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German Pages 434 [440] Year 1958
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M A X PLANCK
Vorträge und Reden Aus Anlaß seines 100. Geburtstages (23. April 1958) herausgegeben von der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. in Gemeinschaft mit dem Verband Deutscher Physikalischer Gesellschaften
FRIEDR. VIEWEG & SOHN • BRAUNSCHWEIG 1958
Das Original zu dem beigegebenen Faksimile befindet sich im Archiv der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Abschn. II / III a, Bd. 21, Fol. 100 (Personalien der ordentl. Mitglieder. 1920)
Alle Rechte vorbehalten Reproduktionsarbeiten: Carl Schütte & C. Behling, Berlin Druck: W. Greve GmbH., Berlin • Bindearbeiten: Wübben & Co., Berlin Bild Max Planck: Foto-Atelier Tita Binz
VORWORT Neben der Gesamtausgabe der Physikalischen Abhandlungen und Vorträge Max Plancks, welche drei Bände umfaßt und sich an die Fachgenossen wendet, soll der vorliegende Band, dessen Inhalt sich mit Band III der Gesamtausgabe deckt, den Mann in seinen wissenschaftlichen Anschauungen sowohl wie als Persönlichkeit darstellen. Die Max-Planck-Gesellschaft möchte insbesondere ihren Mitgliedern diese Ausgabe zur Einnerung an den großen Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, ihrer Vorgängerin, überreichen. Der Inhalt gliedert sich in drei Teile. Der erste (Nr. 1—20) enthält populäre Vorträge und ähnliche Veröffentlichungen über Grundsätzliches aus der Physik, darunter z. B. den 1920 in Stockholm gehaltenen Nobelvortrag. Planck hat sich viel Mühe gegeben, seine Wissenschaft fruchtbar zu machen für die allgemeine Geistesentwidclung des deutschen Vblkes, und damit der Menschheit überhaupt. Der zweite Teil (Nr. 21—35) beschäftigt sich mit zeitgenössischen Physikern. Er bringt Gratulationen zu Jubiläen, Nachrufe und ähnliches. Dabei fällt manches Licht auf die Geschichte der Physik, aber auch auf Plancks große und liebenswerte Persönlichkeit. So haben diese Ausführungen für den Leser doppeltes Interesse. Der dritte Teil bringt unter den Nummern 36, 37, 38, 39 Veröffentlichungen, die nicht oder nur zum Teil von Planck selbst stammen. Plancks Größe ist nicht ohne Tragik. Sein wissenschaftliches Ideal war verkörpert in Hermann von Helmholtz, diesem Klassiker der exakten Wissenschaften, den er über alles verehrte. Diesem und seinen Zeitgenossen schien das Ziel eines in sich geschlossenen, logisch vollendeten Weltbildes zum Greifen nahe zu sein. Planck selbst begann ganz in deren Fußstapfen, konnte aber doch kein Klassiker werden, weil ja gerade er die Grenzen dieser klassischen Physik entdeckte und dadurch einen bisher noch ungeschlossenen Riß in das physikalische Weltbild brachte. Planck hat darunter gelitten, wenngleich er über dieses Leid ebenso selten sprach, wie über die Schicksalsschläge, an denen es im langen Laufe seines Lebens keineswegs fehlte. Aber wer seine Arbeiten seit 1897 oder die Vorträge dieses Bandes mit Verständnis liest, bekommt doch wohl manchen Einblick in das schwere Ringen in seiner Seele. Gerade in diesem Ringen offenbart sich so recht seine Größe. Max von Laue Berlin, im Dezember 1957
INHALTSVERZEICHNIS 1. Teil 1 Antrittsrede, gehalten am 28. Juni 1894 zur Aufnahme in die Akademie.
1—5
2 Die Einheit des physikalischen Weltbildes.
6 — 29
S.-B. Preuß. Akad. W i s s . , S. 641-644, 1894 entnommen aus: Max Planck in seinen Akademieanspradien, Berlin, AkademieVerlag, 1948 Vortrag gehalten 9. 12. 1908 in Leiden Phys. Zeitsdlr. 10, S. 62-75, 1909 Leipzig, S. Hirzel, 1909
3 Die Stellung der neueren Physik zur medianischen Naturanschauung.
30 — 46
4 Energie et température.
47 — 53
5 Über neuere thermodynamische Theorien (Nernstsches Wärmetheorem und Quantenhypothese).
54 — 64
6 Neue Bahnen der physikalischen Erkenntnis.
65 — 76
7 Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit.
77 — 90
8 Das Prinzip der kleinsten Wirkung.
91 — 101
Vortrag gehalten am 23. 9. 1910 in Königsberg Phys. Zeischr. 11, S . 922-932, 1910 Naturw. Rundsdl. 25, S. 521-525, 533-530, 1910 Verh. Ges. dtsdi. Naturforscher u. Ärzte " Inf Königsberg 1910, 1, S . 58—75, 1911, Leipzig, S. Hirzel, 1910 Vortrag gehalten auf der Ostertagung der franz. Phys. Gesellschaft in Paris am 21. 4. 1911 Phys. Zeitsdlr. 12, S. 681-687, 1911 Journ. de phys. (5) 1, S. 345-359, 1911
Phys. Zeitsdir. 13, S. 165-175, 1912 Ber. d. dtsdi. diem. Ges. 45, S. 5 - 2 3 , 1912 Leipzig Akad. Verlagsges., 1912
Rede in der Berliner Universität anläßlich der Übernahme des Rektorats am 15. 10. 1913 Berlin, Norddt. Buchdr. 1913, Leipzig, J . A. Barth, 1914 Engl. Übers.: Phil. Mag. (6) 28, S. 60-71, 1914 Rede in der Berliner Universität am 3. 8.1914 Leipzig, J . A. Barth, 1914
Die Kultur der Gegenwart T. 3, Abt. 3 Bd. 1, S. 692-702 Leipzig, B. G. Teubner, 1914
9 Das Verhältnis der Theorien zueinander.
Die Kultur der Gegenwart T . 3, Abt. 3. Bd. 1, S. 714-731 Leipzig, B. G. Teubner, 1914
102 — 107
10 Das Wesen des Lichts.
108-120
11 Die Entstehung und bisherige Entwicklung der Quantentheorie. Nobel-Vortrag (mit Lebenslauf).
121 — 136
12 Eröffnungsrede zur Hundertjahrfeier der Ges. Dtsch. Naturforscher und Ärzte in Leipzig am 18. 9.1922.
137 — 144
Vortrag gehalten in der Hauptvers. d. Kaiser-Wilhelm Gesellschaft am 28. 10. 1919 Naturw. 7, S. 903-909, 1919; Berlin, Springer, 1920
Gehalten vor der königl. Schwed. Akad. d. Wiss. zu Stockholm am 2. 6. 1920 Leipzig, J. A. Barth, 1920 Engl. Ubers. New York, Oxfort Univ. Press, 1920; London, Milford, 1922
Verh. d. Ges. dtsdi. Naturf. u. Ärzte 87, S. 1 - 9 , 1923
VI 13 Vom Relativen zum Absoluten.
145 — 158
14 Physikalische Gesetzlichkeit im Lichte neuerer Forschung.
159 — 171
15 Aus der neuen Physik.
172 — 178
16 Zwanzig Jahre Arbeit am physikalischen Weltbild.
179 — 208
17 Theoretische Physik.
209-218
Gastvorlesung an der Universität München 1 . 1 2 . 1 9 2 4 Naturwiss. 13, S. 52-59, 1925 • S. Hirzel, Leipzig, 1925 Naturwiss. 14, S. 249-261, 1926 Leipzig, J. A. Barth, 1926
Vortrag gehalten in der Kundgebung der Notgemeinschaft der dtsch. Wissensch. in Dresden am 2. 12. 1928 Deutsche Forschung, Heft 7, S. 5 - 1 1 , 1929 Zeitschrift V D I 73, S. 353-355, 1929 Zeitsdlr. f. angew. Chemie 42, 5. 84, 1929 Vortrag gehalten am 18. 2. 1929 an der Universität Leiden Physica 9, S. 193-222, 1929
Aus 50 Jahren dtsch. Wissensch. Berlin de Gruyter, 1930
(Schmidt-Ott-Festschrift), S. 300-309,
18 Der Kausalbegriff in der Physik.
219-239
19 Ursprung und Auswirkung wissenschaftlicher Ideen.
240—254
20 Zur Geschichte der Auffindung des physikalischen Wirkungsquantums.
255 — 267
Leipzig, J . A. Barth, 1932 Engl. Ubers. Proc. Phys. Soc. 44, S. 529-539, 1932
Vortrag gehalten im VDI Berlin am 17. 2. 1933 Zeitschr. VDI 77, S. 185-190, 1933
Naturw. 31, S. 153-159, 1943
2. Teil 21 Heinrich Rudolf Hertz.
268-288
22 Paul Drude.
289-320
23 Helmholtz's Leistungen auf dem Gebiete der theoretischen Physik
321 — 323
24 Wilhelm von Bezold.
324-326
25 Erwiderung auf die Ansprachen vom 26. April 1918 zu Max Plancks 60. Geburtstag in der Dtsch. Phys. Ges.
327 — 330
26 Heinrich Rubens.
331-339
27 Dankworte bei der Verleihung der Lorentz-Medaille am 28. 5.1927.
340—342
28 Hendrik Antoon Lorentz.
343—349
29 Max von Laue zum 9. Oktober 1929.
350 — 351
30 James Clerk Maxwell in seiner Bedeutung für die theoretische Physik-in Deutschland.
352 — 357
Rede zu Leipzig, Naturw. Verh. d.
seinem Gedächtnis am 16. 2. 1894. J. A. Barth, 1894 Rundschau 9, S. 170, 1894 Phys. Ges., Berlin 13, S. 9 - 2 9 , 1894
Gedächtnisrede gehalten am 30. 11. 1906 Verh. d. Dtsch. Phys. Ges. 8, S. 599-630, 1906 Allg. dtsch. Biographie 51, S. 470-472, 1906
Verh. d. Deutsch. Phys. Ges. 9, S. 91-93, 1907
Karlsruhe i. B. C. F. Müller, S. 31-36, 1918
Gedächtnisrede gehalten am 28. 6. 1923 S.-B. Preufi. Akad. Wiss., S. C V I I I - C X I I I , 1923 entnommen aus: Max Planck in seinen Akademieansprachen. Berlin, Akademie-Verlag, 1948
Kon. nederl. Akad. Wetensch. Versl. afd. nat., S. 536-538, 1927
Gedächtnisrede gehalten am 29. 6. 1928 Naturwiss. 16, S. 549-555, 1928 Naturwiss. 17, S. 787-788, 1929
Naturwiss. 19, S. 889-894, 1931
VII 31 Persönliche Erinnerungen.
358-363
32 Zum 25jährigen Jubiläum der von W. Friedrich, P. Knipping und Max von Laue gemachten Entdeckung.
364 — 367
33 Arnold Sommerfeld zum 70. Geburtstag.
368 — 371
34 Max von Laue zum 9. Oktober 1939.
372-373
35 Wissenschaftliche Selbstbiographie.
374 — 401
Vortrag gehalten in der Festsitzung zur Feier des 90 jährigen Bestehens der Phys. Ges. zu Berlin. Verh. d. Deutsch. Phys. Ges. (3) 16, S. 11-16, 1935 Nnturw. 33, S. 230-235, 1946
Verh. d. Deutsd». Phys. Ges. (3) 18, S. 77-80, 1937
Naturwiss. 26, S. 777-779, 1938
Naturwiss. 27, S. 665-666, 1939
Leipzig, J . A. Barth, S. 7 - 3 4 , 1948
3. Teil 36 Zum 80. Geburtstag von Max Planck.
402-416
37 Traueransprache gehalten von Max von Laue.
417-420
38 Einige persönliche Erinnerungen an Max Planck.
421-423
39 Max Plancks Lebenswerk.
424-426
Einige Reden und Erwiderungen Verh. d. Dtsdi. Phys. Ges. (3) 19, S . 57-67, 73-76, 1938 Leipzig, J . A. Barth, S. 3 - 6 , 1948
Rundfunkansprache von Otto Hahn anläßlich des 10. Todestages von M a x Planck Rundfunkansprache gehalten von Max von Laue anläßlich des 10. Todestages von M a x Plandc
Die Arbeiten Nr. 2 , 3 , 6 , 7 , 8 , 9 , 1 0 , 1 1 , 1 3 , 1 9 und 20 wurden entnommen aus: M a x Planck, Vorträge und Erinnerungen, Stuttgart, 5. Hirzel, 1949.
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QUELLENHINWEIS Die nachstehend genannten Verlage gestatteten Nachdrucke, wofür ihnen auch an dieser Stelle gedankt wird: Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig, Leipzig für Beitrag 5 Johann Ambrosius Barth, Leipzig für Beitrag 6, 7, 11, 18, 21, 35 S. Hirzel Verlag, Leipzig für Beitrag 2, 3, 13 B. G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig für Beitrag 8, 9
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Antrittsrede zur Aufnahme in die Akademie vom 28. Juni 1894 In die E m p f i n d u n g der F r e u d e u n d des D a n k e s , die mir das B e w u ß t s e i n der h o h e n E h r e e r w e c k t , der A k a d e m i e der Wissens c h a f t e n f o r t a n als Mitglied a n g e h ö r e n zu d ü r f e n , mischt sich «in G e f ü h l t i e f e r W e h m u t , w e n n ich des t e u r e n , auch dieser V e r s a m m l u n g viel zu f r ü h entrissenen Mannes g e d e n k e , welcher v o r n u n f ü n f J a h r e n an eben d e m Feste, das wir h e u t e b e g e h e n , in seinen A n t r i t t s w o r t e n von dieser Stelle aus den gegenwärtigen S t a n d u n d die n ä c h s t e n A u f g a b e n d e r E x p e r i m e n t a l p h y s i k geschildert h a t . Mich h a b e n theoretische
Neigung u n d
Forschung
Fähigkeiten
gewiesen,
das
von j e h e r einzige
auf
die
Gebiet,
auf
welchem ich auch in Z u k u n f t Nützliches zu w i r k e n h o f f e n k a n n . D e m t h e o r e t i s c h e n P h y s i k e r sind in der G e g e n w a r t
ungleich
s c h w e r e r e A u f g a b e n gestellt als noch vor einem M e n s c h e n a l t e r . D a m a l s gab es f ü r jeden, der in der e x a k t e n N a t u r w i s s e n s c h a f t n a c h großen, e i n f a c h e n G e d a n k e n , nach einer zusammenfassend e n N a t u r a n s c h a u u n g suchte, n u r ein einziges fest b e s t i m m t e s , d u r c h das eben e n t d e c k t e E n e r g i e p r i n z i p zum e r s t e n m a l als err e i c h b a r hingestelltes Ziel: die Z u r ü c k f ü h r u n g aller N a t u r v o r gänge auf Mechanik.
Viele reiche E r f o l g e h a t diese
Losung
b e r e i t s d e r Wissenschaft eingetragen, u n d wenn auch die k ü h n e H o f f n u n g , daß es gelingen w e r d e , jede einzelne Molekel oder gar jedes A t o m auf seinen B a h n e n messend zu v e r f o l g e n , sich nicht v e r w i r k l i c h e n k o n n t e , so h a t doch in dem regellosen Gewirr der schon in den kleinsten w a h r n e h m b a r e n nach Billionen
zählenden Molekeln
wertvolle u n d u n e r w a r t e t e
die statistische
Aufschlüsse ü b e r
hang m a n c h e r bis dahin u n v e r m i t t e l t
Gasräumen Methode
den Zusammen-
nebeneinanderstehenden
T a t s a c h e n geliefert. H e u t z u t a g e ist in diesem d i r e k t nach dem höchsten Ziel ge-
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richteten Streben ein Stillstand, eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Stellt schon die mathematische Analyse dem weiteren Vordringen in so verwickelte Bewegungsarten zum Teil unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, so ist dafür hauptsächlich doch noch eine tieferliegende Ursache vorhanden. Nicht als ob sich irgendein Umstand gezeigt hätte, welcher die Lösbarkeit des Problems der Zurückführung auf Mechanik in einem Punkte in Frage stellte, etwa dadurch, daß die Begriffe der Mechanik nicht ausreichten, um die ganze bunte Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen zu bewältigen — gerade das Gegenteil ist der Fall: das Problem erscheint, je tiefer gefaßt, um so vieldeutiger. Es gibt heute nicht ein einziges bestimmtes, sondern vielmehr eine Anzahl ganz verschiedenartiger mechanischer Modelle, von denen jedes den Verlauf der einzelnen physikalischen Vorgänge, soweit wir ihn gegenwärtig beurteilen können, widerzuspiegeln beansprucht; alle sind höchst kompliziert, und keins besitzt entscheidende Vorzüge vor den übrigen. Der Forscher also, der sich mit dem näheren Studium eines speziellen von ihm bevorzugten Modells beschäftigt, kann dem unbefriedigenden Gefühl nicht entgehen, daß die Schwierigkeiten, mit denen er dabei zu kämpfen hat, vielleicht nicht der Natur der Sache, sondern einer Unzweckmäßigkeit der von ihm getroffenen Auswahl entspringen. Eine Entscheidung können bei dieser Lage der Dinge nur neue allgemeine Ideen bringen, und solche müssen von anderer Seite herkommen, sie inüssen durch Einführung neuer Postulate dazu verhelfen, den Kreis der Möglichkeiten weiter zu beschränken und so unter der Fülle der Vorstellungen, welche die mechanische Anschauung an und für sich noch zuläßt, eine engere Wahl zu gestatten. Ein derartiges Postulat, welches, obwohl schon alt, besonders durch die jüngsten Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrodynamik erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen hat, ist die Ausmerzung von solchen Kräften, die ohne Vermittlung eines Zwischenmediums auf endliche Entfernungen hin wirken. Der hierdurch bedingten großartigen
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Vereinfachung der Naturanschauung ist nur diejenige zu vergleichen, welche die Physik schon seit mehreren Jahrhunderten durch die Abschaffung des Z w e c k b e g r i f f s erzielt hat, insofern hierdurch in ähnlicher Weise die Annahme eines direkten, durch keine Zwischengeschichte vermittelten Zusammenhangs zwischen zwei zeitlich getrennten Vorgängen aufgehoben wurde. Indes von der Aufstellung des Postulates bis zu seiner Durchführung ist ein weiter Weg. Wie in den kosmischen Räumen, so beherrscht in der molekularen Welt die Vorstellung der Anziehung und Abstoßung entfernter Massenpunkte noch heute die meisten Spekulationen, und man muß gestehen, daß der h i e r f ü r von einigen Seiten angebotene Ersatz einstweilen noch keineswegs genügt. Es hat sich daher neuerdings in der physikalischen Forschung auch das Bestreben Bahn gebrochen, den Zusammenhang der Erscheinungen überhaupt gar nicht in der Mechanik zu suchen, indem man die verschiedenen Fäden nicht erst in dem letzten, höchsten Punkte, wo sie allerdings schließlich alle zusammenlaufen müssen, sondern schon f r ü h e r passend verknüpft. Die ganze neuere Entwickelung der Thermodynamik hat sich unabhängig von der mechanischen Theorie einzig auf Grund der beiden Hauptsätze der Wärmelehre vollzogen, auch die fundamentalen Beziehungen zwischen Elektrodynamik und Optik, zwischen Galvanismus, chemischer Affinität und Thermodynamik sind gefunden worden ganz ohne Rücksichtnahme auf die mechanische Natur der betreffenden Vorgänge. Ebenso steht zu hoffen, daß wir auch über diejenigen elektrodynamischen Prozesse, welche direkt durch die Temperatur bedingt sind, wie sie sich namentlich in der Wärmestrahlung äußern, nähere Aufklärung erfahren können, ohne erst den mühsamen Umweg durch die mechanische Deutung der Elektrizität nehmen zu müssen. Als fester Ausgangspunkt bleiben dann allerdings nur wenige Sätze zurück, vor allem das universale Energieprinzip. Fast könnte es nach allem diesen den Anschein erwecken, als ob sich die gegenwärtige Richtung in der Physik von der
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mechanischen Naturauffassung entferne oder wenigstens ihrer entbehren könne; indes wäre eine solche Anschauung doch nur in beschränktem Sinne richtig. Denn wie auch die Forschung ihre Methoden wechseln mag, immer stellt sie nur eine Vorarbeit dar zur Erreichung des für alle Zeiten unverrückbar feststehenden Zieles, welches in der Herstellung des einen großen Zusammenhangs aller Naturkräfte beruht. Die innigste Form des Zusammenhanges aber — diejenige, ohne welche sich unser Erkenntnistrieb niemals ganz zufrieden geben wird — liegt eben nur in der Identität, und diese wird sich auf keinem physikalischen Gebiet besser durchführen lassen als in der Mechanik. Der Anteil des Theoretikers än derartigen Fortschritten ist freilich immer nur ein beschränkter. Er kann durch seine Arbeit wohl die Richtung anweisen helfen und kann auch hinterher manche in den beobachteten Tatsachen enthaltene Lücke ausfüllen, aber das ganze Material, mit dem er arbeitet, muß ihm schließlich immer erst durch die Kunst des Experimentators zugeführt werden. Und doch ist seine zusammenfassende Tätigkeit ebenfalls notwendig, gegenwärtig wohl notwendiger als jemals, weil sie eine Ergänzung darstellt zu der in immer unabsehbarere Weiten sich ausbreitenden Einzelforschung. Die Zeiten sind vorüber, wo in einer einzigen Persönlichkeit das Spezielle und das Allgemeine nebeneinander bequem Platz finden konnten. Heute bedarf es dazu schon des Riesengeistes, auf den unsere Akademie ihren höchsten Stolz setzt, und in Zukunft müßte das Wunder noch weit größer sein. Daher bleibt nichts übrig, als daß jeder auf seinem Posten das Gebiet, das er sich auserkoren, gewissenhaft durchforscht und daß die Nachbarn sich vertrauensvoll in die Hände arbeiten. Mir ist nicht das Glück zuteil geworden, daß ein hervorragender Forscher oder Lehrer in persönlichem Verkehr auf die spezielle Richtung meines Bildungsganges Einfluß genommen hat. Was ich darin gelernt habe, entstammt ausschließlich dem
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Studium der Schriften unserer Meister, unter denen ich vor allem die Namen H E R M A N N VON HELMHOLTZ, R U D O L F C L A U S I U S , GUSTAV KIRCHHOFF dankbar in Ehren halte. Habe ich mir durch diese heutzutage seltenere Art von Schulung einen verhältnismäßig hohen Grad von Unabhängigkeit des Urteils bewahrt, so ist andrerseits aus demselben Grunde meine Bildung von einer gewissen Einseitigkeit nicht frei geblieben, die ich bedaure, ohne sie nachträglich vollständig beseitigen zu können. Das Wenige aber, was ich vermag, werde ich Zeit meines Lebens freudig in den Dienst des höchsten wissenschaftlichen' Berufes stellen, des Berufes dieser Akademie, und damit zugleich mich des Vertrauens wert zu zeigen suchen, welches Ihr Wohlwollen mir bewiesen hat.
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Die Einheit des physikalischen Weltbildes. (Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps an der Universität Leiden.)
Meine sehr geehrten Herrenl Als mir die freundliche Einladung übermittelt wurde, hier vor Ihnen über ein Thema meiner Wissenschaft zu sprechen, war mein erster Gedanke der, wie sorgfältig doch die Physik gerade in Holland gepflegt wird, welch glänzende, welt^ bekannte Namen Ihnen hier tagtäglich voranleuchten, und wie wenig an eigentlich Neuem Ihnen daher ein Vortrag über theoretische Physik und nun vollends hier in Leiden, zu bieten vermöchte. Wenn ich nun dennoch den Versuch machen will, Ihre Aufmerksamkeit eine Zeitlang in Anspruch zu nehmen, so kann ich den Mut dazu lediglich aus der Überlegung schöpfen, daß unsere Wissenschaft, die Physik, ihrem Ziele ja nicht auf geradem Wege, sondern nur auf vielfach verschlungenen Pfaden stetig sich anzunähern vermag, und daß deshalb auch in ihr der Individualität des Forschers ein breiter Spielraum gelassen ist. So arbeitet der eine an dieser, der andere an jener Stelle, der eine mit dieser, der andere mit jener Methode, und das physikalische Weltbild, um das wir uns alle bemühen, malt sich zur Zeit in jedem wohl etwas verschieden. Daher hoffe ich immerhin auf Interesse bei Ihnen rechnen zu dürfen, wenn ich hier im folgenden versuche, Ihnen die Hauptzüge des physikalischen Weltbildes zu entwerfen, wie es sich aus den mir zur Verfügung stehenden Erfahrungen und Anschauungen heraus gestaltet hat und in Zukunft vermutlich gestalten wird. I. Von jeher, solange es eine Naturbetrachtung gibt, hat ihr als letztes, höchstes Ziel die Zusammenfassung der bunten Mannigfaltigkeit der physikalischen Erscheinungen in ein einheitliches System, womöglich in eine einzige Formel, vorgeschwebt, und von jeher haben sich bei der Lösung dieser Aufgabe zwei Methoden gegenübergestanden, oft miteinander ringend, noch öfter sich gegenseitig korrigierend und befruchtend, letzteres am reichsten, wenn sie sich in dem nämlichen Forschergeist zu gemeinsamer Arbeit verbanden. Die eine Methode ist die jugendlichere, sie faßt, einzelne Erfahrungen schnell verallgemeinernd, mit kühnem Griffe nach dem Ganzen und stellt in das Zentrum des Bildes von vornherein einen einzigen Begriff oder Satz, in den sie nun mit mehr oder weniger Erfolg die ganze Natur
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samt allen ihren Äußerungen zu bannen unternimmt. So machte T h a i e s v o n M i l e t das „Wasser", W i l h e l m O s t w a l d die „Energie", H e i n r i c h H e r t z das „Prinzip der geradesten Bahn" zum Haupt- und Zentralpunkt seines physikalischen Weltbildes, in welchem alle physikalischen Vorgänge ihren Zusammenhang und ihie Erklärung finden. Die andere Methode ist bedächtiger, bescheidener und zuverlässiger, aber an Stoßkraft der ersten lange nicht gewachsen und daher auch sehr viel später zu Ehren gekommen: sie verzichtet vorläufig auf endgültige Resultate und malt zunächst nur diejenigen Einzelzüge in das Bild, welche durch direkte Erfahrungen vollständig sichergestellt erscheinen, ihre weitere Verarbeitung späterer Forschung überlassend. Ihren prägnantesten Ausdruck hat sie wohl gefunden in G u s t a v K i r c h h o f f s bekannter Definition der Aufgabe der Mechanik als einer „Beschreibung" der in der Natur vor sich gehenden Bewegungen. Beide Methoden ergänzen sich gegenseitig, und auf keinen Fall kann die physikalische Forschung auf eine derselben vernichten. Aber nicht von dieser doppelten Methodik unserer Wissenschaft möchte ich jetzt zu Ihnen reden, sondern ich möchte vielmehr Ihre Aufmerksamkeit richten auf die prinzipiellere Frage, wohin denn diese eigenartige Methodik geführt hat und wohin sie vermutlich noch führen wird. Daß die Physik in ihrer Entwicklung wirklich Fortschritte gemacht hat, daß wir die Natur mit jedem Jahrzehnt erheblich besser kennenlernen, das kann ernstlich gewiß von niemandem geleugnet werden, das beweist ein einziger Blick auf die an Zahl wie an Bedeutung stetig wachsenden Hilfsmittel, mit welchen die Menschheit die Natur ihren Zwecken dienstbar zu machen versteht. Aber in welcher Richtung bewegt sich im ganzen dieser Fortschritt? Inwieweit kann man sagen, daß wir uns dem angestrebten Ziele, dem Einheitssystem, wirklich annähern? Dies zu untersuchen muß jedem Physiker, der sich ein offenes Auge für die Fortschritte seiner Wissenschaft bewahren will, von größter Wichtigkeit erscheinen. Und wenn wir imstande sind, über diese Fragen Auskunft zu erlangen, werden wir auch in die Lage kommen, uns Rechenschaft zu geben über die weitere, heutzutage wieder heiß umstrittene Frage: Was bedeutet uns im Grunde das, was wir das physikalische Weltbild nennen? Ist dasselbe lediglich eine zweckmäßige, aber im Grunde willkürliche Schöpfung unseres Geistes, oder finden wir uns zu der gegenteiligen Auffassung getrieben, daß es reale, von uns ganz unabhängige Naturvorgänge widerspiegelt? Um zu erfahren, in welcher Richtung sich die Entwicklung der physikalischen Wissenschaft bewegt, gibt es nur e i n Verfahren: man vergleicht den Zustand, in dem sie sich gegenwärtig befindet, mit demjenigen in einer früheren Zeit. Fragt man aber weiter, welches äußere Kennzeichen denn das beste Charakteristikum für den Entwicklungszustand einer Wissenschaft zu gewähren vermag, so wüßte ich kein allgemeineres zu nennen als die Art und Weise, wie die
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Wissenschaft ihre Grundbegriffe definiert und wie sie ihre verschiedenen Gebiete einteilt. Denn in der Schärfe und Zweckmäßigkeit der Definitionen und in der A r t der Einteilung des Stoffs liegen, wie allen etwas tiefer Nachdenkenden bekannt ist, sogar die letzten, reifsten Resultate der Forschung häufig schon implizite mit enthalten. Sehen wir nun zu, wie es in dieser Beziehung mit der Physik gegangen ist. Da gewahren wir zunächst, daß die wissenschaftliche physikalische Forschung in allen ihren Gebieten entweder an unmittelbar praktische Bedürfnisse oder an besonders auffällige Naturerscheinungen anknüpft. Und nach diesen Gesichtspunkten richtet sich naturgemäß die anfängliche Einteilung der Physik und die Benennung ihrer einzelnen Zweige. So entsteht die Geometrie aus der Erd- oder Feldmeßkunst, die Mechanik aus der Maschinenlehre, die Akustik, die Optik, die Wärmelehre aus den entsprechenden spezifischen Sinneswahrnehmungen, die Elektrizitätslehre aus den merkwürdigen Beobachtungen am geriebenen Bernstein, die Theorie des Magnetismus aus den auffallenden Eigenschaften der bei der Stadt Magnesia gefundenen Eisenerze. Entsprechend dem Satze, daß alle unsere Erfahrungen an Empfindungen unserer Sinne anknüpfen, ist in allen physikalischen Definitionen das physiologische Element maßgebend, kurz gesagt: die ganze Physik, sowohl ihre Definition als auch ihre ganze Struktur, trägt ursprünglich in gewissem Sinn einen anthropomorphen Charakter. Wie verschieden hiervon ist das Bild, welches uns das Lehrgebäude der modernen theoretischen Physik darbietetl Zunächst zeigt das Ganze ein viel einheitlicheres Gepräge: die Anzahl der Einzelgebiete der Physik ist erheblich verringert, dadurch, daß verwandte Gebiete miteinander verschmolzen sind: so ist die Akustik ganz in die Mechanik aufgegangen, der Magnetismus und die Optik ganz in die Elektrodynamik; und diese Vereinfachung zeigt sich begleitet von einem auffallenden Zurücktreten des menschlich-historischen Elements in allen physikalischen Definitionen. Welcher Physiker denkt heutzutage bei der Elektrizität noch an geriebenen Bernstein oder beim Magnetismus an den kleinasiatischen Fundort der ersten natürlichen Magnete? Und in der physikalischen Akustik, Optik und Wärmelehre sind die spezifischen Sinnesempfindungen geradezu ausgeschaltet. Die physikalischen Definitionen des Tons, der Farbe, der Temperatur werden heute keineswegs mehr der unmittelbaren Wahrnehmung durch die entsprechenden Sinne entnommen, sondern Ton und Farbe werden durch die Schwingungszahl bzw. Wellenlänge definiert, die Temperatur theoretisch durch die dem zweiten Hauptsatz der' Wärmetheorie entnommene absolute Temperaturskala, in der kjnetischen Gastheorie durch die lebendige Kraft der Molekularbewegung, praktisch durch die Volumenänderung einer thermometrischen Substanz bzw. durch den Skalenausschlag eines Bolometers oder Thermoelements; von der Wärmeempfindung ist aber bei der Temperatur in keinem Fall mehr die Rede. Genau ebenso ist es mit dem Begriff der Kraft gegangen. Das Wort
9 „Kraft" bedeutet ursprünglich ohne Zweifel m e n s c h l i c h e Kraft, entsprechend dem Umstand, daß die ersten und ältesten Maschinen: der Hebel, die Rolle, die Schraube, durch Menschen oder Tiere angetrieben wurden, und dies beweist, daß der Begriff der Kraft ursprünglich dem Kraftsinn oder Muskelsinn, also einer spezifischen Sinnesempfindung, entnommen wurde. Aber in der modernen Definition der Kraft erscheint die spezifische Sinnesempfindung ebenso eliminiert, wie in derjenigen der Farbe der Farbensinn. Ja, dieses Zurückdrängen des spezifisch sinnlichen Elements aus den Definitionen der physikalischen Begriffe geht so weit, daß sogar Gebiete der Physik, welche ursprünglich durch die Zuordnung zu einer bestimmten Sinnesempfindung als durchaus einheitlich charakterisiert wurden, infolge der Lockerung des zusammenhaltenden Bandes in verschiedene ganz getrennte Stücke auseinanderfallen, also gerade entgegen dem allgemeinen Zuge zur Vereinheitlichung und Verschmelzung. Das beste Beispiel hierfür zeigt die Lehre, von der Wärme. Früher bildete die Wärme einen bestimmten, durch die Empfindungen des Wärmesinns charakterisierten, wohlabgegrenzten einheitlichen Bezirk der Physik. Heute findet man wohl in allen Lehrbüchern der Physik von der Wärme ein ganzes Gebiet, die Wärmestrahlung, abgespalten und bei der Optik behandelt. Die Bedeutung des Wärmesinns reicht eben niGht mehr hin, um die heterogenen Stücke zusammenzuhalten; vielmehr wird jetzt das eine Stück der Optik bzw. Elektrodynamik, das andere der Mechanik, speziell der kinetischen Theorie der Materie, angegliedert. Schauen wir auf das Bisherige zurück, so können wir kurz zusammenfassend sagen: die Signatur der ganzen bisherigen Entwicklung der theoretischen Physik ist eine Vereinheitlichung ihres Systems, welche erzielt ist durch eine gewisse Emanzipierung von den anthropomorphen Elementen, speziell den spezifischen Sinnesempfindungen. Bedenkt man nun andererseits, daß doch die Empfindungen anerkanntermaßen den Ausgangspunkt aller physikalischen Forschung bilden, so muß diese bewußte Abkehr von den Grundvoraussetzungen immerhin erstaunlich, ja paradox erscheinen. Und dennoch liegt kaum eine Tatsache in der Geschichte der Physik so klar zutage wie diese. Fürwahr, es müssen unschätzbare Vorteile sein, welche einer solchen prinzipiellen Selbstentäußerung wert sind! Bevor wir auf diesen wichtigen Punkt näher eingehen, wollen wir nun noch unseren Blick aus der Vergangenheit und der Gegenwart in die Zukunft richten. Wie wird man in künftigen Jahrhunderten das System der Physik einteilen? Gegenwärtig stehen sich darin noch zwei großfr Gebiete gegenüber: die Mechanik und die Elektrodynamik, oder wie man auch sagt: die Physik der Materie und die Physik des Äthers. Erstere umfaßt zugleich mit die Akustik, die Körperwärme, die chemischen Erscheinungen, letztere den Magnetismus, die Optik und die strahlende Wärme. Wird diese Einteilung die endgültige sein? Ich glaube es nicht, und zwar deshalb nicht, weil diese beiden Gebiete sich gar nicht scharf voneinander abgrenzen lassen
10 Gehören zum Beispiel die Vorgänge der Lichtemission zur Mechanik oder zur Elektrodynamik? Oder: In welches Gebiet soll man die Bewegungsgesetze der Elektronen rechnen? Vielleicht möchte man auf den ersten Blick sagen: zur Elektrodynamik, da bei den Elektronen doch die ponderable Materie gar keine Rolle spielt. Aber man richte sein Augenmerk nur etwa auf die Bewegungen der freien Elektronen in Metallen. Da wird man zum Beispiel beim Studium der Untersuchungen von H. A. L o r e n t z finden, daß die Gesetze derselben weit besser in die kinetische Gastheorie als in die Elektrodynamik hineinpassen. Uberhaupt scheint mir der ursprüngliche Gegensatz zwischen Äther und Materie etwas im Schwinden begriffen zu sein. Elektrodynamik und Mechanik stehen sich gar nicht so ausschließend gegenüber, wie das in weiteren Kreisen gewöhnlich angenommen wird, wo sogar schon von einem Kampf zwischen der mechanischen und der elektrodynamischen "Weltanschauung gesprochen wird. Die Mechanik bedarf zu ihrer Begründung prinzipiell nur der Begriffe des Raums, der Zeit und dessen, was sich bewegt, mag man es nun als Substanz oder als Zustand bezeichnen. Die nämlichen Begriffe kann aber auch die Elektrodynamik nicht entbehren. Eine passend verallgemeinerte Auffassung der Mechanik könnte daher sehr wohl auch die Elektrodynamik mit umschließen, und in der Tat sprechen mancherlei Anzeichen dafür, daß diese beiden schon jetzt teilweise ineinander übergreifenden Gebiete sich schließlich zu einem einzigen, zur allgemeinen Dynamik, vereinigen werden. Wenn also der Gegensatz zwischen Äther und Materie einmal überbrückt ist, welcher Gesichtspunkt wird dann in endgültiger Weise der Einteilung des Systems der Physik zugrunde gelegt werden? Nach dem, was wir oben gesehen haben, ist diese Frage zugleich charakteristisch für die ganze Art der Weiterentwicklung unserer Wissenschaft; doch ist es zu ihrer näheren Untersuchung notwendig, daß wir etwas tiefer als bisher in die Eigenart der physikalischen Prinzipien eindringen. II. Ich bitte Sie zu diesem Zwecke zunächst mich zu begleiten an denjenigen Punkt, von welchem aus der erste Schritt zur tatsächlichen Verwirklichung des bis dahin nur von den Philosophen postulierten Einheitssystems der Physik gemacht wurde: zum P r i n z i p d e r E r h a l t u n g d e r E n e r g i e . Denn der Begriff der Energie ist neben den Begriffen von Raum und Zeit der einzige allen verschiedenen physikalischen Gebieten gemeinsame. Nach allem, was ich oben ausführte, wird es Ihnen erklärlich und fast selbstverständlich erscheinen, daß auch das Energieprinzip ursprünglich, noch vor seiner allgemeinen Formulierung durch M a y e r , J o u l e und H e l m h o l t z , einen anthropomorphen Charakter trug. Seine ersten Wurzeln liegen nämlich schon in der Erkenntnis, daß es keinem Menschen gelingen kann, nutzbare Arbeit aus Nichts zu gewinnen; und diese Erkenntnis ihrerseits entstammt im wesentlichen den Erfahrungen, die gesam-
11 nielt wurden bei den Versuchen zur Lösung eines technischen Problems: der Erfindung des Perpetuum mobile. Insofern ist das Perpetuum mobile für die Physik von ähnlicher weittragender Bedeutung geworden, wie die Goldmacherkunst für die Chemie, obwohl es nicht die positiven, sondern umgekehrt die negativen Resultate dieser Experimente waren, aus denen die Wissenschaft Vorteil zog. Heute sprechen wir das Energieprinzip ganz ohne Bezugnahme auf menschliche oder technische Gesichtspunkte aus. Wir sagen, daß die Gesamtenergie eines nach außen abgeschlossenen Systems von Körpern eine Größe ist, deren Betrag durch keinerlei innerhalb des Systems sich abspielende Vorgänge vermehrt oder vermindert werden kann, und wir denken gar nicht mehr daran, die Genauigkeit, mit der dieser Satz gilt, abhängig zu machen von der Feinheit der Methoden, welche wir gegenwärtig besitzen, um die Frage der Realisierung eines Perpetuum mobile experimentell zu prüfen. In dieser strenggenommen unbeweisbaren, aber mit elementarer Gewalt sich aufdrängenden Verallgemeinerung liegt die oben besprochene Emanzipation von den anthropomorphen Elementen. Während so das Energieprinzip als ein fertiges selbständiges Gebilde, losgelöst und unabhängig von den Zufälligkeiten einer Entwicklungsgeschichte, vor uns steht, ist das nämliche noch keineswegs in gleichem Maße der Fall bei demjenigen Prinzip, welches R. C1 a u s i u s unter dem Namen des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie in die Physik eingeführt hat; und gerade der Umstand, daß dieser Satz die Eierschalen seiner Entwicklung auch heute noch nicht vollständig abgestreift hat, verleiht ihm in unserer heutigen Besprechung besonderes Interesse. In der Tat trägt der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, wenigstens in seiner landläufigen Beurteilung, noch entschieden anthropomorphen Charakter. Gibt es doch zahlreiche hervorragende Physiker, welche seine Gültigkeit in Verbindung bringen mit der Unfähigkeit des Menschen, in die Einzelheiten der Molekularwelt einzudringen und es den M a x w e l l sehen Dämonen gleichzutun, welche ohne jeglichen Arbeitsaufwand, lediglich durch rechtzeitiges Vor- und Zurückschieben eines kleinen Riegels, die schnelleren Moleküle eines Gases von den langsameren zu trennen vermögen. Man braucht aber kein Prophet zu sein, um mit Sicherheit vorauszusagen, daß der Kern des zweiten Hauptsatzes mit menschlichen Fähigkeiten nichts zu tun hat und daß daher auch seine endgültige Formulierung in einer Weise erfolgen muß und erfolgen wird, welche keinerlei Bezugnahme auf die Ausführbarkeit irgendwelcher Naturprozesse durch Menschenkunst enthält. Zu dieser Emanzipation des zweiten Hauptsatzes werden, wie ich hoffe, auch die folgenden Ausführungen etwas beitragen können. Gehen wir zunächst etwas näher auf den Inhalt des zweiten Hauptsatzes und seine Beziehung zum Energieprinzip ein. Während das Energieprinzip den Ablauf der natürlichen Vorgänge dadurch beschränkt, daß es niemals Schöpfung oder Vernichtung von Energie, sondern nur Umwandlungen von Energie zuläßt, geht der zweite
12 Hauptsatz in der Beschränkung noch weiter, indem er nicht alle Ar ten von Umwandlungen, sondern gewisse nur unter gewissen Bedingungen gestattet. So läßt sich mechanische Arbeit ohne weiteres in Wärme verwandeln, zum Beispiel durch Reibung, aber nicht umgekehrt Wärme ohne weiteres in Arbeit. Wäre das nämlich möglich, so könnte man etwa die Wärme des Erdbodens, die uns ja unbeschränkt zur Verfügung steht, zum. Antrieb eines Motors verwenden und hätte dabei den doppelten Vorteil, diesen Motor, da er den Erdboden abkühlt, zugleich als Kältemaschine benutzen zu können. Aus der erfahrungsgemäßen Unmöglichkeit eines derartigen Motors, der auch als ein Perpetuum mobile zweiter Art bezeichnet wird, geht nun mit Notwendigkeit hervor, daß es Vorgänge in der Natur gibt, die auf keinerlei Weise vollständig rückgängig gemacht werden können. Denn ließe' sich zum Beispiel ein Reibungsvorgang, durch welchen mechanische Arbeit in Wärme verwandelt worden ist, mit Hilfe irgendeines, wenn auch noch so komplizierten Apparats auf irgendeine Weise wirklich v o l l s t ä n d i g rückgängig machen, so wäre eben der betreffende Apparat nichts anderes als der vorhin geschilderte Motor: ein Perpetuum mobile zweiter Art. Dies erhellt unmittelbar, wenn man sich deutlich vorstellt, was der Apparat leisten würde: Verwandlung von Wärme in Arbeit ohne jegliche anderweitig zurückbleibende Veränderung. Nennen wir einen solchen Vorgang, der sich auf keinerlei Weise vollständig rückgängig machen läßt, einen irreversiblen Prozeß, alle übrigen Vorgänge reversible Prozesse, so treffen wir gerade den Kernpunkt des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, wenn wir sagen, daß es in der Natur irreversible Prozesse gibt. Demnach haben die Veränderungen in der Natur eine einseitige Richtung: mit jedem einzelnen irreversiblen Prozeß macht die Welt einen Schritt vorwärts, dessen Spuren unter keinen Umständen vollständig zu verwischen sind. Beispiele irreversibler Prozesse sind außer der Reibung die Wärmeleitung, die Diffusion, die Elektrizitätsleitung, die Emission von Licht- und Wärmestrahlung, der Atomzerfall radioaktiver Substanzen u. a. Beispiele reversibler Prozesse sind dagegen die Planetenbewegung, der freie Fall im luftleeren Raum, die ungedämpfte Pendelbewegung, die Fortpflanzung von Licht- und Schallwellen ohne Absorption und Beugung, die ungedämpften elektrischen Schwingungen u. a. Denn alle diese Vorgänge sind entweder schon an sich periodisch, oder sie lassen sich doch durch geeignete Vorrichtungen vollständig rückgängig machen, so daß keinerlei Veränderung in der Natur zurückbleibt, zum Beispiel der freie Fall eines Körpers dadurch, daß man die erlangte Geschwindigkeit benutzt, um ihn wieder auf die ursprüngliche Höhe zu heben, eine Licht- oder Schallwelle dadurch, daß man sie in geeigneter Weise an vollkommenen Spiegeln reflektieren läßt. Welches sind nun die allgemeinen Eigenschaften und Kennzeichen der irreversiblen Prozesse? und welches ist das allgemeine quantitative Maß der Irreversibilität? Diese Frage ist in der verschieden-
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sten Weise geprüft und beantwortet worden, und gerade das Studium ihrer Geschichte bietet einen besonders charakteristischen Einblick in den typischen Entwicklungsgang einer allgemeinen physikalischen Theorie. Ebenso wie man ursprünglich durch das technische Problem des Perpetuum mobile auf die Spur des Energieprinzips gekommen war, so leitete auch wieder ein technisches Problem: das der Dampfmaschine, zur Unterscheidung zwischen irreversiblen und reversiblen Prozessen hin. Schon S a d i C a r n o t erkannte, obwohl er eine unzutreffende Vorstellung von der Natur der Wärme benutzte, daß die irreversiblen Prozesse unökonomischer sind als die reversiblen, oder daß bei einem irreversiblen Prozeß eine gewisse Gelegenheit, mechanische Arbeit aus Wärme zu gewinnen, ungenützt gelassen wird. Was lag nun näher als der Gedanke, für das Maß der Irreversibilität eines Prozesses ganz allgemein das Quantum derjenigen mechanischen Arbeit festzusetzen, welche durch ihn definitiv verlorengeht? Für reversible Prozesse wäre dann natürlich die definitiv verlorene Arbeit gleich Null zu setzen. Diese Auffassung hat sich in der Tat für gewisse spezielle Fälle, zum Beispiel für isotherme Prozesse, als nützlich erwiesen, sie ist daher bis zum heutigen Tag in gewissem Ansehen geblieben; für den allgemeinen Fall jedoch hat sie sich als unbrauchbar und sogar irreführend gezeigt. Dies hat darin seinen Grund, daß die Frage nach der bei einem bestimmten irreversiblen Prozeß verlorenen Arbeit gar nicht in bestimmter Weise zu beantworten ist, solange nicht näher angegeben wird, aus welcher Energiequelle denn die betreffende Arbeit hätte gewonnen werden sollen. Ein Beispiel wird dies klarmachen. Die Wärmeleitung ist ein irreversibler Prozeß, oder, wie C l a u s i u s es ausdrückt: Wärme kann nicht ohne Kompensation aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen. Welches ist nun die Arbeit, welche definitiv verlorengeht, wenn die (kleine) Wärmemenge Q durch direkte Leitung aus einem wärmeren Körper von der Temperatur T1 in einen kälteren Körper von der Temperatur T2 übergeht? Um diese Frage zu beantworten, benutzen wir den genannten Wärmeübergang zur Ausführung eines reversiblen C a r n o t sehen Kreisprozesses zwischen den beiden Körpern als Wärmereservoiren. Dabei wird bekanntlich eine gewisse Arbeit gewonnen, und diese Arbeit ist es gerade, welche wir suchen; denn sie geht eben bei der direkten Überführung der Wärme durch Leitung verloren. Aber diese Arbeitsgröße hat gar keinen bestimmten Wert, ehe wir nicht wissen, woher die Arbeit stammen soll, ob zum Beispiel aus dem wärmeren Körper oder aus dem kälteren Körper oder ob irgend anders woher. Man bedenke nämlich, daß die von dem' wärmeren Körper abgegebene Wärme bei dem reversiblen Kreisprozeß ja gar nicht gleich ist der von dem kälteren Körper aufgenommenen Wärme, weil doch ein gewisser Betrag Wärme in Arbeit verwandelt wird, und man kann mit genau demselben Rechte die gegebene, beim direkten Leitungsprozeß übergeführte Wärmemenge Q mit der beim Kreisprozeß vom wärmeren Körper abgegebe-
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nen oder mit der vom kälteren Körper aufgenommenen Wärme identifizieren. Je nachdem man das erste odfer das zweite tut, erhält man für die Größe der beim Leitungsprozeß verlorenen Arbeit: Q'-^-f—3 oder Diese Unbestimmtheit hat C1 a u s i u s auch wohl .erkanfit und hat daher den einfachen C a r n o t sehen Kreisprozeß entsprechend verallgemeinert durch die Annahme eines dritten Wärmereservoirs, dessen Temperatur nun ganz unbestimmt ist und dementsprechend auch eine unbestimmte Arbeit ergibt 1 ). Wir sehen also, daß der eingeschlagene Weg, die Irreversibilität eines Prozesses mathematisch zu fassen, im allgemeinen nicht zum Ziele führt, und wir sehen zugleich auch den' eigentlichen Grund, warum dies nicht gelingen konnte. Die Fragestellung ist zu anthropomorph gefärbt, sie ist zu sehr auf die Bedürfnisse des Menschen zugeschnitten, dem es in erster Linie auf die Gewinnung nutzbarer Arbeit ankommt. Wenn man von der Natur eine bestimmte Antwort haben will, muß man von einem allgemeineren, weniger wirtschaftlich interessierten Standpunkt aus an sie herantreten. Das wollen wir jetzt zu tun versuchen. Betrachten wir irgendeinen in der Natur vor sich gehenden Prozeß. Derselbe führt für alle daran beteiligten Körper aus einem bestimmten Anfangszustand, den ich den Zustand A nennen will, in einen bestimmten Endzustand B über. Der Prozeß ist entweder reversibel oder irreversibel, ein drittes ist nicht möglich. Ob er aber reversibel oder irreversibel ist, hängt einzig und allein von der Beschaffenheit der beiden Zustände A und B ab, nicht von der Art, wie der Prozeß im übrigen verlaufen ist; denn es kommt dfbei nur auf die Beantwortung der Frage an, ob, wenn der Zustand B einmal erreicht ist, die vollständige Rückkehr nach A auf irgendwelche Weise erzielt werden kann oder nicht. Ist nun die vollständige Rückkehr von B nach A nicht möglich, also der Prozeß irreversibel, so ist offenbar der Zustand B in der Natur durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Zustand A ausgezeichnet; ich habe mir einmal vor Jahren erlaubt, das so auszudrücken, daß die Natur zum Zustand B eine größere „Vorliebe" besitzt als zum Zustand A. Nach dieser Ausdrucksweise sind solche Prozesse in der Natur durchaus unmöglich, für deren Endzustand die Natur eine kleinere Vorliebe besitzen würde wie für den Anfangszustand. Einen Grenzfall bilden die reversiblen Prozesse; bei ihnen besitzt die Natur die gleiche Vorliebe für den Anfangs- wie für den Endzustand, und der Übergang kann zwischen ihnen beliebig nach beiden Richtungen erfolgen. Nun handelt esr, sich darum, eine physikalische Größe zu suchen, deren Betrag als ein allgemeines Maß der Vorliebe der Natur für einen Zustand dienen kann. Es muß dies eine Größe sein, welche ') R. C ' r a u s i u s , Die mechanische Wärmetheorie. 2. Aufl.. 1. Bd.. S. 96. 1876.
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durch den Zustand des betrachteten Systems unmittelbar bestimmt ist, ohne daß man irgend etwas über die Vorgeschichte des Systems zu wissen braucht, ebenso wie das bei der Energie, beim Volumen und bei anderen Eigenschaften des Systems zutrifft. Diese Größe würde die Eigentümlichkeit besitzen, bei allen irreversiblen Prozessen zu wachsen, bei allen reversiblen Prozessen dagegen ungeändert zu bleiben, und der Betrag ihrer Änderung bei einem Prozesse würde ein allgemeines Maß liefern für die Irreversibilität des Prozesses. R. C l a u s i u s hat nun diese Größe wirklich aufgefunden und hat sie die „Entropie" genannt. Jedes Körpersystem besitzt in jedem Zustand eine bestimmte Entropie, und diese Entropie bezeichnet die Vorliebe der Natur für den betreffenden Zustand, sie kann bei allen Prozessen, welche innerhalb des Systems vor sich gehen, stets nur wachsen, niemals abnehmen. Will man einen Prozeß betrachten, bei dem auch Einwirkungen von außen auf das System stattfinden, so muß man diejenigen Körper, von denen die Wirkungen ausgehen, als mit zum System gehörig betrachten; dann gilt der Satz wieder in der obigen Form. Dabei ist die Entropie eines Körpersystems einfach gleich der Summe der Entropien der einzelnen Körper, und die Entropie eines einzelnen Körpers wird nach C l a u s i u s gefunden mit Hilfe eines gewissen reversiblen Kreisprozesses. Zuleitung von Wärme vergrößert die Entropie eines Körpers, und zwar um den Betrag des Quotienten der zugeführten Wärmemenge durch die Temperatur dés Körpers; einfache Kompression dagegen ändert die Entropie nicht. Um auf das oben besprochene Beispiel der von einem wärmeren Körper mit der Temperatur T1 einem kälteren Körper mit der Temperatur T 2 direkt zugeleiteten Wärme Q zurückzukommen, so vermindert sich bei diesem Prozeß nach dem eben Gesagten die Entropie des wärmeren Körpers, die des kälteren dagegen wächst, und die Summe beider Änderungen, also die Änderung der Gesamtentropie beider Körper, ist:
Diese positive Größe gibt also frei von aller Willkür das Maß für die Irreversibilität des Wärmeleitungsprozesses. Derartige Beispiele lassen sich natürlich in unzähliger Menge anführen. Jeder chemische Prozeß liefert einen Beitrag dazu. So ist der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie samt allen seinen Folgerungen zum P r i n z i p d e r V e r m e h r u n g d e r E n t r o p i e geworden, und es wird Ihnen nun wohl verständlich erscheinen, weshalb ich, anknüpfend auf die oben aufgeworfene Frage, meine Meinung dahin ausspreche, daß in der theoretischen Physik der Zukunft die erste, wichtigste Einteilung aller physikalischen Prozesse die in reversible und in irreversible Prozesse sein wird. In der Tat'zeigen alle reversiblen Prozesse, sei es, daß sie in der
16 Materie oder im Äther oder in beiden verlaufen, untereinander eine viel größere Ähnlichkeit als mit irgendeinem irreversiblen Prozeß. Das ergibt sich schon aus der formellen Betrachtung der Differentialgleichungen, welche sie beherrschen. In den Differentialgleichungen der reversiblen Prozesse tritt das Zeitdifferential immer nur in einer geraden Potenz auf, entsprechend dem Umstand, daß das Vorzeichen der Zeit auch umgekehrt werden kann. Das gilt in gleicher Weise für Pendelschwingungen, elektrische Schwingungen, akustische und optische Wellen, wie für Bewegungen von Massenpunkten oder von Elektronen, wenn nur jede Art von Dämpfung ausgeschlossen ist Hierher gehören aber auch die in der Thermodynamik betrachteten unendlich langsam verlaufenden Prozesse, die aus lauter Gleichgewichtszuständen bestehen, in denen die Zeit überhaupt keine Rolle spielt oder, wie man auch sagen kann, in der nullten Potenz vorkommt, die auch zu den geraden Potenzen zu rechnen ist. Alle diese reversiblen Prozesse haben auch die gemeinsame Eigenschaft, daß sie, wie H e 1 m h o 11 z gezeigt hat, vollständig dargestellt werden durch das Prinzip der kleinsten Wirkung, welches auf jedwede ihren meßbaren Verlauf betreffende Frage eine eindeutige Antwort gibt, und insofern kann man die Theorie der reversiblen Prozesse als eine vollkommen abgeschlossene bezeichnen. Dafür haben die reversiblen Prozesse den Nachteil, daß sie samt und sonders nur ideal sind; in der wirklichen Natur gibt es keinen einzigen reversiblen Prozeß, da jeder natürliche Vorgang mehr oder minder mit Reibung oder mit Wärmeleitung verknüpft ist. Im Bereich der irreversiblen Prozesse ist aber das Prinzip der kleinsten Wirkung nicht mehr ausreichend; denn das Prinzip der Vermehrung der Entropie bringt in das physikalische Weltbild ein ganz neues, dem Wirkungsprinzip an sich fremdes Element, welches auch eine besondere mathematische Behandlung erfordert. Ihm entspricht der einseitige Verlauf der Vorgänge, die Erreichung eines festen Endzustandes. Die vorstehenden Erwägungen werden, wie ich hoffe, genügt haben, um es deutlich zu machen, daß der Gegensatz zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen ein viel tiefer liegender ist als etwa der zwischen mechanischen und elektrischen Prozessen, und daß daher dieser Unterschied mit besserem Recht als irgendein anderer zum vornehmsten Einteilungsgrund aller physikalischen Vorgänge gemacht werden und in dem physikalischen Weltbild der Zukunft endgültig die Hauptrolle spielen dürfte. Und doch ist die erörterte Klassifizierung noch einer ganz wesentlichen Verbesserung bedürftig. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß in der geschilderten Form das System der Physik immer noch mit einer starken Dosis Anthropomorphismus versetzt ist. In der De finition der Irreversibilität sowohl wie auch in der der Entropie wird nämlich Bezug genommen auf die A u s f ü h r b a r k e i t gewisser Veränderungen in der Natur, und das heißt doch im Grunde nichts anderes, als daß die Einteilung der physikalischen Vorgänge abhängig gemacht wird von der Leistungsfähigkeit menschlicher Experimentier-
17 kunst, welche doch sicherlich nicht immer auf einer bestimmten Stufe stehenbleibt, sondern sich stetig mehr und mehr vervollkommnet. Wenn also die Unterscheidung zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen wirklich für alle Zeiten bleibende Bedeutung haben soll, so muß sie noch wesentlich vertieft und namentlich unabhängig gemacht werden von jeglicher Bezugnahme auf menschliche Fähigkeiten. Wie das geschehen kann, möchte ich im folgenden besprechen. III. Die ursprüngliche Definition der Irreversibilität leidet, wie wir gesehen haben, an dem bedenklichen Mangel, daß sie eine bestimmte Grenze menschlichen Könnens zur Voraussetzung hat, während doch eine solche Grenze in Wirklichkeit gar nicht nachzuweisen ist. Im Gegenteil: das Menschengeschlecht macht alle Anstrengungen, um die gegenwärtigen Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stets weiter hinauszurücken, und wir hoffen, daß uns in späteren Zeiten noch mancherlei gelingen wird, was vielleicht vielen jetzt als unausführbar erscheint. Könnte es demnach nicht noch einmal eintreten, daß ein Prozeß, der bis jetzt immer als irreversibel angesehen wird, sich infolge einer neuen Entdeckung oder Erfindung als reversibel erweist? Dann würde das ganze Gebäude des zweiten Hauptsatzes unweigerlich zusammenstürzen, denn die Irreversibilität eines einzigen Prozesses bedingt, wie sich leicht nachweisen läßt, die aller übrigen. Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Die mikroskopisch gut wahrnehmbare höchst merkwürdige zitternde Bewegung, welche kleine, in einer Flüssigkeit suspendierte Partikel ausführen, die sogenannte B r o w n sehe Molekularbewegung, ist nach den neuesten Untersuchungen eine direkte Folge der fortwährenden Stöße der Flüssigkeitsmolekeln gegen die Partikel. Wäre man nun imstande, mit Hilfe irgendeiner sehr feinen Vorrichtung richtend und ordnend, aber ohne merklichen Arbeitsaufwand, auf die einzelnen Partikel derartig einzuwirken, daß aus der ungeordneten Bewegung eine irgendwie geordnete wird, so hätte man ohne Zweifel ein Mittel gefunden, einen Teil der Flüssigkeitswärme ohne Kompensation in gTob sichtbare und daher auch nutzbare lebendige Kraft umzuwandeln. Wäre dies nicht ein Widerspruch gegen den zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie? Wenn diese Frage zu bejahen wäre, dann könnte jener Satz doch gewiß nicht mehr den Rang eines Prinzips behaupten, da doch seine Gültigkeit von den Fortschritten der Experimentaltechnik abhinge. Man sieht, das einzige Mittel, um dem zweiten Hauptsatz eine prinzipielle Bedeutung zu sichern, kann nur darin bestehen, daß man den Begriff der Irreversibilität unabhängig macht von allen menschlichen Beziehungen. Nun geht der Begriff der Irreversibilität zurück auf den Begriff der Entropie; denn irreversibel ist ein Prozeß, wenn er mit einer Zunahme der Entropie verbunden ist. Hierdurch wird das Problem zurückgeführt auf eine geeignete Verbesserung der Definition der
18 Entropie. Nach der ursprünglichen C l a u s i u s sehen Definition wird ja die Entropie gemessen durch einen gewissen reversiblen Prozeß, und die Schwäche dieser Definition beruht darauf, daß derartige reversible Prozesse in Wirklichkeit gar nicht genau ausführbar sind. Man könnte zwar mit gewissem Recht erwidern, daß es sich hierbei gar nicht um wirkliche Prozesse und um einen wirklichen Physiker handelt, sondern um ideale Prozesse, sogenannte Gedankenexperimente, und um einen idealen Physiker, der sämtliche experimentelle Methoden mit absoluter Genauigkeit handhabt. Hier liegt nun aber gerade wieder die Schwierigkeit. Wie weit reichen denn derartige ideale Messungen des idealen Physikers? Daß man ein Gas komprimiert mit einem Druck, der dem Druck des Gases gleich ist, oder es erwärmt aus einem Wärmereservoir, welches die nämliche Temperatur besitzt wie das Gas, läßt sich noch mit Hilfe eines geeigneten Grenzüberganges verstehen, aber daß man z. B. einen gesättigten Dampf durch isotherme Kompression auf reversiblem Wege in Flüssigkeit verwandelt, ohne daß jemals die Homogenität der Substanz verlorengeht, wie das bei gewissen Betrachtungen in der Thermodynamik vorausgesetzt wird, muß schon bedenklich erscheinen. Noch viel auffallender jedoch ist das, was in der physikalischen Chemie an Gedankenexperimenten dem Theoretiker zugetraut wird. Mit seinen semipermeablen Wänden, die in Wirklichkeit nur unter ganz speziellen Umständen und dann nur mit gewisser Annäherung realisierbar sind, trennt er auf reversiblem Wege nicht nur alle beliebigen verschiedenen Molekülarten, einerlei ob sie in stabilem oder labilem Zustand sich befinden, sondern sogar die entgegengesetzt geladenen Ionen voneinander und von den undissoziierten Molekülen, und er läßt sich dabei weder durch die enormen elektrostatischen Kräfte stören, welche sich einer solchen Trennung widersetzen, noch durch den Umstand, daß in Wirklichkeit sofort beim Beginn der Trennung die Moleküle sich wieder zum Teil dissoziieren, die Ionen sich wieder zum Teil vereinigen. Solche ideale Prozesse sind aber nach der C l a u s i u s s e h e n Definition durchaus notwendig, um die Entropie der undissoziierten Moleküle mit der Entropie der dissoziierten Moleküle vergleichen zu können. Fürwahr, es muß fast wundernehmen, daß alle diese kühnen Gedankengänge die Prüfung ihrer Resultate durch die Erfahrung so gut bestanden haben. Bedenkt man aber andererseits, daß in allen Resultaten jede Bezugnahme auf die wirkliche Ausführbarkeit jener idealen Prozesse wieder verschwunden ist — es sind ja nur Beziehungen zwischen direkt meßbaren Größen, wie Temperatur, Wärmetönung, Konzentration usw. —, so ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß vielleicht die ganze vorübergehende Einführung solcher idealer Prozesse im Grunde einen Umweg bedeutet, und daß der eigentliche Inhalt des Prinzips der Vermehrung der Entropie mit allen seinen Konsequenzen von dem ursprünglichen Begriff der Irreversibilität oder von der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile zweiter Art ebensowohl losgelöst werden kann, wie das Prinzip der Erhaltung der
19 Energie sich losgelöst hat von dem Satz der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile erster Art. Diesen Schritt: die Emanzipierung des Entropiebegriffes von menschlicher Experimentierkunst und dadurch die Erhebung des zweiten Hauptsatzes zu einem realen Prinzip, vollzogen zu haben, ist das wissenschaftliche Lebenswerk L u d w i g B o l t z m a n n s . Es besteht, kurz gesagt, in der allgemeinen Zurückführung des Begriffes der Entropie auf den Begriff der W a h r s c h e i n l i c h k e i t . Dadurch erklärt sich zugleich auch die Bedeutung des oben von mir aushilfsweise gebrauchten Wortes: „Vorliebe" der Natur für einen bestimmten Zustand. Die Natur zieht eben wahrscheinlichere Zustände den minder wahrscheinlichen vor, indem sie nur Ubergänge in der Richtung größerer Wahrscheinlichkeit ausführt. Die Wärme geht von einem Körper höherer Temperatur zu einem Körper tieferer Temperatur über, weil der Zustand gleicher Temperaturverteilung wahrscheinlicher ist als jeder Zustand ungleicher Temperaturverteilung. Die Berechnung einer bestimmten Größe der Wahrscheinlichkeit für jeden Zustand eines Körpersystems wird ermöglicht durch die Einführung der atomistischen Theorie und der statistischen Betrachtungsweise. Für die Wechselwirkungen der einzelnen Atome könnten dann die bekannten Gesetze der allgemeinen Dynamik, Mechanik und Elektrodynamik zusammengenommen, ganz ungeändert bestehen bleiben. Durch diese Auffassung wird mit einem Schlage der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie aus seiner isolierten Stellung gerückt, das Geheimnisvolle an der Vorliebe der Natur verschwindet, und das Entropieprinzip knüpft sich als ein wohlfundierter Satz der Wahrscheinlichkeitsrechnung an die Einführung der Atomistik in das physikalische Weltbild. Freilich ist nicht zu leugnen, daß dieser weitere Schritt in der Vereinheitlichung des Weltbildes mit mancherlei Opfern erkauft ist. Das vornehmste Opfer ist wohl der Verzicht auf eine wirklich vollständige Beantwortung aller auf die Einzelheiten eines physikalischen Vorganges bezüglichen Fragen, wie sie jede bloß statistische Behandlungsweise mit sich bringt. Denn wenn wir nur mit Mittelwerten rechnen, erfahren wir nichts von den einzelnen Elementen, aus denen sie gebildet sind. Ein zweiter bedenklicher Nachteil scheint zu liegen in der Einführung zweier verschiedener Arten der ursächlichen Verknüpfung physikalischer Zustände: einerseits der absoluten Notwendigkeit, andererseits der bloßen Wahrscheinlichkeit ihres Zusammenhangs. Wenn eine ruhende schwere Flüssigkeit einem tieferen Niveau zustrebt, so ist das nach dem Satz der Erhaltung der Energie eine n o t w e n d i g e Folge des Umstandes, daß sie nur dann in Bewegung geraten, daß heißt kinetische Energie gewinnen kann, wenn die po tentielle Energie verkleinert wird, also ihr Schwerpunkt tiefer rückt. Wenn aber ein wärmerer Körper an einen ihn berührenden kälteren Körper Wärme abgibt, so ist das nur enorm w a h r s c h e i n l i c h ,
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keineswegs absolut notwendig; denn es lassen sich sehr wohl ganz spezielle Anordnungen und Geschwindigkeitszustände der Atome ersinnen, bei denen gerade das Umgekehrte eintritt. B o l t z m a n n hat hieraus die Konsequenz gezogen, daß solche eigentümlichen Vorgänge, die dem zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie zuwiderlaufen, in der Natur wohl vorkommen könnten, und hat ihnen daher in seinem physikalischen Weltbild einen Platz offengelassen. Das ist nun allerdings ein Punkt, in welchem man nach meiner Meinung ihm nicht zu folgen braucht. Denn eine Natur, in welcher solche Dinge passieren, wie das Zurückströmen der Wärme in den wärmeren Körper oder die spontane Entmischung zweier ineinander diffundierter Gase, wäre eben nicht mehr unsere Natur. Solange wir es nur mit letzterer zu tun haben, werden wir wohl besser fahren, wenn wir solche seltsame Vorgänge nicht zulassen, sondern umgekehrt diejenige allgemeine Bedingung aufsuchen und als in der Natur realisiert annehmen, welche jene allen Erfahrungen zuwiderlaufenden Phänomene von vornherein ausschließt. B o l t z m a n n selber hat jene Bedingung für die Gastheorie formuliert, es ist, ganz allgemein gesprochen, die „Hypothese der elementaren Unordnung" oder kurz ausgedrückt die Voraussetzung, daß die einzelnen Elemente, mit denen die statistische Betrachtung operiert, sich vollständig unabhängig voneinander verhalten. Mit der Einführung dieser Bedingung ist die Notwendigkeit alles Naturgeschehens wiederhergestellt; denn ihre Erfüllung zieht nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Vermehrung der Entropie als direkte Konsequenz nach sich, so daß man das Wesen des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie auch geradezu als das P r i n z i p d e r e l e m e n t a r e n U n o r d n u n g bezeichnen kann. In dieser Formulierung kann das Entropieprinzip/ebensowenig jemals zu einem Widerspruch führen, wie die auf rein mathematischer Grundlage ruhende Wahrscheinlichkeitsrechnung, aus der es abgeleitet ist. Wie hängt nun die Wahrscheinlichkeit eines Systems mit seiner Entropie zusammen? Das ergibt sich einfach aus dem Satze, daß die Wahrscheinlichkeit zweier voneinander unabhängiger Systeme durch das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten ( W = W ^ W 2 ) , die Entropie aber durch die Summe der Einzelentropien (S = 5 , + S9) dargestellt wird. Demnach ist die Entropie proportional dem Logarithmus der Wahrscheinlichkeit (S — k log W). Dieser Satz eröffnet den Zugang zu einer neuen, über die Hilfsmittel der gewöhnlichen Thermodynamik weit hinausreichenden Methode, die Entropie eines Systems in einem gegebenen Zustand zu berechnen. Namentlich erstreckt sich hiernach die Definition der Entropie nicht allein auf Gleichgewichtszustände, wie sie in der gewöhnlichen Thermodynamik fast ausschließlich betrachtet werden, sondern ebensowohl auch auf beliebige dynamische Zustände, und man braucht zur Berechnung der Entropie nicht mehr wie bei C 1 a u s i u s einen reversiblen Prozeß auszuführen, dessen Realisierung stets mehr oder weniger zweifelhaft erscheint, sondern man ist unabhängig von allen Künsten
21 menschlicher Technik. Das Anthropomorphe ist mit einem Worte aus dieser Definition völlig ausgemerzt, und damit der zweite Hauptsatz ebenso wie der erste auf eine reale Basis gestellt. Die Fruchtbarkeit der neuen Definition der Entropie hat sich aber nicht allein in der kinetischen Gastheorie, sondern auch in der Theorie der strahlenden Wärme gezeigt, da sie zur Aufstellung von Gesetzen geführt hat, die mit der Erfahrung gut übereinstimmen. Daß auch die strahlende Wärme eine Entropie besitzt, folgt schon daraus, daß ein Körper, der Wärmestrahlen emittiert, eine Einbuße von Wärme, also eine Abnahme seiner Entropie erfährt. Da die gesamte Entropie eines Systems nur wachsen kann, so muß demnach ein Teil der Entropie des ganzen Systems in der ausgestrahlten Wärme enthalten sein. Daher besitzt auch jeder monochromatische Strahl eine bestimmte, nur von seiner Helligkeit abhängige Temperatur; es ist diejenige Temperatur, welche ein schwarzer Körper besitzt, der Strahlen von der nämlichen Helligkeit emittiert. Der Hauptunterschied zwischen der Strahlungstheorie und der kinetischen Theorie liegt darin, daß bei der strahlenden Wärme die Elemente, deren Unordnung die Entropie bedingt, nicht mehr wie bei den Gasen die Atome sind, sondern die äußerst zahlreichen, einfachen, sinusförmigen Partialschwingungen, aus denen jeder Licht- und Wärmestrahl, auch der homogenste, als zusammengesetzt betrachtet werden muß. Für die Gesetze der Wärmestrahlung im freien Äther ist besonders bemerkenswert, daß die in ihnen auftretenden Konstanten, ebenso wie die Gravitationskonstante, einen universellen Charakter besitzen insofern, als sie unabhängig sind von der Bezugnahme auf irgendeine spezielle Substanz oder irgendeinen speziellen Körper. Daher ist mit ihrer Hilfe die Möglichkeit gegeben, Einheiten für Länge, Zeit, Masse, Temperatur aufzustellen, welche ihre Bedeutung für alle Zeiten und für alle, auch für außerirdische und außermenschliche Kulturen notwendig behalten müssen. Dasselbe gilt nämlich bekanntlich keineswegs von den Einheiten unseres gebräuchlichen Maßsystems. Denn diese sind, obwohl sie gewöhnlich als die absoluten Einheiten bezeichnet werden, doch durchweg den speziellen Verhältnissen unserer gegenwärtigen irdischen Kultur angepaßt. Das Zentimeter ist dem jetzigen Umfang unseres Planeten entnommen, die Sekunde der Zeit seiner Umdrehung, das Gramm dem Wasser als dem Hauptbestandteil der Erdoberfläche, die Temperatur den Fundamentalpunkten des Wassers. Jene Konstanten aber sind derart, daß auch die Marsbewohner und überhaupt alle in unserer Natur vorhandenen Intelligenzen notwendig einmal auf sie stoßen müssen, — wenn sie nicht schon darauf gestoßen sind. Noch eines weiteren höchst merkwürdigen Aufschlusses will ich hier gedenken, den das Wesen der Entropie durch ihre Verknüpfung mit der Wahrscheinlichkeit erfahren hat. Der oben benutzte Satz, daß die Wahrscheinlichkeit zweier Systeme das Produkt ist der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Systeme, gilt bekanntlich nur für den Fall, daß die beiden Systeme im Sinne der Wahrscheinlichkeits-
22 rechnung unabhängig voneinander sind; im anderen Fall ist die Wahrscheinlichkeit eine andere. Daher sollte man vermuten, daß in gewissen Fällen die Gesamtentropie zweier Systeme verschieden ist von der Summe der Einzelentropien. Der Nachweis, daß solche Fälle wirklich in der Natur vorkommen, ist kürzlich in der Tat von M a x L a u e geliefert worden. Zwei ganz oder teilweise „kohärente" Lichtstrahlen (die der nämlichen Lichtquelle entstammen) sind im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht unabhängig voneinander, weil durch die Partialschwingungen des einen Strahles die des anderen zum Teil mitbestimmt sind. Nun kann man tatsächlich eine einfache optische Vorrichtung ersinnen, durch welche erreicht wird, daß zwei kohärente Strahlen von beliebigen Temperaturen sich direkt in zwei andere verwandeln, die eine größere Temperaturdifferenz besitzen. Also der alte C1 a u s i u s sehe Grundsatz, daß Wärme nicht ohne Kompensation von einem kälteren zu einem wärmeren Körper gehen kann, gilt nicht für kohärente Wärmestrahlen. Aber das Prinzip der Vermehrung der Entropie behält auch hier seine Gültigkeit; nur ist die Entropie der ursprünglichen Strahlen nicht gleich der Summe ihrer Einzelentropien, sondern kleiner 1 ). Ganz ähnlich verhält es sich nun offenbar mit der oben aufgeworfenen Frage nach der eventuellen Umwandlung der B r o w n sehen Molekularbewegung in nutzbare Arbeit. Denn eine Vorrichtung, welche richtend und ordnend auf die einzelnen bewegten Partikel wirken würde, mag sie nun technisch' herstellbar sein oder nicht, sie wäre jedenfalls, sobald sie in Funktion tritt, mit den Bewegungen der Partikel in gewissem Sinne „kohärent", und deshalb würde es keineswegs einen Widerspruch gegen den zweiten Hauptsatz bedeuten, wenn aus ihrer Wirksamkeit nutzbare lebendige Kraft hervorginge. Man hat nur zu berücksichtigen, daß die Entropie der Molekularbewegung sich nicht einfach zu der Entropie jener Vorrichtung hinzuaddieren würde. Derartige Betrachtungen zeigen, wie vorsichtig man bei der Berechnung der Entropie eines zusammengesetzten Systems aus den Entropien der Teilsysteme zu verfahren hat. Man muß strenggenommen bei jedem Teilsystem erst fragen, ob nicht vielleicht an irgendeiner anderen Stelle des ganzen Systems ein kohärentes Teilsystem vorhanden ist; sonst könnten sich im Falle einer Wechselwirkung der beiden Teilsysteme ganz unerwartete, dem Entropieprinzip scheinbar widersprechende Vorgänge ereignen. Kommen aber die beiden Teilsysteme nicht zur Wechselwirkung, so würde der durch die Nichtbeachtung ihrer Kohärenz begangene Fehler gar nicht bemerklich werden. Wird man durch diese eigentümlichen Folgeerscheinungen der Kohärenz nicht unwillkürlich an die geheimnisvollen Wechselbeziehungen im geistigen Leben erinnert, die häufig ganz verborgen blei') M. L a u e , Ann. d. Physik Bd. 20, S.365, 1906; Bd. 23, S. 1,795, 1907; Verh. H. Dtsch. Physik. Ges. Bd. 9, S. 606, 1907; Physik. Ztschr Bd. 9, S. 778, 1908.
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ben und daher auch ohne Nachteil ignoriert werden können, die aber, falls einmal besondere äußere Umstände zusammentreffen, zu ganz ungeahnten Wirkungen sich entfalten können? Ja, wenn wir einmal unserer Phantasie freien Lauf lassen wollten, so dürften wir die M ö g l i c h k e i t nicht von der Hand weisen, daß vielleicht in Entfernungen, deren Größe durch keine unserer Messungsmethoden faßbar ist, zu der uns umgebenden Körperweit gewisse kohärente Körper existieren, die, solange sie von den unserigen getrennt bleiben, sich ebenso wie diese durchaus normal verhalten, sobald sie aber mit ihnen in Wechselwirkung treten würden, scheinbar, auch nur scheinbare Ausnahmen vom Entropieprinzip hervorrufen könnten. Auf diese Weise könnte die von Seiten des zweiten Hauptsatzes drohende Gefahr des allgemeinen Wärmetodes, welche vielen Physikern und Philosophen diesen Satz unsympathisch gemacht hat, abgewendet werden, ohne daß seine Allgemeingültigkeit überhaupt angetastet zu werden braucht. Aber auch ohne dieses künstliche Auskunftsmittel scheint mir schon wegen der unbegrenzten Ausdehnung der unserer Beobachtung zugänglichen Welt jene G e f a h r nicht irgendwelcher Beunruhigung wert zu sein; harren doch gegenwärtig viele weit dringendere Fragen ihrer Bearbeitung. IV. Ich habe versucht, Ihnen in Kürze einige der Grundlinien anzudeuten, welche das physikalische Weltbild der Zukunft vermutlich einmal aufweisen wird. Überschauen wir nun rückwärts blickend die Wandlungen, welche das Weltbild im Laufe der Entwicklung der Wissenschaft durchgemacht hat und vergegenwärtigen wir uns wied e r die oben gefundenen charakteristischen Merkmale dieser Entwicklung, so muß man zugeben, daß das Zukunftsbild gegenüber der bunten Farbenpracht des ursprünglichen Bildes, welches den mannigfachen Bedürfnissen des menschlichen Lebens entsprossen war und zu welchem alle spezifischen Sinnesempfindungen ihren Beitrag beigesteuert haben, merklich abgeblaßt und nüchtern, der unmittelbaren Evidenz beraubt erscheint, und dies ist für die Verwertung in der Wirklichkeit ein schwerer Nachteil. Dazu kommt noch der gravierende Umstand, daß eine absolute Ausschaltung der Sinnesempfindungen ja gar nicht möglich ist, da wir doch die anerkannte Quelle aller unserer Erfahrungen nicht verstopfen können, daß also von einer direkten Erkenntnis des Absoluten gar nicht die Rede sein kann. Welches ist denn nun das eigentümliche Moment, welches trotz dieser offenbaren Nachteile dem zukünftigen Weltbild dennoch einen so entscheidenden Vorrang verschafft, daß es sich gegen alle früheren durchsetzen kann? — Es ist nichts anderes als die E i n h e i t des Weltbildes. Die Einheit, in bezug auf alle Einzelzüge des Bildes, die Einheit in bezug auf alle Orte und Zeiten, die Einheit in bezug auf alle Forscher, alle Nationen, alle Kulturen. Sehen wir nämlich genauer zu, so glich das alte System der Physik gar nicht einem einzigen Bild, sondern viel eher einer Gemälde-
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Sammlung; denn für jede Klasse von Naturerscheinungen hatte man ein besonderes Bild. Und diese verschiedenen Bilder hingen nicht miteinander zusammen; man konnte eins von ihnen entfernen, ohne die anderen zu beeinträchtigen. D a s wird in dem zukünftigen physikalischen Weltbild nicht möglich sein. Kein einziger Zug desselben wird als unwesentlich fortgelassen werden können, jeder ist vielmehr unentbehrlicher Bestandteil des Ganzen und besitzt als solcher eine bestimmte Bedeutung für die beobachtete Natur, und umgekehrt wird und muß jede beobachtete physikalische Erscheinung in dem Bilde einen ihr genau entsprechenden Platz finden. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied gegenüber gewöhnlichen Bildern, die wohl in gewissen, aber durchaus nicht in allen Zügen dem Original zu entsprechen brauchen, — ein Unterschied, der, wie ich glaube, bisweilen auch in Physikerkreisen nicht genug beachtet wird. Findet man doch gerade in der neueren Fachliteratur gelegentlich Bemerkungen wie die, man müsse bei Anwendungen der Elektronentheorie oder der kinetischen Gastheorie sich stets gegenwärtig halten, daß sie nur ein angenähertes Bild der Wirklichkeit zu geben beanspruche. Wenn diese Bemerkung etwa so ausgelegt würde, daß man nicht von a l l e n Konsequenzen der kinetischen Gastheorie eine Anpassung an die Erfahrungstatsachen verlangen dürfe, so würde eine solche Auffassung auf einem argen Mißverständnis beruhen. Als R u d o l f C l a u s i u s um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus den Grundannahmen der kinetischen Gastheorie gefolgert hatte, daß die Geschwindigkeiten der Gasmolekeln bei gewöhnlichen Temperaturen sich nach Hunderten von Metern pro Sekunde bemessen, wurde ihm als Einwand entgegengehalten, daß zwei G a s e nur sehr langsam ineinander diffundieren, und daß lokale Temperaturschwankungen in Gasen sich ebenfalls nur sehr langsam ausgleichen. Da berief sich C l a u s i u s zur Verteidigung seiner Hypothese nicht etwa darauf, daß dieselbe ja nur ein angenähertes Bild der Wirklichkeit vorstellen solle und daß man nicht zuviel von ihr verlangen dürfe, sondern er zeigte durch Berechnung der mittleren freien Weglänge, daß das von ihm entworfene Bild auch in den beiden namhaft gemachten Zügen den physikalischen Beobachtungen wirklich entspricht. Denn er war sich sehr wohl bewußt, daß mit der Feststellung eines einzigen definitiven Widerspruchs die neue Gastheorie ihren Platz im physikalischen Weltbild unwiderruflich verlieren müsse; und das nämliche gilt auch noch heutzutage. Gerade auf der Berechtigung dieser hohen an das physikalische Weltbild zu stellenden Anforderungen beruht nun offenbar die werbende Kraft, mit der sich dasselbe schließlich die allgemeine Anerkennung erzwingt, unabhängig vom guten Willen des einzelnen Forschers, unabhängig von den Nationalitäten und von den Jahrhunderten, j a unabhängig vom Menschengeschlecht überhaupt. Die letzte Behauptung wird allerdings auf den ersten Blick sehr gewagt, wenn nicht absurd erscheinen. Aber erinnern wii uns zum Beispiel unserer früheren gelegentlichen Schlußfolgerung bezüglich der Physik
25 der Marsbewohner, so wird man mindestens zugeben müssen, daß die behauptete Verallgemeinerung nur eine derjenigen ist, wie man sie in der Physik täglich übt, wenn man über das direkt Beobachtete hinaus Schlüsse macht, die nie und nimmer durch menschliche Beobachtungen geprüft werden können, und daß daher jedenfalls jemand, der ihnen Sinn und Beweiskraft aberkennt, sich selber damit von der physikalischen Denkweise lossagt. Kein Physiker zweifelt wohl an der Zulässigkeit der Behauptung, daß ein mit physikalischer Intelligenz begabtes Geschöpf, welches ein spezifisches Organ für ultraviolette Strahlen besitzt, diese Strahlen als gleichartig mit den sichtbaren anerkennen würde, obwohl noch niemand weder einen ultravioletten Strahl noch ein solches Geschöpf gesehen hat, und kein Chemiker trägt Bedenken, dem auf der Sonne vorhandenen Natrium dieselben chemischen Eigenschaften zuzuschreiben, wie dem irdischen Natrium, obwohl er nicht hoffen kann, jemals ein Reagenzglas mit einem Salz von Sonnennatrium zu füllen. Mit den letzten Ausführungen sind wir schon in die Beantwortung derjenigen Fragen eingetreten, welche ich in meinen einleitenden Worten an den Schluß gestellt habe: Ist das physikalische Weltbild lediglich eine mehr oder minder willkürliche Schöpfung unseres Geistes, oder finden wir uns zu der gegenteiligen Auffassung getrieben, daß es reale, von uns ganz unabhängige Naturvorgänge widerspiegelt? Konkreter gesprochen: Dürfen wir vernünftigerweise behaupten, daß das Prinzip der Erhaltung der Energie in der Natur schon gegolten hat, als noch kein Mensch darüber nachdenken konnte, oder daß die Himmelskörper sich auch dann noch nach dem Gravitationsgesetz bewegen werden, wenn unsere Erde mit allen ihren Bewohnern in Trümmer gegangen ist? Wenn ich im Hinblick auf alles Bisherige diese Frage mit J a beantworte, so bin ich mir dabei wohl bewußt, daß diese Antwort sich in gewissem Gegensatz befindet zu einer Richtung der Naturphilosophie, die gerade gegenwärtig unter der Führung von E r n s t M a c h sich großer Beliebtheit gerade in naturwissenschaftlichen Kreisen erfreut. Danach gibt es keine andere Realität als die eigenen Empfindungen, und alle Naturwissenschaft ist in letzter Linie nur eine ökonomische Anpassung unserer Gedanken an unsere Empfindungen, zu der wir durch den Kampf ums Dasein getrieben werden. Die Grenze zwischen Physischem und Psychischem ist lediglich eine praktische und konventionelle, die eigentlichen und einzigen Elemente der Welt sind die Empfindungen 1 ). Halten wir den letzten Satz mit dem zusammen, was wir unserer Überschau über den tatsächlichen Entwicklungsgang der Physik entnommen haben, so gelangen wir notwendig zu dem eigentümlichen Schluß, daß das charakteristische Merkmal dieser Entwicklung seinen Ausdruck findet in der fortschreitenden Eliminierung der eigentlichen Elemente der Welt aus dem physikalischen Weltbilde. Jeder *) E r n s t M a c h , Beiträge zur Analyse der Empfindungen, S. 23, 142. Jena 1886, Gustav Fischer.
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gewissenhafte Physiker müßte demnach stets sorgfältig bemüht sein, das eigene Weltbild als etwas begrifflich Einzigartiges und von allen anderen total Verschiedenes genau zu unterscheiden, und weton einmal zwei seiner Fachgenossen, die ganz unabhängig voneinander den nämlichen physikalischen Versuch angestellt haben, dabei entgegengesetzte Resultate gefunden zu haben behaupten, was ja gelegentlich vorkommt, so würde er einen prinzipiellen Fehler begehen, wenn er etwa schließen wollte, daß mindestens einer von den beiden im Irrtum befindlich sein muß. Denn der Gegensatz könnte ja auch durch einen Unterschied der beiderseitigen Weltbilder bedingt sein.,— Ich glaube nicht, daß ein richtiger Physiker jemals auf solch seltsame Gedankengänge verfallen würde. Indessen will ich gern zugeben, daß eine erfahrungsgemäß enorme Unwahrscheinlichkeit von der prinzipiellen Unmöglichkeit praktisch nicht abweicht; aber das möchte ich dafür hier um so ausdrücklicher hervorheben, daß die Angriffe, welche von jener Seite her gegen die atomistischen Hypothesen und gegen die Elektronentheorie gerichtet werden, unberechtigt und unhaltbar sind. Ja, ich möchte ihnen geradezu die Behauptung entgegensetzen — und ich weiß, daß ich damit nicht allein stehe —: die Atome, so wenig wir von ihren näheren Eigenschaften wissen, sind nicht mehr und nicht weniger real als die Himmelskörper oder als die uns umgebenden irdischen Objekte; und wenn ich sage: ein Wasserstoffatom wiegt 1,6 • 10"-24 g, so enthält dieser Satz keine geringere Art von Erkenntnis wie der, daß der Mond 7 • 10 is g wiegt. Freilich kann ich ein Wasserstoffatom weder auf die Waagschale legen noch kann ich es überhaupt sehen, aber den Mond kann ich auch nicht auf die Waagschale legen, und was das Sehen betrifft, so gibt es bekanntlich auch unsichtbare Himmelskörper, deren Masse mehr oder weniger genau gemessen ist; wurde doch ja auch die Masse des Neptun gemessen, noch ehe überhaupt ein Astronom sein Fernglas auf ihn richtete. Eine Methode physikalischer Messung aber, bei der jedwede auf Induktion beruhende Erkenntnis ausgeschaltet ist, existiert überhaupt nicht; das gilt auch für die direkte Wägung. Ein einziger Blick in ein Präzisionslaboratorium zeigt uns die Summe von Erfahrungen und Abstraktionen, welche gerade in einer solchen scheinbar so einfachen Messung enthalten ist. Es bleibt uns noch übrig zu fragen, woher es denn kömmt, daß die M a c h sehe Erkenntnistheorie eine so große Verbreitung unter den Naturforschern gefunden hat. Täusche ich mich nicht, so bedeutet sie im Grunde eine Art Reaktion gegen die stolzen Erwartungen, die man vor einem Menschenalter, im Gefolge der Entdeckung des Energieprinzips, an die speziell mechanische Naturanschauung geknüpft hatte, wie man sie zum Beispiel in den Schriften E m i l d u B o i s - R e y m o n d s niedergelegt finden kann. Ich will nicht sagen, daß diese Erwartungen nicht manche hervorragende Leistungen von bleibendem Wert gezeigt haben — ich nenne nur die kinetische Gastheorie —, aber in vollem Umfange genommen haben sie sich
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doch als übertrieben herausgestellt, ja die Physik hat durch die Einführung der Statistik in ihre Betrachtungen auf eine vollständige Durchführung der Mechanik der Atome grundsätzlich verzichtet. Ein philosophischer Niederschlag der unausbleiblichen Ernüchterung war der M a c h sehe Positivismus. Ihm gebührt in vollem Maße das Verdienst, angesichts der drohenden Skepsis den einzig legitimen Ausgangspunkt aller Naturforschung in den Sinnesempfindungen wiedergefunden zu haben. Aber er schießt über das Ziel hinaus, indem er mit dem mechanischen Weltbild zugleich das physikalische Weltbild überhaupt degradiert. So fest ich davon überzeugt bin, daß dem M a c h sehen System, wenn es wirklich folgerichtig durchgeführt wird, kein innerer Widerspruch nachzuweisen ist, ebenso sicher scheint es mir ausgemacht, daß seine Bedeutung im Grunde nur eine formalistische ist, welche das Wesen der Naturwissenschaft gar nicht trifft, und dies deshalb, weil ihm das vornehmste Kennzeichen jeder naturwissenschaftlichen Forschung: die Forderung eines k o n s t a n t e n , von dem Wechsel der Zeiten und Völker unabhängigen Weltbildes fremd ist. Das M a c h s c h e Prinzip der Kontinuität bietet hierfür keinen Ersatz; denn Kontinuität ist nicht Konstanz. Das konstante einheitliche Weltbild ist aber gerade, wie ich zu zeigen versucht habe, das feste Ziel, dem sich die wirkliche Naturwissenschaft in allen ihren Wandlungen fortwährend annähert, und in der Physik dürfen wir mit Recht behaupten, daß schon unser gegenwärtiges Weltbild, obwohl es je nach der Individualität des Forschers hoch in den verschiedensten Farben schillert, dennoch gewisse Züge enthält, welche durch keine Revolution, weder in der Natur noch im menschlichen Geiste, je mehr verwischt werden können. Dieses Konstante, von jeder menschlichen, überhaupt jeder intelektuellen Individualität Unabhängige ist nun eben das, was wir das Reale nennen. Oder gibt es zum Beispiel heute wirklich noch einen ernst zu nehmenden Physiker, der an der Realität des Energieprinzips zweifelt? Eher umgekehrt, man macht die Anerkennung dieser Realität zu einer Vorbedingung bei der wissenschaftlichen Wertschätzung. Freilich, darüber, wie weit man gehen darf in der Zuversicht, schon jetzt die Grundzüge des Weltbildes der Zukunft festgelegt zu haben, lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Hier ist die größte Vorsicht am Platze. Aber um diese Frage handelt es sich erst in zweiter Linie. Worauf es hier einzig und allein ankommt, ist die Anerkennung eines solchen festen, wenn auch niemals ganz zu erreichenden Zieles, und dieses Ziel ist — nicht die vollständige Anpassung unserer Gedanken an unsere Empfindungen, sondern — d i e v o l l s t ä n d i g e Loslösung des p h y s i k a l i s c h e n Welt b i l d e s von der I n d i v i d u a l i t ä t des b i l d e n d e n Gei s t e s. Es ist dies eine etwas genauere Umschreibung dessen, was ich oben die Emanzipierung von den anthropomorphen Elementen genannt habe, um das Mißverständnis auszuschließen, als ob das Welt-
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bild von dem bildenden Geist überhaupt losgelöst werden sollte; denn das wäre ein widersinniges Beginnen. Zum Schluß noch ein Argument, das vielleicht auf diejenigen, welche trotz alledem den menschlich-ökonomischen Gesichtspunkt als den eigentlich ausschlaggebenden hinzustellen geneigt sind, mehr Eindruck macht als alle bisherigen sachlichen Überlegungen. Als die großen Meister der exakten Naturforschung ihre Ideen in die Wissenschaft warfen: als N i k o l a u s K o p e r n i k u s die Erde aus dem Zentrum der Welt entfernte, als J o h a n n e s K e p l e r die nach ihm benannten Gesetze formulierte, als I s a a c N e w t o n die allgemeine Gravitation entdeckte, als Ihr großer Landsmann C h r i s t i a n H u y g e n s seine Undulationstheorie des Lichtes aufstellte, als M i c h a e 1 F a r a d a y die Grundlagen der Elektrodynamik schuf — die Reihe wäre noch lange fortzusetzen —, da waren ökonomische Gesichtspunkte sicherlich die allerletzten, welche diese Männer in ihrem Kampfe gegen überlieferte Anschauungen und gegen überragende Autoritäten stählten. Nein — es war ihr felsenfester, sei es auf künstlerischer, sei es auf religiöser Basis ruhender Glaube an die Realität ihres Weltbildes. Angesichts dieser doch gewiß unanfechtbaren Tatsache läßt sich die Vermutung nicht von der Hand weisen, daß, falls das M a c h sehe Prinzip der Ökonomie wirklich einmal in den Mittelpunkt der Erkenntnistheorie gerückt werden sollte, die Gedankengänge solcher führender Geister gestört, der Flug ihrer Phantasie gelähmt und dadurch der Fortschritt der Wissenschaft vielleicht in verhängnisvoller Weise gehemmt werden würde. Wäre es da nicht wahrhaft „ökonomischer", dem Prinzip der Ökonomie einen etwas bescheideneren Platz anzuweisen? Übrigens werden Sie schon aus der Formulierung dieser Frage ersehen, daß ich selbstverständlich weit davon entfernt bin, die Rücksicht auf die Ökonomie in höherem Sinne außer acht lassen oder gar verbannen zu wollen. J a , wir können noch einen Schritt weitergehen. Jene Männer sprachen gar nicht von ihrem Weltbild, sondern sie sprachen von der Welt oder der Natur selbst. Ist nun zwischen ihrer „Welt" und unserem „Weltbild der Zukunft" irgendein erkennbarer Unterschied? Sicherlich nicht. Denn daß es gar keine Methode gibt, einen solchen Unterschied zu prüfen, ist durch I m m a n u e l K a n t Gemeingut aller Denker geworden. Der zusammengesetzte Ausdruck „Weltbild" ist nur der Vorsicht halber üblich geworden, um gewisse Illusionen von vornherein auszuschließen. Wir können ihn also, wenn wir uns nur vornehmen, die erforderliche Vorsicht anzuwenden und hinter dem Worte Welt nichts weiter zu suchen als jenes ideale Zukunftsbild, auch wieder durch das einfache Wort ersetzen und gelangen dann zu einer mehr realistischen Ausdrucksweise, die sich nun gerade auch vom ökonomischen Standpunkte aus augenscheinlich weit mehr empfiehlt als der im Grunde äußerst komplizierte und schwer ganz durchzudenkende M a c h sehe Positivismus, und die ja auch tatsächlich von den Physikern stets angewendet wird, wenn sie in der Sprache ihrer Wissenschaft reden —
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Ich habe soeben von Illusionen gesprochen. Nun wäre es ganz gewiß auch von meiner Seite eine arge Illusion, wenn ich hoffen wollte, mit meinen Ausführungen allgemein überzeugt zu haben, ja auch nur allgemein verständlich gewesen zu sein; und ich werde mich also auch sorgfältig hüten, ihr anheimzufallen. Sicherlich wird über diese prinzipiellen Fragen noch vieles gedacht und geschrieben werden; denn der Theoretiker sind viele, und das Papier ist geduldig. Deshalb wollen wir um so einstimmiger und rückhaltloser dasjenige betonen, was von uns allen ohne Ausnahme jederzeit anerkannt und beherzigt werden muß: das ist in erster Linie die Gewissenhaftigkeit in der Selbstkritik, verbunden mit der Ausdauer im Kampfe für das einmal als richtig Erkannte, in zweiter Linie die ehrliche, auch durch Mißverständnisse nicht zu erschütternde Achtung vor der Persönlichkeit wissenschaftlicher Gegner, und im übrigen das ruhige Vertrauen auf die Kraft desjenigen Wortes, welches seit nunmehr neunzehnhundert Jahren als letztes, untrügliches Kennzeichen die falschen Propheten von den wahren scheiden lehrt: An ihren F r ü c h t e n sollt Ihr sie erkennen!
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Die Stellung der neueren Physik zur mechanischen N atur anschauung. (Vortrag, gehalten am 23. September 1910 auf der 82. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte in Königsberg i. Pr.)
Von allen Stätten der regelmäßigen Tagungen unserer Gesellschaft läßt sich wohl kaum eine nennen, die so unmittelbar dazu einladet, einen Blick auf die neuere Entwicklung der physikalischen Theorien zu werfen, wie unser diesjähriger Versammlungsort. Ich denke dabei nicht nur an den großen Königsberger Philosophen, der mit genialer Kühnheit sogar die Uranfänge unseres Kosmos physikalischen Gesetzen zu unterwerfen suchte; ich denke auch an den Begründer der theoretischen Physik in Deutschland, F r a n z N e u m a n n , dessen Schule der physikalischen Wissenschaft eine Reihe ihrer hervorragendsten Forscher beschert hat; ich denke an den Verkünder des Prinzips der Erhaltung der Energie, H e r m a n n H e l m h o l t z , der hier vor 56 Jahren vor den Mitgliedern der Physikalischökonomischen Gesellschaft die damals ganz neuen Begriffe der potentiellen und der kinetischen Energie („Spannkraft" und „lebendige Kraft") an dem Bild eines durch Wasserkraft gehobenen und dann herabsausenden Hammers erläuterte. Seit jener Zeit haben sich,-wie jedermann bekannt ist, in der Phy sik ungeahnte Wandlungen vollzogen. Wäre H e l m h o l t z heute unter uns versetzt, er würde zweifellos über gar vieles, was er von physikalischen Dingen hörte, erstaunt den Kopf schütteln. In erster Linie sind es die großartigen Fortschritte der experimentellen Technik, welche den Umschwung herbeigeführt haben. Die von ihr errungenen Erfolge kamen in mancher Beziehung so unerwartet, daß man heutzutage selbst Probleme für lösbar zu halten geneigt ist, an deren Bewältigung vor wenig Jahrzehnten noch kein Mensch gedacht hätte, und daß man prinzipiell überhaupt kaum etwas für technisch absolut unmöglich ansieht. Aber auch den Theoretikern hat sich ein gutes Stück des bei den Praktikern herangebildeten Wagemutes mitgeteilt, sie gehen jetzt mit einer für frühere Zeiten unerhörten Kühnheit ans Werk, kein physikalischer Satz ist gegenwärtig vor Anzweiflungen sicher, alle und jede physikalische Wahrheit gilt als diskutabel. Es sieht manchmal fast so aus, als wäre in der theoretischen Physik die Zeit des Chaos wieder im Anzüge. Aber je verwirrender die Fülle der neuen Tatsachen, je bunter die Mannigfaltigkeit der neuen Ideen auf uns eindringt, um so gebiete-
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rischer erhebt sich wieder auf der anderen Seite der Ruf nach einer zusammenfassenden Betrachtungsweise. Denn so gewiß der Erfolg eines jedweden Experimentes nur durch eine passende Anordnung und Deutung der Versuche gewährleistet wird, ebenso sicher kann eine in weiterem Umfang brauchbare Arbeitshypothese, die zu rieh tigen Fragestellungen verhilft, nur durch eine zweckmäßige physi kaiische Weltanschauung vermittelt werden. Und nicht nur für die Physik, für die ganze Naturwissenschaft ist dieser Ruf nach einer zusammenfassenden Naturanschauung bedeutungsvoll; denn eine Umwälzung im Bereich der physikalischen Prinzipien kann nicht ohne Rückwirkung auf alle übrigen Naturwissenschaften bleiben. Diejenige Naturanschauung, die bisher der Physik die wichtigsten Dienste geleistet hat, ist unstreitig die mechanische. Bedenken wir, daß dieselbe darauf ausgeht, alle qualitativen Unterschiede in letzter Linie zu erklären durch Bewegungen, so dürfen wir die mechanische Naturanschauung wohl definieren als die Ansicht, daß alle physikalischen Vorgänge sich vollständig auf Bewegungen von unveränderlichen, gleichartigen Massenpunkten oder Massenelementen zurückführen lassen. Jedenfalls werde ich hier in diesem Sinne von der mechanischen Naturanschauung sprechen. Ist nun diese Hypothese auch heutzutage der neueren Entwicklung der Physik gegenüber grundlegend und durchführbar? Von jeher hat es Physiker und Philosophen gegeben, welche die Bejahung dieser Frage als etwas Selbstverständliches ansahen, ja sie geradezu als ein Postulat der physikalischen Forschung betrachteten. Nach dieser Auffassung besteht die Aufgabe der theoretischen Physik direkt darin, alle Vorgänge in der Natur auf Bewegung zurückzuführen. Demgegenüber gab es von jeher skeptischere Naturen, welche den fundamentalen Charakter einer solchen Formulierung des Problems bezweifelten, welche die mechanische Naturanschauung für zu eng hielten, um die ganze bunte Mannigfaltigkeit sämtlicher Naturvorgänge zu umspannen. Man kann nicht sagen, daß die eine der beiden entgegengesetzten Meinungen bisher das entschiedene Übergewicht errungen hätte. Erst in unseren Tagen scheint sich eine end gültige Entscheidung vorzubereiten, als Endresultat einer tiefgehenden Bewegung, welche die theoretische Physik ergriffen hat — einer Bewegung von solch radikaler, umwälzender Art, daß sie ihre Wellen weit über die eigentliche Physik hinaus in die Nachbargebiete der Chemie, Astronomie, ja bis in die Erkenntnistheorie hinein schlägt, und daß in ihrem Gefolge sich wissenschaftliche Kämpfe ankündigen, denen nur noch die um die kopernikanische Weltanschauung geführten vergleichbar sein werden. Was zu dieser Revolution geführt hat, und wie die durch sie hervorgerufene Krisis vielleicht überwunden werden wird, das möchte ich im folgenden darzulegen versuchen. Die Blütezeit der mechanischen Naturanschauung lag im vorigen Jahrhundert. Den ersten mächtigen Impuls erfuhr sie durch die Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie, ja sie wurde sogar manchmal mit dem Energieprinzip, besonders in der ersten Zeit
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seiner Entdeckung, geradezu identifiziert. Dieses Mißverständnis rührt jedenfalls daher, daß vom Standpunkt der mechanischen Naturanschauung das Energieprinzip sich sehr leicht deduzieren läßt: denn wenn alle Energie mechanischer Natur ist, so ist im Grunde das Energieprinzip nichts anderes als das in der Mechanik schon seit langer Zeit bekannte Gesetz der lebendigen Kräfte. Es gibt dann in der ganzen Natur überhaupt nur zwei Arten von Energie, kinetische und potentielle, und es handelt sich nur noch darum, bei einer bestimmten Energieart, z. B. Wärme, Elektrizität, Magnetismus, zu entscheiden, ob sie kinetischer oder potentieller Natur ist. Dies ist ganz der Standpunkt, den H e l m h o l t z in seiner ersten epochemachenden Schrift über die Erhaltung der Kraft eingenommen hat. Es dauerte erst eine gewisse Zeit, ehe man sich bewußt wurde, daß mit dem Satz der Erhaltung der Energie über die Natur der Energie noch gar nichts ausgesagt ist — welche Meinung übrigens der Entdecker des mechanischen Wärmeäquivalents, J u l i u s R o b e r t M a v e r , bekanntlich von Anfang an verfochten hatte. Was der mechanischen Anschauung ihren eigentlichen speziellen Antrieb verlieh, das war vielmehr die Entwicklung der kinetischen Gastheorie. Dieselbe traf aufs glücklichste zusammen mit der Richtung, welche inzwischen die chemische Forschung eingeschlagen hatte. Dort war man bei der Aufgabe, das Molekül vom Atom genau zu unterscheiden, auf den A v o g a d r o sehen Satz gekommen, als auf die brauchbarste Definition des gasförmigen Moleküls, und nun ergab sich gerade dieser Satz als eine strenge Folgerung der kinetischen Gastheorie wofern man als Maß der Temperatur die lebendige Kraft der bewegten Moleküle einführt. So konnten auf Grund der atomistischen Vorstellungen die Erscheinungen der Dissoziation und Assoziation, der Isomerie, der optischen Aktivität der Moleküle, durch mechanische Betrachtungen bis ins einzelne aufgehellt werden, mit gleichem Erfolge wie die physikalischen Vorgänge der Reibung, der Diffusion, der Wärmeleitung. Allerdings blieb noch die Frage als letztes wichtigstes Problem zurück, wie die Verschiedenheit der chemischen Elemente durch Bewegungen zu erklären sei. Aber auch hier zeigte sich Hoffnung; denn das periodische System der Elemente schien mit Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß es schließlich nur eine Art Materie gibt; und wenn auch die P r o u t sehe Hypothese, daß der Wasserstoff diese Urmaterie ist, sich einstweilen als undurchführbar erwies, weil die Atomgewichte durchaus nicht ganze Vielfache des Wasserstoffatom gewichts sind, so blieb doch immer noch die Möglichkeit übrig, den gemeinschaftlichen Baustein aller chemischen Elemente, das Uratom, noch kleiner zu wählen und dadurch die Einheitlichkeit des Urstoffes zu wahren. Eine ernste Gefahr schien eine Zeitlang der atomistischen Theorie von energetischer Seite her, aus der reinen Thermodynamik, zu erwachsen. Hatte man schon, wie oben hervorgehoben, erkannt, daß die mechanische Naturauffassung durch das Energieprinzip keineswegs
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gefordert wird, so führte der zweite Hauptsatz der Thermodynamik und seine vielfachen Anwendungen, namentlich auf dem Gebiete der physikalischen Chemie, zu einem gewissen Mißtrauen gegen die Atomistik. Allgemeine Sätze, welche sich aus der reinen Thermo dvnamik mit Leichtigkeit in voller Exaktheit und in ihrem ganzen Umfange ergeben, wie z. B. die Gesetze der Verdampfungs- und Schmelzwärme, des osmotischen Druckes, der elektrolytischen Disso ziation, der Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung, konnten mit den Vorstellungen der Atomistik nur mühsam und in gewisser Annäherung abgeleitet werden, besonders auf dem Gebiete der Flüssigkeiten und festen Körper, wo überhaupt die Atomistik noch gar nicht recht eingeführt war, während die Methoden der Thermodynamik alle drei Aggregatzustände mit gleicher Souverän! tat beherrschten und gerade auf dem Gebiet der flüssigen Lösungen ihre glänzendsten Erfolge erzielten. Vor allem aber machte die Irreversibilität der natürlichen Vorgänge -der mechanischen Naturauffassung viel zu schaffen, denn in der Mechanik sind alle Vorgänge reversibel, und es bedurfte der tiefgehenden Analyse und nicht minder des unbeugsamen wissenschaftlichen Optimismus eines L u d w i g B o l t z m a n n , um die Atomistik mit dem zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie nicht nur zu versöhnen, sondern sogar die Grundidee des zweiten Hauptsatzes durch die Atomistik erst verständlich zu machen. Alle diese schwierigen Fragen wurden spielend überwunden, oder vielmehr sie existierten überhaupt nicht für die Anhänger der reinen Thermodynamik, welche die Zurückführung der thermischen und chemischen Energie auf mechanische gar nicht als Problem anerkannten, sondern bei der Annahme verschiedenartiger Energien stehenblieben — ein Umstand, der B o l t z m a n n gelegentlich zu dem Stoßseufzer veranlaßte, die kinetische Gastheorie scheine ihm aus der Mode gekommen zu sein. Wenige Jahre später hätte er dies wohl nicht mehr gesagt; denn es war gerade damals um die Zeit, als die kinetische Gastheorie Erfolge zu sammeln begann, welche den bisherigen mindestens die Waage hielten. Zunächst gelangte die reine Thermodynamik bald an ihre natür liehe Grenze. Da nämlich der zweite Hauptsatz im allgemeinen nur eine Ungleichung liefert, so lassen sich Gleichungen aus ihm nur für Gleichgewichtszustände ableiten, hier allerdings in voller Allgemeinheit und Exaktheit. Sobald man aber dies Gebiet verläßt und nach dem zeitlichen Verlauf physikalischer oder chemischer Vorgänge fragt, vermag der zweite Hauptsatz nur die Richtung anzugeben, auch wohl einige qualitative Aussagen für solche Vorgänge zu machen, die sich vom Gleichgewichtszustand sehr wenig entfernen; aber einen quantitativ bestimmbaren Wert für Reaktionsgeschwindigkeiten liefert er nicht, und noch viel weniger einen Einblick in die Einzelheiten der betreffenden Vorgänge. Hier ist man also lediglich auf atomistische Vorstellungen angewiesen, und dieselben haben sich nach allen Richtungen bewährt. Ganz besonders wichtig wurden sie für die Gesetze der Ionisierung, wie überhaupt aller Vorgänge, bei welchen
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Elektronen eine Rolle spielen. Es muß hier der einfache Hinweis darauf genügen, daß die Erscheinungen der Dispersion, der Kathoden- und Röntgenstrahlen, der gesamten Radioaktivität, um diese unermeßlichen Gebiete nur mit einem Wort zu nennen, überhaupt nur zu verstehen sind auf dem Boden der kinetischen Atomistik. Ja seljbst auf dem ureigenen Gebiet der Thermodynamik, bei den Gleichgewichts- bzw stationären Zuständen, hat die kinetische Theorie über gewisse Fragen Licht verbreitet, die der reinen Thermodynamik dunkel bleiben mußten. Sie hat die Emission und Absorption der Wärmestrahlen verständlicher gemacht, ja sie hat in der Erklärung der sogenannten B r o w n sehen Molekularbewegung den direkten, sozusagen handgreiflichen Beweis für ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit geliefert, und dadurch erst kürzlich ihre höchsten Triumphe gefeiert Zusammenfassend kann man sagen: Auf dem Gebiete der Wärmelehre, der Chemie, der Elektronentheorie ist die kinetische Atomistik nicht mehr nur Arbeitshypothese, sie ist eine fest und dauernd begründete Theorie. Wie steht es nun aber mit der mechanischen Naturanschauung? Dieselbe würde doch mit der Atomistik der Materie und der Elektri zität sich nicht begnügen, sondern würde noch weiter verlangen, daß überhaupt a l l e Naturvorgänge als Bewegungen einfacher Massenpunkte gedeutet werden können. Der großartigste, aber auch vielleicht der letzte Versuch, prinzi piell alle Naturerscheinungen auf Bewegung zurückzuführen, ist enthalten in der Mechanik von H e i n r i c h H e r t z . Hier ist das Streben der mechanischen Naturanschauung nach einem einheitlichen Weltbild zu einer gewissen idealen Vollendung gebracht worden. Die H e r t z sehe Mechanik ist nicht eigentlich aktuelle Physik, sie ist Zukunftsphysik oder sozusagen eine Art physikalisches Glaubensbekenntnis Sie stellt ein Programm auf von erhabener Konsequenz und Harmonie, das alle früheren auf das gleiche Ziel gerichteten Versuche hinter sich läßt. H e r t z begnügt sich nämlich nicht damit, die vollständige Durchführbarkeit der mechanischen Naturanschauung auf Grund der Annahme von Bewegungen einfacher gleichartiger Massenpunkte, der einzigen wahren Bausteine des ganzen physikalischen Universums, zu postulieren, er geht noch über den von H e l m h o 11 z in seiner Erhaltung der Kraft vertretenen Standpunkt insofern hinaus, als er den Unterschied zwischen potentieller und kinetischer Energie und damit alle Probleme, welche die Untersuchung der speziellen Energieart betreffen, von vornherein eliminiert. Nach H e r t z gibt es nicht nur eine einzige Art von Materie, den Massenpunkt, sondern auch nur eine einzige Art von Energie, die kinetische. Alle anderen Energien, die wir z. B. als potentielle Energie, als elektromagnetische, chemische, thermische Energie bezeichnen, sind in Wahrheit kinetische Energie der Bewegungen unsichtbarer Massenpunkte, und was das Verhalten dieser Energien so verschieden macht, sind einzig und allein die festen Koppelungen, welche in der Natur zwischen den Lagen und den Geschwindigkeiten der betreffenden
35 Massenpunkte bestehen. Diese Koppelungen beeinträchtigen die Gültigkeit des Energieprinzips in keiner Weise, da sie nur für die Richtung der Bewegungen, nicht aber für die Größe der lebendigen Kräfte von Einfluß sind, ebenso etwa, wie ein fahrender Eisenbahnzug durch die Krümrtiung der Schienen wohl abgelenkt, aber nicht verlangsamt wird. Alle Bewegungen in der Natur beruhei» daher nach H e r t z im letzten Grunde ausschließlich auf der Trägheit der Materie. Ein gutes Beispiel für diese Anschauung liefert die kinetische Gastheorie, welche die bis dahin als potentiell angesehene elastische Energie der ruhenden Gasteilchen ersetzt durch die kinetische Energie der bewegten Gasteilchen. Diese radikale Vereinfachung der Annahmen bringt es mit sich, daß die Sätze der H e r t z sehen Mechanik sich einer wunderbaren Einfachheit und Übersichtlichkeit erfreuen. Aber bei näherer Betrachtung erweisen sich die Schwierigkeiten nicht behoben, sondern nur zurückgeschoben, und zwar zurückgeschoben in ein der experimentellen Prüfung fast unzugängliches Gebiet. H e r t z selber mochte dies gefühlt haben; denn er hat, wie auch H e l m h o l t z in seiner Vorrede zu dem nachgelassenen Werk betont, niemals auch nur den Versuch gemacht, in einem bestimmten einfachen Fall die Art der von ihm eingeführten unsichtbaren Bewegungen mit ihren eigenartigen Koppelungen anzudeuten. Auch heute sind wir in dieser Richtung nicht um einen Schritt weitergekommen; im Gegenteil werden wir sehen, daß die Entwicklung der Physik inzwischen ganz andere Bahnen eingeschlagen hat, die nicht nur von der H e r t z sehen, sondern überhaupt von der mechanischen Auffassung weit hinweg führen. Denn gerade unter den am allergenauesten erforschten physikalischen Vorgängen gibt es noch eine große Gruppe, welche der Durchführung der mechanischen Naturanschauung einen, wie es scheint, unüberwindlichen Widerstand entgegengesetzt hat. Ich wende mich gleich zu dem eigentlichen Schmerzenskinde der mechanischen Theorie: dem Lichtäther. Die Bestrebungen, die Lichtwellen als Bewegungen eines fein verteilten Stoffes zu deuten, sind so alt wie die H u y g e n s sehe Undulationstheorie, und entsprechend bunt ist die Reihe der Vorstellungen, die man sich von der Konstitution dieses rätselhaften Mediums im Laufe der Zeiten gebildet hat. Denn so sicher die Existenz eines materiellen Lichtäthers ein Postulat der mechanischen Naturanschauung ist — denn nach ihr muß, wo Energie ist, auch Bewegung sein, und wo Bewegung ist, muß auch itwas da sein, was sich bewegt —, so seltsam sticht sein Verhalten von dem aller übrigen bekannten Stoffe ab, schon wegen seiner außerordentlich geringen Dichtigkeit im Vergleich zu seiner kolossalen Elastizität, welche die ungeheuer große Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Lichtwellen bedingt. Nach H u y g e n s , welcher die Lichtwellen für longitudinal hielt, konnte man sich den Lichtäther noch als ein feines Gas denken, nach F r e s n e l aber, welcher die Transversalität zur Gewißheit erhob, mußte der Äther als fester Körper angesprochen werden; denn ein gasförmiger Äther wäre nicht imstande, transversale Lichtwellen fortzupflanzen. Es ist zwar vielfach
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versucht worden, die Transversalwellen durch reibungsartige Vorgänge zu erklären, die ja auch in Gasen vorkommen, aber dieser Weg erscheint schon deshalb nicht gangbar, weil im freien Äther weder Absorption des Lichtes noch eine Abhängigkeit der Fortpflanzungs geschwindigkeit von der Farbe nachweisbar ist. Man war also ge zwungen, einen testen Körper anzunehmen, der die sonderbare Eigenschaft besitzt, daß die Himmelskörper ohne jeden nachweisbaren Widerstand durch ihn hindurchgehen Aber das war erst der Anfang der Schwierigkeiten. Jeder Versuch, die Gleichungen der Elastizi tätstheorie fester Körper auf den Lichtäther anzuwenden, führte zur Forderung longitudinaler Wellen, welche in Wirklichkeit nicht exi stieren, wenigstens trotz angestrengter, vielfach variierter Bemühungen nicht aufzufinden waren, und dieser longitudinalen Wellen konnte man sich nur entledigen durch die Annahme entweder unendlich kleiner oder auch unendlich großer Kompressibilität des Lichtäthers Aber selbst dann war es unmöglich, die Grenzbedingungen an der Trennungsfläche zweier verschiedenartiger Medien vollkommen befriedigend zu erfüllen. Ich will hier absehen von einer Schilderung aller verschiedenartigen mehr oder weniger komplizierten Annahmen, durch welche man dieser Schwierigkeiten Herr zu werden suchte, ich will nur noch hinweisen auf ein bedenkliches Symptom, welches unfruchtbare Hypothesen zu begleiten pflegt und welches sich auch bei dem vorliegenden Problem unangenehm fühlbar machte: ich meine das Auftreten von physikalischen Kontroversen, die gar nicht durch Messungen «u entscheiden sind. Dahin gehört vor allem die berühmte Kontroverse zwischen F r e s n e l und N e u m a n n über den Zusammenhang der Schwingungsrichtung geradlinig polarisierten Lichtes mit der Polarisationsebene. Es läßt sich wohl kaum ein Gebiet der Physik namhaft machen, in welchem um eine im Grunde, wie es scheint, unlösbare Frage ein so hartnäckiger Kampf geführt wurde, mit allen erdenklichen Waffen des Experimentes und der Theorie. Erst mit dem Vordringen der elektromagnetischen Lichttheorie wurde dieser Kampf als bedeutungslos erkannt und abgebrochen — bedeutungslos allerdings nur für diejenige Auffassung, welche sich damit begnügt, das Licht als einen elektrodynamischen Vorgang zu betrachten. Denn das Problem der mechanischen Erklärung der Lichtwellen blieb ungelöst bestehen, es war nur vertagt bis zur Lösung des viel allgemeineren Problems, sämtliche elektromagnetische Vorgänge, statische und dynamische, auf Bewegung zurückzuführen. Und in der Tat: mit der weiteren Entwicklung der Elektrodynamik wuchs das Interesse an diesem größeren Problem wieder um so stärker. Man ging mit umfassenderen Hilfsmitteln, von allgemeineren Erwägungen aus daran, es seiner Lösung näher zu führen, und damit stieg auch die Bedeutung des Lichtäthers wieder: denn war er bisher nur dei Sitz der optischen Wellen gewesen, so wurde er nun Träger der Gesamtheit der elektromagnetischen Erscheinungen, wenigstens im reinen Vakuum.
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Doch alles war vergeblich — der Lichtäther spottete abermals aller Bemühungen, ihn mechanisch zu begreifen. Soviel schien zwar einleuchtend, daß die elektrische und magnetische Energie sich in gewissem Sinne ebenso gegenüberstehen, wie kinetische und potentielle Energie, und es frag sich zunächst nur, ob man die elektrische oder die magnetische Energie als kinetisch aufzufassen habe. Ersteres würde für die Optik zur F r e s n e 1 sehen, letzteres zur N e u m a n n sehen Theorie führen. Aber die Hoffnung, daß nunmehr die Hereinziehung der Eigentümlichkeiten statischer und stationärer Felder die nötigen Anhaltspunkte zu der auf optischem Gebiet unmöglichen Entscheidung liefern würde, verwirklichte sich nicht. Im Gegenteil, dieselbe vermehrte nur die Schwierigkeiten in gesteigertem Maße. Alle nur denkbaren Vorschläge und Kombinationen wurden erschöpft, um die Konstitution des Lichtäthers zu ergründen; am tätigsten in dieser Richtung ist unter den großen Physikern wohl Lord K e l v i n bis an sein Lebensende gewesen. Es erwies sich als nicht möglich, die elektrodynamischen Vorgänge im freien Äther aus einer einheitlichen mechanischen Hypothese abzuleiten — während doch dieselben Vorgänge in wunderbarer Einfachheit und mit einer bis jetzt in allen Einzelheiten bestätigten Genauigkeit durch die M a x w e l l - H e r t z schen Differentialgleichungen dargestellt werden. Die Gesetze selber waren also bis ins einzelne und einzelste bekannt, nur die mechanische Erklärung dieser einfachen Gesetze versagte, und zwar vollständig und endgültig. Wenigstens glaube ich in Physikerkreisen keinem ernsthaften Widerspruch zu begegnen, wenn ich zusammenfassend sage, daß die Voraussetzung der genauen Gültigkeit der einfachen M a x w e l l - H e r t z sehen Differentialgleichungen für die elektrodynamischen Vorgänge im reinen Äther die Möglichkeit ihrer mechanischen Erklärung ausschließt. Daß M a x w e l l mit Hilfe mechanischer Vorstellungen ursprünglich auf seine Gleichungen gekommen ist, ändert natürlich nichts an dieser Tatsache. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein genau richtiges Resultat durch eine nicht ganz zureichende Ideenverbindung aufgefunden wurde. Wer heutzutage an der mechanischen Auffassung der elektrodynamischen Vorgänge im freien Äther festhalten will, der ist genötigt, die M a x w e l l - H e r t z schen Gleichungen als nicht ganz exakt anzusehen und sie durch Hinzufügung gewisser Glieder von kleinerer Größenordnung zu präzisieren. Gegen die Berechtigung dieses Standpunktes läßt sich gewiß von vornherein nichts einwenden, und es bietet sich hier noch ein rciches Feld für Spekulationen aller Art, aber andererseits muß doch beachtet werden, daß seine Begründung lediglich auf dem Wege des Experimentes erfolgen kann, und daß man bei jedem derartigen Versuch nachgerade stark mit der Möglichkeit rechnen muß, zu den mannigfachen bisher vergeblich ersonnenen Experimenten noch ein neues zu fügen. Von derartigen Experimenten habe ich schon gesprochen; eins habe ich aber noch nicht erwähnt, und das ist das wichtigste von allen, denn seine Bedeutung ist ganz unabhängig von allen näheren Annahmen über die Natur des Lichtäthers.
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Mag man nämlich über die Konstitution des Lichtäthers denken wie man will, mag man ihn als kontinuierlich oder als diskontinuierlich, aus „Ätheratomen" oder aus „Neutronen" bestehend ansehen, stets erhebt sich die Frage, ob bei der Bewegung eines durchsichtigen Körpers der darin befindliche Lichtäther von dem bewegten Körper mitgenommen wird, oder ob der Lichtäther, während der Körper sich bewegt, ganz oder teilweise in Ruhe bleibt. Auf diese Frage läßt sich mit Sicherheit eine Antwort dahin geben, daß der Lichtäther jeden falls nicht immer vollständig, häufig so gut wie gar nicht von dem Körper mitgenommen wird Denn in einem bewegten Gase, z. B. in bewegter Luft, pflanzt sich das Licht merklich unabhängig von der Geschwindigkeit des Gases fort, oder, wenn ich mich etwas drastisch ausdrücken darf, das Licht geht gegen den Wind gerade ebenso schnell wie mit dem Winde Das hat schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts F i z e a u durch feine Interferenzversuche bewiesen Wir müssen uns also vorstellen, daß der Äther, in welchem sich die Lichtwellen fortpflanzen, durch bewegte Luft nicht merklich beeinflußt wird, sondern in Ruhe bleibt, wenn sie durch ihn hindurch streicht. Wenn aber dem so ist, so muß man naturgemäß weiter fragen: Wie groß ist denn nun die Geschwindigkeit, mit welcher die atmosphärische Luft durch den Äther hindurchgeht? Diese Frage ist es nun, die bisher in keinem einzigen Falle, durch keine Messung hat beantwortet werden können. Die atmosphärische Luft, welche die Erde umgibt, macht im großen ganzen die Bewegung der Erde mit, das bedeutet relativ zur Sonne eine Geschwindigkeit von etwa 30 km pro Sekunde, deren Richtung mit der Jahreszeit stetig wechselt. Wenn diese Geschwindigkeit auch nur der zehntausendste Teil der Lichtgeschwindigkeit ist. so lassen sich doch optische Experimente ersinnen, welche nach allem, was wir sonst aus der Optik wissen, eine Geschwindigkeit von dieser Größenordnung zu messen gestatten würden. Die Untersuchungen über eine Messung der Erdbewegung relativ zum Lichtäther füllen viele Seiten der Annalen der Physik. Aber aller Scharfsinn, alle experimentellen Künste scheiter ten an der Hartnäckigkeit der Tatsachen. Die Natur blieb stumm und verweigerte die Antwort. Es ließ sich nirgends eine Spur des Einflusses der Erdbewegung auf die optischen Vorgänge innerhalb unserer Atmosphäre auffinden. Am auffälligsten ist in dieser Beziehung das Ergebnis eines Versuches von A. M i c h e l s o n , bei welchem die Lichtfortpflanzung in der Richtung der Erdbewegung verglichen wird mit der Lichtfortpflanzung quer zur Richtung der Erdbewegung. Bei diesem Versuch liegen die Verhältnisse prinzipiell so außerordentlich einfach, und die Methode der Messung ist so außerordentlich empfindlich, daß ein Einfluß- der Erdbewegung mit aller Deutlichkeit zum Vorschein kommen müßte. Aber der gesuchte Effekt ist nicht vorhanden. Angesichts dieser für die theoretische Physik so überaus schwierigen und rätselhaften Sachlage ist der Gedanke doch gewiß nicht unberechtigt, ob man nicht besser täte, das Problem des Lichtäthers
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einmal von einer ganz anderen Seite anzugreifen. Wenn nun das Scheitern aller auf die mechanischen Eigenschaften des Lichtäthers bezüglichen Versuche einen prinzipiellen Grund hätte? Wenn alle die besprochenen Fragen nach der Konstitution, nach der Dichtigkeit, nach den elastischen Eigenschaften des Äthers, nach den longitudinalen Ätherwellen, nach dem Zusammenhang der Äthergeschwindigkeit mit der Polarisationsebene, nach der Geschwindigkeit der Erdatmosphäre relativ zum Äther, gar keinen physikalischen Sinn besäßen? Dann wäre das Bemühen, diese Fragen zu lösen, auf dieselbe Stufe zu stellen wie etwa die Bemühungen, ein Perpetuum mobile zu konstruieren. Und damit gelangen wir zu dem entscheidenden Wendepunkt. In seinem von mir eingangs erwähnten Königsberger Vortrag hat H e l m h o l t z mit besonderem Nachdruck betont, daß der erste Schritt zur Entdeckung des Energieprinzips geschehen war, als zuerst die Frage auftauchte: Welche Beziehungen müssen zwischen den Naturkräften bestehen, wenn es unmöglich sein soll, ein Perpetuum mobile zu bauen? Ebenso kann man gewiß mit Recht behaupten, daß der erste Schritt zur Entdeckung des P r i n z i p s d e r R e l a t i v i t ä t zusammenfällt mit der Frage: Welche Beziehungen müssen zwischen den Naturkräften bestehen, wenn es unmöglich sein soll, an dem Lichtäther irgendwelche stoffliche Eigenschaften nachzuweisen? Wenn also die Lichtwellen sich, ohne überhaupt an einem materiellen Träger zu haften, durch den Raum fortpflanzen? Dann würde natürlich die Geschwindigkeit eines bewegten Körpers in bezug auf den Lichtäther gar nicht definierbar, geschweige denn meßbar sein. Ich brauche nicht hervorzuheben, daß mit dieser Auffassung die mechanische Naturanschauung schlechterdings unvereinbar ist. Wer daher die mechanische Naturanschauung als ein Postulat der physikalischen Denkweise ansieht, wird sich mit der Relativitätstheorie nie befreunden können. Wer aber freier urteilt, wird zunächst fragen, wohin jenes Prinzip uns führt. Da versteht sich nun zunächst, daß die vorstehend gegebene rein negative Formulierung des neuen Prinzips erst dann einen fruchtbaren Inhalt gewinnt, wenn sie kombiniert wird mit einer der Erfahrung entnommenen positiven Grundlage, und als solche eignen sich am besten die schon besprochenen M a x w e l l H e r t z sehen Gleichungen der elektrodynamischen Vorgänge im freien Äther, oder, wie wir jetzt besser sagen, im reinen Vakuum. Denn unter allen Medien ist das Vakuum das denkbar einfachste, und dementsprechend sind in der ganzen Physik, von den allgemeinen Prinzipien abgesehen, keine Beziehungen bekannt, die so feine Vorgänge betreffen und dabei so exakt zu gelten scheinen wie diese Gleichungen Eine neue Wahrheit hat aber immer zunächst mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen; denn sonst wäre sie schon viel früher gefunden worden. Bei der Relativitätstheorie liegt die Hauptschwierigkeit in einer sehr tiefgreifenden, man kann geradezu sagen, revolutionären Konsequenz, zu der sie hinsichtlich der Auffassung des Begriffs der
40 Zeit nötigt. Es sei mir gestattet, diesen Kardinalpunkt an einem kon kreten Beispiel näher zu erläutern. Nach dem Prinzip der Relativität ist es durchaus unmöglich, an unserem Sonnensystem eine gemeinsame konstante Geschwindigkeit aller Bestandteile desselben durch Messungen innerhalb des Systems nachzuweisen. Eine solche Geschwindigkeit, und wäre sie auch noch so groß, dürfte also in keinerlei Weise durch Wirkungen innerhalb des Systems zur Geltung kommen. Dem Astronomen ist dieser Satz ohne weiteres geläufig, er soll aber auch für den Physiker gelten. Nun weiß jeder Gebildete, daß, wenn er an einem Himmelskörper, z. B an der Sonne, irgendeinen besonderen Vorgang beobachtet, das Ereignis auf der Sonne nicht in demselben Augenblick stattfindet, in welchem es auf der Erde wahrgenommen wird, sondern daß zwischen dem Ereignis und der Beobachtung desselben eine gewisse Zeit verstreicht: die Zeit, welche das Licht gebraucht, um von der Sonne auf die Erde zu gelangen. Nimmt man an, daß Sonne und Erde beide ruhen — von der Bewegung der Erde um die Sonne können wir hier ganz absehen —, so beträgt diese Zeit etwa 8 Minuten. Wenn aber Sonne und Erde sich mit gemeinschaftlicher Geschwindigkeit be wegen, etwa in der Richtung von der Erde zur Sonne, so daß die Erde sich gegen die Sonne hin, die Sonne sich aber mit der nämlichen Ge schwindigkeit von der Erde fortbewegt, dann ist diese Zeit kürzer. Denn die Lichtwelle, welche als Bote die Kunde des Ereignisses von der Sonne zur Erde bringt, durchläuft, nachdem sie die Sonne ver lassen, unabhängig von der Bewegung der Sonne mit Lichtgeschwin digkeit den kosmischen Raum, und die Erde kommt dem Boten entgegen, sie trifft ihn also früher, als wenn sie seine Ankunft in Ruhe abwartet. Umgekehrt: wenn die Erde sich von der Sonne fortbewegt, die Sonne ihr in konstantem Abstand nachfolgt, wird die Zeit zwischen Ereignis und Beobachtung länger. Fragt man also: Welche Zeit verstreicht denn nun „in Wirklichkeit" zwischen dem Ereignis auf der Sonne und der Beobachtung auf der Erde? so ist diese Frage ganz gleichbedeutend mit der: Welches ist denn die „wirkliche" Geschwindigkeit von Sonne und Erde? Und da der letzteren Frage nach dem Relativitätsprinzip in keinerlei Weise ein physikalischer Sinn zugeschrieben werden kann, so ist dies folge richtig auch bei der ersteren Frage der Fall, oder mit anderen Worten: Eine Zeitangabe hat in der Physik erst dann einen bestimmten Sinn, wenn der Geschwindigkeitszustand des Beobachters, für den sie gelten soll, in Rücksicht gezogen wird. Diese Folgerung, nach welcher einer Zeitgröße ebenso wie einer Geschwindigkeit nur eine relative Bedeutung zukommt, nach welcher bei zwei voneinander unabhängigen Ereignissen an verschiedenen Orten die Begriffe „früher", „später" sich für zwei verschiedene Beobachter geradezu umkehren können, klingt für das gewöhnliche Anschauungsvermögen im ersten Augenblick ganz ungeheuerlich, ja geradezu unannehmbar — aber vielleicht doch nicht unannehmbarer, als vor 500 Jahren die Behauptung geklungen haben mag, daß die
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Richtung, welche wir die vertikale nennen, keine absolut konstante ist, sondern binnen 24 Stunden im Räume einen Kegel beschreibt. Die Forderung der Anschaulichkeit kann, so berechtigt sie in vielen Fällen ist, unter Umständen, besonders gegenüber dem Eindringen neuer großer Ideen in die Wissenschaft, zum schädlichen Hemmnis werden. Gewiß sind viele fruchtbare physikalische Ideen auf dem Boden der unmittelbaren Anschauung erwachsen, es hat aber auch immer solche gegeben, und darunter nicht die schlechtesten, welche sich ihren Platz gerade im Kampf mit überlieferten Anschauungen erringen mußten. Ein jeder von uns erinnert sich wohl noch der Schwierigkeit, die es seinem kindlichen Anschauungsvermögen bereitete, als er sich zum ersten Male vorzustellen bemühte, daß es Menschen auf der Erdkugel gibt, die die Füße gegen uns kehren, und daß'diese Menschen ebenso sicher wie wir auf dem Boden herumgehen, ohne von der Kugel herabzufallen oder wenigstens einige unbehagliche Kongestionen nach dem Kopfe zu erleiden. Wer aber heute die mangelnde Anschaulichkeit als sachlichen Einwand gegen den relativen Charakter aller räumlichen Richtungen geltend machen wollte, der würde einfach ausgelacht werden. Ich bin nicht sicher, ob nicht in abermals 500 Jahren das nämliche jemand passieren würde, der den relativen Charakter der Zeit bezweifeln wollte Der Maßstab für die Bewertung einer neuen physikalischen Hypothese liegt nicht in ihrer Anschaulichkeit, sondern in ihrer Leistungsfähigkeit. Hat die Hypothese sich einmal als fruchtbar bewährt, so gewöhnt man sich an sie, und dann stellt sich nach und nach eine gewisse Anschaulichkeit ganz von selber ein. Als die Erforschung der elektromagnetischen Wirkungen noch eine unvollkommene war, glaubte man vielfach zur Veranschaulichung des galvanischen Stromes, der elektromotorischen Kräfte, der magnetischen Kraftlinien die Vorstellung des strömenden Wassers, der hydraulischen Pumpen, der gespannten Gummifäden nicht entbehren zu können. Heute verschmähen wohl die Elektrotechniker meistenteils diese unvollkommenen Analogien und arbeiten lieber direkt mit den ihnen durch Gewohnheit vertraut gewordenen elektromagnetischen Vorstellungen. Ja, es ist mir sogar gelegentlich aufgefallen, daß man umgekehrt kompliziertere Flüssigkeitsströmungen, wie die H e 1 m h o 11 z sehen Wirbelbewegungen, durch elektromagnetische Analogien anschaulich zu machen gesucht hat. Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit der Theorie der Relativität? Allerdings stellt sie an das physikalische Abstraktionsvermögen äußerst weitgehende Anforderungen, dafür sind aber ihre Methoden bequem und universell und liefern vor allem eindeutige, verhältnismäßig leicht formulierbare Resultate. Unter den Pionieren auf dem neuen Terrain ist zuerst H e n d r i k A n t o o n L o r e n t z zu nennen, welcher den Begriff der relativen Zeit gefunden und in die Elektrodynamik eingeführt hat, ohne allerdings so radikale Folgerungen daran zu knüpfen, dann Albert Einstein, welcher zuerst die Kühn-
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heit besaß, die Relativität aller Zeitangaben als universelles Postulat zu proklamieren, und H e r m a n n M i n k o w s k i , dem es gelang, die Relativitätstheorie in ein abgerundetes mathematisches System zu bringen Es ist natürlich kein Zufall, daß diese abstrakten Probleme vor wiegend bei den Mathematikern Interesse und Förderung gefunden haben, besonders nachdem sich zeigte, daß die hier maßgebenden mathematischen Methoden zum größten Teil ganz dieselben sind wie die. welche in der vierdimensionalen Geometrie ausgebildet wurden. Aber auch die echten vorurteilslosen Experimentalphysiker stehen der Relativitätstheorie keineswegs von vornherein feindlich gegenüber, sie lassen einstweilen die Sache sich ruhig entwickeln und machen ihre Stellung einfach davon abhängig, welche Resultate die experimentelle Prüfung ergeben wird. In dieser Beziehung ist nun zunächst hervorzuheben, daß die Anzahl der aus der Relativitätstheorie fließenden physikalischen Folgerungen zwar eine sehr reichhaltige ist, daß aber ihre Prüfung an die Genauigkeit der Messungen Anforderungen stellt, welche die Beobachtungsinstrumente bis zur äußersten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit in Anspruch nehmen. Das rührt in erster Linie daher, daß die Geschwindigkeiten der Körper, über die wir bei Messungen verfügen, gegen die Lichtgeschwindigkeit in der Regel äußerst klein sind. Die schnellsten Bewegungen treffen wir an bei den Elektronen, daher ist auch auf dem Gebiet der Dynamik der Elektronen das erste sichere positive Ergebnis zu erwarten. Indessen: die Leistungsfähigkeit der Instrumente wird mit der Zeit vergrößert, die Genauigkeit der Messungen erhöht, die Prüfung der Theorie verfeinert werden. Es liegt auch hier ganz ebenso wie beim oben angeführten Gleichnis mit der Figur unseres Planeten. Wäre der Radius der Erde nicht gar so groß gegen die uns bei Versuchen zur Verfügung stehenden Längen, so wäre die Kugelgestalt der Erde und die Relativität aller räumlichen Richtungen jedenfalls schon viel früher erkannt worden. Aber die Bedeutung dieser von mir schon wiederholt herangezogenen Analogie zwischen Raum und Zeit geht noch viel weiter. Sie ist mehr als eine Analogie, sie ist Identität, wenigstens im mathematischen Sinne. Es ist M i n k o w s k i s Hauptverdienst, gezeigt zu haben, daß, wenn man die Zeitgrößen in einer passenden, allerdings imaginären, Einheit mißt, die drei Dimensionen des Raumes und die eine Dimension der Zeit absolut symmetrisch in die physikalischen Grundgesetze eingehen. Der Übergang von einer räumlichen Richtung in eine andere ist danach mathematisch und physikalisch vollkommen äquivalent dem Übergang von einer Geschwindigkeit auf eine andere, und die Lehre von der relativen Bedeutung jedes Geschwindigkeitszustandes ist nur eine Ergänzung zu der Lehre von der Relativität jeder räumlichen Richtung. Wie die letztere Lehre sich erst nach langem Ringen zu allgemeiner Anerkennung durchkämpfen konnte, so wird es auch bei der ersteren in jedem Falle noch harte Kämpfe kosten — Kämpfe, die heutzutage wenigstens nicht mehr, wie damals.
43 mit Gefahr für Leib und Leben der Modernisten verbunden sind. Das beste Mittel aber, ja das einzige, um eine Entscheidung herbeizuführen, liegt in der näheren Verfolgung der Konsequenzen, zu denen die neuen Ideen führen, und in diesem Sinne möchten auch meine folgenden Ausführungen aufgefaßt werden. Nach dem Prinzip der Relativität besitzt die unseren Beobachtungen zugängliche physikalische Welt vier vollkommen gleichberechtigte und vertauschbare Dimensionen. Drei von ihnen nennen wir den Raum, die vierte die Zeit, und aus jedem physikalischen Gesetz lassen sich durch Vertauschung der darin vorkommenden Weltkoordinaten drei andere Gesetze ableiten. Das oberste physikalische Gesetz, die Krone dieses ganzen Systems, bildet, wenigstens nach meiner Auffassung, d a s P r i n z i p d e r k l e i n s t e n W i r k u n g , welches die vier Weltkoordinaten in vollkommen symmetrischer Anordnung enthält 1 ). Von diesem Zentralprinzip strahlen symmetrisch nach vier Richtungen vier ganz gleichwertige Prinzipien aus, entsprechend den vier Weltdimensionen; den räumlichen Dimensionen entspricht das (dreifache) Prinzip der Bewegungsgröße, der zeitlichen Dimension entspricht das Prinzip der Energie. Niemals war es früher möglich, die tiefere Bedeutung und den gemeinsamen Ursprung dieser Prinzipien soweit zurück bis zur Wurzel zu verfolgen. Auch das Verhältnis der mechanischen zur energetischen Naturanschauung rückt durch diese Auffassung in eine neue Beleuchtung. Denn wie die energetische Naturanschauung auf dem Energieprinzip, so fußt die mechanische Naturanschauung auf dem Prinzip der Bewegungsgröße. Sind doch die drei bekannten N e w t o n sehen Bewegungsgleichungen nichts anderes als der Ausdruck des Prinzips der Bewegungsgröße, angewendet auf einen materiellen Punkt; denn nach ihnen ist die Änderung der Bewegungsgröße gleich dem Impuls der Kraft, während nach dem Energieprinzip die Änderung der Energie gleich ist der Arbeit der Kraft. Jede der beiden Naturanschauungen, die mechanische wie die energetische, leidet somit an einer gewissen Einseitigkeit, wenn auch die erstere der zweiten insofern wesentlich überlegen ist, als sie, entsprechend dem vektoriellen Charakter der Bewegungsgröße, drei Gleichungen liefert, die energetische dagegen nur eine einzige Gleichung. Natürlich gilt das Gesagte nicht nur für die Bewegung eines einzigen materiellen Punktes, sondern überhaupt für jeden reversibeln Vorgang aus dem Gebiete der Mechanik, der Elektrodynamik und der Thermodynamik. Aus der Bewegungsgröße oder aus der Energie eines bewegten Körpers läßt sich nun auch seine träge Masse ableiten, welche natür*) Da das Prinzip der kleinsten Wirkung gewöhnlich durch ein Zeitintegral ausgedrückt wird, so scheint darin eine Bevorzugung der Zeit zu liegen. Diese Einseitigkeit ist indessen nur eine scheinbare und durch die Art der Bezeichnungsweise bedingt. Denn das „Wirkungsintegral" (die Größe deren Variation verschwindet) irgend eines physikalischen Vorgangs ist gegenüber allen L o r e n t z -Transformationen invariant.
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lieh bei dieser Art der Betrachtung ihren elementaren Charakter einbüßt und zu einem sekundären Begriff herabsinkt. In der Tat ergibt sich auf diese Weise die träge Masse eines Körpers nicht als eine Konstante, sondern als abhängig von der Geschwindigkeit, und zwar in der Art, daß, wenn die Geschwindigkeit des Körpers bis zur Lichtgeschwindigkeit gesteigert wird, die träge Masse über alle Grenzen hinauswächst. Daher ist es nach der Relativitätstheorie überhaupt unmöglich, einen Körper auf eine Geschwindigkeit zu bringen, die ebenso groß oder gar noch größer ist als die Lichtgeschwindigkeit. Daß übrigens die träge Masse eines Körpers keine Konstante ist. sondern streng genommen sogar von der Temperatur abhängt, folgt, ganz abgesehen von der Relativitätstheorie, schon einfach aus dem Umstand, daß jeder Körper einen gewissen, von der Temperatur abhängigen Betrag von strahlender Wärme im Innern birgt, deren Trägheit zuerst F r i t z H a s e n ö h r l erkannt hat. Wenn aber, so muß man fragen, der bisher allgemein als grundlegend angenommene Begriff des Massenpunktes die Eigenschaft der Konstanz und Unveränderlichkeit verliert, welches ist denn nun das eigentlich Substantielle, welches sind die unveränderlichen Bausteine, aus denen das physikalische Weltgebäude zusammengefügt ist? — Hierauf läßt sich folgendes sagen: Die unveränderlichen Elemente des auf dem Relativitätsprinzip basierten Systems der Physik sind die sogenannten u n i v e r s e l l e n K o n s t a n t e n : vor allem die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, die elektrische Ladung und die Ruhmasse eines Elektrons, das aus der Wärmestrahlung gewonnene „elementare Wirkungsquantum', welches wahrscheinlich auch bei chemischen Erscheinungen eine fundamentale Rolle spielt, die Gravitationskonstante, und wohl noch manche andere. Diese Größen besitzen insofern reale Bedeutung, als ihre Werte unabhängig sind von der Beschaffenheit, dem Standpunkt und dem Geschwindigkeitszustand eines Beobachters. Im übrigen müssen wir bedenken, daß es hier jedenfalls noch vieles im einzelnen aufzuklären gibt. Wären wir imstande, alle derartigen Fragen befriedigend zu beantworten, so wäre die Physik keine induktive Wissenschaft mehr, und das wird sie sicherlich stets bleiben. Wie schon diese wenigen Bemerkungen erkennen lassen werden, erweist sich das Prinzip der Relativität keineswegs lediglich zersetzend und zerstörend — es wirft ja nur eine Form beiseite, welche durch die unaufhaltsame Erweiterung der Wissenschaft ohnedies schon gesprengt war —, sondern in weit höherem Grade ordnend und aufbauend. Es errichtet an Stelle des alten zu eng gewordenen Gebäudes ein neues, umfassenderes und dauerhafteres, welches alle Schätze des alten, selbstverständlich auch die gesamte oben von mir geschilderte Atomistik, in veränderter, übersichtlicherer Gruppierung in sich aufnimmt und noch für neu zu erwartende den vorher bestimmten Platz gewährt Es entfernt aus dem physikalischen Weltbild die unwesentlichen, nur durch die Zufälligkeit unserer menschlichen Anschauungen und Gewohnheiten hineingebrachten Bestand-
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teile und reinigt dadurch die Physik von den anthropomorphen, der Eigenart der Physiker entstammenden Beimengungen, deren vollständige Ausscheidung ich an anderer Stelle als das eigentliche Ziel jeglicher physikalischer Erkenntnis hinzustellen versucht habe. Es eröffnet den vorwärtstastenden Forscher eine Perspektive von schier unermeßlicher Weite und Erhabenheit, und leitet ihn auf Zusammenhänge, die man in früheren Perioden nicht einmal zu ahnen vermochte, und die auch der formvollendeten Mechanik von H e i n r i c h H e r t z noch fremd bleiben mußten. Wer einmal den Schritt gewagt hat, sich in die Gedankenfolge dieser neuen Anschauungen zu vertiefen, der kann sich dem Zauber, der von ihnen ausgeht, auf die Dauer nicht mehr entziehen, und es ist wohl begreiflich, daß eine künstlerisch veranlagte Natur, wie diejenige des der Wissenschaft zu früh entrissenen H e r m a n n M i n k o w s k i , durch sie zu heller Begeisterung entflammt werden konnte. Aber physikalische Fragen werden nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten entschieden, sondern durch Experimente, und dies bedeutet in allen Fällen nüchterne, mühsame, geduldige Detailarbeit. Und gerade darin zeigt sich ja die hohe physikalische Bedeutung des Relativitätsprinzips, daß es auf eine Reihe physikalischer Fragen, die früher völlig im Dunkeln lagen, eine ganz präzise, durch Versuche kontrollierbare Antwort gibt. Man muß das Prinzip daher mindestens als eine Arbeitshypothese von eminenter Fruchtbarkeit anerkennen, gerade im Gegensatz zu den mechanischen Hypothesen des Lichtäthers. Gegenwärtig ist der Kampf am heißesten entbrannt auf dem Gebiet der Dynamik der Elektronen, welche durch die Entdeckung der elektrischen und der magnetischen Ablenkung freifliegender Elektronen auch feineren Beobachtungen zugänglich gemacht ist. In verschiedenen Laboratorien sind jetzt, unabhängig voneinander, erfahrene Köpfe und geschickte Hände am Werk, und man darf auf den Ausgang dieses Kampfes um so mehr gespannt sein, als es anfänglich den Anschein hatte, daß die Messungen den Forderungen des Relativitätsprinzips widersprechen, während gegenwärtig sich das Zünglein der Waage wieder mehr zugunsten des Prinzips zu neigen scheint. Wie die Augen zahlreicher Physiker und Physikfreunde auf diese fundamentalen Versuche gerichtet sind, so hat auch unsere Gesellschaft ihr Interesse an ihnen dadurch bekundet, daß sie einen Teil der Erträgnisse der T r e n k l e - Stiftung zugunsten einer derartigen Experimentaluntersuchung verwendet hat. Hoffen wir, daß auch aus ihr ein wertvoller Beitrag zur Lösung dieses Problems hervorgehen wird. — Wie nun auch die Entscheidung fallen möge: ob sich das Prinzip der Relativität bewährt oder ob es aufgegeben werden muß, ob wir wirklich an der Schwelle einer ganz neuen Naturanschauung stehen oder ob auch dieser Vorstoß nicht aus dem Dunkel herauszuführen vermag — Klarheit muß unter allen Umständen geschaffen werden, dafür ist kein Preis zu hoch. Denn auch eine Enttäuschung, wenn sie
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nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts, und die mit der Resignation verbundenen Opfer würden reichlich aufgewogen werden durch den Gewinn an Schätzen neuer Erkenntnis Ich glaube, diese Worte so recht im Sinne unserer Gesellschaft aussprechen zu dürfen, der man es zum besonderen Ruhme anrechnen muß, daß sie sich niemals an eine von vornherein festgelegte wissenschaftliche Marschroute gebunden, sondern etwaige dahingehende Versuche stets mit Entschiedenheit zurückgewiesen hat. Wir dürfen nicht zweifeln, daß dies auch in Zukunft so bleiben wird, und daß unsere Losung, wie in der Physik, so auch in jeder Naturwissenschaft unablässig vorwärts führen wird, unbekümmert um die Art der Resultate, einzig dem Lichte der Wahrheit entgegen.
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Energie und Temperatur1) Von M a x
Planck.
D e r ehrenvollen E i n l a d u n g , an dieser d u r c h rastlose wissenschaftliche A r b e i t g e w e i h t e n Stätte ein T h e m a meines e n g e r e n A r b e i t s g e b i e t e s zu b e h a n d e l n , g l a u b e ich nicht besser entsprechen zu können, als indem ich versuche, Ihnen über ein P r o b l e m zu berichten, welches g e g e n w ä r t i g g e r a d e z u im Mittelpunkt der t h e r m o d y n a m i s c h e n F o r s c h u n g steht: es ist die F r a g e nach dem Zusammenhang zwischen Temperatur und E n e r g i e . Ich h a b e dieses T h e m a u m so lieber gewählt, weil ich damit n a c h t r ä g l i c h g e r n e a u c h ein S c h e r f l e i n beitragen rrtöchte, u m in der S t a d t seines W i r k e n s d a s A n d e n k e n des unsterblichen H e n r y V i c t o r R e g n a u l t zu ehren, d e m die klassische T h e r m o d y n a m i k ihre wichtigsten Zahlen v e r d a n k t , u n d dessen hundertjährige G e b u r t s t a g s f e i e r noch heute in der physikalischen W e l t nachklingt. D e m F e r n e r s t e h e n d e n scheint die F r a g e , wie sich T e m p e r a t u r und E n e r g i e zueinander verhalten, höchst einfach u n d elementar zu sein, und ebenso leicht zu beantworten, wie sie gestellt wird. Indessen h o f f e ich bald zeigen zu können, d a ß dies d u r c h a u s nicht der F a l l ist, d a ß hinter d i e s e r F r a g e g r o ß e S c h w i e r i g k e i t e n , geheimnisvolle Rätsel stecken, und d a ß erst in der allerneuesten Zeit sich eine A u s s i c h t e r ö f f n e t hat, der endgültigen L ö s u n g dieses F u n d a m e n t a l problems der T h e r m o d y n a m i k m e r k l i c h n ä h e r zu k o m m e n . E s wird wohl nicht zuviel g e s a g t sein, w e n n m a n behauptet, d a ß die e x a k t e t h e r m o d y n a m i s c h e F o r s c h u n g v o n d e m Zeitpunkt a b datiert, als m a n unterscheiden lernte zwischen den B e g r i f f e n d e r T e m p e r a t u r und der W ä r m e m e n g e . Das i ) V o r t r a g , gehalten arti 21. A p r i l 1 9 1 1 in P a r i s , bei der Ostertagung der Französischen Physikalischen Gesellschaft.
T h e r m o m e t e r u n d das K a l o r i m e t e r bildeten seitdem die wichtigsten M e ß i n s t r u m e n t e der W ä r m e l e h r e , beide w u r d e n mit der Zeit in bew u n d e r u n g s w ü r d i g e ] ' W e i s e vervollkommnet, und mit der G e n a u i g k e i t der M e s s u n g e n g i n g H a n d in H a n d die G e n a u i g k e i t der Definitionen, o h n e welche a u c h die feinste M e s s u n g keinen W e r t besitzt. D e n n w ä h r e n d sich die W ä r m e m e n g e als eine besondere F o r m der E n e r g i e darstellte und d u r c h die K e n n t n i s des m e c h a n i s c h e n W ä r m e äquivalents direkt in das absolute m e c h a n i s c h e M a ß der E n e r g i e ü b e r g e f ü h r t werden konnte, e r g a b sich eine v o l l k o m m e n e x a k t e , a u c h fiir Präzisionsmessungen b r a u c h b a r e Definition der T e m p e r a t u r aus der A n w e n d u n g des zweiten Hauptsatzes der W ä r m e l e h r e , des CarnotC l a u s i u s s c h e n Prinzips, einerseits auf die molek u l a r e W ä r m e , andererseits auf die strahlende W ä r m e . W i r d ü r f e n also mit g u t e m R e c h t ann e h m e n , d a ß sowohl W ä r m e m e n g e n als a u c h T e m p e r a t u r e n mit einer G e n a u i g k e i t b e s t i m m t w e r d e n k ö n n e n , welche lediglich d u r c h die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t der M e s s u n g s i n s t r u m e n t e bes c h r ä n k t ist und mit deren V e r b e s s e r u n g unbegrenzt zunimmt. W e n n nun aber a u c h dieses Ziel mit aller wünschenswerten A n n ä h e r u n g erreichbar erscheint, so m ü s s e n wir d o c h weiter f r a g e n : In w e l c h e m a l l g e m e i n e n Z u s a m m e n h a n g steht n u n der B e g r i f f der T e m p e r a t u r mit d e m der E n e r g i e ? — W e r sich lediglich auf den S t a n d p u n k t der reinen E n e r g e t i k stellt, wird vielleicht s a g e n : „ D i e T e m p e r a t u r ist ein F a k t o r der E n e r g i e , die T e m p e r a t u r verhält sich zur W ä r m e e n e r g i e wie die m e c h a n i s c h e K r a f t zur m e c h a n i s c h e n A r b e i t , wie das elektrische Potential zur elektrischen E n e r g i e . Die T e m p e r a t u r d i f f e r e n z zweier K ö r p e r ergibt die R i c h t u n g des W ä r m e ü b e r g a n g s zwischen i h n e n , g e n a u ebenso wie die mechanische K r a f t die R i c h t u n g der B e w e g u n g , oder die Potentialdifferenz die R i c h t u n g des elektrischen S t r o m e s . "
48 W e r so spricht, übersieht dabei den wesentlichen P u n k t , dal.» eine B e w e g u n g a u c h in der R i c h t u n g g e g e n die K r a f t , eine elektrische S t r ö m u n g a u c h in d e r R i c h t u n g g e g e n d a s Potentialgefälle erfolgen kann, wahrend ein S t r ö m e n der W ä r m e e n e r g i e in d e r R i c h t u n g g e g e n d a s T e m p e r a t u r g e f ä l l e absolut unmöglich ist. S c h o n die E x i s t e n z einer G r ö ß e mit den E i g e n s c h a f t e n , wie sie die T e m p e r a t u r besitzt, ist e t w a s E i n z i g a r t i g e s in d e r g a n z e n P h y s i k . D a ß zwei K ö r p e r , w e l c h e mit einem dritten im W ä r m e g l e i c h g e w i c h t stehen, a u c h u n t e r e i n a n d e r im W ä r m e g l e i c h g e w i c h t sind ist nicht selbstverständlich, sondern sehr merkwürdig und wichtig. D e n n f ü r d a s e l e k t r i s c h G l e i c h g e w i c h t besteht kein a n a l o g e r Satz. Dies erkennt m a n s o g l e i c h , w e n n m a n einen K u p f e r s t a b , ebenso einen Z i n k s t a b mit d e m einen E n d e in v e r d ü n n t e S c h w e f e l s ä u r e t a u c h t , u n d d a n n die beiden a n d e r e n E n d e n m i t e i n a n d e r metallisch leitend verbindet. D a n n zeigt sich kein elektrisches G l e i c h g e w i c h t , s o n d e r n ein elektrischer S t r o m , d e r so l a n g e a n d a u e r t , bis die O b e r f l ä c h e des K u p f e r s sich c h e m i s c h merklich v e r ä n d e r t hat. E s ist b e k a n n t , d a ß alle speziellen B e z i e h u n g e n , welche für das thermodynamische Gleichgewicht gelten, d u r c h den zweiten H a u p t s a t z d e r T h e r m o d y n a m i k in vollständiger u n d mit d e r E r f a h r u n g g e n a u ü b e r e i n s t i m m e n d e r W e i s e dargestellt werden. A b e r mit d e m zweiten H a u p t s a t z d e r T h e r m o d y n a m i k allein k o m m e n wir hier nicht aus. D i e reine T h e r m o d y n a m i k in allen E h r e n — sie hat die p h y s i k a l i s c h e W i s s e n s c h a f t une r m e ß l i c h bereichert — , a b e r bei ihr k ö n n e n u n d d ü r f e n wir nicht stehen bleiben; d e n n sie lehrt uns e b e n s o w e n i g e t w a s über die G r ö ß e n u n d die G r ö ß e n b e z i e h u n g e n d e r K o n s t a n t e n , welche f ü r die t h e r m o d y n a m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n d e r K ö r p e r charakteristisch sind, als ü b e r den zeitlichen V e r l a u f irreversibler V o r g ä n g e , wie den der Wärmeleitung und W ä r m e s t r a h l u n g , der D i f f u s i o n , der chemischen Reaktionen. Nach d e r reinen T h e r m o d y n a m i k könnte das Verhältnis d e r beiden spezifischen W a r m e n ebensow o h l gleich 2 wie gleich 1 0 0 sein, u n d das Wärmeleitungsvermögen eines G a s e s könnte e b e n s o w o h l i o o o o o m a l so g r o ß wie l o o o o o m a l so klein sein als d a s eines Metalls. H i e r k ö n n e n n u r atomistische V o r s t e l l u n g e n v o r w ä r t s b r i n g e n , v o r allem die d e r k i n e t i s c h e n Gastheorie. D i e s e T h e o r i e ergibt n u n , als F o l g e r u n g a u s d e m Gesetz von G a y Lussac und A v o g a d r o , d a ß die T e m p e r a t u r eines v o l l k o m m e n e n G a s e s repräsentiert wird d u r c h die mittlere E n e r g i e d e r fortschreitenden Bew e g u n g eines einzelnen G a s m o l e k i i l s , g a n z una b h ä n g i g von d e m M o l e k u l a r g e w i c h t . Dieser einfache,derunmittelbaren Anschauung
leicht zugängliche Satz scheint nun ein L i c h t zu w e r f e n auf die g r o ß e von uns a u f g e w o r f e n e F r a g e nach d e m Z u s a m m e n h a n g zwischen E n e r g i e und T e m p e r a t u r . D e n n er ist o f f e n b a r leicht d e r Verallgemeinerung f ä h i g auf unvollkommene G a s e , D ä m p f e . F l ü s s i g k e i t e n und f e s t e K ö r p e r . M a n b r a u c h t nur anzunehmen, d a ß das W ä r m e gleichgewicht zwischen zwei K ö r p e r n d a n n hergestellt ist, wenn die einzelnen M o l e k ü l e d e r beiden aneinandergrenzenden Körper gleiche mittlere E n e r g i e ihrer B e w e g u n g besitzen, und dies läßt sich leicht verstehen, indem m a n sich vorstellt, d a ß die M o l e k ü l e d e r beiden K ö r p e r bei ihren wechselseitigen zahlreichen Z u s a m m e n stößen ihre E n e r g i e n in d e r W e i s e m i t e i n a n d e r a u s t a u s c h e n , d a ß schließlich ein g e w i s s e r statistischer G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d resultiert, in welc h e m die mittleren ICnergien d e r B e w e g u n g e n sich g e g e n s e i t i g a u s g e g l i c h e n haben. In d e r T a t ist es L . B o l t z m a n n und J . W . G i b b s g e l u n g e n , a u s den a l l g e m e i n e n H a m i l t o n s c h e n B e w e g u n g s g l e i c h u n g e n mit H i l f e von W a h r s c h e i n l i c h k e i t s b e t r a c h t u n g e n einen allg e m e i n e n Satz abzuleiten, welcher g e g e n w ä r t i g als das P r i n z i p d e r g l e i c h m ä ß i g e n Energiev e r t e i l u n g bezeichnet wird. H i e r n a c h k o m m t b e i m statistischen G l e i c h g e w i c h t irgendeines von vielen V a r i a b l e n a b h ä n g i g e n S y s t e m s auf j e d e u n a b h ä n g i g e Zustands» ariable, welche ü b e r h a u p t E i n f l u ß auf die E n e r g i e des S y s t e m s besitzt, im Mittel d e r nämliche B e t r a g von E n e r g i e . N u n g e h ö r e n zu den u n a b h ä n g i g e n V a r i a b l e n eines K ö r p e r s , sei er fest, f l ü s s i g o d e r g a s f ö r m i g , nach d e r kinetischen A u f f a s s u n g unter allen Umständen die Geschwindigkeitskomponenten seiner M o l e k ü l e , folglich ist in einem a u s beliebig vielen f e s t e n , f l ü s s i g e n und g a s f ö r m i g e n K ö r p e r n bestehenden S y s t e m beim statistischen G l e i c h g e w i c h t nach d e m Gesetz d e r gleichm ä ß i g e n E n e r g i e v e r t e i l u n g die mittlere E n e r g i e einer j e d e n G e s c h w i n d i g k e i t s k o m p o n e n t e eines j e d e n M o l e k ü l s f ü r sämtliche K ö r p e r die nämliche, u n d es ist d a h e r evident, d a ß die thermod y n a m i s c h e B e d i n g u n g des W ä r m e g l e i c h g e w i c h t s in v o l l k o m m e n e n E i n k l a n g g e b r a c h t ist mit d e n S ä t z e n der statistischen M e c h a n i k , w e n n die T e m p e r a t u r eines K ö r p e r s g a n z allgemein a u f g e f a ß t wird als ein M a ß f ü r die mittlere kinetische E n e r g i e irgendeiner Geschwindigkeitsk o m p o n e n t e irgendeines seiner M o l e k ü l e , oder noch a l l g e m e i n e r g e s p r o c h e n : als ein M a ß f ü r die mittlere E n e r g i e , die irgendeiner u n a b h ä n g i g e n V a r i a b l e n des K ö r p e r s z u k o m m t . S o m i t scheint in d e m Satz d e r g l e i c h m ä ß i g e n E n e r g i e v e r t e i l u n g die e n d g ü l t i g e A n t w o r t auf die F r a g e nach d e m Z u s a m m e n h a n g zwischen T e m p e r a t u r u n d E n e r g i e g e f u n d e n zu sein, u n d m a n m u ß g e s t e h e n , d a ß die ü b e r a u s g r o ß e
49 Einfachheit und Anschaulichkeit dieses Satzes leicht dazu verleiten kann, ihm eine fundamentale Bedeutung für die Thermodynamik zuzuschreiben. Diese A u f f a s s u n g wird noch bestärkt durch verschiedene auffallende Bestätigungen, zu denen sie geführt hat. Wenn die Temperatur zugleich die mittlere Energie einer einzelnen Variablen darstellt, so erhält man die Gesamtenergie eines Körpers einfach durch Multiplikation seiner Temperatur mit der Anzahl der unabhängigen Variablen, die seinen Zustand bestimmen. Daher ergibt dann die Wärmekapazität bei konstantem Volumen unmittelbar die Anzahl dieser unabhängigen Variablen, oder, wie man auch sagen kann, die Anzahl der Freiheitsgrade des Körpers. Ein besonderer Zufall hat es g e f ü g t , daß in den gebräuchlichen Einheiten für Wärmemenge, Temperatur und Grammolekül die Molekularwärme auch numerisch direkt gleich ist der Anzahl der Kreiheitsgiade im wirklichen Molekül. In einem einatomigen Gase z. B. sind, falls man die Atome als materielle Punkte voraussetzt und von ihren gegenseitigen Anziehungen absieht, die einzigen für die Energie in Betracht kommenden Freiheitsgrade die drei Geschwindigkeitskomponenten der Atome. Daher ist die Atomwärme eines solchen Gases bei konstantem Volumen in den gebräuchlichen Einheiten gleich 3 , wie es der Messung entspricht. In einem festen Körper dagegen kbmmen zu den drei Geschwindigkeitskomponenten eines Atoms noch die drei Koordinaten, welche die Verschiebung des Atoms aus seiner Gleichgewichtslage und dadurch seine potentielle Energie bestimmen, und dementsprechend ist die Atomwärme eines festen Körpers gleich 6, in tatsächlicher naher Übereinstimmung mit dem D u l o n g - P e t i t s c h e n Gesetz. Die Abweichungen von diesem Gesetz, namentlich das bei allen Substanzen beobachtete Anwachsen der spezifischen W ä r m e mit der Temperatur, lassen sich durch das Auftreten neuer Freiheitsgrade bei stärkerer Lockerung der Atome im Molekülverband erklären, und der Umstand, daß das Anwachsen nicht sprungweise, sondern kontinuierlich erfolgt, könnte darauf zurückgeführt werden, daß die Moleküle nicht alle gleichzeitig, sondern nach und nach gelockert werden. Nach diesen augenscheinlichen Erfolgen ist es kein Wunder, daß B o l t z m a n n den Satz der gleichmäßigen Energieverteilung in den Mittelpunkt der kinetischen Wärmelehre stellte, und daß wohl auch heutzutage noch zahlreiche Physiker zu der nämlichen A u f f a s s u n g neigen, indem sie die Wegräumung einzelner noch bestehender Schwierigkeiten und Ungereimtheiten getrost der Zukunft überlassen zu können glauben.
Demgegenüber möchte ich nun zunächst darzulegen suchen, daß dieser Standpunkt sich heutzutage nicht mehr aufrecht erhalten läßt, und daß neuere Erfahrungen, im Verein mit älteren, schon länger bekannten, uns dazu zwingen, dem Satz von der Gleichmäßigkeit der Energieverteilung seine prinzipielle Bedeutung für das statistische Wärmegleichgewicht abzuerkennen. Ich beginne mit der Besprechung älterer Schwierigkeiten. Ein zweiatomiges Molekül, wie das von Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff, besitzt, wenn man die Atome als frei bewegliche materielle Punkte betrachtet, 9 Freiheitsgrade, nämlich die 6 Geschwindigkeitskomponenten der beiden Atome, und die 3 Projektionen des Abstands der Atome auf die 3 Koordinatenachsen. Aber die Molekularwärme bei konstantem Volumen ist nicht 9, wie man danach erwarten sollte, sondern nur 5. Und so ist es in allen ähnlichen Fällen. Die Molekularwärme ist immer kleiner, als man nach der Anzahl der Freiheitsgrade erwarten sollte. Aber das ist noch nicht alles. Auch das Molekül eines einatomigen Gases, wie z. B. von Quecksilber, ist sicher kein materieller Punkt, wie schon der' flüchtige Anblick des Quecksilberspektrums mit seinen unzählig vielen feinen Linien zeigt. Wenn jeder dieser Linien auch nur ein einziger Freiheitsgrad im Sinne der statistischen Wärmelehre entsprechen würde, so müßte die Atomwärme des Quecksilberdampfes bei konstantem Volumen nicht 3, wie in Wirklichkeit, sondern jedenfalls über 1 0 0 0 betragen. E s versteht sich, daß B o l t z m a n n diese Schwierigkeiten nicht entgingen, und daß er sich über die unbequem große Zahl von Freiheitsgraden, die sich ihrer Feststellung durch Wärmemessungen so hartnäckig entziehen, Rechenschaft zu geben suchte. Weginterpretieren ließen sich die Freiheitsgrade nicht. So suchte er denn den unerwartet geringen Einfluß, welchen die Bewegungen der Atome im Molekül auf die spezifische W ä r m e des Moleküls besitzen, zu erklären durch eine Verzögerune der Herstellung des vollständigen statistischen Gleichgewichts. E r nahm an, daß innerhalb der zur Beobachtung der spezifischen Wärme aufgewendeten Zeit die Schwingungen der Bestandteile eines Moleküls gegeneinander sich nicht merklich: ändern und erst in späterer Zeit sich sehr langsam ins Wärmegleichgewicht mit der fortschreitenden Bewegung der Moleküle setzen, so daß dieser Vorgang nicht mehr der Beobachtung zugänglich ist. Danach müßte also die Temperatur eines vor jeglicher äußerer Wärmeleitung absolut geschützten Gases sich von selber langsam ändern. Von einem derartigen Phänomen ist aber bis jetzt nicht das geringste bemerkt
50 worden. I m G e g e n t e i l : die M e s s u n g d e r spezifischen W ä r m e mit H i l f e schneller Schalls c h w i n g u n g e n hat m e r k l i c h dieselben R e s u l t a t e g e l i e f e r t , wie die direkten kalorimetrischen Messungen. S c h w i e r i g e r n o c h wird die S a c h l a g e bei d e n f e s t e n K ö r p e r n , n a m e n t l i c h denen, w e l c h e g u t e L e i t e r d e r W ä r m e u n d d e r Elektrizität s i n d : den Metallen. Die durch mannigfache Anwendungen wohlbewährte neue Elektronentheorie n i m m t a n , d a ß die T r ä g e r d e r geleiteten W ä r m e u n d d e r geleiteten Elektrizität h a u p t s ä c h l i c h die sogen, f r e i e n E l e k t r o n e n sind, welche zwischen den M e t a l l m o l e k ü l e n hin u n d her f l i e g e n . W ü r d e m a n j e d e m solchen E l e k t r o n , e n t s p r e c h e n d seinen 3 Geschwindigkeitskomponenten, 3 Freiheitsgrade z u s c h r e i b e n , wie es sich doch f ü r ein E l e k t r o n g e h ö r t , w e n n es d e n E h r e n n a m e n „ f r e i " wirklich v e r d i e n e n soll, so m ü ß t e die M o l e k u l a r w ä r m e eines M e t a l l s j e d e n f a l l s erheblich g r ö ß e r als 6 sein. In allen b i s h e r a n g e f ü h r t e n Beispielen schlummert d e r W i d e r s p r u c h g e w i s s e r m a ß e n n u r latent; m a n k o n n t e i m m e r h i n h o f f e n , d a ß d u r c h eine glückliche M o d i f i k a t i o n d e r G r u n d v o r s t e l l u n g e n die S c h w i e r i g k e i t noch e i n m a l b e h o b e n w e r d e n könnte. Z u m ersten o f f e n e n K o n f l i k t mit d e r E r f a h r u n g k a m das Gesetz der gleichmäßigen E n e r g i e v e r t e i l u n g bei seiner A n w e n d u n g auf die Gesetze d e r S t r a h l u n g s c h w a r z e r K ö r p e r . Die strahlende W ä r m e läßt sich nicht n u r an sich g e n a u e r m e s s e n als die geleitete W ä r m e , sondern sie läßt sich a u c h d u r c h d a s V e r f a h r e n der s p e k t r a l e n Z e r l e g u n g viel feiner im einzelnen charakterisieren, als d a s bei d e r geleiteten W ä r m e der F a l l ist, die i m m e r n u r als ein u n z e r l e g b a r e s G a n z e s auftritt. D a r a u s ist es zu e r k l ä r e n , d a ß die F o r s c h u n g e n auf d e m Gebiet d e r W ä r m e s t r a h l u n g es w a r e n , die in diese V e r h ä l t n i s s e zunächst etwas m e h r K l a r h e i t b r a c h t e n . J . H . J e a n s h a t , wie ich m e i n e , unwiderleglich n a c h g e w i e s e n , d a ß das Gesetz d e r gleichm ä ß i g e n E n e r g i e v e r t e i l u n g , a n g e w e n d e t auf die V o r g ä n g e d e r W ä r m e s t r a h l u n g , f ü r das n o r m a l e S p e k t r u m eine E n e r g i e v e r t e i l u n g liefert, die dad u r c h charakterisiert ist, d a ß die s p e k t r a l e Strahlungsintensität direkt proportional ist d e r T e m p e r a t u r u n d u m g e k e h r t proportional d e r vierten Potenz d e r W e l l e n l ä n g e . J e kleiner nämlich die W e l l e n l ä n g e ist, u m so g r ö ß e r ist die S c h w i n g u n g s z a h l , u n d u m so m e h r Freiheitsg r a d e e n t s p r e c h e n d a h e r einer r ä u m l i c h verteilten S t r a h l u n g von b e s t i m m t e r s p e k t r a l e r Breite. E s liegt auf d e r H a n d , d a ß bei diesem E n e r g i e v e r t e i l u n g s g e s e t z g a r keine b e s t i m m t e E n e r g i e v e r t e i l u n g ü b e r das ganze S p e k t r u m , also a u c h kein wirkliches t h e r m o d y n a m i s c h e s Gleichg e w i c h t m ö g l i c h ist. D e n n bei einem solchen m ü ß t e doch j e d e n f a l l s mit unbegrenzt abneh-
m e n d e r W e l l e n l ä n g e die spektrale S t r a h l u n g s intensität schließlich w i e d e r v e r s c h w i n d e n d klein werden. D a r a u s zog J e a n s a b e r nicht d e n Schluß, daß dasGesetz der gleichmäßigen Energieverteilung hier nicht stichhält, sondern er suchte den A u s w e g nach ähnlicher R i c h t u n g , wie f r ü h e r B o l t z m a n n , i n d e m er den zeitlichen V e r l a u f d e r S t r a h l u n g s v o r g ä n g e heranzog. N a c h ihm sollte es bei einer in einem H o h l r a u m eingeschlossenen S t r a h l u n g tatsächlich g a r nicht zu einem wirklichen t h e r m o d y n a m i s c h e n G l e i c h g e w i c h t k o m m e n , s o n d e r n es sollten die stets in erneuter M e n g e erzeugten S t r a h l e n kürzester W e l l e n l ä n g e f o r t w ä h r e n d durch die W ä n d e des H o h l r a u m e s n a c h a u ß e n hin d u r c h d i f f u n d i e r e n , ähnlich wie es die h ä r t e r e n R ö n t g e n s t r a h l e n tun. A b e r diese A n s c h a u u n g läßt sich noch s c h w e r e r als die a n a l ö g e von B o l t z m a n n a u f r e c h t erhallen. D e n n , wie besonders O. L u m m e r u n d E . P r i n g s h e i m gezeigt haben, widerspricht sie direkt allen E r f a h r u n g e n . D a n u n wohl jeder a n d e r e A u s w e g verschlossen ist, so w a r hier zum ersten M a l e eine wirkliche B r e s c h e gelegt in die a l l g e m e i n e G ü l t i g k e i t des Satzes von d e r g l e i c h m ä ß i g e n Energieverteilung. A b e r es sollte noch deutlicher k o m m e n . D i e spezifische W ä r m e f e s t e r K ö r p e r zeigt bei abn e h m e n d e r T e m p e r a t u r d u r c h g e h e n d s die T e n denz, an G r ö ß e a b z u n e h m e n , u n d in d e r neuesten Zeit h a t W . N c r n s t sowohl experimentell d u r c h M e s s u n g e n bei d e r T e m p e r a t u r des siedenden W a s s e r s t o f f e s als a u c h theoretisch d u r c h die A n w e n d u n g e n seines neuen W ä r m e t h e o r e m s es f a s t zur G e w i ß h e i t erhoben, d a ß die spezifischen W ä r m e n aller festen und f l ü s s i g e n K ö r p e r bei unbegrenzt a b n e h m e n d e r T e m p e r a t u r g e g e n vers c h w i n d e n d kleine W e r t e k o n v e r g i e r e n . S o besitzt z. B . K u p f e r bei der T e m p e r a t u r des sied e n d e n W a s s e r s t o f f e s nicht m e h r den zwanzigsten T e i l d e r spezifischen W ä r m e bei g e w ö h n l i c h e n Temperaturen! W i e soll m a n sich nun diese T a t s a c h e durch d a s Prinzip d e r g l e i c h m ä ß i g e n E n e r g i e v e r t e i l u n g e r k l ä r e n ? W i e soll m a n überh a u p t nur e r k l ä r e n , d a ß die M o l e k u l a r w ä r m e irgendeines K ö r p e r s kleiner als 3 ist? D e n n sob a l d m a n ein M o l e k ü l ü b e r h a u p t als beweglich im R ä u m e voraussetzt, bilden seine G e s c h w i n d i g keitskomponenten 3 G r a d e von Bewegungsfreiheit. E s bliebe wohl nur die A n n a h m e übrig, d a ß die M o l e k ü l e eines festen oder flüssigen K ö r p e r s sich bei tiefen T e m p e r a t u r e n teilweise zu starren K l u m p e n z u s a m m e n b a l l e n , die sich nur als G a n z e s b e w e g e n können. Dann w ä r e die B e w e g u n g s f r e i h e i t des K ö r p e r s ents p r e c h e n d eingeschränkt. A b e r d a n n bleiben noch alle diejenigen B e w e g u n g e n ü b r i g , auf d e n e n die E m i s s i o n und die A b s o r p t i o n strahlender W ä r m e aller W e l l e n l ä n g e n b e r u h t , u n d
51 diese sind doch g e w i ß sehr feiner A r t und bilden eine Zahl von Freiheitsgraden, welche die Anzahl der Moleküle sicher um mehr als das D r e i f a c h e übersteigt. A n g e s i c h t s dieses Tatsachenmaterials kann wühl kein Zweifel mehr bestehen über die absolute Notwendigkeit des Schlusses, d a ß das Gesetz der g l e i c h m ä ß i g e n Energieverteilung in der T h e r m o d y n a m i k nicht die fundamentale Rolle spielt, welche m a n ihm eine Zeitlang angewiesen hat. l ' n d damit wird unser Hauptproblem, die F r a g e nach dem Z u s a m m e n h a n g zwischen T e m peratur und K n e r g i e , wieder von neuem akut. Denn wenn im statistischen Gleichgewicht die mittlere E n e r g i e sich nicht g l e i c h m ä ß i g auf alle Freiheitsgrade verteilt, so k a n n die mittlere Energie eines einzelnen Freiheitsgrades unmöglich ein M a ß für die T e m p e r a t u r a b g e b e n , die doch im Gleichgewichtszustand sicherlich überall die nämliche ist. W i e sollen wir nun vorgehen, um aus diesem schwierigen D i l e m m a herauszukommen ? Sollen wir den Satz der g l e i c h m ä ß i g e n Energieverteilung für vollständig falsch erklären und n a c h etwas gänzlich N e u e m suchen? Nein, gewiß nicht. D e n n dieser Satz hat sich doch in gewissen Gebieten, so namentlich bei einatomigen Gasen und bis zu einem gewissen G r a d e auch bei festen K ö r p e r n , auffallend bewährt. Er enthält also sicherlich einen Teil der W a h r h e i t . A b e r er enthält nicht die g a n z e Wahrheit. W i r müssen also wohl annehmen, d a ß er eine unzulässige V e r a l l g e m e i n e r u n g eines an sich richtigen Prinzips vorstellt. U n d um zu d e r richtigen V e r a l l g e m e i n e r u n g zu gelangen, müssen wir den W e g , der zum Satz der g l e i c h m ä ß i g e n Energieverteilung g e f ü h r t hat, zurückgehen, müssen den P u n k t ausfindig m a c h e n , wo der Irrweg sich abzweigte, diesen aber jetzt vermeiden und statt dessen den richtigen W e g einschlagen. Indem wir diesen Plan zur A u s f ü h r u n g bringen, b e d e n k e n wir zunächst, d a ß , wie oben e r w ä h n t , der Satz der g l e i c h m ä ß i g e n Energieverteilung abgeleitet wurde durch A n w e n d u n g der W a h r s c h e i n l i c h k e i t s r e c h n u n g auf das statistische Gleichgewicht. Diesen A u s g a n g s p u n k t halten wir auch im folgenden fest; denn ohne E i n f ü h r u n g statistischer Betrachtungen scheint ein Verständnis für die charakteristischen Eigentümlichkeiten des Wärmegleichgewichts nicht möglich zu sein, g e r a d e im Gegensatz zum mechanischen und zum elektrischen Gleichgewicht. Der Zustand des statistischen Gleichgewichts ist nun vor allen anderen bei der nämlichen Gesamtenergie möglichen Zuständen durch das M a x i m u m der Wahrscheinlichkeit ausgezeichnet. Wpnn nkn zwei im iihr isnlirrtp ICrirnpr T
und 2 miteinander W ä r m e e n e r g i e durch Leitung oder Strahlung austauschen können, so stehen sie dann miteinander im statistischen Gleichg e w i c h t , wenn ein W ä r m e ü b e r g a n g zwischen ihnen keine E r h ö h u n g der Wahrscheinlichkeit mehr hervorbringt. Ist nun die Wahrscheinlichkeit dafür, d a ß der erste K ö r p e r die E n e r g i e U1 besitzt, \\\ = rp (U.,) die W a h r scheinlichkeit dafür, d a ß der zweite K ö r p e r die E n e r g i e U, besitzt, so ist die Wahrscheinlichkeit dafür, d a ß der erste Körper die Energie U^ und zugleich der zweite K ö r p e r die E n e r g i e U., besitzt: H \ • W 2> und die B e d i n g u n g des Maxim u m s dieser G r ö ß e lautet:
d (W, W2) = o
odcr
dW,
d\\\
l*7 + 7rf = 0'
wobei als feste B e d i n g u n g gilt: dU1-j-dU2 = o, da die Gesamtenergie Ul U2 sich nicht ändern kann. E s folgt d a r a u s : -L
_!_
db\ ~~W2'
i^s dU2
als B e d i n g u n g des statistischen Gleichgewichts. W e n n wir nun das W ä r m e g l e i c h g e w i c h t mit dem statistischen Gleichgewicht identifizieren und bedenken, d a ß die B e d i n g u n g des W ä r m e g l e i c h gewichts durch die Gleichheit der T e m p e r a t u r e n der beiden K ö r p e r ausgedrückt wird, so erhellt unmittelbar, d a ß wir eine vollständige Übereins t i m m u n g der Statistik mit der T h e r m o d y n a m i k dann erzielen, wenn wir ganz allgemein die G r ö ß e i dW d logW als ein M a ß d e r T e m p e -
WdU~~
dU
r a t u r eines K ö r p e r s ansehen, und setzen: ¿log]F_ i
dU
k
~T
demgemäß
[l>
D a ß wir gerade den reziproken W e r t und nicht irgendeine andere Funktion der T e m p e ratur n e h m e n , wird lediglich durch den Anschluß an die konventionelle T e m p e r a t u r s k a l a gerechtfertigt. Prinzipiell g e n o m m e n leistet jede andere Funktion der T e m p e r a t u r denselben Dienst. Die Konstante k h ä n g t nur von den willkürlichen Einheiten für E n e r g i e und T e m p e ratur ab. Die letzte Gleichung dürfen wir als die a l l gemeinste Beantwortung der aufgeworfenen Frage nach dem Zusammenhang zwischen Energie und T e m p e r a t u r betrachten. Sie ist natürlich nahe verwandt mit der bekannten G l e i c h u n g der T h e r m o d v n a m i k :
i T
_dS ~~dV'
aber sie hat doch eine g a n z andere Bedeutung. D e n n in der reinen T h e r m o d y n a m i k dient diese Gleichung nur als Definition der Entropie .V. ^nrirhf ,nkn nn sich PT'nommen iiberllauDt kein
52 physikalisches Gesetz ans. während hier eine Beziehung zwischen Größen aufgestellt wird, welche alle schon vorher unabhängig voneinander definiert sind. Daher gelangen wir auf diesem Wege auch zu einer von der rein thermodynamischen verschiedenen Definition der Entropie: 5 = /,-iogir, welche von der physikalischen Bedeutung der Entropie eine viel anschaulichere Vorstellung gewährt, als die rein thermodynamische Definition. deren eigentlicher Sinn j a so manchem Jünger der Wissenschaft den Kopf schon recht heiß gemacht hat. Für unsere jetzigen Zwecke können wir aber, wenn wir uns direkt an die Wahrscheinlichkeit II' halten, die Hilfsgröße S ganz entbehren. Erscheint somit unser Hauptproblem durch die neu gewonnene Beziehung um einen prinzipiellen Schritt gefördert, so wäre es doch erst dann als vollständig gelöst zu betrachten, wenn es gelungen ist, die Wahrscheinlichkeit H als Funktion der Energie U wirklich .anzugeben, und dies ist bis heute im allgemeinen noch nicht möglich. Doch lassen sich immerhin eine Anzahl wichtiger Fälle namhaft machen, in welchen die Berechnung der Wahrscheinlichkeit W tatsächlich ausgeführt werden kann. Die Methoden, die zu einer solchen Berechnung führen, sind zuerst von B o l t z m a n n und von G i b b s entwickelt worden, und zwar unter der Voraussetzung der Gültigkeit der allgemeinen H a m i l t o tischen Bewegungsgleichungen und des daraus abgeleiteteren Satzes von L i o u v i l l e . Ich nenne zuerst den Fall eines vollkommenen Gases, bestehend aus X einatomigen Molekülen. Hierfür ergibt sich SA' W = U 2 • konst., wobei die Konstante unabhängig ist von der Energie U des Gases, folglich durch Substitution in die Gleichung ( i ) :
Wenn k bekannt ist, so kann man daraus, da U und 7 direkt gemessen werden, die absolute Atomzahl .V berechnen. Für die mittlere Energie ergibt sich J T, und für die 2 U' Atomwärme " , also unabhängig von der Natur
eines
Atoms
des Gases, ganz entsprechend dem Satze der gleichmäßigen Energieverteilung bei drei Frei heitsgraden, indem jeder Freiheitsgrad die k \\ ärmekapazität besitzt. Der Faktor 2 im Nenner rührt davon her. daß die Energie quadratisch von der Geschwindigkeit abhängt.
Will man die Wahrscheinlichkeit Ii-' für ein mehratomiges Gas berechnen, so ist dazu eine Voraussetzung nötig über die Anzahl der unabhängigen Freiheitsgrade, mit denen die einzelnen Atome, Ionen und Elektronen sich im Molekül bewegen. l ' n d hier offenbart sich nun der Punkt, von dem aus der oben von uns konstatierte Irrweg zum Gesetz der gleichmäßigen Energieverteilung führt. Denn wenn man sämtliche Bestandteile eines Moleküls als frei beweglich annimmt und darauf die H a m i l t o n schen Bewegungsgleichungen anwendet, so ergibt sich für die Wahrscheinlichkeit W ein Ausdruck von ganz der nämlichen Form, wie oben bei einem einatomigen Gas, nur daß an Stelle der Zahl 3 die Zahl n der Freiheitsgrade des Moleküls tritt, und damit gelangt man unweigerlich zum Gesetz der gleichmäßigen EnergieErteilung, d.h. zu einem eklatanten Widerspruch mit der Erfahrung. An dieser Stelle also muß die Korrektur einsetzen. So naheliegend und verlockend auch die bisher stets gemachte Annahme ist, daß die H a m i l t o n s c h e n Bewegungsgleichungen auch für die feinen schnellen Vorgänge im Innern eines Moleküls oder gar eines Atoms Gültigkeit besitzen, wir müssen uns dennoch entschließen, sie als eine unberechtigte Extrapolation aufzufassen und im Gegenteil annehmen, daß die Anzahl der für die Wahrscheinlichkeit W maßgebenden Freiheitsgrade innerhalb eines Moleküls kleiner, oft viel kleiner ist, als die Anzahl der Bestandteile des Moleküls. Das kann nur geschehen, wenn wir Ulli eine von der früheren radikal v erschiedene Vorstellung von den intramolekularen Vorgängen bilden, indem wir eine neue Hypothese ersinnen, welche die Bedeutung hat, die Anzahl der im Innern eines Moleküls möglichen verschiedenartigen Zustände ganz erheblich einzuschränken. Die Prüfung einer solchen Hypothese kann, eben weil es sich hier um etwas absolut Neues handelt, ausschließlich a posteriori, an der Hand der Erfahrung, erfolgen. Im übrigen ist jede Hypothese zulässig, welche nicht bekannten Gesetzen der Physik widerspricht. Da wir aber bis jetzt noch so ungeheuer wenig von den Vorgängen innerhalb eines Moleküls wissen, so bleibt hier immerhin noch reichlich Raum für das Spiel der Phantasie. Eine derartige Hypothese nun, welche die Anzahl der Freiheitsgrade im Innern eines Moleküls entsprechend herabsetzt, ist die Annahme, daß die innerhalb eines Moleküls stattfindenden schnellen Schwingungen, welche die Absorption und Emission von strahlender Wärme bewirken, nicht jede beliebige Energie besitzen können, sondern daß ihre Energie notwendig ein ganzes Vielfaches eines durch die Schwin-
53 gungszahl bestimmten endlichen Energiequantunis £ ist. Diese H y p o t h e s e liefert als W a h r s c h e i n l i c h k e i t d a f ü r , d a ß A r M o l e k ü l e die E n e r g i e U besitzen, d e n A u s d r u c k
lm + 1 U
W
=
und dadurch nach Gleichung ( i ) f ü r die Beziehung zwischen der E n e r g i e U und der T e m p e r a t u r T: y Ne el r—
i
D a sich a u s d i e s e m A u s d r u c k die I n t e n s i t ä t d e r m o n o c h r o m a t i s c h e n W ä r m e s t r a h l u n g v o n entsprechender Schwingungszahl direkt berechnen läßt, s o e r g i b t sich eine P r ü f u n g d e s s e l b e n d u r c h den V e r g l e i c h mit d e n e x p e r i m e n t e l l f e s t g e s t e l l t e n Gesetzen der Energieverteilung im N o r m a l s p e k trum der W ä r m e s t r a h l u n g . D i e E r f a h r u n g hat bisher n a c h allen R i c h t u n g e n Ü b e r e i n s t i m m u n g ergeben, falls t proportional der Schwingungszahl i' g e s e t z t w i r d : t-—hv, wobei h — 6,55 ' i o _ 2 ? erg-sec und k — 1,346 • i o - 1 5 erg/grad.
Trotz der bisherigen guten Bestätigung durch die E r f a h r u n g h a l t e ich a b e r d o c h die H y p o t h e s e in d e r v o r s t e h e n d e n F o r m n o c h f ü r verbesserungsbedürftig. D e n n die A n n a h m e , d a ß d i e S c h w i n g u n g s e n e r g i e U ein g a n z e s V i e l f a c h e s v o n t i s t , f ü h r t zu d e r F o l g e r u n g , d a ß d a s M o l e k ü l seine S c h w i n g u n g s e n e r g i e n u r s p r u n g w e i s e ä n d e r n k a n n , u n d es ist s e h r s c h w e r , w e n n nicht u n m ö g l i c h , zu v e r s t e h e n , w i e d a s M o l e k ü l a u s d e r a u f f a l l e n d e n S t r a h l u n g plötzlich ein volles E n e r g i e q u a n t u m c a b s o r b i e r e n k a n n , d a d o c h zur A b s o r p t i o n einer e n d l i c h e n E n e r g i e m e n g e aus einer Strahlung von endlicher I n t e n s i t ä t j e d e n f a l l s eine e n d l i c h e Zeit g e h ö r t . E s s c h e i n t m i r d a h e r n o t w e n d i g , die Q u a n t e n h y p o t h e s e d a h i n a b z u ä n d e r n , d a ß n u r die E m i s s i o n der Energie sprungweise, nach ganzen E n e r g i e q u a n t e n f u n d n a c h den G e s e t z e n d e s Z u f a l l s e r f o l g t , d i e A b s o r p t i o n d a g e g e n vollk o m m e n stetig v e r l ä u f t . D o c h k a n n ich a u f d i e s e n P u n k t hier nicht n ä h e r e i n g e h e n .
M a n sieht: V o n g l e i c h m ä ß i g e r E n e r g i e v e r teilung ist hier nicht d i e R e d e ; d e n n in zwei Molekülen von verschiedenen Schwingungszahlen v sind d i e mittleren E n e r g i e n bei d e r nämlichen T e m p e r a t u r ganz verschieden. Nur wenn das E n e r g i e e l e m e n t £ sehr klein wird, d. h. f ü r s e h r l a n g s a m e S c h w i n g u n g e n , o d e r w e n n d i e T e m p e r a t u r T s e h r g r o ß w i r d , erhalten w i r U — NkT, und somit denjenigen Z u s a m m e n h a n g zwischen E n e r g i e und T e m p e r a t u r , d e r sich a u s d e m G e s e t z d e r gleichm ä ß i g e n E n e r g i e v e r t e i l u n g bei d e r A n n a h m e v o n zwei F r e i h e i t s g r a d e n ( f ü r die k i n e t i s c h e und potentielle E n e r g i e ) e r g i b t . I m a l l g e m e i n e n ist a b e r d a s G e s e t z d e r g l e i c h m ä ß i g e n E n e r g i e verteilung durchbrochen, und die T e m p e r a t u r liefert d u r c h a u s nicht i m m e r ein M a ß f ü r d i e mittlere E n e r g i e eines M o l e k ü l s .
W e n n es z u g u n s t e n e i n e r H y p o t h e s e spricht, d a ß sie .icht n u r in d e n F ä l l e n , f ü r w e l c h e sie g e m a c h t ist, s o n d e r n a u c h n o c h d a r ü b e r h i n a u s N u t z e n stiftet, so w i r d m a n i m m e r h i n d e r H y p o these d e r „ Q u a n t e n e m i s s i o n " v o r l ä u f i g wohlw o l l e n d e n t g e g e n k o m m e n . D e n n die A n n a h m e , d a ß ein M o l e k ü l seine S c h w i n g u n g s e n e r g i e n u r n a c h b e s t i m m t e n Q u a n t e n £ emittiert, sei es a l s reine E n e r g i e s t r a h l u n g , w i e in d e n W ä r m e s t r a h l e n , d e n R ö n t g e n s t r a h l e n , d e n y-Strahlen, oder als k o r p u s k u l a r e S t r a h l u n g , w i e in d e n K a t h o d e n s t r a h l e n , d e n «- u n d ¿/-Strahlen, hat sich einstw e i l e n nicht n u r f ü r die G e s e t z e d e r W ä r m e s t r a h l u n g b e w ä h r t , s o n d e r n sie hat a u c h zu e i n e r sehr g e n a u e n M e t h o d e der Berechnung der E l e m e n t a r q u a n t a von Elektrizität und Materie g e f ü h r t , sie h a t d e n S c h l ü s s e l z u m V e r s t ä n d n i s des N e r n s t s c h e n W ä r m e t h e o r e m s geliefert, und sie s c h e i n t a u c h f ü r die E m i s s i o n v o n K a t h o d e n s t r a h l e n , z. B . im P h o t o e f f e k t , j a s o g a r f ü r die ans W u n d e r b a r e grenzenden radioaktiven Phän o m e n e , mit d e n e n die N a m e n Becquerel, C u r i e und R u t h e r f o r d für immer verknüpft sind, eine g r u n d s ä t z l i c h e B e d e u t u n g zu besitzen.
A . E i n s t e i n h a t die w e i t e r e A n n a h m e eing e f ü h r t , d a ß in f e s t e n K ö r p e r n die S c h w i n g u n g s e n e r g i e U d e r M o l e k ü l e , w e g e n d e r drei m ö g lichen S c h w i n g u n g s r i c h t u n g e n i m R ä u m e n o c h mit d e m Z a h l e n f a k t o r 3 multipliziert, zugleich die g e s a m t e W ä r m e e n e r g i e d e s K ö r p e r s d a r stellt, u n d W . N e r n s t h a t die sich a u s d i e s e r A n n a h m e ergebende charakteristische Formel f ü r die s p e z i f i s c h e W ä r m e d u r c h M e s s u n g e n bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n g e p r ü f t u n d i m w e s e n t lichen b e s t ä t i g t g e f u n d e n , w o d u r c h die H y p o these d e r E n e r g i e q u a n t e n eine n e u e s t a r k e S t ü t z e erhielt. —
O b n u n mit d e r H y p o t h e s e d e r Q u a n t e n e m i s s i o n w i r k l i c h die , . g a n z e ' ' W a h r h e i t entschleiert ist? D i e s b e h a u p t e n zu w o l l e n , w ä r e e b e n s o v e r m e s s e n w i e kurzsichtig. A b e r ich glaube immerhin, d a ß diese Hypothese der W a h r h e i t n ä h e r k o m m t , als die d e r g l e i c h m ä ß i g e n E n e r g i e v e r t e i l u n g , w e l c h e in i h r e m L i c h t e n u r als spezieller F a l l erscheint, u n d d a s ist w o h l a l l e s , w a s m a n b i l l i g e r w e i s e v o n e i n e r neuen Hypothese verlangen kann. D a s endgültige U r t e i l ü b e r ihren W e r t w i r d freilich, w i e in j e d e r p h y s i k a l i s c h e n F r a g e , d a s E x p e r i m e n t zu s p r e c h e n haben. (liin^egiintjeii I. Juni 1 9 1 1 . )
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Über neuere thermodynamische Theorien (Nernstsches Wärmetheorem und Quantenhypothese)
(Vortrag, gehalten am 16. Dezember 1 9 1 1 in der Deutschen chemischen Gesellschaft in Berlin.) Von M a x
Planck.
Meine H e r r e n ! Wenn ich, der freundlichen E i n l a d u n g Ihres verehrlichen Vorstandes F o l g e leistend, den Versuch mache, vor Ihnen eine Reihe von Gedanken zu entwickeln, welche für die neueren Fortschritte der Thermodynamik von charakteristischer Bedeutung sind, so muß ich vor allem um die Erlaubnis bitten, Ihnen in Kürze einige Hauptmerkmale des bisherigen Entwicklungsganges der Thermodynamik zu schildern, und zwar selbst auf die G e f a h r hin, vielfach Bekanntes unnötig zu wiederholen. Denn nur so wird es mir möglich werden, die Punkte
deutlicher zu bezeichnen, an denen die neuere Forschung angeknüpft hat, und das neu Erreichte dem schon seit lange Bekannten in sachlich angemessener Weise gegenüber zu stellen. Versucht man, einen Überblick zu gewinnen über die bisherigen Leistungen der Thermodynamik, so verfährt man jedenfalls am besten, wenn m a n . s c h a r f unterscheidet zwischen zwei voneinander getrennten Methoden der Forschung. D i e eine stützt sich einzig und allein auf die beiden Hauptsätze der Thermodynamik, unter Verzichtleistung auf den Gebrauch irgendwelcher spezielleren Hypothesen über die Natur der W ä r m e , die andere sucht gerade von dem spezielleren Standpunkt der" mechanischen Wärmetheorie aus, auf Grund passender atomistischer Vorstellungen einen tieferen Einblick in die vorhandenen Gesetzmäßigkeiten zu ge-
55 « innen. Die Vorzüge und auch die Schwächen ¡eder einzelnen dieser beiden Methoden, die -ich häufig in glücklichster Weise ergänzt haben, sind so oft und gründlich geschildert worden, daß ich auf diesen Punkt hier nicht weiter einzugehen brauche.. Bezug nehmend darauf möchte ich im ersten Teile der folgenden Darlegungen mich ausschließlich der erstgenannten Methode bedienen, um erst im zweiten Teil auf die atomistischc Bedeutung der neueren Theorien, soweit dies zur/eit angängig erscheint, einzugehen. I. Von den beiden Hauptsätzen der Wärmelehre, welche unter diesem Namen zuerst von C l a u s i u s in die Thermodynamik eingeführt worden sind, spricht der e r s t e das Prinzip der Erhaltung der Energie aus. Dieser Satz erscheint heutzutage so gesichert und seine Allgemeingültigkeit so selbstverständlich, daß man sogar hier und da die Meinung zu hören bekommt, das Energieprinzip stelle im Grunde gar keinen Erfahrungssatz vor, sondern vielmehr nur eine Art Definition, mit der sich schließlich j e d e zukünftige Erfahrungstatsache in Übereinstimmung bringen lassen müßte, wenn sie nur passend interpretiert würde. V o m praktisch-naturwissenschaftlichen Standpunkte aus mag vielleicht manchem die F r a g e nach der Berechtigung dieser Auffassung etwas subtil und müßig erscheinen, aber trotzdem muß ich Sie bitten, auf ihre Besprechung etwas eingehen zu dürfen, weil wir später an diesen Punkt anknüpfen müssen. E s ist übrigens nicht lange her, daß durch einen besonderen Anlaß gerade hierüber eine lebhafte Diskussion angeregt wurde, — damals, als es sich um die energetische Deutung der beständigen beträchtlichen W ä r m e a b g a b e der Radiumverbindungen handelte. D a konnte man in sonst sehr beachtenswerten naturwissenschaftlichen Aufsätzen lesen, mit den so überraschenden neuen Entdeckungen sei nun nebst manchen anderen bisher allgemein angenommenen Theorien auch das Energieprinzip ernstlich in F r a g e gestellt. Später, als sich das Energieprinzip dennoch siegreich behauptete, hieß es dann, das sei auch gar nicht verwunderlich, und zwar deshalb, weil das Energieprinzip überhaupt nur eine formalistische Bedeutung besitze und sich daher schließlich jeder Tatsache anpassen ließe. Man brauche nur, wenn einmal das Prinzip in seiner bisherigen Form versagte, eine passende neue Energieform, etwa potentieller Natur, einzuführen, und alles wäre wieder in Ordnung.
Wie steht es nun mit diesen Ansichten? Wenn wir das Energieprinzip sachgemäß zu formulieren suchen, so finden wir sicherlich allgemeine Zustimmung, wenn wir sagen, daß in einem Körpersystem, das gegen alle äußeren Einwirkungen abgeschlossen ist. die Energie konstant bleibt: :\U ™ o, wobei U die Energie des Systems bedeutet, und das Zeichen ,erflächlicher Betrachtung die bedenklichen Kolgen, welche eine Überspannung substantieller Vorstellungen mit sich bringen kann. Zwar wird auch hier der Satz von der l'nVeränderlichkeit der Elektrizitätsmenge und daran anschließend «ler Begriff der elektrischen Strömung und das Gesetz der Wechselwirkungen geladener und stromdurchflossener Leiter vorzüglich veranschaulicht durch die Vorstellung einer feinen, leicht beweglichen, mit gewissen Kraftäußerungen begabten elektrischen Substanz. Aber hier versagt die Analogie schon bei der Berücksichtigung des l'mstandes, daß man dann zwei entgegengesetzte, eine positive und eine negative Substanz, annehmen muß, welche sich bei der Vereinigung gegenseitig vollkommen neutralisieren, — ein Vorgang, der bei gewöhnlichen Substanzen jedenfalls undenkbar ist, ebenso wie die Erzeugung zweier entgegengesetzter Substanzen aus dem Nichts. So sehen wir, wie die Vorstellungsbilder und die ihnen entspringenden Anschauungen zwar für die physikalische Forschung unentbehrlich sind und schon ungezählte Male den Schlüssel zur Eröffnung neuer Bahnen der Erkenntnis geliefert haben, aber doch mit großer Vorsicht behandelt werden müssen, selbst wenn sie sich eine Zeitlang bewährt haben. Der einzige sichere Führer auf dem Weg der weiteren Entwicklung bleibt stets die Messung und was aus den an sie unmittelbar anschließenden Begriffen auf logischem Wege gefolgert werden kann. Alle anderweitigen Schlüsse, und gerade solche, welche sich durch eine gewisse unmittelbare sog. Evidenz auszeichnen, sind immer mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten. Denn über die Bündigkeit eines Beweises, der von wohldefinierten Begriffen handelt, entscheidet nicht die Anschauung, sondern der Verstand. II. Wir haben bisher unser Augenmerk hauptsächlich der Frage zugewendet, auf welchem Wege man zur Erkenntnis physikalischer Gesetze gelangt; jetzt wollen wir einmal weiter dazu übergehen, den Inhalt und das eigentliche Wesen der physikalischen Gesetzlichkeit etwas näher ins Auge zu fassen. Ein physikalisches Gesetz findet seinen Ausdruck gewöhnlich in einer mathematischen Formel, welche es gestattet, für irgendein vorliegendes, bestimmten gegebenen Bedingungen unterworfenes physikalisches Gebilde den zeitlichen Ablauf der
darin stattfindenden Vorgänge zu berechnen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet lassen sich alle physikalischen Gesetze ihrem Inhalt nach ohne weiteres in zwei große Gruppen teilen. Die Gesetze der ersten Gruppe sind dadurch gekennzeichnet, daß sie ihre Gültigkeit unverändert behalten, wenn man in ihnen das Vorzeichen der Zeit umkehrt, oder anders ausgedrückt: wenn jeder Vorgang, der ihre Forderungen erfüllt, auch rückwärts verlaufen kann, ohne mit ihnen in Widerspruch zu kommen. Beispiele hierfür sind die Gesetze der Mechanik und die Gesetze der Elektrodynamik, wofern von thermischen und chemischen Wirkungen abgesehen wird. Jeder rein mechanische oder elektrodynamische Vorgang kann auch in umgekehrter Richtung verlaufen. Ein reibungslos fallender Körper wird nach dem nämlichen Gesetze beschleunigt, wie ein reibungslos emporfliegender Körper verzögert wird, ein Pendel schwingt unter denselben Bedingungen nach links wie nach rechts, eine Welle kann sich ebenso nach der einen Seite wie nach der anderen fortpflanzen, ebenso nach außen wie nach innen, ein Planet kann sich ebenso in dem einen Sinne, wie in dem anderen Sinne um die Sonne bewegen. Ob und wie die Umkehrung der Bewegung wirklich realisiert werden kann, ist eine ganz andere Frage, auf die wir hier nicht einzugehen brauchen. Hier handelt es sich nur um das Gesetz selber, nicht um die besonderen Daten, auf welche es Anwendung findet. Die Gesetze der zweiten Gruppe werden dadurch charakterisiert, daß in ihnen das Vorzeichen der Zeit eine wesentliche Rolle spielt. Daher sind die ihnen gehorchenden Vorgänge einseitig gerichtet, irreversibel. Zu diesen Vorgängen gehören alle diejenigen, bei welchen die Wärme und die chemische Verwandtschaft eine Rolle spielt. Bei der Reibung wird die relative Geschwindigkeit stets vermindert, niemals erhöht, bei der Wärmeleitung wird der kältere Körper stets erwärmt, der wärmere stets abgekühlt, bei der Diffusion schreitet die Vermischung der beiden sich mischenden Substanzen immer im Sinne fortschreitender Vermengung, niemals in dem einer Entmischung fort. Daher führeil die irreversibeln Vorgänge «tets zu einem bestimmten Endziel: die Reibung zum relativen Ruhezustand, die Wärmeleitung zum Ausgleich der Temperaturen, die Diffusion zur vollkommenen Gleichmäßigkeit der Mischung, während dagegen die reversibeln Vorgänge, sofern keine Eingriffe von außen erfolgen, keinen Anfang und kein Ende kennen, sondern in einem ewigen Hin und Her bestehen. Wie gelingt es nun, diese beiden ganz entgegengesetzten Arten von Gesetzen unter einen Hut zu bringen, wie es doch im Interesse der Vereinheitlichung des physikalischen Weltbildes unbedingt gefordert werden muß? Vor einem Menschenalter gab es eine stark in den Vordergrund tretende Richtung in der theoretischen Physik, die sog. Energetik, welche darauf hinarbeitete, den Gegen-
164 satz dadurch aufzuheben, d a ß sie beispielsweise den Übergang der W ä r m e von höherer zu tieferer T e m p e r a t u r in vollständige Analogie stellte zu dem Herabsinken eines Gewichtes oder eines Pendels aus einer höheren in eine tiefere Lage. Dabei blieb aber der wesentliche P u n k t unberücksichtigt, d a ß ein Gewicht auch emporfliegen kann, und d a ß ein Pendel, wenn es seinen tiefsten P u n k t erreicht hat, auch seine größte Geschwindigkeit besitzt und infolge seiner Trägheit die Gleichgewichtslage nach der entgegengesetzten Seite hin überschreitet, während im Gegensatz dazu die W ä r m e s t r ö m u n g von einem wärmeren zu einem kälteren Körper u m so m e h r nachläßt, je geringer die T e m p e r a t u r differenz wird, u n d von einem Überschreiten des Zustandes der Temperaturgleichheit vermöge einer A r t von Trägheit keine Rede ist. Wie m a n es a u c h wenden möge, der Gegensatz zwischen reversibeln und irreversibeln Prozessen bleibt bestehen, und es kann sich n u r d a r u m handeln, einen völlig neuen Gesichtspunkt ausfindig zu machen, von dem aus ein gewisser Zusammenh a n g der verschiedenartigen Gesetze miteinander erkennbar wird, womöglich in der Weise, d a ß die Gesetze der einen Gruppe irgendwie auf die der anderen zurückgeführt werden. Welche von den beiden soll m a n aber als die einfachere, elementarere ansehen, die der reversibeln oder die der irreversibeln Prozesse? Darüber gibt schon eine äußerliche formale B e t r a c h t u n g einigen Aufschluß. Eine jede physikalische Formel enthält außer veränderlichen Größen, welche in jedem Einzelfalle der besonderen Messung unterliegen, gewisse k o n s t a n t e Größen, welche ein f ü r alle Mal bestimmt zu denken sind u n d welche dem in der Formel ausgedrückten funktionellen Zusammenhang zwischen den veränderlichen Größen das charakteristische Gepräge geben. W e n n m a n diese Konstanten näher ins Auge faßt, so findet man leicht, d a ß dieselben bei den reversibeln Vorgängen wirklich stets die nämlichen sind, d a sie unter den verschiedensten äußeren Bedingungen immer wiederkehren, wie z. B. die Masse, die Gravitationskonstante, die elektrische Ladung, die Lichtgeschwindigkeit, während dagegen die Konstanten der irreversibeln Vorgänge, wie das Wärmeleitungsvermögen, der Reibungskoeffizient, die Diffusionskonstante, sich m e h r oder weniger von den äußeren Umständen, z. B. von der Temperatur, vom D r u c k usw. abhängig zeigen. Dieses tatsächliche Verhalten f ü h r t naturgemäß dazu, die K o n s t a n t e n der ersten Gruppe als die einfacheren und die an sie anknüpfenden Gesetze als die elementaren, nicht weiter auflösbaren anzusehen, dagegen den Konstanten der zweiten Gruppe und den ihnen entsprechenden Gesetzen einen verwickeiteren Charakter zuzuschreiben. U m diese V e r m u t u n g auf ihre Berechtigung hin zu prüfen; m u ß man die Betrachtungsweise u m einen Grad verfeinern, man m u ß die Vorgänge sozusagen schärfer u n t e r die Lupe nehmen. Sind
die irreversibeln Vorgänge wirklich von zusammengesetzter Art, so können die sie beherrschenden Gesetze n u r sozusagen im Groben gelten, sie müssen statistischen Charakter besitzen, da sie n u r für eine makroskopische summarische Betrachtung, also f ü r die Mittelwerte aus einer großen Anzahl von verschiedenen Einzel Vorgängen B e d e u t u n g haben. Je m e h r m a n die Zahl der zur Mittelwertbildung herangezogenen Einzelvorgänge einschränkt, umso deutlicher müssen sich zufällige Abweichungen von den makroskopischen Gesetzen bemerklich machen. Mit anderen W o r t e n : wenn die geschilderte Anschauung wirklich zutrifft, so müssen die Gesetze der irreversibeln Vorgänge, die der Reibung, der Wärmeleitung, der Diffusion, mikroskopisch bet r a c h t e t , sämtlich ungenau sein, sie müssen in Einzelfällen Ausnahmen zulassen, Ausnahmen, die u m so stärker hervortreten, je m e h r m a n die B e t r a c h t u n g verfeinert. Gerade diese Schlußfolgerung ist es nun, die mit einer im Lauf der Zeit sich stets steigernden Sicherheit nach allen Richtungen durch die Erf a h r u n g bestätigt wurde, was natürlich n u r mit Hilfe einer außerordentlichen Verbesserung der Messungsmethoden gelingen konnte. Die große Annäherung, mit welcher die Gesetze der irre-: versibeln Vorgänge gelten, r ü h r t lediglich her von der ungeheuren Anzahl der Einzelvorgänge, aus denen sie sich gewöhnlich zusammensetzen. Nehmen wir z. B. eine Flüssigkeit von überall gleichmäßiger Temperatur, so folgt aus dem makroskopischen Gesetz der Wärmeleitung, d a ß keinerlei Strömung von W ä r m e innerhalb der Flüssigkeit stattfindet. Dem ist aber, genau genommen, durchaus nicht so. Denn die W ä r m e wird bedingt durch die feinen schnellen Bewegungen der Flüssigkeitsmoleküle, und die Wärmeleitung infolgedessen durch den Austausch dieser Geschwindigkeiten beim Zusammenstoß. Gleichmäßigkeit der Temp e r a t u r bedeutet also nicht Gleichheit aller Geschwindigkeiten, sondern nur Gleichheit des Mittelwertes der Geschwindigkeiten f ü r jedes Flüssigkeitsquantum, das eine sehr große Zahl von Molekülen u m f a ß t . Nehmen wir aber ein Quantum, das nur verhältnismäßig wenige Moleküle enthält, SQ wird der Mittelwert ihrer Geschwindigkeiten im L a u f e der Zeit Schwankungen aufweisen, u m so stärkere, je kleiner das Q u a n t u m gewählt ist. Diesen Satz können wir heute als eine experimentell vollkommen gesicherte Tatsache ansehen. Eine der augenfälligsten Illustrationen derselben bildet die sog. BROWNSche Molekularbewegung, welche m a n durch das Mikroskop an kleinen in einer Flüssigkeit suspendierten Staubteilchen beobachten kann, die durch die Stöße der an sie prallenden unsichtbaren Flüssigkeitsmoleküle hin und her getrieben werden, um so lebhafter, je höher die T e m p e r a t u r gewählt ist. W e n n wir n u n weiter die A n n a h m e machen, welcher grundsätzlich nichts im Wege steht, d a ß ein jeder einzelne Stoß ein reversibler Vorgang ist, für den die elementare strenge dynamische Ge-
165 setzlichkeit gilt, so können wir sagen, daß durch die eingeführte mikroskopische Betrachtungsweise die Gesetze der irreversiblen Vorgänge, oder daß die statistische grobe und angenäherte Gesetzlichkeit auf die dynamische, feine und absolute Gesetzlichkeit zurückgeführt worden ist. Die großen Erfolge, welche durch die Einführung der statistischen Gesetzlichkeit auf zahlreichen Gebieten der physikalischen Forschung in der jüngsten Zeit erzielt worden sind, haben eine merkwürdige Wandlung in den Anschauungen der Physiker gezeitigt. Anstatt, wie früher, in der Energetik, das Auftreten irreversibler Prozesse zu leugnen oder wenigstens als zweifelhaft hinzustellen, wird jetzt vielfach der Versuch gemacht, die statistische Gesetzlichkeit in den Vordergrund zu rücken, alle bisher als dynamisch betrachteten Gesetze, sogar die Gravitation, auf statistische zurückzuführen, mit anderen Worten: eine absolute Gesetzlichkeit in der Natur ganz auszuschließen. In der T a t muß folgendes einleuchten: was wir in der Natur prüfen und messen können, läßt sich niemals durch ganz bestimmte Zahlen ausdrücken, sondern enthält immer eine gewisse, durch die unvermeidlichen Fehlerquellen der Messungen bedingte Unbestimmtheit. Daraus folgt, daß es uns niemals wird gelingen können, durch Messungen zu entscheiden, ob ein Gesetz in der Natur absolut genau gilt oder nicht. Und vom Standpunkt der allgemeinen Erkenntnistheorie aus kommen wir mit der Prüfung dieser Frage auch zu keinem anderen Ergebnis. Wenn wir, wie es uns gleich im Anfang entgegentrat, nicht einmal imstande sind, denNachweis zu führen, daß in der Natur überhaupt eine Gesetzlichkeit besteht, so wird es uns um so weniger gelingen, von vornherein zu beweisen, daß diese Gesetzlichkeit eine absolute ist. Man muß also vom logischen Standpunkt aus der Hypothese, daß es in der Natur nur statistische Gesetzlichkeit gibt, von vornherein volle Berechtigung zugestehen. Eine andere Frage ist, ob diese Annahme sich für die Forschung empfiehlt, und diese Frage möchte ich mit Entschiedenheit verneinen. Zunächst ist zu bedenken, daß nur die streng dynamische Gesetzlichkeit den Anforderungen unseres Erkenntnistriebes voll genügt, während dagegen jedes statistische Gesetz im Grunde unbefriedigend ist, einfach deshalb, weil es nicht genau gilt, sondern in Einzelfällen Ausnahmen zuläßt, und man stets vor der Frage steht, welches denn die Fälle sind, in welchen solche Ausnahmen eintreten. Gerade derartige Fragen bilden nun aber den stärksten Antrieb zur Erweiterung und Verfeinerung der Forschungsmethoden. Wenn man die statistische Gesetzmäßigkeit als die letzte, tiefste annimmt, so liegt prinzipiell gar kein Grund vor, bei irgendeinem vorliegenden statistischen Gesetz nach den Ursachen der Schwankungserscheinungen zu fragen, während doch in Wirklichkeit gerade das Bestreben, hinter jeder statistischen Gesetz-
lichkeit eine dynamische, streng kausale zu suchen, uns die aller wichtigsten Fortschritte in der Erforschung der atomistischen Vorgänge gebracht hat. Liegt aber andererseits ein Gesetz vor, welches sich bisher innerhalb der Messungsfehler stets als genau giltig erwiesen hat, so ist gewiß zuzugeben, daß man durch Messungen niemals endgiltig wird feststellen können, ob es nicht vielleicht doch statistischer Natur ist. Aber es macht doch einen wesentlichen Unterschied, ob man durch theoretische Überlegungen veranlaßt wird, es als statistisch oder als dynamisch anzusehen. Denn im ersten Falle wird man unablässig durch stetige Verfeinerung der Messungsmethoden nach den Grenzen seiner Giltigkeit suchen, im zweiten wird man aber derartige Bemühungen für fruchtlos halten und sich dadurch manche unnütze Arbeit ersparen. E s sind in der Physik schon allzuviele Anstrengungen auf Lösung von Scheinproblemen verwendet worden, als daß man solche Überlegungen für bedeutungslos halten dürfte. Daher liegt es nach meiner Meinung durchaus im Interesse einer gesunden Fortentwicklung, nicht nur das Bestehen einer Gesetzlichkeit überhaupt, sondern auch den streng kausalen Charakter dieser Gesetzlichkeit mit zu den Postulaten der physikalischen Wissenschaft zu rechnen, wie das im Grunde bisher stets geschehen ist, und das Ziel der Forschung nicht eher als erreicht zu betrachten, als bis eine jede Beobachtung statistischer Gesetzlichkeit in eine oder mehrere dynamische aufgelöst ist. Dadurch soll die hohe praktische Bedeutung der Beschäftigung mit der statistischen Gesetzlichkeit durchaus nicht herabgesetzt werden. Wie die Meteorologie, die Geographie, die Sozialwissenschaft, so hat auch die Physik vielfach mit statistischen Gesetzen zu arbeiten. Aber ebenso wie niemand daran zweifelt, daß die sog. zufälligen Schwankungen in den klimatologischen Kurven, in der Bevölkerungsstatistik, in den Mortalitätstabellen in jedem einzelnen Fall streng kausal bedingt sind, so wird für den Physiker die Frage ctets einen wohlberechtigten Sinn haben, warum von zwei benachbarten Uranatomen das eine um viele Millionen Jahre früher explodiert als das andere. Die Voraussetzung einer strengen Kausalität wird auch die Wissenschaft vom geistigen Leben niemals entbehren können. Von Gegnern dieser Ansicht ist häufig die Tatsache der Willensfreiheit des Menschen ins Treffen geführt worden. Daß hier durchaus kein Widerspruch vorliegt, daß vielmehr die Willensfreiheit des Menschen vollkommen verträglich ist mit dem universellen Walten eines strengen Kausalgesetzes, habe ich bereits früher einmal ausführlich zu begründen Gelegenheit gehabt. Da meine Ausführungen hierüber stellenweise arg mißverstanden worden sind, und da der Gegenstand doch gewiß bedeutendes Interesse besitzt, so bitte ich um die Erlaubnis, auch noch auf diesen Punkt hier mit einem kurzen Wort eingehen zu dürfen.
166 Das Kausalgesetz verlangt, daß sowohl die Handlungen als auch die seelischen Vorgänge, insbesondere auch die Willensmotive eines jeden Menschen, in irgendeinem Augenblick vollständig bestimmt sind durch den Zustand seiner gesamten Innenwelt im vorhergehenden Augenblick und die hinzutretenden Einflüsse der Umwelt. Wir haben keinerlei Grund, an der Richtigkeit dieses Satzes irgendwie zu zweifeln. Denn bei der Frage der Willensfreiheit handelt es sich gar nicht darum, ob es einen derartigen bestimmten Zusammenhang gibt, sondern es handelt sich darum, ob dieser Zusammenhang dem Betreffenden selber erkennbar ist. Einzig und allein dieser P u n k t ist es, an welchem die Entscheidung darüber haftet, ob der Mensch sich frei fühlen kann oder nicht. Nur wenn jemand imstande wäre, allein auf Grund des Kausalgesetzes seine eigene Zukunft vorauszusehen, müßte man ihm das Bewußtsein der Willensfreiheit absprechen. Ein solcher Fall ist aber deshalb unmöglich, weil er einen logischen Widerspruch enthält. Denn jedes vollständige Erkennen setzt voraus, daß das zu erkennende Objekt durch innere Vorgänge im erkennenden Subjekt nicht verändert wird, und diese Voraussetzung ist hinfällig, wenn Objekt und Subjekt identisch werden. Oder konkreter gesprochen: da die Erkenntnis irgendeines Willensmotives im eigenen Innern ein Erlebnis ist, aus welchem ein neues Willensmotiv entspringen kann, so vermehrt sich durch sie die Zahl der möglichen Willensmotive. Diese Feststellung bringt eine neue Erkenntnis, die abermals ein neues Willensmotiv zeitigen kann, und so geht die Kette der Schlußfolgerungen weiter, ohne daß man jemals zur Feststellung des für eine zukünftige eigene Handlung endgültig ausschlaggebenden Motivs gelangen kann, d. h. zu einer Erkenntnis, die nicht abermals ihrerseits ein neues Willensmotiv auslöst. Wer den Sinn dieser Überlegung bezweifelt und nicht einzusehen vermag, warum ein hinreichend intelligenter Geist nicht imstande sein sollte, die kausalen Bedingungen seines gegenwärtigen Ich vollständig zu begreifen, der dürfte eigentlich auch nicht einsehen können, warum ein Riese, der so groß ist, daß er auf jedermann herabschaut, nicht auch imstande sein sollte, auf sich selber herabzuschauen. Nein, aus dem Kausalgesetz allein wird auch der klügste Mann niemals die entscheidenden Motive für seine eigenen bewußten Handlungen ableiten können; dazu bedarf er einer anderen Richtschnur, nämlich eines Sittengesetzes, für welches auch die höchste Intelligenz und die feinste Selbstanalyse keinen Ersatz zu bieten vermag. III. Doch zurück zur Physik, wo derartige Verwicklungen, wie die soeben besprochene, von vornherein ausgeschlossen sind. Es liegt mir daran, Ihnen hier noch die wichtigsten charakteristischen Merkmale zu schildern, welche das Bestreben, alle
physikalischen Vorgänge auf dem beschriebenen Wege in einen streng kausalen Zusammenhang zu bringen, dem gegenwärtigen physikalischen Weltbild eingeprägt hat. Schon ein flüchtiger Blick zeigt die enorme Veränderung des Bildes gegenüber dem Zustand zu Beginn dieses Jahrhunderts. Man darf wohl sagen, daß eine derartige stürmische Entwicklung seit den Tagen GALILEIS und NEWTONS nicht vorgekommen ist, und wir sind stolz darauf, daß diesmal die deutsche Wissenschaft einen sehr wesentlichen Anteil an ihr genommen hat. Den Anstoß gab naturgemäß die mit den Fortschritten der Technik auf das engste zusammenhängende außerordentliche Verfeinerung der Messungsmethoden; welche dann ihrerseits zur Feststellung von neuen Tatsachen und dadurch auch zur Revision und Erweiterung der Theorie führte. Besonders zwei neue Ideen sind es, die der heutigen Physik ihr charakteristisches Gepräge geben. Sie sind niedergelegt einerseits in der Relativitätstheorie, andererseits in der Quantenhypothese; jede in ihrer Art zugleich umwälzend und fruchttragend, aber doch einander gänzlich fremd und in gewissem Sinne sogar gegensätzlich. Von ihnen lassen Sie mich einiges berichten, soweit es die mir noch zur Verfügung stehende Zeit gestattet. Die Relativitätstheorie war eine Zeitlang, man kann sagen, in aller Munde. Die Auseinandersetzungen für und gegen sie wirkten sich in die weitesten Kreise aus, bis hinein in die Tagespresse, wo von Berufenen und noch mehr von Unberufenen um sie gestritten wurde. Heute ist darin eine gewisse Beruhigung eingetreten, worüber wohl niemand eine aufrichtigere Befriedigung empfinden dürfte als der Urheber der Theorie selber. Das öffentliche Interesse scheint einigermaßen gesättigt und hat sich zur Zeit anderen Modethemen zugewendet. Mancher dürfte nun vielleicht geneigt sein, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Relativitätstheorie ihre Rolle in der Wissenschaft jetzt ziemlich ausgespielt habe. Soweit ich beurteilen kann, ist gerade das Gegenteil der Fall. Die Relativitätstheorie ist heute zu einem so festen Bestandteil des physikalischen Weltbildes geworden, daß man von ihr, wie von allem Selbstverständlichen, kein besonderes Aufhebens mehr macht. Und in der T a t : so neuartig und revolutionierend die Idee der speziellen und der allgemeinen Relativität im ersten Augenblick ihres Auftretens auf die ganze physikalische Welt gewirkt hat: ihre Behauptungen und ihre Angriffe richteten sich im Grunde gar nicht gegen die großen anerkannten und bewährten Gesetze der Physik, sondern nur gegen gewisse, allerdings tief eingewurzelte, aber doch lediglich gewohnheitsmäßige Anschauungen, von der Art derer, die, wie ich schon oben zu schildern versuchte, für das erste Verständnis physikalischer Zusammenhänge sehr nützlich sind, die aber abgestoßen- werden müssen, wenn es sich als notwendig herausstellt, die Zusammenhänge zu verallgemeinern und zu vertiefen.
167 Als ein besonders lehrreiches Beispiel will ich hier nur herausgreifen den Begriff der Gleichzeitigkeit. Nichts scheint dem unbefangenen Beobachter selbstverständlicher, als daß es einen bestimmten Sinn hat zu sagen, zwei Ereignisse, die an zwei voneinander entfernten Orten stattfinden, etwa das eine auf der Erde, das andere auf dem Mars, seien gleichzeitig. Denn es ist einem jeden unbenommen, in Gedanken beliebig große Entfernungen vollkommen zeitlos zu überfliegen und die beiden Ereignisse in der inneren Anschauung direkt nebeneinander zu stellen. Auch muß immer wieder betont werden, daß die Relativitätstheorie an dieser Wahrheit nichts geändert hat. Im Vertrauen auf sie kann ein jeder, wofern er nur über hinreichend genaue Messungsinstrumente verfügt, vollkommen zweifelsfrei feststellen, ob die Ereignisse gleichzeitig sind, und er wird, wenn er die Zeitmessung auf verschiedene Weise, mit verschiedenen Instrumenten, die sich gegenseitig kontrollieren, korrekt ausgeführt, immer auf das nämliche Resultat kommen. Insofern bleibt also alles beim alten. Aber nach der Relativitätstheorie darf er es nicht als selbstverständlich voraussetzen, daß ein anderer relativ zu ihm bewegter Beobachter sich die beiden Ereignisse auch als gleichzeitig denken muß. Denn die Gedanken und die Anschauungen eines Menschen sind nicht immer die Gedanken und die Anschauungen eines anderen Menschen. Wenn nun die beiden Beobachter sich über den Inhalt ihrer Gedanken und Anschauungen auseinandersetzen, so wird ein jeder sich auf seine Messungen berufen, und da wird es sich herausstellen, daß die beiden bei der Deutung ihrer Messungen von ganz verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen sind. Welche Voraussetzung aber die richtige ist, wird sich ebensowenig entscheiden lassen wie die Meinungsverschiedenheit darüber, welcher von den beiden Beobachtern sich in Ruhe und welcher sich in Bewegung befindet. Auf diesen P u n k t kommt es aber wesentlich an; denn der Gang einer Uhr wird, wie jedenfalls nicht verwunderlich ist, von der Geschwindigkeit beeinflußt, mit der die Uhr von der Stelle bewegt wird, und daraus folgt, daß die Uhren der beiden Beobachter verschieden gehen. Das Schlußergebnis ist also, daß ein jeder der beiden mit gleichem Recht von sich behaupten kann, daß er selber sich in Ruhe befindet und daß seine Zeitmessung die richtige ist, während doch der eine Beobachter zwei Ereignisse für gleichzeitig hält, die es nach dem anderen nicht sind. Derartige Gedankengänge sind . gewiß eine harte Zumutung für unser Vorstellungsvermögen, aber das geforderte Opfer an Anschaulichkeit erweist sich als verschwindend geringfügig gegen die unschätzbaren Vorteile einer großartigen Verallgemeinerung und Vereinfachung des physikalischen Weltbildes. Wer aber trotzdem von der Meinung nicht loskommen kann, daß die Relativitätstheorie schließlich doch an irgendeinem inneren Widerspruch
leidet, der möge bedenken, daß eine Theorie, deren vollständiger Inhalt sich in eine mathematische Formel fassen läßt, sich selber so wenig widersprechen kann, wie es zwei verschiedene Folgerungen tun können, die beide aus der nämlichen Formel fließen. Unsere Anschauungen müssen sich eben nach den Ergebnissen der Formel richten, nicht umgekehrt. Die letzte Entscheidung über die Zulässigkeit und über die Bedeutung der Relativitätstheorie liegt freilich, wie selbstverständlich, bei der Erfahrung, und gerade der Umstand, daß überhaupt eine Prüfung an der Erfahrung möglich ist, muß als das wichtigste Zeugnis für die Fruchtbarkeit der Theorie angesehen werden. Bisher hat sich keinerlei Widerspruch mit der Erfahrung feststellen lassen, was ich hier gegenüber gewissen neuerdings auch in die breite Öffentlichkeit gelangten Nachrichten besonders betonen möchte. Aber auch derjenige, welcher aus irgendeinem Grunde das Auftreten eines Widerspruches mit der Erfahrung für möglich oder für wahrscheinlich hält, kann von seinem Standpunkt aus nichts Besseres tun, als an dem Ausbau der Relativitätstheorie mitzuarbeiten und ihre Konsequenzen immer weiter zu treiben. Denn dies wird das einzige Mittel sein, um sie an der Hand der Erfahrung zu widerlegen. Eine solche Arbeit wird dadurch erleichtert, daß die Aussagen der Relativitätstheorie eindeutig und verhältnismäßig durchsichtig sind, und daß sie sich vortrefflich der klassischen Physik einfügen lassen. Ja, wenn nicht Bedenken historischer Art im Wege ständen, würde ich für meinen Teil keinen Augenblick zögern, die Relativitätstheorie noch mit zur klassischen Physik zu rechnen. Denn sie hat dieser Physik erst gewissermaßen die Krone aufgesetzt, indem sie mit der Verschmelzung von Raum und Zeit auch die Begriffe der Masse und der Energie sowie die der Gravitation und der Trägheit unter einem höheren Gesichtspunkt vereinigt hat. Die Frucht dieser neuen Auffassung ist die tadellos symmetrische Form, welche nunmehr die Erhaltungssätze für Energie und Impuls annehmen, als gleichwertige Folgerungen aus dem Prinzip der kleinsten Wirkung, diesem umfassendsten aller physikalischen Gesetze, welches die Mechanik in gleichem Maße beherrscht wie die Elektrodynamik. — Diesem imposanten Aufbau von wunderbarer Harmonie und Schönheit steht nun gegenüber die Quantenhypothese, als ein fremdartiger bedrohlicher Sprengkörper, welcher schon heute einen klaffenden Riß, von unten bis oben, durch das ganze Gebäude gezogen hat. Die Quantenhypothese ist nicht, gleich der Relativitätstheorie, wie aus einem Guß, als ein einfacher in sich geschlossener Gedanke durchsichtigen Inhalts auf den Plan getreten, um durch einen prinzipiell hochbedeutsamen, aber praktisch in den meisten Fällen kaum merklichen Eingriff die bis .dahin bekannten Begriffe und Zusammenhänge der Physik zu modifizieren, sondern
168 ¿ie hat sich anfangs auf einem ganz speziellen Gebiete, bei der Aufklärung der Gesetze der Wärmestrahlung, wo die klassische Theorie in eine schwere Verlegenheit geraten war, als einziger rettender Ausweg dargeboten. Als es sich dann aber zeigte, daß sie auch noch ganz andere Probleme, wie die der lichtelektrischen Wirkungen, der spezifischen Wärme, der Ionisierung, der chemischen Reaktionen, welche der klassischen Theorie gewisse Schwierigkeiten bereiteten, ihrerseits entweder sofort spielend löste oder wenigstens auffallend förderte, war es bald entschieden, daß sie nicht nur als Arbeitshypothese, sondern als ein neues grundlegendes physikalisches Prinzip zu bewerten ist, dessen Bedeutung überall da sichtbar wird, wo es sich um feine schnelle Vorgänge handelt. Das Bedenkliche dabei ist nun aber, daß die Quantenhypothese nicht nur den bisherigen Anschauungen widerspricht — das wäre nach dem oben gesagten noch verhältnismäßig leicht zu ertragen — sondern daß sie, wie sich mit der Zeit immer deutlicher herausgestellt hat, einige der für den Aufbau der klassischen Theorie durchaus notwendigen Grundvoraussetzungen geradezu leugnet. Die Einführung der Quantenhypothese bedeutet daher nicht, wie die der Relativitätstheorie, eine Modifikation, sondern eine Durchbrechung der klassischen Theorie. Selbstverständlich würde nun an sich nichts im Wege stehen, j a man würde sich notwendig dazu entschließen müssen, die klassische Theorie ganz zu opfern, wenn die Quantenhypothese ihr wirklich in allen Punkten entweder überlegen oder wenigstens gleichwertig wäre. Das ist aber auch wiederum durchaus nicht der Fall. Denn es gibt Gebiete der Physik, so besonders das weite Gebiet der Interferenzerscheinungen, in denen sich die klassische Theorie auch den feinsten Messungen gegenüber bis in alle Einzelheiten bewährt hat, während die Quantenhypothese, wenigstens in ihrer einfachsten Form, dort überhaupt versagt, und zwar nicht nur in dem Sinne, daß sie nicht anwendbar wäre, sondern so, daß sie bestimmte Resultate liefert, die mit der Erfahrung nicht übereinstimmen. So ist es denn gekommen, daß heute jede der beiden Theorien sozusagen ihre besondere Domäne hat, wo sie sich unangreifbar fühlen kann, und daß auf zwischenliegenden Gebieten, wie z. B . bei den Erscheinungen der Dispersion und der Zerstreuung des Lichtes, ein gewisser hin und her wogender Konkurrenzkampf sich abspielt, bei dem beide Theorien annähernd dasselbe leisten, so daß die Physiker je nach ihrer persönlichen Einstellung bald mit der einen, bald mit der anderen Theorie arbeiten — gewiß für jeden, der sich ernsthaft bemüht, nach realen Zusammenhängen zu suchen, ein höchst unbehaglicher, j a auf die Dauer ganz unerträglicher Zustand. Zur näheren Illustration dieser eigentümlichen Verhältnisse lassen Sie mich aus dem überaus reichen hier vorliegenden Material an experi-
menteller und theoretischer Forschungsarbeit hier nur ein einziges ganz spezielles Stück herausgreifen, indem ich an zwei einfache Tatsachen anknüpfe. Denken wir uns zwei dünne Strahlenbündel violetten Lichtes, welche dadurch erzeugt sind, daß man einer punktförmigen Lichtquelle einen undurchsichtigen Schirm mit zwei kleinen Löchern gegenüberstellt. Wenn die aus den beiden Löchern austretenden Strahlenbündel mittelst geeigneter Spiegelung so gelenkt werden, daß sie auf einer entfernten weißen Wand zusammentreffen, so erscheint der von ihnen gemeinsam auf der Wand erzeugte Lichtfleck nicht gleichmäßig hell, sondern von dunklen Streifen durchzogen. Das ist die eine Tatsache. Die andere ist die, daß irgendein lichtempfindliches Metall, welches einem dieser Strahlenbündel in den Weg gestellt wird, fortwährend Elektronen mit einer ganz bestimmten von der Lichtstärke unabhängigen Geschwindigkeit von sich schleudert. L ä ß t man nun die Intensität der Lichtquelle immer schwächer werden, so bleibt nach allen bisherigen Erfahrungen in dem ersten Falle das Streifenbild völlig ungeändert, nur die Beleuchtungsstärke nimmt entsprechend ab. In dem anderen Fall bleibt aber auch die Geschwindigkeit der ausgeschleuderten Elektronen völlig ungeändert, nur findet das Ausschleudern weniger häufig statt. Wie trägt nun die Theorie diesen beiden Tatsachen Rechnung? Die erste wird von der klassischen Theorie vortrefflich dadurch erklärt, daß in jedem Punkt der weißen Wand, welcher von beiden Strahlenbündeln gleichzeitig beleuchtet wird, die beiden dort zusammentreffenden Strahlen sich j e nach dem Gangunterschied der entsprechenden Lichtwellen entweder schwächen oder verstärken. Die zweite Tatsache wird ebenso vortrefflich von der Quantentheorie dadurch erklärt, daß die Strahlungsenergie nicht in kontinuierlichem Flusse, sondern stoßweise in bestimmten mehr oder weniger zahlreichen gleichen unteilbaren Quanten auf das lichtempfindliche Metall trifft, und daß je ein auffallendes Quant ein Elektron aus dem Metallverband reißt. Dagegen sind bis jetzt alle Versuche gescheitert, entweder die Interferenzstreifen durch die Quantentheorie oder den photoelektrischen Effekt durch die klassische Theorie zu erklären. Denn wenn die Strahlungsenergie wirklich nur in unteilbaren Quanten fliegt, so kann ein von der Lichtquelle emittiertes Quant nur entweder durch das eine oder durch das andere Loch des undurchsichtigen Schirmes fliegen, es können also, bei hinreichend geringer Lichtstärke, unmöglich zwei verschiedene Strahlen gleichzeitig auf einem Punkt der weißen Wand zusammentreffen, und dann ist eine Interferenz ausgeschlossen. In der T a t verschwinden die Streifen stets vollständig, wenn man einen der beiden Strahlen ganz abblendet. Wenn aber andererseits die von einer punktförmigen Lichtquelle emittierte Strahlungsenergie
169 sich nach allen Richtungen kontinuierlich über immer größere Räume ausbreitet, so muß sie eine entsprechende Verdünnung erleiden, und es ist nicht einzusehen, wie eine sehr schwache Bestrahlung einem Elektron eine ebenso große Austrittsgeschwindigkeit erteilen kann wie eine sehr starke. Natürlich sind die verschiedensten Versuche gemacht worden, um diese Schwierigkeit zu heben. Der nächstliegende ist wohl der, anzunehmen, daß die Energie der ausgeschleuderten Elektronen gar nicht der auffallenden Strahlung entnommen wird, sondern dem Innern des Metalls entstammt, so daß die Strahlung nur gewissermaßen eine auslösende Wirkung auf das Metall'ausübt, wie ein Funke auf ein Pulverfaß. E s ist aber nicht gelungen, die wirksame Energiequelle nachzuweisen oder auch nur plausibel zu machen. Nach einer anderen Annahme soll die Bewegungsenergie der Elektronen zwar der auffallenden Strahlung entstammen, aber die Wirkung soll immer erst dann eintreten, wenn die Bestrahlung so lange gedauert hat, bis die zur Erzeugung einer bestimmten Geschwindigkeit erforderliche Energie vollständig beisammen ist. Das würde aber unter Umständen Minuten und Stunden in Anspruch nehmen, während tatsächlich die Wirkung häufig sehr viel früher eintritt. Auf den tiefen Ernst der hier vorliegenden Schwierigkeiten wirft ein bezeichnendes Licht der Umstand, daß neuerdings von berufenster Seite sogar der Vorschlag gemacht worden ist, die Annahme der genauen Gültigkeit des Prinzips der Erhaltung der Energie zu opfern — ein Ausweg, der wohl mit gewissem Recht ein verzweifelter genannt werden darf, und der allerdings bald durch besondere Versuche als unzugänglich erwiesen werden konnte. Während so bisher alle Versuche fehlschlugen, die Gesetze der Elektronenemission vom Standpunkt der klassischen Theorie aus zu begreifen, werden die nämlichen und noch manche andere Gesetzmäßigkeiten, die sich auf die Wechselwirkung von Strahlung und Materie beziehen, sofort verständlich und erscheinen sogar als notwendig, wenn man annimmt, daß die Lichtquanten als einzelne winzige Gebilde selbständig im Raum herumfliegen und beim Anprall auf Materie sich ähnlich verhalten wie wirkliche substantielle Atome. Da wir uns aber doch notwendig für eine einzige Auffassung entscheiden müssen, so spitzt sich das ganze Problem im Grunde offenbar auf die Frage zu, ob die von der Lichtquelle emittierte Strahlungsenergie sich beim Verlassen der Lichtquelle spaltet, so daß ein Teil durch das eine, ein anderer durch das andere Loch des undurchsichtigen Schirmes geht, oder ob die Energie in unteilbaren Quanten abwechselnd durch eins der beiden Löcher fliegt. Diese Frage richtet sich an jede Theorie der Quanten, und jede Theorie ist genötigt, zu ihr irgendwie Stellung zu nehmen; doch hat bisher noch kein Physiker vermocht, sie befriedigend zu beantworten. Es ist gelegentlich die Meinung ausgesprochen
worden, daß die Schwierigkeiten der Quantentheorie nicht eigentlich bei der Fortpflanzung der Strahlung im freien Luftraum, sondern im Grunde nur bei den Wechselwirkungen zwischen Strahlung und elektrisch geladener Materie auftreten. Dieser Meinung kann ich nicht beipflichten. Denn in der oben formulierten Frage ist nur von der Fortpflanzung der Strahlung die Rede, es fehlt jede Bezugnahme auf Wirkungen, welche die Strahlung ausübt, oder von denen sie herrührt. Darf man dann aber überhaupt von der Energie der freien Strahlung als von etwas Reellem reden, da doch alle Messungen sich immer nur auf Vorgänge in materiellen Körpern beziehen ? —Wenn wir wirklich an der genauen Gültigkeit des Energieprinzips festhalten wollen, was doch gerade durch die neueren Erfahrungen nahegelegt wird, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dann einem jeden Strahlungsfeld ein ganz bestimmter, mehr oder weniger genau berechenbarer Betrag von Energie zugeschrieben werden muß, der durch Absorption von Strahlung vermindert, durch Emission vermehrt wird. Die Frage ist nur, wie sich diese Energie verhält. Und da kann es ebensowenig zweifelhaft sein, daß wir, um einen Ausweg aus dem schwierigen Dilemma zu finden, uns dazu werden entschließen müssen, an den allerersten Voraussetzungen, von denen wir in der theoretischen Physik auszugehen gewöhnt sind, und die sich bisher allenthalben bewährt haben, gewisse Erweiterungen und Verallgemeinerungen! vorzunehmen, — ein Ergebnis, das allerdings für unseren Erkenntnistrieb zunächst gewiß etwas Unbefriedigendes hat. Da es immerhin einige Beruhigung zu gewähren pflegt, wenn man wenigstens die Möglichkeit einer Lösung des Rätsels irgendwo offen sieht, so möchte auch ich der Versuchung nicht widerstehen, mit einigen Worten auf die Frage einzugehen, in welcher Richtung vielleicht der Ausweg gefunden werden könnte. Das Radikalmittel, allen Schwierigkeiten zu entgehen, wäre ohne Zweifel die Preisgebung der üblichen Annahme, daß die Strahlungsenergie irgendwie lokalisiert ist, d. h. daß in jedem Raumteil eines bestimmten elektromagnetischen Feldes sich zu einer bestimmten Zeit ein bestimmter Energiebetrag vorfindet. Denn wenn man diese Voraussetzung fallen läßt, erledigt sich das ganze Problem einfach dadurch, daß die Frage, ob ein Lichtquant durch das eine oder durch das andere Loch des undurchsichtigen Schirmes fliegt, gar keinen bestimmten physikalischen Sinn hat. Indessen dürfte dieser letzte Ausweg aus dem Dilemma nach meiner Meinung wenigstens vorläufig doch noch einen etwas zu weitgehenden Verzicht darstellen. Denn da die Strahlungsenergie insgesamt einen ganz bestimmten angebbaren Wert besitzt, da ferner das elektromagnetische Vektorfeld, welches durch einen Strahl gebildet wird» mit seinem gesamten raumzeitlichen Verhalten durch die klassische Elektrodynamik bis in alle optische Einzelheiten in genauer Übereinstimmung
170 mit der Wirklichkeit dargestellt wird, und da endlich die Energie zugleich mit dem Felde entsteht und verschwindet, so wird sich die Frage nach der Art, wie die Energie im einzelnen durch das Feld im einzelnen bestimmt wird, nicht leicht von der Hand weisen lassen. Wenn wir uns nun dazu entschließen, dieser Frage so weit als möglich nachzugehen, so scheint, um dem Zwang der gestellten Alternative zu entgehen, wohl der Gedanke naheliegend, daß man den gesetzlichen Zusammenhang, der zwischen einem Strahl, oder deutlicher gesprochen, zwischen einer elektromagnetischen Welle einerseits und zwischen der von ihr mitgeführten Energie anderseits besteht, zwar beibehält, aber nicht so einfach und so eng annimmt, als es die klassische Theorie tut. Nach der klassischen Theorie enthält nämlich jeder Teil einer elektromagnetischen Welle, auch der allerkleinste, einen entsprechenden, seiner Größe proportionalen Betrag an Energie, der sich mit ihr zusammen ausbreitet. Wenn man diesen festen Zusammenhang lockert, d. h. wenn man es zuläßt, daß die Energie der Welle nicht in so direkter Weise bis in die feinsten Teile mit ihr verknüpft ist, so wird eine Möglichkeit dafür geschaffen, daß die von der Lichtquelle ausgesandte Welle sich in beliebig viele Teile spaltet, im Sinne der klassischen Theorie, und daß dennoch die Energie der Welle an bestimmten Stellen konzentriert ist, im Sinne der Quantentheorie. Der erste Umstand ermöglicht die Erklärung der Interferenzerscheinungen, dadurch daß auch die schwächste Welle teilweise durch das eine, teilweise durch das andere Loch des-undurchsichtigen Schirmes geht, der andere Umstand ermöglicht die Erklärung des lichtelektrischen Effektes, dadurch daß die Welle ihre Energie immer nur in ganzen Quanten auf die Elektronen prallen läßt. Aber wie soll man sich einen Teil einer Lichtwelle ohne die seiner Größe entsprechende Energie denken? Das ist gewiß eine harte Zumutung, aber nach meiner Meinung ist das im Grunde nicht schwerer, als sich einen Teil eines Körpers ohne die seiner Dichte entsprechende Materie zu denken. Zu der letzteren Annahme sind wir aber bekanntlich durch die Tatsache genötigt, daß die Materie bei fortgesetzter räumlicher Teilung ihre einfachen Eigenschaften verliert, da ihre Masse nicht mehr dem von ihr eingenommenen Räume proportional bleibt, sondern sich in eine Anzahl diskreter Moleküle von bestimmter Größe auflöst. Ganz ähnlich könnte es bei der elektromagnetischen Energie und dem ihr zugeordneten Impuls sein. Bisher war man gewohnt, die elementaren Gesetze der elektrodynamischen Vorgänge ausschließlich im unendlich Kleinen zu suchen. Man teilte alle elektromagnetischen Felder nach Raum und Zeit in unendlich kleine Teile und stellte ihr gesamtes gesetzliches Verhalten durch raumzeitliche Differentialgleichungen dar. In dieser Beziehung müssen wir offenbar von Grund aus umlernen. Denn es hat sich gezeigt, daß diese einfache
Gesetzlichkeit bei einer gewissen Grenze der Teilung ein Ende hat, und daß für noch feinere Vorgänge eine gewisse Komplizierung eintritt, von einer Form, die zu einer Atomisierung der raumzeitlichen Wirkungsgröße, also zu der Annahme von Wirkungselementen oder Wirkungsatomen drängt. In der T a t ist es sehr augenfällig und bemerkenswert, daß unter allen Gesetzen, in welchen das universelle Wirkungsquantum eine Rolle spielt, kein einziges durch eine Differentialgleichung ausgedrückt wird, sondern daß sie insgesamt sich auf endliche Räume und auf endliche Zeiten beziehen, nämlich auf bestimmte Schwingungsperioden, auf vollständige Umläufe, auf endliche Sprünge usw. Es scheint also, daß wir, um diesem Umstand gehörig Rechnung zu tragen, die Beziehungen zwischen unendlich benachbarten Größen wenigstens zum Teil ersetzen müssen durch Beziehungen zwischen endlich entfernten Größen. Dann tritt an die Stelle des Differentiales die Differenz, an die Stelle der Stetigkeit die Diskontinuität, an die Stelle der Analysis die Arithmetik. Einen vielversprechenden Anfang in dieser Richtung bezeichnet die Begründung der sog. Quantenmechanik, wie sie neuerdings in den Händen der Göttinger Physiker HEISENBERG, BORN und JORDAN bereits schöne Erfolge gezeitigt hat. Aber erst die weitere Entwicklung muß zeigen, inwieweit wir auf dem durch die Quantenmechanik eröffneten Wege der Lösung unseres Problems näher kommen können. Denn auch die schönsten mathematischen Spekulationen schweben so lange in der Luft, als ihnen nicht durch bestimmte Erfahrungstatsachen ein fester Halt gegeben wird, und wir müssen hoffen und vertrauen, daß die Kunst der experimentierenden Physiker, welche schon in so manchen verfänglichen Fragen die zweifelsfreie Entscheidung gebracht hat, auch in dem vorliegenden schwierigen Falle das Dunkel aufhellen wird. Dann kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der durch den Ansturm der Quantenhypothese von dem Gebäude der klassischen Physik abgesprengte Teil als wertloser Schutt zu Boden sinken und durch einen passenderen und festeren Anbau ersetzt werden wird. Wir haben gesehen, wie die Physik, die noch vor einem Menschenatter zu den ältesten und ausgereiftesten Wissenschaften von der Natur gezählt werden konnte, gegenwärtig in eine Sturm- und Drangperiode eingetreten ist, die wohl die interessanteste von allen bisherigen zu werden verspricht. Ihre Überwindung wird uns nicht nur zur weiteren Entdeckung neuer Naturvorgänge, sondern sicherlich auch zu ganz neuen Einsichten in die Geheimnisse der Erkenntnistheorie führen. Vielleicht erwarten uns auf dem letztgren Gebiet noch manche Überraschungen, und es könnte sich wohl ereignen, daß dabei gewisse ältere, jetzt in Vergessenheit geratene Anschauungen wieder aufleben und eine neue Bedeutung zu gewinnen anfangen. Deshalb dürfte ein aufmerksames Stu-
171 dium der Anschauungen und Ideen unserer großen Philosophen auch in dieser Richtung sehr förderlich wirken können. E s hat Zeiten gegeben, in denen sich Philosophie und Naturwissenschaft fremd und unfreundlich gegenüberstanden. Diese Zeiten sind längst vorüber. Die Philosophen haben eingesehen, daß es nicht angängig ist, den Naturforschern Vorschriften zu machen, nach welchen Methoden und zu welchen Zielen hin sie arbeiten sollen, und die Naturforscher sind sich klar darüber geworden,
daß der Ausgangspunkt ihrer Forschungen nicht in den Sinneswahrnehmungen allein gelegen ist, und daß auch die Naturwissenschaft ohne eine gewisse Dosis Metaphysik nicht auskommen kann. Gerade die neuere Physik prägt uns die alte Wahrheit wiederum mit aller Schärfe ein: es gibt Realitäten, die unabhängig sind von unseren Sinnesempfindungen, und es gibt Probleme und Konflikte, in denen diese Realitäten für uns einen höheren Wert besitzen als die reichsten Schätze unserer gesamten Sinnenwelt.
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3Iu5 bei neuen ^p^fi! SDtaj Sßlond SKeinc b e r e i t e n ®amen unb Herren! 2Ber fid) bon ber bietfeitigen SSirffamfeit ber Jiotgemeinfdjaft ber SDeutfdjen SEßiffettfd^aft eine jutreffenbe SSorftettung bilben Witt, ber !ann nid)t3 beffereg tun,al3 ftcE) einmalnadjSRögiic^iett juber» tiefen in einjelne ber berfdjiebenartigen ßeiftungen, tuelcfye fie im $ntereffe ber mijfenjd£»aftlidE)ett gorfcfyung bottbradjt Ijat ober gegenwärtig bottbringt. gibt laum ein eht}ige§ 2Biifenfci)aft§= fad), in beffen Setrieb fie feit ber i ^ c r 33egrünbung nid£)t fdjon fegenSreici) eingegriffen ^at. © a n j befonberS widjtig unb für einen gefunben gortfcEjritt unentbefjrlid) ift aber offenbar iljre beutung für biejenigen 2Biffenfd)aften, weldje fid) gegenwärtig in einem 2Senbepun!t iiirer (SntwicElung befinben; unb ba ju biefen aud) bie $f»t)fi! gehört, fo bitte idj ©ie, mit mir auf einige Slugen* blide bei ber ^Betrachtung einiger ber neuen $been ju berweilen, Weldje in jüngfter $eit in biefe Sßiffenfdjaft eingebrungen finb. ift leine Übertreibung, wenn man fagt, bafj bie SErifiS, in ber fidj bie pfujfifalifdje 3Bettanfd)auung Ijeute befinbet, an ÜEiefe unb an @d)roffi)eit alle Vorangegangenen übertrifft, unb baS um fo meijr, weil fie gerabe in einem 2tugwtbIinamif. $>a§ $aljr* tjunberte alte 3fiätfel ber ©rabitation war gelöft, bie ©efefce ber (Strahlung bon Sidjt unb 2Mrme aufgebeeft, fogar bie feltfamen rabioaftiben @rfd>einungen wenigftenä grunbfäfclidj berftänblidj geworben, bie Sltomifti! ljatte unerhörte (Srfolge ju berseidjnen, man friert bem ©erftänbni§ be§ 35aue§ ber Sltome unb ber feinften Vorgänge in iljnen ganj natyegerücft. Unb bie Sefriebigung über
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biete ©rfolge hmrbe nod) erhöh* burdj ben SBefunb, baß fidj im SÖUIroIoSmoS bic nämlichen ©efefce gültig jeigten, mit bcncn man in ben großen SDtmenfionen beS ipimmelSraumeS feit 3iat|r^un» berten bertraut toar. SBie bie Planeten um bie (Sonne, fo follten bie negatiben (¡Sieitronen um ben pofitiben Sltomlern ireifen. SßaS in bem einen galt bie ©rabitation, baS leiftete in bem anbern galt bie 2lnjief)ung ber entgegengesetzten eleltrifchen ßabungen. @inige übrigbletbenbe grunbfäfctiche Unterfdjiebe, ttJie j . 83. ber, baß bie (Sieitronen immer nur auf ganj beftimmten, bi§!ret boneinanber berfdjiebenen Sahnen ireifen iönnen, mährenb bei ben Planeten leine einzelne SBaijn bor einer anberen bon bornljerein beborjugt erfciieint, ^offte man fpäter einmal auf irgenbeine SBeife Hären j u Iönnen. SIber biefe Hoffnung ging nid)t in ©rfüllung, man !am bei ber »eiteren (Snttoicflung ber 5Ei>eorte in ber eingefdjlagenen Sichtung nicht um einen Schritt toeiter bormärtS. SBeber bon ber gegen» feitigen ©inttnrfung ber (Sieitronen, bie bodj toegen ihrer gleich* namigen Sabungen in einer ftarlen Slbftoßung hätte befielen müffen, noch bon ber Sßeriobe ihres Umlaufs um ben Sltomiern, notf) bon bem O r t , an bem fie fidj jetoeilS befinben, mar baS ge= ringfte j u bemerien. Seine biefer ©rößen ließ fidj bireft ober in» bireit burdE) SDteffungen nadjtoeifen. !3nt ©egenteil: toaS fid) burd) Beobachtung feftftellen ließ, toaren üDinge, bie auf eine gänjlich neuartige Sluffaffung bon ber Sßatur ber (Sieitronen hinbeuteten. ©o b e r p t t fid£) ein mit beftimmter ©efchtoinbigleit ficfj betoe* genbeS freies (SIeltron gar nicht toie ein einjelneS fliegenbeS $ro= jeltil, fonbern biel eher toie eine über ben ganjen unenblicfien SRautn gleichmäßig auggebreitete SBelle bon beftimmter Sßeriobe. ®a§ geigt fidj am bireiteften bei ber fRefiejion eines ©trahlS bon jaljireidjen Sieitronen an einem 2JietaIIIriftalI, j . 35. SfticEel, treidle nad^ ganj ähnlichen ©efefcen erfolgt toie bie SRefieyion eines StöntgenftrahlS bon ganj beftimmter Sßellenlänge, inbem auch hier bie nämlichen ^ ^ r f e r e n j » unb 58eugungSerfdE)einungen be= obachtet »erben. SDabei interferieren aber nidjt ettoa bie berfd)ie» benen (Sieitronen miteinanber, fonbern jebeS ©leltron für fich Be* bingt baS bollftänbige SBeugungSbilb, interferiert alfo getotffer» maßen mit fich felbft. SluS ber SBellennatur eines (SIeltronS ergibt fich aüdE) unmittelbar ein SBerftänbniS für ben Umftanb, baß bie Sieitronen eines SltomS nur in ganj beftimmten Sahnen um ben.
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Sern träfen lönnen. ®en» ba eine jebc 39af)n in fid) jurüdläuft, fo ift flar, baß fie immer gerabe eine ganje 9injat)i bon Söetten* längen umfaffen muß, ebenfo txrie bie Sänge einer j u einem tioli» ftänbigen SRing gefcfjiofienen Seite niemals einer gebrod)enen, fon« bern ftetS nur einer ganjen galji öon ©lieberlängen gleicf) fein lann. 2IuS tiefer Sebingung ergeben fidj gerabe bie belannten ©e» fefce ber fog. ftationären ®Ie!tronenbaf)nen. ®arnaci) gleicht ber SreiSiauf eines (£Ie!tronS um ben 2ltom!ern Weniger ber Setoegung eine§ einzelnen Planeten um bie Sonne, als bielmeljr ber ®reljung eines allfeitig ftymmetrifdjen 9iingeS in fidj feibft. Slber trenn nun, fo muß man fragen, ein einzelnes (Steftron burcf) eine nad) allen UMdjtungen beS üiaunteS ausgebreitete SBelle bargeftellt irerben foll, tt>o bleibt bann ber pljtyiifalifdje ©imt beS foejiellen JDrteS, an bem fidj baS SIeftron befinbet? — ÜDie 9lnt= toort auf biefe grage ift, fo paraboj; fie Hingt, djarafteriftifdj für bie neue ÜEIjeorie. ©ie lautet ganj einfadj: ein ©leitron, baS eine beftimmte ©efdjhjinbigfeit befifet, nimmt überhaupt leinen be= ftimmten O r t ein. 2>aS fann man ficf) entWeber fo benfen, baß bie Sabung beS (SleltronS getoiffermaßen öeriüifcfjt unb über feine ganje ringförmige SBaljn Ijin ausgebreitet ift, ober nodj rabifaler, aber einftto eilen tuoljl stoecfmäßiger fo, baß baS (SIeftron jtoar punftförmig ift, baß eS aber {mnätyiell fein SDlittel gibt, feine Sage j u beftimmen. 3 n biefem ©afce offenbart fid) toie !aum in einem anbern ber fdjroffe ©egenfafc ber neuen j u ber alten Sß^fil. @S ift ein ©egen* fafc, ber tief in unfere elementaren 2lnfdjauungen, j[a bis j u ben SBurjeln nnfereS (SrfenntniSbermögenS Ijinabreidjt, unb ber bie fdjtoierige Aufgabe mit fid) bringt, ba§ ©ebäube ber pf)tyiilalifd)en jT^eotie auf teiltneife beränbettem "©runbe neu j u erridjten. SiSiier galt eS als SluSgangSpunft alles faufalen pf»QfifatijdE)en üDenfenS, baß, wenn in einem nad) außen abgefdjloffenett lalifdjen ©ebiibe bie Sagen unb bie ©efdjtüinbigfeiten aller batitt befinblidjen SWaffenpunfte, einfdjtteßKd> ber Sleftronen, unb baS fie umgebenbe eieitromagnetifdje gelb j u trgenbeiner Seit be» ftimmte SBerte befifcen, fämtlidje innerhalb beS ©ebilbeS fidj ab* ftrielenben Vorgänge für alle folgenben 3citen einbeutig beftimmt finb unb fid) aus einer Ijinreidjenb toollftänbig enttoidelten £ljeorie berechnen laffen. üDiefen ©afe gibt bie neuere ^Ijtjfi! preis unb fefct iljm ben fol»
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genben entgegen: für bie in einem nach außen abgefchloffenen fifalifchen ©ebilbe befinblidEjen SDtaffenpunfte laffen jidE», prinzipiell genommen, überhaupt leine befiimmien Sagen unb ©efchtoinbig» feiten j u einer beftimmten $eit feftftellen. ®enn eine fotdje geft» ftellung iönnte nur buref) eine SDtejfung erfolgen, unb eine jebe äßeffung ift mit einem mehr ober minber groben äußeren (Singriff in ben guftanb ¡j e g ©ebilbeS berbunben, fo baß baS (Ergebnis ber SJleffung ftetS auch etoaS bon ber Slrt ihrer Ausführung abfängt. (Solange baS ©ebilbe miritidE) nach außen abgefcf»Ioffen ift, fehlt jebe 23ecf)feitt>irfung mit bem Seobadjter, unb mir fönnen über» haupt feinerlei SenntniS bon feinen Sigenfchaften erlangen. £)aljer ift eä prinzipiell unmöglich, ben 3uftanb einei pi)t)fi!alif(i)en ©e= bilbeS im «Sinne ber bisherigen SEfjeorie unabhängig bon jebem SJleßinftrument bollftänbig j u befinieren. SJian hrirb junädjft zugeben müffen, baß-eine berartige Sluf* faffung in getoiffem (Sinne ihre Berechtigung f)a.t. ©ie ift auch an fid) gar nicht neu. ®enn baß einer jeben SReffung eine ttngenauig* feit anhaftet, ift bon fei)er beiannt, unb auch ber Weitere Umftanb, baß burd) baS angetoenbete fpe^ielle SDießberfahren eine 23er* änberung ber j u meffenben Vorgänge unb baburdj möglidjertoeife eine gälfcf)ung ber 9tefultate behrirft toirb, ift als eine unbermeib» liehe unb oft gefährliche Fehlerquelle fchon j u allen Reiten bon jebem getoiffenhaften Beobachter in Betracht gebogen unb nadj SKöglid^Ieit berüdfidjtigt toorben. SJian half fid) aber bann bisher ftetS bamit, baß man baS j u meffenbe Dbjelt möglidjft behutfam anjufaffen fudjte, unb gab fidj im übrigen ber Hoffnung hin, baß mit ber unabläffig fortfdireitenben Verfeinerung, einerfeitS ber 9JieffungSmethoben, anbrerfeitS ber bon ber Xfyeotie gelehrten Sorreituren, bie erhielten 9£efultate fid) in fteigenbem 9Äaße als unabhängig bon ber 2lrt ber 2Reffung ertueifen nmrben. 2öar man bod) fogar in manchen gälten fchon in ber Sage, eine p^tjfilalifc^e ©röße auf theoretifdjem SBege biet genauer j u beredjnen, als fie überhaupt jemals gemeffen toerben iann. ©o ift }. 33. beiannt, baß bie Verteilung ber eieitrijität auf ber Oberfläche eines gelabenen leitenben (SllipfoibS fid) theoretifdj mit einer ©enauigieit Beftim» men läßt, toeldje bon einer birelten SJieffung niemals erreicht toerben toirb. ®aS Befrembenbe ber neuen %t)tox\e. befteht nun aber batin, baß nach ihr ber ÜJieffungSgenauigieit eines jeben phhfiialifdjen
176 3uftanbeS eine ganj beftimmte p r i n z i p i e l l e ©chranfe gefegt ift. giir einen 2Jiaffenpun!t lägt fid^ biefelbe bahnt formulieren, bafj bie Unficherheit in ber 9Jieffung feiner Sage int umgefehrten Verhältnis fteht ju ber Unfidjerljeit in ber SWeffung feiner ©e* fdjtoinbigfeit. $ e genauer bie ©efdjtmnbigieit gemeffen toirb, befto ungenauer fällt bie SDleffung ber Sage aus, unb toenn bie ©e» fd)toinbigteit abfolut genau gemeffen ift, toaS toenigftenS prinzipiell nidjt auSgefdjloffen toäre, fo bleibt bie Sage Oollftänbig unbeftimmt. SDieS ift ber S i n n ber oben öon mir angeführten ^Behauptung be* jüglidj be§ unbeftimmbarenOrtS eines eieitronS^beffentSefchiüitt* bigfeit genau belannt ift. Umgeieljrt toirb bie ÜDieffung ber ©efdjtoinbigfeit um fo mt* fixerer, je genauer bie Sage beftimmt toirb. 2lud) bafiir nodj ein SBeifpiel. ®ie bireitefte unb feinfte SDleffung ber Sage eines 2ßaffen= puniteS gefchieljt auf optifchem SBege, enttoeber burdj bireiteS 2ln* bifieren mit bem bloßen ober bewaffneten Sluge ober buref) eine photographifdje Aufnahme. ® a j u muß man ben Sßunit beleuchten. ® a n n toirb bie Stbbilbung um fo fd)ärfer, aifo bie SÄeffung um fo genauer ausfallen, je fürjere Sidjttoelien angetuenbet toerben. g ü r gewöhnlich barf man bie ©intoiriung beS Sichte? auf baS be* leuchtete Dbjeft bernachläffigen. 9lnberS ift eS aber, toenn man als Objeit ein einjelneS ©teftron toählt. ®enn jeber Sic^tftraijt, ber baS (Sleftron trifft unb öon ihm jurüefgetoorfen totrb, erteilt bem» felben einen merilidjen ©tofj, unb jtoar um fo heftiger, je fürjer bie Sidhttoelle ift. ®af)er toädjft mit ber Sürje ber Si(f)toelle ¡jtoar bie ©chärfe ber Ortsbestimmung, aber auch in entfprechenbem Verhältnis bie Unfcfjärfe ber ©efö)toinbig!eitSbeftimmung. @S ift leine grage, baß burch berartige ©ebaniengänge in mandje bisher bollfomnten ilare SegriffSbeftimmung ber phhH* falifchen ÜBiffenfchaft, ebenfo toie in bie SBetoeiSfraft mancher bis» her ohne toeitereS einleuchtenben ©ebanfeneyperimente eine un» heimliche SSertoirrung gebracht toirb, ja bafj bamit auf ben erften SlnblicE ber 2lufbau ber ganjen theoretifdEien in feinen gun* bamenten crfdEjüttert erfcheinen muß. SEBtr haben hier toieber ein einbruclSbotleS Seifpiel für ben tiefen Sinn ber befonberS Don (Srnft ÜJiacf) betonten Sehre, bafj man fidf» ftetS hüten foll, phQfi» ialtfdje Segriffe auf ettoaS anbereS ju grünben als auf auSführ» Bare SJleffungen, b. h- auf fonfrete finnlid^e (Srlebniffe. Snbeffen barf man anbrerfeits nach meiner Meinung auch nicht
177 über baS hittauSfdjießen, inbent matt fic^ nun ganj auf ben tJofitiöiftifc£>cn ©tanbpunft jurücfjieljt unb bic Annahme einer hinter ber ©innentoelt (teijenben unb bon ihr unabhängigen realen 2öirllid)!ett fallen läßt. Qrn ©egenteil: biefe Sßirflidjieit, in ber mir 9Jienfd£)entoefett mitfamt unferer ©innentoelt, ja mitfamt unferm ganjen Planeten nur ein berfdjtmnbenbeS 9Uci)tS bebeuten, unb bon beren ©rfjabenfjett wir un§ niemals einen erfcf)öpfenben SBegriff »erben ntadjen iönnen, hat ficf) unS jefct bon einer neuen, fiir unfer gfaffungSbermögen äunäcfjft allerbingS ettoaS un» Bequemen ©eite Bernerflich gemacht unb nötigt unS bamit, baS SBilb, toelcheS hrir uns bisher bon xf)t entoorfen h
322 f e i n , bie » e r g e b e n e n Sßublicationen nidjt nad) ber 3««t i ^ r e i Gntftefjene, jonbern nach fachlichen ©eftdjtSpuniten georbnet j u b e t r a u t e n . -¡Natürlich f a n n hier n u r g a n j f u r j von bem H a u p t i n h a l t ber aHerroidjtigiten berietet roerben. S i n »ottftänbigea SSerjeichnijj fämmtlicher $ u b l i c a t i o n e n , »on Slrtljur Sönig gefammelt, finbet fich am ©c^iujj beä britten S3onbe« ber „2ßiffenfchaftltd;en 31b^anblungen". § i e r j u fommen noch bie »on a n ber U n i s e r f i t ä t ä k r l i n gehaltenen, nach feinem £ o b e herausgegebenen Sorlefungen über alle @iiijel« gebiete ber mathematifchen i p ^ f i f . ©leid; in feiner erften p^gfifatifc^eri 2lbhanblung, Uber bie © r ^ a l t u n g ber K r a f t (porgetragen am 2 3 . ¿ u l i 1 8 4 7 »or ber b e r l i n e r phpfalifchen ©efell« fd&aft) gab geroiffermajjen ein SlrbeitSprogramm a u S , auf n>eld;e3 ev in feinen fpäteren gorfdjungen immer roieber jurücfgegriffen h a t - Sßenn m a n baSjenige, toaS in biefer berühmten Slbhanblung an Beuern unb SSerbienftoottem geleiftet i f t , ! u r j djarafterifiren roitt, fo barf m a n nid^t »on einer „ G n t b e d u n g " b e i ißrincipS ber (Erhaltung ber (Energie reben, infofern al« ob ber ©ebanfe hier j u m erften 3Jial auegefprodien roirb. $ e n n in biefem f ü n f t e hatte forool a l s auch ber neben ihm befonberS oft genannte 3 - 31- SJia^er eine g a n j e Slnja^I SBorgänger. D a s 9ieue in jener 3lbfjanblung roar uielme^r, b a | a l s ber ß r f t e jeigte, mag oben genanntes iprineip, ba8 bamal« in i p h i i ^ e r l r e i f e n noch fo gut n>ie unbeiannt m a r , f ü r jebe einzelne phgfita* Itfehe drfcheinung bebeutet, j u melden }ahlenmä|igen Gonfequenjen e i überall f ü h r t , u n b wie alle biefe »erfdjiebenartigen Sonfequenjen auf ben Derfdjiebeufte ©ebieten ber $ h 9 f i t , bie j u ü b e r f e i n b a m a l ä ungleich fchroieriger m a r a(8 heute, nad) Maßgabe ber »orliegenten E r f a h r u n g e n ftch beroährt haben. ® a ä fiehrgebäube ber 2Dt e d; a n i ! h a t ^auptfäd^lic^ burch feine bpnamifchen u n b aiuftifchen Unterfuchungen bereichert. S a h n b r e d j e n b mirltc feine Sntbecfung ber ©efefce ber SBirbelberoegungen ( 1 8 5 8 ) . D e r e n roichtigftei befagt, baS in einer reibungälofen ^yliiffigfcit, in «Oelber ber ®ruc! lebiglich oon ber Sichtigfeit a b h ä n g t , bie einmal in brehenber Seroegung begriffenen glüffigfeitStheilchen beftänbig in biefer »erharren m ü f f e n , g a n j u n a b h ä n g i g »on ihrer fonftigen Jortberoegung im Staume, baß alfo bie roirbelnben %i)tild)tn geroiflennaßen 3nbi®ibuen mit unoeränberlichen ©igenfehaften barftetten. ®e= fonbereä Sntereffe brachte bem © t u b i u m ber an ber © r e n j e jroeier »er» fchiebener giüfftgfeiten, ben $ i $ c o n t i n u i t ä t ä f l ä d j e n , auftretenben charalteriftifdjen Vorgängen entgegen. 3)ieä führte ihn einerfeitö j u r StuffteDung ber erften Seifpiele f ü r freie glüffigfeiiSftrahlen ( 1 8 6 8 ) , anbrerfeitö j u einer f ü r bie Meteorologie bebeutung«»otten ¿ h e o t i e ber SEBeÜen ( 1 8 8 6 — 1 8 9 0 ) , in welcher er u . a . ben großartigen Vergleich jroifchen ben gewöhnlichen SBafferroeHen, a n ber © r e n j e »on Sßaffer u n b S u f t , unb ben Suftioogen an ber © t e n j c jroeier B e t r i e b e n bichter Schichten ber 3(tmofphäre rechnungsmäßig burchführte: Unter feinen afuftifchen Arbeiten, beren SSebeutung im übrigen mehr auf bem ©ebiete ber ©Eperitnentaiphgftf u n b ber ip^^ftologie liegt, ift in mathematifd)* ph^fttalifcher ^ i n f t d j t bie midjtigfte bie Theorie ber Suftfchmingungen in S ö h r e n mit offenen Gnben ( 1 8 5 9 ) , in welcher bie b i s baljin ftet« n u r in naher Sin» n ä h e r u n g berüdftchtigten ©renjbebingungen an ber SÄöhrenmünbung genau befriebigt f t n b , moburch benn auch e f p ä t e r al« enorfn fruchtbar erwiefen ^ a t : bie ^ p p o t ^ e f e einer atomiftifdien ß o n f t i t u t i o n ber eieftricität. ® i e D p t i f be^anbelte hauptfä f e | e n ber mathematischen Sßh^f 1 ^ ben SJJrincipien ber i i j e r m o b ^ n a m i f , j u , bie er fogleidj in voller SlQgemein^eit entroicfelte u n b befonber« auf galoaniforau«bered)nen läfst. ® i e weitere Verfolgung be« ©ebanfen«, baji bie ß r f l ä r u n g aller ©efe^e ber Söärmeleljre in ber ÜJied&ami j u fud;en i f t , f ü h r t ihn ( 1 8 8 4 ) j u ben ©tubien über bie ©tatif cpflifcher ©ijfteme, b. f). folcher Äörper ober Äörpercompleje, in benen gewiffe. fchneHe, in fidj jurücflaufenbe unb ba^er birect nidjt fidjtbare ^Bewegungen ftattfinben, wie bei einem in fdjnetter Dotation.befinbltdien G r e i f e t , bei bem n u r bie oerfjähnifj» tnäfeig langsamen 2lenberungen feinet 2ldjjenrid)tung u n b feine« ©tanborte« j u r birecten 2Baf)tne^mung fommen. , Von f)ier gelangte j u bem P r o b l e m , meldte« ihn big j u feinem fieben«» enbe unau«gefefct gefeffelt f)at: ber ftrage nach bem „Sßrincip ber ileinften S ß i r f u n g " u n b feiner S e b e u t u n g f ü r bie gefammte ?iad) allen t u n g e n : i)iftorifd^, fritifch, beric^tigenb unb e r g ä n j e n b , fyat er bie oerfd^iebenen ^ o r m u l i r u n g e n biefe« Sßrincip« burchforfcht unb namentlich nacfjgewiefen, baß ba« ^ r i n e i p nid)t n u r f ü r 9ewegung«oorgänge, auf bie t i urfprünglic^ allein bejogen w ü r b e , fonbern, fall« i^m eine I)inreid>enb allgemeine R a f f u n g gegeben w i r b , f ü r fämmtlid)« genauer befannten p ^ f t f a l i f c ^ e n Vorgänge S e b e u t u n g b e f t | t , ebenfo wie ba« beim ^ r i n e i p ber (Sr^altung ber ©nergie ber g a t t ift. Slber ba« ^ r t n e i p ber Ileinften 2Birfung befagt nod^ me^r a(« b a 3 @nergiep r i n e i p ; benn e« geftattet einen einbeutigen ©d)lufj auf alle @injel^eiten be» Seitlichen V e r l a u f e « eine« p ^ f t f a l i f ^ e n Vorgange«, fall« ber 3 t n f a n g « ; u f t a n b u n b bie ©renjbebingungen genau befannt ftnb. ®urch biefe ^orfc^ungen Ijat JQ. ben 2öeg j u einer einheitlichen äluffaffung aSer STiaturfräftc oorgejeichnet. ®ie D u r c h f ü h r u n g feiner ^been m u f j bie ^ u f u n f t bringen. 91. a a l j o w.
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Traueransprache für Wilhelm von Bezold gehalten in der Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 22. Februar 1907 vom Vorsitzenden Max Planck
Meine Herren! In ernster Stimmung beginnen wir unsere heutige Sitzung. Denn unsere Gedanken zieht es nach dem frischen Grabe, das sich erst vorgestern vor uns geschlossen hat. Abermals ist unsere Gesellschaft, wenn auch nicht völlig unvorbereitet, so doch nach menschlicher Voraussicht allzu frühzeitig, von einem schweren, schmerzlichen Verluste betroffen worden. W i l h e l m
v o n B e z o l d , der uns am 17. d. M., im Lebensalter
von 70 Jahren stehend, durch die Folgen eines hartnäckigen Leidens entrissen wurde, gehörte nicht nur vermöge seiner bedeutenden Stellung in der wissenschaftlichen und in der gesellschaftlichen Welt, sondern auch nach seinen speziellen Verdiensten um unsere Gesellschaft zu ihren hervorragendsten Mitgliedern. Seine Leistungen in der Wissenschaft entsprechen der Vielseitigkeit seiner Interessen. In mehreren Gebieten der Physik, besonders
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in der Wärmetheorie, in der Farbenlehre, in der Elektrizitätslehre, hatte e t sich schon durch seine Arbeiten in München erfolgreich betätigt, — ich will hier nur hinweisen auf die anfangs weniger beachteten, später durch H E I N R I C H H E R T Z , dessen 50jährigen Geburtstag wir gerade heute feiern würden, ins rechte Licht gestellten Untersuchungen über elektrische Entladungen, — als er im Jahre 1885 an die Spitze des hiesigen meteorologischen Instituts berufen wurde und von nun ab seine volle Arbeitskraft den neu übernommenen Aufgaben widmete. Ich hoffe, daß uns bald Gelegenheit gegeben wird, seine wissenschaftlichen Verdienste aus berufenerem Munde ausführlich gewürdigt zu hören. Als Organisator und Leiter eines enormen, vielverzweigten Verwaltungsapparates, als bahnbrechender Forscher auf den verschiedenen Gebieten der physikalischen Meteorologie, als Schöpfer und Berater umfassender wissenschaftlicher Untersuchungen, gelangte seine Persönlichkeit bald zu wohlverdientem Ansehen, innerhalb und außerhalb unseres Vaterlandes. Ein an Arbeit und an Erfolgen reich gesegnetes Leben ist mit seinem Hinscheiden zum Abschluß gekommen. Aber für uns war sein Name mehr als ein Schmuck unserer Mitgliederliste. Wir betrauern in ihm den Mann, der unsere Gesellschaft in derjenigen Periode, die man wohl mit gewissem Recht als die bedenklichste in ihrer ganzen seitherigen Geschichte bezeichnen kann, mit kundiger Hand durch die Krisis hindurchgeführt hat. Es war im Unglücksjahr 1894, das uns gleich zum Beginn H E I N U I C H H E R T Z , im Frühjahr A U G U S T K U N D T , und im Herbst H E R M A N N VON H E L M H O L T Z entriß, als die durch die verschiedenen Trauerfälle verwaiste Gesellschaft W I L H . V O N B E Z O L D zum ersten Vorsitzenden erwählte. Damals waren der Gesellschaft gerade außergewöhnliche Schwierigkeiten erwachsen durch die von seiten des Verlegers der Fortschritte der Physik erfolgte Kündigung des Verlags-
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Vertrages, und damit ward, wie sich sehr bald herausstellte, dieses ganze Unternehmen, die Hauptleistung und der Hauptstolz unserer Gesellschaft, ernstlich in Frage gestellt; ein Aufgeben desselben hätte für die Gesellschaft einen empfindlichen Schlag bedeutet. Unter B E Z O L D S tatkräftiger Leitung gelang es glücklich, das drohende Unheil abzuwenden, und seitdem haben sich die „Fortschritte", wie wir wissen, und mit ihnen unsere Gesellschaft, in der erfreulichsten Weise weiter entwickelt. . Durch drei Jahre hindurch führte er den Vorsitz in der Gesellschaft, auf ihrem 50jährigen Stiftungsfest am 4. Januar 1896 hat er noch in der Festrede ihren Werdegang in großen Zügen geschildert. Dann konnte er sein Amt der sicheren Obhut von K U N D T S Nachfolger übergeben. Wenn er auch in späteren Zeiten durch vielfache Geschäftslast verhindert war, an unseren Sitzungen regelmäßig teilzunehmen, so hat er doch sein Interesse für die Gesellschaft stets unverändert bewahrt und insbesondere bei der Umwandlung der Berliner Gesellschaft in die Deutsche an der Ausarbeitung der Satzungen tätigen Anteil genommen. Mit ihm zusammenzuwirken, im amtlichen wie im persönlichen Verkehr, war eine Freude. Sein praktischer Blick, seine reiche Lebenserfahrung und sein liebenswürdiges, echter Herzensgüte entspringendes Wesen war recht dazu angetan, drohende Schwierigkeiten zu überwinden, vorhandene Schärfen zu mildern. Die Gesellschaft wird das, was er für sie getan, in dankbarer Erinnerung bewahren und wird dem nun Verewigten die Treue, die er ihr gehalten, mit gleicher Treue vergelten. Die Anwesenden ehren das Andenken an den Dahingeschiedenen durch Erheben von den Sitzen.
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Erwiderung*) von Max Planck
Meine geehrten Damen und Herren! Wenn auch gemäß dem Vorschlage des Herrn Vorsitzenden eine eigentliche Diskussion in der heutigen Sitzung nicht stattfinden soll, so werden Sie mir g e w i ß trotzdem, da doch von meiner Person hier wiederholt die Rede war, einige kurze "Worte gestatten, in denen ich versuchen will, frisch aus dem Stegreif etwas von dem Eindruck wiederzugeben, den die soeben von uns gehörten Vorträge auf mich gemacht haben, und zugleich meinem tiefen Dankgefühl für die außerordentliche mir heute erwiesene Ehrung Worte zu leihen. Als ich zum erstenmal davon hörte, daß der Vorstand der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Aussicht genommen habe, meines sechzigjährigen Geburtstages in einer besonderen Sitzung zu gedenken, da überkam mich, neben der Überraschung über diese hohe mir zugedachte Auszeichnung, gleichzeitig auch ein gewisses nicht unerhebliches Gefühl der Beklemmung. Die Überraschung rührte im wesentlichen daher, daß ich es einigermaßen auffallend fand, wenn die Gesellschaft von einem so imbedeutenden Ereignis Notiz nehmen wollte, zumal in einer Zeit, wo unsere persönlichen Gedanken vielfach ganz andere W e g e zu gehen gewohnt sind, vor allem zu unseren Kollegen und Freunden an der Front, die nun schon seit Jahren ihre kostbare Arbeitskraft für das Wohl des Vaterlandes einsetzen und deren viele tagtäglich von schwerer Gefahr für Gesundheit und Leben bedroht werden. Andererseits sagte ich mir freilich, daß die Gesellschaft wohl daran tut, wenn sie einmal auch vor weiteren Kreisen Zeugnis davon ablegt, daß sie ihre satzungsmäßige Aufgabe, die Mitglieder zu persönlichem Gedankenaustausch zusammenzuschließen, auch in diesem furchtbaren Kriege bisher regelmäßig und gewissenhaft weiter zu erfüllen bestrebt ist, — gerade auch im Interesse der Helden da draußen, die, wenn sie dereinst zurückkehren werden, mit Recht verlangen dürfen, daß die friedlichen Güter, für deren Schutz sie gekämpft und gelitten haben, daheim in der Zwischenzeit mit aller Sorgfalt weiter gehütet und gepflegt worden sind. *) Erwiderung auf die Reden von E. Warburg, A . Sommerfeld, M . von Laue und A . Einstein in der Festsitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 26. April 1918 anläßlich des 60. Geburtstages Max Plancks.
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Aber was mir die Beklemmung verursachte, war der ernstliche Zweifel, ob denn der zu einer solchen Kundgebung ausersehene Anlaß auch der geeignete sei; ob nicht vielmehr, um mich technisch auszudrücken, die beabsichtigte Demonstration an einem dazu wenig tauglichen Objekt gemacht werden würde. Und dieses Gefühl hat sich mir, wie ich offen gestehen muß, im Verlaufe des heutigen Abends beim Anhören der Vorträge eher noch gesteigert als vermindert, aus einem Grunde, den ich sogleich darlegen will. Die Herren Kollegen, welche soeben hier gesprochen haben, nehmen bekanntlich alle in unserer Wissenschaft eine führende und verantwortliche Stellung ein, ein jeder von ihnen ist daher auch gewohnt, seine Äußerungen sehr sorgfältig einzeln auf die Wagschale zu legen, da er recht wohl weiß, daß jedes Wort, das er von sich gibt, in der ganzen physikalischen Welt, im Inland wie im Ausland, gehört und gehörig bewertet wird. Wenn nun diese Männer, so verschiedene Standpunkte sie sonst gegenüber den verschiedenartigen Fragen der Wissenschaft einnehmen, heute hier vor Ihnen in voller Übereinstimmung ein in hohem Maße anziehendes Bild entworfen haben von den Verdiensten einer gewissen Persönlichkeit, so werden Sie es mir gewiß nicht verdenken, wenn ich den brennenden Wunsch fühle, dieser Persönlichkeit möglichst ähnlich zu sehen. Aber nun bitte ich Sie, sich vorzustellen, es kenne mich jemand nur aus jener Schilderung. Würde er nicht recht enttäuscht sein, wenn er mich dann so, wie ich wirklich bin, näher kennen lernen würde? Ich meinesteils bin überzeugt davon. Und als gewissenhafter Physiker fühle ich die Verpflichtung, jenem Bilde ein anderes gegenüberzustellen, das nach meiner Meinung der Wirklichkeit in gewissem Sinne doch näherkommt. Denken Sie sich einen Bergknappen, der jahrelang mit Einsetzung seiner ganzen Kraft nach edlen Erzen schürft und dem es bei seiner Arbeit eines Tages begegnet, daß er eine Ader gediegenen Goldes anschlägt, die sich bei näherer Untersuchung noch unendlich ergiebiger erweist, als irgend jemand im voraus vermuten konnte. Wäre er selber nicht auf den Schatz gestoßen, so wäre dies unfehlbar kurz darauf einem seiner Mitarbeiter geglückt. Dazu kommt noch ein weiteres. Stellen Sie sich vor, es wäre irgend jemandem schon vor 50 Jahren gelungen, die ganze Thermodynamik einschließlich der Quantentheorie fix und fertig auszuarbeiten. Würde dieses ganze theoretische Gebäude damals auf die physikalische Welt einen besonderen Eindruck gemacht haben? Ich glaube schwerlich. Was zur Theorie hinzukommen muß, was ihrer Blässe erst Blut und Leben verleiht, das ist
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die Verknüpfung mit der Wirklichkeit; und in dieser Hinsicht fühlt niemand lebhafter als ich, wie außerordentlich hoch sich eine große Zahl von Forschern um die Förderung gerade der Quantentheorie verdient gemacht haben. Um nur einige wenige Ñamen herauszugreifen, die mir im Augenblick einfallen: was würden die Wirkungsquanten bedeuten ohne die Arbeiten von Lummer und Pringsheim, Rubens und Kurlbaum über die Wärmestrahlung, von Einstein und Debye, Nernst und Eucken über die spezifische Wärme, von Franck und Hertz über die Jonisierungsspannung, von Bohr, Sommerfeld, Paschen über die Spektrallinien, — die Liste ließe sich leicht noch vervielfachen, doch ich kann hier unmöglich vollständig sein. Wenn ich mir selber mit gutem Gewissen eine Anerkennung zusprechen darf, so wäre es die, daß ich mich in meinen Arbeiten stets ehrlich bemüht habe, das Interesse an der Sache allen anderen Interessen voranzustellen. Als die wichtigste Sache aber, als dasjenige Ziel, was ich meinem ganzen wissenschaftlichen Streben als Motto voraussetzen möchte, erschien mir immer die möglichste Vereinfachung und Vereinheitlichung der physikalischen Weltanschauung, und als vornehmstes Mittel zur Erreichung dieses Zieles die Versöhnung, des Gegensätzlichen durch gegenseitige Befruchtung und Verschmelzung. Denn bei zwei sich entgegengesetzten einander bekämpfenden Anschauungen oder Theorien enthält gewöhnlich jede der beiden einen gesunden, unvergänglichen Kern, und es kommt nur darauf an, diesen herauszuschälen und das entbehrliche, allerdings sehr oft stark in den Vordergrund tretende und sich als unentbehrlich gebärdende Beiwerk als solches zu erkennen und abzustreifen. Ein derartiger Antrieb zur Vereinheitlichung durchzieht übrigens, soweit ich übersehe, nicht nur mein wissenschaftliches, sondern auch mein persönliches Leben. Im letzten Grunde war er es auch, der mein Interesse weckte an der Vereinigung der Physiker Deutschlands durch die Erweiterung der Berliner Physikalischen Gesellschaft zu einer Deutschen. Doch muß ich zu den Worten Herrn Warburgs ergänzend bemerken, daß das Gelingen dieser damals wohl etwas kühnen Unternehmung nach meiner Überzeugung zum wesentlichsten Teile seinem eigenen weitschauenden Blick und seinem tatkräftigen Zugreifen zu verdanken ist, gerade in jener ersten schwierigen Übergangszeit, da er durch eine Reihe von Jahren hindurch den Vorsitz in unserer Gesellschaft führte. In der wissenschaftlichen Forschung schwebt mir gegenwärtig als ideales Ziel vor eine Versöhnung der Quantentheorie mit der klassischen Undulationstheorie des Lichtes. Einstweilen
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verhalten sich freilich diese beiden Theorien gegeneinander noch verzweifelt spröde, und die Beurteilungen ihres gegenseitigen Verhältnisses wie auch die Mutmaßungen über den Boden, auf dem sie sich dereinst finden werden, gehen zurzeit noch vielfach sehr weit auseinander. Da gewährt es mir eine doppelte Freude, zu sehen, daß zwei Physiker, die über diese Dinge in mancher Beziehung so grundverschieden denken wie unser verehrter Herr Vorsitzender und ich, doch in rein persönlicher Hinsicht sich, wie man wohl sagen darf, zum mindesten ganz leidlich miteinander vertragen können. Wenn strenge wissenschaftliche Sachlichkeit hierzu die Vorbedingung ist, so muß freilich noch etwas anderes, Positives dazukommen, um die Verhältnisse so glücklich zu gestalten wie in diesem Falle. Und da ich nun wieder beim Persönlichen angelangt bin, so möchte ich auch meiner freudigen Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß es dem Vorstand unserer Gesellschaft gelungen ist, an dem heutigen Abend eine so stattliche Anzahl von Mitgliedern und Gästen hier zu vereinigen. Wir dürfen nicht daran zweifeln, daß damit gerade die Hauptaufgabe der Gesellschaft, ihre Besucher zu mannigfachem wissenschaftlichen Gedankenaustausch anzuregen, auf das schönste gefördert wird. Der aufrichtige Wunsch, daß die Sitzungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft noch recht oft und vielfach in diesem Sinne wirken mögen, ist der beste Dank, den ich ihr für die heutige mir so ehrenvolle Veranstaltung darbringen kann.
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Gedächtnisrede des Hrn.PLANCK auf HEINRICHRUBENS vom 28. Juni 1923 (Leibniztag) Schon jährt sich in wenigen Wochen zum erstenmal der Tag, an welchem H E I N R I C H R U B E N S mitten aus schaffensfreudiger Tätigkeit heraus der schleichenden Krankheit, welcher er bis zuletzt mit dem ganzen Aufgebot seiner starken Lebensenergie widerstanden hatte, zum Opfer fiel. Was der Dahingeschiedene in langjähriger Forschungsarbeit für seine Wissenschaft geleistet hat, was er seinen zahlreichen Schülern bedeutete, das ist schon von verschiedenen Seiten in Wort und Schrift eingehend gewürdigt worden und stellenweise ergreifend zum Aus-
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druck gekommen. Der Akademie der Wissenschaften ist es erst heute, an ihrem Leibniztage, vergönnt, seiner in öffentlicher Feier zu gedenken. Aber sie darf um so weniger darauf verzichten, ihm ein besonderes Zeichen ihrer Trauer und ihrer Dankbarkeit zu widmen, als der Verblichene, der seine Zugehörigkeit zur Akademie ausgesprochenermaßen als seine höchste äußere Lebensstellung auffaßte, ihr während der Zeit seiner Mitgliedschaft stets mit Einsetzung der ganzen K r a f t und Treue seiner aufrechten Persönlichkeit angehangen hat. Als R U B E N S vor 15 Jahren in diesen Kreis eintrat, galt er schon als ein anerkannter Meister seiner Wissenschaft. Wohl zuerst hatte seine berühmte Methode der Reststrahlen seinen Namen in der internationalen Physik verbreitet. Dazu hatten sich bald andere hervorragende Leistungen gesellt, wie die Strahlungsmessungen im ultraroten Spektrum, welche zur Aufstellung des Gesetzes der Energieverteilung im Normalspektrum den unmittelbaren Anlaß gaben, oder die Bestimmung des Reflexions- und Emissionsvermögens der Metalle, welche den experimentellen Beweis d a f ü r erbrachte, daß, wie die MAXWELLsche Theorie verlangt, beide Größen bei hinreichend langen Wellen sich vollständig aus dem elektrischen Leitungsvermögen der Metalle berechnen lassen. Die letzten dieser Arbeiten hatte die Akademie bereits in ihre Sitzungsberichte aufgenommen. Seitdem aber R U B E N S selber Mitglied geworden war, hat er alle seine Originaluntersuchungen zuerst der Akademie zugeeignet, in jedem Jahrgang unserer Sitzungsberichte ist sein Name mit einem oder mehreren Beiträgen vertreten, deren Wert f ü r die wissenschaftliche Literatur um so höher einzuschätzen ist, als R U B E N S auf seinem speziellen Arbeitsgebiete bis in die letzte Zeit unbestritten die Führung innehatte. Zu ihnen gehört die Ausarbeitung der Quarzlinsenmethode zur Isolation langwelliger Strahlen, zusammen mit R. W . W O O D , die Entdeckung der langwelligen Strahlen im Quecksilberspektrum, zusammen mit 0 . v. B A E Y E R S die Messungen im Rotationsspektrum des Wasserdampfes, zu-
333
sammen mit G . H E T T N E R , die experimentelle Prüfung Energiestrahlungsgesetzes, zusammen mit G . M I C H E L .
des
Daß R U B E N S bei seinen Untersuchungen sich mit Vorliebe des Beistandes tüchtiger Mitarbeiter versicherte, lag tief begründet in seiner persönlichen Naturanlage und in seiner Art wissenschaftlich zu arbeiten. Es genügte ihm nicht, einem schwierigen Problem auf einsamer Fährte nachzuspüren und sich, von der Umwelt abgeschlossen, in seine Zergliederung zu vertiefen, ihm lag es besser, den Angriff auf einer breiteren Front vorzunehmen; und wenn das Problem bewältigt war, so wollte er die Lösung nicht für sich allein behalten, sondern er trachtete danach, der neugewonnenen Erkenntnis auch zur äußeren Anerkennung zu verhelfen und sie zum Allgemeingut zu machen. Daraus entsprang sein Bedürfnis nach wissenschaftlicher Mitteilung, seine Freude am Verkehr mit jüngeren Fachgenossen, seine Vorliebe für das Lehramt und daraus schließlich auch der besondere Einfluß seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit. Sicherlich ist manche wissenschaftliche Anregung von ihm ausgegangen, ohne daß sein Name mit ihr ausdrücklich in Verbindung gebracht wurde. Wenn R U B E N S bei einem Vortrag über die Ergebnisse, sei es einer eigenen, sei es, was er häufig und gern übernahm, einer fremden Arbeit erst die Geschichte und die Bedeutung des Problems, dann die Ausarbeitung der Beobachtungsmethode in klaren, knappen Worten schilderte, wenn er weiter bei der Zeichnung der Versuchsanordnung bedächtig und sicher seine breiten Kreidestriche auf der Tafel zog und die wesentlichsten Einzelheiten in seiner prachtvollen charakteristischen Handschrift besonders illustrierte, dann strömte von ihm mit der wissenschaftlichen Belehrung zugleich auch eine Welle künstlerischen Behagens auf die Zuhörer aus, in der das sachliche Interesse an dem Inhalt des Mitgeteilten sich mit der Befriedigung an der wohlabgerundeten Darstellung harmonisch verband. So pflegte er auch eine Arbeit immer erst dann als vollständig abgeschlossen zu betrachten, wenn sie nicht nur mit der denkbar
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größten Genauigkeit und Sauberkeit bis zu Ende durchgeführt, sondern auch in der für das Verständnis und die Mitteilung geeignetsten Form ausgemünzt worden war. Dabei wurde ihm die Durchführung seiner Präzisionsmessungen in dem hiesigen, nun schon fast 50 Jahre alten physikalischen Institut am Reichstagsufer wahrlich nicht leicht gemacht. Welche Leistungen er hier vollbrachte, wie er der durch die Lage des Gebäudes bedingten mechanischen und magnetischen Störungen dadurch Herr wurde, daß er einerseits besondere Instrumente konstruierte, andererseits die Beobachtungen in ruhige nächtliche Stunden verlegte, wie er im Winter mit beharrlicher Geduld der Eiseskälte trotzte, wie er in der Nachkriegszeit das wiederholt von Kugeln politischer Fanatiker und von Sprengwerkzeugen nächtlicher Einbrecher bedrohte Haus dennoch als eine persönliche Heimat liebte und als von H E L M HOLTZ überkommenes Erbe hoch in Ehren hielt, das wird in seiner ganzen Bedeutung erst gegenwärtig so recht fühlbar, da die Verhandlungen um die Neubesetzung seiner Stelle bisher namentlich aus dem Grunde noch zu keinem Ergebnis geführt haben, zum schweren Nachteil der hiesigen Pflege der Physik, weil das Institut als veraltet, ungünstig gelegen und für Präzisionsmessungen schlecht geeignet bewertet wird. Aber das Geheimnis der wissenschaftlichen Erfolge von R U B E N S ' Tätigkeit beruht nicht allein auf der ihm eigenen besonderen Gabe, feine Experimente auszuführen und ihre Ergebnisse klar zu formulieren. Was seinen Arbeiten ihren unvergänglichen historischen Wert verleiht, liegt darin begründet, daß er seine Kunst stets in den Dienst großer Gedanken stellte. Jede einzelne Untersuchung von ihm steht im Zusammenhang mit irgendeinem größeren im Hintergrunde auftauchenden Problem. Auch die letzte, erst nach seinem Tode in den Sitzungsberichten erschienene, zusammen mit seinem jüngsten Mitarbeiter K . HOFFMANN ausgeführte spezielle Untersuchung über die Strahlung geschwärzter Flächen war nur als Vorarbeit für spätere größere Aufgaben gedacht. Besonders ein Gedanke ist
335
es, der gewissermaßen als Leitmotiv sein ganzes wissenschaftliches Leben durchklingt: die experimentelle Überbrückung der K l u f t zwischen den optischen und den elektrischen Wellen. Durch dieses seit der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen durch H . H E R T Z akut gewordene Problem wurde ihm der gerade Weg gewiesen, den er stets mit zäher Energie verfolgt hat, auf den er immer wieder zurückkehrte, wenn er auch häufig Seitenpfade einschlug, um das Terrain möglichst vollständig zu sondieren und gelegentlich sich darbietende, besonders lockende F r ü c h t e mitzunehmen. So benutzte er die von ihm entdeckten ultraroten Reststrahlen von Steinsalz und von Sylvin sogleich dazu, um in Gemeinschaft mit F. K U R L BAUM die Intensität der Strahlung in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur zu messen, und lieferte damit die, wie es scheint, endgültige experimentelle Entscheidung der Frage nach dem Grundgesetz der Wärmestrahlung. Ohne das Eingreifen von R U B E N S wäre die Formulierung des Strahlungsgesetzes und damit die Begründung der Quantentheorie vielleicht in ganz anderer Weise, vielleicht gar nicht einmal in Deutschland zustande gekommen. Wieweit es ihm gelungen ist, sein Hauptarbeitsprogramm durchzuführen, erhellt am einfachsten aus dem Hinweis darauf, daß er den Umfang des der Messung zugänglichen ultraroten Spektrums um volle fünf Oktaven erweitert hat, bis hin zu Wellen von etwa '/s mm Länge, der Emissionsbande des Quecksilberdampfes, während die kürzesten, von O. v. B A E Y E R hergestellten elektrischen Wellen etwa 2 mm lang sind — also ein Unterschied von nur mehr 2*/2 Oktaven. Ihm selber verdanken wir eine vollständige Zusammenstellung und Schilderung der verschiedenen Etappen dieser mühseligen und erfolgreichen Forschertätigkeit in dem Festvortrag, welchen er uns hier in der Friedrichssitzung des Jahres 1917 gehalten hat und der nun als der wichtigste Eigenbericht über seine wissenschaftliche Lebensarbeit von doppelter Bedeutung geworden ist. In seinem Interesse f ü r die Geschichte und f ü r die großen Fragen seiner
336 Wissenschaft
war ihm,
dem
ausgesprochenen
Experimental-
physiker, keine bedeutende physikalische Theorie fremd. Auch der Relativitätstheorie von hafte Aufmerksamkeit
EINSTEIN
hat er von Anfang an leb-
zugewandt und unablässig
daran ge-
arbeitet, zu ihr die seinem physikalischen Erkenntnistrieb und seiner mathematischen Bildung entsprechende Einstellung
zu
gewinnen. Ganz besonders beschäftigte ihn in der letzten Zeit die von radikaler relativistischer Seite aufgestellte Behauptung, daß die Ptolemäische Weltansicht der Kopernikanischen physikalisch vollkommen gleichwertig sei, und es verschaffte seiner gesunden wissenschaftlichen Denkweise eine ersichtliche
Be-
ruhigung, als er die Entdeckung machte, daß jene Behauptung wenigstens in dieser allgemeinen Form einer genaueren kritischen Prüfung keineswegs standhält. Es konnte nicht ausbleiben, daß ROBENS, der von Anfang an eins der fleißigsten unserer Mitglieder war, bald nach seinem Eintritt auch zur Mitarbeit an den Geschäften der Akademie häufiger herangezogen wurde und damit Gelegenheit
erhielt,
6eine Gewandtheit und Zuverlässigkeit zu bewähren. So ward er dazu ausersehen, hier in der Leibniz-Sitzung die Gedächtnisrede auf
FRIEDRICH KOHLRAUSCH ZU
halten, so hat er später für
unseren Kollegen, seinen langjährigen Institutschef E. WARBURG,
wie auch für unser auswärtiges Mitglied W. C.
RÖNTG-EIV
bei ihren goldenen Doktorjubiläen die Glückwünsche der Akademie formuliert. Und als im Jahre 1912 die Royal Society zu der solennen Feier ihres £50jährigen Bestehens einlud, sandte Hin die Akademie als ihren Vertreter nach London, um dort eine von ihm selbst verfaßte Adresse zu überreichen.
Es ent-
spricht ganz seinem warmen Interesse für die Sache und seiner peinlichen Gewissenhaftigkeit, daß er sich zu dieser Mission durch ein sorgfältiges Studium der Geschichte der Royal Society vorbereitete. Wie ein schönes, längst versunkenes Traumbild liegt heute diese Zeit des vertrauensvollen internationalen Gemeinschaftslebens hinter uns.
337
Das nämliche Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl erfüllte ihn bei seiner Tätigkeit in der schwierigen Frage nach der richtigen Ergänzung unserer Mitgliederliste, deren Vollständigkeit er stets seine spezielle Aufmerksamkeit zuwandte. Häufig ist der Antrag auf die Wahl eines neuen korrespondierenden Mitgliedes von ihm ausgegangen. Dabei war die Auslese auch deshalb so schwierig, weil bei der schablonenhaften gleichmäßigen Verteilung der 100 Korrespondentenstellen der Klasse auf 10 Fächer die Physik mit ihren 10 Stellen verhältnismäßig sehr schlecht weggekommen war. Als diese Frage einmal aufgerollt wurde, wirkte R U B E N S energisch dabei mit, es durchzusetzen, daß jene Zahl jetzt wenigstens auf 15 erhöht worden ist. Gerade bei solchen Anlässen, wo persönliche Fragen in den Vordergrund treten, hat es sich häufig gezeigt, wie gern er mit seinem ruhigen Urteil und seinem unbeirrbaren Gerechtigkeitssinn bereit war, sachlichen Erwägungen gegenüber etwaige Sympathien und Antipathien, die ja bei jeder individuell ausgeprägten Persönlichkeit selbstverständlich sich ausbilden müssen, zurücktreten zu lassen. Nur offenkundigen Entstellungen oder Schaumschlägereien gegenüber konnte er gelegentlich sehr schroff werden und liebte es dann, seinem aufsteigenden Grimme unter sorgfältiger Wahrung aller Höflichkeitsformen durch eine Probe seines ebenso witzigen wie zielsicher treffenden Sarkasmus Luft zu machen. Doch bei allem diesem würde man R U B E N S ' wissenschaftlicher Persönlichkeit nur unvollkommen gerecht werden, wenn man ihn nur nach seiner Bedeutung für sein Fach einschätzen wollte. H E I N R I C H R U B E N S war nicht nur Physiker und Naturforscher, er war vor allem Akademiker. Daß er unter den mannigfachen vom In- und Ausland ihm zugeflossenen Auszeichnungen seine Wahl in die Akademie stets als die höchste in Ehren hielt, lag tief begründet in seiner Auffassung von der Bedeutung dieser Körperschaft, in seiner Begeisterung für den akademischen Gedanken, den Gedanken, daß die Wissenschaft, in wievielerlei Fächer sie sich auch spalten möge, im Grunde
338 eine untrennbare Einheit darstellt, und daß daher die Akademie, welche diese Einheit verkörpert, nicht nur repräsentativen Charakter hat, sondern daß sie der dringenden praktischen Aufgabe dienen soll, den Zusammenschluß der einzelnen Wissenschaften in gemeinschaftlicher Arbeit zu fördern.
Damit im
Zusammenhang steht auch sein Interesse und seine Vorliebe für das humanistische Bildungsideal, besonders charakteristisch für einen Mann, der auf einem Realgymnasium und auf zwei technischen Hochschulen für sein Studium vorbereitet worden war. Oft hatte man Gelegenheit zu beobachten, wie er den Verkehr mit den Vertretern der Geisteswissenschaften schätzte, wie er etwa nach dem Schluß einer Sitzung bei dem üblichen geselligen Beisammensein mit den Kollegen gern durch eine merkung oder
eine Frage
in einen Meinungsaustausch
Gegenstände trat, die von der Physik weitab liegen.
Beüber
Da mit
der sachlichen Annäherung gemeiniglich auch eine persönliche Hand in Hand zu gehen pflegt, so ist es nur natürlich, daß er mit seinem offenen Wesen und seiner Charakterfestigkeit sich allseitig Achtung und Vertrauen schaffte und daß sein Ausscheiden auch von manchen Mitgliedern der andern Klasse vielleicht schmerzlicher empfunden wird, als es sonst der Fall zu sein
pflegt.
An
die
Erörterung
allgemeinwissenschaftlicher
Dinge schloß sich in den letzten sturmbewegten Jahren leicht der Übergang zu politischen Fragen, die ihn, den stark fühlenden Patrioten, bis ins Innerste beschäftigten und ihm oft die Ruhe der Nacht raubten. Kein Zweifel, daß er unter den ständigen seelischen Aufregungen und Enttäuschungen, besonders nach
dem
Abschluß
des
sogenannten
Friedens,
namenlos
litt und daß seine von Natur starke Widerstandskraft
gegen
die heimtückische Krankheit, die ihn befallen hatte, allmählich untergraben wurde. Doch der energische Wille zum Leben und die leidenschaftliche Hingabe
an
seine Berufspflichten
ver-
mochten ihn bis fast zum Ende arbeitsfähig zu erhalten, zumal da ihm durch die aufopfernde Hingabe seiner Gattin die Sorge um den gefährlichen Charakter seiner Krankheit abgenommen
339
wurde. Noch als ich ihn zum letztenmal sah, sprachen wir über akademische Angelegenheiten, und beim Abschied äußerte er die Hoffnung, daß er nun bald wieder auf dem Posten sein werde. Es ist anders gekommen. Aber er ist uns nicht verloren, seine Persönlichkeit wird unter uns fortleben und vorbildlich weiterwirken. Solange die Akademie Männer wie HEINRICH R U B E N S zu den Ihren zählen kann, braucht sie um ihre Zukunft nicht besorgt zu sein.
340
Dankworte bei der Verleihung der Lorentz-Medaille am 28. Mai 1927 von Max Planck
Herr Präsident,
hochgeehrte
Herren.
Es fällt mir schwer, die rechten Worte zu finden, um den Gedanken, die mich nach verschiedenen Richtungen in Anspruch nehmen, gebührenden Ausdruck zu geben. Aber ich will alle meine Bedenken und meine
341 Zweifel zurückstellen vor der stärksten Empfindung, die mich in diesem Augenblick erfüllt: der des aufrichtigen tiefgefühlten Dankes für die hohe Auszeichnung, die mir zuteil geworden ist — eine Auszeichnung, die ihren besonderen Wert erhält durch den hier gegenwärtigen erlauchten Kreis von Männern der Wissenschaft, durch den Eindruck der soeben gehörten Worte und durch den Wert der mir zugedachten Gabe. Dabei ist mir natürlich vollkommen klar, dass diese Auszeichnung ein Symbol darstellt für die Bedeutung, welche man in dieser hohen Akademie den grossen Problemen der physikalischen Wissenschaft entgegenbringt, mit denen sich gegenwärtig ein grosser Teil der hervorragendsten Gelehrten der Welt beschäftigt, während ich selber nur einer von vielen bin, denen es vergönnt ist, an ihrer Erforschung mitzuarbeiten. Worauf ich allerdings persönlich Anspruch machen kann, und worin ich mich von niemand übertreffen lasse, das ist meine unerschütterliche Überzeugung von der Einheit und der Einheitlichkeit der Naturgesetze, und der feste Glaube, dass alle Schwierigkeiten, Rätsel und Missverständnisse, auf die wir bei unsern Untersuchungen stossen, im letzten Grunde stets dem Umstand entspringen, dass wir entweder ein zu verwickeltes Objekt betrachten, oder dass wir mit einer unzweckmässigen Fragestellung an das Problem herangehen. Darum habe ich mich auch von jeher am meisten interessiert für das einfachste Objekt, was es geben kann, nämlich das leere, von aller Materie entblösste Vakuum, und es ist auch heute noch meine feste Uberzeugung, dass, wenn erst einmal das Rätsel der Vorgänge im reinen Vakuum gelöst ist, auch die Geheimnisse der Quanten im wesentlichen enthüllt sein werden. Doch muss man bedenken, dass eine fruchtbare Theorie niemals aus dem Nichts entspringt, und dass man stets auf die Ergebnisse der schon vorliegenden Untersuchungen angewiesen ist. Darum muss jeder Forscher, der vorwärts kommen will, vor allem dasjenige kennen lernen, was Andere vor ihm geleistet haben. Auch ich habe daher stets die grossen Meister der Wissenschaft als meine Führer und Vorbilder betrachtet. Das Beste, was ich zustande bringen konnte, habe ich von ihnen gelernt. Von den Männern meiner Wissenschaft, die einen starken Einfluss auf mich ausgeübt haben, will ich hier nur zwei charakteristische Namen nennen:
LUDWIG
BOLTZMANN
u n d HENDRIK ANTOON L O R E N T Z .
Ihnen
beiden verdanke ich ein gutes Teil dessen, was ich erreicht habe. Doch sie haben mich sozusagen nach zwei verschiedenen Richtungen gezogen. BOLTZMANN war für mich hauptsächlich der Vertreter der statistischen Gesetzmässigkeit. Den tiefsten und stärksten Eindruck empfing ich von seiner kinetischen Definition der Entropie. Doch es war nicht leicht, ihm persönlich näher zu kommen. Er war ein einsamer Mann, und ein tragisches Schicksal waltete über seinem Leben. LORENTZ hingegen hat mich eingeführt in die Erkenntnis der Ordnung und Harmonie der klassischen Theorie, die er bis zur grössten Voll-
342 kommenheit zu entwickeln verstanden hat. Und von dieser Harmonie ist mir ein Abbild seine Persönlichkeit, nicht allein in wissenschaftlicher, sondern auch in rein menschlicher Hinsicht. Der Umstand, dass ich gerade aus Ihren Händen, hoch verehrter Herr Kollege, diese Medaille empfangen durfte, wird diesen T a g für mich zu einem unvergesslichen machen und eines der grössten Ereignisse meines Lebens bilden. De voorzitter wenscht Prof. PLANCK geluk met de hem te beurt gevallen onderscheiding en spreekt den wensch uit, dat Prof. PLANCK, die ook buitenlandsch lid der Akademie is, nog dikwijls de gewone zittingen van de Afdeeling zal bijwonen. T e r slotte deelt de voorzitter mede, dat na afloop van de plechtigheid, in de aangrenzende receptiezaal thee zal worden geschonken en gelegenheid wordt geboden met Prof. PLANCK en de verdere gasten kennis te maken, waarna de vergadering wordt gesloten.
343
Hendrik Antoon Lorentz. Gedächtnisrede, gehalten in der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, am 29. Juni 1928. Von
MAX
PLANCK,
Meine geehrten D a m e n und Herren! Der 4. Februar dieses Jahres wird in der Geschichte der P h y s i k f ü r alle Zeit einen ihrer bedeutungsvollen Marksteine bilden. D e n n an diesem T a g e wurde der letzte in der Reihe der großen Forscher, welche ihre wissenschaftliche K r a f t dem A u s b a u der klassischen Theorie gewidmet haben, und denen diese Theorie ihr endgültiges Gepräge v e r d a n k t , aus seinem diesseitigen W i r k e n abberufen. Ein sanfter Tod, nach einer reich gesegneten, bis zum A l t e r von 75 Jahren ausgedehnten Lebensarbeit, aber doch ein jäher R i ß mitten heraus aus Gesundheit und rüstigem Schaffen, und d a r u m ganz besonders schmerzvoll für die Zurückbleibenden, seine treue Lebensgefährtin, seine weiteren Angehörigen, und f ü r alle die vielen, die ihn verehrten und liebten. Noch sehen diejenigen von uns, denen es in den letzten Jahren gelegentlich vergönnt war, mit LORENTZ zusammenzutreffen, in rückschauendem B l i c k sein Bild deutlich vor sich stehen: seine nicht hohe, aber ebenmäßige Gestalt, seine ausdrucksvolle, stark vorspringende Stirn, sein klares Auge, aus dem neben den untrüglichen Kennzeichen durchdringender Verstandesschärfe das milde und gewinnende L i c h t reiner Herzensgüte leuchtete, seine verbindliche und doch vornehme A r t des U m g a n g e s und der Unterhaltung, seine ungemein vielseitigen Interessen und sein staunenswertes Gedächtnis für große und für kleine Dinge, sein leicht beweglicher und liebenswürdiger H u m o r , und schließlich als H a u p t e i n d r u c k die ehrwürdige abgeklärte Harmonie seiner ganzen Persönlichkeit — ein getreues A b b i l d seines Verhältnisses zu seiner Wissenschaft und zu seinen Mitmenschen. Für die Deutsche Physikalische Gesellschaft ist es nicht nur eine Pflicht der Pietät, sondern auch ein G e b o t des eigenen Interesses, seiner in einer besonderen Stunde zu gedenken. Denn a u c h wenn LORENTZ nicht seit vielen Jahren Mitglied unserer Gesellschaft gewesen wäre, und auch wenn sie v o n i h m nicht bei mancher Gelegenheit Zeichen seines Wohlwollens empfangen hätte, w ü r d e sie doch nicht stillschweigend an dem bedeutsamen W e n d e p u n k t vorbeigehen dürfen, den das Ausscheiden dieses Mannes aus der G e m e i n s c h a f t der Physiker a u c h f ü r ihre Geschichte bezeichnet. U m die B e d e u t u n g von LORENTZ' wissenschaftlichem L e b e n s w e r k wenigstens in ihren wesentlichen Zügen würdigen zu können, ist es notwendig, sich den Z u s t a n d der theoretischen P h y s i k in der Zeit seines Eintrittes in die wissenschaftliche A r b e i t etwas näher zu vergegenwärtigen. Geboren a m
18.
Berlin.
Juli
Arnheim,
1853 in dem empfing
holländischen
HENDRIK
ANTOON
Städtchen LORENTZ
seine wissenschaftliche Ausbildung hauptsächlich an der Universität Leiden, der er auch f ü r die ganze Dauer seiner akademischen LeHrtätigkeit trotz wiederholter an ihn ergangener ehrenvoller Berufungen treu geblieben ist. A l s seine bedeutendsten Lehrer sind wohl FRESNEL, HELMHOLTZ und MAXWELL ZU nennen, die durch ihre W e r k e entscheidenden E i n f l u ß auf sein physikalisches Denken ausgeübt haben. D a m a l s h a t t e die NEWTONsche klassische Mechanik den Gipfelpunkt ihrer Vollendung erreicht; und da die Mechanik infolge der E n t deckung des Prinzips der E r h a l t u n g der Energie, welches zum erstenmal einen q u a n t i t a t i v nachweisbaren Z u s a m m e n h a n g sämtlicher N a t u r v o r g ä n g e untereinander erkennen ließ, in den Mittelpunkt der ganzen Physik gerückt war, so erblickte man die eigentliche A u f g a b e der Theorie darin, alle physikalischen Vorgänge auf Bewegungen z u r ü c k zuführen. F ü r die A k u s t i k war dies schon seit langem gelungen, für die Elektrizitätslehre schien einstweilen weniger zu hoffen, da hier noch die Fernewirkungstheorien untereinander und mit der MAXWELLschen.
Nahewirkungstheorie
im
Wett-
bewerb lagen. Dagegen bot die Optik wegen ihrer vielfachen Analogien mit der A k u s t i k gute Aussicht auf Erfolg, und zwar handelte es sich bei ihr, nachdem FRESNEL die Transversalität der Lichtwellen nachgewiesen hatte, darum, diese Wellen als die elastischen Schwingungen eines inkompressiblen festen Körpers, des Lichtäthers, zu deuten. Allein es blieb, ganz abgesehen v o n den Eigentümlichkeiten dieses rätselhaften Mediums, welches, obwohl gegen sehr feine Störungen stark empfindlich, selbst den schnellsten Bewegungen großer K ö r p e r keinen merklichen Widerstand entgegensetzt, noch eine ganze Reihe bedenklicher Schwierigkeiten übrig, vor allem die Unmöglichkeit, die Gesetze der B r e c h u n g und R e f l e x i o n des Lichtes aus der Mechanik abzuleiten. Denn die Mechanik v e r l a n g t die E r f ü l l u n g v o n 6 R a n d b e d i n g u n g e n an der Trennungsfläche der beiden K ö r p e r , nämlich die Stetigkeit des Verschiebungsvektors und des K r a f t v e k t o r s , und diese Bedingungen können, ebenso wie in der A k u s t i k , nur durch A n n a h m e v o n Longitudinalwellen befriedigt werden, während doch trotz vielfachen B e m ü h u n g e n niemals eine optische Longitudinalwelle a u f g e f u n d e n worden ist. Diese
grundsätzliche
Schwierigkeit
klärte
344 LORENTZ in seiner Doktordissertation vom Jahre 1875, indem er die ganze Frage auf ein anderes Geleis schob. Er zeigte nämlich, daß sie ihre vollständige Beantwortung findet, sobald man sich auf den Boden der MAXWELLschen elektromagnetischen Lichttheorie stellt. Denn dann hat man statt der obigen 6 nur 4 Grenzbedingungen zu erfüllen, welche die Stetigkeit der tangentialen Komponenten der elektrischen und der magnetischen Feldstärke aussprechen, und dazu reicht die Annahme von Transversalwellen gerade aus. War hierdurch das Problem einer mechanischen Theorie des Lichtes auch nicht gelöst, so erschien es doch zurückgeführt auf das einer mechanischen Theorie der Elektrizität, und zugleich war damit das Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der MAXWELLschen Lichttheorie um ein bedeutendes gestärkt. Damals war die MAXWELLsche Theorie wenigstens auf dem Kontinent noch wenig verbreitet. Man war eher geneigt, sie nur als eine Art geistreiches Kuriosum zu betrachten. Aber es dauerte nicht länger als zehn Jahre, bis HEINRICH HERTZ seine grundlegenden Versuche mit sehr schnellen elektrischen Schwingungen begann und in zielbewußter Durchführung derselben die MAXWELLsehe Theorie auf der ganzen Linie zum Siege führte. Damit wurde auch die Optik endgültig mit der Elektrodynamik verschmolzen und schied als selbständiges Gebiet der Physik aus. HERTZ war es auch, der der MAXWELLschen Theorie der Elektrizität und des Magnetismus ihre abschließende mathematische Form gab durch die Aufstellung eines Systems von Gleichungen, bei denen man immer zweifelhaft ist, ob man mehr die Einfachheit ihres Baues oder den Reichtum ihres Inhaltes bewundern soll. Indessen gab es immer noch mancherlei Fragen, auf welche die MAXWELLschen Gleichungen keine befriedigende Antwort zu geben wußten, so z. B. die nach dem Wesen und der Herkunft der in ihnen vorkommenden Material konstanten, wie der Dielektrizitätskonstanten, der magnetischen Permeabilität, der elektrischen Leitfähigkeit, insbesondere nach ihrem Zusammenhang mit anderen Materialeigenschaften. Die einzige kontrollierbare Beziehung war die Folgerung, daß die Dielektrizitätskonstante gleich ist dem Quadrat des optischen Brechungsindex. Aber das trifft für zahlreiche Körper gar nicht zu, schon deshalb nicht, weil der Brechungsindex nicht einmal konstant, sondern für verschiedene Wellenlängen verschieden ist. Ein fundamentaler Widerspruch aber mit der Erfahrung ergibt sich, was schon HERTZ peinlich empfand, wenn man die Fortpflanzung des Lichtes in einem bewegten Körper betrachtet. Hier sollte nach der MAXWELL-HERTZschen Theorie der Lichtäther und daher auch die in ihm sich fortpflanzenden Lichtwellen von dem Körper vollständig mitgenommen werden, sowie die Schallwellen von der L u f t mit fortgetragen werden; denn von einem selbständigen Verhalten des Lichtäthers gegenüber der Materie weiß die MAXWELL-HERTZsche Theorie
nichts. Tatsächlich aber pflanzt sich das Licht in irgendwie bewegter L u f t nach FIZEAÜ fast genau ebenso fort wie in ruhender Luft, und nur, wenn der Körper ein merkliches Brechungsvermögen aufweist, läßt sich ein gewisser von FRESNEL quantitativ formulierter Einfluß der Bewegung auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes feststellen. Kein Zweifel also, daß die MAXWELLHERTZsthe Theorie der Elektrizität in manchen grundlegenden Punkten der Ergänzung und der Verbesserung bedurfte. Eine derartige Verbesserung, so weit und so gut es vom Standpunkt der klassischen Theorie überhaupt möglich war, durchgeführt zu haben, darf man wohl als die größte wissenschaftliche Leistung von LORENTZ betrachten. Denn auf diesem Boden sind seine wertvollsten und schönsten Arbeiten erwachsen. Wenn man den ihn leitenden Grundgedanken mit einem kurzen Wort bezeichnen will, so könnte man ihn wohl charakterisieren als die Einführung der Atomistik in die Elektrizitätslehre. Nach der MAXWELL-HERTZschen Theorie erfüllt die Materie den Räum überall kontinuierlich, und die verschiedenen Körper sind in dieser Beziehung von vornherein alle gleichartig. Nach der LoRENTzschen Theorie dagegen gibt es nur eine einzige Substanz, welche den Raum kontinuierlich erfüllt, das ist der freie Äther; er befindet sich überall und stets in Ruhe. Alle anderen Substanzen — auch die Elektrizität gilt dabei als Substanz — sind atomistisch konstituiert, werden vom Äther vollständig durchdrungen und können sich in ihm ohne Widerstand bewegen. Die Elektrizitätsatome, später allgemein Elektronen genannt, sind entweder mit den ponderablen Atomen mehr oder weniger fest verbunden und bilden dann mit ihnen zusammen die Ionen, oder sie bewegen sich frei im Äther. Nur durch ihre Vermittlung kommen alle elektrischen und magnetischen Wirkungen zwischen ponderablen Körpern zustande, und zwar gemäß den bekannten einfachen MAXWELLschen Gleichungen. Man sieht, daß in der LoRENTzschen Theorie alle Material konstanten der Körper ihre elementare Bedeutung verlieren, sie sind keine Konstanten mehr, sondern nur gewisse angenähert konstante Mittelwerte, die sich aus vielen unregelmäßigen Einzelwerten zusammensetzen. Die Dielektrizitätskonstante eines Isolators wird bedingt durch die elektrische Polarisierbarkeit seiner Moleküle, in welchen sich gewisse mehr oder weniger leicht aus ihrer Gleichgewichtslage verschiebbare Elektronen befinden; die magnetische Permeabilität wird bedingt durch kleine schnelle kreiselnde Bewegungen der Elektronen, nach Art der AMPÄREschen Molekularströme; die elektrische Leitfähigkeit wird bedingt durch die Beweglichkeit der in den Leitern enthaltenen Elektronen und Ionen. Daher ist ein jeder sog. Leitungsstrom im Grunde ein Konvektionsstrom. Durch alle diese Annahmen erfährt offenbar die Vorstellung, die man sich
345 von elektrischen und magnetischen Vorgängen zu machen hat, eine großartige Vereinfachung und Vertiefung. Indessen liegt die eigentliche Leistung und das Verdienst eines Theoretikers nicht, wie häufig von Fernerstehenden angenommen wird, in der Aufstellung derartiger fruchtbarer Hypothesen, die übrigens meistens, und so auch in dem vorliegenden Falle, gar nicht einmal ganz originell sind — die Idee des ruhenden Äthers geht auf FRESNEL, die der Elektrizitätsatome auf HELMHOLTZ zurück — sondern es liegt vielmehr in ihrer wirklichen Durchführung, nämlich in dem Nachweis, daß sie tatsächlich zwangsläufig zu quantitativ richtigen und praktisch brauchbaren Ergebnissen im einzelnen führen. Und gerade diesen Nachweis hat LORENTZ f ü r seine Theorie nach den verschiedensten Richtungen durch eine große Reihe von tiefgründigen Arbeiten zu liefern verstanden. Selbstverständlich ist es mir hier ganz unmöglich, auch nur einigermaßen vollständig zu sein. Darum sei es mir gestattet, wenigstens einige Einzelheiten herauszugreifen, welche die Erfolge der neuen Theorie besonders deutlich sichtbar machen. Wenn die Dielektrizitätskonstante eines durchsichtigen Körpers von der Polarisierbarkeit seiner Moleküle herrührt, so muß sie stets größer sein als die des freien Äthers, was auch in Wirklichkeit zutrifft. Die oben berührte Schwierigkeit der MAXWELLSchen Theorie, daß der durch die Dielektrizitätskonstante bestimmte Brechungsindex eines Körpers mit der Wellenlänge variiert, wird in der LoRENTZschen Theorie dadurch behoben, daß nach ihr die Dielektrizitätskonstante nur den Brechungsindex für unendlich lange Wellen ergibt. Bei endlich langen Wellen ist der Einfluß einer durch den Körper hindurchgehenden elektromagnetischen Welle auf die Bewegungen der in ihm enthaltenen, um ihre Gleichgewichtslage schwingenden Elektronen je nach der Wellenlänge ein ganz verschiedener und gibt so Anlaß zu den E r scheinungen der normalen und anomalen Dispersion» je nachdem die Frequenz der Welle von der Eigenfrequenz der Elektronen mehr oder weniger stark abweicht. Auch für die Abhängigkeit des Brechungsindex von der räumlichen Massendichte des Körpers konnte LORENTZ aus der Berücksichtigung der Anzahl der in der Raumeinheit enthaltenen polarisierbaren Moleküle eine mit der Erfahrung befriedigend übereinstimmende^ Formel ableiten, welche zufällig gleichzeitig von seinem Namensvetter, dem dänischen Physiker LUDVIG VALENTIN LORENZ aufgefunden wurde und daher den eigentümlichen Doppelnamen LORENTZ-LORENZ erhielt. F ü r den Bau dieser Formel charakteristisch ist die Berücksichtigung des Umstandes, daß die elektrische K r a f t , welche die Polarisation eines Moleküls bewirkt, nicht identisch ist mit der im Innern des betreffenden Körpers herrschenden durchschnittlichen elektrischen Feldstärke, was daher rührt, daß die letztere auch die von dem
polarisierten Molekül selber herrührende K r a f t mit enthält, während doch ein Molekül sich nicht selber eine Polarisation zu erteilen vermag. Der Unterschied ist nicht etwa verschwindend klein, wenn die Abmessungen des Moleküls unendlich klein genommen werden, sondern von der Größenordnung der Polarisation. Die Schwingungen der Elektronen und Ionen um ihre stabilen Gleichgewichtslagen gaben auch die Erklärung für die Entstehung der von einem glühenden Körper emittierten Licht- und Wärmestrahlung, wobei als selbstverständlich angenommen wurde, daß die Frequenz der emittierenden Schwingungen übereinstimmt mit der Wellenlänge der ausgesandten Strahlung. Sind diese Schwingungen wirklich elektromagnetischer Natur, so muß ihre Frequenz und damit auch die Farbe des emittierten Lichtes durch ein übergelagertes starkes Magnetfeld nach bekannten Gesetzen erheblich modifiziert werden. LORENTZ untersuchte diesen Einfluß und gab dadurch die Anregung zu der glänzenden Entdeckung der magnetischen A u f spaltung des Lichtes durch PIETER ZEEMAN, welche nicht nur die LoRENTZsche Theorie in ihren Grundzügen bestätigte und damit zum erstenmal den Nachweis lieferte, daß die in den Atomen schwingenden Elektronenpartikel die nämlichen sind wie die freien Elektronen der Kathodenstrahlen, sondern auch weiterhin eine Reihe von neuen und höchst überraschenden Aufklärungen über die Entstehungsart der Spektrallinien brachte und seitdem die reichste Fundgrube für die Schätze der Spektralforschung geworden ist. Von dem Eindruck, welchen diese Arbeiten in der internationalen Fachwelt erweckten, zeugt die im Jahre 1902 an die beiden Forscher gemeinsam erfolgte Verleihung des Nobelpreises für Physik. Ein etwas dunkler Punkt der LoRENTZschen Elektrodynamik ist die Frage der Rückwirkung eines bewegtenElektrons auf seine eigeneBewegung. Nicht als ob die Theorie nicht auch hier eine eindeutige, widerspruchsfreie Aussage machen würde. Aber die Ausführung der Rechnung stößt auf die Schwierigkeit, daß man, um zu einem bestimmten Resultat zu gelangen, die Konstitution des Elektrons bis in alle Einzelheiten genau kennen muß, vor allem seine geometrische. Form und die räumliche Anordnung seiner elektrischen Ladung. Die Annahme, daß die Elektronen kugelförmig sind und daß die Ladung etwa mit gleichmäßiger räumlicher oder Oberflächendichte auf ihnen verteilt ist, stellt nur einen Notbehelf dar und erscheint von vornherein durch nichts gerechtfertigt. Insbesondere wäre es natürlich ganz verkehrt, ausdem Umstand, daß die Elektronen sich an der Oberfläche eines Leiters anhäufen, den Schluß ziehen zu wollen, daß die elektrische Ladung eines einzelnen Elektrons an dessen Oberfläche lokalisiert ist. Das am meisten charakteristische Merkmal der LoRENTZschen Theorie des ruhenden Lichtäthers aber waren die von ihr gelieferten Gesetze der Fort-
346 pfl&nzung des Lichtes in bewegten K ö r p e r n . Hier zeigte die Theorie in d e r T a t ihre Überlegenheit über die MAXWELL-HERTZ sehe Theorie d a d u r c h , d a ß sie o h n e weiteres zu d e m A u s d r u c k des der E r f a h r u n g entsprechenden FRESNELschen Mitführungskoeffizienten f ü h r t e , und d a ß sie überh a u p t von allen d u r c h die Bewegung von K ö r p e r n hervorgerufenen E f f e k t e n richtig R e c h e n s c h a f t zu geben w u ß t e ; allerdings n u r insofern, als das Verh ä l t n i s der Körper gesch windigkeit zur Lichtgeschwindigkeit wesentlich n u r m i t der ersten P o t e n z in die Formeln eingeht. Sobald der E f f e k t so fein ist, d a ß a u c h die zweite P o t e n z eine merkliche Rolle spielt, wie z. B. bei d e m b e k a n n t e n S p i e g e l v e r s u c h v o n MICHELSON u n d MORLEY,
mel-
d e t e sich ein verhängnisvoller Widerspruch. Denn w ä h r e n d es eine elementare Folgerung einer jeglichen Theorie des r u h e n d e n Äthers ist, d a ß ein in einem bewegten K ö r p e r sich f o r t p f l a n z e n d e r L i c h t s t r a h l relativ z u m Körper langsamer fortschreitet, w e n n der K ö r p e r sich in gleicher Richt u n g wie der L i c h t s t r a h l bewegt, als wenn er sich ihm entgegenbewegt — eine Folgerung, die gerade d u r c h die FIZEAU sehen M i t f ü h r u n g s v e r s u c h e vollauf b e s t ä t i g t schien — k o n n t e jener Spiegelversuch, bei d e m die Körpergeschwindigkeit allen Teilen der A p p a r a t u r gemeinsam ist, nichts derartiges zeigen; wie denn ü b e r h a u p t a u c h alle anderen Versuche, einen E i n f l u ß der E r d b e w e g u n g auf irgendeinen irdischen optischen Vorgang nachzuweisen, ergebnislos verliefen. Die d u r c h diese Sachlage geschaffene Schwierigkeit erwies sich als so tiefgehend, d a ß LORENTZ sich entschließen m ü ß t e , die auf den ersten Augenblick sehr s o n d e r b a r klingende H y p o t h e s e von FITZ GERALD a n z u n e h m e n , wonach jeder sich d u r c h den Ä t h e r bewegende K ö r p e r in allen seinen Teilen eine lineare K o n t r a k t i o n in der R i c h t u n g seiner Bewegung aufweist, u n d er w u ß t e a u c h den physikalischen Sinn dieser H y p o t h e s e einigermaßen plausibel zu machen, d u r c h die B e t r a c h t u n g der K r ä f t e , die d e r r u h e n d e Ä t h e r auf einen von i h m in allen seinen Teilen d u r c h d r u n g e n e n bewegten K ö r p e r a u s ü b t , ganz besonders a b e r durch den Nachweis, d a ß m i t d e r E i n f ü h r u n g dieser K o n t r a k t i o n s ä m t liche Gesetze d e r F o r t p f l a n z u n g des Lichtes, wie ü b e r h a u p t sämtliche elektrodynamischen Vorgänge in irgendeinem K ö r p e r s y s t e m völlig u n a b h ä n g i g werden von einer gemeinsamen translatorischen Bewegung des Systems, wofern m a n n u r eine d e r jeweiligen Bewegung a n g e p a ß t e besondere A r t d e r Zeitmessung, die sog. Ortszeit, e i n f ü h r t . E s ist sehr m e r k w ü r d i g u n d bezeichnend f ü r die Festigkeit, m i t welcher LORENTZ' physikalische Denkweise in der mechanischen N a t u r a n s c h a u u n g wurzelte, d a ß er a u c h in späterer Zeit bei dieser E r k l ä r u n g stehen blieb, u n d d a ß er die u n t e r solchen U m s t ä n d e n naheliegende Frage, o b denn der Begriff der Geschwindigkeit eines K ö r p e r s gegenüber d e m L i c h t ä t h e r ü b e r h a u p t noch einen physikalischen Sinn h a t , weder selber a u f w a r f , noch auch, nachdem sie ihm von a n d e r e r Seite entgegengetre-
t e n war, sich gleichfalls zu eigen m a c h t e , sondern d a ß er zeitlebens lieber auf die E i n f ü h r u n g des Rel a t i v i t ä t s p o s t u l a t s verzichtete und die Sätze der Relativitätstheorie als gewissermaßen zufällig überall giltige Beziehungen h i n n a h m , als d a ß er sich entschlossen h ä t t e , die H y p o t h e s e eines substantiellen Trägers der Lichtwellen u n d d a m i t die Festlegung eines ausgezeichneten Bezugssystems preiszugeben. Natürlich h i n d e r t e ihn d a s in keiner Weise, der G r o ß t a t EINSTEINS w ä r m s t e s Interesse und volle A n e r k e n n u n g entgegenzubringen, ja sogar a n ihr t ä t i g m i t z u a r b e i t e n ; wie er denn auch einer u n t e r den ersten gewesen ist, die d e m Schöpfer d e r allgemeinen Relativitätstheorie beim Bek a n n t w e r d e n d e r Messungen über die Ablenkung des Lichtes im Gravitationsfeld der Sonne einen besonderen Glückwunsch aussprachen. Aber t r o t z der regen Teilnahme u n d d e m tiefdringenden Verständnis, m i t welchem er jede prinzipielle Neuerung auf dem Gebiet der theoretischen P h y s i k zur K e n n t n i s n a h m , b e w a h r t e er einer solchen gegen • über dennoch stets, wie es sich f ü r einen richtigen Klassiker ziemt, ä u ß e r s t vorsichtige Zurückhalt u n g und ü b t e an ihr gern seine klare und scharfe Kritik. Die Studien über die unregelmäßigen Bewegungen der Atome, Ionen und Elektronen f ü h r t e n ihn n a t u r g e m ä ß auch auf statistische u n d t h e r m o d y n a m i s c h e Probleme, denen er eine größere Anzahl von Spezialuntersuchungen gewidmet h a t . Zu ihnen gehören die Arbeiten über die elektrische und thermische Leitungsfähigkeit der Metalle, sowie die über d a s Virial u n d die E n t r o p i e . Mit besonderem Interesse verfolgte er die E n t wicklung der T h e r m o d y n a m i k d e r W ä r m e s t r a h lung. Hier gelang es ihm, auf verschiedenen voneinander u n a b h ä n g i g e n Wegen zu zeigen, d a ß die klassische Theorie f ü r die Energieverteilung im N o r m a l s p e k t r u m in innerlich widerspruchsfreier Weise zu einem ganz b e s t i m m t e n , nämlich d e m RAYLEIGH sehen Strahlungsgesetz f ü h r t , u n d weiter, d a ß die diesem Gesetz entsprechenden t h e r m o d y n a m i s c h berechneten Schwankungen der S t r a h lungsenergie sich als d a s notwendige R e s u l t a t d e r optischen Interferenzen zwischen den Strahlen ben a c h b a r t e r R i c h t u n g e n u n d Frequenzen ergeben. Auf. d e r anderen Seite zeigte er m i t d e r nämlichen Deutlichkeit, d a ß alle Versuche, v o m S t a n d p u n k t der klassischen Theorie a u s die tatsächliche spektrale Energieverteilung zu verstehen, zur Erfolglosigkeit verurteilt sein müssen. So w u r d e m e h r f a c h versucht,
die
Folgerung
des
RAYLEiGHSchen
Ge-
setzes, d a ß in einer auf b e s t i m m t e r T e m p e r a t u r gehaltenen H o h l r a u m s t r a h l u n g ein wahres Strahlungsgleichgewicht gar n i c h t z u s t a n d e k o m m e n k a n n , weil die Energie mit steigender F r e q u e n z ins Unendliche wächst, d a d u r c h zu umgehen, d a ß m a n eine e n o r m e zeitliche Verzögerung der Energieverschiebung n a c h höheren Frequenzen a n n a h m . LORENTZ versperrte jeglichen derartigen Ausweg d u r c h die folgende ebenso beweiskräftige wie einfache
Überlegung.
Nach
dem
RAYi-EiGHSchen
347 Strahl ungsgesetz wäre dasEmissionsvermÖgen eines schwarzen Körpers für jede F a r b e proportional der absoluten T e m p e r a t u r ; also wäre z. B . das Emissionsvermögen bei o ° C e t w a der 5. Teil des Emissionsvermögens bei 1200 0 C. N u n ist für einen beliebigen Körper, z. B . Silber, das Emissionsvermögen gleich dem P r o d u k t aus dem Emissionsvermögen eines schwarzen Körpers und dem Absorptionsvermögen, welches bei Silber v o n o ° C f ü r 1 Gelb e t w a — beträgt. D a r a u s folgt für das Emissionsvermögen von Silber bei o ° C im Gelben der 1 1 1 Wert von — • — = — des Emissionsvermögens eines 10 5 50 schwarzen Körpers bei 1200 o C f ü r Gelb. D e m n a c h müßte also nach der klassischen Theorie eine Silberplatte bei o ° C im dunkeln jedenfalls gut sichtbar sein, im krassen Gegensatz zur Wirklichkeit. Der von der Quantenhypothese dargebotene A u s w e g aus dieser Schwierigkeit, der eine von der klassischen abweichende Statistik zum Ausgangsp u n k t nimmt, wurde v o n LORENTZ sogleich in seiner vollen B e d e u t u n g gewürdigt. A b e r er erkannte auch unmittelbar, d a ß mit der E i n f ü h r u n g des elementaren W i r k u n g s q u a n t u m s eine tiefe Bresche in das feste F u n d a m e n t der klassischen Theorie gelegt wird, und verhielt sich daher der weiteren E n t w i c k l u n g der Quantentheorie gegenüber vorwiegend skeptisch. Zweifellos, hat er, wie jeder gewissenhafte Theoretiker, um die E n t w i r r u n g der hier auftretenden tiefliegenden Probleme schwer gerungen. U m so entschiedener war er bereit, überall da, wo er, sei es auf experimentellem oder auf theoretischem Gebiete, einen wirklichen F o r t schritt gewahrte, seine anerkennende freudige Zus t i m m u n g zu äußern und zu betätigen. Die P h y s i k d e r tiefen Temperaturen erregte seine A u f m e r k s a m k e i t abgesehen von ihrem prinzipiellen Reiz auch noch durch die persönlichen Beziehungen zu seinem Kollegen KAMERLINGH ONNES, dessen zielbewußte, ungemein mühselige und zuletzt v o n schönstem E r f o l g gekrönten Versuche zur Verflüssigung des Heliums er in einem ausführlichen Bericht mit dramatischer Lebendigkeit geschildert h a t . W i e vortrefflich er es überhaupt verstand, der geistigen E n t w i c k l u n g und den Ideengängen bedeutender Forscher im einzelnen nachzuspüren und seine Eindrücke dann in fesselnden W o r t e n v o r einer größeren Zuhörerschaft zu schildern, haben wir bei seiner ausführlichen Gedächtnisrede auf L U D W I G BOLTZMANN e r f a h r e n , die e r u n s h i e r
in
Berlin im Jahre 1907 auf E i n l a d u n g unseres V o r standes von dieser selben Stelle aus hielt. Im charakteristischen Gegensatz zu BOLTZMANN, KIRCHHOFF, CLAUSIUS zählte LORENTZ
unter
diejenigen Gelehrten, denen nicht nur die Versenk u n g in die eigene Wissenschaft, sondern auch der Verkehr mit Männern gleichen oder verschiedenen Berufes und eine entsprechende W i r k s a m k e i t nach außen ein Lebensbedürfnis w a r ; wie er denn auch stets ein H a u p t g e w i c h t darauf legte, die Theorie in
gehörigem Zusammenhang mit der P r a x i s zu halten. Nichts zeigt dies deutlicher als . die liebevolle Sorgfalt, die er nach seiner E n t l a s t u n g v o n der L e h r t ä t i g k e i t der i h m v o n der Regierung übertragenen wissenschaftlichen B e a r b e i t u n g desRiesenprojektes der Trockenlegung der Zuider-See gew i d m e t hat, deren befriedigendes Gelingen ihn noch in seinem letzten Lebensjahre mit hoher Genugt u u n g erfüllte. Mehrfach bemerkenswert sind auch die Reisen, die LORENTZ bei besonderen Gelegenheiten ins Ausland unternahm, u m über größere Gebiete der theoretischen P h y s i k zusammenfassende V o r t r ä g e zu halten. V o n ihrem anregenden Inhalt zeugen verschiedene entsprechende Publikationen von bleibendem Werte, so die über Elektronentheorie, über Relativitätstheorie, über thermodynamische Statistik. Seine reichen, auf alle Gebiete der P h y s i k sich erstreckenden Kenntnisse und Erfahrungen, in Verbindung mit seiner G e w a n d t h e i t in der B e h a n d l u n g von Menschen und von Geschäften befähigten ihn auch in höherem Grade als andere, bei Zusammenk ü n f t e n von* Physikern zu wissenschaftlichem Gedankenaustausch die Rolle eines Vermittlers zu spielen. F ü r jeden internationalen P h y s i k e r k o n greß der letzten Jahre w a r LORENTZ der gegebene Ehrenpräsident. Mit seiner durch jahrelange erfolgreiche Forschertätigkeit gefestigten wissenschaftlichen A u t o r i t ä t und mit seiner souveränen Beherrschung der wichtigsten Umgangssprachen — ob er Holländisch oder Deutsch, Englisch oder Französisch redete, machte ihm nicht den geringsten Unterschied — war er v o n vornherein eines besonderen Einflusses sicher, den er stets weise auszunutzen verstand und zur Förderung der jeweils vorliegenden Angelegenheit einsetzte. Bei der A u f stellung und Ordnung des Programms der wissenschaftlichen Vorträge war er mit seinem R a t e behilflich, den Vorsitz führte er mit der ihm eigenen schlichten Würde, die D e b a t t e n leitete er mit kluger Umsicht und belebte sie durch manch einleuchtendes W o r t der A u f k l ä r u n g , der Anregung oder der Frage. So sahen wir ihn noch seines A m t e s walten auf dem jüngsten internationalen Physikerkongreß, der im September vorigen Jahres zum A n d e n k e n an VOLTAS hundertjährigen Todestag in Como abgehalten wurde. Seine Gewissenhaftigkeit und P ü n k t l i c h k e i t im Besuch der Sitzungen konnte f ü r alle anderen Teilnehmer als Vorbild gelten. U n d als nach dem letzten reich mit Vorträgen ausgefüllten S i t z u n g s t a g die Kollegen sich schließlich trennten, teils u m etwas der Ruhe zu pflegen, teils u m im G e n u ß der N a t u r oder der Geselligkeit Zerstreuung zu suchen, da setzte LORENTZ sich an den Schreibtisch und formte, in E r f ü l l u n g einer ihm übertragenen A u f g a b e , aus sämtlichen auf der T a gung gehaltenen Vorträgen, nach ihrem Inhalt passend geordnet, ein kunstvolles Mosaikwerk, welches er in der feierlichen Schlußsitzung des Kongresses, die in der alten Universitätsstadt P a v i a
348 s t a t t f a n d , als zusammenfassendes wissenschaftliches Ergebnis der T a g u n g in einer sachlich u n d formell meisterhaften, a u c h des belebenden H u mors nicht e n t b e h r e n d e n A n s p r a c h e der zum letzt e n m a l v e r s a m m e l t e n Corona z u m besten gab. Noch bedeutungsvoller w a r seine W i r k s a m k e i t wenige Monate später auf dem letzten Solvay-Kongreß in Brüssel, der einen verhältnismäßig kleinen Kreis von Fachgenossen aller L ä n d e r zu gründlicher wissenschaftlicher Aussprache z u s a m m e n f ü h r t e . Hier h a n d e l t e es sich u m ganz spezielle und d a r u m viel tiefer ins einzelne zu verfolgende F r a gen, nämlich u m den K o m p l e x der von d e r neuen Q u a n t e n m e c h a n i k gestellten Probleme, welche gegenwärtig r e c h t eigentlich das Sorgenkind der theoretischen P h y s i k bilden. Wie er es hier vers t a n d , n a c h A r t eines richtigen P a t r i a r c h e n seine i n t e r n a t i o n a l zusammengesetzte Familie zu betreuen, m i t jedem einzelnen Mitglied persönlich die F ü h l u n g zu halten, jeglichem das Seine zu geben u n d doch alle in d e m sachlichen Interesse a n d e m gemeinsamen W e r k fest z u s a m m e n z u h a l t e n , ohne d a ß m a n i h m jemals eine S p u r von E r m ü d u n g ang e m e r k t h ä t t e , d a s wird j e d e m Teilnehmer des Kongresses unvergeßlich bleiben. Bei seiner regen A n t e i l n a h m e a n den I n t e r essen d e r internationalen Wissenschaft ist es selbstverständlich, d a ß LORENTZ, der Zeit seines Lebens in d e r R i c h t u n g gegenseitiger Verständigung der Gelehrten aller Völker arbeitete, damals, als der Weltkrieg urplötzlich über die N a c h b a r l ä n d e r hereinbrach, im tiefsten I n n e r n getroffen wurde. Zu der T r a u e r über die gewaltsame Zerstörung vieler m ü h s a m geschaffener kostbarer u n d unersetzlicher W e r t e k a m in seinem menschlich w a r m f ü h l e n d e n Herzen d a s E n t s e t z e n über die blutigen Greuel d e r Schlachten u n d K ä m p f e . Aus seinem eigenen Munde weiß ich, d a ß er bei T a g u n d Nacht, bis hinein in Schlaf u n d T r a u m , von grauenvollen Einzelbildern des f u r c h t b a r e n Ringens verfolgt u n d gepeinigt wurde. N a c h welcher Seite sich seine innersten S y m p a t h i e n neigten, s t e h t m i r n i c h t an zu p r ü f e n . Aus persönlicher E r f a h r u n g weiß ich nur, d a ß er in erster Linie als Holländer f ü h l t e u n d d a ß er im übrigen s t e t s ehrlich b e m ü h t war, in seinen Urteilen gerecht zu sein. N a c h Beendigung des Krieges b e t r a c h t e t e er es f ü r den Rest seines Lebens als eine seiner v o r n e h m sten Aufgaben, das Seine dazu beizutragen, d a m i t wenigstens im B e t r i e b der Wissenschaften die vormals feindlichen Völker sich wieder wie f r ü h e r zu gemeinsamer vertrauensvoller Arbeit zusammenf ä n d e n . An dieser Aufgabe h a t er nach besten K r ä f t e n bis in die letzten Tage seines Lebens gea r b e i t e t ; aber den Erfolg seiner B e m ü h u n g e n h a t er n i c h t m e h r gesehen. Die Schwierigkeiten erwiesen sich einstweilen noch als unüberwindlich. Sie lagen zum wesentlichen Teil in d e m U m s t a n d , d a ß a u s d e r Zeit des Krieges noch ein unseliger R e s t übriggeblieben ist, nämlich eine u n n a t ü r l i c h e u n d d u r c h keine sachlichen G r ü n d e zu rechtfertigende V e r q u i c k u n g der Wissenschaft m i t der Politik, eine
Verquickung, die bekanntlich ursprünglich so weit ging, d a ß bei allen auf naturwissenschaftlichem Gebiet neu .geschaffenen Organisationen den Ländern d e r Z e n t r a l m ä c h t e der Z u t r i t t sogar satzungsm ä ß i g versperrt wurde. D a ß eine solche A r t internationaler Wissenschaftspflege von den deutschen Gelehrten als eine schwere Beleidigung ihrer nationalen E h r e empf u n d e n w u r d e u n d ihnen jegliches' Interesse an einer derartigen Gemeinschaft r a u b t e , ist eine Selbstverständlichkeit, u n d ebenso, d a ß diese E m p f i n d u n g nicht mit einem Schlage sich verflüchtigte, als in der Folgezeit jener Ausschlußparagraph, wesentlich auf Betreiben u n d u n t e r der t a t k r ä f tigen Mitwirkung von LORENTZ, endlich aus den Satzungen e n t f e r n t wurde. Zum mindesten müssen die deutschen Gelehrten die F r a g e ihres Beitritts zu einer wissenschaftlichen internationalen Vereinigung von der B e d i n g u n g a b h ä n g i g machen, d a ß in deren Verfassung politische Gesichtspunkte u n d Rücksichten, die m i t Wissenschaft nichts zu t u n h a b e n , grundsätzlich ausgeschaltet sind. E s ist keine Frage, d a ß LORENTZ, der seine Bem ü h u n g e n u m H e r b e i f ü h r u n g einer Einigung unablässig fortsetzte, derartigen Bedenken volles Vers t ä n d n i s entgegenbrachte. Einen Beweis f ü r die Bedeutung, welche m a n gerade seiner Mitwirkung bei den Versuchen zur B e h e b u n g der Schwierigkeiten beilegte, liefert die Tatsache, d a ß der von den zuständigen Stellen bereits in aller F o r m aufgenommene Plan einer i m . L a u f e dieses F r ü h j a h r s in Holland zu v e r a n s t a l t e n d e n Z u s a m m e n k u n f t u n d Besprechung deutscher und ausländischer Gelehrter auf die N a c h r i c h t von seinem Tode hin einstweilen aufgegeben wurde. So war es ihm nicht vergönnt, das W e r k verwirklicht zu sehen, das ihm in seinen letzten Lebensj a h r e n so sehr am Herzen lag. Aber wir dürfen n i c h t d a r a n zweifeln, d a ß die Vollendung dereinst a u c h ohne ihn gelingen wird; das ist einfach eine innere Notwendigkeit. Denn die Wissenschaft ist n u n einmal international, u n d wer m i t wirklich selbstloser Hingabe ihr dient, wird ganz von selber dazu g e f ü h r t , in den Gelehrten f r e m d e r L ä n d e r n i c h t feindselige K o n k u r r e n t e n , sondern gleichstrebende Arbeitsgenossen zu sehen. D e s h a l b ist es a u c h gar nicht notwendig u n d nicht r a t s a m , diese natürliche E n t w i c k l u n g durch besondere äußerliche Organisationsmaßregeln künstlich beschleunigen zu wollen; sie wird viel besser u n d sicherer gefördert von innen heraus, a n k n ü p f e n d an die von Fall zu Fall a u f t r e t e n d e n sachlichen Bedürfnisse der F a c h w i s s e n s c h a f t e n ; u n d n i c h t durch schwerfällige offizielle Verhandlungen zwischen großen K ö r p e r s c h a f t e n , sondern d u r c h mündliche Besprechungen einzelner Persönlichkeiten, die d a s Vertrauen ihrer L a n d s l e u t e besitzen. Aussicht bietende Anfänge in dieser R i c h t u n g sind j a bereits g e m a c h t worden. Aber noch ein anderes Ziel seiner Wünsche, ein Ziel, das seine G e d a n k e n mindestens ebenso stark, j a in gewissem Sinn vielleicht noch eindringlicher
349 beschäftigte, sollte LORENTZ versagt bleiben zu schauen, nämlich die Vollendung des Neubaus der theoretischen Physik und die endgültige Festlegung des Platzes, welcher der klassischen Theorie darin zukommt. Denn als ein Grenzfall von fundamentaler Bedeutung wird diese sicherlich auch in die neue Theorie mit übergehen. Niemand von uns weiß, wann dieses Ziel erreicht sein wird und welche Wandlungen sich noch vollziehen müssen, um dahin zu gelangen. Aber auch hier dürfen wir mit aller Zuversicht einem vollen Erfolg entgegensehen. D a ß wir auf dem richtigen Wege dahin sind, dafür bürgt besonders der Umstand. daß gerade gegenwärtig die theoretische mit
der experimentellen Forschung so eng zusammengeht, wie das in der Geschichte der Physik noch in keiner ihrer früheren Epochen der Fall war. Wenn so die Zeit erfüllt sein wird, dann wird auch wieder ein Mann sich finden, der die letzte schaffende und formende Hand an das vollendete Werk legen und damit für die neue Physik dasselbe leisten wird, was LORENTZ für die klassische Physik getan hat. So wird seine tiefschürfende und stets auf volle Abrundung hinzielende A r t zu arbeiten auch für spätere Geschlechter vorbildlich wirken, und das Andenken an diesen großen Gelehrten und edlenMenschen wird alle Zeit in unserer Gesellschaft lebendig bleiben.
N a c h t r a g zur Gedächtnisrede auf H. A . Lorentz. Von MAX PLANCK, Berlin. Herr R. LADENBURG machte mich freundlichst darauf aufmerksam, d a ß die in meiner Gedächtnisrede auf H. A . LORENTZ erwähnte Überlegung (S. 553) zum Nachweis der Unzulänglichkeit des RAYLEiGHSchen Strahlungsgesetzes, die ich dem LoRENTZschen Rapport auf dem ersten SOLVAY-Kongreß v o m Jahre 1911 entnommen habe (S. 16 und 74), ursprünglich, von O. LUMMER und E . PRINGSHEIM stammt (Phys. Z. 9, 449. 1908). Es liegt mir daran, auf diese Tatsache hiermit ergänzend hinzuweisen.
350
Max von Laue. Zum 9. Oktober 1929. V o n MAX PLANCK, Berlin.
Wenn es gegenwärtig häufiger als in früherer Zeit vorkommt, daß einem verdienten Forscher bei der Vollendung seines fünfzigsten Lebensjahres in der Öffentlichkeit Worte ehrender Anerkennung gewidmet werden, so hat das wenigstens in der physikalischen Wissenschaft seinen guten Grund. Denn mag man es nun mit der ungestüm vorwärts drängenden Jugend der heutigen Physik in Zusammenhang bringen oder mag man andere Gründe dafür heranziehen, jedenfalls stehen wir vor der eigentümlichen Tatsache, daß die großen entscheidenden Schritte der letzten Zeit vorwiegend von Forschern in jüngerem Lebensalter vollzogen worden sind; und zu diesen Forschern gehört in erster Linie MAX VON LAUE. Weiteren Kreisen gilt er hauptsächlich als der glückliche Entdecker der Röntgenstrahünterferenzen, und in der Tat gehört diese Leistung, welche eine ganz neue Ära der Atomistik eröffnet und damit seinen Namen schnell zu allen Kulturstätten der Erde hingetragen hat, zu den glänzendsten nicht nur seiner eigenen Arbeit, sondern der Physik überhaupt. Wenn man aber vielleicht mutmaßen wollte, daß der Gedanke, einen Krystall einmal stundenlang mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten, im Grunde nur von einem günstigen Zufall eingegeben worden sei und ebensogut auch einem anderen hätte kommen können, so würde eine solche Auffassung doch von einiger Oberflächlichkeit zeugen. Denn wer LAUES Arbeitsweise auch nur einigermaßen kennt, dem müßte es sogleich klar sein, daß jener Gedanke kein zufälliger war, sondern das notwendige Ergebnis einer folgerichtigen Ideenverbindung, die in ihm deshalb früher als in einem anderen Physiker reifte, weil sie in engem Zusammenhang stand mit den Problemen, welche sein ganzes wissenschaftliches Denken ausfüllten. Wenn man versucht, die Einstellung MAX VON LAUES als Forscher in Kürze zu charakterisieren, so könnte man das treibende Element seiner Ideen vielleicht finden in dem Drang nach allseitiger Vertiefung der wissenschaftlichen Erkenntnis, in der Freude an der Durchführung von Ordnung und Sauberkeit der Theorie, mit einem Wort: in dem Bestreben, einen jeden physikalischen Gedanken möglichst bis zu Ende zu denken und ihn namentlich auch in solchen Gebieten zu erproben, für die er ursprünglich nicht geschaffen war. Er knüpft dabei mit Vorliebe an dasjenige Gebiet der Physik an, welches von jeher die genauesten Messungen aufzuweisen hat und welches infolgedessen auch theoretisch am meisten durchgearbeitet ist: an die Optik. Schon seine Dissertation galt einem optischen Problem: dem Studium der Interferenzerscheinungen an planparallelen Platten, und in allen seinen späteren Arbeiten zeigt sich immer der große Zusammenhang mit der Optik, deren Gesetzen er nach den verschiedensten Richtungen bis in die feinsten Winkel hinein nachgespürt hat. So kam es, daß er dazu neigte, ein physikalisches Problem vom optischen Standpunkt zu betrachten. Schon lange bevor ihm der große Wurf gelang, erbrachte er eine höchst bemerkenswerte Probe der Selbständigkeit und Folgerichtigkeit seiner Gedanken durch den Nachweis, daß bei kohärenten Wärmestrahlen das Additionstheorem der Entropie seine Gültigkeit verliert, indem nämlich die Entropie zweier kohärenter Strahlen kleiner ist als die Summe der Entropien der einzelnen Strahlen — ein Satz, durch welchen der enge Zusammenhang von Entropie und Wahrscheinlichkeit noch tiefer, als es früher der Fall war, an der Wurzel gefaßt wird, da ja auch die Wahrscheinlichkeit zweier voneinander abhängiger Ereignisse verschieden ist von dem Produkt der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ereignisse. Und wie anfangs in Berlin die Thermodynamik der elektromagnetischen Strahlung, so gab ihm später in der Münchener Atmosphäre die Beschäftigung mit der Raumgittertheorie der Krystalle von SOHNCKE
und
von
GROTH
zusammen
mit
dem
Studium
der
Arbeiten
von
RÖNTGEN
und
von
SOMMERFELD die Anregung zu der neuen, damals sehr kühn erscheinenden Folgerung, daß Röntgenstrahlen, die durch einen Krystall gehen, Interferenzerscheinungen aufweisen müssen. Mit welcher Energie und Zähigkeit er dieser Frage nachging und wie es ihm gelang, die ihrer experimentellen Behandlung entgegenstehenden Schwierigkeiten mit Hilfe seiner Mitarbeiter zu überwinden, hat er selber in seinem Nobel-Vortrag geschildert. Der durchschlagende Erfolg führte ihn naturgemäß zu einer näheren Beschäftigung mit der Theorie der neu entdeckten Beugungs- und Interferenzerscheinungen. Doch auch seine sonstigen physikalischen Interessen verlor er nicht aus dem Auge. Unter den Leistungen der späteren Zeit sei hier noch eine besonders merkwürdige hervorgehoben: die Berechnung der Anzahl der Freiheitsgrade eines monochromatischen Strahlenbündels. Dieses ete-
351 mentare Problem, welches in einem geometrisch und spektral schmalen Bändel eine große Anzahl von Freiheitsgraden voraussetzt, gewährt deshalb einen eigentümlichen Reiz, weil es rein kinematischer Art ist und daher auch unabhängig von dem Gegensatz zwischen klassischer und Quantentheorie, und weil es weder vom Standpunkt der Wellenoptik noch vom Standpunkt der Strahlenoptik sich einfach angreifen läßt. Denn einerseits kann man ein monochromatisches Strahlenbündel wellenoptisch gar nicht scharf definieren, und andererseits hat in der Strahlenoptik die Anzahl und die Länge der Strahlen überhaupt keine physikalische Bedeutung. Wie diese und andere Punkte aufzuklären sind, hat LAUE durch ausführliche und gründliche Oberlegungen in steter aufmerksamer Beobachtung und Kritik der gegenwärtig in stürmischem Tempo anschwellenden physikalischen Literatur auseinandergesetzt. Selbst dem modernsten und dunkelsten Gebiet: der Kernphysik hat er seine Aufmerksamkeit zugewendet und ist namentlich dem charakteristischen Satz der Wellenmechanik nachgegangen, daß eine Potentialschwelle, deren Höhe für die kinetische Energie einer bewegten Korpuskel unübersteiglich ist, von der entsprechenden Materiewelle sehr wohl durchdrungen werden kann. Der Vielseitigkeit seiner physikalischen Interessen entspricht seine Bereitwilligkeit zur Übernahme zusammenfassender Darstellungen aus einzelnen Gebieten der theoretischen Physik, namentlich aus der Optik und aus der Relativitätstheorie, die sich alle durch Vollständigkeit und meisterhafte Präzision auszeichnen, sowie seine Neigung zu zwangloser wissenschaftlicher Aussprache. So steht er in fortwährendem regen Gedankenaustausch mit seinen Fachgenossen und ist die Seele des Berliner physikalischen Kolloquiums, welches er seit Jahren mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit und Umsicht leitet. Aber man würde LAUES Persönlichkeit nicht gerecht werden, wenn man ihn nicht auch noch von einer anderen Seite sehen wollte: als den gütigen Menschen, den treuen Freund, und, was ihn noch ganz besonders charakterisiert, den hilfsbereiten Förderer, der aufstrebenden Generation. Wieviel jungen Leuten er durch Schwierigkeiten wissenschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Art hindurch mit Rat und Tat in unermüdlicher Geduld auf den richtigen Weg geholfen hat, das ist in keiner Zeitschrift niedergelegt und in keinem Bericht verzeichnet, das lebt nur fort in den dankbaren Herzen derjenigen, die in dieser Hinsicht mit ihm zu tun hatten. Ein äußeres Zeichen des uneingeschränkten Vertrauens, das LAUE seitens seiner Kollegen genießt, kann man in dem Umstand erblicken, daß er seit der Gründung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ununterbrochen, auf Grund wiederholter allgemeiner Wahlen, dem Fachausschuß für Physik angehört und darin das Amt des Vorsitzenden versieht. Möge ihm das Bewußtsein der durch vielfache Beweise sich ausdrückenden allseitigen Anerkennung wissenschaftlicher und menschlicher Art auch künftig bei seiner Arbeit zur Stärkung und Förderung gereichen. Mit diesem Wunsche begrüßen die Physiker Deutschlands und der ganzen Welt heute an seinem fünfzigsten Gebartstag MAX VON LAUE als einen ihrer vornehmsten Führer in herzlicher Teilnahme und Verehrung.
352
James Clerk Maxwell in seiner B e d e u t u n g f ü r die theoretische P h y s i k in D e u t s c h l a n d 1 . V o n MAX PLANCK, Berlin. Die Bedeutung eines großen Forschers für die Kulturwelt spiegelt sich selbstverständlich vor allem in den wissenschaftlichen Ergebnissen, die seine Werke enthalten, denn diese sind die unmittelbarsten und wertvollsten Früchte seiner Lebensarbeit. Aber es gibt noch eine andere, mehr indirekte A r t der Wirksamkeit, die eine bedeutende Persönlichkeit entfaltet, und die manchmal der vorher genannten fast ebenbürtig an die Seite tritt das ist der anregende und fördernde Einfluß, d e n sie durch ihre Eigenart auf andere, mehr oder weniger kongeniale Zeitgenossen ausübt, und durch den sie mittelbar auch die Wissenschaft selber befruchtet. I m Gebiet der Geisteswissenschaften l ä ß t sich freilich diese Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Wirkung nicht immer streng durchführen, da doch die Beeinflussung der geistigen U m w e l t oft schon einen Teil der eigentlichen Arbeit bildet U m so deutlicher kann man auf dem Felde der Naturwissenschaften, wo S u b j e k t und O b j e k t der Forschung weit auseinander liegen, verfolgen, wie ein einzelner hervorragender Forscher nicht allein durch die Entdeckungen, die er selber macht, sondern auch durch die, zu welchen er andere anregt, seinen Namen in der Geschichte seiner Wissens c h a f t für alle Zeiten einträgt. Gewiß m u ß ein jeder, der die physikalische Wissenschaft nicht als eine Beschreibung von einzelnen menschlichen Erlebnissen, sondern als die Erforschung der o b j e k t i v e n Natur a u f f a ß t , zu der Schlußfolgerung gelangeil, daß, selbst wenn die Länder der Erde in kultureller Beziehung gänzlich isoliert voneinander wären, die E n t w i c k l u n g der P h y s i k doch im großen und ganzen an allen Stellen den nämlichen W e g nehmen würde, d a ß es also der Wechselwirkung zwischen den Gelehrten der einzelnen Länder im Grunde gar nicht bedarf. D a f ü r spricht auch deutlich die Tatsache, d a ß große physikalische oder techmsche Entdeckungen häufig unabhängig an verschiedenen Orten gemacht worden sind, sobald die objektiven Vorbedingungen dafür geschaffen waren. Insofern sind die Naturforscher in den verschiedenen Ländern nicht aufeinander angewiesen und arbeiten a u c h dementsprechend unabhängig voneinander Aber es gibt in jeder Wissenschaft einzelne auserwählte Geister, gottbegnadete Naturen, die d a s von ihnen ausgehende Licht der Erkenntnis weit über die Grenzen ihres eigenen Landes strahlen 1 Im wesentlichen der Inhalt eines am 2. d. Mts. bei der MAXWELL-Jahrhundertfeier in Cambridge in englischer Sprache gehaltenen Vortrages. Der Vortrag
ist a b g e d r u c k t in
JAMES C L E R K M A X W E L L .
A Com-
memoration Volume 1831 — 1931, Cambridge, At the University Press, 1931
lassen und dadurch die Forschungsarbeiten in der ganzen W e l t auf direktem W e g e vertiefen und beschleunigen. Zu ihnen gehört JAMES CLERK MAXWELL, dessen hundertjährigen Geburtstag wir heute feiern. Wenn man auch nicht daran zweifeln darf, d a ß alles, was er auf dem gesamten Gebiet der P h y s i k geschaffen hat, auch ohne ihn früher oder später Gemeingut der Wissenschaft geworden wäre, so gebührt ihm eben doch nicht allein der R u h m mancher ersten Entdeckung, sondern a u c h das Verdienst, seine Fachgenossen in allen Ländern der Erde gefördert und ihnen vielleicht manchen mühsamen U m w e g und nutzlose Arbeit erspart zu haben. D a ß MAXWELL nicht gewissermaßen zufällig auf seine großen Gedanken geriet, sondern d a ß ihm dieselben naturnotwendig aus dem R e i c h t u m seines Genius hervorquollen, beweist a m besten der U m stand, d a ß er auf ganz verschiedenen Gebieten bahnbrechend und führend hervortrat; denn in allen Teilen der P h y s i k war er Kenner und Meister. Hauptsächlich sind es zwei entgegengesetzte Betrachtungsweisen, die sich neuerdings in den physikalischen Theorien herausgebildet haben, und die gerade seit MAXWELL sich immer schärfer voneinander abzuheben beginnen: die P h y s i k der diskreten Korpuskeln und die P h y s i k der K o n t i n u a . Sie decken sich ungefähr, aber nicht ganz, m i t der früheren Unterscheidung zwischen der P h y s i k der Materie und der P h y s i k des Äthers. Auf jedem dieser beiden Gebiete h a t MAXWELL m i t neuen fruchtbaren Ideen in den Entwicklungsgang der Wissenschaft fördernd eingegriffen. W e n n wir versuchen, deren Bedeutung für die E n t w i c k l u n g der P h y s i k in Deutschland zu schildern, so werden wir wohl am besten so verfahren, d a ß wir nach dem Einfluß fragen, den MAXWELL auf diejenigen seiner deutschen Fachgenossen ausgeübt hat, welche gleichzeitig mit ihm oder unmittelbar nach ihm in ihrer Wissenschaft als Führer vorangingen. Beginnen wir mit der Korpuakularphysik. Dieselbe s t a m m t schon aus dem Altertum, aber ihre Wiedergeburt und Modernisierung erlebte sie u m die Mitte des vorigen Jahrhunderts m i t der A u f stellung der kinetischen Gastheorie, die der E n t deckung des mechanischen Wärmeäquivalents auf dem Fuße folgte, und zwar bezeichnenderweise in verschiedenen Ländern und auch an verschiedenen Stellen eines Landes fast gleichzeitig durch verschiedene voneinander unabhängige Forscher, in England durch J Deutschland
P
durch
JOULE und J A.
J WATERSTON, in
KRÖNIG und
R.
CLAUSIUS.
A u c h MAXWELL begeisterte sich früh für diese neue, damals unerhört kühn erscheinende und v o n den Positivisten aller Gattungen als ein gefährlicher Irrweg scharf bekämpfte Hypothese, nach.
353 der sowohl der Druck als auch die Wärme eines Gases zurückzuführen ist auf die schnellen Bewegungen der einzelnen unregelmäßig durchein-: anderfliegenden Moleküle, die teils aneinander, teils gegen die Gefäßwände stoßen. Er fügte aber den Folgerungen, welche seine Vorgänger bezüglich des Zusammenhangs zwischen der mittleren Geschwindigkeit der Moleküle und dem Druck bzw. der spezifischen Wärme des Gases gezogen hatten, sogleich noch eine neuartige, wesentlich tiefer gehende, hinzu, indem er die Frage nach der Größe der Geschwindigkeit eines einzelnen beliebig herausgegriffenen Moleküls aufwarf und durch ihre Beantwortung den Grund zu einem ganz neuen Zweige der Physik, der statistischen Physik, legte. Denn es ist selbstverständlich, daß die genannte Frage nur durch ein Wahrscheinlichkeitsgesetz beantwortet werden kann, d. h. durch ein Gesetz, das angibt, welcher Bruchteil von den bei sehr zahlreichen Wiederholungen des nämlichen Versuchs herausgegriffenen Molekülen eine ganz bestimmte Geschwindigkeit besitzt. M A X W E L L gelang es als erstem, ein solches Wahrscheinlichkeitsgesetz, das nach ihm benannte Gesetz der Geschwindigkeitsverteilung, zu formulieren, und zwar erwies dasselbe sich als identisch mit dem bekannten GAUSSSchen Fehlergesetz, wofern man annimmt, daß die drei räumlichen Komponenten des Geschwindigkeitsvektors voneinander unabhängig sind.. Die Wirkung dieser Entdeckung in Deutschland war etwas geteilt. K R Ö N I G scheint sich mit dem Geschwindigkeitsverteilungsgesetz nicht näher beschäftigt zu haben, C L A U S I U S schenkte ihm zwar volle Beachtung, legte ihm • aber doch offenbar keine tiefere Bedeutung bei, d a er die Ansicht vertrat und zu begründen suchte, daß seine Gültigkeit sich auf den von M A X W E L L betrachteten Fall beschränkt, daß die Moleküle sich wie elastische Kugeln verhalten. Ganz anders L U D W I G B O L T Z M A N N , der sogleich mit voller Klarheit die fundamentale Stellung des MAXWELLschen Geschwindigkeitsverteilungsgesetzes in der kinetischen Gastheorie erkannte, und der in der Folge als der eigentliche Wegebereiter der MAXWELLschen Ideen in Deutschland aufgetreten ist, obgleich oder vielmehr gerade weil er zugleich auch die schärfste Kritik an ihnen geübt hat. Zuerst verschärfte und verallgemeinerte B O L T Z M A N N den M A X W E L L s c h e n Beweis, der sich nur auf einatomige kugelförmige Moleküle bezog, auf mehratomige Moleküle, und zeigte weiter, namentlich durch die Aufstellung seines berühmt gewordenen s o g . H-Theorems,
d a ß die MAXWELLsche
Verteilung
der Geschwindigkeiten nicht nur stationär bleibt, wenn sie einmal besteht, sondern daß sie auch die einzige stationäre ist, da sie sich im Laufe der Zeit immer herausbilden muß, von welcher Anfangsverteilung man auch ausgehen mag. Im Anschluß daran führte B O L T Z M A N N den Nachweis, daß im stationären Zustand des Gases auf jeden Freiheits-
grad eines Moleküls ein entsprechender Betrag von Energie entfällt. Eine Schwierigkeit, auf welche M A X W E L L bei der Berechnung der spezifischen Wärme stieß und welche der kinetischen Gastheorie eine gewisse Verlegenheit zu bereiten drohte, konnte B O L T Z M A N N befriedigend überwinden. Sie betrifft das Verhältnis der spezifischen Wärme bei konstantem Druck, zu der bei konstantem Volumen, welche bei allen adiabätischen Vorgängen eine wesentliche Rolle spielt. Während nämlich für einatomige Gase, wie z. B. Quecksilberdampf, der unter der Annahme kugelförmiger Moleküle aus der Gastheorie berechnete Wert für das Verhältnis der beiden spezifischen Wärmen I 2 / 3 vorzüglich übereinstimmt mit dem gemessenen Wert, zeigte sich bei den mehratomigen Gasen ein deutlicher Gegensatz zwischen Theite verheißungsvolle Fernen. Diese schöne, vor 25 Jahren veröffentlichte Arbeit bildet wohl eines der eindrucksvollsten Beispiele für die Fruchtbarkeit eines musterhaften Zusammenwirkens von Theorie und Experiment. Wie es die scharfen und doch phantasievollen Gedankenkombinationen L a u e s waren, welche den ersten Anstoß gaben zur Anstellung der Versuche, so bedurfte es der großen experimentellen Geschicklichkeit der Herren F r i e d r i c h und K n i p p i n g , um die Gedanken in die Wirklichkeit umzusetzen. Theorie und Experiment, sie gehören zusammen, eines ohne das andere bleibt unfruchtbar. Man kann mit Fug und Recht auf sie das bekannte Wort von K a n t über die Zusammengehörigkeit von Begriff und Anschauung anwenden und sagen: Theorien ohne Experimente sind leer, Experimente ohne Theorie sind blind. Darum fordern beide, Theorie und Experiment, mit gleichem Nachdruck die ihnen gebührende Achtung. Wir dürfen mit hoher Befriedigung feststellen, daß gerade für unsere gegenwärtige Physik das enge Zusammenarbeiten von Theorie und Experiment charakteristisch ist, ihm verdanken wir in erster Linie die gewaltigen Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Wer daher einer sorgfältigen Pflege der modernen Atomtheorie ihren Wert abspricht und ihre Abstraktheit und mathematische Kompliziertheit als einen Mangel hinstellt, der behoben werden könnte, wenn man auf die primitiveren, leichter zu handhabenden Anschauungen der klassischen Epoche zurückgreift, der beweist damit nur, daß ihm das tiefere Verständnis für das Wesen der Probleme, mit
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denen die gegenwärtige Physik zu kämpfen hat, fremd geblieben ist. Wohl ist die heutige Theorie schwierig und unbequem, aber diese unerfreuliche Eigenschaft ist keineswegs von den Theoretikern ersonnen, um ihre mathematischen Akrobatenkünste besser zur Schau tragen zu können, sondern sie hat sich nach vielfachen vergeblichen Versuchen zwangsläufig als ein letzter gewissermaßen verzweifelter Ausweg erwiesen aus dem Dickicht der Bätsei und scheinbaren Widersprüche, welche gerade die experimentelle Forschung den Theoretikern zu lösen aufgegeben hat. Daß dieser Ausweg tatsächlich ins Freie führt, dafür haben uns die neuen Erfahrungen Beweise in Hülle und Fülle geliefert, und wir dürfen getrost behaupten, daß zu keiner Zeit die theoretische Physik wirklichkeitsnäher war als gegenwärtig. Gewiß ist in ihr noch lange nicht das letzte Wort gesprochen, aber wir dürfen doch als sicher betrachten, daß sie sich auf dem richtigen Wege befindet. Auch unsere physikalische Gesellschaft hat schon wertvolle Beiträge für sie geliefert, mögen ihr noch manche weitere vorbehalten sein. Bei dieser Arbeit wird ihr für alle Zukunft als leuchtendes Vorbild bleiben das 25 jährige Werk von F r i e d r i c h , K n i p p i n g und Laue.
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Arnold Sommerfeld zum siebzigsten Geburtstag Von Max Planck Am 5. Dezember dieses Jahres werden sich die Gedanken der Physiker aller Länder nach München richten, wo Arnold Sommerfeld, noch mitten im wissenschaftlichen Leben stehend und mit voller Schaffenskraft an den Aufgaben der Zeit arbeitend, die Schwelle zum achten Jahrzehnt überschreitet. Auch in dieser Zeitschrift, deren Blätter an vielen Stellen von seiner Tätigkeit Zeugnis ablegen, ziemt es sich, einen Blick auf die Gestalt dieses Altmeisters der theoretischen Physik zu werfen, so wie er durch das sachliche Interesse an seinem Lebenswerk und durch persönliche freundschaftliche Verbundenheit nahegelegt wird, als ein Ausdruck des Dankes und der Verehrung seiner Fachgenossen. Es ist nicht leicht, sich eine zutreffende Vorstellung zu machen von der Reichweite und von der Tiefe der Wirkungen, die von der Persönlichkeit Sommerfelds als Forscher und als Lehrer nach allen Richtungen des Arbeitsfeldes seiner Wissenschaft ausgegangen sind. Schon sein Bildungsgang war auf breitester Grundlage aufgebaut. Mit der reinen Mathematik beginnend, hatte er das Glück, in Felix Klein einen Lehrer zu finden, der es wie wenige verstand, in seinen Schülern neben der Forderung mathematischer Gründlichkeit den Sinn für die Anwendungen der Mathematik auf die Bedürfnisse des praktischen Lebens zu wecken, und der infolgedessen ihre Interessen unermüdlich auf die Probleme der Naturwissenschaft und der Technik lenkte. Diesen segensreichen Einfluß hat Sommerfeld selber in den Erinnerungen an seinen verehrten Lehrer mit pietätvollen Worten geschildert. Wie hoch andererseits Klein seinen Schüler einschätzte, ersieht man schon daraus, daß er ihm die Herausgabe des Bandes Physik der Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften übertrug — eine Aufgabe, die Sommerfeld im Laufe der Zeit mit manchen hervorragenden Physikern des In- und Auslandes in persönliche Berührung brachte und die er ein volles Menschenalter hindurch über alle Schwierigkeiten hinweg mit zäher Energie bis zum erfolgreichen Abschluß durchgeführt hat. Die endgültige Wendung zur angewandten Mathematik und damit auch zur Physik brachte ihm nach dreijähriger Tätigkeit an der Bergakademie Klausthal im Jahr 1900 die Berufung an die Technische Hochschule Aachen, als
369 Nachfolger von Willy Wien, auf den Lehrstuhl für Mechanik. Damals, nach seiner vollzogenen Übersiedelung, ging unter den Fachgenossen die Sage, das Sommerfeld die Gepflogenheit habe, systematisch der Reihe nach die Arbeitsstätten seiner neuen Kollegen aufzusuchen und sich von jedem nach Möglichkeit zu theoretischen Untersuchungen anregen zu lassen. Jedenfalls datieren von jener Zeit ab eine Reihe auch technisch bedeutsamer Arbeiten, wie z. B. die Aufdeckung der Gesetze für die eigentümlichen und auffallenden Erscheinungen, welche bei periodisch schwingenden Körpern eintreten, wenn die Frequenz der Schwingungen mit derjenigen der elastischen Eigenschwingungen in Resonanz gerät. Einen zusammenfassenden Überblick über die Bedeutung und die Aufgaben der modernen technischen Mechanik hat Sommerfeld auf der Naturforscherversammlung in Kassel 1903 gegeben, wobei er in eindrucksvoller Weise darlegte, daß die Mechanik keineswegs eine rein mathematische Wissenschaft ist, sondern daß sie ursprünglich in der Physik wurzelt, und daß es für die Förderung zahlreicher technischer Probleme von größter Wichtigkeit wäre, wenn die theoretischen Physiker ihre Aufmerksamkeit etwas mehr als üblich auch solchen Problemen der Mechanik zuwenden wollten, für welche die im Interesse der bequemeren mathematischen Behandlung gewöhnlich gemachten Idealisierungen, wie vollkommene Elastizität oder Reibungslosigkeit, nicht mehr zulässig sind. Auch in der Folgezeit, während sich sein Arbeitsgebiet immer mehr nach der Seite der reinen Physik verschob, hat Sommerfeld nie das Interesse für technische. Probleme verloren und sich auch in späteren Jahren gern zur Beschäftigung mit solchen anregen lassen, wie man aus seinen Arbeiten über Knicksicherheit, über Schmiermittel, über Wechselstromwiderstand von Spulen, über Lichtbogenschwingungen usw. erkennen kann. Überall war es sein erfolgreiches Bestreben, klärend und ordnend in die Deutung des vorliegenden experimentellen Materials einzugreifen und mit dem Verständnis zugleich auch die Möglichkeiten seiner Verwertung zu erweitern. Merkwürdigerweise nehmen aber gerade die für die Technik wichtigsten Arbeiten Sommerfelds: die über die Ausbreitung der Wellen in der drahtlosen Telegraphie, in denen die Rolle der Oberflächenwellen gegen die der Raumwellen zum erstenmal schaff abgegrenzt wurde, ihren Anfang ursprünglich von der theoretischen Seite her, nämlich von der Frage nach der Impulsbreite der Röntgenstrahlen, von deren Wellennatur er überzeugt war, schon ehe sie durch Laues Entdeckung völlig sichergestellt wurde. Dies Gebiet war es auch, auf dem ihm seine erste wissenschaftliche Großtat gelang: die exakte Lösung eines optischen Beugungsproblems auf Grund der Maxwellschen Theorie, für den Fall eines Schirmes von der Form einer geradlinig begrenzten unendlichen Halbebene aus absolut leitendem Material. Daß für einen schwarzen Schirm die Lösung nicht eindeutig ausfiel, liegt natürlich daran, daß eine schwarze Oberfläche nach der M a x wellschen Theorie gar nicht eindeutig definiert werden kann.
370 Endgültig wurde Sommerfeld für die reine Physik gewonnen, als er im Jahre 1906 dem Ruf an die Universität München auf den Lehrstuhl Ludwig Boltzmanns Folge leistete und hier ein Zentrum theoretisch physikalischer Forschung schuf, in dem sich alsbald ein reiches, fruchtbringendes Leben entfaltete. Damals begannen die mit der Relativitätstheorie und die mit der Quantentheorie verbundenen neuen Ideen in die Physik einzudringen, und es konnte nicht fehlen, daß sie auch Sommerfelds regen Geist sogleich in ihren Bann schlugen und für immer darin festhielten. Dabei begnügte er sich nicht damit, die neuen Anregungen zu verarbeiten und in seinem Werk über Atombau und Spektrallinien eine reiche Fundgrube umfassenden experimentellen und theoretischen Materials anzulegen, sondern er war stets und mit Erfolg bemüht, die Theorie selbständig weiterzubilden und vorwärtszutreiben. So legte er den Grund zu der sogenannten klassischen Quantentheorie für einen und für mehrere Freiheitsgrade. Es ist unmöglich, hier eine auch nur einigermaßen erschöpfende Ubersicht zu geben über die Fülle seiner diesem Gedankenkreis entsprungenen einzelnen Untersuchungen. Typisch dafür ist die groß angelegte Arbeit über die Quantentheorie der Spektrallinien, in welcher er, ausgehend vom Bohrschen Atommodell, in strenger mathematischer" Methodik eine Synthese zwischen Quantentheorie und Relativitätstheorie vollzog und sie nach Möglichkeit für die Theorie der Balmer Serie, für die Erklärung der Feinstruktur der Wasserstofflinien und für die Theorie der Röntgenspektren verarbeitete, stets den engen Anschluß an das vorliegende Beobachtungsmaterial im Auge behaltend. Aber einem aufmerksamen Beobachter kann es nicht entgehen, daß in Sommerfelds geistiger Werkstatt neben dem nüchternen Sinn für die mathematische Korrektheit und für die physikalische Wirklichkeit noch ein anderes Motiv leise mitschwingt, das seine Wurzel auf einem entlegeneren Gebiet, auf ästhetischem Boden, hat, und das bei den ideenreichsten Naturforschern aller Zeiten, von Pythagoras bis Bohr, anzutreffen ist: es ist der Reiz der geheimnisvollen Harmonie und Geschlossenheit des Bildes, das sich der vorwärtstastenden Phantasie des Forschers offenbart, wenn er seine Gedanken den von der Natur dargebotenen Gegebenheiten anzupassen sucht. Besonders die noch nicht völlig geklärten Gesetzmäßigkeiten, wie z. B. die beim anomalen Zeeman-Effekt, sind dazu angetan, derartige Geistesflüge anzuregen. Ein weiterer ureigener Gedanke war es, mit dem Sommerfeld im Herbst 1927 auf dem internationalen Volta-Kongreß in Como hervortrat: eine Theorie des metallischen Zustandes auf Grund der Hypothese, daß die freien Metallelektronen sich verhalten wie ein entartetes Gas, welches der mit dem Pauli-Prinzip kombinierten Fermischen Statistik folgt. Die bemerkenswerten Resultate, auf die er sogleich bei den ersten Anwendungen auf die spezifische Wärme, die elektrische und Wärmeleitung, die Kontaktund die Thermoelektroelektrizität stieß, zeigte unmittelbar die Bedeutung und die Fruchtbarkeit der neuen Theorie.
371 Seitdem hat ihn dieses Thema nicht mehr losgelassen. Fortgesetzt ist er bemüht, an seinen Rechnungen zu feilen und zu bessern. Wenn er ursprünglich eine mehr klassische Betrachtungsweise benützte und nach dem Vorbild von H. A. Lorentz mit dem Begriff der freien Weglänge der Elektronen operierte, so wandte er in der Folge die neuen wellenmechanischen Methoden an und gelangte dadurch zu immer befriedigenderen Resultaten. Erst kürzlich hat er vor der Züricher Physikalischen Gesellschaft über seine neuen Untersuchungen berichtet und sich dabei in gleicher Weise als Meister in der mathematischen Behandlung wie in der Deutung der experimentellen Befunde erwiesen. Möge er auch fernerhin noch lange auf dieser Höhe des Schaffens verweilen, und möge ihm, wenn er einmal se'ne Lehrtätigkeit an der Münchener Universität endgültig eingestellt haben wird, die beruhigende Genugtuung beschieden sein, einen seiner würdigen, wissenschaftlich ebenbürtigen Nachfolger an seinem Platze zu sehen.
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Max von Laue Zum 9. Oktober 1 9 3 9 von Max Planck Zehn Jahre sind vergangen, seit in diesen Blättern der Bedeutung des Tages gedacht wurde, welcher vor nunmehr 60 Jahren Max v. Laue ins Leben und in seine Wissenschaft rief. W a s er für sie geleistet hat, konnte in kurzen Zügen nach einigen Richtungen zu schildern versucht werden. Heute, da wir abermals Veranlassung haben, unseren Blick auf seinePersönlichkeit und sein Lebenswerk zu richten,muß bei unsund bei den Physikern aller Länder um so stärker ein einmütiges Gefühl zum Ausdruck kommen: das Gefühl der Freude und des Dankes dafür, daß der Gefeierte auch gegenwärtig, auf der vollen Höhe des Lebens stehend, seiner Arbeit unermüdlich weiter dient und damit zugleich den Seinigen, seinem Vaterland und der Menschheit zum Segen ist. Die Fruchtbarkeit seines Schaffens erweist sich schon durch die Anzahl der Veröffentlichungen als ungewöhnlich. Kein Jahr ist im letzten Dezennium verflossen, ohne daß an verschiedenen Stellen, aus verschiedener Veranlassung, v. Laue das Wort ergriffen hätte. Sein Hauptinteresse galt, wie natürlich, dem weiteren Ausbau der von ihm geschaffenen Theorie der Röntgenstrahlinterferenzen in Kristallen, sowohl in physikalischem wie in mathematischem Sinne, einerseits besonders durch die Einführung der Elektronenstrahlen und deren Beugungserscheinungen, andererseits durch die Verfeinerung und Vereinfachung der durch die Wellenmechanik bedingten Rechnungsmethoden. Daneben aber blieb sein Blick offen für alle anderen aktuellen Fragen der Physik, auch solche, welche seinem ursprünglichen Arbeitsgebiet verhältnismäßig fern liegen. Das zeigt eine ganze Reihe von einzelnen originell ersonnenen und sorgfältig durchgeführten Untersuchungen, wie die über die Geheimnisse der Supraleitung, über die Lichtfortpflanzung in Räumen mit zeitlich veränderlicher Krümmung, über die Entstehung der chemischen Elemente und über kosmische Strahlung. Im ganzen macht sich auch bei v. Laue, wie das gemeiniglich beim Älterwerden zu gehen pflegt, ein zunehmendes Interesse für allgemeinere, grundsätzliche Betrachtungen und für historische Zusammenhänge bemerkbar. Prachtvoll lesen sich seine Bemerkungen über die Probleme, die dem Altmeister der Mechanik Galilei zu schaffen machten, oder über die Gedankengänge, die Newton beim Aufbau seiner Optik leiteten. Die Schwierigkeiten, zu denen die aus der klassischen Physik erwachsene Vorstellung von der Raumerfüllung durch die Materie führt, haben v. Laue wiederholt be-
373 schäftigt. So konnte es nicht fehlen, daß er auch zu der tiefliegenden Frage der Kausalität Stellung nahm, welche zur Zeit die Physiker in zwei entgegengesetzte Lager zu spalten scheint, je nachdem sie den Dualismus zwischen Korpuskular- und Wellenmechanik in seiner gegenwärtigen Formulierung, die von einer kausalen Deutung eines Einzelvorgangs im atomaren Geschehen absieht, als ein endgültig abgeschlossenes Prinzip betrachten, oder aber den gegenwärtigen Zustand der Theorie als ein Provisorium empfinden, das der Zurückführung auf eine höhere Einheit bedarf, v. Laue hat niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß er sich zur zweiten Gruppe rechnet, nicht ohne dabei stets ausdrücklich zu betonen, daß in dieser Stellungnahme nicht etwa ein Einwand gegen die Wichtigkeit der Erforschung statistischer Gesetzmäßigkeiten erblickt werden darf, der einzigen, die mit den gegenwärtigen Methoden faßbar sind und die auch den Experimentator in vielen Fällen allein interessieren. Aber deshalb braucht doch das erkenntnistheoretische Postulat der Kausalität nicht preisgegeben zu werden, dessen Durchführung dereinst, wenn einmal die Zeit dafür reif geworden sein wird, der Quantentheorie die letzte Abrundung zu geben verspricht. Von dem wissenschaftlichen Lebenswerk v. Laues untrennbar ist seine Tätigkeit als Lehrer und Berater der jüngeren Generation. Durch seine Wirksamkeit an der Universität und am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik ist er seit einer Reihe von Jahren der erste und berufenste Vertreter des von Helmholtz und Kirchhoff begründeten und ruhmreich ausgebauten Faches der theoretischen Physik in Berlin. Mit wachsamem Auge und unermüdlicher Geduld leitet er die Arbeiten im Seminar und im Colloquium, wo er eine durch rein wissenschaftliche Interessen zusammengeführte Gemeinde von Studenten, Assistenten und Dozenten allwöchentlich zu zwangloser Aussprache über neuere Literaturerscheinungen um sich versammelt. Ohne ihn wäre eine gründliche Spezialpflege der theoretischen Physik an der Berliner Universität vorläufig nicht denkbar. Seine besondere Fürsorge galt von jeher der jetzt wieder erneut in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getretenen Betreuung des wissenschaftlichen Nachwachses, für den er sich andauernd mit Rat und Tat warmfühlend einsetzt. So hat er über schwierige Zeitläufte hinweg, durchdrungen von der Liebe zur Wissenschaft und von tiefwurzelndem Verantwortungsbewußtsein, das Steuer in der Hand gehalten und sich den Dank und die Herzen aller derer erworben, denen er in irgendeiner Weise amtlich oder persönlich auf den Weg helfen konnte. Als unversiegbare Quelle seiner Kraft dient ihm die aufrechte Gesinnung, die mutige Einsatzbereitschaft für das als richtig Erkannte, die goldene Freundestreue und nicht zuletzt der sprudelnde Humor, der ihm über manche düstere Stunde des Unmuts und der Enttäuschung, wie sie Niemandem erspart bleibt, hinweggeholfen haben mag. Möge er in gleicher Frische und Schaffenskraft auch über die Sechzig hinaus noch lange Jahre der wissenschaftlichen Welt, seinem Vaterlande und seinen Freunden erhalten bleiben!
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WISSENSCHAFTLICHE SELBSTBIOGRAPHIE
Was mich zu meiner Wissenschaft führte und von Jugend auf für sie begeisterte, ist die durchaus nicht selbstverständliche Tatsache, daß unsere Denkgesetze übereinstimmen mit den Gesetzmäßigkeiten im Ablauf der Eindrücke, die wir von der Außenwelt empfangen, daß es also dem Menschen möglich ist, durch reines Denken Aufschlüsse über jene Gesetzmäßigkeiten zu gewinnen. Dabei ist von wesentlicher Bedeutung, daß die Außenwelt etwas von uns Unabhängiges, Absolutes darstellt, dem wir gegenüberstehen, und das Suchen nach den Gesetzen, die für dieses Absolute gelten, erschien mf»- als die schönste wissenschaftliche Lebensaufgabe. Gestützt und gefördert wurden diese Gedanken durch den ausgezeichneten Unterricht, den ich im Münchener Maximiliangymnasium viele Jahre hindurch von dem Mathematiklehrer H e r m a n n M ü l l e r empfing, einem mitten im Leben stehenden, scharfsinnigen und witzigen Mann, der es verstand, die Bedeutung der physikalischen Gesetze, die er tins Schülern beibrachte, durch drastische Beispiele zu erläutern. So k a m es, daß ich als erstes Gesetz, welches unabhängig vom Menschen eine absolute Geltung besitzt, das Prinzip der Erhaltung der Energie wie eine Heilsbotschaft in mich aufnahm. Unvergeßlich ist mir die Schilderung, die Müller uns zum besten gab, von einem Maurer, der einen schweren Ziegel-
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stein mühsam auf das Dach eines Hauses hinaufschleppt. Die Arbeit, die er dabei leistet, geht nicht verloren, sie bleibt unversehrt aufgespeichert, vielleicht jahrelang, bis vielleicht eines Tages der Stein sich löst und unten einem Menschen auf den Kopf fällt. Nach Absolvierung des Gymnasiums bezog ich die Universität, zuerst drei Jahre in München, dann noch ein Jahr in Berlin. Ich hörte Experimentalphysik und Mathematik; Lehrstühle für theoretische Physik gab es damals noch nicht. In München waren meine Lehrer der Physiker Ph. v o n j o l l y und die Mathematiker L u d w i g S e i d e l und G u s t a v B a u e r . Bei allen dreien habe ich viel gelernt und bewahre ihnen ein ehrendes Andenken. Daß sie aber in wissenschaftlicher Beziehung doch eigentlich nur lokale Bedeutung besaßen, merkte ich erst in Berlin, wo sich unter den Auspizien von H e r m a n n v o n H e l m h o l t z und G u s t a v K i r c h h o f f , deren bahnbrechende, in der ganzen Welt Beachtung findende Arbeiten ihren Schülern leicht zugänglich waren, mein wissenschaftlicher Horizont sich beträchtlich erweiterte. Allerdings muß ich gestehen, daß mir die Vorlesungen keinen merklichen Gewinn brachten. H e l m h o l t z hatte sich offenbar nie richtig vorbereitet, er sprach immer nur stockend, wobei er in einem kleinen Notizbuch sich die nötigen Daten heraussuchte, außerdem verrechnete er sich beständig an der Tafel, und wir hatten das Gefühl, daß er sich selber bei diesem Vortrag mindestens ebenso langweilte wie wir. Die Folge war, daß die Hörer nach und nach wegblieben; schließlich waren es nur noch drei, mich und meinen Freund, den späteren Astronomen R u d o l f L e h m a n n - F i l h € s , eingerechnet.
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Im Gegensatz dazu trug Kirchhoff ein sorgfältig ausgearbeitetes Kollegheft vor, in dem jeder Satz wohl erwogen an seiner richtigen Stelle stand. Kein Wort zu wenig, kein Wort zu viel. Aber das Ganze wirkte wie auswendig gelernt, trocken und eintönig. Wir bewunderten den Redner, aber nicht das, was er sagte. Unter diesen Umständen konnte ich mein Bedürfnis nach wissenschaftlicher Fortbildung nur dadurch stillen, daß ich zur Lektüre von Schriften griff, die mich interessierten, und das waren naturgemäß solche, die an das Energieprinzip anknüpften. So kam es, daß mir die Abhandlungen von R u d o l p h C l a u s i u s in die Hände fielen, deren wohlverständliche Sprache und einleuchtende Klarheit mir einen gewaltigen Eindruck machten und in die ich mich mit wachsender Begeisterung vertiefte. Insbesondere würdigte ich die von ihm gegebene genaue Formulierung der -beiden Hauptsätze der Wärmetheorie und die erstmalige Durchführung ihrer scharfen Trennung voneinander. Bis dahin war nämlich, als Konsequenz der stofflichen Wärmetheorie, die Auffassung allgemein gewesen, daß der Übergang der Wärme von höherer zu tieferer Temperatur gleichartig sei mit dem Herabsinken eines Gewichtes von höherer zu geringerer Höhe, und diese irrtümliche Anschauung ließ sich nicht so leicht verdrängen. C l a u s i u s leitete seinen Beweis des zweiten Hauptsatzes ab aus der Hypothese, daß „die Wärme nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergeht". Diese Hypothese bedarf aber einer besonderen Erläuterimg. Denn mit ihr soll nicht nur ausgedrückt werden, daß die Wärme nicht direkt aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergeht, sondern
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auch, daß es auf keinerlei Weise möglich, ist, Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren Körper zu schaffen, ohne daß in der Natur irgendeine als Kompensation dienende Veränderung zurückbleibt. In dem Bestreben, mir über diesen Punkt möglichst Klarheit zu schaffen, kam ich auf eine Formulierung der Hypothese, die mir einfacher und bequemer zu sein schien. Sie lautet: „Der Prozeß der Wärmeleitung läßt sich auf keinerlei Weise vollständig rückgängig machen." Damit ist dasselbe ausgedrückt wie durch die C l a u s i u s s c h e Fassung, ohne daß es einer besonderen Erläuterung bedarf. Einen Prozeß, der sich auf keinerlei Weise vollständig rückgängig machen läßt, nannte ich „natürlich", heute heißt er „irreversibel". Aber der Fehler, den man durch die allzu enge Interpretation des G l a u s i u s s e h e n Satzes begeht, und den ich mein ganzes Leben hindurch unermüdlich bekämpft habe, ist, wie es scheint, nicht auszurotten. Denn bis auf den heutigen Tag begegne ich statt der obigen Definition der Irreversibilität der folgenden: „Irreversibel ist ein Prozeß, der nicht in umgekehrter Richtung verlaufen kann." Das ist nicht ausreichend. Denn von vornherein ist es sehr wohl denkbar, daß ein Prozeß, der nicht in umgekehrter Richtung verlaufen kann, auf irgendeine Weise sich vollständig rückgängig machen läßt. Da die Entscheidimg darüber, ob ein Prozeß reversibel oder irreversibel ist, nur von der Beschaffenheit des Anfangszustandes und des Endzustandes abhängt, nicht aber von der Art seines Verlaufes, so ist bei einem irreversiblen Prozeß der Endzustand in einem gewissen Sinn vor dem Anfangszustand ausgezeichnet, die Natur besitzt sozusagen eine größere „Vor-
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liebe" für ihn. Als ein Maß für die Größe dieser Vorliebe ergab sich mir die Clausiussche Entropie, und als Sinn des zweiten Hauptsatzes das Gesetz, daß bei jedem Naturvorgang die Summe der Entropien aller an dem Vorgang beteiligter Körper zunimmt. Die vorstehenden Ausführungen verarbeitete ich zu meiner im Jahre 1879 vollendeten Münchener Doktordissertation. Der Eindruck dieser Schrift in der damaligen physikalischen Öffentlichkeit war gleich Null. Von meinen Universitätslehrern hatte, wie ich aus Gesprächen mit ihnen genau weiß, keiner ein Verständnis für ihren Inhalt. Sie ließen sie wohl nur deshalb als Dissertation passieren, weil sie mich von meinen sonstigen Arbeiten im physikalischen Praktikum und im mathematischen Seminar her kannten. Aber auch bei den Physikern, welche dem Thema an sich näher standen, fand ich kein Interesse, geschweige denn Beifall. H e l m h o l t z hat diese Schrift wohl überhaupt nicht gelesen, Kirchhoff lehnte ihren Inhalt ausdrücklich ab mit der Bemerkung, daß der Begriff der Entropie, deren Größe nur durch einen reversiblen Prozeß meßbar und daher auch definierbar sei, nicht auf irreversible Prozesse angewendet werden dürfe. An Clausius gelang es mir nicht heranzukommen, auf Briefe antwortete er nicht, und ein Versuch, mich ihm in Bonn persönlich vorzustellen, führte zu keinem Ergebnis, weil ich ihn nicht zu Hause antraf. Mit Carl N e u m a n n in Leipzig führte ich eine Korrespondenz, die völlig ergebnislos verlief. Solche Erfahrungen hinderten mich jedoch nicht, tief durchdrungen von der Bedeutung dieser Aufgabe, das Studium der Entropie, die ich neben der Energie als die wichtigste Eigen-
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schaft eines physikalischen Gebildes betrachtete, weiter fortzusetzen. Da ihr Maximum der Gleichgewichtszustand bezeichnet, so ergaben sich aus der Kenntnis der Entropie alle Gesetze des physikalischen und des chemischen Gleichgewichts. Das führte ich in den folgenden Jahren mit verschiedenen Arbeiten im einzelnen durch. Zunächst für Aggregatszustandsänderungen, in meiner Münchener Habilitätsschrift vom Jahre 1880, dann für Gasmischungen. Überall zeigten sich fruchtbare Ergebnisse. Leider war mir aber darin, wie ich erst nachträglich entdeckte, der große amerikanische Theoretiker J o s i a h W i l l a r d G i b b s zuvorgekommen, der die nämlichen Sätze, sogar teilweise in noch allgemeinerer Fassung, schon früher formuliert hatte, so daß mir auch auf diesem Gebiet keine äußeren Erfolge beschieden waren. Als Privatdozent in München wartete ich jahrelang vergeblich auf eine Berufung in eine Professur, worauf freilich wenig Aussicht bestand, da die theoretische Physik damals noch nicht als besonderes Fach galt. Um so dringender war mein Bedürfnis, mich irgendwie in der wissenschaftlichen Welt vorteilhaft bekanntzumachen. Von diesem Wunsch geleitet, entschloß ich mich zur Bearbeitung der für das Jahr 1887 von der Göttinger philosophischen Fakultät gestellten Preisaufgabe über das Wesen der Energie. Noch vor Vollendung dieser Arbeit, im Frühjahr 1885, erging an mich der Ruf als Extraordinarius für theoretische Physik an der Universität Kiel. Er kam mir vor wie eine Erlösung: den Augenblick, da mich der Ministerialdirektor A l t h o f f zu sich in das Hotel Marienbad bestellte und mir die näheren Bedingungen mitteilte, zähle ich zu den glücklichsten meines
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Lebens. Denn wenn ich auch im Elternhaus das denkbar schönste und behaglichste Leben führte, so war der Drang nach Selbständigkeit doch immer stärker in mir geworden, und ich sehnte mich nach der Gründung eines eigenen Haushaltes. Freilich vermutete ich nicht mit Unrecht, daß ich diesen Glücksfall nicht eigentlich meinen wissenschaftlichen Leistungen zu verdanken hatte, sondern vielmehr dem Umstand, daß der Kieler Professor der Physik G u s t a v K a r s t e n ein naher Freund meines Vaters war. Immerhin meine Freude war unbeschreiblich, und ich setzte meinen Ehrgeiz darein, das mir erwiesene Vertrauen nach allen Richtungen zu rechtfertigen. Sehr rasch erfolgte nun die Übersiedlung nach Kiel, dort wurde bald meine Arbeit für Göttingen beendet und mit dem zweiten Preis gekrönt. Außer meiner Bearbeitung der Aufgabe waren noch zwei andere eingegangen, welche nicht gekrönt wurden. Auf die einigermaßen naheliegende Frage, weshalb meine Arbeit es nicht bis zum ersten Preis gebracht hatte, suchte und fand ich die Antwort in dem ausführlichen Urteil der Göttinger Fakultät. Nach einigen minder ins Gewicht fallenden Bemängelungen heißt es dort: „Die Fakultät muß endlich den Bemerkungen, durch welche sich der Verfasser mit dem W e b er sehen Gesetz abzufinden sucht, ihre Zustimmung versagen." Mit diesen Bemerkungen hatte es folgende Bewandtnis: W. W e b e r war der Göttinger Professor der Physik, und es bestand damals zwischen W e b e r und H e l m h o l t z eine scharfe wissenschaftliche Kontroverse, in welcher ich mich ausdrücklich auf die Seite von H e l m h o l t z stellte. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich in diesem Umstand den Hauptgrund sehe, weshalb die Göttinger Fakultät mir den ersten
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Preis verweigerte. Hatte ich durch mein Verhalten den Beifall der Göttinger verscherzt, so zog ich dafür auf der andern Seite die Aufmerksamkeit der Berliner auf mich, und das sollte ich bald zu spüren bekommen. Nach Vollendung der Arbeit für Göttingen wandte ich mich wieder meinem Lieblingsthema zu und schrieb eine Anzahl von Aufsätzen, die ich unter dem gemeinsamen Titel: „Über das Prinzip der Vermehrung der Entropie" zusammenfaßte. Es wurden darin die Gesetze des Eintritts chemischer Reaktionen, sowie der Dissoziation von Gasen, und schließlich die Eigenschaften verdünnter Lösungen behandelt. Bezüglich der letzteren führte meine Theorie zu dem Schluß, daß die bei vielen Salzlösungen beobachteten Werte der Gefrierpunktserniedrigung nur durch eine Dissoziation der gelösten Stoffe erklärt werden können, und daß hiermit eine thermodynamische Begründung der ungefähr gleichzeitig von S v a n t e A r r h e n i u s aufgestellten elektrolytischen Dissoziationstheorie gegeben 6ei. Durch diese Feststellung geriet ich leider in einen ärgerlichen Konflikt. Denn A r r h e n i u s bestritt in ziemlich unfreundlicher Weise die Zulässigkeit meiner Beweisführung, indem er hervorhob, daß seine Hypothese sich auf Ionen, also auf elektrisch geladene Teilchen bezieht, worauf ich nur erwidern konnte, daß die thermodynamischen Gesetze unabhängig davon gelten, ob die Teilchen geladen sind oder nicht. Im Frühjahr 1889, nach dem Tod von Kirchhoff, wurde ich auf Vorschlag der Berliner philosophischen Fakultät als dessen Nachfolger zur Vertretung der theoretischen Physik an die Universität berufen, zuerst als Extraordinarius, von 1892 ab als Ordinarius. Das waren die Jahre, in denen ich wohl die
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stärkste Erweiterung meiner ganzen wissenschaftlichen Denkweise erfuhr. Denn nun kam ich zum erstenmal in nähere Berührung mit den Männern, welche damals die Führung iii der wissenschaftlichen Forschung der Welt inne hatten. Vor allem mit H e l m h o l t z . Ich lernte ihn aber auch von seiner menschlichen Seite kennen und ebenso hoch verehren, wie ich es in wissenschaftlicher Hinsicht von jeher getan hatte. Denn in seiner ganzen Persönlichkeit, seinem unbestechlichen Urteil, seinem schlichten Wesen verkörperte sich die Würde und die Wahrhaftigkeit seiner Wissenschaft. Dazu gesellte sich eine menschliche Güte, die mir tief zu Herzen ging. Wenn er im Gespräch mich mit. seinem ruhigen eindringlich forschenden und doch im Grunde wohlwollenden Auge anschaute, dann überkam mich ein Gefühl grenzenloser kindlicher Hingabe, ich hätte ihm ohne Rückhalt alles, was mir am Herzen lag, anvertrauen können, in der gewissen Zuversicht, daß ich in ihm einen gerechten und milden Richter finden -würde; und ein anerkennendes oder gar lobendes Wort aus seinem Munde konnte mich mehr beglücken als jeder äußere Erfolg. Ein paar Mal ist mir so etwas passiert. Dazu zähle ich den betonten Dank, den er mir in der Physikalischen Gesellschaft nach meiner Gedächtnisrede auf H e i n r i c h H e r t z aussprach, oder die Zustimmimg zu meiner Theorie der Lösungen, die er mir kurz vor meiner Erwählung in die Preußische Akademie der Wissenschaften äußerte. Jedes dieser kleinen Erlebnisse bewahre ich in meinem Gedächtnis wie einen unverlierbaren Schatz für mein ganzes Leben. Außer mit H e l m h o l t z kam ich auch mit W i l h e l m v o n B e z o l d , den ich schon von München her kannte, schnell in
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ein näheres Verhältnis. Desgleichen mit A u g u s t Kundt, dem temperamentvollen und wegen seiner echten Warmherzigkeit überall beliebten Direktor des Physikalischen Institutes. Nicht so leicht gelang mir das mit anderen Physikern. Da war z.B. A d o l p h P a a l z ö w , der Physiker an der Technischen Hochschule in Charlottenburg, ein gediegener Experimentator und dabei ein richtiger Berliner. Er behandelte mich stets 6ehr freundlich, aber ich hatte doch immer das Gefühl, daß er mich eigentlich für ziemlich überflüssig hielt. Ich war eben damals weit und breit der einzige Theoretiker, gewissermaßen ein Physiker 6ui generis, was mir den Einstand nicht ganz leicht machte. Ich glaubte auch deutlich zu spüren, daß mir die Herren Assistenten am Physikalischen Institut mit einer gewissen betonten Zurückhaltung begegneten. Doch mit der Zeit, als wir uns gegenseitig näher kennenlernten, kamen wir uns näher, und mit einem derselben, H e i n r i c h R u b e n s , hat mich später durch viele Jahre hindurch bis zu seinem frühzeitigen Tode herzliche Freundschaft verbunden. Ein besonderer Zufall wollte es, daß ich gleich beim Beginn meiner Berliner Tätigkeit für einige Zeit von einer Arbeit auf einem meinen speziellen physikalischen Interessen ferner liegenden Gebiete in Anspruch genommen wurde. Dem Institut für theoretische Physik war nämlich gerade zu dieser Zeit ein großes, von dem genialen Volksschullehrer Carl E i t z in Eisleben konstruiertes, für Rechnung des Ministeriums von der Pianofortefabrik S c h i e d m e y e r in Stuttgart erbautes Harmonium in natürlich reiner Stimmimg als Inventarstück überwiesen worden, und ich hatte die Aufgabe, an diesem Instrument Studien über die natürliche Stimmung zu machen. Das
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tat ich denn auch mit großem Interesse, besonders in bezug auf die Frage nach der Rolle, welche die natürliche Stimmung in unserer modernen, von Instrumentalbegleitung freien Vokalmusik spielt. Dabei kam ich zu dem mir einigermaßen unvermuteten Ergebnis, daß unser Ohr die temperierte Stimmung unter allen Umständen der natürlichen Stimmung vorzieht. Sogar in einem harmonischen Durdreiklang klingt die natürliche Terz gegenüber der temperierten Terz matt und ausdruckslos. Ohne Zweifel ist diese Tatsache in letzter Linie auf jähre- und generationenlange Gewöhnung zurückzuführen. Denn vor J o h . Seb. B a c h war die temperierte Stimmung überhaupt nicht allgemein bekannt. Die Übersiedlung nach Berlin brachte mir außer der Berührung mit interessanten Persönlichkeiten auch eine beträchtliche Erweiterung meiner wissenschaftlichen Korrespondenz. Vor allem wurde meine Aufmerksamkeit auf die von W. N e r n s t in Göttingen aufgestellte, äußerst fruchtbare Theorie gelenkt, nach welcher die in ungleichmäßig konzentrierten Lösungen von Elektrolyten auftretenden elektrischen Spannungen durch das Zusammenwirken der von den Ladungen herrührenden elektrischen Kraft mit dem osmotischen Druck zustande kommen. Es gelang mir, auf der Grundlage dieser Theorie die Potentialdifferenz an der Berührungsstelle zweier elektrolytischer Lösungen zu berechnen mittels einer Formel, wejche, wie mir N e r n s t brieflich mitteilte, durch seine Messungen bestätigt wurde. Anknüpfend an die Probleme der elektrischen Dissoziationstheorie entwickelte sich bald auch ein ausgedehnter Briefwechsel mit W i l h e l m O s t w a l d in Leipzig, der zu mancherlei kriti-
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sehen, aber immer in freundschaftlichem Ton geführten Auseinandersetzungen Anlaß gab. O s t w a l d , der seiner Natur nach stark zum Systematisieren neigte, unterschied drei verschiedene Arten der Energie, entsprechend den drei Raumdimensionen: die Distanzenergie, die Oberflächenenergie und die Raumenergie. Die Distanzenergie, sagte er, sei die Gravitation, die Oberflächenenergie, sagte er, sei die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit, die Raumenergie, sagte er, sei die Volumenenergie. Darauf erwiderte ich u. a., daß es keine Volumenenergie im O s t w a l d s e h e n Sinne gibt. Bei einem idealen Gas z. B. hängt die Energie sogar überhaupt nicht vom Volumen ab, sondern nur von der Temperatur. Läßt man ein ideales Gas sich ohne äußere Arbeitsleistung ausdehnen, so vergrößert sich das Volumen, aber die Energie bleibt unverändert, während nach O s t w a l d die Energie sich vermindern müßte, entsprechend der Verminderung des Drucks. Eine andere Kontroverse ergab sich im Anschluß an die Frage der Analogie des Überganges der Wärme von höherer zu tieferer Temperatur mit dem Herabsinken eines Gewichtes von größerer auf geringere Hohe. Ich hatte schon früher die Notwendigkeit einer scharfen Trennung dieser beiden Vorgänge betont. Denn sie unterscheiden sich ebenso grundsätzlich voneinander wie sich die beiden Hauptsätze der Wärmetheorie voneinander unterscheiden. Damit stieß ich aber auf den Widerspruch einer damals allgemein verbreiteten Ansicht, und es war mir nicht möglich, mich mit meiner Meinung bei den Fachgenossen durchzusetzen. Es gab sogar Physiker, welche die C l a u s i u s s c h e n Gedankengänge unnötig kompliziert und noch dazu unklar fanden, und welche es insbe-
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sondere ablehnten, durch die Einführung des Begriffes der Irreversibilität der Wärme eine Sonderstellung unter den verschiedenen Energiearten zuzuweisen. Sie schufen als Gegenstück zur C l a u s i u s s e h e n Wärmetheorie die sog. Energetik, deren erster Hauptsatz ebenso wie der C l a u s i u s s c h e das Prinzip der Erhaltung der Energie ausspricht, deren zweiter Hauptsatz aber, der die Richtung alles Geschehens anzeigen soll, den Wärmeübergang von höherer zu tieferer Temperatur in vollkommene Analogie stellt zu dem Herabsinken eines Gewichtes von größerer auf geringere Hohe. Damit hing dann zusammen, daß die Annahme einer Irreversibilität für den Beweis des zweiten Hauptsatzes als unwesentlich erklärt wurde, ferner auch, daß die Existenz eines absoluten Nullpunktes der Temperatur bestritten wurde unter Berufung darauf, daß man wie bei Höhenniveaus, so auch bei der Temperatur nur Differenzen messen könne. Es gehört mit zu den schmerzlichsten Erfahrungen meines wissenschaftlichen Lebens, daß es mir nur selten, ja, ich möchte sagen niemals gelungen ist, eine neue Behauptung, für deren Richtigkeit ich einen vollkommen zwingenden, aber nur theoretischen Beweis erbringen konnte, zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. So ging es mir auch diesmal. Alle meine guten Gründe fanden kein Gehör. Gegen die Autorität von Männern wie W. O s t w a l d , G . H e l m , E. M a c h war eben nicht aufzukommen. Daß meine Behauptung des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen der Wärmeleitung und dem Gewichtsherabfall schließlich sich als zutreffend erweisen würde, wußte ich ja mit vollkommener Sicherheit. Aber das Ärgerliche war, daß ich gar nicht die Genugtuung erlebte, mich durchgesetzt zu
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haben, sondern daß die allgemeine Anerkennung meiner Behauptung von einer ganz anderen Seite her herbeigeführt wurde, die mit den Überlegungen, durch welche ich meine Behauptung begründet hatte, in gar keinem Zusammenhang stand, nämlich von der atomistischen Theorie, wie sie durch L u d w i g B o l t z m a n n vertreten wurde. B o l t z m a n n war es gelungen, für eib gegebenes Gas in einem gegebenen Zustand eine Größe H zu bilden, welche die Eigenschaft besitzt, daß ihr Betrag mit der Zeit beständig abnimmt. Man braucht also nur den negativen Wert dieser Größe mit der Entropie zu identifizieren, um das Prinzip der Vermehrung der Entropie zu gewinnen. Damit war denn auch die Irreversibilität als charakteristisch für die Vorgänge in einem Gase nachgewiesen. So kam die tatsächliche Entwicklung der Dinge darauf hinaus, daß meine Behauptung des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen der Wärmeleitung und einem rein mechanischen Vorgang zwar den Sieg über die früher von hervorragenden Autoritäten vertretene Ansicht davontrug, daß aber meine Beteiligung bei dem Kampf ganz überflüssig war; denn auch ohne sie wäre der Umschwung genau ebenso eingetreten. Es versteht sich, daß dieser Kampf, in dem sich namentlich B o l t z m a n n und O s t w a l d gegenüberstanden, ziemlich lebhaft geführt wurde, und daß er auch zu manchen drastischen Effekten Anlaß gab, da die beiden Gegner sich an Schlagfertigkeit und natürlichem Witz ebenbürtig waren. Ich selber konnte dabei nach dem Gesagten nur die Holle eines Sekundanten von B o l t z m a n n spielen, dessen Dienste von diesem freilich gar nicht anerkannt, ja nicht einmal gern gesehen wurden.
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Denn B o l t z m a n n -wußte recht wohl, daß mein Standpunkt von dem seinigen wesentlich verschieden war. Insbesondere verdroß es ihn, daß ich der atomistischen Theorie, welche die Grundlage seiner ganzen Forschungsarbeit bildete, nicht nur gleichgültig, sondern sogar etwas ablehnend gegenüberstand. Das hatte darin seinen Grund, daß ich damals dem Prinzip der Vermehrung der Entropie die nämliche ausnahmslose Gültigkeit zuschrieb wie dem Prinzip der Erhaltung der Energie, während bei B o l t z m a n n jenes Prinzip nur als ein Wahrscheinlichkeitsgesetz erscheint, welches als solches auch Ausnahmen zuläßt. Die Größe H kann auch einmal zunehmen. Auf diesen Punkt war B o l t z m a n n bei der Ableitung seines sog. H-Theorems gar nicht eingegangen, und ein talentvoller Schüler von mir, E. Z e r m e l o , wies mit Nachdruck auf diesen Mangel einer strengen Begründung des Theorems hin. In der Tat fehlte in der Rechnung von B o l t z m a n n die Erwähnung der für die Gültigkeit seines Theorems unentbehrlichen Voraussetzung der molekularen Unordnung. Er setzte sie wohl als selbstverständlich voraus. Jedenfalls erwiderte er dem jungen Z e r m e l o mit beißender Schärfe, von der auch ein Teil mich selber traf, weil doch die Zermelosche Arbeit mit meiner Genehmigung erschienen war. Auf diese Weise kam es, daß B o l t z m a n n zeitlebens, auch bei späteren Gelegenheiten, sowohl in seinen Publikationen als auch in unserer Privatkorrespondenz einen gereizten Ton gegen mich beibehielt, der erst in der letzten Zeit seines Lebens, als ich ihm von der atomistischen Begründung meines Strahlungsgesetzes berichtete, einer freundlichen Zustimmimg wich. Daß B o l t z m a n n in dem Kampf gegen O s t w a l d und die
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Energetiker sich schließlich durchsetzte, war für mich nach dem Gesagten eine Selbstverständlichkeit. Die grundsätzliche Verschiedenheit der Wärmeleitung von einem rein mechanischen Vorgang wurde allgemein anerkannt. Dabei h a t t e ich Gelegenheit, eine, wie ich glaube, bemerkenswerte Tatsache festzustellen. Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist. I m übrigen boten die hier geschilderten Auseinandersetzungen für mich verhältnismäßig nur wenig Reiz, da etwas Neues dabei nicht herauskommen konnte. Mein Interesse wandte sich daher bald einem ganz anderen Problem zu, das mich f ü r längere Zeit in seinem Bann festhalten und zu verschiedenen Arbeiten anregen sollte. Durch die zur Erforschung des Wärmespektrums ausgeführten Messungen von O. L U m m e r und E. P r i n g s h e i m in der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt wurde meine Aufmerksamkeit auf den K i r c h h o f f sehen Satz gelenkt, daß in einem evakuierten, von total reflektierenden Wänden begrenzten Hohlraum, der ganz beliebige emittierende und absorbierende Körper enthält, sich im Laufe der Zeit ein Zustand herstellt, in welchem alle Körper die nämliche Temperatur haben und die Strahlung in allen ihren Eigenschaften, auch in ihrer spektralen Energieverteilung, nicht von der Beschaffenheit der Körper, sondern einzig und allein von der Temperatur abhängt. Diese sog. normale Energieverteilung stellt also etwas Absolutes dar, und da das
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Suchen nach dem Absoluten mir stets als die schönste Forschungsaufgabe erschien, so machte ich mich mit Eifer an ihre Bearbeitung. Als ein direkter Weg zur Lösung bot sich die Benutzung der Maxwellschen elektromagnetischen Lichttheorie. Ich dachte mir nämlich den Hohlraum erfüllt von einfachen linearen Oszillatoren oder Resonatoren schwacher Dämpfung mit verschiedenen Eigenperioden, und erwartete, daß der durch die gegenseitige Zustrahlung bewirkte Energieaustausch der Oszillatoren im Laufe der Zeit zu dem stationären, dem K i r c h h o f f s c h e n Gesetz entsprechenden Zustand der normalen Energieverteilung führen würde. Eine Frucht dieser längeren Reihe von Untersuchungen, von denen einzelne durch Vergleich mit vorliegenden Beobachtungen, z . B . den Dämpfungsmessungen von V. B j e r k n e s , geprüft werden konnten und sich dabei bewährten, war die Aufstellung der allgemeinen Beziehung zwischen der Energie eines Oszillators von bestimmter Eigenperiode und der Energiestrahlung des entsprechenden Spektralgebietes im umgebenden Feld beim stationären Energieaustausch. Es ergab sich dabei das bemerkenswerte Resultat, daß diese Beziehung gar nicht abhängt von der Dämpfungskonstante des Oszillators — ein Umstand, der mir deshalb sehr erfreulich und willkommen war, weil sich dadurch das ganze Problem insofern vereinfachen ließ, als statt der Energie der Strahlung die Energie des Oszillators gesetzt werden konnte, und dadurch an die Stelle eines verwickelten, aus vielen Freiheitsgraden zusammengesetzten Systems ein einfaches System von einem einzigen Freiheitsgrad trat. Freilich bedeutete dieses Ergebnis nicht mehr als einen vorbereitenden Schritt zur Inangriffnahme des eigentlichen
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Problems, das nun in seiner ganzen unheimlichen Höhe um so steiler vor mir aufstieg. Der erste Versuch zu seiner Bewältigung mißlang; denn meine ursprüngliche stille Hoffnung, die von dem Oszillator emittierte Strahlung werde 6ich in irgendeiner charakteristischen Weise von der absorbierten Strahlung unterscheiden, erwies sich als trügerisch. Der Oszillator reagiert nur auf diejenigen Strahlen, die er auch emittiert und zeigt sich nicht im mindesten empfindlich gegen benachbarte Spektralgebiete. Zudem rief meine Unterstellung, der Oszillator vermöge eine einseitige, also irreversible Wirkung auf die Energie des umgebenden Feldes auszuüben, den energischen Widerspruch von B o l t z m a n n hervor, der mit seiner reiferen Erfahrung in "diesen Fragen den Nachweis führte, daß nach den Gesetzen der klassischen Dynamik jeder der von mir betrachteten Vorgänge auch in genau entgegengesetzter Richtung verlaufen kann, derart, daß eine einmal von dem Oszillator emittierte Kugelwelle umgekehrt von außen nach innen fortschreitend bis auf den Oszillator zusammenschrumpft, von ihm wieder absorbiert wird und ihn dadurch veranlaßt, die vormals absorbierte Energie nach derjenigen Richtung, von der sie gekommen war, wieder von sich zu geben. Derartige singulare Vorgänge, wie einwärts gerichtete Kugelwellen, konnte ich nun freilich dadurch ausschließen, daß ich eine besondere Festsetzung einführte: Die Hypothese der natürlichen Strahlung, welche in der Strahlentheorie dieselbe Rolle spielt, wie die Hypothese der molekularen Unordnung in der kinetischen Gastheorie, indem sie die Irreversibilität der Strahlungsvorgänge verbürgt. Aber die Rechnungen zeigten immer deutlicher, daß zur Er-
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fassung des Kernpunktes der ganzen Frage noch ein wesentliches Bindeglied fehlte. So blieb mir nichts übrig, als das Problem einmal von der entgegengesetzten Seite in Angriff zu nehmen: von der Thermodynamik her, auf deren Boden ich mich ohnehin von Hause aus sicherer fühlte. In der Tat kamen mir hier meine früheren Studien über den zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie dadurch zugute, daß ich gleich von vorneherein darauf verfiel, nicht die Temperatur, sondern die Entropie des Oszillators mit Beiner Energie in Beziehung zu bringen. Bei der Beschäftigung mit diesem Problem fügte es das Schicksal, daß ein früher von mir als unliebsam empfundener Umstand: der Mangel an Interesse der Fachgenossen für die von mir eingeschlagene Forschungsrichtung, jetzt gerade umgekehrt meiner Arbeit als eine gewisse Erleichterung zugute kam. Damals hatten sich nämlich eine ganze Anzahl hervorragender Physiker sowohl von der experimentellen als auch von der theoretischen Seite her dem Problem der Energieverteilung im Normalspektrum zugewandt. Aber sie suchten alle nur in der Richtung, die Strahlungsintensität in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur darzustellen, während ich in der Abhängigkeit der Entropie von der Energie den tieferen Zusammenhang vermutete. Da die Bedeutung des Entropiebegriffs damals noch nicht die ihr zukommende Würdigung gefunden hatte, so kümmerte sich niemand um die von mir benützte Methode, und ich konnte in aller Muße und Gründlichkeit meine Berechnungen anstellen, ohne von irgendeiner Seite eine Störung oder Überholung befürchten zu müssen. Da für die Irreversibilität des Energieaustausches zwischen einem Oszillator und der ihn erregenden Strahlung der zweite
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Differentialquotient seiner Entropie nach seiner Energie von charakteristischer Bedeutung ist, so berechnete ich den Wert dieser Größe für den Fall der Gültigkeit des damals im Vordergrund des Interesses stehenden Wien sehen Energieverteilungsgesetzes und fand das merkwürdige Ergebnis, daß für diesen Fall das Reziproke jenes Wertes, das ich hier mit R bezeichnen will, proportional der Energie ist. Dieser Zusammenhang ist so überraschend einfach, daß ich ihn eine Zeitlang für ganz allgemein hielt und mich bemühte, ihn theoretisch zu begründen. Indessen erwies sich diese Auffassung doch bald als unhaltbar gegenüber den Ergebnissen neuerer Messungen. Während sich nämlich für kleine Werte der Energie, beziehungsweise für kurze Wellen, das Wien sehe Gesetz auch in der Folge ausgezeichnet bestätigte, stellten für größere Werte der Energie, beziehungsweise für lange Wellen, zuerst L u m m e r und P r i n g s heim merkliche Abweichungen fest, und vollends die von H. Rubens und F. Kurlbaum mit den ultraroten Reststrahlen von Flußspat und Steinsalz ausgeführten Messungen offenbarten ein total verschiedenartiges, aber ebenfalls wieder insofern einfaches Verhalten, als die Größe R nicht der Energie, sondern dem Quadrat der Energie proportional wird, falls man zu größeren Energien und Wellenlängen übergeht. So waren durch direkte Erfahrimg für die Funktion R zwei einfache Grenzen festgelegt: für kleine Energien Proportionalität mit der Energie, für größere Energien Proportionalität mit dem Quadrat der Energie. Es versteht sich, daß ebenso wie jedes Energieverteilungsprinzip einen bestimmten Wert von R liefert, so auch jeder Ausdruck von R zu einem bestimmten Energieverteilungsgesetz führt, und es handelte sich nun
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darum, denjenigen Ausdruck von R zu finden, der das durch die Messungen festgestellte Energieverteilungsgesetz ergibt. Nun lag nichts näher, als für den allgemeinen Fall die Größe R gleichzusetzen der Summe eines Gliedes mit der ersten Potenz und eines Gliedes mit der zweiten Potenz der Energie, so daß für kleine Energien das erste, für große Energien das zweite Glied ausschlaggebend wird, und damit war die neue Strahlungsformel gefunden, welche ich in der Sitzung der Berliner Physikalischen Gesellschaft am 19. Oktober 1900 vorlegte und zur Prüfung empfahl. Am Morgen des nächsten Tages suchte mich der Kollege Rubens auf und erzählte, daß er nach Schluß der Sitzung noch in der nämlichen Nacht meine Formel mit seinen Messungsdaten genau verglichen und überall eine befriedigende Übereinstimmung gefunden habe. Auch Lummer und Pringsheim, die anfänglich Abweichungen festgestellt zu haben glaubten, zogen bald darauf ihren Widerspruch zurück, da, wie mir Pringsheim mündlich mitteilte, sich herausstellte, daß die gefundenen Abweichungen durch einen Rechenfehler verursacht waren. Auch durch spätere Messungen wurde die Strahlungsformel immer wieder bestätigt, und zwar um so genauer, zu je feineren Messungsmethoden man überging. Aber selbst wenn man ihre absolut genaue Gültigkeit voraussetzt, würde die Strahlungsformel lediglich in der Bedeutung eines glücklich erratenen Gesetzes doch nur eine formale Bedeutung besitzen. Darum war ich von dem Tage ihrer Aufstellung an mit der Aufgabe beschäftigt, ihr einen wirklichen physikalischen Sinn zu verleihen, und diese Frage führte mich von selbst auf die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen FntTnni«
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Gedankengänge. Da die Entropie S eine additive, die Wahrscheinlichkeit W aber eine multiplikative Größe ist, so setzte ich einfach S— k- log W, wo k eine universelle Konstante bezeichnet, und untersuchte nun die Frage, ob der Ausdruck von W, der sich ergibt, falls man für die Entropie S den dem gefundenen Strahlungsgesetz entsprechenden Wert einsetzt, sich als eine Wahrscheinlichkeitsgröße deuten läßt. Als Resultat dieser Untersuchung* stellte sich heraus, daß dies in der Tat möglich ist, und daß dabei k die sog. absolute Gaskonstante vorstellt, aber nicht bezogen auf Grammoleküle oder Mole, sondern auf die wirklichen Moleküle. Sie wird öfters verständlicherweise als die B o l t z mann sehe Konstante bezeichnet. Dazu ist allerdings zu bemerken, daß B o l t z m a n n diese Konstante weder jemals eingeführt noch meines Wissens überhaupt daran gedacht hat, nach ihrem numerischen Wert zu fragen. Denn dann hätte er auf die Zahl der wirklichen Atome eingehen müssen — eine Aufgabe, die er aber ganz seinem Kollegen J. L o s c h m i d t überließ, während er selbst bei seinen Rechnungen stets die Möglichkeit im Auge behielt, daß die kinetische Gastheorie nur ein mechanisches Bild darstellt. Daher genügte es ihm, bei den Grammatomen stehen zu bleiben. Der Buchstabe k hat sich erst ganz allmählich durchgesetzt. Noch mehrere Jahre nach seiner Einführung pflegte man stattdessen mit der Lo>schmidtschen Zahl L zu rechnen, welche die einem Grammatom entsprechende Atomzahl ausdrückt. * „Dieses Resultat, enthaltend die Einführung der endlichen Energiequanten f ü r den Oscillator, trug Max Planck am 14. 12. 1900 wieder vor der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin vor. Das war der Geburtstag der Quantentheorie. (Zusatz von M. v. Laue)".
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Was nun die Größe W anbetrifft, so erwies es sich, um diese Größe als eine Wahrscheinlichkeit deuten zu können, als notwendig, eine neue universelle Konstante einzuführen, die ich mit h bezeichnete und da sie von der Dimension des Produktes Energie x Zeit ist, das elementare Wirkungsquantum nannte. Damit war also das Wesen der Entropie als ein Maß der Wahrscheinlichkeit im Sinne B o l t z m a n n s auch in der Strahlung festgestellt. Besonders deutlich zeigte sich das in einem Satz, von dessen Gültigkeit mich der mir am nächsten stehende meiner Schüler, Max v o n L a u e , in mehrfachen Gesprächen überzeugte, daß die Entropie zweier kohärenter Strahlenbündel kleiner ist als die Summe der Entropien der einzelnen Bündel, ganz entsprechend dem Satz, daß die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens zweier voneinander abhängiger Ereignisse verschieden ist von dem Produkt der einzelnen Ereignisse. Wenn nun die Bedeutung des Wirkungsquantums für den Zusammenhang zwischen Entropie und Wahrscheinlichkeit endgültig feststand, so blieb doch die Frage nach der Rolle, welche diese neue Konstante bei dem gesetzlichen Ablauf der physikalischen Vorgänge spielt, noch vollständig ungeklärt. Darum bemühte ich mich alsbald, das Wirkungsquantum h irgendwie in den Rahmen der klassischen Theorie einzuspannen. Aber allen solchen Versuchen gegenüber erwies sich diese Größe als sperrig und widerspenstig. Solange man sie als unendlich klein betrachten durfte, also bei größeren Energien und längeren Zeitperioden, war alles in schönster Ordnung. Im allgemeinen Fall jedoch klaffte an irgendeiner Stelle ein Riß, der um so auffallender wurde, zu je schnelleren Schwingungen man überging. Das Scheitern aller Versuche, diese Kluft zu überbrücken, ließ
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bald keinen Zweifel mehr daran übrig, daß das Wirkungsquantum in der Atomphysik eine fundamentale Rolle spielt und daß mit seinem Auftreten eine neue Epoche in der physikalischen Wissenschaft anhebt. Denn in ihm kündet sich etwas bis dahin Unerhörtes an, das berufen ist, unser physikalisches Denken, welches seit der Begründung der Infinitesimalrechnung durch L e i b n i z und N e w t o n sich auf der Annahme der Stetigkeit aller kausalen Zusammenhänge aufbaut, von Grund aus umzugestalten. Meine vergeblichen Versuche, das Wirkungsquantum irgendwie der klassischen Theorie einzugliedern, erstreckten sich auf eine Reihe von Jahren und kosteten mich viel Arbeit. Manche Fachgenossen haben darin eine Art Tragik erblickt. Ich bin darüber anderer Meinung. Denn für mich war der Gewinn, den ich durch solch gründliche Aufklärung davontrug, um so wertvoller. Nun wußte ich ja genau, daß das Wirkungsquantum in der Physik eine viel bedeutendere Rolle spielt, als ich anfangs geneigt war anzunehmen, und gewann dadurch ein volles Verständnis für die Notwendigkeit der Einführung ganz neuer Betrachtungs- und Rechnungsmethoden bei der Behandlung atomistischer Probleme. Der Ausbildung solcher Methoden, bei der ich selber nun allerdings nicht mehr mitwirken konnte, dienten vor allem die Arbeiten von N i e l s B o h r und von E r w i n S c h r ö d i n g e r . Ersterer legte mit seinem Atommodell und mit seinem Korrespondenzprinzip den Grund zu einer sinngemäßen Verknüpfung der Quantentheorie mit der klassischen Theorie. Letzterer schuf durch seine Differentialgleichung die Wellenmechanik und damit den Dualismus zwischen Welle und Korpuskel. Wenn so in der geschilderten Weise die Quantentheorie all-
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mählich, in den Mittelpunkt meines ganzen physikalischen Interesses hineingerückt war, so sollte sich hierzu eines Tages ein anderes Prinzip gesellen, das mich in einen neuen Ideenkreis einführte. Im Jahr 1905 erschien in den Annalen der Physik ein Aufsatz von A. E i n s t e i n , welcher die Grundgedanken der Relativitätstheorie enthält, und dessen Ausführungen sofort meine rege Aufmerksamkeit erweckten. Zur Vermeidung eines naheliegenden Mißverständnisses muß ich hier einige erläuternde Bemerkungen allgemeinerer Art einschalten. Gleich am Anfang meiner Lebensdarstellung habe ich betont, daß das Suchen nach dem Absoluten mir als die schönste wissenschaftliche Aufgabe erscheint. Man könnte darin einen Widerspruch gegen mein Interesse für die Relativitätstheorie erblicken. Diese Mutmaßung beruht auf einem grundsätzlichen Irrtum. Denn alles Relative setzt etwas Absolutes voraus, es hat nur dann einen Sinn, wenn ihm ein Absolutes gegenübersteht. Der oft gehörte Satz: „Alles ist relativ" ist ebenso irreführend wie gedankenlos. So liegt auch der sog. Relativitätstheorie etwas Absolutes zugrunde, nämlich die Maßbestimmung des Raum-Zeitkontinuums, und es ist gerade eine besonders reizvolle Aufgabe, das Absolute ausfindig zu machen, welches einem vorliegenden Relativen erst seinen Sinn verleiht. Ausgehen können wir immer nur vom Relativen. Alle unsere Messungen sind relativer Art. Das Material der Instrumente, mit denen wir arbeiten, ist bedingt durch den Fundort, von dem es stammt, ihre Konstruktion ist bedingt durch die Geschicklichkeit des Technikers, der sie ersonnen hat, ihre Handhabung ist bedingt durch die speziellen Zwecke, die der Experimentator mit ihnen erreichen will. Aus allen diesen Daten
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gilt es das Absolute, Allgemeingültige, Invariante herauszufinden, was in ihnen steckt. So ist es auch mit der Relativitätstheorie. Ihre Anziehungskraft für mich bestand darin, daß ich bemüht war, aus allen ihren Sätzen das Absolute, Invariante abzuleiten, das ihnen zugrunde liegt. Das gelang in verhältnismäßig einfacher Weise. Zunächst verleiht die Relativitätstheorie einer Größe, die in der klassischen Theorie nur eine relative Bedeutung hat, einen absoluten Sinn: der Lichtgeschwindigkeit. Wie das Wirkungsquantum in der Quantentheorie, so bildet die Lichtgeschwindigkeit in der Relativitätstheorie den absoluten Kernpunkt. In Zusammenhang damit erweist sich ein allgemeines Prinzip der klassischen Theorie: das Prinzip der kleinsten Wirkung, auch der Relativitätstheorie gegenüber als invariant, und dementsprechend behält die Wirkungsgröße ihre Bedeutung auch in der Relativitätstheorie. Das suchte ich im Einzelnen auszuführen, zuerst für einen Massenpunkt, dann für eine Hohlraumstrahlung. Dabei ergab sich u. a. die Trägheit der Strahlung und die Invarianz der Entropie gegenüber der Geschwindigkeit des Bezugssystems. Aber das ist noch nicht alles. Das Absolute zeigte sich dem Wesen der Naturgesetzlichkeit noch tiefer verwurzelt als man lange Zeit hindurch angenommen hatte. Im Jahre 1906 trat W. N e r n s t mit seinem neuen oft auch als dritter Hauptsatz der Wärmetheorie bezeichneten Wärmetheorem hervor, dessen Inhalt, wie ich alsbald feststellte, auf die Hypothese hinausläuft, daß die Entropie, die bis dahin nur bis auf eine additive Konstante definiert war, einen absoluten positiven Wert besitzt. Dieser Wert, aus dem alle Gleichgewichtsbedingungen folgen,
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läßt sich von vorneherein berechnen. Für einen chemisch homogenen, d. h. aus gleichartigen Molekülen bestehenden festen oder flüssigen Körper von der absoluten Temperatur Null ist er gleich Null. Schon dieser Satz enthält eine wichtige Tatsache, nämlich die, daß die spezifische Wärme eines festen oder flüssigen Körpers beim Nullpunkt der absoluten Temperatur verschwindet. Bei andern Temperaturen ergeben sich fruchtbare Folgerungen für die Schmelztemperatur eines Körpers und für die Umwandlungstemperatur ätiotroper Modifikationen. Geht man von chemisch homogenen festen und flüssigen Körpern zu Körpern mit verschiedenartigen Molekülen oder zu Losungen und zu Gasen über, so geschieht die Berechnung der absoluten Entropie durch kombinatorische Betrachtungen, bei denen das elementare Wirkungsquantum herangezogen werden muß. Daraus ergeben sich dann die chemischen Eigenschaften eines beliebigen Körpers, und damit finden alle Fragen nach dem physikalisch-chemischen Gleichgewicht ihre vollständige Beantwortung. Was allerdings den zeitlichen Verlauf von Vorgängen betrifft, so treten hier andere Kräfte ins Spiel, über die man aus dem Wert der Entropie keinen Aufschluß gewinnen kann. Wenn ich mit meinem zunehmenden Alter an der wissenschaftlichen Forschung allmählich immer weniger unmittelbaren Anteil nehmen konnte, so entwickelte sich dafür eine häufigere wissenschaftliche Korrespondenz, die vielfach anregend und fördernd auf mich einwirkte. In dieser Hinsicht hebe ich besonders hervor den Briefwechsel mit Cl. S c h a e f e r , dessen „Einführung in die theoretische Physik" ich in pädagogischer Hinsicht für unübertrefflich halte, über seine Darstellung
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des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, und den mit A. S o m m e r f e l d über das Problem der Quantisierung von Systemen mit mehreren Freiheitsgraden. Dieser Briefwechsel gipfelte sogar in einem poetischen Abschluß, den ich hierher setzen will, obwohl ich daran auszusetzen habe, daß Sommerf e l d seinen eigenen Leistungen auf diesem Gebiet völlig ungenügend gerecht wird. S o m m e r f e l d äußerte sich nämlich, hinweisend auf meine Untersuchungen über die Struktur des Phasenraumes: „Der sorgsam urbar macht das neue Land, Dieweil ich hier und da ein Blumensträußchen fand." Darauf konnte ich nur erwidern: „Was ich gepflückt, was Du gepflückt, Das wollen wir verbinden, Und da sich eins zum andern schickt, Den schönsten Kranz draus winden." Meinem Bedürfnis, sowohl von den gesicherten Ergebnissen meiner wissenschaftlichen Arbeit als auch von meiner im Laufe der Zeit gewonnenen Stellung gegenüber allgemeineren Fragen, wie die nach dem Sinn der exakten Wissenschaft, nach ihrem Verhältnis zur Religion, nach der Beziehung der Kausalität fcur Willensfreiheit, möglichst vollständig Zeugnis abzulegen, entsprach es, wenn ich den zahlreichen, im Lauf der Jahre immer häufiger anNmich ergangenen Einladungen zu Vorträgen in Akademien, Universitäten, gelehrten Gesellschaften und Veranstaltungen für weitere Kreise stets gern Folge leistete und davon manche wertvolle Anregung persönlicher Art mitgenommen habe, die ich für den Rest meines Lebens dankbar aufbewahre. —
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Physikalische
Gesellschaft
zu
Berlin
Feier des 80. Geburtstages des Ehrenmitgliedes der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Herrn Geheimrat Professor Dr.
Max Planck am Sonnabend, dem 23. April 1938 im Harnack=Haus in Berlin=Dahlem I. Teil: Festsitzung im Helmholtz=Saal des Harnack=Hauses Vorsitzender: Hr. C. Ramsauer Der Vorsitzende, H r . C. R a m s a u e r , eröffnete die Festsitzung mit folgender Begrüßungsansprache: Meine Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Auftrage der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin eröffne ich unsere heutige Pestsitzung und heiße Sie alle als unsere Gäste herzlich willkommen. — Im einzelnen begrüße ich: Se. Exzellenz, den Herrn Botschafter von Prankreich. Se. Exzellenz, den Herrn Botschafter der Schweiz, die Vertreter des Auswärtigen Amtes und des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung,
403 den Prorektor der Universität Berlin und den Rektor der Technischen Hochschule Berlin, die Sekretäre der Preußischen Akademie der Wissenschaften und den Präsidenten der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft. Ferner begrüße ich: die Deutsche Physikalische Gesellschaft mit allen ihren Ehrengästen und Gauvertretern, sowie die uns befreundeten Vereine, nämlich die die die die
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Deutsche Gesellschaft für technische Physik, Deutsche Chemische Gesellschaft und Deutsche Bunsen- Gesellschaft.
Vor allem aber begrüße ich den Jubilar unserer Festsitzung, Herrn Geheimrat P l a n c k . Sehr verehrter Herr Geheimrat! Die Welt feiert Sie an dem heutigen Tage als den großen Theoretiker, der durch die Entdeckung des Wirkungsquantums der Physik und ihren Nachbargebieten neue Wege gewiesen hat; wir sehen in Ihnen gleichzeitig den Freund unserer Gesellschaft, der seit fast 50 Jahren aufs engste mit uns verbunden ist. Von dieser langjährigen Verbundenheit möchte ich hier sprechen. Es ist dabei nicht zu befürchten, daß ich in Äußerlichkeiten stecken bleibe, denn gerade Ihr größter Erfolg, die Aufstellung der Strahlungsformel und die Einführung der Energiequanten, ist mit der Geschichte unserer Gesellschaft aufs engste verknüpft. Zunächst erinnere ich an einige Daten: 1889, d . h . sofort nach Ihrer Berufung auf den Berliner Lehrstuhl, traten Sie in die damalige Berliner Physikalische Gesellschaft ein. Seit diesem Zeitpunkt haben Sie in verschiedenen Ämtern dem Vorstand angehört, 1892 bis 1905 als Rechnungsführer und stellvertretender Rechnungsführer, 1905/06, 1907/08 und 1915/16 als Vorsitzender, außerdem 12 Jahre als Beisitzer. Sie haben also 81 Jahre hindurch alle Lasten unserer Kleinarbeit mitgetragen, haben aber auch Ihre Erfahrungen zur Geltung bringen können, als es 1920 galt, für die Deutsche Physikalische Gesellschaft eine neue würdige Form zu finden. Wenn heute die Deutsche Physikalische Gesellschaft mit ihren Gauvereinen im Reich und mit der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, als ihrem Berliner Gauverein, zu einer lebensvollen harmonischen Organisation geworden ist, so ist das nicht zum kleinsten Teil auch Ihr Verdienst. 1927 endet Ihre Mitgliedschaft mit Ihrer Ernennung zum Ehrenmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.
404 Über diese äußere Betätigung hinaus haben Sie der Gesellschaft alles gegeben, was ein Forscher einer wissenschaftlichen Gesellschaft geben kann. Sie haben uns teilnehmen lassen an den Ergebnissen und, was weit mehr sagen will, an der Entwicklung Ihrer Arbeiten, wie über 20 Vorträge in den Sitzungen unserer Gesellschaft bezeugen. Das größte Beispiel dieser Art bietet Ihre Strahlungsformel. Dieser entscheidende Fortschritt der theoretischen Physik ist zum ersten Male an die Öffentlichkeit getreten in der Form einer D i s k u s s i o n s b e m e r k u n g zu einem Vortrage unserer Gesellschaft. Vielleicht darf ich das Protokoll dieser denkwürdigen Sitzung einmal kurz aus den Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft 1 ) vorlesen: Sitzung vom 19. Oktober 1900. Vorsitzender: Hr. E. W a r b u r g . (Der Vorsitzende gibt zuerst einige geschäftliche Mitteilungen.) H r . E. L a m p e spricht dann einen Nachruf für Prof. Dr. R e i n h o l d Hoppe. Hr. F . K u r l b a u m berichtet nach gemeinsam mit Hrn. H. R u b e n s angestellten Versuchen über die Emission langer Wellen durch den schwarzen Körper. Bei der sich an diesen Vortrag anschließenden lebhaften Diskussion spricht Hr. M. P l a n c k über eine Verbesserung der W i e n s c h e n Spektralgleichung. Ihre Diskussionsbemerkung bringt gegenüber der W i e n s c h e n Spektralgleichung den Fortschritt einer vollständigen Übereinstimmung mit der Erfahrung, gegenüber der damaligen L u m m e r s e h e n Formel die Möglichkeit eines tieferen Verständnisses des Strahlungsvorganges, das d i e L u m m e r sche Formel verbaut hatte, als sie zur Anpassung an die Versuchsergebnisse den Exponenten 1,8 einführen mußte. Sie ist übrigens keine Diskussionsbemerkung in dem Sinne, daß sie erst gelegentlich des Vortrages entstanden wäre, sondern eir. wohl vorbereiteter Beitrag zum Vortragsthema (wie aus der drei Seiten lar.gen Darstellung der Verhandlungen hervorgeht). Sie zeigt aber doch noch alle Spuren des Werdens. Der Formel selbst fehlt noch die eigentliche Begründung, den Konstanten die tiefere Bedeutung. Beides haben Sie der Physikalischen Gesellschaft am 14. Dezember 1900 gebracht in einem Vortrage, der nur durch 8 Wochen Zeit, aber durch eine geistige Anspannung von außerordentlicher Größe von der ersten Diskussionsbemerkung getrennt ist. In diesen 8 Wochen sind Sie zum Wirkungsquantum h und zu den Energiequanten h • v durchgedrungen. Diese Entdeckung gibt jetzt der Strahlungsformel ihre allgemeine Begründung und leitet darüber hinaus eine neue Epoche der Physik ein. Die Konstanten !) Bd. 2. 1900, S. 163.
405 der Strahlungsformel haben j e t z t physikalisches Leben gewonnen und können bereits zur Berechnung von vier grundlegenden Naturkonstanten benutzt werden. Besonders wird das Elementarquantum der Elektrizität bestimmt zu 4,69 • 1 0 - 1 0 elektrostatischen Einheiten gegenüber den damaligen experimentellen Werten 1,29 und 6,5. Welcher Triumpf für die theoretische und experimentelle Physik, als 1908 B u t h e r f o r d und G e i g e r 4,65 • 10~ 1 0 durch einwandfreie Messung feststellen! Der damalige Vortrag schließt mit der stolzen Schlußbemerkung: „Alle diese Beziehungen beanspruchen, wenn die Theorie überhaupt richtig ist, nicht annähernde, sondern absolute Gültigkeit. Daher hängt die Genauigkeit der berechneten Zahlen wesentlich mit derjenigen der relativ unsichersten, der Strahlungskonstanten k, zusammen und übertrifft somit bei weitem alle bisherigen Bestimmungen dieser Größen. Ihre Prüfung durch direktere Methoden wird eine ebenso wichtige, wie notwendige Aufgabe der weiteren Forschung s e i n " 1 ) . E s ist eine große Gabe, die Sie damals der Gesellschaft gebracht haben, aber eine Gabe, die nicht unverdient war. Waren es doch fast alles Mitglieder unserer Gesellschaft, wie L u m m e r , P r i n g s h e i m , K u r l b a u m und R u b e n s , die das Beobachtungsmaterial geliefert haben, das Sie zu Ihrer Strahlungsformel und zum Wirkungsquantum geführt hat. Erst am 7. J a n u a r 1901, also erst im nächsten Jahrhundert, wird diese Entdeckung den Annalen der Physik eingereicht und hat seitdem erst langsam, dann in immer steigendem Maße die Entwicklung der ganzen Physik und ihrer Nachbargebiete u n t e r ' i h r e Herrschaft gebracht. Ausgegangen aber ist sie von dem bescheidenen Sitzungsraum unserer Gesellschaft. So sind Sie, sehr verehrter Herr Geheimrat, in äußerer Tätigkeit und innerer Anteilnahme seit fast 50 Jahren der unsrige. Die Physikalische Gesellschaft zu Berlin ist stolz darauf, Sie auch heute als ihren Ehrengast begrüßen zu dürfen und Ihnen persönlich gratulieren zu können. So spreche ich Ihnen denn, sehr verehrter Herr Geheimrat, hiermit den herzlichsten Glückwunsch unserer Gesellschaft zu Ihrem 80. Geburtstage aus! E s sprach sodann der Schriftleiter der „Annalen der P h y s i k " , Hr. E. Grüneisen (Marburg a. d. L a h n ) : Daß ich als Schriftleiter der ältesten deutschen physikalischen Zeitschrift die E h r e habe, in dieser Feierstunde das Wort zu nehmen, hat zweierlei Gründe. E i n m a l den, daß unser verehrter Jubilar seit nunmehr 48 J a h r e n in besonders nahen Beziehungen zu den Annalen der Physik ') Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 2, 245, 1900.
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steht. Nachdem nämlich H e l m h o l t z , der bei der Herausgabe der Annalen mitwirkte, 1894 gestorben war, bat G. W i e d e m a n n , der damalige Hauptschriftleiter der Annalen, den noch jugendlichen, aber berühmten Professor der theoretischen Physik in Berlin, Max P l a n c k , an H e l m h o l t z Stelle zu treten. Seitdem hat nicht nur P l a n c k s Name das Titelblatt der Annalen geschmückt, sind nicht nur, wie schon früher, viele seiner Abhandlungen in den Annalen erschienen, sondern P l a n c k hat sich mit Bat und Tat in den Dienst der ^nnalen-ßedaktion gestellt, was allerdings nur den Herausgebern und dem Verlag in vollem Maße bekanntgeworden ist. Kein Wunder also, daß ich mit Freuden die Erlaubnis der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin benutze, unserm verehrten Geheimrat P l a n c k im Namen des Kuratoriums, im Namen der Herren Verleger Dr. A.Meinerund W.Meiner, sowie für mich als Herausgeber den herzlichsten Dank für seine treue Mitarbeit und die besten Wünsche zum heutigen Tage auszusprechen. Es gibt aber noch einen zweiten Grund dafür, daß ich hier heute das Wort nehmen darf. Auch zwischen der Physikalischen Gesellschaft und den Annalen bestehen sehr alte Beziehungen. Seit 1877 erscheinen die Annalen unter Mitwirkung der Gesellschaft. Diese bedient sich daher gern der Annalen, um den Physikern des Erdballs vom heutigen Festtage zu künden und die Erinnerung daran auch den kommenden Generationen zu bewahren. Und so haben denn, verehrter, lieber Jubilar, die Deutsche Physikalische Gesellschaft und einige. Ihrer Schüler, Freunde und Kollegen in einer Festschrift zum Ausdruck zu bringen versucht, wie vielfache Frucht die von Ihnen ausgestreute Saat gebracht hat. Wir wünschen, daß Sie in dieser Geburtstagsgabe vielfältigen Dank erkennen möchten, nicht allein von den Wenigen, die in dieser Schrift zu Worte kommen konnten, sondern auch von den vielen Ungenannten, die sich gern beteiligt haben würden, wenn es die Umstände erlaubt hätten. Hr. M. Planck antwortete den beiden Vorrednern mit folgenden Worten: Herr Vorsitzender! Meine Herren Kollegen! Sie werden gewiß verstehen, daß ich das Bedürfnis habe, mit einigen Worten auszusprechen, wie tief durchdrungen ich davon bin, daß die Physikalische Gesellschaft in so ehrender Weise von meinem Geburtstag Notiz nimmt. Es ist schon lange her, daß ich in die Gesellschaft als Mitglied eintrat. Damals war A u g u s t K u n d t ihr erster, H e r m ä n n von H e l m h o l t z ihr zweiter Vorsitzender. Seitdem sind jetzt 49 Jahre vergangen, und wenn ich gegenwärtig nicht mehr in der Lage bin, regelmäßig in die Sitzungen zu kommen, so kann ich doch, glaube ich, in bezug auf die Zahl der Sitzungen, die ich im ganzen besucht habe, und die Zahl der Vorträge, die ich hier gehalten
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habe, es mit jedem andern Mitglied aufnehmen. Besonders um die Jahrhundertwende gab es kaum eine Sitzung, in der ich nicht zugegen war, und kaum eine Nachsitzung, die ich versäumt habe. Damals spielte sich unter anderem auch ein reger Meinungsaustausch ab über die Gesetze der Wärmestrahlung. An den Debatten darüber beteiligten sich hauptsächlich L u m m e r , P r i n g s h e i m , J a h n k e , Thiesen, K u r l b a u m , E u b e n s . Die verschiedensten Formeln wurden vorgeschlagen und diskutiert. Die schließliche Entscheidung brachten aber, wie ich hier zur Steuer der Wahrheit bemerken möchte, und wie auch der Herr Vorsitzende in seinen ausgezeichneten Ausführungen schon hervorgehoben hat, nicht die Versuche von L u m m e r , so grundlegend und verdienstvoll diese auch waren, sondern die Messungen von R u b e n s und K u r l b a u m , welche insbesondere zeigten, daß die Intensität eines monochromatischen Strahles bei hohen Temperaturen proportional der Temperatur wird. Ich erinnere mich noch sehr wohl, daß R u b e n s damals, im Widerspruch zu den Ansichten von L u m m e r und P r i n g s h e i m , zu mir sagte: Wie es auch sei, das eine steht fest, die Intensität der monochromatischen Strahlung hat als einen Faktor die Temperatur und als andern Faktor einen Ausdruck, der bei unbegrenzt steigender Temperatur, endlich bleibt. Damit hat er ja auch recht behalten. Heute bin ich nicht mehr in der Lage, die Sitzungen regelmäßig zu besuchen. Ich habe mich von der Bühne der Schaffenden zurückgezogen in den Zuschauerraum. Aber das hindert mich nicht, mit gespannter Aufmerksamkeit die Vorgänge in der physikalischen Wissenschaft im allgemeinen und die in der Physikalischen Gesellschaft im besonderen zu verfolgen, und gelegentlich auch einmal meine Meinung zu äußern. Immerdar aber werde ich die Entwicklung der Gesellschaft mit den wärmsten Wünschen begleiten, und mit tiefem Dank für alles, was sie mir gegeben hat. Das auszusprechen ist mir heute eine große und aufrichtige Freude. In engem Zusammenhang mit der Physikalischen Gesellschaft stehen die Annalen der Physik, die ja unter Mitwirkung der Gesellschaft herausgegeben werden. Bei ihrer Redaktion war ich seit dem Ausscheiden von H e l m h o l t z beteiligt, zuerst als theoretischer Beirat von G u s t a v Wiedemann. Ihm folgte in der Redaktionsführung eine Reihe von hervorragenden Physikern: P a u l D r u d e , Wilhelm Wien, und jetzt E d u a r d Grüneisen. Meine Tätigkeit war keine besonders zeitraubende, ihre Bedeutung bestand hauptsächlich darin, unnützen Ballast von der Zeitschrift fernzuhalten. Doch darf man sich dies auch nicht gar zu einfach vorstellen. Mir schwebte immer das Schicksal der berühmten Erstlingsarbeit von J u l i u s R o b e r t Mayer vor: „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur", die bekanntlich von dem damaligen Annalenredakteur I. C. Poggendorff zurückgewiesen wurde. Das hat der sog. zünftigen Physik ungemein ge-
408 schadet und war wohl auch mit ein Grund dafür, daß dieser theoretische Beirat eingerichtet wurde, um - dem Herausgeber die Verantwortung zu erleichtern. Übrigens war jener Fehlgriff gewiß entschuldbar. Denn die Sprache des Arztes war dem Physiker schwer verständlich. Dazu kam, daß in jener ersten Abhandlung M a y e r s zwar eine Zahl für das mechanische Wärmeäquivalent, nämlich 865 kg, mitgeteilt wurde, aber nicht der Weg, auf welchem der Verfasser zu dieser Zahl gelangt war. Das war in der wissenschaftlichen Literatur nicht üblich und sollte es auch niemals werden. Auf jeden Fall kann man sich mit der Überlegung trösten, daß ein solcher Gedanke, wie der von J u l i u s E o b e r t M a y e r , nur alle paar Jahrhunderte einmal auftaucht, während Aufsätze, die ihn zu enthalten beanspruchen, wohl fast jede Woche auf dem Plan erscheinen. Heute erfährt meine Tätigkeit im Dienst der Annalen eine Anerkennung, die mir auf keinerlei Weise ehrenvoller und beglückender hätte dargebracht werden können als durch Ihre Worte, lieber Herr G r ü n e i s e n , und durch die kostbare Gabe, die ich aus Ihrer Hand empfangen habe, die wertvollste, die es für mich als Gelehrten geben kann. Es ist mir immer eine Freude, im engen Einverständnis mit Ihnen meine Arbeit zu tun, die Sie mir durch Ihre Umsicht und Ihre vorbildliche Gewissenhaftigkeit stets leicht zu machen verstehen. Mögen Sie noch lange Jahre wie bisher, gestützt von dem Vertrauen aller Fachgenossen, die Leitung der Annalen in Ihrer sicheren Hand halten. Das wünsche ich Ihnen und der Physik von ganzem Herzen.
Es sprach dann der Vorsitzende der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Hr. P. Debye (Berlin-Dahlem): Hochverehrter Herr Geheimrat! Nachdem Sie soeben die Glückwünsche der Berliner Physiker und der Lesergemeinde der Annalen der Physik in Empfang genommen haben, darf nunmehr ich als derzeitiger Vorsitzender der Deutschen Physikalischen Gesellschaft das Wort an Sie richten. Unter der Schar der Gäste, die Sie hier vereinigt sehen, um Ihren 80. Geburtstag zu feiern, sind nahezu alle Gauvereine der Gesellschaft durch besondere Abgeordnete vertreten. Sie sehen daraus, wie groß die Verehrung ist, welche Ihnen die Fachgenossen, jung wie alt, entgegenbringen. Daß wir Sie noch viele Jahre in unserer Mitte sehen mögen, zu Ihrer Freude, zu unserem Nutzen, das ist unser aller, heißer Wunsch. Damit ist aber der mir gewordene Auftrag nicht erschöpft, ich möchte Sie gleich anschließend um Ihre freundliche Hilfe und Mitwirkung bitten.
409 Nach den Statuten über die Verleihung der Medaille, die mit Ihrem Bilde und mit ihrem Namen geschmückt werden durfte, hat das aus den bisherigen Medaillenträgern bestehende Komitee einen Vorschlag für die diesjährige Auszeichnung dem Vorstande der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zugeführt. Dieser hat auf Grund jener Anregung beschlossen: „ D i e Max Planck-Medaille zu verleihen an Prinz L o u i s - V i c t o r de B r o g lie."
Seine Exzellenz der Botschafter der Französischen Bepublik hat
liebenswürdigerweise unserer Bitte entsprochen, die Auszeichnung entgegenzunehmen an Stelle des Prinzen de B r o g l i e , der zu seinem großen Bedauern heute nicht persönlich anwesend sein kann. Ich bin glücklich, daß es die Hände des Meisters selber sind, welche die Medaille weiterreichen und ich bitte Sie, den Akt der Verleihung zu vollziehen. Hierauf antwortete Hr. M. Planck: Hochverehrter Herr Kollege!
Ich empfinde es als eine hohe Ehre,
daß die Deutsche Physikalische Gesellschaft, welche diese von ihr gestiftete Medaille zu vergeben hat, mir ihre Überreichung anvertraut. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft ist ja die berufene Vertreterin der gesamten deutschen Physik, und ich darf auch den Gauvereinen, in deren Namen Sie gesprochen haben, für ihre Teilnahme an dieser Feier meinen herzlichen Dank aussprechen. Die mir durch Ihren Auftrag erwiesene Ehre wird noch besonders dadurch erhöht, daß gerade Sie es sind, der mir ihn erteilt; denn wir alle erblicken in Ihnen ja nicht nur den gegenwärtigen Vorsitzenden der Gesellschaft, sondern einen der wenigen Führer unserer Wissenschaft, die es verstehen, neben ihren bahnbrechenden Arbeiten auf speziellen Gebieten auch den Blick für die allgemeinen Fragen offenzuhalten, und die es auch nicht verschmähen, bei Gelegenheit vor einem größeren Kreise die Früchte der Forschung auszubreiten, wie wir es erst vor kurzem hier in diesem Hause von Ihnen in eindrucksvoller Weise erfahren haben. Wenn ich mich nun von dem Stifter der Medaille zu dem Empfänger wende, so liegt mir vor allem daran, dem tiefempfundenen Dank dafür Ausdruck zu geben, daß Eure Exzellenz, Herr Botschafter, sich bewogen gefunden haben, unserer Bitte zu entsprechen und die Medaille für Herrn L o u i s d e B r o g l i e , der am persönlichen Erscheinen zu unserm Bedauern verhindert ist, in Empfang zu nehmen.
Ich darf die Anwesenheit Eurer
Exzellenz als Zeichen einer doppelten Ehrung ansehen, einmal für die Physikalische Gesellschaft und für die Stellung, welche sie in der geistigen W e l t einnimmt, dann aber auch für meinen Kollegen, Herrn L o u i s d e B r o g l i e , als besondere Wertschätzung seiner wissenschaftlichen Arbeit. In der Tat rechtfertigt deren Bedeutung schon lange den Anspruch auf den Besitz dieser Medaille, und es war schon seit Jahren ein stiller Wunsch von mir, es noch zu erleben, daß sie ihm wirklich zuteil wird.
410 Es war vor 14 Jahren, 1924, als Herr L o u i s de B r o g l i e zum ersten Male mit seinen neuen Ideen über die Analogie zwischen einem bewegten Materieteilchen mit bestimmter Energie und einer periodischen Welle mit bestimmter Frequenz an die Öffentlichkeit trat. Aber erst 8 Jahre später, 1927, wurde ich mit diesen Ideen näher bekannt durch einen Vortrag, den Professor K r a m e r s in einem Colloquium in Leiden vor einem Kreise von Physikern hielt, unter ihnen der Altmeister der Theoretischen Physik, H e n d r i k A n t o o n L o r e n t z : Über Broglie-Wellen, H e i s e n b e r g s c h e Unsicherheitsrelation und Ähnliches. Ich muß aufrichtig sagen, daß ich damals etwas den Kopf schüttelte über die skrupellose Kühnheit dieser Gedanken, und ich erinnere mich noch sehr gut, wie auch Herr L o r e n t z im Privatgespräch etwas sorgenvoll zu mir äußerte: Diese jungen Leute nehmen es gar zu leicht damit, sich über altbewährte physikalische Begriffe hinwegzusetzen. Im Herbst desselben Jahres, 1927, lernte ich dann Herrn L o u i s de B r o g l i e auf dem 5. • Solvay-Kongreß in Brüssel persönlich kennen und erfreute' mich an seinem gewinnenden schlichten Wesen. Dann dauerte es nur noch kurze Zeit, i>is sich seine Ideen durchsetzten, theoretisch hauptsächlich dank den Arbeiten von S c h r ö d i n g e r , experimentell und damit endgültig durch die Entdeckung der Beugung von Elektronenstrahlen durch D a v i s s o n und G e r m e r . Wäre Herr de B r o g l i e heute hier anwesend, so würde ich wohl gern die Fäden der Erinnerung etwas weiter spinnen und auch noch etwas näher eingehen auf die Bedeutung der Probleme, die sein Werk gezeitigt hat. Nur einen Punkt möchte ich noch erwähnen. In den Ausführungen, die Herr de B r o g l i e seinem Gedankengang zugrunde legte, spielte eine wesentliche Rolle die Bezugnahme auf die Relativitätstheorie. Relativistische Formeln dienten ihm als Stütze für seine Betrachtungen, und ich hatte damals den Eindruck, als ob das auf einen tiefgehenden Zusammenhang zwischen Quantentheorie und Relativitätstheorie hindeutet. Ein solcher Zusammenhang ist ja auch wohl sicher vorhanden, aber er liegt heute lange nicht so einfach und klar zutage, als es damals den Anschein haben mochte. Im Gegenteil: Es haben sich der Aufgabe, die beiden Theorien miteinander zu vereinigen, derartige Schwierigkeiten in den Weg gestellt, daß ihre Lösung heute als eines der ernstesten Probleme der theoretischen Physik erscheint und jedenfalls noch harte Arbeit erfordern wird. Erst wenn diese Lösung gelungen ist, wird man von einem gewissen Abschluß der Quantentheorie reden können. Wenn ich mich so der Ehre freue, die Überreichung der Medaille persönlich vollziehen zu dürfen, so gesellt sich dazu noch eine Freude von ganz anderer Art. Das ist der Umstand, daß mir dadurch Gelegenheit gegeben wird, nicht nur als Gelehrter mich an den Fachgenossen zu wenden, sondern
411 auch als Deutscher zum Angehörigen eines benachbarten großen Volkes, desjenigen Volkes, dessen Verhältnis zu uns für die eigene Zukunft wesentlich mit bedingend ist. Ein jeder, der sein Vaterland wahrhaft liebt, ist stets bereit und gerüstet, zu dessen Verteidigung alle seine Kräfte bis zum letzten Atemzug einzusetzen. Das ist so selbstverständlich, daß es überflüssig erscheint, davon groß zu reden. Aber daß dieser Satz für das eine Volk ebenso gilt wie für das andere, und daß gerade deshalb zwei Nachbarvölker, die auf ihre Ehre halten und die durch keinerlei entgegengesetzte Lebensinteressen getrennt sind, in gegenseitiger Achtung friedlich nebeneinander leben können, das ist eine Wahrheit, deren Erkenntnis nur zu häufig durch hemmungslose Leidenschaft verdunkelt worden ist, die aber doch, wie auch die Gründung des Bundes der Frontkämpfer gezeigt hat, allmählich sich durchzusetzen beginnt. Wir können nur wünschen und hoffen, daß der Geist, aus dem ein solcher Bund geboren ist, immer weitere Kreise erfassen möge. Nach allen meinen persönlichen Erfahrungen, im Inland und im Ausland, besteht bei dem französischen Volke nicht minder als bei dem deutschen der ehrliche und sehnliche Wunsch nach einem echten dauernden Frieden, der beiden Teilen ungestörte produktive Arbeit ermöglicht. Möge ein gütiges Schicksal es fügen, daß Frankreich und Deutschland zusammenfinden, ehe es für Europa zu spät wird. Ich bin sicher, auch im Sinne der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zu sprechen, wenn ich auch diesen Gedanken der Medaille mitgebe, die ich jetzt im Namen und im Auftrag der Gesellschaft Eurer Exzellenz für Herrn L o u i s de B r o g l i e zu überreichen mich beehre. Der französische Botschafter in Berlin, S. Exzellenz Hr. FranfOisPoncet, erwiderte mit folgenden Worten: Im Namen des durch eine leider ernstliche Krankheit verhinderten Prof. Prinzen L o u i s de B r o g l i e drücke ich der Physikalischen Gesellschaft und Geheimrat P l a n c k für die meinem Landsmann verliehene Medaille den wärmsten Dank aus. Ein Land ehrt sich selbst im höchsten Maße, wenn es den Sohn eines fremden Landes zu ehren weiß. Denn die Wissenschaft lehrt uns, und es ist somit eine der erhabensten Mahnungen, daß der Geist, der Genius dahin bläst, wohin er will, und daß in ihrem Bestreben, die Natur zu enträtseln, Menschen über die Landesgrenzen hinaus auch aufeinander angewiesen, eine einzige große geistige Familie bilden. Denn Wissenschaft heißt Mitarbeit und Solidarität und so fasse ich auch die Aufgabe der Diplomatie auf. Die Herrn Prof. L o u i s d e B r o g l i e heute erwiesene deutsche Auszeichnung wird in Frankreich als ein Beweis dieser hohen Gesinnung aufgefaßt und dankbar empfunden werden. Meinerseits will ich auch nicht verfehlen, Herrn Geheimrat P l a n c k die Glückwünsche der französischen
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Wissenschaft darzubringen. In Herrn Geheimrat P l a n c k erkennen und begrüßen wir nicht nur einen der genialen Begründer der modernen Physik, sondern auch einen jener vollendeten Menschentypen, worauf sein Land und die ganze Welt ein Recht hat, sich stolz zu fühlen. Darum sei mir erlaubt, mit erneutem Dank und wenn auch nur symbolisch einen Zweig aus dem französischen Lorbeerhain Ihnen, Herr Prof. P l a n c k , zu Füßen zu legen.
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II. Teil: Festessen im Goethe-Saal des Harnack-Hauses (Auswahl aus den Ansprachen) Es folgte Hr. A. Kopff (Berlin-Dahlem) Sehr verehrter Herr Geheimer B a t ! Unter den Gratulanten des heutigen Abends darf wohl die Astronomie nicht fehlen. Vielleicht wäre es richtiger gewesen, wenn ein Astrophysiker diese Glückwünsche überbracht hätte. Er hätte besser als ich darlegen können, wie Ihre Arbeiten, besonders das Strahlungsgesetz, sich für die Astrophysik in weitem Maße als fruchtbar erwiesen haben, wie gerade durch dieses Gesetz die Erkenntnis des physikalischen Aufbaues des Universums einen gewaltigen Schritt weitergeführt werden konnte. Doch Ihr Werk greift weit über die engeren Grenzen der Astrophysik hinaus. Sie haben tief in die schwierigen Fragen der Grundlagen der Physik hineingeleuchtet, Fragen, bei denen sich Physik und Astronomie auf das engste berühren. Auf eines darf ich noch besonders hinweisen. Ihre „Einführung in die allgemeine Mechanik" hat manchem jungen Astronomen den ersten Weg zur Himmelsmechanik gezeigt. Ich möchte alles dies nicht weiter ausführen. Aber vielleicht darf ich hier eine Geschichte erzählen. Wir Astronomen werden ja häufig mit Briefen beglückt, in denen ein neues, alles Bisherige von Grund auf umstoßendes Weltsystem angepriesen wird. Das ist an sich nichts Besonderes. Aber der Briefschreiber, von dem ich erzählen möchte, war insofern schon etwas Besonderes, weil er sogar bereit war, sich belehren zu lassen. Ich empfahl ihm also für den Anfang P l a n c k s „Einführung in die allgemeine Mechanik". Nach ein paar Wochen schon war die Antwort da. Er hatte das Buch gründlich studiert und war zu der Erkenntnis gekommen: Alles in dem Buch ist falsch; Herr P l a n c k hat auch nicht die geringste Ahnung von den Grundlagen der Mechanik. Man kann ihm das nicht einmal so sehr übel nehmen, da er doch von K e p l e r , Newton und anderen solchen Leuten abgeschrieben hat. Sie sehen also: Eine neue Krise der Physik. Welche Mechanik ist die richtige? Die des Planckschen Buches oder die meines Briefschreibers? Was sollen wir Astronomen nun tun? Wir haben uns zu einem Experiment entschlossen, wie es ja dem Physiker nicht fremd ist. Wir haben ein Probekörperchen in das Planetensystem ausgesetzt, die Stella Planckia, und wollen nun sehen, was damit geschieht. Vorläufig läuft es noch nach den Vorschriften des Herrn P l a n c k ,
414 aber vielleicht doch nur, um ihm zum 80. Geburtstag eine besondere Freude zu machen. Vielleicht läuft es später nach der neuen Mechanik. Das kann man nicht wissen. Es kommt immer schon einmal vor, daß ein solcher Kleiner Planet anders läuft als gerechnet worden ist, und bösartige Menschen behaupten dann, daß die Astronomen falsch gerechnet haben, und wer besonders bösartig ist, rechnet sogar nach. Doch ich will darüber nicht weiter reden. Die Stella Planckia läuft jedenfalls zur Zeit nach P l a n c k . Im Augenblick kann ich Sie, Herr Geheimer B a t , nur darum bitten, diesen Kleinen Planeten (er trägt die Nummer 1069 und ist einer der letzten, die von M a x W o l f in Heidelberg entdeckt wurden) als ein Zeichen des Dankes der deutschen Astronomie annehmen zu wollen, und ich darf den Wunsch damit verbinden, daß es Ihnen noch manches J a h r vergönnt sein möge, den Lauf Ihres Sternes unter den anderen Gestirnen des Himmels zu verfolgen. Hr. M. Planck erwiderte seinen Vorrednern mit folgenden Worten: Meine verehrten Damen und Herren! Sie werden mir gewiß erlauben, daß ich noch einmal das Wort nehme; denn es liegt mir doch noch einiges auf dem Herzen, was ich heute sagen möchte. Vor allem habe ich das Bedürfnis, meinen Dank auszusprechen für das, was die drei Herren Kollegen vor mir ausgeführt haben. Um mit dem letzten anzufangen, so bedanke ich mich außerordentlich bei Herrn K o p f f und bei den Astronomen, in deren Namen er gesprochen hat, für das hochansehnliche Geburtstagsgeschenk, das sie mir mit dem Planeten gemacht haben. Ich weiß nicht, ob es sich erfüllen wird, daß der Planet so interessante Anomalien zeigt wie die in Aussicht gestellten. Einige Zeit werde ich vielleicht noch vor mir haben, um das zu beobachten. Jedenfalls aber dürfen Sie nicht erwarten, daß ich so lange leben werde, bis ein solcher Fall wirklich eintritt. Sodann möchte ich Herrn F o k k e r herzlich danken für die Worte, die er zugleich im Namen der holländischen Physiker gesprochen hat. Ich bin alt genug geworden, um bei einer großen Reihe von Physikern den ganzen Entwicklungsgang, von der Jugendzeit bis zur Reife, erlebt zu haben. Auch bei Ihnen ist das der Fall. Ich lernte Sie kennen als jungen Studenten in Leiden, im Jahre 1908, als Sie mich einluden, in der naturwissenschaftlichen Fakultät des Studentenkorps einen Vortrag zu halten über die Einheit des physikalischen Weltbildes. Sie haben mir damals als Andenken an jenen Vortrag einen goldenen Bleistift geschenkt, den ich noch heute gebrauche. E s war mein erster Vortrag aus allgemeineren Gebieten, noch unter den Auspizien von H. A. L o r e n t z , der mich damals als Gast in seinem Hause beherbergte. Vielen Dank, daß Sie gekommen sind, und daß Sie sich so freundlich geäußert, haben.
415 Und nun zu Ihnen, mein lieber Kollege S o m m e r f e l d . Ihnen gegenüber habe ich immer das Gefühl, als ob ich mich entschuldigen müßte für die viele Mühe, die ich Ihnen jedesmal durch meine verschiedenen Jubiläen mache, erst 60 Jahre, dann 70, dann das Doktorjubiläum, dann 75, und noch manche andere Gelegenheit. Immer wieder sind Sie pflichtbewußt und unverdrossen auf den Plan getreten und haben jedesmal aus dem alten Thema etwas Besonderes herauszuholen gewußt, und jedesmal habe ich, wie auch heute wieder, daraus die Zeichen Ihrer unveränderlichen freundschaftlichen Gesinnung herausgehört. Wir sind uns j a verhältnismäßig erst spät nähergetreten, da Sie von der Mathematik herkamen. Wenn ich mich recht erinnere, stammt unsere erste nähere Bekanntschaft von der Naturforscherversammlung in Königsberg 1910, als wir miteinander einen Ausflug über die russische Grenze mit verwechselten Pässen machten. Heute würden wir das lieber nicht probieren. E s war aber damals sehr schön und interessant. Dann sahen wir uns 1911 auf dem ersten Solvay-Kongreß in Brüssel. Damals waren Sie als Mathematiker ein gewisser Halt und Trost für mich. Denn H e n r i P o i n c a r é , der auch dort war, äußerte sich scharf und ablehnend gegen die Annahme von Wirkungsquanten, während Sie sich zwar zurückhaltend, aber doch nicht ganz abweisend verhielten. Später sind Sie j a dann auch mit in den Kampf für die Quantentheorie eingetreten, und Ihr Wellenmechanischer Ergänzungsband ist mir eine reiche Fundgrube von Belehrung geworden. So ist es bis heute gegangen. Aber nun, Herr Kollege, wird es hohe Zeit, daß wir einmal den Spieß umdrehen. Jetzt kommen S i e an die Reihe, und zwar noch in diesem Jahre. Sollte ich am 5. Dezember noch leben, so werden Sie von mir hören! Wenn man 80 Jahre alt wird, so hat man j a manches erlebt. Ich habe immer viel Freude an meiner Wissenschaft gehabt und auch viel Freude an meinen Schülern. Mehrere Generationen habe ich heranwachsen sehen, und ich darf sagen, daß mir viele Schüler mit reichen Zinsen zurückerstattet haben, was ich ihnen an Anregung mitzugeben vermochte. Ich könnte zahlreiche Namen nennen, aber ich will nicht den Anschein erwecken, als ob ich einige hinter andere zurücksetzen wollte. Aber einen Namen möchte ich doch noch hier nennen, das ist Herr M a x v o n L a u e , d e r a u s einem meiner nächststehenden Schüler nicht nur ein berühmter Physiker, sondern auch mir ein naher und treuer Freund geworden ist. Und noch einen anderen Namen möchte ich nennen, der auf einer ganz anderen Seite steht: M o r i t z S c h l i c k , der nach Abfassung einer gediegenen physikalischen Dissertatipn zur Philosophie überging und später in Wien durch einen tragischen Unfall dahingerafft wurde. Doch jetzt möchte ich zur Gegenwart zurückkehren, und möchte derjenigen Stelle gedenken, die uns diesen Abend so erfreulich und harmonisch gestaltet hat. Das ist die Berliner Physikalische Gesellschaft. Ich glaube
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in Ihrer aller Sinn zu reden, wenn ich den Herren, die an ihrer Spitze stehen, den herzlichsten Dank abstatte, zunächst dem ersten Vorsitzenden, Herrn R a m s a u e r , und dem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn v o n L a u e . Dann dem Schatzmeister, Herrn S c h o t t k y , der zwar mehr in der Stille wirkt, aber doch ein gewichtiges Wort mitzureden hat, und endlich nicht zum mindesten dem Geschäftsführer, Herrn G r o t r i a n . Wenn ich auch keinen direkten Einblick in seine Arbeit genommen habe, so bin ich doch ganz sicher, daß sie sehr erheblich gewesen ist, und es stimmt mich bedenklich, wenn ich überlege, wieviel kostbare Zeit er darauf verwenden mußte. Um so mehr freue ich mich auf den nächsten seiner schönen Vorträge in unserm physikalischen Kolloquium. Und nun bitte ich Sie alle, meine Damen und Herren, mit mir zu trinken auf das Wohl der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im allgemeinen und der Berliner Physikalischen Gesellschaft im besonderen. Sie lebe, wachse und gedeihe!
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T R A U E R A N S P R A C H E GEHALTEN AM 7. OKTOBER 1947 IN DER ALBANIKIRCHE ZU GÖTTINGEN VON MAX VON LAUE
Verehrte Trauerversammlung! Wir stehen am Sarge eines fast Neunzigjährigen. 90 Jahre bedeuten ein langes Leben, und diese 90 Jahre waren ungewöhnlich erlebnisreich. Noch im Alter erinnerte sich M a x P l a n c k , wie er 1864 preußische und österreichische Truppen in Kiel, seine Vaterstadt, einziehen sah. Der ganze herrliche Aufstieg des Deutschen Reiches fallt in diese Spanne und ebenso der ganze Verfall und die schauerliche Katastrophe. Auch persönlich haben diese Ereignisse P l a n c k auf das tiefste betroffen. Vor Verdun fiel 1916 sein ältester Sohn Karl. Im letzten Kriege ging sein Haus unter den Bombenangriffen in Flammen auf. Seine ein ganzes Leben hindurch gesammelte Bibliothek entschwand, niemand weiß wo-
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hin, und das Schrecklichste von allem, sein zweiter Sohn Erwin fiel noch im Januar 1945 dem Terror zum Opfer. E r selbst erlebte auf einer Vortragsreise die Vernichtung von Kassel und war stundenlang in einem Luftschutzraum verschüttet. Mitte Mai 1945 holten ihn die Amerikaner im Auto aus. dem zum Kampfgebiet gewordenen Rittergut Rogätz an der Elbe nach Göttingen. Jetzt bringen wir ihn zu seiner letzten Ruhestätte. Auch in der Wissenschaft war P l a n c k s Lebenszeit voll von tiefgreifenden Umwälzungen. Die heutige Physik trägt ein ganz anderes Gepräge als die von 1875, da P l a n c k sich ihr widmete; und an der größten dieser Umwälzungen hat P l a n c k den ersten, entscheidenden Anteil. Es ist dabei wunderbar zugegangen. Man bedenke: Da entschließt sich ein siebzehnjähriger Abiturient für eine Wissenschaft, die von ihrem berufensten Vertreter, den er befragen konnte, als wenig aussichtsreich hingestellt wird. E r entscheidet 6ich im Verlaufe des Studiums für einen Zweig dieser Wissenschaft, der bei den Nachbarwissenschaften durchaus nicht im Ansehen steht, und innerhalb dieses Zweiges für ein Spezialgebiet, für das eigentlich niemand Interesse hat. Seine ersten Arbeiten lesen nicht einmal H e l m h o l t z , K i r c h h o f f u n d C l a u s i u s, denen dies am nächsten gelegen hätte; und doch bleibt er auf seinem Wege, einer inneren Stimme folgend, bis dann ein Problem an ihn herankommt, das schon viele andere vergeblich zu lösen versucht haben und für welches — wie sich nun herausstellt — gerade der von ihm eingeschlagene Weg die beste Vorbereitimg war. Aus Strahlungsmessungen vermag er auf diese Weise das Strahlungsgesetz abzulesen, das seinen Namen für alle Zeiten trägt. E r gab es am 19. Oktober 1900 in der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin bekannt. Zur theoretischen Begründung dafür muß er
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freilich eine innere Umstellung vornehmen, indem er auf Methoden der Atomtheorie zurückgreift, der er bis dahin mit gewissen Zweifeln gegenübergestanden hat. Und darüber hinaus muß er eine Hypothese wagen, deren Kühnheit zunächst niemandem, wohl nicht einmal ihm selber, im vollen Umfange klar war. Dann aber konnte er am 14. Dezember 1900, wieder in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die theoretische Ableitung des Strahlungsgesetzes vortragen. Das war die Geburtsstunde der Quantentheorie. Diese Leistung verewigt seinen Namen auf alle Zeiten. Deswegen haben heute wissenschaftliche Korporationen in großer Zahl ihre Teilnahme an seinem Tode durch Telegramme oder durch Entsendung von Vertretern zu erkennen gegeben. So sind unter uns der Präsident der Berliner Akademie und der Rektor der Berliner Universität, zweier Körperschaften, mit denen P l a n c k in ganz besonderem Maße verbunden war. Hat er doch über 40 Jahre an der Universität gelehrt und war über 50 Jahre Mitglied der Akademie, gehörte er doch sogar den größten Teil dieser Zeit zu ihren vier beständigen Sekretaren. Ebenso sind durch ihre Präsidenten vertreten die Akademien München und Göttingen und die Universität Göttingen durch ihren Rektor, die Technische Hochschule Hannover durch ihren Fachvertreter. Kränze haben außerdem niedergelegt die Niedersächsische Staatsregierung, der Regierungspräsident von Hildesheim und die Göttinger S tadtverwaltung. Auf ein paar der hier liegenden Kränze möchte ich noch besonders hinweisen. Einer stammt vom Deutschen Museum in München, das gerade im Begriff ist, P l a n c k s Büste in seinem Ehrensaal aufzustellen. Dieser Kranz ist neben der Beteiligung der
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Münchner Akademie der letzte Gruß aus den bayrischen Landen, in denen P l a n c k aufwuchs und in denen er alljährlich Ferienfreude und Erholung suchte und fand. Ein anderer Kranz trägt die Widmung „Die Deutschen Physikalischen Gesellschaften ihrem Ehrenmitglied". Diese Gesellschaften gedenken der achtundfünfzigjährigen Mitgliedschaft P l a n c k s , seiner aufopfernden Betätigung in den verschiedensten Vorstandsämtern; denn mehrmals war er Vorsitzender und den größten Teil seiner Mitgliedszeit Beisitzer. Sie gedenken erst recht der vielen lichtvollen Vorträge, die er in ihren wissenschaftlichen Sitzungen gehalten hat, und vor allem jener Vorträge vom Jahre 1900, in denen er zuerst sein Strahlungsgesetz und seine Ableitung — wie erwähnt — bekanntgab. So ist ein Schimmer seines Ruhmes auch auf die Deutsche Physikalische Gesellschaft gefallen. Und dann liegt da auch noch ein schlichterer Kranz ohne Schleife. Den habe ich für die Gesamtheit seiner Schüler niedergelegt, zu denen auch ich mich ja zähle, als ein vergängliches Zeichen unserer unvergänglichen Liebe und Dankbarkeit.
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Einige persönliche Erinnerungen an Max Planck*) von Otto Hahn Der Name Max Plandc wird in die Geschichte eingehen, nicht nur als einer der ganz Großen aus dem Reiche der Wissenschaft, sondern auch als Persönlichkeit, die trotz schwerster Schicksalsschläge ihre innere Größe und Menschlichkeit nie verlassen hat. Ich bin um einige persönliche Erinnerungen gebeten worden, denn ich hatte das Glück, vor mehr als 50 Jahren, als junger Privatdozent, den damals schon berühmten Professor Planck kennenzulernen. Eine besondere Rolle spielte in Plancks Leben das Bergsteigen und die Musik. Sie boten ihm ein Gegengewicht für die schwere geistige Arbeit. Bis ins hohe Alter stieg er auf die Berge; bis kurz vor seinem Tode spielte er täglich eine Stunde Klavier. Planck liebte die häusliche Geselligkeit. In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg versammelten sich in seinem Hause in Berlin-Grunewald alle 14 Tage eine Anzahl gesangsfreudiger jüngerer Damen und Herren, zu denen auch ich gehörte. Wir bildeten einen vierstimmigen Chor unter Plancks Leitung, sangen Brahms und anderes. Bei einem der Brahmsschen Zigeunerlieder durfte ich sogar eine kleine Solostelle singen. Planck redete mir damals zu, regelrecht Gesangsstunden zu nehmen; meine Atemtechnik sei schlecht, der Tenor aber könne gut werden. So begann ich im Juli 1914 mit Gesangsstunden; im August kam der Krieg. Mit dem Singen war es vorbei. Das Gesangskränzchen unter Planck trat nach dem Kriege nicht mehr zusammen, aber die persönlichen Einladungen bei ihm wurden wieder aufgenommen. Ein besonderer Kitt zu unserem Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie war auch die Freundschaft der Familie Planck mit meiner Kollegin Lise Meitner, der Leiterin der physikalisch radioaktiven Abteilung des Instituts. Lise Meitner war während der Kriegsjahre Assistent von Prof. Planck, der erste weibliche Assistent an seiner preußischen Universität. Meine eigenen Beziehungen zu Geheimrat Planck wurden dienstlich intensiver, als Planck im Jahre 1930 Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft *). Rundfunkansprache anläßlich des 10. Todestages von Max Planck am 4.10.1957.
422 wurde als Nachfolger des Gründers der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Adolf von Harnack. Es kam das Jahr 1933 und mit ihm Adolf Hitler. Für einen Teil der KaiserWilhelm-Institute brach eine schwere Zeit herein. Durch die Judengesetze verlor eine große Anzahl bedeutendster Gelehrter ihre Stellung. Im Mai 1933 hatte Planck eine Audienz bei Hitler. Er versuchte, eine Änderung in der Behandlung jüdischer Gelehrter zu erreichen. Aber Hitler hörte ihn nicht einmal zu Ende an; er verließ den Empfangsraum. Die Audienz war von vornherein aussichtslos gewesen. Von den Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Instituten war das unter dem Nobelpreisträger Fritz Haber stehende Institut besonders stark betroffen. Planck mußte einer ganzen Anzahl von schon bekannten und aufstrebenden Mitarbeitern kündigen. In dieser für Planck besonders schweren Zeit wurde ich aus Amerika zurückgerufen, wohin ich Anfang 1933 für eine Reihe von Monaten zu Vorträgen eingeladen war. Als Direktor des Nachbarinstitutes sollte ich versuchen, die schwersten Härten auszugleichen. Ich unterbrach mein Reiseprogramm und fuhr nach Deutschland zurück. Planck bat mich mit Zustimmung des ganz zusammengebrochenen Geheimrat Haber, dessen Institut provisorisch neben meinem eigenen Institut zu übernehmen. Haber verließ Deutschland und ging nach England, wo er freundlich aufgenommen wurde. Bei einer Unterhaltung, die ich unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Amerika mit Geheimrat Planck hatte, fragte ich ihn, ob man nicht eine Anzahl anerkannter deutscher Professoren, etwa 30, für einen gemeinsamen Appell gegen die Behandlung jüdischer Professoren zusammenbringen könne. Planck antwortete mir: „Wenn Sie heute 30 solcher Herren zusammenbringen, dann kommen morgen 150, die dagegen sprechen, weil sie die Stellen der anderen haben wollen." Nach seiner Audienz bei Hitler sah Planck offenbar keinen Weg der offenen Obstruktion. Persönlich scheute er sich aber nicht, seine innere Stellung zum Regime zum Ausdruck zu bringen. Geheimrat Haber starb Anfang 1934 auf einer Erholungsreise in der Schweiz. In Deutschland wurde amtlich davon keine Notiz genommen, aber im Rahmen der freieren Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Institute wurde doch beschlossen, eine Gedenkfeier für diesen berühmtesten der Dahlemer Institutsdirektoren zu veranstalten. Planck nahm die Vorbereitungen in die Hand. Neben einer Einführung von Planck waren vor allem zwei größere Vorträge geplant. Einer von dem Haberschüler Prof. Bonhoeffer in Leipzig und einer von mir, dem Nachbarn aus Dahlem. Wenige Tage vor der Feier bekamen Bonhoeffer und ich von den Rektoren unserer Universitäten Leipzig und Berlin Mitteilung, daß wir nicht sprechen
423 dürften. Ich selbst war aber vor kurzem aus der Berliner Universität ausgetreten. So konnte ich dies dem Rektor sagen: Er erwiderte, dann habe er kein Recht, mir Anweisungen zu geben. In einer Unterhaltung mit Planck beschlossen wir, die Gedächtnisfeier dennoch abzuhalten. Ich konnte als nicht der Universität Angehöriger meine Rede halten; Prof. Bonhoeffer, der dies nicht durfte, schickte mir seine Rede, damit ich sie ablese. Drei Tage vor der Feier verschickte der Verein Deutscher Chemiker an alle seine Mitglieder ein Rundschreiben, daß die Teilnahme allen Mitgliedern untersagt sei. Obgleich auch den Angehörigen der Universität und der Kaiser-Wilhelm-Institute die Teilnahme verboten war, verlief die Feier im vollbesetzten Harnackhaus vor vielen Professorenfrauen, vor einigen das Verbot mißachtenden Professoren, vor Vertretern der Industrie würdig und sehr stimmungsvoll. Alle bewunderten Planck, daß er den Mut gehabt hatte, die Feier durchzuführen. Planck führte sein Amt noch bis 1937, wo er es mit 79 Jahren dem jüngeren Geheimrat Bosch übergab. Aber 8 Jahre später, 1945, in der größten Not des verlorenen zweiten Weltkrieges, übernahm er noch einmal als Ehrenpräsident die Leitung der aufs höchste gefährdeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Im Herbst 1945 schrieb er mir einen Brief nach England, wohin ich mit einer Reihe von Atomwissenschaftlern zwangsweise gebracht worden war. Er teilte mir den Wunsch der Direktoren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit, den fast 88jährigen Ehrenpräsidenten Planck als Präsidenten der Gesellschaft abzulösen, und mich zu wählen. Eine meiner ersten Erfahrungen als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war die Mitteilung der Besatzungsmächte, daß der Name „KaiserWilhelm-Gesellschaft" verschwinden müsse, sonst sei an eine Genehmigung des Weiterbestehens der Gesellschaft nicht zu denken. Bei der Suche nach einem anderen Namen fiel die Wahl mit allgemeiner Zustimmung auf den Namen Max Planck. Im Sommer 1947, wenige Monate vor seinem Tode, teilte ich Planck das Ergebnis unserer Wahl mit, daß die Kaiser-WilhelmGesellschaft in Zukunft Max-Planck-Gesellschaft heißen solle. Ich bat ihn um seine Genehmigung. Er stimmte freudig zu. Am 4. Oktober 1947 ist Planck für immer von uns gegangen. Was sterblich an ihm war, ruht auf dem Städtischen Friedhof in Göttingen; denen, die ihn kannten, bleibt er ein Vorbild größter Menschenliebe und Charakterstärke.
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Max Plancks Lebenswerk*) von M. von Laue Die Physik des zwanzigsten Jahrhunderts unterscheidet sid\ von der früheren außer durch Einsteins Relativitätstheorie, durch die Quantentheorie, welche Max Planck 1900 begründete. Als allgemeines Kennzeichen trägt sie in sich eine von ihm entdeckte, universelle, physikalische Konstante, das elementare Wirkungsquantum, für welches wir nach Plancks Vorgang den Bustaben h benutzen. Wo immer von der Atomhülle oder dem Atomkern die Rede ist, immer stoßen wir auf diese Konstante. Solange es eine Naturforschung gibt, wird sie dafür sorgen, daß Plancks Name unvergessen bleibt. Seien wir stolz, daß er ein Deutscher war! Diese Entdeckung revolutionierte die Physik. Dabei lag Planck zunächst nichts ferner, als die überkommene Physik umzustürzen. Im Gegenteil ging lebenslang sein Streben auf die Einheit des physikalischen Weltbildes. Aber gerade dadurch, daß er diese konsequent durchzuführen suchte, stieß er auf eine Lücke der älteren Physik. Es spricht für seine Geisteskraft, nicht minder für seinen Charakter, daß er angesichts dieser Lücke den kühnen Sprung ins Unerforschte, vom Überlieferten gänzlich Abweichende wagte. Nur Wenige können sich rühmen, solchen Mut aufgebracht zu haben. Als sich der junge Planck 1876 zum Beruf des Physikers entschied, mußte er bald feststellen, daß seine Begabung ihn auf die Theorie hinwies. Aber theoretische Physik zu studieren war damals nicht leicht. Für experimentelle Physik und Chemie gab es bei uns wohlbegründete Schulen, ein junger Theoretiker war ganz auf sich selbst gestellt. So war Planck im Wesentlichen auf das Studium von Büchern angewiesen; den größten Einfluß übte die Thermodynamik auf ihn aus, d. h. die Lehre vom Zusammenspiel von Wärme und mechanischer Energie. Auf diesem Gebiet unternahm Planck auch seine ersten selbständigen Schritte. Aber er brachte sogleich einen eigenen Zug in diesen Zweig der Physik. Zur Kennzeichnung eines thermischen Zustands benutzten die Physiker damals und noch lange danach mit Vorliebe die Temperatur; Planck dagegen setzte den Begriff der Entropie in den Mittelpunkt der Thermodynamik. Diese Zustandsgröße hatte Clausius 1866 mathematisch definiert; eine *) Rundfunkansprache anläßlich des 10. Todestages von Max Planck am 4.10.1957.
425 anschauliche Deutung hat sie leider nicht, wohl aber die fundamentale Eigenschaft, bei jedem wirklichen physikalischen Vorgang zuzunehmen, so daß man aus ihren Werten für verschiedene Zustände die Richtung der möglichen Vorgänge beurteilen kann. Planck zog sie vor, weil man Entropie jedem Zustande der Körper zuschreiben kann, während der Temperaturbegriff nur für die Zustände inneren Gleichgewichts anwendbar ist. Dieser Gedanke zieht sich durch die ersten beiden Jahrzehnte seines Schaffens wie ein roter Faden hindurch. Er war mitentscheidend für die Begründung der Quantentheorie. Diese ging hervor aus Plancks Beschäftigung mit der Thermodynamik der Wärmestrahlung. 1859 hatte Gustav Kirchhoff aus dem Prinzip der Zunahme der Entropie bewiesen, daß sich in einem allseitig geschlossenen Hohlraum, wenn alle Körper in ihm dieselbe Temperatur haben, ein Strahlungszustand einstellt, der nicht von den besonderen Eigenschaften dieser Körper abhängt, sondern nur von dieser Temperatur. Kirchhoff hatte weiter gezeigt, daß man die Intensität der Wärmestrahlung für jeden Körper angeben kann, sofern man sie für die Hohlraumstrahlung kennt; dies galt für jeden Spektralbereich einzeln. So geriet die Frage nach der spektralen Energieverteilung der Hohlraumstrahlung in den Mittelpunkt der Forschung über strahlende Wärme. Einen wichtigen Schritt zu ihrer Lösung hatte 1894 Willy Wien getan, aber die volle Lösung nicht gefunden. Es führte zu weit, wollten wir Plancks hier ansetzenden Gedankengang wiedergeben. Wir wollen nur zeigen, wie sich in der Rückschau von heute die Schwierigkeit des Problems und ihre Überwindung darstellt. Die Maxwell-Hertzsche Elektrodynamik, welche für die Beschreibung von Strahlungszuständen zuständig ist, muß der Hohlraumstrahlung unendlich viele Freiheitsgrade zuschreiben. Zwar kommen auf jeden Spektralbereich deren nur eine endliche Zahl, aber die Spektralbereiche reichen bis zu unendlich hohen Schwingungszahlen; denn das Spektrum hat kein natürliches Ende. Nach der Statistik, wie sie die klassische Physik lehrte, kommt in einem Gleichgewichtszustand auf jeden Freiheitsgrad dieselbe Energiemenge. Die Hohlraumstrahlung hätte daher mit keiner noch so großen verfügbaren Energie je in ein inneres Gleichgewicht kommen können; immer wäre jede ihr zugeführte Energie allmählich aus dem sichtbaren Spektrum hinübergeflossen in das bodenlose Faß der Freiheitsgrade beliebig hoher Schwingungszahlen. Gäbe es aber bei der Wärmestrahlung kein Gleichgewicht, so wäre dies auch für die Materie unmöglich, zumal diese dauernd mit Wärmestrahlung in Wechselwirkung steht. Ein Grundgedanke der Thermodynamik, ja der ganzen Physik, drohte damit zusammenzubrechen. Hier lag die erwähnte unheilbare Lücke der klassischen Physik. An dieser Stelle setzt nun Plancks Entdeckung ein. Sein elementares Wirkungsquantum h modifiziert die Energieverteilung so, daß ein Freiheits-« grad um so weniger Energie aufnimmt, je höher seine Schwingungszahl' ist. Diese Verkürzung macht soviel aus, daß trotz der unendlichen Zahl der Freiheitsgrade die Gesamtenergie der Hohlraumstrahlung bei jeder Tem-
426 peratur endlich bleibt. Dies sagt das Strahlungsgesetz aus, welches Planck 1900 verkündete. Es hat sich, je länger, je besser allen Messungen gegenüber bewährt. Den Namen aber hat die Quantentheorie von einem anderen, zunächst recht befremdenden Zug. Die klassische Physik hatte die Energie jedes Gebildes für stetig veränderlich erklärt; die Quantentheorie führt dafür diskrete, durch endliche Differenzen getrennte Energiestufen ein. Im einfachsten Fall sind diese Differenzen einander gleich und zur Schwingungszahl des Gebildes proportional; man spricht dann von Energiequanten. Bei den Atomhüllen und den Atomkernen gehorchen die Energiestufen weniger einfachen, aber empirisch wohlbestätigten Gesetzen. Die Theorie der Spektrallinien z. B. hat Niels Bohr auf dieser Grundlage aufgebaut. In allen einschlägigen Formeln tritt als kennzeichnende Konstante das Plancksche h auf. Die klassische Physik ist also als letzthin unhaltbar erwiesen. Die tiefe Befriedigung, mit der frühere Generationen auf ihre logische Geschlossenheit, ihre Schönheit, blickten, hat sich als Irrtum herausgestellt. Weist denn nun die neue Physik eine solche Geschlossenheit auf? Leider muß man dies verneinen; und niemand hat unter dem Verlust so schwer gelitten, wie Max Planck selbst. Die Befriedigung, welche uns die ältere Physik vortäuschte, ist dahin! Dafür hat die jetzige Physik an Wahrheitswert gewonnen. Es steht sogar noch viel schlimmer. Von jeher stand die physikalische Forschung unter dem Prinzip der eindeutigen Bestimmbarkeit jedes physikalischen Vorgangs, des Determinismus. Nicht einmal diesen Zug hat die heutige Quantentheorie beibehalten. Ein Beispiel: Stößt ein Elektron auf einen Atomkern, so wird es abgelenkt. Den Ablenkungswinkel glaubte Rutherford eindeutig nach den Gesetzen der Mechanik berechnen zu können. Die Quantentheorie verzichtet grundsätzlich auf solche Durchrechnung für das einzelne Elektron. Sie sagt nur, wieviele aus einen Schwärm von Elektronen eine bestimmte Ablenkung erfahren. Dies heißt: Sie gibt für das einzelne Elektron die Wahrscheinlichkeit dieser Ablenkung an. Zahlreiche, führende Physiker unserer Zeit erklären daraufhin den Determinismus für empirisch widerlegt; sie folgen darin, wohl ohne es zu wissen, der skeptischen Philosophie früherer Jahrhunderte. Richtig wäre dies, dürfte die heutige Physik schon als in sich abgeschlossen, keiner Weiterentwicklung bedürftig angesehen werden. Gerade ein Blick auf Plancks Lebensgang sollte vor solcher Überheblichkeit warnen. In den vielen schönen Vorträgen seiner letzten Jahre hat Planck selbst den Determinismus mit aller Entschiedenheit vertreten. So ist es mit Plancks Lebenswerk gegangen, wie mit allen großen Entdeckungen. Eine wichtige Frage ist gelöst. Viele andere haben sich gerade dadurch gestellt. Ihre Lösung bleibt den Nachfahren überlassen. Mögen sie mit demselben wissenschaftlichen Wahrheitsmut darangehen, der Planck beseelte.