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German Pages 140 [142] Year 2022
Dr. rer. nat. Herbert Friedmann, geb. 1951, leitete nach dem Studium der Geowissenschaften in Würzburg die Forschungsabteilung eines Ingenieurunternehmens und beschäftigt sich jetzt mit den ökologischen Auswirkungen menschlichen Handelns vorrangig in der Hydrosphäre.
www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-45022-0
9 783534 450220
Herbert Friedmann Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe
Seit seiner Sesshaftwerdung greift der Mensch in den Wasserhaushalt ein. Am Beispiel der Umweltgeschichte des Lechs wird gezeigt, wie mit wachsender Bevölkerung, größerer Wirtschaftskraft, neuen technischen Möglichkeiten und leistungsfähigerer staatlicher Organisation die Veränderungen in der Flusslandschaft immer gravierender wurden. Triebkräfte sind vorrangig das menschliche Schutzbedürfnis und wirtschaftliche Interessen, die den letzten Wildfluss der Nordalpen in eine Kraftwerkstreppe verwandelt haben. Heute versucht man durch Renaturierung den Schaden zu begrenzen.
Herbert Friedmann
Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe Umweltgeschichte des Lechs
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Herbert Friedmann Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe
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Herbert Friedmann
Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe Umweltgeschichte des Lechs
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
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Inhalt
Abbildungsverzeichnis
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Warum der Lech? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hydrogeographische Leitlinien der ursprünglichen Flusslandschaft . . . . . . . . . . .
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Anthropogeographisches Grundmuster der Flusslandschaft und hydrogeographische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gezielte Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bewässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
6
Hochwasserschutz – Wildbachverbauung und Lechkorrektur . . . . . . . . . . . . . .
45
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Die Okkupation der Flussaue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8
Flößerei, Schifffahrt und Verkehr
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64
9
Entnahme von Geschiebe und Geröll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Wasserversorgung und Abwasser
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12 Stromgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
13 Sport und Erholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
14 Der staugeregelte Lech – ein limnisches Gewässer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
11 Wasserkraft
15 Der Fluss als technisch-ökonomisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 16 Licca liber – die ökologische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 17 Wildfluss oder grüner Strom? Zusammenfassung und Versuch einer Abwägung
. . . 122
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Danke! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Einzugsgebiet des Lechs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 2: Längsprofil des Lechs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 3: Historische Abflussganglinie des Lechs . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 4: Abflussganglinie der Hochwasserkatastrophe von 1910 . . . . . . . . . Abbildung 5: Mure am Oberlauf des Lechs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 6: Temperaturschwankungen seit der Jungsteinzeit . . . . . . . . . . . . . Abbildung 7: Tiefpassgefilterter Jahresgang von Temperatur und Niederschlag in Mitteleuropa seit dem Jahr 1000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 8: Digitales Geländemodell des Lechs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 9: Veränderung des Lechs durch Korrektionsmaßnahmen . . . . . . . . . Abbildung 10: Wildernder Lech bei Forchach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 11: Steinzeitliche Fundstellen am Lech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 12: Jungneolithische Siedlung Pestenacker . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 13: Besiedlung und Straßenführung in der römischen Kaiserzeit . . . . . Abbildung 14: Wiesenbewässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 15: Frühneuzeitlicher Hochwasserschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 16: Hochwassereinbruch bei Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 17: Frühe Planungen zur Lechkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 18: Projektierung der Lechkorrektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 19: Tiefenerosion im Gefolge der Flusskorrektur . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 20: Tiefenerosion und Querschnittsveränderung nach der Lechkorrektur Abbildung 21: Abflusshöhe und Geschiebetransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 22: Lechhochwasser 1910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 23: Stauvolumen und Hochwasserschutz am Forggensee . . . . . . . . . Abbildung 24: Hochwasserschutzfunktion des Forggensees mit der neuen Speicherbewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 25: Latènezeitliche Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 26: Flutwelle an der Kinzig in Schiltach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 27: Kiesentnahme aus dem Lech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 28: Mühlstandorte an Seitenbächen des Lechs . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 29: Laufverlegung des Lechs seit 300 n. Chr. nach Osten . . . . . . . . . . Abbildung 30: Lechkanäle in Augsburg um 1635 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 31: Hochablass in Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 32: Staumauer des Forggensees im April 2019 . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 33: Lechkraftwerk Langweid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 34: Bachläufe, Triebwerkskanäle und Kraftwerke in Augsburg . . . . . . Abbildung 35: Die Olympiastrecke am Augsburger Eiskanal . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 36: Querschnitt durch eine Flussaue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 37: Auenvegetation am Lech 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11 12 14 14 17 20
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21 22 23 24 30 32 34 43 46 47 49 52 54 54 56 57 59
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59 65 66 70 78 79 80 81 85 86 87 90 92 95
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 38: Auenvegetation am Lech 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 39: Veränderungen der Auenvegetation . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 40: Tagesgang der Kraftwerksleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 41: Schwellbetrieb einer Kraftwerkstreppe . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 42: Typischer Tagesgang des Stromverbrauchs . . . . . . . . . . . . Abbildung 43: Staustufen am Lech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 44: Jahresgang des Wasserstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 45: Jahresgang des Abflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 46: Kanalisierte Wertach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 47: Renaturierte Wertach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 48: Das Renaturierungsgebiet des Lechs . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 49: Frühneuzeitliche Wasserbauten zum Hochwasserschutz . . . . . Abbildung 50: Lageplan der Untersuchungsräume . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 51: Veränderungen des Lechs zwischen 1809 und 1834 . . . . . . . Abbildung 52: Der Lech bei Augsburg war um 1900 noch ein wildernder Fluss Abbildung 53: Tiefenerosion des Lechs innerhalb von 10 Jahren . . . . . . . . Abbildung 54: Leitbild für die ökologische Sanierung des Lechs . . . . . . . . . Abbildung 55: Entwicklungsziele für die Renaturierung . . . . . . . . . . . . . Abbildung 56: Beispiel für eine Sohlrampe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 57: Zeitplan des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth . . . . . . . . Abbildung 58: Systemveränderungen eines fluviatilen Systems . . . . . . . . . Abbildung 59: Das Dilemma der Wasserkraftnutzung . . . . . . . . . . . . . .
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1 Warum der Lech?
Flusslandschaften sind multifunktional. Sie werden von zahlreichen Grundfunktionen des menschlichen Daseins tangiert oder beansprucht, u. a. durch wohnen, arbeiten, sich versorgen, am Verkehr teilnehmen und sich erholen, vgl. dazu Maier et al. (1977, S. 18). Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Flüsse und ihre Einzugsgebiete zu den vom Menschen am stärksten überprägten Landschaften gehören. Am Beispiel der Flusslandschaft des Lechs, der durch menschliche Eingriffe vom letzten wildernden Gebirgsfluss nördlich der Alpen in eine Kraftwerkstreppe verwandelt wurde, sollen die Wechselwirkungen zwischen den Raumansprüchen von Menschen, Gesellschaften und Kulturen und ihrer natürlichen Umwelt exemplarisch gezeigt und interpretiert werden. Das Ergebnis ist eine speziell auf die Hydrosphäre konzentrierte Umweltgeschichte des Lechs. Dabei ist auch einzugehen auf die jüngsten, überaus positiven Entwicklungen, die die teilweise Renaturierung des Flusses zum Ziel haben. Die Darstellung der Umweltgeschichte des Lechs beginnt deshalb nicht – wie sonst üblich – mit der Beschreibung eiszeitlicher Terrassen aus dem Günz-, Mindel-, Riß- oder Würmglazial und damit vor ca. 1 Mio. Jahren, sondern mit der Sesshaftwerdung des Menschen in der beginnenden Jungsteinzeit vor rund 7000 Jahren. Dies ist kein zeitlich eng einzuschränkendes Ereignis, vielmehr handelte es sich um einen länger dauernden Prozess, der auch noch regional differenziert war. Im Voralpenraum können wir davon ausgehen, dass sich die Neolithisierung und damit die landschaftsprägende Veränderung der Wirtschaftsweise vom Jäger und Sammler der Mittelsteinzeit zum Ackerbauern der Jungsteinzeit in der 2. Hälfte des 5. Jahrtausends vollzog, vgl. dazu z. B. Doppler und Ebersbach (2014) und Schier (2014). Möglicherweise wurden einzelne Elemente der sesshaften neolithischen Wirtschaftsweise auch schon früher eingeführt. Seitdem Ackerbau und Viehwirtschaft getrieben wurden und Dauersiedlungen entstanden, wurden die menschlichen Eingriffe in das Landschaftsgefüge und den Wasserhaushalt so groß, dass es zu bleibenden Veränderungen der Umwelt kam. Das Thema sind also die vom Menschen verursach-
ten Veränderungen im hydrogeographischen Gefüge der Flusslandschaft des Lechs. Da wir die Entwicklung eines mehrere Tausend Jahre umfassenden Zeitabschnitts betrachten, ist die Untersuchung zwangsläufig historisch-geographisch ausgerichtet. Der Lech wurde aus verschiedenen Gründen als Demonstrationsobjekt ausgewählt, u. a. weil • es kaum eine Flusslandschaft in Deutschland gibt, in der die Eingriffe schwerwiegender waren und sind • die Flusslandschaft seit weit über 100 Jahren intensiv wissenschaftlich von unterschiedlichen Disziplinen vor allem unter floristischen, faunistischen, wirtschaftsgeschichtlichen, technischen und geowissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht wird. Von geographischer und geologischer Seite waren dies u. a. Penck und Brückner (1901–1909), Troll (1925), Bayerisches Geologisches Landesamt (1959) und in den letzten Jahren besonders intensiv G. Schellmann und seine Schüler in zahlreichen Publikationen, z. B. Schellmann (2010), Schellmann (2016), Gesslein (2013) und Schielein (2012) • aus ökologischer Sicht die Eingriffe im Licht einer hydrogeographischen Fragestellung völlig anders bewertet werden müssen als unter den Gesichtspunkten Klimageographie, anthropogen verursachter Klimawandel und CO2-Vermeidung, vgl. dazu Friedmann (26. 09. 2019) • inzwischen auf staatlicher und planerischer Ebene ein ökologisch ausgerichtetes Umdenken stattgefunden hat und zahlreiche Renaturierungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Sie können zwar den angerichteten ökologischen Schaden nicht vollständig wiedergutmachen, aber sie werden eine weitere Verschlechterung verhindern und partiell wesentliche Verbesserungen bringen • die erfolgreiche Bewerbung der Stadt Augsburg um die UNESCO-Klassifizierung der städtischen Wasserwirtschaft als Weltkulturerbe einen weiteren Informationsschub gebracht hat, vgl. z. B. Kluger (2011) und Kluger (2015)
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1 Warum der Lech?
•
eine aktuelle, auf die Flusslandschaft des Lechs bezogene ganzheitliche, ökologisch orientierte Zusammenfassung auf historisch-geographischer Grundlage seit über 40 Jahren überfällig ist, zumal die in Rede stehende Dissertation von Raster (1979) nicht in gedruckter Form vorliegt und damit einer breiten Öffentlichkeit unzugänglich ist. Generell hat sich die Umgestaltung der Flusslandschaft von den ersten Anfängen bis heute kontinuierlich verstärkt und besonders in den letzten hundert Jahren rasant beschleunigt. Das hängt mit vielen Faktoren zusammen, u. a. mit den gestiegenen Anforderungen, die aus den oben genannten Daseinsgrundfunktionen erwachsen, die technischen
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Möglichkeiten sind exponentiell gewachsen und auch die finanziellen Mittel und die organisatorischen Instrumente eines modernen Staatswesens haben sich vervielfacht. Obwohl die sichere Versorgung mit Wasser in weltweiter Sicht eines der größten Probleme der Menschheit darstellt, soll dieses Buch zum Schluss auch Hoffnung machen! Denn anders als beim Ringen um eine CO2-neutrale Wirtschaftsweise hat die Wasserwirtschaft – leider bislang nur in Mitteleuropa und wenigen anderen Regionen der Erde – die ökologischen Probleme erkannt und steuert erfolgreich um. Es bleibt zu hoffen, dass dies beim Thema Wasser weltweit und besonders auch in der Klimadebatte in gleicher Weise gelingt!
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2 Hydrogeographische Leitlinien der ursprünglichen Flusslandschaft Die Flusslandschaft des Lechs wurde in den letzten 7000 Jahren vom Menschen grundlegend verändert. Wenn man diese Veränderungen darstellen und beurteilen will, muss man zunächst zeigen, wie die Flusslandschaft vor den menschlichen Eingriffen ausgesehen hat. Und wir müssen uns fragen, wie die natürlichen Formungskräfte gewirkt haben? Der Lech ist ein typischer Gebirgsfluss, der im österreichischen Lechquellengebirge in den nördlichen Kalkalpen in 1840 m Meereshöhe entspringt und bis zu seinem Übertritt ins Alpenvorland bei Füssen von den ihn begleitenden Talflanken geleitet wird. Nach einem deutlichen Gefällsknick (vgl. Abb. 2) und dem Durchbruch durch Wettersteinriegel, Flysch, Faltenmolasse und die Endmoräne des Iller-Lech-Gletschers gewähren ihm die weitgespannten glazialen und glazifluvialen Aufschüttungen genügend Platz, um auf einer schiefen Ebene hin und her zu pendeln und über die DonauIller-Lech-Platte dem Vorfluter Donau zuzustreben. Unser Untersuchungsraum ist das Einzugsgebiet des Lechs, vgl. Abb. 1. Es umfasst 3919 km2 (Bayerisches Landesamt für Umwelt (2016)) und begleitet den Fluss lanzettförmig von seinen Quellen in den Lechtaler Alpen bis zu seiner Mündung in die Donau bei Donauwörth. Wenn der Lech nach einer Laufstrecke von ca. 257 km bei Rain in die Donau mündet, hat er die potentielle Energie aus einer Höhendifferenz von 1448 m zwischen Quelle und Mündung in Bewegungsenergie umgesetzt. Bei der relativ kurzen Laufstrecke des Flusses errechnet sich ein durchschnittliches Sohlengefälle von ca. 5,7 ‰. Das ist auch im Vergleich zu ähnlich situierten Flüssen wie dem Inn mit 4,4 ‰ oder der Isar mit 2,9 ‰ sehr hoch und weist den Lech als extrem energiereichen Fluss aus (Gefälle nach Angaben aus Bayerisches Landesamt für Umwelt (2014a) und des Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (2012)). Aus hydrodynamischen Gründen wird an dieser Stelle eine durch das Gefälle motivierte Zweiteilung des Flusses der detaillierteren, geologisch-geomorphologisch begründeten Untergliederung, wie
sie beispielsweise bei Pfeuffer (2010, S. 21 ff.) dargestellt wird, vorgezogen. Wir gliedern • in den noch bzw. wieder naturnäheren Alpenlech von seinen Quellbächen Formarinbach und Spullerbach in Österreich bis zum Austritt aus dem Gebirge bei Füssen mit einem Sohlengefälle von durchschnittlich rund 12 ‰ und • in den zur Kraftwerkstreppe umgewandelten Alpenvorlandslech zwischen Füssen und seiner
Abb. 1: Einzugsgebiet des Lechs, Quelle: (Wikipedia Lech); Einzugsbereich des Lechs http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/, [email protected].
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2 Hydrogeographische Leitlinien der ursprünglichen Flusslandschaft
Abb. 2: Längsprofil des Lechs. Diese älteste Profilaufnahme des Lechs aus dem Jahr 1879 zeigt schön den Unterschied zwischen Alpen- und Alpenvorlandslech und die mehr oder weniger konstanten Gefällsverhältnisse ab Reutte bis zur Einmündung in die Donau, Quelle: Bauer (1979, S. 9).
Mündung in die Donau mit einem eher theoretischen Gefälle von 2,42 ‰. Warum das durchschnittliche Gefälle des Alpenvorlandslech nicht das für die Fließgeschwindigkeit maßgebliche Sohlgefälle ist, wird sich im Verlauf der Darstellung ergeben. Diese Zweiteilung kommt im ältesten bekannten Längsprofil des Flusses klar zum Ausdruck (vgl. dazu Abb. 2) und wird heute dadurch unterstrichen, dass der Lech oberhalb von Reutte seinen ursprünglichen morphologischen Charakter noch weitgehend erhalten bzw. wiedererlangt hat, vgl. dazu Egger et al. (2019, S. 426), während er flussabwärts durch die energetische Nutzung in Deutschland sehr stark verändert wurde und besonders unterhalb des Forggensees durch die Ausbildung einer Kraftwerkstreppe eher Seenkette als Wildfluss ist, vgl. dazu auch Kapitel 12, 14 bis 16. Klimatisch gehört das Lecheinzugsgebiet nach der Klimaklassifikation von Köppen und Geiger im 12
alpinen Bereich zu Df, also einem immerfeuchten, kühlen Schnee- oder Waldklima, und im Alpenvorland bis zur Donau zu Cf, unserem atlantisch beeinflussten mitteleuropäischen warmgemäßigten Regenklima. Akzentuiert wird die klimatische Disposition von der Orographie, die häufig zu Wetterlagen mit Nordstau an den Alpen und somit zu erhöhtem Niederschlag führt. Generell wird das Abflussgeschehen des Lechs ganz wesentlich im Gebirge, das als hygrisches Steuerungszentrum fungiert und wo hohe Abflusskoeffizienten und Fließgeschwindigkeiten herrschen, bestimmt. Am Oberlauf des Lechs werden je nach Höhenlage und Exposition 1800 mm bis über 2500 mm Niederschlag pro Jahr gemessen, das Maximum liegt im Sommer im Monat Juni. Ein erheblicher Anteil der Niederschläge fällt im Jahresverlauf als Schnee, der als Rücklage bis ins Sommerhalbjahr erhalten bleibt und erst im Frühjahr und Frühsommer mit der Schneeschmelze ins Tal fließt. Auch im Alpenvor-
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2 Hydrogeographische Leitlinien der ursprünglichen Flusslandschaft
Abb. 3: Historische Abflussganglinie des Lechs. Gemittelte Abflussganglinie für die Jahre 1890 bis 1899 am Pegel Füssen, berechnet nach Raster (1979, S. 29), Niederschlag und Anzahl der Schneetage aus 30-jährigen Reihen nach Meteoblue.
land liegt das Niederschlagsmaximum zwar im Sommer, allerdings ist der Anteil des Schnees wesentlich geringer. Er fällt nur an wenigen Tagen im Winterhalbjahr und taut bereits nach kurzer Zeit wieder. Der Jahresniederschlag liegt im Alpenvorland um 800 mm/a und steigt mit zunehmender Alpennähe schnell auf Werte über 1000 mm/a an, vgl. Tab. 1. Auch der Abflusskoeffizient ist im Alpenvorland wesentlich niedriger als im Gebirge, weil hier die Verdunstung in Form der Evapotranspiration eine größere Rolle spielt und das Gefälle kleiner ist. Diese Niederschlagsverteilung wirkt sich naturgemäß auf das Abflussprofil des Lechs aus, vgl. dazu u. a. Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (1984), Keller (1979), Müller (1987) und Raster (1979). Station Augsburg
Jahresniederschlag 714 mm/a
Landsberg/Lech
1530 mm/a
Füssen
1103 mm/a
Reutte/Tirol
1447 mm/a
Warth/Vorarlberg
1722 mm/a
Tab. 1: Jahresniederschlag im Einzugsgebiet des Lechs, Quellen: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft, Ortsartikel in Wikipedia
Nach Pardé besitzt der Lech ein einfaches Abflussregime mit eindeutigem Maximum im Juni. Trotzdem überlagern sich – ähnlich wie beim komplexen Regime – zwei Abflussursachen, nämlich ein montan-nivaler und ein pluvialer Einfluss in einer Weise, dass nur ein eindeutiges Maximum resultiert und es deshalb nicht zu einer ausgeglicheneren Wasserführung, sondern zu einer Akzentuierung des Maximums kommt, vgl. Abb. 3. Im langjährigen Mittel ist das Verhältnis vom sommerlichen zum winterlichen Abfluss etwa 3 : 1. Die Differenz zwischen Abflussminimum MNQ im Winterhalbjahr und dem sommerlichen Maximum MHQ ist mit einem Faktor > 35 wegen der Überlagerung von Niederschlagsmaximum und dem Höhepunkt der Schneeschmelze relativ groß. Der Aufbrauch der Schneerücklage verläuft mehr oder weniger parallel zum Jahresgang des Niederschlagsgeschehen, vgl. dazu Keller (1979, S. 274 ff.). Dies führt zu schnell auflaufenden sommerlichen Hochwasserschwällen mit erheblicher morphologischer Wirksamkeit, vgl. dazu besonders Bauer (1979). Stellen wir NNQ, den niedrigsten, je gemessenen Abfluss, und HHQ, den höchsten je gemessenen Abfluss in Rechnung, vergrößert sich der oben genannte Faktor auf bis zu ca. 470!
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2 Hydrogeographische Leitlinien der ursprünglichen Flusslandschaft
Abb. 4: Abflussganglinie der Hochwasserkatastrophe von 1910. Die Abflussganglinie des Lechs am Pegel Landsberg beim bisher größten Hochwasser im Juni 1910 zeigt, wie dramatisch schnell das Wasser anstieg. Neuere Auswertungen des Scheitelwertes am Lattenpegel in Landsberg lassen auf einen Abfluss in Höhe von > 1400 m3 pro Sekunde schließen. Innerhalb von ca. 18 Stunden steigerte sich der Durchfluss von ca. 60 m3/sec auf fast 1200 m3/sec und stieg dann auf mehr als 1400 m3/sec, das entspricht einem Erhöhungsfaktor von fast 25 in zwei Tagen! Quelle: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (Hrsg.) (1984, S. 27 ff.), verändert.
Bezeichnung
Abfluss
Zeit
NNQ niedrigster, je gemessener Abfluss
1,96 m3/sec
20. 01. 1996
MNQ mittlerer Niedrigwasserabfluss
9,36 m3/sec
1971–2010
MQ langjähriges Mittel
44,1 m3/sec
1971–2010
MHQ mittlerer Hochwasserabfluss
363 m3/sec
1971–2010
HHQ höchster, je gemessener Abfluss
943 m3/sec
23. 08. 2015
Tab. 2: Variabilität des Abflusses am Pegel Lechaschau, ca. 15 km oberhalb von Füssen (Bundesministerium für Landund Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2012)
Wenn im Frühsommer die Schneeschmelze durch sehr hohe, langanhaltende Niederschläge beschleunigt wird und sich die Abflüsse von Niederschlagsund Schmelzwasser überlagern, kommt es zu oft katastrophalen Hochwässern. Das bislang schwerste Hochwasser ereignete sich 1910, Müller und Bürger (1990, S. 46), vgl. Abb. 4. In diesem Jahr lag im Juni in den Tiroler Bergen noch sehr viel Schnee. Als am 14. Juni heftige Wolkenbrüche diesen Schnee in wenigen Stunden schmelzen ließen und der Oberflächenabfluss des Starkregens zusammen mit dem Schmelzwasser ins Tal drängte, kam es zur Katastrophe. Weite Teile der Stadt Augsburg wurden zwischen Lech und dem Stadtzentrum auf der Hochterrasse überflutet. Der Hochablass, der über Jahrhunderte den Lech gestaut und einen Großteil 14
seines Wassers in die Stadtbäche geleitet hatte, wurde so schwer beschädigt, dass er gesprengt werden musste. Dadurch fielen die Stadtbäche trocken. Trotz Hochwassers herrschte in der Stadt Wassermangel und die Abwässer, die über die Stadtbäche entsorgt wurden, konnten nicht mehr abfließen, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (2021, S. 8). Hochwasser ist während der schnell auflaufenden Hochwasserwelle sehr energiereich und stellt für den Fluss den Zeitabschnitt dar, in der er die Form seines Bettes prägt. Durch Hochwasser werden die formenden und vielfach zerstörenden Kräfte des Wassers, die in der Schleppspannung zum Ausdruck kommen, enorm verstärkt. Bei normalem Abflussgeschehen liefert in globaler Sicht das Gefälle neben der Wassermenge die Energie für die drei wesentlichen vom Fluss geprägten Gestaltungsprozesse: • Erosion seines Bettes in die Tiefe und zur Seite • Transport von Geröll, Sand, Schweb und Lösungsfracht • Sedimentation von Schweb, Sand und Geröll. Wann kommt es zu Erosion oder Sedimentation? Die Voraussetzungen für Erosion sind dann erfüllt, wenn die notwendige kinetische Energie für die Lockerung und den Abtransport von Substrat und Geröll bereitgestellt werden kann. Sie hängt von der Menge des fließenden Wassers und von seiner Geschwindigkeit ab:
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2 Hydrogeographische Leitlinien der ursprünglichen Flusslandschaft
Ekin ¼ ðm �2 v
2Þ
Es gilt: E = kinetischen Energie des Wassers und damit der Antrieb für Erosions- und Transportarbeit; m = Masse des fließenden Wassers; v = Geschwindigkeit des Wassers. Die Fließgeschwindigkeit ist abhängig von Gefälle, Wassertiefe und Rauigkeit des Bettes. Weil die Fließgeschwindigkeit in der Energiebilanz im Quadrat steht (siehe obige Formel), ist ihr Einfluss erheblich größer als der der Wassermasse beziehungsweise des Abflusses. Allerdings ist die Schwankungsbreite der Fließgeschwindigkeit relativ klein. Eine Verdoppelung der Wassermasse führt bei gleichbleibender Fließgeschwindigkeit zwar nur zu einer Verdoppelung der Erosionsleistung. Bezogen auf den Lech müssen wir jedoch die sehr hohe Variabilität des Abflusses mit einem Faktor > 35 berücksichtigen! Damit wird letztendlich beim Lech doch der sehr variable Abfluss zum steuernden Faktor für Erosion und Transport! Hochwasser reißt Geröll aus der Sohle und transportiert es, hingegen wird bei fallendem Wasserstand die Geröllfracht wieder abgelagert und es entstehen erneut Kies- und Sandbänke. Des Weiteren muss – wie das beim Lech vor Beginn menschlicher Eingriffe der Fall war – Geröll- und Sandfracht in den unterschiedlichen Fraktionen als Last und als Erosionswerkzeug in ausreichender Menge vorhanden sein, vgl. dazu besonders Bauer (1979). Aus Geröll- und Sandfracht und der kinetischen Energie des Wassers ergibt sich die Formulierung des Belastungsverhältnisses eines Flusses. Es wird definiert als das Verhältnis von mitgeführter Fracht zur Wassermenge und ihrer Fließgeschwindigkeit bzw. Schleppkraft: BV = L/S Dabei gilt: BV = Belastungsverhältnis; L = Last; S = Schleppkraft Das Belastungsverhältnis zeigt, ob überschüssige kinetische Energie als Motor von Erosion und Transport verfügbar ist und entscheidet somit über Erosion, Transport oder Akkumulation. Hier liegt der Schlüssel für die morphologischen Aktivitäten des Flusses. An dieser Stelle wird mitentschieden, ob ein Fluss z. B. erodiert und sein Bett tiefer legt, ob er mäandriert oder verwildert, sich aufspaltet
und Kiesbänke schüttet oder andere Formen für sein Bett schafft. Es gilt: • BV > 1 Akkumulation bzw. Sedimentation. Häufiger Wechsel zwischen • BV > 1 führt zur Verwilderung bei abwechselnd erodierenden oder sedimentierenden Formungsprozessen. Das „Belastungsverhältnis“ wird in jüngerer Zeit ergänzt durch die Kenngröße „Stream Power“. Sie gibt Auskunft über die Schlepp- bzw. Erosionskraft eines Flusses: Ω = Q * JS Dabei gilt: Ω = Stream power; Q = Abfluss; JS = Sohlengefälle Große Tieflandsflüsse haben zwar oft ein wesentlich kleineres Gefälle als Gebirgsflüsse, allerdings ist ihr Abfluss viel größer und sie sind deshalb trotz kleinem Gefälle in der Lage, enorme Mengen an Geschiebe zu transportieren. Wenn die Stream Power abnimmt, wird sedimentiert – damit besteht im seichten Gerinne die Neigung zum Verzweigen eines Flusses. Bei ansteigender Stream Power, z. B. verursacht durch ein Hochwasser, wird erodiert. Die Stream Power Ω schwankt in unseren Breiten jahreszeitlich, zusätzlich kommen Extremereignisse wie Hochwasser und lange Perioden mit Trockenwetterabfluss hinzu, in denen die Schwankungen des Jahresgangs akzentuiert werden, vgl. dazu z. B. Hohensinner et al. (2019). Ein naturbelassener, nicht regulierter Fluss ist ständig bestrebt, Formungsprozesse und Form aneinander anzupassen und einen Gleichgewichtszustand durch Anpassung der Form seines Bettes an die wirkenden Kräfte zu erreichen. Bauer (1979) hat in einer sehr fundierten Untersuchung das Gleichgewicht zwischen Energie und der Last in Form von Geröll und Geschiebe untersucht und die Auswirkungen des Lastentzugs durch den Bau von Querverbauungen und Staustufen am Lech beispielhaft aufgezeigt. Um die vom Menschen induzierten Veränderungen zu beurteilen, ist es notwendig, zunächst den Ausgangszustand der Flusslandschaft zu beschreiben. Dazu gehört die Beschreibung der hy15
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drogeologischen Situation und die Darstellung der holozänen geomorphologischen Formung. Da wir den glazialen Formenschatz als Bühne der nacheiszeitlichen Formung ansehen, dessen Entstehung somit vor dem von uns betrachteten Zeitraum liegt und deshalb hier nicht zur Debatte steht, können wir auf klimageomorphologische Betrachtungen der Eiszeit und des Tertiärs an dieser Stelle verzichten. Kleinere klimatische Veränderungen des Holozäns, die sich natürlich auch auf die Art der Formung ausgewirkt haben, blenden wir mit dem von Ingenieuren gern angewendeten Kunstgriff der Linearisierung einfach aus. Für diese Betrachtung halten wir die geomorphologischen Formungstendenzen im Untersuchungszeitraum konstant. Bork et al. (1998, S. 159 ff.) haben diese Methode in ihrer Untersuchung der Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa mit großem Erfolg in den Geowissenschaften eingeführt. Der Lech entspringt in den nördlichen Kalkalpen. Nach Norden schließt sich die ca. 15 km breite Flyschzone an, danach folgt die etwas breitere Faltenmolasse. Insgesamt sind die Nordalpen ein vornehmlich aus Karbonatgestein bestehendes junges Faltengebirge mit kleinräumiger Faltung und nach wie vor aktueller tektonischer Hebung. Das Karbonatgestein in allen drei Grundwasserlandschaften Kalkalpen, Flyschzone und Faltenmolasse bildet einen Festgesteinsaquifer mit Kluft- und Karsterscheinungen mit geringer bis mittlerer Durchlässigkeit. Die quartären, kiesig-sandigen Talfüllungen sind dagegen Porengrundwasserleiter mit einer hohen Durchlässigkeit und großer Bedeutung für die Grundwassergewinnung. Folgen wir dem Fluss weiter nach Norden, dann durchfließt der Lech zunächst Moränen, um schließlich auf fluvioglazialen Schottern zwischen Iller-Lechplatte und Tertiärhügelland der Donau zuzustreben. Die Moränen bestehen aus glazialen Lockergesteinen. Sie bilden Porengrundwasserleiter mit stark wechselnder Durchlässigkeit. Die Moränenlandschaft wird beherrscht von einem kleinkammerigen Wechsel von grundwasserleitenden Kiesen und Sanden und weniger durchlässigen Moränen- und Seeablagerungen. Dadurch entstehen oft mehrere geringmächtige übereinanderliegende Grundwasserkörper. Die nach Norden anknüpfenden fluvioglazialen Schotter sind ein Porengrundwasserleiter mit hoher bis sehr hoher Durchlässigkeit. Folglich haben wir es im Alpen16
vorland entlang des Alpenvorlandslech mit einem sehr ergiebigen Grundwasserleiter zu tun, der für die Wasserversorgung sehr wichtig wird. Der Grundwasserabstrom erfolgt in den Schotterkörpern im Einklang mit dem Abfluss des Lechs. Die Grundwasserstände schwanken deshalb im Jahresgang mit dem Wasserstand des Flusses. Deshalb reagieren sie auch sehr empfindlich auf erosive Eintiefungen des Lechs, vgl. dazu Aust et al. (1980), Schubert (2016) und Kapitel 10. Wie müssen wir uns den Lech vor dem Beginn menschlicher Einflussnahme vorstellen? Der Alpenlech war ein typischer Gebirgsbach bzw. Fluss mit eher gestrecktem Verlauf und begrenzenden Talhängen, die sich dann zum eiszeitlich geformten Trogtal weiteten und auf größeren Strecken bereits Raum gaben für ein breiteres, verwildertes Flussbett. Stellenweise war der Fluss jedoch auch klammartig eingetieft wie bei der Lechschlucht oberhalb Füssens. Mit dem Austritt aus den Alpen weist das Längsprofil des Lechs einen markanten Knick auf, vgl. Abb. 2. Das starke durchschnittliche Sohlengefälle des Alpenlechs von anfangs weit über 12 ‰ verringert sich auf einen Wert kleiner 3 ‰ beim Alpenvorlandslech. Nach einer relativ kurzen Wegstrecke, auf der sich dem Fluss bei seinem Austritt aus dem Gebirge mehrere Hindernisse in den Weg stellen, gewährt ihm das weitläufige Lechfeld die Freiheit, die ein wildernder Fluss zu seiner Entfaltung benötigt. Bevor der Lech jedoch auf dem Lechfeld frei pendeln kann, muss er die bereits erwähnten Hindernisse überwinden. Nachdem der Riegel aus Wettersteinkalk am Lechfall bei Füssen durchsägt ist, durchbricht der Lech die Flyschzone, kurz danach die steil gestellte Faltenmolasse und schließlich die würmzeitliche Endmoräne des Iller-Lech-Gletschers. Auf dieser Flussstrecke zwischen Füssen und Schongau hat sich der Fluss tief in Molasse und Moränen eingesenkt. Der nördlich von Schongau anschließende Flussabschnitt entstand in der Rißkaltzeit, als geröllbeladene Schmelzwasserströme die Endmoräne nach Norden durchbrachen, sich in die davor liegende tertiäre Fläche eingruben und ein mächtiges Flument schütteten. In der nachfolgenden Würmkaltzeit erodierte der Lech erneut und grub ein 60 m bis 70 m tiefes, breites, kastenförmiges Tal in dieses Flument, das sich südlich von Landsberg zu einer mehrere Kilometer breiten Schotterebene, dem Lechfeld, aufweitet. Diese ausgedehnte fluvioglaziale Schotterlandschaft mit den ineinander
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Abb. 5: Mure am Oberlauf des Lechs. Die links im Bild als Geröllfeld sichtbare Mure hat den Lech vor einigen Jahren beim Unteren Älpele nach Norden abgedrängt. Das zugelieferte Geschiebe wird bei den folgenden Hochwasserabflüssen abtransportiert. Foto: Friedmann.
geschachtelten glazifluvialen Terrassen und dem kilometerbreiten fast ebenen Lechfeld bietet ideale Bedingungen für einen wildernden Fluss, vgl. dazu u. a. Schellmann (2016) und Semmel (1996, S. 155). Geschiebe und Geröll wurden im Gebirge von den Hängen und Seitenbächen eingetragen (vgl. Abb. 5) und auf der gesamten Laufstrecke im Alpenvorland bilden leicht erodierbare Moränen, Terrassenkörper und weitgespannte, eiszeitlich aufgeschüttete Schotterfluren das Bett des Lechs. Dadurch war er auf seiner gesamten Laufstrecke reichlich mit Geröllfracht versorgt. Diese hohe Geröllbelastung konnte der Fluss nur transportieren, weil einerseits das Sohlengefälle noch relativ groß war und für hohe Fließgeschwindigkeiten mit turbulentem oder schießendem Abfluss sorgte und andererseits durch die hohe Variabilität des Abflusses besonders in den Sommermonaten große Schmelzwasser- und Regenmengen abflossen. Wenn in dieser Situation zusätzlich Starkregen fielen, kam es zu ausgeprägten Hochwasserssituationen. Die dann sehr energiereiche stoßweise Wasserführung veränderte das Flussbett
kurzfristig, weil das Formungsregime, das bei BV > 1 vornehmlich sedimentiert, durch die zusätzliche Energie in den erosiven Bereich umschlägt, in dem BV 1 und zurück • viele periodische oder episodische Hochwasserereignisse • hohe Variabilität des Abflusses • große Dynamik bzw. hohe Fließgeschwindigkeit • geringe Uferstabilität, z. B. bei glaziofluvialen Schotterfeldern, wo die Haftfestigkeit bzw. die Kohäsionskräfte zwischen den Geschieben und Schottern gering sind • seitlich Raum zur Ausbreitung des Gerinnes. Das Flussbett hat sich zwar mit jedem Hochwasser verändert, aber weil dem Fluss kein Geröll entnommen und von oben immer neues Material nachgeliefert und flussabwärts abtransportiert wurde, befand sich der Lech trotz ständiger Veränderung in einem Gleichgewicht. Wegen dieses Gleichgewichtszustands sprechen Mangelsdorf et al. (1990) von einer Umlagerungsstrecke des Flusses, bei Büdel (1977) entspricht das der Durchgangsaufschüttung. Bezüglich der geomorphologischen Prozesse müssen wir zwei extreme Zustände und den Übergang von einem in den anderen Formungsprozess unterscheiden: • Bei Hochwasser mit großer Strömungsgeschwindigkeit, BV > 1 und kleinem Durchfluss gilt: • Geschiebeüberschuss • meist langsamerer turbulenter bis laminarer Abfluss, daneben Stillwasserbereiche im Lee von Kiesbänken • Sedimentation von Sand • Luv-Lee-Effekte bei der Sedimentation: am strömungszugewandten Kopf einer Kiesbank wird die Strömung geteilt, hier werden nur größere Fraktionen Kies sedimentiert. Dagegen wird am unteren Ende einer Kiesbank, sozusagen im Lee, hauptsächlich Sand sedimentiert. • je seichter das Wasser, desto langsamer die Fließgeschwindigkeit, desto mehr Sedimentation • keine aktive Umformung des Flussbetts durch Erosion. Die geomorphologische Formung des Flussbetts und der Aue bewegt sich in Abhängigkeit vom Durchfluss zwischen diesen beiden extremen For25
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mungsmechanismen und verändert sich innerhalb kurzer Zeit. Vgl. zu den Formungsmechanismen vornehmlich Ahnert (2009), Dalchow und Rohden-
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burg (1989), Leser (2009), Mangelsdorf et al. (1990), Müller und Bürger (1990), Rohdenburg (1989) und Zepp (2011).
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3 Anthropogeographisches Grundmuster der Flusslandschaft und hydrogeographische Veränderungen Nachdem wir uns im vorausgegangenen Kapitel die „unberührte“ Flusslandschaft angeschaut haben, müssen wir nun fragen, wie der Mensch diese Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft verwandelt hat? Das Grundmuster der Kulturlandschaft entlang des Flusses wird vom Gang der Besiedlung und von der Wirtschaftsform gezeichnet. Je mehr Menschen sich ansiedelten, desto gewichtiger wurden auch die hydrogeographischen Eingriffe. Parallel zur ansteigenden Bevölkerung entstanden neue Technologien und wuchsen die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Für die Alt- und Mittelsteinzeit bezeugen Pfeilspitzen, Klingen und Schaber die Anwesenheit des Menschen am Lech seit etwa 80 000 Jahren vor heute. Fischer et al. (2009) weisen für das Mesolithikum verschiedene Funde nach. Allerdings haben diese Jäger und Sammler noch nicht nennenswert in den Wasserhaushalt eingegriffen. Für die mesolithische Population nehmen Kreuz und Terberger (2014, S. 87) eine Bevölkerungsdichte von 0,01 bis 0,1 Personen/km2 an. Richter und Affolter (2016) präzisieren die Zahlen und geben für das Spätmesolithikum 0,0023 Personen pro Quadratkilometer für Altbayern an. Bei den Linienbandkeramikern, die im Neolithikum den Wandel in der Wirtschaftsweise bringen, steigt der Wert nach Kreuz und Terberger (2014) mit 0,6 Personen/km2 bereits auf ein Vielfaches an. Die Lagerplätze in der Zeit des Übergangs vom Spätmesolithikum zum Neolithikum, in der die Bandkeramiker zuwanderten, waren schon über längere Zeit bewohnt und der Anteil pflanzlicher Nahrung in der Zeit des Übergangs stieg an, weshalb Richter und Affolter (2016, S. 224) von einer „low level food production“ sprechen. Damit deutet sich die neolithische Revolution bereits an. Zu diesem Zeitpunkt setzt auch unsere Betrachtung an. Während für weite Teile Mitteleuropas die Kenntnisse des Jungneolithikums noch relativ bescheiden sind, ist im Voralpenraum die Quellenlage durch die über 100-jährige Erforschung von Pfahlbauten und Feuchtbodensiedlungen sehr gut. Die durch Luftabschluss hervorgerufene gute Erhaltung von Holz und anderen organischen Siedlungsrelik-
ten und vor allem von Blütenpollen gestattet sehr gute Einblicke in den Alltag, die Ernährungs- und Wirtschaftsweise und in die Umweltgeschichte. Und die dendrochronologischen Datierungsmöglichkeiten erlauben eine aufs Jahr genaue Präzisierung, vgl. dazu Doppler und Ebersbach (2014, S. 58). In Süddeutschland können wir nach Gronenborn (2014) mit ersten vollbäuerlichen Dorfgemeinschaften der Linienbandkeramiker um 5500 v. Chr. rechnen. Im Einzugsbereich des Lechs erfolgte die Neolithisierung wohl wesentlich später. Etwa ab 4300 v. Chr. werden Landschaften wie das Alpenvorland und Oberschwaben erschlossen, Rösch (2011, S. 16). In den meist kurzlebigen Dörfern konnten einige mit bis zu 50, ja sogar bis zu 100 Gebäuden nachgewiesen werden, Doppler und Ebersbach (2014, S. 61). Mit dem Übergang von der Mittel- zur Jungsteinzeit erfolgte parallel zur Sesshaftwerdung des Menschen ein grundlegender Umbruch in der Wirtschaftsweise und damit auch in der Schwere des Eingriffs in den Landschaftswasserhaushalt. Dazu schreibt Goudie (2019, S. 18): „Both the domestication of animals and the cultivation of plants have been among the most significant causes of the human impact … [auf die natürliche Umwelt].“ Allerdings kam es bei der Umstellung von der mesolithischen auf die neolithische Wirtschaftsweise nicht einfach zu einer Ablösung der alten Wirtschaftsform. Vielmehr müssen wir mit einem langdauernden und mehrschichtigen Neolithisierungsprozess rechnen, bei dem die Epochengrenze zwischen Mesolithikum und Neolithikum verschwimmt. Für die Schweiz haben Haas et al. (1997, S. 36 ff.) durch pollenanalytische Untersuchungen gezeigt, dass es in mehreren Wellen zu charakteristischen Abläufen kam: • Es begann mit einer Rodungsphase, in der durch Feuer bzw. Brandrodung oder andere Techniken der Wald zerstört wurde • in der anschließenden Kulturphase, in der Kulturpflanzenpollen wie Getreide und bestimmte Unkräuter gefunden wurden, andererseits jedoch die Kurven für verschiedene Bäume stark 27
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zurückgingen, erfolgten die ersten zunächst unbewussten Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt • in Seen kam es zu einem „Nährstoff- und Sedimenteintrag als Folge öffnungsbedingter Erosion …“, Haas et al. (1997, S. 40). Das sind eindeutige Belege für Waldöffnung, Bodenerosion und Nährstoff- und Sedimenteintrag in die Gewässer • auch längere Bracheperioden, Verbuschung und anschließende Wiederbewaldung können pollenanalytisch belegt werden. Nach längeren Ruhephasen lief häufig die gleiche Sequenz erneut ab. Rösch (2011) liefert eine sehr kompakte Beschreibung der Stadien der Kulturlandschaftsentwicklung, der wir hier weitgehend folgen. Vor Beginn der produzierenden neolithischen Wirtschaftsweise existierte im Alpenvorland eine geschlossene Bewaldung. Das änderte sich mit dem Beginn der Jungsteinzeit, denn unsere Kulturpflanzen stammen überwiegend aus dem vorderen Orient, wo sie in offenen Landschaften wuchsen, Rösch (2014, S. 14 f.) Deshalb ist der Anbau dieser Kulturpflanzen nur dort möglich, wo der Wald beseitigt wurde. Während zu Beginn der Neolithisierung in den trocken-warmen Gunstgebieten – als am Lech noch keine Feldfrüchte angebaut wurden – kleinflächiger Hackbau auf dauerbewirtschafteten Flächen ohne Dünger betrieben wurde, musste man beim Vordringen in weniger von der Natur begünstigte Landstriche wie dem Lechgebiet die Anbauverfahren ändern. Als im Jungneolithikum ab 4300 v. Chr. im Alpenvorland der Ackerbau begann, fand man Möglichkeiten, um durch Düngung der bei Dauerbewirtschaftung drohenden Bodenversauerung und Nährstoffauslaugung entgegen zu wirken. Dies geschah durch die Hinwendung zu einer Art neolithischem Brandrodungs-Wanderfeldbau, wie wir ihn aus den Tropen kennen. Bei diesem Wald-Feld-Bodennutzungssystem diente die Holzasche als Dünger. Wenn nach der ersten Rodung, bei der Hochwald mühsam mit steinzeitlichen Werkzeugen beseitigt werden musste, nach ca. 12 Jahren der junge Baumwuchs, der einen Niederwald hatte entstehen lassen, wieder für eine ackerbauliche Nutzung gerodet werden musste, tat man sich wesentlich leichter. Das armstarke Holz konnte schnell mit einfachen Steinwerkzeugen geschlagen werden und trocknete schnell. Der Holzeinschlag war wegen der großen 28
Feuchtigkeit in Mitteleuropa notwendig, denn Buchenniederwald brennt ohne vorherige Trocknung kaum. Nach dem Brand wurde eine Einzellochsaat durchgeführt. Als Getreide wurde vornehmlich freidreschender Weizen eingesät, er ist wesentlich ertragsstärker als Einkorn oder Emmer. Fettlieferanten waren Lein und Schlafmohn, an Hülsenfrüchten wurden nur Linsen und Erbsen kultiviert. Da durch das Feuer auch die konkurrierenden Wildpflanzen optimal bekämpft wurden, waren die Erträge im ersten Jahr sehr hoch. Zudem war die Nährstoffversorgung gut. Weil der Boden durch das Feuer schwarz wurde und deshalb eine niedrige Albedo besaß, erwärmt er sich im Frühjahr schnell. Das gab einen weiteren Wachstumsschub, Rösch (2016). Die von Buchen beherrschte Landschaft der Jungsteinzeit wurde durch den neolithischen Brandrodungs-Wanderfeldbau zu einem Flickenteppich aus Niederwäldern, Gebüsch, Schlagfluren und Feldern, auf denen relativ hohe Erträge erzielt wurden, die durchaus an Erträge des frühen 20. Jahrhunderts heranreichten! Diese Ertragskraft wurde ermöglicht durch die Verwendung von zusätzlich herbeigeschaffter Aschedüngung. Für 1 ha Ackerland benötigte man wegen der 12-jährigen Umtriebszeit und der Nutzung von zusätzlichen Niederwaldflächen als Aschelieferant etwa 30 ha ergänzende Nutzfläche. Es konnten also nur 3 % bis 5 % der Landfläche als Ackerland genutzt werden, alles übrige Land war mit unterschiedlich schlagreifen Niederwäldern bestockt, die im 12-jährigen Turnus als Ackerland genutzt wurden, so Rösch (2011, S. 18 f.). Im Spätneolithikum gewinnt die Viehwirtschaft an Bedeutung, Rinder werden als Zugtiere verwendet und man kommt vom Wanderfeldbau ab. Die Felder wurden nicht mehr verlagert, sondern dauerhaft an Ort und Stelle bewirtschaftet. Dieses modifizierte Anbauverfahren erlaubte bei Aschedüngung Erträge von 1500 kg/ha bis 8000 kg/ha, ohne Aschedüngung erreichte man max. 2000 kg/ha. Der Daueranbau wurde stationär auf den besten Standorten einer Flur betrieben, das Düngematerial wurde aus Asche vom Niederwald auf schlechteren Standorten gewonnen und zum Feld transportiert. Schließlich wird im ausgehenden Neolithikum die Feldwirtschaft zu Gunsten der Viehwirtschaft (Weidewirtschaft, Dauergrünland) weiter zurückgedrängt. Möglicherweise wird erstmals Mist- statt Aschedüngung angewendet und der Dinkel kommt als neue Feldfrucht hinzu, Rösch (2011, S. 20).
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In der Bronzezeit kommen zum Anbauspektrum Hirse und Ackerbohnen neu hinzu, daneben werden weiterhin Dinkel, Gerste, Erbsen, Linsen, Schlafmohn, manchmal auch Emmer und Einkorn angesät. Insgesamt wird nun eine Feld-Graswirtschaft betrieben. Wenn die Erträge einbrachen, wurde ein Brachejahr eingeschoben. Diese Brache wurde als Weide genutzt, dadurch erfolgte gleichzeitig eine Düngung durch das Weidevieh. Auch die Waldweide spielte eine Rolle. Die Erträge waren in der Bronzezeit niedriger als im Neolithikum, deshalb benötigte man mehr Anbauflächen. Die intensivere Bodenbearbeitung wurde jetzt mit dem Pflug durchgeführt. In der Eisenzeit blieben die Anbauverfahren weitgehend gleich, es kamen jedoch neue Pflanzen wie Leindotter und Linsenwicken hinzu. Die sesshaften Bauern bauten Dörfer, rodeten Wälder, legten Felder an und der sonst durch die Vegetation festgehaltene Boden wurde auf frisch bearbeiteten oder abgeernteten Feldern zeitweise ungeschützt der Erosion ausgesetzt. Verdunstung, Grundwasserneubildung und Oberflächenabfluss änderten sich und es kam zu Bodenerosion und zum Eintrag des abgespülten Bodens in den Vorfluter. Bei festen Siedlungen ist auch schon mit ersten Maßnahmen des Hochwasserschutzes zu rechnen, Verkehrswege überqueren bzw. durchqueren Flüsse mit Hilfe von Furten und verändern den Strömungsquerschnitt und auch die Wasserkraft wurde frühzeitig genutzt. Die Felder der frühen Bauern waren relativ klein und lagen möglichst nahe bei den Häusern. Man darf nach Kreuz und Terberger (2014, S. 90 f) annehmen, dass zur Ernährung eines Menschen etwa 0,5 ha Ackerfläche benötigt wurden. Wenn im Durchschnitt 8 Personen in einem Langhaus gelebt haben, musste folglich ein Feld mit etwa 200 m Länge und 200 m Breite vorhanden sein. Es kann aber durchaus sein, dass statt der 8 Personen auch 16 oder mehr Menschen in einem Langhaus wohnten. Entsprechend größer war dann der Flächenbedarf. Die Bodenbearbeitung erfolgte zunächst mit Grabstöcken. Die tägliche Arbeitsleistung bei der Feldarbeit betrug etwa 0,03 ha/Person. Im Mai und April wurde der Boden mehrfach gelockert. Ab etwa 3000 v. Chr. dürfen wir mit dem Übergang vom Hackbau zum Ackerbau rechnen. Durch diese neue Technologie des Pflügens konnte der Boden tief-
greifend gelockert werden. Das beeinflusste sowohl das Infiltrationsvermögen nach Niederschlägen als auch die Anfälligkeit gegenüber der Bodenerosion. Alle Haus- und Nutztiere der Neolithiker wurden ursprünglich aus dem Orient eingeführt. Im Wesentlichen waren das Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe. Bei den Schweinen kann eine Vermischung mit heimischen Wildschweinen jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Tiere lieferten Fleisch, Häute, Milch, Knochen und Dung, sie waren noch nicht aufgestallt. Vielmehr zogen sie mit Hirten durch die Wälder. Das weidende Vieh verhinderte den Aufwuchs von jungen Bäumen. So entstanden Hutewälder mit mehr oder weniger vereinzelt stehenden großen Eichen und Buchen. Um eine Übernutzung der Wälder zu vermeiden, wurde die Waldweide teilweise auch in Form der Transhumanz betrieben, bei der die Hirten mit den Herden zwischen zwei Weidegründen – z. B. im Tiefland und im Gebirge – wanderten. Der Flächenanteil des Weidelandes war größer als der des Ackerlandes. Nach der Ernte wurden die Tiere regelmäßig auf die Felder getrieben, damit sie die nicht abgeernteten Reste der Feldfrüchte fressen konnten und vor allem auch um zu düngen. Zusammenfassend kann man sagen, dass mit der Besiedlung und der neuartigen agrarischen Nutzung auch die ersten – zweifellos unbeabsichtigten – ökologisch relevanten Veränderungen bzw. Eingriffe in das hydrogeographische Gefüge der Flusslandschaft gegeben waren. Dies geschah durch Bodenabtrag von den Feldern und die Ablagerung des abgespülten Bodens als Auesediment nach einem Hochwasser und durch eine Veränderung von Oberflächenabfluss, Verdunstung und Infiltration des Niederschlags. Schließlich ist der Wasserverbrauch der Nutzpflanzen und ihre Verdunstung anders als bei der vorausgegangenen natürlichen Vegetation, vgl. dazu Goudie (2019, S. 145 ff.). Die Analyse von Pflanzenpollen, die sich in Mooren oft gut erhalten haben, lassen sehr gute Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Vegetation zu. Auch eine Datierung ist möglich, allerdings ist dies eine stratigraphisch orientierte Gliederung, die bezüglich ihrer Exaktheit nicht an die jahresgenaue Datierung der Dendrochronologie heranreicht. Das mag Abweichungen bei den Altersangaben erklären. Deshalb werden Pollenanalysen gern mit Hilfe von C-14-Datierungen zeitlich genauer eingestuft. Pollenanalytische Untersuchun29
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Abb. 11: Steinzeitliche Fundstellen am Lech. Mittel- und jungneolithische Funde im unteren Lechtal, Quelle: Meixner (2013, S. 148).
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gen in fruchtbaren Lössregionen im Einzugsgebiet des Lechs führen zur Vermutung einer bäuerlichen Besiedlung bereits vor 6000 bis 7000 Jahren, so Küster (2001, S. 10 f.). Schwerpunkte der Besiedlung waren zunächst die überflutungssicheren Hochterrassen entlang des Lechs. Im Raum Augsburg war es das Hochfeld, das etwa 10 m bis 12 m über dem Lech liegt, und wo eine mehrere Meter mächtige Lössauflage günstige Bedingungen für den Ackerbau bot. Im Umfeld der Stadt wurden in Göggingen, Bobingen und Inningen jungsteinzeitliche Siedlungen nachgewiesen. Von der Wertach sind Pfostenlöcher von Langrechteckhäusern bekannt und Funde von Steinsicheln und Malsteinen weisen auf den Anbau von Dinkel, Emmer und Gerste hin. In der ausgehenden Jungsteinzeit war der Siedlungsraum bereits bis in die Gegend von Kaufbeuren und Memmingen ausgeweitet. Dagegen blieb das angrenzende Tertiärhügelland flächenhaft mit Urwald bestanden, vgl. dazu Trier (2002, S. 204 f.). In Abb. 11 ist die Verbreitung mittel- und jungsteinzeitlicher Funde am unteren Lech dargestellt. Die in der Karte eigens ausgewiesene Münchshöfener Kultur gehört ins Jungneolithikum. Sie tritt erstmals um 4500 v. Chr. auf und dauerte bis etwa 3900/3800 v. Chr., vgl. dazu Meixner (2013). Besiedelt wurden vorzugsweise leicht bearbeitbare Böden in Kombination mit günstigem Lokalklima auf den hochwassersicheren Hochterrassen der Iller-Lechplatte. Flüsse wie der Lech boten besonders in Grenzlagen zwischen feuchter Talaue und den trockeneren Platten günstige Bedingungen für die Siedlungen. Bei Landsberg am Lech wurde eine Siedlungskammer mit drei Feuchtbodensiedlungen aus dem Jungneolithikum ausgegraben, vgl. Abb. 12. Es handelt sich um die drei zeitlich aufeinander folgenden Siedlungen Pestenacker-Nord, die älteste Siedlung, um Unfriedshausen und Pestenacker, die zwischen 3735 bis 3410 v. Chr. bewohnt wurden. Jedes dieser drei Dörfer hatte 12 bis 16 Wohnstallhäuser in Pfostenbauweise und war umzäunt. Weitere Siedlungen aus dieser Zeit sind beispielsweise in Merching, Inning und Polling nachgewiesen. Wie bereits erwähnt, bildete die Landwirtschaft die wirtschaftliche Grundlage dieser Siedlungen. Der Anbau von Feldfrüchten und die Tierhaltung waren in den meisten Feuchtbodensiedlungen die wichtigste Nahrungsgrundlage. Ab ca. 3000 v. Chr. dürfen wir mit dem Einsatz des von Rindern gezo-
genen Hakenpfluges rechnen. Diese Rationalisierung ermöglichte den Umbruch größerer Flächen, zusätzlich wurde die Bearbeitungstiefe des Bodens erhöht. Damit einher gingen vermutlich ein verstärkter Bodenabtrag und damit auch ein erhöhter Eintrag in die Gewässer, vgl. dazu Limmer (2009), Limmer (2014), Schlichtherle (1997, S. 10) und UNESCO Welterbe. In der Bronze- und frühen Eisenzeit wurden die Täler entlang von Donau, Lech, Wertach und Iller endgültig durchgehend mit agrarisch ausgerichteten Kleinsiedlungen besiedelt. Davon zeugen u. a. die zahlreichen keltischen Viereckschanzen, Kießling (2013, S. 14). Mit einer sich verdichtenden Bevölkerung wurden zunehmend auch von Hochwasser bedrohte Lagen auf der Niederterrasse genutzt. Siedlungsplätze der Bronzezeit mit Gold- und Silberfunden in einem ca. 3000 Jahre alten, bronzezeitlichen Gräberfeld bei Bobingen belegen ein weit verzweigtes Handelsnetz mit gesamteuropäischen Verbindungen, Kluger (2011, S. 54). Der Besiedlungsgang des Lechfeldes seit der Jungsteinzeit ist exemplarisch im Archäologischen Museum in Königsbrunn dargestellt. Nach Werkzeugfunden aus der Jungsteinzeit ca. 4000 v. Chr. können wir aus Bestattungen der Glockenbecherkultur etwa 2300 v. Chr. und besonders aus der Bronzezeit mit bis jetzt sieben bekannten Nekropolen – die zwischen 1900 bis 1100 v. Chr. datiert werden – auf eine immer dichter werdende Besiedlung schließen. Die wirtschaftliche Grundlage lieferten die Land- und Viehwirtschaft, die vermittels Rodungen und Ackerbau in den Wasserhaushalt eingriffen. Aus der späten Hallstattzeit (etwa 500 bis 400 v. Chr.) wurde bei Königsbrunn z. B. eine größere Siedlung mit ca. 50 Gebäuden am Lech ausgegraben (Wikipedia). Auch weiter flussabwärts wurde in Blankenburg im nahen, zum Lech parallelen Schmuttertal ein Siedlungsplatz mit einer 7000-jährigen Geschichte lokalisiert und untersucht. Die Siedlungsreste wurden ca. 50 m über dem Lech- bzw. Schmutterniveau auf Lösslehm gefunden. Der älteste Fund ist ein sog. Schuhleistenkeil der Linienbandkeramiker, der auf 5500 bis 5000 v. Chr. datiert wird. Die meisten Fundstücke stammen aus einer jungsteinzeitlichen Siedlung der Münchshöfener Kultur, die etwa um 4300 v. Chr. angesetzt wird. Aus der nachfolgenden Altheimer Kultur – ca. 3700 v. Chr., und der Glockenbecherkultur, ca. 2500 bis 2200 v. Chr. – sind 31
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Abb. 12: Jungneolithische Siedlung Pestenacker. Hausstellen der Siedlung mit Bachbett des siedlungszeitlichen Loosbaches. Die ergrabenen Befunde sind dunkel gerastert, die vermuteten hell, Quelle: Limmer (2009, S. 95).
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ebenfalls Fundstücke vorhanden. Hinzu kommt ein Friedhof der Bronzezeit, ca. 2000 v. Chr., und ein Grab der Latènezeit, ca. 300 v. Chr., vgl. dazu besonders Mahnkopf (2013) und Meixner (2013). Diese Fundreihe berechtigt zur Annahme einer mehr oder weniger 7000-jährigen Siedlungskontinuität, die sicherlich auch über Veränderungen der Vegetationsdecke und durch den Ackerbau zu Eingriffen in den Wasserhaushalt beitrug. Dies gilt in ähnlicher Weise für die meisten in Abb. 11 dargestellten Siedlungsplätze in der Nähe des Lechs. Im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. lässt eine relative Fundarmut auf Unruhen und Bevölkerungsrückgang im Zusammenhang mit keltischen Wanderungen schließen. Im 1. und 2. Jahrhundert. v. Chr. kam es vermutlich durch den Übergang von der Tausch- zur Geldwirtschaft zu einer Intensivierung der wirtschaftlichen Tätigkeit und damit auch zu verstärkten Eingriffen in den Wasserhaushalt. Mit Sicherheit intensiviert wurden die Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt mit dem Eintreffen der römischen Zivilisation. Vor den Römern war das Lechgebiet Siedlungsraum der keltischen Vindeliker, vgl. dazu Trier (2002, S. 205 f.). Im Jahr 15 v. Chr. eroberten römische Truppen das gesamte Lechgebiet. Bereits für die Jahre 7 und 8 v. Chr. konnte in Augsburg Oberhausen ein römisches Militärlager nachgewiesen werden. Es handelt sich um die ältesten römischen Funde in der Stadt. Schon wenige Jahre nach der Zeitenwende entstand an der Spitze der Hochterrasse im Osten der heutigen Augsburger Altstadt ein wehrhaftes Kastell. Der römische Machtbereich dehnte sich bald bis zum Südufer der Donau aus, allerdings lief der Landesausbau im 1. Jahrhundert noch recht schleppend. Seit dem frühen 2. Jahrhundert wurde die Provinz von Trajan und Hadrian gefördert und der Siedlungsausbau erreichte folglich einen Höhepunkt um die Mitte des 2. Jahrhunderts. Damit wurden ein wirtschaftlicher Aufschwung und eine Verdichtung der Bevölkerung eingeleitet. Die Schwerpunkte der römischen Besiedlung lagen auf der Hochterrasse des Lechs, auf dem Lechfeld und dem Herbertshofener Feld und reichten bis zur Endmoräne an der Landsberger Platte, so Trier (2002, S. 206). Spätestens im 2. Jahrzehnt n. Chr. kam es auch an anderer Stelle in hochwasserfreien Lagen zu zivilen Stadtgründungen wie in Kempten (Cambodonum) und Füssen (Foetibus). Augsburg respektive Augusta Vindelicorum bzw. Vindelicum,
synonym dazu Aelium Augustum oder Aelia Augusta entwickelte sich schnell zur größten Siedlung im nördlichen Alpenvorland und wurde Provinzhauptstadt von Raetien. In der Blütezeit im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. hatte Augsburg, das seit 121 n. Chr. mit römischem Stadtrecht ausgestattet war, eine Siedlungsfläche von ca. 65 ha und ca. 10 000 bis 12 000 Einwohner, die überwiegend von Handel und Gewerbe lebten. Im Umfeld der Stadt gab es zahlreiche kleinere, vornehmlich gewerbliche Siedlungen, die sogenannten vici. Das waren oft Dörfer mit einer gewissen zentralörtlichen Funktion entlang einer Straße, in denen Gewerbe zur Versorgung der römischen Truppen betrieben wurde. Als Beispiel sei das heutige Schwabmünchen, das römische Rapae genannt, wo sich die bedeutendste Töpfersiedlung Raetiens befand. Tonwaren aus diesem vicus, in dem schätzungsweise mehr als 2/3 der Bewohner Töpfer waren, wurden im gesamten Donauraum gehandelt. Solche vici bildeten das wirtschaftliche Rückgrat der Provinz, vgl. dazu besonders Trier (2002). Spätestens seit dem frühen 2. Jahrhundert existierte in Raetien ein ausgebautes römisches Straßennetz, Trier (2002, S. 207). Es ermöglichte einen regen Handel mit Gallien, Italien und in den gesamten Donauraum. Das Dorf Epfach am Lech war Kreuzungspunkt von zwei römischen Hauptverkehrsstraßen, der Via Claudia Augusta, die die Provinzhauptstadt Augsburg mit Italien verband, und der Via Raetia, die von Salzburg über Gauting, Abodiacum – so der röm. Name Epfachs – und Kempten bis nach Bregenz am Bodensee führte. Bereits um 50 n. Chr. gab es bei Epfach im Bereich der heutigen Staustufe eine Holzbrücke über den Lech, um 290/300 n. Chr. ist eine zusätzliche Lechbrücke weiter flussabwärts im Bereich des Flurnamens „In der Au“ nachweisbar, vgl. dazu Werner (1969, S. 278). Auch südöstlich von Augsburg gab es einen römischen Lechübergang. Diese Brückenbauwerke mit ihren relativ kleinen Spannweiten erforderten zahlreiche Brückenpfeiler und stellten somit einen erheblichen Eingriff in das Strömungsverhalten des Flusses dar. Der Lech wurde zudem auch als Transportweg für Flöße sehr stark genutzt. Insgesamt waren Wasserfahrzeuge wohl die wichtigsten Transportmittel der Zeit. Die im Maximiliansmuseum ausgestellten Relikte des Augsburger Flusshafen bezeugen dies eindrucksvoll. Die Ansprüche der römischen Zivilisation ho33
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Abb. 13: Besiedlung und Straßenführung in der römischen Kaiserzeit um 250 n. Chr., Quelle: EU-Internetportal.
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ben die Eingriffe in das naturräumliche Gefüge am Lech auf ein höheres Niveau. Der bauliche und gewerbliche Holzbedarf dezimierte die Weißtanne als wichtigstem Bauholzlieferanten und die Buche als Rohstofflieferant für die Köhlerei. Holzkohle wurde für das Schmelzen von Metall benötigt, vgl. dazu Küster (2001, S. 10 f.). Der renommierte Bodenkundler Karl Brunnacker ist auf Grund seiner Untersuchungen in Epfach der Meinung, dass die starke Eintiefung des Lechs in römischer Zeit mit Waldrodungen zur Holzversorgung der Provinzhauptstadt Augusta Vindelicum und einem dadurch veränderten Abflussregime und veränderter Geröllführung zuzuschreiben ist, Brunnacker (1964, S. 146 f.). Die sich rasch entwickelnde Provinzhauptstadt Augusta Vindelicorum musste mit Wasser versorgt werden, allerdings lag die Siedlung auf der nördlichen Spitze der Riß-zeitlichen, lössbedeckten Terrasse ca. 20 m über dem Niveau von Lech und Wertach. Das Grundwasser steht erst mehr als 10 m unter Gelände an und Quellwasser war in der Nähe nicht in ausreichender Menge vorhanden. Deshalb wurden die Siedlung und das Militärlager über einen ca. 35 km langen Kanal mit Singoldwasser und mit Wasser aus Quellgebieten bei Igling und Nassenwang versorgt. Zur Entnahme des Flusswassers muss es einen Anstich in Verbindung mit einem Wehr oder zumindest mit einem Schöpfkopf gegeben haben. Der Anstich lag vermutlich bei Igling. Die entnommene Wassermenge wird auf 1000 l/sec geschätzt, der Kanal war bis zu 10 m breit und etwa 2,6 m tief, vgl. dazu Gairhos (2018), ebenfalls Kapitel 10. Einen Überblick über die Agrarlandschaft im römischen Deutschland gibt Haversath (1984). Danach war die villa rustica die bevorzugte agrarische Siedlungsform der Römerzeit. Dabei handelte es sich um einen zusammenhängenden Komplex von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden in ländlicher Umgebung. In einer villa rustica lebten Sklaven und Pächter in oft 10 und mehr Hof- und Wirtschaftsgebäuden. Dazu gehörten neben den Wohnhäusern Speicher, Scheunen, verschiedene Ställe und Keller. Vorherrschend waren Betriebsgrößen von 25 ha bis 125 ha, es gab jedoch auch größere Einheiten besonders in Stadtnähe. Die Lage der Villa rustica ist häufig eine Ökotopgrenzlage, also beispielsweise auf der Grenze zwischen höher gelegenem Ackerland und dem Weideland in einer Flussaue.
Auch die Nahrungsmittelproduktion musste den Versorgungsansprüchen der Provinzhauptstadt und der höheren Bevölkerungsdichte gerecht werden. Das führte im Vergleich mit keltischer Zeit zu einer beträchtlichen Ausweitung des Ackerlandes und damit zu verstärkter Bodenerosion. Bei der Bodennutzung dominierte die Zweifelderwirtschaft mit Getreidebau und Brache. Vieh wurde überwiegend auf der Waldweide gehalten. Nachgewiesen ist der Anbau von Dinkel, Gerste und Hafer, Obst und Gemüse. Der Fleischbedarf wurde durch Rinder und Ziegen gedeckt. Eiserne Pflüge ermöglichten eine umfassende Bodenbearbeitung – und erhöhten auf diese Weise die Erosionsgefährdung. Mühlen nutzten bereits die Wasserkraft und zogen damit Eingriffe in die Flussdynamik nach sich. Römische Mühlen wurden in Augsburg, Bobingen und Dasing nachgewiesen, Gairhos (2018, S. 44; Czysz, S. 103 f.) Es handelte sich vornehmlich um unterschlächtige Mühlen. Die wichtigste Neuerung in der Landwirtschaft der Römer war der Aufbau einer vielfältigen Gartenwirtschaft mit zahlreichen neuen Pflanzen: Knoblauch, Mangold, Kohl, Senf, Fenchel, Gurke, Melone, Kürbis, Kresse, Majoran, Basilikum und Salbei sind ein Erbe aus römischer Zeit. Dazu kamen die Esskastanie und verschiedene Obstsorten wie Kirsche, Quitte, Feige, Walnuss, Pflaume, Zwetschge, Pfirsich und die Weinrebe. Zur Versorgung der Städte war bereits eine Überschussproduktion notwendig und möglich. Als neue Düngemaßnahme kam die Mergelung hinzu, Rösch (2011, S. 23). Eine villa rustica konnte in Oberndorf am Lech komplett ausgegraben werden. Diese villa rustica wurde ca. 70 n. Chr. gegründet und erlebte ihre Hochphase um 250 n. Chr. In dieser Zeit gab es auf über 2 ha Fläche zahlreiche Stein- und Holzbauten, vgl. dazu Picker (2015). Seit dem beginnenden 3. Jahrhundert bedrohten germanische Stämme die römische Zivilisation und lösten dadurch eine Landflucht aus. Viele wohlhabendere Bewohner ländlicher Siedlungen zogen das Leben in der sicheren Provinzhauptstadt Aelia Augusta dem Leben auf dem Land in den immer unsicherer werdenden villae rusticae vor und verlegten ihren Wohnsitz in die nahe Stadt. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts kam es im Gefolge des Niedergangs des römischen Reiches auch in der Kulturlandschaft zu Auflösungserscheinun35
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gen. Die landwirtschaftliche Nutzfläche schrumpfte derart, dass Haversath (1984, S. 50 f.) im Zusammenhang mit den Siedlungen von Wüstungserscheinungen spricht. Damit wurden sicherlich auch die Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt rückläufig. Im letzten Drittel des fünften Jahrhunderts stießen dann Bajuwaren und Alamannen an den Lech vor. Sie weiteten den Ackerbau erneut aus. So wurde beispielsweise in Epfach ein alamannisches Reihengräberfeld aus dem 6. Jahrhundert ausgegraben. Bereits um 720–750 gab es in dem Ort eine Marienkirche mit einer bischöflichen Grablege, um 1000 existierten zwei Kirchen in Epfach, Werner (1969, S. 279). Für Augsburg lässt sich Siedlungskontinuität seit der Römerzeit nachweisen. Die ältesten germanischen Funde stammen aus der Mitte des 6. Jahrhunderts. Während Urkunden aus der frühen Merowingerzeit als Quellen des Historikers fehlen, helfen archäologische Belege und die Namenskunde weiter. Reihengräberfelder als typische Begräbnisform germanischer Stämme sind vornehmlich auf fruchtbaren Böden auf der Hochterrasse des Lechs und auf hochwassersicheren nacheiszeitlichen Flussablagerungen des Westufers, auf Endmoränenzügen des östlichen Lechufers und die Randbereiche des Tertiärhügellandes beschränkt. Auch die gute Erschließbarkeit von Trinkwasser und das überkommene römische Straßennetz spielten bei der Wahl des Siedlungsplatzes eine wichtige Rolle. Die Siedlungen selbst waren oft Einzelhöfe oder sehr kleine Dörfer. Größere Siedlungen mit 10 oder mehr Höfen blieben die Ausnahme. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts wurde auch das bislang nur dünn besiedelte Ostufer des Lechs stärker einbezogen und die dortigen Funde häufen sich, möglicherweise als Folge einer gelenkten Besiedlung vgl. dazu besonders Trier (2002). Zahlreiche -ingen und -heim Orte bezeugen z. B. auf dem Lechfeld das hohe Alter der erneuten Besiedlung. Alamannische Siedler sickerten bis ins 7. Jahrhundert vom Ries und der Donau kommend entlang von Lech, Iller und Wertach talaufwärts ein. In fränkischer Zeit fand dann eine erste Binnenkolonisation statt. Kennzeichnend hierfür sind Ortsnamen mit den Endungen -dorf, -hofen, -hausen, -heim, -stetten und -beuren. Charakteristisch für die fränkische Binnenkolonisation sind auch Ortsnamen in Verbindung mit Himmelsrichtungen wie Westheim, Sontheim, Nordheim und Namen mit 36
dem Bestimmungswort Franken-, Friesen- oder Sachsen, vgl. dazu Kießling (2013, S. 24). In karolingischer Zeit wuchs die Bevölkerung kräftig, der Nahrungsmittelbedarf stieg stark an und zwang dazu, die Brache zu verkürzen und die Anbaufläche auszuweiten. Die Dreifelderwirtschaft mit einem Brachejahr wurde eingeführt. Infolge des erhöhten Bedarfs wurden die Wälder über Gebühr genutzt und durch Waldweide, Streunutzung und Holzbedarf dezimiert. Die Böden waren weitgehend versauert und ausgelaugt und die Ernteerträge gingen zurück. Ab dem 11. Jahrhundert wurden unter grundherrschaftlicher Verfassung weitere Wälder gerodet und Siedlungsräume mit weniger guten Böden wie z. B. auf Moränenzügen und in Zungenbecken bevölkert. Parallel dazu kam es zu einer Urbanisierungswelle, in der sich Schwaben zu einer gewerblich geprägten Städtelandschaft mit zahlreichen reichsfreien Städten entwickelte. Nach dem Bevölkerungsrückgang in Folge des Dreißigjährigen Krieges begann gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein erneuter Landesausbau. Dabei wurde die Almende, die häufig als Waldweide in der Talaue bestand, aufgeteilt. Teilweise wurden die Auewälder auch in Wiesen und Weiden umgewandelt. Schließlich wurden auch sehr schlechte Standorte auf der Niederterrasse besiedelt. Ein Beispiel hierfür mag Königsbrunn sein, das bis zum Ende des Römischen Reiches bereits Siedlungsland war, danach jedoch wüst fiel und erst im 19. Jahrhundert neu gegründet wurde. Exzessiver Holzeinschlag im Gebirge und die Verdrängung des Bergwaldes durch Bergmähder oder Mahdalmen destabilisierten die Steilhänge und machten sie anfälliger für Lawinen und Murenabgänge. Bei den Mahdalmen handelte es sich um Hänge, die für die Beweidung zu steil waren. Deshalb wurden sie lediglich zur Heuernte genutzt. Hinzu kam die beträchtliche Ausdehnung der Alpwirtschaft im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Auch hier wurde letztendlich Wald geopfert und dadurch die Erosionsgefahr und die Geschiebezufuhr zum Lech erhöht. Diese erhöhte Geröll- und Geschiebezufuhr änderte das Belastungsverhältnis des Lechs und führte zu der von v. Wiebeking beklagten Aufhöhung der Flussbetten, vgl. dazu Kapitel 6. Die Talböden und besonders die Flussaue, die lange Zeit nicht oder nur extensiv genutzt wurden und oft Almendland waren, gaben
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jetzt Viehweiden ab, der Auewald wurde gerodet und im 19. und 20. Jahrhundert drangen Siedlungsund Gewerbeflächen in die Lechaue vor, so z. B. in Stanzach, vgl. Haidvogel und Tasser (2019). Die obige Darstellung der Siedlungsgeschichte fußt neben den einzeln zitierten Quellen vornehmlich auf Filipp (1972), Frei (2016), Haversath (1984), Kießling (2013), Raster (1979), Roeck (2005), Rösch (2011) und Trier (2002). Das Textilgewerbe prägte Augsburg und hat eine enge Verbindung zur Wasserwirtschaft, die sowohl Energie bereitstellt als auch Prozesswasser liefert. Mittelalterliche Textilverarbeitung kann bereits sehr früh nachgewiesen werden, Wikipedia. Besonders der Einfluss Norditaliens und der Bevölkerungsanstieg im Gefolge der Urbanisierung begünstigten die Ausbreitung des Textilgewerbes. Oberitalienische Notariatsregister weisen aus, dass bereits um 1200 schwäbisches Leinen als Exportware über Italien in den gesamten Mittelmeerraum bis zum Schwarzen Meer und nach Syrien gehandelt wurde, Kießling (2013, S. 51 ff.). Auch die Fugger begründeten im Mittelalter ihren späteren Aufstieg mit Textilverarbeitung. Beispielsweise wird ein Landweber Hans Fugger in einem Steuerbuch genannt, vgl. Paulus und Fleischer (2016, S. 92). Das Textilgewerbe legte den Grundstein für die spätere Textilindustrie, die ohne Nutzung der Wasserkräfte nicht denkbar ist. Das Textilgewerbe stellte auch eine der Wurzeln des späteren bedeutenden Maschinenbaus in Augsburg dar, der sich ebenfalls auf die Nutzung der Wasserkraft stützte. Die schwäbische Textilindustrie hat die mit den beiden Weltkriegen verbundenen wirtschaftlichen Turbulenzen relativ gut überstanden und erlebte nach 1945 einen erneuten, allerdings sehr kurzen Aufschwung. So waren noch 1970 in 20 Betrieben ca. 20 000 Arbeitskräfte beschäftigt, vgl. dazu Paulus und Fleischer (2016, S. 118). Wie stark sich die vom Menschen durch Jagd veränderte Fauna auf die Hydrodynamik des Lechs ausgewirkt hat, kann nicht mehr nachgewiesen, aber am Beispiel des Bibers vermutet werden. Der Biber ist in der Lage, ein Fließgewässer durch Dammbauten aufzustauen und so zu verändern, dass es seinen Ansprüchen genügt. Die Donau und ihre Zuflüsse waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit einer der Verbreitungsschwerpunkte des Bibers. Hinweise darauf geben u. a. Ortsnamen wie z. B. Biberbach im Schmuttertal oder Biburg bei
Diedorf. Bis ins 16. Jahrhundert waren Biber weit verbreitet. Im Jahr 1867 wurde jedoch in Bayern der letzte Biber nachgewiesen. Ausgerottet wurden diese Tiere nicht gezielt, allerdings wurden sie wegen ihres wertvollen Pelzes zu stark bejagt. Biberfleisch war eine gesuchte Fastenspeise und das Bibergeil galt als universelles Heilmittel gegen Fieber. Seit dem ausgehenden letzten Jahrhundert wurde der Biber wieder erfolgreich ausgewildert. Er ist heute z. B. wieder an der Wertach aktiv und staut Wasserläufe an, vgl. dazu Zahner (1997, S. 8 f.). Vor allem der mit Waldrodungen verbundene Gang der Besiedlung, die beginnende agrarische Nutzung mit ihren Einwirkungen auf die Vegetationsdecke und neue Anbaumethoden wie Dreifelderwirtschaft oder der Einsatz des Pfluges können auch in den Auesedimenten am Lech verfolgt werden. Bodenabtrag in Form von Spüldenudation ist in den Mittelbreiten eng verknüpft mit der Dichte der Vegetationsdecke. Auf vom Menschen unbeeinflussten bewaldeten Hängen spielt Hangdenudation durch fließendes Wasser dagegen keine Rolle, Zepp (2011, S. 133 f.). Durch Waldrodung und Ackerbau wurde die Vegetationsdecke jedoch erheblich gestört und es kam zur Abspülung des Bodens und zum Eintrag in den nächsten Vorfluter. Wenn bei Hochwasser ein Fluss über seine Ufer tritt, strömt das Wasser auf den überfluteten Auebereichen wesentlich langsamer als im Flussbett. Die mitgeführte Fracht in Form der Bodenpartikel lagert sich deshalb als Auesediment ab, vgl. dazu Mensching (1976). Auf die Auesedimente auf jungholozänen Terrassen des Lechs haben Schellmann (1994), Schellmann (2016), Gesslein (2013) und Schielein (2012) vielfach hingewiesen. Gesslein (2013) stellt für den Lech zwischen Hohenfurch und Kissing dar, dass der Lech ein verzweigter Fluss war, dessen Terrassen mit Auewald bewachsen und durch ein engmaschiges Rinnensystem gezeichnet waren. Im Hochglazial der Würmeiszeit war der Lech ein hochenergetischer, verwilderter Fluss (braided river), der stark aufschotterte. Zum Ende der Eiszeit kam es zu klimatischen Veränderungen, die die fluvialen Formungstendenzen hin zu einem verzweigten Gerinne (anabranching river) und zu stärkerer Mäanderbildung (anastomosing river) verschoben. Beide letztgenannten Grundrissformen sind mit dem verwilderten Fluss verwandt, unterscheiden sich jedoch durch höhere Langzeitstabilität und die größere Ausdehnung von Inseln. Im Holozän wur37
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den weitere Terrassen gebildet, die Formungstendenzen schwankten zwischen sich verzweigendem und mäandrierenden Fluss. Für die drei jüngsten Lechterrassen, die nacheiszeitlich unterhalb der Niederterrasse entstanden, diagnostiziert Gesslein (2013, S. 130 ff.) einen auetypischen Charakter und er stellt jeweils mehrere Dezimeter Auesedimente fest. Diese dürfen als korrelate Sedimente zu den Vorgängen in der Agrarlandschaft gedeutet werden. Eine Datierung der ältesten dieser Terrassen in die Römerzeit ist durch archäologische Funde gesichert. Seit dem frühen Subatlantikum wird nach Schielein (2012, S. 120) durch „… menschliche Einflüsse wie Uferbefestigungen und Mäanderdurchstiche aber auch großflächige Rodungen das fluviale Verhalten beeinflusst.“ Allerdings ist eine Trennung zwischen anthropogenen und klimatischen Einflüssen kaum möglich. Schielein (2012, S. 123) kann für den Lech unterhalb Augsburgs bis zu sechs Terrassen mit auflagernden Auesedimenten ausgliedern und zeitlich einordnen, vgl. dazu Tab. 3: Bezeichnung der jungholozänen Terrasse
Zeitstellung
Ältere Auenterrasse 1, qhj11
Eisenzeit
Ältere Auenterrasse 2, qhj12
Römerzeit
Jüngere Auenterrasse 1, qhj21
Frühes Mittelalter bis Hochmittelalter
Jüngere Auenterrasse 2a, qhj22a
Spätmittelalter
Jüngere Auenterrasse 2b, qhj22b
Frühe Neuzeit
Jüngste Auenterrasse qhj3
Neuzeit
Tab. 3: Jungholozäne Terrassen am unteren Lech, Quelle: Schielein (2012, S. 123)
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Gesslein (2013, S. 103 ff.) hat den Lech zwischen Hohenfurch und Kissing bearbeitet und gliedert eine jüngste, eine jüngere und eine ältere Auenstufe aus. Die am höchsten gelegene ältere Auenstufe ist römerzeitlich und liegt bei Epfach ca. 3 m über der rezenten Terrasse. Die jüngere Auenstufe entstand wohl im Mittelalter, während die jüngste Auenstufe schon in historischen, jedoch bereits exakt vermessenen Karten – den Uraufnahmen aus den Jahren 1808 bis 1819 – dargestellt wird. Einzelne neolithische Funde auf Lechterrassen sind seit dem Atlantikum nachweisbar. Damit erscheint es als gesichert, dass der Mensch seit seiner Sesshaftwerdung ungewollt auch in fluviatile Prozesse eingegriffen hat, eine Quantifizierung ist beim gegenwärtigen Kenntnisstand jedoch nicht möglich. Wir können allerdings von einer zunehmend stärkeren, anthropogen verursachten Ondulation der natürlichen Schwankungen des Flussgeschehens ausgehen.
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4 Gezielte Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt
Wir haben gesehen, dass der Alpenvorlandslech vor dem Eingriff des Menschen auf weiten Strecken ein verwilderter Fluss war, der in einem mehrere 100 Meter breiten, relativ seichten Bett mit jedem Hochwasser seinen Lauf verlegte. Dies ist heute nicht mehr der Fall, weil der Mensch den wildernden Fluss gebändigt und sein Umfeld verändert hat. Die Veränderungen sind eine Folge von gesellschaftlicher und räumlicher Entwicklung, die in einem engen Zusammenhang stehen und die der Mensch als Gestalter dieser Vorgänge steuert. Menschliches Handeln verändert die Erdoberfläche und den oberflächennahen Untergrund in erheblichem Maße durch seine Wirtschaftsweise und den Ge- und Verbrauch von Rohstoffen, zu denen auch das Wasser zählt. In Mitteleuropa prägt der Mensch weitestgehend seine Umwelt! Aus der ursprünglichen Naturlandschaft ist seit langem eine Kulturlandschaft geworden. Unter natürlicher Umwelt wird hier vorrangig der Zustand verstanden, der vor den Eingriffen des Menschen existierte. Die natürliche Umwelt ist in unserem Fall eingeschränkt auf die hydrogeographischen Verhältnisse des Lechs, die im Kapitel 2 kursorisch dargestellt wurden. Synonym zum Begriff natürliche Umwelt wird auch der Terminus Naturlandschaft gebraucht. Jeder menschliche Eingriff in die Naturlandschaft vergrößert das Delta, das die aktuelle Kulturlandschaft von der ursprünglichen Naturlandschaft unterscheidet, vgl. dazu besonders Jäger (1994). Die Umwelt kann sich nach Jäger (1994, S. 6 ff.) aus unterschiedlichen Gründen verändern: • Durch Veränderungen im Gefolge natürlicher Prozesse ohne Zutun des Menschen. Zu nennen wären hier z. B. der natürliche Klimawandel, damit verbundene Veränderungen in der natürlichen Vegetation oder Verwitterungs- und Abtragungsvorgänge im Relief der Erde, durch die Gestein zerfällt und Täler gebildet werden • durch direkte Eingriffe des Menschen, z. B. durch Waldrodung, die Einführung oder Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, den Bau von Infrastruktur etc.
•
indirekte Eingriffe in die Naturlandschaft. Beispiele hierfür sind länger anhaltende Waldweiden, durch die ein dichter natürlicher Wald in eine Baumwiese oder am Ende in eine reine Weide verwandelt werden kann oder Hohlwege, die durch die ständige Umarbeitung und Lockerung des Bodens auf unbefestigten Fuhren in hängigem Gelände entstehen. Diese Wege werden bei starken Regengüssen zu Leitbahnen einer linienhaften Erosion. An dieser Stelle muss auch der anthropogen verursachte Klimawandel genannt werden. Durch die verstärkte Freisetzung von Klimagasen wie CO2, Methan und anderen heizt sich die Erdatmosphäre durch den Glashauseffekt auf. Weiter zu differenzieren bzw. zu ergänzen wäre Jägers Systematik noch durch das Kriterium des Kollateralschadens, der als Nebenwirkung eines direkten oder indirekten Eingriffs auftreten kann. Ein Kollateralschaden ist nicht beabsichtigt und entsteht, weil die kausalen Zusammenhänge, die ihn verursachen, nicht bekannt sind. Als Beispiel sei die schon erwähnte Waldrodung genannt, in deren Gefolge Bodenerosion und letztlich die Akkumulation von Auesediment auftreten können. Auch die genannte Waldweide ist ein Kollateralschaden, der erst nach länger anhaltender Beweidung auftritt und zunächst von den Menschen nicht erkannt werden konnte. Der anthropogen verursachte Klimawandel war zu Beginn der Industrialisierung ein Kollateralschaden, der niemandem bewusst war. Spätestens seit den Untersuchungen des schwedischen Physikers und Chemikers Svante Arrhenius (1859–1927) ist die Wirkung des Treibhauseffekts jedoch bekannt und seit den 1970er Jahren wird diese Problematik auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Damit wird die Freisetzung von Klimagasen zum bewussten Eingriff! Die Schwere der menschlichen Eingriffe in die Naturlandschaft hat sich mit der Zeit stark verändert. Müller (2019, S. 30 f.), der wichtige Aufsätze des Nobelpreisträgers Paul Crutzen – der den Begriff des Anthropozäns geprägt hat – herausgegeben hat, referiert die Aussage von Paul Crutzen, Will Steffen und John R. McNeill und gliedert die 39
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4 Gezielte Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt
Eingriffe des Menschen in das System Erde in vier Phasen: • In der ersten Phase wurde die „Grundlage für die Eroberung der Welt durch den Menschen geschaffen“ und es wurden z. B. verschiedene Tierarten domestiziert, (Müller 2019, S. 30). Unsere Betrachtung der Veränderungen des Lechs beginnt bereits in dieser ersten Phase • die zweite Phase beginnt mit der industriellen Revolution, seit der sich Wirtschaftskraft, Energieverbrauch und Bevölkerung vervielfacht haben • die dritte Phase setzt nach Müllers Darstellung nach dem Zweiten Weltkrieg ein, als es zu einer großen Beschleunigung kam und die meisten menschlichen Aktivitäten, die unseren Planeten und unsere Beziehung zu ihm grundlegend veränderten, in ihren Dimensionen förmlich explodierten • auch die letzte Phase, in der erkannt wird, dass es ein Weiterso nicht geben darf, lässt sich am Lech mit den Bemühungen um Renaturierung bereits zeigen. Ehlers (2008) geht näher auf die geschichtliche Entwicklung ein und liefert in seinem grundlegenden Werk Das Antrhropozän eine Periodisierung der Eingriffe in das System Erde, das wir cum grano Zeit n. Chr. Geb. Einwohner pro km
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salis auf die hydrogeographischen Verhältnisse des Lechs übertragen können. Im Paläo- und Mesolithikum hat der Mensch „… keine bleibenden Einflüsse auf die Natur und schon gar nicht irreparable Schädigungen seiner Umwelt …“ verursacht, so Ehlers (2008, S. 34). Die revolutionären Veränderungen im Zuge der Neolithisierung „… gehen einher mit der Entstehung erster permanenter Siedlungen, die naturgemäß Einfluss auf die Ökosysteme ihres Umfeldes haben mussten“, Ehlers (2008, S. 37). Allerdings waren diese Einwirkungen noch mehr oder weniger unbeabsichtigte Kollateralschäden der Sesshaftwerdung. In römischer Zeit erfolgten dann bereits die ersten gezielten Eingriffe durch Kanalbauten, Brücken und Mühlen. Dies setzte sich in zunehmendem Maß im Mittelalter fort. „Ab dem hohen Mittelalter [begann] eine planmäßige Umgestaltung der Erde durch den Menschen …“, Ehlers (2008, S. 73). Er nennt speziell Rodungsaktivitäten und die Trockenlegung von Sümpfen, weist auf die besondere Rolle der Klöster hin und benennt als Ursachen das Bevölkerungswachstum und die damit zwangsläufig verbundene Intensivierung der Landwirtschaft z. B. in Form der zelgengebundenen Dreifelderwirtschaft. Die Entwicklung der Bevölkerungsdichte in Mitteleuropa ist in Tab. 4 dargestellt.
500
1100
1300
1700
1800
2,4
3,5
17 bis 20
26 bis 28
40 bis 45
Tab. 4: Bevölkerungsentwicklung in Mitteleuropa, Quelle: W. Weischet, zitiert bei Ehlers (2008, S. 74).
Ab der Renaissance entstand ein vielfältiges neues, anwendungsorientiertes Wissen. Als Beispiel sei Agricola genannt, der mit seinen zwölf Büchern vom Berg- und Hüttenwesen die Nutzung der Wasserkraft im Dienste des Bergbaus darstellt und so ein Beispiel für die Mensch-Umweltbeziehung im 16. Jahrhundert liefert. Die Kraft des Wassers wird jetzt vielfältig genutzt für Hammerwerke, Mühlen jeglicher Art, für Gebläse und Göpelwerke. Bäche wurden umgeleitet, Mühl- und Stauteiche angelegt und vielfach Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt, vgl. dazu Schubert (2012). Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert markiert den Wandel von einer Lebens- und Wirtschaftsweise, in der der Mensch die Natur nutzte, hin zu einer unternehmerisch geprägten Wirtschaft, die gekennzeichnet war durch enorme Be40
völkerungszuwächse und immer knapper werdende natürliche Ressourcen. Deshalb mussten u. a. neue Energiequellen erschlossen werden. Dazu wurde die Natur umgestaltet, die Rahmenbedingungen der menschlichen Eingriffe in die Naturlandschaft hatten sich grundlegend verändert. Ab jetzt gewann das durch Rationalismus und Aufklärung geprägte zielgerichtete Denken und Handeln von gewinnorientierten Unternehmern die Oberhand. Wichtige Stichworte sind Kohle, Stahl, Dampfmaschine und Eisenbahn. Ab der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert kommt der verstärkte Einsatz elektrischer Energie hinzu, vgl. dazu Ehlers (2008, S. 138 ff.). Die menschlichen Eingriffe in die Naturlandschaft und ihr Umbau zur Kulturlandschaft erwuchsen aus dem Wunsch nach Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, die in den sogenannten
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4 Gezielte Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt
Daseinsgrundfunktionen zum Ausdruck kommen, vgl. dazu Maier et al. (1977). Für die Flusslandschaft werden vornehmlich die Daseinsgrundfunktionen Wohnen, Arbeiten, sich versorgen, am Verkehr teilnehmen und sich erholen wichtig. Hochwasser, das die menschlichen Wohnungen bedroht und schädigt und im Extremfall Todesopfer fordert, führte zu ersten flussbaulichen Maßnahmen, nachdem Siedlungen im Überflutungsbereich der Aue entstanden waren. Zunächst ging es dabei um rein lokale Schutzmaßnahmen zur Abwehr von Flutwellen in Form von Dämmen, Wuhren, Hunden oder Vorbauen. Als sich um 1850 staatliche Wasser- und Straßenbauverwaltungen etablierten, ging man gezielter vor und wollte die Hochwasserproblematik endgültig lösen. Es wurde für den gesamten Lech geplant, die Hochwasserwelle sollte schnellstmöglich abgeführt und dazu noch dem Lech landwirtschaftliches Nutzland abgerungen werden. Der Lech wurde deshalb begradigt und in ein enges, trapezförmiges Regelprofil gezwungen. Diese Vorgehensweise erhöhte jedoch die gefürchteten Hochwasserabflüsse und verschlimmerte die Situation. Allerdings dauerte es über 100 Jahre, bevor man die schweren Fehler erkannte und auf flussmorphologisch verträglichere Hochwasserschutzmaßnahmen umstieg. Mit der Daseinsgrundfunktion Wohnen ist auch die Flächenversiegelung verbunden. Sie erhöht nach Starkregen durch den schnellen Abfluss des Regenwassers durch die Kanalisation die Hochwasserspitzen. Auch die Gewäs-
serverschmutzung durch Siedlungsabwässer ist mit der Wohnfunktion verbunden. Die Daseinsgrundfunktionen Arbeiten und sich versorgen führen zu Bewässerungseinrichtungen, um agrarische Erträge zu erhöhen. Auch die Entnahme von Geröll aus dem Fluss lässt sich auf wirtschaftliche Belange und auf die Beschaffung von Arbeit zurückführen. Schließlich steht die Nutzung der Wasserkraft und am Ende die Produktion von Strom ebenfalls im Zusammenhang mit der Daseinsgrundfunktion Arbeit. Auch die Themen Gewässerverschmutzung und Flächenversiegelung müssen an dieser Stelle erneut genannt werden. Der Transport von Gütern und die Fortbewegung von Personen erfordern Infrastruktur entweder direkt am oder im Fluss oder an den einen Flusslauf kreuzenden Straßen und Wegen in Form von Furten oder Brücken. Die letztgenannte Daseinsgrundfunktion sich erholen zieht am Lech – abgesehen von der Kanustrecke am Eiskanal – nur relativ geringfügige Eingriffe in die Naturlandschaft nach sich. Wegen der im Mittelalter einsetzenden wesentlich besseren Überlieferungslage wird es möglich, neben den eingangs kursorisch dargestellten, oft unbeabsichtigten Eingriffen in den Landschaftswasserhaushalt, die durch Besiedlungsgang und agrarische Nutzung initiiert wurden, die zahlreichen direkten Einflussnahmen aufzuzeigen. Die ökologisch schwerwiegendsten Eingriffe sollen in den folgenden Kapiteln untersucht werden.
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Traditionelle Bewässerung war Schwerkraftbewässerung, die ohne zusätzliche Energie und ohne Pumpeneinsatz allein die natürliche Fließbewegung des Wassers nutzte. Sie wurde schon sehr früh betrieben und wir können davon ausgehen, dass bald nach der Sesshaftwerdung des Menschen und der Umstellung der Wirtschaftsweise vom Jäger und Sammler hin zum Ackerbauern und Viehhalter auch bewässert wurde. Die Bewässerungslandwirtschaft erlebte in Form der Wiesenbewässerung im 13. und 14. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt. Eine zweite Hochphase war im 18./19. Jahrhundert. Mit Einführung der künstlichen Düngung verfielen die meisten Bewässerungssysteme, vgl. dazu Leibundgut und Vonderstrass (2016, S. 26). Während im Mittelmeerraum und in innermontanen Trockengebieten wie beispielsweise dem Vintschgau Wassermangel der begrenzende Faktor ist und ohne zusätzliches Wasser Landwirtschaft in der regionalen Ausprägung unmöglich wäre, hat die Bewässerung in den nördlichen Alpen und im Alpenvorland andere Gründe. Denn am Lech sind die Niederschläge während der Vegetationsperiode durchweg hoch. Hier geht es deshalb nicht um die Behebung eines klimabedingten Wassermangels, sondern um Ertragssteigerung vornehmlich durch Düngung, Bodenverbesserung, Kolmatierung und Bodenerwärmung: • Bewässerungswasser führt organisches Material und gelöste Mineral- und Nährstoffe als Schweb mit sich und sorgte so vor der Einführung von Kunstdünger für eine natürliche Düngung. Zusätzlich wurde manchmal Gülle aus dem Stall über das Bewässerungswasser direkt auf die anliegenden Grundstücke verteilt • die Kolmatierung – darunter verstehen wir die Auflandung von Feinsediment und Schwemmgut bei Hochwasser oder allgemein bei Überflutung – verbessert die Bodenbildung durch die Bildung von Schwemmland • durch die Bewässerung werden im Boden fruchtbarkeitssteigernde chemische und mikrobielle Prozesse ausgelöst. Sie beschleunigen die Mineralisierung und den Abbau organischer
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Substanzen und sorgen für eine gute Durchwurzelung • in der kalten Jahreszeit ist die Temperatur des Wassers meist höher als die von Luft und Boden. Durch die Wärmezufuhr aus dem Wasser beginnt deshalb die Vegetationsperiode auf bewässerten Wiesen früher und ermöglicht so eine zusätzliche Gras- bzw. Heuernte. Weil in der traditionellen Dreifelderwirtschaft mit der Fruchtfolge Winter-, Sommergetreide und Brache der Düngermangel ein zentrales Problem darstellte, konnte durch die Wiesenbewässerung mehr Gras und Heu geerntet und so der Viehbesatz erhöht werden. Damit stand dann auch mehr Dünger für die Felder zur Verfügung und die Brache konnte durch eine weitere Frucht ersetzt werden, Leibundgut und Vonderstrass (2016, S. 95 ff.). Bewässerungsanlagen haben fast immer Priorität vor Hochwasserschutz. Ob das darauf zurückzuführen ist, dass Bewässerung der Sicherung des Lebensunterhalts dient und die Erträge steigert und Hochwässer nicht regelmäßig auftretende Katastrophen darstellen oder ob ältere Siedlungen prinzipiell in hochwasserfreien Lagen gegründet wurden, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher sagen, vgl. dazu Schmid und Naef (1994, S. 7). C. Troll hat 1937 eine unveröffentlichte Karte zur Wiesenbewässerung in Mitteleuropa erarbeitet, die von Böhm (1990) publiziert wurde, vgl. Abb. 14. Daraus lassen sich die Bewässerungsflächen am Lech abschätzen. Im Vergleich mit anderen Regionen Mitteleuropas hat sich am Lech keine ausgeprägte Bewässerungslandschaft ausgebildet. Insgesamt wurden nach dieser Karte in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an Lech und Wertach ca. 550 ha Land bewässert. Eine gewisse Schwerpunktbildung ist dabei um Augsburg zu erkennen, wo mehr als die Hälfte der Bewässerungsfläche liegt. Dabei dürften neben den traditionellen Wässerwiesen auch großstadtnahe Gartenbaubetriebe erfasst worden sein. Um dem Lech Bewässerungswasser zu entnehmen, bedarf es entweder eines Wehres oder eines Schöpfkopfs. Beides sind Eingriffe in die Strö-
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Abb. 14: Wiesenbewässerung. Rieselwiesen am Lech 1937 nach Kartierung von Carl Troll, aus Böhm (1990). Insgesamt war Bewässerung am Lech vergleichsweise unbedeutend. Lediglich in der Umgebung Augsburgs gab es eine leichte Konzentration von Wässerwiesen. Legende: 1 kleiner Punkt ≙ 10 ha, 1 großer Punkt ≙ 50 ha, Kreuzschraffur steht für andere Bewässerungsflächen.
mungsdynamik. Dem Fluss wird Bewässerungswasser entzogen und auf die Wiesen und Felder umgeleitet. Allerdings wird im Zuge der Bewässerung das Wasser „nach getaner Arbeit“ teilweise über Versickerung wieder in den natürlichen Kreislauf eingegliedert, der andere Teil geht durch Evapotranspiration in die Atmosphäre über. Insgesamt dürfte es für Bewässerungszwecke nur relativ wenige und unkritische Eingriffe in den Fluss gegeben haben. Raster (1979, S. 172 ff.) berichtet von einem Lechanstich bei Kleinaitingen und Graben, wo im frühen Mittelalter Flusswasser zur Einstaubewässerung in einen Hauptkanal auf der Niederterrasse über das Lechfeld geleitet wurde. Mit einem verzweigten Grabennetz wurde das Wasser verteilt. In den Wirren des Dreißigjährigen Krie-
ges konnte das Grabensystem nicht mehr gepflegt werden und verfiel. Auch in Rain am Lech ist die Wiesenbewässerung im 18. Jahrhundert bekannt. Ruhs (1986) berichtet von Bewässerungsanlagen am Verlorenen Bach im Landkreis Landsberg, wo das geringe Wasserhaltevermögen einer wenig mächtigen Lößauflage über den alluvialen Schottern immer wieder zu Trockenperioden führte. Dieser Bach, die Rorach, versickert in besonders niederschlagsarmen Jahren im Sommer als sog. „Hungerbach“, bevor er den Lech erreicht. Durch zusätzlichen Wasserentzug für Bewässerungsmaßnahmen trocknete der Bach immer öfter aus. Deshalb erließ Herzog Wolfgang nach Streitigkeiten um das Wasser 1513 eine Wässerungsordnung für die Rorach. Darin billigt er den Bauern von Winkl, Prittriching, 43
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Schmiechen, Bergen (Unterbergen) und Merching Bewässerungsrechte zu. Zur Bewässerung wurde das Überstauprinzip angewendet. Die Rorach wurde aufgestaut und ihr Wasser in die Bewässerungsgräben geleitet, die die anliegenden Wiesen durchzogen. An Grabenabzweigen wurden Schwallbretter eingesetzt, um einzelne Gräben zu fluten oder den Wasserzutritt zu verhindern. Nach Abschluss der zeitlich fixierten Wasserbezugsrechte wurde der Stau in der Rorach wieder aufgehoben. Wie stark diese Staumaßnahmen das Fließverhalten der Rorach beeinträchtigten, zeigen gerichtsnotorische Beschwerden von Mühlenbesitzern, denen das Wasser für ihre Mühlräder fehlte, Ruhs (1986, S. 81 ff.).
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Ob es sich bei den Relikten auf dem Truppenübungsplatz zwischen Haunstetten und Kloster Lechfeld, über die 1904 vom ehemaligen Kommandanten E. Keim berichtet wurde, um Bewässerungsanlagen handelt, ist unsicher, Ruhs (1986, S. 90 f.). Vorrangig Wiesen-, möglicherweise auch Feldbewässerung haben am Lech wohl eine untergeordnete Rolle gespielt. Dies gilt umso mehr, wenn man den Durchfluss des Lechs mit dem vermuteten Wasserbedarf für Bewässerung in Beziehung setzt. Deshalb dürften die durch Bewässerungsmaßnahmen verursachten Eingriffe in den Fluss gering gewesen sein.
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6 Hochwasserschutz – Wildbachverbauung und Lechkorrektur Während am Lech durch Bewässerungsmaßnahmen keine allzu schwerwiegenden ökologischen Eingriffe in den Landschaftswasserhaushalt erfolgten, hat der Hochwasserschutz einen wesentlich gewichtigeren ökologischen Schaden angerichtet. Denn zum Schutz gegen die sommerlichen Überschwemmungen wurden in großem Umfang flussbauliche Maßnahmen durchgeführt. Der Abfluss des Lechs wird vornehmlich vom alpinen Oberlauf des Flusses gesteuert. Die höchsten Tagesniederschläge treten im Gebirge bei langanhaltendem Nordstau im Sommerhalbjahr auf. Sie sind zusammen mit der gleichzeitig stattfindenden Schneeschmelze besonders nach einem schneereichen Winter die Ursache für extreme Hochwässer. In Prozessakten des 16. Jahrhunderts wird diese Hochwasserproblematik trefflich dargestellt. Weil der wildernde Fluss besonders bei Hochwässern seinen Lauf verlegte und Ufer unterspülte, sagte man: „… der Lech geb und nem …“ von Ufergrundstücken, denn er sei ein Fluss, der „… sich täglich verändere … ein seer streng laufend und reysend wasser (bevorab so er mit dem Regen- und Schneewasser gereicht) … desshalb er derselbige den Nachpern, so daran mit irenn guttern stossen, merklichen schaden zufiege …“ (BayHStA, Reichskammergericht 228 I, II 1551 ff.). Gegen Hochwasser und seine Folgen hat sich der Mensch frühzeitig gewehrt und dazu auch mit wasserbaulichen Maßnahmen in die Flussdynamik eingegriffen. Jedoch ist über Hochwasserschutzmaßnahmen vor dem Auftreten der Römer bislang nichts bekannt, sie können nur vermutet werden. Auch über römerzeitliche Eingriffe in den Fluss wissen wir mit Ausnahme von Brücken- und Hafenbauten relativ wenig. Als im Jahr 16 n. Chr. ein Hochwasser der Wertach das Römerlager in Augsburg Oberhausen überflutete und es unter einer Kiesschüttung begrub, erkannte man die falsche Standortwahl, verließ den Gefahrenbereich und zog mit dem Lager auf die Hochterrasse um, anstatt wasserbauliche Maßnahmen zur Abwehr eines erneuten Hochwassers zu ergreifen, vgl. dazu Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbrau-
cherschutz (2021, S. 8). Haidvogel und Tasser (2019, S. 230) berichten, dass im Alpenraum ab dem 11. Jahrhundert einzelne Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt wurden. Erste Entwässerungsprojekte von vernässten Niederungen wurden im 13. Jahrhundert nachgewiesen. 1867 wurden vom sich im Gefolge flussbaulicher Maßnahmen einschneidenden Lech unterhalb des Augsburger Hochablasses und der Friedberger Brücke ca. 5 m unter dem Pegelnull des Lechhauser Pegels Flussverbauungen aus gezimmerten Föhrenstämmen freigelegt. Raster (1979, S. 71) vermutet, dass es sich dabei um Flusseinbauten aus der Zeit um 800 n. Chr. handele. Als wasserbauliche Maßnahmen Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden, wird die Überlieferung wesentlich besser und es gibt sowohl Bilder als auch frühe kartographische Dokumentationen und gerichtsnotorische Beschreibungen der Tatbestände. Als Beispiel sei eine kartographisch gut dokumentierte Auseinandersetzung vor dem Reichskammergericht in Speyer genannt. (Vgl. dazu Abb. 15, alle im Folgenden genannten kursiv gedruckten Doppelbuchstaben beziehen sich auf diese Abbildung). Der Streit zwischen Hans von Baumgarten, dem Freiherrn zu Hohenschwangau und Erbach, und dem Hochstift Augsburg mit seiner Stadt Füssen wurde ab 1546 vor dem Reichskammergericht ausgetragen. Der Lech markierte die Grenze zwischen beiden Territorien. Die Stadt Füssen hatte mit einer mehrere 100 m langen Arche zwischen EE und KK einen bereits Jahre vorher entstandenen Mäanderbogen des Lechs abgeschnitten und damit die Strömung auf das hohenschwangauische Gegenufer geleitet. Deshalb kam es 1547 zu einem Vergleich zwischen den beiden Parteien. Ihnen wurde darin untersagt, Buhnen schräg in den Fluss zu bauen und so die Strömung zu lenken. Das Hochwasser im Jahr 1548 durchbrach jedoch erneut die „Gebäude“ der Füssener. Der Lech kehrte in sein altes Bett hinter der Arche zwischen EE und KK zurück. Der Durchbruch ist bei OO deutlich sichtbar. Dagegen wehrte sich die Stadt erneut und ließ einen Entlastungsgraben bauen. 45
Abb. 15: Frühneuzeitlicher Hochwasserschutz. Die dammartige Arche zwischen den Buchstaben EE und KK wurde zwischen GG und HH vom Fluss durchbrochen. Vor der Arche graben vier Personen ein neues Flussbett. Die mit Faschinen umflochtene Pfahlreihe bei FF gründet auf einer Kiesbank und wird erst bei Hochwasser aktiv, um das Wasser auf das gegenseitige Ufer zu lenken. Diese Pfahlreihe wird als Hund bezeichnet. Quelle: Vogelschau des Malers Amberger (1553), BayHStA Plansammlung 2601.
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Abb. 16: Hochwassereinbruch bei Augsburg. Handgezeichnete Karte „Einbruch des Lechflusses bey den Drey Kreuzen oberhalb dem Stadt Augsburgischen Wehre“ aus dem Jahr 1816. Die bewaldeten Inseln im Fluss waren über lange Zeit stabil, hingegen sind vegetationslose Inseln wohl das Ergebnis aktueller Umlagerungen. Quelle: STAA Augsburg, Karten- und Plansammlung 04: Staatsarchiv Augsburg.
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In dem Bild sind bei PP vier Männer mit Hacken und Schaufeln zu sehen. Aus diesen Flussbaumaßnahmen erwuchs eine neuerliche mehrjährige gerichtliche Auseinandersetzung, vgl. dazu Amberger (1553), Lori (1764, S. 319 ff.) und BayHStA, Reichskammergericht 228 I, II (S. 1551 ff.). Uns zeigt die Auseinandersetzung, in welchem Ausmaß in der frühen Neuzeit bereits in das Strömungsverhalten von Flüssen eingegriffen wurde. Bei den gebräuchlichen Wasserbaumaßnahmen der damaligen Zeit – vgl. dazu Amberger (1553) und Leidel, Gerhard (1998, S. 316 ff.) – müssen wir unterscheiden zwischen: • buhnenartigen Verbauungen zur Wasserabweisung, die schräg oder senkrecht zum Stromstrich lagen und in der Regel aus Pfählen mit einem Flechtwerk aus Faschinen bestanden. Wenn aus Brettern kastenförmige Bauten errichtet wurden, werden diese oft als Arche oder Archgebäu bezeichnet. Wenn sie besonders stabil mit Pfählen im Ufer verankert waren, sprechen Urkunden oft von Schlacht, Beschlacht oder Schlechtlin • buhnenartige Verbauungen mit dem Zweck, das Wasser verbotenerweise auf das andere Ufer zu leiten, werden oft als Hund bezeichnet • Schutzmaßnahmen zur Fundamentsicherung von Gebäuden und zum Schutz gegen Unterwaschung sind Vorwerke und Vorbauten • uferparallelen Dämmen. Das waren häufig kürzere Pfahlreihen mit Faschinengeflecht, aber auch Steinschüttungen oder aus Brettern gezimmerte, mit Steinen gefüllte Kästen, die als Wuhren oder Kastenwuhren bezeichnet wurden, auch der Begriff Arche wurde dafür gebraucht. Längere Dammschüttungen waren sehr selten. Z. B. gab es so einen Damm in Augsburg im 16. Jahrhundert oberhalb des Hochablasses. 1709 erfahren wir von einem ca. 150 m langen Damm gegenüber der Wertachmündung, der dem Hochwasserschutz diente, Raster (1979, S. 180) • Einbauten quer zum Fluss, die das Wasser stauen sollten, werden ebenfalls als Wehr oder Wuhr oder hohe Wuhr bezeichnet. Die genannten Maßnahmen sollten Siedlungen und landwirtschaftliche Nutzfläche schützen und der Seitenerosion Einhalt gebieten. Kennzeichnend für derartige, anlassbezogene Einzelmaßnahmen war, dass der Mensch zwar mit den regional eng begrenzten Uferschutzmaßnahmen in das Strö48
mungsverhalten und damit in die Erosions-, Transport- und Sedimentationsraten des Flusses eingriff und auf diese Weise eine Kettenreaktion auslöste, sich jedoch nicht um die Folgen dieser flussabwärts auftretenden Kettenreaktionen kümmerte. Sie traten mehr oder weniger regelmäßig bei Hochwässern auf. Schiechtl (1981, S. 128) nennt ab 1346 bis zum 20. Jahrhundert weit mehr als 30 sehr große Hochwässer des Lechs, die schwerste Schäden an Wald, Flur und Siedlungen angerichtet haben. In den Berichten wird immer wieder die Gefährlichkeit und die wilde Kraft des Flusses beschrieben, die Spätfolgen werden in Karten wie in Abb. 15 festgehalten. Die Erkenntnis, dass wirksamer Schutz vor Hochwasser nicht von einzelnen bewältigt werden kann, setzte sich jedoch erst im 19. Jahrhundert durch. Neben den bekannten Flusskorrekturen an großen, schiffbaren Strömen, die z. B. am Rhein durch Tulla und Nobiling ab 1817 durchgeführt wurden, entstand auch im Königreich Bayern im Zentralbüro für den Straßen- und Wasserbau ab 1805 eine ganzheitliche, auf den gesamten Fluss bezogene Planung. Besonders die geschiebeführenden Voralpenflüsse Südbayerns rückten ins Blickfeld des 1805 ernannten Wasserbauingenieurs C. F. v. Wiebeking. In seinem theoretischen Werk sieht v. Wiebeking den Wasserbau als „… die Wissenschaft, welche die Flüsse wohlthätig für ihre Anwohner leitet, die Hochgewässer in feste[n] Bahnen hält, … Moräste und Seen in fruchtbares Land verwandelt, und öde Sandfelder und Heyden in lachende Gefilde umschafft.“ Den aktuellen Zustand der südbayerischen Flüsse beschreibt der Leiter des Zentralbüros folgendermaßen: „… Inn, Lech, die Isar … haben ihre Betten dergestalt erhöht, daß die ihnen nahe gelegenen Moräste, wovon große Bezirke ehemals urbares Land waren, jetzt das Wasser nicht los werden können, ohne lange Entwässerungscanäle zu ziehen. Sie laufen wild dahin, und sind in ihrem jetzigen Zustande mehr eine Geißel als eine Wohlthat des Landes …“, v. Wiebeking, zitiert bei Scheurmann (1981, S. 108). Damit war der Hochwasserschutz als staatliche Aufgabe prinzipiell erkannt, jedoch nicht unter ökologischen Prämissen, sondern im Gefolge von Meliorationsmaßnahmen und mit dem Ziel, die landwirtschaftliche Nutzfläche zu schützen und auszudehnen. Wenn Hochwässer auftraten – diese konnte man nicht beeinflussen – dann sollte das Wasser wenigstens schneller ab-
Abb. 17: Frühe Planungen zur Lechkorrektur. Die Lage der Stadt Rain ist in der Karte nur durch die Eintragung „Kirchhof“ und „Straße von Rhain nach Donauwörth“ unten rechts gekennzeichnet. Die in der Karte dargestellte Directionslinie ist eine der zahlreichen Maßnahmen, um die Bedrohung der Stadt durch Hochwässer des Lechs zu beenden, Quelle: (BayHStA Plansammlung 1582).
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fließen, um auf diese Weise die Schäden klein zu halten. So jedenfalls die damalige Hoffnung. Flusskorrektion war primär eine Flussbegradigung. Durch die „Längskorrektion“ wurde der Fluss verkürzt und in ein schmales Bett gezwungen. Diese Maßnahmen verstärkten die Tiefenerosion, vgl. dazu Schiechtl (1981, S. 127 f.). Und das war zur damaligen Zeit durchaus gewollt! Beispielhaft seien die Untersuchungen Zallingers, eines Südtiroler Jesuiten und Physikers (1743–1828), genannt. Zallinger zum Thurn, Franz Seraph (1779) befasste sich u. a. mit Wasserbau und analysierte die Hochwassersituation in Tirol. Er stellte fest, dass die Zahl der Überschwemmungen im 18. Jahrhundert stark angestiegen sei. Den Grund vermutete er in den durch Geschiebe mächtig aufgehöhten Flusssohlen. Und er erkannte, dass die Erhöhung auf verstärkte Geröll- und Geschiebeführung der Gebirgsbäche zurückzuführen sei. Dies wiederum sei eine Folge vermehrter Abholzung im Gebirge. Zallinger erfasste die Zusammenhänge zwischen Last und Schleppkraft, die über Erosion, Transport oder Sedimentation entscheiden und empfahl, die schädliche Aufhöhung der Gewässersohle durch Änderung des Belastungsverhältnisses vom Fluss abtragen zu lassen. „Man wird also niemals die Better unserer Flüsse vertiefen können, oder die fernere Erhöhung verhindern … [wenn es nicht gelingt] … daß entweder die Bäche nicht so viel Sand, und Steine in die Strombetter einführen, oder die Flüsse mit größerer Geschwindigkeit versehen werden, womit sie selbst vermögend sind jene Materien aus ihren Bettern weiter fortzuliefern.“ Zallinger zum Thurn, Franz Seraph (1779, S. 74 f.). Mit seinen Analysen und Empfehlungen wurde der Jesuit und Physiker zu einem frühen Verfechter von Wildbachverbauung und Flussbegradigung, vgl. zur Entwicklung flussmorphologischer Kenntnisse auch die ausführliche Darstellung bei Lindl (2014). Im beginnenden 19. Jahrhundert verfolgte man für Gebirgsflüsse wie den Lech folgendes Hochwasserschutzkonzept: • Reduktion der Geröllzulieferung durch die Gebirgsbäche. Dazu schreibt der bereits erwähnte Hofrat v. Wiebeking: „… Wildbäche müssen daher an Geschwindigkeit geschwächt werden, welches durch Thalsperren, d. i. Zudämmung des Bettes in der Nähe ihres Ursprungs … geschieht. Diese Thalsperren bestehen aus Steindämmen von Felsmassen, Verhauen, Faschinenwerken, … oder aus Balkenwänden und 50
Holzbaukästen …“ v. Wieneking, zitiert in Pröbstle et al. (1981, S. 12) • Einengung und seitliche Begrenzung der Flussaue, um das weitere Aufschottern und damit die Vernichtung von Siedlungsfläche und Kulturland zu vermeiden (vgl. dazu die nachfolgenden Vorschläge von Krapf (1910) • Beschleunigung des Abflusses zum Abtransport der Geschiebe durch Flussbegradigung (vgl. dazu Abb. 17). Krapf (1910, S. 8 f.), ein führender österreichischer Wasserbauer, beschrieb die Situation am Oberlauf des Lechs zum Anfang des letzten Jahrhunderts folgendermaßen: „… war die Talsohle … der schrankenlosen Willkür eines mit Geschiebe überladenen Gebirgsflusses preisgegeben, der denn auch rücksichtslos seine Herrschaft ausübte und hin und hin den Talboden zur Ablagerung des Gerölls in Anspruch nahm. Die bis zu einem Kilometer breiten, endlosen Schotterflächen bieten ein trostloses Bild …“. Als Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Geschiebe- und Geröllzufuhr nennt Krapf (1910, S. 14 ff.) folgende Möglichkeiten: • das bloße „Aussteinen“, also die Entnahme von Geröll und Geschiebe aus dem Wildbach über mehrere Jahre hinweg • Wolf ’sche Gehängebauten, das waren uferparallele Pfahlreihen, die mit Faschinen oder Stangenhölzern verbunden wurden. Sie sollten bei Hochwasser den Sedimenttransport über den Gehängebau hinaus in die angrenzende Aue verhindern • Entfernung jeglichen Treibholzes, das besonders im Wald zum Verkeilen neigt und dann einen temporären Wasserstau bildet, der bei seinem Durchbruch große Schadwirkung entfaltet • auch die schädliche Holzdrift im Verbund mit Klausenbetrieb sollte unterbleiben. Bei dieser Art des Holztransports wird mit Hilfe von Stauweihern eine künstliche Flutwelle ausgelöst, in der Baumstämme zu Tale getriftet werden • Verhinderung der Geschiebebildung bzw. Zurückhaltung des Gerölls durch Eindämmen der Lateralerosion und Schutz des Hangfußes, z. B. durch Gehölzpflanzungen und durch Entwässerungsgräben, falls am Hangfuß Wasser zu Tage tritt • Konsolidierungssperren bzw. Grundschwellen zur Verhinderung der Tiefenerosion. Diese Sperren sind niedrige Querbauten, die das Bach-
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bett verbreitern, jedoch nicht allzu viel über den natürlichen Wasserspiegel hinausragen • Stausperren, bei denen eine höhere Staumauer das Geröll zurückhält. Ihr Stauraum wird im Lauf der Zeit mit Geschiebe zusedimentiert • durch die Kombination verschiedener Querbauten entlang des Wildbachs entstehen Staffelsperren. Um das Wildern des Flusses zu verhindern, empfiehlt Krapf (1910, S. 23 ff.) • „unüberströmbare Bühnen“, das sind meist steinerne, buhnenartige Querwerke auf einem oder auf beiden Ufern des Flusses im Abstand von 80 bis 100 m • Parallelbauwerke, also Dämme, die als eine Art Leitwerk den Fluss im vorbestimmten Bett halten sollen; diese Dämme können auch als Wolf ’sche Pfahlbauten ausgeführt werden • Kombination von beiden vorgenannten Maßnahmen. Die Probleme bei der Lechregulierung sind nach Aussage Krapfs (1910, S. 25) die „… außerordentlich große Geschiebeführung, … das rasche Anund Abschwellen bei Hochwasser … [deshalb] … wird es beim Lech nötig sein, die geschiebereichen Wildbäche zu verbauen.“ Bereits 1811 schlug v. Wiebeking die in Grundsätzen noch heute gängigen Wildbachverbauungen vor: „Die, in dem größten Theil des Jahres wenig Wasser führenden, Wildbäche müssen daher an Geschwindigkeit geschwächt werden, welches durch Thalsperren, d. i. Zudämmung des Bettes in der Nähe ihres Ursprungs, so wie der Bergschluchten, die ihr Geschiebe und Gerölle darin herabrollen, geschieht. Diese Thalsperren bestehen aus Steindämmen von Felsmassen, Verhauen, Faschinenwerken … oder aus Balkenwänden oder Holzbaukästen, die man mit großen Steinen auszufüllen hat“, v. Wiebeking, zitiert in Pröbstle et al. (1981, S. 12). Durchgeführt wurde die erste Wildbachverbauung in Bayern allerdings erst 1877 bis 1880 an der Iller. Dem vorausgegangen waren Überschwemmungskatastrophen in den Jahren 1873 und 1878. Ältere Wildbachverbauungen dienten nicht dem Hochwasserschutz, sondern als Triftklausen der Bereitstellung von Triftwasser für die Flößerei. Am Lech begann man 1894 mit der Wildbachverbauung zum Schutz vor Hochwasser u. a. mit einer 11 m hohen Sperre am Schmiedgraben bei Hohenschwangau, Pröbstle et al. (1981, S. 13 ff.). Ab 1902 wurde die
Wildbachverbauung im gesamten bayerischen Alpenraum auf der Grundlage einer „königlich allerhöchsten Verordnung“ verstärkt und 1907 die Finanzierung durch ein neues Wassergesetz gesichert, vgl. Loipersberger (2002, S. 26 f.). Die Wildbachverbauung war und ist vornehmlich ein Eingriff in den Geschiebehaushalt des Lechs, da sie die Zulieferung von Geröll unterbindet. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Zallinger zum Thurn, Franz Seraph (1779) u. a. sind die weitreichenden Planungen zur Lechkorrektur zu sehen, die ab 1850 von der obersten Baubehörde mit Nachdruck vorangetrieben wurden. Diese Planungen knüpften an die älteren Überlegungen an. Bereits 1805 verkündete der neu ernannte Chef des Centralen Wasser- und Straßenbaubureaus C. F. v. Wiebeking, dass „dem ganzen Lech eine neuere Richtung und ein anderer Uferbau bevorstehen“, v. Wiebeking, zitiert bei Leidel, Gerhard (1998, S. 169). Ein Lech, der immer wieder seinen Lauf verlegte und Nutzland raubte, sollte nicht mehr geduldet werden, vgl. Abb. 16. Bei einer Bereisung des Flusses ein Jahr später wurde die Grundlage für die Lechkorrektur in Form einer Directionslinie geschaffen, vgl. Abb. 17. Sie wurde zur Grundlage der späteren Detailplanung. Wenige Jahre später war aus der „Directionslinie“ eine konkretere Planung in Form einer „Projectirte[n] Flußcorections-Linie“ geworden. Die Karte vom Zusammenfluss von Wertach und Lech aus dem Jahr 1811 zeigt, wie rigoros man damals den Fluss verändern wollte und später auch verändert hat, vgl. Abb. 18. Freilich dauerte es noch bis in die 50er Jahre des vorletzten Jahrhunderts, bis die Wasserbaubehörde die vielen älteren, lokal begrenzten Baumaßnahmen durch ein ganzheitliches Konzept für den gesamten Fluss ersetzt hatte und die Bauarbeiten beginnen konnten. Seit 1852 regelte zudem das Gesetz über den Uferschutz und den Schutz gegen Überschwemmungen den Hochwasserschutz am Lech, vgl. dazu Raster (1979, S. 75). Im Jahr 1907 wurde schließlich die Instandhaltung der Gewässer zu einer staatlichen Verpflichtung, vorher war dies Aufgabe der Uferanlieger, vgl. dazu Pröbstle et al. (1981, S. 36). Zum vorgenannten Gesetz von 1852 wurden von der Königlichen Obersten Baubehörde im Staatsministerium des Innern 1856 die „Technischen Vorschriften für den Flussbau in Bayern“ herausgegeben. Sie enthielten im Hinblick auf Schiff- und Floßfahrt und Hochwasserschutz den Grundsatz der stark gestreckten Linienführung 51
Abb. 18: Projektierung der Lechkorrektion. Einbrüche des Lechs ober- und unterhalb Gersthofens 1811. Die von Inspektor Kramer handgezeichneten Karte zeigt die Einmündung der Wertach in den Lech. Die nur schwach zu sehende „Projectirte Flußcorections-Linie“ ist bereits in dieser Karte von 1811 eingezeichnet, die bauliche Umsetzung erfolgte jedoch erst nach 1850. Staatsarchiv Augsburg: Karten- und Plansammlung, M 75 (1811).
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eines Flusses mit einem kanalartigen, trapezförmigen Flussquerschnitt, Schiechtl (1981, S. 129). Dieser Grundsatz führte letztendlich zu einer Kette von Fehlentwicklungen, bei der die Schäden, die ein erster Eingriff verursachte, zu weiteren Eingriffen zwang, die ihrerseits zu neuen Schadensbildern führten. Die Flussbegradigung und Verkürzung seiner Laufstrecke erhöhte zwangsläufig das Sohlgefälle und damit die Fließgeschwindigkeit. Da gleichzeitig das Flussbett mit seinem unregelmäßigen Querschnitt, mit Kolken, Kiesbänken, Prallund Gleithängen, mit Stillwasserzonen und Fließstrecken mit laminarem Strömen bis hin zu Abschnitten mit schießendem Abfluss in ein trapezförmiges, glattes Regelprofil verwandelt wurde, in dem das Wasser geradeaus schoss, wurde die Strömungsdynamik einschneidend verändert. Hinzu kam, dass durch das neue, künstliche Gerinne auch die Rauhigkeit des Bettes und sein Strömungswiderstand verringert wurden, was eine weitere Erhöhung der Fließgeschwindigkeit zur Folge hatte. Das Resultat waren rasch fortschreitende Tiefenerosion und ein schneller auflaufendes Hochwasser, dessen Scheitel durch die zeitliche Verkürzung aufgehöht wurde. Da ein größerer Wasserandrang bei Hochwasser ebenfalls die Fließgeschwindigkeit erhöht, verstärkt sich die Erosions- und Transportkraft und damit die Schadwirkung weiter. Um das Siedlungsland, das inzwischen weit in die Aue eingedrungen war, vor solchen Hochwässern zu schützen, wurden schließlich Deiche gebaut. Sie trennten die Flussaue, die eine Art Zwischenspeicher für die Hochwasserwelle war und die Scheitelhöhe erniedrigte, vom Fluss ab. Alles Wasser, das von oben kam, konnte sich nicht mehr in der Aue verlaufen, sondern musste schnellstmöglich zu Tal. Eine weitere Erhöhung des Hochwasserscheitels war die unausweichliche Folge. Weitere, nicht als Verbesserungsmaßnahme geplante Eingriffe in den Lech haben die Situation noch weiter verschärft. Sie betreffen den Geschiebehaushalt und damit das Belastungsverhältnis des Flusses. Die in Kapitel 9 beschriebene und seit Jahrhunderten betriebene Entnahme von Kies und Flussgeröll hat das Belastungsverhältnis zu Gunsten einer gesteigerten Erosionskraft verändert. Und der Einbau von der Stromerzeugung dienenden Staumauern hat den Gerölltransport mehr oder weniger komplett unterbunden. Zwar reduzieren die Staumauern auch die Fließgeschwindigkeit bei norma-
ler Wasserführung und damit die Kraft zur Erosion. Aber bei Hochwasser, wenn alle Schleusen geöffnet werden müssen und trotz Stau hohe Fließgeschwindigkeiten auftreten, wirkt sich die fehlende Belastung durch Geschiebe verheerend aus und verstärkt die Tiefenerosion. Der schnell voranschreitenden Tiefenerosion begegnete man u. a. durch den Einbau von Grundschwellen. Allerdings bilden sich unterhalb von solchen Grundschwellen Kolke, die die Standfestigkeit der Schwelle gefährden. Insgesamt muss der Wasserbau der damaligen Zeit als Fehlentwicklung und ökologische Katastrophe bezeichnet werden. Eine Änderung dieser Entwicklung wurde erst mit ökologisch zukunftsweisenden Projekten wie Wertach vital und Licca liber eingeleitet, vgl. dazu Kapitel 16. Die im vorletzten Jahrhundert durch die ganzheitliche Planung für den Lech motivierte Flusskorrektur missachtete die strömungsdynamischen Gegebenheiten. Man war damals noch nicht in der Lage, die komplexen Zusammenhänge und die Tragweite der einzelnen Eingriffe zu überschauen. Deshalb wurde mit der Absicht, die Verhältnisse zu verbessern, 1852 am Lech mit Wasserbaumaßnahmen begonnen. Diese wurden bis 1940 fortgeführt. Die Baumaßnahmen zwangen 1863 beispielsweise bei Prittriching und Scheuring den dort gut 1 km breiten Lech in ein 65 m breites Regelprofil mit durch Steindecken geschützten Ufern, Schiechtl (1981, S. 130 f.). Die deichartigen Längsbauten trennten den Fluss von seiner angestammten Aue und erhöhten durch Begradigung und Einengung des Flussquerschnitts und Laufverkürzung die Strömungsgeschwindigkeit und damit die Tiefenerosion in erheblichem Ausmaß. Das trapezförmige, gestreckte Regelprofil des Flusses war bis zum Zweiten Weltkrieg das Leitbild der Flusskorrektur. Die Tab. 5 erfasst nur die im Zuge der planmäßigen Rektifizierung ab 1860 durchgeführten Baumaßnahmen. Frühere Eingriffe wie z. B. der Bau des Hochablasses in Augsburg oder des Karolinenwehres in Landsberg wurden nicht berücksichtigt. Insgesamt zeigt sich, dass nach Flussbegradigungen weitere Korrekturen in Form von Stützwehren und –schwellen zur Schadensbehebung notwendig wurden. Die Flusseinbauten mussten nach Hochwässern mit großem Aufwand regelmäßig repariert werden. Im Einzelnen wurden im Zuge der planmäßigen Rektifizierung folgende Lechabschnitte „korrigiert“: 53
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Abb. 19: Tiefenerosion im Gefolge der Flusskorrektur. Die Eintiefung des Jahresmittelwasserstandes am Pegel Landsberg begann mit der Flusskorrektion um 1880. Es kam zu einer Überlagerung von unmittelbaren Folgen der Korrektion – durch die die Fließgeschwindigkeit erhöht wurde – und den durch die Begradigung bedingten höher auflaufenden Hochwässern, nach Bauer, verändert (1979, S. 23).
Abb. 20: Tiefenerosion und Querschnittsveränderung nach der Lechkorrektur. Die Querprofilaufnahmen bei Scheuring zeigen die rasch voranschreitende Tiefenerosion im Flinz nach der Korrektion, Quelle: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft 1984, S. 20.
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Flussabschnitt
Bauzeit
Lech zwischen Wehr in Schongau bis zur 1860 bis 1913 Finsterau Lech zwischen Pitzling und Kaufering
1863 bis 1910
Lückenschluss von 2 km zwischen Landsberg und Kaufering
1910 bis 1921
Lech zwischen Mangwehr bis zur Roßhauptener Enge
1910 bis 1930
Lech zwischen Prem und Illachmündung
1910 bis 1933
Stützwehr bei Unterbergen
1919
Stützwehre Schwabstadl, Scheuring, Arnoldwehr, Pittriching
1921 bis 1929
Lech zwischen Hurlach und Schwabstadl 1925 bis 1937 Lech im Augsburger Stadtwald
1925 bis 1928
8 Stützschwellen zwischen Flusskilometer 57,4 und 50,4
1933 bis 1940
Kauferinger Wehr
1938
Sandauer Schwelle (Munawehr)
1940
Tab. 5: Korrektionsmaßnahmen am Lech, Quellen: Schiechtl (1981), Müller et al. (1992)
Die zwangsläufige Folge solcher Baumaßnahmen waren massive Veränderungen im Auslastungsverhältnis und damit bei Erosionskraft und Transportvermögen des Lechs. Es kam zu einer raschen Tieferlegung des Flussbetts und zu Grundwasserabsenkungen im Auebereich und darüber hinaus. Besonders betroffen waren Flussstrecken, in denen sich die Flusssohle bereits in weicheren Gesteinen des Tertiärs, im Flinz, befanden. Beim Pegel Schwabstadl grub sich der Lech innerhalb von 40 Jahren um 4,4 m in die Tiefe. Eine derartige Veränderung der Gefällsverhältnisse löste Kettenreaktionen in flussaufwärts gelegenen Abschnitten aus, wo es durch die erhöhte Fließgeschwindigkeit ebenfalls zu Tiefenerosion kam. Als Gegenmaßnahmen wurden nicht die Fehler der Vergangenheit zurückgebaut, sondern es wurden weitere Baumaßnahmen in Form von Sohlestützen eingebracht. Dies geschah bereits 1919. Wegen der Kolkbildung an diesen Querbauten wurden ständige Ausbesserungsarbeiten notwendig. Neben den Korrektionsmaßnahmen entstanden besonders bei Hochwässern Uferabbrüche und neue, ebenfalls unerwünschte Kiesbänke. Bauer (1979) hat umfangreiche Untersuchungen zum Belastungsverhältnis und zur Sohleneintiefung des
Lechs vorgelegt und die Eintiefungsraten über der Zeit ermittelt. Die Abb. 19 lässt im Gefolge der Flussbegradigung eine Eintiefung von mehr als 4 m innerhalb von etwa 30 Jahren bis zur Einleitung von Gegenmaßnahmen erkennen. Dieser Befund wird bestätigt von Flussprofilaufnahmen bei Scheuring, die die Entwicklung des Strömungsquerschnitts zwischen 1903 und 1925 zeigen, vgl. Abb. 20. Zwischen 1879 und 1920 wurden in diesem Bereich die Korrektionsmaßnahmen zur Flussbegradigung und Einengung auf das Regelprofil von 65 m Breite durchgeführt. Da in diesem Flussabschnitt der morphologisch weiche Flinz ansteht, schritt die Tiefenerosion wegen der veränderten Strömungsverhältnisse rasch voran und man sah sich genötigt, Kontrollmessungen durchzuführen. In den leider nicht mit einem Maßstab versehenen Profilen kann man eine Eintiefung um weit mehr als 3,2 m errechnen. Die einzelnen Querschnitte zeigen eine Abfolge von Eintiefung, Durchgangsaufschüttung und erneuter Erosion, vgl. dazu Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (1984, S. 19 ff). Hiemeyer (1991, S. 60) berichtet, dass in Augsburg ehemals flache Lechufer durch die rasche Tiefenerosion zu terrassenartigen Geländestufen mit bis zu 8 m Höhendifferenz wurden. Erstmals wurden die Folgen der Korrektionsmaßnahmen im Raum Augsburg 1862 bei einem Hochwasser mit Q = 500 m3/sec beobachtet, als die widerständige, den morphologisch weicheren Flinz überdeckende Schotterschicht bis auf eine Mächtigkeit von 1 m erodiert wurde. Zum Durchschlag kam es dann bereits 1875. In den folgenden zehn Jahren wurde die Flusssohle durch die Tiefenerosion um 2,71 m abgesenkt. Deshalb wurde eine erste Sohlenstütze in Form eines Querbauwerks eingebaut. Durch natürliche Geschiebezufuhr aus dem Oberlauf stabilisierte sich die Situation bis zum Katastrophenhochwasser im Jahre 1910, vgl. Abb. 22. Der Scheitelabfluss dieses bislang verheerendsten Hochwassers von mind. 1045 m3/sec im Juni 1910 zerstörte die gesamte Lechkorrektion unterhalb des Hochablasses und auch das Wehr selbst. Die enorme Erosionsenergie führte zu weiteren dramatischen Eintiefungen der Flusssohle in der Korrektionsstrecke. An deren Ende, wo die Fließgeschwindigkeit wieder abnahm, kam es zur Sedimentation eines mächtigen Schwemmfächers. Bei der Instandsetzung versuchte man durch eine Aufweitung des Lechprofils auf 80 m bis 85 m die Fehler der Ver55
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Abb. 21: Abflusshöhe und Geschiebetransport. Geschiebetransport (1975–2018) erfolgt im Lech ab einem Abfluss von ca. 250 m3/sec. Der Abfluss am Pegel Haunstetten zeigt, dass die morphologische Wirksamkeit auf wenige Abflussspitzen (über roter Strichelung) konzentriert ist, Quelle: Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (18. Juli 2019).
gangenheit zu beheben. Zusätzlich wurden weitere Sohlstützschwellen eingebaut. Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft (1984, S. 19 ff.). Wie bereits dargestellt, sind diese Sohlstützen nicht unproblematisch, denn sie führen zum Wasserüberfall und damit zur Kolkbildung unterhalb des Staus. Die Kolke wiederum bedrohen die Standfestigkeit des Bauwerks. Am Hochablass bei Augsburg schritt die Tiefenerosion auch in den Folgejahren derart dramatisch voran, dass zwischen 1933 und 1940 die Zahl der Stützschwellen auf acht erhöht werden musste und zusätzlich Längsverbauungen zwischen Flusskilometer 50,4 und 57,4 notwendig wurden. Heute wissen wir, dass die damaligen Maßnahmen die Probleme nicht beheben konnten. Spätestens mit dem Bau von Staustufe 15 bei Landsberg im Jahr 1942 wurde die Geschiebezufuhr für den Lechunterlauf komplett unterbunden. Dazu kamen regelmäßige Kiesentnahmen von ca. 45 000 m3 pro Jahr. Die Tiefenerosion musste sich bei diesen Randbedingungen wieder beschleunigen, Englisch (1997, S. 6 ff.). Um die morphologischen Schäden, die durch die sog. Flusskorrektion ab Mitte des vorletzten Jahrhunderts gesetzt wurden, richtig zu verstehen, müssen wir uns den Ablauf eines Hochwasserereignisses vor und nach den Baumaßnahmen anschauen. Bei Niedrigwasser im Winterhalbjahr ist die Abflussmenge relativ klein. Zusätzlich nimmt die Fließgeschwindigkeit mit kleiner werdender Wassertiefe wegen der Reibung ab. Der Fluss strömt in seinem breit verästelten, mehrere 100 m breiten Bett in den zahlreichen kleinen Gerinnen, der Was56
serstand ist niedrig. Geschiebe wird mehr sedimentiert als abgetragen (vgl. dazu Abb. 10). Der Fluss ist morphologisch kaum aktiv (vgl. dazu Abb. 21). Kommt eine Hochwasserwelle, so steht dem Fluss zunächst sein mehrere 100 m breites Bett mit zahlreichen Sand- und Kiesbänken, die jetzt überflutet werden, zur Verfügung. Steigt das Wasser weiter, tritt der Fluss über die Ufer und nimmt die gesamte Breite der Talaue ein. In der überfluteten Aue sind Wasserstand und Strömungsgeschwindigkeit relativ niedrig. Zusätzlich bremst die Vegetation der Aue das Wasser. Auf höheren, weniger oft überfluteten Kiesbänken stehen Tamarisken und Weiden, in tieferen Lagen der Aue sind es das Riedgras und Schilf und möglicherweise ein Auewald auf sehr selten überfluteten Arealen. Insgesamt ist in einem naturbelassenen Flussbett beim Hochwasser zwar das Belastungsverhältnis BV im Bereich des Stromstrichs deutlich < 1 und es wird erodiert und transportiert, aber die Wassermassen fließen auf breiter, mehrere 100 m breiter Front zu Tal. In der überfluteten Aue ist die Wassertiefe trotz Hochwasser vergleichsweise gering, die Reibung relativ groß und die Zerstörungskraft wesentlich kleiner als bei einem konzentrierten Abfluss in einem kanalartigen Gerinne. In der Aue wird trotz Hochwasser eher sedimentiert. Wenn eine identische Hochwasserwelle in einem trapezförmigen, auf 65 m Breite reduzierten, kanalartigen Regelprofil zu Tal schießt, ist die Wassertiefe per se schon größer und steigt bis zum bordvollen Abfluss noch weiter an. Tritt dann der
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Abb. 22: Lechhochwasser 1910. Das bis dato schwerste Lechhochwasser überschwemmte 1910 viele Siedlungen und verursachte von Tirol bis zur Mündung in die Donau umfangreiche Schäden, Quelle: (Wasserwirtschaftsamt Donauwörth).
Fluss über die Ufer, kann er nicht in die Breite, sondern muss innerhalb der eng den Flusslauf begleitenden Deiche die Wassermassen konzentriert abführen. Die Strömungsgeschwindigkeit ist in diesem Fall wesentlich höher als beim natürlichen Flussquerschnitt und das Belastungsverhältnis BV 125 m3/sec plus ein garantierter Minimaldurchfluss von 2 bis 3 m3/s in das Altwasser, Englisch (1997, S. 5). • Fkm 19,5, Einmündung Lechseitenkanal bis zur Mündung in die Donau: Der letzte Flussabschnitt verläuft größtenteils zwischen Deichen und wird geprägt durch die Staubereiche der Kraftwerke Oberpeiching, Rain und Feldheim. Im Planungsgebiet gab es seit dem Mittelalter Einzelmaßnahmen zum Hochwasserschutz und zur Nutzung der Wasserkraft. • Stau für die Wasserkraftnutzung am Augsburger Hochablass spätestens seit 1346 • Wehr unterbricht longitudinale Konnektivität • ändert Strömungsverhalten • ändert Belastungsverhältnis (Feststoff- und Geschiebetransport werden unterbrochen) • Ausleitung eines erheblichen Teils des Abflusses • Vermutlich Auskolkungen und Tiefenerosion unterhalb des Hochablasses • Wasserbauten zum Hochwasserschutz greifen lokal oft erheblich ins Strömungsgeschehen ein. Das lässt sich gut an einer Karte aus dem Jahr 1580 zeigen, vgl. Abb. 49. In der gewesteten Vogelschau ist am rechten Kartenrand ein Altwasser des Lechs zu erkennen. Es wird an seinem westlichen Ufer von uferparallelen, dammartigen Befestigungen aus Faschinen und einem Bretterverbau begleitet. Diese Wasserbauten wurden in der damaligen Terminologie als Arche oder Wuhre bezeichnet. Davor zeigt die größere bewaldete Insel, dass hier schon mehrere Jahre keine Überflutung stattgefunden hat. Auf ihr ist normal zur Fließrichtung ein alter, zum Zeitpunkt der Kartierung bereits „schlafender“ Hund zu sehen, der nur noch bei Hochwasser in Funktion tritt. Am rezenten Ufer ragen vier Buhnen bzw. Hunde bis zu 113 Schritte in die Donau. Sie sollen das Westufer vor Erosion schützen und die Strömung auf das Gegenufer
Abb. 49: Frühneuzeitliche Wasserbauten zum Hochwasserschutz und zur „Landgewinnung“ am Lech bei Rain, Quelle: (BayHStA Plansammlung 2736)
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Abb. 50: Lageplan der Untersuchungsräume. Dargestellt werden hier nur die auf den Lech bezogenen Ergebnisse im südlichen Untersuchungsgebiet. Quelle: Schielein (2010).
lenken. Zwischen den hakenförmigen Hunden hoffte man auf Landgewinnung durch Sedimentation. • Eingriff in die Strömungsdynamik mit flussmorphologischer Wirksamkeit • Beeinträchtigung der Aue durch dammartige Uferbefestigung Trotz zahlreicher derartiger Eingriffe änderte sich die ökologische Situation des Lechs nicht grundlegend. Eine frühe, relativ präzise Situationsbeschreibung liefern die Arbeiten von Schielein (2010) und Schielein (2012). Durch sie sind wir gut über den noch wesentlich naturnäheren Zustand des Lechs vor dem Beginn der Korrekturmaßnahmen unmittelbar vor seiner Einmündung in die Donau informiert. Schielein (2010, S. 222 ff.) hat seine geomorphologischen Untersuchungen ergänzt durch die Auswertung alter Landkarten und Veduten. Er kann damit die kartographische Darstellung der Flüsse Lech und Donau ab dem 16. Jahrhundert rekonstruieren und so die Ergebnisse seiner Geländeuntersuchungen ergänzen und verifizieren. Während die älteren Karten aus unterschiedlichen Perspektiven ohne vermessungstechnische Grundlage gezeichnet wurden, beruhen die Karten ab Adrian von Riedels Stromatlas aus dem Jahr 1806 und die Blätter der Landesaufnahme für den „Topographi114
schen Atlas vom Königreich Bayern“, dessen Blatt Wittelsbach 1809 gedruckt wurde, auf exakten Vermessungen. Dadurch wird es möglich, die Entwicklung der Flussmorphologie in längeren Zeitreihen ab einem Zeitpunkt darzustellen, an dem die Eingriffe des Menschen im Vergleich zu heute noch wesentlich kleiner waren. Eingehend analysierte Schielein die Flussmorphologie in den Jahren 1809, 1813/14 und 1831 bis 34 auf der Grundlage der frühen vermessenen Karten, vgl. dazu Abb. 50, Abb. 51. Dabei stellte er beachtliche Veränderungen fest. Das Talgefälle am Unterlauf des Lechs ist kurz vor der Einmündung in die Donau mit 1,4 ‰ noch relativ groß. Dadurch steht viel Energie für Erosion, Umlagerung und Abtransport zur Verfügung. Im mehrere hundert bis > 1000 m breiten, mehrfädigen Unterlauf des Lechs mit seinen vielen Inseln überwiegen die Verwilderungserscheinungen. Vereinzelte Ansätze zur Mäanderbildung können sich nicht durchsetzen. Zwischen den zahlreichen Inseln und Altwässern ist nicht immer ein Hauptstrom zu erkennen. Der Bewuchs deutet an, dass die Inseln über längere Zeit stabil waren, sonst könnten keine Büsche oder gar Wald aufkommen. Insgesamt sind die Umwälzungen innerhalb von etwa 25 Jahren beträchtlich, der Flusslauf verändert sich beständig, ehemalige Mäanderbögen werden zu kleinen Rinnsalen, Inseln werden
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Abb. 51: Veränderungen des Lechs zwischen 1809 und 1834. Der Flusslauf des unteren Lechs wurde auf der Grundlage vermessener historischer Karten dargestellt, v. l. n. r.: Topographischer Atlas v. Bayern (1809), Uraufnahme des Messtischblattes (1813 bis 1814), Finanzamtlicher Extraditionsplan (1831 bis 1834), Quelle: Schielein (2010, S. 227).
durchbrochen, der Hauptstrom verlagert sich und bildet Nebenarme und es entstehen Altwässer. Das übergeordnete Flussregime bleibt jedoch das eines wildernden Flusses. Dies gilt zumindest für einige Lechabschnitte noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch die Abb. 52 – das Luftbild entstand kurz nach 1900 – zeigt noch einen vielfädigen, wildernden Lech. Die ab 1852 betriebene Flusskorrektion schuf zwar viele Probleme und war im Hinblick auf die Hochwassergefahr kontraproduktiv. Denn die Flussbaumaßnamen erhöhten die Abflussspitzen und verschärften die Hochwasserbedrohung statt sie zu beseitigen. Die radikalsten Veränderungen des Flussökosystems geschahen jedoch vornehmlich durch den Bau von Staustufen und Kraftwerken. Hier noch einmal eine Zusammenstellung der wichtigsten Eingriffe: • Ab 1879 Flusskorrektion oberhalb des Augsburger Hochablasses, ab 1888 bis 1940 abschnitts-
weise voranschreitende Lechkorrektur zwischen Hochablass und Ellgau: trapezförmiges Regelprofil mit zunächst 65 m Breite, nach Hochwasserkatastrophe von 1910 Aufweitung unterhalb Augsburgs auf 80 m bis 85 m • Trapezförmiges, geradliniges Regelprofil • Vernichtung aller Nebengerinne • Uferbefestigung und damit Festlegung der Uferlinie • Eindeichung • Laufverkürzung • Erhöhung des Sohlengefälles • Verminderung des Strömungswiderstandes • Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit • Verstärkte Tiefenerosion • Grundwasserabsenkung • Abtrennung der Aue, dadurch Unterbrechung der lateralen Konnektivität • Retentionsraum wird drastisch verringert
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Abb. 52: Der Lech bei Augsburg war um 1900 noch ein wildernder Fluss, Blick Richtung NNE, Quelle: Neumeier (19. 02. 2013).
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Ab 1901 zahlreiche Staustufen in Verbindung mit Kraftwerken, vgl. dazu Abb. 43 und Tab. 8 • Unterbrechung der longitudinalen Konnektivität • Veränderung der Strömungsdynamik: Fließgewässer → eher stehendes Gewässer • Verhinderung der Geschiebezufuhr → Geschiebedefizit, Tiefenerosion besonders unterhalb von Staustufen bei durch Hochwasser erhöhtem Abfluss • Veränderung der jahreszeitlich schwankenden Wasserführung (Variabilität), dadurch verschwindet amphibisches Land in der Flussaue
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Ab 1910 verstärkte Entnahme von Geschiebe durch Baggerung verursacht Geschiebedefizit und erhöhte Tiefenerosion
•
Zwischen 1933 und 1940 Bau von 8 Sohlestützschwellen im Abstand von einem Kilometer führt zu Kolkbildung bzw. Tiefenerosion unterhalb der Schwelle speziell bei Hochwasser. Alle Eingriffe begünstigten die Tiefenerosion, die sich wegen der besonderen geologischen Situation zum Hauptproblem entwickelte. Diese kräftige Tie116
fenerosion des Lechs ist nicht nur wegen der Absenkung des Grundwasserspiegels, der verstärkten Uferabbrüche und der Unterspülung von Bauwerken ein Problem. Die geologische Situation stellt eine Art Zeitbombe dar, die durch die Tiefenerosion gezündet wird. In einem solchen Fall droht eine Art Canyonbildung. Zum besseren Verständnis müssen wir in die geologische Vergangenheit blicken. Durch die Heraushebung der Alpen im Tertiär entstand im heutigen Alpenvorland ein Geosynklinaltrog, in dem sich Sedimente der Süßwassermolasse abgelagert haben. Diese Sedimente sind fluviatil-limnische feinsandig bis tonige, teils mergelige Ablagerungen mit einem hohen Glimmeranteil, die als Flinz bezeichnet werden. Der Flinz bildet das erosionsanfällige Liegende für die quartären Aufschüttungen. Darüber liegen die Schotterfelder und Moränen, die als Folge extremer Klimawechsel mit Eis- und dazwischenliegenden Warmzeiten im Quartär entstanden sind. Es ist die uns bekannte eiszeitlich geprägte Flusslandschaft mit Schotterfluren und Terrassen entlang des Lechs, vgl. u. a. Eberle et al. (2010); Schellmann (2016). Bezüglich der Widerstandskraft gegenüber der Flusserosion sind die eiszeitlichen Schotterpackungen wesentlich standfester als der darunterliegende ter-
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Abb. 53: Tiefenerosion des Lechs innerhalb von 10 Jahren, Quelle: (Wasserwirtschaftsamt Donauwörth).
tiäre Flinzsand. Gräbt sich der Lech durch die widerständigen Schotter und erreicht den weichen Flinz, wird die Zeitbombe gezündet, es kommt zum gefürchteten Sohlendurchschlag. Der Fluss tieft sein Bett spätestens beim nächsten Hochwasser in kürzester Zeit enorm ein. Nach Liepert (2012, S. 8) liegt die Eintiefungsrate des Lechs im Schotterbett bei ca. 2 cm/a, hingegen werden bei den tertiären Flinzsanden bis zu 100 cm/a erreicht. Wie ernst die Gefahr eines Sohldurchschlag ist, zeigt auch die Abb. 53. Der Abstand zwischen Flusssohle und Flinz ist stellenweise auf wenige Dezimeter geschrumpft. Den letzten Anstoß zur Einleitung von Sanierungsmaßnahmen lieferte das Pfingsthochwasser 1999. Im heutigen Sanierungsbereich hatte sich der Lech bei dem einen Hochwasserereignis stellenweise um bis zu 0,7 m in die Tiefe gefressen, Jungwirth (2012, S. 2). Eine ökologische Bestandsaufnahme muss beim Abflussgeschehen ansetzen. Der Abfluss mit seiner Variabilität ist sozusagen die DNA des Lechs, sie steuert alle nachgelagerten Prozesse. Bereits der
Vergleich der monatlichen Mittelwerte zeigt, dass der Pegelstand des sommerlichen Abflusses etwa das Fünffache des winterlichen ausmacht, vgl. Abb. 3. Wie hoch die Variabilität des Abflusses tatsächlich ist, zeigt das Verhältnis von MNQ zu MHQ, das am Pegel Aschau den Faktor 38,8 erreicht, vgl. Tab. 2. Die Überschwemmungskatastrophe des Jahres 1910 lehrte, wie dramatisch ein Hochwasserereignis am Lech tatsächlich sein kann. Denn innerhalb eines Tages schwollen die abkommenden Wassermassen auf das mehr als Fünfundzwanzigfache an und der höchste jemals gemessene Abfluss verwüstete das Land, vgl. Abb. 4 und Abb. 22. Nur bei hohen Abflusswerten ist der Lech morphologisch aktiv und erodiert oder transportiert. Wenn die Abflussspende größer als ca. 250 m3/sec wird, kann der Fluss größere Geschiebe transportieren, vgl. Abb. 21. Bei niedrigerem Abfluss überwiegt die Sedimentation bzw. es herrscht weitgehende Formungsruhe. Und nur bei starken Wasserstandsschwankungen ändert sich auch die
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Abb. 54: Leitbild für die ökologische Sanierung des Lechs, Quelle: Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (10. 07. 2014).
Breite des Gerinnebetts bzw. wird die Aue überflutet. Die ökologischen Defizite, die Jungwirth (2012, S. 3 ff.) für den Lech im Bereich der Stadt Augsburg aufzeigt, sind letztendlich die Folge der Unterbindung der außerordentlich großen Variabilität der Wasserführung des Lechs. Diese Defizite treffen – cum grano salis – für den ganzen Lech unterhalb von Füssen zu: • Kanalisation und Einengung des Lechs auf 60 m bis 80 m Breite bei harter Verbauung und befestigten Ufern führen zu einer Gewässerverarmung bezüglich Fauna und Flora und morphologischer Formung ohne Seitenerosion, Kolke und Kiesbänke • Unterbindung der lateralen Konnektivität durch Deiche, die die Aue abkoppeln und den aktiven Fluss flächenmäßig drastisch reduzieren. Dadurch Vernichtung von Pionierstandorten im Weichauegürtel, Störung der Sukzession und einseitige Entwicklung einer harten Auevegetation bei gleichzeitiger Unterbindung der pflanzlichen Verjüngung • Staustufen und Kiesentnahme behindern den Geschiebetrieb und führen zu einem Geschiebedefizit unterhalb des Staus. Dadurch wird die 118
Gewässerdynamik und damit die Flussmorphologie grundlegend geändert. Es kommt zu verstärkter Tiefenerosion, zu Grundwasserabsenkungen und zum gefürchteten Sohlendurchschlag, bei dem das morphologisch weichere Tertiär freigelegt wird •
Unterbrechung des Längskontinuums durch Staustufen und Sohlschwellen führt zu einer Dämpfung der Abflussspitzen und damit zu weniger Überflutungen, einem geänderten Abflussgang und Sedimentationsverhalten und schließlich zu einer Verschlammung, die sich auf die Fischfauna auswirkt. Der Abfluss führt auch zu einer Differenzierung der einzelnen Flussabschnitte. Ab der Staustufe 23 (Mandichosee bei Merching) flussabwärts bis zum Flusskilometer 17 ist eine noch 30 km lange freie Fließstrecke erhalten. Zwischen Mandichosee und dem Hochablass sind auf ca. 10 km sogar noch fast natürliche Abflussmengen vorhanden. Die flussabwärts anschließende Strecke ab km 37 bis km 17 verfügt wegen der starken Ausleitung jedoch nur noch über Restwasser. Das vor einigen Jahren gestartete Projekt „Licca liber“ soll den Unterlauf des Lechs ökologisch sanieren. Dazu musste zunächst ein Sanierungsziel de-
Abb. 55: Entwicklungsziele für die Renaturierung des ersten Bauabschnitts im Bereich von Augsburg, Stand 2019, Quelle: Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (18. 07. 2019).
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Abb. 56: Beispiel für eine Sohlrampe aus dem Renaturierungsprojekt „Wertach vital“. Mit einer oft mehrere 100 m langen, mit Gesteinsblöcken belegten Rampe kann u. U. ein Wehr oder eine Sohlschwelle ersetzt und auf dieses Weise die longitudinale Durchgängigkeit eines Flusses wiederhergestellt werden kann. Bild: Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (10. 07. 2014).
finiert werden. Deshalb wurde ein Leitbild entwickelt, bei dem die Gewässerdynamik eines voralpinen Wildflusses im Mittelpunkt steht, vgl. Abb. 54. Allerdings müssen bei der beabsichtigten Wiederherstellung eines naturnäheren Flusslaufs nach Angaben des Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (10. 07. 2014) zahlreiche, nicht oder nur schwer veränderbare Randbedingungen beachtet werden: • Hochwasserschutz für Siedlungen muss erhalten bleiben und verbessert werden • Wasserversorgung darf nicht gestört werden • Hochwasserschutz für vielfältige Infrastruktur ist notwendig • Wasserkraftnutzung soll erhalten bleiben • Sport- und Freizeitnutzung soll erhalten und weiter ausgebaut werden • Flussaue und Auewaldrelikte sind vom Lech abgekoppelt und müssen wieder angebunden werden • Ausgewiesene FFH-Gebiete (Fauna-Flora-Habitatrichtlinie der EU) müssen berücksichtigt werden • Bannwaldfunktion des Stadtwaldes von Augsburg ist zu berücksichtigen. Die Entwicklungsziele sehen für den ersten Pla120
nungsabschnitt im Bereich von Augsburg vor, dass die fortschreitende Tiefenerosion des Lechs verhindert werden soll. Gleichzeitig soll die longitudinale Konnektivität für Geschiebe und Fische wiederhergestellt werden. Mit neuen Auen soll der Retentionsraum vergrößert und so der Hochwasserschutz verbessert werden und es sollen dadurch neue, ökologisch wertvolle Lebensräume entstehen. Schließlich ist auch daran gedacht, die Zugänglichkeit zum Lech zu verbessern und Naherholungsmöglichkeiten zu schaffen. Dazu ist eine ganze Reihe baulicher Maßnahmen erforderlich, vgl. Abb. 55. Die wichtigste besteht darin, dem Lech wieder mehr Raum zu geben. Deshalb sollen Deiche zurückverlegt und ihr Vorland soll so abgesenkt werden, dass es wieder zu amphibischem Land wird. Die Ufer müssen entfestigt und abgeflacht werden. Das geschieht teils maschinell, teils wird durch das Entfernen der harten Uferverbauung wieder die natürliche Seitenerosion ermöglicht. Der Lech wird damit in die Lage versetzt, sein Geschiebedefizit selbst aus dem Uferbereich zu decken. Wo das nicht ausreicht, soll eine künstliche Geschiebezugabe helfen. Eine weitere Option stellt die Anlage von Zweitgerinnen dar. Das bietet sich besonders da
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Abb. 57: Zeitplan des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth für die Umsetzung des Projekts Licca liber, Quelle: Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (18. 07. 2019).
an, wo Abstürze in Form der alten Sohlschwelle ausgebaut und durch eine Sohlrampe ersetzt werden, vgl. Abb. 56. Ein Nebengerinne vermindert dann zusätzlich die Tiefenerosion, vgl. dazu Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (10. 07. 2014), Wasserwirtschaftsamt Donauwörth (18. Juli 2019; Wasserwirtschaftsamt Donauwörth; ARGE SKI – IB KUP – UIBK; ARGE SKI – IB KUP – UIBK).
Da die Strömungsdynamik eine der Leitgrößen für Flora und Fauna ist, kann man davon ausgehen, dass sich auch das Pflanzenkleid der neuen Aueflächen in einer rückwärts schreitenden Sukzession wieder einem naturnahen Zustand annähert. Nach jetzigem Planungsstand wird es jedoch noch einige Jahre dauern, bis die Renaturierungsmaßnahmen abgeschlossen werden können, vgl. dazu Abb. 57.
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17 Wildfluss oder grüner Strom? Zusammenfassung und Versuch einer Abwägung Seit der Mensch in der Jungsteinzeit am Lech sesshaft wurde, nach und nach die Alpen erschloss, den Wald rodete, Siedlungen gründete und Landwirtschaft betrieb, musste er mit dem Energiereichtum dieses Flusses zurechtkommen. Die Lagebeziehungen, Tektonik, Relief, Klima und die natürliche Vegetation bildeten dabei die Bühne, auf der sich der Kampf gegen die Hochwässer genauso wie die Fesselung des Wildflusses durch zahlreiche Staustufen und die wirtschaftliche Nutzung seiner Energie abspielten. Gesteuert werden die Wassermassen des Lechs im Gebirge, in den Lechtaler Alpen, wo er in 1840 m NN entspringt und auf der relativ kurzen Distanz von 257 km bis zur Donau 1448 Höhenmeter hinabschießt. Im Gebirge fällt vor allem in den Sommermonaten viel Regen, gleichzeitig erreicht die Schneeschmelze ihren Höhepunkt. Durch das Zusammentreffen von Niederschlagsmaximum und Tauwetter kommt es zu den gefürchteten Sommerhochwässern, deren zerstörerische Kraft Felder, Siedlungen und Verkehrswege in Mitleidenschaft zieht. Dagegen mangelt es dem Lech im Winterhalbjahr eher an Wasser und er ist relativ zahm. Während im Winter manchmal nur wenig mehr als 10 m3 Wasser pro Sekunde abfließen, kann sich dieser Wert im Sommerhalbjahr innerhalb weniger Stunden vervielfachen. Der Hochwasserabfluss beträgt im Sommer oft weit über 1000 m3 pro Sekunde! Zu dieser enormen Variabilität des Abflusses kommt der Geschiebereichtum. In den Alpen liefern eiszeitliche Moränen, Geröllfelder, Bergstürze, Muren und die Verwitterung reichlich Geröll, das der Fluss bei Hochwasser aufnimmt, transportiert, zerkleinert und dabei Energie abbaut. Beim Austritt aus dem Gebirge verringert sich das enorme Gefälle von durchschnittlich 12 ‰ auf immer noch sehr beachtliche 2,42 ‰. Floss der Lech im Gebirge über weite Strecken in engen Tälern, hatte er im Alpenvorland viel Platz, konnte sich auf den eiszeitlichen Schotterfluren ausbreiten und weiteres Geschiebe aus den Moränen und eiszeitlichen Terrassen aufnehmen. In der Kombination von Geschiebereichtum, Platz, stoßweiser Wasserführung – die sich 122
vielfach zwischen niedrigem Abfluss und Hochwasser veränderte – verwilderte der Fluss. Er bildete ein mehrere 100 m breites, seichtes Bett, in dem sich viele einzelnen Wasserläufe zwischen Kiesbänken verzweigten. Bei Niedrigwasser sedimentierte der Lech seine Geröll- und Sandfracht, um bei der nächsten Hochwasserwelle diese Kiesbänke wieder anzugreifen, sie umzulagern und ihr Material weiter flussabwärts zu wälzen. Mit dem sich ständig verändernden Wasserstand überflutete dieser Fluss, der auch seine Ufer umarbeitete, mehrmals im Jahr seine Aue. Fluss und Aue bildeten eine hydrogeographische Einheit mit einer ökologisch sehr wertvollen, enorm großen Vielfalt an tierischem und pflanzlichem Leben. Die Bedürfnisse des Menschen kommen in den Daseinsgrundfunktionen zum Ausdruck. In der Flusslandschaft kommen vornehmlich die Grundfunktionen wohnen, arbeiten, sich versorgen, am Verkehr teilnehmen und sich erholen zum Tragen. Die Maßnahmen, die zur Befriedigung der daraus erwachsenden Bedürfnisse ergriffen wurden und werden, gaben die Impulse für die zahlreichen Eingriffe in die Strömungsdynamik des Lechs. Das Flussdiagramm in Abb. 58 stellt die Folgen des sich zunehmend verstärkenden Einflusses des Menschen auf die Flusslandschaft zusammenfassend dar. Natur- und humangeographische Aspekte einer Flusslandschaft sind sehr eng miteinander verzahnt. Mit der Rodung von Wald und der Veränderung der Vegetation kam es zu Bodenerosion und zur Bildung von Auesediment. Bei diesen Eingriffen handelte es sich um unbeabsichtigte Kollateralschäden von Waldrodung und Ackerbau. Als dann am Lech erste Siedlungen entstanden und zunächst Felder und später auch Häuser in den Überflutungsbereich des Flusses gelegt wurden, begannen gezielte Bemühungen um den Hochwasserschutz. Zunächst mit einer Reihe von einzelnen Schutzbauten, später dann durch staatlich koordinierte wasserbauliche Maßnahmen, die den Fluss in eine kanalartige Abflussrinne zwangen und ihn durch Dämme von seiner Aue trennten. Dank hoher Abflussspende und hoher Relief-
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17 Wildfluss oder grüner Strom? Zusammenfassung und Versuch einer Abwägung
Abb. 58: Systemveränderungen eines fluviatilen Systems durch anthropogene Nutzungsansprüche, Quelle: Friedmann (26. 09. 2019).
energie eignet sich der Lech sehr gut zur Energiegewinnung. Spätestens seit römischer Zeit haben sich die Anrainer des Flusses seine Wasserkraft dienstbar gemacht. Zunächst durch Mühlen, für die schon früh Wasser aus dem Fluss in Mühlkanäle abgezweigt wurde. In Augsburg hat sich daraus ein weit verzweigtes, die ganze Stadt durchziehendes Kanalnetz entwickelt, das dem Lech mehr als die Hälfte seines Wassers entzog und zur Grundlage der gewerblichen und späteren industriellen Entwicklung wurde. Mit der Erfindung der Turbine und dem Aufkommen der Stromwirtschaft erreichten die menschlichen Eingriffe in die Strömungsdynamik des Lechs eine neue Qualitätsstufe. Aus den vorher eher vereinzelten Stauwehren und Schöpfköpfen zur Ableitung von Mühlkanälen wurde eine Kette von Wehren und Staumauern zur Produktion von etwa 13 % des in Bayern verbrauchten elektrischen Stroms. Hochwasserschutzmaßnahmen und Stromproduktion waren die Treiber für die gewichtigsten Eingriffe und Veränderungen der Strömungsdynamik des Lechs. Daneben treten die übrigen Veränderungen, die ihre Ursachen in Bewässerungsmaßnahmen, in Floß- und Schifffahrt, Brückenbau
oder der Entnahme von Flussgeröll haben, bezüglich der Schwere des Eingriffs weitgehend in den Hintergrund. Die Verunreinigungen, die durch die Einleitung von Abwässern verursacht wurden, konnten schließlich nach langer Zeit mit Hilfe von Kläranlagen auf ein ökologisch erträgliches Maß reduziert werden. Hingegen haben Flusskorrektion, Eindeichung und der Staustufenbau aus dem letzten Wildfluss der nördlichen Alpen durch die schweren Eingriffe in das fluviatile System einen Kanal mit geregeltem Abfluss gemacht. Die Staustufen haben den Fluss in Teilstücke zerlegt, haben ihn fragmentiert und so die Durchgängigkeit für Pflanzen, Tiere und Sedimentfracht unterbunden. Flussbegradigung, Laufverkürzung, Regelprofil, Wehre und Staustufen haben Abfluss, Gefälle und das Belastungsverhältnis des Lechs grundlegend verändert. Dies führt zwangsläufig zu einem veränderten Strömungsverhalten mit erhöhten oder reduzierten Fließgeschwindigkeiten und durch Stauhaltung veränderten Wassertemperaturen. Aus dem Wildfluss ist eine Seenkette geworden. Die speziellen Anforderungen der Stromgewinnung führen schließlich zur Abflussregulierung über den Strompreis. Wenn 123
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viel Strom gebraucht wird, der Preis an der Strombörse in Leipzig folglich hoch ist, werden die Turbinen mit Wasser beaufschlagt und produzieren Strom. Dagegen wird der Abfluss in verbrauchsarmen Zeiten reduziert oder fast komplett gestoppt, weil die Stromproduktion nur geringe Erträge bringt. Damit wurde die natürliche Steuerung des Fließverhaltens vom Stromverbrauch und von ökonomischen Bedingungen übernommen. Die Meinungen über diesen Umbau des Lechs gehen weit auseinander. Von Seiten der Wirtschaft sieht man den Lech als gelungene Symbiose von Natur und wirtschaftlicher Nutzung. Beispielsweise trug die Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum der Bayerischen Wasserkraftwerke AG, der BAWAG, den Titel „50 Jahre Natur und Energie in Harmonie.“ Hingegen brachten eher ökologisch orientierte Wissenschaftler der Universität Augsburg wenige Jahre später ihre Untersuchungsergebnisse mit dem Buchtitel „Der gezähmte Lech. Ein Fluss der Extreme“ zum Ausdruck. Dort wird facettenreich dargestellt, dass der Lech zum „Cyborg, ein(em) Mischwesen zwischen Fluss und künstlich gesteuertem Kraftwerk … (mutiert ist) … Die Natur ist von der Technik völlig überformt, der Ingenieur triumphiert; der Lech verschwindet“, Krauss et al. (2014, S. 10). Eine Abwägung dieser extrem gegensätzlichen Standpunkte fällt selbst unter ökologischen Gesichtspunkten schwer: a. Aus einer hydrogeographisch ökologischen Sichtweise heraus wurde durch die Verwandlung des Wildflusses Lech in eine Kraftwerkskette das extrem artenreiche Ökosystem eines alpenländischen Wildflusses vollständig zerstört und durch ein anders geartetes limnisches Ökosystem mit anderen Pflanzen- und Tierpopulationen ersetzt. Die Tragweite dieses ökologischen Verlustes kann nicht hoch genug eingeschätzt werden! b. Aus klimageographischer Sicht ist angesichts des anthropogen verursachten Klimawandels der Betrieb der Kraftwerkskette ein hochwillkommener Beitrag zur CO2-Reduktion. Denn der mit der Kraftwerkstreppe erzeugte Strom deckt nicht nur rund 13 % des bayerischen Strombedarfs mit CO2-freier Energie. Im Gegensatz zu den übrigen regenerierbaren Energiequellen ist Wasserkraft regelbar und extrem kurzstartfähig. Letzteres sind Eigenschaften, die 124
so nur konventionelle, CO2-emittierende Kraftwerke besitzen. Eine eindeutige Entscheidung für die Argumentation a) oder b) ist deshalb kaum möglich. Wir sind in einem ökologischen Dilemma gefangen! Zusätzlich wurden durch die jahrhundertelange Nutzung des Lechs unveränderbare Randbedingungen geschaffen. Bei einer eher pragmatischen Vorgehensweise kommt man deshalb zu dem Schluss, dass einerseits die Umwandlung des Wildflusses in eine Kraftwerkstreppe nicht mehr vollständig rückgängig gemacht werden kann und gleichzeitig angesichts der dringend gebotenen CO2-Reduktion auf den „grünen“ Strom aus Hydroenergie nicht verzichtet werden kann. Andererseits existieren in Mitteleuropa nur noch ganz wenige Flusskilometer an naturnahen Wildflüssen. Bereits heute werden weit mehr als 50 % des Abflusses, also des Wassers, das weltweit in Flüssen zu Tal und ins Meer fließt, durch Dämme gestaut – mit allen oben dargestellten ökologischen Folgen! Bis 2030 wird dieser Anteil auf mehr als 90 % wachsen, Goudie (2019, S. 147 f.). Eine aktuelle Studie von Belletti et al. (2020) über alle Arten von Staudämmen hat gezeigt, dass es in europäischen Flüssen 1,2 Mio. künstliche Strömungshindernisse von der Grundschwelle bis zur hohen Staumauer gibt. Das europäische Flussnetz ist damit das am stärksten fragmentierte weltweit! Die Barrierendichte pro Flusskilometer schwankt zwischen fünf Dämmen pro 1000 Flusskilometer in Montenegro und ca. 20 Dämmen pro km in den Niederlanden, vgl. dazu auch Zarfl und Lehner (2020). Aus diesen Gründen müssen die wenigen Relikte wildernder Flüsse streng geschützt werden. Sie dürfen nicht auch noch durch Stromgewinnung oder andere wirtschaftliche Ansprüche zerstört werden. Die Abb. 59 stellt das Dilemma der Wasserkraftnutzung abschließend pointiert und mit Bezug zum Lech dar. Das Dilemma der Wasserkraftnutzung lässt sich leider nicht auflösen. Hinzu kommen kulturhistorische und denkmalpflegerische Aspekte. Besonders die Nutzung der Wasserkraft ist im Raum Augsburg seit vielen hundert Jahren prägend für die Kulturlandschaft. Die UNESCO hat deshalb Augsburgs historische Wasserwirtschaft als Weltkulturerbe anerkannt, vgl. Kluger (2013a; 2015). Deshalb sollen und dürfen an vielen Stellen menschliche Eingriffe
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Abb. 59: Das Dilemma der Wasserkraftnutzung, Quelle: Friedmann 26. 09. 2019.
in das hydrogeographische Gefüge nicht entfernt werden. Letztendlich liegt deshalb der Schluss nahe, die Kraftwerkstreppe zu akzeptieren, aber wo immer Renaturierungsmaßnahmen und ökologischer Ausgleich an der Seenkette durchgeführt werden können, müssen diese durchgeführt werden, um zumindest den ökologischen Status quo zu erhalten. Mit vorbildlich zu nennenden Renaturie-
rungskonzepten wie dem 2013 vom Wasserwirtschaftsamt Donauwörth begonnenen Projekt „Licca liber“ wird dieser Pfad jetzt beschritten. Im Übrigen werden diese Maßnahmen das Hochwasserrisiko beträchtlich reduzieren! Und sie sollen sicherstellen, dass die wenigen Kilometer noch existierenden Wildflussstrecken in Mitteleuropa erhalten bleiben.
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Glossar
Fachterminus Abflusskoeffizient Abflussregime
aerober Abbau Aerosol Akkumulation Akquifer Albedo
Allmende alluvial Altmoräne
Ammonium amphibisch aquatisch Atlantikum Avifauna Bergmähder Biodiversität biogen Biotop Biozönose BSB5 Deichel
Delta Dendrochronologie Denitrifikation
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Erklärung geowissenschaftlicher Fachbegriffe Der Abflusskoeffizient ist vornehmlich abhängig von Niederschlag, Relief, Boden und Vegetation und zeigt an, wie viel Teile des aktuellen Niederschlags oberirdisch abfließen. Das Abflussregime ist der hauptsächlich von Klima, Lage und Relief im Einzugsgebiet abhängige, gemittelte jahreszeitliche Verlauf des Abflusses eines Gewässers; die gebräuchlichste Klassifizierung stammt von Pardé, sie macht durch ihre Normierung unterschiedliche Flüsse vergleichbar. ist der Abbau von Wasserinhaltsstoffen durch Bakterien und andere Kleinstlebewesen unter Verbrauch von Sauerstoff. Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen in einem Gas. Ablagerung von Sedimenten, z. B. bei nachlassender Transportkraft eines Flusses; A. führt zur Bildung von Sand- und Kiesbänken. Gesteins- oder Bodenschicht, die Grundwasser leitet, Grundwasserkörper, Grundwasserleiter. Die Albedo ist ein Maß für die Helligkeit und damit für das Rückstrahlvermögen einer Oberfläche. Je heller die Oberfläche, desto größer ist die Albedo. In unserem Fall geht es um die Albedo der Erdoberfläche. Weißer Schnee hat eine hohe Albedo und reflektiert fast die gesamte zugestrahlte Energie. Deshalb bleibt der Schnee kalt. Dagegen hat eine fast schwarze Teerstraße eine kleine Albedo, die zugestrahlte kurzwellige Energie wird fast komplett aufgenommen und in Wärme umgewandelt. Der Teer wird heiß und flüssig, die Straße verformt sich. ist der nicht parzellierte Teil der landwirtschaftlich nutzbaren Flur eines Ortes in Gemeinschaftsbesitz, z. B. Weideland. das Alluvium betreffend; das Alluvium ist das bodenbildende Substrat der Aueböden und besteht meist aus tonig-schluffigen und feinkörnigen Sedimenten, ggf. auch aus Geröllschichten. Moränen sind geomorphologische Relikte einer Eiszeit und bestehen aus Geschiebe und Substrat, die der Gletscher transportiert hat. Altmoränen sind Zeugen einer früheren Eiszeit. In Süddeutschland etwa Günz-, Mindel- und Rißeiszeit. ist eine anorganische Stickstoffverbindung, die u. a. beim biologischen Abbau organischer Stickstoffverbindungen entsteht. amphibisches Land sind Fluss- oder seenahe Flächen, die durch wechselnde Wasserstände zeitweise unter Wasser liegen, also sowohl aquatisch als auch terrestrisch sein können. dem Wasser zugehörig, im Wasser befindlich. Das Atlantikum ist eine Klimastufe der Nacheiszeit und dauerte etwa von 8000 bis 4000 v. Chr. In dieser Zeit war das Klima in Mitteleuropa ozeanisch geprägt und relativ warm. Gesamtheit aller in einem Ökotop vorkommenden Vogelarten. Wiesenflächen im Hochgebirge, die wegen ihrer Steilheit nicht beweidet werden können, die jedoch Heu für die winterliche Stallhaltung liefern. Biodiversität ist ein Maßstab für die Vielzahl unterschiedlicher Lebewesen in einem bestimmten Ökotop. biologischen Ursprungs. Lebensraum einer Lebensgemeinschaft (Biozönose) in einem abgrenzbaren Gebiet. Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren verschiedener Arten in einem abgrenzbaren Biotop, die miteinander in Wechselbeziehung stehen. Indikator für die Gewässergüte, zeigt an, wie viel Sauerstoff in den ersten fünf Tagen nach Einleitung von Schadstoffen zum bakteriellen aeroben Abbau benötigt wird. Eine Deichel ist ein Rohr, das aus einem der Länge nach durchbohrten Baumstamm gefertigt wurde. Durch die Verbindung von mehreren Deicheln mit Hilfe von eisernen Deichelringen entstanden Wasserleitungen. Derartige Leitungen sind seit der Römerzeit bekannt. Sie ermöglichten den Bau von Druckleitungen. Differenz zwischen zwei Stadien der Landschaftsentwicklung. Methode zur Altersbestimmung von Holz mit Hilfe der Jahresringe. Die D. ist wichtiges Hilfsmittel für die Datierung archäologischer Funde. ist die Umwandlung des im Nitrat (NO3-) gebundenen Stickstoffs zu molekularem Stickstoff (N2). Dieser Prozess wird durch Bakterien mit ihrer Nitratatmung gesteuert.
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Dreifelderwirtschaft
Bei der D. wurde die gesamte Anbaufläche einer Siedlung – in diesem Fall sprechen wir von zelgengebundener Dreifelderwirtschaft – oder eines Besitzers in drei gleich große Teile geteilt. Die ursprüngliche Fruchtfolge wiederholte sich nach drei Jahren und umfasste Winter-, danach Sommergetreide und ein Brachejahr. Im Lauf der Entwicklung wurde das Brachejahr z. B. durch Kartoffelanbau ersetzt. Voraussetzung dafür war die Düngung. Emscherbrunnen Kleine, zweistöckige Kläranlage mit getrenntem Absetz- und Faulbecken. Endmoräne Moränen sind Relikte einer Eiszeit und bestehen aus Geschiebe und Substrat, das der Gletscher transportiert hat. Je nach Position zum Gletscher unterscheiden wir Stirn-, End-, Seiten-, Grundoder Deckmoränen. Die E. hat der vordringende Gletscher vor sich hergeschoben, sie markiert den Gletscherhöchststand. ephemer kurzzeitig bestehend. Erosion ist die abtragende Wirkung von Wasser, Eis oder Wind. Durch E. wird Material wie Ton, Schluff, Sand oder Geröll gelockert und abgeführt. Erosion wirkt vornehmlich linienhaft, z. B. durch fließendes Wasser. Eutrophierung wird vom Menschen ausgelöst und beschreibt die Anreicherung von Nährstoffen, z. B. Phosphat, Stickstoff u. a. in einem ursprünglich nährstoffarmen Gewässer. E. führt zu übermäßigem Algenund Pflanzenwachstum (Phytoplankton), das anderen Lebewesen die Lebensgrundlage entzieht. Der mikrobielle Abbau des auf den Grund abgesunkenen Phytoplanktons verzehrt den Sauerstoff und kann z. B. zu einem Fischsterben führen. Evaporation Verdunstung. Evapotranspiration Gesamtverdunstung der bewachsenen Bodenoberfläche. E. setzt sich aus der Verdunstung (Evaporation) und dem von Pflanzen abgegebenen Wasser (Transpiration) zusammen. Exzentrizität Abweichung der Bahnkurve eines Himmelskörpers von der Kreislinie. FFH-Gebiet Europäisches Schutzgebiet für Natur und Landschaft nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Faltenmolasse Molasse ist die geologische Bezeichnung für ein Sediment bzw. Sedimentgestein, das bei der Abtragung eines sich hebenden Faltengebirges entsteht. Molassesedimente werden im Vorland des Gebirges meist in terrestrischer oder flachmariner Umgebung abgelagert. Als Faltenmolasse werden die Gesteine des gefalteten Bereichs des Molassebeckens bezeichnet, das den Alpen unmittelbar vorgelagert ist. Fkm Flusskilometer. Flinz Als Flinz wird im Untersuchungsraum ein morphologisch weiches fluviatil-limnisches feinsandig bis toniges, teils mergeliges Sediment mit einem hohen Glimmeranteil bezeichnet. Flument Nach Schirmer (2019) der Schotterkörper einer Flussterrasse. Im älteren Schrifttum spricht man von Terrasse und unterscheidet dabei nicht zwischen der einen Fluss begleitenden Form und dem Terrassenkörper aus Schotter, eben dem Flument. fluviatil von einem Fluss verursacht. Flysch Marines Sediment, das von einer Wechselfolge von Tonstein und grobkörnigem Gestein, z. B. Sandstein, geprägt ist und in der Regel in tieferen Meeren entsteht. Im Untersuchungsgebiet ist der Flysch besonders erosionsanfällig. Furkation Eine Furkation ist ein verwilderter Flusslauf mit einem mehrfädigen, seichten, breiten Flussbett, Sand- und Kiesbänken und stark variabler Wasserführung, die englische Bezeichnung lautet braided river. Geomorphologie Teilgebiet der Geographie; Lehre von den Oberflächenformen der festen Erdoberfläche und den Formungsprozessen ihres Reliefs. Geosynklinale Senkungsraum der Erdkruste, in dem sich Sedimente ansammeln, die später zu einem Gebirge aufgefaltet werden. Diese Modellvorstellung ist überholt und wird heute von der wesentlich komplexeren Plattentektonik abgelöst. Trotzdem wird das Modell des Geosynklinaltrogs wegen seiner Kürze und Anschaulichkeit noch heute verwendet. Geschiebe In der Geomorphologie ist G. die Bezeichnung für Gesteinsmaterial, das vom Gletscher transportiert wurde; in der Hydrologie wird mit G. Gesteinsmaterial bezeichnet, das vom Fluss transportiert wird. In diesem Buch wird Geschiebe und Geröll synonym für Transportmaterial des Flusses verwendet. Gierfähre Die Gierfähre hängt an einem den Fluss querenden Seil und nutzt zur Fortbewegung die Wasserströmung aus. Glazial, glazial Eiszeit, die Eiszeit betreffend. glazifluviale Sedimente glazifluviale Sedimente sind Ablagerungen, die im Zusammenwirken von Gletscher und Fluss entstanden sind.
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Glimmer
Glimmer ist ein Mineral mit einer ausgeprägten Plättchenstruktur. Die Bindung zwischen den einzelnen Schichten des Schichtsilikats ist sehr schwach, deshalb ist das Material in einer Richtung sehr gut spaltbar und setzt der Erosion wenig Widerstand entgegen. grobklastisch in Stücke gebrochene große Steine. Günzeiszeit Die Günzeiszeit bzw. -kaltzeit ist nach traditioneller Zählung mit Günz, Mindel, Riß und Würm die erste Kaltzeit des Pleistozäns in Süddeutschland. Heute wissen wir, dass es mehr Eiszeiten gab. Die bekanntesten „neuen“ Eiszeiten sind die Biber- und Donaueiszeit. Habitat Lebensraum, charakteristischer Aufenthaltsraum von bestimmten Tier- oder Pflanzenarten. Hangdenudation Im Gegensatz zur linienhaft wirkenden Erosion wirkt Denudation vornehmlich flächenhaft. Bei der Hangdenudation wird ein Hang auf seiner gesamten Breite abgetragen. Hangendes Der Begriff aus der Bergmannsprache und der Geologie ist die Lagebezeichnung für Gestein, das eine Bezugsschicht überlagert. HHQ höchster, je gemessener Abfluss eines Gerinnes. Hochwasserereigniss, das im statistischen Mittel alle 100 Jahre auftritt. Die Abflusshöhe wird also HQ100 mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit von 1 % erreicht oder überschritten. Hochglazial Das Hochglazial ist der Höhepunkt einer Kaltzeit, in dem die größten Eisvorstöße erfolgten. Der Meeresspiegel war im Hochglazial wegen der großen Eismassen, die Wasser gebunden haben, um bis zu 140 m niedriger als heute. Holozän Das H. ist der aktuelle, seit etwa 11 000 Jahren dauernde Zeitabschnitt der Erdgeschichte nach der Würmeiszeit. Weitere Bezeichnungen dafür sind Postglazial oder Nacheiszeit oder Alluvium. Hochterrasse Flussterrassen werden durch ihre Entstehungszeit und die Lage zum Fluss unterschiedlich bezeichnet. Die Hochterrasse ist eine höher gelegene, in der Regel hochwasserfreie Terrasse. Sie entstand in einer älteren Eiszeit, oft in der Rißeiszeit. Hydrogeographie Die H. ist ein Fachgebiet der Geographie und befasst sich mit dem Wasser auf dem Festland, dabei erfolgt eine Verknüpfung mit den wasserbezogenen Nachbarwissenschaften und der Kulturgeographie. Hydrogeologie Die Hydrogeologie befasst sich mit dem Grundwasser in Boden und Gestein. Hydrosphäre Die Hydrosphäre umfasst die Gesamtheit des Wassers auf der Erde. hygrisch Als h. werden alle Vorgänge und Gegenstände bezeichnet, die mit Niederschlag und Luftfeuchtigkeit zu tun haben. Infiltration Das Einsickern, Einströmen, Eindringen von Flüssigkeit, z. B. von Wasser in den Boden. Jungholozän jüngster zeitlicher Abschnitt des Holozäns, in dem es auch zur Neolithisierung kam. Jungmoräne Jungmoränen sind Relikte der letzten Eiszeit, siehe Moräne. In Süddeutschland ist das die Würmeiszeit, in Norddeutschland wird diese Eiszeit als Weichsel-Kaltzeit bezeichnet. Die morphologischen Formen der Jungmoränen sind noch gut zu erkennen und weisen einen reichen Formenschatz auf. Karsterscheinungen Vornehmlich in Kalkgestein entstehen durch Lösungsverwitterung spezifische ober- und unterirdische Formen, die die Wasserwegsamkeit des Gesteins stark beeinflussen. Dazu gehört u. a. das plötzliche Versickern von Bächen und Flüssen in Klüften und Bachschwinden oder Schlucklöchern (Ponore) und der unterirdische Abfluss in Höhlensystemen. Die Karsterscheinungen sind der Grund für extrem hohe Wasserwegsamkeit des Gesteins. Die Donauversickerung bei Immendingen ist hierfür ein bekanntes Beispiel. Kavitation Das Wort K. kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Aushöhlung, es ist das Wachstum von Vertiefungen auf einer Oberfläche. K. entsteht durch die Bildung und das „Zerplatzen“ von Dampfblasen bzw. Hohlräumen in Flüssigkeiten. Da die Verdampfungstemperatur vom Luftdruck abhängt, kommt es mit Druckänderungen zur Verdampfung bzw. zur Kondensation, Dampfblasen entstehen und fallen wieder in sich zusammen. Befindet sich eine zusammenfallende Dampfblase in der Nähe der Gewässersohle, entsteht bei der Implosion ein scharfer Flüssigkeitsstrahl, der zu einer kraterförmigen Erosion führt. Diese Kavitationserosion wird bislang in den Geowissenschaften leider kaum beachtet. Klimageomorphologie Erklärungsansatz für die Reliefformung, der dem Klima eine steuernde Funktion bezüglich der unterschiedlichen Formungskräfte zubilligt. Gesteinszersatz, Abtragung und Transport sind beispielsweise in feuchttropischen Klimaten anders als unter eiszeitlichen oder wüstenhaften Bedingungen. Kolmatierung Kolmatierung ist ein gezielt herbeigeführter Vorgang im Zuge der Bewässerung. Wir verstehen darunter die Auflandung von Feinsediment und Schwemmgut bei Hochwasser oder allgemein bei Überflutung.
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Kolmation
Konnektivität
korrelate Sedimente
laminare Strömung Latènezeit laterale Konnektivität
Lee Licca liber LiDAR
Liegendes LIFE
limnisch LNF longitudinale Konnektivität Luv Mäander mäandrieren Mahdalm marin Mergelung
Mesolithikum MHQ
Kolmation verringert die Wasserdurchlässigkeit des Flussbetts durch die Ablagerung von Feinsediment, das die Poren verstopft. Ein sandig-kiesiges Flussbett verschlammt durch K. Dadurch wird der Wasseraustausch zwischen Fluss und begleitendem Grundwasserkörper behindert. Viele Fischarten, die zum Ablaichen einen kiesigen Untergrund benötigen, verlieren durch Kolmation ihre Laichgründe. K. ist in der Hydrogeographie die Verbindungsmöglichkeit und die Durchlässigkeit eines Gewässers für Wasser, Geröll, Pflanzen, Tiere und Nährstoffe zwischen unterschiedlichen Teilen des Flusses; wir sprechen von lateraler, also seitlicher Konnektivität und meinen damit die Durchlässigkeit vom Gerinne zur Flussaue. Analog dazu ist die longitudinale Konnektivität die Passierbarkeit von der Quelle bis zur Mündung eines Flusses bzw. in die Gegenrichtung. Eine Staumauer unterbricht beispielsweise die longitudinale Konnektivität. sind zusammengehörige, unter gleichen Bedingungen zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten entstandene geomorphologische Formen; in der Regel wird eine Abtragungsform, z. B. ein Erosionsanriß, über einen Transportweg mit einem Sediment, z. B. einem Schwemmfächer, korreliert. ist eine gleichförmige, geschichtete Strömung, bei der keine Verwirbelungen auftreten, vgl. turbulenter oder schießender Abfluss. ist eine geschichtliche Epoche, in der in Mitteleuropa die Kelten vorherrschend waren. Die Latènezeit dauerte etwa von 450 v. Chr. bis zur Zeitenwende. Durchgängigkeit bzw. Verbindung vom Fluss über seine Ufer in die Aue. Sowohl Wasser, Flora, Fauna und Sedimente können vom Wasser in die Aue gelangen und umgekehrt, siehe auch Konnektivität. Lee ist die dem Wind abgewandte Seite nach einem Hindernis. Großprojekt des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth zum Hochwasserschutz und zur Stabilisierung und Renaturierung des Lechs. ist die Abkürzung von Light detection and ranging, einer speziellen, dem Radar verwandten Methode der Abstandsmessung, bei der Laserstrahlen verwendet werden. Mit dieser Technik kann man durch die Vegetation „durchschauen“ und ein hoch aufgelöstes dreidimensionales Bild der Boden- oder Gesteinsoberfläche erzeugen. Der Begriff aus der Bergmannssprache und der Geologie ist die Lagebezeichnung für Gestein, das eine Bezugsschicht unterlagert. LIFE ist das EU-Förderprogramm für den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Es unterstützt strategische Projekte, die dazu beitragen, die Naturschutz- und Biodiversitätsziele der EU zu erreichen, die Umweltqualität zu verbessern und eine energieeffiziente, klimaschonende und klimaresistente Wirtschaft zu fördern. dem Ökosystem eines stehenden Gewässers zugehörig. landwirtschaftliche Nutzfläche. Verbindung und Durchgängigkeit in einem Fluss von der Quelle zur Mündung und umgekehrt. Dies gilt für Wasser, Flora, Fauna und Transportgut eines Flusses, siehe auch Konnektivität. Luv ist die dem Wind zugewandte Seite vor einem Hindernis. sind aneinandergereihte Flussschlingen mit einem charakteristischen Querprofil, bei dem sich Prall- und Gleithang abwechseln. Ein langsam und gleichförmig strömender tieferer Fluss neigt in bindigem Sediment zur Mäanderbildung, er mäandriert. Bergmähder werden auch als Mahdalm bezeichnet. Es sind Almen, die zum Beweiden zu steil sind und nur zur Heugewinnung genutzt werden können. zur Meeresumwelt gehörig. Mergel ist ein weit verbreitetes marines oder limnisches Sediment, das bis zum Gestein verfestigt sein kann. Mergel enthält Kalk und silikatische Bestandteile aus Ton, Schluff oder Sand. Bei der Mergelung werden versauerte Böden durch Ausbringen von Mergel verbessert. Diese Art der Bodendüngung bringt in den ersten Jahren kräftige Ertragssteigerungen, da dabei jedoch weder Phosphat noch Stickstoff zugeführt werden, führt das anfänglich gute Pflanzenwachstum zu einer Auszehrung des Bodens. Er ist nach einigen Jahren üppigen Pflanzenwachstums „ausgemergelt“ und bringt wegen Phosphat- und Stickstoffmangel nur noch geringe Erträge. Mittelsteinzeit, in Mitteleuropa zwischen dem Ende der Würmeiszeit und etwa 6500 vor heute. mittlerer Hochwasserabfluss.
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Mindeleiszeit
die Mindeleiszeit ist in der von Penck und Brückner 1901 aufgestellten und nach Flüssen benannten Reihe der nacheinander folgenden Kaltzeiten die zweite. Die namengebenden Flüsse sind Günz, Mindel, Riß und Würm. Heute sprechen wir von Kalt- anstatt von Eiszeiten und die vier „klassischen“, am besten nachgewiesenen Eiszeiten werden durch zwei noch ältere Kaltzeiten ergänzt. Die aktuelle Reihe lautet Biber, Donau, Günz, Mindel, Riß und Würm, allerdings sind heute noch weitere Kaltzeiten bekannt. MNQ mittlerer Niedrigwasserabfluss eines Gerinnes. montan bergiges Umfeld, sich auf Berge beziehend. Moräne Moränen sind Relikte einer Eiszeit und bestehen aus Geschiebe und Substrat, das der Gletscher transportiert hat. Je nach Position zum Gletscher unterscheiden wir Stirn-, Seiten-, Grund- oder Deckmoränen. morphologisch die Geomorphologie betreffend, siehe Geomorphologie. MQ langjähriges Mittel des Abflusses. Mure Eine Mure ist eine Schlamm- oder Gerölllawine, die meist nach langen Regenperioden oder bei der Schneeschmelze losbricht und schnell zu Tal fließt. Der Murengang hinterläßt am Hang eine Kerbe, die an beiden Seiten von wallartigen Aufschüttungen begleitet wird. Im Tal wird ein Murenkegel geschüttet, z. T. schießt die Mure in engen Talsituationen auch am Gegenhang wieder hoch. Nekropole ist eine größere, oft baulich gestaltete Begräbnisstätte. Neolithikum Jungsteinzeit, die in Mitteleuropa etwa von 5500 bis 2200 v. Chr. dauerte. Neolithisierung Die Neolithisierung war eine große, landschaftsprägende Umwälzung, in der der Mensch sesshaft wurde und mit Ackerbau und Viehzucht begann, man spricht auch von der neolithischen Revolution. Ammonium-Stickstoffgehalt, NH4-N ist ein gängiger Indikator für die biologische Belastung eines NH4-N Gewässers. Niederterrasse Flussterrassen werden durch ihre Entstehungszeit und die Lage zum Fluss unterschiedlich bezeichnet. Die Niederterrasse ist die unterste glazialzeitlich entstandene Terrasse bzw. das Flument. Sie entstand in der letzten Eiszeit. In Süddeutschland ist das die Würmeiszeit. Nitrat Chemische Verbindungen auf der Grundlage von Stickstoff. Nitrifikation Die Nitrifikation ist ein Teilprozess des Stickstoffkreislaufs im Ökosystem eines Sees. Abgestorbene Biomasse setzt Ammoniak bzw. Ammonium frei und wird durch nitrifizierende Bakterien in zwei Schritten zu Nitrat oxidiert. nival durch Schnee erzeugt. NNQ niedrigster, je gemessener Abfluss eines Gerinnes. Ökosystem ein Ökosystem ist die Gesamtheit der unbelebten(abiotischen) und belebten (biotischen) Elemente eines relativ einheitlichen Lebensraums, die als funktionelle Einheit in Wechselwirkung stehen. Neben Tieren und Pflanzen gehören dazu auch Relief, Boden, Gestein, Gewässer, Geländeklima etc. Ökotop Ein Ökotop ist die wichtigste räumliche Einheit in der Landschaftsökologie. Es beinhaltet alle unbelebten Bestandteile eines Ökosystems. Orographie beschreibt die Höhenverhältnisse des Reliefs. Paläoklimatologie Interdisziplinäre Forschung zur Rekonstruktion der Klimaentwicklung der Erde, bei der Meteorologen, Geowissenschaftler, Biologen, Physiker, Chemiker, Historiker, Archäologen u. a. eng zusammenarbeiten. Paläolithikum ist die Altsteinzeit, die als älteste Periode der Urgeschichte etwa von 600 000 bis 10 000 v. Chr. dauerte. Phosphat Chemische Verbindung auf Basis der Phosphorsäure, wichtiger Pflanzennährstoff. Phytoplankton ist ein Primärproduzent, der in stehenden und langsam fließenden Gewässern mit Hilfe der Photosynthese aus Kohlenstoffdioxid und Nährstoffen Biomasse in Form von Algen und Bakterien aufbaut. Pioniervegetation Zur Pioniervegetation gehören Pflanzen, die durch ihre Anpassungsfähigkeit neue, vegetationslose Gebiete besiedeln können; am Fluss sind das z. B. Weiden und Tamarisken. Pleistozän Das P. ist ein Abschnitt der Erdgeschichte, genauer des Quartärs, der vom Wechsel von Kalt- und Warmzeiten geprägt ist und dem Holozän voraus geht. pluvial vom Regen bestimmt. Porengrundwasserleiter Meist durch Körnerstruktur geprägte Gesteine oder Sedimente, in denen die Zwischenräume zwischen den einzelnen Körnern ein zusammenhängendes Netz von Hohlräumen bilden. P. besitzen meist ein großes Speichervermögen, die Fließgeschwindigkeit des Grundwassers ist niedrig und die Filterwirkung ist groß.
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Präzession
Richtungsänderung, die die Rotationsachse eines rotierenden Körpers, z. B. eines Kreisels oder eines Planeten ausführt, wenn eine äußere Kraft ein Drehmoment senkrecht zu dieser Achse aufprägt. Proxydaten In der Klimaforschung liegen Messungen nur für wenige 100 Jahre vor. Will man Aussagen zu Vorzeitklimaten machen, nutzt man dazu P., das sind indirekte Klimazeiger, die Aussagen über Temperatur und Niederschlag erlauben. Das können z. B. Baumringe sein, die in feuchtwarmen Jahren anders ausfallen als in Trockenjahren, Pflanzenpollen, Sauerstoffisotope, Seesedimente, Tropfsteine, Eisbohrkerne usw. Qualmwasser Qualmwasser wird auch als Drängewasser bezeichnet. Es handelt sich um das Wasser, das durch einen Damm, der auf einer Seite Wasser staut, durchsickert. Quartär Das Quartär ist der jüngste Zeitabschnitt der Erdgeschichte und schließt das Holozän mit ein. Radiokarbonmethode Methode der Altersbestimmung von kohlenstoffhaltigen Organismen oder Materialien, deren Anteil an radioaktiven 14C-Atomen entsprechend der Zerfallsreihe mit der Zeit abnimmt. Altersbestimmungen sind in einem Zeitraum zwischen 300 und 60 000 Jahren möglich. Retentionsraum, Flächen in der Aue, die bei Hochwasser gefahrlos überflutet werden. Dadurch werden Hochwasser-volumen spitzen gekappt. Retentionsvolumen ist das Maß für die Speicherfähigkeit des Retentionsraumes. Rißeiszeit siehe Mindeleiszeit. Sand Sand ist ein nicht bindiges Sediment aus Korngrößen von 0,063 mm bis 2 mm Durchmesser und kann bis zum Gestein verfestigt sein. Es dominiert der Anteil von Silikat, SiO2. schießender Abfluss ist in der Reihe laminarer, turbulenter und schießender Abfluss der schnellste. Er hat wegen seines Energiereichtums die höchste geomorphologische Wirksamkeit, vgl. laminarer, turbulenter A. Schluff Schluff ist eine Bodenart, die aus sehr feinem verwitterten Gestein besteht, wie zum Beispiel Quarz oder Feldspat, die Korngröße schwankt 0,002–0,062 mm. Schwall-Sunk-Betrieb Im Schwall-Sunk-Betrieb wird eine Turbine in Zeiten eines hohen Strombedarfs mit hoher Leistung gefahren. Folglich ist der Wasserdurchsatz und mit ihm der Abfluss unterhalb der Staustufe hoch (Schwall). Bei niedrigem Stromverbrauch wird die Leistung der Turbine durch Reduktion des Durchsatzes reduziert, folglich wird nur wenig Wasser turbiniert (Sunk). Diese Abflussschwankungen haben auch ökologische Auswirkungen auf das unterhalb der Stauhaltung liegende Gewässer. Schwallung Zur Erzeugung einer Flutwelle, mit deren Hilfe die Floßbäche durch ein künstliches Hochwasser kurzzeitlich vertieft und verbreitert wurden, sind Wasserspeicher notwendig. Sie werden als Floßweiher, Teiche oder Schwallung bezeichnet und ermöglichen den Holztransport mit großen Flößen von mehreren 100 m Länge und einer Breite bis zu 6 m auf sehr kleinen Bächen. Sedimentation Ablagerung von Sedimenten in Form von Ton, Schluff, Sand oder Geröll z. B. bei nachlassender Transportkraft eines Flusses; S. führt zur Bildung von Sand- und Kiesbänken. Silikat chemische, Mineralien bildende Verbindung auf der Grundlage von Silicium. Spül-, Hangdenudation Denudation ist in der Geomorphologie die flächenhafte Abtragung z. B. auf einem Hang. Wird Boden durch Wasser flächenhaft abgespült, sprechen wir von Spüldenudation. D. kann jedoch auch durch Rutschungsprozesse erfolgen. Stickstoff Chemisches Element mit der Bezeichnung N, Hauptbestandteil der Luft und wichtiger Pflanzennährstoff. stratigraphisch In geschichteten Gesteinen oder sonstigen Ablagerungen sind unten liegende Sedimentschichten (Liegendes) nach dem stratigraphischen Prinzip älter als darüber liegende Sedimentschichten, die sich im Hangenden befinden. Damit wird eine relative Datierung im Sinn von „jünger als“ bzw. „älter als“ möglich. stream power ist ein Maß für die Energiedissipation, die das Wasser eines Flusses gegen Flussbett und Ufer lenkt. Subatlantikum das S. ist die derzeit aktuelle Klimaphase im Holozän; diese Bezeichnung S. gilt nur im nordeuropäischen Bereich. Substrat Ausgangsmaterial für die Bodenbildung. Sukzession In der Landschaftsökologie verstehen wir unter Sukzession den natürlichen Wandel der Artenzusammensetzung von Pflanzen an einem bestimmten Ort. Auf unbesiedeltem Boden treten zunächst die Pionierpflanzen auf, gefolgt von verschiedenen Entwicklungsstadien bis hin zum Reifestadium.
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Terrasse
T. sind langestreckte, uferparallele Geländeformen. Die Entstehung einer Flussterrasse beginnt mit der Aufschüttung einer Flussebene. Deren hintere Begrenzung ist der Hang, der das Flusstal begleitet. Die vordere Begrenzung entsteht dann, wenn der Fluss sich in seine Flussebene einschneidet, um eine neue, tieferliegende anzulegen. Terrassen sind also morphologisch gut abgrenzbare Verebnungen entlang von Flüssen. Mehrere Verebnungen mit unterschiedlichen Verebnungsniveaus bilden eine Terrassentreppe. Diese Terrassen sind meist Relikte der verschiedenen Eiszeiten (nach Schirmer). terrestrisch dem Festland zugehörig. Tertiär Das T. ist ein Erdzeitalter, das der Kreidezeit folgt und vor dem Quartär kommt. Die moderne Forschung unterteilt das Zeitalter weiter in Neogen und Paläogen. Tertiärhügelland ist ein im Tertiär entstandenes Hügelland im nördlichen Alpenvorland. Ton Ton ist eine aus Tonmineralien bestehende Bodenart, die bei genügend Feuchtigkeit aufquillt und plastisch verformbar wird, bei Trockenheit jedoch hart und spröde ist. Die Korngröße von Ton ist < 0,002 mm. Transhumanz T. ist Wander- oder Fernweidewirtschaft, bei der die Herden unter der Obhut von Hirten saisonal zwischen zwei Weidegebieten wandern. Oft gehören diese Weidegebiete verschiedenen Klimazonen oder Höhenstufen an. Trockenwetterabfluss Abfluss eines Gerinnes nach einer längeren, niederschlagslosen Periode, in der kein Oberflächenabfluss mehr stattfindet, sondern der Fluss nur noch aus dem Grund- oder Quellwasser gespeist wird. Trophie, Trophiestufen Nährstoffgehalt eines Gewässers in Bezug auf die Nährstoffelemente Phosphat, Stickstoff, Kohlenstoff und Schwefel. Für stehende Gewässer werden Trophiestufen ausgewiesen, die anzeigen, ob ein Gewässer überdüngt ist. turbulenter Abfluss In der Natur ist der turbulente Abfluss der häufigste. Wegen seiner höheren Fließgeschwindigkeit ist die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen strömendem Wasser und Gerinnebett so groß, dass es in der Grenzschicht zur Wirbelbildung kommt. Es entstehen Wasserbewegungen quer zur Strömungsrichtung und auch rückwärts gewendete Komponenten sind in Wirbeln vorhanden, vgl. laminarer und schießender A. Typlokalität ist in der Geologie und Geomorphologie der Ort, an dem eine Oberflächenform oder ein Gestein entweder erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde oder wo es besonders gut und typgebend ausgeprägt ist. Variabilität V. bezeichnet in der Hydrogeographie die Veränderlichkeit eines Parameters, z. B. des Abflusses. In ähnlicher Weise wird der Begriff in der Statistik angewendet. volatil volatil bedeutet schwankend und ist ein Begriff aus der Statistik und dem Börsenwesen. Bei der Energieerzeugung werden nicht regelbare Energiequellen wie Wind und Sonne als volatil beschrieben. Würmeiszeit siehe Mindeleiszeit. zelgengebundene Die Flur einer Siedlung wird in drei große Flurstücke (Zelgen) aufgeteilt. Jeder dörfliche NutzungsDreifelderwirtschaft berechtigte hat in jeder Zelge eigene, abgegrenzte Grundstücke. Da nicht jedes Grundstück über einen Weg erschlossen ist, müssen zur Bearbeitung meist fremde Grundstücke betreten werden. Weil dadurch die Feldfrüchte geschädigt werden, wird in jeder der drei Zelgen eines Dorfes eine einheitliche Frucht angebaut, also z. B., nur Wintergetreide. Beim Bestellen der Zelge muss das Grundstück, das am weitesten vom Weg entfernt ist, zuerst bearbeitet werden, das dem Weg nächste Feld zuletzt. Umgekehrt wird bei der Ernte vorgegangen. Das wegnächste Feld wird abgeerntet und kann dann befahren werden. Das weitest entfernte Grundstück wird zuletzt abgeerntet. Dadurch wird sichergestellt, dass durch Überfahrten weder Saat noch Ernte geschädigt werden. In einer Zelge wechselten sich nacheinander Sommer-, Wintergetreide und Brache ab. Später wurde die Brache durch eine weitere Frucht (Rotklee, Kartoffeln oder Rüben) ersetzt. Zungenbecken Z. ist eine vom Gletscher geschaffene, langgestreckte Hohlform in einer Grundmoränenlandschaft. Nach dem Abschmelzen des Eises befindet sich häufig ein See im Z. Das Z. ist von Moränenzügen umkränzt. Zweifelderwirtschaft Agrarische Wirtschaftsform, bei der das Feld ein Jahr bebaut wird und im Folgejahr zur Erholung des Bodens brach liegen bleibt.
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Danke!
Als Autor eines geographischen Sachbuchs ist man auf vielfältige Hilfe angewiesen. Deshalb ist es mir ein herzliches Anliegen, Danke zu sagen für überlassene Druckvorlagen, die Mühen der Korrektur, die Begleitung im Gelände, angeregte Fachdiskussionen, Hilfen bei der Erstellung von Grafik, Betreuung im Archiv und Verlag etc. Im Einzelnen bedanken möchte ich mich bei Lea Eggers, Michael Hilgers, Hedda Kirsten, Dr. Sandy Valerie Lunau,
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Prof. Dr. N. Müller, Dr. Andreas Nuber, Tobias Rueß, PD Dr. Jens Soentgen, Bernd und Katja Tschirner, Marianne Weiß, Simone Winter, Dr. Gerd Zastrow, bei meiner Tochter Imme und bei allen nicht namentlich erwähnten Helfern vor allem im Staatsarchiv Augsburg, im Stadtarchiv Augsburg und im Hauptstaatsarchiv München. Dr. Herbert Friedmann
Dr. rer. nat. Herbert Friedmann, geb. 1951, leitete nach dem Studium der Geowissenschaften in Würzburg die Forschungsabteilung eines Ingenieurunternehmens und beschäftigt sich jetzt mit den ökologischen Auswirkungen menschlichen Handelns vorrangig in der Hydrosphäre.
www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-45022-0
9 783534 450220
Herbert Friedmann Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe
Seit seiner Sesshaftwerdung greift der Mensch in den Wasserhaushalt ein. Am Beispiel der Umweltgeschichte des Lechs wird gezeigt, wie mit wachsender Bevölkerung, größerer Wirtschaftskraft, neuen technischen Möglichkeiten und leistungsfähigerer staatlicher Organisation die Veränderungen in der Flusslandschaft immer gravierender wurden. Triebkräfte sind vorrangig das menschliche Schutzbedürfnis und wirtschaftliche Interessen, die den letzten Wildfluss der Nordalpen in eine Kraftwerkstreppe verwandelt haben. Heute versucht man durch Renaturierung den Schaden zu begrenzen.
Herbert Friedmann
Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe Umweltgeschichte des Lechs