprozess 32 Zustellungsbevollmächtigter 27, 140 Zustellungsdatum 91 Zustellungsdurchgriff im Konzern 158 Zustellungsrechtlicher ordre public 49 Zustellungsreformgesetz 57 Zustellungsregelungen im internationalen Rechtsverkehr 30 Zustellungszeugnis 95, 117-118, 138 Zuverlässigkeit der Zustellperson 120 Zwangsandrohungen gegen Zeugen oder Sachverständige 34 Zwangsmaßnahmen 34 Zweck des Zivilprozess 165