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German Pages 207 [224] Year 2009
PaulJ. J. Weifens Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt
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Europäische Integration und Digitale Weltwirtschaft Herausgegeben von Paul J. J. Weifens Europäisches Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen e.V. an der Bergischen Universität Wuppertal
Band 2: Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt von Paul J. J. Weifens
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Lucius & Lucius • Stuttgart • 2009
A.nschrifi des Autors: Prof. Dr. Paul J.J. Weifens Europäisches Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) Rainer-Gruenter-Straße 21 42119 Wuppertal http: / / www. eiiw. eu
Bibüografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibüografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
ISSN 1868-0607 ISBN 978-3-8282-0463-8
© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2009 Gerokstr. 51, 70184 Stuttgart www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermitdung in elektronischen Systemen.
Druck und Einband: Rosch-Buch, Scheßlitz Printed in Germany
Vorwort Ein wesentliches Element des EU-Binnenmarktes ist die europäische Finanzmarktintegration, die seit den 90er Jahren voranschreitet und durch zahlreiche institutionelle EU-Maßnahmen in 2007/08 verstärkt worden ist. Hierbei haben die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank weitgehend sinnvoll zusammengewirkt. Allerdings wurde die EU-Finanzmarktintegration durch die Finanzmarktglobalisierung überwölbt, die von den USA bzw. Großbritannien und seit den 80er Jahren auch durch Asien wesentlich geprägt ist. Wie man regionale Finanzmarktintegration nachhaltig organisieren kann, ist eine schwierige Frage, wobei die Erfahrungen mit der Asienkrise wie mit der transatlantische Bankenkrise sicherlich auch Überlegungen zur Neuordnung der internationalen Finanzarchitektur notwendig machen. Regionale Finanzmarktintegration kann Effizienzgewinne bringen und kann über leistungsfähige Kapitalmärkte gerade auch der aus demographischen Gründen zu stärkenden Rolle kapitalmarktbasierter Alterssicherungssysteme in den alternden Gesellschaften der EU-Länder (und in anderen Ländern) größere Akzeptanz verschaffen. Allerdings setzt dies voraus, dass eine gewisse Stetigkeit der Erträge bzw. eine Begrenzung der Volatilität der Aktienkurse erfolgt; entsprechende Rahmenbedingungen und Finanzprodukte fehlen. Dieser Herausforderung hat man sich in der EU — und auch nicht in den USA oder Japan — bislang kaum gestellt. Von Seiten des Staates müsste hierzu eine stärker langfristige und auf Diversifikation setzende Orientierung der Anlagestrategien von Banken und anderen Finanzmarktakteure einerseits und sinnvolle stabilisierende Innovationen andererseits gefördert werden; aus ökonomischer Sicht ist Innovationsförderung immer dort sinnvoll, wo die sozialen Grenzerträge größer als die privaten sind (warum sollten derartige positive externe Effekte bei bestimmten Finanzinnovationsprojekten nicht auftreten?). Immerhin ist durch die Einfuhrung des Euros eine Art internationale Finanzinnovation — eine doppelte Neuerung von Institutionen (€ und EZB) durch die Politik der EU bzw. der Gründungsländer der Eurozone auf den Weg gebracht worden, die einen wichtigen Impuls für Teilharmonisierung von Regeln im Eurofinanzraum mit sich bringt und für Finanzmarktakteure Expansionsmöglichkeiten schafft. Dank der Eurointegration hat sich der globale Währungswettbewerb intensiviert, und es hat sich ein verschärfter transatlantischer bzw. globaler Währungs- und Systemwettbewerb ergeben. Der Euro hat in der ersten Dekade seines Bestehens Anteile in den globalen Währungs- und Bondsmärkten auf Kosten des USDollars gewonnen - zumindest ist dies eine vorläufige Tendenz, die mittelfristig die USA zu institutionellen Reformen motivieren dürfte. Dabei wird die Finanzmarktglobalisierung allerdings durch die dramatische US-Bankenkrise über-
vi • Vorwort
schattet, die auch geeignet ist, die Eurointegration in der EU zu erschweren. Mit steigenden Zinsunterschieden zwischen Mitgliedsländern der Eurozone werden hier Spannungen sichtbar, die auch auf unterschiedliche Grade der Vertrauenskrise in den Finanzmärkten von Euro-Ländern hindeuten. Da krisengeschüttelte Großbanken in der Regel von Regierungen aufgefangen werden müssen, die ihrerseits durch jeweilige Schuldenquoten geprägt sind, wird sich aus der internationalen Bankenkrise häufig auch die Frage nach den Belastungsgrenzen bei den Staatsschuldenquoten einzelner Länder ableiten. Länder mit schwachen Banken und großen Leistungsbilanzdefiziten und großen Haushaltsdefizitquoten können dabei naturgemäß besonders leicht in eine ernste Krise geraten; die Krise kann sich obendrein relativ schnell ausbreiten, wenn Auslandskapital abfließt. Dies gilt auch deshalb, weil die US-Bankenkrise dazu fuhrt, dass US-Investoren massiv und schnell Aktien und andere Aktiva im Ausland verkaufen, so dass die Aktienkurse in den betreffenden Ländern sinken, während zugleich die Zinssätze bzw. Risikoprämien steigen. Gelingt eine Stabilisierung der OECD-Bankenwelt, dann werden die Risikoprämien wieder sinken und Kapital aus den USA und Asien wird verstärkt wieder auch nach West- und Osteuropa fließen. Die USA haben durch eine Verbindung von flexiblen Güter- und Faktormärkten und weitgehend unregulierten Finanzmärkten in der Dekade nach 1990 eine erhebliche Wachstumsdynamik generiert, wobei eine starke Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) als Querschnittstechnik in vielen Sektoren zu hohem Fortschritt bei der Arbeitsproduktivität und zahlreichen Produktinnovationen beigetragen hat; der IKT-Sektor hat sicherlich auch Finanzinnovationen einerseits und andererseits zugleich die Internationalisierung der Finanzmärkte vorangetrieben. Die Finanzmarktglobalisierung dürfte von der Senkung der internationalen Transaktionskosten und der Erleichterung der managementseitigen Überwachung komplexer internationaler Geschäftsstrategien profitieren. Allerdings kann sich aus der US-Bankenkrise durchaus auch eine zeitweise Entglobalisierung ergeben. Denn es ist nicht zu übersehen, dass in den US-Interbankenmärkten Banken aus Europa kaum noch zum Zuge kommen; zudem dürfte nicht nur ein Mehr an Finanzmarktregulierung in den USA und anderen OECD-Ländern absehbar sein, sondern die US-Bankenkrise wird auch Wasser auf die Mühlen der Globalisierungsgegner sein. In der EU hat sich die Integration der Finanzmärkte seit den 80er Jahren intensiviert, wobei das Binnenmarktprogramm zunächst für den Finanzbinnenmarkt ein wichtiger Treiber war. Die Währungsintegration bzw. die Schaffung von Euro und Europäischer Zentralbank waren zusätzliche Impulsgeber für die Eurozone, die sich schon binnen weniger Jahre als wettbewerbsintensiver Finanzmarkt mit z.T. sehr leistungsfähigen Anbietern entwickelte. Dabei spielte die erfolgreiche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank eine wichtige Rolle und auch die fiskalpolitische Stabilitätsorientierung, die aus den Konvergenzkriterien und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt erwachsen ist, dürfte das Markt-
Vorwort • vii
vertrauen gefestigt haben. Für die Kapitalmarkt- und Kreditmarktakteure bzw. die Banken hat sich die Notwendigkeit ergeben, zahlreiche neue Vorschriften umzusetzen. Diese Maßnahmen der Europäischen Kommission im Interesse von mehr Transparenz, Verbraucherschutz und Finanzmarkteffizienz dürften langfristig durchaus auch positiv auf die Finanzmarktdynamik wirken. Gerade die US-Banken- und US-Finanzmarktkrise haben ja gezeigt, wie wichtig Transparenz und Vertrauen auf Märkten sind. Die Regulierungen der Finanzmärkte in den USA sind deutlich weniger umfassend — auch im Bereich der Markttransparenz und des Verbraucherschutzes — als in der EU; die Eurozone ist da insgesamt besser aufgestellt als die USA. Man hat feststellen können, dass die Eurozone in Verbindung mit der stabilitätsorientierten EZB und z.T. vernünftigen nationalen Regulierungssystemen die globalen Liquiditätsschocks, die von den USA ausgingen, durchaus gut verkraftet hat. Die Expansion der Wirtschaftsentwicklung, und zwar bei deutlicher Beschäftigungserhöhung im Zeitraum 1998-2007, ist durch die EU-Finanzmarktintegration unterstützt worden. Dabei kann man für die Eurozone von einem auch längerfristig positiven Zusammenhang von Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum ausgehen, wobei die Eurozonen-Osterweiterung — sofern nicht zu rasch umgesetzt — die Euro-Stabilitäts- und Wachstumszone nach Osteuropa ausweiten kann. In der Analyse werden aus theoretischer und empirischer Sicht die Zusammenhänge zwischen der Integration von Bonds- und Aktienmärkten und dem Wirtschaftswachstum mit Blick auf die EU untersucht; zudem wird die Frage nach der Rolle des Offenheitsgrades von Volkswirtschaften für die Wachstumsdynamik thematisiert. Dabei ergeben sich verschiedene Ansatzpunkte zur Erhöhung des Niveaus des Wachstumspfads bzw. des Trendwachstums selbst. Zu den wichtigen Befunden gehört die zunehmende Relevanz der langfristigen Innovationsdynamik mit ihrem nachhaltigen Hauptschwerpunkt bei der Informationsund Kommunikationstechnologie und die langfristige steigende Rolle von Humankapital in führenden OECD-Ländern, wobei gerade Deutschlands Finanzsystem hier nicht optimal strukturiert ist. Mit der Annahme des EU-weiten Aktionsplans für Finanzdienstleistungen in 1999 hat die Gemeinschaft mit neuen Maßnahmen Schritte für die verstärkte Integration der Finanzmärkte vorgenommen. Man ist sich seitens der Europäischen Kommission durchaus der außerordentlich wichtigen Rolle der Finanzmärkte bewusst, und zwar auch für Fragen der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums. Diese stehen gerade bei der Lissabon-Agenda der Europäischen Union im Focus der Wirtschaftspolitik der EU und auch der EU-Mitgliedsländer. Daher werden von der Europäischen Kommission auch Störimpulse durch die US-Bankenkrise mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und die Vorschläge der D G Binnenmarkt im September 2008 haben verdeutlicht, dass die EU etwa bei den Rating-Agenturen schärfere Spielregeln anstrebt. Dies ist auch ohne weiteres nachzuvollziehen,
viii • Vorwort
denn die externen Ratings spielen in den Basel-II-Regeln eine große bzw. quasioffizielle Rolle; es wäre in der Tat schon sonderbar, dass nachdem die EU die Basel-II-Regeln für eine risikoadjustierte Eigenkapitalunterlegung — im Gegensatz zu den USA, die noch zögern — angenommen hat, ausgerechnet jene oft schwach arbeitenden US-Rating-Agenturen weiterhin ohne jede Qualitätskontrolle in der EU wirken dürften. Ein aussagefahiges Rating bzw. auch entsprechend qualitativ hochwertige Folgeratings im Marktprozess sind natürlich vor allem für die Wertpapiermärkte Europas und weltweit von großer Bedeutung. Nach Kommissionsangaben könnte ein integrierter Wertpapiermarkt und ein besserer langfristiger Marktzugang binnen einer Dekade das EU-Bruttoinlandsprodukt um 1,1% oder 130 Mrd. € in Preisen von 2002 ansteigen lassen; bei der Gesamtbeschäftigung wird +0,5% erwartet. Die Integration der Aktienmärkte könnte die Eigenkapitalkosten um 0,5 Prozentpunkte senken und die Kosten für die Anleihefinanzierung der Unternehmen könnten zugleich im Kontext eines integrierten Anleihemarktes um rund 0,4% sinken. Für Deutschland bzw. die EU werden wichtige Politikvorschläge unterbreitet, die einerseits die Fortführung einer angemessenen Innovationsdynamik erlauben, andererseits aber auch wünschenswerte Stabilitätseigenschaften von Finanzmärkten bzw. Wirtschaftssystemen in den Blick nehmen. Die EU ist dabei nicht nur aufgefordert, intern für eine bessere Finanzmarktaufsicht zu sorgen, sondern auch OECD-weit, was u.a. auf entsprechenden Reformdruck Richtung USA hinausläuft, von wo eine vorhersehbare Bankenkrise 2007/08 ihren Anfang nahm. Im Kontext der EUOsterweiterung sind durch nachhaltige Finanzmarktentwicklung in den neuen Beitrittsländern positive reale Wachstumsimpulse zu erwarten, von denen auch Westeuropa profitieren könnte. Fragen der Finanzmarktaufsicht werden längerfristig von erhöhter Relevanz sein. Die Entwicklung von neuen Finanzmärkten mit handelbaren Emissions-Zertifikaten wird u.a. unter Effizienz-, Internationalisierungs- und Wachstumsaspekten befürwortet. Ein Vorbehalt besteht allerdings im Hinblick auf die Stabilisierung der OECD-Finanzmärkte - nur bei einer nachhaltigen Überwindung der US-Banken- und Finanzmarktkrise wird man u.a. langfristig auch den weiteren Ausbau des Emissionszertifikatehandels erwägen können. Andernfalls wären Pigou-Steuern, obwohl unter Effizienzaspekten dem C02-Emissionszertifikatehandel unterlegen, vorziehenswert. Es ist an der Eurozone bzw. der EU, durch sinnvolle, theoretisch und empirisch fundierte Maßnahmen für eine langfristige regionale und globale Finanzmarktintegration den Wachstums- und Stabilitätsbeitrag integrierter Finanzmärkte zu sichern. In den alternden Gesellschaften der EU kommt den Finanzmärkten zudem eine große Bedeutung zu, denn der Umbau und die Modernisierung des Sozialstaates gehen einher mit einer größeren Rolle des privaten Vorsorgesparens für die Rentenzeit. Hier geht es um langfristige Anlagen und unvermeidlich auch um Risiken und Unsicherheiten für die Anleger/innen. Der Gesetzgeber in Deutschland hat seit Ende der 90er Jahre verschiedene neue Fördermöglichkeiten eröffnet und
Vorwort • ix
Banken bzw. Versicherungen haben die neuen Gestaltungsmöglichkeiten ebenso wie die Kundschaft allmählich aufgegriffen. Bei integrierten Finanzmärkten in der EU bzw. insbesondere in der Eurozone lohnt sich immer wieder auch der Blick über die Grenze und vergleichende Analysen sind in vielen Aspekten aufschlussreich. Natürlich wird hier auch deutlich, dass der Internationalisierungsprozess im Bankenbereich relativ asymmetrisch ist und Länder wie Großbritannien, Luxemburg und Irland mit erheblichem Abstand führen. Irland ist dabei teilweise ein Sonderfall, denn das Land profitiert nicht nur durch investorfreundliche Rahmenbedingungen, sondern ist für viele US-Banken und britische Banken seit 1999 auch ein günstiges Tor zur Eurozone geworden. Die Eurozone ist aus verschiedenen Gründen attraktiv: wegen der Größe des Finanzmarktes, der Innovationskraft von Banken und Versicherungen sowie Fondsanbietern, aber auch wegen der wichtigen Möglichkeiten in der Zeit einer angloamerikanischen Bankenkrise - sie ist zuerst eine US-Bankenkrise - auf EZB-Liquidität durch Pensionsgeschäfte auf Basis von Bankschuldverschreibungen zurückzugreifen. In jedem Fall ist auch die Banken- und Finanzmarktkrise der USA unvermeidlich ein Bestandteil der vorgelegten Analyse. Natürlich schwächt die Bankenkrise, die von den USA auf Europa übergegriffen hat, das Wirtschaftswachstum in den OECD-Ländern und weltweit. Daher ist es umso wichtiger, die Fragen zu stellen, inwieweit Finanzmarktintegration das Wirtschaftswachstum stärken kann. Finanzmarktintegration bedeutet unvermeidlich auch Internationalisierung der Banken- und Versicherungsmärkte, wobei in den osteuropäischen Beitrittsländern vor allem Direktinvestitionen von westeuropäischen Banken und einigen US-Banken die Finanzmarktentwicklung vorangebracht haben. Da gerade auch die Eurozone als hoch integrierter Finanzmarkt vor verschiedenen Schritten einer Euro-Osterweiterung steht, sind natürlich die Fragen der Finanzmarktintegration von Relevanz auch für die monetäre Erweiterungsperspektive. Die nachfolgende Analyse skizziert zunächst Ausgangspunkte der Analyse für die EU bzw. die Eurozone, ehe in weiteren Kapiteln ausgewählte Befunde aus der Literatur sowie neue modelltheoretische Überlegungen zum Zusammenhang von Finanzmarktintegration und Wirtschaftsdynamik bzw. zur Rolle der Aktienmärkte dargelegt werden. Eine Modellanalyse im Rahmen eines monetären Wachstumsmodells erfolgt in einem eigenständigen Punkt. Ein weiterer Abschnitt formuliert dann einige Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik, wobei am Ende der Analyse auch einige Überlegungen zur Rolle der EZB für die Überwindung der Finanzmarktkrise in der EU entwickelt werden. Insgesamt wird eine positive Verbindung von Finanzmarktentwicklung und Wirtschaftswachstum betont, wobei ergänzend jedoch auch wichtige Fragen der außenwirtschaftlichen Öffnung bzw. des Grads an internationaler Kapitalmarktliberalisierung — im umfassenden Sinn des Wortes - einzubeziehen sind. Die Richtung des technischen Fortschritts lässt für Deutschland bzw. Westeuropa eine verstärkte Betonung der Rolle der Aktienmärkte und von Risikokapital anraten, wobei zudem
x • Vorwort
die Sicherung hochwertiger transparenter EU-weiter Bilanzstandards als wesentlich erscheint. Finanzinnovationen - darunter auch der EU-CCVEmissionszertifikate-Handel — sind wichtig. Da die Eurozone die Entstehung größerer Märkte begünstigt, die wiederum für Großunternehmen bzw. AGs förderlich sind, wird die Rolle von Aktienmärkten langfristig in der Eurozone bzw. der EU zunehmen. Dieses Buch ist eine ausgearbeitete bzw. erweiterte Fassung meines Vortrags bei der Deutschen Bundesbank, Düsseldorf (am 5. Juli 2007), wobei das Thema lautete „Finanzmarktintegration in Europa — Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und Folgen für die Kreditinstitute"; meinen Dank aussprechen möchte ich Herrn Weser, Deutsche Bundesbank, und den Teilnehmern aus der Kreditwirtschaft und der Wirtschaftspolitik. Nutzen konnte ich für meine Analyse zudem meinen Forschungs- und Lehraufenthalt am Sciences Po, Paris, wo ich u.a. zahlreiche Fachgespräche mit profilierten Vertretern aus Wissenschaft, Zentralbank und Wirtschaft auch zu Fragen der Finanzmarktintegration bzw. zu den Politikperspektiven Frankreichs führte. Schließlich gilt mein Dank auch den Kolleginnen und Kollegen im Jean-Monnet-Projekt Financial Market Integration, Foreign Direct Investment, Structural Change and Economic Growth in the EU25 (mit Partnern in Birmingham, Budapest und Madrid), das uns in Projektsitzungen in Wuppertal, Budapest und Brüssel zusammengeführt hat und eine fruchtbare bzw. kritische Debatte zur EU-Finanzmarktintegrationsfragen und der globalen Finanzmarktentwicklung ermöglicht hat. Bei meinen Mitarbeitern Jens Perret, Christian Schröder, Martin Keim, Andre Jungmittag, sowie Mevlud Islami (EIIW) danke ich für die technische Unterstützung bei der Erstellung der Studie. Sie wird hoffentlich einen Beitrag zur wichtigen Diskussion über die Finanzmarktdynamik in Europa leisten, zumal einige theoretische Innovationen (etwa zur Rolle der Renditevolatilität in einem einfachen Makromodell - siehe Kapitel 3 - und zur Wachstumstheorie) vorgelegt werden. Auch wird für eine Reihe von Ländern — inklusive China — erstmals ein modifizierter RCA-Index als Indikator der internationalen Wettbewerbsfähigkeit präsentiert, so dass Realwirtschaft und Finanzmarktperspektiven miteinander verknüpft werden. Eine modifizierte Produktionsfunktion, die explizit die Wirkung des Außenhandels einbezieht, ist ebenso eine weitere Innovation wie die Formulierung einer modifizierten Marshall-Lerner-Bedingung für ein Land mit Direktinvestitionen. Wuppertal und Paris, Dezember 2008 Prof. Dr. Paul JJ Weifens (Jean Monnet Chair für Europäische Wirtschaftsintegration und hehrstuhl MakroÖkonomik an der herrschen Universität Wuppertal, Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Bergischen Universität Wuppertal; und Alfred Grosser Professorship 2007/08, Säences Po, Paris Fellow am IZA, Bonn und Non-resident Senior Fellow am AICGS/Johns Hopkins University
Inhaltsverzeichnis Vorwort
v
1.
Einführung
1
2.
EU-Finanzmarktperspektive
33
Anhang 2a: Aktienkursbildung
41
3.
Ausgangspunkte der Analyse für die EU bzw. die Eurozone
43
4.
Finanzmarktintegration und Wirtschaftsdynamik
66
5.
Aktienmärkte und Finanzmarktintegration
83
6.
Finanzmarktintegration und Wirtschaftsentwicklung: Empirische Befunde und neue Modell-Analyse
87
7.
Konsequenzen für die Allgemeine Wirtschaftspolitik
108
8.
Finanzmarktkrise beschleunigt sich: EZB gefordert
125
Anhang 1: Kaufkraftparität, Aktienparität und langfristige Wechselkursentwicklung
155
Anhang 2: Finanzmarktindikatoren ausgewählter Länder in Osteuropa
160
Anhang 3: Monetary Condition Index (Einfluss von kurzfristigen Realzins und P/(eP*))
164
Anhang 4: Gruppierung von EU Ländern nach der Position bei Innovationsdynamik
165
Anhang 5: Sparquoten (Deutschland bzw. Deutschland im internationalen Vergleich)
166
Anhang 6: Volatility of the Growth Rates of Stock Market Indices
167
Anhang 7: Börsenkapitalisierung
169
Anhang 8: Geldpolitik und Bankenaufsicht - Erfahrungen aus den Finanzmarktturbulenzen
170
Anhang 9: Internationale Bankeninsolvenz
172
Anhang 10: Aktuelle Fragen des deutschen Finanzsystems
177
Anhang 11: Was ist ein Risikofrühwarnsystem?
179
Anhang 12: von Auszüge aus „Logik der Globalisierung" von C. Christian 191 Weizsäcker (2003)
vii • Inhaltsverzeichnis
Anhang 13: Hebelwirkung von Verschuldung
193
Anhang 14: Wachstumsmodellierung mit BernoulliDifferentialgleichung
194
Anhang 15: NACE (EU Classification) rev. 1.1 Classification at the 2digit level (in parts)
196
Literatur
197
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Abbildung 2:
Abbildung 3:
Abbildung 4:
Außenwirtschaftliche Spezialisierungsgrade der Industrie Deutschlands im EU-15-Markt bzw. im EU-27-Markt: nach Sektoren, 1988-2006
12
Sektorale Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Industrie auf Basis des modifizierten RCA, 1993-2008, Bezug: EU15-Markt
13
Sektorale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der USA auf Basis des modifizierten RCA, 1993-2008, Bezug: EU15Markt
14
Export Unit Values der US-amerikanischen, der deutschen und der chinesischen Industrie im Vergleich, 1993 und 2003, Bezug: EU-15-Markt
15
Abbildung 5:
Relative Preisniveauentwicklung (Outputpreisniveau), relative Aktienkursentwicklung P'/P'* (Aktienindices: DJ EURO STOXX 50 und DOW JONES) und Wechselkurs .... 34
Abbildung 6:
Aktienmarktindices
35
Abbildung 7:
Volatilität der Aktienmärkte auf Basis der Wachstumsrate der Aktienkursindices (Monatswerte; mit Varianz auf Jahresbasis) (Y/Q/M) Variance of the following 12 months
37
Zerlegung der durchschnittlichen Wachstumsraten der Bruttoinlandsprodukte der EU-Staaten von 1969 bis 1998
45
Abbildung 8: Abbildung 9:
Reales Wirtschaftswachstum in den USA, der Eurozone (EU 13) und Großbritannien; jährliche Änderungsraten des realen Bruttoinlandsproduktes 50
Abbildung 10:
Innovationsleistung in der EU nach Sektoren
51
Abbildung 11:
Rolle der Finanzmarkt-Volatilität (AktienrenditeVolatilität) im Makromodell für eine kleine offene Volkswirtschaft — Effekt einer reduzierten Finanzmarktvolatilität
59
Abbildung 12:
EU-Binnenmarktprogramm
67
Abbildung 13:
Dynamik der Finanzmarktintegration
70
Abbildung 14:
Finanzmarktintegration in der Eurozone
82
Abbildung 15:
Finanzmärkte, Integration und Wirtschaftsdynamik
91
xiv • Abbildungsverzeichnis
Abbildung 16:
Niveau des Wachstumspfades und Trendwachstum
101
Abbildung 17:
Langfristige Zinssätze für Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Deutschland
135
Relative Preisniveauentwicklung (Outputpreisniveau), relative Aktienkursentwicklung P'/P'* (Aktienindices: DJ EUROSTOXX50 und DOW JONES) und Wechselkurs
159
Abbildung 18:
Abbildung 19:
Sparquote von Deutschland (in % des verfügbaren Einkommens) (Y/Q/M)
166
Abbüdung 20:
Sparquoten (in % des BIP) (Y/Q/M)
166
Abbildung 21 :
Stock Market Index Return (Y-O-Y) between 02:1990 and 12:1999 (M, Q, Y) 167
Abbildung 22:
Stock Market Index Return (Y-O-Y) between 01:2000 and 01:2009 (M, Q, Y) 167
Abbildung 23:
Volatility of Stock Market Index Returns (Y-O-Y) (M, Q, Y)
168
Börsenkapitalisierungen in der EU, Eurozone, Deutschland und UK
169
Abbildung 24:
Tabellenverzeichnis Tabelle 1 :
Theoretische Wirkungsrichtung von EUFinanzmarktintegration im Kontext der €-Einfuhrung
48
Tabelle 2:
Rolle großer Länder in der Weltwirtschaft
55
Tabelle 3:
Finanzmärkte und Finanzmarktintegration
73
Tabelle 4:
Indikatoren zur Finanzmarktintegration und -qualität in der EU
76
Tabelle 5:
Transition Indicators Scores, 2006
79
Tabelle 6:
Immobilienpreise in der Eurozone
126
Tabelle 7:
Financing available to enterprises (as percentage of total financing)
160
Tabelle 8:
Loans received by firms
160
Tabelle 9:
Domestic credit to private sector and stock market capitalisation
161
Tabelle 10: Langfristige Zinssätze, 2004-2006, in %
162
Tabelle 11 : Kennzahlen der Finanzmärkte in den MOEL, 2002
162
Tabelle 12: Anzahl der an den Börsen notierten Unternehmen in Osteuropa, 1995-2004
163
1. Einführung Regionale und globale Finanzmarktintegration prägen die EU bzw. die OECDLänder und letztlich die Weltwirtschaft seit den 80er Jahren, wobei schon in den 70er Jahren eine transatlantische internationale Liberalisierung der Portfoliokapitalflüsse zustande kam; im Vorfeld der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hat man dann in der EU den Kapitalverkehr liberaüsiert. Aus theoretischer Sicht kann man hier eine Verbesserung der Kapitalakkumulation und mehr Wettbewerb erwarten, zudem veränderte Wirkungsbedingungen der Geldund Fiskalpolitik. Bei festem Wechselkurs wirkt expansive Geldpolitik bei hoher Kapitalverkehrsmobilität kaum noch, denn eine solche Politik senkt den Zinssatz bzw. führt zu hohen Kapitalabflüssen und damit einem Nachfrageüberschuss auf dem Devisenmarkt: Die Zentralbank muss dann Devisen verkaufen, wodurch sich die Geldmenge wieder vermindert, so dass die Geldpolitik kaum expansiv zu steuern ist; zudem gilt ohnehin, dass aus dem Systemzusammenhang heraus die Geldmenge mittelfristig endogen ist und damit als Steuerungsvariable zumindest in kleinen Ländern weitgehend ausfallt. Bei flexiblen Wechselkursen hingegen wirkt expansive Geldpolitik — bei hoher Kapitalmobilität verstärkt - , denn die Zinssenkung bringt eine starke nominale und reale Abwertung, die wiederum mittelfristig (und bei Geltung der Marshall-Lerner-Bedingung) zu einer Erhöhung des Außenbeitrages führt. Dies gilt jedenfalls im Ein-Land-Modell, in der Zwei-Länder-Analyse — mit symmetrisch großen Ländern — gilt diese Überlegung nur modifiziert. Schon aus diesen Standardüberlegungen ergibt sich unmittelbar, dass eine zunehmende internationale Finanzmarktintegration von wirtschaftspolitischer und wirtschaftlicher Relevanz ist. Weiterhin ist zu bedenken, dass verstärkt integrierte Länder auch für Finanzmarktschocks in erhöhter Weise anfällig sind. Die Finanzmarktkrise 2007/08 hat dies hinlänglich verdeutlicht. In den 80er und 90er Jahren hat die internationale Finanzmarktintegration schrittweise auch im Bereich der Direktinvestitionen zugenommen, wobei die Verbindung von Portfoliokapitalverkehr und Direktinvestitionen als wenig beleuchtet gelten kann; dies gilt trotz der in der Praxis sichtbar wichtigen Rolle multinationaler Unternehmen als Schlüsselindikator — eine wachsende Präsenz von ausländischen Tochterunternehmen in Schwellenländern bzw. relativ armen Ländern (z.B. auch Osteuropas) hat eine positive Signalfunktion für den Portfoliokapitalverkehr bzw. Kapitalzuflüsse insgesamt. Dies kann man als eine Grundhypothese formulieren, aber es ist auch zu bedenken, dass in einer anfanglichen Öffnungsphase zunächst kaum an Direktinvestitionszuflüsse zu denken ist; es sind eben dann häufig gerade spekulative Kapitalzuflüsse im Rahmen des kurzfristigen Portfoliokapitalverkehrs, die in relativ armen Ländern dann als schrittweiser Türöffner für langfristige Portfoliokapitalzuflüsse und Direktin-
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vestitionen wirken; damit ergibt sich im Grundsatz ein Drei-Phasen-Schema zur relativen Gewichtigkeit von Direktinvestitionen bzw. Portfoliokapitalverkehr. Mit der außenwirtschaftlich verstärkten Öffnung Chinas und schrittweise auch des neuen Russlands bzw. der postsozialistischen Staaten Osteuropas hat sich in den 90er Jahren eine Art Weltmarktwirtschaft ergeben, wobei die Kapitalverkehrsliberalisierungen und die Internationalisierung des Bankensektors dann auch in den genannten Ländern realisiert wurde. Finanzmarktintegration bezeichnet grundlegend den Sachverhalt, dass bislang räumlich oder währungsmäßig getrennte Finanzmärkte allmählich zu einem Finanzmarkt verschmelzen; Finanzmarktintegration ist im denkbaren Grenzfall eines einzigen Finanzmarktes — ohne Wechselkursrisiko (also etwa in der Eurozone) — erkennbar an der vollständigen Angleichung der Renditen bzw. Zinssätze für Wertpapiere gleicher Laufzeit und Bonität der Emittenten. Im Fall der 1999 geschaffenen Eurozone — mit anfänglich 11 Starterländern — ist binnen einer Dekade die Finanzmarktintegration weit fortgeschritten, da sich eben auch die einheitliche EZB-Geldpolitik als Integrationsfaktor erweist. Im Interbankenmarkt und auch bei Kreditmärkten für Geschäftskunden ist der Integrationsprozess binnen zehn Jahren weit fortgeschritten, im Privatkundengeschäft sind die Fortschritte nur begrenzt. Eine gewisse Fragmentierung ergab sich in der EU bzw. in der Eurozone auch im Kontext der Bankenaufsicht, die weitgehend national ist; weitgehend ist hier als Einschränkung in dem Sinn gemeint, dass die Bankenaufseher aus Land X auch zuständig sind für ausländische Filialen von Banken aus diesem Land, sofern die jeweilige Filiale in einem EU-Land residiert. Das Prinzip der HomeCountry Supervision gilt allerdings nicht für Tochtergesellschaften im Ausland. Denn hier ist zunächst die Bankenaufsicht des Gasdandes zuständig. Gemäß Kapitalmarktrichtlinie der EU soll hier allerdings eine gewisse Kooperation auch mit den Aufsichtsbehörden des Quellenlandes (Sitzlandes der Konzernzentrale) der Bank-Tochter stattfinden — in so genannten Colleges. Die Bankenaufsichtsregime der einzelnen OECD-Länder sind natürlich wichtig aus der Einlegersicht. Denn wer ein Konto bei einer Bank eröffnet bzw. dort Einlagen hält, wird sich im Regelfall für die Frage nach der Qualität des Risikomanagements einer Bank und gewissen aufsichtsrechtlichen Leitplanken interessieren; ansonsten sind für Einleger auch Fragen der Einlagensicherung von Interesse, wobei hierzu jedoch kaum Transparenz herrscht (am Eingang einer Bank gibt es i.d.R. keine Information, zu welchem Einlagensicherungssystem die Bank gehört). Innerhalb der EU gibt es jeweils nationale Aufsichtsorgane für Banken — oder auch für Versicherungen und Pensionsfonds. Mit der Eurozone ist insgesamt ein weitgehend integrierter und dabei wettbewerbsintensiver Finanzmarkt entstanden, der in vielen Aspekten leistungsmäßig dem US-Finanzmarkt durchaus vergleichbar ist. Die nominalen Zinssätze der Euro-Starterländer mit zuvor hoher Inflationsrate haben sich schon im
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt • 3
Vorfeld des Eurostarts rasch an die niedrigen Zinssätze Deutschlands und Frankreichs sowie der Niederlande und Österreichs angeglichen. Die Realzinssätze — als Differenz von Nominalzins und Inflationsrate — unterscheiden sich aber noch innerhalb der Eurozone; denn die Inflationsraten einzelner Länder der Eurozone unterscheiden sich, wobei in den Ländern mit niedrigem Pro-KopfEinkommen und hohem Wirtschaftswachstum der so genannte BalassaSamuelson-Effekt eine inflationserhöhte Rolle spielt: Die relativen Preise nichthandelsfahiger Güter und Diensdeistungen steigen parallel zum Pro-KopfEinkommen an und bei einem System fester Wechselkurs bedeutet das auch, dass die Inflationsrate etwa höher sein wird als im Ankerwährungsland: also in dem Land, gegenüber dem das Land die Währung fixiert hat. Bei den Kohäsionsländern Griechenland, Spanien, Portugal und Irland ist ein solcher Effekt ebenso zu beobachten (EGERT, 2007) wie bei den osteuropäischen Beitrittsländern der Eurozone, nämlich Slowenien (Beitrittsjahr: 2007) und Slowakische Republik (2009) sowie anderen denkbaren Beitrittsländern. Polen hat im September 2008 angekündigt, dass man 2011 Mitglied der Eurozone werden wolle. Die Finanzmarktinstabilitäten im Kontext der Bankenkrise 2008/09 lassen allerdings einen etwas späteren Beitritt als wahrscheinlich erscheinen; die Konvergenzkriterien unter erschwerten Bedingungen — nämlich Bankenkrise und Weltrezession — bald zu erreichen, dürfte sehr schwer werden. Die Erwartung von Euro-Beitrittsländern geht in der Regel dahin, dass man als Mitgliedsland der Eurozone vor internationalen monetären Schocks besser geschützt sein wird als zuvor und dass man reladv niedrige Realzinssätze verzeichnen wird, was für die Kapitalbildung bzw. die Investitionsquote und damit das Wirtschaftswachstum vorteilhaft sein dürfte (allerdings wird dabei in Osteuropa oft der Aspekt übersehen, dass die Rendite aus Ausländersicht dann nicht mehr durch eine systematische Währungsaufwertung der jeweiligen osteuropäischen Währung — im Zuge des Balassa-Samuelson-Effektes — begünstigt wird). Zudem erwartet man auch Effizienzvorteile aus dem dank Währungsunion gewissermaßen vollständig nutzbaren EU-Finanzbinnenmarkt. Angesichts der Finanzmarktschocks aus den USA in 2007/08 dürften diese Argumente bei den osteuropäischen Ländern noch an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass die regionale Handelsorientierung sich zugunsten der Eurozone weiter verstärkt, was unter bestimmten Umständen auch wachstumsförderlich sein kann. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Struktur des Außenhandels: Je mehr die Importe und Exporte durch eine hohe Technologieund Wissensintensität geprägt sind, desto eher kann man mittelfristig von einem positiven Wachstumsimpuls durch den Außenhandel ausgehen (siehe zu den EU-15-Ländern als empirische Analyse JUNGMITTAG, 2007). Die Finanzmarktentwicklung ist auch wesentlich mit Blick auf die Fähigkeit hohe Direktinvestitionen anzuziehen, wobei Direktinvestitionen im Banken- und Versicherungsmarkt — in Westeuropa wie in den osteuropäischen Beitrittsländern —
4 • Paul J.J. Weifens vielfach ein gewichtiges Phänomen wiederum die Finanzmarktentwicklung begünstigen dürften. Effizienzgewinne bei der Kapitalallokation können daher dann den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprozess begünstigen. Dabei spielt auch die Möglichkeit für Anleger eine Rolle, im integrierten Finanzbinnenmarkt auf eine größere Bandbreite liquider Anlagen zurückgreifen zu können. Daher erhöht sich auch die Zinselastizität der Geldnachfrage im Euroraum; diese Überlegung galt zumindest bis zur Finanzmarktkrise 2007/08, als sich - in der EU, aber vor allem in den USA — zahlreiche Papiere als weniger liquide erwiesen, als die Anbieter zuvor versprochen hatten. Wenn die Zinselastizität der Geldnachfrage steigt, dann müsste eigentlich die Geldpolitik bei flexiblen Wechselkursen (aus der Sicht des Mundell-Flemming-Modells) stärker wirken als früher. Tatsächlich mag daher auch die Expansionswirkung der US-Geldpolitik in 2007/08 in den USA größer gewesen sein als in früheren Jahren. Zugleich war aber die Geldpolitik angesichts der Funktionsunfähigkeit der Interbankenmärkte seit Sommer 2007 mit neuen Unsicherheiten zum Transmissionsprozess behaftet. Für die osteuropäischen EU-Beitrittsländer liegen in der Finanzmarktintegration wichtige strategische Ansatzpunkte. Die in vielen Beitrittsländern zunehmend im Zeitablauf ausgebaute Präsenz westeuropäischer Banken bedeutet zunächst einmal, dass sich dort Effizienzgewinne einstellen und zudem werden den Kunden neuartige Finanzprodukte angeboten, die den Anlegern mit ihren Zielpunkten Rendite, Sicherheit und Liquidität Vorteile bieten. Dies mag auf die Sparquote durchaus positiv wirken und die hohen realen Wachstumsraten einiger osteuropäischer EU-Beitrittsländer haben wohl ebenfalls eine Anreizwirkung: Bei Aktien und Immobilien sind besonders starke Wertsteigerungen zu erwarten, wobei neu am Aktienmarkt erfolgte Notierungen gerade auch von jungen Exportfirmen für institutionelle und manche private Anleger interessant sind. Positiv zu vermerken ist in den Beitrittsländern, dass die zeitliche Tiefe des Kapitalmarktes bzw. der Wertpapiermärkte im Zeitablauf zugenommen hat (KUTLINA, 2008). So sind im Gegensatz zu den in der Transformationsphase der Wirtschaftssysteme kurzfristigen Finanzierungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts dann etwa langfristige Hypothekenkredite in vielen Beitrittsländern fast die Norm geworden. Da die osteuropäischen Beitrittsländer weitgehend auf Übergangsfristen bei der Kapitalverkehrsliberalisierung verzichtet haben — mit Ausnahme insbesondere Polens, das sich beim Erwerb von Land eine langfristige Übergangsregelung zusichern ließ - , weht der scharfe Wind des Wettbewerbs aus dem EU-Finanzbinnenmarkt praktisch mit dem Eintritt in die EU; also seit 1. Mai 2004 bei zehn Beitrittsländern und zum 1. Januar 2007 bei Bulgarien und Rumänien. Da zu der ersten Osterweiterungsrunde der EU auch Zypern gehörte — mit vielen dort ak-
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt • 5
tiven russischen Banken - , dürfte der Einfluss der EU-Finanzmarktentwicklung auch noch weiter nach Osteuropa wirken. Über der regionalen Finanzmarktintegration, die in der Europäischen Union schon durch das Binnenmarktprogramm von 1992 deutlich gestärkt wurde, schwebt allerdings eine globale Finanzmarktintegration, die sich speist aus drei wichtigen Impulsen: •
weltweite Expansion von US-Banken und US-Fonds, die teilweise sichtbar eine Amerikanisierung der Banken- und Finanzmärkte in einigen Gastländern befördern; da die USA zudem eine wichtige Quelle von Finanzkapital und Direktinvestitionen sind, das international angelegt wird, entsteht indirekt dann im Kontext der globalen Standortkonkurrenz ein Druck zur institutionellen Anpassung in den Anlageländern — jedenfalls solange das US-Banken- bzw. Finanzmarktsystem als international führend erscheint. Grundsätzlich kann man vermuten, dass der globale Standortwettbewerb als institutioneller Lernimpulse für sehr viele Länder gilt, wobei Mitgliedschaften in internationalen Organisationen wie dem IWF und der WTO natürlich bereits ein Mindestmaß an internationaler Regelangleichung bedeuten.
•
Abbau von Transaktions- und Informationskosten auf den globalen Finanzmärkten, und zwar durch insbesondere durch den technischen Fortschritt bzw. die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT); da der technische Fortschritt im IKT-Bereich absehbar auf viele Jahre hoch sein wird, nimmt eben auch die Bedeutung dieses Globalisierungstreibers tendenziell langfristig zu;
•
Angleichung von bankenaufsichtsrechtlichen Regelungen — wie etwa die Basel-I-Regeln der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die für die OECD-Länder Mindesteigenkapitalquoten der Banken vorsehen (seit 2007/08 Basel-II-Regeln, die immerhin für alle EU-Länder gelten; die USA haben sich noch nicht angeschlossen).
Soweit man verschiedene Länder — mit verschiedenen Währungen - betrachtet, spielt natürlich der Devisenmarkt eine wichtige Rolle, denn Wechselkursänderungserwartungen werden in Systemen flexibler Wechselkurse generell und im Fixkurssystem in Krisenphasen eine Rolle spielen. Wenn man vereinfachend als Finanzmärkte die Bondsmärkte und die Aktienmärkte betrachtet, dann werden natürlich Verbindungen zwischen dem Ausmaß der internationalen Kapitalflüsse (und deren Volatilität) und der Entwicklung der Zinssätze und Aktienkurse bestehen. Insbesondere kann eine Abwertung der Währung (ein steigender Kurs des Wechselkurses, der hier in Preisnotierung betrachtet sei) zu einer Erhöhung des Aktienkursindexes führen, soweit die Abwertung mit einer deutlichen Erhöhung der Profitabilität des Exportsektors einhergeht. Allerdings ist auch die um-
6 • Paul J.J. Weifens
gekehrte Impuls- bzw. Kausalitätsrichtung denkbar, dass nämlich z.B. erwartungsgetriebene Kapitalzuflüsse oder Kapitalabflüsse, und zwar Bonds- oder Aktienmarkt betreffend, zu einer kurz- oder langfristigen Wechselkursänderung führen. Erwartete Kurssenkungen werden in der Regel zu einem Nettokapitalabfluss führen, so dass die Devisennachfrage steigt und eine Abwertung eintritt. Denkbar ist aber auch ein spezieller Fall wie in 2008, als US-Banken und USFonds im Kontext der US-Bankenkrise mit unerwarteten Liquiditätsproblemen im Heimatmarkt Anlagegelder aus Asien (und Europa) in großem Ausmaß abgezogen haben, was natürlich zu einem Kursverlust auf den Aktien- und Rentenmärkten in Asien und zugleich im Sommer 2008 zu einer erheblichen Aufwertung des Dollars führte. In empirischen Studien zu asiatischen Schwellenländern konnten mit Blick auf die Verbindung von Devisenmarkt und Aktienmarkt langfristige Zusammenhänge auf Basis des Kointegrationsansatzes für die Philippinen und Singapur sowie - bei Berücksichtigung des Zinssatzes - für einige weitere Länder bestätigt werden. GRANGER/HUANG/YANG (2000) wandten Kointegration und Granger-Kausalität als Konzepte an und für eine Reihe von Ländern fanden sich signifikante positive Verbindungen zwischen Aktien- und Devisenmarkt: typischerweise in beide Richtungen — keine Zusammenhänge fanden sich in Japan, Singapur und Thailand. Allerdings gilt es im Kontext der drei unterschiedenen Untersuchungsperioden auch festzustellen, dass in Turbulenzphasen der Impulse bzw. die Kausalität kurzfristig von den Aktienmärkten auf die Wechselkurse wirkten. Für die EU-Kohäsionsländer und die osteuropäischen EU-Beitrittsländer hat ISLAMI (2008) eine empirische Studie vorgelegt, die für verschiedene Länder positive kurzfristige Zusammenhänge feststellt und für Polen zudem langfristige Verbindungen. Zur neueren Finanzmarkt- und Wirtschaftsentwicklung in den osteuropäischen Beitrittsländern liegen zudem Untersuchungen von KUTLINA (2009) - mit empirischem Fokus - und von KEIM (2009) vor, wobei letzterer mit Blick auf die Finanzmärkte institutionelle Integrationsaspekte betont hat. Finanzmärkte sind für Unternehmen und Haushalte von größter Bedeutung, da Unternehmen hier ihre Fremdkapital- bzw. Eigenkapitalfinanzierung organisieren und die Haushalte als Kreditnehmer bzw. Anleger aktiv sind. Nicht alle Arten von Unternehmensaktivitäten sind für hohes Wachstum des betrachteten Sektors bzw. der jeweiligen Volkswirtschaft gleich gewichtig, wobei es für bestimmte Unternehmens- oder Branchenaktivitäten auch jeweils unterschiedliche Erfordernisse bei der Finanzierung gibt. Universalbanken haben traditionell in den kontinentaleuropäischen EU-Ländern die Unternehmensfinanzierung dominiert, während in Großbritannien und den USA der Aktienmarkt eine größere Rolle gespielt hat. Im Zuge einer zunehmenden Verbriefung von Krediten durch Banken, die dann forderungsbesicherte Kredite im Kapitalmarkt verkauft haben, hat sich seit den 90er Jahren jedoch eine Angleichung der
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt • 7
kapitalmarktbasierten Systeme in den USA bzw. Großbritannien mit dem kontinentaleuropäischen Universalbankensystem bis zu einem gewissen Grad ergeben. Die US-Bankenkrise überschattete allerdings sichtbar die internationale Finanzmarktentwicklung in 2007/08. Gegenüber der Finanzmarktkrise hat sich die Eurozone jedoch als relativ robust erwiesen, zumal eine vorsichtige Regulierungslinie bei der Spanischen Nationalbank und bei der Nationalbank Italiens die Expansionsanreize spanischer und italienischer Banken im Bereich der forderungsbesicherten Anleihen begrenzt hatten. Demgegenüber ist in Belgien und den Niederlanden und z.T. auch in Deutschland und Frankreich eine ganze Reihe von Banken in die entsprechenden Märkte - auch in den USA — eingestiegen. Die EU-Finanzminister haben auf ihrer Sitzung vom 13. September 2008 beschlossen, dass über die Europäische Investitionsbank mittelständischen Unternehmen zusätzlich bis zu 30 Mrd. € an Krediten zukommen sollen, um so eine gewisse Abfederung gegen die realen Negativeffekte der von den USA auf die EU übergreifenden Bankenkrise zu erreichen. Man darf hierzu allerdings feststellen, dass jenseits des Signalcharakters der zusätzlichen EIB-Kredite der Impuls für die Investitionen in der EU wohl vernachlässigbar gering sein wird. Zu groß sind mit Blick auf die EU im Übrigen die direkten und indirekten realen Abschwungswirkungen der US-Bankenkrise. Die Kommission revidierte im September die Wachstumsrate für 2009 um einen ganzen Prozentpunkt nach unten und geht auch für 2009 von einem reduzierten Wirtschaftswachstum aus; dabei dürften Spanien, Irland und Großbritannien, Deutschland, Italien, Frankreich und anderen EU-Länder in eine tiefe Rezession hineingeraten. Sieht man zunächst von der transadantischen Bankenkrise ab, so kann man mit Blick auf die Dekade nach 1998 feststellen, dass die Wirtschaftsentwicklung in der EU bzw. der Eurozone relativ günstig verlaufen ist, da die Wachstumsraten nach 2002 anstiegen und auch die Beschäftigungszahlen zugenommen haben. Die Europäische Kommission hat über die Lissabon-Agenda insbesondere Impulse für mehr Innovation, Wachstum und Beschäftigung gegeben: die EU soll bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Volkswirtschaft der Welt werden. Eine hohe Innovationsdynamik ist hier wesentlich, wobei neuere Analysen auch eine zunehmende Internationalisierung von Forschung und Entwicklung verzeichnen (OECD, 2008). Da insgesamt die Technologie- und Wissensintensität der Produktion in den EULändern und speziell in den EU-15-Ländern längerfristig zugenommen hat, stellt sich u.a. die Frage, inwieweit sich auch die Kapitalmärkte bzw. die Banken auf diese Herausforderungen eingestellt haben. Hierbei kann man durchaus auch nach Unterschieden in der Art des Finanzsystems fragen, wobei Großbritannien und die USA traditionell eher als kapitalmarkt- bzw. aktienmarktbestimmte Länder gelten, während in den kontinentaleuropäischen Ländern ein stärker bankendominiertes System vorherrscht. Im Zuge des Originate-to-distribute-Ansatzes,
8 • Paul J.J. Weifens
der mit Blick auf die Banken von einer zunehmenden Verbriefungstendenz von Krediten ausgeht, ist der Eindruck entstanden, dass sich das angloamerikanische System und das kontinentaleuropäische System stärker einander strukturell angenähert hätten. Ob dies aber tatsächlich der Fall ist, bleibt noch zu prüfen; denn man muss zunächst feststellen, dass die US-Banken und die britischen Banken bei den Kreditverbriefungen viel rascher vorangeschritten sind als etwa die Länder der Eurozone. Im Übrigen kann man die Nachhaltigkeit bzw. Vernünftigkeit einer sehr starken Verbriefungswelle bezweifeln, da sich das Monitoring der Kredite bzw. die Erstprüfung der Unternehmen bei der Kreditvergabe — meist im Wissen bei den Banken, dass als nächstes eine Verbriefung bzw. Weiterreichung Richtung Kapitalmarkt erfolgen wird - im Zeitablauf in den USA und auch in der EU vermindert hat; auch bei deutschen Banken wurden Dutzende Unternehmens- bzw. Kreditprüfer entlassen, da die Banken meinten, man könnte sich auf einfache Risikomodelle und ein meist leicht erreichbares A-Rating bei den Kreditverbriefungen verlassen. Die riesigen Abschreibungen der Banken bzw. die Liquiditätsprobleme der US-Banken und einiger EU-Banken zeigen aber, dass diese Strategie — in vielen Ländern realisiert — keineswegs durchdacht war. Bei Verbriefungen müssten die Banken zumindest selbst in erheblicher Weise durch Selbstbehalt ins Risiko gehen, da die Anreize sonst nicht stimmig sind. Es fehlt am Interesse der Banken, sich ein korrektes Bild der effektiv verbrieften Kreditrisiken zu machen, Risikoillusion und künstlich verminderte Risikoprämien sind die Folge. Die Art der Wissensasymmetrie zwischen Innovator und Finanzier sowie bestimmte Anreizprobleme verlangen tendenziell, dass technologieintensive oder innovationsorientierte Investitionsprojekte stark über Kapitalmärkte bzw. Eigenkapital (und Venture Capital) — insbesondere Börsenemissionen — finanziert werden. Nur für Branchen, in denen Firmen ohne weiteres über Besicherungsobjekte für Kredite verfügen, im Idealfall wertvolle Grundstücke, dürften bei der Innovationsfinanzierung keine Probleme auftreten. Zwar hat die Gründung der Eurozone grundsätzlich einen größeren integrierten Kapitalmarkt in Europa geschaffen, und zwar auch für Risikokapital, aber der Zugang zu Venture Capital relativ zum Bruttoinlandsprodukt ist in Deutschland doch viel geringer als etwa in den USA (dort führt unter den Bundesstaaten wiederum Kalifornien) oder Großbritannien. Die Globalisierung der Wirtschaft bzw. die EU-Integration erhöht aber gerade für Hochlohnländer wie Deutschland, Frankreich, Dänemark, Österreich etc. den Druck, sich stärker auf technologieintensive Produktion hin zu spezialisieren. Die Richtung des Strukturwandels in Deutschland und vielen anderen OECDLändern gerade durch eine verstärkte Hinwendung zu technologie- und wissensintensiven Branchen geprägt, so dass hier besondere Finanzierungsprobleme zu erwarten sind. Neuere Analysen zeigen, dass die Eurozone sich im Zeitablauf — auch unter dem Druck der Globalisierung — in der Exportspezialisierung ver-
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt • 9
stärkt auf Güter mittlerer Technologieintensität sowie Hochtechnologiegüter spezialisiert hat; dabei sind zunehmende Importe von Vorprodukten aus Niedriglohnländern zu verzeichnen (BAUMANN/MAURO, 2007). Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern fallt auf, dass die spezialisierungsmäßig verstärkte Hinwendung zu forschungsintensiven Gütern bzw. weg von arbeitsintensiven Gütern etwas langsamer erfolgt ist, was möglicherweise auf Anpassungshemmnisse in Güter- und Arbeitsmärkten hindeutet (oder auch ein Problem der Datenklassifikation ist). Es gibt insgesamt einen deutlichen längerfristigen Trend hin zu einer Spezialisierung, die eine zunehmende Bedeutung von wissens- und technologieintensiver Produktion mit sich bringt. Die Finanzierung dieser Spezialisierung bzw. der entsprechenden Investitionen und Innovationen ist eine strukturelle Herausforderung in der Eurozone. Dabei mangelt es — wie internationale Vergleiche zeigen — in Deutschland und einigen anderen Ländern der Eurozone an einer hinreichenden Verfügbarkeit von Risikokapital, was für technologieorientierte Unternehmensgründungen und Firmenwachstum entsprechender junger Unternehmen wesentlich ist. Wenn man die Spezialisierungen von Ländern im Außenhandel betrachtet, dann liegt es nahe, sich die Industrieexporte und -importe genauer anzusehen. Dies geschieht hier nachfolgend auf statistischer 3steller Ebene, und zwar getrennt nach Spezialisierungsgruppen: Die Einteilung folgt der OECD-Klassifizierung, so dass von der Art der Faktorintensität in der Produktion unterschieden wird zwischen: •
arbeitsintensiven Gütern (labour intensive),
•
ressourcenintensiven Gütern (resource intensive),
•
ressourcen- und skalenintensiven Gütern (resource & scale intensive),
•
skalenintensiven bzw. Massenproduktionsgütern (scale intensive),
•
skalen- und wissensintensiven Güter (science and scale intensive),
•
wissenschaftsintensiven Güter (science-based),
•
differenzierten Güter (differentiated goods).
Die Außenhandelsspezialisierung kann man über die sogenannten RCA-Werte (RCA = Revealed Comparative Advantage/relativer offenbarter komparativer Wettbewerbsvorteil) messen, die im Wesentlichen die sektorale Export-ImportRelation im Vergleich zur Export-Import-Relation aller Sektoren abbilden. Wenn die sektorale Export-Import-Relation — etwa für Deutschland bei PKWs — besser als die Export-Import-Relation für alle Sektoren der Industrie ist, dann sprechen wir von einer positiven Spezialisierung. Dabei ist der Indikator so definiert, dass eine neutrale Position mit Null angezeigt wird, d.h. dass der betrachtete Sektor in
10 • Paul J.J. Weifens
diesem Fall mit seiner Export-Import-Relation auf dem Weltmarkt — oder einem sinnvoll definierten Teilmarkt — gerade dem Durchschnitt aller Sektoren entspricht. Gegenüber der herkömmlichen Definition des RCA-Indikators wird hier eine leichte Modifizierung vorgenommen (MRCA wird der Indikator hier genannt; Definition siehe Box) und im Übrigen wird als relevanter Teilmarkt der EU-15-Markt betrachtet, also der EU-Binnenmarkt vor EU-Osterweiterung; bei Deutschland wird zur Ergänzung auch der EU-27-Markt einbezogen. Deutlich wird aus den nachfolgenden Betrachtungen, wie sehr etwa Deutschland positiv im Bereich wissens- und technologieintensiver Güter spezialisiert ist. Dabei ist zu beachten, dass bei der Analyse die Sektoren von links nach rechts in ansteigender Technologieintensität angeordnet sind, wobei ganz links arbeitsintensive Sektoren (labor intensive) verzeichnet sind. Es gibt auch ressourcenintensive (resource intensive) Sektoren und skalenintensive Sektoren (scale intensive) sowie des weiteren Sektoren, die skalen- und wissenschaftsbasiert sind; schließlich auch wissenschaftsbasierte Sektoren (science intensive) und Sektoren der differenzierten Güter, die meist von hoher Technologieintensität sind. Man kann der nachfolgenden Abbildung mit der Darstellung der MRCA-Werte (modifizierte offenbarte komparative Vorteile: Modified Revealed Comparative Advantage) entnehmen, dass Deutschland sich auf skalen- und wissensintensive Güter erfolgreich spezialisiert hat, wobei positive Werte eine positive Spezialisierung im EU-15-Markt anzeigen: D.h. dass der sektorale Export-Anteil für Industrie k besser als die Exportquote der anderen Länder im betrachteten Referenzmarkt (hier EU-15) ist. Im Übrigen ist Deutschland in Teilbereichen der wissensintensiven Güter „negativ" spezialisiert, so dass der Indikator unter dem neutralen Wert von 1 bzw. In 1 - also Null — liegt (Übersicht zu den Industrien siehe Anhang; Definition des MRCA siehe Box). Der modifizierte RCA-Index für eine spezifische Industrie k in einem Land i (x steht für Exportmenge) ist wie folgt definiert (BORBELY, 2006): n
RCA modified = ik
vIX k=i n
Xjk'lLXjk k=\
wobei j für den Referenzmarkt steht (z.B. EU-15); der MRCA-Index liegt im Intervall zwischen 0 und co Für RCA,k >1 hat das Land i einen komparativen Vorteil im Sektor k — bezogen auf den Referenzmarkt EU-15. Ein komparativer Nachteil besteht für den Fall RCAik 1). Dabei darf man im Übrigen nicht übersehen, dass die Spezialisierung der USA bei einzelnen Sektoren nicht dasselbe ist wie die Spezialisierung von US-Firmen. Denn letztere sind ja auch in erheblichem Umfang im Ausland tätig, natürlich auch in Deutschland; die multinationalen Unternehmen aus den USA sind häufig gerade in technologie- und wissensbasierten Industriesektoren aktiv und tragen hier etwa zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands positiv bei. Ähnliches gilt für die Betrachtung der Wettbewerbsfähigkeit von einzelnen Exportsektoren Deutschlands vs. Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen.
12 • Paul J.J. Welfens
Abbildung 1: Außenwirtschaftliche Spezialisierungsgrade der Industrie Deutschlands im EU-15-Markt bzw. im EU-27-Markt: nach Sektoren, 1988-2006
!• 1968 »1989 P1990 n 1991 • 1992 » 1993 » 1894 Q 1995 • 1906 • 1997 O 1998 » 1999 • 2000 • 2001 «2002 » 2003 «2004 0 2005 O200el|
Quelle: EIIW-Berechnungen
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt • 13 Hingegen ist China — wiederum mit Blick auf den Absatz in den EU-15-Märkten noch deutlich im Bereich arbeitsintensiver Güter „positiv spezialisiert". Aber China ist auch schon sichtbar präsent bei differenzierten Gütern, zu denen u.a. Elektronikprodukte gehören. Die USA ist, was die Außenhandelsspezialisierung angeht, eindeutig positiv spezialisiert im Bereich von wissensintensiven Gütern. Allerdings darf man nicht übersehen, dass US-Firmen in der E U über ihre Tochterfirmen einen etwa dreifach so hohen Absatz haben wie die Exporte aus den USA; sofern US-Tochterunternehmen zum Export und Import Deutschland (anderer EU-Länder) beitragen, kommt in den Spezialisierungsindikatoren für Deutschland (oder andere EU-Länder) auch ein indirekter US-Einfluss zum Ausdruck.
Abbildung 2: Sektorale Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Industrie auf Basis des modifizierten RCA, 1993-2008, Bezug: EU-15Markt
Labour Intensive 17
18
19
Ressource Intensive 28
36
16
16
20
23
i Ress. Scale:
Scale Intensive
:
26
27
21
22
24
:
25
34
; Scale ; Sei. 35
Sciencebased 30
33
Differentiated Goods 29
31
[ P 1 9 9 3 » 1 9 9 4 • 1995 • 1996 » 1 9 9 7 B 1 9 9 8 » 1 9 9 9 [32000 « 2 0 0 1 « 2 0 0 2 0 2 0 0 3 0 2004 • 2005 » 2006 » 2 0 0 7 « 2 0 0 ? ]
Quelle: Comext; EIIW-Berechnungen
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14 • Paul J.J. Welfens
Abbildung 3: Sektorale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der USA auf Basis des modifizierten RCA, 1993-2008, Bezug: EU15-Markt
Quelle: Comext; EIIW-Berechnungen
Was die internationalen Lohnunterschiede angeht, so spiegeln diese wesentlich die relativen internationalen Exportdurchschnittserlöse (export unit value: EUV) wider: Länder mit starken Exportunternehmen, die anhaltend relativ hohe Exportdurchschnittserlöse auf dem EU15-Markt bzw. dem Weltmarkt erzielen — etwa weil die Qualität der Produkte oder der Innovationsgrad der Produkte sehr hoch ist —, haben gute Voraussetzungen für einen hohen Lebensstandard und letztlich auch für hohe Löhne in der Exportindustrie. Der nachfolgende Vergleich zeigt in der Abbildung deutlich die enormen Unterschiede bei den Exportdurchschnittseriösen auf dem EU15-Markt für die Länder USA, China, Deutschland: Die durchschnittlichen Exporterlöse für die USA und Deutschland sind in den einzelnen Gütergruppen — vor allem auch in den technologie- und wissensmäßig anspruchsvollen Gütergruppen — viel höher als für China, wobei sich im Zeitablauf (Vergleich 2003 und 1993) in einigen Gütergruppen Verschiebungen ergeben.
Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum im EU-Binnenmarkt • 15
Abbildung 4: Export Unit Values der US-amerikanischen, der deutschen und der chinesischen Industrie im Vergleich, 1993 und 2003, Bezug: EU-15-Markt
Source: Comext
I
US 1993
US 2003 — — DE 1993 —
—DE2003
•
CH 1993
-
CH 20031
E U V - E U 15 Market
Finanzmarktintegration bzw. Finanzmarktglobalisierung - beides auch eine zunehmende Rolle von Direktinvestoren bzw. multinationalen Unternehmen umfassend — bringt durch die steigende Rolle der Kapitalmärkte verstärkten Renditedruck (hin auf höhere Eigenkapitalrenditen), der in der Regel auch eine Anpassung im Sinn einer verstärkten Spezialisierung bedeutet.
Internationale Skalenvorteile und Netzwerkvorteile Wenn man die ökonomischen Effekte der internationalen Öffnung von Ländern betrachtet, so wird herkömmlich stark auf Spezialisierungsgewinne und auch die Effekte intensivierter Produktdifferenzierung — beide sind wohlstandsförderlich — verwiesen; einige Autoren betonen auch die Rolle des Handels mit Vorprodukten als Vehikel der internationalen Spezialisierung (BRETSCHGER, 2005). Darüber hinaus kann man aber durchaus nach Nachfrageerhöhungseffekten fragen, die sich bei einigen Gütern und Dienstleistungen — insbesondere digitalen Diensten — via Netzwerkeffekte ergeben. Solche Effekte können national oder auch international realisiert werden und bedeuten, dass der Grenznutzen der bisherigen Nachfrager durch das Hinzukommen von weiteren
16 • Paul J.J. Weifens
Nachfragern ansteigt, was die Expansionschancen der Firmen ansteigen lässt (WELFENS, 2007a; WELFENS 2008). Eine einfache innovative Modellierung von internationalen Skaleneffekten oder auch von Netzwerkeffekten setzt an der Größe des Weltmarktes an, der hier zur Vereinfachung aus der Perspektive eines Zwei-Länder-Modell betrachtet werden soll: Mit dem Inland, das ein Bruttoinlandsprodukt Y hat, und dem Ausland, wo das Bruttoinlandsprodukt Y* beträgt. In der Ausgangssituation der Autarkie sollen In- und Ausland jeweils gemäß einer herkömmlichen Cobb-DouglasProduktionsfunktion produzieren: (I)
Y= K^AL)1"15
Im Ausland gelte (ggf. mit ß=ß* und A=A*) (II)
Y*= K*ß*(A*L*)1-ß*
Betrachten wir nun internationale Skaleneffekte, die sich nach Öffnung der Volkswirtschaft ergeben, wobei der Handel mit Vorprodukten — mit global relevanten Skalenvorteilen (dabei können die Konsumendprodukte in Land I und Land 2 durchaus differieren) — eine Begründung für das Entstehen internationaler Skaleneffekte sein kann. Verstärkte Integration von Finanzmärkten kann den Druck auf die Unternehmen in beiden Ländern erhöhen, solche internationalen Skalenvorteile zu nutzen. Betrachtet wird hier folgende Produktionsfunktion im Inland, die nach Öffnung der Volkswirtschaft gilt, nämlich (mit dem Parameter 0>1; Y ist Bruttoinlandsprodukt, K, A, L sind Kapital, arbeitsvermehrendes Wissen und Arbeit; 00;Q' o /a*