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German Pages 260 [262] Year 2023
Beiträge zum Organisationsverfassungsrecht Herausgegeben von
Julian Krüper und Arne Pilniok
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Johanna Werpers
Wahlprüfung vor der Wahl Zur Durchsetzung wahlbezogener Rechte politischer Parteien
Mohr Siebeck
Johanna Werpers, geboren 1996; Studium der Rechtswissenschaften sowie Fachspezifische Fremdsprachenausbildung (Französisch) an der Universität Münster; 2019 Erste juristische Prüfung; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Europäisches Verwaltungsrecht an der Universität Münster; 2022 Promotion; Rechtsreferendariat am Oberlandesgericht Celle.
Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) D6 Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2022. ISBN 978-3-16-162598-5 / eISBN 978-3-16-162646-3 DOI 10.1628/978-3-16-162646-3 ISSN 2626-4412 / eISSN 2626-4420 (Beiträge zum Organisationsverfassungsrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und dort gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2022/23 von der Rechtswissenschaft lichen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen. Das Kolloquium fand im November 2022 statt. Die Dissertation befindet sich weitgehend auf dem Stand von August 2022. Im Zuge der Drucklegung wurden partiell Änderungen in Bezug auf die Gliederung sowie Aktualisierungen vorgenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden vereinzelt noch bis Juni 2023 eingearbeitet. Mein herzlicher Dank gebührt zunächst Herrn Professor Dr. Gernot Sydow, M.A., für seine stetige Unterstützung und die Förderung meiner Dissertation. Er befürwortete mein Promotionsvorhaben von Beginn an und trug mit seinen kritischen Anmerkungen sowie gleichermaßen aufbauenden Worten zum Gelingen dieser Arbeit bei. Gleichzeitig hatte ich die Möglichkeit, an seinem Lehrstuhl für Europäisches Verwaltungsrecht an der Universität Münster nicht nur zu Studienzeiten als studentische Hilfskraft, sondern auch während meiner Promotionszeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin zu arbeiten und einen anders nicht möglichen Einblick in Forschung und Lehre zu erhalten. Herrn Professor Dr. Janbernd Oebbecke danke ich für rechtspolitische Klarstellungen, eine gewinnbringende Diskussion in Bezug auf die praktische Gestaltung des Wahlprüfungsverfahrens und für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Zudem waren Gespräche mit Herrn Dr. Stefan Nacke, MdB, mit Frau Martina Hannen und mit Herrn Mirco Rolf-Seiffert wertvoll für die Gewährleistung der Praxistauglichkeit der in meiner Arbeit vorgeschlagenen Ausgestaltung der Wahlprüfung vor der Wahl. Herrn Professor Dr. Julian Krüper und Herrn Professor Dr. Arne Pilniok danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Beiträge zum Organisationsverfassungsrecht“. Dem Bundesministerium des Innern und für Heimat danke ich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Dankbar bin ich ebenfalls meinen Lehrstuhlkolleginnen und Lehrstuhlkollegen, die stets die Bereitschaft zum Diskutieren über meine Ideen und Gedanken hatten und zu einer produktiven und freundschaftlichen Arbeitsatmosphäre beigetragen haben. Für ihren unermüdlichen Einsatz in Bezug auf die Anfertigung von Korrekturen, ihr stets offenes Ohr sowie die aufmunternden Worte in jedem
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Vorwort
Stadium meiner Dissertation danke ich insbesondere Kira Dreibrodt, Maike Herrlein, Dr. Nicholas Otto, Alban Spielkamp und Falko Wurm. Ich weiß euren nicht selbstverständlichen Einsatz sehr zu schätzen. Meinen Eltern, Konrad und Jutta Werpers, meinen Geschwistern Moritz und Julius sowie Alexander Neufend gilt schließlich mein größter Dank: für ihren immerwährenden Rückhalt und Zuspruch sowie ihr bedingungsloses Vertrauen nicht nur in den Erfolg dieser Arbeit, sondern in Bezug auf alle meine Lebensschritte. Hannover, im Juni 2023
Johanna Werpers
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII
§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problembeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Beispiele für Ablehnungen von Landeslisten vor Wahlen . . . . . . 4 II. Rechtsschutz vor der Bundestagswahl als Empfehlung der Wahlbewertungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 III. Rechtsschutz vor der Bundestagswahl als Empfehlung der Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . 11 IV. Bereits erfolgte Überprüfung von Wahlfehlern vor der Bundestagswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 V. Zentrale Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Forschungsstand und Kriterien für die zu untersuchenden Wahlfehler
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C. Methodisches Vorgehen und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . 21
§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Begründung des Zeitpunkts der Wahlprüfung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Regelmäßig keine Entscheidungen durch Verwaltungsgerichte . . . 26 III. Zustimmung durch den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs 27 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts . . . . . . . . 28 I. Entwicklung der Exklusivitätsthese durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
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1. Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . 30 2. Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4. Inkonsequente Rechtsprechungsbegründung in den Anfangsjahren 33 5. Rezeption der Exklusivitätsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Andere Ansätze: Rechtsschutzlücken durch Exklusivität . . . . . . . 45 III. Fehlen einer eigenständigen Positionierung . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung . . . . . . . . . . . . 53 A. Wahlprüfung als Gegenstand der Beratungen des Grundgesetzes . . 53 B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung im vorkonstitutionellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 55 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags . . . . 67 A. Wahlprüfung als Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Bedeutungsgehalt des Begriffs der „Wahlprüfung“ . . . . . . . . . . 68 1. Möglichkeit von Zwischenprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Wahl als Prozess verschiedener Phasen . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Indizien zum Begriffsverständnis aus dem Wahlprüfungsgesetz . . 71 1. Gültigkeit als nicht zwingend nachträgliche Kontrolle . . . . . . . 72 2. Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Kein Entgegenstehen von § 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG . . . . . . . 76 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 B. Grundgesetzliche Vorgaben bezüglich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen altem und neuem Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Zusammentritt des neuen Bundestags, Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG . . . . 78 II. Diskontinuitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Indizwirkung der Kompetenzprüfung des Bundestags zur Wahlprüfung der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament, § 26 EuWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
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IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 C. Zuordnung der Wahlprüfung zum Bundestag als Ausdruck der funktionsadäquaten Institutionenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Zum Konzept einer funktionsadäquaten Institutionenordnung . . . 84 II. Bundestag und Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich z ulässige Organe der Wahlprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Verfahren im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . 95 3. Beibehaltung des zweistufigen Wahlprüfungsverfahrens im Zeitpunkt vor der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Fachgerichtlicher Rechtsschutz und außergerichtliche Rechtsbehelfe 101 1. Verwaltungsrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Rechtsbehelfe des Verwaltungsrechtsschutzes . . . . . . . . . . 101 b) Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vor der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Ablehnung des Verwaltungsrechtsschutzes trotz grundsätzlicher Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Verhältnis von Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . 107 bb) Rolle von § 49 BWahlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 cc) Keine Endgültigkeit des Verwaltungsrechtsschutzes . . . . 113 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Rechtsschutz nach dem Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Besetzung der Wahlausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Wahlleiterinnen und Wahlleiter . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Beisitzerinnen und Beisitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Entscheidungsfindung und Entscheidungswirkung . . . . . . . 119 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . 121 1. Nichtanerkennungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Unzureichende Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten . 123 b) Begrenzung des Verfahrensgegenstandes . . . . . . . . . . . . 126 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Organstreitverfahren, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
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3. Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Verfassungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Einstweilige Anordnung auf Grundlage einer Verwaltungs verfassungsbeschwerde wegen Maßnahmen der Wahlorgane . . 135 aa) Fragliches Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Keine zwingende Notwendigkeit für die Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Regelmäßige Unzulässigkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde aufgrund von Fristversäumnissen . . . . . . . . . . 140 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Änderung der Anwendungspraxis von Art. 41 GG durch Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen? . . . . . . . . . . 141 1. Verfahrensgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Entscheidungsgründe des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Kritische Würdigung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . 145 4. Übertragbarkeit auf die Rechtslage vor einer Bundestagswahl . . 148 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung des demokratischen Wahlsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 A. Wechselwirkungen der Wahlprüfung vor der Wahl und des Demokratieprinzips, Art. 20 Abs. 1, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Bedeutung der Wahlrechtsgrundsätze für das Wahlprüfungsverfahren, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Gleichheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 C. Wahlprüfung vor der Wahl als Bestandssicherung des demokratischen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Demokratie als Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Existenz von Kartellparteien als Untergrabung des Wettbewerbsgeschehens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Inhaltsverzeichnis
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III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 D. Abgrenzung zur Prüfung des Abgeordnetenstatus . . . . . . . . . . . 172 E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes für Bundestagswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Steigerung der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Indizien für die Effektivität des Rechtsschutzes aus anderen Gesetzen 178 1. Einstweilige Anordnung vor der Wahl, § 42a VerfGHG Berlin . . 178 2. Wahlprüfung im Arbeitsrecht, § 19 Abs. 1 BetrVG und §§ 21, 22 MitBestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
§ 6 Mit dem Zeitpunkt der Wahlprüfung vor der Wahl kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen . . . . . . . . . 185 A. Mangelnde Gewährleistung der Abbildung des Willens der Partei und des Volkes, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 B. Beeinträchtigung des Wahlvorschlagsrechts der Parteien, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 C. Erhöhung von Unwägbarkeiten während des gesamten Wahlverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 D. Schwierigkeiten für neue Gruppierungen und kleine politische Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung . . . . . . . . . . . . 195 A. Integration der Wahlprüfung in die bisherigen Fristen des Wahlverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 B. Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens . . . . . . . . . . . . . 198 I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Vorschlag für eine konkrete zeitliche Ausgestaltung . . . . . . . . . 202 III. Vorschlag für die sonstige verfahrensrechtliche Ausgestaltung . . . 205 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
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Inhaltsverzeichnis
§ 8 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Anhang: Tabellarische Übersicht zum Vergleich der Termine und Fristen nach der aktuellen Rechtslage und nach dem in dieser Arbeit unterbreiteten Vorschlag sowie für die unverändert gebliebenen Termine und Fristen des Wahlverfahrens . . . . . . 217 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Abkürzungsverzeichnis a. A. andere(r) Ansicht Abgh.-Drs. Drucksachen des Abgeordnetenhauses Berlin ABl. Amtsblatt AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AfD Alternative für Deutschland AfP Archiv für Presserecht (seit 1995: Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht) AK-GG Alternativkommentar zum Grundgesetz AktG Aktiengesetz Anh. z. Anhang zu AöR Archiv des öffentlichen Rechts AP Arbeitsrechtliche Praxis ArbG Arbeitsgericht ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz ArbR Arbeitsrecht ATÖR Assistententagung Öffentliches Recht (seit 2021: Junge Tagung Öffentliches Recht) BAG Bundesarbeitsgericht Bay. Bayern, bayerisch BayGemWahlG Gemeindewahlgesetz Bayern BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BayVGH Bayerischer Verwaltungsgerichtshof BeckOK Beck’scher Onlinekommentar BeckRS Beck-Rechtsprechung Berl. Berlin, berlinerisch BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BGBl. Bundesgesetzblatt BK-GG Bonner Kommentar zum Grundgesetz Brandenb. Brandenburg, brandenburgisch Brem. Bremen, bremisch BremStGH Bremischer Staatsgerichtshof BT Bundestag BT-Drs. Bundestagsdrucksache BüWG Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft
XIV BvC
Abkürzungsverzeichnis
Registerzeichen für Wahlprüfungsbeschwerden nach Art. 41 Abs. 2 GG und für Nichtanerkennungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG beim Bundesverfassungsgericht BvE Registerzeichen für Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG beim Bundesverfassungsgericht BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht BVerfGK Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BvF Registerzeichen für abstrakte Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG beim Bundesverfassungsgericht BvGa Registerzeichen für Arreste und einstweilige Verfügungen in Beschlussverfahren vor den Arbeitsgerichten BvQ Registerzeichen für einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht BvR Registerzeichen für Verfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und für Kommunalverfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG beim Bundesverfassungsgericht BW Baden-Württemberg, baden-württembergisch BWahlG, BWG Bundeswahlgesetz BWahlO Bundeswahlordnung BWahlR Bundeswahlrecht c. Chapter (Abschnitt) CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CSU Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. ders. derselbe dies. dieselbe(n) DÖV Die öffentliche Verwaltung DRiG Deutsches Richtergesetz DrittelbG Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat DV Deutsche Verwaltung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt DWA Direktwahlakt – Beschluss und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments e.A. Einstweilige Anordnung ECHR European Court of Human Rights (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Ed. Edition EG Europäische Gemeinschaft(en) ELEC Divers élections (Verschiedene Wahlrechtsangelegenheiten) EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuWG Europawahlgesetz F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP Freie Demokratische Partei
Abkürzungsverzeichnis
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Fn. Fußnote FS Festschrift GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GO Geschäftsordnung GO-BT Geschäftsordnung des Bundestags GO-EP Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments h. M. herrschende Meinung Hess. Hessen, hessisch HessVGH Hessischer Verwaltungsgerichtshof Hmb. Hamburg, hamburgisch HmbVerfG Hamburgisches Verfassungsgericht HS Hauptsache Hs. Halbsatz HStR Handbuch des Staatsrechts i. d. R. in der Regel i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit IFG Informationsfreiheitsgesetz IFSH Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg IPE Ius Publicum Europaeum JA Juristische Arbeitsblätter jew. jeweils JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Neue Folge JuS Juristische Schulung JuWissBlog Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht Blog JZ Juristenzeitung KJ Kritische Justiz KommPrax Wahlen KommunalPraxis Wahlen KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LKV Landes- und Kommunalverwaltung LKWG Landes- und Kommunalwahlgesetz Ls. Leitsatz LWahlG Landeswahlgesetz LWahlO Landeswahlordnung M-V Mecklenburg-Vorpommern, mecklenburg-vorpommerisch m. w. N. mit weiteren Nachweisen MitBestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer MüKo Münchener Kommentar n° Numéro (Nummer) Nds. Niedersachsen, niedersächsisch NJW Neue Juristische Wochenschrift No. Number (Nummer) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NRW Nordrhein-Westfalen, nordrhein-westfälisch NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
XVI NVwZ-Extra NVwZ-RR ODIHR
Abkürzungsverzeichnis
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Extra Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Report Office for Democratic Institutions and Human Rights (Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte) ÖDP Ökologisch-Demokratische Partei OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OVG Oberverwaltungsgericht OVGE Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts ParteiG Parteiengesetz PDS Partei des Demokratischen Sozialismus Preuß. Preußen, preußisch PrVerwBl. Preußisches Verwaltungsblatt Rh.-Pf. Rheinland-Pfalz, rheinland-pfälzisch Rn. Randnummer(n) RV Reichsverfassung S-H Schleswig-Holstein, schleswig-holsteinisch Saarl. Saarland, saarländisch SaarlVerfGH Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Sachs. Sachsen Sächs. sächsisch Sachs.-Anh. Sachsen-Anhalt, sachsen-anhaltinisch SächsVbl. Sächsische Verwaltungsblätter SächsVerf Verfassung des Freistaates Sachsen SächsVerfGH Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Sec. Section (Teil) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands st. Rspr. Ständige Rechtsprechung StGB Strafgesetzbuch SZ Süddeutsche Zeitung Thür. Thüringen, thüringisch ThürVBl. Thüringer Verwaltungsblätter TOP Tagesordnungspunkt US United States (Vereinigte Staaten) Var. Variante VerfGH Verfassungsgerichtshof VerfGHG Berl. Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Berlin VerwArch Verwaltungsarchiv VerwR Verwaltungsrecht VerwRspr Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Vf. Verfahren VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VG Verwaltungsgericht Vict. Victoria VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WahlPrüfG Wahlprüfungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis WPG Wahlprüfungsgericht WPrüfV Wahlprüfungsverfahren WRV Weimarer Reichsverfassung ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZgS Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zit. zitiert ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZSR-NF Zeitschrift für Schweizerisches Recht Neue Folge
XVII
§ 1 Einführung A. Problembeschreibung Eine der wenigen Fragestellungen des Verfassungsrechts, in denen in der Rechtsprechung und im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs Einigkeit besteht, ist der Zeitpunkt der Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens: Nach allgemeiner Ansicht können Wahlfehler in Bezug auf eine Bundestagswahl erst nach dem Wahltag im Wahlprüfungsverfahren überprüft werden.1 Vor der Wahl2 sind insbesondere Wählerinnen und Wähler oder Parteien3 von Wahlfehlern betroffen. Sie haben nur die Möglichkeit, die aus ihrer Sicht fehlerhafte Wahl abzuwarten und danach das Wahlprüfungsverfahren anzustoßen – ein Verfahren, welches bisher nie dazu führte, dass die Bundestagswahl – und wenn auch nur teilweise – für ungültig erklärt und daher wiederholt wurde.4 Einen 1
Explizit so kürzlich BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021, 2 BvF 1/21 = NVwZ 2021, S. 1525 ff. (1527): „Das Wahlprüfungsverfahren stellt darüber hinaus ein nachgelagertes Rechtsschutzverfahren dar, welches es nicht ermöglicht, die Vereinbarkeit wahlrechtlicher Regelungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes schon vor der Wahl prüfen zu lassen“, davor schon u. a. BVerfGE 14, 154 (155); BVerfGE 16, 128 (129 f.); BVerfGE 28, 214 (219 f.); BVerfGE 34, 135 (137 f.). Aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs exemplarisch K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 41; P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 102; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 12. Dazu auch unten § 2 B. I. 5. und insb. § 2 Fn. 89. 2 Wenn in dieser Arbeit von der „Wahl“ gesprochen wird, ist damit – sofern nicht explizit anders ausgewiesen – regelmäßig die Bundestagswahl gemeint. 3 Zur Vereinfachung der Darstellung wird in dieser Arbeit nur von der „Partei“ als solcher gesprochen. Gemeint ist dabei stets die konkret für den fraglichen Aspekt zuständige Untergliederung einer politischen Partei. In Bezug auf den hier meist einschlägigen Fall der Aufstellung von Landeslisten ist damit regelmäßig der entsprechende Landesverband einer Partei angesprochen. Zur Problematik des Begriffs der „Politischen Partei“ auch E. V. Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, S. 21 f. 4 Für die Entscheidungen des Bundestages siehe Deutscher Bundestag (Hrsg.), Datenhand buch zur Geschichte des Deutschen Bundestags, Kapitel 1.18 Wahlprüfung, Stand: 15. Mai 2019, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/196112/3925a7749b009fe 9fd6e31f7f86d3153/kapitel_01_18_wahlpr__fung-data.pdf (7. Mai 2023) und für die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts siehe Bundesverfassungsgericht (Hrsg.), Jahres
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§ 1 Einführung
Präzedenzfall für eine teilweise Ungültigkeitserklärung der Bundestagswahl könnten die Ereignisse in Berlin in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 schaffen, bei der Unterbrechungen der Stimmabgabe in einigen Wahllokalen, fehlende und falsche Stimmzettel sowie Stimmabgaben nach 18 Uhr auftraten.5 Allein 1713 der insgesamt 2172 Wahleinsprüche gegen die Bundestagswahl 2021 bezogen sich auf die Umstände der Wahl in Berlin.6 Der Bundestag entschied auf diese Wahleinsprüche mit Beschluss vom 10. November 2022, dass die Bundestagswahl 2021 in 431 Berliner Wahlbezirken, die in allen zwölf Wahlkreisen liegen, wiederholt werden muss.7 Gegen diese Entscheidung des Bundestags legten unter anderem die gemeinsame Fraktion der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) im Deutschen Bundestag und die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag Wahlprüfungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht ein; sie fordern jeweils eine noch weiter ausgedehnte Wiederholung der Bundestagswahl 2021 in Berlin.8 Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht bisher noch aus.9 Das parallel geführte Wahlprüfungsverfahren vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof in Bezug auf dieselben Wahlfehler bei der am gleichen Tag durchgeführten Wahl zum Berliner Senat und den Berliner Bezirksverordneten-
statistik 2020, Stand: Februar 2021, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht. de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/gb2020/Gesamtstatistik%202020.pdf?__blob=pub licationFile&v=2 (7. Mai 2023). Für den Erfolg von Wahlprüfungsverfahren in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 lagen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeit noch keine Daten vor. Auf Länderebene hatten nur zwei Wahlprüfungsverfahren bisher Erfolg: Die Wahl zur hamburgischen Bürgerschaft vom 2. Juni 1991 wurde im Jahr 1993 für ungültig erklärt, Hmb VerfG, Urteil vom 4. Mai 1993, 3/92 = NVwZ 1993, S. 1083 ff., und die Wahl zum Berliner Senat und den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 wurde im Jahr 2022 für ungültig erklärt, VerfGH Berl., Urteil vom 16. November 2022, VerfGH 154/21, VerfGH 156/21, VerfGH 171/21, VerfGH 172/21 = NVwZ 2023, S. 70 ff. 5 Siehe prägnant C. Waldhoff, Wahlen in Berlin: ein Bericht, Verfassungsblog vom 28. September 2021, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/wahlen-in-berlin-ein-bericht/ (7. Mai 2023), der seine eigenen Beobachtungen als Wahlhelfer schildert, sowie u. a. M. Grunert/M. Wehner, Was folgt auf das Berlin Debakel? F.A.Z. Nr. 228 vom 1. Oktober 2021, S. 8. 6 Dritte Beschlussempfehlung und Bericht des Wahlprüfungsausschusses vom 7. November 2022, BT-Drs. 20/4000, S. 1. 7 BT-Plenarprotokoll 20/66, S. 7672 ff. 8 Die entsprechenden Wahlprüfungsbeschwerden laufen unter den Aktenzeichen 2 BvC 4/23 (CDU/CSU-Fraktion) und 2 BvC 5/23 (AfD-Fraktion). 9 Eine Entscheidung in dieser Sache könnte noch im Laufe des Jahres 2023 ergehen, immerhin sind die Verfahren auf der Jahresvorschau für das Jahr 2023 auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts gelistet, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht. de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2023/vorausschau_2023_node.html (7. Mai 2023).
A. Problembeschreibung
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versammlungen endete mit der Entscheidung zur vollständigen Wahlwiederholung, die am 12. Februar 2023 bereits stattfand.10 Zur Vermeidung von Wahlfehlern vor der Wahl schlägt diese Arbeit die bisher nicht erwogene Möglichkeit vor, das Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG bereits im Vorfeld der Wahl durchzuführen.11 Damit könnte die vor Kurzem von Kathrin Groh getroffene Feststellung „Das Wahlprüfungsverfahren ist nicht besonders rechtsschutzintensiv“12 überwunden werden, die in die gleiche Richtung wie die rund 50 Jahre ältere Feststellung von Karl-Heinz Seifert geht, dass „sich das Wahlprüfungsrecht im Zustande nahezu vollständigen Stillstandes“13 befindet. Diese Stagnation im Bereich des auf Wahlen bezogenen Rechtsschutzes ist unverständlich.14 Denn es handelt sich beim Wahlrecht als maßgeblichem Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts um das „vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“15.
10 VerfGH Berl., Urteil vom 16. November 2022, VerfGH 154/21, VerfGH 156/21, VerfGH 171/21, VerfGH 172/21 = NVwZ 2023, S. 70 ff. Diese Entscheidung einordnend P. Glauben, NVwZ 2023, S. 21 ff., M. Morlok, Merkwürdiges und Bedenkenswertes bei der Wahlprüfung in Berlin, Verfassungsblog vom 25. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog. de/merkwurdiges-und-bedenkenswertes-bei-der-wahlprufung-in-berlin/ (7. Mai 2023) und H. Sauer, Über Wahlfehlerfolgen, Verfassungsblog vom 17. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/uber-wahlfehlerfolgen/ (7. Mai 2023). 11 Erste Überlegungen diesbezüglich anstellend, aber letztlich zu einem ablehnenden Ergebnis kommend J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1320). Zudem deuten M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1159) erstmals an, dass das Grundgesetz eine Auslegung von Art. 41 GG, nach der der Rechtsschutz vor der Wahl ausgeschlossen sein soll, nicht vorgibt. 12 K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 29. 13 K.-H. Seifert, DÖV 1967, S. 231 ff. (231). 14 In diese Richtung schon früh G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 157: „Es haben viel unbedeutendere Individualansprüche in neuester Zeit den richterlichen Schutz gefunden, es ist daher nicht abzusehen, warum eine Ausnahme zu Ungunsten des parlamentarischen Wahlrechts stattfinden soll.“ Darüber hinaus soll es sich beim Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt – der durch die Einrichtung von Wahlen maßgeblich umgesetzt wird – um eine Ausprägung der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) handeln, dazu nur BVerfGE 123, 267 (341). Zu Recht daher kritisch in Bezug auf den fehlenden Rechtsschutz vor der Wahl im gegenseitigen Diskurs H.-D. Horn/ W. Löwer, Schlechtes Erbgut, F.A.Z. Nr. 245 vom 22. Oktober 2009, S. 8 und M. Morlok, Fehlerbehebung ausgeschlossen?, F.A.Z. Nr. 249 vom 27. Oktober 2009, S. 36. Anders aber J. Hahlen, Am besten mit dem Bundeswahlausschuss, F.A.Z. Nr. 260 vom 9. November 2009, S. 10. 15 BVerfGE 1, 14 (33).
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§ 1 Einführung
I. Beispiele für Ablehnungen von Landeslisten vor Wahlen Wahlfehler vor der Wahl sind keine Seltenheit. Bei nahezu jeder Wahl – ganz gleich ob zum Bundestag, zu Landtagen oder zu Kreistagen beziehungsweise Stadträten in kreisfreien Städten – kommt es zu Ablehnungen von Kandida tinnen- und Kandidatenvorschlägen oder von Wählerinnen und Wählern im Vor feld der jeweiligen Wahl.16 Gerade auf die Zulassung von Landeslisten bezogene Wahlfehler bei Bundestagswahlen sind hierbei besonders gewichtig. Sie haben zur Folge, dass die betroffene Partei mit ihrer Landesliste entweder in verringerter Form oder sogar gar nicht zur Bundestagswahl in einem Land antreten darf. Bekannt geworden und allgemeines mediales Aufsehen erregt haben in den letzten Jahren mehrere Fälle von (teilweisen) Ablehnungen von Landeslisten, von denen hier exemplarisch drei herausgegriffen werden: die vollständige Ablehnung der Landesliste der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) für die Bundestagswahl 2017 in Berlin, die teilweise abgelehnte Landesliste der AfD für die Landtagswahl 2019 in Sachsen und die vollständige Ablehnung der Landesliste der Partei Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl 2021 im Saarland.17 16 Siehe exemplarisch für die Bundestagswahl 2021 die Entscheidungen der 16 Landeswahlausschüsse, die von insgesamt 369 eingereichten Landeslisten 33 Landeslisten abgelehnt haben (eigene Auswertung). Gegen diese Entscheidungen wurde in acht Fällen Beschwerde beim Bundeswahlausschuss eingereicht, die in zwei Fällen Erfolg hatte, Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/1f8bb302-8892-4868-bea48f8cbf701ab7/20210805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). 17 In Bezug auf die Ablehnung der NPD in Berlin BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022, 2 BvC 22/19 = BeckRS 2022, 7874 und u. a. U. Zawatka-Gerlach, Die NPD ist in Berlin nicht wählbar, Der Tagesspiegel Online vom 28. Juli 2017, abrufbar unter https://www.tagesspiegel. de/berlin/bundestagswahl-2017-die-npd-ist-in-berlin-nicht-waehlbar/20120796.html (7. Mai 2023); u. a. in Bezug auf die Ablehnung der AfD in Sachsen K. B. Becker, Ein Triumph für die AfD, F.A.Z. Nr. 191 vom 19. August 2019, S. 10; U. Nimz, 30 aus 61, SZ Nr. 172 vom 27. Juli 2019, S. 7; K. B. Becker, War es ein Parteitag, oder waren es doch zwei?, F.A.Z. Nr. 171 vom 26. Juli 2019, S. 2; W. Janisch, Dienst an der Demokratie, SZ Nr. 171 vom 26. Juli 2019, S. 4; S. Schönberger/C. Schönberger, Demokratische Tragödie in Sachsen, Verfassungsblog vom 9. Juli 2019, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/demokratische-tragoedie-in-sachsen/ (7. Mai 2023); M. Decker, AfD verliert Listenplätze in Sachsen – Das sagt ein Parteienrechtler zu dem Fall, Leipziger Volkszeitung Online vom 5. Juli 2019, abrufbar unter https://www. lvz.de/Region/Mitteldeutschland/AfD-verliert-Listenplaetze-in-Sachsen-Das-sagt-ein-Par teienrechtler-zu-dem-Fall (7. Mai 2023); u. a. in Bezug auf die Ablehnung von Bündnis 90/ Die Grünen im Saarland T. Holl, Fiasko im Saarland, F.A.Z. Nr. 181 vom 7. August 2021, S. 8.; G. Niewel/F. Polistina, Grüne im Saarland von der Wahl ausgeschlossen, SZ Nr. 179 vom 6. August 2021, S. 1; C. Dylla, Grünen-Landesliste nicht zur Bundestagswahl z ugelassen, sr.de vom 5. August 2021, abrufbar unter https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/politik_
A. Problembeschreibung
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Im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 lehnte der Landeswahlausschuss Berlin die eingereichte Landesliste der berlinerischen NPD ab, da Delegierte eines Kreisverbandes für die Aufstellungsversammlung vor dem gesetzlich festgelegten Zeitraum aus § 21 Abs. 3 S. 4 BWahlG gewählt worden waren; diese Delegierten nahmen an der Aufstellungsversammlung jedoch nicht teil.18 Der Bundeswahlausschuss bestätigte im Anschluss diese Entscheidung des Landeswahlausschusses, sodass die NPD in Berlin zur Bundestagswahl nicht mit einer Landesliste antreten durfte. Hiergegen strengte die NPD nach der Bundestagswahl ein Wahlprüfungsverfahren an, in welchem der Bundestag den Einspruch als unbegründet zurückwies.19 Schließlich stellte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 23. März 2022 – und damit rund viereinhalb Jahre nach der Bundestagswahl am 24. September 2017 – fest, dass die Landesliste der NPD zu Unrecht abgelehnt wurde. Dabei machte das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass die Nichtzulassung einer Landesliste eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Parteien- und Wahlfreiheit darstelle. Zudem könne allein der Umstand, dass Delegierte verfrüht gewählt wurden, die dann in der Aufstellungsversammlung nicht mitgewirkt haben, die Ablehnung einer Landesliste nicht begründen.20 Gleichwohl führe dieser Wahlfehler mangels Mandatsrelevanz nicht zur Ungültigkeit der Bundestagswahl 2017.21 Im zweiten Fall ließ der sächsische Landeswahlausschuss im Vorfeld der Landtagswahl 2019 die Landesliste der AfD aufgrund von Mängeln im Aufstellungsverfahren teilweise nicht zu. Denn in dem Umstand, dass die Landesliste an zwei verschiedenen Tagen aufgestellt worden war, sah der sächsische Landeswahlausschuss einen Verstoß gegen die Einheitlichkeit der Aufstellungsversammlung nach § 21 LWahlG Sachsen.22 Dagegen legte die AfD vor der Landtagswahl Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen ein, der – zum Erstaunen weiter Teile der Rechtswissenschaft und Prawirtschaft/entscheidung_bundeswahlausschuss_gruenen_landesliste_saarland_100.html# (7. Mai 2023). 18 Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 3. August 2017, S. 3 ff., abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/ jcr/bdbcb31c-e058-4381-b7ad-9c35ba9fcf06/20170814_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). 19 Plenarprotokoll der 83. Sitzung des 19. Deutschen Bundestags am 21. Februar 2019, 19/83, TOP 30a, S. 9690; siehe dazu auch die zugrunde liegende Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses vom 14. Februar 2019, BT-Drs. 19/7660, S. 13 ff. 20 BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022, 2 BvC 22/19 = BeckRS 2022, 7874 2. Ls. und 3. Ls., Rn. 36 ff. 21 BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022, 2 BvC 22/19 = BeckRS 2022, 7874 Rn. 31 ff. 22 Landeswahlleiterin des Freistaates Sachsen (Hrsg.), Medieninformation 17/2019 vom 8. Juli 2019, S. 2 f., abrufbar unter https://wahlen.sachsen.de/download/Medieninformation/ LWL-17-2019.pdf (7. Mai 2023).
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§ 1 Einführung
xis23 – weitere Listenplätze zunächst vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung24 und dann auch endgültig im Hauptsacheverfahren 25 zuließ. Die Entscheidung stellt ein Novum dar, schließlich hat ein Gericht damit Rechtsschutz im Wege der Verfassungsbeschwerde in einem unmittelbar auf eine konkrete Wahl bezogenen gerichtlichen Verfahren vor der Wahl gewährt.26 Im Fall der Partei Bündnis 90/Die Grünen lehnte der saarländische Landeswahlausschuss die Zulassung der gesamten Landesliste der Partei für die Bundestagswahl 2021 aufgrund von Ausschlüssen zahlreicher Delegierter zur Delegiertenversammlung ab, worin der Landeswahlausschuss einen Verstoß gegen das Prinzip zur demokratischen Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten nach § 21 Abs. 1 S. 2 BWahlG sah.27 Gegen diese Entscheidung legte die 23
Siehe u. a. J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff.; J. Kloos/C. Straker, SächsVBl. 2020, S. 5 ff.; J. Rozek/R. Zimmermann, SächsVBl. 2020, S. 37 ff.; W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff.; A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff.; S. Danzer, KommPrax Wahlen 2019, S. 69 ff.; F. Fründ/M. Klatt, SächsVerfGH zu AfD-Landeslisten: Notwendige Intervention oder ein Überschreiten des Rubikon?, JuWissBlog Nr. 84/2019 vom 22. August 2019, abrufbar unter https://www.juwiss.de/84-2019/ (7. Mai 2023); A. Hobusch, Der „tote Winkel“ des Rechtsschutzes, Verfassungsblog vom 1. August 2019, abrufbar unter https://verfassungs blog.de/der-tote-winkel-des-rechtsschutzes/ (7. Mai 2023); W. Kluth, LKV 2019, S. 501 ff. 24 SächsVerfGH, Urteil vom 25. Juli 2019, Vf. 77-IV-19 (e.A.)/82-IV-19 (e.A) = BeckRS 2019, 15989. 25 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. 26 Näher zu diesem Fall und zur Nichtübertragbarkeit eines derart ausgestalteten Rechtsschutzregimes auf die Bundestagswahl siehe unten § 4 D. III. 27 Dazu nur Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, S. 37 ff., abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter. de/dam/jcr/1f8bb302-8892-4868-bea4-8f8cbf701ab7/20210805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). Trotz mehrfacher Anfragen weigerte sich die saarländische Landeswahlleitung der Verfasserin für ihre wissenschaftlichen Zwecke zugunsten dieser Arbeit ein Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landeswahlausschusses vom 30. Juli 2021 zukommen zu lassen, damit die Verfasserin den Sachverhalt mit Hilfe der Primärquelle hätte aufarbeiten können. Als Grund wurde ihr mit E-Mail vom 3. Dezember 2021 mitgeteilt, dass Landeswahlausschüsse keine Behörden seien und § 1 S. 1 IFG Saarl. i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG Bund daher keine Anwendung finde. Andere Gesetze, insbesondere das Bundeswahlgesetz, würden keine Ansprüche auf Veröffentlichung oder Herausgabe eines Sitzungsprotokolls beinhalten, zudem seien Wahlorgane zu jeder Zeit zur staatlichen Neutralität verpflichtet. Die Verfasserin dieser Arbeit hingegen stuft Wahlorgane als Behörden im Sinne der Informationsfreiheitsgesetze ein, erkennt für die Versendung des Sitzungsprotokolls zudem keinen Ausschluss durch das Bundeswahlgesetz und kann nicht nachvollziehen, warum ihr das Protokoll einer öffentlichen Sitzung nicht für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden konnte. Ebenso F. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 160 in Bezug auf die Bundeswahlleiterin bzw. den Bundeswahlleiter sowie den Bundeswahlausschuss. Aufgrund des Verweises auf das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes in § 1 S. 1 IFG Saarl. muss gleiches auch für die Landeswahlleiterin des Saarlandes sowie den Landeswahlausschuss gelten.
A. Problembeschreibung
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Partei Beschwerde beim Bundeswahlausschuss ein, die dieser verwarf.28 Weitere – nach bisheriger Rechtsanwendung auch nicht vorgesehene – Schritte unternahm die Partei Bündnis 90/Die Grünen nicht. Sie trat im Ergebnis nicht mit einer Landesliste im Saarland zur Bundestagswahl 2021 an und konnte daher im Saarland nicht mit der Zweitstimme der Wählerinnen und Wähler gewählt werden. Die drei Fälle zeigen: Ablehnungen von Landeslisten und damit potenzielle Wahlfehler erfolgen, gerichtlicher Rechtsschutz nach der Wahl kommt meist zu spät und hat keine Auswirkungen auf den Wahlvorgang beziehungsweise das Wahlergebnis. Zudem ist gerichtlicher Rechtsschutz vor der Wahl regelmäßig nicht möglich. Es existiert im deutschen Wahlrecht ein Zustand, der in einem Rechtsstaat mit umfassend ausgestalteter Gerichtsbarkeit – wie es die Bundesrepublik Deutschland ist – eigentlich nicht vorherrschen sollte. Diese Ausgangslage erstaunt insbesondere deswegen, weil verschiedene Stellen – wie im Folgenden dargelegt wird – auf die Problematik des fehlenden Rechtsschutzes in Wahlrechtsangelegenheiten bereits hingewiesen haben und gerichtlicher Rechtsschutz vor der Wahl sogar bereits in einem Ausnahmefall gewährt wurde.
II. Rechtsschutz vor der Bundestagswahl als Empfehlung der Wahlbewertungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Die Rechtsschutzversagung für den Zeitpunkt vor der Wahl verwundert vor allem vor dem Hintergrund der seit 2009 auch in Deutschland durchgeführten Wahlbeobachtungen des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte als autonome Institution mit dem Charakter eines Durchführungsorgans im Sinne von II (A) Nr. 13 der Geschäftsordnung der OSZE entsendet zu Parlamentswahlen in einem ihrer Teilnehmerstaaten regelmäßig eine Wahlbewertungsmission. Die Ergebnisse der Wahlbewertungsmission werden stets in einem Abschlussbericht veröffentlicht.29 Bewertungsgrundlage sind die Anforderungen, die an demo28
Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, S. 41 ff., abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/ jcr/1f8bb302-8892-4868-bea4-8f8cbf701ab7/20210805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). 29 Umfassend zur Wahlbeobachtung durch das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte F. Evers, Wahlbeobachtung durch die OSZE, in: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2009, S. 261 ff. Siehe auch die bisherigen Berichte der Wahlbewertungsmissionen für Bundestagswahlen: OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 16. März 2022 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 26. September 2021, abrufbar unter
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§ 1 Einführung
kratische Wahlen nach den OSZE-Verpflichtungen30 und anderen internationalen Standards31 zu stellen sind. Zugleich werden Handlungsempfehlungen hinsichtlich der nach Auffassung der Wahlbewertungsmission verbesserungswürdigen Punkte ausgesprochen. In Bezug auf die Bundestagswahl 2009 stellte die Wahlbewertungsmission fest, dass „die Unmöglichkeit einer gerichtlichen Beschwerde vor dem Wahltag die Verfügbarkeit einer effektiven Abhilfe gegen fehlerhafte Verwaltungsent-
https://www.osce.org/files/f/documents/0/3/514048.pdf (7. Mai 2023); OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 27. November 2017 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 24. September 2017, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/docu ments/9/3/363781.pdf (7. Mai 2023); OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 13. Dezember 2013 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 22. September 2013, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/2/9/109745.pdf (7. Mai 2023); OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 14. Dezember 2009 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 27. September 2009, abrufbar unter https:// www.osce.org/files/f/documents/e/7/40879.pdf (7. Mai 2023). 30 Gemeint sind mit diesen sog. originären und weitgehend unbestrittenen Verpflichtungen u. a. die Richtlinien zur Assistenz von nationalen Minderheiten für Wahlen vom 1. Januar 2001, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/4/0/103866.pdf (7. Mai 2023), die Richtlinien zur Beilegung von Wahlkonflikten im OSZE-Raum vom 1. August 2000, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/b/b/17567.pdf (7. Mai 2023), das Wiener Dokument der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen vom 16. November 1999, angenommen auf der 269. Plenarsitzung des OSZE-Forums für Sicherheitskooperation in Istanbul, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/5/d/ 41278.pdf (7. Mai 2023), das Abschlussdokument des Moskauer Treffens der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE vom 3. Oktober 1991, abrufbar unter https://www. osce.org/files/f/documents/e/f/14312.pdf (7. Mai 2023), die Charta von Paris vom 21. November 1990, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/5/b/39518.pdf (7. Mai 2023) sowie das Abschlussdokument des Kopenhagener Treffens der Konferenz über die mensch liche Dimension der KSZE vom 29. Juni 1990, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/ documents/3/8/14307.pdf (7. Mai 2023). Detailliert F. Evers, Wahlbeobachtung durch die OSZE, in: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2009, S. 261 ff. (262 ff.). 31 Unter diese sog. interpretativen Verpflichtungen fallen u. a. das UN Committee on Human Rights, General Comment 25, „The Right to Participate in Public Affairs, Voting Rights and the Right to Equal Access to Public Service“ vom 12. Juli 1996, abrufbar unter https:// www.osce.org/files/f/documents/4/a/19154.pdf (7. Mai 2023), für eine deutsche Übersetzung und Einführung siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments“ zu den VN-Menschenrechtsverträgen, 2005, S. 113 ff., der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II, S. 1533 ff. und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, abrufbar unter https://www.un.org/depts/german/menschen rechte/aemr.pdf (7. Mai 2023). Vertiefend F. Evers, Wahlbeobachtung durch die OSZE, in: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2009, S. 261 ff. (265 f.).
A. Problembeschreibung
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scheidungen und -maßnahmen“32 verringert. Daher gab sie die folgende Handlungsempfehlung: „Zum Schutz der Wahlrechte sollte überlegt werden, die Beschwerdeverfahren dahingehend zu ändern, dass zumindest bestimmte Arten von Beschwerden – insbesondere zur Zulassung der Parteien zur Wahl, zur Registrierung der Bewerber/innen, der Landeslisten und der Wähler/innen – vor der Wahl von einem Rechtsgremium gehört werden können. Dadurch würde die zeitgerechte Beilegung wahlbezogener Streitigkeiten möglich, welche wesentlicher Bestandteil des allgemeineren Prinzips der Gewährung effektiver Rechtsmittel ist.“33
Diese Empfehlung nahm der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages auf und bat die Bundesregierung um eine Prüfung, ob speziell der Rechtsschutz im Hinblick auf das Zulassungsverfahren für Parteien nach § 18 Abs. 4 BWahlG a. F. verbessert werden könne.34 Dabei geht sowohl aus der Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses als auch aus dem darauffolgenden Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hervor, dass Rechtsschutz nur in Bezug auf die grundsätzliche Zulassung von Parteien zur Wahl, nicht hingegen in Bezug auf die auch von der OSZE-Wahlbewertungsmission empfohlene Zulassung von Wahlkandidatinnen und -kandidaten, Landeslisten und Wählerinnen und Wählern Gegenstand der Diskussion war.35 Folge dieser Diskussion war schließlich das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen vom 12. Juli 201236, mit dem die Nichtanerkennungsbeschwerde als gerichtliche Beschwerdemöglichkeit für nicht durch den Bundeswahlausschuss als Partei anerkannte politische Vereinigungen eingeführt wurde. Gleichzeitig wurde in Art. 2 Nr. 1 lit. a und Art. 3 Nr. 2 lit. a, aa des 32 OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 14. Dezember 2009 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 27. September 2009, S. 23, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/e/7/40879.pdf (7. Mai 2023). 33 OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 14. Dezember 2009 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 27. September 2009, S. 23 f., in Ansätzen auch schon S. 16, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/e/7/40879.pdf (7. Mai 2023). Rechtliche Grundlage dieser Handlungsempfehlung ist nach der Wahlbewertungsmission in dieser Reihenfolge Paragraph 5.10 des Kopenhagen-Dokuments von 1990, Paragraph 13.9 des Abschließenden Dokuments des Wiener Treffens (KSZE) von 1989, Paragraph 18.4 Dokument des Moskauer Treffens von 1991, Allgemeiner Kommentar 31, Paragraph 15 des UN-Menschenrechtsausschusses und § 95 des Verhaltenskodexes für Wahlen der Venedig- Kommission. Zur Venedig-Kommission auch unten § 7 B. I. 34 BT-Drs. 17/6300, S. 2 f. 35 BT-Drs. 17/9391, S. 6. Ebenso wie hier A. von Notz, die auf dem Verfassungsblog davon spricht, dass „der Bericht der Wahlbewertungsmission […] nur unvollständig zitiert“ wird, Not Too Late, but Still Too Little, Verfassungsblog vom 2. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/not-too-late-but-still-too-little/ (7. Mai 2023). 36 Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen vom 12. Juli 2012, BGBl. I 2012, S. 1501.
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§ 1 Einführung
Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen klargestellt, dass auch subjektive Rechtsverletzungen Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens auf beiden Verfahrensstufen sein können. Weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten für andere Fälle als die Nichtanerkennung einer Partei zur Bundestagswahl wurden nicht normiert. Daher liegt die Vermutung nahe, dass der im OSZE-Bericht von 2009 verwendete Ausdruck „insbesondere“37 vom Wahlprüfungsausschuss und den genannten Fraktionen nur auf Rechtsbehelfe gegen die grundsätzliche Zulassung von Parteien und nicht auf alle genannten Wahlfehler bezogen wurde. Der Bericht der OSZE-Wahlbewertungsmission zur Bundestagswahl 2013 stellt dann in Bezug auf die Empfehlungen des Berichts von 2009 folgerichtig fest, dass zwar eine Rechtsschutzmöglichkeit vor der Wahl gegen die grundsätzliche Zulassung als Partei mit der Nichtanerkennungsbeschwerde geschaffen wurde, allerdings „die fehlende Möglichkeit, zu den meisten verfahrensbezogenen Themen schon vor dem Wahltag bei einem Gericht Einspruch einzulegen, immer noch eine Einschränkung des Zugangs der Bürgerinnen und Bürger zu einem wirksamen und zeitnahen Rechtsbehelf gegen inkorrekte Verwaltungsentscheidungen und -handlungen“38
darstelle. Im Bericht zur Bundestagswahl 2017 und zur Bundestagswahl 2021 wurden die weiterhin fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten in Bezug auf die Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten, Landeslisten und Wählerinnen und Wähler erstaunlicherweise nicht mehr thematisiert.39 Die Tatsache, dass die OSZE in ihren letzten Berichten nicht mehr auf weitere Rechtsschutzmöglichkeiten für andere Wahlfehler als die Nichtanerkennung als Partei eingeht, bedeutet nicht, dass weiterer Rechtsschutz nicht wünschenswert ist. Stattdessen bleiben die Forderungen der OSZE aus dem Bericht von 37 OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 14. Dezember 2009 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 27. September 2009, S. 24, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/e/7/40879.pdf (7. Mai 2023). 38 OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 13. Dezember 2013 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 22. September 2013, S. 10 f., abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/2/9/109745.pdf (7. Mai 2023). 39 Stattdessen wird im Bericht zur Bundestagswahl 2017 der Fokus auf die angemessene Bearbeitungszeit des Wahlprüfungsverfahrens gelegt und empfohlen, das Verfahren zu beschleunigen, OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 27. November 2017 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 24. September 2017, S. 9 f., abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/9/3/363781.pdf (7. Mai 2023). Im Bericht zur Bundestagswahl 2021 bleiben Rechtsschutzfragen in Bezug auf das Wahlrecht komplett u nberücksichtigt, OSZE (Hrsg.), Bericht der OSZE/ODIHR-Wahlbewertungsmission vom 16. März 2022 zur Wahl zum Deutschen Bundestag am 26. September 2021, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/b/3/516252.pdf (7. Mai 2023).
A. Problembeschreibung
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2009 weiterhin aktuell.40 Denn die entscheidenden Punkte sind nach wie vor unklar und nicht geregelt.
III. Rechtsschutz vor der Bundestagswahl als Empfehlung der Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts Aufgrund erheblich steigender Verfahrenszahlen seit Anfang der 1990er Jahre wurde durch den damaligen Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jorzig auf Anregung des Bundesverfassungsgerichts eine Kommission eingesetzt, die die Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichts analysieren und Möglichkeiten für dessen Entlastung eruieren sollte.41 Die Kommission befasste sich dabei auch mit der Wahlprüfung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Wahlprüfungsverfahren aufgrund der verfassungsrechtlich angelegten Zweistufigkeit zu lange dauern.42 Zudem stellte sie fest, dass andere Rechtsbehelfe als die Wahlprüfung nach Art. 41 GG in Bezug auf das Wahlverfahren nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeschlossen seien.43 Zusätzlich gab die Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts folgendes zu bedenken: „In der Kommission wurde auch angesprochen, daß in einigen Fällen vor der Wahl – etwa bei der Zurückweisung von Wahlvorschlägen oder der versagten Anerkennung einer Vereinigung als Partei im Rahmen des Verfahrens nach § 18 BWG – ein Bedürfnis nach gericht lichem Rechtsschutz besteht. Ein solcher Rechtsschutz ist aber durch § 49 BWG ausgeschlossen. […] Würde hier Rechtsschutz gewährt, ließen sich Wahlfehler von vornherein vermeiden und das Risiko anschließender Wahlprüfungsverfahren verringern.“44
Die Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts regte damit schon vor einiger Zeit und sogar noch vor der OSZE die Einführung eines gerichtlichen Rechtsschutzes vor der Wahl an. Von den angesprochenen Wahlfehlern, für die ein derartiger Rechtsschutz besonders in Betracht kommt, ist – wie oben bereits dargelegt – mittlerweile für die Nichtanerkennung einer Vereinigung als Partei die Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c 40
Ebenso W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (124 f.) und H.-D. Horn, Freie Wahl, F.A.Z. Nr. 21 vom 25. Januar 2013, S. 7. 41 Zum nicht öffentlichen Einsetzungsauftrag der Kommission Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, 1998, S. 13 ff. und R. Zuck, ZRP 1997, S. 95 ff. (96). 42 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, 1998, S. 120 f. 43 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, 1998, S. 120. 44 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, 1998, S. 121.
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§ 1 Einführung
GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG eingeführt worden. Für weitere Wahlfehler fehlt nach wie vor eine gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit.
IV. Bereits erfolgte Überprüfung von Wahlfehlern vor der Bundestagswahl Überraschend ist bei der Frage um Rechtsschutz vor der Wahl daher der Umstand, dass ein vor der Bundestagswahl erfolgender gerichtlicher Rechtsschutz nicht gänzlich unbekannt ist und durch das Bundesverfassungsgericht in einem Ausnahmefall bereits gewährt wurde.45 So wurde im Rahmen der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 vor dem Wahltermin eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der das Bundesverfassungsgericht beschloss, dass bisher noch nicht im Bundestag vertretene Parteien ausnahmsweise von dem nach §§ 20 Abs. 2 S. 2, 27 Abs. 1 S. 2 BWahlG bestehenden Unterschriftenerfordernis befreit werden.46 Dafür führte das Gericht die heraus ragende staatspolitische Bedeutung der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl an, aufgrund derer es besonders wesentlich sei, dass „ihre Durchführung auf einer rechtlichen Grundlage erfolgt, die mit den demokratischen Wahlgrundsätzen in vollem Umfang vereinbar ist“.47 Ebenfalls rechnete das Bundesverfassungsgericht mit zahlreichen „mutmaßlich aussichtsreichen“48 Wahlanfechtungen im Nachgang der Wahl, wenn eine Entscheidung vor der Wahl nicht erfolgt wäre, sodass es für das Bundesverfassungsgericht notwendig gewesen sei, bereits vor der Wahl eine unangreifbare Verfassungslage zu schaffen.49 Zu berücksichtigen ist bei dieser Entscheidung, dass es sich bei der zugrunde liegenden Hauptsache um ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG handelt und nicht um eine Wahlprüfungsbeschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG. Außerdem stellt die Entscheidung eine bisher noch nicht wiederholte Einzelfallrechtsprechung dar, die das Bundesverfassungsgericht im Anschluss an diese Entscheidung als Rechtsprechung unter „besonderen Umständen“ bezeichnete und nicht weiter übertrug.50 An dieser Handhabung soll auch das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen von 2012 nichts ändern: Stattdessen bestätige die Einführung der 45
Zur Möglichkeit eines vor der Wahl stattfindenden Rechtsschutzes für Senats- und Bezirkswahlen in Berlin unten § 5 E. II. 1. 46 BVerfGE 82, 353; dieser Beschluss ist nicht einstimmig ergangen, siehe dazu das Sondervotum des Richters Klaus Winter ab S. 371 ff. 47 BVerfGE 82, 353 (369). 48 BVerfGE 82, 353 (370). 49 BVerfGE 82, 353 (370). 50 BVerfG, Beschluss vom 13. September 2005, 2 BvQ 31/05 = NJW 2005, S. 2982.
B. Forschungsstand und Kriterien für die zu untersuchenden Wahlfehler
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Nichtanerkennungsbeschwerde für Parteien nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts den Umstand, dass in allen weiteren Fällen Rechtsschutz unstatthaft sein soll.51 Das gelte – so das Bundesverfassungsgericht – auch im Rahmen einer in das Verfahren der einstweiligen Anordnung vorverlegten Wahlprüfungsbeschwerde, sodass es in Bezug auf Wahlfehler bei der grundsätzlich nach der Wahl stattfindenden Rechtsschutzkonzeption geblieben sei.52 Dennoch zeigt die Entscheidung im Vorfeld der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990, dass Rechtsschutz in Wahlrechtssachen auch im Vorfeld der Wahl nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts – wenn auch in einem Ausnahmefall – zulässig sein kann. Darüber hinaus kann er auch in zeitlicher Hinsicht vor der Wahl erfolgen, ohne die termingerechte Durchführung der Wahl zu gefährden.53
V. Zentrale Fragestellungen Anregungen zur Einführung eines Rechtsschutzes vor der Bundestagswahl gibt es folglich einige. Dennoch wurde – mit Ausnahme der Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde 2012 – der Rechtsschutz vor der Wahl für weitere Wahlfehler nicht weiter vorangetrieben. Das wirft Fragen auf: Warum gibt es bisher nur einen eingeschränkten Rechtsschutz für Parteien vor der Bundestagswahl? Welche Verfahren könnten im Zeitraum vor der Wahl durchgeführt werden? Vor allem, ist das Wahlprüfungsverfahren zwingend auf den Zeitpunkt nach der Wahl bezogen? Und wenn Rechtsschutz vor der Wahl für auf Parteien bezogene Wahlfehler (verfassungs-) rechtlich möglich sein sollte, wie lässt er sich in der Praxis umsetzen? Diese und damit verknüpfte andere Fragen möchte die vorliegende Arbeit näher in den Blick nehmen und beantworten.
B. Forschungsstand und Kriterien für die zu untersuchenden Wahlfehler Das Wahlprüfungsrecht ist seit Bestehen des Grundgesetzes häufig Gegenstand von verfassungsrechtlichen Erörterungen gewesen. Im Fokus steht in diesen Beiträgen jedoch regelmäßig die Darstellung und Ausgestaltung des Verfah-
51
BVerfGE 134, 135 (138). BVerfGE 134, 135 (138). 53 Zu den praktischen Voraussetzungen eines vor der Wahl stattfindenden Rechtsschutzes unten § 7. 52
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§ 1 Einführung
rens54 sowie das materielle Wahlprüfungsrecht55, das aufgrund fehlender gesetzlicher Regelung verstärkt erörterungsbedürftig erscheint. Publikationen zum Wahlprüfungsrecht erfolgen – neben den Erläuterungen in den zahlreichen dauerhaften Schriften zum Grundgesetz56, zum Bundeswahlgesetz57, zum Wahlprüfungsgesetz58, zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz59 oder in übergreifenden Werken60 – periodisch: Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang 54
Hierzu unter anderem K. Engelbrecht, Ad Legendum 2021, S. 24 ff.; P. Glauben, NVwZ 2017, S. 1419 ff.; H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff.; A. Ortmann, ThürVBl. 2006, S. 169 ff.; J. Isensee, Nemo iudex in causa sua – auch nicht das Parlament?, in: D. Dörr/U. Fink/C. Hillgruber/B. Kempen/D. Murswiek (Hrsg.), Die Macht des Geistes, FS Schiedermair, 2001, S. 181 ff. (205 ff.); H. Schmitt-Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern unter Einbeziehung Österreichs und der Schweiz, 1969, passim; J. C. Greeve, Die Wahlprüfung unter besonderer Berücksichtigung der Wahl zum Deutschen Bundestag, 1953, passim; in Bezug auf die Erstzuständigkeit des Bundestags für die Wahlprüfung H.-D. Horn, Muß die Wahlprüfung Sache des Bundestags sein?, in: O. Depenheuer/M. Heintzen/M. Jestaedt/P. Axer (Hrsg.), Staat im Wort, FS Isensee, 2007, S. 423 ff. 55 Übersichtlich dargestellt u. a. bei W. Schreiber, Wahlprüfungsrecht bei Bundestagswahlen, in: B.-R. Kern/H. Lilie (Hrsg.), Jurisprudenz zwischen Medizin und Kultur, FS Fischer, 2010, S. 423 ff.; ders., DVBl. 2010, S. 609 ff. (insb. S. 612 ff.); N. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, insb. ab S. 48 ff.; T. Kuhl/P. Unruh, DVBl. 1994, S. 1391 ff.; T. Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, 1979, passim; J. Frowein, AöR 99 (1974), S. 72 ff. (106 ff.) sowie bei K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, passim; zur Wahlfehlerfolgenlehre T. Koch, DVBl. 2000, S. 1093 ff.; zum Wahlfehler der Beeinflussung von Wählerinnen und Wähler T. Oppermann, JuS 1985, S. 519 ff.; zur innerparteilichen Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten als Wahlfehler U. Mager, DÖV 1995, S. 9 ff.; zur Haftung von politischen Parteien wegen Wahlrechtsverstößen C. Koenig, DÖV 1994, S. 286 ff.; in Bezug auf die Weimarer Reichsverfassung M. Drath, Das Wahlprüfungsrecht bei der Reichstagswahl, 1927, passim. 56 Stellvertretend für die zahlreichen Kommentierungen zum Grundgesetz seien hier die von S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 41; B. Pieroth, in: H. D. Jarass/ ders. (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 41; U. Schielsky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 41; P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) und M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 41 genannt. 57 Beispielhaft P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 sowie E. Boettcher/R. Högner, BWahlG und BWahlO, 13. Aufl. 1994, § 49. 58 Dieses Gesetz einzig als Ganzes kommentierend H. Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, 2012 sowie Hinweise zum Umgang mit dem Wahlprüfungsgesetz in den Kommentierungen zum BWahlG, siehe § 1 Fn. 57. 59 Hier kann u. a. auf L. Bechler, in: C. Burkiczak/F.-W. Dollinger/F. Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 48; C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 48; H. Lechner/ R. Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 48 und auf A. Misol, in: T. Barczak (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 48 verwiesen werden. 60 Vor allem gemeint sind damit Beiträge in Handbüchern wie u. a. von W. Ewer, Wahl prüfung, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 8; H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.),
B. Forschungsstand und Kriterien für die zu untersuchenden Wahlfehler
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von Wahlen häufen sich die Veröffentlichungen, je größer der zeitliche Abstand wird, desto spärlicher werden sie. Hierbei wird das Wahlprüfungssystem zwar seit jeher wegen möglicherweise bestehenden Rechtsschutzlücken kritisch begutachtet.61 Der Fokus der Kritik liegt allerdings regelmäßig auf der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger und befasst sich vor allem mit Wahlfehlern, die in Bezug auf Wählerinnen und Wähler erfolgen können.62 Die Rechtsprobleme, die sich für politische Parteien ergeben können, werden nur in Ausschnitten63 oder gar nicht behandelt. Die so entstandene Lücke möchte diese Arbeit schließen und erstmals die Möglichkeiten politischer Parteien eruieren, im Fall von vor der Bundestagswahl auftretenden Wahlfehlern Rechtsschutz vor dem Wahltag zu erlangen. Denn die Arbeit ist durch das Vorverständnis der Verfasserin geleitet, dass Parteien existentielle Bestandteile eines jeden parlamentarischen Systems sind. Für die Bundesrepublik Deutschland ist dieser Grundsatz an prominenter Stelle in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG unmittelbar nach den Verfassungsprinzipien festgeschrie ben: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Parteien dienen der Zusammenfassung und Ausrichtung der verschiedenen im Volk vertretenen Interessen und Strömungen.64 Hierbei können sie auch den HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 und G. Kretschmer, Wahlprüfung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 13. 61 U. a. W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff.; H. Merten, JöR 67 (2019), S. 107 ff. (118); A. Koch, ZRP 2011, S. 196 ff.; M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff.; A. Ortmann, ThürVBl. 2006, S. 169 ff. (173 f.); G. Roth, DVBl. 1998, S. 214 ff.; W. Hoppe, DVBl. 1996, S. 344 ff.; S. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, S. 573 ff.; W.-R. Schenke, NJW 1981, S. 2440 ff.; K.-A. Bettermann, AöR 96 (1971), S. 528 ff. (544 ff.) und F. Rietdorf, DV 1949, S. 665 ff. (668 f.); frühe Reformvorschläge in Bezug auf das gesamte Wahlprüfungsrecht macht K.-H. Seifert, DÖV 1967, S. 231 ff. (insb. S. 236). 62 Siehe hierfür monografisch zuletzt P. Uhlmann, Individualrechtsschutz gegen Wahlverfahrensakte in parlamentarischen Wahlverfahren und Exklusivität der Wahlprüfung, 2016; H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997; B.-D. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, 1970 und H. Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Artikels 19 Absatz 4 GG, 1968. Zudem auch W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (125 f.); W. Pauly, AöR 123 (1998), S. 232 ff. (282 f.); G. Roth, Subjektiver Wahlrechtsschutz und seine Beschränkungen durch das Wahlprüfungsverfahren, in: G. Pfeiffer/U. Burgermeister/ders. (Hrsg.), Der verfaßte Rechtsstaat, FS Graßhof, 1998, S. 53 ff.; K.-H. Seifert, DÖV 1967, S. 231 ff. (240). 63 Einzig die für Parteien bestehenden Rechtsschutzlücken andeutend und nach ersten Lösungen suchend M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (insb. S. 1158 f.). 64 Dazu statt vieler nur U. Volkmann, Parlamentarische Demokratie und politische Par teien, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 4 Rn. 9; I. S. Hong, Verfassungsprobleme der innerparteilichen Kandidatenaufstellung für die Wahl
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§ 1 Einführung
politischen Willen vorformen, sind aber vor allem als Mittler zwischen Volk und Staat anzusehen.65 Das politische Engagement der Partei gipfelt als Höhepunkt ihrer Mitwirkung in Wahlen, die als ureigenste Form der Umsetzung von Mitwirkung an der politischen Willensbildung verstanden werden können.66 Um dieses Recht effektiv durchsetzen zu können, haben Parteien einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahlteilnahme, der nur zu versagen ist, wenn eine Partei verfassungswidrig ist.67 Diese Wahlteilnahme setzt voraus, dass die Parteien für die Wahl geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahlkreise und die Landeslisten aufstellen können. Garantiert wird das Recht zur Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten in §§ 18 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 1 BWahlG.68 Durch die Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien werden die der Bürgerin beziehungsweise dem Bürger später zur Wahl stehenden Möglichkeiten vorbestimmt.69 zum Deutschen Bundestag, 2005, S. 32; K.-H. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 85. 65 BVerfGE 20, 56 (101); K. Hesse, VVDStRL 17 (1959), S. 11 ff. (19, 21); zum Erfordernis politischer Willensbildungsorgane R. Köppler, Die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes als Vorrecht der Parteien, 1974, S. 58 ff. Zum Teil wird sogar davon ausgegangen, dass Parteien nicht nur an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, sondern diese regelrecht beherrschen, dazu u. a. W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Aufl. 1970, S. 21. 66 BVerfGE 20, 56 (108); BVerfGE 24, 260 (264); K.-H. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 86 f. sowie H. Meyer, der in Wahlsystem und Verfassungsordnung, 1973, S. 22 feststellt, dass es „das wichtigste ist, daß die Parlamentswahl in einer modernen Demokratie durch den Wettbewerb von Parteien um den größtmöglichen Anteil an Parlamentssitzen wesentlich bestimmt wird.“; näher zur Stellung der Parteien in Bezug auf Wahlen auch statt vieler H. Merten, JöR 67 (2019), S. 107 ff. (110 f.); W. Bausback, Verfassungsrechtliche Grenzen des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 1998, S. 60 ff., 92 ff. und W. Schreiber, Wahlkampf, Wahlrecht, Wahlverfahren, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 12 Rn. 4 ff. 67 BVerfGE 3, 383 (392 f.); K.-H. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 90 m. w. N.; die Verfassungswidrigkeit kann abschließend nur durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden, siehe Art. 21 Abs. 2, 4 GG. 68 Das Wahlrecht überträgt den Parteien also einen Großteil der Wahlvorbereitung, die amtlichen Wahlorgane hingegen überprüfen lediglich die Rechtmäßigkeit des Aufstellungsprozesses und lassen die Kandidatinnen und Kandidaten zu, dazu auch BVerfGE 89, 243 (251 f.). Näher zur Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten durch die politischen Parteien u. a. M. Morlok, NVwZ 2012, S. 913 ff. (914 f.). 69 Auf den Punkt gebracht von D. Th. Tsatsos/M. Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 116 f., die feststellen, dass „die Kandidatenaufstellung […] hier [gemeint ist in den besonders „sicheren“ Wahlkreisen und bei der Vergabe von voraussichtlich sicheren Listenplätzen] bereits die de facto Wahl [ist]!“; ebenso K. O. Nass, Die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze bei der Aufstellung von Parteikandidaten für Bundestagswahlen, in: H. Schneider/V. Götz
B. Forschungsstand und Kriterien für die zu untersuchenden Wahlfehler
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Zentral ist, dass alle Parteien die gleichen Möglichkeiten haben, um an Wahlen teilzunehmen. Geschützt wird dieses Recht durch die Chancengleichheit der Parteien.70 Danach wird die Mitwirkung an der politischen Willensbildung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen gewährleistet.71 Parteien sind deswegen im gesamten Wahlverfahren – also auch im hier relevanten Zeitraum der Wahlvorbereitung – grundsätzlich gleich zu behandeln.72 Ungleichbehandlungen verschiedener Parteien erfordern daher zwingende Gründe, damit sie zulässig sind.73 Relevante Wahlfehler für politische Parteien im Vorfeld der Wahl ergeben sich insbesondere zum einen aus der Nichtanerkennung als Partei, zum anderen aber auch aus der (teilweisen) Ablehnung von Kandidatinnen- und Kandidatenvorschlägen der zur Wahl bereits anerkannten Parteien. Da für den Fall der Nichtanerkennung als Partei mit der Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG ein Rechtsbehelf im Vorfeld der Wahl besteht, steht der Rechtsschutz gegen die (teilweise) Ablehnung von Kandidatinnen- und Kandidatenvorschlägen im Fokus der weiteren Betrachtung innerhalb dieser Arbeit. Die (teilweise) Ablehnung von Kandidatinnen- und Kandidatenvorschlägen teilt sich auf in Fälle, die sich auf die Ab lehnung von Direktwahlkandidatinnen und -kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen – mithin auf die Erststimme der Wählerinnen und Wähler – beziehen, (Hrsg.), Im Dienst an Recht und Staat, FS Weber, 1974, S. 311 ff. (316); drastischer B. Zeuner, Wahlen ohne Auswahl – Die Kandidatenaufstellung zum Bundestag, in: W. Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, 1971, S. 165 ff. (165 f.), der herausarbeitet, dass letztlich damit nur 0,12 bis 0,25 % aller Wahlberechtigten über die Wahl entscheiden. Zum Ganzen auch S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 78. 70 Dieses Recht ist unbestritten seit BVerfGE 1, 208 (255) als eines der ersten, nicht unmittelbar durch das Grundgesetz festgesetzten Rechte durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt; streitig ist nur seine verfassungsrechtliche Herleitung, umfassend dazu monografisch A. Kißlinger, Das Recht auf politische Chancengleichheit, 1998, insb. S. 17 ff.; meist wird die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet, siehe M. Morlok/H. Merten, Parteienrecht, 2018, S. 100; in Bezug auf Bundestagswahlen gilt stattdessen als lex specialis Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. 71 Siehe u. a. BVerfGE 44, 125 (139), BVerfGE 138, 102 (110) und BVerfGE 148, 11 (24). 72 Erstmals BVerfGE 3, 19 (26 f.); danach u. a. BVerfGE 44, 125 (146), BVerfGE 104, 14 (20); BVerfGE 138, 102 (110). Zu berücksichtigen ist, dass der Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien strikt formal zu verstehen ist, um missbräuchliche Einwirkungen anderer Verfassungsorgane im politischen Wettbewerb zu verhindern, st. Rspr., siehe nur BVerfGE 24, 300 (340); BVerfGE 111, 382 (398) m. w. N. 73 Umfassend dazu BVerfGE 20, 56 (117 ff.); als zwingende Gründe sind bisher u. a. die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments, z. B. BVerfGE 6, 83 (92 f.), Kapazitätsengpässe im Rundfunk, z. B. BVerfGE 14, 121 (134 f.), oder Differenzierungen bei der Parteienfinanzierung zur Verhinderung eines übermäßigen Stimmensplitting, z. B. BVerfGE 24, 300 (329 f.), anerkannt.
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§ 1 Einführung
und in Fälle, die sich auf die Ablehnung von Landeslisten – mithin auf die Zweitstimme der Wählerinnen und Wähler – beziehen. Im Folgenden wird in dieser Arbeit regelmäßig auf den Fall der Ablehnung der Landesliste einer politischen Partei durch den Bundeswahlausschuss nach § 28 Abs. 2 BWahlG eingegangen. Eine Landesliste kann entweder vollständig oder in Teilen abgelehnt werden; beide Fälle sind gleichermaßen relevant. Denn die vollständige Ablehnung führt dazu, dass die abgelehnte Partei in einem Land keine gültige Landesliste aufgestellt hat und damit nicht über die Zweitstimme gewählt werden kann. Relevant ist die Wahl einer Partei über die Zweitstimme für die Ermittlung der einer Partei zustehenden Sitzanzahl im zu wählenden Bundestag, die sich nach § 6 Abs. 2 BWahlG über die Zweitstimme ergibt. Wenn keine Landesliste aufgestellt wird, können nur die mit der Erststimme unmittelbar gewählten Kandidatinnen und Kandidaten in den Bundestag einziehen. Daher führt eine vollständige Ablehnung der Landesliste durch den Bundeswahlausschuss dazu, dass die abgelehnte Partei in diesem Land im Vergleich zu anderen Parteien, deren Landeslisten zugelassen wurden, keine Möglichkeit hat, Mandate über die Landesliste zu erlangen. Die Partei wird damit faktisch von vornherein von der Wahl ausgeschlossen.74 Bei der vollständigen Nichtzulassung von Landeslisten handelt es sich überdies nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um einen „schwerwiegenden Eingriff in die Wahl- und Parteienfreiheit“75. Auch eine teilweise Ablehnung einer Landesliste führt bereits zu Beeinträchtigungen des Rechts politischer Parteien, sich an Wahlen zu beteiligen. Denn es kann sein, dass die Partei aufgrund eines für sie erfolgreichen Wahlausgangs mehr Abgeordnete in den Bundestag entsenden könnte als sie zugelassene Kandidatinnen und Kandidaten auf der Landesliste aufgestellt hat. In diesem Fall bleiben dann Stimmen der Wählerinnen und Wähler mangels hinreichender Anzahl von zugelassenen Kandidatinnen und Kandidaten auf der Landesliste unberücksichtigt. Zu beachten ist auch, dass das Ausmaß der Auswirkungen von nicht zur Wahl zugelassenen Wahlvorschlägen nach der Wahl insgesamt nicht messbar ist, sodass Fälle der
74
In diese Richtung auch I. S. Hong, Verfassungsprobleme der innerparteilichen Kandidatenaufstellung für die Wahl zum Deutschen Bundestag, 2005, S. 90. Freilich führt die Begrenzung des Rechtsschutzes vor der Wahl auf Wahlfehler in Bezug auf die (teilweise) Ablehnung von Landeslisten auch zu einer Verringerung der zu erwartenden Verfahren im Bundestag und vor dem Bundesverfassungsgericht vor dem Wahltag, was die praktische Umsetzung wesentlich erleichtern wird. 75 BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022, 2 BvC 22/19 = BeckRS 2022, 7874, 2. Ls. und Rn. 45, 55.
B. Forschungsstand und Kriterien für die zu untersuchenden Wahlfehler
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(rechtswidrigen) Zurückweisung von Wahlvorschlägen stets zur Ungültigkeit der Wahl führen müssten.76 Natürlich ist einzuwenden, dass die Parteien für die Aufstellung ihrer Landeslisten selbst verantwortlich sind und damit unmittelbaren Einfluss auf die Richtigkeit der Aufstellung der Landeslisten nehmen können. Nichtsdestotrotz sind Fälle denkbar, in denen eine Landesliste unverschuldet durch den jeweiligen Landes- und final durch den Bundeswahlausschuss abgelehnt wird. Dazu gehört beispielsweise die Diskussion um die Voraussetzungen für die Einheitlichkeit einer Aufstellungsversammlung77, um die Auslegung des Begriffs des Vertretenmüssens für die fristgerechte Einreichung der Wahlvorschläge78, um den Umfang der Prüfungskompetenz der parteiinternen Aufstellungsphase79 oder der bisher ungeklärte Fall, dass eine von der Aufstellungsversammlung bestellte Schriftführerin oder ein von der Aufstellungsversammlung bestellter Schriftführer der Landesliste vor Ablaufen der Einreichungsfrist der Landes liste verstirbt und damit erforderliche Unterschriften nicht mehr erfolgen können80. Für all diese und auch weitere Fälle besteht nach der lediglich verwaltungsintern wirkenden Entscheidung des Bundeswahlausschusses keine Möglichkeit, weiteren Rechtsschutz zu erlangen; die Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Wahl sind erschöpft.81 Durch eine Möglichkeit, vor der Bundestagswahl bereits gerichtlichen Rechtsschutz anzustoßen, erhalten die Parteien eine rechtssichere abschließen76
T. Hüfler, Wahlfehler und ihre materielle Würdigung, 1979, S. 150 f. So ein Fall in Sachsen 2019, siehe SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff.; hierbei ging es zwar um die Aufstellungsversammlungen zu einer Landtagswahl, es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ein Parallelfall in Bezug auf eine Bundestagswahl passieren könnte; näher dazu unten § 4 D. III. 78 So ein Fall in Baden-Württemberg 2021, siehe Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, S. 6, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/1f8bb302-8892-4868-bea4-8f8cbf701ab7/2021 0805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). 79 So ein Fall im Saarland 2021, siehe Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, S. 40 f., abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/1f8bb302-8892-4868-bea4-8f8cbf701ab7/2021 0805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). 80 Dieser Fall ist bisher zwar noch nicht vorgekommen, wurde aber als reales Problem ohne rechtliche Lösung durch den Bundeswahlausschuss anerkannt, Videoaufzeichnung der 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, ab 01:12:35, abrufbar unter https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7531779#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/ dmlkZW9pZD03NTMxNzc5&mod=mediathek (7. Mai 2023). 81 Damit ist der zumutbare Eigenschutz erfolglos geblieben, sodass ein Wahlprüfungsverfahren grundsätzlich statthaft ist und erfolgsversprechend angestoßen werden kann, Brem StGH, Entscheidung vom 16. November 1996, St 5/96 = NVwZ-RR 1997, S. 329 ff. (322). 77
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de Entscheidung, die dazu führt, dass die Chancengleichheit wiederhergestellt werden kann und die Entscheidung letztgerichtlich geprüft wird, sodass selbst bei ablehnender Entscheidung alle zur Verfügung stehenden Mittel bereits vor der Wahl final durchgeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits anerkannt, dass das Wahlprüfungsverfahren auch dazu dient, die Chancengleichheit zwischen den Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern wiederherzustellen.82 Daher führt diese Arbeit das Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG als Vorschlag für diesen vor der Wahl stattfindenden gerichtlichen Rechtsschutz an. Zur Wahrung der Chancengleichheit der Parteien im Falle der (teilweisen) Landeslistenablehnung ist demnach nicht nur verwaltungsintern wirkender Rechtsschutz vor der Wahl zwingend notwendig. Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Wahl sollten jeder Partei zustehen, die eine ablehnende Entscheidung ihrer Landesliste durch den Bundeswahlausschuss erfahren hat. Anders ist die Chancengleichheit der Parteien nicht verwirklicht.83 Es ist ein Anliegen dieser Arbeit, die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung unter größtmöglichen Schutz zu stellen. Als Rechtsschutzmöglichkeiten werden dabei lediglich staatliche gerichtliche Verfahren, nicht aber bloß parteiinterne Rechtsbehelfe diskutiert.84 Darüber hinaus wird der Fokus auf Wahlfehler gelegt, die im Vorfeld von Bundestagswahlen auftreten können. Ausgeklammert sind mithin grundsätzlich das Europa-, das Landes- und das Kommunalwahlrecht.85 Zudem soll es auch nicht um den ebenfalls relevanten Bereich gehen, welche Rechtsschutzmöglichkeiten Bürgerinnen und Bürgern haben, um Wahlfehler vor der Bundestagswahl gerichtlich überprüfen zu können.86
82 BVerfGE 85, 148 (158); ähnlich M. Morlok, NVwZ 2005, S. 157 ff. (159), der davon spricht, dass dem Recht eine Schutzpflicht für die Erfüllung der Parteifunktion und Chancengleichheit aller Bürger und Parteien zukommt. 83 So auch A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1817); anders SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1832 ff.), nach dem ein Eingreifen vor der Wahl nur in besonders schwerwiegenden Fällen in Betracht kommt. 84 Zum parteiinternen Rechtsschutz vor der Wahl u. a. H. Merten, JöR 67 (2019), S. 107 ff. (125 ff.). 85 Auf relevante Parallelen und Unterschiede wird jedoch im Laufe der Arbeit vereinzelt eingegangen, siehe v. a. § 4 B. III., § 4 D. III. und § 5 E. II. 86 Dazu siehe u. a. W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (125 f.); G. Roth, DVBl. 1998, S. 214 ff. (215 ff.) und die Nachweise in § 1 Fn. 62.
C. Methodisches Vorgehen und Gang der Darstellung
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C. Methodisches Vorgehen und Gang der Darstellung Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine verfassungsrechtsdogma tische Arbeit, mit Hilfe derer ein Beitrag für die Systematisierung und eine möglichst widerspruchsfreie Anwendung im Bereich der Wahlprüfung geleistet werden soll. Mit Hilfe der Verfassungsrechtsdogmatik sollen daher auch neue, systemgerechte Lösungen aufgezeigt werden.87 Die Arbeit ist von dem in den letzten Jahren maßgeblich durch Matthias Jestaedt geprägten Verständnis ge leitet, dass die Verfassungsrechtsdogmatik als „geltendrechtliche (genauer: auf das geltende Recht fixierte) – und in diesem Sinne „positivistische“ – Gebrauchs jurisprudenz gekennzeichnet“88 ist und daher nach wie vor eine eigenständige Relevanz im Gefüge der Rechtswissenschaften besitzt.89 Zur Bestimmung des geltenden Rechts – beziehungsweise nach Matthias Jestaedt konkreter: dessen, was „als geltendrechtlicher Normbefehl“90 verstanden werden kann – wird die Verfassungsinterpretation herangezogen.91 Darunter wird – anknüpfend an Klaus Stern – im Folgenden die Ermittlung und das Verständnis des Sinngehalts 87
Ebenso B. Rüthers/C. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 326. M. Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 32; ähnlich auch ders., Phänomen Bundesverfassungsgericht – Was das Gericht zu dem macht, was es ist, in: ders./ O. Lepsius/C. Möllers/C. Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 77 ff. (131) und ders., Verfassungstheorie als Disziplin, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 1 Rn. 21. 89 Für die Berechtigung der Dogmatik im Gefüge der juristischen Methodik u. a. P. M. Huber, JZ 2022, S. 1 ff. (4 ff.); J. Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, insb. S. 128 ff. und F. Schoch, Verwaltungsrechtslehre und Staatsrechtslehre, in: H. Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, 2007, S. 177 ff. (209); aus soziologischer Perspektive N. Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, S. 15 ff.; kritisch zur Relevanz und daher die Rolle der Dogmatik anzweifelnd v. a. Oliver Lepsius mit zahlreichen Publikationen in diese Stoßrichtung, siehe u. a. Kritik der Dogmatik, in: G. Kirchhof/S. Magen/K. Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 39 ff. (insb. 46 ff.); Nie war sie so dogmatisch wie heute. Die Rechtswissenschaft ist eine Normwissenschaft – und Normen ändern sich ständig: eine Frage der Erkenntnis, F.A.Z. Nr. 116 vom 19. Mai 2011, S. 8 und Was kann die deutsche Staatsrechtslehre von der amerikanischen Rechtswissenschaft lernen?, in: H. Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, 2007, S. 319 ff. (326 ff.); die Grenzen und Chancen der Dogmatik aufzeigend C. Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: G. Kirchhof/ S. Magen/K. Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 ff. (30 ff.). 90 M. Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 1 Rn. 21; ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 31. 91 Ebenso T. Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 9 Rn. 7c; P. Stegmair, Recht und Normativität aus soziologischer Perspektive, in: J. Krüper (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 4. Aufl. 2021, § 3 Rn. 31; C. Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: G. Kirchhof/S. Magen/K. Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 ff. (27); M. Jestaedt, Verfassungsinterpretation in Deutschland, in: G. Lienbacher (Hrsg.), Verfassungsinterpreta88
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einer Verfassungsnorm verstanden.92 Es geht folglich um die Bestimmung des Kerngedankens einer Verfassungsnorm.93 Die Arbeit nutzt methodisch dabei auch die in der allgemeinen Methodenlehre bekannten Auslegungsmethoden.94 tion in Europa, 2011, S. 5 ff. (5); ders., Verfassungstheorie als Disziplin, in: O. Depenheuer/ C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 1 Rn. 21. 92 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, § 4 III 1, S. 124; in diese Richtung auch M. Jestaedt, Verfassungsinterpretation in Deutschland, in: G. Lienbacher (Hrsg.), Verfassungsinterpretation in Europa, 2011, S. 5 ff. (7), der diese Umschreibung der Verfassungsinterpretation als „nicht weiter problematisierte […] Arbeitshypo these“ auffasst. Abzugrenzen ist die Verfassungsinterpretation nach dem hier vorliegenden Verständnis damit v. a. zum „Verfassungswandel“, unter dem allgemein die Sinnänderung einer Verfassungsnorm ohne Textänderung aufgrund von sozialen, ökonomischen, technischen oder politischen – sprich: gesellschaftlichen – Änderungen verstanden wird, dazu statt vieler nur P. Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 15; zu alter nativen Begriffsverständnissen E. W. Böckenförde, Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel, in: P. Badura/R. Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, 1993, S. 3 ff.; für den Verfassungswandel als Auslegungsmethode S. Pschorr/F. Spanner, DÖV 2020, S. 91 ff.; kritisch zur Figur des Verfassungswandels aus jüngerer Zeit A. Voßkuhle, JuS 2019, S. 417 ff. (418) und auch schon ders., Der Staat 43 (2004), S. 450 ff. Zur umstrittenen Frage, inwieweit Verfassungsinterpretation und Verfassungskonkretisierung synonym verwendet werden können, allgemein T. Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 7 Rn. 1 ff., § 10 Rn. 4; dafür K. Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 60, der feststellt: „Verfassungsinterpretation ist Konkretisierung“ sowie K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, § 4 III 3, S. 128, nach dem jeder Interpretationsakt einen Übergang vom Abstrakten zum Konkreten darstelle und daher jede Interpretation stets eine Normkonkretisierung durch Auslegungsmittel sei; dagegen aber E. W. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 185 f. und H. Huber, ZSR-NF 74 (1955), S. 173 ff. (201). 93 Dazu auch maßgeblich schon F. C. von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, S. 213 ff., der die Auslegung folgendermaßen definierte: „Das ist das Geschäft der Auslegung, die wir daher bestimmen können als die Reconstruction des dem Gesetz innewohnenden Gedankens“. 94 Näher zum klassischen Auslegungskanon u. a. T. Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, §§ 4, 5; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 12. Aufl. 2021, S. 35 ff.; F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 11. Aufl. 2013, Kap. 322.1, S. 328 ff.; K. Larenz/C.-W. Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 133 ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 312 ff. In Bezug auf die Anerkennung der teleologischen Auslegung als eigenständiges Auslegungsmittel wird Kritik insofern geäußert, als dass Ziel einer jeden Auslegung die Bestimmung des Normzwecks sei und daher der Zweck einer Norm kein Mittel zur Auslegung sein könne, wenn es sich dabei um das Auslegungsziel handele. Zur aktuellen Methodendiskussion siehe B. Rüthers/C. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 725 ff., insb. Rn. 730a; T. Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 17 ff. sowie § 5 Rn. 6 ff.; M. Morlok, Die vier Auslegungsmethoden – was sonst?, in: G. Gabriel/R. Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, 2012, S. 179 ff. (190 ff., 201 ff.); C. Höpfner/B. Rüthers, AcP 2009, S. 1 ff. (7 f.); W. R. Schluep, Teleo-
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In dieser Arbeit ist der in Art. 41 GG zum Ausdruck kommende objektive „Wille des Gesetzes“ Maßstab der Ausführungen, nicht hingegen der subjektivierte Wille des historischen Gesetzgebers.95 Letzterer wird aber als Hilfestellung im Rahmen der historischen Erwägungen herangezogen. Zugrunde liegt dieser Arbeit weiter die Auffassung, dass die Dogmatik flexibel und auch ohne Änderung des Normtextes der zugrundeliegenden Bestimmung neue Erkenntnisse aufgreifen kann und so dazu in der Lage ist, sich stets zu verändern und anzupassen.96 Offen ist die Verfassungsrechtsdogmatik dabei nach dem hier vorliegenden Verständnis auch für die Integration von Nachbardisziplinen.97 Diese Integration erfolgt in der vorliegenden Arbeit vor allem durch die Bezugnahme auf Erkenntnisse verfassungstheoretischer, politikwissenschaftlicher und ökonomischer Forschung. Kernbestandteil der Arbeit ist damit nach der Bestandsaufnahme der Handhabung der Wahlprüfung durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft (§ 2) und der Untersuchung der historischen Ursprünge der Wahlprüfung (§ 3) die vertiefte Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen der Wahlprülogisches Auslegungsargument: Trivialer Joker, Trumpf-Ass oder gleichgeordnete Stichkarte?, in: H. Honsell/R. Zäch/F. Hasenböhler/F. Harrer/R. Rhinow (Hrsg.), Privatrecht und Methode, FS Kramer, 2004, S. 271 ff. Im Ergebnis wird sich dieser unterschiedliche Umgang nicht auf die Auslegung auswirken, denn teleologische Argumente lassen sich regelmäßig auch anders herleiten, z. B. über den Willen der Normsetzerinnen und Normsetzer im Wege der historischen Auslegung oder das innere sowie äußere System der Rechtsordnung im Rahmen der systematischen Auslegung. Vertiefend dazu die Erläuterungen von R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 12. Aufl. 2021, S. 42; siehe dazu auch aus gegensätzlicher Perspektive C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, S. 91, nach dem „die Auslegung aus dem inneren System eine Fortsetzung der teleologischen Auslegung bzw. eine höhere Stufe innerhalb dieser“ ist. 95 Das Bundesverfassungsgericht plädiert für den Bereich des öffentlichen Rechts in ständiger Rechtsprechung für die Anwendung der objektiven Auslegung, grundlegend BVerfGE 1, 299 (2. Ls. und 312); zur Unterscheidung zwischen der subjektiven und objektiven Auslegung näher statt vieler nur K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 316 ff.; kritisch zur objektiven Auslegung K. Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 56. 96 C. Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: G. Kirchhof/S. Magen/K. Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 ff. (28). 97 So v. a. A. Stark, Interdisziplinarität der Rechtsdogmatik, 2020, insb. S. 223, 233 ff., aber auch G. Kirchhof/S. Magen, Dogmatik: Rechtliche Notwendigkeit und Grundlage fächerübergreifenden Dialogs – eine systematisierende Übersicht, in: ders./ders./K. Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 151 ff. (168 ff.); T. Würtenberger, Grundlagenforschung und Dogmatik aus deutscher Sicht, in: R. Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 3 ff. (15) und C. Engel, JZ 2005, S. 581 ff. (582). Kritisch und eine Öffnung in Bezug auf die Nachbarwissenschaften ablehnend hingegen H. M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, Rn. 758 m. w. N.
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fung anhand ihrer exklusiven Zuweisung an den Bundestag (§ 4), mit ihrer Stellung im demokratischen Wahlsystem (§ 5) und mit den Auswirkungen einer Wahlprüfung vor der Wahl in Bezug auf potenzielle Kollusionen mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang (§ 6). Im Anschluss daran erfolgt eine Perspektive für die konkrete Ausgestaltung einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung, die Anpassungen im einfachen Recht mit sich bringt (§ 7). Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung in Thesen (§ 8).
§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht A. Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens Der Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens wird durch die Rechtsprechung und den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs einheitlich gesehen: Das Wahlprüfungsverfahren kann erst nach der Wahl, konkret also nach dem Wahltag, eingeleitet werden.
I. Begründung des Zeitpunkts der Wahlprüfung durch das Bundesverfassungsgericht Seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vertritt das Bundesverfassungsgericht folgende Auffassung in Bezug auf den Zeitpunkt der Wahlprüfung: „Die Wahl im großräumigen Flächenstaat erfordert eine Fülle von Einzelentscheidungen zahlreicher Wahlorgane. Die Wahl läßt sich nur gleichzeitig und termingerecht durchführen, wenn die Rechtskontrolle dieser Einzelentscheidungen während des Wahlablaufs begrenzt wird und im Übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt.“1
Ergänzend führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass, wenn alle Entscheidungen, die sich unmittelbar auf die Vorbereitung und Durchführung der Wahl zum Deutschen Bundestag beziehen, vor dem Wahltermin mit Rechtsmitteln angreifbar wären, es in dem Wahlorganisationsverfahren, das durch das ebenenübergreifende Zusammenspiel der einzelnen Wahlorgane mit zahlreichen zu beachtenden Terminen und Fristen geprägt ist, zu erheblichen Beeinträchtigungen käme.2 Ebenfalls wären nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts um1 St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 14, 154 (155); zuletzt explizit so BVerfGE 151, 152 (163) und BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021, 2 BvF 1/21 = NVwZ 2021, S. 1525 ff.; ähnlich auch BVerfGE 159, 105 (114). 2 Dazu u. a. BVerfG, Beschluss vom 24. August 2009, 2 BvR 1898/09 = BayVBl. 2009, S. 750 f.
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
fangreichere Sachverhaltsermittlungen und die Klärung schwieriger tatsäch licher sowie rechtlicher Fragen kaum ohne erhebliche Auswirkungen auf den Ablauf des Wahlverfahrens möglich.3 Daher hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass eine Wahlprüfungsbeschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG, § 48 BVerfGG voraussetzt, dass die Neuwahl durchgeführt ist, danach Einspruch gemäß § 2 WahlPrüfG erhoben und dieser Einspruch gemäß §§ 11, 13 WahlPrüfG vom Deutschen Bundestag zurückgewiesen wird.4 Mithin soll die Wahlprüfung zwingend nach der durchgeführten Bundestagswahl stattfinden. Daneben kommt ein Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG für eine Wahlprüfung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht in Betracht.5 Dafür führt das Bundesverfassungsgericht an, dass seine Zuständigkeit im Grundgesetz und in den weiteren gesetzlichen Vorschriften abschließend und umfassend geregelt sei.6 Das Bundesverfassungsgericht könne also nur in den dort normierten Verfahrensarten tätig werden.7 Für die Vorverlagerung der Wahlprüfung seien weder im Grundgesetz noch in anderen Gesetzen Anhaltspunkte zu finden, sodass eine in das einstweilige Anordnungsverfahren vorverlegte Wahlprüfung auf Antrag einer oder eines Wahlberechtigten nicht zulässig sei.8
II. Regelmäßig keine Entscheidungen durch Verwaltungsgerichte Insgesamt entschied die Verwaltungsgerichtsbarkeit bisher wenig Fälle in Bezug auf Wahlprüfungen zur Wahl des Bundestags. Falls es doch einmal Entscheidungen in der Sache gab, bezogen sich diese regelmäßig nicht auf den Zeitpunkt der Wahlprüfung. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, in der es um den Zeitpunkt der Wahlprüfung ging, gibt es nicht.9 Nur das Oberver3 So insbesondere BVerfGK 16, 148 (149) und erneut BVerfG, Beschluss vom 24. August 2009, 2 BvR 1898/09 = BayVBl. 2009, S. 750 f. 4 BVerfGE 63, 73 (76). 5 Zur bisher einzigen einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, die vor der Bundestagswahl stattfand, schon oben § 1 A. IV. 6 BVerfGE 63, 73 (76). 7 BVerfGE 63, 73 (76). 8 BVerfGE 63, 73 (76). 9 Anders nur J. Hahlen, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 49 Rn. 4, der annimmt, dass das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsauffassung vertritt, dass eine vorbeugende verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage (oder Leistungs-/Verpflichtungsklage) einzelner Bürgerinnen und Bürger oder Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber zur Sicherung ihrer subjektiven Rechte auch bei Wahlen bestehen muss, allerdings ohne dafür eine konkrete Entscheidung oder sonstigen Nachweis anzuführen; in der Neubearbeitung durch P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 4 wird diese Ansicht nicht mehr vertreten.
A. Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens
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waltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 199910 und das Verwaltungsgericht Düsseldorf 201711 setzten sich bisher mit dem Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens auseinander. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt setzt in seinem Urteil aus dem Jahr 1999 quasi nebenbei ohne weitere Nachweise fest, dass die Nicht-Beachtung von Wahlvorschriften nur in einem anschließenden12 Wahlprüfungsverfahren geltend gemacht werden könnten.13 Das Verwaltungsgericht Düsseldorf bezog sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 etwas stärker auf den Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens.14 Hierbei adaptierten die Düsseldorfer Richterinnen und Richter die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vollständig und lehnten eine Wahlprüfung im Vorfeld einer Bundestagswahl ab. Eine tiefergehende Begründung gab es nicht, die Richterinnen und Richter führten nur aus, dies sei ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.15
III. Zustimmung durch den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs Der verfassungsrechtswissenschaftliche Diskurs hat sich der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass es keine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung geben könne, vollumfänglich angeschlossen16 und diese zudem um weitere Argumente über den besonderen Charakter des Wahlverfahrens hinaus ergänzt. 10 OVG Sachs.-Anh., Entscheidung vom 15. Dezember 1999, B 2 S 388/98 = BeckRS 2008, 30729. 11 VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2017, 20 L 4679/17 = BeckRS 2017, 127629. 12 Hervorhebung durch die Verfasserin zur Verdeutlichung, dass lediglich dieses Wort auf den Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens hinweist. 13 OVG Sachs.-Anh., Entscheidung vom 15. Dezember 1999, B 2 S 388/98 = BeckRS 2008, 30729 Rn. 8. 14 VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2017, 20 L 4679/17 = BeckRS 2017, 127629 Rn. 3 ff. 15 VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2017, 20 L 4679/17 = BeckRS 2017, 127629 Rn. 3. 16 Diese Ansicht ist einheitlich; Abweichungen konnten nicht gefunden werden, siehe daher statt vieler nur unter ausdrücklichem Hinweis auf die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 41 und H. Lang, Stichwort „Wahlen“, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 6, 8. Aufl. 2021, Sp. 90; nicht ganz so klar allenfalls U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/ C. Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 20, der feststellt, dass „die Wahlprüfung […] nach dem BVerfG eine Kontrolle ex post“ ist, dabei also explizit das Bundesverfassungsgericht einbezieht und dadurch deutlich macht, dass es kein von ihm entwickelter Gedankengang ist.
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
So solle zum einen bereits der Wortlaut „Wahlprüfung“ suggerieren, dass es sich um eine zwingend nach der durchgeführten Wahl stattfindende Überprüfung handele.17 Daneben spreche auch in teleologischer Hinsicht der Zweck der Wahlprüfung gegen eine vorgelagerte Möglichkeit: Denn bei der Wahlprüfung gehe es darum, die dem Willen der Wählerinnen und Wähler entsprechende Zusammensetzung des Bundestags zu gewährleisten, was nur möglich sei, wenn die Wahl bereits durchgeführt wurde.18 Zudem sollen die Folgen der Wahlprüfung möglichst beschränkt werden. Es gelte hierfür das Prinzip der sachlichen, personalen und regionalen Begrenzung, wonach genau geprüft werden müsse, in welchen Bereichen ein festgestellter Wahlfehler überhaupt Einfluss genommen habe; die Feststellung dieser Relevanz sei nur möglich, wenn die Wahl bereits stattgefunden habe.19
IV. Fazit Insgesamt ist damit sowohl nach Auffassung der verfassungsgerichtlichen wie verwaltungsrechtgerichtlichen Rechtsprechung als auch nach Auffassung des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses ein Rechtsschutz vor der Bundestagswahl im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens nicht möglich. Verfassungsrechtlich problematisch ist eine solche Feststellung für sich allein bereits nicht, denn Kompensationen durch andere Rechtsbehelfe wie einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz oder einer Verfassungsbeschwerde erscheinen zunächst möglich. Schwierig wird diese Beschränkung des Wahlprüfungsverfahrens auf den Zeitraum nach der Wahl erst durch die zweite Annahme des Bundesverfassungsgerichts zur Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts.
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts Der Verlagerung des Rechtsschutzes im Vorfeld von Bundestagswahlen auf andere Rechtsbehelfe, wenn schon im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens kein Rechtsschutz vor der Wahl möglich sein soll, hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls frühzeitig eine Absage erteilt. Erstmals so geurteilt durch das Bundesverfassungsgericht in den 1950er und 1960er Jahren und teilweise rezipiert 17
Siehe nur J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1320). So u. a. H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 43 f. sowie in Ansätzen P. Glauben, NVwZ 2017, S. 1419 ff. (1420). 19 Hierzu P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 102. 18
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, steht die Verfassungsrechtsprechung auf dem Standpunkt, dass sowohl Art. 41 GG selbst, aber spätestens § 49 BWahlG eindeutig dafür spricht, dass die Rechtsbehelfe des Wahlrechts und das Wahlprüfungsverfahren in Bezug auf ein konkretes Wahlverfahren die allein zulässigen Rechtsbehelfe und damit exklusiv sein sollen. Diese Rechtsprechung in Bezug auf die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts ist durch den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs gespalten aufgenommen worden.
I. Entwicklung der Exklusivitätsthese durch das Bundesverfassungsgericht Seit seinem unveröffentlichten Beschluss 2 BvR 4/57 aus dem Jahr 1957 urteilt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können.20 Einfach gesetzlich wird dieser Befund durch die Regelung im heutigen § 49 BWahlG gestützt. Dort heißt es: „Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können nur mit den in diesem Gesetz und in der Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden.“
Als Konsequenz seiner Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht § 50 BWahlG a. F., der wortlautidentisch mit dem heutigen § 49 BWahlG ist, in demselben unveröffentlichten Beschluss und seitdem fortlaufend als verfassungskonform eingestuft.21 Dafür führt das Gericht an, dass es sich bei dieser einfachgesetzlichen Regelung um eine sich aus der besonderen Natur des Wahlrechts ergebende Sonderregelung handele.22 Das deutsche Wahlprüfungsrecht sei wesentlich durch die Ausprägung als eigenständiges, besonderen Regeln unterworfenes Verfahren geprägt.23 Zwar mögen die Ausgestaltungen in den vorherigen deutschen Verfassungen unterschiedlich gewesen sein 24, immer aber 20 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2; erstmals in veröffentlichter Form in BVerfGE 14, 154 (155); so zuletzt explizit in BVerfGE 151, 152 (163). 21 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2; erstmals in veröffentlichter Form in BVerfGE 14, 154 (155). 22 BVerfGE 14, 154 (155). 23 BVerfGE 28, 215 (218). 24 In der nie in Kraft getretenen Paulskirchenverfassung von 1848 war die Wahlprüfung gem. § 112 abschließend dem Parlament überlassen, ebenso gem. Art. 27 in der Verfassung
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
wurde „die Wahlprüfung als eine spezielle, von anderen Verfahren deutlich abgehobene Rechtskontrolle betrachtet“25. Daneben wird in manchen Entscheidungen zur Begründung der Exklusivität auf die oben bereits dargestellten Ausführungen zum Zeitpunkt der Wahlprüfung verwiesen, wonach die termingerechte Durchführung der Wahl nur bei einer nachträglichen Wahlprüfung eingehalten werden könne.26 Nach dem Bundesverfassungsgericht soll es sich hierbei um eine zusätzliche Begründung für die Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens handeln, die für den Zeitraum vor einer Wahl herangezogen werden könne.27 Nicht ganz unproblematisch ist, dass dieses Argument vor dieser ausdrücklichen Klarstellung schon in der die Exklusivität maßgeblich prägenden Entscheidung BVerfGE 14, 154 vom 27. Juni 1962 zu finden ist, die eine im Anschluss an die Bundestagswahl 1961 erhobene Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand hat.28 Es handelte sich folglich um ein nach der Bundestagswahl stattfindendes Verfahren, auf das der Verweis auf die termingerechte Durchführung der Bundestagswahl aus Gründen der zeitlichen Abfolge nicht mehr passen kann.29 Soweit ersichtlich ist diese Entscheidung eine Einzelfallentscheidung. Wenn in darauffolgenden Entscheidungen auf den Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens als Argument für dessen Exklusivität abgestellt wurde30, handelte es sich stets um Rechtsbehelfe, die auf den Zeitpunkt vor der Wahl bezogen waren und die das Bundesverfassungsgericht vor dem Wahltag entschieden hat. Insoweit ist die Heranziehung des Arguments, dass die zeitlichen Abläufe im Vorfeld von Wahlen für die Exklusivität der Wahlprüfung sprechen sollen, zumindest nachvollziehbar, wenn gleich nicht zwingend.31 1. Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kollidiert die Beschränkung des Rechtswegs in Wahlrechtssachen auf das Wahlprüfungsverfahren und die sonsdes Deutschen Reiches von 1871; in der Weimarer Rechtsverfassung von 1919 wurde hingegen ein spezielles Wahlprüfungsgericht gebildet, Art. 31 WRV; ausführlich hierzu J. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 ff. und unten § 3 B. 25 BVerfGE 28, 215 (218 f.). 26 So u. a. in BVerfGE 14, 154 (155); BVerfGE 16, 128 (129 f.); BVerfGK 16, 148 (149); BVerfGE 151, 152 (163); vertiefend zu dieser Argumentation des Bundesverfassungsgerichts schon oben § 2 A. I. 27 So das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 28, 214 (220). 28 BVerfGE 14, 154 (155); näher dazu unten § 2 B. I. 4. 29 Zu den Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs unten § 2 B. I. 5 und § 2 Fn. 91; zur Kritik an dieser Entscheidung siehe § 2 B. I. 4. 30 BVerfGE 16, 128 (129 f.); BVerfGK 16, 148 (149); BVerfGE 151, 152 (163). 31 Siehe § 2 B. I. 5. und § 2 B. II.
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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tigen im Bundeswahlgesetz beziehungsweise in der Bundeswahlordnung genannten Rechtsbehelfe nicht mit der allgemeinen Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Denn Art. 19 Abs. 4 GG garantiere nur einen Rechtsweg, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt sei.32 Zwar han dele es sich beim Wahlrecht um ein von Art. 19 Abs. 4 GG umfasstes Recht33, Art. 41 GG bestimme hingegen, „dass die Wahlprüfung „Sache des Bundestags“ und gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist“34. Daraus schließt das Bundesverfassungsgericht, dass die Berichtigung von Wahlfehlern einschließlich solcher, die eine Verletzung subjektiver Rechte darstellen, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen sei.35 Grund hierfür sei, dass das Bundesverfassungsgericht auch im Verfahren von Art. 41 Abs. 2 GG die Verfassungsmäßigkeit der gerügten Maßnahme sowie der zugrunde liegenden Wahlrechtsnormen zu prüfen habe.36 Dabei muss es ebenfalls Grundrechte sowie andere im Grundgesetz verbürgte Rechte beachten, sodass weitere Rechtsbehelfe zur Wahrung von Rechten im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr notwendig sein sollen.37 An dieser Rechtsprechung hat sich auch durch das 2012 erlassene Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen nichts geändert: In einer Entscheidung aus dem Jahr 201838 bekräftigt das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung erneut mit ausdrücklichem Verweis auf das 2012 erlassene Gesetz. Lediglich die zunächst stets ergänzend hinzugezogene Begründung, dass es sich bei der Wahlprüfungsbeschwerde aus Art. 41 Abs. 2 GG nicht um einen Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG handele, da zu ihrer Erhebung nach § 48 BVerfGG39 einhundert Wahlberechtigte beitreten müssten, hat das Bundesverfassungsgericht mittlerweile aufgegeben. Grund hierfür sei, dass dieses Beitrittserfordernis seit 2012 nicht mehr bestehe, um die Überprüfung von Rechten der Wahlberechtigten im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde zu erleichtern.40
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BVerfGE 22, 277 (281). Dazu indirekt BVerfGE 1, 430 (432 f.), indem es um die Vereinbarkeit des Beitrittserfordernisses zur Erhebung der Wahlprüfungsbeschwerde nach § 48 BVerfGG mit Art. 19 Abs. 4 GG geht. Eine solche Vereinbarkeitsprüfung müsste nicht erfolgen, wenn Art. 19 Abs. 4 GG im Bereich des Wahlrechts nicht einschlägig wäre. 34 BVerfGE 22, 277 (281). 35 BVerfGE 22, 277 (281). 36 BVerfGE 34, 81 (95). 37 BVerfGE 34, 81 (94 f.). 38 BVerfGE 149, 374 (377 f.); 149, 378 (381 f.). 39 Mittlerweile a. F. 40 Dazu BT-Drs. 17/9391, S. 10. 33
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
2. Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG Verfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG in Bezug auf ein konkretes Wahlverfahren erklärte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bereits in den frühen 1960er Jahren für nicht zulässig.41 Vorher bezog sich das Gericht immer nur auf den Ausschluss des Verwaltungsrechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG.42 Grund für diese ausdrückliche Erwähnung der Verfassungsbeschwerde in den frühen Wahlprüfungsentscheidungen war wohl der Umstand, dass sich Art. 19 Abs. 4 GG nur auf verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz bezieht, sodass ein Ausschluss dieser Norm nicht gleichzeitig die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bedeutete, und dass der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde erst 1969 durch das Neunzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes43 in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Vorher handelte es sich um einen Rechtsbehelf zum Bundesverfassungsgericht, der lediglich außerhalb des Grundgesetzes einfachgesetzlich in §§ 90 ff. BVerfGG normiert war. Auch nachdem die Verfassungs beschwerde in den Verfassungsrang erhoben wurde, änderte das Gericht seine Argumentationslinie nicht. Unverändert sollen damit aufgrund der Spezialität des Wahlverfahrens Verfassungsbeschwerden unzulässig sein, die sich gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane innerhalb eines konkreten Wahlverfahrens richten – ganz gleich, ob der Verstoß dem Wahlverfahren in Bezug auf Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen zuzuordnen ist.44 3. Grenzen Die Spezialität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens gilt nach dem Bundesverfassungsgericht nur für Maßnahmen und Entscheidungen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen. Mittelbar auf das Wahlverfahren bezogene Maßnahmen und Entscheidungen können demnach mit anderen Rechtsbehelfen gerichtlich überprüft werden. Auch gegen 41 Erstmals so ausdrücklich in BVerfGE 14, 154 (155); seitdem st. Rspr. u. a. BVerfGE 16, 128 (130), BVerfGE 22, 277 (281), BVerfGE 28, 214 (219), BVerfGE 29, 18 (19), BVerfGE 66, 232 (234), BVerfGE 74, 96 (101), BVerfGE 83, 156 (157 f.), zuletzt BVerfGE 151, 152 (163). 42 So der bereits erwähnte nicht veröffentlichte Beschluss, BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht). 43 BGBl. I 1969, S. 97 ff. 44 Zur heutigen grundsätzlichen Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen auf Landtags- und Kommunalwahlen bezogene Urteile der Landesverfassungsgerichte siehe unten § 4 D. III. 4.
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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Wahlgesetze, zumindest wenn es auf sie nicht in einem konkreten Wahlverfahren gerade ankommt, ist der Rechtsweg nicht auf die wahlrechtlichen Verfahren sowie das Wahlprüfungsverfahren beschränkt.45 Denn die Spezialität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens kann nicht weiter reichen als ihr Anwendungsbereich und dieser ist auf die Überprüfung von Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf ein konkretes Wahlverfahren beziehen, beschränkt.46 Rechtsbehelfe wie das Organstreitverfahren, die abstrakte Normenkontrolle und die Verfassungsbeschwerde sind daher in diesen Fällen zulässig.47 In Bezug auf die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG geht das Bundesverfassungsgericht sogar noch einen Schritt weiter: Abstrakte Normenkontrollen seien stets zulässig, auch wenn sie sich auf Rechtsnormen beziehen, die unmittelbar auf das Wahlverfahren bezogene Maßnahmen und Entscheidungen normieren.48 Damit hält das Gericht den Grundsatz der Exklusivität des Wahlprüfungsverfahren insgesamt in Bezug auf abstrakte Normenkontrollen für unanwendbar. Für das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG hat das Bundesverfassungsgericht eine solche ausdrückliche Entscheidung noch nicht getroffen, sondern konnte diese Rechtsfrage bisher offenlassen.49 4. Inkonsequente Rechtsprechungsbegründung in den Anfangsjahren Wirft man einen Blick auf die Begründungen des Bundesverfassungsgerichts in seinen frühen Entscheidungen zur Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- beziehungsweise Wahlprüfungsrechts, so wird schnell deutlich, dass diese Entscheidungen nicht logisch aufeinander aufbauen, sondern die Begründungen inkonsequent und wie zusammen „gewürfelt“ wirken.50 Insofern überrascht die
45 U. a. BVerfGE 1, 208 (237 f.); BVerfGE 48, 64 (79 f.); BVerfGE 82, 322 (335 f.); BVerfGE 82, 353 (363 f.); BVerfGE 95, 335 (347 f.); BVerfGE 103, 111 (123 f.). 46 BVerfGE 151, 152 (163). 47 Zur Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens bei Verletzungen von Wahlrechtsnormen siehe z. B. BVerfGE 82, 322 (335), zur Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde siehe BVerfGE 82, 322 (336) und zur Zulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle siehe BVerfGE 103, 111 (123 f.). 48 BVerfGE 151, 152 (164); insbesondere nimmt das Bundesverfassungsgericht auch keine Nachrangigkeit der abstrakten Normenkontrolle gegenüber dem Wahlprüfungsverfahren im unmittelbaren Vorfeld der Wahl an. 49 Dazu nur BVerfGE 83, 156 (157). 50 Erstmals in dieser Form bereits 1971 ähnlich erörtert durch K.-A. Bettermann, AöR 96 (1971), S. 528 ff. (544 ff.).
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
dennoch erfolgende Rezeption in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs.51 In der ersten Entscheidung BVerfGE 3, 39 ff. vom 11. November 1953 entschied das Bundesverfassungsgericht im Nachgang zur Wahl über eine Verfassungsbeschwerde, mit der eine Ablehnung eines Wahlvorschlags für eine Kommunalwahl durch einen Beschluss des Gemeindewahlausschusses der Stadt Freiburg gerügt wurde. Das Gericht lehnte die Verfassungsbeschwerde mit dem Hinweis auf die fehlende Rechtswegerschöpfung durch den Beschwerdeführer ab, denn das baden-württembergische Kommunalwahlgesetz hätte für die Ablehnung von Wahlvorschlägen Einspruchs- und Beschwerdemöglichkeiten sowie die Anrufung der Verwaltungsgerichte vorgesehen.52 Diesen Rechtsweg habe der Beschwerdeführer nicht beschritten, sodass die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde.53 Auch lehnte das Gericht eine vorgezogene Entscheidung im Wege der Verfassungsbeschwerde ab, denn es handele sich nicht um eine Rechtsfrage von allgemeiner54 Bedeutung, sondern eine mögliche Entscheidung sei lediglich auf die Stadt Freiburg bezogen.55 Diese Gerichtsentscheidung ist in dieser Form zutreffend, enthält sie doch auch keine Aussage zur Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- beziehungsweise Wahlprüfungsrechts. Stattdessen lehnte das Gericht die Annahme der Verfassungsbeschwerde aus verfahrensspezifischen Gründen ab. Eine Aussage zur Exklusivität enthält hingegen die unveröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 4/57 vom 31. August 1957. Das 51
Erklärbar dürfte sie gleichwohl mit der hier zu weit führenden Diskussion um die Rolle des Bundesverfassungsgerichts sein, wonach das Bundesverfassungsgericht im Allgemeinen als „der verfassungsrechtlich bestimmte Letztinterpret der Verfassung“ verstanden wird, der das Grundgesetz weitgehend verbindlich auslegt, u. a. so explizit der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts A. Voßkuhle, JuS 2019, S. 417 ff. (417). Das Bundesverfassungsgericht selbst versteht sich als „verbindliche […] Instanz in Verfassungssachen“, BVerfGE 40, 88 (94). Zum Ganzen auch u. a. P. Austermann, DÖV 2011, S. 267 ff.; W. Brohm, NJW 2001, S. 1 ff.; K. Schlaich, VVDStRL 39 (1981), S. 99 ff. (127 m. w. N.) und D. Grimm, JZ 1976, S. 697 ff.; zur „autoritativen Verfassungsinterpretation“ durch das Bundesverfassungsgericht M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 363 ff. (insb. S. 374 ff.); zum Bundesverfassungsgericht als politischem Faktor C. Möllers, Legalität, Legitimität und Legitimation des Bundesverfassungsgerichts, in: M. Jestaedt/O. Lepsius/ders./C. Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 281 ff. (S. 309 ff.) und auch C. Gusy, EuGRZ 1982, S. 93 ff.; die Rolle des Bundesverfassungsgerichts eher kritisch einordnend O. Lepsius, Die maßstabsetzende Gewalt, in: M. Jestaedt/ders./C. Möllers/C. Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 159 ff. 52 BVerfGE 3, 39 (40). 53 BVerfGE 3, 39 (40). 54 Hervorhebung im Original. 55 BVerfGE 3, 39 (40).
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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Bundesverfassungsgericht entschied über eine auf die Nichtzulassung einer Landesliste bei einer Bundestagswahl bezogene Verfassungsbeschwerde im Vorfeld der Wahl. Die Entscheidung erging im nach damaligem Recht kurzzeitig zulässigen Certiorari- beziehungsweise Vorprüfungsverfahren nach § 91a Abs. 2 BVerfGG a. F.56, also durch die ablehnende Entscheidung des zur Vorprüfung einer jeden Verfassungsbeschwerde eingesetzten und aus drei Richtern bestehenden Ausschusses, sodass die Verfassungsbeschwerde erst gar nicht zur Entscheidung durch das Gericht angenommen wurde.57 Der Ausschuss verwarf die Verfassungsbeschwerde aufgrund ihrer offensichtlichen Unzulässigkeit, da es sich bei der Nichtzulassung einer Landesliste um eine Entscheidung handele, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehe und damit nur die speziellen Rechtsbehelfe des Wahlrechts und das Wahlprüfungsverfahren einschlägig seien.58 Dabei handele es sich um eine aus der besonderen Natur des Wahlverfahrens folgende Sonderregelung, sodass die allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfe wie eine Verfassungsbeschwerde nicht zulässig seien.59 Bedenken an der fehlenden Verfassungsmäßigkeit von § 50 BWahlG a. F., der die Exklusivität der wahlrechtlichen Rechtsbehelfe normativ absicherte, erteilte das Gericht eine Absage.60 Das Bundesverfassungsgericht stützt diese Ausführungen auf eine Kommentierung zu § 50 BWahlG a. F. von Karl-Heinz Seifert aus dem Jahr 1957.61 Bemerkenswert ist allerdings, dass Karl-Heinz Seifert in der zitierten Kommentierung zwar über den Ausschluss der Verfassungsbeschwerde schreibt, diesen aber zum einen nur sinngemäß62 aus § 50 BWahlG a. F. abliest und zum anderen darauf verweist, dass sich „keine praktische Möglichkeit 56 Die Norm, eingeführt durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21. Juli 1956, BGBl. I 1956, S. 662, lautete: „Der Ausschuß kann durch einstimmigen Beschluß die Verfassungsbeschwerde verwerfen, wenn weder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten ist, noch dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein schwerer und unabdingbarer Nachteil entsteht. Einigt sich der Ausschuß nicht, so kann der Senat die Verfassungsbeschwerde mit einfacher Mehrheit verwerfen.“; gestrichen und ersetzt durch das Annahmeverfahren nach § 93a BVerfGG wurde das Certiorariverfahren durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 9. August 1963, BGBl. I 1963, S. 589; näher zu diesem Vorprüfungsverfahren R. Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, Rn. 164 ff. 57 Dass dieses Verfahren in Kombination mit der Nichtveröffentlichung des Beschlusses nicht unproblematisch ist, wird später zu zeigen sein, dazu § 2 B. I. 4. 58 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2. 59 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2. 60 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2 f. 61 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2 unter ausdrücklichem Verweis auf K.-H. Seifert, BWahlR, 1957, § 50 Anm. 5. 62 Hervorhebung durch die Verfasserin.
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
der Realisierung einer stattgebenden Entscheidung […] außerhalb des WPrüfV ergeben [würde]“63. Diese zweite Annahme ist in direktem Zusammenhang zu seiner Vorbemerkung zu § 50 BWahlG a. F. zu verstehen, in der er die Möglichkeit von verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz unter anderem aufgrund von fehlender Zeit vor dem Wahltermin und einem daraus resultierenden fehlenden Rechtsschutzbedürfnis ablehnt.64 Somit sieht Karl-Heinz Seifert zwar ebenfalls für Verfassungsbeschwerden im Vorfeld von Wahlen keine zeitlichen Kapazitäten, schließt sie aber nicht unmittelbar aufgrund des Wortlauts der Norm aus. Diesen Aspekt unterschlägt das Gericht jedoch in seiner Entscheidungsbegründung. Auffällig ist weiter, dass Karl-Heinz Seifert in seinen Neuauflagen der Kommentierung des § 50 BWahlG a. F. beziehungsweise ab der dritten Auflage in der Kommentierung des wortlautgleichen § 49 BWahlG nicht mehr auf den sinngemäßen Ausschluss von Verfassungsbeschwerden durch den Wortlaut der Norm abstellt, sondern schreibt, dass „nach der Rechtsprechung des BVerfG […] – auf Grund von Art. 41 Abs. 2 GG – auch Verfassungsbeschwerden, mit denen gegen die angebliche Verletzung von Wähler- oder Bewerberrechten im Wahlverfahren angegangen werden soll, ausgeschlossen [sind].“65
Karl-Heinz Seifert änderte also seine Kommentierung an der entsprechenden Stelle ab und bezog die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich ein. Was aber blieb, ist der Verweis auf die fehlenden zeitlichen Möglichkeiten einer Entscheidung außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens. Diese überarbeitete Kommentierung zeigt, dass es Karl-Heinz Seifert bereits in der ursprünglichen Form von 1957, die das Bundesverfassungsgericht im zu untersuchenden Beschluss zitiert, nicht primär auf den Wortlaut von § 50 BWahlG a. F. ankam, um die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde im Bereich der Wahlprüfung zu verneinen, sondern maßgeblich auf die fehlende zeitliche Umsetzbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Entscheidung also einen vermeintlichen Beleg an, der bei näherer Betrachtung und Auseinandersetzung die These des Gerichts nicht belegen kann. Insgesamt handelt es sich bei dieser unveröffentlichten Entscheidung um die erste, die explizite Aussagen zur Spezialität der Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts gegenüber anderen Verfahrensarten trifft. Insbesondere mit der gegebenen Entscheidungsbegründung des Gerichts lässt sie sich aber nicht nachvollziehen. Denn mit dem Verweis auf Karl-Heinz Seifert kann eine Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens – wie dargestellt – zumindest nicht begründet werden. Erläuterungen, was die „besondere Natur des Wahlver63
K.-H. Seifert, BWahlR, 1957, § 50 Anm. 5. K.-H. Seifert, BWahlR, 1957, § 50 Vorbemerkung. 65 K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 49 Rn. 10. 64
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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fahrens“66 sein soll, die ebenfalls zu dieser Sonderrechtsprechung führe, bringt das Bundesverfassungsgericht nicht vor. In seiner Entscheidung BVerfGE 11, 329 f. vom 23. Oktober 1960 setzte das Bundesverfassungsgericht hingegen seine Rechtsprechung aus der Entscheidung BVerfGE 3, 39 ff. fort. Das Gericht sollte im Rahmen einer einstweiligen Anordnung, der ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde zugrunde lag, im Zeitpunkt vor der Wahl entscheiden, ob die Ablehnung eines Wahlvorschlags zu den Stadtratswahlen in Worms zulässig war. Erneut bezog sich also die Verfassungsbeschwerde auf die Ablehnung eines Wahlvorschlags zu einer Kommunalwahl und auch dieses Mal wurde eine Entscheidung unter explizitem Hinweis auf die Entscheidung BVerfGE 3, 39 ff. aufgrund von fehlender Rechtsweg erschöpfung sowie allgemeiner Bedeutung abgewiesen. Den unveröffentlichten Beschluss von 1957 ließ das Gericht aber dennoch nicht vollends außer Betracht. Denn ergänzend wird durch das Gericht auf Folgendes erstmals in dieser – und in zahlreichen anschließenden Verfahren wortgleich übernommenen – Art und Weise abgestellt: „In Wahlangelegenheiten gilt der Satz, daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren67 beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können.“68
Warum das Gericht darauf abstellt, ist nicht unbedingt verständlich: So handelt es sich bei dem Satz erkennbar um eine Anlehnung an den Wortlaut von § 50 BWahlG a. F., der allerdings nur für Bundestagswahlen und nicht für die in dieser Entscheidung in Streit stehende Kommunalwahl Geltung erlangen kann. Dessen war sich auch das Gericht bewusst, denn es revidiert diesen Passus durch einen ergänzenden Verweis, nach dem das Bundesverfassungsgericht also nicht unmittelbar gegen die Nichtzulassung eines Wahlvorschlags angerufen werden kann und dass eine Verweisung auf den Rechtsweg für den Beschwerdeführer keinen schweren, unabwendbaren Nachteil bedeute. Das wie derum zeigt, dass es letztlich nicht auf die Spezialität der Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts für diese Entscheidung ankam, sondern dass stattdessen der Rechtsweg nicht hinreichend beschritten wurde. Insgesamt beruft sich die Entscheidung primär auf den für die Verfassungsbeschwerde geltenden Grundsatz der Rechtswegerschöpfung. Nichtsdestotrotz enthält sie einen großen Fallstrick mit dem erstmals so formulierten und für die Entscheidung in der Sache nicht notwendigen, prägnanten Satz zur Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts. 66
BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957, 2 BvR 4/57 (unveröffentlicht), S. 2. Hervorhebung aus dem Original übernommen. 68 BVerfGE 11, 329 (329). 67
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
Diesen Ansatz der Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens nahm das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung BVerfGE 14, 154 f. vom 27. Juni 1962 wieder auf und stellte in einer Art Einrahmung im Leitsatz und im letzten Satz wortgleich folgendes fest: „Das Bundesverfassungsgericht kann wegen der Ablehnung eines Wahlvorschlags im Rahmen einer Bundestagswahl nicht unmittelbar, sondern erst nach Durchführung der Wahlprüfung durch den Bundestag angerufen werden.“69
Denn in Wahlrechtsangelegenheiten gelte der – bereits aus der Entscheidung BVerfGE 11, 329 f. bekannte – Satz, dass Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können.70 Das Gericht gibt damit einmal mehr den Wortlaut von § 50 BWahlG a. F. wieder. Anders als in der Entscheidung BVerfGE 11, 329 f., auf die das Bundesverfassungsgericht hier ausdrücklich Rekurs nimmt, passt zumindest der Bezug: Dieses Mal geht es in Entscheidung BVerfGE 14, 154 f. nämlich um eine Bundestagswahl und nicht wie in der zitierten um eine Kommunalwahl, auf die § 50 BWahlG a. F. schon gar nicht anwendbar ist.71 Die Verwendung dieses Exklusivitätssatzes in der Entscheidung BVerfGE 14, 154 f. überrascht dennoch: Bezog sich die vorherige ablehnende Entscheidung BVerfGE 11, 329 f. nur auf die dort konkrete Verfassungsbeschwerde, die aufgrund der fehlenden Rechtswegerschöpfung unzulässig war, so ist der Exklusivitätssatz in der Entscheidung BVerfGE 14, 154 f. in ganz allgemeiner Form zu finden. Damit soll jeglicher Rechtsschutz außerhalb der spezifischen Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens unstatthaft sein. Diese allgemeine Verwendung und Ablehnung eines anderweitigen Rechtsschutzes ist so aus der vorhergehenden Rechtsprechung nicht erkennbar. Zwar wurde bereits in der unveröffentlichten Entscheidung aus dem Jahr 1957 die Verfassungsbeschwerde im Bereich von Wahlen für unzulässig erklärt, allerdings haften dieser vorherigen Entscheidung zwei Probleme an, die gegen ihre weitere Anwendbarkeit und Übertragbarkeit sprechen. Zum einen handelt es sich um einen unveröffentlichten Beschluss. Grundsätzlich ist die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine unmittelbar aus dem Grundgesetz folgende Pflicht: Abzuleiten ist sie aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit der Justizgewährleistungspflicht, dem Demokratieprin-
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BVerfGE 14, 154 (Ls. und 155). BVerfGE 14, 154 (155). 71 Dazu siehe oben § 2 B. I. 4. 70
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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zip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung.72 Nur in Ausnahmefällen darf von einer Veröffentlichung abgesehen werden, wenn die Öffentlichkeit kein Interesse an der Veröffentlichung hat oder haben kann; zum Schutz des Persönlichkeitsrechts ist stets eine Anonymisierung beziehungsweise Neutralisierung der Entscheidungen nötig.73 Bei der unveröffentlichten Entscheidung vom 31. August 1957 handelt es sich um die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde in Bezug auf die Wahl zum deutschen Bundestag. Die Wahl zum Bundestag ist das wichtigste Medium der Einflussnahme des Volks als originärem Inhaber der Staatsgewalt auf die staatliche Entscheidungsbildung auf Bundesebene.74 Ein Desinteresse des Volks an der Veröffentlichung von auf Bundestagswahlen bezogenen Entscheidungen kann daher nie bejaht werden. Die Entscheidung aus dem Jahr 1957 hätte veröffentlicht werden müssen.75 Zum anderen wurde der Beschluss im Vorprüfungsverfahren nach § 91a Abs. 2 BVerfGG a. F. erlassen.76 In diesem Verfahren entschied ein aus drei Richterinnen und Richtern gebildeter Ausschuss im Vorfeld über die Annahme der Verfassungsbeschwerde. Sie musste nur zur Entscheidung angenommen werden, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage zu erwarten war oder der Beschwerdeführerin oder dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein schwerer und unabdingbarer Nachteil entstand. Wurde keiner dieser Gründe bejaht, konnte die Verfassungsbeschwerde abgelehnt werden. Die Verfassungsbeschwerde, die Gegenstand des unveröffentlichten Beschlusses war, erfüllte laut dem vorprüfenden Ausschuss beide Aspekte nicht. Sie wurde damit verworfen, ohne dass ein Senat des Gerichts mit der Entscheidung befasst war.77 Das ist insofern problematisch, als dass dort erstmals die Exklusivitätsthese in allgemeiner Form begründet wurde, auf die sich dann auch folgende Entscheidungen des Gerichts stützen, die Begründung der These allerdings nicht mit vollem Rückhalt des 72
So auch BVerfG, Beschluss vom 14. September 2015, 1 BvR 857/15 = NJW 2015, S. 3708 ff. (3710) unter Verweis auf BVerwGE 104, 105 (108 f.). 73 Dazu ebenfalls wieder BVerwGE 104, 105 (108 f.). 74 Vertiefend W. Schreiber, DVBl. 2022, S. 265 ff. (276 f.); I. S. Hong, Verfassungsprobleme der innerparteilichen Kandidatenaufstellung für die Wahl zum Deutschen Bundestag, 2005, S. 120; M. Morlok, Demokratie und Wahlen, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 559 ff. 75 Gründe für die Nichtveröffentlichung, die spezifisch für das Verfahren nach § 91a Abs. 2 BVerfGG galten, konnten nicht ausfindig gemacht werden. Zur heute auch noch bestehenden Veröffentlichungsproblematik, die sich daraus ergibt, dass die meisten Wahlprüfungsbeschwerden durch A-limine-Beschluss nach § 24 BVerfGG verworfen werden, umfassend W. Schreiber, DVBl. 2022, S. 265 ff. und ders., DVBl. 2018, S. 144 ff. (149 ff.). 76 Siehe auch oben § 2 B. I. 4. 77 BVerfG, Beschluss vom 31. August 1957 (unveröffentlicht), 2 BvR 4/57, S. 3.
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
Gerichts und zudem – wie bereits dargestellt78 – mit nicht überzeugender Begründung getroffen wurde. Man kann bei der erstmaligen Ausarbeitung der Exklusivitätsthese also nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass es sich dabei um die allgemeine Ansicht des Bundesverfassungsgerichts handelt. Folglich ergeben sich einige Zweifel an der Stichhaltigkeit der Begründung in der Entscheidung BVerfGE 14, 154 f. Der Verweis auf eben diesen unveröffentlichten Beschluss, um die Verfassungsmäßigkeit von § 50 BWahlG a. F. als weiteres Argument für die Exklusivitätsthese zu begründen, kann daher aufgrund der dargelegten Bedenken an der unveröffentlichten Entscheidung aus 1957 ebenso wenig durchgreifen. Zusammenfassend wurde in der Entscheidung BVerfGE 14, 154 f. erstmals umfassend in veröffentlichter Art und Weise die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens normiert. Auch die Entscheidung BVerfGE 16, 128 ff. vom 15. Mai 1963 bezieht sich auf die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens und das Gericht stellt unter Verweis auf die Entscheidungen BVerfGE 11, 329 f. und BVerfGE 14, 154 f. erneut fest, dass „in Wahlrechtsangelegenheiten der Satz [gelte], daß Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angegriffen werden können.“79
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war die Ablehnung als Wahlkreisbewerber in Bezug auf die niedersächsische Landtagswahl. Aufhorchen lässt der Bezugspunkt. Die Verfassungsbeschwerde bezieht sich auf die Ablehnung eines Wahlkreisbewerbers zu einer Landtagswahl. Der Exklusivitätssatz lässt sich normativ allerdings an § 50 BWahlG a. F. anknüpfen, der sich jedoch auf eine Bundestagswahl bezog. Diese Unstimmigkeit sah das Bundesverfassungsgericht ebenfalls und bezog sich in seiner Entscheidung nicht nur auf § 50 BWahlG a. F., sondern auch auf § 48 S. 2 LWahlG Niedersachsen a. F.80, indem ebenfalls auf die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens abgestellt wird. Der Bezugspunkt passt also noch. Allerdings wird als Stütze für die Exklusivitätsthese ergänzend erstmalig angeführt, dass „der reibungslose Ablauf einer Parlamentswahl [erfordere], daß die Rechtskontrolle der zahlreichen Einzelentscheidungen der Wahlorgane während des Wahlverfahrens begrenzt und im Übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt.“81
Das Gericht stellt also auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Rechtsbehelfs ab. Tatsächlich wurde die Verfassungsbeschwerde vor dem Wahltag erho78
Dazu bereits § 2 B. I. 4. BVerfGE 16, 128 (130). 80 Die heutige Regelung ist in § 51 S. 2 LWahlG Nds. zu finden. 81 BVerfGE 16, 128 (129 f.). 79
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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ben, auch die Entscheidung des Gerichts erging vor diesem Tag. Nach der Ansicht des Gerichts kann also vor und während des Wahlverfahrens ebenfalls kein anderer Rechtsweg beschritten werden als der der spezifischen Rechts behelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens. Die spezifischen Rechtsbehelfe des Wahlrechts sind allesamt verwaltungsintern und bieten keine gerichtliche Kontrollmöglichkeit. Das Wahlprüfungsverfahren findet nach Ansicht des Gerichts erst nach der Wahl statt. Damit wird für den Zeitpunkt vor und während der Wahl der Rechtsschutz durch das Gericht nochmals ausdrücklich ausgeschlossen. Weitere Argumente bringt das Gericht nicht an. Schlusspunkt der grundsätzlichen Ausarbeitung der Rechtsprechungslinie durch das Bundesverfassungsgericht zur Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsrechts ist die Entscheidung BVerfGE 22, 277 ff. vom 25. Juli 1967, die erstmals Art. 19 Abs. 4 GG mit in den Blick nimmt. Hierbei ging es um eine Wahlprüfungsbeschwerde aufgrund einer Zurückweisung eines Wahlvorschlags durch den Kreiswahlausschuss für die Bundestagswahl 1961.82 Das Gericht lehnte eine Entscheidung in der Sache zum einen ab, da sich mit dem Ende der Legislaturperiode die Wahlprüfungsbeschwerde erledigt habe.83 Zum anderen sei Gegenstand der Wahlprüfungsbeschwerde die richtige Zusammensetzung des Bundestags und nicht die hier gerügte Verletzung subjektiver Rechte: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führen Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl dann nicht zu einem Eingriff der Wahlprüfungsinstanzen, wenn sie die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestags nicht berühren.“84
Hierbei stellt das Gericht richtigerweise auf die Entscheidung BVerfGE 1, 430 (433) ab.85 Einen Widerspruch zur Rechtsweggarantie sieht das Bundesverfassungsgericht nicht, sondern erkennt an, dass die Exklusivitätsthese mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, da
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Der Beschwerdeführer legte ebenfalls Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung des Kreiswahlausschusses ein, die das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27. Juni 1962 verwarf. Dabei handelt es sich um die oben bereits behandelte Entscheidung BVerfGE 14, 154 f., siehe § 2 B. I. 4. 83 BVerfGE 22, 277 (280 f.). 84 BVerfGE 22, 277 (281). 85 Anders als K.-A. Bettermann in AöR 96 (1971), S. 528 ff. (546) behauptet, stellt BVerfGE 1, 430 (433) wohl auf den Ausschluss des subjektiven Rechtsschutzes ab, indem diese Entscheidung ausdrücklich konstatiert, dass „selbst Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl […] dann nicht zu einem Eingriff der Wahlprüfungsinstanzen [führen], wenn sie die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages nicht berühren“.
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
„die Verfolgung subjektiver Rechte des Einzelnen […] zurücktreten [muss] gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen.“86
Zudem handele es sich bei Art. 41 GG um eine Sonderregelung, die die Wahlprüfung bereits durch den Wortlaut dem Bundestag (Abs. 1) und dann anschließend dem Bundesverfassungsgericht (Abs. 2) übertrage.87 Die folgenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Wahlprüfungen beziehungsweise die Ablehnung alternativer Rechtsbehelfe bezogen sich allesamt auf die in den ersten Urteilen aufgestellte Argumentationslinie.88 Bis heute ist das Gericht nicht von ihr abgerückt. Stringent nachvollziehbar ist die Argumentationsentwicklung – wie gezeigt – jedoch nicht. 5. Rezeption der Exklusivitätsthese Auch im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs findet sich die Auffassung, dass die Rechtsbehelfe des Wahlrechts für Bundestagswahlen abschließend seien und damit kein Raum für weitere Rechtsbehelfe und Verfahren, die eine Wahlprüfung zum Gegenstand haben, bestehe: Teilweise wird diese Spe zialität auf den Zeitraum vor und nach der Wahl bezogen, teilweise wird eine Differenzierung vorgenommen und die Exklusivität nur in Bezug auf den Zeitpunkt nach der Wahl vertreten.89 Eine Anwendung von Art. 19 Abs. 4 GG im
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BVerfGE 22, 277 (281). BVerfGE 22, 277 (281). 88 U. a. BVerfGE 28, 215 (218 ff.); BVerfGE 29, 18 (19); BVerfGE 34, 81 (94 f.); BVerfGE 66, 232 (234); BVerfGE 74, 96 (101); BVerfGE 151, 378 (381). 89 Dem Bundesverfassungsgericht generell zustimmend L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 41 Rn. 11; W. Schreiber, DVBl. 2022, S. 265 ff. (265 f.); K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 38 ff.; H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 52 ff.; J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1319); P. Glauben, NVwZ 2017, S. 1419 ff. (1421); H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff. (309 f.); G. Kretschmer, Wahlprüfung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundes republik Deutschland, 1989, § 13 Rn. 47; nur in Bezug auf den Zeitpunkt nach der Wahl zustimmend und daher eine teleologische Reduktion von § 49 BWahlG fordernd U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 14 ff.; G. Roth, Subjektiver Wahlrechtsschutz und seine Beschränkungen durch das Wahlprüfungsverfahren, in: G. Pfeiffer/U. Burgermeister/ders. (Hrsg.), Der verfaßte Staat, FS Graßhof, 1998, S. 65 ff.; in diese Richtung auch W. Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 160; nur in Bezug auf das objektive Wahlrecht zustimmend L.-A. Versteyl, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 41 Rn. 19; offen gelassen von H. Risse/K. Witt, in: D. Hömig/ H. A. Wolff (Hrsg.), GG, 13. Aufl. 2022, Art. 41 Rn. 2; S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 87
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Bereich der Wahlprüfung wird für den Zeitraum, in dem die Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens gilt, ebenso ausgeschlossen. Primär beziehen sich die Autorinnen und Autoren auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und geben dessen Argumentation im Wesent lichen schlicht wieder.90 Auffällig ist allerdings, dass einige Autorinnen und Autoren nicht zwischen dem Teil der Argumente des Bundesverfassungsgerichts, der sich auf den Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens bezieht, und dem Teil der Argumente, der sich auf die Exklusivität der Wahlprüfung bezieht, trennen.91 So wird die Wahl als Massenverfahren, welches eine Fülle von Einzelentscheidungen zahlreicher Wahlorgane erfordere und daher nur zeitgerecht bei einem nachträglichen Rechtsschutz durchgeführt werden könne, als Argument für die Exklusivität der Wahlprüfung nach der Wahl angebracht. Das Bundesverfassungsgericht bringt die termingerechte Durchführung der Wahl jedoch nur als zusätzliches Argument für die Exklusivität vor der Wahl an.92 Sekundär suchen Autorinnen und Autoren auch ergänzende, eigene Argumente, um die These der Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens zu stützen. Hierbei versuchen einige Autoren, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Wahlprüfungsstreitigkeiten abzulehnen: Dazu wird die Wahl als Staatsakt klassifiziert, um die konkreten Wahlverfahrensakte als verfassungsrechtliche Hilfstätigkeiten dem Verfassungsrecht zuzuordnen.93 So soll die Anwendbarkeit der Generalklausel für die Verwaltungsrechtswegeröffnung aus § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO verneint werden, denn diesem Verständnis folgend würde es sich 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 7; diese Rechtsprechung ablehnend u. a. A. Ortmann, ThürVBl. 2006, S. 169 ff. (172 ff.). 90 So u. a. K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 38 ff.; H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff. (309 f.); W. Schreiber, Wahlprüfungsrecht bei Bundestagswahlen, in: B.-R. Kern/H. Lilie (Hrsg.), Jurisprudenz zwischen Medizin und Kultur, FS Fischer, 2010, S. 423 ff. (436 ff.). 91 Beispielsweise A. Vetter, NVwZ 2021, S. 187 ff. (189) und abgeschwächt bei W. Ewer, Wahlprüfung, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 8 Rn. 4 f.; richtigerweise in Bezug auf die Argumentation differenzierend zwischen dem Zeitpunkt vor und nach der Wahl P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 104. 92 Dazu oben § 2 B. I. 93 So P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 4.; bejahend in Bezug auf Bundestags- und Landtagswahlen, aber in Bezug auf die Wahlen zu Vertretungen anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts ablehnend C. H. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 1987, S. 49 f.; a. A. W. Ewer, Wahlprüfung, in: M. Morlok/U. Schliesky/ D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 8 Rn. 2, der in § 49 BWahlG stattdessen eine Modifikation der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO oder eine ohne auf eine andere Gerichtsbarkeit verweisende abdrängende Sonderzuweisung sieht, einer Entscheidung aber schuldig bleibt; vertiefend dazu § 4 D. I. 1. c) bb).
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
bei Wahlprüfungsstreitigkeiten um verfassungsrechtliche Streitigkeiten handeln. Ein Argument für die Exklusivität der Wahlprüfung kann hierin allerdings nicht gesehen werden. Denn tatsächlich wird eine Aussage zur Exklusi vität des Wahlprüfungsverfahrens vermieden, indem andere Rechtsschutzmöglichkeiten für nicht anwendbar erklärt werden und so der Anwendungsbereich von § 49 BWahlG von vornherein verneint wird. Daneben wird ebenfalls versucht, das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für Klagen vor dem Verwaltungsgericht abzulehnen mit dem Argument, dass ein Verwaltungsrechtsverfahren, das über einstweilige Anordnungen hinausgeht, nicht rechtzeitig vor dem Wahltermin durchgeführt werden könne und daher selbst in Fällen, in denen theoretisch ein Verwaltungsrechtsschutz möglich wäre, das von Art. 19 Abs. 4 GG geforderte und damit notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehle.94 Ergänzend soll hinzukommen, dass ein Verwaltungsverfahren keine anderen Folgen als ein Wahlprüfungsverfahren habe.95 In Bezug auf den Zeitraum nach der Wahl wird die These vertreten, dass weitere Rechtsbehelfe ausgeschlossen sein sollen, um wegen der hohen Zahl der denkbaren Wahleinsprüche und Wahlfehler eine erhebliche Verzögerung der Feststellung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung zu verhindern.96 Daher sei eine Begrenzung der möglichen Rechtsbehelfe durch § 49 BWahlG notwendig. Ähnlich wird auch in Bezug auf den Zeitpunkt vor der Wahl argumentiert: Der Rechtswegentzug vor der Wahl sei gerechtfertigt aufgrund des Überwiegens „des Interesses der Gesamtheit der Wähler an einem möglichst bald feststehenden korrekten Wahlergebnis“97 gegenüber dem – wenn auch berechtigten – Individualinteresse der Wahlrechtsträgerinnen und -träger. Für das Verhältnis der Wahlprüfung aus Art. 41 GG zur allgemeinen Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG werden verschiedenste Argumente zur Unanwendbarkeit der Norm vorgebracht. Einige Autoren sind der Ansicht, dass Wahlen und alle auf Wahlen bezogene Rechtsakte aufgrund ihrer verfassungs94 K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 49 Rn. 4; so auch schon ders., DÖV 1953, S. 365 ff. (366, 368) ausdrücklich für die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO, noch offen gegenüber der Feststellungsklage nach § 43 VwGO; ebenfalls K. O. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtagswahlen, 1959, S. 216 f. 95 A. von Mutius, VerwArch 68 (1977), S. 197 ff. (201 f.) unter Verweis auf VerfGH BW, Beschluss vom 5. Mai 1976, I 785/76 = DÖV 1976, S. 678 ff. 96 P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 104 unter Verweis auf W. Ewer, Wahlprüfung, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 8 Rn. 5 (dort fälschlicherweise Rn. 7). 97 H. Rechenberg, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (Zweitbearbeitung, April 1978) Rn. 12; für den Zeitraum nach der Wahl nimmt Hermann Rechenberg unproblematisch eine Exklusivität der Wahlprüfung an, ohne Belege zu geben.
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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rechtlichen Prägung nicht unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG fallen.98 Art. 19 Abs. 4 GG wird damit restriktiv verstanden und ausgelegt. Somit sei Art. 41 GG die einzige grundgesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur Überprüfung von Wahlen und auf diese bezogene Rechts akte. Andere sehen durch Art. 19 Abs. 4 GG nur den status positivus vel subjectionis geschützt, unter den das Wahlrecht nicht falle.99 6. Fazit Das Bundesverfassungsgericht hält – trotz der gezeigten anzweifelbaren Rechtsprechungsentwicklung – in ständiger Rechtsprechung an seiner Exklusivitätsthese fest, wonach Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den speziellen Rechtsbehelfen des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung sowie im Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG und mit der Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG anfechtbar sein sollen. Es sieht keinen Grund für einen Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Insbesondere Verfassungsbeschwerden seien damit unzulässig. Möglich sind hingegen abstrakte Normenkontrollen sowie sich darauf beziehende einstweilige Anordnungen in Bezug auf die Rechtsnormen, die Maßnahmen und Entscheidungen in konkreten Wahlverfahren nicht zugrunde liegen. Große Teile des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses sehen ebenfalls eine Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts für begründet an.
II. Andere Ansätze: Rechtsschutzlücken durch Exklusivität Andere Teile des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses sind jedoch der Auffassung, dass eine Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts nicht bestehe und fordern daher die Ermöglichung von Rechtsschutz vor der Wahl.100 Dabei wird stets auf Rechtsschutzmöglichkeiten außerhalb des 98
H. Rechenberg, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (Zweitbearbeitung, April 1978) Rn. 12; K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 49 Rn. 3; P. van Husen, DVBl. 1953, S. 70 ff. (71). 99 M. Goessl, Organstreitigkeiten innerhalb des Bundes, 1961, S. 134 ff., der stattdessen annimmt, dass das Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG das richtige Verfahren zur Überprüfung von auf das Wahlverfahren bezogenen Verletzungen von Aktivrechten ist. 100 So z. B. M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 12 f.; S. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 576; N. Achterberg/M. Schulte, in: H. von Mangoldt/F. Klein (Hrsg.), GG, Bd. 6, 3. Aufl. 1991, Art. 41. Rn. 13 f.; B.-D. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz,
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
Wahlrechts wie die Verfassungsbeschwerde oder verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz abgestellt. Zum Teil wird dabei allerdings anerkannt, dass eine tatsächliche Erklärung der Ungültigkeit einer Wahl nur im Wahlprüfungsverfahren und nicht in anderen Verfahren erfolgen kann.101 Seit Kurzem wird auch wieder die Einführung eines eigenständigen Rechtsbehelfs, ähnlich ausgestaltet wie die Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, für Wahlfehler in Bezug auf die Nichtzulassung von Landeslisten verstärkt gefordert.102 Dabei wird argumentiert, dass das Wahlprüfungsverfahren nur in Bezug auf seinen Gegenstand und sein Ziel Exklusivität beanspruchen kann.103 Ziel der Wahlprüfung sei die Gewährleistung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments.104 Gegenstand der Wahlprüfung sei nach § 1 Abs. 1 WahlPrüfG die Gültigkeit der Wahl sowie die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl, sofern sie der Wahlprüfung nach Art. 41 GG unterfallen.105 Die Wahlprüfung sei mithin beschränkt auf die Feststellung von Wahlfehlern, die sich unmittelbar auf die Gültigkeit der Wahl und den Bestand eines Mandats beziehen.106 So könnten Entscheidungen und Maßnahmen, die nicht unmittelbar auf diese Ziele bezogen sind wie die Prozesse im Rahmen der Wahlvorbereitung oder die Eintragung in das Wahlverzeichnis, mit Rechtsbehelfen außerhalb des Wahlprüfungsverfahren auch schon im Zeitpunkt vor der 1970, S. 151 ff.; H. Loschelder, Das aktive Wahlrecht und die Rechtsweggarantie des Artikels 19 Absatz 4 GG, 1968, S. 94 ff.; F. Rietdorf, DV 1949, S. 665 ff. 101 So S. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 576. 102 U. a. A. von Notz, Not Too Late, but Still Too Little, Verfassungsblog vom 2. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/not-too-late-but-still-too-little/ (7. Mai 2023), J.-M. Drossel, Der Effektivitätsgedanke im Wahlprüfungsverfahren, Verfassungsblog vom 30. Oktober 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-effektivitatsgedanke-im- wahlprufungsverfahren/ (7. Mai 2023) und J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1323). 103 S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 7; U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 18. 104 BVerfGE 4, 370 (Ls. und 372 f.); nicht mehr so explizit durch das Bundesverfassungsgericht angeführt dagegen in neueren Entscheidungen, z. B. BVerfGE 149, 374 (376 f.), BVerfGE 149, 378 (381 f.). 105 Der Streitgegenstand ist sowohl im Verfahren vor dem Bundestag als auch im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht identisch, wenngleich im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht der Prüfungsumfang auf die bereits im Verfahren vor dem Bundestag vorgetragenen Gründe beschränkt ist, dazu S. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 569 f. 106 E. Schmidt-Aßmann, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 4 (August 2020) Rn. 33.
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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Wahl überprüft werden.107 Zudem gehe es bei der Wahlprüfung nicht um die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Wahlgesetzen: Spezifische Normen könnten in einem Wahlprüfungsverfahren einer Verfassungsmäßigkeitsprüfung unterliegen, diese Überprüfung erfolge dann allerdings nur aus dem Anlass des Wahlprüfungsverfahrens.108 Daraus lasse sich schließen, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit oder die Nichtigerklärung von Gesetzen nur inzident in den Entscheidungsgründen erfolge und nicht in materielle Rechtskraft erwachse.109 Dem Argument, dass anderweitige Rechtsbehelfe die termingerechte Durchführung der Wahl beeinträchtigen können, wird entgegengesetzt, dass verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz immer vom erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis abhänge und dass eine Verfassungsbeschwerde stets nach §§ 93a ff. BVerfGG zur Entscheidung angenommen werden müsse.110 Somit seien Filter gegeben, die dafür Sorge tragen, dass die Zahl von Rechtsbehelfen vor der Wahl begrenzt werde. Andere führen die Beschränkung der Wahlprüfung auf die bereits durchgeführte Wahl als Argument für die Zulässigkeit außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens stehender Rechtsbehelfe an. Aufgrund der zwingenden zeitlichen Beschränkung des Wahlprüfungsverfahrens auf den Zeitpunkt nach der Wahl müsse es möglich sein, subjektive Rechte mittels Verfassungsbeschwerde oder verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bereits im Vorfeld der Wahl gerichtlich überprüfen zu lassen.111 Ansonsten entstünde eine erhebliche Rechtsschutzlücke. Warum das Wahlprüfungsverfahren erst nach der Wahl für zulässig erachtet wird, erläutern diese Autoren nicht. Es bleibt jeweils bei der schlichten These.
107
E. Schmidt-Aßmann, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 4 (August 2020) Rn. 33, der jedoch einschränkend anführt, dass Art. 19 Abs. 4 GG nicht verlange, dass über subjektive Wahlrechte endlos prozessiert werden könne und damit keinen endlosen Rechtsschutz vor der Wahl für notwendig erachtet. 108 Dazu BVerfGE 151, 152 (163 f.). 109 Faktisch hat das aber keine Auswirkungen, da trotz fehlender absoluter Bindungskraft der Entscheidungsgründe die rechtsanwendenden Stellen dazu verpflichtet sind, verfassungswidrige und nichtige Gesetze nicht mehr anzuwenden, sodass dieselben Konsequenzen eintreten wie aus einer im Tenor festgestellten Verfassungswidrigkeit oder Nichtigkeit, dazu S. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 572 f. 110 S. Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 577. 111 M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 12.
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
III. Fehlen einer eigenständigen Positionierung Neben denen, die die Exklusivitätsthese befürworten oder ablehnen, gibt es auch Akteure, denen eine eigenständige Positionierung fehlt. Dazu zählt insbesondere die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Denn nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch das Bundesverwaltungsgericht und rangniedrigere Verwaltungsgerichte haben sich bereits mit Rechtsfragen aus dem Bereich des Wahlprüfungsrechts befasst, wenn auch in weitaus geringerer Zahl als das Bundesverfassungsgericht. Unmittelbar auf politische Parteien bezogene Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit konnten hierbei nicht gefunden werden. Vor allem das Bundesverwaltungsgericht hat bisher eine Entscheidung, ob es der Spezialitätsthese des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Bundestagswahlen folgt, vermieden. Zwar hatte es bereits 1976 einen Fall aus dem Bereich des Wahlprüfungsrechts zu entscheiden, musste in diesem allerdings eine Entscheidung zum Verhältnis des § 49 BWahlG zu anderen Rechtsbehelfen nicht treffen.112 Grund hierfür war der Umstand, dass der Kläger zwar eine Eintragung in das Wahlverzeichnis beantragte, die grundsätzlich Teil eines Wahlverfahrens ist. Der Kläger bezog sein Begehren jedoch nicht auf eine konkret anstehende Wahl zum deutschen Bundestag, sondern strebte als im Ausland wohnender deutscher Staatsangehöriger eine generelle Klärung der Frage an, ob im Ausland lebende deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in das Wahlverzeichnis eingetragen werden können, um ihr für die Bundestagswahl nach Art. 38 Abs. 2 GG zustehendes Wahlrecht ausüben zu können.113 Somit konnte das Bundesverwaltungsgericht eine Äußerung zum Verhältnis des § 49 BWahlG zu sonstigen Rechtsbehelfen umgehen, indem es den Anwendungsbereich des § 49 BWahlG mangels Bezuges zu einer konkreten Bundestagswahl verneinte.114 Auch in einem späteren Verfahren holte das Bundesverwaltungsgericht eine derartige Entscheidung nicht nach. Fraglich war, ob ein Berufsrichter das Ehrenamt eines Wahlbeisitzers unter Hinweis auf § 4 Abs. 1 DRiG mit der Begründung, nicht Aufgaben der rechtsprechenden und der gesetzgebenden oder gesetzesausführenden Gewalt gleichzeitig ausüben zu dürfen, ablehnen darf.115 Auch dieses Mal urteilte das Gericht, dass diese Frage nicht unmittelbar auf das Wahlverfahren bezogen ist, sondern Teil der grundsätzlichen Organisation und Vorbereitung eines jeden Wahlverfahrens sei.116 Rechtsmängel dabei könnten
112
BVerwGE 51, 69 (71 ff.). BVerwGE 51, 69 (70). 114 BVerwGE 51, 69 (1. Ls. und 71 ff.). 115 BVerwG, Urteil vom 10. April 2002, 6 C 22/01 = NJW 2002, S. 2263 f. (2263). 116 BVerwG, Urteil vom 10. April 2002, 6 C 22/01 = NJW 2002, S. 2263 f. (2263). 113
B. Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts
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nicht zu einem „Wahlfehler“ führen, der im Wahlprüfungsverfahren zu korrigieren sei.117 Somit wurde § 49 BWahlG erneut für nicht anwendbar erklärt. Verschiedene Oberverwaltungsgerichte sowie Verwaltungsgerichte hatten ebenfalls bereits Entscheidungen in Bezug auf den Rechtsweg in Wahlprüfungsangelegenheiten, die sich auf Wahlen zum deutschen Bundestag beziehen, zu treffen. Die Entscheidungen dieser Gerichte schlossen sich dabei regelmäßig der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- beziehungsweise des Bundesverwaltungsgerichts an, sahen also entweder § 49 BWahlG im Bereich des Wahlprüfungsrechts als speziellere Norm an, die andere Rechtsbehelfe ausschließt,118 oder trafen keine Aussage zum Verhältnis von § 49 BWahlG zu anderen Rechtsbehelfen119. Nur in Ausnahmefällen nahmen Gerichte einstweilige Rechtsschutzverfahren im Vorfeld von Wahlen zur Entscheidung an.120 Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich diese Entscheidungen stets auf Kommunal- beziehungsweise Landtagswahlen, nicht jedoch auf die Bundestagswahl, bezogen.
IV. Fazit Die Auswertung der Rechtsprechung und des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses in Bezug auf die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlprüfungsrechts hat gezeigt, dass das Bundesverfassungsrecht seit jeher von der Ex117
BVerwG, Urteil vom 10. April 2002, 6 C 22/01 = NJW 2002, S. 2263 f. (2263). U. a. VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2017, 20 L 4679/17 = BeckRS 2017, 127629 1. Ls. und Rn. 3 ff.; OVG Sachs.-Anh., Entscheidung vom 15. Dezember 1999, B 2 S 388/98 = BeckRS 2008, 30729 Rn. 9; VG Schleswig, Beschluss vom 27. September 1976, 2 D 45/76 = JuS 1977, S. 116 f.; anders aber für Landtagswahlen VerfGH NRW, Beschluss vom 14. Mai 1996, VerfGH 30/95 = NVwZ-RR 1996, S. 679 ff. und BayVerfGH, Entscheidung vom 25. November 1968, Vf. 35-VI-67 = VerwRspr. 1969, S. 141 ff. (142 ff.), wonach der Verwaltungsrechtsweg zur Sicherung der Rechte einzelner Bürgerinnen und Bürger oder Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber auch im Vorfeld der Wahl eröffnet ist. 119 Dazu v. a. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2002, 15 A 1676/00 = BeckRS 2002, 23831 Rn. 2 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10. April 2002, 6 C 22/01 = NJW 2002, S. 2263 f. (2263), welches das Verhältnis von § 49 BWahlG zu anderen Rechtsbehelfen mangels Anwendbarkeit von § 49 BWahlG explizit offen ließ; HessVGH, Beschluss vom 17. Februar 1995, 6 TG 503/95 = NVwZ 1995, S. 799 f. 120 U. a. Wahlprüfungsgericht bei dem Abgeordnetenhaus von Berlin, Urteil vom 19. Januar 1979, WPG 1.79 = DVBl. 1979, S. 670 f., wonach die Exklusivität der Wahlprüfung nicht mehr gelten soll, wenn es sich um einen evidenten Wahlfehler handele und ein darauf gestützter zulässiger Einspruch zur Ungültigkeit der Wahl führen könne; VG Würzburg, Beschluss vom 5. März 1976, W 54 III 76 = NJW 1976, S. 1651 ff. mit der Begründung, dass das Gericht erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der entscheidenden Norm Art. 2 Nr. 5 BayGemWahlG hegte, aber eine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht für gegeben ansah. 118
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
klusivität ausgeht. Die Begründung der Entscheidungen ist dabei problematisch, denn die Prämissen werden teilweise isoliert von jeglichem Fallbezug dargelegt oder Argumentationsstränge werden schlicht vermischt. Teile des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses und auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben diese Rechtsprechung dann häufig unreflektiert übernommen. Gerade im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs bildet sich allerdings auch eine Tendenz, eine Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts abzulehnen und anderweitige Rechtsbehelfe für anwendbar zu erklären.
C. Zwischenergebnis Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass es einhellige Auffassung sowohl in der Rechtsprechung als auch im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs ist, die Wahlprüfung erst nach der Wahl durchzuführen, ohne dass jemals eine nähere Auseinandersetzung mit dem Zeitpunkt der Wahlprüfung erfolgt ist. Die Exklusivität des Wahlprüfungsverfahren ist in der Rechtsprechung vorherrschend, im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs wird sie teilweise anerkannt, aber auch teilweise abgelehnt. Dieses Vorgehen sowie die fehlende Begründung der Festsetzung des Zeitpunkts der Wahlprüfung auf den Zeitpunkt nach der Wahl ist nach der derzeitigen praktischen Handhabung des Wahlprüfungsrechts nachvollziehbar. Wenn das Wahlprüfungsverfahren nach allgemeiner Auffassung erst nach der Wahl erfolgen kann, gibt es für den Zeitpunkt vor der Wahl aufgrund der parallel von der herrschenden Meinung angenommenen Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- und des Wahlprüfungsrechts keinen anderweitigen Rechtsschutz. Warum sollte daher eine Begründung für diese seit Jahrzehnten unstreitige Rechtsauffassung gegeben werden müssen? Verfassungsrechtliche Grundlage und erster Ausgangspunkt für die Bestimmung des Zeitpunkts der Wahlprüfung kann nur Art. 41 GG sein. Ob dieser Norm, die die Wahlprüfung dem Bundestag und dem Bundesverfassungsgericht zuweist, entnommen werden kann, dass eben diese Wahlprüfung nur nach der durchgeführten Wahl erfolgen kann, ist nicht eindeutig. Wenn man hingegen – anders als die hier vertretene und in den kommenden Teilen der Arbeit ausführlich dargelegte Ansicht – davon ausgeht, dass die Wahlprüfung zwingend nach der Wahl stattzufinden hat, gibt es mit Ausnahme der nur verwaltungsintern wirkenden Kontrollmöglichkeiten aus dem Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung sowie der Nichtanerkennungsbeschwerde für den spezifischen Fall der Nichtanerkennung als politische Partei keinerlei Rechtsschutzmöglichkeiten im Vorfeld von Wahlen. Der Widerspruch mit Art. 19 Abs. 4 GG, der vor
C. Zwischenergebnis
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allem effektiven Rechtsschutz verlangt, sowie mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG liegt auf der Hand. Allein § 49 BWahlG, der häufig als Rechtfertigung herangezogen wird, vermag die Unanwendbarkeit weiteren Rechtsschutzes schon normenhierarchisch nicht zu begründen.121 Art. 19 Abs. 4 GG stellt ein vorbehaltslos gewährtes Grundrecht dar, das nur durch andere Grundrechte oder Rechtsgüter von Verfassungsrang und nicht durch einfaches Recht wie § 49 BWahlG eingeschränkt werden kann.122 Zudem ist eine restriktive Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG als Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz – wie teilweise vertreten wird123 – nicht angezeigt. Auch die Verfassungsbeschwerde ist seit vielen Jahren grundgesetzlich normiert und kann somit von einer einfachgesetzlichen Norm nicht verdrängt werden. Insofern überrascht es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht die Exklusivitätsthese losgelöst von § 49 BWahlG als allgemeinen Satz des Wahlprüfungsrechts formuliert hat, der unmittelbar aus Art. 41 GG folge und durch § 49 BWahlG nochmals zusätzlich durch den einfachen Gesetzgeber gestützt werde.124 Dass es sich hierbei um einen Zirkelschluss handelt, indem § 49 BWahlG als zu rechtfertigende Norm mit einem gleich lautenden vermeintlichen Verfassungssatz gerechtfertigt wird, hat bereits Heinrich Lang in seiner Dissertation zum subjektiven Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren überzeugend herausgearbeitet.125 Ebenfalls ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, dass die Abwägung zwischen dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz beziehungsweise der Verfassungsbeschwerde und dem Wahlprüfungsverfahren in Bezug auf die Vorrangstellung zwingend zu einer Exklusivität der Wahlprüfung führen muss. Dennoch ist das Wahlprüfungsverfahren, wie es Art. 41 GG vorsieht, zurecht der einzig in Betracht kommende gerichtliche Rechtsbehelf für Parteien zur Kontrolle von Fehlern bei der Listenaufstellung in Bezug auf ein konkretes Wahlverfahren und damit für eine Rechtskontrolle von Wahlfehlern vor der Wahl. Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG enthält den schlichten Satz: „Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestags.“ Explizit ist diesem Satz kein Zeitpunkt für die Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens zu entnehmen. Gleichwohl versagt die einhellige Meinung die Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens vor dem Wahltag. 121
Dies teilweise überspitzt ausarbeitend H. Meyer, KritV 77 (1994), S. 312 ff. (358). Statt aller H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 19 Rn. 63. Eine Konkretisierung des Verfassungsrechts durch einfaches Recht ist freilich möglich. 123 Dazu schon oben § 2 B I. 5. 124 Siehe zuletzt BVerfGE 159, 105 (115); davor u. a. BVerfGE 14, 154 (155), BVerfGE 29, 18 (19) und BVerfGK 16, 148 (151). 125 H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 139 f. 122
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§ 2 Bestandsaufnahme des Rechtsschutzregimes im Wahlprüfungsrecht
Ob dieses verfassungsrechtsdogmatische Verständnis der herrschenden Ansicht zwingend ist, kann nur eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grundlagen der Wahlprüfung und vor allem mit Art. 41 GG zeigen, die auch eine Analyse der historischen Ursprünge der Wahlprüfung miteinschließt.126
126
Zur Begründung des methodischen Zugriffs schon oben § 1 C.
§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung Bei Kompetenznormen im Grundgesetz kommt historischen Erwägungen bekanntlich eine bedeutende Funktion zu, denn es ist ein gewichtiges Indiz für das Verständnis von Kompetenznormen, wenn der Parlamentarische Rat bestehende Institute insbesondere aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen hat oder aber bewusst von diesen abgewichen ist.1 Art. 41 GG enthält sehr eindeutig eine solche Kompetenzzuweisung: Das Rechtsinstitut der Wahlprüfung wird dem Bundestag auf erster Ebene und dem Bundesverfassungsgericht auf zweiter Ebene zugeschrieben. Eine historische Untersuchung des in Art. 41 GG enthaltenen Begriffs der Wahlprüfung ist daher aufgrund seines Charakters als Kompetenznorm besonders angezeigt.
A. Wahlprüfung als Gegenstand der Beratungen des Grundgesetzes Zu untersuchen ist damit zunächst, ob der Parlamentarische Rat durch die – seit Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 bis heute unveränderte – Ausgestaltung der Wahlprüfung in Art. 41 GG ein etabliertes Verständnis der Wahlprüfung beibehalten wollte. In den Überlegungen zur Ausgestaltung des Grundgesetzes spielte die Wahlprüfung durchaus eine Rolle. Allerdings wurde nicht der konkrete Zeitpunkt der Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens verhandelt. Stattdessen konzentrierten sich die Beratungen auf die Ausgestaltung der Wahlprüfung. Bereits der Bayrische Entwurf eines Grundgesetzes, der auf dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee diskutiert wurde, sah eine zweistufige Wahlprüfung vor: Demnach sollte zunächst der Bundestag, darauffolgend der zu diesem Zeitpunkt noch vorgesehene Bundesstaatsgerichtshof für die Wahlprüfung zuständig sein.2 Im weiteren Verlauf der Beratungen auf Herrenchiemsee wurde 1 So prägnant C. Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 271 Rn. 73 f. 2 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 2 , 1981, Bayrischer Entwurf eines Grundgesetzes, Nr. 1 S. 15.
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
die Zweistufigkeit als solche nicht in Frage gestellt, wohl aber die konkrete Kompetenzzuweisung auf zweiter Ebene.3 Letztlich empfahl der Konvent, die Wahlprüfung auf erster Stufe dem Bundestag zuzuweisen und auf zweiter Stufe ein eigenes Wahlprüfungsgericht einzusetzen; das Bundesverfassungsgericht sollte nur zuständig sein, sofern die Gültigkeit der Wahl als Ganzes betroffen war.4 Diese Empfehlung der zweistufigen Verfahrensausgestaltung nahm der Parlamentarische Rat auf und entwickelte sie weiter. So wurde beschlossen, dass auf zweiter Stufe allein das Bundesverfassungsgericht und nicht alternativ dazu ein besonderes Wahlprüfungsgericht über die Wahlprüfung entscheidet.5 Zudem bestimmten die Mitglieder des Kombinierten Ausschusses in der 11. Ausschusssitzung, dass sich die Prüfung der Gültigkeit der Wahl sowohl auf die Wahl einer beziehungsweise eines Abgeordneten als auch auf den Wahlvorgang als solchen bezieht.6 Auch wurde festgelegt, dass materielles Wahlprüfungsrecht nicht in der Verfassung geregelt werden, sondern wie bisher durch die Praxis des Wahlprüfungsrechts herausgebildet werden sollte.7 Insgesamt wurden damit zwar wesentliche Grundzüge des Wahlprüfungsrechts ausgearbeitet, gleichzeitig stellte sich der Parlamentarische Rat jedoch auf den Standpunkt, das Grundgesetz nicht zu sehr mit Ausführungsbestimmungen zu überlasten. Treffend brachte das der Vorsitzende des Kombinierten Ausschusses Robert Lehr in Bezug auf die Wahlprüfung auf den Punkt: 3 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 2 , 1981, Bericht des Untersuchungsausschusses III, Nr. 10 S. 313, 322 ff. 4 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 2 , 1981, Bericht über den Verfassungskonvent, Nr. 14 S. 589 f. 5 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 24. September 1948, Nr. 6 S. 181, nachdem der Vorschlag bereits in der 2. Sitzung des Kombinierten Ausschusses eingebracht wurde, siehe Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 2. Sitzung des Kombinierten Ausschusses,16. September 1948, Nr. 2 S. 34 f. Über die Sinnhaftigkeit der Zweistufigkeit der Wahlprüfung wurde nochmal in der 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses diskutiert, in der sie mit sieben zu sieben Stimmen mit Zustimmung des Ausschussvorsitzenden Robert Lehr (CDU) bejaht wurde, dazu Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948– 49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 7. Oktober 1948, Nr. 14 S. 427; siehe ergänzend und zum Folgenden auch die Ausführungen von H. Schmitt- Vockenhausen, Die Wahlprüfung in Bund und Ländern unter Einbeziehung Österreichs und der Schweiz, 1969, S. 30 ff. 6 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 7. Oktober 1948, Nr. 14 S. 427. 7 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 7. Oktober 1948, Nr. 14 S. 429.
B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung 55 „Es besteht eine gewisse Gefahr, daß wir uns selbst Fußangeln bei Gelegenheiten legen, die wir heute noch nicht übersehen. Dann heißt es: das hat nicht drin gestanden, also das gilt nicht. Es ist doch ein großer Vorzug, ganz knapp und nur auf das Essentielle hinaus zu formulieren.“8
Es sollte somit nur die grundsätzliche Organisation der Wahlprüfung, nicht hingegen konkrete Details zur Art der Entscheidungsfindung, zu den relevanten Wahlfehlern oder auch zum Zeitpunkt der Wahlprüfung durch das Grundgesetz vorgegeben werden. Damit ergibt sich ein erstes Indiz für den Umstand, dass das Grundgesetz hinsichtlich des Zeitpunkts der Wahlprüfung offen ist und die Wahlprüfung auch vor der Bundestagswahl erfolgen kann.
B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung im vorkonstitutionellen Recht Jedoch könnte das Schweigen des Grundgesetzes in Bezug auf den Zeitpunkt der Wahlprüfung dann anders zu verstehen sein, wenn der früheste Zeitpunkt zur Durchführung der Wahlprüfung vor dem Erlass des Grundgesetzes seit jeher nach der Wahl gesehen wird. Es ist also erforderlich, das Institut der Wahlprüfung in seinen Ursprüngen und insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert zu untersuchen. Bei näherer Auseinandersetzung mit den historischen Grundlagen der Wahlprüfung lässt sich schnell feststellen, dass die Wahlprüfung beziehungsweise ihre Vorgängerinstitute stets nach der Wahl stattgefunden haben. Eine vor der Wahl stattfindende Überprüfung gab es auf deutschem Territorium nicht. Als Grund dafür drängt sich eines auf: Es gab keine Notwendigkeit für eine Wahlprüfung vor der Wahl. Dies könnte zum einen daran liegen, dass die Wahlprüfung von ihrer Grundkonzeption her zunächst bis zum Kaiserreich als reine Legitimationsprüfung verstanden wurde, deren Ziel es stets war, dass im Parlament nur korrekt entsandte oder gewählte Abgeordnete vertreten waren; um eine Überprüfung der gesamten Wahl, wie der Begriff der Wahlprüfung heute verstanden wird, ging es (noch) nicht. Zum anderen konnten die in dieser Arbeit behandelten Wahlfehler der (teilweisen) Ablehnung von Landeslisten aufgrund anderer Wahlsysteme auf deutschem Territorium nicht durchgehend auftreten, sodass die (teilweise) Ablehnung von Landeslisten nicht durchgehend im Rahmen der Wahlprüfung behandelt werden konnte. 8 Ausschussvorsitzender Robert Lehr (CDU) in der 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, siehe Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948– 49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 7. Oktober 1948, Nr. 14 S. 429.
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
Die Wahlprüfung trat – wenn auch in abgewandelter Form – erstmals in Bezug auf den Reichstag des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation auf. Vor dem erstmaligen Zusammentritt des Reichstags erfolgte stets eine formale Prüfung der ständischen Vollmachten der Gesandten, mit der diese ihre Legitimation nachweisen mussten.9 Es handelte sich dabei um einen bloßen Beurkundungsakt, der naturgemäß nicht die Gestalt juristischer Rechtsprechung hat.10 Diese formale Legitimationsprüfung entwickelte sich unter britischem11 und vor allem unter französischem12 Einfluss insbesondere im 19. Jahrhundert weiter. 9
Näher dazu N. T. Gönner, Teutsches Staatsrecht, 1804, § 173 S. 247 ff. sowie J. J. Moser, Von der teutschen Reichs-Stände Landen, 1769, S. 1501 ff. (v. a. S. 1503). 10 J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 396. 11 In Großbritannien war zunächst die Königin oder der König für die Prüfung der Legitimation der Abgeordneten im Unterhaus zuständig, bevor sich ab dem 17. Jahrhundert die Legitimationsprüfung zum Unterhaus als solchem verschob. Durch den Parliamentary Elections Act von 1868 (31 & 32 Vict. c. 125) und finalisiert durch den Supreme Court of Judicature Act von 1881 (44 & 45 Vict. c. 68) wurde die Wahlprüfung einem Gericht übertragen: Zwei Richter, die dem King’s bzw. der Queen’s Bench Division des High Court of Justice angehören mussten, entschieden nun als Election Court über die Wahlprüfung; näher zur Wahlprüfung in der britischen Rechtstradition u. a. J. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 ff. (211); C. O’Leary, The elimination of corrupt practices in the British elections 1868–1911, 1962 und J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 425 f.; maßgebliche Rechtsgrundlagen für die heutige Wahlprüfung finden sich v. a. in Teil III (Sec. 120–186) des Representation of the People Act von 1983 und in den Election Petition Rules, Statutory Instruments von 1960, No. 543, ergänzt durch die Election Petition (Amendment) Rules 2003, No. 972 (L. 23), dazu auch H. Rechenberg, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (Zweitbearbeitung, April 1978) III. 3., S. 53. 12 Seit 1789 nahm die Nationalversammlung die Legitimationsprüfungen sowie die Prüfung des gesamten Wahlakts vor. Hierbei wurden die Prüfungen nicht als bloße Beurkundungsakte verstanden, sondern als umfassende Prüfung des Willens der Wähler. Die Wahlprüfung galt als Teil der pouvoir constituant und wurde erst mit der Konstituierung der V. Republik 1958 der Nationalversammlung entzogen und dem Conseil Constitutionnel übertragen (Art. 59 der französischen Verfassung vom 4. Oktober 1958); näher zur Wahlprüfung B. Daugeron, Le nouveaux Cahiers du Conseil Constitutionnel 2013, N°41, S. 17 ff.; P. Loïc, Le contentieux des élecions aux assemblées politiques françaises, 1961, S. 3 ff.; K. Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht, Bd. 1, 1932, S. 186 f.; J. Poudra/E. Pierre, Traité de droit politique électoral et parlementaire, 1880, S. 181 ff. Beachtenswert ist, dass der Conseil Constitutionnel die Wahlprüfung heute weit versteht und sich bereits im Ausnahmefall vor der Wahl für zuständig erklärt: „Considérant que si, en vertu de la mission de contrôle de la régularité de l’élection des députés et des sénateurs qui lui est conférée par l’article 59 de la Constitution, le Conseil constitutionnel peut exceptionnellement statuer sur les requêtes mettant en cause la régularité d’élections à venir, ce n’est que dans la mesure où l’irrecevabilité qui serait opposée à ces requêtes en vertu des articles 32 à 45 de l’ordonnance susvisée du 7 novembre 1958 risquerait de compromettre gravement l’efficacité du contrôle par le Conseil constitutionnel de l’élection des députés ou des sénateurs, vicierait le déroulement général des opérations électorales et, ainsi, pourrait porter atteinte au fonctionnement normal des pouvoirs
B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung 57
Die Wahlprüfung bildete sich damit parallel zu den modernen Volksvertretungen als Recht des Parlaments aus.13 Die Wahlprüfung wurde als reine Legitimationsprüfung des Abgeordnetenstatus verstanden, die erstmals 1819 in Baden durch die Kammern des Abgeordnetenhauses erfolgte.14 Im Zuge der Märzrevolution von 1848 und der sich daraus ergebenden Tendenzen zur Einrichtung eines deutschen Staates zog die Diskussion um die Ausgestaltung der Wahlprüfung an.15 Die 1848 eingesetzte Frankfurter Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung sah sich als konstituierende Versammlung und übernahm das französische Modell, indem sie die Prüfung der Wahlanfechtung durch die gesamte Versammlung vorsah und eine endgültige Konstituierung der Versammlung erst bei Verifikation von mehr als der Hälfte der Abgeordneten annahm.16 So wurde eine umfassende auf den Willen der Wähler gerichtete, materielle Legitimationsprüfung für bestrittene Mandatsträger normiert. Nach § 6 GO Nationalversammlung waren relevante Wahlfehler solche aus dem Wahlverfahren, bezüglich der Eigenschaft der Wähler oder bezüglich der gesetzlichen Eigenschaften des Gewählten; für die beiden Erstgenannten ist zudem der Nachweis einer Mandatsrelevanz erforderlich. Anders als in Frankreich blieb daneben aber die Prüfung der formellen Gültigkeit des Wahlzeugnisses durch Beurkundung für nichtangefochtene Abgeordnete weiter bestehen.17 Zuständig dafür waren beim Parlament gebildete Abteilungen. Die Frankfurter Nationalversammlung prüfte damit der französischen Rechtstradition folgend erstmals im Rahmen der materiellen Legitimationsprüfung umfassend, um den Willen der Wähler zu berücksichtigen, hielt aber daneben auch an der formalen Gültigkeitsprüfung der Mandate aller Abgeordneten fest.
publics.“, u. a. Conseil Constitutionnel, Décision n° 82-2 ELEC vom 16. April 1982, Bernard; Conseil Constitutionnel, Décision n° 97-13 ELEC vom 16. Mai 1997, Meyet; Conseil Constitutionnel, Décision n° 2002-19 ELEC vom 22. Mai 2002, Hauchemaille et l’association DÉCLIC; dazu auch O. Jouanjan, Verfassungsrechtsprechung in Frankreich, in: A. von Bogdandy/P. M. Huber/C. Grabenwarter (Hrsg.), IPE, Bd. 6, 2016, § 99 Rn. 50. 13 So auch J. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 ff. (206). 14 J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 399. 15 So forderte u. a. der Tübinger Staatswissenschaftler Robert von Mohl, geprägt durch die britische Rechtstradition der Wahlprüfung, die Einsetzung eines Wahlausschusses für die Legitimationsprüfung der Abgeordneten; daneben sah er zur Beschleunigung des Verfahrens der Konstituierung des Parlaments die Möglichkeit der vorläufigen Zulassung der Abgeordneten durch den Fünfzigerausschuss des vorhergehenden Bundestags vor, R. von Mohl, Vorschläge zu einer Geschäftsordnung des verfassungsgebenden Reichstags, 1848, S. 16 ff. 16 J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 411 ff. 17 J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 415 f.
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
In der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 wurde die Wahlprüfung weiterhin dem Parlament zugeschrieben. Nach Art. 112 prüfte jedes Haus die Vollmachten seiner Mitglieder und entschied über die Zulassung derselben. Kern der Wahlprüfung war demnach die Legitimationsprüfung. Grundsätzlich kam der Wahlprüfung in der Paulskirchenverfassung keine bedeutende Rolle zu. Auch die einschlägige Literatur zur Paulskirchenverfassung behandelt dieses Institut entweder gar nicht18 oder stellt nur kurz fest, dass die Zuständigkeit beim Reichstag liegen sollte19. Parallel zum Versuch der Konstituierung einer gesamtdeutschen Verfassung wurde auch in den einzelnen Ländern des Reiches die Verfassunggebung vorangetrieben. So regelte § 11 Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung vom 8. April 1848: „Die Prüfung der Richtigkeit der Wahl ist Sache der künftigen Versammlung.“ Es wurde also für die Wahlprüfung erstmals ausdrücklich auf die künftige Versammlung abgestellt. Zudem wurde durch die Formulierung des Prüfungsgegenstands als „die Prüfung der Richtigkeit der Wahl“ nicht mehr bloß auf die Legitimationsprüfung der einzelnen Abgeordneten abgestellt; § 11 Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung brach insofern mit ihren Vorgängerregelungen. In den anschließenden preußischen Regelungen wurde hingegen – anders als vorher in § 11 Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung – nicht mehr auf die künftige Versammlung sowie auf die Prüfung der Richtigkeit der Wahl abgestellt. Stattdessen regelten Art. 77 der preußischen provisorischen Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848 und Art. 78 der preußischen Verfassung vom 31. Juli 1850, dass jede Kammer die Legitimation ihrer Mitglieder prüft. Dieser Rekurs auf die Zuständigkeit jeder Kammer für die Legitimationsprüfung ihrer eigenen Mitglieder verdeutlicht, dass in Abkehr zur Regelung in § 11 Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung bewusst nicht mehr auf die künftige Versammlung und auf die Richtigkeit der Wahl abgestellt wurde. Damit ist eine Prüfung durch die vorhergehende Versammlung zumindest durch den Wortlaut nicht ausgeschlossen. Die ausdrück liche Bezugnahme auf die künftige Versammlung in § 11 Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung lässt sich auch damit erklären, dass die Norm sich lediglich auf eine Versammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung und damit auf ein Gremium be18
So u. a. J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Aufl. 1998; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, 3. Aufl. 1988. 19 So D. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776–1866, 1988, S. 203.
B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung 59
zog, das nur zweckgebunden für eine kurze Zeit eingesetzt wurde und damit anders als ein Parlament nicht auf Dauer angelegt war. Auch die Verfassung des norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 und die Reichsverfassung vom 16. April 1871 legten wortlautgleich jeweils in Art. 27 S. 1 fest, dass der Reichstag die Legitimation seiner Mitglieder prüft und darüber entscheidet.20 Ausgehend vom Wortlaut der Norm liegt die Vermutung nahe, dass die Wahlprüfung im Kaiserreich ebenfalls lediglich die Legitimationsprüfung – erweitert um alle materiellen Elemente – bedeutet. Dem ist jedoch nicht so: Differenziert wurde vom Reichstag zwischen der Wahlprüfung im engeren Sinne, also der Wahlprüfung angefochtener Wahlen, die als Akt der Rechtsprechung mit einem Urteil endete, und der bloßen Legitimationsprüfung, also der formalen Prüfung der Wahlvollmachten, die ein reiner Beurkundungsakt war.21 Erstmals wurde also das gesamte Wahlverfahren als Gegenstand der Wahlprüfung angesehen und damit das Verständnis der Wahlprüfung begründet, das bis heute besteht.22 Einigkeit lag hinsichtlich des Gegenstandes der Wahlprüfung vor: Umfasst war die Prüfung der abgegebenen Stimmen, der Wahlvorbereitung, des Wahlverfahrens und der Stimmenberechnung; Grundlage für die Überprüfung war das Gesetz und das darauf folgende Reglement.23 Es ging darum, zu gewährleisten, dass der Wille der Wähler im gewählten Parlament korrekt wiedergegeben war.24 Zwar war die Praxis des Reichstags zunächst unbeständig,25 nach Einsetzung einer Einweisungskommission 1876 konnte sich 20 Zur Wahlprüfung im Kaiserreich siehe u. a. G. Leser, Untersuchungen über das Wahlprüfungsrecht des Deutschen Reichstages, 1908 und R. von Mohl, ZgS 30 (1874), S. 528 ff. (607 ff.); das Verfahren der Wahlprüfung war in §§ 3 bis 6 GO des Reichstags geregelt. 21 J. Hatschek, Kommentar zum Wahlgesetz und zur Wahlordnung im deutschen Kaiserreich, 1920, § 13 S. 221 f. 22 Umstritten war damals wie heute, wie das Verhältnis von Legitimationsprüfung und Wahlprüfung im engeren Sinne ist. So sehen Bernd-Dietrich Olschweski und Max von Seydel die Wahlprüfung im engeren Sinne lediglich als Teil der Legitimationsprüfung und nicht als eigenständigen Teil der Wahlprüfung, siehe B.-D. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, 1970, S. 60 und M. von Seydel, Annalen des Deutschen Reiches 1880, S. 352 ff. (386); in diese Richtung ebenfalls anders als es Heinrich Lang in Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 212 mit Fn. 150 vertritt auch Georg Jelli nek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 163 mit Fn. 2; Heinrich Lang und Julius Hatschek verstehen die Legitimationsprüfung und die Wahlprüfung im engeren Sinn als zwei selbstständig nebeneinanderstehende Bereiche des Instituts der Wahlprüfung, H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 211 f.; J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 491, 497. 23 M. von Seydel, Annalen des Deutschen Reiches 1880, S. 352 ff. (387, 391). 24 H. Jaques, Die Wahlprüfung in den modernen Staaten und ein Wahlprüfungsgerichtshof in Oesterreich, 1885, S. 54. 25 Näher J. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 ff. (222).
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
jedoch ein Katalog relevanter Wahlfehler ausbilden, deren Folgen nach dem Grad ihrer Wichtigkeit bestimmt wurden. Die Nichtigkeit der Wahl war in allen Fällen angezeigt, wenn ein Verstoß gegen eine bindende Wahlvorschrift vorlag.26 Der Reichstag differenzierte zwischen Wahlbeeinflussungen und Formfehlern, wobei unter letztere auch Beteiligungs- und Berechnungsfehler fielen.27 Der Schwerpunkt der geltend gemachten Wahlfehler lag jedoch klar auf den Wahlbeeinflussungen durch Amtsinhaber, Geistliche oder den Arbeitgeber.28 Die weniger relevanten Beteiligungsfehler konnten sowohl auf Aktivseite, also auf Seiten der Wähler, wie auf Passivseite, also auf Seiten der zur Wahl Stehenden, auftreten. Jedoch waren Wahlfehler auf Seiten der zur Wahl Stehenden äußerst selten.29 Denn im Kaiserreich galt ein Mehrheitswahlrecht.30 Gewählt wurden also unmittelbar Kandidaten, die zwar Parteien angehört haben konnten, jedoch stand bei der Wahl nicht die Partei, sondern der konkrete Kandidat im Fokus. Beteiligungsfehler auf Seiten der Gewählten konnten also nur in der Person des Wahlkandidaten selbst begründet sein. Die Wahlprüfung im Kaiserreich ist mithin trotz des grundsätzlich gleichen Begriffsverständnisses von der heutigen Wahlprüfung zu differenzieren. Denn Parteien konnten aufgrund der verschiedenen Wahlsysteme schließlich per se kein Teil des Wahlverfahrens und damit auch kein Gegenstand der Wahlprüfung sein. Die hier relevanten Wahlfehler der (teilweisen) Listenablehnung konnten zur Zeit des Kaiserreichs nicht auftreten. Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 wies die Wahlprüfung einem eigens gebildeten Wahlprüfungsgericht zu.31 Grund für diese Änderung 26
M. von Seydel, Annalen des Deutschen Reiches 1880, S. 352 ff. (391). J. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, Teil 1, 1915, S. 550 ff. nimmt eine andere Differenzierung vor: Er unterteilte in Formfehler und sonstige Tatbestände parlamentarischer Wahldelikte, nämlich die amtliche Wahlbeeinflussung, die amtliche Wahlkandidatur, die geistliche Wahlbeeinflussung, die Kontrolle der Wahl durch den Arbeitgeber, die Wahlbeeinflussung durch Kriegsvereine sowie die Wahlfälschung und andere durch das Strafgesetzbuch unter Strafe gestellte Wahldelikte (§§ 107 ff. StGB). Julius Hatschek legte der Wahlfehlerlehre somit ein strafrechtliches Verständnis zugrunde und erforderte damit stets ein Schuldmoment; ablehnend dazu schon K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, S. 26 f., der nachweist, dass die Differenzierung von Julius Hatschek nicht der Praxis des Reichstags entsprach, insb. S. 91. 28 So auch K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, S. 58 ff. 29 K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, S. 71. 30 Art. 20 Abs. 1 RV 1871; § 5 Abs. 1 Wahlgesetz vom 31. Mai 1869. 31 Art. 31 S. 1, 2 WRV: „Bei dem Reichstag wird ein Wahlprüfungsgericht gebildet. Es entscheidet auch über die Frage, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft verloren hat.“ Das Wahlprüfungsgericht zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung war hingegen nicht das erste 27
B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung 61
der Wahlprüfungsinstitution war der Verdacht, dass die parlamentarische Wahlprüfung zur Zeit des Kaiserreichs von parteipolitischen und nicht von recht lichen Interessen geleitet wurde.32 Das Wahlprüfungsgericht zur Weimarer Zeit bestand aus Mitgliedern des Reichstags und des Reichsverwaltungsgerichts.33 So sollte zum einen dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Wahlprüfung aufgrund ihrer französischen Tradition als richterliche Tätigkeit verstanden wurde. Zum anderen sollte dem Parlament nicht die Wahlprüfung genommen werden, um mit der bisherigen Verfassungstradition nicht vollständig zu brechen. Problematisch war jedoch der Umstand, dass verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich vorgegeben war, worüber das Wahlprüfungsgericht letztlich entschied.34 Der primäre Prüfungsgegenstand lässt sich vor allem aus dem Begriff „Wahlprüfungsgericht“ und aus der Absicht des Gesetzgebers ableiten, dass das Wahlprüfungsgericht das früher dem Reichstag zustehende Recht, also die Prüfung der Legitimation der Abgeordneten und des gesamten Wahlverfahrens, weiterführen sollte.35 Durch das Wahlprüfungsgericht wurden mithin Gericht, welches im deutschen Raum über Wahlprüfungen zu entscheiden hatte: Seit 1911 war in Elsass-Lothringen das Oberlandesgericht Colmar für die Wahlprüfung zuständig, § 9 Verfassung von Elsass-Lothringen vom 26. Mai 1911, näher dazu H. Molitor, AöR 34 (1915), S. 245 ff. 32 Siehe dazu auch schon die umfangreichen Reformüberlegungen auf dem 19. Deutschen Juristentag 1888, auf dem sich die beiden Referenten Georg Jellinek und Max von Seydel zugunsten der Einführung der einer wahlprüfungsrechtlichen Gerichtsbarkeit aussprachen, G. Jellinek, Gutachten 19. Deutscher Juristentag, in: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hrsg.), Verhandlungen des Neunzehnten Deutschen Juristentags, Bd. 2, 1888, S. 121 ff. (132 ff.); M. von Seydel, Gutachten 19. Deutscher Juristentag, in: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hrsg.), Verhandlungen des Neunzehnten Deutschen Juristentags, Bd. 1, 1888, S. 130 ff. (153). Ebenfalls H. Jaques, Referentenbeitrag, in: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hrsg.), Verhandlungen des Neunzehnten Deutschen Juristentags, Bd. 3, 1888, S. 185 ff. und Francke, Referentenbeitrag, in: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hrsg.), Verhandlungen des Neunzehnten Deutschen Juristentags, Bd. 3, 1888, S. 195 ff. Zu einer Entscheidung in Bezug auf die richtige Institution der Wahlprüfung kam es hingegen nicht, denn nach Antrag von Ernst Petiscus wurde beschlossen, dass der Juristentag nur über zivilrechtliche und nicht über staatsrechtliche Themen verhandele, E. Petiscus, Diskussionsbeitrag, in: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hrsg.), Verhandlungen des Neunzehnten Deutschen Juristentags, Bd. 3, 1888, S. 209 ff.; näher dazu auch J. C. Greeve, Die Wahlprüfung unter besonderer Berücksichtigung der Wahl zum Deutschen Bundestag, 1953, S. 19. 33 Aufgrund des Umstandes, dass nie ein Reichsverwaltungsgericht gebildet wurde, nahmen nach Art. 166 WRV Richter des Reichsgerichts die Aufgaben im Wahlprüfungsgericht wahr. 34 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 31 Anm. 3, S. 210 f. 35 Der Wille zur Fortsetzung der Wahlprüfung verwundert nicht, schließlich war das Weimarer System durchzogen von monarchischen Traditionen und aus dem Kaiserreich über-
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
sämtliche Reichstagswahlen auf ihre Gültigkeit hin überprüft.36 Dabei ging das Wahlprüfungsgericht zweischrittig vor: So stellte das Gericht zunächst fest, ob überhaupt Wahlfehler vorlagen. Sofern dies der Fall war, wurde anschließend geprüft, ob diese Wahlfehler für die Wahl in einzelnen Wahlkreisen oder Stimmbezirken mandatsrelevant waren.37 Als ein solcher zu prüfender Wahlfehler zählte als Folge der Einführung des Verhältniswahlrechts, wodurch keine Kandidatinnen und Kandidaten als solche, sondern Parteien gewählt wurden, die ihrerseits wieder Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl aufgestellt hatten, erstmals auch die Nichtzulassung von Parteien sowie von Kandidatinnenund Kandidatenvorschlägen.38 Geprüft wurden unter anderem Ablehnungen aufgrund von verspäteter Einreichung des Vorschlags39, wegen unzulässiger Stellvertretung40, wegen unzureichender Unterstützungsunterschriften41 und aufgrund der Prüfpflichten von Wahlleiterinnen und Wahlleitern42. Hierbei stellte das Wahlprüfungsgericht auch in einem Fall die Ungültigkeit der Wahl in einem Wahlkreis fest.43 In der Weimarer Zeit gab es folglich schon vergleich bare Fälle zum hier diskutierten Wahlfehler der (teilweisen) Listenablehnung. Jedoch entschied das Wahlprüfungsgericht stets nach der Wahl, eine Wahlprüfung vor dem Wahltermin erfolgte nicht. Mit dem Zeitpunkt der Wahlprüfung nommenen Institutionen, näher dazu O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. 1987, S. 497 ff. 36 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 31 Anm. 3, S. 210 f.; L. Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, Art. 31 Anm. 3a), S. 193; F. Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung vom 11. August 1919, 3. Aufl. 1928, Art. 31 Anm. 3, S. 175. 37 G. Kaisenberg, Die Wahlprüfung, in: G. Anschütz/R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 1, 1930, § 36 VII S. 405; insgesamt zu den relevanten Wahlfehlern und dem materiellen Wahlprüfungsrecht K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, passim. 38 Hierzu und zum Folgenden auch M. Drath, Das Wahlprüfungsrecht bei der Reichstagswahl, 1927, S. 93 ff. 39 U. a. Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 2. November 1920 – VII = PrVerwBl. 42 (1920/ 21), S. 337 ff. (337); Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 4. Dezember 1920 – XV = PrVerwBl. 42 (1920/21), S. 205 ff. (206); Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 9. Februar 1921 – XI = PrVerw Bl. 42 (1920/21), S. 337 ff. (337). 40 Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 2. November 1920 – VII = PrVerwBl. 42 (1920/21), S. 337 ff. (337). 41 Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 16. Januar 1926 – Wahlkreisverband VI = PrVerw Bl. 47 (1925/26), S. 526 ff. (526 f.) 42 Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 8. Juni 1925 – Wahlkreisverband I = PrVerwBl. 47 (1925/26), S. 526 ff. (527); Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 20. Oktober 1928 – Wahlkreisverband II = PrVerwBl. 50 (1929), S. 417 ff. (418 f.). 43 Wahlprüfungsgericht, Urteil vom 28. Juni 1924 – Wahlkreis 9 = PrVerwBl. 46 (1924/25), S. 223 ff. (224).
B. Fehlende Auseinandersetzung mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung 63
setzte sich allerdings weder die Gesetzgebung noch die Rechtsprechung oder die Rechtswissenschaft auseinander. Ein Grund hierfür mag sein, dass die Art und Weise der Wahlprüfung zur Weimarer Zeit – ausgenommen die institutionelle Zuordnung – nahtlos an die Wahlprüfung aus der Zeit des Kaiserreichs anknüpfte und keine Reflexion der Wahlprüfung als solcher stattfand.44 Dieser Umstand rührt daher, dass die führenden und damit staatstragenden Schichten noch im Kaiserreich verhaftet waren und wenig Bereitschaft zeigten, das demokratische System der Weimarer Reichsverfassung zu akzeptieren und auf die Wahlprüfung anzuwenden. Tatsächlich konnte das Institut der Wahlprüfung aufgrund der unterschied lichen Wahlsysteme im Kaiserreich und in Weimar nicht eins zu eins fortgesetzt werden.45 War zur Zeit des Kaiserreichs aufgrund des Mehrheitswahlrechts die Wahlbeeinflussung wichtigster und häufigster Wahlfehler, spielte die Wahlbeeinflussung in der Weimarer Republik mit ihrem Verhältniswahlsystem keine Rolle. Das liegt vor allem daran, dass die Wahlbeeinflussung im Verhältniswahlrecht nie weiter reichen kann als die beeinflussten Stimmen; beim Mehrheitswahlrecht hingegen können wenige beeinflusste Stimmen Auswirkungen auf das gesamte Wahlergebnis haben, nämlich wenn dadurch eine Kandidatin oder ein Kandidat mit knapper Mehrheit gewählt wird.46 Stattdessen wurden Beteiligungsfehler, die im Kaiserreich in der Regel nicht vorkamen, zu Weimarer Zeiten deutlich relevanter. Beteiligungsfehler auf Seite der Wählerinnen und Wähler passierten häufig, hatten jedoch regelmäßig nie das Gewicht, um Auswirkungen auf das Wahlergebnis zu haben. Anders ist dies bei Beteiligungsfehlern auf Passivseite, also der zu Wählenden. Solche Wahlfehler können regelmäßig für das Wahlergebnis relevant sein und waren dies auch. Zwar folgerte das Wahlprüfungsgericht nicht unmittelbar aus dem Vorliegen eines Wahlfehlers in Bezug auf die zur Wahl Stehenden die Ungültigkeit der gesamten Wahl, sondern prüfte im Einzelfall. Die Nichtzulassung von Wahlvorschlägen war jedoch damals wie heute Teil der Wahlvorbereitung. Der Wahlfehler war folglich schon vor der durchgeführten Wahl bekannt. Dass durch nichtzugelassene 44
G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 31 Anm. 3, S. 210 f.; K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, S. 157 f. stellt fest, dass wenn „man die Behandlung des materiellen Wahlprüfungsrechts durch das Schrifttum seit 1919 im ganzen [überblickt], so muß man feststellen, daß seit 1919 nur eine geringe Förderung der Lehre des Wahlprüfungsrechts eingetreten ist und daß neuere Probleme, welche sich aus dem Wechsel der Staatsverfassung und der Einführung des Verhältniswahlrechts ergeben, im Schrifttum an einigen Stellen angedeutet, aber nicht durchgeführt sind.“ 45 A. Schulze, Das Reichstags-Wahlrecht, 2. Aufl. 1924, § 17 S. 206. 46 Dazu und zum Folgenden auch K. J. Ball, Das materielle Wahlprüfungsrecht – seine Entwicklung und seine Rechtsgrundsätze, 1931, S. 209.
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
Wahlvorschläge das Wahlergebnis beeinflusst wird, indem Stimmen anders abgegeben werden, dürfte auch zu Weimarer Zeiten bereits vor der Wahl festgestanden haben. Die Wahlbeeinflussung als häufigster Wahlfehler im Kaiserreich fand zwar praktisch ebenfalls vor der Wahl, spätestens aber während der Wahl, statt. Jedoch ist vor der durchgeführten Wahl nicht hinreichend klar, ob die Wahlbeeinflussung erfolgreich ist und damit Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben wird. Mithin können Wahlfehler aufgrund von Wahlbeeinflussungen erst nach der Wahl beurteilt werden, während Wahlfehler aufgrund von Beteiligungsfehlern beruhend auf Nichtzulassungen von Wahlvorschlägen bereits vor der Wahl überprüft werden können. Überlegungen bezüglich des Zeitpunkts der Wahlprüfung in Bezug auf Beteiligungsfehler wären damit schon zur Weimarer Zeit angebracht gewesen. Dieses Verständnis bildete sich allerdings in den staatstragenden Schichten der Gesellschaft, insbesondere in der akademischen Bevölkerung, die dazu beitragen sollte, dass die Verfassungsnormen umgesetzt wurden, nicht heraus. Stattdessen wiesen die führenden Schichten weitgehend eine demokratiefeindliche Grundhaltung auf.47 Bei dieser staatstragenden Mehrheit bestand kein Bedürfnis für eine Änderung der Sichtweise auf das Wahlprüfungsverfahren, lehnten sie doch die Demokratie und die damit einhergehenden Veränderungen wie den Wechsel vom Mehrheits- auf das Verhältniswahlrecht insgesamt ab.48 Eine Vielzahl sah im demokratischen System im Gegensatz zum Kaiserreich, in dem ihrer Meinung nach Einheit und Stärke vorgeherrscht haben, Zerrissenheit und Mängel.49 Dieses Misstrauen der führenden Schichten zeigte sich stark in der allgemeinen Staatsauffassung, die weiterhin etatistisch ausgerichtet war.50 Auch in der Beamtenschaft, die weitgehend dem Beamtentum des Kaiserreichs entsprach, spiegelte sich dieses Staatsbild wider, da weite Kreise der Beamtinnen und Beamten kein Verständnis für die Grundwerte der Demokratie aufwie-
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So insbesondere K. Sontheimer, VfZ 1957, S. 42 ff. W. Frotscher/B. Pieroth bezeichnen die Weimarer Republik daher als „Demokratie ohne Konsens“, Verfassungsgeschichte, 20. Aufl. 2022, Rn. 573; O. Kimminich stellt fest, dass „in den ganzen 14 Jahren seiner Existenz […] es dem Weimarer System nicht [gelang], die Legitimation zu erringen“, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. 1987, S. 531. 49 Näher W. Frotscher/B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, 20. Aufl. 2022, Rn. 574. 50 Kritisch z. B. C. Schmitt, Legalität und Legitimität, 8. Aufl. 2012, passim; O. Spann, Der wahre Staat, 4. Aufl. 1938, passim; Zeugnis für das frühe Auftreten antisemitischer Haltungen in der Weimarer Republik ist auch der sog. Borkum-Lied-Fall, OVGE Preuß. 80, 176 ff. vom 14. Mai 1925, indem eine Verbotsverfügung zum Gesang des antisemitische Teile enthaltenden Borkum-Lieds, welches regelmäßig von der Kurkapelle des Nordseebades Borkum gespielt und gesungen wurde, wieder aufgehoben wurde; zum damaligen Staatsverständnis auch W. Frotscher, Regierung als Rechtsbegriff, 1975, S. 199 f. 48
C. Zwischenergebnis
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sen oder sogar die Demokratie bewusst ablehnten.51 So überrascht es nicht, dass nicht einmal die Symbole der Weimarer Republik von der Bevölkerung akzeptiert wurden.52 Mithin bestand in großen Teilen der Bevölkerung kein Bedürfnis, aus dem Kaiserreich fortgeführte Institutionen wie die Wahlprüfung an die Weimarer Reichsverfassung und ihre Neuerungen anzupassen, sondern es wurde stattdessen im Gegensatz die Aufrechterhaltung kaiserreichlicher Institute befürwortet und proaktiv betrieben. Insgesamt wird deutlich, dass die Wahlprüfung historisch gesehen stets nach der Wahl durchgeführt wurde. Dafür sprach zum einen der Umstand, dass die Wahlprüfung ursprünglich als bloße Legitimationsprüfung des Abgeordnetenstatus zwingend nach der Wahl zu Beginn der Sitzungen stattfinden musste. Zum anderen wurde das Wahlprüfungsrecht trotz Änderung des Wahlsystems vom Mehrheitswahlsystem zum Verhältniswahlsystem nicht angepasst und bei den für eine Anpassung erforderlichen gesellschaftlichen Schichten bestand dafür kein Bedürfnis. So fehlte das Bewusstsein für die Möglichkeit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung, obwohl in der Weimarer Zeit durchaus Wahl fehler auftraten, deren Überprüfung vor der Wahl angemessen gewesen wäre.
C. Zwischenergebnis Die historische Analyse zeigt, dass die Wahlprüfung immer erst nach der Wahl durchgeführt wurde.53 Eine Auseinandersetzung mit dem Zeitpunkt einer solchen Wahlprüfung erfolgte aufgrund der ursprünglichen Ausgestaltung der 51 Zwar war die Gewährleistung einer hinreichenden Legitimation des neuen Staatssystems der Demokratie nicht Hauptaufgabe der Beamtinnen und Beamten, allerdings trug die Beamtenschaft durch ihre Weigerung der Umsetzung der demokratischen Strukturen freilich dazu bei, dass sich eine Akzeptanz für die Demokratie auch in der allgemeinen Bevölkerung nicht durchsetzen konnte, O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. 1987, S. 475 f.; prägnant auch E. Zweigert, Der Beamte im neuen Deutschland, in: B. Harms (Hrsg.), Volk und Reich der Deutschen, Bd. 2, 1929, S. 461 ff. (473): „Also von acht bis vier Uhr amtseifriger Republikaner, die übrigen sechzehn Stunden Gegner der Republik mit der Freiheit, sich als solcher zu betätigen, soweit es sich nicht gerade um Hochverrat oder Verfehlungen gegen das Republikschutzgesetz handelt!“; zur Stellung der Beamtenschaft auch W. Frotscher, Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975, S. 14 ff. 52 Prominentes Beispiel für diese ablehnende Haltung war der Flaggenstreit: Obwohl Art. 3 WRV bestimmte, dass die Reichsfarben schwarz-rot-gold sind, beharrte eine beträchtliche Zahl der Bevölkerung auf die Verwendung der alten Reichsfarben schwarz-weiß-rot, so u. a. auch der ehemalige Reichspräsident Paul von Hindenburg; näher dazu W. Frotscher/ B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, 20. Aufl. 2022, Rn. 576 ff. und O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl. 1987, S. 531 ff. 53 Treffend sprechen Hans Detlef Horn und Wolfgang Löwer in Bezug auf den Zeitpunkt
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§ 3 Historische Ursprünge der Wahlprüfung
Wahlprüfung als Legitimationsprüfung und mangels Bedürfnisses der ausführenden Amtsträgerinnen und Amtsträger in der Weimarer Republik nicht. Der Parlamentarische Rat wollte mit der kurzen und damit interpretationsbedürftigen Fassung des Art. 41 GG zukunftsoffen für sich verändernde Umstände im Bereich der Wahlprüfung sein. Dieses Ergebnis der historischen Auseinandersetzung ist mithin nicht unbedingt als zwingendes Indiz für eine nach der Wahl stattfindende Wahlprüfung zu verstehen.
der Wahlprüfung auch in Anlehnung an Max Fleischmann vom „Verfassungserbgut“, H.-D. Horn/W. Löwer, Schlechtes Erbgut, F.A.Z. Nr. 245 vom 22. Oktober 2009, S. 8.
§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags Die zentrale Regelung im Bereich des Wahlprüfungsrechts findet sich in Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG. Sie ordnet an, dass die Wahlprüfung Sache des Bundestags ist. Im Kern handelt es sich um eine Institutsgarantie des Wahlprüfungsverfahrens bei gleichzeitiger Regelung der Organzuständigkeit. Daneben drückt die Regelung des Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG die Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens aus. Für eine Bestimmung des Zeitpunkts des Wahlprüfungsverfahrens bietet die Norm hingegen kaum Anhaltspunkte. Gleichwohl gibt die Norm den verfassungsrechtlichen Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens vor und verdient aus diesem Grund nähere Betrachtung.
A. Wahlprüfung als Regelungsgegenstand Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Zeitpunkts des Wahlprüfungsverfahrens ist primär der Begriff „Wahlprüfung“ als Regelungsgegenstand von Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG. Eine Begriffsbestimmung im Sinne einer Legaldefini tion, von widerlegbaren oder unwiderlegbaren Vermutungen oder Fiktionen nimmt der Verfassungstext nicht vor. Stattdessen eröffnet Art. 41 Abs. 3 GG dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit, näheres zur Wahlprüfung zu regeln. Diesem Gesetzgebungsauftrag ist der Gesetzgeber insbesondere mit dem Wahlprüfungsgesetz nachgekommen, in dessen § 1 Abs. 1 es heißt: „Über die Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag und die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl, soweit sie der Wahlprüfung nach Artikel 41 des Grundgesetzes unterliegen, entscheidet vorbehaltlich der Beschwerde gemäß Artikel 41 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundestag.“
§ 1 Abs. 1 WahlPrüfG führt damit zwei Varianten an – zum einen die Prüfung der Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag und zum anderen die Prüfung von Verletzungen von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl –, in denen der Bundestag eine Wahl auf Fehler prüfen kann. Nichtsdestotrotz setzen die wenigen Autoren, die sich um eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wahlprüfung bemühen, den verfassungsrechtlichen Begriff der
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§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags
Wahlprüfung noch immer mit der Überprüfung der Gültigkeit der Wahl gleich, obwohl nur § 1 Abs. 1 WahlPrüfG und nicht Art. 41 GG von Gültigkeit spricht.1 Eine Differenzierung zwischen einer Wahlgültigkeits- und Wahlrechtmäßigkeitsprüfung ist für die Konkretisierung des in Art. 41 GG normierten Begriffs der Wahlprüfung also weder hilfreich noch maßgeblich, sondern unzulässig.2 Andere sehen in § 1 Abs. 1 WahlPrüfG sogar eine Legaldefinition des Begriffs der Wahlprüfung durch den einfachen Gesetzgeber.3 Das mag für das einfache Recht zwar stimmen, ist für das hier vorzunehmende Begriffsverständnis der Wahlprüfung als Verfassungsbegriff aber nicht relevant. Stattdessen muss am Begriff der Wahlprüfung aus dem Verfassungstext des Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG festgehalten werden, das einfache Recht kann höchstens ein Indikator für ein bestimmtes Begriffsverständnis sein.
I. Bedeutungsgehalt des Begriffs der „Wahlprüfung“ Die allgemeinen juristischen Definitionen des Begriffs „Wahlprüfung“ helfen regelmäßig nicht weiter und gehen teilweise diffus auseinander. So versteht Gerhard Köbler unter der Wahlprüfung die Überprüfung der Wahl auf ihre Rechtmäßigkeit.4 Das juristische Wörterbuch von Klaus Weber stellt hingegen heraus, dass es sich um ein Verfahren handele, „in dem über die Gültigkeit der Wahl einer Vertretungskörperschaft oder eines einzelnen Abgeordneten entschieden wird.“5 Nicht auf die aktuelle Rechtslage angepasste juristische Wörterbücher beziehen sich hingegen noch immer ausschließlich auf die Gültigkeit der Wahl.6 Der Bundeswahlleiter stellt in dem auf seiner Internetseite befind lichen Wahllexikon darauf ab, dass die Wahlprüfung dazu diene, „die Gültigkeit einer Bundestagswahl sowie die Verletzung subjektiver Rechte im Wahlverfah-
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Das mag daran liegen, dass § 1 Abs. 1 WahlPrüfG zum Teil als verfassungskonforme Konkretisierung des aus Art. 41 GG folgenden Begriffs der Wahlprüfung verstanden wird, so nur H.-P. Schneider, in: E. Denniger/W. Hoffmann-Riem/ders./E. Stein (Hrsg.), AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 41 (August 2002) Rn. 2. 2 So aber B.-D. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, 1970, S. 53 f.; ebenfalls ablehnend schon H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 202 f. 3 U. a. W. Schreiber, DVBl. 2010, S. 609 ff. (609). 4 G. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 18. Aufl. 2022, Stichwort „Wahlprüfung“, S. 542. 5 K. Weber, in: ders. (Hrsg.), Rechtswörterbuch, 29. Ed. 2022, Stichwort „Wahlprüfung“. 6 Siehe nur J. Alpmann/R. Krüger/H. Wüstenbecker, Brockhaus Studienlexikon Recht, 4. Aufl. 2014, Stichwort „Wahlprüfung“, S. 1311, welches zwar von 2014 ist, aber dennoch auf die Rechtslage von vor 2012 Rekurs nimmt, und W. Schmitt Glaeser, Stichwort „Wahlprüfung“, in: H. Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, 2. Aufl. 1992, S. 1218.
A. Wahlprüfung als Regelungsgegenstand
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ren zu prüfen“.7 Das alleinige Abstellen auf die Rechtmäßigkeit und die Gültigkeit der Wahl entspricht hierbei wie gezeigt nicht dem zulässigen Verständnis des Begriffs und trägt so auch nichts zur Festlegung des Zeitpunkts der Wahlprüfung bei. Betrachtet man den Begriff der Wahlprüfung aus Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG näher, so drängt sich die vertiefte Auseinandersetzung mit den beiden Begriffs teilen des Wortes „Wahlprüfung“ auf. 1. Möglichkeit von Zwischenprüfungen Der Bestandteil „Prüfung“, dem das Verb „prüfen“ zugrunde liegt, beinhaltet die dem Begriff der Wahlprüfung zugrundeliegende Handlung und ist daher maßgeblich für das Verständnis der Wahlprüfung. Dem Verb „prüfen“ kommen verschiedene Bedeutungen in der allgemeinsprachlichen Verwendungsweise zu. Relevant für den hier vorliegenden Kontext sind insbesondere folgende: Prüfen kann das Kontrollieren eines Sachverhalts im Hinblick auf die Richtigkeit oder Akzeptabilität bedeuten.8 Daneben kann unter dem Begriff „prüfen“ auch verstanden werden, dass eine Probe gemacht wird, etwas auf seine Brauchbarkeit untersucht wird oder versucht wird, jemandes Kenntnisse festzustellen.9 In wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet Prüfung vor allem einen „Überwachungsprozess, bei dem Tatbestände, Sachverhalte, Eigenschaften oder Aussagen über diese (Istobjekte) mit geeigneten Bezugsgrößen (Sollobjekten) verglichen und eventuelle Abweichungen beurteilt werden; der Prüfer darf an der Herbeiführung der Istobjekte nicht selbst direkt oder indirekt beteiligt gewesen sein (Prozessunabhängigkeit) […]. [Eine] Prüfung ist stets zweckgerichtet.“10
Bei einer Prüfung geht es folglich immer darum, dass ein Zustand beziehungsweise ein Prozess an einem Idealzustand gemessen und mit diesem abgeglichen wird. So kommt es zu einem Kontrollvorgang. Um diese Kontrolle durchführen zu können, muss der zu prüfende Zustand zeitlich gesehen auf dem Stand des 7 Der Bundeswahlleiter (Hrsg.), Wahl-Lexikon, Stichwort „Wahlprüfung“ abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/service/glossar/w/wahlpruefung.html (7. Mai 2023). 8 Redaktion des Dudens (Hrsg.), Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019, Stichwort „prüfen“, S. 1417; in diese Richtung ebenfalls Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft (Hrsg.), Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache, Stichwort „prüfen“, abrufbar unter https://www.dwds.de/wb/prüfen (7. Mai 2023). 9 W. Pfeifer, Ethymologisches Wörterbuch des Deutschen, digitalisierte Version der 2. Aufl. 1993, Stichwort „prüfen“, abrufbar unter https://www.dwds.de/wb/etymwb/prüfen (7. Mai 2023). 10 V. Beek, Stichwort „Prüfung“, in: Springer Gabler Verlag (Hrsg.), Gabler Wirtschaftslexi kon, abrufbar unter https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/pruefung-43271 (7. Mai 2023).
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§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags
theoretischen Idealzustandes sein. Der Istzustand muss also dem Zeitpunkt des Sollzustands entsprechen. Damit muss der Istzustand bereits erfolgt sein. Das kann auf den ersten Blick implizieren, dass eine Prüfung nur nach Abschluss des gesamten Prozesses und damit nachträglich erfolgen kann. Diese Nachträglichkeit der Prüfung muss auch auf den zweiten Blick bestehen, denn verglichen werden können schließlich nur bereits erfolgte Prozesse. Jedoch bedeutet eine Prüfung gleichzeitig nicht, dass ein Zustand nur einmal und dann bei Abschluss geprüft werden darf. Es muss sich bei dem zu prüfenden Zustand gerade nicht zwingend um einen im Gesamten abgeschlossenen Prozess handeln. Stattdessen sind bei abtrennbaren Phasen auch Prüfungen als „Zwischenprüfungen“ nach Abschluss der verschiedenen Phasen denkbar. Ein Prozess kann so mehreren Prüfungen unterliegen, die sich immer auf verschiedene Phasen beziehen. Natürlich ist dadurch eine „Endprüfung“ nach Abschluss nicht ausgeschlossen. Ein alleiniges Verständnis des Begriffs der „Prüfung“ als Endprüfung ist aber nicht zwingend und greift zu kurz. 2. Wahl als Prozess verschiedener Phasen Objekt dieser Prüfung ist die Wahl. Hierunter versteht das Bundesverfassungsgericht eine Abstimmung, durch die eine oder mehrere Personen aus einem größeren Personenkreis ausgelesen werden.11 Gerhard Köbler präzisiert diese Abstimmung als Entscheidung, die insbesondere zur Berufung eines Menschen zu einer Aufgabe führt.12 Weiter verstanden wird die Wahl von Eckhard Jesse, der sie in einem umfassenden Sinn begreifen möchte: „Dem eigentlichen Wahlakt ist die Kandidatenpräsentation vor- und die Stimmverwertung nachgeschaltet.“13 Als Wahl wird damit nicht nur der Akt der Stimmabgabe, sondern im Vorfeld die Wahlvorbereitung inklusive der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten sowie im Nachgang zur Wahl die Stimmenauswertung verstanden.14 Die Wahl ist damit ein Prozess, der aus mehreren Phasen – zurückgehend auf Hans Meyer nämlich der Organisation der Wahlberechtigten, der Organisation der 11
BVerfGE 47, 253 (276). G. Köbler, Juristisches Wörterbuch, 18. Aufl. 2022, Stichwort „Wahl“ S. 541. 13 E. Jesse, Stichwort „Wahlen“, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 7. Aufl. 1989, Bd. 5, Sp. 830. 14 Ebenso u. a. S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 77; H.-H. Trute, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 26; M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 52; durch seine Untergliederung des Beitrags in Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren sowie Wahlergebnis indirekt auch W. Schreiber, Wahlkampf, Wahlrecht, Wahlverfahren, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 12. 12
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Wahlbewerbung, der Organisation des Wahlaktes und der Organisation der Stimmenwertung einschließlich der Feststellung des Wahlergebnisses und der endgültigen Bestimmung der Gewählten – besteht.15 Diese verschiedenen Phasen, die zwar ineinander übergehen und einander beeinflussen, aber dennoch in sich abgeschlossen sind, unterliegen nach Art. 41 GG der Prüfung. Aufgrund ihrer Abgeschlossenheit sind demnach Zwischenprüfungen für die einzelnen Phasen aufgrund des hier zugrunde gelegten Verständnisses des Begriffs der „Prüfung“ möglich, ebenso wie auch eine Endprüfung am Ende des Wahlverfahrens. 3. Fazit Art. 41 GG spricht nur vom weiten, nicht näher definierten Begriff der Wahlprüfung. Nach der hier zugrunde gelegten Begriffsbestimmung ist für eine Prüfung zwar der Abschluss der zu überprüfenden Handlung nötig, allerdings besteht bei in Phasen abgrenzbaren Prozessen die Möglichkeit von Zwischenprüfungen. Ein solcher aus Phasen bestehender Prozess ist die Wahl, die in Wahlvorbereitung (Organisation der Wahlberechtigten und der Wahlbewerbung), Wahldurchführung (Organisation des Wahlaktes) und Wahlnachbereitung (Organisation der Stimmenwertung) unterteilt werden kann. Diese Phasen der Wahl können damit eigenständigen Prüfungen unterliegen. Eine Prüfung von Wahlvorbereitungshandlungen, zu denen die (teilweise) Ablehnung einer Landesliste einer Partei gehört, ist folglich im Sinne der hier erfolgten Definition nach Abschluss der Handlung, also unmittelbar nach der ablehnenden Entscheidung und mithin bereits vor der Wahl möglich.
II. Indizien zum Begriffsverständnis aus dem Wahlprüfungsgesetz Ergänzend zu diesem bereits aus dem Verfassungstext folgenden Verständnis kann das Wahlprüfungsgesetz herangezogen werden. § 1 Abs. 1 WahlPrüfG beschreibt den Begriff der Wahlprüfung einfachgesetzlich, § 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG legt die Einspruchsfrist fest. Der Rückgriff auf einfaches Recht zur Bestimmung eines im Verfassungsrecht festgesetzten Begriffs ist in systematischer Hinsicht stets problembehaftet: So kann einfaches Recht regelmäßig nicht maßgeblich für ein bestimmtes Begriffsverständnis sein.16 Nichtsdestotrotz stellt einfaches Recht einen wichtigen 15 H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 45 Rn. 17. 16 Stattdessen muss aufgrund von Art. 1 Abs. 3 GG eine einfachrechtliche Norm im Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden, nicht aber eine Verfassungsnorm im Einklang
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Indikator für ein verfassungsrechtliches Begriffsverständnis dar, sodass es hilfreich ist, sich mit diesem näher auseinanderzusetzen. 1. Gültigkeit als nicht zwingend nachträgliche Kontrolle § 1 Abs. 1 WahlPrüfG stellt zunächst auf die Gültigkeit der Wahl ab. Nach allgemeinem Begriffsverständnis liegt Gültigkeit bei rechtlicher, gesetzlicher oder ähnlicher Anerkennung und entsprechender Wirksamkeit vor.17 Ebenso kann man darunter verstehen, dass etwas aufgrund von Regeln beziehungsweise Gesetzmäßigkeiten zutreffend, wirksam oder anwendbar ist.18 Auch kann „gültig“ geltend, in Gebrauch befindlich, amtlich anerkannt oder wirksam bedeuten.19 Zu unterscheiden ist die Gültigkeit damit von der Rechtmäßigkeit. Diese Unterscheidung ist aus dem Verwaltungsrecht bekannt, in dem zwischen dem rechtmäßigen beziehungsweise rechtswidrigen sowie dem wirksamen beziehungsweise unwirksamen Verwaltungsakt unterschieden wird; Wirksamkeit wird dort mit Gültigkeit gleichgesetzt.20 Im Verwaltungsrecht existieren damit spiegelbildliche Gegensatzpaare: Ein Verwaltungsakt ist entweder rechtmäßig oder rechtswidrig, er kann daneben aber auch wirksam oder unwirksam sein. Das Vorhandensein des einen Faktors hat keinen Einfluss auf das Vorhandensein des anderen Faktors. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann daher aufgrund von § 43 Abs. 2 und 3 VwVfG gleichwohl wirksam sein. Im Wahlprüfungsrecht hingegen kann eine Differenzierung zwischen Rechtmäßigkeit und mit dem einfachen Recht, dazu K. Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 305. Anders ist dies ausnahmsweise in Bezug auf den Parteibegriff aus Art. 21 Abs. 1 GG: Dort ist allgemein anerkannt, dass das einfache Recht (§ 2 Abs. 1 ParteiG) den aus dem Verfassungstext des Art. 21 Abs. 1 GG folgenden Parteibegriff in verfassungsmäßiger Hinsicht konkretisiert, statt aller nur BVerfGE 24, 260 (263 f.) sowie H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 21 Rn. 9. Eine solche Ausnahme besteht für den Begriff der Wahlprüfung nicht. § 1 Abs. 1 WahlPrüfG ist damit anders als L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 41 Rn. 1 annimmt, keine den Begriff der Wahlprüfung konkretisierende Legaldefinition. Auch kann § 1 Abs. 1 WahlPrüfG nicht als deklaratorische Wiederholung des Regelungsinhalts von Art. 41 Abs. 1 GG verstanden werden, so aber H. Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, 2012, § 1 Rn. 1. 17 Redaktion des Dudens (Hrsg.), Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. 2019, Stichwort „gültig“, S. 782. 18 Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft (Hrsg.), Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache, Stichwort „gültig“, abrufbar unter https://www.dwds.de/wb/gültig (7. Mai 2023). 19 W. Pfeifer, Ethymologisches Wörterbuch des Deutschen, digitalisierte Version der 2. Aufl. 1993, Stichwort „gültig“, abrufbar unter https://www.dwds.de/wb/etymwb/gültig (7. Mai 2023). 20 Dazu und zum Folgenden auch schon H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 203.
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Gültigkeit anders als im Verwaltungsrecht nicht vorgenommen werden. Denn im Wahlprüfungsrecht gibt es keine eigenständige Relevanz der Rechtmäßigkeit. Stattdessen fragt die Wahlprüfung nur danach, ob die Wahl fehlerbehaftet war und deswegen ungültig ist. Ein Wahlfehler ist dann gegeben, wenn ein Verstoß gegen zwingende Wahlvorschriften vorliegt und sich dieser Verstoß auf die Wahlvorbereitung, die Wahlhandlung oder die Feststellung des Wahlergebnisses bezieht.21 Zudem müssen sich Wahlfehler auf die konkrete Mandatsverteilung im Bundestag auswirken, sie müssen mithin kausal für das dem Willen der Wählerinnen und Wähler nicht entsprechende Wahlergebnis sein.22 Das mag zwar ein Bedürfnis für eine qualifizierte Rechtsbeeinträchtigung implizieren 23, ist aber abzugrenzen von einer Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit, die im Bereich der Wahlprüfung also gerade nicht erforderlich ist. Gültigkeit im Bereich der Wahlprüfung und damit die Wirksamkeit der Wahl als solche liegt vor, sobald kein mandatsrelevanter Wahlfehler gegeben ist.24 Wichtigstes Kriterium für die Gültigkeit der Wahl ist damit die Mandatsrelevanz des Wahlfehlers. Dieses Kriterium lässt die Notwendigkeit der Durchführung der Wahl vermuten, denn Wahlfehler sind danach nur dann zu beachten, wenn sie auf die Zusammensetzung der zu wählenden Abgeordneten im Bundestag Einfluss haben oder begründeterweise haben können. Jedoch reicht für die Feststellung der Mandatsrelevanz bereits eine potenzielle Kausalität aus.25 Sie liegt dann vor, wenn es nach allgemeiner Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich erscheint, dass ein Wahlfehler Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments hat.26 Dafür muss eine entsprechende Prognoseentscheidung gefällt werden, für die Vermutungen, Spekulationen und bloß theore21
Begründet durch H. Rechenberg, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (Zweitbearbeitung, April 1978) Rn. 21; ihm folgend statt vieler nur H. H.Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 103. 22 BVerfGE 4, 370 (372 f.); BVerfGE 29, 154 (165); zudem auch P. Karpenstein, Die Wahlprüfung und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen, 1962, S. 86 ff., der jedoch nicht von Mandatsrelevanz, sondern von einer Erheblichkeitsprüfung spricht; siehe zu anderen Verständnissen der Mandatsrelevanz zusammenfassend C. Koenig, ZParl 1994, S. 241 ff. (243 ff.); kritisch zum Grundsatz der Mandatsrelevanz I. S. Hong, Verfassungsprobleme der innerparteilichen Kandidatenaufstellung für die Wahl zum Deutschen Bundestag, 2005, S. 115 ff.; H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 91; H.-P. Schneider, in: E. Denniger/W. Hoffmann-Riem/ ders./E. Stein (Hrsg.), AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 41 (August 2002) Rn. 3 f. 23 H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 203. 24 Ebenso P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 23. 25 BVerfGE 35, 300 (302); BVerfGE 40, 11 (29); BVerfGE 121, 266 (310). 26 Statt vieler nur H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 109.
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tische oder rechnerische Möglichkeiten nicht ausreichen.27 Wenn aber für das Vorliegen der Mandatsrelevanz eine bloß potenzielle Kausalität ausreichen soll, handelt es sich bei dem Kriterium der Mandatsrelevanz selbst um ein ungewisses Kriterium unabhängig vom Zeitpunkt der Bestimmung der Mandatsrelevanz. Denn auch nach der durchgeführten Wahl bleiben Aussagen darüber, wie die Wählerinnen und Wähler ohne Vorliegen des Wahlfehlers gewählt hätten, meist reine Spekulation.28 Für die in dieser Arbeit im Fokus stehenden Wahlfehler bei der Zulassung von Landeslisten wird man allerdings regelmäßig eine Mandatsrelevanz annehmen können. Es ist davon auszugehen, dass die (teilweise) Nichtzulassung von Landeslisten andere Wahlergebnisse hervorrufen wird als die Zulassung der abgelehnten Kandidatinnen und Kandidaten oder Landeslisten. Möglich ist natürlich, dass die Partei auch bei Antreten mit einer Landesliste keine Mandate errungen hätte; sicher ist in dieser Konstellation aber, dass andere Parteien bei Zulassung weiterer konkurrierender Parteien weniger Stimmen erlangt hätten und sich das Stimmenergebnis so verschoben hätte.29 Eine wahrscheinliche Beeinflussung des Wahlergebnisses liegt also stets vor. Wenn also die Bestimmung der Mandatsrelevanz sowohl vor als auch nach der Wahl ein ungewisses Kriterium ist und in den hier relevanten Fällen bereits von vornhinein feststeht, dass eine ausreichende potenzielle Mandatsrelevanz bestehen wird, ist die Gültigkeit der Wahl bei Ablehnung einer Landesliste stets betroffen. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, muss die Wahl nicht zwingend durchgeführt worden sein; potenzielle Ungültigkeit kann daher schon bereits vor der durchgeführten Wahl vorliegen. Der Begriff der Gültigkeit schließt eine vor der Wahl befindliche Wahlprüfung daher nicht aus. 2. Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl Selbst wenn der Begriff der Gültigkeit doch so verstanden werden sollte, dass eine Wahl notwendigerweise durchgeführt werden muss, um eine Gültigkeitsprüfung der Wahl anstoßen zu können, so kann § 1 Abs. 1 WahlPrüfG nicht mehr so verstanden werden, dass im Wahlprüfungsverfahren allein über die Gültigkeit der Wahl entschieden wird. Denn § 1 Abs. 1 WahlPrüfG bietet seit 2012 die weitere Möglichkeit, dass im Wahlprüfungsverfahren ebenfalls über die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl 27 BVerfGE 89, 291 (304); W. Schreiber, Wahlprüfungsrecht bei Bundestagswahlen, in: B.-R. Kern/H. Lilie (Hrsg.), Jurisprudenz zwischen Medizin und Kultur, FS Fischer, 2010, S. 423 ff. (439). 28 So ebenfalls M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1158); M. Morlok, Fehlerbehebung ausgeschlossen?, F.A.Z. Nr. 249 vom 27. Oktober 2009, S. 36 und T. Koch, DVBl. 2000, S. 1093 ff. (1096); a. A. J. Kloos/C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (10). 29 In diese Richtung auch M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1158).
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gestritten werden kann. Damit bezieht § 1 Abs. 1 WahlPrüfG nunmehr ausdrücklich Wahlfehler, die vor der Wahl erfolgen, als zu untersuchende Gegenstände in die Wahlprüfung mit ein. Fehler, die bei der Zulassung von Landeslisten auftreten können und damit in den Zeitraum der Vorbereitung fallen, sind also ausdrücklich umfasst. Allerdings enthält § 1 Abs. 1 WahlPrüfG eine Einschränkung: Es kann danach nur die Verletzung solcher Rechte bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl geltend gemacht werden, die wiederum der Wahlprüfung nach Art. 41 GG unterliegen. Mit diesem Verweis auf Art. 41 GG sollte bewirkt werden, dass nur wahlrechtsrelevante Fehler im Vorfeld von Wahlen der Wahlprüfung unterfallen.30 Das ist insofern irritierend, als dass § 1 Abs. 1 WahlPrüfG wegen Art. 41 Abs. 3 GG den Begriff der Wahlprüfung aus Art. 41 GG näher bestimmen sollte und dies durch die Aufzählung zweier Varianten, in denen der Bundestag und darauffolgend das Bundesverfassungsgericht über Wahlfehler entscheidet, auch tatsächlich tut. Es handelt sich also um einen nicht notwendigen Kreisverweis31, aus dem im Umkehrschluss also folgt, dass wahlrechtsrelevante Rechtsverstöße im Vorfeld der Wahl von der Wahlprüfung umfasst sein sollen. Neutral verhält sich § 1 Abs. 1 WahlPrüfG grundsätzlich zum Zeitpunkt, wann genau diese Fehler einer Wahlprüfung unterzogen werden können. Da die Norm allerdings erfordert, dass die geltend zu machenden Verletzungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahlprüfung nach Art. 41 GG unterliegen, muss der in § 1 Abs. 1 WahlPrüfG zugrunde gelegte Zeitpunkt der Wahlprüfung dem bereits für Art. 41 GG ermittelten Zeitpunkt der Wahlprüfung entsprechen. Da der Begriff der Wahlprüfung aus Art. 41 GG – wie eben festgestellt – die Möglichkeit von Zwischenprüfungen, die nach abgeschlossenen Phasen bereits vor der durchgeführten Wahl erfolgen können, umfasst32 , muss gleiches auch für den einfachgesetzlichen Begriff der Wahlprüfung in § 1 Abs. 1 WahlPrüfG gelten. Dieses Ergebnis wird ebenfalls durch den allgemeinen Grundsatz gestützt, dass einfaches Recht stets im Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden muss.
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BT-Drs. 17/9733, S. 4. Denn Art. 41 GG beinhaltet nämlich wie gezeigt explizit keine näheren Hinweise, was unter der Wahlprüfung zu verstehen ist und verweist stattdessen in Art. 41 Abs. 3 GG auf den einfachen Gesetzgeber zur näheren Ausgestaltung. Dieser hingegen verweist in § 1 Abs. 1 WahlPrüfG wiederum auf Art. 41 GG, den § 1 Abs. 1 WahlPrüfG eigentlich näher bestimmen soll, da Art. 41 GG keine eigene Definition der Wahlprüfung enthält. 32 Dazu siehe oben § 4 A. I. 31
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3. Kein Entgegenstehen von § 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG Der Einspruch gegen die Bundestagswahl aufgrund eines Wahlfehlers muss nach § 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG binnen zwei Monaten nach dem Wahltag eingehen. Hierbei handelt es sich um ein klar terminiertes Fristende, das zwingend zwei Monate nach dem Wahltag liegt.33 Der Beginn der Frist ist hingegen nicht unmittelbar eindeutig bestimmt. Einerseits könnte man überlegen, ob die Norm impliziert, dass der Wahleinspruch jedenfalls immer nach dem Wahltag erfolgen muss. Andererseits muss der Einspruch nur binnen zwei Monate nach dem Wahltag eingehen, eine vorzeitige Einlegung wird ausdrücklich nicht ausgeschlossen, denn von einem Fristbeginn wird nicht gesprochen.34 Daher kann die Norm durchaus so verstanden werden, dass auch ein Einspruch vor dem Wahltag zulässig ist. Zudem ist die einfachgesetzliche Frist von zwei Monaten kein verfassungsrechtlich vorgegebenes Kriterium und eine verfassungsrechtliche Vorgabe zur Einspruchsfrist enthält das Grundgesetz nicht. Die Einlegung des Einspruchs ist also auch schneller beziehungsweise früher möglich.35 Das zeigt nicht zuletzt die ursprünglich nur einen Monat betragende Einspruchsfrist, die erst 1993 auf zwei Monate verlängert wurde.36 Auch ist – unter Annahme eines Fristbeginns 33 Für eine beispielhafte Fristberechnung siehe H. Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, 2012, § 2 Rn. 9. 34 Im Gegensatz dazu zum Beispiel die Beschwerdefrist für die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, bei der in § 93 Abs. 1 S. 2 BVerfGG normiert wird „Die Frist beginnt mit“ und damit ausdrücklich auf den Fristbeginn abgestellt wird. Dafür spricht auch die Regelung zum Beginn der Einspruchsfrist in Sachsen-Anhalt, wonach der Einspruch „spätestens“ einen Monat nach Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses im Ministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt eingelegt werden muss, § 3 Abs. 2 WahlPrüfG Sachs.-Anh., zur Wahlprüfung in Sachsen-Anhalt vertiefend auch F. Michl, Sachsen-Anhalt, in: R. Kaiser/ders. (Hrsg.), Landeswahlrecht, 2020, § 17, S. 401 ff. (423 f.) und A. Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, 2. Aufl. 2004, Art. 44 Rn. 1, 4; anders aber BT-Drs. 12/ 4842, S. 11, wonach mit dem Wahltag „der Beginn der Frist auf einen für alle Bürger erkennbaren Stichtag festgelegt wird“. 35 So auch P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021 § 49 Rn. 27, der eine kürzer bemessene Einspruchsfrist auch im Hinblick auf die Verfahrensdauer der Wahlprüfung begrüßen würde. 36 Art. 9 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, BGBl. I 1993, S. 1442 ff. (1445); zudem beträgt die Einspruchsfrist nur zwei Wochen für Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern (§ 35 Abs. 1 S. 1 LKWG M-V), im Saarland (§ 46 Abs. 6 LWahlG Saarl.) und in Schleswig-Holstein (§ 44 Abs. 1 S. 1 LWahlG S-H), einen Monat für Wahlen in Baden-Württemberg (§ 3 Abs. 2 WahlPrüfG BW), Bayern (Art. 53 LWahlG Bay.), Berlin (§ 40 Abs. 4 S. 1 VerfGHG Berl.), Bremen (§ 47 Abs. 3 S. 1 LWahlG Brem.), Hessen (§ 7 Abs. 1 S. 2 WahlPrüfG Hess.), Niedersachsen (§ 3 WahlPrüfG Nds.), Nordrhein-Westfalen (§ 2 Abs. 1 S. 1 WahlPrüfG NRW), Rheinland-Pfalz (§ 3 Abs. 3 WahlPrüfG Rh.-Pf.), Sachsen (§ 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG Sachs.) und Sachsen-Anhalt (§ 3 Abs. 2 Wahl-
A. Wahlprüfung als Regelungsgegenstand
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erst ab dem Wahltag – die Zulässigkeit eines vorher erhobenen Einspruchs anerkannt.37 Daher ist das bestehende Einspruchsfristerfordernis von binnen zwei Monaten nach dem Wahltag letztlich kein Hindernis für eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung. 4. Fazit Beide Varianten, die § 1 Abs. 1 WahlPrüfG als nähere Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Begriffs der Wahlprüfung beinhaltet, sprechen ihrem Wortlaut nach für eine bereits vor der Wahl mögliche Wahlprüfung. Zwar ist die Gültigkeitsprüfung aufgrund ihres Normwortlauts vor der Wahl auf bestimmte Wahlfehler begrenzt, deren Mandatsrelevanz schon im Vorfeld der Wahl mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht. Zu diesen Wahlfehlern zählen allerdings die in dieser Arbeit betrachteten Fehler bei der Zulassung von Landeslisten durch die jeweils zuständigen Wahlorgane. Selbst wenn der Begriff der Gültigkeit mehr als Indikator für eine Nachträglichkeit der Wahlprüfung verstanden werden sollte, führt die zulässige Geltendmachung von Verletzungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl zu einer bereits vor der Wahl möglichen Wahlprüfung für Wahlfehler in Bezug auf die Zulassung von Landeslisten. Auch steht einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung nicht zwingend die Einspruchsfrist des § 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG entgegen. Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass der Begriff der Wahlprüfung als Regelungsgegenstand sowohl nach dem verfassungsrechtlichen als auch nach dem einfachgesetzlichen Verständnis eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung für Wahlfehler im Vorfeld der Wahl nicht ausschließt.
PrüfG Sachs.-Anh.) sowie sechs Wochen in Brandenburg (§ 2 Abs. 1 S. 1 WahlPrüfG Brandenb.) und in Thüringen (§ 52 Abs. 1 S. 1 LWahlG Thür.). Nur Hamburg hat wie auf Bundes ebene eine Einspruchsfrist von zwei Monaten normiert, § 4 Abs. 1 S. 1 WahlPrüfG Hmb. 37 H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 41 Rn. 6 und indirekt auch P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 91, der feststellt, dass „bei verfrühten Eingängen […] seitens des Wahlprüfungsausschusses darauf aufmerksam gemacht und eine fristgerechte Einlegung anheimgestellt [wird]“; a. A. aber die ständige Praxis des Bundestags, die aber maßgeblich geleitet ist durch das derzeitige Verständnis einer bloß nachträglichen Wahlprüfung.
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B. Grundgesetzliche Vorgaben bezüglich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen altem und neuem Bundestag Zuständig für die Wahlprüfung ist nach Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG der Bundestag als Handlungsträger. Gemeint kann mit dieser Zuschreibung nur das kontinuierliche Organ „Bundestag“ unabhängig von seiner konkreten Besetzung sein, andernfalls müsste die Allgemeingültigkeit der Norm in Frage gestellt werden. Maßgeblich dafür, in welcher Zusammensetzung des Bundestags entschieden wird, ist damit stets der Zeitpunkt der Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens. Das Grundgesetz enthält insbesondere in Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG mit den dortigen Regelungen zum Zusammentritt des neuen Bundestags wie auch mit dem zwar verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich normierten, aber dennoch allgemein anerkannten Grundsatz der Diskontinuität38 Vorgaben bezüglich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen neuem und altem Bundestag.
I. Zusammentritt des neuen Bundestags, Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG Der Zusammentritt des neuen Bundestags und das damit verbundene gleichzeitige Ende des Bestands des alten Bundestags haben keine Auswirkungen auf eine Wahlprüfung vor der Bundestagswahl. Zwar geht Philipp Austermann davon aus, dass eine Wahlprüfung durch das vorausgegangene Parlament schon deswegen ausscheiden müsse, da sich der neugewählte Bundestag so lange nicht konstituieren könne, denn mit der Neukonstituierung nach Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG ende die Legitimität des alten Bundestags.39 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen: Im Zeitpunkt nach der Wahl ist es selbstverständlich, dass der alte 38 Zweifelnd an der Angemessenheit des Begriffes „Grundsatz“ in Bezug auf die Diskontinuität aber L. Michael, Folgen der Beendigung: Elemente der Diskontinuität und Kontinuität, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 25; ausführlich zur Diskontinuität als Rechtsbegriff J. Jekewitz, Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, 1977, S. 17 ff.; zur hier nicht entscheidenden, aber umstrittenen Herleitung des Grundsatzes der Diskontinuität unter dem Grundgesetz u. a. H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 39 (März 2022) Rn. 68 und W. Leinemann, JZ 1973, S. 618 ff. (620 ff.), jew. m. w. N.; zum Nutzen der Diskonti nuität zwischen Legislaturperioden U. Scheuner, DÖV 1965, S. 510 ff.; zum Einfluss des En des der Wahlperiode des Bundestags auf vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren J. Jekewitz, DÖV 1976, S. 657 ff. (in Bezug auf die Wahlprüfung insb. S. 657 ff.); die Vor- und Nachteile der Diskontinuität aufzeigend L.-A. Versteyl, DVBl. 1973, S. 161 ff. (162 ff.). 39 P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg,), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 10; zum möglichen zeitlichen Ablauf des Wahlprüfungsverfahrens im Zeitpunkt vor der Bundestagswahl siehe unten § 7.
B. Grundgesetzliche Vorgaben bezüglich der Zuständigkeitsabgrenzung
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Bundestag nicht mehr für eine Wahlprüfung zuständig sein kann. Allerdings passt die Argumentation Philipp Austermanns nicht zum hier diskutierten Vorschlag, eine Wahlprüfung durch den Bundestag bereits im Vorfeld der Bundestagswahl durchzuführen. Denn der Autor nimmt die hier angeregte Lösung einer Wahlprüfung durch den Bundestag im Zeitpunkt vor der Bundestagswahl gerade nicht in den Blick, sondern bezieht sich ausschließlich auf eine Wahlprüfung durch den alten Bundestag im Zeitraum nach der Bundestagswahl. Sein Einwand ist demnach für die hier relevante Konstellation nicht weiter zu berücksichtigen. Zuständig für die Wahlprüfung ist unabhängig vom konkreten Zeitpunkt der Wahlprüfung immer der jeweils aktuell gewählte und damit im Vorfeld der Wahl der bestehende Bundestag.40 Daraus ergibt sich keine Konkurrenz des bestehenden Bundestags mit dem neu gewählten Bundestag um die Zuständigkeit für die Wahlprüfung vor der Bundestagswahl.41 Schließlich fand eine Neuwahl noch nicht statt, somit ist ein neuer Bundestag zum Zeitpunkt der Wahlprüfung vor der Wahl noch nicht gewählt und kann rein praktisch gesehen keine Wahlprüfung vornehmen. Der Zusammentritt des neuen Bundestags nach Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG steht einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung nicht entgegen.
II. Diskontinuitätsgrundsatz Denkbar wäre auch, dass der Grundsatz der Diskontinuität eine Wahlprüfung vor der Wahl durch den bestehenden Bundestag ausschließt. Schließlich entscheidet der bestehende Bundestag durch eine Wahlprüfung vor der Wahl über die Zusammensetzung des neu zu wählenden Bundestags, worin nach erstem Anschein eine Grenzüberschreitung in Bezug auf den Grundsatz der Diskontinuität liegen könnte. Der Diskontinuitätsgrundsatz beschreibt jedoch nicht – wie häufig assoziiert – die rechtliche Unterbrechung der Tätigkeit des Bundestags, die mit dem Ablauf der Wahlperiode verbunden ist; diese Unterbrechung 40 Das dürfte auch zumindest indirekt im Sinne Philipp Austermanns sein, indem er für den Zeitpunkt nach der Wahl ausschließlich den neu gewählten Bundestag für zuständig erklärt, P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 10. 41 Etwas anderes gilt auch nicht für den Zeitpunkt nach der Wahl bis zur Neukonstituierung des Bundestags, denn der neue Bundestag ist nicht bereits unmittelbar nach der Wahl im Amt, sondern erst durch seine konstituierende Sitzung, sodass bis dahin der vorherige Bundestag im Amt ist und alle regulären Parlamentstätigkeiten ausübt. Eine parlamentslose Zeit besteht daher nicht, dazu statt aller L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 39 Rn. 10 ff. und U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 39 Rn. 26 ff.
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lässt sich bereits aus der Periodizität aus Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG ableiten.42 Die Frage, ob Kontinuität oder Diskontinuität vorliegt, betrifft einzig den Umstand, ob das neu gewählte Parlament die Tätigkeit des vorherigen Parlaments fortsetzen kann oder ob es zu einem Neubeginn seiner Tätigkeit angehalten wird.43 Fraglich ist daher zuerst, ob die Wahlprüfung überhaupt dem Diskontinuitätsgrundsatz unterfällt. Inhaltlich umfasst der Diskontinuitätsgrundsatz neben der hier nicht relevanten personellen Ausprägung44 eine sachliche und eine institutionelle Dimension: Institutionelle Kontinuität bedeutet, dass mit dem Ende einer Wahlperiode die Konstituierung des Bundestags hinfällig wird und dass seine Unterorgane aufhören zu existieren.45 Sachliche Kontinuität bedeutet, dass mit dem Ende einer Wahlperiode beim Bundestag eingebrachte, aber nicht abschließend beratene Vorlagen und Anträge aller Art gegenstandslos werden.46 Nach überwiegender Ansicht unterfällt die Wahlprüfung dem Diskontinuitätsgrundsatz sowohl in institutioneller als auch in sachlicher Hinsicht.47 Institutionell, da nach 42 Gemeint ist nur die Unterbrechung der politischen und damit verbundenen organisatorischen Aspekte der Arbeit des Bundestags. Für den Bundestag als verfassungsrechtliche Institution besteht hingegen Organidentität bzw. Organkontinuität gegenüber anderen Rechtssubjekten, BVerfGE 4, 144 (152), was bedeutet, dass z. B. Handlungen des Bundestags mit Außenwirkung wie Verträge mit Angestellten bestehen bleiben. Gleichwohl handelt es sich beim Bundestag nicht um ein ständiges Organ wie z. B. bei der Bundesregierung oder dem Bundesrat, siehe auch W. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), GG, 15. Aufl. 2022, Art. 39 Rn. 9; H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 39 Rn. 6 und L. Michael, Folgen der Beendigung: Elemente der Diskontinuität und Kontinuität, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 49 Rn. 22. Zur insofern missverständlichen Nummerierung der verschiedenen Zusammensetzungen des Bundestags auch H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/ R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 39 (März 2022) Rn. 54. 43 Dazu näher R. Belz, Die Diskontinuität der Parlamente, 1968, S. 59 f. Der Bundestag als solcher ist hingegen eine ständige Institution, der durch das Ende einer Wahlperiode nicht tangiert wird, siehe auch J. Jekewitz, DÖV 1976, S. 657 ff. (661). 44 Gemeint ist damit die Tatsache, dass die Abgeordneten des vorherigen Bundestags bei der Neukonstituierung des Bundestags ihr Abgeordnetenmandat verlieren, statt vieler nur H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 39 Rn. 5 i. V. m. Art. 38 Rn. 42. 45 BVerfGE 49, 70 (86 f.), indirekt auch BVerfGE 105, 197 (234); zudem aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs stellvertretend K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 39 Rn. 17. 46 So explizit auch § 125 GO-BT, dazu mit weiteren Nachweisen L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber, BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 39 Rn. 5 und A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 400 ff. 47 K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 30; H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 68; H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 41 Rn. 3; M. Mor-
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Ende der Wahlperiode der Bundestag als Entscheidungsgremium und der Wahlprüfungsausschuss als Vorbereitungsgremium nicht mehr bestehen,48 und sachlich, da es sich bei Beschlussempfehlungen und Berichten des Wahlprüfungsausschusses um Vorlagen im Sinne von § 75 Abs. 1 lit. h GO-BT handelt, die nach § 125 GO-BT der sachlichen Diskontinuität unterfallen49. Daran ändert der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht über Wahlprüfungsbeschwerden nach Ablauf der Wahlperiode entscheiden kann, nichts. Denn Grund für diese bestehende Entscheidungsfähigkeit über die Wahlperiode hinaus ist nur die Klärung der Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsnormen und der Anwendung des geltenden Wahlrechts bei Bestehen eines öffentlichen Interesses, da Wahlrechtsnormen und deren Anwendung über eine Wahlperiode hinaus Bestand haben.50 Dennoch ist der Grundsatz der Diskontinuität für eine Wahlprüfung durch den bestehenden Bundestag im Vorfeld der Bundestagswahl nicht einschlägig. Denn es ist gerade Sinn dieser Terminierung der Wahlprüfung, ein abgeschlossenes Verfahren vor der Wahl des nächsten Bundestags zu erreichen, sodass das Wahlprüfungsverfahren vor Zusammentritt des neu gewählten Bundestags und damit vor dem Beginn einer neuen Legislaturperiode abgeschlossen ist. Darüber hinaus wäre die Diskontinuität hier – wenn überhaupt – umgekehrt zu verstehen: Der Diskontinuitätsgrundsatz nimmt das neu gewählte Parlament als Ausgangspunkt und beschreibt dessen Verhältnis zum vorherigen Parlament. Im Fall der Begutachtung von Wahlfehlern im Vorfeld der Wahl durch den bestehenden Bundestag geht es hingegen darum, inwieweit der bestehende Bundestag auf den neu zu wählenden Bundestag einwirken darf. Insgesamt steht der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamente einer Wahlprüfung durch den bestehenden Bundestag im Vorfeld von Wahlen nicht entgegen. lok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1154); ähnlich, aber etwas unpräziser wohl auch W. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), GG, 15. Aufl. 2022, Art. 39 Rn. 5 und U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 39 Rn. 14, nach denen sich der Grundsatz der Diskontinuität auf alle Bestandteile der Parlamentsautonomie bezieht, worunter nach der hier zugrundeliegenden Auffassung die Wahlprüfung fällt, dazu unten § 4 C. II. 1; a. A. H. Risse/K. Witt, in: D. Hömig/ H. A. Wolff (Hrsg.), GG, 13. Aufl. 2022, Art. 39 Rn. 4; K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, Rn. 345. 48 L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 39 Rn. 4. 49 Dazu u. a. L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 39 Rn. 5; W. Schreiber, DVBl. 2018, S. 144 ff. (149); H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz, GG, Art. 39 (März 2022) Rn. 59. 50 So u. a. BVerfGE 122, 304 ff. (306 f.); siehe auch H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 68.
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III. Indizwirkung der Kompetenzprüfung des Bundestags zur Wahlprüfung der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament, § 26 EuWG Nach § 26 Abs. 1 EuWG wird „über die Gültigkeit der Wahl und die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl […] im Wahlprüfungsverfahren entschieden“. Es erscheint daher sinnvoll, diese Regelung als Indikator für das Verständnis des Art. 41 GG näher zu betrachten. Denn Regelungen anderer Normgeber derselben Gesamtrechtsordnungen können wichtige Indizien für ein Gesamtverständnis sein. Grund für die nationale Regelung der Wahlprüfung einer transnationalen Wahl ist der Umstand, dass das Europäische Parlament bisher noch keine umfassenden Regelungen für ein unionsweites Wahlverfahren, zu dem auch die Regelung einer umfassenden Wahlprüfung gehört, im Sinne von Art. 223 Abs. 1 S. 1 AEUV erlassen hat, sondern das Wahlverfahren nur rudimentär im Direktwahlakt (DWA)51 geregelt ist. Nach Art. 8 Abs. 1 DWA bestimmt sich das Wahlverfahren nach mitgliedsstaatlichen Regelungen, sofern der Direktwahlakt keine anderweitigen Regelungen enthält. Art. 12 S. 1 DWA i. V. m. § 3 Abs. 3, 4 GO-EP regelt, dass das Europäische Parlament die Mandate seiner Mitglieder prüft. Art. 12 S. 2 DWA enthält zwei Einschränkungen: Zum einen werden nationale amtliche Wahlergebnisse lediglich zur Kenntnis genommen und zum anderen kann eine Anfechtung nur auf die Regelungen des Direktwahlakts gestützt werden. Für die Überprüfung aller weiteren Wahlfehler gelten hingegen nationale Regelungen zum Wahlprüfungsverfahren.52 Zuständig für die Wahlprüfung der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament ist nach § 26 Abs. 1, 2 EuWG i. V. m. § 1 Abs. 1 WahlPrüfG der Bundestag; gegen seine Entscheidung ist die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht statthaft, § 26 Abs. 3 S. 1 EuWG. Das Wahlprüfungsverfahren der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament ist dabei nicht nur institutionell, sondern auch von der Art und Weise seiner Durchführung her an das Wahlprüfungsverfahren von Bundestagswahlen angelehnt.53 51 Beschluss und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Direktwahlakt), ABl. EG 1976 Nr. L 278/1 = BGBl. II 1977, S. 733, zuletzt geändert durch Beschluss des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (BGBl. II 2003, S. 810; II 2004, S. 520). 52 Näher dazu auch S. Hölscheidt, in: E. Grabitz/M. Hilf/M. Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 223 AEUV (August 2020) Rn. 47 f. und P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 31 ff. 53 § 26 Abs. 2 EuWG schreibt fest, dass das Wahlprüfungsverfahren von Wahlen zum Europäischen Parlament nach den Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes mit Ausnahme von §§ 6 Abs. 2 lit. e, 14 Abs. 2, 16 Abs. 2, 3 WahlPrüfG durchgeführt wird.
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Die Zuständigkeit des Bundestags und des Bundesverfassungsgerichts für die Wahlprüfung beruht dabei jedoch primär auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen, denn es wurde kein Bedürfnis für die Schaffung besonderer Organe für die Wahlprüfung der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament gesehen.54 Ein europarechtlicher Zwang für die Zuständigkeit des Bundestags und des Bundesverfassungsgerichts besteht hingegen nicht. Auffällig ist an dieser Verfahrensgestaltung, dass mit dem Bundestag ein Organ die Wahlprüfung eines anderen Organteils, nämlich der durch die deutsche Bevölkerung gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments, vornimmt. Weder das Europäische Parlament als solches noch die ins Europäische Parlament gewählten deutschen Abgeordneten sind für die Wahlprüfung ihrer eigenen Wahl zuständig. Das stellt einen Bruch zum bisherigen Verständnis der Wahlprüfung in Bezug auf Bundestagswahlen dar, bei dem bekanntlich davon ausgegangen wird, dass die neu gewählten Abgeordneten im Wege der Selbstprüfung über ihre eigene Wahl entscheiden müssen.55 Gleichzeitig zeigt die Regelung des § 26 EuWG aber auch, dass es nicht zwangsläufig notwendig und der deutschen Rechtsordnung auch nicht fremd ist, dass ein anderes Organ – hier der Bundestag – über die Wahlprüfung zu einem anderen Organ(-teil) – hier die deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments – entscheidet. Die Wahlprüfung ist daher nicht zwingend an das Parlament beziehungs weise an die Parlamentszusammensetzung zu übertragen, deren ordnungsgemäße Zusammensetzung zu prüfen ist. Stattdessen ist § 26 EuWG ein Indiz dafür, dass es sich in die Gesamtrechtsordnung einfügt und damit zulässig ist, die Wahlprüfung vor der Bundestagswahl in die Verantwortung des bestehenden Bundestags zu legen.
IV. Fazit Für die Wahlprüfung zuständig ist stets der im Zeitpunkt der Wahlprüfung bestehende Bundestag. Das bedeutet, dass damit der bestehende beziehungsweise alte Bundestag die Wahlprüfung vor der Wahl durchführt. Eine Wahlprüfung durch den bestehenden Bundestag im Zeitpunkt vor der Wahl sperrt die Neukonstituierung des gewählten Bundestags aufgrund ihres Abschlusses vor dem Wahltag nicht. Zudem steht sie im Einklang mit dem Grundsatz der Diskontinuität. Gleichzeitig zeigt die Regelung des § 26 EuWG, dass es der deutschen 54
So die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 8/361, S. 20. Statt vieler nur S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 1, dazu auch oben die Bestandsaufnahme in Bezug auf den Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens § 2 A. 55
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Rechtsordnung nicht fremd ist, die Wahlprüfung an ein anderes Organ zu übertragen als demjenigen, dessen Wahl zur Prüfung steht.
C. Zuordnung der Wahlprüfung zum Bundestag als Ausdruck der funktionsadäquaten Institutionenordnung Die Kompetenzzuweisung der Wahlprüfung für Wahlfehler im Vorfeld der Wahl an den bestehenden Bundestag kann auch in Bezug auf das verfassungstheoretische Konzept einer funktionsadäquaten Institutionenordnung ansetzen. Zu berücksichtigen ist im Umgang mit verfassungstheoretischen Konzepten stets, dass diese keine normativen Maßstäbe für die Anwendung geltender Verfassungsbestimmungen sein können.56 Gleichwohl können verfassungstheoretische Überlegungen, auch wenn sie nicht vollständig im geltenden Verfassungsrecht abgebildet sind, wichtige Rückschlüsse für Vorgänge und Zuweisungen in grundsätzlicher Art und Weise mit sich bringen, weswegen sie im Folgenden herangezogen werden. In einem ersten Schritt ist dabei das verfassungstheoretische Konzept der funktionsadäquaten Institutionenordnung darzulegen. Anschließend kann in einem zweiten Schritt untersucht werden, ob der Bundestag überhaupt das richtige Organ im Sinne einer funktionsadäquaten Zuständigkeit zur rechtlichen Überprüfung von Wahlfehlern ist, um dann zu analysieren, ob der bestehende Bundestag auch für Wahlfehler im Vorfeld von Wahlen in Bezug auf eine funktionsadäquate Institutionenordnung zuständig sein sollte.
I. Zum Konzept einer funktionsadäquaten Institutionenordnung Das Konzept einer funktionsadäquaten Institutionenordnung beruht auf der Annahme, dass „staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“57. 56 In diese Richtung ebenfalls B. Grzeszick, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 20 V (Januar 2022) Rn. 60; anders wohl T. von Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff. (336 ff.), der das Konzept der funktionsadäquaten Institutionenordnung als Verfassungsgebot vornehmlich verfassungsdogmatisch kategorisiert. 57 So das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 95, 1 (15); von einer Funktionenklarheit und einer aufgrund dieser Klarheit bestehenden funktionsgerechten Organstruktur spricht erstmals O. Küster, AöR 75 (1949), S. 397 ff. (402, 404 ff.); grundlegend auch H.-D. Horn, AöR 127 (2002), S. 427 ff. (447 ff.) und T. von Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff.
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Dahinter steht ein verfassungstheoretisches Konzept, das ausgehend vom Gewaltenteilungsgrundsatz58 materiell ansetzt und die Vorstellung zugrunde legt, dass jeder Gewalt – Legislative, Exekutive und Judikative – ein eigener Kernbereich59 der im Staatswesen anfallenden Aufgaben zukommt.60 Ziel ist die Sicherung und gleichzeitige Stärkung der Rationalität des staatlichen Handelns. Diese Rationalität ergibt sich vor allem aus der Prämisse, dass bestimmte Handlungsformen und Aufgaben den jeweiligen Gewalten zwingend zugeordnet sind, sodass Abweichungen und Durchbrechungen insbesondere der Kernbereiche einer Gewalt zwar möglich, aber gleichzeitig rechtfertigungsbedürftig sind. Verfassungstheoretisch ist daher die Legislative für die abstrakte Rechtssetzung, die Exekutive für den Vollzug der Gesetze im Einzelfall und die Judikative für die Überprüfung und Wahrung der Gesetze im Wege der Rechtsprechung zuständig.61 Die Relevanz des Konzepts der funktionsadäquaten Institutionenordnung und der Festlegung von Kernbereichen wird seit längerem teilweise bestrit58 Gewaltenteilung kann zum einen als Mittel zum Schutz individueller Freiheit (Stichwort: Machtmäßigung des Hoheitsapparats) sowie zum anderen in der hier relevanten Ausprägung als Mittel zur Steigerung der Effektivität des hoheitlichen Handelns (Stichwort: funktionsadäquate Institutionenordnung) verstanden werden, näher dazu C. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 68 f.; zur Herleitung des Konzepts der funktionsadäquaten Institu tionenordnung aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz auch T. von Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff. (332 ff.). 59 Kritisch zur Herkunft des Begriffs des Kernbereichs, der ursprünglich in Bezug auf die Grundrechte aus Art. 19 Abs. 2 GG und nicht in Bezug auf das hier thematisierte Staatsorganisationsrecht entwickelt wurde, erstmals W. Leisner, DÖV 1969, S. 405 ff. (407 f.), der daher zu dem Schluss kommt, dass das Kernbereichsmodell auf die Gewaltenteilung keine Anwendung finden kann (409); ebenso C. Degenhart, NJW 1984, S. 2184 ff. (2187) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Walter Leisner; zur Vergleichbarkeit des Kernbereichs einer Funk tion und dem Wesensgehalt eines Grundrechts C. H. Ule, JZ 1958, S. 625 ff. (629); zur Konkretisierung des Begriffs durch den Wesensgehalt der Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 198 f. 60 Abgegrenzt wurden die den Organen zugewiesenen Bereiche zunächst quantitativ, indem gewährleistet werden musste, dass keine Gewalt ein Übergewicht gegenüber den anderen Gewalten erlangte, so u. a. BVerfGE 4, 331 (346 f.) und W. Leisner, DÖV 1969, S. 405 ff. (409); heute werden die den Organen zugewiesenen Bereiche überwiegend qualitativ abgegrenzt, indem gewährleistet werden muss, dass keine Gewalt die Funktion einer anderen Gewalt usurpiert, sodass Gewaltüberschneidungen zwar zulässig sind, aber nur in den Randbereichen, so u. a. BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 95, 1 (15) und begrifflich maßgeblich geprägt durch C. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 73 f. In verfassungsrechtlicher Hinsicht dazu maßgeblich K. Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 488 f. 61 So die klassische Dreiteilung auch schon bei C. Montesquieu, De l’esprit des lois, livre XI, chapitre 6, 1748, deutsche Übersetzung herausgegeben von E. Forsthoff, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, 1951, S. 214 ff.; näher zu den Ursprüngen der einzelnen Bereiche der Gewaltenteilung O. W. Kägi, Zur Entstehung, Wandlung und Problematik des Gewaltenteilungsprinzipes, 1937, S. 80 ff.
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ten.62 Dem Konzept funktionsadäquater Institutionenordnung soll dabei fol gendes Kernproblem innewohnen: Die relevanten Kriterien für die Zuordnung der Aufgaben der einzelnen Gewalten anhand des Kernbereichs, der Richtigkeit, der Funktionalität, der Effizienz und der Effektivität würden nicht entwickelt oder begründet, sondern einfach vorausgesetzt.63 Gleichwohl könne dem verfassungstheoretischen Konzept der funktionsadäquaten Institutionenordnung anderseits der Umstand zugutegehalten werden, dass eine Verfassung aus Einzelregelungen bestehe, die im Zusammenspiel mit anderen Normen eine bestimmte Funktion für die Gesamtrechtsordnung erfüllen sollten.64 Die Effizienz der einzelnen Regelungen als solcher und der Aufgabenerledigung im Staat könne gesteigert werden, wenn Aufgaben zumindest im Grundsatz klar verteilt seien.65 Auch sei nur ein durch den Gedanken von Arbeitsteilung geprägter und somit in verschiedene Institutionen ausdifferenzierter Hoheitsapparat fähig, seine Kraft effektiv einzusetzen und effizient zu arbeiten.66 In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist das Konzept der funktionsadäquaten Institutionenordnung im Grundgesetz nicht durchgehend umgesetzt. Zwar normiert das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG im Grundsatz die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative. Dennoch sieht das geltende Recht zahlreiche Ausnahmen vor, aufgrund derer es zu Durchbrechungen oder Verschränkungen der einzelnen Gewalten kommt.67 Darüber hinaus fin62
Siehe u. a. C. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 74 und W. Leisner, DÖV 1969, S. 405 ff. (407 ff.). 63 Dazu B. Grzeszick, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 20 V (Januar 2022) Rn. 64 f.; M. Cornils, Gewaltenteilung, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 20 Rn. 37 ff.; C. Degenhart, NJW 1984, S. 2184 ff. (2187); G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, 1979, S. 22 ff. (insb. 26 ff.); H. D. Jarass, Politik und Bürokratie als Elemente der Gewaltenteilung, 1975, S. 7 f.; N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 178 ff. (insb. S. 189 ff.); W. Leisner, DÖV 1969, S. 405 ff. (407 ff.), jew. m. w. N.; a. A. wohl F. Ossenbühl, DÖV 1980, S. 545 ff. (548 f.), nach dem sich durch die Kriterien Legitimation, Verantwortung, Effizienz, Verfahren usw. zahlreiche Details von Abgrenzungsproblemen lösen und diskutierbar machen lassen. 64 Ebenso B. Grzeszick, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 20 V (Januar 2022) Rn. 58 f. 65 Deutlich wird dies besonders im bereits angeführten Satz des Bundesverfassungsgerichts, dass „staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“, BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 95, 1 (15). 66 So C. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 68 unter Verweis auf Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, S. 166 f. 67 Beispielsweise das Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung, Art. 76 Abs. 1 GG, die Befugnis zum Erlass von Rechtsverordnungen durch die Bundesregierung, Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG, der Zustimmungsvorbehalt zur Haushaltserhöhung der Bundesregierung, Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG, oder die gleichzeitige Mitgliedschaft der Regierungsmitglieder in Parlament
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den die durch das Konzept der funktionsadäquaten Institutionenordnung für eine Aufgabenzuweisung angedachten Kriterien – der Kernbereich, die Richtigkeit, die Funktionalität, die Effizienz und die Effektivität – keine normative Stütze im Verfassungstext in Bezug auf die Gewaltenteilung.68 Anhaltspunkte, wie genau diese Kriterien zu verstehen sind, enthalten Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG auch nicht.69 Stattdessen schaffen andere verfassungsnormative Konzepte, zum Beispiel die Grundrechte70 oder Gesetzesvorbehalte71, Abhilfe, indem sie auch handlungsform- und zuständigkeitsbestimmende Regelungen enthalten.72 Es soll hier gleichwohl nicht darauf verzichtet werden, das verfassungstheoretische Konzept funktionsadäquater Institutionenordnung bei der Frage, ob der bestehende Bundestag für die Wahlprüfung im Vorfeld von Bundestagswahlen zuständig sein sollte, zu berücksichtigen, obwohl sich dieses in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht vollständig im Normengefüge des Grundgesetzes widerspiegelt. Denn als Reflexionsdisziplin der Verfassungsdogmatik kann die Verfassungstheorie helfen, mit verfassungsrechtlichen Strukturen zwar nicht anders, aber doch umsichtiger und informierter umzugehen.73 und Regierung; eine umfassende Aufzählung der im Grundgesetz enthaltenen Verschränkungen ist zu finden bei K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, § 36 IV S. 540 f.; dazu auch H.-D. Horn, AöR 127 (2002), S. 427 ff. (438 ff.); kritisch in Bezug auf die insofern ebenfalls Gewaltenverschränkungen enthaltende Weimarer Reichsverfassung schon C. Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 187 ff. 68 Anders als Art. 19 Abs. 2 GG enthält Art. 20 Abs. 2 S. 2 , Abs. 3 GG auch kein grundsätzliches Verbot des Antastens des Kernbereichs, näher dazu N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 201. 69 Über dieses Problem geht das Bundesverfassungsgericht regelmäßig hinweg, wenn es beispielsweise die Planung grundsätzlich im Bereich der Exekutive verortet, indem es auf einfachrechtliche Kriterien wie die Ausgestaltung der Fachplanung zur Konkretisierung des Verfassungsgrundsatzes der Gewaltenteilung abstellt, siehe nur BVerfGE 95, 1 (17); ebenso M. Cornils, Gewaltenteilung, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 20 Rn. 37 f., der herausarbeitet, dass man „die (bessere) Funktionseignung […] nur beurteilen kann, wenn man die Funktion und ihre optimale Erfüllung schon kennt“ und damit der Ansatz der funktionsadäquaten Institutionenordnung zumindest in Bezug auf die Exekutive ein zirkuläres Moment in sich trägt. 70 U. a. die Richtervorbehalte aus Art. 13 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG 71 U. a. in Bezug auf den Erlass von Rechtsverordnungen durch die Exekutive in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG oder bei Eingriffen in Grundrechte, z. B. Art. 8 Abs. 2 GG. 72 Erstmals so M. Cornils, Gewaltenteilung, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 20 Rn. 34, der anbringt, dass modernen Verfassungsrechtsordnungen plurale und damit komplexe Systeme von Arbeitsteilung zugrunde liegen, die über die seit Jahrhunderten bestehende triadische Funktionstrennung hinausgehen. 73 Näher dazu M. Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 40 ff. (insb. S. 44).
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II. Bundestag und Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich zulässige Organe der Wahlprüfung Die Wahlprüfung nach Art. 41 GG gliedert sich in ein zweistufiges Verfahren: Hiernach obliegt die Wahlprüfung auf erster Ebene dem Bundestag (Absatz 1), auf zweiter Ebene kann das Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung des Bundestages im Wege der Wahlprüfungsbeschwerde angerufen werden (Absatz 2).74 Näher ausgestaltet werden diese Verfahrensstufen gemäß des Gesetzgebungsauftrags in Art. 41 Abs. 3 GG insbesondere durch das Wahlprüfungsgesetz und durch § 48 BVerfGG. 1. Verfahren im Bundestag Gemäß § 2 Abs. 1 WahlPrüfG erfolgt die Wahlprüfung durch den Bundestag nur nach Einspruch.75 Diesen Einspruch kann jede beziehungsweise jeder Wahlberechtigte76, jede Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft jede Landeswahlleiterin oder jeder Landeswahlleiter, die Bundeswahlleiterin beziehungsweise der Bundeswahlleiter und die Präsidentin beziehungsweise der Präsident des Bundestags einlegen, § 2 Abs. 2 WahlPrüfG.77 Der Bundestag prüft also nicht von Amts wegen78, sondern nur aufgrund einer schriftlichen und begründeten79 Gel74 Zu möglichen Problemen in Bezug auf die Verfahrensdauer dieses zweistufigen Verfahrens siehe W. Hoppe, DVBl. 1996, S. 344 ff.; die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit dieser Zweistufigkeit begründet J. Oebbecke, Rechtsgutachten zu Fragen der Ausgestaltung des Wahlprüfungsrechts, Landtag NRW, 17/169, Januar 2016, S. 23 f., abrufbar unter https:// www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/ MMI17-169.pdf;jsessionid=499EBC8695EB39404E7FED260FD2136C (7. Mai 2023). 75 Die Frist zur Geltendmachung des Einspruchs liegt bei zwei Monaten nach dem Wahltag (§ 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG). Es handelt sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, sodass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist, BT-Drs. 8/3579, S. 47; BT-Drs. 13/3770, S. 129; BT-Drs. 15/1150, S. 66; P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 92; H. Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, 2012, § 2 Rn. 9. 76 Die Wahlberechtigung richtet sich nach § 12 BWahlG. 77 Nicht explizit aufgeführt als einspruchsberechtigt sind hingegen politische Parteien; sie können jedoch über ihre Mitglieder oder als Gruppe von Wahlberechtigten Wahlfehler rügen, dazu BVerfGE 79, 49; L.-A. Versteyl, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 41 Rn. 27. 78 Eine Prüfung durch das Parlament kraft Amtes erfolgt noch heute in Hessen, § 6 Abs. 1 WahlPrüfG Hess. sowie vorkonstitutionell in der Weimarer Republik, näher G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 31 Anm. 3, S. 210 f. 79 Sog. Substantiierungspflicht, die der Verhinderung vorschneller Wahlprüfungen dient und somit einen ersten Filter darstellt, der gegenüber dem dadurch entstehenden Zugangs hindernis für mögliche Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer überwiegt, siehe BVerfGE 40, 11, (32); BVerfGE 85, 148 (159 f.). Erforderlich ist für die Begründung nicht, dass eine Verletzung subjektiver Rechte durch die Einspruchsberechtigte oder den Ein-
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tendmachung von Wahlfehlern durch die in § 2 Abs. 1 WahlPrüfG Berechtigten (Anfechtungs- beziehungsweise Einspruchsgrundsatz).80 Der Prüfungsgegenstand der Untersuchungen des Bundestags ist hierbei auf die im Einspruch geltend gemachten Gründe beschränkt und bezieht sich nicht auf die Gesamtheit der Wahl.81 Der Bundestag prüft jedoch die Gründe, auf die sich der Wahleinspruch stützt, von Amts wegen umfassend: Er kann dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen und rechtlich würdigen.82 Die Entscheidung des Bundestags wird nach § 3 Abs. 1 WahlPrüfG durch dessen Wahlprüfungsausschuss83 vorbereitet.84 Das Bundestagsplenum kann spruchsberechtigten dargelegt wird, P. Glauben, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Art. 41 (März 2017) Rn. 88. Aufgrund des weitgehend objektiven Charakters des Wahlprüfungsverfahrens reicht es stattdessen aus, einen auch nur möglichen Fehler im Wahlverfahren geltend zu machen und nachvollziehbar begründen zu können, BVerfGE 122, 304 (308 f.) und aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs exemplarisch W. Kluth, in: B. Schmidt-Bleibtreu/H. Hofmann/H.-G. Henneke (Hrsg.), GG, 15. Aufl. 2022, Art. 41 Rn. 10; W. Schreiber, Wahlprüfungsrecht bei Bundestagswahlen, in: B.-R. Kern/H. Lilie (Hrsg.), Jurisprudenz zwischen Medizin und Kultur, FS Fischer, 2010, S. 423 ff. (442). 80 Näher zum Anfechtungsgrundsatz H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/ R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 69; W. Ewer, Wahlprüfung, in: M. Morlok/ U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 8 Rn. 12; im weiteren Verfahren führt der Bundestag die Wahlprüfung nach der Offizialmaxime fort, M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 14. 81 Insofern gilt nicht das Totalitätsprinzip, siehe H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff. (307). Allerdings kann der Prüfungsgegenstand in Bezug auf den geltend gemachten Fehler insoweit erweitert werden, wie es die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Wahlverfahrens erfordert, dazu BVerfGE 85, 148 (159 f.) sowie J. Ockermann, NvWZ 1991, S. 1150 ff. (1151). 82 BVerfGE 66, 369 (378 f.); G. Kretschmer, Wahlprüfung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 13 Rn. 32. 83 Nach § 3 Abs. 2 WahlPrüfG besteht der Wahlprüfungsausschuss aus neun ordentlichen Mitgliedern, neun Stellvertreterinnen und Stellvertretern und je einem ständigen, beratenden Mitglied der Fraktionen, die in ihm nicht durch ordentliche Mitglieder vertreten sind. Der Bundestag kann aus der Mitte einer Vereinigung von Mitgliedern des Bundestages, die nach der Geschäftsordnung des Bundestages als parlamentarische Gruppe anerkannt ist, zusätzlich ein beratendes Mitglied wählen. Der Wahlprüfungsausschuss wird vom Bundestag für die Dauer der Wahlperiode gewählt. Ihm können auch Abgeordnete angehören, deren Mandat durch das Verfahren überprüft wird; ein Ausschluss wegen auch nur potenzieller Befangenheit ist nicht vorgesehen. Grund für diese Regelung ist, dass ansonsten aufgrund des Selbstprüfungsrechts durch das Parlament faktisch eine gesamte Anfechtung der Wahl nicht möglich wäre, wenn vom Einspruch betroffene Parlamentsmitglieder der Mitgliedsstatus im Wahlprüfungsausschuss versagt würde; so auch U. Schielsky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/ C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 28; hingegen darf bei der Prüfung über den Verlust der Mitgliedschaft einer oder eines Abgeordneten nach Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG die oder der Abgeordnete, deren oder dessen Wahl zur Prüfung steht, nicht beteiligt werden, § 17 Abs. 1 WahlPrüfG. 84 Näher zur Behandlung der Wahleinsprüche im Wahlprüfungsausschuss N. Pasch-
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die dort erarbeitete Vorlage annehmen oder ablehnen; bei Ablehnung wird der Antrag an den Wahlprüfungsausschuss zurückverwiesen mit dem Auftrag, einen neuen Antrag auszuarbeiten, welcher dann erneut dem Plenum des Bundestags zugeführt wird, § 13 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 WahlPrüfG. Die Entscheidung wird der Beschwerdeführerin oder dem Beschwerdeführer mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt, § 13 Abs. 3 WahlPrüfG, und hat ex nunc-Wirkung.85 Dieser generellen Zuständigkeitszuordnung an den Bundestag wird regelmäßig – unabhängig vom Zeitpunkt der Durchführung der Wahlprüfung – vorgeworfen, sie führe zu einer Judikatur in eigener Sache, sodass die Entscheidung durch ein per se befangenes Organ getroffen würde.86 Der Bundestag entscheidet tatsächlich mit der Wahlprüfung seiner eigenen Wahl in eigener Sache. Bei der Prüfung durch den Bundestag handelt es sich um eine reine Rechtskontrolle.87 Zu beachten ist dabei, dass der Bundestag kein Gericht, sondern Teil der Legislative ist.88 Daher gilt die in Art. 97 Abs. 1 GG festgeschriebene richter liche Unabhängigkeit für ihn und seine Entscheidungen in Wahlprüfungsangelegenheiten nicht. Wenn das Grundgesetz die Wahlprüfung trotzdem dem Bunmanns, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, in: M. Morlok/ U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 24 Rn. 18 ff. und M. Schulte/ W. Zeh, Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 43. 85 Ausführlich zu den Wirkungen des Bundestagsbeschlusses L.-A. Versteyl, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 41 Rn. 13. 86 Sog. „Nemo-iudex-in-causa-sua“-Grundsatz, so J. Isensee, Nemo iudex in causa sua – auch nicht das Parlament?, in: D. Dörr/U. Fink/C. Hillgruber/B. Kempen/D. Murswiek (Hrsg.), Die Macht des Geistes, FS Schiedermair, 2001, S. 181 ff. (205), der konstatiert, dass „in schroffem Widerspruch zu dem Nemo-iudex-Prinzip […] die Vorschrift des Grundgesetzes [steht], daß die Wahlprüfung […] Sache des Bundestags ist (Art. 41 Abs. 1 GG).“; ders., ZParl 2000, S. 402 ff. (420 f.); in diese Richtung auch J. Schemmel, Gesätes Misstrauen, Verfassungsblog vom 28. Oktober 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/gesates-miss trauen/ (7. Mai 2023), A. Ortmann, ThürVBl. 2006, S. 169 ff. (170) und W. Pauly, AöR 123 (1998), S. 232 ff. (283); näher zur Entscheidung in eigener Sache H. Lang, Gesetzgebung in eigener Sache, 2007, für die Wahlprüfung insbesondere S. 36 ff., 459 ff. 87 So die überwiegende Ansicht, siehe u. a. L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 41 Rn. 10; H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/ R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 72 m. w. N. 88 Zur Möglichkeit, dass ein primär einer Gewalt zugewiesenes Organ – hier der Bundestag als primär legislatives Organ – Aufgaben einer anderen Gewalt – hier der Judikative – wahrnehmen kann aus verfassungstheoretischer Sicht C. Möllers, Die drei Gewalten, 2008, S. 51 und O. Küster, AöR 75 (1949), S. 397 ff. (401), die jeweils erörtern, dass zwischen der Funktion einerseits und der Trägerin oder dem Träger der Funktion (Organ) andererseits zu trennen ist, die unglücklicherweise gleich bezeichnet sind. Als Grenze soll nur das Verbot der Gewaltenanmaßung gelten.
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destag zuweist, dann hat der Verfassunggeber die Entscheidung des Bundestags in eigener Sache folglich bewusst in Kauf genommen.89 Es ist damit zuzugeben, dass es im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland, wie es durch das Grundgesetz ausgestaltet ist, Bereiche gibt, in denen der Einwand der Befangenheit und der Entscheidung in eigener Sache kein grundsätzlicher Grund zur Sorge ist.90 Das gilt insbesondere in solchen Bereichen, in denen eine parlamentarische Entscheidung angezeigt ist. In Bezug auf die Wahlprüfung ist diese Voraussetzung gegeben: Schließlich handelt es sich bei der Wahlprüfung um eine parlamentseigene Angelegenheit, die aufgrund der großen Sachnähe zum Parlament als solchem beim Bundestag liegen muss.91 Das Par 89 Diskutiert wurde im parlamentarischen Rat nämlich nicht darüber, dass dem Bundestag die Erstzuständigkeit der Wahlprüfung zukommt, sondern nur über die Frage, wer auf zweiter Ebene die Entscheidung des Bundestags kontrolliert, Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 24. September 1948, Nr. 6 S. 181, nachdem der Vorschlag, dass das Bundesverfassungsgericht auf zweiter Ebene zuständig ist, bereits in der 2. Sitzung des Kombinierten Ausschusses eingebracht wurde, Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 2. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 16. September 1948, Nr. 2 S. 34 f. Über die Sinnhaftigkeit der Zweistufigkeit der Wahlprüfung wurde nochmal in der 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses diskutiert, in der sie mit sieben zu sieben Stimmen aufgrund der Zustimmung des Ausschussvorsitzenden Robert Lehr (CDU) bejaht wurde, Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–49, Bd. 13, Teilband 1, 2002, 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses, 7. Oktober 1948, Nr. 14 S. 427; näher zur Behandlung der Wahlprüfung im parlamentarischen Rat auch oben § 3 A. 90 Prägnant J. Isensee, Nemo iudex in causa sua – auch nicht das Parlament?, in: D. Dörr/ U. Fink/C. Hillgruber/B. Kempen/D. Murswiek (Hrsg.), Die Macht des Geistes, FS Schiedermair, 2001, S. 181 ff. (205): „Wenn kraft positiven Verfassungsrechts der Bundestag in eigener Sache tätig werden muß, ist die Befangenheit als Kategorie verbannt; sie kann nicht im Einzelfall wieder eingeführt werden.“ In diese Richtung ebenfalls M. Morlok, JuS 2022, S. 1019 ff. (1024), der die Kompetenzzuweisung der Wahlprüfung zum Bundestag aufgrund der Beschwerdemöglichkeit zum Bundesverfassungsgericht in zweiter Instanz für „akzeptabel“ hält und H.-D. Horn, Muß die Wahlprüfung Sache des Bundestags sein?, in: O. Depenheuer/M. Heintzen/M. Jestaedt/P. Axer (Hrsg.), Staat im Wort, FS Isensee, 2007, S. 423 ff. (430); umfassend auch zu weiteren Fällen der Entscheidung in eigener Sache durch das Parlament, z. B. der Diätenfestsetzung, H. Lang, Gesetzgebung in eigener Sache, 2007, passim. 91 Ebenso M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 7, der die Wahlprüfung als Teil der Parlamentsautonomie ansieht und H. Lang, in: K.-H. Friauf/ W. Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar GG, Art. 41 (Dezember 2005) Rn. 40, nach dem die Würde und der Schutz des Parlaments es verlangen, „daß über die Gültigkeit der Wahl entweder der Bundestag selbst oder aber mit dem Bundesverfassungsgericht ein anderes Verfassungsorgan entscheidet.“; a. A. H.-D. Horn, Muß die Wahlprüfung Sache des Bundestags sein?, in: O. Depenheuer/M. Heintzen/M. Jestaedt/P. Axer (Hrsg.), Staat im Wort, FS Isensee, 2007, S. 423 ff. (429 f., 436), der eine Erstzuständigkeit der Bundespräsidentin bzw. des Bundespräsidenten fordert, und G. Roth, Subjektiver Wahlrechtsschutz und seine Beschränkun-
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lament hat nicht umsonst die Führungsrolle im demokratischen Prozess inne und ist Hüter des Gemeinwohls.92 Auch ist nach wie vor der Schutz vor dem Eingriff anderer Gewalten in die Zusammensetzung des Parlaments ein anerkanntes Regelungsziel.93 Zu beachten ist darüber hinaus, dass Wahlprüfungsverfahren vor dem Bundestag durch §§ 3 ff. WahlPrüfG gerichtsähnlich ausgestaltet sind.94 Zudem spricht die Parlamentsautonomie, abgeleitet aus Art. 40, Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG, für den Umstand, dass der Bundestag auf erster Stufe für die Wahlprüfung zuständig sein sollte. Die Parlamentsautonomie bezeichnet die allgemeine Befugnis des Parlaments, seine eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln.95 Sie erstreckt sich dabei nicht nur auf die Befugnis zum Erlass einer Geschäftsordnung.96 Stattdessen ist der Bundestag befugt, die Bereiche „Geschäftsgang“ und „Disziplin“ näher auszugestalten, wozu auch die Selbstorganisation und Aufgabenzuschreibung gehört.97 Die Parlamentsautonomie drückt damit in Bezug auf den Bundestag das verfassungstheoretische Konzept der funktionsgerechten Institutionenordnung im geltenden Verfassungsrecht des Grundgesetzes aus. Bei der Wahlprüfung handelt es sich um ein Instrument, mit dem der Bundestag selbst die Wahl zum Bundestag überprüfen kann. Die Wahlprüfung stand insbesondere aus historischer Sicht regelmäßig dem Parlament gen durch das Wahlprüfungsverfahren, in: G. Pfeiffer/U. Burgermeister/ders. (Hrsg.), Der verfaßte Rechtsstaat, FS Graßhof, 1998, S. 53 ff. (58 f.). 92 U. Volkmann, Grundzüge einer Verfassungslehre der Bundesrepublik Deutschland, 2013, S. 269 f. 93 Dazu BVerfGE 104, 310 (328 f.) in Bezug auf die Immunität der Abgeordneten, die ebenso wie die Wahlprüfung als spezifisches Sicherungsinstrument gegen den Einfluss der Monarchie auf das Parlament verstanden wird; wie hier in Bezug auf die Wahlprüfung N. D. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 147. Ebenso A. Brade, Bekannt und bewährt, Verfassungsblog vom 1. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/bekannt- und-bewahrt/ (7. Mai 2023). 94 So auch L. Bechler, in: C. Burkiczak/F.-W. Dollinger/F. Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 48 Rn. 5. 95 J. Pietzcker, Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 10 Rn. 2; übernommen durch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 80, 188 (218 f.) und BVerfGE 102, 224 (235). 96 Freilich handelt es sich bei der Geschäftsordnungsautonomie um die prominenteste Ausprägung der Parlamentsautonomie, siehe auch U. Schliesky, Parlamentsfunktionen, in: M. Morlok/ders./D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 5 Rn. 59. 97 BVerfGE 44, 308 (315 f.); BVerfGE 80, 188 (219). Die Parlamentsautonomie ist weitgehend traditionsgebunden. So enthielt bereits Art. 27 S. 2 RV 1871 die Befugnis, dass der Reichstag seinen Geschäftsgang und seine Disziplin selbst regelt; ebenfalls verlieh Art. 26 Abs. 2 WRV dem Reichstag die Befugnis, sich eine Geschäftsordnung zu geben; näher dazu P. Glauben, DÖV 2021, S. 915 ff. (917).
C. Zuordnung der Wahlprüfung zum Bundestag
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zu, um sie von Einflüssen anderer Institutionen – insbesondere einer starken Monarchie – freizuhalten; das Parlament verstand sich in dieser Hinsicht regelmäßig als Gegenspieler zur Krone.98 Mithin ist die Wahlprüfung stets ein spezielles Instrument der parlamentarischen Selbstkontrolle gewesen99 und gehört folglich zur Parlamentsautonomie.100 Dies drückt auch die systematische Verortung der Wahlprüfung im Abschnitt III „Der Bundestag“ des Grundgesetzes aus. Eine Besonderheit ist jedoch, dass die Ausgestaltung der Wahlprüfung dem Bundestag nicht eigenmächtig zukommt, sondern durch Art. 41 GG vorgegeben wird: Nach Art. 41 Abs. 3 GG obliegt die konkrete Ausgestaltung der Wahlprüfung dem einfachen Gesetzgeber. Die Entscheidung des Bundestags wird nach Art. 41 Abs. 2 GG zudem eingeschränkt durch die potenzielle Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht auf der zweiten Verfahrensstufe.101 Dem unbestritten bestehenden Einwand der Entscheidung in eigener Sache durch den Bundestag in Wahlprüfungsangelegenheiten ist daneben relativierend entgegenzuhalten, dass der Bundestag als Volksvertretung die Wahlprüfung nicht als eigene Sache, sondern als Sache des Volkes stellvertretend unter ständiger Kontrolle der Öffentlichkeit102 ausübt; diesen Umstand müssen sich sowohl der Bundestag mitsamt seinen Abgeordneten als auch die Rechtswissenschaft stets bewusst machen.103 Da auch die beziehungsweise der einzelne Abgeordnete nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG weisungsunabhängig und nur ihrem beziehungsweise seinem Gewissen unterworfen ist, muss dies auch für den Bundestag als solchen gelten.104 Gleichzeitig besteht jedoch eine Bindung an die verfassungsrechtliche Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie an die Grundrechte 98 Dazu u. a. U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2 , 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 1; J. Ruszoly, Der Staat 21 (1982), S. 203 ff. (205); G. Jellinek, Gutachten 19. Deutscher Juristentag, in: Schriftführer-Amt der ständigen Deputation (Hrsg.), Verhandlungen des Neunzehnten Deutschen Juristentags, Bd. 2, 1888, S. 121 ff. (123 f.). 99 So M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 7. 100 Anders aber H.-D. Horn, Muß die Wahlprüfung Sache des Bundestags sein?, in: O. Depenheuer/M. Heintzen/M. Jestaedt/P. Axer (Hrsg.), Staat im Wort, FS Isensee, 2007, S. 423 ff. (431). 101 Wie hier K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 69 f. und wohl auch G.Bollmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages, 1992, der das Wahlprüfungsrecht nicht näher behandelt. 102 So auch F. Bätge, Warum sich die mehrstufige Wahlprüfung bewährt hat, Verfassungsblog vom 27. Oktober 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/warum-sich-diemehrstufige-wahlprufung-bewahrt-hat/ (7. Mai 2023). 103 J. Isensee, Nemo iudex in causa sua – auch nicht das Parlament?, in: D. Dörr/U. Fink/ C. Hillgruber/B. Kempen/D. Murswiek (Hrsg.), Die Macht des Geistes, FS Schiedermair, 2001, S. 181 ff. (209). 104 Ebenso N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 141 f.
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§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags
(Art. 1 Abs. 3 GG), sodass die Entscheidungen in Wahlprüfungssachen insbesondere von der Gleichheit der konkurrierenden Bewerberinnen und Bewerber bestimmt werden müssen und parteipolitische Entscheidungen verfassungsrechtlich verboten sind.105 Schließlich ist in dem hier zu beurteilenden Fall, dass der bestehende Bundestag über die Wahlprüfung vor der Wahl des neuen Bundestags entscheidet, zusätzlich der Grundsatz der Entscheidung in eigener Sache nicht primär und nur in abgeschwächter Form einschlägig. Denn es entscheidet nicht der gewählte Bundestag über seine eigene Wahl im Wege der Wahlprüfung, sondern der bestehende Bundestag über die Wahl des neuen Bundestags.106 Die verfassungsrechtlich angelegte Selbstbefassung des Bundestags mit seiner eigenen Wahlprüfung und damit die Gefahr der Entscheidung in eigener Sache kann damit für eine Wahlprüfung vor der Bundestagswahl durch den bestehenden Bundestag ein Stück weit abgemildert werden. Vollständig gebannt sein wird sie gleichwohl nicht. Denn natürlich ist zuzugestehen, dass die bisher im Bundestag vertretenen Parteien sowie auch eine Vielzahl der in den bestehenden Bundestag gewählten Abgeordneten persönlich ein großes Interesse an ihrer Wiederwahl und damit am Wiedereinzug in den neu gewählten Bundestag haben dürften. Gleichwohl kommt dem Bundestag als Organ de constitutione lata mit Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG die Aufgabe zu, über die Wahlprüfung zu entscheiden. Leitbild für die Entscheidung in Wahlprüfungssachen sollten verfassungs- und wahlrechtlich fundierte Gründe und keine persönlichen oder parteipolitischen Interessen sein. Das muss auch für die Zulassung von Landeslisten zur Bundestagswahl als Gegenstand der Wahlprüfung gelten, bei der nicht die Verfassungsmäßigkeit von Wahlgesetzen, sondern gerade deren Anwendung maßgeblicher Gegenstand der Wahlprüfungsentscheidung ist. Dass die Praxis des Bundestags anders aussehen könnte und – wie die Entscheidung des Bundestags in Bezug auf die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl 2021, wobei es sich hierbei freilich um eine Entscheidung des Bundestags über seine eigene Wahl und nicht um eine Entscheidung des Bundestags im hier relevanten Fall, nämlich, dass der bestehende Bundestags über die Wahlprüfung des neu zu wählenden Bundestags vor der Wahl entscheidet, handelte, auch gezeigt hat107 – anders aussieht, soll hier jedoch nicht verschwiegen werden. 105 P. Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: J. Isensee/ders. (Hrsg.), HStR, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 83. 106 Zur Vereinbarkeit mit dem Diskontinuitätsgrundsatz siehe oben § 4 B II. 107 In Bezug auf die zahlreichen Wahlfehler bei der Wahlvorbereitung in Berlin zur Bundestagswahl 2021 empfahl der Bundeswahlleiter in seinem Einspruch gegen die Bundestagswahl die Wiederholung der Bundestagswahl in 1200 Wahlbezirken in Berlin. Die sowohl im Wahlprüfungsausschuss als auch im Bundestag bestehende Regierungsmehrheit bestehend
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2. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Zusätzlich ist die Wahlprüfung nach Art. 41 Abs. 2 GG – anders als noch in der Zeit des deutschen Kaisertums – nicht allein dem Bundestag zugewiesen, sondern erfährt durch die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht auf zweiter Stufe anzurufen, ein Korrektiv.108 Auch insofern kann die Gefahr der Entscheidung in eigener Sache durch den Bundestag in erster Instanz abgemildert werden.109 Das Bundesverfassungsgericht ist unstreitig ein Gericht und damit zur unabhängigen Entscheidung nach Art. 97 Abs. 1 GG verpflichtet.110 Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Wahlprüfungsbeschwerde ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 5, Art. 41 Abs. 2, 3 GG, § 18 WahlPrüfG, §§ 13 Nr. 3, 48 BVerfGG. Beschwerdeberechtigt sind nach der abschließenden Aufzählung in § 48 Abs. 1 BVerfGG die beziehungsweise der Abge ordnete, deren beziehungsweise dessen Mitgliedschaft bestritten ist, eine wahlberechtigte Person oder eine Gruppe von wahlberechtigten Personen, deren Einspruch vom Bundestag verworfen worden ist, und eine Fraktion oder eine Mehrheit des Bundestags, die wenigstens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfasst.111 Statthaft ist die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stets nur, wenn ein Einspruch durch den Bundestag als unzulässig veraus Abgeordneten der SPD, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen setzten hingegen die Wiederholung der Wahl nur in 431 Wahlbezirken durch, wohl auch, um ihre Mehrheit im Bundestag nicht zu gefährden. Dazu ebenfalls P. Austermann, ZRP 2023, S. 23 ff. (24); gegen die Gefahr des Missbrauchs der Wahlprüfung in eigener Sache A. Brade, Bekannt und bewährt, Verfassungsblog vom 1. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/ bekannt-und-bewahrt/ (7. Mai 2023). 108 Diese Zweistufigkeit ist durch Art. 41 Abs. 1, 2 GG verfassungsrechtlich vorgegeben. Daher verwundert es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Institutionenzug nie beanstandet hat, so auch W. Schreiber, DVBl. 2010, S. 609 ff. (609). Kritisch zum Umgang des Bundesverfassungsgerichts mit Wahlprüfungsbeschwerden in Bezug auf die Bundestagswahl 2017 W. Schreiber, DVBl. 2022, S. 265 ff. (insb. 268 ff.) und in Bezug auf die Bundestagswahl 2013 ders., DVBl. 2018, S. 144 ff. 109 Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass Abgeordnete, die in erster Instanz selbst noch keinen Einspruch gegen die Wahl zum Bundestag erhoben haben, aber durch die Entscheidung des Bundestags in ihren Rechten verletzt werden, da sie ihren Sitz im Bundestag verlieren würden, nach § 48 Abs. 1 BVerfGG beschwerdebefugt sind, dazu näher F. Bätge, Warum sich die mehrstufige Wahlprüfung bewährt hat, Verfassungsblog vom 27. Oktober 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/warum-sich-die-mehrstufige-wahlprufung-bewahrt-hat/ (7. Mai 2023). 110 Das räumt auch J. Isensee, Nemo iudex in causa sua – auch nicht das Parlament?, in: D. Dörr/U. Fink/C. Hillgruber/B. Kempen/D. Murswiek (Hrsg.), Die Macht des Geistes, FS Schiedermair, 2001, S. 181 ff. (206) ein, der sich dennoch eine andere Zuständigkeit auf erster Ebene für die Wahlprüfung wünscht. 111 Im Vergleich zum Einspruchsverfahren vor dem Bundestag fällt auf, dass der Kreis der Beschwerdeberechtigten für eine Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Bundesverfas-
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worfen oder als (offensichtlich) unbegründet zurückgewiesen wurde.112 Gegenstand der Wahlprüfungsbeschwerde ist also der Beschluss des Bundestags, ohne den die Wahlprüfungsbeschwerde auch nicht erhoben werden kann. Im Gegensatz zum Einspruchsverfahren im Bundestag wird im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mittelbar ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Normen des Wahlrechts geprüft. Für die Einlegung der Wahlprüfungsbeschwerde gilt eine Frist von zwei Monaten ab der Beschlussfassung des Bundestags; innerhalb dieser Frist muss der Antrag nach § 23 Abs. 1 BVerfGG schriftlich und begründet113 eingelegt werden.114 Das Bundesverfassungsgericht prüft im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde den Beschluss des Bundestags in formeller wie materieller Hinsicht rechtlich nach.115 Hierbei sind Prüfungsgegenstände nur, ob die Wahlorgane oder der Bundestag die Vorschriften des geltenden Wahlrechts korrekt angewandt haben und ob der geltend gemachte Wahlfehler auf einer Norm beruht, bei der sich der Gesetzgeber nicht mehr in den Grenzen des ihm zukommenden Ermessens bewegt hat. Das Bundesverfassungsgericht bewertet also lediglich die korrekte Einhaltung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums und trifft keine (rechts-) politische Bewertung oder Entscheidung.116
sungsgericht deutlich enger gefasst ist; kritisch zu diesem Umstand L.-A-Versteyl, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 41 Rn. 44. 112 Dies so ausdrücklich ebenfalls feststellend H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff. (308). Das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich Wahlfehler, gegen die bereits der Einspruch beim Bundestag gerichtet war; ein erstmaliges Vorbringen von Wahlfehlern oder ein Nachschieben von Gründen ist auf dieser zweiten Ebene des Wahlprüfungsverfahrens nicht mehr möglich, BVerfGE 40, 11 (30); BVerfGE 89, 243 (265). 113 Die Begründung erfordert ebenso wie im Einspruchsverfahren eine Darlegung des Sachverhalts, eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Bundestags und eine Erörterung der Mandatserheblichkeit des dargelegten Wahlfehlers. Ein bloßer Verweis auf die Gründe des Einspruchsverfahrens vor dem Bundestag reicht nicht aus. Dazu auch BVerfGE 21, 359 (361) und H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff. (309). 114 § 48 Abs. 1 BVerfGG; auch hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, siehe BVerfGE 21, 359 (361); eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich, siehe BVerfGE 4, 309 (313 ff.). Für den parallelen Fall der Verfassungsbeschwerde wurde mittlerweile eine ausdrückliche Regelung zugunsten einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in § 93 Abs. 2 BVerfGG normiert. Da eine solche Regelung für die Wahlprüfungsbeschwerde nicht existiert, kann im Umkehrschluss weiterhin vom Fehlen der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgegangen werden, siehe BT-Drs. 12/3628, S. 12, und A. Ortmann, ThürVBl. 2006, S. 169 ff. (178) m. w. N. 115 BVerfGE 123, 39 (65). 116 St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 6, 84 (94).
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3. Beibehaltung des zweistufigen Wahlprüfungsverfahrens im Zeitpunkt vor der Wahl Auch im Fall der Wahlprüfung vor der Bundestagswahl sollte dieses zweistufige Vorgehen der Wahlprüfung durch den Bundestag und das Bundesverfassungsgericht beibehalten werden, um die dargestellte funktionsadäquate Institutionenordnung zu wahren. Zwar ist der Bundestag jährlich im Juli und August – mithin in den Monaten, in denen die Wahlprüfung vor der Wahl im Falle der turnusmäßigen Bundestagswahl im September stattfinden müsste – in seiner parlamentarischen Sommerpause, sodass grundsätzlich weder Plenar- noch Ausschusssitzungen terminiert sind.117 Diese sind jedoch für die Durchführung der Wahlprüfung erforderlich. Nichtsdestotrotz ist die Wahlprüfung auch in der parlamentarischen Sommerpause durchführbar. Denn nur der Umstand, dass grundsätzlich keine Sitzungen terminiert sind, führt nicht dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zwei Monate stillsteht. Die Abgeordneten nutzen die sitzungsfreie Zeit regelmäßig zur verstärkten Arbeit in ihren Wahlkreisen, nehmen Pressetermine wahr und besuchen in Ausübung ihrer repräsentativen Funktion kulturelle Veranstaltungen.118 Dies gilt umso mehr in der sitzungsfreien Periode vor einer Bundestagswahl, während derer sich einige der Abgeordneten um eine Wiederwahl bemühen. Jedoch ist es ihnen weiterhin möglich und zugleich auch ihre verfassungsrechtliche Pflicht, an etwaigen Sitzungen von Ausschüssen oder des Bundestagsplenums teilzunehmen. Denn allein aus dem Umstand, dass der Tätigkeitsschwerpunkt der Abgeordneten nicht in Berlin liegt, folgt nicht, dass die Abgeordneten ihre mandatsbezogenen Aufgaben, zu denen primär die Teilnahme an Sitzungen der Ausschüsse und des Bundestags selbst gehören, nicht wahrnehmen (können).119 Schließlich handelt es sich bei der Sommerpause allgemein nicht um eine verfassungsrechtlich indizierte Pause, in der „kein Parlament stattfindet“. Stattdessen ist in Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG sogar vorgegeben, dass es keine parlamentsfreie Zeit geben kann, da die Amtszeit des „alten“ Bundestags erst mit dem Zusammentritt des „neuen“ Bundestags endet.120 Bis zu 117
Unter der Sommerpause werden hier die durch parlamentarische Praxis festgelegten sitzungsfreien Abschnitte im Sommer, d. h. regelmäßig im Juli und August, verstanden; umfassend zur Sommerpause des Bundestags M.-F. Feldkamp, ZParl 2007, S. 630 ff. (insb. S. 641 ff.). 118 Dazu M.-F. Feldkamp, ZParl 2007, S. 630 ff. (647). 119 BVerfGE 146, 327 (367); der Beschluss bezog sich nicht unmittelbar auf die Tätigkeit der Abgeordneten in der sitzungsfreien Zeit vor der Wahl, sondern vielmehr auf den Einsatz von Abgeordnetenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern im Wahlkampf, bei dem das Bundesverfassungsgericht aber auch auf die Abgeordneten als solche abstellt. 120 Etwas anderes gilt auch nicht im Fall der vorzeitigen Auflösung des Bundestags nach Art. 63 Abs. 4 S. 3, Art. 68 Abs. 1 GG; auch in diesem Fall endet die Amtszeit der Mitglieder
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diesem Zeitpunkt ist der bestehende Bundestag verfassungsrechtlich voll handlungsbefugt und arbeitsfähig.121 Zwar mag es faktisch so sein, dass keine neuen Gesetzgebungsprojekte begonnen oder andere Entscheidungen mit Zukunftswirkung im Bundestag getroffen werden. Zudem dürften Abgeordnete, die sich zur Wiederwahl stellen, in den letzten Wochen vor der Wahl ihren Hauptfokus auf Wahlkampfangelegenheiten sowie die Mobilisierung letzter Wählerstimmen legen, und diejenigen Abgeordneten, die nicht zur Wiederwahl aufgestellt sind, den Übergang ihrer Geschäftsvorgänge vorbereiten. Auswirkungen auf das Wahlprüfungsverfahren können diese politischen und nicht rechtlichen Umstände jedoch nicht haben. So haben vergangene Wahlperioden gezeigt, dass der Bundestag auch im Zeitpunkt nach der parlamentarischen Sommerpause, aber vor der Bundestagswahl seinen grundgesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben grundsätzlich nachgekommen ist. Selbst unmittelbar vor den letzten Bundestagswahlen gab es regelmäßig Sitzungswochen beziehungsweise -tage Anfang September.122 Ein „in Auflösung befindlicher Bundestag“ liegt weder verfassungsrechtlich noch tatsächlich in irgendeinem Zeitpunkt vor. Diese ständige Handlungsbefugnis und Arbeitsfähigkeit des Bundestags zeigt sich auch daran, dass der Bundestag sowie seine Ausschüsse in der sitzungsfreien Zeit zu außerplanmäßigen Sitzungen, sogenannte Sondersitzungen, einberufen werden können. Dieses Instrument könnte auch zur Abhilfe von Wahlprüfungseinsprüchen bereits vor der Bundestagswahl dienen. Nach Art. 39 Abs. 3 S. 1 GG bestimmt der Bundestag regelmäßig selbst über den Beginn und Schluss seiner Sitzungen; er legt somit die Sitzungsperioden und die sitzungsfreie Zeit nach eigenem Ermessen fest. Allerdings besteht gemäß Art. 39 Abs. 3 S. 2, 3 GG, § 21 Abs. 2 GO-BT die Option, dass die Bundestagspräsidentin beziehungsweise der Bundestagspräsident außerplanmäßige Sitzungen des Bundestags einberufen kann.123 Diese Möglichkeit dient dazu, jederzeit auf unerdes bisherigen Bundestags bei Zusammentritt des neuen Bundestags, u. a. H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 39 (März 2022) Rn. 25 und S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 39 Rn. 8. 121 Monografisch zur Tätigkeit und demokratischen Legitimation des vorherigen Bundestags A. Kochsiek, Der Alt-Bundestag, 2002, insb. S. 162 ff. 122 U. a. beschloss der Bundestag unmittelbar vor der Bundestagswahl am 26. September 2021 in seiner 239. Sitzung am 7. September 2021 über das Sondervermögen Aufbauhilfe 2021, um die von der im Juli 2021 stattgefundenen Flutkatastrophe betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen. Ebenso beschloss der Bundestag in seiner 238. Sitzung am 25. August 2021 die Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Lage in Bezug auf die Corona-Pandemie sowie über das Vorgehen Deutschlands zur Lage in Afghanistan. 123 Hierbei handelt es sich nicht um ein eigenes Recht der Bundestagspräsidentin bzw. des Bundestagspräsidenten. Stattdessen übt die Bundestagspräsidentin bzw. der Bundestagsprä-
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wartete Ereignisse zu reagieren. Durch sie soll gewährleistet werden, dass der Bundestag trotz Sitzungspausen und auch außerhalb von Sitzungswochen handlungsfähig bleibt. Die Bundestagspräsidentin beziehungsweise der Bundestagspräsident benötigt aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Sitzungen zur Einberufung jedoch stets einen außerordentlich wichtigen Grund.124 Bisherige Sondersitzungen fanden beispielsweise als Reaktion auf Naturkatastrophen, Seuchen oder Unruhen statt.125 Ähnliches gilt für Sondersitzungen von Ausschüssen; diese können nach § 60 Abs. 3 GO-BT durch die Ausschussvorsitzende oder den Ausschussvorsitzenden außerplanmäßig einberufen werden, sofern eine Fraktion oder fünf Prozent der Bundestagsabgeordneten dies verlangen, sowie wenn der Ausschuss selbst einstimmig über das Abhalten der Sondersitzung entscheidet und die Genehmigung der Bundestagspräsidentin beziehungsweise des Bundestagspräsidenten erteilt ist. Aufgrund der Spiegelbildlichkeit der Ausschüsse zum Bundestag126 dürfen Sondersitzungen von Ausschüssen in der sitzungsfreien Zeit ebenfalls nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines wichtigen Grundes stattfinden. Bei einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung durch den Bundestag handelt es sich allerdings um einen vorhersehbaren Grund für die Einberufung von Sitzungen des Wahlprüfungsausschusses und des Bundestagsplenums. Schließlich haben die Erfahrungen der letzten Bundestagswahlen gezeigt, dass der Bundeswahlausschuss stets über circa zehn Beschwerden gegen die Zulassung beziehungsweise Ablehnung von Landeslisten nach § 28 Abs. 2 BWahlG zu entscheiden hatte.127 Gegen diese Entscheidungen des Bundeswahlausschussident in der Zeit zwischen den vereinbarten Sitzungen lediglich das Selbstversammlungsrecht stellvertretend für den Bundestag aus, statt aller nur U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/ F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 39 Rn. 41. 124 Ebenso K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 39 Rn. 43. 125 Siehe dazu den Überblick über die Sondersitzungen ab der 12. Wahlperiode, Deutscher Bundestag (Hrsg.), Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestags, Kapitel 7.4. Sondersitzungen, Stand 28. Februar 2022, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resour ce/blob/196276/592a9a188c8dd48cc8d1a8c01cd59c34/Kapitel_07_04_Sondersitzungen-da ta.pdf (7. Mai 2023) und § 4 Fn. 122. 126 St. Rspr. seit BVerfGE 80, 188 (222), im Anschluss u. a. BVerfGE 140, 115 (151); aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs stellvertretend H. H. Klein, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 40 (November 2018) Rn. 131 und M. Fuchs, DVBl. 2015, S. 1337 ff. (1338 f.). 127 Bundestagswahl 2021: elf Entscheidungen des Bundeswahlausschusses in Bezug auf Landeslisten, Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/ jcr/1f8bb302-8892-4868-bea4-8f8cbf701ab7/20210805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023); Bundestagswahl 2017: neun Entscheidungen des Bundeswahlausschusses in Bezug auf Lan-
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ses soll dann das Wahlprüfungsverfahren im Bundestag bereits vor der Bundestagswahl statthaft sein. Es ist mithin zu erwarten, dass der Wahlprüfungsausschuss und das Bundestagsplenum eine Sitzung zur Behandlung der Wahleinsprüche vor der Wahl durchzuführen hätten, wenn Wahlprüfungen bereits vor der Bundestagswahl erfolgen. Um ein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, das dazu ermächtigt, eine Sondersitzung einzuberufen, handelt es sich nicht. Das Instrument der außerordentlichen Sitzungen ist daher zur Problemlösung nicht geeignet. Stattdessen müsste im Sitzungskalender ein fester Termin für die Sitzung des Wahlprüfungsausschusses zur Prüfung der Wahl einsprüche vor der Wahl und daran anschließend ein Termin für den Beschluss des Bundestagsplenums festgelegt werden.128 Sollten wider Erwarten keine Wahleinsprüche beim Bundestag eingehen, so könnten die bereits festgesetzten Termine problemlos abgesagt werden.
III. Fazit Der bestehende Bundestag und sein Wahlprüfungsausschuss sind mithin verfassungsrechtlich und organisatorisch grundsätzlich in der Lage, auch im Zeitpunkt vor der Wahl Entscheidungen zu treffen und Wahleinsprüche zu behandeln. Insbesondere die parlamentarische Sommerpause kann dem nicht per se entgegenstehen. Folglich ist der bestehende Bundestag im Sinne einer funk tionsadäquaten Institutionenordnung das verfassungsrechtlich zulässige Organ zur primären Behandlung der Wahleinsprüche im Vorfeld der Bundestagswahl.
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung Wie bereits die Bestandsaufnahme gezeigt hat129, sind die Rechtsbehelfe des Wahl- und des Wahlprüfungsrechts für die rechtliche Überprüfung von Fehlern während des gesamten Wahlprozesses nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und weiter Teile des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses exklusiv. Dieser grundsätzlichen These ist zuzustimmen und sie steht auch nicht im Konflikt mit dem Gebot der Einheit der Verfassung. Danach ist unter mehredeslisten, Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 2. Sitzung des Bundeswahl ausschusses vom 3. August 2017, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/ bdbcb31c-e058-4381-b7ad-9c35ba9fcf06/20170814_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023). 128 Zu Möglichkeiten der praktischen Umsetzung der Wahlprüfung vor der Bundestagswahl unten § 7. 129 Oben § 2 , insb. B. I.
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung
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ren möglichen Bedeutungen des Wortlauts aus systematischen Gründen diejenige zu wählen, die dazu führt, dass der Regelungskontext – im Vergleich zu anderen Verfassungsnormen – eingehalten wird.130 Ein anderes Verfahren als die Wahlprüfung nach Art. 41 GG ist für die Beurteilung von Wahlfehlern – auch im Zeitpunkt vor der erfolgten Bundestagswahl – nicht durchzuführen. Grund hierfür ist allerdings nicht die ausschließ liche Berufung auf die besondere Natur des Wahlprüfungsverfahrens, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinen frühen Entscheidungen festgestellt und seitdem stets übernommen hat. Stattdessen ist das Wahlprüfungsverfahren – wie im Folgenden gezeigt werden soll – das nach derzeitiger Rechtslage einzig sinnvolle Verfahren, um Wahlfehler, die in Bezug auf konkrete Bundestagswahlen während des gesamten Wahlverfahrens erfolgen, rechtlich zu überprüfen.
I. Fachgerichtlicher Rechtsschutz und außergerichtliche Rechtsbehelfe Als fachgerichtlicher Rechtsschutz kommt der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten in Frage. Mögliche außergerichtliche Rechtsbehelfe sind die Rechtsbehelfe des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung. 1. Verwaltungsrechtsschutz Denkbar ist im Zeitraum vor der Wahl das Ersuchen von Verwaltungsrechtsschutz. Insbesondere drängen sich dafür neben der Erhebung von Klagen aufgrund des Zeitdrucks die Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes auf. a) Rechtsbehelfe des Verwaltungsrechtsschutzes In Betracht kommt – je nach Beschaffenheit des gerügten Wahlfehlers – grundsätzlich jede Art von Klagen, also Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Leistungsbis hin zu bloßen Feststellungsklagen. Politische Parteien können dabei unproblematisch Verfahrensbeteiligte vor dem Verwaltungsgericht sein. Zu beachten ist, dass politische Parteien nur in ihrem passiven Wahlrecht, also in ihrem Recht bei einer Bundestagswahl gewählt zu werden, verletzt sein können. Das aktive Wahlrecht, also das Recht einer oder eines jeden Wahlberechtigten, ihre beziehungsweise seine Stimme bei einer Wahl abzugeben, steht politischen Parteien mangels Wahlberechtigung nicht zu.131 130 K. Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 71; ihm folgend u. a. M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Einführung Rn. 50. Umfassend auch F. Müller, Die Einheit der Verfassung, 2. Aufl. 2007, passim. 131 Wahlberechtigt zu Bundestagswahlen ist nach Art. 38 Abs. 2 GG jede bzw. jeder Deut-
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Mögliche Verletzungen für Parteien ergeben sich im Vorfeld von Wahlen – ganz grundsätzlich betrachtet – regelmäßig nur bei der Nichtanerkennung als Partei sowie bei der Zulassung von Wahlvorschlägen. Die Anerkennung als Partei und die Zulassung von Wahlvorschlägen durch den jeweils zuständigen Wahlausschuss stellen hoheitliche Maßnahmen dar, die der zuständige Wahlausschuss als Behörde zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft. Verwaltungsakte im Sinne des jeweils anwendbaren § 35 S. 1 VwVfG liegen nach hier vertretener Auffassung dementsprechend vor.132 Für den Fall der Nichtanerkennung der Partei wurde 2012 das Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, § 13 Nr. 3 BVerfGG eingeführt, das allen anderen Rechtsbehelfen als lex specialis vorgeht.133 In Betracht kommt daher insbesondere eine Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO bezüglich solcher Wahlfehler, die sich auf die Zulassung von Wahlvorschlägen und Landeslisten beziehen. Anfechtungsklagen nach § 42 Abs. 1 VwGO und allgemeine Leistungsklagen134 können gegen ablehnende Verwaltungsakte oder gegen benachteiligende Realakte erhoben werden, die sich regelmäßig auf das aktive Wahlrecht beziehen. Das aktive Wahlrecht steht – wie bereits dargestellt – nicht den Parteien, sondern den einzelnen Wählerinnen und Wählern zu.135 In allen Fällen besteht ebenfalls das für die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Rechtsverhältnis, jedoch bleibt für diese Klageart regelmäßig aufgrund ihrer Subsidiarität gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen nach § 43 Abs. 2 VwGO in Bezug auf Wahlfehler kein Anwendungsbereich mehr.136 sche, die bzw. der das 18. Lebensjahr vollendet hat. Das Wahlrecht ist demnach zwingend an den Status als natürliche Person gebunden. 132 Anders P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 5 m. w. N., nach dem Wahlorgane nicht als Behörden einzuordnen sind. Wie hier aber H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 102 f. 133 BT-Drs. 17/9392, S. 4; L. Bechler/S. Neidhardt, NVwZ 2013, S. 1438 ff. (1442); a. A. P. Klein, DÖV 2013, S. 584 ff. (593 f.). 134 Gegen die Existenz der allgemeinen Leistungsklage, die durch die Verwaltungsgerichtsordnung nicht ausdrücklich normiert ist, bestehen nach allgemeiner Ansicht keine Bedenken. Sie wird aus §§ 43 Abs. 2, 111 VwGO abgeleitet. 135 Hier geht es dann beispielsweise um Eintrittsverbote in sowie Ausweisungsgebote aus Wahllokalen, bei denen es sich jeweils um Verwaltungsakte handelt, sodass die Anfechtungsklage statthaft ist, oder um die fehlerhafte Übersendung der Briefwahlunterlagen als tatsächliche Handlungen, sodass die allgemeine Leistungsklage statthaft ist. 136 Anders aber K. O. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtagswahlen, 1959, S. 217 ff., der sowohl Anfechtungs- als auch Verpflichtungsklagen für un-
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b) Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vor der Wahl Verwaltungsrechtsschutz ist im Wege des Hauptsacheverfahrens und des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, das insofern das Hauptsacheverfahren ergänzt und stets auf dieses bezogen ist, möglich. Dabei sollte grundsätzlich versucht werden, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu erlangen, handelt es sich beim vorläufigen Rechtsschutz schließlich nur um eine vorläufige Entscheidung, dem zwingend ein Hauptsacheverfahren anzuschließen ist, in welchem mitunter auch gegenteilige Entscheidungen getroffen werden können.137 Den Rechtsschutz vor der Wahl allein in Hauptsacheverfahren zu suchen, greift allerdings zu kurz. So können Hauptsacheverfahren zeitlich gesehen häufig aufgrund der kurzen Zeitspanne, die zwischen den Entscheidungen der Wahlorgane und dem Wahltag liegt, nicht durchgeführt werden. Das gilt vor allem in den Fällen, in denen zunächst mit dem Widerspruchsverfahren nach § 68 VwGO ein Vorverfahren vor Erhebung der eigentlichen Klage durchgeführt werden muss, also in Bezug auf alle Maßnahmen, die der Bundeswahlausschuss zu entscheiden hat und gegen die die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage statthaft ist. Dort hilft der auf Verpflichtungsklagen bezogene § 75 S. 1 VwGO dann ebenfalls nicht weiter, wonach in Ausnahmefällen nach Ablauf einer angemessenen Frist ausnahmsweise vom Vorverfahren abgesehen werden kann. Grund ist, dass auch in diesen Fällen nicht gewährleistet ist, dass die Urteile vor dem Wahltermin in Rechtskraft erwachsen.138 Zudem hängt die Vollstreckbarkeit des Urteils von seiner Rechtskraft ab, § 167 Abs. 2 i. V. m. §§ 167 Abs. 1, 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.139 Somit dürfte der Nutzen eines noch nicht rechtskräftigen und damit auch noch nicht vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache verringert sein. Schließlich wird der jeweilige Wahlausschuss seine wahlfehlerbehaftete Entscheidung frühstens erst mit Rechtskraft des Urteils, wenn nicht sogar erst im Zeitpunkt der Vollstreckbarkeit anpassen. statthaft hält und für den die Feststellungsklage daher nicht aufgrund von Subsidiarität zurücktreten muss. 137 Zum Verhältnis zwischen dem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren und dem Hauptsacheverfahren auch C. Bamberger, NVwZ-Extra 18a/2017, S. 1 ff. und F. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, S. 121 ff. 138 Erst wenn das Urteil nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann, wird es rechtskräftig. Die Berufungsfrist beträgt einen Monat nach Zustellung des vollständigen Urteils, § 124a Abs. 2 VwGO. Dies wird regelmäßig ein zu langer Zeitraum sein, um vor dem Wahltermin ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil zu erstreiten. 139 Auch die vorläufige Vollstreckbarkeit ist für Verpflichtungsklagen keine Option: Nach § 167 Abs. 2 VwGO können sie nämlich nur in Bezug auf die Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden und nicht in Bezug auf ihre materiellen Gehalte und Entscheidungsgründe.
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Daher kommt dem das Hauptsacheverfahren ergänzenden vorläufigen Rechtsschutz in Bezug auf Verfahren von Parteien gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane im Vorfeld des Wahltags die größere Bedeutung zu. Denn ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz ist auf eine kurze Zeitspanne angelegt. Da in der Hauptsache regelmäßig Verpflichtungsklagen in Betracht kommen, ist das vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO einschlägig. Parteien können demnach einen Antrag auf einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand, also die sie verletzende Maßnahme oder Entscheidung eines Wahlorgans, stellen, wenn entweder die Gefahr besteht, dass Rechte der Parteien durch eine Änderung des bestehenden Zustands vereitelt oder wesentlich erschwert werden (§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO) oder wenn es darum geht, Rechte der Parteien durchzusetzen und so ihren Rechtskreis zu erweitern (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO). Großer Vorteil in der Ergänzung des Hauptsacheverfahrens durch den vorläufigen Rechtsschutz ist, dass weder ein Vorverfahren erforderlich ist noch die Klage in der Hauptsache notwendigerweise vorher erhoben werden muss.140 Auch hängt die Vollstreckbarkeit nach § 168 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht von der Rechtskraft des Beschlusses ab. Für den vorläufigen Rechtsschutz spricht weiter die Schnelligkeit des Verfahrens. Jedes Verwaltungsgericht hat Mechanismen getroffen, um Entscheidungen im Eilrechtsschutzverfahren auch außerhalb der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten am Wochenende oder an Feiertagen zu ermöglichen.141 Dies ist verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, der neben dem formellen Bestehen des Rechtswegs auch einen effektiven Rechtsschutz gewährleistet.142 Dazu gehört auch eine zeitnahe Entscheidung. Es ist möglich, dass durch einen vorläufigen Rechtsschutz in Bezug auf von Parteien geltend gemachte Wahlfehler vor der Wahl eine Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.143 Jedoch überwiegt regelmäßig das Interesse an 140
§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO; gleichwohl wird in der Praxis regelmäßig bereits zeitgleich mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz die Klage in der Hauptsache eingelegt. Falls die Klage in der Hauptsache zum Zeitpunkt der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz noch nicht erhoben sein sollte, wird das Verwaltungsgericht entscheiden, dass die aufschiebende Wirkung einer bis zu einem bestimmten Datum zu erhebenden Klage in der Hauptsache der Antragstellerin oder des Antragstellers angeordnet wird. 141 Hierzu hat jedes Verwaltungsgericht einen wechselnden Bereitschaftsdienst eingerichtet, der die dann eingehenden Anträge bearbeitet. Zudem besteht stets die Möglichkeit zum Erlass von Hängebeschlüssen, wenn auch der vorläufige Rechtsschutz zu spät kommen würde. 142 St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 35, 263 (274). 143 Nach überwiegender Ansicht darf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden; nur ausnahmsweise ist von diesem Vorwegnahmeverbot eine Ausnahme zu machen, wenn das Abwarten auf eine späte-
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einer zeitnahen Entscheidung aus Art. 19 Abs. 4 GG gegenüber dem Vorrang des – regelmäßig aber zu spät kommenden – Hauptsacheverfahrens als Prinzip des Verwaltungsgerichtsverfahrens.144 c) Ablehnung des Verwaltungsrechtsschutzes trotz grundsätzlicher Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs Nichtsdestotrotz bleibt die Anrufung der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine rein theoretische Möglichkeit, die in der Praxis nicht greifen kann. Zwar handelt es sich bei Wahlfehlern und auf sie bezogene Streitigkeiten nicht um solche verfassungsrechtlicher Art beziehungsweise solche im Sinne einer doppelten Verfassungsunmittelbarkeit nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, treten die Wahlorgane den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Parteien gegenüber als Behörde auf.145 Darüber hinaus erfordert das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit, dass beide Beteiligte unmittelbar am Verfassungsleben beteiligt sind. Selbst wenn man die politischen Parteien, die regelmäßig als zivilrechtliche Vereine organisiert sind, noch als am Verfassungsleben Beteiligte ansieht, so muss diese Zugehörigkeit spätestens bei den Wahlbehörden verneint werden. Sie werden durch die Verfassung nicht vorgesehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den materiellen Umständen. Nur weil eine Entscheidung oder Maßnahme, die auf der Anwendung einer einfachgesetzlichen Norm beruht, oder eine bestimmte einfachgesetzliche Norm unmittelbar rechtlich überprüft werden soll, ist nicht direkt eine materiell dem Verfassungsrecht zugehörige Streitigkeit gegeben. Einfaches Recht und auf einfaches Recht bezogene Maßnahmen und Entscheidungen gestalten naturgemäß Verfassungsvorschriften aus. Das allein reicht aber für die Bejahung einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht aus, andernfalls wäre jeder Rechtsstreit materiell dem Verfassungsrecht zugehörig und für die Verwaltungsgerichtsbarre Hauptsacheentscheidung für die Antragstellende oder den Antragstellenden unzumutbar ist und die Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird, so u. a. BVerfGE 79, 69 (74 f.) und BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999, 11 VR 8-98 = NVwZ 1999, S. 650. 144 Anders Wolf-Rüdiger Schenke, der den vorläufigen Rechtsschutz im Bereich von auf das passive Wahlrecht bezogenen Streitigkeiten aufgrund einer Vorwegnahme der Hauptsache ablehnt, W.-R. Schenke, Probleme des gerichtlichen Rechtsschutzes bei hessischen Landtagswahlen, in: M. Böhm/A. Schmehl (Hrsg.), Verfassung – Verwaltung – Umwelt, FS Lange, 2010, S. 19 ff. (34). 145 Ebenso H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 102 f.; anders u. a. P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 Rn. 5 m. w. N., nach dem „die mit der Durchführung der Wahl befassten Wahlorgane […] unabhängige und weisungsungebundene Selbstverwaltungsorgane sui generis [sind], die in keinen behördlichen Instanzenzug eingegliedert sind“.
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keit bliebe kein Raum. Auf das Wahlrecht bezogene Streitigkeiten sind materiell- rechtlich gesehen folglich grundsätzlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuzuordnen. Daneben besteht das für Begehren vor den Verwaltungsgerichten regelmäßig notwendige Rechtsschutzbedürfnis für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung von Wahlfehlern, die sich auf politische Parteien beziehen. Beim Rechtsschutzbedürfnis handelt es sich um ein allgemein anerkanntes Rechtsprinzip146, das sowohl für Klagen als auch für Anträge im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen muss.147 Es ist bei Leistungs- und Gestaltungsklagen sowie darauf bezogenen Rechtsbehelfen im vorläufigen Rechtsschutz regelmäßig indiziert148 und muss nur in Ausnahmefällen explizit festgestellt werden. Solche Ausnahmefälle liegen in Bezug auf die bei der gerichtlichen Überprüfung der auf Parteien bezogenen Wahlfehler vor dem Wahltag statthaften einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO in drei Fällen vor: Erstens, wenn es zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin oder des Antragstellers keinen gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz benötigt, zweitens, wenn der vorläufige Rechtsschutz nicht rechtzeitig erlangt werden kann, da auch bei Bejahung des vorläufigen Rechtsschutzes das Antragsziel weder erreicht noch dessen Erreichung gefördert werden kann oder wenn drittens die Durchführung des vorläufigen Rechtsschutzverfahren rechtsmissbräuchlich wäre.149 Dass gerichtlicher Rechtsschutz die einzige Möglichkeit für Parteien ist, um Wahlfehler vor dem Wahltermin effektiv geltend zu machen, wird noch zu zeigen sein.150 Auf die Geltendmachung von Wahlfehlern für politische Parteien bezogene Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz können aufgrund des Vorlaufs zur Wahl immer erfolgen. Denn die Entscheidung über die Nichtanerkennung als Partei 146
Vertiefend statt aller W.-R. Schenke, in: F. O. Kopp/ders. (Hrsg.), VwGO, 28. Aufl. 2022, Vorb. § 40 Rn. 30 ff. 147 Das Rechtsschutzbedürfnis ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht ausdrücklich normiert, aber dennoch anerkannt, siehe BVerfGE 61, 126 (135); BVerfGE 104, 220 (232) und aus dem verwaltungsrechtswissenschaftlichen Diskurs exemplarisch M. Dombert, in: K. Finkelnburg/ders./C. Külpmann (Hrsg.), Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, § 12 Rn. 91; ausführlich zum Rechtsschutzbedürfnis monografisch G. Christonakis, Das verwaltungsprozessuale Rechtsschutzinteresse, 2004, insb. S. 31 ff. 148 Grund ist, dass die Rechtsordnung bei Schaffung solcher Rechtsbehelfe regelmäßig auch ein Interesse an ihrer Durchsetzung hat, so u. a. BVerwGE 81, 164 (165). 149 BayVGH, Beschluss vom 30. September 2013, 10 CE 13.1371 = NVwZ 2014, S. 163 ff. (165); aus dem verwaltungsrechtswissenschaftlichen Diskurs u. a. A. Bostedt, in: M. Fehling/ B. Kastner/R. Störmer (Hrsg.), VerwR, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 30 ff.; A Puttler, in: H. Sodan/J. Ziekow (Hrsg.), VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 70 ff.; monographisch dazu V. Stein, Die Sachentscheidungsvoraussetzung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses im Verwaltungsprozess, 2000, insb. S. 94 ff. 150 Dazu insb. § 4 D. I. 2.
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fällt spätestens auf den 79. Tag vor der Wahl (§ 18 Abs. 4 BWahlG) und die Entscheidung über die Zulassung von Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern fällt auf den 58. Tag vor der Wahl (§§ 26 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1 BWahlG). Auch kann der Missbrauchsgefahr durch strikte Begrenzung auf entsprechende Wahlfehler – wie in dieser Arbeit auf die (teilweise) Ablehnung von Landes listen politischer Parteien – begegnet werden. Ausnahmen für einen Entfall des Rechtsschutzbedürfnisses sind bei Wahlfehlern, die die politischen Parteien betreffen, folglich nicht gegeben.151 Der Verwaltungsrechtsweg ist zur Überprüfung von auf Parteien bezogene Wahlfehler im Vorfeld von Wahlen aber dennoch ausgeschlossen. aa) Verhältnis von Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG Der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs für Wahlrechtsstreitigkeiten im Zeitpunkt vor der Wahl liegt die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 GG zugrunde. Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht jeder Person, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. In persönlicher Hinsicht ist dafür eine potenzielle Inhaberschaft von Grundrechten oder sonstigen subjektiven Rechten notwendig.152 Parteien können Träger von subjektiven Rechten sein, wie sie unter anderem in Art. 21 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt werden. Aufgrund ihres Status als privatrechtliche Vereinigung müssen für die Geltendmachung von Grundrechten die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 19 Abs. 3 GG, nämlich das Vorliegen einer inländischen juristischen Person und die Voraussetzungen für eine wesensgleiche Anwendbarkeit, gegeben sein. Das ist für Parteien unproblematisch, sind sie doch unabhängig von ihrer rechtlichen Organisationsstruktur durch das Verfassungsrecht als juristische Personen anerkannt.153 Daneben ist zu beachten, dass eine Partei als juristische 151 Etwas anderes gilt freilich für die Wahlfehler, die sich auf die einzelne Wählerin bzw. den einzelnen Wähler beziehen. Diese können mitunter zu kurzfristig für die Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes sein, sodass dort ausnahmsweise das Rechtsschutzbedürfnis entfallen kann, dazu die Ausführungen und Beispiele von K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 49 Rn. 4; so auch schon ders., DÖV 1953, S. 365 ff. (366, 368) ausdrücklich für die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO, noch offen gegenüber der Feststellungsklage nach § 43 VwGO; ebenfalls K. O. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtags wahlen, 1959, S. 216 f.; anders G. Roth, Subjektiver Wahlrechtsschutz und seine Beschränkungen durch das Wahlprüfungsverfahren, in: G. Pfeiffer/U. Burgermeister/ders. (Hrsg.), Der verfaßte Rechtsstaat, FS Graßhof, 1998, S. 53 ff. (59 f.). 152 Statt vieler hier nur H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 82. 153 So st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts u. a. BVerfGE 121, 30 (56 f.) m. w. N., ebenso h. M. im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs u. a. C. Ernst, in: I. von Münch/ P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 73 und H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG,
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Person nicht unmittelbar handeln kann, sondern sich durch ihre entsprechenden Organe vertreten lassen muss. Das spricht aber nicht gegen die grundsätzliche Möglichkeit, sich auf die Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG berufen zu können.154 Mit den Wahlorganen handelt als Teil der Exekutive die öffentliche Gewalt.155 Weiter müssen subjektive Rechte verletzt sein; darunter fallen nicht nur Grundrechte, sondern nach der Schutznormtheorie auch sonstige Rechtsnormen, die öffentlich-rechtlich sind und nicht nur den Schutz der Allgemeinheit, sondern gerade auch den des Einzelnen bezwecken möchten.156 Durch die Nichtzulassung von Landeslisten der Parteien für Wahlen durch die Wahlorgane ist zumindest die Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG im Vergleich zu anderen Parteien, deren Landeslisten uneingeschränkt zugelassen wurden, beeinträchtigt. Der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ist für Parteien eröffnet. Das Grundgesetz schreibt seinem Wortlaut nach in Art. 41 GG zwei Organen die Kompetenz zur Überprüfung von Beeinträchtigungen in Bezug auf Bundestagswahlen zu: dem Bundestag auf erster Ebene und dem Bundesverfassungsgericht auf zweiter Ebene. Die Anrufung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist dort nicht vorgesehen. Nur bei dem Verfahren auf zweiter Stufe vor dem Bundesverfassungsgericht handelt es sich um einen Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG.157 Demnach konkurrieren in systematischer Hinsicht mit Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG also zwei Grundsätze der Verfassung, die es wie üblich im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz auszugleichen gilt.158 PraktiBd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 3 Rn. 52; anders P. M. Huber, Parteien in der Demokratie, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 609 ff. (623 ff.), der die Anwendbarkeit von Grundrechten für Parteien ablehnt. 154 Anders R. Stober, DVBl. 1979, S. 670 ff. (673), nach dem sich die Partei unmittelbar nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen kann und die Vertrauenspersonen, die zwar grundsätzlich Parteirechte geltend machen können, nicht persönlich durch die Entscheidungen der Wahlprüfungsorgane betroffen sind, sodass eine Berufung auf Art. 19 Abs. 4 GG ausscheidet. 155 Siehe nur H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 57. 156 Hierzu statt vieler M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 129. 157 Ebenso W. Kluth, LKV 2019, S. 501 ff. (503); anders E. Schmidt-Aßmann, in: G. Dürig/ R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 4 (August 2020) Rn. 33, der davon ausgeht, dass die Wahlprüfungsbeschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG kein Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG darstellt und damit Art. 19 Abs. 4 GG gegenüber Art. 41 GG in allen Fällen, in denen es nicht um die Gültigkeit der Wahl als solche oder eines Mandats geht, für vorrangig hält und daher alternative Rechtsschutzmöglichkeiten für zulässig erachtet. 158 Anders A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1815), der in Bezug auf die insoweit gleiche Rechtslage bei sächsischen Landtagswahlen die Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens für ausnahmslos gegeben ansieht und aus systematischer Hinsicht eine Herstellung prakti-
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sche Konkordanz lässt sich herstellen, indem ein möglichst schonender Ausgleich zwischen zwei verfassungsnormativen Grundentscheidungen hergestellt wird, bei dem versucht wird, beide Inhalte möglichst zu erhalten.159 Ausgangspunkt für die Herstellung praktischer Konkordanz sind – wie bereits dargelegt – nur die Wahlfehler, die sich auf Parteien beziehen. Betroffen ist also das passive Wahlrecht. Es geht um die Einschränkungen der Wählbarkeit gewisser Parteien oder Parteimitglieder, die sich um Abgeordnetenmandate bewerben. Bei Rechtsverletzungen in Bezug auf das passive Wahlrecht wird regelmäßig die für ein erfolgreiches Wahlprüfungsverfahren notwendige Mandats relevanz vorliegen, sodass der Wahlfehler für das Wahlergebnis erheblich ist.160 Somit sind dem Wahlprüfungsverfahren von vornherein große Erfolgschancen zuzuschreiben und es ist nicht zu erwarten, dass lediglich eine Feststellung über die Rechtsverletzungen ohne Auswirkungen auf die Wahl zum Bundestag nach § 48 Abs. 3 BVerfGG erfolgt. Zudem geht das Wahlprüfungsverfahren in seinen Rechtsfolgen weiter als der Verwaltungsrechtsschutz: Wird im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens ein mandatsrelevanter und damit erheblicher Wahlrechtsfehler festgestellt, so ist die Wahl (teilweise) für ungültig zu erklären, § 48 Abs. 1, Abs. 3 BVerfGG. Entschieden wird also neben der konkreten Rechtsverletzung über die Bestandskraft der Wahl als solche. Der Verwaltungsrechtsschutz hingegen zielt nicht auf die Beurteilung der Wahl als solche ab, sondern bezieht sich immer nur auf die konkrete Rechtsverletzung.161 Das Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG reicht daher für auf das passive Wahlrecht bezogene Rechtsverletzungen aus und geht sogar in seinen Rechtsfolgen weiter als
scher Konkordanz ablehnt. Dabei verkennt der Autor ohne nähere Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 4 GG dessen grundsätzliche Einschlägigkeit, der aufgrund seiner Ranggleichheit mit Art. 41 GG nicht ohne weitere Begründung zurücktreten kann. Der Bedarf für die Herstellung praktischer Konkordanz ist – anders als Alexander Brade meint – somit gegeben. 159 Der Grundsatz praktischer Konkordanz geht zwar maßgeblich auf Konrad Hesse zurück, K. Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 72, wurde jedoch erstmalig durch Richard Bäumlin 1961 eingeführt, siehe dazu R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, 1961, S. 30. Er wurde vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung übernommen, z. B. BVerfGE 148, 267 (280) m. w. N.; kritisch zum Grundsatz der praktischen Konkordanz u. a. A. Fischer-Lescano, KJ 2008, S. 166 ff.; zur nach wie vor bestehenden Notwendigkeit des Grundsatzes der praktischen Konkordanz u. a. M. Schladebach, Der Staat 53 (2014), S. 263 ff. 160 Dazu schon oben § 4 A. II. 161 So für Verletzungen des passiven Wahlrechts in Bezug auf die hessische Landtagswahl auch W.-R. Schenke, Probleme des gerichtlichen Rechtsschutzes bei hessischen Landtagswahlen, in: M. Böhm/A. Schmehl (Hrsg.), Verfassung – Verwaltung – Umwelt, FS Lange, 2010, S. 19 ff. (32 f.).
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das Verwaltungsgerichtsverfahren. Ein Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG im Wege der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nicht mehr nötig.162 Auch kann der zeitliche Vorteil, den ein Verfahren im Eilrechtsschutz mit sich bringt, nicht dazu führen, dass der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz trotz grundsätzlicher Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs im Zeitpunkt vor der Wahl Abhilfe schafft. Denn es sind nicht allein die zeitliche Komponente und die Angst vor einer möglicherweise notwendigen und nur bedingt mit Art. 20 Abs. 2, 39 Abs. 1 GG zu vereinbarenden Verschiebung des Wahltermins, die für die Verneinung des Verwaltungsrechtsschutzes ausschlaggebend sind.163 Es ist vor allem der Schutz des Wahlprüfungsrechts als historisch begründetes, originär parlamentarisches Recht, der zu einer Verneinung der Zulässigkeit anderer Rechtsbehelfe als dem Wahlprüfungsverfahren und denen der Bundeswahlgesetz und Bundeswahlordnung und damit auch einer Unzulässigkeit des Verwaltungsgerichtsverfahrens führen muss.164 Selbst wenn man dieser Abwägungsentscheidung zwischen Art. 41 GG und Art. 19 Abs. 4 GG nicht folgt, muss – spätestens seit dem Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen aus dem Jahr 2012 – auf eine Spezialität des Art. 41 GG abgestellt werden: So ist das Wahlprüfungsverfahren explizit seitdem nicht mehr nur auf den Schutz des objektiven Wahlrechts bezogen, sondern schützt auch subjektive Rechte der oder des Einzelnen und der Partei. Das entspricht auch Art. 38 Abs. 1 GG, der ebenfalls die Doppelfunktionalität des Wahlrechts mit dem Schutz objektiver und subjektiver Rechte beinhaltet.165 Somit weist die Wahlprüfung nach Art. 41 GG keinen anderen Rechtscharakter als Art. 19 Abs. 4 GG auf. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt seinem Wortlaut nach, dass der Rechtsweg bei einer Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt offenstehen muss. Nicht geregelt ist hingegen, wie genau dieser Rechtsweg auszusehen hat. Die Wahlprüfung sieht ein zweistufiges Verfahren vor: Zwar handelt es sich beim Verfahren im Bundestag nicht um eine Rechtskontrolle, doch kann auf zweiter Ebene durch das Bundesverfassungsgericht eine Rechtskontrolle durch ein Gericht erfolgen. Für die Wahrung von Art. 19 Abs. 4 GG reicht es dabei 162
Anders allerdings zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 103, der aufgrund des ausschließlich objektiven Charakters des Wahlprüfungsverfahrens auch bei Ablehnung einer Liste oder einer Kandidatin bzw. eines Kandidaten den Verwaltungsrechtsweg wegen Art. 19 Abs. 4 GG für eröffnet hält. 163 Selbst das Bundesverfassungsgericht zog diese Begründungslinie nur als „zusätzliche Rechtfertigung“ (Hervorhebung im Original) heran, BVerfGE 28, 214 (219 f.). 164 Ausführlich zur Herkunft der Wahlprüfung als originäres Parlamentsrecht siehe § 3 B. und § 4 C. II. 1. 165 Dazu auch A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1815 f.) m. w. N.
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aus, wenn die gerichtliche Rechtskontrolle einstufig ausgestaltet ist, ein Instanzenzug ist nicht notwendig.166 Relevant ist nur, dass Gegenstand des Gerichtsverfahrens die gerügte Rechtsverletzung ist.167 Das garantiert nunmehr Art. 41 Abs. 3 GG i. V. m. § 48 Abs. 1, Abs. 3 BVerfGG ausdrücklich für die Verletzung objektiver wie auch subjektiver Rechte.168 Nicht durchschlagen kann daher insbesondere der Einwand von Wolf-Rüdiger Schenke, dass die Änderung von § 48 Abs. 1, Abs. 3 BVerfGG durch die ausdrückliche Aufnahme subjektiver Rechtsverletzungen als Verfahrensgegenstand im Wahlprüfungsverfahren zeige, dass sich der Gesetzgeber der Rechtsschutzdefizite bewusst gewesen sei.169 Das Recht wird zunehmend fortentwickelt, Änderungen müssen nicht zwingend als Eingeständnis bestehender Unzulänglichkeiten aufgefasst werden, sondern können stattdessen auch als dessen Fortentwicklung zum Beispiel für ein besseres Verständnis der Norm angesehen werden. Von daher sind die Neuregelungen durch das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlrechtssachen eher als erster Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen anstatt nur als nicht ausreichend zu kritisieren. Ob die Änderungen ausreichen, ist hingegen eine andere Frage.170 Anders ist die Rechtslage lediglich in Bezug auf Verletzungen des aktiven Wahlrechts.171 Dort wird umgekehrt regelmäßig der Fall gegeben sein, dass die Verletzung des Wahlrechts einer oder eines einzelnen Wahlberechtigten keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Bundestagswahl hat – mit anderen Worten: dass es an der erforderlichen Mandatsrelevanz fehlt –, sodass nur eine Bescheidung des Wahlfehlers nach § 48 Abs. 3 BVerfGG die Folge des Wahlprüfungsverfahrens sein wird. Hier ist es daher denkbar, alternative Rechtsschutzmöglichkeiten außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens suchen zu wollen.172 Für 166
St. Rspr., siehe u. a. BVerfGE 1, 433 (437 f.); BVerfGE 11, 232 (233); BVerfGE 42, 243 (248); BVerfGE 65, 76 (90); BVerfGE 83, 24 (31); BVerfGE 87, 48 (61); anders A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, passim. 167 M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 135. 168 Anders W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (122 f.), der zudem kritisiert, dass § 48 BVerfGG als einfachgesetzliche Norm nicht Art. 19 Abs. 4 GG als Norm mit Verfassungsrang verdrängen könne. Hierbei verkennt er aber, dass § 48 BVerfGG Art. 41 GG in verfassungskonformer Weise konkretisiert und der Schutz des objektiven und subjektiven Wahlrechts nicht allein aus untergesetzlichen Normen folgt, sondern bereits durch Art. 41 GG angelegt ist, so auch A. Misol, in: T. Barczak (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 48 Rn. 71. Kritisch dazu L. Bechler, NVwZ 2022, S. 467 ff. 169 W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (123). 170 Dazu siehe unten § 4 D. II. 1. a). 171 Siehe ausführlich zum Rechtsschutz gegen Verletzungen des aktiven Wahlrechts W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (125 f.). 172 Die Rechtsschutzmöglichkeiten stellt W.-R. Schenke, Probleme des gerichtlichen Rechtsschutzes bei hessischen Landtagswahlen, in: M. Böhm/A. Schmehl (Hrsg.), Verfas-
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die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG bleibt in Bezug auf ein konkretes Wahlverfahren bei der Überprüfung von Verletzungen des auf die politischen Parteien bezogenen passiven Wahlrechts hingegen kein Anwendungsraum mehr. bb) Rolle von § 49 BWahlG Auch spricht § 49 BWahlG gegen die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtsschutzes. Die Norm, die einfachgesetzlich die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens normiert, hat Einfluss auf die verwaltungsgerichtliche Generalklausel aus § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg nur eröffnet, soweit keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist und eine abdrängende Sonderzuweisung ebenfalls nicht besteht. Eine aufdrängende Sonderzuweisung zur Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs ist für wahlrecht liche Streitigkeiten nicht ersichtlich.173 Bei Wahlrechtsstreitigkeiten zwischen Parteien und Wahlorganen handelt es sich auch um keine Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art.174 Möglicherweise könnte § 49 BWahlG jedoch eine abdrängende Sonderzuweisung zur Verfassungsgerichtsbarkeit darstellen.175 Zwar enthält § 49 BWahlG keinen ausdrücklichen Verweis auf eine andere Gerichtsbarkeit, sondern lediglich eine Auflistung der anwendbaren Rechtsbehelfe. Die Wahlprüfungsbeschwerde sowie die Nichtanerkennungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht sind allerdings die einzigen nach der Norm zulässigen gerichtlichen Rechtsbehelfe und sie sind beide vor dem Bundesverfassungsgericht zu erstreiten. Somit spricht einiges dafür, dass § 49 BWahlG eine abweisende Sonderzuweisung zur Verfassungsgerichtsbarkeit enthält.176 Zu beachten ist dabei stets nur die zweistufige Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens. Unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anzurufen verbietet sich wegen der sung – Verwaltung – Umwelt, FS Lange, 2010, S. 19 ff. (28 ff.) in Bezug auf das hessische Wahlrecht dar, allerdings lässt sich die Argumentation auch auf das Wahlrecht zu Bundestagswahlen übertragen. 173 Siehe statt vieler nur die Auflistung von aufdrängenden Sonderzuweisungen bei J. Ruthig, in: F. O. Kopp/W.-R. Schenke (Hrsg.), VwGO, 28. Aufl. 2022, § 40 Rn. 3. 174 Zur Ablehnung des verfassungsrechtlichen Charakters siehe schon oben § 4 D. I. 1. c). 175 In diese Richtung auch W. Ewer, Wahlprüfung, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 8 Rn. 3, der § 49 BWahlG entweder als Modifikation der (nicht-)verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO oder als abdrängende Sonderzuweisung i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO sieht, eine diesbezügliche Entscheidung aber offenlässt. 176 Anders für Verletzungen des aktiven Wahlrechts H.-G. Franzke, DVBl. 1980, S. 730 ff. (732); ebenso aber B.-D. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, 1970, S. 96 f. mit Fn. 15.
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ausdrücklichen Regelung des Art. 41 Abs. 1 GG, nach der der Bundestag ein Erstzugriffsrecht zur Überprüfung von Wahlfehlern besitzt. Das Bundesverfassungsgericht kann daher stets nur auf zweiter Ebene und nicht unmittelbar angerufen werden.177 Für die Zuständigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit in Bezug auf Wahlfehler spricht auch, dass es sich bei auf konkrete Wahlen bezogene Streitigkeiten, die sich auf das passive Wahlrecht beziehen, um solche ganz grundsätzlicher Art handelt. Sie sind für das Volk als Träger der Staatsgewalt besonders relevant. Daher ist zu fordern, dass derartige Streitigkeiten auch vor den Verfassungsgerichten ausgetragen werden und nicht vor den Verwaltungsgerichten.178 Für eine Modifikation des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit in Bezug auf Parlamentswahlen durch § 49 BWahlG, wie es das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil erwog, eine diesbezügliche Entscheidung im Ergebnis aber offenließ,179 bleibt folglich kein Raum und keine Notwendigkeit mehr. § 49 BWahlG konkretisiert mithin das Institut der Wahlprüfung in verfassungskonformer Art und Weise. cc) Keine Endgültigkeit des Verwaltungsrechtsschutzes Weiter gilt es zu beachten, dass der Verwaltungsrechtsschutz – sowohl in der Hauptsache als auch im vorläufigen Rechtsschutz – nicht abschließend ist. Neben dem allgemeinen Instanzenzug bestehend aus Berufung und Revision stehen Entscheidungen der ersten Instanz, falls sie dort überhaupt ergehen könnten, stets unter dem Vorbehalt einer Überprüfung im Wahlprüfungsverfahren.180 Die Klagenden können sich also trotz Erstreitens einer verwaltungsgericht lichen Entscheidung nicht sicher sein, ob die Entscheidung Bestand haben wird. Rechtssicherheit kann durch verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz vor der Wahl folglich nie erreicht werden.
177 BVerfGE 58, 169 (169 f.); BVerfGE 63, 73 (76) sowie ebenfalls u. a. A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1817). 178 So auch für die rechtliche Überprüfung von Wahlfehlern im Vorfeld der Wahl zum sächsischen Landtag 2019, SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1834), der feststellt, dass „es der Sache nach um eine (faktische) Vorwegnahme der Befassung des Verfassungsgerichtshofes als des im Wahlprüfungsverfahren zuständigen Wahlprüfungsgerichts (Art. 45 Abs. 2, 81 Nr. 5 SächsVerf) mit einem geltend gemachten Wahlfehler geht“. 179 BVerwGE 51, 69 (71 ff.). 180 So auch R. Stober, DVBl. 1979, S. 670 ff. (673).
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d) Fazit Der sich zunächst aufdrängende Verwaltungsrechtsschutz ist für auf Parteien bezogene Wahlfehler im Vorfeld von Wahlen insgesamt keine zu verfolgende Option. Zum einen wird er im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht benötigt, zum anderen ist er wegen § 49 BWahlG zumindest problematisch. Darüber hinaus ist verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nicht zielführend, stehen die auf diesem Wege ergangenen Entscheidungen doch immer unter dem Vorbehalt einer weiteren Prüfung durch das Wahlprüfungsverfahren. 2. Rechtsschutz nach dem Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung Die Rechtsbehelfe des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung beziehen sich zum einen auf die Rechtssphäre der Bürgerinnen und Bürger181 sowie zum anderen auf die Rechtssphäre der politischen Parteien. Ihnen gemeinsam ist der Umstand, dass es sich lediglich um eine verwaltungsinterne außergerichtliche Kontrolle handelt, die wiederum im Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG Einspruchs- beziehungsweise Beschwerdegegenstand sein kann.182 Parteien können bei Zurückweisung eines Kreiswahlvorschlags gemäß § 26 Abs. 2 BWahlG innerhalb von drei Tagen Beschwerde beim Landeswahlausschuss einlegen. Ebenso können sie innerhalb von drei Tagen bei der teilweisen oder vollständigen Zurückweisung ihrer Landesliste Beschwerde beim Bundeswahlausschuss einlegen, § 28 Abs. 2 BWahlG. Weiter kann nach §§ 25 Abs. 4, 27 Abs. 5 BWahlG gegen Verfügungen der jeweiligen Kreis- oder Landeswahlleitung im Mängelbeseitigungsverfahren in Bezug auf die Kreiswahlvorschläge beziehungsweise Landeslisten der jeweils zuständige Wahlausschuss angerufen werden. Die danach ergehende Entscheidung des Kreiswahl- beziehungsweise Landeswahlausschusses kann dann wiederum Gegenstand einer Beschwerde nach § 26 Abs. 2 beziehungsweise § 28 Abs. 2 BWahlG sein. Das zuletzt angerufene Organ entscheidet in all diesen Verfahren endgültig; eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidungen vor einer Wahl ist nicht möglich.183
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Hierunter fällt u. a. die Einspruchsmöglichkeit bei nicht richtiger oder nicht vollständiger Eintragung in das Wahlverzeichnis im Sinne von § 22 Abs. 5 BWahlO. 182 Hingegen ist die Durchführung dieser verwaltungsinternen Rechtsbehelfe nach dem Bundeswahlgesetz und nach der Bundeswahlordnung keine Voraussetzung für die Einleitung des Wahlprüfungsverfahrens nach Art. 41 GG, siehe auch H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, S. 41. 183 H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 99.
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Anknüpfungspunkte für Probleme bei diesen Rechtsbehelfen sind zum einen die Besetzung der Wahlausschüsse, zum anderen die Wirkung, die den Entscheidungen der Wahlausschüsse zukommt. a) Besetzung der Wahlausschüsse Regelmäßig bestehen die Wahlausschüsse aus der oder dem Vorsitzenden und Beisitzerinnen und Beisitzern, § 9 Abs. 2 BWahlG. Der Bundeswahlausschuss wird seit 2012 ergänzt um zwei Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts (§ 9 Abs. 2 S. 1 BWahlG), der Landeswahlausschuss um zwei Richterinnen und Richter des jeweiligen Oberverwaltungsgerichts (§ 9 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BWahlG).184 Dem Bundeswahlausschuss sitzt die Bundeswahlleiterin oder der Bundeswahlleiter vor, den übrigen Wahlausschüssen die jeweilige Wahlleitung, § 9 Abs. 2 S. 1, 2 BWahlG. Die Mitglieder der Wahlorgane sind nach § 10 Abs. 2 BWahlG zur unparteiischen Wahrnehmung ihres Amts verpflichtet. aa) Wahlleiterinnen und Wahlleiter Ernannt wird die Bundeswahlleiterin oder der Bundeswahlleiter nach § 9 Abs. 1 BWahlG, § 1 BWahlO für unbestimmte Zeit vom Bundesministerium des Innern und für Heimat. Eine juristische Vorbildung muss es hierbei nicht geben.185 Stattdessen wird die Leiterin oder der Leiter des statistischen Bundesamts regelmäßig und historisch bedingt auch zur Bundeswahlleiterin beziehungsweise zum Bundeswahlleiter ernannt.186 Die Landes- und Kreiswahlleiterinnen und -leiter werden nach § 9 Abs. 1 BWahlG, § 2 BWahlO durch die Landesregierung oder eine durch diese benannte Stelle ebenfalls für unbestimmte Zeit ernannt.187 Problematisch sind an dieser Besetzungspraxis zwei Dinge: 184
Grund für diese Ergänzung war die Anerkennung der besonderen Tragweite der Entscheidungen, die im Bundeswahlausschuss zu treffen sind, BT-Drs. 17/9391, S. 7; skeptisch hierzu A. Pilniok, Die Rolle der Parteien bei der staatlichen Organisation der Wahlen: Entscheider in eigener Sache oder unabhängige Wettbewerbshüter?, in: S. Bukow/U. Jun/O. Niedermayer (Hrsg.), Parteien in Staat und Gesellschaft, 2016, S. 87 ff. (104) sowie S. Danzer, KommPrax Wahlen 2012, S. 64 ff. (66 f.). 185 So waren von den bisher zwölf eingesetzten Bundeswahlleiterinnen und -leitern lediglich fünf juristisch vorgebildet. 186 C. Thum, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 9 Rn. 3. 187 Die Regelungen der Länder im Einzelnen für die Ernennung der Landeswahlleiterinnen und -leiter: Innenministerium in Baden-Württemberg (§ 11 Abs. 1 LWahlG BW), Bayern (Art. 7 Abs. 1 LWahlG Bay.), Hessen (§ 15 Abs. 2 S. 1 LWahlG Hess.), Niedersachsen (§ 13 Abs. 1 S. 1 LWahlG Nds.), Rheinland-Pfalz (§ 11 LWahlG Rh.-Pf.), Sachsen (§ 8 Abs. 1 LWahlG Sachs.); Senat in Berlin (§ 3 Abs. 2 LWahlO Berl.) und in Bremen (§ 11 Abs. 1 S. 1
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Zum einen haben die Wahlleiterinnen und -leiter die rechtlich nicht ganz klaren Vorgaben des Wahlrechts in einer kurzen Zeitspanne angemessen zu würdigen. Ergänzend muss die Bundeswahlleiterin beziehungsweise der Bundeswahlleiter die Entscheidungen des Bundeswahlausschusses in den Fällen des §§ 18 Abs. 4, 28 Abs. 2 BWahlG vorbereiten und in manchen Fällen wie § 18 Abs. 3 BWahlG prüfen. Gleiches gilt für die jeweilige Landes- und Kreiswahlleitung: Die Landeswahlleiterinnen und -leiter müssen in den Fällen von §§ 28 Abs. 1, 26 Abs. 2 BWahlG die Entscheidungen des Landeswahlausschusses vorbereiten, die Kreiswahlleiterinnen und -leiter die Entscheidungen des Kreiswahlausschusses im Fall von § 26 Abs. 1 BWahlG. Zudem haben Landes- und Kreiswahlleiterinnen und -leiter ebenfalls die eingereichten Wahlvorschläge nach § 25 Abs. 1 BWahlG, für den Fall der Landeswahlleitung in Verbindung mit § 27 Abs. 5 BWahlG, zu prüfen. Zum Aufgabenbereich der Wahlleiterinnen und Wahlleiter gehören folglich zahlreiche juristisch relevante Entscheidungen und Vorgänge. Wenn hier die entsprechenden Kenntnisse fehlen, ist das Amt der Wahlleitung trotz der zur Verfügung stehenden – auch juristischen – Ressourcen schwer auszuüben.188 Zum anderen ist durchaus problematisch, dass die Bundesregierung als Teil der Exekutive aufgrund der Besetzungskompetenz für die Bundeswahlleiterin beziehungsweise den Bundeswahlleiter maßgeblichen Einfluss auf die gesamte Besetzung der Wahlausschüsse, die die vom Volk als Souverän durchzuführenLWahlG Brem.); Landesregierung in Brandenburg (§ 11 Abs. 1 S. 2 LWahlG Brandenb.), Mecklenburg-Vorpommern (§ 9 Abs. 2 S. 1 LKWG M-V), Nordrhein-Westfalen (§ 9 Abs. 1 LWahlG NRW), Saarland (§ 5 Abs. 1 S. 1 LWahlG Saarl.), Schleswig-Holstein (§ 11 Abs. 1 S. 2 LWahlG S-H), Thüringen (§ 8 Abs. 1 LWahlG Thür.); Präsident der Bürgerschaft in Hamburg (§ 19 Abs. 2 S. 1 BüWG Hmb.); Innenministerin oder Innenminister in Sachsen-Anhalt (§ 13 Abs. 1 S. 1 LWahlG Sachs.-Anh.). Die Regelungen im Einzelnen für die Ernennung der Kreis- bzw. Bezirkswahlleiterinnen und -leiter: Innenministerium in Baden- Württemberg (§ 12 Abs. 2 LWahlG BW), Bayern (Art. 7 Abs. 1 LWahlG Bay.), Hessen (§ 14 Abs. 1 LWahlG Hess.), Sachsen (§ 8 Abs. 1 LWahlG Sachs.), Schleswig-Holstein (§ 12 Abs. 1 S. 2 LWahlG S-H), Thüringen (§ 8 Abs. 1 LWahlG Thür.); Bezirksamt in Berlin (§ 3 Abs. 2 LWahlO Berl.); Landeswahlleiterin bzw. Landeswahlleiter in Brandenburg (§ 12 Abs. 2 S. 1 LWahlG Brandenb.), Hamburg (§ 19 Abs. 2 S. 3 BüWG Hmb.), Niedersachsen (§ 12 Abs. 1 S. 1 LWahlG Nds.), Rheinland-Pfalz (§ 11 LWahlG Rh.-Pf.), Sachsen-Anhalt (§ 12 Abs. 1 S. 1 LWahlG Sachs.-Anh.); Senatorin bzw. Senator für Inneres in Bremen (§ 11 Abs. 1 S. 2 LWahlG Brem.); Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern (§ 9 Abs. 3 LWahlG M-V); Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen (§ 10 Abs. 1 S. 1 LWahlG NRW); Landesregierung im Saarland (§ 5 Abs. 1 S. 1 LWahlG Saarl.). 188 Ebenfalls H. H. Klein, ZG 2010, S. 151 ff. (159) für das Amt der Bundeswahlleiterin bzw. des Bundeswahlleiters. Gleichsam in Bezug auf alle Mitglieder der Wahlausschüsse A. von Notz, Not Too Late, but Still Too Little, Verfassungsblog vom 2. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/not-too-late-but-still-too-little/ (7. Mai 2023).
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den Parlamentswahlen vorbereiten, nehmen kann. Gleiches gilt für die Landesregierungen in Bezug auf ihre Landeswahlleiterinnen und Landeswahlleiter. Denn die Regierungen sind berechtigt, die Wahlleiterinnen und Wahlleiter jederzeit abzuberufen und durch eine neue Wahlleiterin oder einen neuen Wahlleiter zu ersetzen, die oder der im Extremfall mit ihren politischen Vorstellungen besser einhergehen könnte und die oder der dann neue Beisitzerinnen und Beisitzer berufen könnte, um den Wahlausschuss insgesamt neu zu konstituieren.189 Diesem Szenario liegt ein gewisses Misstrauen in das Funktionieren demokratischer Strukturen in Deutschland zugrunde, denn eine Abberufung darf nur erfolgen, wenn sie sachlich geboten ist.190 Ganz ausgeschlossen ist es allerdings nicht. Gerade in Kumulation mit der Besetzungspraxis der Beisitzerinnen und Beisitzer ist eine gewisse Grundskepsis an der Besetzung der Wahlausschüsse ein guter Rat.191 bb) Beisitzerinnen und Beisitzer In Bezug auf die Beisitzerinnen und Beisitzer gilt, dass sie durch die Vorsitzende oder den Vorsitzenden des jeweiligen Wahlausschusses ernannt werden, § 9 Abs. 2 S. 1, 2 BWahlG. Regelmäßig werden die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in den Wahlorganen (Bundeswahlausschuss, Landeswahlausschuss, Kreiswahlausschuss) durch Vertreterinnen und Vertreter der in den aktuellen Parlamenten auf Bundes- wie auf Länderebene vertretenen Parteien besetzt.192 Zum Teil ist dies in den einschlägigen Wahlgesetzen selbst angelegt: Nach § 9 Abs. 2 S. 4 BWahlG sind bei der Berufung der Beisitzerinnen 189 A. Pilniok, Die Rolle der Parteien bei der staatlichen Organisation der Wahlen: Entscheider in eigener Sache oder unabhängige Wettbewerbshüter?, in: S. Bukow/U. Jun/O. Niedermayer (Hrsg.), Parteien in Staat und Gesellschaft, 2016, S. 87 ff. (102); S. Danzer, KommPrax Wahlen 2012, S. 64 ff. (66); F. Meinel, ZParl 2010, S. 67 ff. (71); a. A. W. Hannappel, KommPrax Wahlen 2013, S. 15 ff. (21). 190 Diese Skepsis legt F. Meinel, ZParl 2010, S. 67 ff. (71) seinen Ausführungen zugrunde; sachliche Gründe können u. a. das Wegfallen des Amtes der bzw. des Ernannten, die Notwendigkeit, die Ernannte oder den Ernannten aufgrund ihrer oder seiner fachlichen Eignung auf eine andere Stelle versetzen zu müssen sowie die sich erst nachträglich herausstellende fehlende Eignung der bzw. des Ernannten sein, C. Thum, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 9 Rn. 4. 191 In diese Richtung ebenfalls argumentierend M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1156). 192 C. Thum führt in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 9 Rn. 13 an, dass seit 1965 Parteilose oder Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien als der CDU, der SPD, der CSU, der FDP, der PDS bzw. der Linken, der AfD und von Bündnis 90/Die Grünen nicht mehr zu Beisitzerinnen und Beisitzern berufen wurden; zustimmend unter Verweis, dass durch diese Praxis bereits 95 % der wahlberechtigten Bevölkerung abgebildet würde, W. Hannappel, KommPrax Wahlen 2013, S. 15 ff. (21); näher zum Einfluss der Parteien auf
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und Beisitzer der Wahlausschüsse die in dem jeweiligen Bezirk vertretenen Parteien nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Diese Möglichkeit konkretisiert § 4 Abs. 2 BWahlO noch näher. Hiernach sollen bei der Auswahl der Beisitzerinnen und Beisitzer der Wahlausschüsse in der Regel die Parteien in der Reihenfolge der bei der letzten Bundestagswahl in dem jeweiligen Gebiet errungenen Zahlen der Zweitstimmen angemessen berücksichtigt und die von ihnen rechtzeitig vorgeschlagenen Wahlberechtigten berufen werden. Zwar handelt es sich aufgrund der Termini „sind […] nach Möglichkeit“ (§ 9 Abs. 2 S. 4 BWahlG) und „sollen […] angemessen berücksichtigt werden“ (§ 4 Abs. 2 BWahlO) nicht um eine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zur Besetzung der Positionen mit ausschließlich parteiangehörigen Beisitzerinnen und Beisitzern. Wenn eine hinreichende Begründung vorgelegt wird, warum eine Abweichung erforderlich ist, so ist dies ebenfalls für die nicht berücksichtigten Parteien akzeptabel und gesetzeskonform. Andererseits handelt es sich bei der Besetzung der Beisitzerinnen und Beisitzer mit Parteiangehörigen um eine „gute Übung“, die seit Jahrzehnten so praktiziert wird,193 sodass Ausnahmen vom Gesetzeswortlaut selten gemacht werden. Rechtlich eingeordnet werden kann diese Besetzungspraxis als Ermessensfehl- oder -nichtgebrauch durch die jeweilige Wahlleitung.194 Sind die Wahlausschüsse also regelmäßig mit Parteiangehörigen der bisher erfolgreichen Parteien besetzt, kann ihnen der Vorwurf der Befangenheit oder einer Kartellbildung195 entgegengehalten werden.196 Denn sie entscheiden als die Besetzung von Wahlorganen K. O. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestagsund Landtagswahlen, 1959, S. 15 ff. 193 M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1155). 194 M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1156); H. H. Klein, ZG 2010, S. 151 ff. (161). 195 A. Pilniok, Die Rolle der Parteien bei der staatlichen Organisation der Wahlen: Entscheider in eigener Sache oder unabhängige Wettbewerbshüter?, in: S. Bukow/U. Jun/O. Niedermayer (Hrsg.), Parteien in Staat und Gesellschaft, 2016, S. 87 ff. (103); dem kann laut A. Pilniok, ebd. S. 104 sowie P. Klein, DÖV 2013, S. 584 ff. (587) auch nicht dadurch abgeholfen werden, dass zwei richterliche Mitglieder seit 2012 im Bundes- und in den Landeswahlausschüssen gesetzlich vorgeschrieben sind, da diese immer durch die parteizugehörigen Beisitzerinnen und Beisitzer in allen Entscheidungen überstimmt werden können. Zur Gefahr der Kartellbildung politischer Parteien auch unten § 5 C. II. 196 Ebenso J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 123, der zwar zugibt, dass die bisherige Praxis des Bundeswahlausschusses noch keine Anhaltspunkte für das hier aufgezeigte Bündnis gezeigt hat, dass „Aufgabe des Wahlrechts […] es aber nicht nur [ist], tatsächliche Ungleichbehandlungen zu verhindern, sondern auch den bloßen Anschein jeder Diskriminierung zu vermeiden, um so die legitimierende Funktion der Wahl zu befördern“; a. A. C. Thum, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 9 Rn. 10 ff., insb. Rn. 13, der es für „höchst sinnvoll“ erachtet, „dass Mitglieder der bereits gewählten Parteien sich bei der Feststellung des Gesamtergebnisses der Bundestagswahl durch den Bundeswahlausschuss gegenseitig kontrollieren.“
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Mitglieder der Wahlausschüsse über die Wahlzulassung ihrer eigenen Konkurrenz. Von „absoluter“ Neutralität, die es im Übrigen kaum geben dürfte, kann in dieser Konstellation keine Rede sein. Im Zweifelsfall ist davon auszugehen, dass die Erwartungen und Ansichten der zugehörigen Partei die Entscheidungen der Wahlausschussmitglieder mitbestimmen. Hieran ändert auch die Tat sache, dass die Parteien regelmäßig Expertinnen und Experten des Wahl- und Parteienrechts in die Wahlausschüsse abordnen,197 nichts – es handelt sich schließlich immer noch um Parteimitglieder. b) Entscheidungsfindung und Entscheidungswirkung Die Entscheidungsfindung der Wahlausschüsse erfolgt unmittelbar unter dem Eindruck der in der Sitzung erhobenen Informationen im Wege der freien Beweiswürdigung.198 Die früher geltend gemachten Einwände der fehlenden Transparenz, der fehlenden rechtlichen Grundlagen und die zu großen Beurteilungs- und Ermessensspielräume für inhaltliche Entscheidungen des Bundeswahlausschusses199 können heute nicht mehr in vollem Umfang durchgreifen. Grund hierfür ist das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen von 2012, durch das die Nachweispflicht der eine Partei kennzeichnenden Merkmale im Sinne von § 2 Abs. 1 ParteiG verpflichtend eingeführt wurde.200 Die Entscheidungen der Landes- und Kreiswahlausschüsse orientieren sich seit
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C. Thum, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 9 Rn. 13. K. Böth, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 18 Rn. 43; stattdessen wäre mit P. M. Huber, DÖV 1991, S. 229 ff. (insb. S. 234 ff.) eine „Evidenzkontrolle“, wonach feste Kriterien für die Entscheidung des Bundeswahlausschusses aufgestellt werden sollten, und die Wahrung des Grundsatzes „in dubio pro libertate“, wonach im Zweifel zugunsten der Wahlvorschlagsträgerin oder des Wahlvorschlagsträgers entschieden werden sollte, wünschenswert. 199 M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1156); H. H. Klein, ZG 2010, S. 151 ff. (156). Beispielsweise verlangte der Bundeswahlausschuss von den Parteien, die sich um Teilnahme an der Bundestagswahl bemühten, regelmäßig zahlreiche Unterlagen und Nachweise und lud Zeuginnen und Zeugen bzw. Sachverständige, ohne dass es hierfür eine rechtliche Befugnis gab. Obwohl der Bundeswahlausschuss sich zahlreiche (Hintergrund-) Informationen einholte, wurden diese zum Teil für die Entscheidung des Ausschusses nicht geprüft oder nicht berücksichtigt, siehe F. Meinel, ZParl 2010, S. 67 ff. (69) sowie H. H. Klein im Interview mit Spiegel Online vom 18. August 2009, abrufbar unter https://www.spiegel.de/politik/ deutschland/parteienzulassung-pauli-hat-vor-dem-verfassungsgericht-keine-chance-a-6 43 550.html (7. Mai 2023). 200 Weiter kritisch hingegen S. D anzer, KommPrax Wahlen 2012, S. 6 4 ff. (69 f.), dem die Nachweispflicht nicht weit genug geht, da dadurch lediglich das normiert wurde, was die Bundeswahlleiterin bzw. der Bundeswahlleiter seit jeher von den Parteien, zwar bisher ohne Rechtsgrundlage, fordere. 198
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jeher stark an normativen Vorgaben, weswegen diese Bedenken gegen sie bisher nicht vorgebracht wurden.201 Allerdings stellt der Bundeswahlausschuss sich und seine Entscheidungen noch immer unter einen nicht notwendigen Zeitdruck: Denn anders als die Kreis- und Landeswahlausschüsse, die ihre Zulassungsentscheidungen nach §§ 26 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1 BWahlG am 58. Tag vor der Wahl treffen müssen, hat der Bundeswahlausschuss seine Zulassungsentscheidungen gemäß § 18 Abs. 4 S. 1 BWahlG bis spätestens am 79. Tag vor der Wahl festzustellen. In der Regel tritt er trotzdem erst am letzten gesetzlich möglichen Termin zusammen, um über seine Entscheidungen zu beraten; Vorberatungen finden regelmäßig nicht statt.202 In Bezug auf die Beschwerdemöglichkeiten aus §§ 26 Abs. 2, 28 Abs. 2 BWahlG beim Bundes- beziehungsweise Landeswahlausschuss gegen die Zulassung von Kreiswahl- und Landeslistenvorschlägen ist zudem das sehr kurze Zeitfenster von maximal sechs Tagen 203 zu berücksichtigen, das es kaum ermöglicht, detaillierte Nachforschungen zu betreiben und vertieft begründete Entscheidungen zu treffen.204 Erschwerend kommt die Entscheidungswirkung hinzu: Die einfachgesetz lichen Rechtsbehelfe aus dem Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung wirken nur verwaltungsintern,205 ermöglichen also keine gerichtliche Überprüfung im Vorfeld von Wahlen. Die Beschlüsse sind insofern vor der Wahl unabänderlich und für alle Beteiligten bindend.206 Sie können lediglich Gegenstand 201 T. Wolf, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 26 Rn. 3, § 28 Rn. 3; näher zu den normativen Vorgaben, an denen sich die Entscheidungen der Landes- und Kreiswahlausschüsse orientieren, W. Hannappel, KommPrax Wahlen 2013, S. 15 ff. (16 ff.). 202 M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1156); S. D anzer, KommPrax Wahlen 2012, S. 64 ff. (67) nennt als Grund für die fehlenden Vorberatungen ihre Unzulässigkeit wegen des Öffentlichkeitsgebots der Sitzungen der Wahlausschüsse gemäß § 10 BWahlG und fordert daher ein Akteneinsichtsrecht für alle Mitglieder von Wahlausschüssen, um eine ausreichende Sachkenntnis der Wahlausschüsse zu gewährleisten. 203 Die Kreis- und Landeswahlausschüsse müssen am 58. Tag vor der Wahl die Entscheidung über die Zulassung von Kreiswahlvorschlägen und Landeslisten treffen, §§ 26 Abs. 1, 28 Abs. 1 BWahlG. Bis zum 55. Tag vor der Wahl läuft die Frist zur Einlegung von Beschwerden an den Landeswahlausschuss gegen die Zurückweisung oder Zulassung eines Kreiswahlvorschlags (§ 26 Abs. 2 S. 1 BWahlG) und an den Bundeswahlausschuss gegen die Zurückweisung oder Zulassung einer Landesliste (§ 28 Abs. 2 S. 1 BWahlG). Bis zum 52. Tag vor der Wahl müssen der Bundeswahlausschuss und die Landeswahlausschüsse diese Beschwerden entscheiden, §§ 26 Abs. 2 S. 5, 28 Abs. 2 S. 4 BWahlG). Die Zeitspanne für die Entscheidungen der Wahlorgane beträgt also drei bis sechs Tage. 204 Ebenso A. Pilniok, Die Rolle der Parteien bei der staatlichen Organisation der Wahlen: Entscheider in eigener Sache oder unabhängige Wettbewerbshüter?, in: S. Bukow/U. Jun/ O. Niedermayer (Hrsg.), Parteien in Staat und Gesellschaft, 2016, S. 87 ff. (105). 205 So ebenfalls A. Koch, ZRP 2011, S. 196 ff. (197). 206 K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 26 BWahlG Rn. 26, § 28 BWahlG Rn. 2.
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung
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eines Wahlprüfungsverfahrens sein, das nach allgemeiner Ansicht erst nach der Wahl stattfinden kann.207 Mithin gibt es keine Bestandssicherheit der Entscheidungen der Wahlorgane. Die oder der Betroffene kann keine endgültige Klärung der Rechtsfrage vor der Wahl erhalten. c) Fazit Insgesamt kommen die Rechtsbehelfe des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung schnell an ihre Grenzen. Ist schon das Zustandekommen der Entscheidungen aufgrund der zumindest teilweise problematischen Zusammensetzung der Wahlausschüsse und aufgrund eines undurchsichtigen Verfahrens fragwürdig, so zeigt spätestens ihre fehlende gerichtliche Überprüfbarkeit im Vorfeld von Wahlen die mangelnde Eignung für die Ziele der politischen und im Einzelfall beschwerten Parteien, nämlich Wahlfehler im Vorfeld von Wahlen abschließend überprüfen zu lassen, auf. Fachgerichtlicher Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht und die außer gerichtlichen Rechtsbehelfe des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung scheiden damit als Option zur Überprüfung der Ablehnung von Landes listen politischer Parteien vor der Wahl aus.
II. Rechtsschutz vor dem Bundesverfassungsgericht Abhilfe schaffen für auf Parteien bezogene Wahlfehler und insbesondere für die Ablehnung von Landeslisten im Vorfeld der Wahl könnten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. In Betracht kommt die Nichtanerkennungsbeschwerde, das Organstreitverfahren, die abstrakte Normenkontrolle und die Verfassungsbeschwerde. 1. Nichtanerkennungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG Für den Wahlfehler der Nichtanerkennung als Partei wurde 2012 mit der Nichtanerkennungsbeschwerde, geregelt in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG, ein neuer Rechtsbehelf geschaffen.208 Damit kann zur Überprüfung der Entscheidung des Bundeswahlausschusses, der die ausreichende Vertretung einer Partei im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag (§ 18 Abs. 4 Nr. 1 BWahlG) oder eine politische Vereinigung als Partei nicht aner207
Siehe oben die Bestandsaufnahme § 2 A. Zum Hintergrund der Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde schon oben § 1 A. II.; umfassend zur Nichtanerkennungsbeschwerde M. Jäger, Die Zulassung von Parteien zur Bundestagswahl, 2021, S. 151 ff. 208
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§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags
kennt (§ 18 Abs. 4 Nr. 2 BWahlG), unmittelbar das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Nach § 96a Abs. 1 BVerfGG beschwerdefähig ist die Partei oder politische Vereinigung, die durch den Bundeswahlausschuss nicht zur Bundestagswahl zugelassen wurde.209 Die abgelehnte Partei oder politische Vereinigung muss begründet geltend machen, dass sie die in § 18 Abs. 4 BWahlG genannten Voraussetzungen erfüllt. Die Beschwerde muss nach § 18 Abs. 4a S. 1 BWahlG, § 96a Abs. 2 BVerfGG vier Tage nach der ablehnenden Entscheidung des Bundeswahlausschusses erhoben werden. Eine konkrete Entscheidungsfrist für das Bundesverfassungsgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen, allerdings läuft dessen Entscheidung leer, wenn sie nicht bis zum 59. Tag vor der Wahl getroffen wird.210 Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, indem es formell die Formkriterien nach § 18 Abs. 2, 3 BWahlG sowie materiell das Vorliegen der Parteieigenschaft nach § 2 Abs. 1 ParteiG prüft. Bei dem Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde handelt es sich um ein vor dem Wahltermin stattfindendes, gerichtliches, beschleunigtes Hauptsacheverfahren, das dazu dient, abschließend festzustellen, ob sich eine politische Vereinigung als Partei für den Bundestag zur Wahl stellen darf. Insofern stellt die Nichtanerkennungsbeschwerde eine Ausnahme zu § 49 BWahlG dar und geht damit in ihrem Anwendungsbereich regelmäßig als lex specialis anderen Rechtsbehelfen vor.211
209
Kritisch hierzu J. Hahlen, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 18 Rn. 46a, der eine Beschwerdeberechtigung ebenfalls für die Bundeswahlleiterin bzw. den Bundeswahlleiter sowie für Konkurrenzparteien bzw. -vereinigungen fordert. 210 Grund hierfür ist, dass nach § 18 Abs. 4a S. 2 BWahlG die die Beschwerde erhebende Partei oder politische Vereinigung bis zum 59. Tag vor der Wahl wie eine bereits zugelassene Partei behandelt wird. Das Bundesverfassungsgericht geht daher ebenfalls davon aus, dass die Entscheidungen in Nichtanerkennungsverfahren bis zum 59. Tag vor der Wahl ergehen müssen, BVerfGE 159, 105 (112 f.). Ob diese Frist in Bezug auf die Nichtanerkennungsbeschwerde hinreichend bemessen ist, bezweifelte das Bundesverfassungsgericht in derselben Entscheidung jüngst, BVerfGE 159, 105 (112). 211 Ausgenommen von diesem Vorrang der Nichtanerkennungsbeschwerde gegenüber anderen Rechtsbehelfen sind nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Wahlprüfungsverfahren, die auf die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit von einschlägigen Normen des Wahl- und Parteienrechts gerichtet sind, dazu nur BVerfGE 159, 105 (2. Ls. und 129 f.); a. A. u. a. C. Walter, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 93 (August 2018) Rn. 441 und L. Bechler/S. Neidhardt, NVwZ 2013, S. 1438 ff. (1442); differenzierend P. Klein, DÖV 2013, S. 584 ff. (587, 593 f.), der ein Wahlprüfungsverfahren neben der Nichtanerkennungsbeschwerde grundsätzlich für zulässig erachtet, aber bezüglich der Bindungswirkung der Entscheidung im Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde differenziert und dafür § 31 BVerfGG teleologisch reduziert.
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung 123
a) Unzureichende Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten Die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde im Jahr 2012 konnte hingegen keine vollständige Verbesserung des Rechtsschutzes vor der Wahl bewirken. Das Bundesverfassungsgericht entschied vor der Bundestagswahl 2013 über zwölf Beschwerden, vor der Bundestagswahl 2017 über sieben Beschwerden und vor der Bundestagswahl 2021 über 20 Beschwerden. Von diesen insgesamt 39 erhobenen Nichtanerkennungsbeschwerden hatten lediglich zwei Beschwerden Erfolg212 , 30 waren bereits unzulässig213 und sieben waren unbegrün212
Hierbei handelt es sich um die 2021 erhobene Beschwerde der Vereinigung „Kommunistische Partei Deutschlands (DKP)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 8/21 = NVwZ 2021, S. 1291 ff. und um die 2013 erhobene Beschwerde der Vereinigung „Deutsche Nationalversammlung“, BVerfGE 134, 124. 213 2021 waren 15 Beschwerden unzulässig: „JESUSPARTY – PARTEI DES EVANGELIUMS“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 1/21 = BeckRS 2021, 20225; „Bundeszentralrat der Schwarzen in Deutschland (ZRSD)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 2/21 = BeckRS 2021, 20228; „Allianz Zukunft“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 3/21 = BeckRS 2021, 20233; „Allianz Vielfalt & Mitbestimmung“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 4/21 = BeckRS 2021, 20206; „Bündnis GRAL – Ganzheitliches Recht auf Leben“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 5/21 = BeckRS 2021, 20214; „Bündnis der Generationen – Rentner und Familie“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 6/21 = BeckRS 2021, 20221; „Partei Aktiver Demokraten Deutschland“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 11/21 = BeckRS 2021, 20208; „Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 12/21 = BeckRS 2021, 20236; „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 14/21 = BeckRS 2021, 20216; „KaiPartei“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 15/21 = BeckRS 2021, 20223; „Grundeinkommen für Alle (GfA)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 16/21 = BeckRS 2021, 20227; „Klimaschutzpartei (KSP)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 17/21 = BeckRS 2021, 20232; „Undeutscher Verein“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 18/21 = BeckRS 2021, 20218; „MenschenRechte 100pro“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 19/21 = BeckRS 2021, 20204; „Deutsche Friedensunion (DFU)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 20/21 = BeckRS 2021, 20212. 2017 waren sechs Beschwerden unzulässig: „Konvent zur Reformation Deutschlands – Die goldene Mitte (KRD)“, BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2017, 2 BvC 1/17 = BeckRS 2017, 118407; „Deutsche Tradition Sozial (DTS)“, BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2017, 2 BvC 3/17 = BeckRS 2017, 118409; „Einiges Deutschland“, BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2017, 2 BvC 4/17 = BeckRS 2017, 118410; „Plattdüütsch Sassenland – Allens op Platt (PS)“, BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2017, 2 BvC 5/17 = BeckRS 2017, 118411; „SustainableUnion – die Nachhaltigkeitspartei (SU)“, BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2017, 2 BvC 6/17 = BeckRS 2017, 118415; „DER BLITZ“, BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2017, 2 BvC 7/17 = BeckRS 2017, 118416. 2013 waren neun Beschwerden unzulässig: „Union der Menschlichkeit (U.d.M.)“ = BVerfGE 134, 121; „Die Aktiven (DA)“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 1/13 = BeckRS 2013, 53739; drei personenidentische Vereinigungen „0 % -Hürdenpartei“, „Alle Sonstigen Parteien und Wählergruppen“ und „146 GG Verfassungsvolksentscheid JETZT“,
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det214. Diese geringe Erfolgsquote spricht allerdings nicht pauschal gegen die Nützlichkeit des Rechtsbehelfs der Nichtanerkennungsbeschwerde.215 So lag der Misserfolg nämlich regelmäßig im Verantwortungsbereich der die Beschwerde erhebenden Partei oder Vereinigung: Gründe hierfür waren häufig Frist- und Begründungsversäumnisse oder sogar die fehlende Parteigründung.216 In diesen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht keine andere Entscheidung als die Verwerfung der Beschwerde wegen Unzulässigkeit oder die Zurückweisung der Beschwerde wegen Unbegründetheit treffen. Dennoch handelt es sich bei der Nichtanerkennungsbeschwerde um ein durchaus problematisches Verfahren, welches aus zweierlei Blickwinkeln zu betrachten ist. Zum einen führte die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde im Jahr 2012 naturgemäß, da es sich um einen neu geschaffenen Rechtsbehelf handelt, zu einem „Mehr“ an Rechtsschutz im Vorfeld von Wahlen. So können politische Vereinigungen nun bei Ablehnung ihrer Anerkennung als Partei durch den Bundeswahlausschuss unmittelbar das Bundesverfassungsgericht anrufen und eine rechtssichere Klärung der Anerkennung als Partei erlangen. Dies ist ohne Frage BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 5/13 = BeckRS 2013, 53746; „Deutsche Konservative Partei“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 6/13 = BeckRS 2013, 53747; „GRAUE PANTHER Deutschland“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 8/13 = BeckRS 2013, 53749; „Freie Wähler Deutschland (FWD)“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 9/13 = BeckRS 2013, 53750; „Jahw Partei/Neue Soziale Union/Freie Soziale Union“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 10/13 = BeckRS 2013, 53740; „SustainableUnion – die Nachhaltigkeitspartei“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 11/13 = BeckRS 2013, 53741; „Deutsches Reich – das Herz Europas“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 12/13 = BeckRS 2013, 53742. 214 2021 waren vier Beschwerden unbegründet: „Die Natürlichen e.V.“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 7/21 = BeckRS 2021, 20226; „Die Republikaner (REP)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 9/21 = BeckRS 2021, 20230; „Deutsche Zen trumspartei – Älteste Partei Deutschlands gegründet 1870 – ZENTRUM“, BVerfGE 159, 105; „Die Losfraktion (LOS)“, BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2021, 2 BvC 13/21 = BeckRS 2021, 20211. 2017 war eine Beschwerde unbegründet: „Sächsische Volkspartei (SVP)“, BVerfGE 146, 319. 2013 waren zwei Beschwerden unbegründet: „Partei der Bedrängten“ = BVerfGE 134, 131; „DIE.NÄCHSTEN“, BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 7/13 = BeckRS 2013, 53748. 215 So ebenfalls L. Bechler/S. Neidhardt, NVwZ 2013, S. 1438 ff. (1442), die der Nichtanerkennungsbeschwerde bescheinigen, die „Bewährungsprobe als Instrument des Rechtsschut zes vor [Hervorhebung im Original] der Wahl bestanden“ zu haben; dazu auch C. Walter, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 93 (August 2018) Rn. 434 und R. Frau, DÖV 2014, S. 421 ff. (429). 216 Ausführlich zur Bundestagswahl 2017 R. Frau, DÖV 2018, S. 152 ff. (154 f.) sowie zur Bundestagswahl 2013 ders., DÖV 2014, S. 421 ff. (423 f.).
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung 125
eine große Stärkung des Rechtsschutzes im Vorfeld von Wahlen, gab es doch vor der Novellierung für diesen Fall weder die Möglichkeit einer verwaltungsinternen noch einer gerichtlichen Klärung vor der Wahl. Stattdessen wurden nicht zur Bundestagswahl anerkannte politische Vereinigungen stets auf den nach herrschender Ansicht erst nach der Wahl einsetzenden Weg des Wahlprüfungsverfahrens nach Art. 41 GG verwiesen, bei dem die Erfolgschancen aufgrund der schwer nachzuweisenden Mandatsrelevanz eher gering ausfielen.217 Zudem zeugt die Anerkennung zur Bundestagswahl von Kleinst- und Splitterparteien, die in der Regel von der Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde profitiert haben dürften, von einem „Mehr“ an Rechtsstaat und Demokratie beziehungsweise demokratischer Legitimation.218 So wird das Engagement zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, sich politisch zu organisieren und ihren Standpunkten zur Geltung zu verhelfen, durch die Teilnahmemöglichkeit an der Bundestagswahl gewürdigt. Andererseits hat die Ablehnung der Anerkennung als Partei durch den Bundeswahlausschuss im Regelfall (verfassungs-)rechtliche Gründe.219 Zu berücksichtigen ist weiter der Umstand, dass aufgrund der Schnelligkeit des Verfahrens von maximal 20 Tagen 220 Verfahrensdauer naturgemäß Einbußen hinsichtlich der Darlegungs- und Beweisobliegenheiten in Bezug auf die Kriterien der Anerkennung als politische Partei sowie der Einhaltung von prozessualen Verfahrensgarantien in Kauf genommen werden müssen.221 Das Bundesverfassungsgericht prüft neben den formellen Voraussetzungen von § 18 Abs. 2, 3 BWahlG dennoch auch materiell die erforderlichen Umstände, die vorliegen 217 B. Grünewald, in: C. Walter/ders. (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 96a Rn. 2; K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, Rn. 345h; H. Lechner/R. Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, Vor §§ 96a ff., Rn. 1. 218 So auch R. Frau, DÖV 2018, S. 152 ff. (153). 219 Siehe ausführlich zu jeder in Bezug auf die Bundestagswahl 2017 und 2013 erhobenen Nichtanerkennungsbeschwerde R. Frau, DÖV 2018, S. 152 ff. sowie ders., DÖV 2014, S. 421 ff. 220 Die Beschwerde ist nach § 96a Abs. 2 BVerfGG bzw. § 18 Abs. 4a S. 1 BWahlG binnen einer Frist von vier Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung in der Sitzung des Bundeswahlausschusses nach § 18 Abs. 4 S. 2 BWahlG zu erheben und zu begründen. Die Sitzung des Bundeswahlausschusses findet gemäß § 18 Abs. 4 S. 1 BWahlG spätestens am 79. Tag vor der Wahl statt. Nach § 18 Abs. 4a S. 2 BWahlG ist die Partei oder Vereinigung von den Wahlorganen bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, längstens bis zum Ablauf des 59. Tages vor der Wahl wie eine wahlvorschlagsberechtigte Partei zu behandeln. Daraus ergibt sich das maximale Fenster von 20 Tagen für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei Nichtanerkennungsbeschwerden; wird die Beschwerdefrist von vier Tagen vollständig durch die Partei oder Vereinigung ausgeschöpft, so verbleiben dem Bundesverfassungsgericht sogar nur 16 Tage für seine Entscheidung. 221 Ebenfalls L. Bechler, in: T. Barczak (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 96a Rn. 24.
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müssen, um eine Anerkennung als Partei rechtfertigen zu können. Hierzu zieht es die in § 2 Abs. 1 ParteiG normierte einfachgesetzliche Definition einer Partei heran 222 und prüft, ob die die Beschwerde einlegende politische Vereinigung die dort geforderten Kriterien der Dauerhaftigkeit, des Willens zur Teilnahme an Wahlen und der Ernsthaftigkeit erfüllt.223 Bei dieser Prüfung dürfen wegen der Beschwerdefrist von vier Tagen nach § 96a Abs. 2 BVerfGG beziehungsweise § 18 Abs. 4a S. 1 BWahlG nicht zu große Anforderungen an die nach § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG bestehende Pflicht zur Beibringung von Beweismitteln durch die Partei oder die politische Vereinigung gestellt werden.224 Auch kann das Bundesverfassungsgericht selbst wegen der Kürze der Zeit keine schwierigen rechtlichen Fragen wie die Verfassungsmäßigkeit von den der Entscheidung des Bundeswahlausschuss zugrundeliegenden Normen klären.225 Der Bundeswahlausschuss soll nach § 96b BVerfGG die Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Daneben kann das Bundesverfassungsgericht nach § 96c BVerfGG von einer mündlichen Verhandlung absehen. Es handelt sich bei der Nichtanerkennungsbeschwerde daher um ein beschleunigtes Hauptsacheverfahren, welches ähnlich wie ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz abläuft, aber dennoch von der Wirkung her abschließend ist.226 b) Begrenzung des Verfahrensgegenstandes Problematisch für die Anwendung der Nichtanerkennungsbeschwerde in Bezug auf sämtliche Wahlfehler im Vorfeld der Wahl ist darüber hinaus der Verfahrensgegenstand dieses Rechtsbehelfs: Die Nichtanerkennungsbeschwerde bezieht sich ausdrücklich nur auf den Fall der Nichtanerkennung als zur Wahl zugelassene Partei. Auf weitere Wahlfehler, die in Bezug auf Parteien vor der Wahl erfolgen können, also insbesondere die Nichtzulassung von Kandidatinnen und Kandidaten oder von (Teilen der) Landeslisten, bezieht sie sich zunächst nicht. Daher ist im Wege der Auslegung festzustellen, ob die Nichtaner222 Überlegungen zu einem eigenständigen Parteibegriff im Wahlzulassungsverfahren finden sich bei P. Klein, DÖV 2013, S. 584 ff. (590), der einen eigenständigen Parteibegriff aber schlussendlich ablehnt. 223 In Bezug auf Vereinigungen, die noch nicht lange bestehen und damit am Beginn ihres politischen Tätigwerdens stehen, gilt zu berücksichtigen, dass es eine gewisse Zeit dauert, um Organisationsstrukturen zu etablieren, L. Bechler/S. Neidhardt, NVwZ 2013, S. 1438 ff. (1441); näher zu den in § 2 Abs. 1 ParteiG genannten Kriterien u. a. E. Frenzel, NVwZ 2009, S. 1349 ff. (1350) und W. Wietschel, Der Parteibegriff, 1996, S. 143 ff. 224 So auch L. Bechler, in: T. Barczak (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 96a Rn. 7, 9. 225 BVerfGE 159, 105 (1. Ls. und 110 ff.).; P. Klein, DÖV 2013, S. 584 ff. (592). 226 C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 96a Rn. 10; L. Bechler, in: T. Barczak (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 96a Rn. 2.
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kennungsbeschwerde auch auf die Fälle der hier primär betrachteten Nichtzulassung von Landeslisten zu erweitern ist. Der Wortlaut spricht hierbei in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG explizit von Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag und ist insofern unmissverständlich.227 Mit der Verwendung der Worte „Nichtanerkennung als Partei“ ist direkt Bezug auf das einfachgesetzlich in § 18 BWahlG geregelte Verfahren zur Zulassung von Parteien für die Bundestagswahl durch den Bundeswahlausschuss genommen worden. Die Aufstellung von Landeslisten hängt dann auf zweiter Ebene von der grundsätzlichen Anerkennung als Partei ab, ist also als eigenständiger Teil der Wahlvorbereitung nicht implizit im Anerkennungsverfahren nach § 18 BWahlG mitgeregelt. Verdeutlicht wird dieses Wortlautverständnis zusätzlich durch die Ausführungsbestimmungen der Nichtanerkennungsbeschwerde in §§ 96a ff. BVerfGG, in denen unmittelbar auf § 18 Abs. 4 BWahlG Bezug genommen wird. Das in der Wortlautauslegung gefundene Ergebnis lässt sich in systematischer Hinsicht besonders anhand von § 27 Abs. 1 BWahlG bestätigen. Danach dürfen ausschließlich Parteien Landeslisten aufstellen. Die Anerkennung als Partei ist damit ebenso verpflichtende wie auch notwendige Voraussetzung für diese Einreichung. Die eigenständige Normierung des Aufstellungsprozesses sowie die Schaffung eigener Überprüfungsmöglichkeiten in § 28 Abs. 2 BWahlG zeigt, dass das Aufstellen von Landeslisten gerade nicht mit der Anerkennung als Partei nach § 18 BWahlG einhergeht, sondern davon losgelöst steht.228 Gestützt wird dieses Ergebnis auch durch die Intention des die Nichtanerkennungsbeschwerde einführenden Gesetzgebers in historischer Hinsicht. Denn in der Gesetzesbegründung wird auf die verschiedenen Prozesse der Wahlvorbereitung – Anerkennung als Partei, Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten sowie von Landeslisten, Zulassung von Wählerinnen und Wählern – eingegangen. Für die beiden zuletzt genannten wurde festgestellt, dass es mit §§ 26 Abs. 2, 28 Abs. 2 BWahlG für die Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten und Landeslisten beziehungsweise § 22 Abs. 5 BWahlO für die Zulassung von Wählerinnen und Wählern vor der Wahl bestehende Beschwerdemöglichkeiten gebe.229 Das sei in Bezug auf die Anerkennung als Partei nicht gegeben, sodass für diesen Fall die Notwendigkeit zur gesetzlichen Neuregelung bestehe.230 Der Gesetzgeber war sich also des gesamten Wahlvorbereitungsverfah227
So auch J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1322). Gleiches gilt auch für die Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten zur Direktwahl nach § 20 Abs. 2, 3, 4 BWahlG sowie in Bezug auf das dafür geltende Rechtsschutz regime nach §§ 25 Abs. 1, 26 Abs. 2 BWahlG. 229 BT-Drs. 17/9391, S. 5 f. 230 BT-Drs. 17/9391, S. 5 f. 228
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rens bewusst, hat sich aber trotz dessen gegen eine erweiternde Regelung für die Nichtzulassung von Kandidatinnen und Kandidaten und von Landeslisten sowie von Wählerinnen und Wählern entschieden. Dies wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass der Gesetzgeber ausdrücklich festlegt, dass mit der Anerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag konkret die Feststellung der Voraussetzung „als Partei“ gemeint sei.231 Insoweit ist auch die Intention des historischen Gesetzgebers klar erkennbar und die Nichtanerkennungsbeschwerde danach nur auf die Nichtanerkennung als Partei aus § 18 BWahlG bezogen. Die Nichtanerkennungsbeschwerde wurde als abschließende gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit im Zeitpunkt vor der Wahl geschaffen. Sie ist durch den Gesetzgeber als enge Ausnahme konzipiert worden und sollte nicht auf weitere Fälle übertragen werden.232 Da sich der Gesetzgeber – wie dargestellt – mit weiteren Fällen, in denen ein Rechtsschutz vor der Wahl denkbar ist, im Gesetzgebungsprozess befasst hat, scheidet eine analoge Anwendung der Vorschriften zur Nichtanerkennungsbeschwerde auf andere Fälle ebenfalls aus. Es fehlt an der erforderlichen Planwidrigkeit der Regelungslücke. Folglich kann die Nichtanerkennungsbeschwerde nur für den Fall der Nichtanerkennung von Parteien nach § 18 BWahlG Rechtsschutz vor der Wahl bieten. Für den Fall der (teilweisen) Zurückweisung von Landeslisten ist sie nicht anwendbar. c) Fazit Insgesamt kann damit festgehalten werden, dass die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde zwar für den konkreten Fall der Nichtanerkennung einer politischen Partei trotz der geltend gemachten Bedenken für eine Rechtsschutz erweiterung gesorgt hat,233 für das grundsätzliche Problem, allgemein Rechtsschutz im Vorfeld von Wahlen zu erlangen, aber keine vollständige Lösung bietet.
231
BT-Drs. 17/9392, S. 4. In diese Richtung auch BVerfGE 159, 105 (117), wonach der „Ausnahmecharakter der Nichtanerkennungsbeschwerde […] dafür [spricht], ihren Anwendungsbereich zurückhaltend zu bestimmen“ und ebenso W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (124 f.). 233 Zwar zum selben Ergebnis kommend, aber deutlich schärfer formulierend L. Bechler, in: T. Barczak (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 96a Rn. 24: „Erkauft ist der Rechtsschutz vor [Hervorhebung im Original] der Wahl mit problematischen Darlegungsobliegenheiten und dem (möglichen) Verzicht auf grundlegende Verfahrensobliegenheiten (§ 96c). Das Amalgam aus Hauptsache- und Eilverfahrensregelungen verlangt dem BVerfG außerordentliche Anstrengungen ab. Im Vergleich zum früheren, praktisch leerlaufenden Rechtsschutzregime überwiegt der rechtsstaatliche Ertrag die Kosten gleichwohl.“ 232
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2. Organstreitverfahren, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG Auch das Organstreitverfahren ist für Parteien kein passender Rechtsbehelf für die Überprüfung von Wahlfehlern im Vorfeld der Wahl. Zwar können Parteien Antragsteller bei Vorliegen von Wahlfehlern nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in einem Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht sein; sie sind durch Wahlfehler in ihren organschaftlichen Rechten als Teil des Verfassungsrechts betroffen und als andere Beteiligte im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, nicht jedoch schon nach § 63 Abs. 1 BVerfGG parteifähig.234 Die Antragsgegnerin oder der Antragsgegner bestimmt sich je nach geltend gemachtem Wahlfehler. Antragsgegenstand im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG ist sodann die den Wahlfehler hervorrufende Maßnahme oder Unterlassung, die Antragsbefugnis wird regelmäßig in einer möglichen Verletzung der Chancengleichheit der po litischen Parteien, gewährleistet für den Spezialfall der Bundestagswahl in Art. 21 Abs. 1 i.V.m Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG235, liegen. Das Bundesverfassungsgericht stellt mit seiner Entscheidung fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung der Antragsgegnerin oder des Antragsgegners, mithin also der beanstandete Wahlfehler, gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt, § 67 S. 1 BVerfGG. Für die (teilweise) Nichtzulassung von Landeslisten ist der betreffende Landeswahlausschuss nach § 28 Abs. 1 S. 1 BWahlG zuständig; seine Entscheidung kann durch den Bundeswahlausschuss überprüft werden, § 28 Abs. 2 S. 1, 5 BWahlG. Antragsgegner in einem Organstreitverfahren ist also der jeweilige Wahlausschuss, der weder durch § 63 Abs. 1 BVerfGG noch als anderer Beteiligter im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG mögliche Verfahrenspartei in einem Organstreitverfahren sein kann.236 Ein Organstreitverfahren unmittelbar gegen die Entscheidungen der Wahlausschüsse ist folglich nicht möglich.237 234
St. Rspr. seit BVerfGE 1, 208 (223 ff.); ausführlich dazu S. Detterbeck, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 47. Zur Abgrenzung zur Verfassungsbeschwerde unten § 4 D. II. 4., insb. § 4 Fn. 245. 235 Im Bereich des Wahlrechts für Bundestagswahlen erfährt der grds. durch Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG geschützte Grundsatz der Chancengleichheit eine spezialgesetzliche Ausformung, so statt vieler F. Wollenschläger, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 310 ff.; W. Heun, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 142. 236 Weder das Grundgesetz noch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans – am ehesten käme hier noch die Geschäftsordnung des Bundestags als derjenigen Körperschaft in Betracht, an deren Konstituierung die Wahlorgane zumindest mittelbar beteiligt sind – erwähnen Wahlausschüsse. 237 So auch F. Meinel, ZParl 2010, S. 67 ff. (74); insofern ist es irrelevant, ob die Entscheidungen der Wahlausschüsse überhaupt als Maßnahmen im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG
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Auch lässt sich das Handeln der Wahlorgane weder dem Bundestag noch der Bundesregierung, die nach § 63 Abs. 1 BVerfGG in einem Organstreitverfahren parteifähig wären, zuordnen.238 Wahlorgane wie die Wahlausschüsse aber auch die jeweiligen Wahlleiterinnen und Wahlleiter sind unabhängige Organe, die nicht unter der Kontrolle von Bundestag oder Bundesregierung stehen.239 Insgesamt können Wahlfehler, die sich auf die (teilweise) Nichtzulassung von Landeslisten beziehen, mangels Antragsgegners mithin nicht im Wege des Organstreitverfahrens überprüft werden. 3. Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG Das Bundesverfassungsgericht lehnt eine Sperrung der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG durch die Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts seit einigen Jahren ab.240 Grund dafür soll sein, dass die Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts nur für Entscheidungen und Maßnahmen gelte, die sich unmittelbar auf eine konkrete Bundestagswahl beziehen würden, und damit die Gültigkeit der diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Gesetzen auch in anderen Verfahren wie der abstrakten Normenkontrolle geprüft werden könnten.241 Somit greift kein verfassungsrechtlicher Vorrang dieser Rechtsbehelfe und auch die einfachgesetzliche Regelung des § 49 BWahlG findet in Bezug auf abstrakte Normenkontrollen keine Anwendung. Abstrakte Normenkontrollen sind im Bereich des Wahlprüfungsrechts damit grundsätzlich zulässig. Dennoch ist die abstrakte Normenkontrolle kein denkbarer Weg für die politischen Parteien, um Wahlfehler bereits vor der durchgeführten Wahl rechtlich überprüfen zulassen. Denn § 76 Abs. 1 BVerfGG zählt mit der Bundesregierung, jeder Landesregierung und einem Viertel der Mitglieder des Bundestags eine abschließende Zahl der Antragsberechtigten für die Erhebung einer absangesehen werden können, da das Organstreitverfahren als Verfahrensgegenstand zwingend eine Maßnahme der Antragsgegnerin oder des Antragsgegners erfordert. Dies ablehnend K.O. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtagswahlen, 1959, S. 220, der Organstreitigkeiten über Maßnahmen der Exekutive, die nicht von einem Verfassungsorgan ausgehen, schon begrifflich für ausgeschlossen hält und daher das Organstreitverfahren für diesen Fall ablehnt. 238 BVerfGE 83, 156 (157). 239 K.-O. Nass, Wahlorgane und Wahlverfahren bei Bundestags- und Landtagswahlen, 1959, S. 195 ff. 240 BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021, 2 BvF/21 = NVwZ 2021, S. 1525 ff. (1528); BVerfGE 151, 152 (164); dazu schon oben § 2 B. I. 3. 241 BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021, 2 BvF/21 = NVwZ 2021, S. 1525 ff. (1528); BVerfGE 151, 152 (164).
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trakten Normenkontrolle auf.242 Parteien fallen explizit nicht darunter. Auch Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG erweitert den Kreis der Antragsberechtigten nicht weiter. Daher scheitert eine abstrakte Normenkontrolle einer politischen Partei bereits an der Antragsberechtigung.243 Möglich wäre unter Umständen noch die Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle durch ein Viertel der Mitglieder des Bundestags. Hierbei handelt es sich allerdings um ein eher theoretisches Konstrukt, praktisch relevant geworden ist der Fall (noch) nicht. Einzelne Abgeordnete könnten sich zusammenschließen, um so das Kriterium der Antragsberechtigung nach § 76 Abs. 1 BVerfGG zu überwinden und eine abstrakte Normenkontrolle einzulegen, um Wahlfehler in Bezug auf eine politische Partei im Vorfeld einer Wahl rechtlich überprüfen zu lassen. Allerdings ist bei einer abstrakten Normenkontrolle – wie bereits der Name des Rechtsbehelfs nahelegt – der Antragsgegenstand auf die Kontrolle der einschlägigen Normen begrenzt. Konkrete Maßnahmen der Wahlorgane wie die Ablehnung einer Landesliste, die regelmäßig die für Parteien einschlägigen Wahlfehler im Vorfeld von Wahlen darstellen, können nicht rechtlich überprüft werden. Stattdessen kann nur das zugrundeliegende Gesetz oder – um es mit den Worten von § 76 Abs. 1 BVerfGG beziehungsweise Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG auszudrücken – jedes Bundes- beziehungsweise Landesrecht Antragsgegenstand der abstrakten Normenkontrolle sein. Die abstrakte Normenkontrolle in dieser Ausgestaltung weist somit zwei Nachteile für die politische Partei auf: Zum einen muss sie durch ein Viertel der Mitglieder des Bundestags erhoben werden, was gerade für kleinere Parteien, die nur mit wenigen Abgeordneten im Bundestag vertreten sind oder für Parteien sowie politische Vereinigungen, die noch nicht im Bundestag vertreten sind, eine nahezu unüberwindbare Hürde darstellt. Zum anderen kann im Wege einer abstrakten Normenkontrolle nicht unmittelbar eine konkrete Maßnahme eines Wahlorgans beanstandet werden. Antragsgegenstand kann stattdessen immer nur das zugrundeliegende Gesetz sein. Ist aber das zugrundeliegende Gesetz unwirksam, so sind es auch die auf diesem Gesetz beruhenden konkreten Einzelmaßnahmen. Der Rechtsschutz erfolgt also nur mittelbar. Diese Problempunkte erklären auch, warum ein Viertel der Mitglieder des Bundestags bisher noch keine abstrakte Normenkontrolle zur Überprüfung eines Wahlgesetzes im Vorfeld von Bundestagswahlen eingelegt hat, um einen Wahlfehler, der sich auf 242 Erstmals BVerfGE 21, 52 (53 f.); explizit gegen eine Erweiterung auf politische Parteien BVerfGE 68, 346 (349); aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs statt aller nur M. Kment, in: H. D. Jarass/B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 93 Rn. 90. 243 Wie hier R. Müller-Terpitz, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/H. Bethge (Hrsg.), BVerfGG, § 13 Nr. 3a (Oktober 2018) Rn. 11.
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eine politische Partei bezieht, durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Wenn überhaupt, dient die abstrakte Normenkontrolle nur mittelbar zur Rechtsschutzverbesserung der politischen Parteien. 4. Verfassungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG In Betracht kommt weiter die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG. Jede Person, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten 244 verletzt ist, kann danach Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können Parteien Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn es nicht um ihren verfassungsrechtlichen Status aus Art. 21 GG geht; für Letzteres ist das Organstreitverfahren die richtige Verfahrensart.245 Die Verfassungsbeschwerde können Parteien 244
Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 Abs. 1 BVerfGG stellen dabei auf Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103, 104 GG ab. 245 St. Rspr. seit der Plenumsentscheidung BVerfGE 4, 27 ff., aus jüngerer Zeit BVerfG, Urteil vom 15. Juli 2022, 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 = BeckRS 2022, 13335 Rn. 52, die zuerst allerdings so weit ging, die Parteien geprägt durch die Parteienstaatslehre Georg Leibholz’ als Verfassungsorgane anzuerkennen, dazu u. a. G. Leibholz, DVBl. 1951, S. 1 ff. und DVBl. 1950, S. 194 ff. Davon rückte das Gericht in BVerfGE 20, 56 (100 f.) wieder ab und schreibt den Parteien seitdem den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution zu; im verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs strittig, dagegen nachdrücklich C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 63 Rn. 17: „Denn Parteien gehören nicht zum Staat, sondern zur Sphäre der Gesellschaft und haben deshalb in einem konkreten Streit zwischen Staatsorganen nichts zu suchen.“; zudem u. a. C. Walter, in: ders./B. Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 63 Rn. 27; S. Detterbeck, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 47, 82; J. Ipsen/T. Koch, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 21 Rn. 50 ff.; A. Klafki, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 21 Rn. 51 f.; K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, Rn. 92; R. Streinz, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 147; A. Voßkuhle, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 106; C. Walter, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 93 (Juni 2017) Rn. 218; J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 59; H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 11 Rn. 24 ff.; offen gelassen von M. Morlok, NVwZ 2005, S. 157 ff. (160); zustimmend insbesondere T. Barzcak, in: ders. (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 63 Rn. 60, der betont, dass die Verfassungsbeschwerde nachteilig für die Parteien ist, da Art. 21 GG kein rügefähiges Recht und die Aufnahme des Art. 21 GG als Beschwerdegegenstand über Art. 3 Abs. 1 oder Art. 9 Abs. 1 GG nur eine fragwürdige Hilfskonstruktion sei; W. Meyer, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 102; aus
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folglich dann erheben, wenn sie in einem ihnen zustehenden Grundrecht246 verletzt sind.247 Parteien sind Träger aller Grundrechte, die ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG), unabhängig davon, ob die Partei rechtsfähig ist oder nicht.248 In Betracht kommen in Bezug auf den Wahlfehler der Listenablehnung grundsätzlich Beeinträchtigungen von Art. 21 Abs. 1, 20 Abs. 1, 2, 38 Abs. 1 S. 1, 19 Abs. 4 GG. Art. 21 Abs. 1 GG ist kein Grundrecht und auch nicht in den Katalog des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG als grundrechtsgleiches Recht aufgenommen, sodass eine Beeinträchtigung nicht unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Grund hierfür ist, dass die in Art. 21 Abs. 1 GG primär garantierten Rechte auf Chancengleichheit und auf Gleichheit der Wahl zum verfassungsrechtlichen Status der Partei gehören und damit im Wege des Organstreits geltend zu machen sind.249 Auffällig ist aber, dass der Verstoß gegen Gleichheitsgrundrechte beispielsweise aus Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG zusammen geltend gemacht wird, sodass dann im Verfahren der Verfassungsbeschwerde doch meist der verfassungsrechtliche Status der Parteien Beschwerdegegenstand ist.250 Zudem kann die Chancengleichheit im Wege des Organstreits nur gegenüber Verfassungsorganen geltend gemacht werden. Ist die Chancengleichheit durch eine andere Institution als ein Verfassungsorgan verletzt, so ist doch die Verfassungsbeschwerde die richtige Verfahrensart.251 Der Demokratiegrundsatz aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG ist kein Grundrecht und mangels Aufzählung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG auch kein sonstiges mit der Verfassungsbeschwerde zu rügendes Recht. Zudem beinhaltet auch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, der zwar im Katalog der mit der Verfassungsbeschwerde überprüfbaren Rechte steht, kein beschwerdefähiges Recht auf Beibehaltung der Demokra-
pragmatischen Gründen H. H. Klein, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 21 (Dezember 2014) Rn. 401; P. M. Huber, JZ 1994, S. 689 ff. (690). 246 Regelmäßig wird es sich um einen Gleichheitsrechtsverstoß handeln, möglich ist aber die Geltendmachung jedes den Parteien zustehenden Grundrechts. 247 St. Rspr. BVerfGE 7, 99 (103 f.); für den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs siehe nur H. Bethge, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), BVerfGG, § 90 (Februar 2018) Rn. 41. 248 BVerfGE 121, 30 (56 f.). 249 BVerfGE 120, 82 (96, 99 f.); H. Bethge, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), BVerfGG, § 90 (Februar 2018) Rn. 96. 250 So ebenfalls J. Ipsen/T. Koch, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 21 Rn. 52. 251 BVerfGE 7, 99 (103 f.).
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tie und der Grundrechte252. Berufen können sich Parteien hingegen auf das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.253 Parteien können damit gestützt auf Art. 19 Abs. 4 GG Verwaltungsverfassungsbeschwerden gegen konkrete Maßnahmen der Wahlorgane sowie Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen die den Maßnahmen der Wahlorgane zugrunde liegenden Gesetze einlegen. Nicht in Betracht kommen aufgrund der bereits erläuterten fehlenden Möglichkeit des Verwaltungsrechtsschutzes sowie der fehlenden gerichtlichen Rechtsbehelfe im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung hingegen Urteilsverfassungsbeschwerden.254 Aufgrund des vor dem Wahltermin kurzen Zeitraums können Verfassungsbeschwerden ebenso wie Klagen in der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht keinen rechtzeitigen Rechtsschutz bringen. Stattdessen kommen regelmäßig nur einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG in Betracht, die sich dann auf die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache beziehen.255 Dem steht auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache256 entgegen, da eine einstweilige Anordnung ausnahmsweise trotzdem ergehen kann, wenn der Rechtsschutz in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig käme und ein anderweitiger Rechtsschutz der Antragstellerin oder dem Antragsteller nicht zur Verfügung steht.257 Wie bereits erläutert, ist bei Wahlfehlern, die politische Parteien im Vorfeld von Wahlen außer im Bereich der Anerkennung als politische Partei beschweren, das Verwaltungsgerichtsverfah252 So scheint es das BVerfG im Maastricht-Urteil (BVerfGE 89, 155 ff.) anzunehmen; zurecht ablehnend u. a. H. Bethge, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), BVerfGG, § 90 (Februar 2018) Rn. 45 und M. Fromont, JZ 1995, S. 800 ff. (801), da der Gewährleistungsgehalt des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ansonsten grenzenlos gezogen werden könnte. 253 Dazu schon oben § 4 D. I. 1. c) aa). 254 Zudem wäre selbst bei Zulassung des Verwaltungsrechtsschutzes vor der Wahl der zeitliche Faktor ein nicht zu unterschätzendes Kriterium. Auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Nichtanerkennung einer politischen Partei im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG kann nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, da diese Entscheidung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG Bindungswirkung gegenüber allen Verfassungsorganen sowie Gerichten und Behörden entfaltet. 255 Die Akzessorietät von Hauptsacheverfahren und einstweiliger Anordnung ergibt sich unmittelbar aus § 32 BVerfGG, der einen „Streitfall“ voraussetzt. Dadurch wird die einstweilige Anordnung hingegen nicht auf kontradiktorische Verfahren beschränkt, sondern bezieht sich nach einhelliger Meinung schon aufgrund ihres Standorts im Abschnitt „Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen“ auf alle Verfahren, die vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig sein können, siehe nur C. Walter, in: ders./B. Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 32 Rn. 6 und K. Graßhof, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/H. Bethge (Hrsg.), BVerfGG, § 32 (Juli 2002) Rn. 14. 256 St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 3, 41 (43). 257 U. a. BVerfGE 34, 160 (162 f.); BVerfGE 67, 149 (151); BVerfGE 113, 113 (122).
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ren kein denkbarer Rechtsweg und auch andere verfassungsrechtliche Rechtsbehelfe sind nicht einschlägig. Somit steht das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen. a) Einstweilige Anordnung auf Grundlage einer Verwaltungsverfassungsbeschwerde wegen Maßnahmen der Wahlorgane Bei der (teilweisen) Ablehnung von Landeslisten handelt es sich um Entscheidungen, die durch die Wahlorgane, mithin nach hier vertretenem Verständnis von Behörden als Teil der Exekutive, getroffen werden. Die Verwaltung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sowie nach Art. 1 Abs. 3 GG explizit an die Grundrechte. Gegen Verletzungen von Wahlorganen steht also der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde und damit auch eine darauf bezogene einstweilige Anordnung offen. Regelmäßig ist eine isolierte Verwaltungsverfassungsbeschwerde die Ausnahme, schließlich ist nach § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG die Einlegung der Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs zulässig und gegen Maßnahmen und Entscheidungen der Verwaltung ist regelmäßig Rechtsschutz durch ein Verwaltungsrechtsverfahren nach Art. 19 Abs. 4 GG möglich. Die Verfassungsbeschwerde ist nach der gesetz lichen Konzeption folglich ein subsidiärer Rechtsschutz. Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Verwaltungsrechtsweg gegen eine eine Partei verletzende Maßnahme und Entscheidung der Wahlorgane kein denkbarer Weg.258 Art. 19 Abs. 4 GG führt in diesem Bereich zu keinem Rechtsschutz. Mangels anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeiten kann die Verfassungsbeschwerde direkt erhoben werden. Selbst wenn der entgegengesetzten Ansicht gefolgt wird und das Beschreiten des Verwaltungsrechtswegs für zulässig erachtet wird, scheitern Verwaltungsverfassungsbeschwerden im Vorfeld der Wahl dennoch nicht an der Rechts wegerschöpfung oder der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Denn § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG legt fest, dass eine Verfassungsbeschwerde auch ohne Erschöpfung des Rechtswegs zur Entscheidung angenommen werden kann, sofern sie von allgemeiner Bedeutung ist oder das Beschreiten des Rechtswegs für die Beschwerdeführerin oder den Beschwerdeführer einen unabwendbaren oder schweren Nachteil bedeutet. In Bezug auf Verfassungsbeschwerden von Parteien, die im Vorfeld der Wahl von diesen gegen öffentlich-rechtliche Rundfunk anstalten wegen Einräumung von Sendezeiten 259 oder gegen Gemeinden wegen Nutzung von im gemeindlichen Eigentum stehenden Veranstaltungsorten geführt wurden, hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend einen besonders 258 259
Siehe oben § 4 D. I. 1. c). BVerfGE 7, 99 (105).
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schweren Nachteil für die Parteien festgestellt, würden sie erst auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen, und damit die entsprechenden Verfassungsbeschwerden ausnahmsweise ohne Rechtswegerschöpfung zur Entscheidung angenommen.260 Die Situation von Parteien, die sich gegen Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlorgane im Zeitpunkt vor der Wahl zur Wehr setzen möchten, ist vergleichbar: Aufgrund der Kürze der Zeit vor der Wahl kann ein mehrinstanzliches Verwaltungsrechtsverfahren ebenso wie in den beiden genannten, bereits durch das Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen nur schwer durchgeführt werden.261 Ein Verwaltungsgerichtsverfahren ist also keine Option. Auch steht der politischen Partei gegen die Wahlorgane mangels Verfassungsorganqualität der Wahlorgane wie gezeigt das Organstreitverfahren nicht offen.262 Gleiches gilt ebenso für Rechtsstreitigkeiten einer Partei gegen öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten.263 Die Verfassungsbeschwerde ist folglich ebenfalls bei grundsätzlicher Befürwortung des Verwaltungsrechtswegs in Wahlrechtstreitigkeiten unmittelbar gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane eröffnet. Zudem steht die zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts notwendige Annahmeentscheidung für Verfassungsbeschwerden einer Erhebung im Falle von Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane nicht entgegen. Diese Annahmeentscheidung ist nach § 93a Abs. 1 BVerfGG vorgesehen. Absatz 2 legt sodann Fälle fest, in denen die Annahme der Beschwerde durch das Gericht zwingend ist: Zum einen, wenn ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Zum anderen, wenn die Beschwerde zur Durchsetzung der beschwerdefähigen Rechte aus § 90 Abs. 1 BVerfGG notwendig ist, was explizit auch dann der Fall sein kann, wenn der Beschwerdeführerin oder dem Beschwerdeführer ohne die Verfassungsbeschwerde ein besonders schwerer Nachteil entsteht. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kann, muss aber nicht zwingend einer Entscheidung oder Maßnahme von Wahlorganen im Vorfeld der Wahl anhaften. Stattdessen wird regelmäßig auf den Fall der Notwendigkeit zur Durchsetzung von beschwerdefähigen Rechten abzustellen sein. Denn bei den für Parteien besonders relevanten Wahlfehlern der (teilweisen) Zurückweisung von Landeslisten handelt es sich um solche, die nach der Wahl regelmäßig irreversibel und wenn überhaupt nur mit dem erhöhten Aufwand einer Nach- beziehungsweise Wiederholungswahl korrigiert werden können. 260 Dazu ausführlich H. Bethge, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), BVerfGG, § 90 (Februar 2018) Rn. 184a, 399. 261 Dazu bereits § 4 D. I. 1. b). 262 Oben § 4 D. II. 2. 263 C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 63 Rn. 22.
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Daher besteht in diesen Fällen eine Pflicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 BVerfGG. Eine Verwaltungsverfassungsbeschwerde ist für politische Parteien zur rechtlichen Überprüfung eines Fehlers vor der Wahl damit grundsätzlich zulässig und zumindest nicht offensichtlich unbegründet.264 Eine einstweilige Anordnung ist in diesen Fällen somit grundsätzlich möglich. Ihr steht auch insbesondere nicht die Subsidiarität gegenüber dem fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren oder gegenüber dem fachgerichtlichen Hauptsacherechtsbehelf entgegen.265 Dennoch können eine Verwaltungsverfassungsbeschwerde sowie ein darauf bezogenes Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG nicht den für Parteien im Vorfeld von Wahlen notwendigen Rechtsschutz leisten. aa) Fragliches Rechtsschutzbedürfnis Bereits scheitern kann eine einstweilige Anordnung am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Dieses ist zwar grundsätzlich indiziert, entfällt jedoch, wenn die entsprechend anzuordnende Handlung bei Erfolg der einstweiligen Anordnung nicht mehr rechtzeitig vollzogen werden kann 266 oder wenn die beantragte Maßnahme keinen Erfolg haben kann und daher ungeeignet ist267. Bei einer erfolgreichen einstweiligen Anordnung bestimmt das Bundesverfassungsgericht die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung des im Hauptsacheverfahrens verfolgten Ziels von Amts wegen.268 Getroffen werden müssen stets die Maßnahmen, die das geringste Eingriffsgewicht haben. Schließlich handelt es sich nur um eine vorläufige Anordnung, die gemäß § 32 Abs. 6 S. 1 BVerfGG nach sechs Monaten außer Kraft tritt. Ziel der Verfassungsbeschwerde und damit auch des einstweiligen Rechtsschutzes ist es, dass die für Parteien im Vorfeld der Wahl ergangenen Wahlfehler korrigiert werden, damit die Partei ohne Wahlfehler an der Bundestagswahl teilnehmen kann. Der einschlägige Wahlfehler der (teilweisen) Nichtzulassung von Landeslisten wird durch die Entscheidung der zuständigen Wahlorgane ge264 Die offensichtliche Unbegründetheit ist nämlich erst dann gegeben, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Gründe ersichtlich sind, die der Hauptsache zum Erfolg verhelfen können, BVerfGE 122, 374 (384 f.); näher dazu statt vieler T. Barczak, in: ders. (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 32 Rn. 43 und C. Bäcker, JuS 2013, S. 119 ff. (122 f.). 265 Siehe oben § 4 D. I.; ausführlich zur Subsidiarität statt vieler T. Barczak, in: ders. (Hrsg.), BVerfGG, 2018, § 32 Rn. 23 ff. 266 K. Graßhof, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/H. Bethge (Hrsg.), BVerfGG, § 32 (Juli 2002) Rn. 52. 267 K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, Rn. 464. 268 BVerfGE 86, 46 (48).
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tätigt. Die zu treffende Rechtsfolge im Rahmen der einstweiligen Anordnung ist demnach eine vorläufige Zulassung der bisher abgelehnten Landesliste. Ob diese Handlung rechtzeitig vor der Wahl ergehen kann, die als Massenverfahren einiges an Organisationsaufwand bedeutet,269 hängt vom Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ab. Kommt diese zu spät, ist die Zulassung der Kandi datinnen und Kandidaten durch das Bundesverfassungsgericht praktisch wirkungslos.270 Eine Garantie für die rechtzeitige Vollziehung gibt es demnach nicht, sodass das Rechtsschutzbedürfnis im Fall der auf Parteien bezogenen Wahlfehler nicht von vornherein indiziert, sondern je nach Einzelfall fraglich ist. bb) Keine zwingende Notwendigkeit für die Verfassungsbeschwerde Die Verfassungsbeschwerde dient in erster Linie der Sicherung und Durchsetzung der Grundrechte sowie der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG genannten grundrechtsgleichen Rechte; daneben dient sie ebenfalls der Wahrung des objektiven Rechts.271 Auch im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde nach Art. 41 Abs. 2 GG werden die Maßnahmen der Wahlorgane an den Grundrechten der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer gemessen. Spätestens seit dem Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen aus dem Jahr 2012 und der dadurch erfolgten Anpassung in § 1 Abs. 1 WahlPrüfG ist diese subjektive Komponente der Wahlprüfung allgemein anerkannt.272 Unstreitig ist ebenfalls, dass die Feststellung der Ungültigkeit der gesamten Wahl dem Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG vorbehalten ist. Es geht bei der Verfassungsbeschwerde immer jeweils um die Verfassungsmäßigkeit von Einzelmaßnahmen beziehungsweise der ihnen zugrunde liegenden Gesetzen.273 Somit ist im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens zum einen der 269 Man denke dabei beispielhaft nur an den Druck der Stimmzettel oder den Versand der Briefwahlunterlagen, welche rechtzeitig vor dem Wahltermin gedruckt und versandt werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt muss feststehen, welche Parteien und Kandidatinnen und Kandidaten sich um die Wahl bewerben. 270 Auch ein Hängebeschluss kann hier regelmäßig keine Abhilfe schaffen. Diesen erlässt das Bundesverfassungsgericht im Übrigen nur ausnahmsweise und sehr selten, siehe u. a. BVerfG, Beschluss vom 26. März 2021, 2 BvR 547/21 = BeckRS 2021, 5519. 271 BVerfGE 85, 109 (113); ausführlich dazu statt aller H. Bethge, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. (Hrsg.), BVerfGG, § 90 (Februar 2018) Rn. 8 ff. 272 Anders noch H. Wuttke, AöR 96 (1971), S. 506 ff. (512 ff.) zur Rechtslage vor dem Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen, der nach Auslegung feststellt, dass das Wahlprüfungsverfahren nur objektiven Zielen dient und daher die Verfassungsbeschwerde ausscheidet, da diese dem subjektiven Rechtsschutz des Einzelnen verschrieben ist. Kritisch zur Subjektivierung des Wahlrechtsschutzes L. Bechler, NVwZ 2022, S. 467 ff. (469). 273 M. Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977,
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Prüfungsmaßstab mit dem der Verfassungsbeschwerde zumindest identisch und dürfte sogar noch weitergehen, da im Rahmen der Wahlprüfungsbeschwerde anders als bei der Verfassungsbeschwerde die gesamte Rechtsordnung und nicht nur Grundrechte sowie die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG aufgezählten grundrechtsgleichen Rechte zur Disposition stehen.274 Zum anderen sind auch die Rechtsfolgen der Wahlprüfungsbeschwerde weitreichender als die der Verfassungsbeschwerde, da erstere bis zur Ungültigkeitserklärung der ganzen Wahl führen und letztere nur auf Einzelmaßnahmen bezogen sein kann. Dafür spricht auch die Einführung der Wahlprüfungsbeschwerde als eigenständiger Rechtsbehelf.275 Denn Art. 41 Abs. 2 GG sieht nur vor, dass nach Entscheidung des Bundestags die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht offenstehen muss. In Art. 41 Abs. 3 GG ist sodann ein entsprechender Gesetzgebungsauftrag an den einfachen Gesetzgeber zur Konkretisierung der verfas sungsrechtlichen Vorgaben enthalten. Diesem Gesetzgebungsauftrag ist der Gesetzgeber mit der Schaffung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom 12. März 1951 nachgekommen. Dabei hätte er aufgrund der erörterten grundsätz lichen Anwendbarkeit der Verfassungsbeschwerde im Bereich der Wahlprüfung auch die Verfassungsbeschwerde nach §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG als statt hafte Beschwerdeart deklarieren können. Stattdessen hat er sich aber mit der Einführung der Wahlprüfungsbeschwerde in §§ 13 Nr. 3, 48 BVerfGG dafür entschieden, einen besonderen verfassungsrechtlichen Rechtsbehelf neben der Verfassungsbeschwerde zu schaffen. Dieses Nebeneinander zeigt, dass die Verfassungsbeschwerde und die Wahlprüfungsbeschwerde in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen strikt voneinander zu trennen sind. Eine Notwendigkeit für die Anwendung der Verfassungsbeschwerde im Bereich der Wahlprüfung besteht folglich nicht. cc) Fazit Der Vorrang der Wahlprüfungsbeschwerde folgt damit nicht nur – wie das Bundesverfassungsgericht behauptet – aus der besonderen Natur des Wahlverfahrens nach Art. 38, 41 GG276, sondern vor allem aus dem fraglichen RechtsS. 407; B.-D. Olschewski, Wahlprüfung und subjektiver Wahlrechtsschutz, 1970, S. 137 f. i. V. m. S. 87 f. 274 Ebenso K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 49 Rn. 10; in diese Richtung auch kürzlich BVerfGE 159, 105 (115 f.). 275 Zum Folgenden erstmals unter anderem Blickwinkel H. Wuttke, AöR 96 (1971), S. 506 ff. (516). 276 Dazu oben die Bestandsaufnahme § 2 B. I. Auffällig ist nach Auswertung zahlreicher Stimmen in der Literatur, dass die dem Bundesverfassungsgericht zustimmende Literatur nicht eigenständig begründet, warum die Verfassungsbeschwerde im Bereich der Wahlprü-
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schutzbedürfnis und aus der fehlenden Notwendigkeit zur Durchführung der Verwaltungsverfassungsbeschwerde. Folglich kommen eine Verwaltungsverfassungsbeschwerde sowie eine darauf bezogene einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG im Bereich der Wahlfehler vor der durchgeführten Wahl nicht in Betracht. b) Regelmäßige Unzulässigkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde aufgrund von Fristversäumnissen Wenn schon eine Verfassungsbeschwerde beziehungsweise eine einstweilige Anordnung unmittelbar gegen die Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane ausgeschlossen sein soll, so drängt sich stattdessen die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde beziehungsweise einer auf diese bezogene einstweilige Anordnung gegen das den Entscheidungen und Maßnahmen zugrunde liegende Gesetz auf. Rechtssatzverfassungsbeschwerden müssen allerdings innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes erhoben werden, § 93 Abs. 3 BVerfGG. Regelmäßig werden die Maßnahmen der Wahl organe im Vorfeld der Wahl auf dem Bundeswahlgesetz oder der Bundes wahlordnung beruhen. Hier sind die Jahresfristen, außer es hat kurzfristige Neuregelungen gegeben, meistens verstrichen.277 Eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde muss also in der Regel bereits als verfristet abgelehnt werden und ist damit unzulässig. Somit ist auch eine auf eine solche Rechtssatzverfassungsbeschwerde bezogene einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG von vornherein abzulehnen. Auch eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerf-GG kann die Rechtsschutzdefizite, die für Parteien im Vorfeld von Wahlen bestehen, damit nicht auflösen. fung ausgeschlossen sein soll, siehe z. B. P. Austermann, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 49 oder H. Lang, Subjektiver Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren, 1997, passim. Zudem ist bemerkenswert, dass die dem Bundesverfassungsgericht nicht folgende Literatur nicht viel zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde schreibt, da diese Autorinnen und Autoren parallel stets den Verwaltungsrechtsweg für statthaft halten und eine Verfassungsbeschwerde dann am Punkt der Rechtswegerschöpfung oder der Subsidiarität scheitern muss, siehe z. B. G. Roth, Subjektiver Wahlrechtsschutz und seine Beschränkungen durch das Wahlprüfungsverfahren, in: G. Pfeiffer/U. Burgermeister/ders. (Hrsg.), Der verfaßte Rechtsstaat, FS Graßhof, 1998, S. 53 ff. (64). 277 Das Bundeswahlgesetz ist in seiner Grundform von 1956, wurde 1993 neugefasst und ist zuletzt im Juni 2021 durch das sechsundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes geändert worden, BGBl. I S. 1482. Die Bundeswahlordnung ist ursprünglich von 1957, wurde im September 1985 neugefasst und ist zuletzt im Juni 2020 durch die elfte Zuständigkeitsanpassungsordnung geändert worden, BGBl. I S. 1328.
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5. Fazit Insgesamt scheiden für Parteien sämtliche Rechtsbehelfe vor dem Bundesverfassungsgericht mit Ausnahme der Nichtanerkennungsbeschwerde und der Wahlprüfungsbeschwerde aus, um Rechtsschutz für vor der Wahl stattgefundene Wahlfehler zu erlangen. Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist hingegen nur auf den konkreten Einzelfall der Nichtanerkennung als politische Partei bezogen. Andere Wahlfehler, wie die hier relevante (teilweise) Nichtzulassung von Landeslisten, sind im Zeitpunkt vor der Wahl nur mit Hilfe der Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfbar.
III. Änderung der Anwendungspraxis von Art. 41 GG durch Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen? Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat mit Urteil vom 16. August 2019278 erstmals Rechtsschutz vor einer Wahl im Wege einer Verfassungsbeschwerde für zulässig erachtet. Damit hat sich das Gericht gegen den Vorrang der Rechtsbehelfe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts gestellt und eine Entscheidung im Wege einer Verfassungsbeschwerde bejaht, obwohl sich der Beschwerdegegenstand unmittelbar auf das Wahlverfahren bezog.279 Möglicherweise können sich aus dieser Entscheidung Ansatzpunkte für die Rechtslage in Bezug auf die Bundestagswahl ergeben. 1. Verfahrensgeschichte Der sächsische Landesverband der AfD reichte am 18. Juni 2019 zwei Landeslisten zur Landtagswahl 2019 in Sachsen ein. Grund hierfür war, dass die Mitglieder der AfD auf einem Parteitag im Februar 2019 lediglich über die Listenplätze 1 bis 18 im Einzelwahlverfahren und auf einem Parteitag im März 2019 dann über die weiteren Listenplätze 19 bis 61 sowohl im Einzelwahl- (Platz 19 bis 30) als auch im Gesamtwahlverfahren (Platz 31 bis 61) abgestimmt hatten. Nachdem die sächsische Landeswahlleiterin die AfD auf verschiedene formale Mängel der Listen hingewiesen hatte, gab die AfD am 27. Juni 2019 schließlich eine Gesamtliste zur Landtagswahl ab. Diese Liste wurde durch den Landeswahlausschuss in Sachsen am 5. Juli 2019 teilweise zurückgewiesen: So wurden nur diejenigen Kandidatinnen und Kandidaten der Listenplätze 1 bis 18 zuge lassen, die auf dem ersten Parteitag gewählt wurden; die Kandidatinnen und 278 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. 279 Ebenso J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1318); A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1814).
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Kandidaten auf den Listenplätzen 19 bis 61, gewählt auf dem zweiten Parteitag, wurden nicht zur Landtagswahl zugelassen.280 Als Grund benannte der Landeswahlausschuss, dass es sich bei den Aufstellungsversammlungen nicht um eine Versammlung im Sinne von § 27 Abs. 5 i. V. m. § 21 Abs. 1 LWahlG Sachsen gehandelt habe und zudem, dass der in der zweiten Aufstellungsversammlung vollzogene Wechsel vom Einzelwahl- zum Gesamtwahlverfahren unzulässig gewesen sei.281 Dagegen legte die AfD Verfassungsbeschwerde mitsamt einstweiliger Anordnung sowohl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen ein. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war schnell beendet, denn das Gericht wies die einstweilige Anordnung bereits aufgrund fehlender Zuständigkeit als auch wegen fehlender Substantiierung der Begründung ab.282 Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hingegen lehnte die Verfassungsbeschwerde nicht wie allgemein erwartet ab, sondern nahm sie zur Entscheidung an und gab ihr zudem in Teilen statt. Bereits durch einstweilige Anordnung vom 25. Juli 2019 wurden die Listenplätze 19 bis 30 vorläufig zugelassen 283; diese Entscheidung bestätigte der Gerichtshof sodann in seiner Hauptsacheentscheidung vom 16. August 2019284 und ließ damit die Kandidatinnen und Kandidaten auf den Listenplätzen 19 bis 30 zur sächsischen Landtagswahl endgültig zu. 2. Entscheidungsgründe des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen Grundsätzlich geht auch der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen von der Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahl- und des Wahlprüfungsrechts aus.285 Die Verfassungsbeschwerde ist damit hinsichtlich der unmittelbar auf das Wahlverfahren bezogenen Maßnahmen und Entscheidungen regelmäßig unzulässig. Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen sieht aber ausnahmsweise eine Verfassungsbeschwerde als zulässig an, 280 Landeswahlleiterin des Freistaates Sachsen (Hrsg.), Medieninformation 16/2019 vom 5. Juli 2019, S. 1, abrufbar unter https://wahlen.sachsen.de/download/Medieninformation/ LWL-16-2019.pdf (7. Mai 2023). 281 Landeswahlleiterin des Freistaates Sachsen, Medieninformation 17/2019 vom 8. Juli 2019, S. 2 f., abrufbar unter https://wahlen.sachsen.de/download/Medieninformation/LWL17-2019.pdf (7. Mai 2023). 282 BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2019, 2 BvR 1301/19 = NVwZ 2019, S. 1274 ff. 283 SächsVerfGH, Urteil vom 25. Juli 2019, Vf. 77-IV-19 (e.A.)/82-IV-19 (e.A) = BeckRS 2019, 15989. 284 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. 285 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1829 ff.)
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„soweit eine Entscheidung eines Wahlorgans auf einem besonders qualifizierten Rechtsverstoß beruht und voraussichtlich einen Wahlfehler von außerordentlichem Gewicht begründete, der erst nach der Wahl beseitigt werden könnte und möglicherweise zu landesweiten Neuwahlen führte; insoweit hängt bereits die Statthaftigkeit der Verfassungsbeschwerde von ihrer Begründetheit ab.“286
Ein besonders qualifizierter Rechtsverstoß liegt nach dem Gericht zum einen vor, wenn Entscheidungen der Wahlorgane willkürlich oder unter bewusster Ausnutzung von Entscheidungsgewalt missbräuchlich getroffen würden; die Willkür beziehungsweise der Missbrauch müsse „objektiv und offenkundig feststehen und nicht nur – und sei es zu Zwecken des politischen Meinungskampfes – behauptet werden.“287 Zum anderen soll ein qualifizierter Rechtsverstoß vorliegen, soweit die Entscheidung oder Maßnahme eines Wahlorgans klar rechtswidrig sei; bloße Zweifel oder die bloße Möglichkeit einer Überprüfbarkeit im Wahlprüfungsverfahren würden zur Annahme der klaren Rechtswidrigkeit aber nicht ausreichen.288 Zudem dürfte die Möglichkeit der Neuwahl nicht bloß eine rein theoretische sein. Der Verfassungsgerichtshof sah aber von einer weitergehenden Wahrscheinlichkeitsprüfung ab, da eine solche „von Umständen [abhänge], die tragfähig zu prognostizieren nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes sein kann.“289 Zudem sieht sich der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen zur Gewährung von Rechtsschutz im Zeitpunkt vor der Wahl auch als das der Sache nach zuständige Gericht an. Denn es handele sich bei der Verfassungsbeschwerde im Zeitpunkt vor der Wahl um die „(faktische) Vorwegnahme der Befassung des Verfassungsgerichtshofes als des im Wahlprüfungsverfahren zuständigen Wahlprüfungsgerichts (Art. 45 Abs. 2, 81 Nr. 5 SächsVerf) mit einem geltend gemachten Wahlfehler“290.
286 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1829); auf die methodische Problematik, dass die Statthaftigkeit der Verfassungsbeschwerde bereits von ihrer Begründetheit abhängt, wird später eingegangen, siehe § 4 D. III. 3. 287 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1834). 288 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1834). 289 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1838). 290 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1834).
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Die Sperrwirkung des Wahlprüfungsverfahrens wirkt insofern nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen nicht absolut.291 Insbesondere sei davon abzuweichen, wenn „der Zweck des störungsfreien, ordnungsgemäßen Ablaufs einer Wahl, die ihrer Kreationsfunktion genügt, nicht nur nicht erreicht, sondern gravierend verfehlt wird, weil bereits der Wahlakt selbst im Schatten eines voraussichtlichen Wahlfehlers von außerordentlichem Gewicht durchgeführt wird. In einem derartigen Ausnahmefall stehen sich das Gebot effektiver Rechtsschutzgewähr aus Art. 38 Satz 1, Art. 78 Abs. 3 Satz 1 SächsVerf und die aus Art. 45 SächsVerf folgende, in § 48 LWahlG Sachsen ausgeformte Konzentration auf den nachgehenden Rechtsschutz durch Wahlprüfung als Verfassungsgüter von Gewicht in einer Weise gegenüber, die durch einen Vorrang des Wahlprüfungsverfahrens nicht mehr angemessen zum Ausgleich gebracht wird.“292
In einem solchen Ausnahmefall tritt nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen folglich die Sperrwirkung der Wahlprüfungsbeschwerde gegenüber der Notwendigkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zurück.293 Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen nahm im Fall der teil weisen Nichtzulassung der Landesliste der AfD keine Willkür und keinen Missbrauch der zuständigen Wahlorgane an.294 Stattdessen wurde der qualifizierte Rechtsverstoß mit einer klaren Rechtswidrigkeit begründet, die sich auf die Zulassung der Listenplätze 19 bis 30 bezog: So habe es sich bei den zwei Ver291 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1832). 292 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1832). 293 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1832); dabei stellten die Richterinnen und Richter fest, dass „je offenkundiger und je gewichtiger indes ein Wahlfehler sich bereits im Vorfeld einer Wahl darstellt, desto eher spricht neben dem Gebot effektiver Rechtsschutzgewähr auch das aus dem Demokratieprinzip folgende Gebot einer dem Willen der Wählerinnen und Wähler entsprechenden Sitzverteilung im Parlament (BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1991, BVerfGE 85, 148 [158]) dafür, eine Überprüfung der formalen Gesetzmäßigkeit und materiellen Richtigkeit der Entscheidung eines Wahlorgans bereits im Vorfeld der Wahl und nicht erst im Rahmen der Wahlprüfung zu ermöglichen. Die Funktion des Wahlaktes, der zu wählenden Volksvertretung die erforderliche demokratische Legitimation zu vermitteln, wird dann durch den grundsätzlichen Vorrang des Wahlprüfungsverfahrens nicht gestärkt, sondern in Frage gestellt, wenn bereits beim Wahlakt offenkundige Wahlfehler, die für die Zusammensetzung der Volksvertretung von erheblicher Bedeutung sind, bestehen und erst nach einem – gar verzögerten – Wahlprüfungsverfahren korrigiert werden können (SaarlVerfGH, Urteil vom 31. Januar 2011 – Lv 13/10 – juris Rn. 84, für den Fall der überlangen Dauer der Wahlprüfung durch den Landtag).“, NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1833 f.). 294 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1835).
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sammlungen um eine einheitliche Aufstellungsversammlung im Sinne von § 27 Abs. 5 i. V. m. § 21 Abs. 1 S. 1 LWahlG Sachsen gehandelt, was der Landeswahlausschluss in rechtswidriger Weise verkannt habe.295 Nicht zwingend rechtswidrig sei hingegen die Entscheidung der Ablehnung der Listenplätze 31 bis 61 gewesen, da der Wechsel von einem Einzelwahl- zum Gesamtwahlverfahren im vorliegenden Fall nicht zulässig sei. Im Vorfeld der ersten Teilversammlung wurde das Einzelwahlverfahren für die gesamte Listenaufstellung vereinbart, sodass ein Wechsel zwischen den Wahlmodi innerhalb des Wahlverfahrens unzulässig sei.296 Auch sei in Bezug auf die Listenplätze 19 bis 30 die reale Wahrscheinlichkeit gegeben, dass die Nichtzulassung dieser Listenplätze aufgrund des prognostizierten Wahlergebnisses der AfD, die danach mehr Landtagsmandate als die bisher zugelassenen 18 Listenplätze erlangen könnte, zu landesweiten Neuwahlen führen könnte.297 Insofern lägen in Bezug auf die Listenplätze 19 bis 30 die Voraussetzungen für eine vor der Wahl statthafte Verfassungsbeschwerde vor. 3. Kritische Würdigung der Entscheidung Diese Entscheidung zur Zulässigkeit vorhergehenden Rechtsschutzes vor einer Wahl ist allerdings mit der Begründung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen ambivalent zu beurteilen. Einerseits führte die Entscheidung zu einer Gewährung eines möglichst effektiven und schnellen Rechtsschutzes. Andererseits ist das juristisch-methodische Konstrukt, um das sich der Gerichtshof zwar sichtbar bemüht, fragwürdig.298 Denn faktisch konstruiert der Verfassungsgerichtshof eine in die Verfassungsbeschwerde gekleidete präventive Wahlprüfungsbeschwerde, wenn er damit argumentiert, dass er aufgrund der (faktischen) Vorwegnahme der Wahlprüfungsbeschwerde, für die er ebenfalls zuständig sei, auch vor der Wahl schon für die Entscheidung einer Verfassungsbeschwerde in Wahlrechtsangelegenhei-
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SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1835 f.). 296 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1836 ff.). 297 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1838). 298 Um es mit den Worten von J. Kloos/C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (9) auszudrücken: Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen versuche mit dieser Entscheidung die „Quadratur des Kreises“; a. A. W.-R. Schenke, NJW 2020, S. 122 ff. (124), der die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen begrüßt und für eine Übertragbarkeit auf den Bund und in andere Länder plädiert.
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ten zuständig sein müsse.299 Allerdings kann schon aufgrund des Umstands, dass es sich bei Verfassungsbeschwerde und Wahlprüfungsbeschwerde um bewusst voneinander getrennte Verfahren handelt, nicht von der Zuständigkeit für den einen Rechtsbehelf auf die Zuständigkeit für den anderen Rechtsbehelf geschlossen werden. Denn gerade für das Wahlprüfungsverfahren ist der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen nicht unmittelbar, sondern erst nach der Entscheidung des Landtags des Freistaates Sachsen zuständig, Art. 45 Abs. 1 S. 1 SächsVerf. Damit hat der Verfassungsgerichtshof mit seiner Bejahung der Verfassungsbeschwerde die verfassungsrechtliche Erstzuständigkeit des Landtags bewusst umgangen und sich im Wege einer nicht nachvollzieh baren Rechtsfortbildung eigenständig eine direkte Entscheidungsbefugnis für Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf ein Wahlverfahren beziehen, zugeschrieben.300 Der Gerichtshof hat sich bei seiner Entscheidung eher von zweckdienlichen als von rechtlichen Erwägungen leiten lassen und sich damit dem ausdrücklichen Willen des Verfassunggebers, wie er aus Art. 45 SächsVerf hervorgeht, widersetzt.301 Gerade vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung erscheint dieses Vorgehen problematisch.302 Methodisch fragwürdig ist auch die Verquickung und Abhängigkeit von Zulässigkeit und Begründetheit, die der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen vorgenommen hat und dessen er sich selbst ebenfalls bewusst ist.303 Auch inhaltlich kann die Entscheidung nur in Teilen überzeugen. Gerade die Beschränkung der Verfassungsbeschwerde auf gewichtige Wahlfehler, die bei Willkür, Missbrauch oder klarer Rechtswidrigkeit vorliegen sollen, ist unter Gleichheits- und Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten bedenklich.304 Denn aufgrund dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist es schwer, die Grenze zwischen einem „normalen“ Wahlfehler, bei dem eine Verfassungsbeschwerde unzulässig 299 Ebenso F. Fründ/M. Klatt, SächsVerfGH zu AfD-Landeslisten: Notwendige Intervention oder ein Überschreiten des Rubikon?, JuWissBlog Nr. 84/2019 vom 22. August 2019, abrufbar unter https://www.juwiss.de/84-2019/ (7. Mai 2023). 300 Kritisch dazu auch J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1322); J. Kloos/ C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (11 f.); A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1815); S. Danzer, KommPrax Wahlen 2019, S. 69 ff. (70); F. Fründ/M. Klatt, SächsVerfGH zu AfD-Landeslisten: Notwendige Intervention oder ein Überschreiten des Rubikon?, JuWissBlog Nr. 84/2019 vom 22. August 2019, abrufbar unter https://www.juwiss.de/84-2019/ (7. Mai 2023). 301 S. D anzer, KommPrax Wahlen 2019, S. 69 ff. (70). 302 J. Kloos/C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (9 f.). 303 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1. Ls. und 1832 ff.). 304 Ebenso A. Hobusch, Der „tote Winkel“ des Rechtsschutzes, Verfassungsblog vom 1. August 2019, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-tote-winkel-des-rechtsschutzes/ (7. Mai 2023).
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung
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sein soll, und einem gewichtigen Wahlfehler, der zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde führen würde, zu ziehen. Konkrete Kriterien benennt der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen dazu nicht. So ist stets eine doppelte Prognoseentscheidung des Gerichts notwendig, denn es herrscht nicht nur Unklarheit über das Ergebnis, sondern zugleich auch über den Lebenssachverhalt.305 Zudem bringt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bei diesen qualifizierten Wahlfehlern gegenüber dem Wahlprüfungsverfahren als Mehrwert „nur“ die Vermeidung der Neuwahl. Denn derart qualifizierte Wahlfehler werden regelmäßig die für den Erfolg des Wahlprüfungsverfahrens erforder liche Mandatsrelevanz aufweisen.306 Auch verkennt der Gerichtshof, dass auf Bundesebene spätestens seit Einführung des Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen aus dem Jahr 2012 allgemein – sowohl in Bezug auf die Rechtslage im Bund als auch auf die Rechtslage in den Ländern – anerkannt ist, dass das Wahlprüfungsverfahren neben objektiven auch subjektiven Zielen dient. Daher kann seine auf das Spannungsverhältnis von effektivem Rechtsschutz und Wahlprüfung bezogene Argumentation zur Notwendigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht überzeugen.307 Selbst wenn eine solche Abwägung doch angebracht sein sollte, ist einzuwenden, dass der vom Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen zugrunde gelegte Grundsatz „in dubio pro libertate“ nicht auf die in der Entscheidung gegenständlichen Grundrechtskollisionen anzuwenden ist.308 Daneben führt die Begrenzung der Verfassungsbeschwerde auf die Wahlfehler, deren Nichtkorrektur landesweite Bedeutung haben kann, faktisch zu einem „Zwei-Klassen-Rechtsschutz“ im Zeitpunkt vor der Wahl.309 Denn das Erfordernis einer landesweiten Bedeutung schließt die Überprüfung von Wahlfehlern, die bei der Aufstellung von Landeslisten kleiner, regionalbegrenzter oder stimmenschwacher Parteien entstehen können, sowie die Überprüfung von Wahlfehlern, die bei der Aufstellung von auf lediglich einen Wahlkreis bezogenen Direktkandidatinnen und -kandidaten entstehen können, von der Rechtsschutzmöglichkeit aus.310 Ob diese Auswirkung im Einklang mit der vom Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen als Maßstab herangezogenen Gewährung effektiven Rechtsschutzes steht, ist zweifelhaft. Wenn der Gerichtshof 305
J. Kloos/C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (12). A. Hobusch, Der „tote Winkel“ des Rechtsschutzes, Verfassungsblog vom 1. August 2019, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-tote-winkel-des-rechtsschutzes/ (7. Mai 2023). 307 Vertiefend dazu W. Kluth, LKV 2019, S. 501 ff. (503). 308 Ebenso A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1816 f.). 309 Dazu erneut A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1817). 310 In diese Richtung auch J. Kloos/C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (12 f.). 306
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schon vor der Wahl Rechtsschutz durch die Verfassungsbeschwerde gewährt, hätte er ihn konsequenter Weise umfassend und für alle denkbaren Fälle gewährleisten müssen und nicht nur begrenzt auf qualifizierte Rechtsverstöße. Freilich ist dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen die schwierige politische Lage, in welcher er die Entscheidung treffen musste, zugute zu halten. Schließlich konnten durch die Zulassung weiterer Landeslistenplätze, wie Winfried Kluth festgestellt hat, „erhebliche Belastungen des demokratischen Lebens in Sachsen“311 vermieden werden. Die Entscheidung führte dazu, dass alle durch die AfD bei der Landtagswahl erreichten Listenplätze tatsächlich personell besetzt werden konnten. Auswirkungen auf die rechtliche Einordnung können solche Erwägungen aber nicht haben. Die Öffnung hin zu mehr Rechtsschutz im Zeitpunkt vor der Wahl durch ein Landesverfassungsgericht ist – vom Ergebnis gedacht – ein Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen aufgrund ihrer methodischen und inhaltlichen Komponente aus den dargelegten Gründen so nicht haltbar. 4. Übertragbarkeit auf die Rechtslage vor einer Bundestagswahl Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen bezieht sich auf die Rechtslage im Vorfeld einer sächsischen Landtagswahl. Fraglich ist daher, inwieweit hieraus Schlüsse für die hier zu betrachtende Frage nach der Schaffung von Rechtsschutz im Vorfeld einer Bundestagswahl gezogen werden können. Abstrakt gesprochen geht es um die Frage der Aussagekraft eines landesverfassungsrechtlichen Urteils, welches auf das geltende Landesrecht bezogen ist, für die Rechtslage auf Bundesebene. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Landesverfassungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht selbständig nebeneinanderstehen.312 Gleichzeitig gilt aber auch die Höherrangigkeit des Bundesrechts und damit der Vorrang der Bundesverfassung gegenüber den Länderverfassungen, Art. 31 GG. Bundes- und Landesverfassung beziehungsweise Bundes- und Landesverfassungsgericht(e) stehen damit in einem Spannungsfeld.313 Insbesondere für den hier gegenständlichen Bereich der Wahlprüfung hat das Bundesverfassungsgericht mittlerweile explizit die Autonomiebereiche zwi311
W. Kluth, LKV 2019, S. 501 ff. (504). St. Rspr. u. a. BVerfGE 4, 178 (189), BVerfGE 6, 376, (382); ausdrücklich BVerfGE 99, 1 (11): „In den Grenzen föderativer Bindungen gewährleistet das Grundgesetz Bund und Ländern eigenständige Verfassungsbereiche.“ Näher dazu J. F. Lindner, JZ 2018, S. 369 ff. (370 f.). 313 Näher zu diesem Spannungsfeld siehe M. Möstl, AöR 130 (2005), S. 350 ff. (insb. 367 ff.). 312
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung
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schen Bund und Ländern betont und eine grundsätzlich alternative Zuständigkeit hervorgehoben. Danach ist das Bundesverfassungsgericht regelmäßig ausschließlich für die Wahlprüfung von Bundestagswahlen und die Landesverfassungsgerichte ausschließlich für die Wahlprüfung von Wahlen auf Ebene der Länder zuständig.314 Diese weitgehend strikte Trennung bestand jedoch nicht immer. Ursprünglich und bis zum Jahr 1998 wurde die Überprüfung von Entscheidungen von Landesverfassungsgerichten oder Wahlprüfungsgerichten der Länder aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht für zulässig erachtet.315 Dafür führte das Bundesverfassungsgericht an, dass es seine Aufgabe sei, die Einhaltung der Bestimmungen des Grundgesetzes zu gewährleisten.316 Dieser Aufgabe könne es nur nachkommen, wenn es Akte der öffentlichen Gewalt auch in so besonderen Teilbereichen wie der Wahlprüfung beurteilen könne.317 Da Art. 41 GG sich explizit nur auf Bundestagswahlen beziehe, sei in Bezug auf die Überprüfung der Entscheidungen von Verfassungs- oder Wahlprüfungsgerichten der Länder die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht die statthafte Antragsart.318 Dagegen spreche auch nicht das Selbstorganisationsrecht der Länder aus Art. 28, 30 GG, da es seine Grenze in der (möglichen) Verletzung von Bundesgrundrechten finde.319 Ebenfalls sei der – zum damaligen Zeitpunkt noch angenommene – weitgehend objektive Charakter des Wahlprüfungsverfahrens kein Ausschlusskriterium für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, da eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil eine unmittelbare Rechtsverletzung der Beschwerdeführerin beziehungsweise des Beschwerdeführers voraussetze, die auch bei einem Urteil durch ein Verfassungs- beziehungsweise Wahlprüfungsgericht eines Landes gegeben sein könne.320 Entscheidend sei daher nicht, in welchem Verfahren die mit der Verfassungsbeschwerde gerügte Entscheidung gefällt wurde, sondern lediglich der Umstand, ob eine unmittelbare Rechtsverletzung der Beschwerdeführerin oder des Beschwerdeführers gegeben sei.321 314
Zuletzt erneut BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2023, 2 BvR 2189/22, 1. LS; erstmals BVerfGE 99, 1 (11 f.); so auch K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, Rn. 348: „Bei den Wahlprüfungsverfahren sind die Zuständigkeiten klar getrennt.“ 315 BVerfGE 34, 81 (insb. 92 ff.). 316 BVerfGE 34, 81 (95). 317 BVerfGE 34, 81 (94 f.). 318 BVerfGE 34, 81 (94 f.). 319 BVerfGE 34, 81 (96). 320 BVerfGE 34, 81 (96 f.). 321 BVerfGE 34, 81 (97).
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§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags
Allerdings gab das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung 1998 ausdrücklich auf.322 Grund hierfür war, dass das Gericht in Bezug auf die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen der Verfassungs- beziehungsweise Wahlprüfungsgerichte der Länder nun doch einen Widerspruch in Bezug auf die Selbstorganisation der Länder sah: Die Gerichte der Länder sollen grundsätzlich abschließend über die Wahlprüfung von Landesund Kommunalwahlen entscheiden und das Bundesverfassungsgericht möchte diese Autonomie der Gerichte der Länder nicht weiter untergraben.323 Zudem seien die Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl bei den Wahlen zu Volksvertretungen in den Ländern durch das Grundgesetz nicht subjektivrechtlich garantiert.324 Daher sei in Bezug auf die Volksvertretungen der Länder aufgrund von Art. 28 Abs. 1 S. 2, 38 Abs. 1 S. 1 GG ein Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr möglich, sodass kein mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfbares Recht für Verstöße gegen die Wahlrechtsgrundrechte bei Landtags- oder Kommunalwahlen vorliege.325 Eine Ausnahme und damit eine Prüfungskompetenz für Parlamentswahlen auf Länderebene für das Bundesverfassungsgericht soll nach neuster Rechtsprechung des Gerichts jedoch dann bestehen, wenn das Homogenitätsgebot gemäß Art. 28 Abs. 1 GG nicht mehr hinreichend beachtet würde: „Solange die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und insbesondere die Regelung und Tätigkeit ihrer mit Aufgaben des Wahlrechtsschutzes betrauten Verfassungsgerichtsbarkeit den Homogenitätsanforderungen des Art. 28 Abs. 1 GG genügen“326,
komme eine Prüfung der Wahlen auf Länderebene durch das Bundesverfassungsgericht hingegen nicht in Betracht.327
322 BVerfGE 99, 1. Die Leitsätze des Beschlusses lauten „1. Im Anwendungsbereich der speziellen wahlrechtlichen Gleichheitssätze der Art. 28 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 1 Satz 1 GG scheidet ein Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG aus (Änderung der Rechtsprechung). 2. Bei Wahlen zu Volksvertretungen in den Ländern ist die Verletzung der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl nicht mit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht angreifbar.“ 323 BVerfGE 99, 1 (12, 17 f.). Damit hebt das Bundesverfassungsgericht die Ungleichheit der Behandlung der Wahlrechtsgrundsätze auf, denn für die Wahlrechtsgrundsätze der Unmittelbarkeit, Geheimheit und Freiheit wurde die Selbstorganisation der Länder stets beachtet und auf diese drei Grundsätze gestützte Beschwerden waren stets unzulässig, BVerfGE 99, 1 (13 f.). 324 BVerfGE 99, 1 (7 f.). 325 BVerfGE 99, 1 (8 ff.). 326 BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2023, 2 BvR 2189/22, Rn. 108. 327 Umfassend BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2023, 2 BvR 2189/22.
D. Exklusivität der Wahlprüfung als verfassungsrechtliche Grundentscheidung
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Die Zuständigkeit für die Wahlprüfung ist damit grundsätzlich strikt zwischen Bund und Ländern geteilt. Dem entspricht auch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen, die ausdrücklich feststellt, dass die „Regelungen im Bund oder in anderen Ländern, mit denen weitergehender Rechtsschutz vor der Wahl in spezifischen Sonderfällen gewährt wird, […] schon mangels Übernahme in das Landesrecht im Freistaat Sachsen unanwendbar [sind]. Sie indizieren allerdings, dass der Grundsatz der Konzentration auf das nachträgliche Wahlprüfungsverfahren kein Verfassungsgrundsatz ist, der jeglicher Ausgestaltung durch den Gesetzgeber entzogen ist oder unabhängig von gleichrangigen Verfassungsgütern ausnahmslos Geltung beanspruchen kann.“328
Zudem ergibt sich die fehlende Übertragbarkeit der Methodik der Entscheidung auf die Rechtslage vor Bundestagswahlen auch schon aus der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung des sächsischen und des bundesrechtlichen Wahlrechts.329 So gibt es im sächsischen Wahlrecht keine Beschwerdemöglichkeit gegen die (teilweise) Ablehnung einer Landesliste, anders als es § 28 Abs. 2 BWahlG vorsieht. Auch ist der Landeswahlausschuss in Sachsen anders besetzt als der Bundeswahlausschuss: Im sächsischen Landeswahlausschuss sind im Gegensatz zum Bundeswahlausschuss nach § 8 Abs. 1 S. 1 LWahlG Sachsen keine Richterinnen und Richter Mitglieder, sodass der Vorwurf der Befangenheit im sächsischen Landeswahlausschuss zumindest theoretisch näher liegt als in Bezug auf den Bundeswahlausschuss. Ebenso wurde bereits gezeigt, dass die Abwägung zwischen Art. 41 GG und dem Effektivitätsgrundsatz aus Art. 19 Abs. 4 GG auf Bundesebene im Gegensatz zu ihren identischen Gewährleistungen in Art. 45 SächsVerf und Art. 38 S. 1, Art. 78 Abs. 3 S. 1 SächsVerf anders ausfällt und zwar zugunsten von Art. 41 GG.330 Auf Bundesebene müssten zusätzlich die durch den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen festgelegten Rechtsfolgen angepasst werden, denn anders als bei Landtagswahlen beziehen sich Wahlfehler bei der Zulassung von Landeslisten im Vorfeld der Bundestagswahl nicht zwingend auf das gesamte Wahlgebiet, also das gesamte deutsche Staatsgebiet, sondern nur auf die Wahl im betroffenen Land und damit auch nur auf einen Teil des Wahlgebiets.331 Insgesamt sind die Gründe und die Methodik der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen auf die Rechtslage in Bezug auf Bundestagswahlen nicht unmittelbar übertragbar. Das liegt zum einen an der 328 SächsVerfGH, Urteil vom 16. August 2019, Vf. 76-IV-19 (HS)/81-IV-19 (HS) = NVwZ 2019, S. 1829 ff. (1831). 329 Ebenso S. D anzer, KommPrax Wahlen 2019, S. 69 ff. (69). 330 Dazu oben § 4 D. I. 1. c) aa). 331 In diese Richtung auch J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1323).
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§ 4 Wahlprüfung als exklusive Aufgabe des Bundestags
fehlenden Bindungswirkung landesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen und zum anderen an einer nicht vergleichbaren materiellen Rechtslage. Nichtsdestotrotz zeigt sich aber vermehrt, dass das Landesverfassungsrecht eben nicht mehr nur ein „Schattendasein“ pflegt oder gar im „Dornröschenschlaf“ ist.332 Stattdessen können sich Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte sowie die Dogmatik dieser Entscheidungen durchaus auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auswirken, sodass landesverfassungsgerichtliche Urteile ein Indikator für ein Änderungsbedürfnis der Rechtslage sein können.333
IV. Fazit Der Exklusivitätsthese des Bundesverfassungsgerichts ist mithin aus den dargestellten Gründen zu folgen. In Bezug auf Wahlfehler vor dem Wahltag ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet und verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens ist mit Ausnahme der beschränkt anwendbaren Nichtanerkennungsbeschwerde nicht zu gewähren. Änderungen ergeben sich zudem nicht aufgrund des Urteils des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen vom 16. August 2019.
E. Zwischenergebnis Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG enthält nur eine allgemeine Zuständigkeitszuweisung der Wahlprüfung an das Organ Bundestag. Die nähere Ausgestaltung bleibt dem einfachen Gesetzgeber sowie den Anwenderinnen und Anwendern der Norm überlassen. Eine Wahlprüfung durch den Bundestag im Vorfeld der Wahl ist jedoch durch den Normwortlaut des Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG nicht ausgeschlossen. Ein Verständnis, dass bereits der Begriff der Wahlprüfung indiziere, dass es sich um eine bereits durchgeführte Wahl handeln müsse, ist also nicht zwin332
So auch mit weiteren Nachweisen M. Möstl, AöR 130 (2005), S. 350 ff. (354). Siehe dazu H. Berger/L. C. Gundling, DÖV 2019, S. 399 ff. (402), die diese Beobachtung überzeugend am Beispiel der Äußerungsbefugnisse von Mitgliedern der Regierung herausgearbeitet haben; anders noch W. Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1987), S. 7 ff. (36), nach dem von einem wechselseitigen Austauschprozess zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den Landesverfassungsgerichten keine Rede sein kann, da die Membran zwischen der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts andererseits nur semipermeabel sei. Für eine Billigung der durch den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen geschaffenen Ausnahmemöglichkeit für die Wahlprüfung vor der Wahl durch das Bundesverfassungsgericht M. Morlok, JuS 2022, S. 1019 ff. (1024) unter Rückgriff auf BVerfGE 159, 105 (123). 333
E. Zwischenergebnis
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gend.334 Konkret zuständig ist der jeweils zum Zeitpunkt der Wahlprüfung bestehende Bundestag – sowohl aus verfassungsdogmatischer als auch aus verfassungstheoretischer Hinsicht. Der bestehende Bundestag ist auch in der Lage, die Wahlprüfung vor der Bundestagwahl durchzuführen. Aufgrund der bereits verfassungsrechtlich angelegten Exklusivität der Wahlprüfung und des Wahlprüfungsverfahrens ist er gleichzeitig dazu angehalten.
334
So aber J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1320).
§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung des demokratischen Wahlsystems A. Wechselwirkungen der Wahlprüfung vor der Wahl und des Demokratieprinzips, Art. 20 Abs. 1, 2 GG Durch eine vorgelagerte Wahlprüfung kommt es in einer Demokratie zu einer höheren Legitimation durch das wahlberechtigte Volk. Wahlen und die Demokratie, wie sie das Grundgesetz ausgestaltet, sind eng miteinander verbunden, bedingen sich gegenseitig und können nicht ohne einander existieren: Ohne Wahlen kann die repräsentative Demokratie, wie sie das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 GG ausgestaltet, ihre Wirkung nicht entfalten, denn es gäbe keine Repräsentantinnen und Repräsentanten des Volkswillens; andererseits gäbe es ohne die Staatsform der repräsentativen Demokratie kein Bedürfnis für Wahlen.1 Zudem wird eine Demokratie maßgeblich durch das geltende Wahlrecht geprägt. Damit kommt dem Grundsatz der Demokratie eine tragende Rolle für das Verständnis des Wahlrechts und auch für das Verständnis des Wahlprüfungsrechts als dessen Teil zu.2 Systematisch gesehen ist die Wahlprüfung mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes untrennbar verbunden, denn gleich zwei für das Wahlprüfungsrecht maßgebliche Grundsätze haben ihren Ursprung im Demokratieprinzip: die Gewährleistung der nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler richtigen Zusammensetzung des gewählten Parlaments und der Bestandsschutz des gewählten Parlaments, die notwendigerweise gegenläufige Interessen bezeichnen. Wahlen zum Parlament sollen dazu führen, dass der Wille der Wählerinnen und Wähler im Wahlergebnis und daraus resultierend im gewählten Parlament korrekt wiedergegeben wird.3 So ist es selbstverständlich, dass dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG nur dann Rechnung getragen wird, wenn das 1
M. Morlok, Demokratie und Wahlen, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 559 ff. (559). 2 So auch das Bundesverfassungsgericht, welches aus dem Demokratieprinzip die notwendige Existenz der Wahlprüfung herleitet, siehe u. a. BVerfGE 85, 148 (158); BVerfGE 89, 243 (253); BVerfGE 123, 39 (87); BVerfGE 129, 300 (344 f.). 3 Siehe u. a. BVerfGE 103, 111 (134).
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
Wahlergebnis mit den für die angetretenen Wahlbewerberinnen und Wahl bewerber abgegebenen Stimmen übereinstimmt.4 Wahlfehler führen damit grundsätzlich zu einer Beeinträchtigung des Willens der Wählerinnen und Wähler, sodass die Legitimation der einzelnen Abgeordneten wie auch die des Parlaments als solchem mangelbehaftet ist. Gleichzeitig ist jedoch bei der Korrektur von Wahlfehlern stets der Bestandsschutz des gewählten Parlaments zu berücksichtigen. Denn einer einmal durch eine Wahl hervorgebrachten Volksvertretung kommt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich ein im Demokratieprinzip begründeter größtmöglicher Bestandsschutz zu, der die Funktionsfähigkeit des Bundestags gewährleisten soll.5 Vor allem aufgrund der Komplexität und Langwierigkeit eines Wahlvorgangs sowie der Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des bereits konstituierten Parlaments und daraus resultierend auch der neu gebildeten Regierung sollen durchgeführte Wahlen so weit wie möglich bestehen bleiben (Gebot des geringstmöglichen Eingriffs).6 Daraus folgt, dass bei Vorliegen eines Wahlfehlers zunächst versucht werden muss, die Wahl so weit wie möglich aufrechtzuerhalten und lediglich eine punktuelle Berichtigung vorzunehmen (Verbesserungsprinzip).7 Zudem haben die Wählerinnen und Wähler nach Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG einen in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Anspruch auf Teilhabe an der Wahl. Jeder vorzeitige Eingriff in das einmal gewählte Parlament konterkariert diesen bürgerlichen Anspruch. Schließlich verlieren einmal abgegebene Stimmen hierdurch notwendigerweise an Gewicht, da sich die Stimmen nicht auf eine vollständige Legislaturperiode beziehen, wenn das Parlament vorzeitig aufgelöst wird.8 Die Korrektur von Wahlfehlern muss daher stets im Hinblick auf das Gebot des Bestandsschutzes gerechtfertigt werden. Das führt dazu, dass je gewichtiger die Folgen für das gewählte Parlament sind, 4 In diese Richtung ebenfalls H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 105. 5 St. Rspr., u. a. BVerfGE 89, 243 (253); BVerfGE 103, 111 (134); BVerfGE 121, 266 (311 f.); BVerfGE 129, 300 (344). 6 Nach BVerfGE 103, 111 (134); BVerfGE 121, 266 (312); BVerfGE 129, 300 (344); BVerfGE 131, 230 (238) soll das Parlament „durch die Wahlprüfung in der Wahrnehmung seiner Aufgaben, insbesondere der Gesetzgebung und der Kontrolle der – von ihm als funktionsfähiges Organ erst hervorzubringenden – Regierung möglichst nicht beeinträchtigt werden.“ 7 BVerfGE 34, 81 (102 f.); BVerfGE 121, 266 (311 f.); daher kommt der Wahlberichtigung auch eine ex-nunc Wirkung zu, d. h. alle bisher beschlossenen Akte des fehlerhaft zusammengesetzten Parlaments bleiben bestehen und gültig, dazu näher A. von Heyl, Wahlfreiheit und Wahlprüfung, 1975, S. 203 ff. 8 Dazu auch H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 106.
A. Wechselwirkungen der Wahlprüfung vor der Wahl und des Demokratieprinzips 157
desto schwerer das Gewicht des Wahlfehlers sein muss, um den Bestand des gewählten Parlaments nach der Wahl anzutasten.9 Kriterium für diese Abwägung ist vor allem die Mandatsrelevanz des Wahlfehlers.10 Allerdings ist es nicht so, dass aufgrund des Demokratieprinzips lediglich bereits abgehaltene Wahlen Gegenstand der Wahlprüfung sein können, da die konkrete personelle Zusammensetzung des Parlaments mit dem Willen der Wählerinnen und Wähler übereinstimmen müsse und dies erst nach der Wahl festgestellt werden könne.11 Zwar fordert das Demokratieprinzip die korrekte Abbildung des Willens der Wählerinnen und Wähler im Wahlergebnis, das erst nach der Wahl konkret feststeht. Dennoch bedeutet dies nicht gleichzeitig, dass nur abgehaltene Wahlen Gegenstand der Wahlprüfung sein können. Denn diese Sichtweise lässt außer Acht, dass es isolierbare Wahlfehler gibt, die vollständig im Vorfeld der Wahl erfolgen.12 Darunter fällt unter anderem die (teilweise) Ablehnung von Landeslisten. Zwar mögen die konkreten Folgen dieses Wahlfehlers, vor allem also die Auswirkungen auf das Wahlergebnis, erst nach der Wahl feststehen. Jedoch handelt es sich hierbei stets um Spekulationen, denn es ist auch nach der Wahl nicht präzise aufklärbar, wie das Wahlergebnis bei Zulassung der Landeslisten ausgefallen wäre. Somit ist die Sachlage sowohl vor als auch nach der Wahl dieselbe: Der Wahlfehler steht fest, eine präzise Aufklärung der Auswirkungen und damit der Mandatsrelevanz ist nicht möglich. Folglich ist in Bezug auf die (teilweise) Ablehnung von Landeslisten nicht ersichtlich, inwieweit das Demokratieprinzip lediglich eine nach der Wahl stattfindende Wahlprüfung ermöglichen soll. Darüber hinaus greifen vor der Wahldurchführung diejenigen Überlegungen noch nicht, die in Bezug auf eine nach der Wahl stattfindende Wahlprüfung einen Bestandsschutz des gewählten Parlaments als Gegenpol zur nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler richtigen Zusammensetzung des gewählten Parlaments legitimerweise begründen können. Denn vor der Wahl kommt ein Bestandsschutz des noch gar nicht gewählten Parlamentes nicht in Betracht. 9 So setzt die Ungültigkeit der Wahl „einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erschiene“, u. a. BVerfGE 103, 111 (134); BVerfGE 121, 266 (321). 10 Näher zur Mandatsrelevanz oben § 4 A. II. 11 So aber J. Kloos/C. Straker, SächsVbl. 2020, S. 5 ff. (6) unter Verweis auf P. Glauben, NVwZ 2017, S. 1419 ff. (1420). 12 In diese Richtung ebenfalls H. Lang, Braucht ein „kranker“ Wahlrechtsschutz neue Therapien?, Verfassungsblog vom 14. August 2019, nach dem „für den Bereich isolierbarer Wahlfehler […] zudem der Einwand des Bestandsschutzes des gewählten Parlaments nicht [verfängt], weil er sich von vornherein nur auf den unbelasteten Teil, die rechtmäßig erworbenen Mandate beziehen kann“; abrufbar unter https://verfassungsblog.de/braucht-einkranker-wahlrechtsschutz-neue-therapien/ (7. Mai 2023).
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
Mithin bedeutet eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung sogar eine bessere Verwirklichung des Demokratieprinzips, weil nicht bereits der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Teilhabe an der Wahl und die daraus folgende Gültigkeit der Wahl beeinträchtigt wird.
B. Bedeutung der Wahlrechtsgrundsätze für das Wahlprüfungsverfahren, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG garantiert allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen zum Bundestag. Diese Wahlrechtsgrundsätze beziehen sich nach überwiegender Ansicht auf den gesamten Prozess der Wahl und umfassen mithin auch den hier relevanten Bereich der Wahlvorbereitung.13 Obwohl es sich bei den Wahlrechtsgrundsätzen prima facie um Individualrechte der Bürgerinnen und Bürger handelt,14 können sich auch Parteien und Vereinigungen von Wählerinnen und Wählern auf Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG berufen.15 Art. 38 Abs. 1 13 BVerfGE 60, 162 (167) und BVerfGE 89, 243 (251) jeweils m. w. N.; aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs statt vieler nur S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 109 und H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 38 Rn. 10; widersprüchlich P. Müller, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 143, wonach nur die Freiheit und Gleichheit der Wahl auf das gesamte Wahlverfahren bezogen sind, was der Bearbeiter jedoch in Rn. 165 revidiert, indem er feststellt, dass „der Anwendungsbereich des Grundsatzes der geheimen Wahl […] wie die übrigen Wahlrechtsgrundsätze neben dem Akt der Stimmabgabe auch die Phase der Wahlvorbereitung [umfasst].“; einschränkend H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/ R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 38 (Januar 2021) Rn. 84; anders als hier K. V. Franz, Das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag – Architektur eines organschaftlichen Rechts, 2019, S. 200, nach der die Wahlrechtsgrundsätze nicht die Wahl als solche regeln, sondern nur deren verfahrensmäßige Ausgestaltung und daher vom Wahlrecht zu trennen sind, sodass sie nur in unterschiedlichen Phasen der Wahlanwendung angewendet werden können. 14 Dafür spricht schon die Tatsache, dass es sich bei Art. 38 GG um ein mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG rügefähiges Recht handelt, welches daher grundrechtsgleich wirkt; siehe auch H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/ R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 38 (Januar 2021) Rn. 161. 15 H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 38 Rn. 5; ungeklärt, aber hier irrelevant ist die Frage, ob Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ein subjektives Recht der Parteien beinhaltet, so etwa H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 38 (Januar 2021) Rn. 161 und M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 59, oder ob ein Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG auf andere subjektiv-rechtliche Garantien wie Art. 21 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 oder Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden muss, so das Bundesverfassungsgericht u. a. in BVerfGE 51, 222 (232 f.) oder BVerfGE 82, 322 (329) sowie P. Badura, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Anh. z. Art. 38: BWahlG (Oktober 2018) Rn. 33.
B. Bedeutung der Wahlrechtsgrundsätze für das Wahlprüfungsverfahren
159
S. 1 GG vermittelt ihnen damit ein Recht, unter den dort genannten Bedingungen an der Wahl zum deutschen Bundestag teilzunehmen.16 Daher stellt sich die Frage, ob eine erst nachträgliche Wahlprüfung im Falle der (teilweisen) Listenablehnung durch den Bundeswahlausschuss die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG wahrt beziehungsweise, ob eine bereits vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung in diesen Fällen nicht aber die Wahlrechtsgrundsätze besser gewährleistet. Relevante Wahlrechtsgrundsätze für die vorliegende Arbeit sind lediglich die Unmittelbarkeit, die Freiheit und die Gleichheit der Wahl, nicht aber die Allgemeinheit, die Geheimheit und die Öffentlichkeit der Wahl.
I. Unmittelbarkeit der Wahl Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG bedeutet, dass die Wählerinnen und Wähler die Mitglieder des Bundestags direkt wählen müssen. Damit ist jedes Wahlverfahren unzulässig, bei dem zwischen Wählerinnen und Wählern und Kandidatinnen und Kandidaten nach der Wahlhandlung eine Instanz zwischengeschaltet wird, die nach ihrem Ermessen die gewählten Abgeordneten bestimmt.17 Zulässig ist lediglich die Entscheidung einer oder eines Gewählten, das Mandat nicht anzunehmen oder später darauf zu verzichten, denn die beziehungsweise der Gewählte ist keine Instanz, die zwischen die Wählerinnen und Wähler und die Zusammensetzung der Volksvertretung tritt.18 Die Unmittelbarkeit der Wahl garantiert somit, dass die Bundestagswahl vor späteren Eingriffen geschützt ist, die durch freie politische Ermessensentscheidungen zwischen Wählerstimme und Wahlergebnis erfolgen.19 In Bezug auf die Parteien gilt, dass diese auf eine Durchführung der Bundestagswahl unter den genannten Voraussetzungen vertrauen können. Teilweise wird vertreten, dass diese Eingriffe in die Unmittelbarkeit der Wahl auch durch Wahlprüfungsorgane erfolgen können, sodass dieser Wahlrechts16 H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 38 (Januar 2021) Rn. 161. 17 Grundlegend BVerfGE 7, 63 (68), seither st. Rspr. u. a. BVerfGE 7, 77 (84 f.); BVerfGE 21, 355 f.; BVerfGE 47, 253 (279 f.); aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs exemplarisch S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 88 und P. Müller, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 135; ein Wahlverfahren, welches wie das US-amerikanische den Einsatz von Wahlmännern bzw. Wahlfrauen vorsieht, ist in Deutschland damit unzulässig. 18 Statt aller nur M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg,), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 80; für nachrückende Abgeordnete gilt, dass auch sie vor der Wahl schon benannt sein müssen, BVerfGE 97, 317 (323) m. w. N. 19 So N. D. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 149.
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
grundsatz nicht allein auf die Wahlvorbereitung und den Wahlvorgang als solchen, sondern auch auf die Wahlprüfung bezogen sei.20 Dies solle insbesondere für eine nach der Wahl stattfindende Wahlprüfung gelten.21 Zuzugestehen ist, dass eine Wahlprüfung nach der Wahl dazu führt, dass zwischen die abgegebene Wählerstimme und das Wahlergebnis Instanzen zwischengeschaltet werden. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass der Bundestag und das Bundesverfassungsgericht als durchführende Organe der Wahlprüfung jedenfalls eine Rechtsprüfung vornehmen 22 und daher nicht im Sinne des Wahlrechtsgrundsatzes der Unmittelbarkeit der Wahl als Institutionen mit freier politischer Ermessensentscheidung zwischen die Wählerstimme und das Wahlergebnis treten. Darüber hinaus stellt der Umstand, dass bei einer Wahlprüfung vor der Wahl mit dem Bundestag und dem Bundesverfassungsgericht im Wahlprüfungsverfahren weitere Instanzen über die Listenaufstellung der Parteien entscheiden können, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit dar. Schließlich ist schon die Listenaufstellung als solche durch Parteien vor der Wahl kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit. Denn die Wählerin beziehungsweise der Wähler hat auch in diesem Fall am Wahltag die entscheidende Stimme, sodass die Parteien in diesem Fall nicht zwischen Wählerinnen und Wähler und Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern zwischengeschaltet sind.23 Dann kann es auch kein Verstoß sein, wenn mit dem Bundestag und dem Bundesverfassungsgericht zwei Institutionen eingesetzt werden, die für die Fehlerfreiheit und Gewährleistung der Rechtmäßigkeit der Listenaufstellung durch die Parteien sorgen sollen. Ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG scheidet durch eine Wahlprüfung für die Zeit vor der Wahl mithin aus.
II. Freiheit der Wahl Der Grundsatz der Freiheit der Wahl gewährleistet – neben dem Umstand, dass die Wahl ohne Zwang und ohne nötigende oder sonst beeinflussende Handlungen von außen stattfinden soll24 – auch eine fristgemäße Mandatserneuerung des politischen Personals im Bundestag, was bedeutet, dass die Mandate – mit 20
Erneut N. D. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 149. Wieder N. D. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 149. 22 U. a. L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 41 Rn. 10; H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 72; P. Glauben, NVwZ 2017, S. 1419 ff. (1420). 23 Ebenso H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 38 (Januar 2021) Rn. 106 und C. Burkiczak, JuS 2009, S. 805 ff. (807). 24 BVerfGE 7, 63 (69); BVerfGE 15, 165 (166); BVerfGE 47, 253 (282). 21
B. Bedeutung der Wahlrechtsgrundsätze für das Wahlprüfungsverfahren
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Ausnahmen bei persönlichen Entscheidungen der oder des Abgeordneten – weder früher noch später als grundgesetzlich vorgesehen enden dürfen.25 Wahlen müssen nach Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG regelmäßig alle vier Jahre stattfinden. Daraus folgt, dass für diese Wahlperiode sowohl die Wählerinnen und Wähler als auch die Abgeordneten darauf vertrauen dürfen, dass ihre abgegebene Stimme beziehungsweise ihr errungenes Mandat Gültigkeit hat. Mithin umfasst der Grundsatz der Freiheit der Wahl aufgrund der zeitlichen Ausgestaltung des Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG auch einen Bestandsschutz der einmal abgegebenen Wählerstimmen für eine gesamte Wahlperiode.26 Durch eine erfolgreiche nachträgliche Wahlprüfung, die im Fall der fehlerhaften Listenzulassung regelmäßig angenommen werden kann, kann es zur vollständigen oder teilweisen Wahlwiederholung kommen, § 44 Abs. 1 BWahlG. In diesem Fall haben Wählerstimmen teilweise nicht über die gesamte Legislaturperiode Bestand oder die Legislaturperiode wird insgesamt vorzeitig beendet, wenn der Wahlfehler so gravierend ist, dass die gesamte Bundestagswahl zu wiederholen ist. Damit wird der nach dem Wahlfreiheitsgrundsatz und Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG erforderliche Bestandsschutz der sich in der Mandatsverteilung manifestierenden Entscheidung der Wählerinnen und Wähler unter laufen – und zwar auch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Wahl ergebnisse vor und nach der Wahlprüfung gleichen. Dieser möglichen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Wahlfreiheit kann mit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung besser abgeholfen werden.
III. Gleichheit der Wahl Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl beinhaltet die Garantie, dass alle Wahlberechtigten an der Wahl teilnehmen können und dass jede abgegebene Stimme wie alle anderen Stimmen bewertet wird.27 Jede Stimme hat dabei das gleiche Gewicht (Zählwertgleichheit) und alle abgegebenen Stimmen haben den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis (Erfolgswertgleichheit).28 Der Grundsatz der 25
So N. D. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 148 und A. von Heyl, Wahlfreiheit und Wahlprüfung, 1975, S. 203. 26 BVerfGE 62, 1 (32); BVerfGE 114, 121 (146 f.) und aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs statt vieler nur S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 39 Rn. 3 sowie M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 39 Rn. 10. 27 U. a. BVerfGE 16, 130 (138 f.); BVerfGE 79, 161 (166). 28 St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 1, 208 (246), u. a. BVerfGE 124, 1 (18) m. w. N.; das Bundesverfassungsgericht differenziert bei der Geltung der zwei Aspekte Zählwert- und Erfolgswertgleichheit zwischen dem Mehrheits- und dem Verhältniswahlrecht: Beim Mehrheitswahlrecht wird der Gewährleistungsgehalt der Wahlrechtsgleichheit auf die Zählwertgleichheit beschränkt, während beim Verhältniswahlrecht sowohl auf die
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
Gleichheit der Wahl fordert dabei eine streng formale Gleichheit.29 Umfasst ist das aktive und das passive Wahlrecht während des gesamten Wahlvorgangs, sodass sich sowohl Wählerinnen und Wähler als auch Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber und die politischen Parteien als die Institutionen, die primär Wahlvorschläge einreichen können, auf die Wahlrechtsgleichheit berufen können.30 Im Fall einer erfolgreichen Wahlprüfung nach der Wahl aufgrund eines Wahlfehlers bei der Landeslistenaufstellung werden die für die fehlerhaft gewählten Landeslisten abgegebenen Stimmen nachträglich ungültig und haben sodann keinen Einfluss mehr auf das Wahlergebnis.31 Hierin könnte eine vergleichbare Einschränkung der Erfolgswertgleichheit wie bei der Existenz von Sperrklauseln für Parlamente – für die Wahl zum Bundestag zum Beispiel in § 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BWahlG – gesehen werden. Denn in beiden Fällen gibt es Wählerstimmen, die keine Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestags haben: Parteien, auf die prozentual weniger Stimmen entfallen, als es die Hürde der Sperrklausel erfordert, verpassen den Einzug in den Bundestag; im Fall der erfolgreichen nachträglichen Wahlprüfung in Bezug auf die Aufstellung von Landeslisten werden die für eine fehlerhaft aufgestellte Landesliste abgegebenen Stimmen ungültig. Aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger, die sich maßgeblich auf die Funktionsfähigkeit der Wahl bezieht, dürfte damit eine vergleichbare Situation vorliegen. Anders ist es aber, wenn man auf das Ziel der beiden Instrumente blickt. Die Einführung von Sperrklauseln dient primär der Garantie der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments32 , die Wahlprüfung primär der Garantie der korrekten Zusammensetzung des Parlaments33. Die Ziele beider Instrumente Zählwert- als auch auf die Erfolgswertgleichheit abgestellt wird, dazu nur BVerfGE 13, 127 (129) und BVerfGE 47, 253 (277) jew. m. w. N.; umfassend zur Wahlrechtsgleichheit auch exemplarisch M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 99 ff. und A. Guckelberger, JA 2012, S. 641 ff.; die Erfolgswertgleichheit aus stochastischer Sicht analysierend F. Pukelsheim, DÖV 2004, S. 405 ff. 29 St. Rspr. u. a. BVerfGE 11, 266 (272); BVerfGE 95, 408 (417); BVerfGE 124, 1 (18). 30 M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 101. 31 Stattdessen kommt es zur Neuwahl in dem Umfang, in dem sich der Wahlfehler ausgewirkt hat, siehe BVerfGE 121, 266 (311) und aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs statt aller nur S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 17 sowie U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 49. 32 St. Rspr. u. a. BVerfGE 1, 208 (248 ff.); BVerfGE 51, 222 (236); BVerfGE 71, 81 (97); siehe auch u. a. H.-H. Trute, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 73 ff., C. Waldhoff, Parteien-, Wahl- und Parlamentsrecht, in: M. Herdegen/J. Masing/R. Poscher/K. F. Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 10 Rn. 85 f. und W. Pauly, AöR 123 (1998), S. 232 ff. (254 ff.). 33 St. Rspr. u. a. BVerfGE 4, 370 (372 f.); BVerfGE 21, 196 (199); BVerfGE 103, 111 (134);
B. Bedeutung der Wahlrechtsgrundsätze für das Wahlprüfungsverfahren
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sind also verschieden und auch nicht vergleichbar. Die weitgehend allgemein anerkannte Rechtfertigung der Existenz von Sperrklauseln für Parlamente34 hat folglich keine Auswirkungen auf die Wahlprüfung. Stattdessen ist die Erfolgswertgleichheit durch eine Wahlprüfung nach der Wahl in Bezug auf Stimmen, die für fehlerhaft abgegebene Landeslisten abgegeben wurden, nicht beeinträchtigt. Denn im Gegenteil realisiert eine nachträgliche Wahlprüfung bei fehlerhaft aufgestellten Landeslisten sogar die Erfolgswertgleichheit, wenn Stimmen für diese Listen unberücksichtigt bleiben, die auch tatsächlich gar nicht berücksichtigt werden durften. Zentral ist hingegen, dass ein Verstoß gegen die Gleichheit der Wahl bei einer erst nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfung dadurch erfolgt, dass die Stimmen bei einer Wiederholungswahl nicht gleichzeitig abgegeben werden können.35 Denn vor allem im Fall einer nur teilweisen Wahlwiederholung bleiben Wahlergebnisse bestehen, sodass die Wählerinnen und Wähler der Wiederholungswahl nicht mehr unvoreingenommen ihre Stimme abgeben, sondern beeinflusst durch das vorherige Wahlergebnis. Fehlende Gleichzeitigkeit der Stimmabgabe führt dann zu fehlender Gleichheit der Wahl. Diesen Unwägbarkeiten wird abgeholfen, wenn die Wahlprüfung im Falle von Fehlern bei der Landeslistenzulassung bereits vor dem Wahltag durchgeführt werden kann. Somit ist die Gleichheit der Wahl bei einer Wahlprüfung vor dem Wahltag tendenziell besser gewährleistet.
IV. Fazit Insgesamt kann damit festgestellt werden, dass die Unmittelbarkeit, die Freiheit und die Gleichheit der Wahl im Fall einer bereits vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung für Wahlfehler bei der Zulassung von Landeslisten besser veraus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs stellvertretend K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 5. 34 Dazu u. a. BVerfGE 1, 208 (248, 256 ff.); BVerfGE 4, 375 (380); BVerfGE 34, 81 (99 f.); BVerfGE 71, 81 (97); näher dazu u. a. S. Magiera, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 99; H. D. Jarass, in: ders./B. Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 38 Rn. 17; P. Badura, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), BK-GG, Anh. z. Art. 38: BWahlG (Oktober 2018) Rn. 24 jew. m. w. N.; a. A. aber u. a. P. Müller, in: H. von Mangoldt/F. Klein/ C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 149 ff. und H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 36 ff. jew. m. w. N.; kritisch abgewogen bei W. Pauly, AöR 123 (1998), S. 232 ff. (254 ff.). 35 In diese Richtung auch P. Austermann, ZRP 2023, S. 23 ff. (25), H. Sauer, Über Wahlfehlerfolgen, Verfassungsblog vom 17. November 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/uber-wahlfehlerfolgen/ (7. Mai 2023) und N. D. Rauber, Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 149 f.
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wirklicht sind als im Vergleich zu einer erst nach dem Wahltag möglichen Wahlprüfung. Das liegt insbesondere daran, dass potenzielle Unwägbarkeiten einer Wiederholungswahl vermieden werden können.
C. Wahlprüfung vor der Wahl als Bestandssicherung des demokratischen Wettbewerbs Weit verbreitet ist auch die Annahme, dass eine Demokratie und damit auch Wahlen als unmittelbare Ausprägung des demokratischen Prinzips Charakteristika eines politischen Wettbewerbes aufweisen. Die in Art. 41 GG normierte Wahlprüfung kann dann als prozessuale Absicherung der materiellen Wettbewerbsbedingungen der Wahl zum Bundestag aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verstanden werden, die institutionell schon in Art. 21 Abs. 1 GG niedergelegt sind. Zweck der Wahlprüfung ist demnach ebenfalls der Schutz des ordnungsgemäßen demokratischen Wettbewerbs insbesondere vor Wettbewerbsstörungen wie der Existenz von Kartellparteien im gesamten Wahlvorgang – und damit auch im Zeitpunkt vor der Wahl.
I. Demokratie als Wettbewerb Es ist nicht selbstverständlich, in Bezug auf die Demokratie als primär rechtlich geprägtem Begriff von einem Wettbewerb als genuin ökonomischem Begriff zu sprechen.36 Gemeint ist hier der Begriff des Wettbewerbs in einem untechnischen Sinn als mindestens dreiseitiges Verhältnis mit mindestens zwei konkurrierenden Bewerberinnen und Bewerbern und mindestens einer Kundin oder einem Kunden; es geht darum, dass jede beziehungsweise jeder der konkurrierenden Bewerberinnen und Bewerber eine Geschäftsverbindung mit den Kundinnen und Kunden eingehen möchte und die Kundinnen und Kunden die Auswahl haben, mit wem sie die Geschäftsverbindung eingehen wollen.37 Übertra36
Dies ebenfalls andeutend A. Hatje, VVDStRL 69 (2010), S. 135 ff. (137 ff.), der jedoch feststellt, dass der Wettbewerb in der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland vermehrt durch Kooperationsbeziehungen verdrängt wird. 37 Dieses Verständnis legt M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (413 f.) zugrunde. Dazu auch A. Hatje, VVDStRL 69 (2010), S. 135 ff. (144 f.) und M. Kotzur, VVDStRL 69 (2010), S. 173 ff. (183) m. w. N. In den Wirtschaftswissenschaften ist keine allgemeingültige Definition des Wettbewerbs auszumachen, stattdessen gibt es zahlreiche Definitionsversuche u. a. bei I. Schmidt, Wettbewerbstheorie und -politik, 1981, S. 2: „das Streben von zwei oder mehr Personen bzw. Gruppen nach einem Ziel […], wobei der höhere Zielerreichungsgrad des einen i. d. R. einen geringeren Zielerreichungsgrad des anderen bedingt“; ähnlich K. Borchhardt/W. Fikentscher,
C. Wahlprüfung vor der Wahl als Bestandssicherung des demokratischen Wettbewerbs 165
gen auf die Wahl zum Bundestag meint Wettbewerb also die Konkurrenz der Parteien um die Gunst möglichst vieler Wählerstimmen, die die Wählerinnen und Wähler nach freier Entscheidung abgeben.38 Vereinfacht gesprochen ist der Hauptzweck der Wahl in einer Demokratie damit die Auswahl der Mitglieder eines Parlaments und indirekt die Auswahl der Mitglieder einer Regierung.39 Die Wählerin beziehungsweise der Wähler wird dabei derjenigen Kandidatin beziehungsweise demjenigen Kandidaten und damit derjenigen Partei die Stimme geben, von der sie oder er sich das höchste Nutzeneinkommen verspricht40, sodass die Parteien inklusive ihrer Vertreterinnen und Vertreter versuchen werden, grundsätzlich im Interesse der breiten Öffentlichkeit zu handeln.41 Bei der weiteren Konkretisierung des demokratischen Wettbewerbsgedankens ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen Überlegungen um ein ökonomisches Modell handelt, welches keinen Anspruch hat, die Wirklichkeit eins zu eins zu umschreiben.42 Für die hier nun erfolgende weitere Auseinandersetzung reicht jedoch die Feststellung, dass sich die Demokratie und Wahlen als deren Bestandteil im deutschen Verfassungssystem als Wettbewerb darstellen.43 Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkungen, Marktbeherrschung, 1957, S. 15: „Wirtschaftlicher Wettbewerb ist das selbstständige Streben sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager (Mitbewerber) nach Geschäftsverbindung mit Dritten (Kunden) durch Inaussichtstellen möglichst günstiger Geschäftsbedingungen.“; einen historischen Überblick zur allgemeinen Entwicklung des Wettbewerbs gibt G. J. Stigler, Die vollständige Konkurrenz im historischen Rückblick, in: K. Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie, 1975, S. 30 ff.; zu den in den Wirtschaftswissenschaften herausgearbeiteten verschiedenen Wettbewerbskonzeptionen W. Kerber, Wettbewerbspolitik, in: D. Bender (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 9. Aufl. 2007, S. 369 ff. (374 ff.). 38 In diese Richtung BVerfGE 111, 382 (398); ähnlich auch M. Kotzur, VVDStRL 69 (2010), S. 173 ff. (200 f.) und M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (414). Zugrunde liegt diesem Verständnis vor allem die ökonomische Annahme, dass es sich bei der Demokratie um eine politische Methode handelt, sodass die Demokratie nur dazu dient, zu einer politischen Entscheidung zu kommen, dazu maßgebend J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 10. Aufl. 2020, Kap. 20, III und IV, Kap. 21, I, S. 316 ff. 39 A. Downs, Ökonomische Theorie der Politik, 1968, S. 23. Parteien und mit ihnen Politikerinnen und Politiker versuchen also, in der Regierung zu bleiben oder an die Regierung zu kommen, ebd. S. 12. 40 Erneut A. Downs, Ökonomische Theorie der Politik, 1968, S. 37; zur Bestimmung des Nutzeneinkommens, ebd. S. 38 ff. 41 N. Petersen, Verfassungsgericht als Wettbewerbshüter des politischen Prozesses, in: D. Elser/A. Eugster et al. (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskontrolle in der Demokratie, 53. ATÖR, 2014, S. 59 ff. (62). 42 Ebenso J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 52. 43 So auch M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (410). Daher ist es für diese Arbeit auch nicht notwendig,
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Normative Basis des Wettbewerbsgedankens in Bezug auf die Demokratie ist zunächst Art. 20 Abs. 2 GG, der durch die Normierung von Volkssouveränität (Satz 1) sowie von Wahlen und Abstimmungen als modus operandi der Volkssouveränität und mithin der repräsentativen Demokratie (Satz 2) eine erste Tendenz für die Existenz des demokratischen Wettbewerbs beinhaltet.44 Konkreter wird der Wettbewerbsgedanke in Art. 21 Abs. 1 GG. Dort wird in Satz 1 von „Parteien“ bewusst im Plural gesprochen – also ein Mehrparteiensystem verfassungsrechtlich vorgeschrieben –, zudem wird eine umfassende Gründungs-, Handlungs- und Betätigungsfreiheit garantiert, deren Bestandteil auch eine „Wettbewerbsfreiheit“ ist.45 Weiter kann Art. 21 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Basis sowie Verantwortung für ein funktionierendes Parteiwesen und damit für eine funktionierende parlamentarische Demokratie verstanden werden.46 Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den demokratischen Wettbewerb damit institutionell. Der demokratische Wettbewerb gipfelt auf Bundesebene in der Durchführung der Wahlen zum deutschen Bundestag. Notwendig für diese Wahlen ist die Garantie von fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Wettbewerberinnen und Wettbewerber. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG gewährt daher die Durchführung allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher, und geheimer Wahlen und mithin die materiellen Bedingungen des demokratischen Wettbewerbs.47 Zu berücksichtisich mit den Einzelheiten und Einwänden gegen diese wirtschaftswissenschaftlichen Über legungen auseinanderzusetzen; näher dazu mit weiteren Nachweisen U. von Alemann/P. Erbentraut/J. Walther, Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2018, S. 156 f. und J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 51. 44 In diese Richtung auch M. Kotzur, VVDStRL 69 (2010), S. 173 ff. (194 ff.), der ergänzend auch Art. 1 GG und Art. 79 Abs. 3 GG nennt. Zur Verankerung des Wettbewerbsprinzips im Grundgesetz auch J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 63 ff. 45 Früh die Wettbewerbsfreiheit einschließend K.-H. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 119; ihm folgend J. Ipsen/T. Koch, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 21 Rn. 32; C. Waldhoff, Parteien-, Wahl- und Parlamentsrecht, in: M. Herdegen/J. Masing/R. Poscher/K. F. Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 10 Rn. 30; U. Volkmann, Parlamentarische Demokratie und politische Parteien, in: M. Morlok/U. Schliesky/D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 4 Rn. 7; M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (410 f.); vertiefend zu den unterschiedlichen Ausprägungen der Wettbewerbsfreiheit R. Streinz, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 111 ff. 46 So M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (416). 47 Anders M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (411), der die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG als institutionelle Voraussetzung eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs einordnet; ohne Kategorisierung, aber gleichwohl Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG als „wichtige Regelungen für
C. Wahlprüfung vor der Wahl als Bestandssicherung des demokratischen Wettbewerbs 167
gen ist dabei, dass die Wahl nicht nur als reiner Akt der Stimmabgabe gefasst werden kann, sondern umfassend zu verstehen ist und auch die Wahlvorbereitung und die Wahlauswertung miteinschließt.48 Auch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG muss sich daher auf den gesamten Wahlvorgang beziehen und schützt den Wettbewerb mithin ebenfalls im Stadium der Wahlvorbereitung. Wie jeder Wettbewerb braucht auch der demokratische Wettbewerb eine Wettbewerbskontrolle. Maßgebliches Instrument dieser Kontrolle in Bezug auf eine konkrete Bundestagswahl ist die Wahlprüfung nach Art. 41 GG. Damit ist die Wahlprüfung Sicherungsanker sowie Garant für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen und gewährleistet den Wettbewerb prozessual. Um diese Kontrolle wirksam auszuüben und damit der Funktion als Sicherungsanker gerecht zu werden, muss eine Wahlprüfung stets im zeitlichen Zusammenhang mit den Beeinträchtigungen des Wettbewerbs erfolgen; ansonsten wird der Wettbewerb aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen verzerrt. Natürlich ist eine vollständige Wettbewerbsgleichheit utopisch und auch nicht jede Beeinträchtigung muss unmittelbar korrigiert werden.49 Dennoch muss für besonders wettbewerbsrelevante Wahlfehler wie die Nichtzulassung einer Landesliste einer Partei zur Wahl, mit der die Partei von der Teilnahme an der Wahl und damit am Wettbewerb trotz ihrer grundsätzlichen Anerkennung zur Wahl faktisch ausgeschlossen wird, Rechtsschutz gewährleistet sein. Grund ist die Garantie einer wirksamen Möglichkeit zur Überprüfung des Ausschlusses und im Fall des unrechtmäßigen Ausschlusses zur Wiederherstellung des Wettbewerbs. Konkret bedeutet das für derartige Wahlfehler, dass eine abschließende, nicht nur verwaltungsintern wirkende Überprüfung vor dem Wahltag so rechtzeitig stattfinden muss, dass eine Teilnahme an der Wahl und damit am Wettbewerb noch möglich ist. Das zweistufige Wahlprüfungsverfahren als einzig in Betracht kommendes Verfahren50 muss aus Gründen der fairen Wettbewerbsbedingungen bei diesem Wahlfehler folglich schon vor der Bundestagswahl durchgeführt werden können.
den Wettbewerb um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler und damit für den Wettbewerb um die politische Macht zu staatlicher Entscheidung“ einordnend H.-H. Trute, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 27. 48 Dazu schon oben § 4 A. I. 49 Näher dazu I. Schmidt, Wettbewerbstheorie und -politik, 1981, S. 5 ff. 50 Dazu umfassend oben § 4 D.
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II. Existenz von Kartellparteien als Untergrabung des Wettbewerbsgeschehens? Ein funktionierender Wettbewerb der Parteien führt dazu, dass der Nutzen und die Effektivität der Demokratie aufgrund der dauerhaften Konkurrenzsituation gesteigert werden.51 Jedoch würde man sich der Wirklichkeit verschließen, wenn man davon ausgeht, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines jeden Wettbewerbs stets auf die Funktionalität des Wettbewerbs Rücksicht nähmen. Um ihren Erfolg zu maximieren, ist zu beachten, dass manche Konkurrentinnen und Konkurrenten dazu neigen, sich abzusprechen und so Kartelle oder Monopolisierungstendenzen auszubilden.52 In Bezug auf den demokratischen Wettbewerb ist jedoch zusätzlich eine Besonderheit zu berücksichtigen: Die Parteien – genauer gesagt, die Parteivertreterinnen und Parteivertreter –, zumindest diejenigen der Parteien, die auch im Bundestag vertreten sind, erscheinen mehrfach in verschiedenen Rollen im Wettbewerb. Zum einen sind sie „Herren der Spielregeln ihres Marktes“53, indem sie die Regeln des Wettbewerbs mit dem Wahl- und dem Parteienrecht legislativ festlegen können und auf der ersten Verfahrensstufe nach Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG die Wahlprüfung als Sicherung des ordnungsgemäßen Wettbewerbs durchführen. Zum anderen sind sie teilnehmende Konkurrentinnen und Konkurrenten im demokratischen Wettbewerb vor der Wahl um die Gunst der Wählerstimmen. Diese doppelte Rolle im demokratischen Wettbewerb könnte ein Grund mehr sein, der zu der Vermutung verleitet, dass die Parteien, die im Bundestag vertreten sind, parteiübergreifende Absprachen treffen und somit Kartelle bilden könnten, um insbesondere im Zeitpunkt vor der Wahl anderen, nicht im Bundestag vertretenen politi51
N. Petersen, Verfassungsgericht als Wettbewerbshüter des politischen Prozesses, in: D. Elser/A. Eugster et al. (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskontrolle in der Demokratie, 53. ATÖR, 2014, S. 59 ff. (62); zutreffend stellen auch M. Morlok/H. M. Heinig, ZG 2000, S. 371 ff. (373) fest: „Dem Wettbewerb kommen nicht nur in der Ökonomie, sondern auch in der Politik einige heilsame Funktionen zu.“ Zum „Parteienwettbewerb“ näher A. Hatje, VVDStRL 69 (2010), S. 135 ff. (151 ff.). Zu den – in den Wirtschaftswissenschaften höchst umstrittenen – Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb siehe H. Berg, Wettbewerbspolitik, in: D. Bender (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 7. Aufl. 1999, S. 299 ff. (303 ff.) und I. Schmidt, Wettbewerbstheorie und -politik, 1981, S. 5, 34; exemplarisch zu den Funktionen des Wettbewerbs, die ebenfalls nicht vollständig einheitlich gesehen werden, A. Hatje, VVDStRL 69 (2010), S. 135 ff. (145 ff.) und M. Kotzur, VVDStRL 69 (2010), S. 173 ff. (186 ff.), jew. m. w. N. 52 W. Kerber, Wettbewerbspolitik, in: D. Bender (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 9. Aufl. 2007, S. 369 ff. (398); in diese Richtung auch M. Morlok, Parteienrecht als Wettbewerbsrecht, in: P. Häberle/ders./V. Skouris (Hrsg.), FS Tsatsos, 2003, S. 408 ff. (415). 53 E. V. Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, S. 125.
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schen Vereinigungen oder Parteien die Wahlteilnahme zu erschweren und sich selbst zu bevorteilen. So könnte der demokratische Wettbewerb vor der Wahl durch die Existenz von Kartellparteien beeinträchtigt sein. Bei diesem Gedanken handelt es sich nicht um einen primär rechts- oder wirtschaftswissenschaftlichen, sondern um einen primär politikwissenschaftlichen. Auch die politikwissenschaftliche Parteienforschung hat sich mit der Annahme auseinandergesetzt, Parteien könnten sich zu Kartellen zusammenschließen. Erstmals stellten diese These die Politikwissenschaftler Richard S. Katz und Peter Mair im Jahr 1995 auf.54 Bei der Kartellpartei handele es sich um die vierte Stufe der Entwicklung von Parteien in den westlichen Demokratien, die 1970 beginne.55 Anders als die für die dritte Stufe stehenden Volksparteien56 seien die Kartellparteien nicht mehr per se auf die Gesellschaft bezogen, sondern würden sich immer stärker zum Staat hinwenden, sodass sie als Teil des Staates aufgefasst werden könnten.57 Gleichzeitig erfolge ein Zusammenrücken von Regierung und Opposition, das Ausdruck einer bewussten Kooperationsstrategie sei.58 Dem liege – wie jeder Stufe der Parteienentwicklung – ein spezifisches Demokratiemodell zugrunde, wonach Wahlausgänge weitgehend unbedeutend seien, solange nur irgendeine Partei des Kartells die Wahl gewinne; die Wählerinnen und Wähler würden damit die Option verlieren, sich zwischen echten politischen Alternativen zu entscheiden.59 Gleichzeitig ändere sich die Binnenstruktur der Kartellparteien: Entscheidungsmacht werde in der Parteizentrale gebündelt bei gleichzeitiger Gewährleistung weiter Gestaltungsspielräumen an die Parteibasis, sodass sich eine weitgehende Unabhängigkeit von 54 Grundlegend R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. und konkretisierend dies., Party Politics 2 (1996), S. 525 ff. 55 R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. (18). Die erste Stufe ist die der Eliteparteien im 19. Jahrhundert, die zweite Stufe ist die der Massenparteien von 1880–1960 und die dritte Stufe ist die der Volksparteien seit 1945; zur Entwicklung der Parteien in den ersten drei Stufen F. Decker, Parteiendemokratie im Wandel, in: ders./V. Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 3. Aufl. 2018, S. 3 ff. (24 ff.). Herausgegriffen werden aus der Kartellparteien-These im Folgenden nur die Aspekte, die für die vorliegende Arbeit von Relevanz sind; eine ausführliche Darstellung der Kartellparteienthese sowie der daran v. a. in den Anfangsjahren geübten Kritik findet sich bei L. Helms, Politische Vierteljahresschrift 42 (2001), S. 698 ff. 56 Dieser Begriff wurde maßgebend begründet von O. Kirchheimer, Politische Vierteljah resschrift 6 (1965), S. 20 ff. (27). 57 R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. (6, 18). 58 Als Grund für dieses Zusammenrücken führen Richard S. Katz und Peter Mair die zunehmende Professionalisierung der politischen Klasse an, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. (23). 59 R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. (22); R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 2 (1996), S. 525 ff. (530).
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Parteispitze und Parteibasis – mithin Stratarchie – einstelle.60 Zu berücksichtigen sei stets, dass auch die Kartellpartei wie andere Parteitypen ein Idealtypus sei61, der sich hingegen noch nirgendwo so eingestellt habe.62 Für eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung droht indes kein Überfall durch Kartellparteien. Neben den allgemein in Bezug auf die Theorie der Kartellparteien anzubringenden Kritikpunkten63 sprechen auch zahlreiche spezifische Gründe gegen eine Beeinflussung der Wahlprüfung vor der Wahl nur durch die Existenz von Kartellparteien. Zum einen ist diese Befürchtung bei einer Wahlprüfung vor der Wahl durch den bestehenden Bundestag schon dann nicht gegeben, wenn die Wahlfehler eine Partei betreffen, die bereits im bestehenden Bundestag vertreten ist; sie wird sich – selbst, wenn sie Teil eines Kartells sein sollte – dessen Entscheidung nicht anschließen und dennoch ein Wahlprüfungsverfahren anstoßen. Zum anderen kann der Gefahr in Bezug auf Parteien, die nicht im bestehenden Bundes60
R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. (21). R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 1 (1995), S. 5 ff. (19). 62 R. S. Katz/P. Mair, Party Politics 2 (1996), S. 525 ff. (529). 63 In der Politikwissenschaft konnte sich die Kartellparteien-These letztlich nicht durchsetzen. Zwar konnten in empirischen Studien Teile der Überlegungen nachgewiesen werden, z. B. bei K. Detterbeck, Der Wandel politischer Parteien in Westeuropa, 2002, S. 343 ff., der für Deutschland und Dänemark zwar Entwicklungstendenzen hin zu Kartellparteien ausmachen konnte, nicht aber für Großbritannien und die Schweiz. Nichtsdestotrotz haben die Bedenken überwogen: So wurde bereits 1996 von R. Koole, Party Politics 2 (1996), S. 507 ff. erstens die Wahl des Begriffes „Kartellparteien“ als unpassend klassifiziert (508), zweitens herausgearbeitet, dass eine Intensivierung des Verhältnisses von Parteien und Staat nicht gleichzeitig dazu führen müsse, dass sich das Verhältnis von Parteien und Gesellschaft distanziere (509 ff.), sondern dass sich stattdessen gezeigt habe, dass es eher eine Verstärkung des Parteienwettbewerbs aufgrund von starken Schwankungen der Gesamtheit der Wählerinnen und Wähler zwischen den Parteien gegeben habe (512) und drittens angebracht, dass die Behauptung der Kartellparteien keine neuartige Entdeckung sei, denn die Hinwendung der Parteien zum Staat wohne den Parteien als staatszentrierten Institutionen notwendigerweise inne (514). Ebenso hat H. Kitschelt, European Journal of Political Research 37 (2000), S. 149 ff. festgestellt, dass es keine wachsende Distanz zwischen der parteipolitischen Ebene, den Parteimitgliedern und den Wählerinnen und Wählern gebe (158) und dass die Kooperation von Parteien nicht zur Bildung von Kartellen beitragen würde (166 f.). E. Wiesendahl, Die Parteien in Deutschland auf dem Weg zu Kartellparteien?, in: H. H. von Arnim (Hrsg,), Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für eine „gute“ und bürgernahe Politik?, 1999, S. 49 ff. (51), sieht die Hinwendung der Parteien zum Staat als bewusste Entscheidung und nicht als Zuflucht beim Staat aufgrund von verringerten gesellschaftlichen Verankerungen an. In diese Richtung auch T. Poguntke, ZParl 2002, S. 790 ff. (insb. 802 ff.), der eine empirische Untersuchung in Bezug auf die Abwendung der Parteien von der Gesellschaft vornimmt und zu dem Schluss kommt, dass sich zwar die soziale Verankerung der Parteien in der Gesellschaft verringert habe, daraus aber nicht automatisch folge, dass die Parteien ihre gesellschaftliche Beziehung vernachlässigen. 61
C. Wahlprüfung vor der Wahl als Bestandssicherung des demokratischen Wettbewerbs 171
tag sind, schon dadurch begegnet werden, dass der Bundestag nicht von sich aus eine Wahlprüfung einleitet, sondern es nach § 2 Abs. 1, 2 WahlPrüfG einen Einspruch durch eine oder einen Wahlberechtigten, eine Gruppe von Wahlberechtigten oder in amtlicher Eigenschaft durch eine Landeswahlleiterin oder einen Landeswahlleiter, die Bundeswahlleiterin beziehungsweise den Bundeswahlleiter oder die Bundestagspräsidentin beziehungsweise den Bundestagspräsidenten erfordert. Diesen Einspruch kann mithin jede Partei als Gruppe von Wahlberechtigten einlegen. Liegt ein solcher Einspruch vor, ist der Bundestag nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 WahlPrüfG verpflichtet, über diesen zu entscheiden. Dabei kann auf eine gewisse Selbstreinigungskraft der im Bundestag vertretenen und miteinander konkurrierenden Parteien vertraut werden.64 Zudem entscheidet auf der zweiten Verfahrensstufe nach Art. 41 Abs. 2 GG das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung des Bundestags. Mit dem Bundesverfassungsgericht als unabhängigem Gericht – mithin als neutralem Hüter oder Schiedsrichter des Wettbewerbs zwischen den Parteien65 – ist auch der nötige Kontrollmechanismus bei einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung garantiert. Folglich kann ein Parteienkartell schon aus verfahrenstechnischen Gründen nicht gegen die vorgelagerte Wahlprüfung durch den bestehenden Bundestag sprechen. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus, dass es auch andere Instanzen als rechtliche gibt, die auf die Existenz von Kartellparteien einwirken können, zum Beispiel die Medien. Diese – auch als die „vierte Gewalt“66 bezeichneten Institutionen – würden bei Aufdeckung eines Kartells erheblichen Druck auf Parteien und deren bereits erfolgte Tätigkeiten wie die Beteiligung an der Wahlprüfung vor der Bundestagswahl ausüben.67 Zudem hat sich mit dem ständigen Personalwechsel in Führungspositionen in den vergangenen Jahren gezeigt, dass keine derart starken politischen Eliten in den deutschen Parteien vorherr64
Dazu W. Schreiber, KommPrax Wahlen 2012, S. 26 ff. (28); ebenfalls in eine dem Parteiensystem vertrauende Richtung, C. Waldhoff, Parteien-, Wahl- und Parlamentsrecht, in: M. Herdegen/J. Masing/R. Poscher/K. F. Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 10 Rn. 18; H. P. Bull, Die Krise der politischen Parteien, 2020, S. 24; deutlich anders aber H. H. von Arnim, u. a. Der Staat als Beute, 1993, und zahlreiche weitere Publikationen mit ähnlichen Gedankengängen; zwar differenzierter, aber dennoch kritisch zum Parteienwesen als solchem E. V. Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, insb. S. 128 f. und S. 149 ff. 65 So auch H. H. von Arnim, DÖV 2015, S. 537 ff.; N. Petersen, Verfassungsgericht als Wettbewerbshüter des politischen Prozesses, in: D. Elser/A. Eugster et al. (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskontrolle in der Demokratie, 53. ATÖR, 2014, S. 59 ff. und M. Morlok, NVwZ 2005, S. 157 ff. 66 So u. a. M. Möstl, DÖV 2003, S. 106 ff. (108); R. Streinz, AfP 1997, S. 857 ff. (868 f.). 67 In diese Richtung auch F. Decker, Parteiendemokratie im Wandel, in: ders./V. Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 3. Aufl. 2018, S. 3 ff. (22 f.).
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schen, die in der Lage wären, langfristig ein Kartell aufrechtzuerhalten. Auch konnte in den letzten Jahren ein Trend hin zu mehr Mitgliederbeteiligung bei parteirelevanten Entscheidungen wie der Wahl der beziehungsweise des Parteivorsitzenden oder der Zustimmung zu Koalitionsverträgen beobachtet werden. Gerade in Bezug auf die Wahlprüfung versagt die wirksame politische Kontrolle durch die Parteien mithin nicht „überall dort, wo der politische Betrieb selbst betroffen ist“68.
III. Fazit Insgesamt kann der Einfluss von Kartellparteien auf das deutsche Parteiensystem und damit auch auf die vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung verneint werden. Der politische Wettbewerb wird davon nicht beeinträchtigt. Um diesen wirksam aufrecht zu erhalten, bedarf es stattdessen einer funktionierenden Wettbewerbskontrolle nach Art. 41 GG. Dazu gehört zwingend – zumindest in Bezug auf die Nichtzulassung von Landeslisten – eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung.
D. Abgrenzung zur Prüfung des Abgeordnetenstatus Art. 41 Abs. 1 GG normiert neben der Wahlprüfung auch eine Regelung zur Prüfung des Abgeordnetenstatus. Trotz des Normwortlauts „Er entscheidet auch, ob ein Abgeordneter des Bundestages die Mitgliedschaft verloren hat“ in Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG kann eine Wahlprüfung des Bundestags im Vorfeld der Wahl für Wahlfehler, die in beziehungsweise mit Bezug auf politische Parteien erfolgt sind, durchgeführt werden. Zwar kann eine Prüfung des Abgeordnetenstatus erst nach erfolgter Wahl angestoßen werden; dies drückt der Normwortlaut auch so aus. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass diese nachträgliche Prüfung der Mitgliedschaft der Abgeordneten69 von der Wahlprüfung im Sinne von 68
So aber das Fazit von E. V. Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, S. 129 in Bezug auf die staatliche Parteienfinanzierung, auf die Zutrittsbarrieren zum politischen Bereich für neue Parteien und auf eine Ämterpatronage. 69 Weit verbreitet ist für diese Prüfung der Begriff „Mandatsprüfung“, der sich jedoch nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext des Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG ergibt, statt vieler nur H. D. Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG, 17. Aufl. 2022, Art. 41 Rn. 13 und U. Schliesky, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 41 Rn. 51 ff. Teilweise wird in Bezug auf Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG auch von „Wahlprüfung im weiteren Sinn“ gesprochen, z. B. L. Brocker, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 55. Ed. 2023, Art. 41 Rn. 16 m. w. N. Auffällig ist auch die unterschiedliche Herangehensweise von Art. 41 Abs. 1 S. 1 und Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG: In Satz 1 wird mit dem Begriff der „Wahlprüfung“
E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes
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Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG zu unterscheiden ist. Denn mit der Prüfung der Mitgliedschaft der Abgeordneten wird der nachträgliche Verlust des Abgeordnetenstatus unabhängig von einer konkreten Bundestagswahl beschrieben.70 Mithin handelt es sich um die ständige Kontrolle der ordnungsgemäßen Parlamentszusammensetzung im Laufe der Legislaturperiode.71 Die Wahlprüfung aus Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG ist hingegen auf eine konkrete Bundestagswahl bezogen. Geltend gemacht werden können nur unmittelbar auf das gesamte Wahlverfahren bezogene Wahlfehler.72 Es geht bei der Wahlprüfung darum, eine fehlerfreie Abbildung des Willens der Wählerinnen und Wähler im Parlament zu garantieren. Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG verfolgen damit unterschiedliche Zielrichtungen, sind nicht vergleichbar und sind unabhängig voneinander zu bewerten.73
E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes für Bundestagswahlen I. Steigerung der Effektivität Die Gewährleistung einer Möglichkeit zur Wahlprüfung vor der Wahl führt zur Erhöhung der Effizienz des Rechtsschutzes im Wahlrecht. Zwar wurde – wie die historischen Ursprünge der Wahlprüfung gezeigt haben74 – bei der Schaffung des Art. 41 GG nicht an die Möglichkeit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung gedacht. Zweck der Wahlprüfung war stattdessen, aufgrund ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Prinzip der Volkssouveränität aus Art. 20 Abs. 2 GG die richtige Zusammensetzung des Parlaments im Einklang mit dem Wählerwillen zu garantieren.75 Es ist jedoch zulässig, den zeitlichen Anwendungsbereich einer Norm teleologisch zu erweitern, wenn ursprüngliche eine substantivische Aufgabenzuweisung ohne nähere Erläuterung vorgenommen, in Satz 2 erfolgt hingegen eine Handlungsbeschreibung, was der Gegenstand der Prüfung ist, ohne dafür einen Oberbegriff festzulegen. 70 U. a. M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg,), GG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 22. 71 Siehe nur H. H. Klein/K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 130 m. w. N. 72 Dazu nur exemplarisch K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg,), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 16 ff. 73 Insoweit ist die Systematik von Art. 41 Abs. 1 GG unpassend und wohl nur dergestalt, um mit Art. 41 Abs. 2 GG eine einheitliche Regelung einer zweiten Verfahrensstufe für die Wahlprüfung und die Prüfung der Mitgliedschaft der bzw. des Abgeordneten zu schaffen. 74 Dazu oben § 3 A. 75 Z. B. BVerfGE 103, 111 (134); statt vieler ergänzend u. a. nur H. Lackner, JuS 2010, S. 307 ff. (309); zum Zusammenhang von Wahlprüfung und Volkssouveränität auch oben § 5 A.
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
gesetzgeberische Ziel- und Zweckvorstellungen nicht mehr geeignet sind, um auf gegenwärtige Probleme zu reagieren.76 So wurde der Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren 2012 um eine subjektive Komponente ergänzt. Seit dem Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlrechtssachen kommt dem Wahlprüfungsverfahren daher nach § 1 Abs. 1 WahlPrüfG eine Doppelfunktion zu: Neben der weiterhin bestehenden objektiven Garantie der richtigen Zusammensetzung des Parlaments im Einklang mit dem Wählerwillen dient das Wahlprüfungsverfahren mittlerweile in subjektiver Hinsicht ebenfalls der Einhaltung des aktiven und passiven Wahlrechts der Wählerinnen und Wähler sowie der Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber.77 Liegen diesbezüglich Wahlfehler vor, ist die Wahl zum Bundestag im Wahlprüfungsverfahren angreifbar. Denn beim Wahlrecht handelt es sich um „das vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“78, „der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verankert“79. Rechtsschutz in Wahlrechtsangelegenheiten ist damit ein besonders zu schützendes Gut und muss zwingend eingerichtet werden.80 Daher ist bei der Zweckdurchsetzung stets zu berück sichtigen, dass der Rechtsschutz in Wahlsachen und damit auch die Wahlprüfung effektiv sein muss. Das Wahlprüfungsverfahren muss also in einer angemessenen Verfahrensdauer durchgeführt werden und nach der hier vertretenen Ansicht zu einem Zeitpunkt abgeschlossen sein, in dem es noch Auswirkungen auf die zu überprüfende Bundestagswahl hat.81 Diese Effektivitätskomponente der Wahlprüfung ist fester Bestandteil ihrer verfassungsrechtlichen Normie76 Zu berücksichtigen ist dabei eine weitgehende Kontinuität und eine Vermeidung eines zu starken Eingriffs in die gesetzliche Regelung, dazu näher R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 12. Aufl. 2021, S. 42 f. 77 U. a. BVerfGE 122, 304 (306); dazu stellvertretend für den verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs C. Walter, in: ders./B. Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 48 Rn. 1. 78 BVerfGE 1, 14 (33). 79 BVerfGE 123, 267 (341). 80 So schon G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 157: „Es haben viel unbedeutendere Individualansprüche in neuester Zeit den richterlichen Schutz gefunden, es ist daher nicht abzusehen, warum eine Ausnahme zu Ungunsten des parlamentarischen Wahlrechts stattfinden soll.“ Aus jüngerer Zeit W. Schreiber, DVBl. 2022, S. 265 ff. (276). 81 Andernfalls droht die Gegenstandslosigkeit des Wahlprüfungsverfahrens insbesondere dann, wenn eine Entscheidung vor dem Ende der Wahlperiode nicht erfolgt ist, so auch A. Brade, NVwZ 2019, S. 1814 ff. (1816). J.-M. Drossel warnt davor, dass sich die Legitimationsgrundlage des politischen Prozesses beeinträchtigt oder sogar destabilisiert, „wenn sehenden Auges bei der Wahl feststehende Fehler in Kauf genommen werden (müssen)“, Der Effektivitätsgedanke im Wahlprüfungsverfahren, Verfassungsblog vom 30. Oktober 2022,
E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes
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rung in Art. 41 GG und daher zwingend zu beachten. Ansonsten ist der bereits erörterte Vorrang von Art. 41 GG vor Art. 19 Abs. 4 GG als Ausdruck des allgemeinen Effektivitätsgebots des Rechtsschutzes nicht zu erklären.82 Effektiv kann der Rechtsschutz in Wahlsachen nur sein, wenn er auch rechtzeitig ist. Das ist er, wenn gewährleistet werden kann, dass Wahlfehler noch korrigierbar sind. Für Wahlfehler, die sich vor der Wahl ereignen, ist damit grundsätzlich eine vor der Wahl stattfindende Überprüfung erforderlich. Denn ein bloß nachträglicher Rechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren war – mit Ausnahme von zwei Entscheidungen in Wahlprüfungssachen auf Landesebene in Hamburg 199383 und in Berlin 202284, bei denen es jeweils zur Neuwahl der Bürgerschaft (1993) beziehungsweise des Senats und der Bezirksverordnetenversammlungen (2022) kam – bisher stets erfolglos.85 Eine Bundestagswahl wurde bisher noch nicht für (teilweise) ungültig erklärt.86 Freilich ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Wahlfehler vor der Wahl juristisch überprüft werden kann.87 So müssen die Einhaltung des Wahltermins und die Besonderheiten, die aus der Ausgestaltung des Wahlverfahrens als Massenverfahren resultieren, gewahrt werden. Aus diesem Gebot folgt jedoch nicht, dass gerichtlicher Wahlrechtsschutz vor der Wahl per se aus Zweckmäßigkeitsgründen zu versagen
abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-effektivitatsgedanke-im-wahlprufungsverfahren/ (7. Mai 2023). 82 Zum allgemeinen Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG schon oben § 4 D. I. 1. c. aa) sowie statt vieler nur K. F. Gärditz, Rechtsschutz und Rechtsprechung, in: M. Herdegen/ J. Masing/R. Poscher/ders. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 13 Rn. 81 f. und P. M. Huber, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 461 ff. 83 HmbVerfG, Urteil vom 4. Mai 1993, 3/92 = NVwZ 1993, S. 1083 ff. 84 VerfGH Berl., Urteil vom 16. November 2022, VerfGH 154/21, VerfGH 156/21, VerfGH 171/21, VerfGH 172/21 = NVwZ 2023, S. 70 ff. 85 Nach H. Meyer, Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 95 waren Wahlprüfungsbeschwerden dennoch nicht immer zwecklos. Zu den Auswirkungen bisheriger Wahlprüfungsverfahren auch D. Hellmann, Nicht so zahnlos, wie es aussieht, Verfassungsblog vom 27. Oktober 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/nicht-so-zahnlos-wie-es-aussieht/ (7. Mai 2023). Durch eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung erhöht sich aber die Chance, dass Wahlprüfungsbeschwerden Erfolg haben. 86 Ein Präzedenzfall könnten hier die Geschehnisse um die Organisation der Bundestagswahl 2021 in Berlin sein, dazu schon oben § 1 A. 87 Dass es einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle jedes vor der Wahl möglichen Wahlfehlers auch gar nicht bedarf, veranschaulicht A. Koch, ZRP 2011, S. 196 ff. (199). Ebenso wie hier J.-M. Drossel, Der Effektivitätsgedanke im Wahlprüfungsverfahren, Verfassungsblog vom 30. Oktober 2022, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-effektivitats gedanke-im-wahlprufungsverfahren/ (7. Mai 2023).
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
ist.88 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass ein gesteigertes Bedürfnis nach einem vorgehenden Rechtsschutz bestehen kann, wenn nur dadurch – unter Abwägung mit den für einen nachträglichen Rechtsschutz sprechenden verfassungsrechtlichen Gründen – die Effektivität und Wirksamkeit des Rechtsschutz eingehalten werden kann oder wenn ein nachträglicher Rechtsschutz unzumutbare Nachteile bedeutet.89 Wenn verwaltungsinterner Rechtsschutz nach dem Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung – wie dargestellt90 –zeitlich vor der Wahl möglich ist, muss das auch für das Wahlprüfungsverfahren mit seinen zwei Verfahrensstufen in Gestalt des Bundestags und des Bundesverfassungsgerichts gelten.91 Um einerseits die Effektivität des Rechtsschutzes zu wahren und andererseits die Einhaltung des Wahltermins zu garantieren, ist eine Differenzierung bei den vor der Wahl möglichen Wahlfehlern angezeigt. Insbesondere haben Wahlfehler bei der Zulassung von Landeslisten – wie bereits erörtert92 – schwerwiegende Auswirkungen.93 Denn das Zulassungsverfahren ist relevant für den gesamten Wahlprozess: Wird die Zulassung einer Landesliste (teilweise) durch den entsprechenden Landeswahlausschuss abgelehnt, so wird damit unmittelbar in die Bundestagswahl eingegriffen.94 Aus einer Ablehnung folgt nämlich, dass eine Partei über die Zweitstimme gar nicht (bei vollständiger Ablehnung der Landesliste) oder nur eingeschränkt (bei teilweiser Zurückweisung der Landesliste) gewählt werden kann. Selbst wenn die Partei bei Zulassung geringe Erfolgs88 Ebenso C. Hillgruber/C. Goos, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 984, die feststellen, dass „zwar […] dem planmäßigen Ablauf des Wahlverfahrens und insbesondere der termingerechten Durchführung der Wahl eine herausragende Bedeutung für die Demokratie zu[kommt], doch […] dies auch und erst recht für die Ausübbarkeit des Wahlrechts als des demokratischen „Grundrechts“ schlechthin [gilt]“. Dazu auch M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1154) und M. Morlok, Fehlerbehebung ausgeschlossen?, F.A.Z. Nr. 249 vom 27. Oktober 2009, S. 36. Gleichsam in Bezug auf Wahlfehler, die sich auf die einzelne Wählerin bzw. den einzelnen Wähler beziehen, G. Roth, Subjektiver Wahlrechtsschutz und seine Beschränkungen durch das Wahlprüfungsverfahren, in: G. Pfeiffer/U. Burgermeister/ders. (Hrsg.), Der verfaßte Rechtsstaat, FS Graßhof, 1998, S. 53 ff. (64). 89 BVerfG, Beschluss vom 23. April 2009, 1 BvR 3405/08 = NVwZ 2009, S. 977 ff. (978) und BVerfG, Beschluss vom 11. März 1999, 2 BvQ 4/99 = NJW 1999, S. 2174. 90 Dazu oben § 4 D. I. 2. 91 In diese Richtung auch W.-R. Schenke, NJW 1981, S. 2440 ff. (2443), der zudem fordert, dass aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG der Wahltag so terminiert sein muss, dass gerichtlicher Rechtsschutz vorher möglich ist. 92 Oben § 1 B. 93 So auch neuerdings das Bundesverfassungsgericht, BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022, 2 BvC 22/19 = BeckRS 2022, 7874, 2. Ls. und Rn. 55. 94 Ebenso I. S. Hong, Verfassungsprobleme der innerparteilichen Kandidatenaufstellung für die Wahl zum Deutschen Bundestag, 2005, S. 90.
E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes
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chancen gehabt und vielleicht die regelmäßig erforderliche Fünfprozenthürde nach § 6 Abs. 3 S. 1 BWahlG zum Einzug in den Bundestag nicht übersprungen hätte, führt eine Nichtzulassung stets zu einem anderen Wahlergebnis: So könnten andere Parteien Stimmen erhalten, die für die nichtzugelassene politische Vereinigung hätten abgegeben werden sollen, oder die Wählerinnen und Wähler machen von ihrem Wahlrecht sogar keinen Gebrauch. Faktisch kommt die Ablehnung einer Landesliste – zumindest bei ihrer vollständigen Ablehnung – damit einer Nichtanerkennung der Parteieigenschaft im Sinne von § 18 Abs. 4 BWahlG in dem betreffenden Land gleich. Das gilt nicht nur qualitativ im Hinblick auf die Auswirkungen bei einer Ablehnung, sondern auch in quantitativer Hinsicht: In beiden Fällen entscheiden parteipolitisch besetzte Wahlausschüsse über die Zulassung von politischen Vereinigungen beziehungsweise Landeslisten zur Wahl.95 Es droht keine unüberschaubare Zahl von Fällen, stattdessen waren die Fälle der Ablehnungen von Landeslisten bei den letzten zwei Bundestagswahlen sogar geringer als die Zahl von Nichtanerkennungen als Partei.96 Damit dürfte auch Stimmen die Grundlage genommen sein, die einen vorherigen Rechtsschutz aufgrund des Charakters der Wahl als Massenverfahren ablehnen, da sie in diesem Fall eine Terminverschiebung befürchten.97 Es verwundert daher, dass nur für den Fall der Nichtanerkennung einer Partei 2012 verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz im Wege der Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG und
95 Zu Bedenken aufgrund von parteipolitisch besetzten Wahlausschüssen schon oben § 4 D. I. 2. a); in diese Richtung auch A. Hobusch, Der „tote Winkel“ des Rechtsschutzes, Verfassungsblog vom 1. August 2019, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/der-tote-winkel- des-rechtsschutzes/ (7. Mai 2023). 96 2021 wurden elf Beschwerden beim Bundeswahlausschuss wegen Ablehnung einer Landesliste und 20 Nichtanerkennungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht wegen Nichtanerkennung als Partei eingereicht; 2017 wurden acht Beschwerden beim Bundeswahlausschuss wegen Ablehnung einer Landesliste und sieben Nichtanerkennungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht wegen Nichtanerkennung als Partei eingereicht; dazu Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschriften über die Sitzungen des Bundeswahlausschusses vom 5. August 2021, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/1f8bb3028892-4868-bea4-8f8cbf701ab7/20210805_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023) und vom 3. August 2017, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/bdbcb31c-e058-43 81-b7ad-9c35ba9fcf06/20170814_niederschrift_2bwa.pdf (7. Mai 2023) sowie die Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts 64/2021 vom 27. Juli 2021, abrufbar unter https:// www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-064. html (7. Mai 2023) und 64/2017 vom 27. Juli 2017, abrufbar unter https://www.bundesverfas sungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-064.html (7. Mai 2023). 97 So auch J.-M. Drossel/J. Schemmel, NVwZ 2020, S. 1318 ff. (1323).
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
nicht auch für den Fall der (teilweisen) Ablehnung von Landeslisten mit ähn lichen gravierenden Auswirkungen eingeführt wurde. Gerichtlicher Rechtsschutz vor der Wahl bei Vorliegen von Wahlfehlern ist also nicht per se auszuschließen, sondern immer auf seine Effektivität hin zu begrenzen, um den beiden Zwecken des Art. 41 GG – nämlich der objektiven wie subjektiven Sicherung der Wahl – gerecht zu werden.98 Die Überprüfung von Wahlfehlern bei der Listenzulassung vor der Wahl ist in diesem Sinne effektiv, sodass ein solcher Rechtsschutz vor der Wahl nicht dem Ziel und Zweck der Wahlprüfung zugegen läuft, sondern diese – im Gegenteil – fördern kann.
II. Indizien für die Effektivität des Rechtsschutzes aus anderen Gesetzen § 42a VerfGHG Berlin regelt die Möglichkeit einer vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung für Wahlen zum Berliner Senat und § 19 Abs. 1 BetrVG, §§ 21, 22 MitBestG sind Regelungen für die Wahlprüfung im Arbeitsrecht. Es erscheint sinnvoll, diese Regelungen als Indikatoren für das Verständnis des Art. 41 GG und insbesondere im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes näher zu betrachten. Hierbei können die Wertungen freilich nicht unmittelbar übertragen werden, schließlich wurden die Regelungen in unterschiedlichen Gesetzen durch unterschiedliche Normgeber – Parlamentarischer Rat für das Grundgesetz, Bundestag für das Betriebsverfassungsgesetz sowie das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Berliner Senat für das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Berlin – normiert.99 Nichtsdestotrotz können Regelungen anderer Normgeber, die derselben Gesamtrechtsordnung angehören, einen Hinweis auf die Regelungssystematik und das Verständnis anderer Gesetze geben. 1. Einstweilige Anordnung vor der Wahl, § 42a VerfGHG Berlin § 42a VerfGHG Berlin lässt eine Entscheidung durch einstweilige Anordnung schon vor der Durchführung der Wahl zum Berliner Senat zu, „wenn wegen des geltend gemachten Verstoßes zu erwarten ist, dass die Wahlen ganz oder teilweise für ungültig erklärt werden und der Verstoß noch vor den Wahlen besei98
Zu den daraus notwendigerweise resultierenden Anpassungen im zeitlichen Ablauf des Wahlverfahrens unten § 7 B. II. 99 Statt vieler dazu nur K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 325 i. V. m. S. 264 ff.; wohl anders aber R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 12. Aufl. 2021, S. 36, nach dem stets die gesamte Rechtsordnung zu betrachten ist. In Bezug auf die Anwendbarkeit der Savignyschen Kriterien unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verfassungsrechts auch C. Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 12, 3. Aufl.2014, § 271 Rn. 18 ff.
E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes
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tigt werden kann.“ Die Regelung erstaunt, schließlich normiert sie ausdrücklich eine gerichtliche Entscheidung – wenn auch im Wege der einstweiligen Anordnung – vor der Wahl. Zu erklären ist sie aufgrund einer speziellen Ausgestaltung des Berliner Wahlprüfungsrechts im Vergleich zur Rechtslage auf Bundesebene und in den meisten anderen Ländern. So ist die Wahlprüfung für Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen in der Berliner Verfassung nicht vorgesehen, sondern nur einfachgesetzlich im Gesetz über den Berliner Verfassungsgerichtshof geregelt.100 Daher kann höherrangiges Recht zur Wahlprüfung – wie auf Bundesebene das Grundgesetz mit seiner Regelung in Art. 41 GG – das einfache Recht zur Wahlprüfung in Bezug auf Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen nicht verdrängen, sondern die Regelungen im Gesetz über den Berliner Verfassungsgerichtshof sind zwingend. Maßgeblich für die Ausgestaltung der Wahlprüfung sind damit ausschließlich die Regelungen im Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Berlin.101 Nach § 40 Abs. 4 S. 1 VerfGHG Berlin ist der Einspruch gegen die Wahl innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung des amtlichen Wahlergebnisses im Berliner Amtsblatt einzulegen. Hierbei handelt es sich nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin um eine klar terminierte Frist, für die mangels höherrangiger Normen auch keine anderweitige Auslegung in Frage kommt.102 Die Durchführung der Wahlprüfung vor der amtlichen Verkündung des Endergebnisses und daraus folgend auch vor dem Wahltag ist nach berlinerischem Verständnis also von vornherein nicht möglich. Damit sah sich der Berliner Gesetzgeber, der das Risiko einer nicht notwendigen Wahlwiederholung aufgrund von im Vorfeld von Wahlen feststehenden Wahlfehlern erkannt hat,103 gezwungen, eine alternative Regelung einzurichten und hat mit § 42a VerfGHG Berlin die Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung durch einstweilige Anordnung für Wahlfehler geschaffen. § 42a VerfGHG Berlin ist dabei streng be100 Außer in Berlin ist die Wahlprüfung nur in Bremen landesverfassungsrechtlich nicht geregelt. Verfassungsrechtlich zuständig für das einstufige Wahlprüfungsverfahren ist der Verfassungsgerichtshof Berlin nach Art. 84 Abs. 2 Nr. 6, Abs. 3 Verfassung Berl. i. V. m. § 14 Nr. 2, §§ 40 ff. VerfGHG Berl. 101 Umfassend zur Ausgestaltung der Wahlprüfung in Berlin L. Jung, Berlin, in: R. Kaiser/F. Michl (Hrsg.), Landeswahlrecht, 2020, § 6, S. 145 ff. (161 ff.); P. Michaelis/J. Rind, in: H.-J. Driehaus (Hrsg.), Verfassung von Berlin, 4. Aufl. 2020, Art. 84 Rn. 60 ff. und G. von Lampe, in: G. Pfenning/M. J. Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin, 3. Aufl. 2000, Art. 84 Rn. 151 ff. 102 So VerfGH Berl., Beschluss vom 12. Oktober 2016, VerfGH 145 A/1 = BeckRS 2016, 53759 Rn. 5; anders hier in Bezug auf die Wahlprüfung bei Bundestagswahlen, dazu oben § 4 A. II. 103 Abgh.-Drs. 16/0787, Begründung S. 6.
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
schränkt auf Wahlfehler, die vor dem Wahltag eingetreten sind und auch vor dem Wahltag behoben werden können.104 In Berlin gibt es damit in Bezug auf Wahlfehler zwei Rechtsbehelfe, die zeitlich aufeinander folgen: vor der Wahl die einstweilige Anordnung nach § 42a VerfGHG Berlin und nach der amtlichen Verkündung des Wahlergebnisses das Wahlprüfungsverfahren nach §§ 40 ff. VerfGHG Berlin.105 Die einstweilige Anordnung nach § 42a VerfGHG Berlin findet auch in der Praxis Anwendung. So begehrte unter anderem vor der Wahl der Berliner Bezirksverordnetenversammlungen am 26. September 2021 ein durch den Bezirks- und im Anschluss durch den Landeswahlausschuss abgelehnter Kandidat auf der Bezirksliste der Partei Volt die Zulassung zur Wahl.106 Auch wurden bereits einstweilige Anordnungen vor der Durchführung von Volksentscheiden nach § 55 Abs. 3 i. V. m. § 42a VerfGHG Berlin eingelegt.107 Erfolg hatten die zulässigen Anträge auf Erlass der einstweiligen Anordnungen vor der Wahl zwar nie, sie wurden stets zurecht als unbegründet abgelehnt.108 Nichtsdestotrotz zeigen diese Fälle, dass es ein Bedürfnis für Entscheidungen vor der Wahl in Berlin durchaus gibt und derartige Verfahren auch nicht von vornherein ohne Erfolg sein müssen. Die Existenz von § 42a VerfGHG Berlin ist folglich einerseits notwendige Folge aus der Berliner Spezialregelung in Wahlprüfungssachen und anderer104 VerfGH Berl., Beschluss vom 12. Oktober 2016, VerfGH 145 A/1 = BeckRS 2016, 53759 Rn. 6; VerfGH Berl., Beschluss vom 20. Dezember 2011, VerfGH 155 A/11 = BeckRS 2012, 45459. 105 Dass damit eine Rechtsschutzlücke für den Zeitraum zwischen dem Wahltag und der amtlichen Verkündung des Wahlergebnisses entsteht, erkennt der Berliner Verfassungsgerichtshof an, hält diesen Umstand aber für vertretbar, VerfGH Berl., Beschluss vom 12. Oktober 2016, VerfGH 145 A/1 = BeckRS 2016, 53759 Rn. 8. 106 VerfGH Berl., Beschluss vom 15. September 2021, VerfGH 107 A/21 = BeckRS 2021, 26876. 107 VerfGH Berl., Beschluss vom 16. August 2021, VerfGH 96 A/21 = BeckRS 2021, 23139; VerfGH Berl., Beschluss vom 8. September 2011, VerfGH 77 A/11 = BeckRS 2011, 54438. 108 Im Fall von VerfGH Berl., Beschluss vom 15. September 2021, VerfGH 107 A/21 = BeckRS 2021, 26876 wurde der Antragsteller als britischer Staatsangehöriger infolge des Brexits aufgrund fehlenden aktiven und passiven Wahlrechts ordnungsgemäß nicht als Kandidat auf der Bezirksliste der Partei Volt zugelassen; im Fall von VerfGH Berl., Beschluss vom 16. August 2021, VerfGH 96 A/21 = BeckRS 2021, 23139 lag aufgrund von fehlender Darlegung durch die Antragstellerin nach Auffassung des Gerichts nachvollziehbar kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot des Senats und der Landeswahlleiterin vor; schließlich hatte im Fall von VerfGH Berl., Beschluss vom 8. September 2011, VerfGH 77 A/11 = BeckRS 2011, 54438 das Volksbegehren bereits begonnen, sodass eine einstweilige Anordnung nicht mehr erlassen werden konnte.
E. Wahlprüfung vor der Wahl als Teil des effektiven Rechtsschutzregimes
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seits ein Indiz dafür, dass eine gerichtliche Überprüfung von Wahlfehlern im Vorfeld der Wahl sinnvoll und – auch in zeitlicher Hinsicht – möglich ist. 2. Wahlprüfung im Arbeitsrecht, § 19 Abs. 1 BetrVG und §§ 21, 22 MitBestG Lohnend zur Erarbeitung eines Verständnisses für das Konzept der Wahlprüfung in Bezug auf die Bundestagswahl ist auch der Blick in Parallelrechtsgebiete, in denen ebenfalls eine Prüfung von Wahlen erfolgt. Ein solches Anwendungsgebiet ist das Arbeitsrecht. § 19 BetrVG sowie die ihm nachgebildeten §§ 21, 22 MitBestG normieren die Wahlanfechtung für Betriebsrats-, Delegierten- und Aufsichtsratswahlen.109 Eine Wahl kann danach angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Anders als in Art. 41 GG und als im Wahlprüfungsgesetz wird im Arbeitsrecht der Begriff der Wahlanfechtung anstelle der Wahlprüfung verwendet. § 49 BWahlG hingegen verwendet ebenfalls den Begriff der Wahlanfechtung und versteht darunter alle Rechtsbehelfe des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung sowie das Wahlprüfungsverfahren nach Art. 41 GG. Die Wahlprüfung ist damit eine Ausprägung der Wahlanfechtung, sodass auf Erkenntnisse aus dem Arbeitsrecht ebenfalls für politische Wahlen zurückgegriffen werden kann.110 Die Wahlanfechtung wird in Bezug auf arbeitsrechtliche Wahlen weit verstanden. So können Entscheidungen und Maßnahmen des Wahlvorstands schon vor Abschluss der Wahl selbstständig angegriffen werden mittels einstweiliger Verfügungen, deren Ziel entweder eine Korrektur des Wahlverfahrens oder dessen Abbruch ist.111 Hierdurch soll eine Möglichkeit geschaffen werden, um Feh109 Zur Vergleichbarkeit von § 19 BetrVG und §§ 21, 22 MitBestG nur G. Annuß, in: W. Goette/M. Habersack (Hrsg.), MüKo AktG, Bd. 2, 6. Aufl. 2023, § 21 MitBestG Rn. 1 und ders., in: W. Goette/M. Habersack (Hrsg.), MüKo AktG, Bd. 2, 6. Aufl. 2023, § 22 MitBestG Rn. 1. 110 In diese Richtung ebenfalls P. Uhlmann, Individualrechtsschutz gegen Wahlverfahrensakte in parlamentarischen Wahlverfahren und Exklusivität der Wahlprüfung, 2016, S. 92 ff.; W. Schmitt Glaeser, Stichwort „Wahlanfechtung“, in: H. Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, 2. Aufl. 1992, S. 1211 verweist für das Stichwort der „Wahlanfechtung“ auf die Erläuterungen zum Stichwort „Wahlprüfung“, ohne die Wahlanfechtung eigenständig zu bestimmen. 111 BAG, Beschluss vom 14. Dezember 1965, 1 ABR 6/65 = AP BetrVG Nr. 5 zu § 16 BetrVG; BAG, Beschluss vom 25. August 1981, 1 ABR 61/79 = AP ArbGG 1979 § 83 Nr. 2; K. Fitting, BetrVG, 31. Aufl. 2022, § 18 Rn. 33; J. Homburg, in: W. Däubler/T. Klebe/P. Wedde (Hrsg.), BetrVG, 18. Aufl. 2022, § 19 Rn. 2, 16 ff.; U. Koch, in: R. Müller-Glöge/U. Preis/ I. Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, BetrVG, 23. Aufl. 2023, § 18
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§ 5 Wahlprüfung als individualprozessuale Absicherung
ler im Wahlverfahren rechtzeitig zu korrigieren, um so eine vollständige Überprüfung im Wege der Anfechtung zu verhindern.112 Verpflichtend vorgesehen ist eine solche vorherige Überprüfung der Wahl nicht. Allerdings hält das Bundesarbeitsgericht diese Überprüfungsmöglichkeit aus prozessökonomischen Gründen für notwendig, da es nicht logisch nachvollziehbar sei, ein offensichtlich fehlerbehaftetes Wahlverfahren erst nach der durchgeführten Wahl unter Inkaufnahme der entstehenden zeitlichen und personellen Kosten wie Ressourcen rechtlich überprüfen lassen zu können.113 Im Rahmen der einstweiligen Verfügung vor der Wahl kann entweder eine Abbruch- oder eine Leistungsverfügung erwirkt werden. Der Abbruch beziehungsweise die vorläufige Aussetzung der Wahl stellt dabei das einschneidendste Mittel dar. Sie darf nur erfolgen, wenn das Wahlverfahren unkorrigierbar fehlerbehaftet ist, diese Wahlfehler schwerwiegend sind und mit Sicherheit zur Nichtigkeit der Wahl führen würden.114 Milderes Mittel ist die Leistungsverfügung, bei der es sich um die Berichtigung oder Herbeiführung einzelner Maßnahmen oder Entscheidungen des Wahlvorstands handelt. Eine solche Leistungsverfügung ist möglich, wenn ein wesentlicher Fehler vorliegt, der die Anfechtbarkeit der Wahl begründet und durch einstweilige Verfügung korrigierbar ist; die bloße Wahrscheinlichkeit eines Rechtsverstoßes reicht hingegen nicht aus.115 Bei der Nichtzulassung einer Liste mit Kandidatinnen und Kandidaten oder einer anderweitigen Nichtanerkennung eines Wahlvorschlags handelt es sich auch im Arbeitsrecht um einen Wahlfehler, der im Rahmen des Wahlanfechtungsverfahrens überprüft werden kann.116 Damit kann er auch bereits im Vorfeld der Wahl mittels einstweiliger Verfügung gerichtlich geltend gemacht werden. Im Arbeitsrecht umfasst die Wahlanfechtung also auch bereits den Zeitpunkt vor der Wahl, entsprechende Rechtsstreitigkeiten werden vor den Arbeitsgerichten vor der Wahl regelmäßig geführt.117 Dies ist bemerkenswert, da Rn. 7; A. Nicolai, in: H. Hess/M. Worzalla/D. Glock/ders./F.-J. Rose/K. Huke (Hrsg.), BetrVG, 10. Aufl. 2017, § 19 Rn. 3; alle jew. m. w. N. 112 BAG, Beschluss vom 25. August 1981, 1 ABR 61/79 = AP ArbGG 1979 § 83 Nr. 2. 113 BAG, Beschluss vom 15. Dezember 1972, 1 ABR 8/72 = AP BetrVG 1972 § 14 Nr. 1; näher dazu H. Reichold, in: M. Henssler/H. J. Willemsen/H.-J. Kalb (Hrsg.), ArbR, 10. Aufl. 2022, BetrVG § 18 Rn. 15. 114 Seit BAG, Beschluss vom 27. Juli 2011, 7 ABR 61/10 = AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 2 , 1. Ls. unstreitig; statt vieler daher nur noch U. Koch, in: R. Müller-Glöge/U. Preis/I. Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, BetrVG, 23. Aufl. 2023, § 18 Rn. 7. 115 A. Nicolai, in: H. Hess/M. Worzalla/D. Glock/ders./F.-J. Rose/K. Huke (Hrsg.), BetrVG, 10. Aufl. 2017, § 18 Rn. 36. 116 K. Fitting, BetrVG, 31. Aufl. 2022, § 18 Rn. 32, 40; J. Homburg, in: W. Däubler/T. Klebe/P. Wedde (Hrsg.), BetrVG, 18. Aufl. 2022, § 19 Rn. 20. 117 Exemplarisch dafür nur ArbG Stuttgart, Beschluss vom 29. Mai 2018, 32 BVGa 8/18 =
F. Zwischenergebnis
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das Bundesarbeitsgericht auch für Wahlen zu Betriebs- und Aufsichtsräten den für die Bundestagswahl und damit für eine politische Wahl geltenden § 49 BWahlG heranzieht. Dazu stellt es fest, dass arbeitsrechtliche Wahlen zwar nicht so komplex wie Bundestagswahlen seien, aber § 49 BWahlG die Konkretisierung eines allgemein für Wahlrechtsangelegenheiten gültigen Grundsatzes sei, sodass dessen Grundgedanken auch im Bereich des Arbeitsrechts einschlägig seien.118 Dennoch lässt das Bundesarbeitsgericht Rechtsschutz vor der Wahl für bestimmte Wahlfehler zu und versteht die Wahlanfechtung in einem weiten Zusammenhang. 3. Fazit Das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Berlin sowie das Arbeitsrecht enthalten einige Indizien für den Zeitpunkt der Wahlprüfung. Die Vorschrift des § 42a VerfGHG Berlin macht deutlich, dass ein Bedürfnis für eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung gegeben ist und dass eine solche zeitlich möglich ist. Gleiches gilt für die Handhabung der Wahlprüfung im Arbeitsrecht nach § 19 BetrVG und §§ 21, 22 MitBestG, wonach das Bundesarbeitsgericht schon vor der Wahl eine Prüfung von zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten Wahlfehlern vornimmt.
F. Zwischenergebnis Eine Wahlprüfung vor der Wahl durch den bestehenden Bundestag führt zu einer individualprozessualen Absicherung und gleichzeitig zur Stärkung des demokratischen Wahlsystems. Denn mit der Wahlprüfung vor der Wahl bei der Ablehnung von Landeslisten wird der Rechtsschutz in Wahlsachen in Bezug auf einen weiteren Wahlfehler vor die Wahl gezogen und damit effektiver. Dies steht insbesondere im Einklang mit den Wertungen des Demokratieprinzips und den Wahlrechtsgrundsätzen. Gleichzeitig wird keine Diskrepanz zur Prüfung des Abgeordnetenstatus nach Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG hergestellt. Auch der Vergleich zu Regelungen in anderen Rechtsgebieten legt eine Wahlprüfung vor der Wahl in Bezug auf die Ablehnung von Landeslisten politischer Parteien nahe. ZIP 2018, S. 2170 ff. und ArbG Trier, Beschluss vom 5. März 2014, 1 BVGa 1/14 = BeckRS 2014, 69339. 118 BAG, Beschluss vom 27. Juli 2011, 7 ABR 61/10 = AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 2; das Bundesarbeitsgericht leitet diesen Grundsatz aus zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab, von denen sich die eine auf eine Landtagswahl (BVerfGE 16, 128) und die andere auf eine Stadtratswahl (BVerfGE 11, 329) bezieht. Näher zu diesen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts schon § 2 B. I. 4.
§ 6 Mit dem Zeitpunkt der Wahlprüfung vor der Wahl kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen Eine Wahlprüfung vor der Wahl muss dazu führen, dass entweder die Wahlprüfung in die bestehenden Fristen des Wahlverfahrens integriert wird oder dass sich die bestehenden Fristen des Wahlverfahrens teilweise nach vorne verschieben, um so mehr Zeit für das Wahlprüfungsverfahren zu schaffen. Die erste Option – nämlich die Integration der Wahlprüfung in die bestehenden Fristen des Wahlverfahrens – scheidet dabei als Umsetzungsmöglichkeit aus: Schließlich gerät das gesamte Wahlverfahren durch die Integration des zweistufigen Wahlprüfungsverfahrens – wie unten dargestellt1 – unter großen und letztlich nicht hinnehmbaren Zeitdruck. Die Arbeit schlägt daher die zweite Option und damit die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens – konkret um 40 Tage – zur Integration des Wahlprüfungsverfahrens für eine praktische Umsetzung vor.2 Damit gehen verfassungspraktische Schwierigkeiten einher, die an dieser Stelle vorab dargestellt werden. Die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens zur Integration des Wahlprüfungsverfahrens schließt es mit ein, dass das Verfahren der parteiinternen Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten beziehungsweise von Landeslisten nach vorne verlegt werden muss. Das ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht unproblematisch. Neben der bereits erörterten Funktionsfähigkeit des Bundestags als Institution im Vorfeld der Bundestagswahl3 können Grenzen für die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens erstens aus demokratischen Gesichtspunkten, zweitens aufgrund von Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG aus organisatorischen Anpassungen sowie drittens aus einer Erhöhung der Unwägbarkeiten abgeleitet werden. Zudem besteht viertens die Gefahr, dass insbesondere neue Gruppierungen und politische Vereinigungen unzulässigerweise in ihrem Wahlteilnahmerecht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG beeinträchtigt werden. Zu berücksichtigen ist dabei stets, dass auch die jetzt bereits bestehenden Fristen des 1
Dazu unten § 7 A. Zur Begründung der Verschiebung der Fristen um 40 Tage nach vorne und zur konkreten Ausgestaltung des Vorschlags unten § 7 B. I. 3 Dazu oben § 4 C II. 2
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§ 6 Mit dem Zeitpunkt kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen
Wahlverfahrens Beeinträchtigungen der genannten Rechte der politischen Vereinigungen und Parteien sind. Eine weitere Verkürzung der Fristen – wie hier vorgeschlagen um 40 Tage – erscheint daher besonders erörterungsbedürftig.
A. Mangelnde Gewährleistung der Abbildung des Willens der Partei und des Volkes, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Aus demokratischen Gesichtspunkten ist stets zu berücksichtigen, dass der Zeitraum zwischen der Listenaufstellung und der Bundestagswahl nicht zu lang sein darf. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG legt fest, dass die Staatsgewalt durch das Volk insbesondere durch Wahlen ausgeübt wird. Wahlen fungieren damit als Mittel dazu, aktuelle politische Strömungen im Parlament abzubilden und den diese verkörpernden Akteurinnen und Akteuren einen Raum zur Umsetzung zu geben.4 Daher ist es zwingend, dass das Ergebnis der parteiinternen Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten auch am Wahltag noch dem Willen der Parteimitglieder entspricht sowie, dass „neuere […] Strömungen“5 innerhalb der Partei die Möglichkeit erhalten, auf die Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten Einfluss zu nehmen.6 Denn je mehr Zeit zwischen der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten und dem Tag der Bundestagswahl liegt, desto größer sind die Risiken, dass die aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten keine adäquate Repräsentation für die Ansichten der Partei darstellen und dass „eine derartige Erweiterung […] dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung [zur Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten, gemeint ist damit § 22 Abs. 3 BWahlG a. F., dem heute § 21 Abs. 3 BWahlG entspricht] zuwider [liefe]“7.
Damit könnte die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk als Wahlsubjekt beeinträchtigt sein. Nach § 27 Abs. 5 i. V. m. § 21 Abs. 3 S. 4 BWahlG ist Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn der Landeslistenaufstellung der Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestags. Danach dürfen Delegierte für die Delegiertenversammlung zur Wahl von Kandidatinnen und Kandidaten frühestens 29 Monate nach dem Beginn der Wahlperiode gewählt und die Kandidatinnen und Kandidaten frühestens 32 Monate nach dem Beginn der Wahlperiode aufgestellt werden. 4
BT-Drs. 7/867, S. 2. BT-Drs. 7/867, S. 2. 6 Dazu insgesamt BT-Drs. 7/867, S. 2 sowie auch H. J. Boehl, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 21 Rn. 31. 7 BT-Drs. 7/2873, S. 39. 5
A. Mangelnde Gewährleistung der Abbildung des Willens der Partei und des Volkes 187
Konkret bedeutete dies für die Bundestagswahl zum 20. Bundestag, die am 26. September 2021 stattfand, dass ausgehend vom Beginn der Wahlperiode des vorherigen 19. Bundestags am 25. Oktober 2017 die Delegierten ab dem 25. März 2020 gewählt und die Kandidatinnen und Kandidaten ab dem 25. Juni 2020 aufgestellt werden konnten. An diesem Fristbeginn wird durch eine Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens vorliegend nichts geändert.8 Um jedoch das Wahlprüfungsverfahren in die Fristen des Wahlverfahrens integrieren zu können, soll das Fristende zur Einreichung von Landeslisten, welches bisher gemäß § 19 BWahlG am 69. Tag vor der Wahl liegt, angepasst werden. Nach dem Vorschlag der Arbeit wird das Fristende zur Einreichung der Landeslisten auf den 109. Tag vor der Wahl – mithin um 40 Tage – vorgezogen.9 Verfassungsrechtlich sind die spezifischen Fristen der parteiinternen Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten nicht vorgegeben, sie können also flexibel festgelegt werden.10 Zu berücksichtigen ist dabei, dass jede Woche der Vorverlegung dazu führt, dass auch die parteiinterne Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten eher durchgeführt werden muss, was Konsequenzen sowohl für die Partei als solche und ihre Parteimitglieder wie auch für die Abgeordneten und den Bundestag als solchen mit sich zieht. Denn möglicherweise müssen sich diese Akteurinnen und Akteure früher mit der Wahl zum nächsten Bundestag befassen als bisher, was dazu führen könnte, dass sie ihre eigentlichen Aufgaben wie zum Beispiel die Mitwirkung an der politischen Willensbildung (in Bezug auf Parteien, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) oder die Mitwirkung an der Gesetzgebung (in Bezug auf den Bundestag, Art. 76 ff. GG, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) ab diesem Zeitpunkt vernachlässigen könnten. Verfassungsrechtlich folgenlos sind diese Verschiebungen damit nicht. Jedoch ist die vorgeschlagene Vorverlegung um 40 Tage – im Vergleich zur ohnehin großzügig bemessenen Frist zur Aufstellung und Einreichung der Landeslisten – rein zeitlich gesehen eher geringfügig. In Bezug auf die Bundestagswahl 2021 hatten die Parteien 390 Tage Zeit (Fristbeginn: 25. Juni 2020, Fristende 19. Juli 2021), um ihre Landeslisten aufzustellen und bei der jeweiligen Landeswahlleitung einzureichen. Im Fall der hier vorgeschlagenen Vorverlegung der Frist zur Einreichung der Landeslisten um 40 Tage hätten die Parteien 350 Tage Zeit gehabt (Fristbeginn weiterhin am 25. Juni 2020, Fristende am 9. Juni 2021), sodass insgesamt eine Verkürzung des Zeitraums um 10,26 % vorliegt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass nicht jeder 8
Eine Änderung ist aber naturgemäß nicht ausgeschlossen, sondern durchaus denkbar, wird nur im hier angebrachten Vorschlag außer Acht gelassen, da die bisherigen Fristen des Wahlverfahrens so weit wie möglich beibehalten werden sollen. 9 Ausführlich unten § 7 B. II. 10 BT-Drs. 7/867, S. 2; ebenso H. J. Boehl, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 21 Rn. 33.
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§ 6 Mit dem Zeitpunkt kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen
Tag innerhalb der Frist gleich zu gewichten ist. Gerade bei derart langen Fristen könnten die Parteien dazu geneigt sein, nicht unmittelbar direkt zu Fristbeginn ihre Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen, sodass insbesondere den letzten Tagen vor dem Fristende eine erhöhte Bedeutung zukommt. Die Vorverlegung der Einreichungsfrist führt nicht dazu, dass schwerwiegende Beeinträchtigungen in Bezug auf den Willen der Parteimitglieder oder „neuere Strömungen“ in der Partei entstehen. Denn innerhalb von 40 Tagen ist es nur schwer vorstellbar, dass sich Parteiabspaltungen und „neuere Strömungen“ grundlegend neu bilden und den Willen der Partei maßgeblich in eine andere Richtung hin prägen, sodass damit der Wille der Mehrheit der Partei nicht mehr auf der vorher gewählten Landesliste widergespiegelt wird. Gleichwohl beschränkt die Verkürzung der Einreichungsfrist um einen Zeitraum von 40 Tagen das Recht der Wählerinnen und Wähler, zum Zeitpunkt der Wahl Kandidatinnen und Kandidaten vorzufinden, die die Parteien entsprechend repräsentieren, und damit ihr Recht aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, die Staatsgewalt durch das Volk als Wahlsubjekt auszuüben. Diese Beeinträchtigung führt dennoch nicht dazu, dass der Zeitraum zwischen der Listenaufstellung und dem eigentlichen Wahltag aus demokratischen Gesichtspunkten zu groß und damit bedenklich wird.11
B. Beeinträchtigung des Wahlvorschlagsrechts der Parteien, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG Nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG wirken die Parteien an der politischen Willensbildung mit, wozu insbesondere die Teilnahme an Wahlen zählt.12 Parteien müssen dabei vor allem in der Lage sein, Wahlvorschläge für Wahlen einzureichen. Durch die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens könnten Parteien in ihrem Wahlvorschlagsrecht aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. § 27 Abs. 1 S. 1 BWahlG beeinträchtigt sein, denn sie müssten die Landeslisten eher aufstellen und könnten somit verpflichtet sein, ihre organisatorischen Abläufe bei der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten anzupassen, um die neuen, früheren Fristen einhalten zu können. Fraglich ist insbesondere daher, ob die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens für die Parteien zumutbar ist. Vor allem könnte diese Einschränkung „kleinere“ und/oder neue politische Vereinigungen treffen. § 27 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BWahlG verpflichtet nämlich politische Vereinigungen im Sinne von § 18 Abs. 2 BWahlG, die zum Zeitpunkt 11
Dazu sogleich unten § 6 B. Siehe statt vieler nur R. Streinz, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 79 und auch schon oben § 1 B. 12
B. Beeinträchtigung des Wahlvorschlagsrechts der Parteien
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der Listenaufstellung nicht mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sind – wozu regelmäßig insbesondere „kleinere“ und/oder neue politische Gruppierungen zählen dürften –, persönliche und handschriftliche Unterschriften von 1 vom Tausend, maximal jedoch von 2000 Wahlberechtigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl zu sammeln.13 Jedoch ändert sich für sie der Zeitraum der Unterschriftensammlung nur marginal. Denn nach § 39 Abs. 3 S. 5 i. V. m. § 34 Abs. 4 Nr. 1, 5 BWahlO dürfen die Unterschriften erst nach der Aufstellung der Landesliste bis zum Tag der Einreichung der Landesliste bei der jeweiligen Landeswahlleitung gesammelt werden und der Beginn der Landeslistenaufstellung wird nicht berührt. Lediglich das Ende der Frist wird um 40 Tage auf den 109. Tag vor der Wahl vorgezogen.14 Unterschriftspflichtige Parteien haben damit weiterhin viel Zeit, um diese Unterschriften zu sammeln.15 Zudem ist regelmäßig davon auszugehen, dass vom Unterschriftserfordernis betroffene Parteien ihre Landeslisten frühzeitig aufstellen, um hinreichend Zeit für die Sammlung der Unterschriften zu haben, sodass die Unterschriftensammlung nicht erst kurz vor Fristende begonnen wird. Diese Vermutung bestätigt sich in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 beispielsweise durch das Vorgehen der Landesverbände der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), die ihre Landeslisten regelmäßig zwischen dem 27. Juni 2020 und dem 20. März 2021 aufstellten,16 sowie durch das Vorgehen der Landesverbände der Piratenpartei, die ihre Landeslisten allesamt zwischen dem 11. Juli 2020 und dem 24. April 2021 aufstellten17. Die Aufstellungsversammlungen fanden damit deutlich vor dem hier neu vorgeschlagenen Termin zur Einreichung von Landeslisten bei der jeweiligen Landeswahlleitung am 109. Tag vor der Wahl (in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 mithin am 9. Juni 2021) statt. Es handelt sich also nur um die geringe Verkürzung einer Frist, die das interne Verfahren der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten in den Parteien regelmäßig nicht tangiert und nicht um eine solche, die das Wahlverfahren betrifft. Es ist daher von den betroffenen Parteien zulässigerweise zu erwarten, dass diese ihre internen Fristen zur Landeslistenaufstellung anpassen, soweit eine Anpassung überhaupt notwendig ist. 13 Das Erfordernis zur Sammlung von Unterschriften ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, siehe dazu u. a. BVerfGE 67, 369 (380), BVerfGE 82, 353 (364 f.) und BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2002, 2 BvQ 38/02 = NVwZ-RR 2002, S. 803 f.; a. A. aber J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 153 f., 166. 14 Dazu schon kurz oben § 6 A., ausführlich unten § 7 B. II. 15 Oben bereits § 6 A. 16 Abrufbar unter https://www.oedp.de/wahlen/bundestagswahl-2021/kandidatinnen-und- kandidaten (7. Mai 2023). 17 Abrufbar unter https://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2021 (7. Mai 2023).
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§ 6 Mit dem Zeitpunkt kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen
Ähnliches gilt auch für Parteien, die nach § 27 Abs. 1 S. 2 Var. 1 BWahlG vom Erfordernis der Unterschriftensammlung befreit sind, da sie seit der letzten Wahl ununterbrochen im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sind. Bei ihnen werden die Landeslisten meistens im Rahmen einer allgemeinen oder besonderen Delegiertenversammlung aufgestellt, sodass zunächst die Delegierten gewählt werden müssen. Auch hier liegt keine Veränderung für den Beginn des Zeitraumes vor, in dem die Delegierten wie die Kandidatinnen und Kandidaten gewählt werden können. Die Vorverlegung des Fristendes zur Einreichung der Landeslisten bei der jeweiligen Landeswahlleitung auf den 109. Tag vor der Wahl betrifft sie jedoch gleichermaßen wie auch neuere und „kleinere“ Parteien oder politische Vereinigungen. Eine tiefgreifende Änderung in den Verfahrensabläufen ist gleichwohl nicht zu erwarten. Denn nach eigenen Recherchen und anschließender Auswertung der Daten der Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Linke und AfD in allen 16 Ländern in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 fanden die Aufstellungsversammlungen nur in 16 von 96 Fällen, mithin in 16,67 % der Fälle, nach dem hier vorgeschlagenen Stichtag des 109. Tags vor der Bundestagswahl (konkret: 9. Juni 2021) statt. Im Regelfall wird eine Umstellung des Verfahrens der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten bei Vorverlegung der Einreichungsfrist bei der jeweiligen Landeswahlleitung in den Parteien nicht notwendig sein.18 Obwohl das Wahlvorschlagsrecht der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG durch die Verschiebung also verkürzt und damit beeinträchtigt wird, bleibt es auch bei einer Vorverlegung der Einreichungsfristen weiterhin sichergestellt, dass die Parteien ihre Landeslisten in Bezug auf eine konkrete Wahl zum einen mit hinreichendem Vorlauf, zum anderen aber auch mit einer hinreichenden Nähe zur Wahl aufstellen (können). Die Vorverlegung der Einreichungsfristen ist damit für die Parteien letztlich zumutbar.
C. Erhöhung von Unwägbarkeiten während des gesamten Wahlverfahrens Daneben ist bei einer Vorverlegung der Frist und dem damit um das Wahlprüfungsverfahren verlängerten Wahlverfahren als solchem die Erhöhung von Unwägbarkeiten wie dem „menschlichen Risiko“ (zum Beispiel aufgrund von Ver18 Stattdessen ist allenfalls – falls überhaupt notwendig – eine interne Anpassung der Termine der Delegierten- bzw. Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten, nicht aber des grundsätzlichen Aufstellungsverfahrens, aufgrund des neuen Fristendes zur Einreichung am 109. Tag vor der Bundestagswahl erforderlich.
C. Erhöhung von Unwägbarkeiten während des gesamten Wahlverfahrens
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sterben oder Krankheit von aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten auf der Landesliste) zu beachten. Anzuknüpfen ist hierbei in Bezug auf die Folgen dieser potenziellen Unwägbarkeiten an die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. Jedoch sind Unwägbarkeiten zu jedem Zeitpunkt des Wahlverfahrens unabhängig von Fristen denkbar. Insbesondere kommen bei einem späten Zeitpunkt zur Aufstellung und Einreichung von Landeslisten, mit denen Unberechenbarkeiten wie Krankheiten oder der Tod zwar je nach terminlicher Lage verringert werden können, andere, vor allem „außermenschliche“ Risikofaktoren hinzu wie Probleme bei der Zustellung durch Postausfall, Unwetter oder Internetprobleme. Festzustellen ist: Risiken und Unwägbarkeiten spielen bei der Aufstellung und Einreichung von Landeslisten stets eine Rolle – unabhängig vom Zeitpunkt und der Frist, an dem die Landesliste aufgestellt oder eingereicht wird. Auch unvorhersehbaren parteipolitischen Ereignissen, die Auswirkungen auf die konkrete Zusammensetzung der Landeslisten haben können – man denke hier beispielsweise an den Bruch der bisherigen Koalition oder „persönliche Affären“ des führenden Parteipersonals wie zum Beispiel Plagiatsvorwürfe oder das Ausnutzen der Abgeordneten- oder Regierungsposition – wird durch eine vorgezogene Einreichungsfrist mehr Raum gegeben. So erhöht sich die Gefahr, dass den Wählerinnen und Wählern am Wahltag veraltete politische Op tionen zur Wahl stehen, die nicht mehr zur aktuellen (partei-) politischen Situation passen. Es kann nicht Sinn und Zweck einer Wahl sein, bereits am Wahltag politisch überwiegend überholte Kandidatinnen und Kandidaten für einen längeren zukünftigen Zeitraum zu wählen. Zu berücksichtigen ist allerdings erneut, dass die vorgeschlagene Vorverlegung der Einreichungsfrist für Landeslisten um 40 Tage auf den 109. Tag vor der Wahl im Regelfall nicht zu Änderungen im parteiinternen Aufstellungsverfahren führen wird. Schließlich finden die Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten der meisten Landesverbände bereits vor dem 109. Tag vor der Wahl statt, sodass insofern keine Änderung im Vergleich zur jetzigen Einreichungsfrist am 69. Tag vor der Wahl stattfinden wird.19 Zudem bleibt den Parteien auch weiterhin die Möglichkeit erhalten, ihre Landeslisten bei unvorhersehbaren parteipolitischen Ereignissen bis zum Ende der Einreichungsfrist neu aufzustellen.
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Dazu schon oben § 6 B.
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§ 6 Mit dem Zeitpunkt kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen
D. Schwierigkeiten für neue Gruppierungen und kleine politische Vereinigungen Die Integration des Wahlprüfungsverfahrens in das Wahlverfahren bringt es mit sich, dass sich notwendige Vorverlegungen auf zahlreiche Fristen im Wahlverfahren beziehen. Auswirkungen ergeben sich dabei auch für den letzten Tag, an dem politische Vereinigungen, die im Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind, ihre Beteiligung an der Wahl bei der Bundeswahlleiterin oder beim Bundeswahlleiter anzeigen können (§ 18 Abs. 2 S. 1 BWahlG).20 Auch diese Frist soll nach der vorgeschlagenen Lösung um 40 Tage nach vorne, konkret vom 97. auf den 137. Tag vor der Wahl, verschoben werden.21 Zugleich müssen auch die Fristen für den Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde politischer Vereinigungen um den Zeitraum von 40 Tagen angepasst werden. Durch diese Vorverlegungen verringert sich insbesondere die Möglichkeit für neue Gruppierungen, kurzfristig vor der Wahl zu entscheiden, an der Wahl teilzunehmen, während der Wahlvorbereitung weitere Mitglieder anzuwerben und Organisationsstrukturen zu festigen, um so die nach § 18 Abs. 2 S. 1 BWahlG i. V. m. § 2 Abs. 1 ParteiG erforderlichen Kriterien für die Anerkennung als Partei zur Wahl (besser) zu erfüllen.22 Verfassungsrechtlich kommt dem in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG enthaltenen Wahlvorschlagsrecht im Wahlverfahren eine wichtige Rolle zu: Es handelt sich dabei um „ein Kernstück des Bürgerrechts auf aktive Teilnahme an der Wahl“23. Jede und jeder Wahlberechtigte muss die Möglichkeit haben – zumindest im Zusammenschluss mit anderen Wahlberechtigten, § 20 Abs. 3 BWahlG –, Wahlvorschläge einzureichen.24 Landeslisten können nach § 27 Abs. 1 S. 1 BWahlG nur von politischen Parteien eingereicht werden; hiermit soll garantiert werden, dass nur solche Listen zur Wahl stehen, auf denen die Bewerberinnen und Bewerber inhaltlich und politisch eng ver-
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Dass in Bezug auf das Wahlvorschlagsrecht zwischen Parteien, die entweder im Bundestag oder in einem Landtag bereits vertreten sind, und Parteien, die aktuell in keinem Parlament vertreten sind, unterschieden wird, hält das Bundesverfassungsgericht seit langem für verhältnismäßig, st. Rspr. u. a. BVerfGE 3, 19 (27); BVerfGE 3, 383 (393); BVerfGE 7, 99 (107); BVerfGE 12, 135 (137). So solle gewährleistet werden, „daß nur echte politische Parteien und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer sich um die Stimmen der Wähler bewerben“, BVerfGE 3, 19 (27). Anders aber J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 105. 21 Näheres unten § 7 B. II. 22 So auch schon BVerfGE 89, 291 (301). 23 BVerfGE 41, 399 (417). 24 Ebenso K. Böth, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 18 Rn. 1.
D. Schwierigkeiten für neue Gruppierungen und kleine politische Vereinigungen
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bunden sind.25 Da Bewerbungen von Einzelkandidatinnen und -kandidaten für Wahlkreise, die nach § 20 Abs. 3 BWahlG auch von mindestens 200 Wahlberechtigten unabhängig von einer Partei eingereicht werden können, regelmäßig erfolglos sind,26 ist es daher umso wichtiger für neue Gruppierungen und kleine politische Vereinigungen, durch den Bundeswahlausschuss nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 BWahlG als Partei anerkannt zu werden, um Landeslisten für die Wahl einreichen zu können. Gleichzeitig ist die Möglichkeit politischer Vereinigungen, auch kurz vor der Wahl noch die Entscheidung zu treffen, zur Wahl anzutreten und sich daher um die Anerkennung als Partei beim Bundeswahlausschuss zu bemühen, auch für die Wählerinnen und Wähler relevant: So verlangt das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 S. 1, 2 GG, dass ein möglichst aktuelles politisches Personal zur Wahl steht und dass das gewählte Parlament die Interessen der Wählerinnen und Wähler zeitgemäß vertritt, was insbesondere durch neu gegründete politische Vereinigungen und Parteien garantiert ist. Der verfassungsrechtliche Gehalt, dass neue politische Gruppierungen erst zeitnah zur Wahl die Wahlteilnahme veranlassen können, wiegt damit insgesamt schwer; durch das Vorziehen der Einreichungsfrist für die Anzeige der Anerkennung als Partei um 40 Tage vom 97. auf den 137. Tag vor der Wahl wird das Wahlvorschlags- und Wahlbeteiligungsrecht für kleine Parteien und neue Gruppierungen mithin beschränkt, da sie ihre Entscheidung zur Wahlteilnahme eher treffen müssen. Eine Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens, woraus ebenfalls eine frühere Entscheidung des Bundeswahlausschusses über die Anerkennung als Partei nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 BWahlG folgt, sowie die Vorverlegung der Nichtanerkennungsbeschwerde für den Fall, dass politische Vereinigungen nicht als Partei durch den Bundeswahlausschuss anerkannt wurden, bringt jedoch auch Vorteile für die politischen Vereinigungen mit sich. Sie erlangen so zu einem früheren Zeitpunkt vor der Wahl Rechtssicherheit, ob sie zur Wahl als Partei anerkannt sind und nach § 27 Abs. 1 S. 1 BWahlG berechtigt sind, Landeslisten aufzustellen. Es verringert sich damit das „zwangsläufig auferlegte Risiko, vorab bereits Mühen und Kosten für die Wahlvorbereitung aufwenden zu müssen, die sich im Falle einer Nichtanerkennung als nutzlos erweisen“27. Zudem können politische Vereinigungen so dem Wahlkampf mehr Aufmerksamkeit schenken, wenn das zeitintensive Anerkennungsverfahren, das nicht immer erfolg25 In diese Richtung auch T. Wolf, in: W. Schreiber (Hrsg.), BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 27 Rn. 2. 26 Dazu auch J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 117. 27 BVerfGE 89, 291 (301).
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§ 6 Mit dem Zeitpunkt kollidierende verfassungsrechtliche Erwägungen
reich ausgeht,28 und der Wahlkampf nicht mehr wie bisher weitgehend parallel liegen.29 Dadurch könnten sich ihre Chancen, bei der Wahl erfolgreich zu sein, potenziell sogar erhöhen, wenngleich das Verfahren langwieriger wird, da das Anerkennungsverfahren und der Wahlkampf zeitlich gesehen hintereinander liegen. Auch in tatsächlicher Hinsicht hat sich in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 gezeigt, dass sich politische Vereinigungen, die sich um eine Anerkennung als Partei bemüht haben, regelmäßig nicht erst unmittelbar vor dem Fristende zur Anerkennung als politische Vereinigung gegründet haben.30
E. Zwischenergebnis Insgesamt ist damit festzuhalten, dass in Bezug auf die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens, um die Wahlprüfung in das Wahlverfahren integrieren zu können, durchaus (verfassungs-) rechtliche und sonstige Einwände bestehen. Sie betreffen sowohl die Wählerinnen und Wähler als auch die Parteien. Gleichwohl konnten insbesondere für die politischen Parteien auch Vorteile einer Wahlprüfung vor der Wahl ausgemacht werden und die aktuelle praktische Handhabung durch die Parteien zeigt auf, dass nicht in allen Bereichen des Wahlverfahrens bei einer Integration der Wahlprüfung tatsächliche Änderungen in den parteiinternen Verfahrensabläufen zu erwarten sind. 28 In Bezug auf die Bundestagswahl 2021 zeigten 87 politische Vereinigungen an, sich an der Wahl beteiligen zu wollen, von denen 44 politische Vereinigungen zugelassen wurden, dazu Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 1. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 9. Juli 2021, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/34df12 b4-e16d-4513-b7a3-f0c446b98c06/20210709_Niederschrift_1BWA.pdf (7. Mai 2023). In Bezug auf die Bundestagswahl 2017 zeigten 63 politische Vereinigungen an, sich an der Wahl beteiligen zu wollen, von denen 40 politische Vereinigungen zugelassen wurden, dazu Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 1. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 7. Juli 2017, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/c4472bc3-2b5c49b1-b147-59232a532b27/20170707_niederschrift_1bwa-sitzung.pdf (7. Mai 2023). 29 Erneut J. Köhler, Parteien im Wettbewerb, 2006, S. 103. 30 Siehe dazu Bundeswahlausschuss (Hrsg.), Niederschrift über die 1. Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 9. Juli 2021, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/ 34df12b4-e16d-4513-b7a3-f0c446b98c06/20210709_Niederschrift_1BWA.pdf (7. Mai 2023), nach der folgende Parteien, die sich um eine Anerkennung als Partei zur Bundestagswahl 2021 bemühten, erst ein „kurzes Bestehen“ aufwiesen, sodass die Maßstäbe im Rahmen der Prüfung nach § 2 Abs. 1 ParteiG angepasst wurden: rund für den Rechtsstaat und NEUE DEMOKRATIE (Gründung im Juni 2021); Die Sonstigen (Gründung im Mai 2021); Praktiker Partei (Gründung im April 2021); Bürgerbewegung Lobbyisten für Kinder (Gründung im März 2021); Bürgerbewegung für Fortschritt und Wandel (Gründung im Februar 2021); WiR2020 (Gründung im Juli 2020); Partei des Fortschritts (Gründung 2020); SGV – Solidari tät, Gerechtigkeit, Veränderung (Gründung 2020); Thüringer Heimatpartei (Gründung 2020).
§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung Bisher wurde die Möglichkeit eines Rechtsschutzes vor der Bundestagswahl im Fall der (teilweisen) Nichtzulassung von Landeslisten ausschließlich aus der Perspektive der Verfassungsrechtsdogmatik betrachtet. Festgestellt wurde, dass das Wahlprüfungsverfahren der gegen die (teilweise) Nichtzulassung von Landeslisten statthafte Rechtsbehelf ist. Aus praktischer Perspektive stellt sich daher die Frage, wie das Wahlprüfungsverfahren ausgestaltet werden kann, um auch im Zeitpunkt vor der Bundestagswahl wirksam durchgeführt werden zu können. Maßgebender Faktor ist hierbei die Vermeidung einer Verschiebung des Wahltermins. Schließlich handelt es sich bei der Bundestagswahl in Deutschland um ein Massenverfahren, das zahlreiche Kosten – seien sie monetärer, aber auch personeller Art und Weise – verursacht. Der gerichtliche Rechtsschutz muss sich also im zeitlichen Korridor des Art. 39 Abs. 1 S. 3 GG bewegen.1 Ausgeschlossen ist dabei jedoch, dass nur die Wahlprüfungsentscheidung des Bundestags vor der Wahl erfolgt und dass das Bundesverfassungsgericht erst nach dem Wahltag entscheidet. Denn auch in diesem Fall erhalten die Parteien, deren Landeslisten (teilweise) abgelehnt worden sind, keine Rechtssicherheit vor der Wahl, sondern die Bundestagwahl steht weiterhin unter der Prämisse, dass nach der Wahl noch eine gegenteilige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfolgen kann. Daher erscheinen zur Ausgestaltung der Wahlprüfung vor der Wahl mit zwei Verfahrensstufen zwei Szenarien möglich.
A. Integration der Wahlprüfung in die bisherigen Fristen des Wahlverfahrens Zunächst könnte die vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung in die bisherigen Fristen des Wahlverfahrens integriert werden. Ausgangspunkt ist dabei die Zulassung der Landeslisten zur Bundestagswahl, über die die Landeswahlausschüsse bisher nach § 28 Abs. 1 S. 1 BWahlG am 58. Tag vor der Wahl entschei1
Ebenso C. Hillgruber/C. Goos, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 984.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
den. Bei einer ablehnenden Entscheidung des Landeswahlausschusses kann Beschwerde beim Bundeswahlausschuss eingelegt werden, über welche dieser gemäß § 28 Abs. 2 S. 5 BWahlG am 52. Tag vor der Wahl entscheidet. Danach ist das verwaltungsinterne Nachprüfungsverfahren abgeschlossen. Da bis zum 21. Tag vor der Wahl die Wahlbenachrichtigungen an die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger verschickt werden müssen (§ 17 Abs. 1 S. 2 BWahlG, § 19 Abs. 1 S. 1 BWahlO), wäre es denkbar, das Wahlprüfungsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt durchzuführen. Es müssten dann also neue Fristen zwischen dem 52. und dem 21. Tag vor der Bundestagswahl für das Wahlprüfungsverfahren eingefügt werden, damit sowohl der Bundestag als auch das Bundesverfassungsgericht ihre Entscheidungen treffen können. Berücksichtigt werden muss allerdings der Umstand, dass sich die Wahlberechtigten bei Veröffentlichung der zugelassenen Landeslisten weiterhin darauf verlassen können müssen, dass die Landeslisten korrekt sind und vor der Wahl nicht verändert werden. Daher darf die Veröffentlichung der Landeslisten erst erfolgen, wenn über alle Einsprüche vor dem Bundestag entschieden wurde und das Bundesverfassungsgericht eventuell eingehenden Beschwerden abgeholfen hat. Der bisher letztmögliche Tag der Veröffentlichung der Landeslisten, nämlich nach § 28 Abs. 3 BWahlG der 48. Tag vor der Wahl, kann so unter keinen Umständen beibehalten werden. Innerhalb von vier Tagen können keine Entscheidungen in zwei Verfahrensstufen – gegebenenfalls sogar in Bezug auf mehrere Wahlfehler – erwartet und realistischer Weise gefällt werden. Stattdessen folgt aus der Integration des Wahlprüfungsverfahrens in das bestehende Wahlverfahren, dass der letzte Tag für die öffentliche Bekanntmachung der zugelassenen Landeslisten nach hinten und – parallel zum spätesten Datum für den Versand der Wahlbenachrichtigungen – wohl auch auf den 21. Tag vor der Wahl verschoben werden müsste. Selbst bei dieser Verschiebung des letzten Tages für die öffentliche Bekanntmachung der zugelassenen Landeslisten gerät das Wahlprüfungsverfahren jedoch unter nicht zu unterschätzenden Zeitdruck. Für das zweistufige Verfahren stehen nämlich auch dann maximal 31 Tage zur Verfügung, vorausgesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht auf der zweiten Verfahrensstufe erst am letzten Tag entscheidet. Eine Entscheidung am letztmöglichen Tag ist aber mit Blick auf das weitere Wahlverfahren zu spät. Denn im Anschluss an die finale Entscheidung muss die jeweilige Landeswahlleitung die nun final zugelassenen Landeswahlvorschläge öffentlich bekannt machen, sodass dann die Wahlbenachrichtigungen erst am 21. Tag vor der Wahl und damit am letzten möglichen Tag versendet werden. Das Versenden am letzten Tag dürfte sich aber praktisch nicht realisieren lassen, schließlich müssen die im Anschluss an die Wahlbenachrichtigungen im Fall der Briefwahl zu versendenden Wahlunterlagen wie
A. Integration der Wahlprüfung in die bisherigen Fristen des Wahlverfahrens
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die Stimmzettel auch noch fristgemäß gedruckt sowie verschickt werden. Dies lässt sich in so geringer Zeit nicht realisieren: So dauerte zum Beispiel der Druck der ersten Stimmzettel für die Bundestagswahl 2021 im Wahlkreis 129 Münster 14 Tage, sodass im hypothetischen Fall der hier dargestellten Fristenkonstellation die Briefwahlunterlagen erst sieben Tage vor dem eigentlichen Wahltag verschickt werden könnten.2 Damit gerät auch die Möglichkeit der Briefwahl unter erheblichen zeitlichen Druck und wird ihres eigentlichen Anwendungsbereiches – nämlich unter anderem der Gewährleistung einer frühzeitigen Wahl vor dem eigentlichen Wahltag, der Schaffung alternativer Optionen für mobil eingeschränkte Wählerinnen und Wähler und damit letztlich der Förderung einer hohen Wahlbeteiligung – beraubt. Mithin muss das Bundesverfassungsgericht deutlich eher als am 21. Tag vor der Wahl entscheiden, um den weiteren Verfahrensablauf nicht zu gefährden. Werden wie hier 14 Tage für den Stimmzetteldruck benötigt, bleiben von den ursprünglich angesetzten 31 Tagen für das zweistufige Wahlprüfungsverfahren daher nur bis zu 17 Tage übrig. Innerhalb von 17 Tagen ist es auch bei maximalem Einsatz der ausführenden Organe – insbesondere auch im Vergleich zur Nichtanerkennungsbeschwerde als ebenfalls vor der Wahl stattfindendes Rechtsbehelfsverfahren3 – praktisch jedoch nicht möglich, dass ein zweistufiges, gegebenenfalls mit komplexen rechtlichen Fragestellungen behaftetes, Wahlprüfungsverfahren durchgeführt wird. Probleme gibt es aber nicht nur bei der allgemeinen Organisation und sinnvollen zeitlichen Anpassung des Wahlverfahrens, sondern auch bei der praktischen Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens als solchem. Denn die notwendigen Sitzungen des Wahlprüfungsausschusses und des Bundestags für die Wahlprüfung zwischen dem 52. und 21. Tag vor der Wahl, die nur als reguläre Sitzung und nicht als Sondersitzung terminiert werden können,4 liegen im Fall der turnusmäßigen Bundestagswahl im September zur Zeit der parlamentarischen Sommerpause und zudem herrscht Hochphase des Wahlkampfes. Das allein kann aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zur Unmöglichkeit der 2 Auskunft des Wahlamts der Stadt Münster vom 2. Februar 2022 per E-Mail an die Verfasserin; in Städten mit einer höheren Anzahl von Wahlberechtigten und damit mit mehr Wahlkreisen dürfte der Druck der gesamten Anzahl der Wahlunterlagen noch einmal länger dauern. 3 Im Vergleich dazu muss das einstufige Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde nämlich innerhalb von 16 Tagen entschieden werden. Zwar gibt es keine ausdrücklich normierte Frist, jedoch muss die Beschwerde innerhalb von vier Tagen nach der ablehnenden Entscheidung des Bundeswahlausschusses erhoben werden (§ 18 Abs. 4a S. 1 BWahlG, § 96a Abs. 2 BVerfGG), mithin bis zum 75. Tag vor der Bundestagswahl, und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts läuft leer, wenn sie nicht bis zum 59. Tag vor der Wahl getroffen wird (§ 18 Abs. 4a S. 2 BWahlG); näher oben § 4 D. II. 1. 4 Dazu schon oben § 4 C. II. 3.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
Verfahrensdurchführung führen5, dennoch ist das Zusammentreffen von generell kurzen Fristen von 31 beziehungsweise 17 Tagen insgesamt für die Durchführung eines zweistufigen Verfahrens und der faktischen Nichtarbeitsfähigkeit des Bundestags auf erster Ebene des Verfahrens eine ungünstige Konstellation, die es bei der Abwägung der Praktikabilität der Lösung zu berücksichtigen gilt. In Kombination mit den grundsätzlichen organisatorischen Bedenken in Bezug auf die Integration der Wahlprüfung in die Fristen des bestehenden Wahlverfahrens scheidet diese Ausgestaltungsoption damit aus.
B. Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens Stattdessen könnte sich eine (teilweise) Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens anbieten, um Raum für das Wahlprüfungsverfahren zu schaffen. Dabei wird das Wahlprüfungsverfahren in ein zeitlich gestrecktes Wahlverfahren integriert, welches eher beginnen muss als bisher am 97. Tag vor der Wahl mit der Anzeige der Beteiligung an der Wahl bei der Bundeswahlleiterin beziehungsweise beim Bundeswahlleiter durch Parteien, die im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, § 18 Abs. 1 S. 1 BWahlG.6 Das Wahlprüfungsverfahren muss im Anschluss an die bisher letzte Kontrollmöglichkeit der Ablehnung der Landeslisten beginnen und daher auf die Entscheidung des Bundeswahlausschusses über Beschwerden gegen die Zurückweisung oder Zulassung von Landeslisten folgen (bisher am 52. Tag vor der Wahl, § 28 Abs. 2 S. 5 BWahlG).7 5
Ebenfalls oben § 4 C. II. 3. Angedacht werden kann auch die Möglichkeit, dass Fehler bei der Zulassung von Landeslisten ausschließlich im Wahlprüfungsverfahren vor der Wahl und nicht mehr in einem Wahlprüfungsverfahren nach der Wahl gerügt werden können. Hierbei handelt es sich jedoch um eine nicht zwingende Schlussfolgerung aus der Schaffung eines gerichtlichen Rechtsschutzes vor der Wahl, die daher nicht weiter vertieft werden soll. 7 Denkbar wäre natürlich auch eine Streichung der Beschwerdemöglichkeit nach Ablehnung der Landeslisten zum Bundeswahlausschuss. Da diese Arbeit jedoch von dem Verständnis geleitet ist, das bestehende Wahlverfahren möglichst weitreichend beizubehalten und „lediglich“ das Wahlprüfungsverfahren darin zu integrieren, wird diese Möglichkeit hier außer Acht gelassen. Zudem liegt dem Vorschlag dieser Arbeit die regelmäßige Wahlperiode von vier Jahren zugrunde. Im Falle der vorgezogenen Neuwahl des Bundestags gelten selbstverständlich andere Fristen, die mittels Verordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat bekanntgegeben werden. Neuwahlen sind möglich, wenn die Wahl einer Bundeskanzlerin oder eines Bundeskanzlers nicht gelingt, Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG, oder nach einer gescheiterten Vertrauensfrage der Bundeskanzlerin oder des Bundeskanzlers, Art. 68 Abs. 1 6
B. Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens
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I. Vorüberlegungen Begrenzender Faktor der Verlegung der Fristen im Wahlverfahren für die Integration des Wahlprüfungsverfahrens muss faktisch der letztmögliche Zeitpunkt für den Druckauftrag der Stimmzettel sein, um das weitere Wahlverfahren und insbesondere die Durchführung der Briefwahl nicht zu beeinträchtigen und unter zeitlichen Druck zu setzen. Gerade die zahlreichen Unzulänglichkeiten bei der Vorbereitung der Bundestagswahl in Berlin 2021 – beispielsweise fehlende und falsche Stimmzettel, fehlende Wahlkabinen und darauffolgende kurzfristige Schließungen der Wahllokale – haben nachdrücklich gezeigt, dass der praktischen Vorbereitung des Wahltags nach der endgültigen Zulassung von Landeslisten ausreichend Zeit gelassen werden muss. Daher ist es nicht praxisnah, die jetzigen Fristen zu verkürzen. Der letztmögliche Zeitpunkt für den Druckauftrag der Stimmzettel fällt aktuell regelmäßig mit dem Tag der Veröffentlichung der zugelassenen Landeslisten zusammen, mithin auf den 48. Tag vor der Wahl.8 Bis dahin muss das Wahlprüfungsverfahren abgeschlossen sein; alle sich an den 48. Tag vor der Wahl anschließenden Fristen des Wahlverfahrens würden damit beibehalten. Da zwischen dem 52. und 48. Tag vor der Wahl kein zweistufiges Wahlprüfungsverfahren durchgeführt werden kann9, müssen alle Fristen vor dem 48. Tag vorverlegt werden. Ansatzpunkt für diese Vorverlegung der Fristen im Wahlverfahren muss dabei die erste für Parteien zu beachtende Frist innerhalb des Wahlverfahrens sein, also die Anzeige der Beteiligung an der Wahl bei der Bundeswahlleiterin beziehungsweise beim Bundeswahlleiter durch Parteien, die im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren. Diese Frist endet nach § 18 Abs. 1 S. 1 BWahlG bisher am 97. Tag vor der Wahl. Um zu bestimmen, wie weit die Fristen vor den 48. Tag vor der Wahl vorverlegt werden müssen, ist es notwendig, die Dauer des einzufügenden Wahlprüfungsverfahrens zu konkretisieren. In Bezug auf die Entscheidung des Bundestags auf der ersten Ebene des Verfahrens gilt es hierbei zu berücksichtigen, dass es zunächst einer Einspruchsfrist gegen die Entscheidung des BundeswahlausGG. Vorgezogene Neuwahlen fanden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland 1949 erst dreimal (1972, 1983, 2005) jeweils nach einer gescheiterten Vertrauensfrage statt. 8 So die Auskunft des Wahlamtes Münster vom 2. Februar 2022 per E-Mail an die Verfasserin. 9 Diesen Zeitraum zwischen dem 52. und dem 48. Tag vor der Wahl klassifiziert auch A. Koch, ZRP 2011, S. 196 ff. (199) als den richtigen Zeitraum, in dem eine gerichtliche Entscheidung über die Zulassung von Landeslisten getroffen und an dem für weitere Überlegungen der praktischen Ausgestaltung angesetzt werden müsse.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
schusses in Bezug auf die Ablehnung der Landeslisten bedarf. Die bisherige Einspruchsfrist mit einer Dauer von zwei Monaten (§ 2 Abs. 4 S. 1 WahlPrüfG) kann dabei nicht beibehalten werden. Stattdessen sollte vorliegend parallel zur Beschwerdefrist bei der Nichtanerkennungsbeschwerde gemäß § 18 Abs. 4a BWahlG eine Einspruchsfrist von vier Tagen nach der Entscheidung des Bundeswahlausschusses gelten. Diese Beschwerdefrist von vier Tagen auch für den Einspruch beim Bundestag und nicht von nur drei Tagen – wie sie für die Beschwerde gegen die Zulassung oder Ablehnung der Landesliste beim Bundeswahlausschuss nach § 28 Abs. 2 S. 1 BWahlG gilt – soll zur Parallelisierung der Fristen des Wahlprüfungsverfahrens und der Nichtanerkennungsbeschwerde beitragen, da es sich bei beiden Verfahren um gerichtliche beziehungsweise gerichtsähnliche und nicht nur um verwaltungsinterne Kontrollverfahren handelt. Zudem ermöglicht der eine Tag mehr auch eine längere Zeit zur Ausarbeitung des Einspruchs. Im Anschluss an die Einsprüche kann der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags seine Arbeit aufnehmen: Er bestimmt eine Berichterstatterin oder einen Berichterstatter, die beziehungsweise der eine Vorprüfung durchführt (§ 5 Abs. 1, Abs. 2 WahlPrüfG), setzt je nach Bedarf einen Termin zur mündlichen Verhandlung an (§ 5 Abs. 2 S. 2, § 6 WahlPrüfG)10 und führt eine Schlussabstimmung zur Erarbeitung eines Entscheidungsvorschlags zur Vorlage an den Bundestag durch. Im Anschluss daran entscheidet der Bundestag im Plenum über den Entscheidungsvorschlag des Wahlprüfungsausschusses.11 Vorge schlagen wird für diesen Entscheidungsfindungsprozess eine Dauer von 16 Tagen. Das entspricht der Zeit, die das Bundesverfassungsgericht für die Entscheidung einer Nichtanerkennungsbeschwerde im Parallelfall der Nichtanerkennung als politische Partei mindestens hat.12 In Bezug auf die zweite Stufe des Verfahrens, nämlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, erfolgt ebenfalls eine Orientierung an der Frist und der Verfahrensdauer der Nichtanerkennungsbeschwerde; die Beschwerdefrist beträgt daher auch vier Tage nach der Entscheidung des Bundestags und das Bundesverfassungsgericht muss die Wahlprüfung innerhalb von 16 Tagen ent10 Regelmäßig ist eine mündliche Verhandlung nicht notwendig, dazu auch H. H. Klein/ K.-A. Schwarz, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg,), GG, Art. 41 (Januar 2021) Rn. 77 und H. Winkelmann, Wahlprüfungsgesetz, 2012, § 6 Rn. 1. Die bisher geltende Ladungsfrist für Beteiligte an der mündlichen Verhandlung von einer Woche vor dem Termin nach § 6 Abs. 2 WahlPrüfG muss dabei natürlich angepasst werden. 11 Ggf. ist die Zuleitungsfrist des Entscheidungsvorschlags des Wahlprüfungsausschusses von mindestens drei Tagen vor der Sitzung des Bundestagsplenums nach § 12 S. 1 WahlPrüfG ebenfalls anzupassen. 12 So die Konsequenz aus § 18 Abs. 4a S. 2 BWahlG, dazu schon oben § 4 D. II. 1.
B. Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens
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scheiden. Zu berücksichtigen ist auch, dass gegen die Entscheidung des Bundestags die Wahlprüfungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nicht zwingend eingelegt werden muss; es handelt sich – wie auch im bisherigen System der Wahlprüfung – um einen optionalen Schritt. Insgesamt dauert das Verfahren der Wahlprüfung bei Ausnutzung aller Einlegungs- und Entscheidungsfristen sowie Verfahrensstufen maximal 40 Tage. Diese – auf den ersten Blick eher kurz wirkende – Verfahrensdauer steht insbesondere im Einklang mit dem Verhaltenskodex für Wahlen der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission).13 Die Venedig-Kommission ist eine unabhängige Einrichtung des Europarats – überwiegend bezeichnet als Organ „sui generis“14 –, die die Staaten verfassungsrechtlich berät und deren Mitglied auch Deutschland ist. Zwar sind die Gutachten und Empfehlungen der Venedig-Kommission wie der Verhaltenskodex für Wahlen Teil des Soft-Laws und damit grundsätzlich rechtlich unverbindlich,15 allerdings ist die Venedig-Kommission eng verbunden mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und ihre Gutachten und Empfehlungen haben zudem Einfluss auf die Europäische Union.16 Daher verdient der Verhaltenskodex für Wahlen der Kommission auch vorliegend Beachtung. Nr. 95 des erläuternden Berichts des Verhaltenskodexes für Wahlen regelt Folgendes:
13 Verhaltenskodex für Wahlen der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) vom 18./19. Oktober 2002, Mitteilung Nr. 190/2002, abrufbar unter https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=CDL-AD(2002) 023rev2-cor-ger (7. Mai 2023). 14 So W. Hoffmann-Riem, „Soft Law“ und „Soft Instruments“ in der Arbeit der Venedig- Kommission des Europarats, in: M. Bäuerle/P. Dann/A. Wallrabenstein (Hrsg.), Demokratie- Perspektiven, FS Bryde, 2013, S. 595 ff. (598) unter Verweis auf S. Rülke, Venedig-Kommis sion und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2003, S. 33, der den Begriff „sui generis“ jedoch nicht explizit verwendet. Die umstrittene Frage der Rechtsnatur der Venedig-Kommission aufgrund ihrer Gründung mittels eines Teilabkommens des Europarats spielt für die hier erfolgenden Ausführungen keine Rolle, siehe dazu vertiefend S. Rülke, Venedig-Kommission und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2003, S. 33 m. w. N. 15 Näher zur Stellung und den Maßstäben der Venedig-Kommission W. Hoffmann-Riem, „Soft Law“ und „Soft Instruments“ in der Arbeit der Venedig-Kommission des Europarats, in: M. Bäuerle/P. Dann/A. Wallrabenstein (Hrsg.), Demokratie-Perspektiven, FS Bryde, 2013, S. 595 ff. (599 ff.). Zu den Aktivitäten der Venedig-Kommission vertiefend auch S. Rülke, Venedig-Kommission und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2003, S. 47 ff. 16 Zum Verhältnis der Venedig-Kommission zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zur Europäischen Union und zum Europäischen Gerichtshof vertiefend L. Bode- Kirchhoff, Why the road from Luxembourg to Strasbourg leads through Venice: the Venice Commission as a link between the EU and the ECHR, in: K. Dzehtsiarou/T. Konstadinides/ T. Lock/N. O’Meara (Hrsg.), Human Rights Law in Europe, 2014, S. 55 ff.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
„Das Beschwerdeverfahren sollte so kurz wie möglich sein, auf jeden Fall im Hinblick auf die vor der Wahl zu treffenden Entscheidungen. […] Eine Frist von drei bis fünf Tagen in erster Instanz (sowohl für die Beschwerde als auch für das Urteil) erscheint vernünftig bei Entscheidungen, die vor den Wahlen zu treffen sind.“
Mit einer Frist von jeweils vier Tagen für den Einspruch beim Bundestag auf der ersten Verfahrensstufe und für die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht auf der zweiten Verfahrensstufe ist die Empfehlung der Venedig-Kommission genau berücksichtigt worden. Zudem wurde mit 16 Tagen Entscheidungsfrist für die beiden Verfahrensstufen ein im Hinblick auf Nr. 95 des Verhaltenskodexes für Wahlen großzügiger Zeitraum gewählt, in dem auch vergleichbare Fälle der Nichtanerkennungsbeschwerde in Deutschland bisher entschieden werden konnten. Die Fristdauer von vier Tagen (für den Einspruch beziehungsweise die Beschwerde) und von 16 Tagen (für die jeweilige Entscheidung des Bundestags und des Bundesverfassungsgerichts) erscheint für die in Bezug auf die Ablehnung von Landeslisten notwendige Entscheidung vor der Wahl damit passend gewählt.
II. Vorschlag für eine konkrete zeitliche Ausgestaltung Mithin müssen 40 Tage für das Wahlprüfungsverfahren in das Wahlverfahren vor der Veröffentlichung der Landeslisten integriert werden.17 Das bedeutet konkret, dass alle Fristen des Wahlverfahrens bis zur öffentlichen Bekanntmachung der final zugelassenen Landeslisten am 48. Tag vor der Wahl um 40 Tage vorverlegt werden müssen: – Der letzte Tag für die Anzeige der Beteiligung an der Wahl bei der Bundeswahlleiterin oder beim Bundeswahlleiter durch politische Vereinigungen, die im Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren (§ 18 Abs. 1 S. 1 BWahlG), würde vom 97. Tag vor der Wahl auf den 137. Tag vor der Wahl verschoben. – Der letzte Tag für die Feststellung und Bekanntgabe durch den Bundeswahlausschuss, welche Parteien berechtigt sind, Wahlvorschläge zur Bundestagswahl einzureichen (§ 18 Abs. 4 S. 1 BWahlG), wäre anstatt am 79. Tag vor der Wahl am 119. Tag vor der Wahl. – Somit läge der letzte Tag für die Einlegung der Nichtanerkennungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses nunmehr am 115. Tag 17
Eine tabellarische Übersicht zum Vergleich der Termine und Fristen nach der aktuellen Rechtslage und nach dem hier unterbreiteten Vorschlag sowie für die unverändert gebliebenen Termine und Fristen des Wahlverfahrens findet sich im Anhang am Ende der Arbeit.
B. Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens
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vor der Wahl im Gegensatz zum bisherigen 75. Tag vor der Wahl nach § 18 Abs. 4a S. 1 BWahlG. – Landeslisten müssten sodann bis zum 109. Tag vor der Bundestagswahl bei der Landeswahlleitung eingereicht werden (bisher 69. Tag vor der Wahl, § 19 BWahlG). – Das Bundesverfassungsgericht müsste seine Entscheidung in den eingelegten Nichtanerkennungsbeschwerden nicht wie aktuell gemäß § 18 Abs. 4a S. 2 BWahlG bis zum 59. Tag, sondern bis zum 99. Tag vor der Wahl treffen. – Anstelle des 58. Tages vor der Wahl liefe die Frist für die Zurücknahme, Änderung oder Mängelbeseitigung eines Wahlvorschlags sowie für die Entscheidung über die Zulassung der Landeslisten durch die Landeswahlleitungen am 98. Tag vor der Wahl ab (§ 28 Abs. 1 S. 1 BWahlG). – Drei Tage später, also am 95. Tag vor der Wahl anstatt am 55. Tag vor der Wahl, wäre der letzte Tag für die Einlegung von Beschwerden an den Bundeswahlausschuss gegen die Zurückweisung oder Zulassung einer Landes liste (§ 28 Abs. 2 S. 1 BWahlG). – Im Fall, dass keine derartigen Beschwerden an den Bundeswahlausschuss erfolgt sind und dass das sich nun anschließende Kontrollverfahren bestehend aus der Entscheidung des Bundeswahlausschusses und des Wahlprüfungsverfahrens nicht durchgeführt werden muss, wäre der frühste Termin zur Erteilung von Wahlscheinen damit anstelle des 54. Tags vor der Wahl nun mehr der 94. Tag vor der Wahl (Argument aus § 30 Abs. 2 S. 2 BWahlG, § 45 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BWahlO aus dem Normbegriff „zugelassenen“). – Ansonsten wäre eine Entscheidung durch den Bundeswahlausschuss über Beschwerden gegen die Zurückweisung oder Zulassung einer Landesliste bis zum 92. Tag (bisher 52. Tag vor der Wahl, § 28 Abs. 2 S. 5 BWahlG) zu treffen. Anschließen könnte sich nun das Wahlprüfungsverfahren, das sich gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses richtet: – Der Einspruch beim Bundestag müsste binnen vier Tagen, mithin bis zum 88. Tag vor der Wahl, beim Bundestag eingehen. – Eine Entscheidung des Bundestags müsste bis zum 72. Tag vor der Wahl vorliegen; das würde eine Entscheidung – unter Zugrundelegung des regelmäßigen Wahltags zur Bundestagswahl in der zweiten Septemberhälfte18 – Ende Juni beziehungsweise Anfang Juli ermöglichen, also in einem Zeitraum, in 18 In diesem Zeitraum fanden die Bundestagswahlen in den letzten 25 Jahren (1998: 27. September 1998, 2002: 22. September 2002, 2005: 18. September 2005, 2009: 27. September 2009, 2013: 22. September 2013, 2017: 24. September 2017, 2021: 26. September 2021) statt, sodass insofern von einer gängigen Praxis ausgegangen werden kann.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
dem reguläre Sitzungswochen im Bundestag üblich sind.19 Die Mitglieder des Bundestags könnten auch aus praktischer Sicht eine Entscheidung im Wege eines unkomplizierten Prozesses in Wahlprüfungssachen treffen. – Gegen die Entscheidung des Bundestags könnte innerhalb von vier Tagen, also bis zum 68. Tag vor der Wahl, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. – Das Bundesverfassungsgericht wiederum müsste dann bis zum 52. Tag vor der Wahl über die Wahlprüfungsbeschwerden entschieden haben.20 Parallel zur jetzigen Rechtslage bliebe damit bis zum 48. Tag vor der Wahl als dem letzten Tag für die öffentliche Bekanntmachung der zugelassenen Landeswahlvorschläge durch die jeweilige Landeswahlleitung (§ 28 Abs. 3 BWahlG) ein Zeitraum von vier Tagen für die Vorbereitung dieser öffentlichen Bekanntmachung.21 Durch diesen zeitlichen Vorschlag zur Integration des Wahlprüfungsverfahrens in das Wahlverfahren mittels Vorverlegung einzelner Fristen bleibt das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Richtigkeit und Unveränderlichkeit der aufgestellten Landesliste ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffent lichung uneingeschränkt wie bisher bestehen. Eine Abänderung nach dem 48. Tag vor der Wahl ist nicht mehr möglich. Am Wahltag besteht damit maximale Sicherheit darüber, welche Kandidatinnen und Kandidaten mit der Wahl der Landesliste gewählt werden.
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Erforderlich ist daher zumindest in den regulären Wahljahren alle vier Jahre eine vorausschauende Planung der Sitzungswochen des Bundestags, die auch die erste Julihälfte mitberücksichtigt. Dass bisher Sitzungswochen nicht zwingend jährlich Anfang Juli terminiert wurden (so fanden u. a. im Jahr 2021 und 2019 keine Sitzungen des Bundestags im Juli mehr statt), ist lediglich ein faktisches, aber gewiss kein (verfassungs-)rechtliches Hindernis, welches es durch die geforderte vorausschauende Planung der Sitzungswochen in regulären Wahljahren aufzufangen gilt. 20 Hierbei handelt es sich um eine finale Entscheidung. Parallel zum Fall der Nichtanerkennungsbeschwerde – indem ebenfalls über die finale Nichtanerkennung einer Partei zur Wahl entschieden wird und abgelehnte Parteien keine Möglichkeit mehr haben, doch noch zur Wahl zugelassen zu werden – können Parteien, deren Landesliste durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zugelassen worden sind, ihre abgelehnte Landesliste nicht nachbessern bzw. erneut aufstellen und so eine Teilnahme an der Wahl mit einer Landesliste erwirken. 21 Diese „Lücke“ könnte natürlich auch geschlossen werden, indem der letzte Tag für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht am 52. Tag vor der Wahl, sondern erst am 49. Tag vor der Wahl läge. Dann würden sich alle vorhergehenden Fristen ebenfalls um drei Tage nach hinten verschieben. Aufgrund des zugrundeliegenden Verständnisses der Arbeit, das Wahlverfahren mit seinen bisherigen Fristen weitgehend beizubehalten, wird von dieser Möglichkeit hier abgesehen.
B. Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens
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III. Vorschlag für die sonstige verfahrensrechtliche Ausgestaltung Die Integration des Wahlprüfungsverfahrens in das Wahlverfahren und die damit verbundene Verkürzung der Verfahrensdauer des zweistufigen Verfahrens auf maximal 40 Tage führt freilich auch zu Anpassungen der sonstigen Ausgestaltung des Wahlprüfungsverfahrens selbst. Der Einspruchsgegenstand sollte dabei auf der ersten Verfahrensstufe für die Wahlprüfung des Bundestags auf die Entscheidung des Bundeswahlausschusses in Bezug auf die Ablehnung von Landeslisten zur Bundestagswahl als Ausprägung der Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung der Wahl im Sinne von § 1 Abs. 1 WahlPrüfG begrenzt werden. Die Begrenzung auf diesen stets mandatsrelevanten Wahlfehler ist notwendig, um den Bundestag nicht mit einer zu großen Zahl potenzieller Fälle vor der Bundestagswahl zu befassen.22 Das Bundesverfassungsgericht auf der zweiten Verfahrensstufe würde sodann – wie auch in allen anderen Wahlprüfungsverfahren – allein über die Verfassungsmäßigkeit der Entscheidung des Bundestags als Beschwerdegegenstand entscheiden.23 Bisher einspruchsberechtigt für eine Wahlprüfung nach der Wahl ist gemäß § 2 Abs. 2 WahlPrüfG jede oder jeder Wahlberechtigte, jede Gruppe von Wahlberechtigten – worunter nur organisierte Gruppen wie insbesondere politische Parteien verstanden werden 24 – und in amtlicher Eigenschaft jede Landeswahlleiterin beziehungsweise jeder Landeswahlleiter, die Bundeswahlleiterin beziehungsweise der Bundeswahlleiter und die Präsidentin oder der Präsident des Bundestags. Dieser Kreis der Einspruchsberechtigten wäre für eine Wahlprüfung durch den Bundestag vor der Wahl ebenfalls einzuschränken. Insbesondere die Einspruchsberechtigung für jede oder jeden Wahlberechtigten sollte überdacht werden, da ansonsten die Zahl der potenziellen Wahleinsprüche zu groß werden könnte. Die Einspruchsberechtigung für organisierte Gruppen von Wählerinnen und Wählern sowie für die Landeswahlleiterinnen und -leiter, die Bundeswahlleiterin oder den Bundeswahlleiter und die Präsidentin oder den Präsidenten des Bundestags – aufgrund des Zeitpunkts der Wahlprüfung freilich des noch bestehenden Bundestags – bliebe hingegen bestehen. Damit ergibt 22 Dazu schon oben § 1 B.; in diese Richtung auch M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1159). 23 U. a. BVerfGE 146, 327 (345); dazu auch C. Lenz/R. Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 48 Rn. 1. Wie auch sonst üblich, ist eine vorherige Befassung und Entscheidung des Bundestags erforderlich. Die alleinige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ohne Entscheidung des Bundestags ist nicht zulässig, dazu schon früh BVerfGE 14, 154 (155); siehe auch B. Schmidt-Bleibtreu, in: ders./F. Klein/H. Bethge (Hrsg.), BVerfGG, § 48 (März 2006) Rn. 27. 24 K.-H. Seifert, BWahlR, 3. Aufl. 1976, § 2 WahlPrüfG Nr. 3 m. w. N.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
sich ein Unterschied zum Parallelfall der Nichtanerkennungsbeschwerde als vor der Wahl stattfindendes Rechtsbehelfsverfahren, in dem nur die abgelehnte Partei oder Vereinigung nach § 18 Abs. 4a S. 1 BWahlG, § 96a Abs. 1 BVerfGG beschwerdeberechtigt ist. Grund dafür ist, dass das Wahlprüfungsverfahren maßgeblich vom Grundsatz der Mandatsrelevanz geprägt ist und dass Wahlfehler bei der Zulassung von Konkurrentinnen und Konkurrenten immer Auswirkungen auf die Stimmabgabe für alle an der Wahl teilnehmenden Parteien haben und auch stets für die konkurrierenden Parteien mandatsrelevant sind.25 Auch auf der zweiten Verfahrensebene müsste eine Einschränkung der bisher Beschwerdeberechtigten stattfinden: Parallel zur Entscheidung im Bundestag und aus denselben Gründen – nämlich um letztlich die Zahl der Beschwerden überschaubar zu halten – hätten auch hier einzelne Wahlberechtigte keine Beschwerdeberechtigung. Zudem wäre eine Beschwerdeberechtigung für die Abgeordnete beziehungsweise den Abgeordneten, deren beziehungsweise dessen Mitgliedschaft bestritten ist, aus praktischen Gründen schon nicht möglich und daher nicht notwendig. Das liegt daran, dass der Beschwerdegegenstand ausschließlich die Entscheidung des Bundestags in Bezug auf die Ablehnung von Landeslisten und nicht in Bezug auf die Mitgliedschaft einzelner Abgeordneter ist. Vor dem Bundesverfassungsgericht beschwerdeberechtigt wären auf der zweiten Stufe damit aus dem Katalog des § 48 Abs. 1 BVerfGG nur Gruppen von Wahlberechtigten, deren Einspruch vom Bundestag verworfen wurde, sowie Fraktionen oder Minderheiten des Bundestags, die wenigstens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfassen. Wie auch im bisherigen Wahlverfahren wäre eine besondere Einspruchs- (in Bezug auf den Bundestag) oder Beschwerdebefugnis (in Bezug auf das Bundesverfassungsgericht) im Sinne einer subjektiven Betroffenheit nicht erforderlich.26 Die Frist zur Einlegung des Einspruchs beim Bundestag und zur Einlegung der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht würde – wie bereits erörtert – jeweils vier Tage betragen.27 Der Einspruch müsste schriftlich und mit einer Begründung beim Bundestag eingereicht werden, § 2 Abs. 3 WahlPrüfG; die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht würde gemäß § 23 Abs. 1 BVerfGG ebenfalls die Schriftform und eine Begründung erfordern.28 Aufgrund der 25
Ebenso M. Morlok/A. Bäcker, NVwZ 2011, S. 1153 ff. (1159). Statt vieler nur C. Walter, in: ders./B. Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 48 Rn. 21. 27 Dazu schon oben § 7 B. I. 28 Für den Einspruch beim Bundestag auf der ersten Verfahrensstufe muss die Begründung substantiiert sein, also durch glaubhaft gemachte Tatsachen den beachtlichen Wahlfehler erkennen lassen, BVerfGE 40, 11 (30) und aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs statt aller M. Morlok, in: H. Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 41 Rn. 14. 26
C. Zwischenergebnis
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Frist von nur vier Tagen wären jedoch keine allzu hohen materiellen Anforderungen an die jeweilige Begründung zu stellen. Stattdessen sollte sie lediglich eine Entscheidung ermöglichen. Dazu würde es genügen, wenn Argumente vorgetragen würden, die begründen, warum die Landesliste zur Wahl zuzulassen wäre, und die zeigen, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller sich mit der ablehnenden Entscheidung des Bundeswahlausschusses beziehungsweise des Bundestags auseinandergesetzt haben.29 Die Geltendmachung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses wäre wie auch sonst im Wahlprüfungsverfahren nicht erforderlich.30 Aufgrund der Verfahrensdauer von maximal 40 Tagen sind damit auch der Einspruchsgegenstand auf der ersten Verfahrensebene, der Kreis der Einspruchs- beziehungsweise Beschwerdeberechtigten sowie die Anforderungen an die Begründung des Einspruchs beziehungsweise der Beschwerde zu begrenzen. Der grundsätzliche Charakter des zweistufigen Wahlprüfungsverfahrens wird dabei jedoch nicht berührt.
C. Zwischenergebnis Für die praktische Ausgestaltung des Wahlverfahrens vor der Wahl bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an: zum einen die Integration des Wahlprüfungsverfahrens in die bisherigen Fristen des Wahlverfahrens, zum anderen die Vorverlegung von Fristen des Wahlverfahrens, um mehr Zeit für die Durchführung des Wahlprüfungsverfahrens zu gewinnen. Vorzuziehen ist dabei die letztere Option, um nicht notwendigem zeitlichem Entscheidungsdruck des Bundestags und des Bundesverfassungsgerichts vorzubeugen. Folglich sind die Zudem muss die Mandatsrelevanz dargelegt werden, BVerfGE 89, 266 (273) und aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs exemplarisch K. Groh, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 41 Rn. 15. Für die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht auf der zweiten Verfahrensstufe werden grds. ähnliche Begründungserfordernisse wie bei der Verfassungsbeschwerde angesetzt, st. Rspr. u. a. BVerfGE 130, 212 (223) und aus dem verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurs hier nur C. Walter, in: ders./ B. Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 48 Rn. 24, d. h. die Beschwerdeführerin bzw. der Beschwerdeführer muss den Sachverhalt darstellen und sich mit dem ablehnenden Beschluss des Bundestags auseinandersetzen, indem sie bzw. er die Mandatsrelevanz des zur Diskussion stehenden Wahlfehlers darlegt. 29 Ebenso für den Parallelfall der Nichtanerkennungsbeschwerde BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013, 2 BvC 8/13 = BeckRS 2013, 53749 Rn. 11; dazu auch B. Grünewald, in: C. Walter/ders. (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 96a Rn. 15. 30 Exemplarisch nur C. Walter, in: ders./B. Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 14. Ed. 2022, § 48 Rn. 27.
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§ 7 Perspektiven der praktischen Umsetzung
Fristen des Wahlverfahrens ab dem letzten Tag zur Anzeige der Beteiligung an der Wahl bei der Bundeswahlleiterin oder bei dem Bundeswahlleiter durch Parteien, die im Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, bis zum letzten Tag für die Entscheidung des Bundeswahlausschusses über Beschwerden gegen die Zurückweisung oder Zulassung einer Landesliste vorzuziehen, um das Wahlprüfungsverfahren im Anschluss daran beginnen zu lassen. Das Wahlprüfungsverfahren nimmt dabei einen Zeitraum von maximal 40 Tagen ein, der notwendigerweise zu Anpassungen in der Verfahrensausgestaltung führen muss. Diese sind rechtlich und faktisch möglich. Insgesamt kann das Wahlprüfungsverfahren also auch in praktischer Hinsicht für Wahlfehler bei der Zulassung von Landeslisten vor der Wahl durchgeführt werden.
§ 8 Zusammenfassung in Thesen 1. In Abgrenzung zur allgemeinen Ansicht verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel zu verfechten, dass das in Art. 41 GG normierte Wahlprüfungsverfahren nicht allein auf den Zeitpunkt nach der Wahl bezogen ist, sondern eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung nicht ausschließt. Eine andere Frage ist hingegen, ob sie notwendig oder gar zwingend ist. Der Normtext – insbesondere der des Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG – enthält recht wenige Ansatzpunkte für den Zeitpunkt, wenn er die Wahlprüfung lediglich als Sache des Bundestags deklariert. Stattdessen lassen sich bei näherer Auseinandersetzung im Wege der Verfassungsinterpretation zahlreiche Indizien ausmachen, die die Offenheit des Art. 41 GG in Bezug auf den Zeitpunkt der Wahlprüfung stützen. 2. Wahlfehler im Vorfeld der Bundestagswahl sind keine Seltenheit. Besonders gewichtig sind Wahlfehler, die bei der Zulassung von Landeslisten erfolgen, schließlich führt die (teilweise) Nichtzulassung einer Landesliste dazu, dass eine politische Partei im betroffenen Land entweder mit Einschränkungen oder gar nicht mit der Zweitstimme gewählt werden kann. Daher haben verschiedene Institutionen bereits gerichtlichen Rechtsschutz im Vorfeld der Wahl für derartige Wahlfehler gefordert und das Bundesverfassungsgericht hat in einem Ausnahmefall bereits Rechtsschutz vor der Bundestagswahl gewährt (§ 1). 3. Einhellige Auffassung der Rechtsprechung und des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses ist, dass das Wahlprüfungsverfahren erst nach der Wahl angestoßen werden kann. Vorrangiger Grund hierfür soll die Wahrung der termingerechten Durchführung der Wahl sein, die gefährdet wäre, wenn eine Rechtskontrolle vor dem Wahltag eingerichtet würde (§ 2 A.). 4. Zudem sind die Rechtsbehelfe des Wahlrechts und das Wahlprüfungsverfahren nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehende Maßnahmen exklusiv. Andere Rechtsbehelfe verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Art seien ausgeschlossen. Grund sei die besondere Natur des Wahlrechts sowie der beson dere Charakter der Wahl als Massenverfahren. Diese Argumentationslinie wird seit den 1950er Jahren bis heute weitgehend identisch angeführt, obwohl sie nicht stringent entwickelt wurde. Der verfassungsrechtswissen-
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§ 8 Zusammenfassung in Thesen
schaftliche Diskurs hat sich diesen Argumenten teilweise angeschlossen (§ 2 B. I.). 5. Andere Beteiligte des verfassungsrechtswissenschaftlichen Diskurses sehen ein Bedürfnis zur Ermöglichung weitergehender Rechtsschutzmöglichkeiten vor allem in Bezug auf die Verfassungsbeschwerde oder verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Dafür wird insbesondere angeführt, dass das Wahlprüfungsverfahren keine umfassende Exklusivität beanspruchen und die termingerechte Durchführung der Wahl durch vorhandene Filtermechanismen anderer Rechtsbehelfe garantiert werden könne (§ 2 B. II.). 6. Die Wahlprüfung wurde intensiv im Parlamentarischen Rat diskutiert. Kernpunkt der Beratungen war jedoch nicht der Zeitpunkt der Wahlprüfung, sondern stattdessen die zweistufige Verfahrensausgestaltung. Darüber hinaus wurde die Regelung der Wahlprüfung im Grundgesetz bewusst kurz gehalten und sollte nur die grundsätzliche Organisation festschreiben (§ 3 A.). 7. Die Wahlprüfung hat eine lange Tradition in der deutschen Verfassungs geschichte seit der Prüfung der ständischen Vollmachten im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie fand historisch gesehen stets nach der Wahl statt. Grund hierfür ist zum einen, dass die Wahlprüfung ursprünglich als reine Legitimationsprüfung konzipiert wurde, in der es nur um die Prüfung des korrekt zustande gekommenen Abgeordnetenstatus ging. Zum anderen wurde das Wahlprüfungsrecht trotz Wechsels des Wahlsystems vom Mehrheits- zum Verhältniswahlrecht in der Weimarer Republik nicht angepasst (§ 3 B.). 8. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Zeitpunkts des Wahlprüfungsverfahrens ist der Begriff der „Wahlprüfung“ in Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG. Der Bestandteil „Prüfung“ erfordert eine Nachträglichkeit, da nur abgeschlossene Prozesse begutachtet werden können. Nicht zwingend ist aber ein Verständnis als Endprüfung; stattdessen können auch Zwischenprüfungen nach abgeschlossenen Verfahrensschritten oder Phasen erfolgen. Unter einer „Wahl“ werden umfassend nicht nur der Akt der Stimmabgabe, sondern auch alle Vorbereitungs- wie Nachbereitungshandlungen verstanden. Eine Wahl besteht aus mehreren zwar ineinander übergehenden, aber dennoch abtrennbaren Phasen. Eigenständige Prüfungen der verschiedenen Wahlphasen sind daher auch vor der Wahl möglich. Auch das Wahlprüfungsgesetz schließt eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung nicht aus (§ 4 A.). 9. Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG schreibt die Wahlprüfung dem kontinuierlichen Or gan „Bundestag“ zu. Die konkrete Zusammensetzung des Bundestags als ausführendes Organ der Wahlprüfung bestimmt sich dabei nach dem Zeitpunkt, in dem die Wahlprüfung durchgeführt wird. Im Vorfeld der Wahl besteht keine Konkurrenz des alten mit dem neuen Bundestag um die Zuständigkeit
§ 8 Zusammenfassung in Thesen
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in Bezug auf die Wahlprüfung. Zuständig für die Wahlprüfung ist abhängig vom Zeitpunkt ihrer Durchführung immer der Bundestag in seiner aktuell gewählten Zusammensetzung (§ 4 B. I.). 10. Die Wahlprüfung unterfällt der sachlichen und institutionellen Ausprägung des Diskontinuitätsgrundsatzes. In Bezug auf eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung ist der Diskontinuitätsgrundsatz gleichwohl nicht einschlägig, denn eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung ist vor der Wahl bereits abgeschlossen und damit keine Aufgabe, die der neue Bundestag vom alten Bundestag fortführen könnte. Zudem passt der Bezugspunkt des Diskontinuitätsgrundsatzes in Bezug auf eine Wahlprüfung vor der Wahl nicht, denn es geht nicht um das Verhältnis des neu gewählten Parlaments zum alten Parlament, sondern um das Verhältnis des alten Parlaments zum neu zu wählenden Parlament (§ 4 B. II.). 11. Als Indiz zeigt § 26 EuWG dabei zusätzlich, dass es nicht zwingend sein muss, die Wahlprüfung an das Parlament beziehungsweise diejenige Parlamentszusammensetzung zu übertragen, deren ordnungsgemäße Zusammensetzung zur Prüfung steht (§ 4 B. III.). 12. Das Konzept einer funktionsadäquaten Institutionenordnung beruht auf der Prämisse, dass staatliche Entscheidungen von den Organen getroffen werden, die über die besten Voraussetzungen zur konkreten Entscheidungsfindung verfügen. Bei seiner Anwendung ist zu berücksichtigen, dass es sich um ein verfassungstheoretisches Konzept handelt, das im geltenden Ver fassungsrecht nicht vollständig eingehalten wird und dies auch nicht muss (§ 4 C. I.). 13. Der bestehende Bundestag und das Bundesverfassungsgericht sind im Sinne des verfassungstheoretischen Konzepts der funktionsadäquaten Institutionenordnung die richtigen Organe zur Durchführung der Wahlprüfung im Vorfeld der Wahl. Die Wahlprüfung durch den Bundestag ist eine Rechtskontrolle und der Bundestag muss aufgrund der Parlamentsautonomie für die Prüfung seiner Wahlen zuständig sein. Er nimmt die Wahlprüfung als Sache des Volkes und nicht als eigene Angelegenheit vor. Der Einwand der Befangenheit kann insoweit nicht durchschlagen. Auch im Zeitpunkt vor der Wahl ist der Bundestag trotz Wahlkampfes oder Übergangsvorbereitungen sowohl handlungsbefugt als auch arbeitsfähig und damit in der Lage, die Wahlprüfung durchzuführen (§ 4 C. II.). 14. Das Wahlprüfungsverfahren ist das einzig in Betracht kommende Verfahren für eine Überprüfung von Wahlfehlern vor der Wahl. Der durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten Exklusivität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts und des Wahlprüfungsverfahrens ist daher zuzustimmen (§ 4 D.).
212
§ 8 Zusammenfassung in Thesen
a) Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten scheidet zur Überprüfung von Wahlfehlern bei der Listenzulassung aus. Verwaltungsrechtsschutz ist zwar grundsätzlich zulässig, aber letztlich nicht durchführbar. Die Spezialregelung der Wahlprüfung in Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG verdrängt Art. 19 Abs. 4 GG, wonach grundsätzlich der Rechtsweg bei einer Rechtsverletzung offen steht, im Wege praktischer Konkordanz. Zudem weist das Wahlprüfungsverfahren seit dem Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen aus dem Jahr 2012 einen identischen Rechtscharakter im Vergleich zu Art. 19 Abs. 4 GG auf, da beide Verfahren nunmehr subjektive Rechtsverletzungen schützen. § 49 BWahlG, der die Exklusivität einfachgesetzlich normiert, konkretisiert das Institut der Wahlprüfung aus Art. 41 GG in verfassungskonformer Weise (§ 4 D. I. 1.). b) Der zwar vor der Wahl mögliche Rechtsschutz durch die Rechtsbehelfe des Bundeswahlrechts und der Bundeswahlordnung reicht nicht weit genug. Er wirkt bloß verwaltungsintern und wird darüber hinaus regelmäßig durch Gremien getroffen, an deren Besetzung verfassungsrechtliche Zweifel bestehen können (§ 4 D. I. 2.). c) Die 2012 neu eingeführte Nichtanerkennungsbeschwerde wird durch das Bundesverfassungsgericht endgültig im Zeitpunkt vor der Wahl entschieden. Es handelt es sich um einen speziellen Rechtsbehelf in Bezug auf die Entscheidung des Bundeswahlausschusses, eine politische Vereinigung nicht als Partei zur Wahl anzuerkennen. Eine Übertragung des Rechtsbehelfs auf andere Wahlfehler im Vorfeld der Bundestagwahl muss aufgrund der eindeutigen Konzeption als Ausnahmefall unterbleiben (§ 4 D. II. 1.). d) Ein Organstreitverfahren für Wahlfehler in Bezug auf die Landeslistenaufstellung vor der Wahl scheidet aufgrund einer fehlenden Antragsgegnerin beziehungsweise eines fehlenden Antragsgegners aus. Auch eine abstrakte Normenkontrolle ist aufgrund fehlender Antragsberechtigung einer politischen Partei nicht durchführbar; eine politische Mehrheit im Parlament von einem Viertel der Abgeordneten zur Anstrengung einer abstrakten Normenkontrolle dürfte sich in Bezug auf die Ablehnung einer Landesliste regelmäßig nicht ergeben (§ 4 D. II. 2., 3.). e) Gegen die Sanktionierung von Wahlfehlern bei der Listenaufstellung können politische Parteien insbesondere eine Verwaltungsverfassungsbeschwerde einlegen; der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und die Pflicht zur Rechtswegerschöpfung schließen diese wegen der Gefahr eines besonders schweren Nachteils nicht aus. Erfolg haben solche Verfassungsbeschwerden gleichwohl regelmäßig nicht. Ihnen steht entgegen, dass das Rechtsschutzbedürfnis fraglich ist und das
§ 8 Zusammenfassung in Thesen
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Wahlprüfungsverfahren mit der zweiten Verfahrensstufe der Wahlprüfungsbeschwerde umfassender und damit gegenüber der Verfassungs beschwerde vorrangig heranzuziehen ist. Wegen Fristablaufs werden Rechtssatzverfassungsbeschwerden regelmäßig unzulässig sein (§ 4 D. II. 4.). f) Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat im August 2019 mit einer aufsehenerregenden Entscheidung Rechtsschutz im Wege einer Verfassungsbeschwerde im Zeitpunkt vor der Wahl für zulässig erachtet. Die Entscheidung ist aber vor allem methodisch mit Fragen behaftet, da unter anderem die Zulässigkeit von der Begründetheit abhängig gemacht wird und sie maßgeblich von zweckdienlichen statt von rechtlichen Erwägungen geleitet ist. Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht im Vorfeld einer Bundestagswahl hat diese Entscheidung nicht. Denn insbesondere im Bereich der Wahlprüfung ist die Autonomie zwischen Bund und Ländern in Bezug auf Bundes- und Landtagswahlen zu wahren (§ 4 D. III.). 15. Systematisch gesehen ist die Wahlprüfung untrennbar mit dem Demo kratieprinzip des Grundgesetzes aus Art. 20 Abs. 2, 3 GG verbunden. Das Demokratieprinzip fordert dabei nicht zwingend, dass nur abgeschlossene Wahlen Gegenstand der Wahlprüfung sein können. Isolierbare, vor der Wahl abgeschlossene Wahlfehler können auch vor der Wahl schon der Wahlprüfung unterfallen. Das aus dem Demokratiegebot folgende Kriterium der Mandatsrelevanz ist nämlich sowohl vor als auch nach der Wahl nur spekulativ bestimmbar. Zudem kann ein ebenfalls aus dem Demokratiegebot folgender Bestandsschutz im Zeitpunkt vor der Wahl der Wahlprüfung noch nicht entgegenstehen (§ 5 A.). 16. Die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG beziehen sich auf das gesamte Wahlverfahren und sind damit auch schon im Zeitpunkt der Wahlvorbereitung einschlägig. Durch eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung werden die Wahlrechtsgrundsätze der Unmittelbarkeit, der Freiheit und der Gleichheit der Wahl nicht beeinträchtigt und teilweise sogar besser verwirklicht (§ 5 B.). 17. Demokratie und damit auch Wahlen können als ein politischer Wettbewerb verstanden werden. Dieser Wettbewerb basiert auf Art. 20 Abs. 2 GG und wird durch Art. 21 Abs. 1 GG in institutioneller Hinsicht, durch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG in materieller Hinsicht und durch Art. 41 GG in prozessualer Hinsicht garantiert. Der Wahlprüfung aus Art. 41 GG kommt dabei eine Wettbewerbskontrolle insbesondere durch die Korrektur möglicher Beeinträchtigungen zu. Unbegründet sind Befürchtungen, dass der demokratische Wettbewerb durch die Existenz von Kartellparteien, die sich zusam-
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§ 8 Zusammenfassung in Thesen
menschließen und parteiübergreifende Absprachen zu ihren eigenen Gunsten treffen, beeinträchtigt wird (§ 5 C.). 18. Die Wahlprüfung im Sinne von Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG und die Prüfung, ob eine Abgeordnete beziehungsweise ein Abgeordneter des Bundestags ihre beziehungsweise seine Mitgliedschaft verloren hat (Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG), sind voneinander zu trennende Verfahren, die aufgrund ihrer unterschied lichen Zielrichtungen nicht miteinander zu vergleichen sind. Art. 41 Abs. 1 S. 2 GG hat damit keine Auswirkungen auf das Verständnis der Wahlprüfung nach Art. 41 Abs. 1 S. 1 GG (§ 5 D.). 19. Rechtsschutz in Wahlrechtsangelegenheiten ist ein besonders zu schützendes Gut und muss zwingend eingerichtet werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Rechtsschutz effektiv sein muss. Diese Effektivitätskomponente ist in Art. 41 GG selbst angelegt. Effektiv kann der Rechtsschutz in Wahlrechtsangelegenheiten nur sein, wenn er rechtzeitig erfolgt. Daher ist es erforderlich, dass bestimmte Fehler vor der Wahl – wozu die Ablehnung einer Landesliste gehört – auch bereits im Vorfeld der Bundestagswahl rechtlich überprüft werden (§ 5 E. I.). 20. Die Auseinandersetzung mit Regelungen anderer Normsetzerinnen und Normsetzer mit ähnlicher Stoßrichtung kann wichtige Indizien für das systematische Verständnis bieten. § 42a VerfGHG Berlin ist ein Exempel dafür, dass eine vor der Wahl erfolgende Wahlprüfung auch in den engen Fristen des Wahlverfahrens praktisch durchführbar ist. Parallele Regelungen im Arbeitsrecht in Bezug auf die Wahlen von Betriebs-, Delegiertenoder Aufsichtsräten verdeutlichen ebenfalls Möglichkeiten für eine vor der Wahl stattfindende Wahlprüfung. (§ 5 E. II.). 21. Wahlen dienen dazu, den vorherrschenden Willen des Volkes und der Parteimitglieder sowie aktuelle Strömungen im politischen Meinungsspektrum widerzuspiegeln. Daher ist es notwendig, dass der Zeitraum zwischen der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten und dem Wahltag so gering wie möglich gehalten wird (§ 6 A.). 22. Eine Wahlprüfung vor der Wahl verkürzt das Wahlvorschlagsrecht der Parteien aus Art. 21 Abs. 1. S. 1 GG, denn das Fristende zur Einreichung von Landeslisten muss nach vorne verlegt werden. Die praktischen Auswirkungen eines früheren Fristendes zur Einreichung von Landeslisten sind jedoch gering. „Kleinere“ und/oder neue politische Vereinigungen stellen ihre Landeslisten aufgrund des Unterschriftenerfordernisses aus § 27 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BWahlG regelmäßig deutlich vor Fristende auf; ähnliches gilt auch für vom Unterschriftenerfordernis befreite Parteien, die ihre Landeslisten meistens im Rahmen von Delegiertenversammlungen aufstellen. In
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diesem Fall müssen nämlich zunächst die Delegierten gewählt werden, die dann wiederum die Kandidatinnen und Kandidaten wählen (§ 6 B.). 23. Zu jedem Zeitpunkt des Wahlverfahrens sind Unwägbarkeiten unabhängig von Fristen denkbar. Dazu zählen außerparteiliche Ereignisse wie Naturkatastrophen und das menschliche Risiko, zudem auch parteipolitische Ereignisse wie Rücktritte des führenden Parteipersonals (§ 6 C.). 24. Durch die Ermöglichung der Wahlprüfung vor der Wahl müssen politische Vereinigungen eher die Anerkennung als Partei zur Wahl beim Bundeswahlausschuss beantragen. Es verringert sich damit die Möglichkeit insbesondere für neue Gruppierungen, kurz vor der Wahl zu entscheiden, an der Wahl teilnehmen zu wollen. Gleichzeitig bietet eine Vorverlegung der Frist zur Anerkennung als Partei auch die Möglichkeit, dass politische Vereinigungen frühzeitig wissen, ob sie an der Wahl als Partei teilnehmen können (§ 6 D.). 25. Eine Integration der vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung in die bestehenden Fristen des Wahlverfahrens scheidet aus. Das Wahlprüfungsverfahren gerät in einer derartigen Ausgestaltung unter nicht zu unterschätzenden und letztlich nicht notwendigen Zeitdruck. Zudem ist ein zeitlich so angesetztes Wahlprüfungsverfahren in Bezug auf die regelmäßig im September stattfindende Bundestagswahl in der Praxis aufgrund der parlamentarischen Sommerpause schwer durchführbar (§ 7 A.). 26. Praktisch besser umsetzen lässt sich die Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens, um der vor der Wahl stattfindenden Wahlprüfung mehr Zeit zur Durchführung zu geben. Begrenzender Faktor dieser Vorverlegung der Fristen des Wahlverfahrens ist der letztmögliche Zeitpunkt für den Druckauftrag der Stimmzettel am 48. Tag vor der Wahl, bis zu dem das Wahlprüfungsverfahren abgeschlossen sein muss. Die erste vorzuverlegende Frist des Wahlverfahrens ist diejenige, bis zu der politische Vereinigungen ihren Antrag auf Anerkennung als Partei beim Bundeswahlausschuss einreichen müssen; die letzte vorzuverlegende Frist ist der letzte Tag, an dem der Bundeswahlausschuss über Beschwerden gegen die Zulassung oder Ablehnung der Landeslisten entscheidet. Im Anschluss daran folgt das Wahlprüfungsverfahren. Dieses zweistufige Verfahren mit der Entscheidung des Bundestags und des Bundesverfassungsgerichts nimmt einen Zeitraum von maximal 40 Tagen in Anspruch, um die sich die vorherigen Fristen jeweils nach vorne verschieben. Die weitere verfahrensrechtliche Ausgestaltung kann sich am nachträglichen Wahlprüfungsverfahren und der Nichtanerkennungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 13 Nr. 3a, 96a ff. BVerfGG orientieren (§ 7 B.).
Anhang: Tabellarische Übersicht zum Vergleich der Termine und Fristen nach der aktuellen Rechtslage und nach dem in dieser Arbeit unterbreiteten Vorschlag sowie für die unverändert gebliebenen Termine und Fristen des Wahlverfahrens1 Ereignis
Bisheriger VorgeTermin schlagener Termin
Letzter Tag – bis 18:00 Uhr – für die Anzeige der Beteiligung an der Wahl bei der Bundeswahlleiterin beziehungsweise beim Bundeswahlleiter durch Parteien, die im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren
97. Tag vor 137. Tag der Wahl vor der Wahl
Letzter Tag für die Feststellung und Bekanntgabe 1. welche Parteien im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl aufgrund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren 2. welche Vereinigungen, die ihre Beteiligung angezeigt haben, für die Wahl als Parteien durch den Bundeswahlausschuss anzuerkennen sind
79. Tag vor 119. Tag der Wahl vor der Wahl
Letzter Tag für die Einlegung der Beschwerde einer Partei oder Vereinigung beim Bundesverfassungsgericht gegen eine Feststellung des Bundeswahlausschusses, die sie an der Einreichung von Wahlvorschlägen hindert
75. Tag vor 115. Tag der Wahl vor der Wahl
Letzter Tag – bis 18:00 Uhr – für die Einreichung 69. Tag vor 109. Tag 1. der Kreiswahlvorschläge bei der jeweiligen Kreiswahlleitung der Wahl vor der 2. der Landeslisten bei der jeweiligen Landeswahlleitung Wahl 1 Grundlage dieser tabellarischen Übersicht ist die Übersicht der Termine und Fristen, die der Bundeswahlleiter in Bezug auf die Bundestagswahl 2021 zur Verfügung gestellt hat, abrufbar unter https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/termine.html (7. Mai 2023). Der Abdruck und die Nutzung erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Büros des Bundeswahlleiters mittels E-Mail an die Verfasserin vom 5. Mai 2022.
218
Anhang: Tabellarische Übersicht
Ereignis
Bisheriger VorgeTermin schlagener Termin
Letzter Tag bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die vorgenannte Beschwerde
59. Tag vor 99. Tag vor der Wahl der Wahl
1. Fristablauf 58. Tag vor 98. Tag vor a) für die Zurücknahme oder Änderung eines Wahlvorschlags der Wahl der Wahl b) für die Beseitigung von Mängeln des Wahlvorschlags, die seine Gültigkeit nicht berühren 2. Entscheidung über die Zulassung a) für die Zurücknahme oder Änderung eines Wahlvorschlags b) für die Beseitigung von Mängeln des Wahlvorschlags, die seine Gültigkeit nicht berühren Letzter Tag für die Einlegung von Beschwerden 1. an den Landeswahlausschuss gegen die Zurückweisung oder Zulassung eines Kreiswahlvorschlags 2. an den Bundeswahlausschuss gegen die Zurückweisung oder Zulassung einer Landesliste
55. Tag vor 95. Tag vor der Wahl der Wahl
Frühester Termin für die Erteilung von Wahlscheinen
54. Tag vor 94. Tag vor der Wahl der Wahl
Letzter Tag für die Entscheidung 1. des Landeswahlausschusses über Beschwerden gegen die Zurückweisung oder Zulassung eines Kreiswahlvorschlags 2. des Bundeswahlausschusses über Beschwerden gegen die Zurückweisung oder Zulassung einer Landesliste
52. Tag vor 92. Tag vor der Wahl der Wahl
Letzter Tag für die Einlegung eines Wahlprüfungseinspruches gegen die Zurückweisung einer Landesliste beim Bundestag
88. Tag vor der Wahl
Letzter Tag für die Entscheidung des Bundestags über Einsprüche gegen die Zurückweisung einer Landesliste
72. Tag vor der Wahl
Letzter Tag für die Einlegung einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung des Bundestags, eine Landesliste zurückzuweisen
68. Tag vor der Wahl
Letzter Tag bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die vorgenannte Beschwerde
52. Tag vor der Wahl
Letzter Tag für die öffentliche Bekanntmachung 1. der zugelassenen Kreiswahlvorschläge durch die Kreiswahlleiterin beziehungsweise den Kreiswahlleiter 2. der zugelassenen Landeslistenvorschläge durch die Landeswahlleiterin beziehungsweise den Landeswahlleiter
48. Tag vor 48. Tag vor der Wahl der Wahl
Stichtag für die Eintragung aller Wahlberechtigten in das Wahlverzeichnis, die an diesem Tag bei der Meldebehörde gemeldet sind
42. Tag vor 42. Tag vor der Wahl der Wahl
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Anhang: Tabellarische Übersicht Ereignis
Bisheriger VorgeTermin schlagener Termin
Letzter Tag für die 21. Tag vor 21. Tag vor 1. Benachrichtigung der Wahlberechtigten über ihre Eintragung der Wahl der Wahl ins Wahlverzeichnis 2. Stellung eines Antrags auf Eintragung in das Wahlverzeichnis durch Wahlberechtigte, die nur auf Antrag eingetragen werden (Deutsche im Ausland) Möglichkeit der Einsichtnahme in das Wahlverzeichnis und Einspruchsmöglichkeit wegen Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Wahlverzeichnisses
20. bis 16. 20. bis 16. Tag vor der Tag vor der Wahl Wahl
Letzter Tag für die Zustellung der Entscheidung über die Einsprüche gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Wahlverzeichnisses
10. Tag vor 10. Tag vor der Wahl der Wahl
Letzter Tag für die Einreichung der Beschwerde an die Kreiswahlleiterin oder den Kreiswahlleiter gegen die Entscheidung der Gemeindebehörde über Einsprüche gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Wahlverzeichnisse
8. Tag vor der Wahl
8. Tag vor der Wahl
Spätester Termin für die öffentliche Bekanntmachung der Gemeindebehörde über Beginn und Ende der Wahlzeit, Wahlbezirke, Wahlräume, Stimmzettel und Wahlverfahren
6. Tag vor der Wahl
6. Tag vor der Wahl
Letzter Tag für die Entscheidung der Kreiswahlleiterin oder des 4. Tag vor Kreiswahlleiters über Beschwerden gegen die Entscheidung der der Wahl Gemeindebehörde über Einsprüche gegen das Wahlverzeichnis
4. Tag vor der Wahl
Letzter Tag – bis 18:00 Uhr – für die Beantragung von Wahlscheinen
2. Tag vor der Wahl
2. Tag vor der Wahl
1. Stimmabgabe in der Zeit ab 08:00 bis 18:00 Uhr 2. Bis 15:00 Uhr – Beantragung von Wahlscheinen in besonderen Fällen (§ 25 Abs. 2 BWahlO und bei nachgewiesener plötzlicher Erkrankung) 3. 18:00 Uhr spätester Zeitpunkt für den rechtzeitigen Eingang der Wahlbriefe bei der zuständigen Stelle 4. Nach 18:00 Uhr Ermittlung, Feststellung und Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses durch die Bundeswahlleiterin beziehungsweise den Bundeswahlleiter
Wahltag
Wahltag
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Anhang: Tabellarische Übersicht
Ereignis
Bisheriger VorgeTermin schlagener Termin
1. a) Ermittlung und Feststellung des endgültigen Ergebnisses Nach der und der oder des im Wahlkreis Gewählten durch den Wahl Kreiswahlausschuss in öffentlicher Sitzung b) Benachrichtigung der im Wahlkreis Gewählten durch die Kreiswahlleiterinnen und Kreiswahlleiter 2. Ermittlung und Feststellung des Zweitstimmenergebnisses im Land durch den Landeswahlausschuss in öffentlicher Sitzung 3. a) Feststellung des Gesamtergebnisses der Landeslistenwahl und der gewählten Landeslistenbewerberinnen und -bewerber durch den Bundeswahlausschuss in öffentlicher Sitzung b) Benachrichtigung der auf den Landeslisten Gewählten durch die Landeswahlleiterinnen und Landeswahlleiter 4. Öffentliche Bekanntmachung a) des endgültigen Wahlergebnisses im Wahlkreis und des Namens der gewählten Kreiswahlbewerberin oder des gewählten Wahlkreisbewerbers durch die Kreiswahlleiterin oder den Kreiswahlleiter b) des endgültigen Wahlergebnisses im Land und der Namen der im Land gewählten Bewerberinnen und Bewerber durch die Landeswahlleiterin oder den Landeswahlleiter c) des endgültigen Wahlergebnisses im Wahlgebiet, der Verteilung der Sitze auf die Parteien, gegliedert nach Ländern, sowie der im Wahlgebiet gewählten Bewerberinnen und Bewerber durch die Bundeswahlleiterin beziehungsweise den Bundeswahlleiter
Nach der Wahl
Letzter Tag für den Erwerb der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag nach der abschließenden Feststellung des Ergebnisses mit Eröffnung der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestags für die gewählten Bewerberinnen und Bewerber
30. Tag nach der Wahl
30. Tag nach der Wahl
Letzter Tag für die Einspruchsmöglichkeit gegen die Gültigkeit 2 Monate der Wahl beim Deutschen Bundestag durch jede oder jeden nach der Wahlberechtigten, die Landeswahlleiterinnen und Landeswahl- Wahl leiter, die Bundeswahlleiterin beziehungsweise den Bundeswahlleiter und die Präsidentin oder den Präsidenten des Bundestags
2 Monate nach der Wahl
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Stichwortregister Ablehnung von Landeslisten siehe Nichtzulassung von Landeslisten Abstrakte Normenkontrolle 33, 130 f. Aufstellung 5 f., 16 – Kandidatinnen und Kandidaten 185 – Landeslisten 5 f., 19, 141, 160, 185–191 Bestandsschutz der einmal abgegebenen Wählerstimme 161 Bestandsschutz des gewählten Parlaments 156 f. Briefwahl 196 f., 199 Bundestag 78 f., 82–84, 88–94 – Arbeitsfähigkeit 98 – Befangenheit siehe Vorwurf der Entscheidung in eigener Sache – Bundestagswahl 2017 5, 123 – Bundestagswahl 2021 2, 6, 94, 123, 187, 189 f., 197, 199 – Diskontinuitätsgrundsatz 79–81 – Ende der Wahlperiode 78 – Handlungsbefugnis 98 – Parlamentarische Sommerpause 97 f., 197 – Parlamentsautonomie 92 f., 110 – Sondersitzungen 98–100, 197 – Sperrklausel 162 – Vorwurf der Entscheidung in eigener Sache 90–94 – Wahlfehler 4 – Wahlprüfungsausschuss 9, 81, 89, 99, 200 – Zusammentritt 78 – Zuständigkeit für die Wahlprüfung der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament 82 Bundestagswahl 2021 2, 6, 94, 123, 187, 189 f., 197, 199
Bundesverfassungsgericht 11 f., 25, 28–41, 82, 95 f., 121 – Arbeitsbelastung siehe Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungs gerichts – Exklusivität des Wahlprüfungsverfahrens 28–41 – Verhältnis zu den Landesverfassungs gerichten 148–151 – Zeitpunkt des Wahlprüfungsverfahrens 1, 25 Bundesverwaltungsgericht 26, 48, 113 Bundeswahlausschuss 18, 99, 114–116, 120 f., 126, 193 – Besetzung 115 – Bundeswahlleiterin/Bundeswahl leiter 115 f. Bundeswahlgesetz 114, 120 – Mängelbeseitigungsverfahren 114 – Nichtzulassung einer Landesliste 114 – Nichtzulassung eines Kreiswahlvorschlags 114 Bundeswahlleiterin/Bundeswahlleiter 115 f. Bundeswahlordnung 114, 120 Certiorariverfahren siehe Vorprüfungs verfahren Chancengleichheit der Parteien 17, 20, 107, 129, 133, 191 Demokratieprinzip 39, 133, 155–157, 166, 186, 193 – Bestandsschutz des gewählten Parlaments 156 f. – Gebot des geringstmöglichen Eingriffs 156
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Stichwortregister
– Gewährleistung der nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler richtigen Zusammensetzung des gewählten Parlaments 155 Direktwahlakt 82 Diskontinuitätsgrundsatz 79–81 – institutionell 80 – sachlich 80 Effektiver Rechtsschutz 51, 104, 134, 144, 173–182 – Rechtzeitigkeit 175 – Wahlanfechtung für Betriebsrats-, Delegierten- und Aufsichtsratswahlen 181 f. – Wahl zum Berliner Senat 178–180 Einheit der Verfassung 100 Einspruchsfrist 76, 200, 206 Europäische Kommission für Demokratie durch Recht 201 Europäisches Parlament 82 f. Exklusivität 28–49, 100–151 – Fehlen einer eigenständigen Positionierung 48 f. – Grenzen 32 – Kritik 45–47 – Rechtsprechungsbegründung 33–42 – Rezeption 42–44 – Verwaltungsrechtsschutz 101–113 Funktionsadäquate Institutionen ordnung 84–87 – Gewaltenteilung 85 – Kritik 86 Gebot des geringstmöglichen Eingriffs 156 Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland 82 f. Gesetz zur Verbesserung des Rechts schutzes in Wahlsachen 9, 12, 31, 110 f., 119, 138, 147, 174 Gewährleistung der nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler richtigen Zusammensetzung des gewählten Parlaments 155 Gewaltenteilung 39, 85 f. – Durchbrechung 86
– Verschränkung 86 Gültigkeit der Wahl 46, 67 f., 72–74 Kartellparteien 118, 168–171 – Einfluss der Medien 171 – Entwicklung 169 – Kritik 170 Kleinst- und Splitterparteien 125, 131, 192–194 Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts 11 Kreiswahlausschuss 115 f. Kreiswahlleiterin/Kreiswahlleiter 115 f. Landesliste 4–7, 18, 74, 99, 108, 126 f., 136, 157, 162 f., 167, 177, 191, 195 – Ablehnung siehe Nichtzulassung – Aufstellung 5 f., 16, 19, 141, 160, 185–191 – Delegiertenversammlung 190 – Fristen 186–188 – Landtagswahl 2019 in Sachsen 5, 141–145, 148 – Nichtzulassung 4, 7, 18, 74, 99, 108, 114, 126, 136, 157, 162, 167, 176 f., 195, 203 – Veröffentlichung 196 – Zurückweisung siehe Nichtzulassung Landeswahlausschuss 114–116, 129 – Berlin 5 – Besetzung 115 – Landeswahlleiterin/Landeswahl leiter 115 f. – Saarland 6 – Sachsen 5, 141, 151 Landeswahlleiterin/Landeswahlleiter 115 f. Landtagswahl 2019 in Sachsen 5, 141–145, 148 Legitimationsprüfung 55–59, 65 Mandatsprüfung siehe Prüfung des Abgeordnetenstatus Mandatsrelevanz 73 f., 109, 111, 147, 157, 206 Mängelbeseitigungsverfahren 114 Nichtanerkennung als Partei 10 f., 17, 102, 121, 126
Stichwortregister Nichtanerkennungsbeschwerde 9, 11, 13, 17, 102, 121–128, 177, 192, 202 – Entscheidungsfrist 122 – Verbesserung des Rechtsschutzes 123–126 – Verfahrensgegenstand 122, 126–128 Nichtzulassung eines Kreiswahlvorschlags 114 Nichtzulassung von Landeslisten 4, 7, 18, 74, 99, 108, 114, 126, 136, 157, 162, 167, 176 f., 195 – Landtagswahl 2019 in Sachsen 5, 141–145, 148 Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 7–10 Organstreitverfahren 12, 33, 129 f., 133 OSZE siehe Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Parlamentarischer Rat 53 f. Parlamentarische Sommerpause 97 f., 197 – faktische Einordnung 98 – rechtliche Einordnung 97 Parlamentsautonomie 92 f., 110 Parteien 15–17, 101, 193 – abstrakte Normenkontrolle 131 – Beteiligungsanzeige 199 – Chancengleichheit 17, 20, 107, 129, 133, 191 – Grundrechtsträger 107, 133 – Kartellbildung 118, 168–171 – Nichtanerkennung 10 f., 102, 121, 124, 126 f. – Organstreitverfahren 129 – Rolle 15 – Unterschriftensammlung 12, 189 – Verfahrensbeteiligung vor dem Verwaltungsgericht 101 – Verfassungsbeschwerde 132–134 – Wahlfehler 17 f., 102, 108, 126, 136, 167 – Wahlvorschlagsrecht 188, 192 Paulskirchenverfassung 58 Praktische Konkordanz 108 f. Prüfung – Definition 69 – des Abgeordnetenstatus 172 – Nachträglichkeit 70
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Rechtmäßigkeit der Wahl 72 f. Rechtsweggarantie 31, 41, 107 Reichsverfassung von 1871 59 Sondersitzungen 99 f., 197 Sperrklauseln 162 Spezialität der Rechtsbehelfe des Wahlrechts siehe Exklusivität Umsetzung, praktische – Integration in die bisherigen Fristen 195–197 – Vorverlegung der Fristen 198–207 Unterschriftensammlung 12, 189 Venedig-Kommission siehe Europäische Kommission für Demokratie durch Recht Vereinigungen, politische 124, 131, 188, 192 f. Verfassungsbeschwerde 32, 51, 132–151 – Annahmeentscheidung 136 – einstweilige Anordnung 134 – Rechtssatzverfassungsbeschwerde 140 – Rechtsschutzbedürfnis 137 – Rechtswegerschöpfung 135 – Subsidiarität 135 – Verhältnis zur Wahlprüfungsbeschwerde 32, 138 – Verwaltungsverfassungsbeschwerde 134–139 Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen 5, 141–148 – Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde in Wahlangelegenheiten 142–148 Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin 2, 179 Verfassungsinterpretation 21 Verfassungstheorie 84–87 Verhältnis Bundesverfassungsgericht und Landesverfassungsgerichte 148–151 Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen 38 Verwaltungsgerichtsbarkeit 26, 48, 106 Verwaltungsrechtsschutz 101–113 – allgemeine Leistungsklage 102 – Anfechtungsklage 102 – Einfluss von § 49 BWahlG 112
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Stichwortregister
– Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs 105, 112 – Feststellungsklage 102 – Hauptsacheverfahren 103 – Rechtsbehelfe 101 f. – Rechtsmittel 113 – Rechtsschutzbedürfnis 106 – Verpflichtungsklage 102 – Vollstreckbarkeit 103 f. – vorläufiger Rechtsschutz 103 f. – Widerspruchsverfahren 103 Vorprüfungsverfahren 35, 39 Wahl – Definition 70 – Phasen 70 Wahlanfechtung für Betriebsrats-, Delegierten- und Aufsichtsratswahlen 181 f. Wahlausschüsse 102, 115–120, 129 – Beisitzerinnen und Beisitzer 117 – Besetzung 115–118 – Bundeswahlausschuss 99, 115, 120 f., 126, 193 – Entscheidungsfindung 119 – Entscheidungswirkung 120 – Kreiswahlausschuss 115 f. – Landeswahlausschuss 5 f., 114–116, 129, 151 Wahlbewertungsmission 7–10 Wahlfehler 1, 4, 11 f., 17, 73, 126, 129, 146 f. – Ablehnung von Landeslisten siehe Nichtzulassung von Landeslisten – Nichtanerkennung 10, 17, 102, 121, 126 – Nichtzulassung von Landeslisten 4, 7, 17 f., 74, 99, 102, 108, 126, 136, 157, 162, 176 – Zurückweisung von Landeslisten siehe Nichtzulassung von Landeslisten Wahlkampf 98, 193, 197 Wahlprüfungsausschuss 9, 81, 89, 99, 200 Wahlprüfungsgesetz 67, 71–76 – Gültigkeit 67, 72–74 – Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl 67, 74 f. Wahlprüfungsverfahren – als prozessuale Wettbewerbsgarantie 167
– Befangenheit siehe Vorwurf der Entscheidung in eigener Sache – Begriff der Wahlprüfung 68–70 – Beschwerdeberechtigung 95, 206 – Beschwerdefrist 96, 200, 206 – Beschwerdegegenstand 96, 205 f. – Bundestag 78 f., 82–94 – Einspruchsberechtigung 88, 171, 205 – Einspruchsfrist 76, 200, 206 – Einspruchsgegenstand 89, 205 – Exklusivität 28–41, 100–151 – Gültigkeit 46, 67 f., 72–74 – Mandatsrelevanz 73 f., 109, 111, 147, 157, 206 – Praktische Umsetzung vor der Wahl 195–207 – Prüfung 69 f. – Prüfung des Abgeordnetenstatus 172 – Prüfungsumfang 89, 96 – Rechtsprechungsbegründung 33–42 – subjektiver Rechtsschutz 10, 110, 138, 147, 174 – Verfahren im Bundestag 88 f. – Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 95 f. – Verhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG 31, 41, 44, 107–110 – Verhältnis zum Organstreitverfahren 33, 129 f. – Verhältnis zur abstrakten Normen kontrolle 33, 130 f. – Verhältnis zur Nichtanerkennungs beschwerde 121–128 – Verhältnis zur Verfassungsbeschwerde 32, 35 f., 132–140 – Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl 67, 74 f. – Verwaltungsgerichtsbarkeit 26, 48 – Vorwurf der Entscheidung in eigener Sache 90–94 – Wahl als Prüfungsobjekt 70 – Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament 82 – Wahlprüfungsausschuss 9, 81, 89, 99, 200 – Zeitpunkt 1, 25–27, 50 – Zweistufigkeit 53, 88, 97, 108, 110, 113
Stichwortregister Wahlrecht 3, 7, 101 – aktiv 101 f., 111 – Mehrheitswahlrecht 60, 63 – passiv 101, 109 – Sachsen 151 – Verhältniswahlrecht 62 f. Wahlrechtsgrundsätze 133, 158–163, 166 – Freiheit 160 f. – Gleichheit 161–163 – Unmittelbarkeit 159 f. Wahlvorschlagsrecht 188, 192 Wahlwiederholung 161, 163
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Weimarer Reichsverfassung 53, 60–64 – demokratiefeindliche Grundhaltung 64 – Wahlprüfungsgericht 60–62 Wettbewerb, demokratischer 164–168 – Begriff 164 – institutionelle Garantie 166 – materielle Garantie 166 – prozessuale Garantie 167 Zurückweisung von Landeslisten siehe Nichtzulassung von Landeslisten