121 90 11MB
German Pages 128 Year 1983
Studien und Gutachten aus dem Institut für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht der Freien Universität Berlin
Heft 12
Volksentscheid durch Parlamente Wahlen und Abstimmungen vor dem Grundgesetz der Demokratie
Von
Andreas Greifeld
Duncker & Humblot · Berlin
ANDREAS GREIFELD
Volksentscheid durch Parlamente
Studien und Gutachten aus dem Institut für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht der Freien Universität Berlin Heft 12
Volksentscheid durch Parlamente Wahlen und Abstimmungen vor dem Grundgesetz der Demokratie
Von
Andreas Greifeid
D U N C K E R
&
H U M BLOT
/
B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Greifeid, Andreas: Volksentscheid durch Parlamente : Wahlen u. Abstimmungen vor d. Grundgesetz d. Demokratie / v o n Andreas Greifeid. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot. — (Studien u n d Gutachten aus dem I n s t i t u t für Staatslehre, Staats- u n d Verwaltungsrecht der Freien Universität B e r l i n ; H. 12) I S B N 3-428-05340-0 NE: I n s t i t u t für Staatslehre, Staats- u n d Verwaltungsrecht ( B e r l i n , West): Studien u n d Gutachten . . .
Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 05340 0
Verbreitet ist vor allem . . n u r unverständige Institutionen als echt demokratisch gelten zu lassen. (R. Thoma, 1930)*
Vorwort
Die Unleserlichkeit der kommunalen Strom- und Gasabrechnung ist bürgersprichwörtlich und soll nun durch Fachleute behoben werden 2 . Dagegen erscheinen die Leistungen, die Parlamente dem Bürger erbringen, so muß man manchmal glauben, kein Problem ihrer Verständlichkeit aufzugeben. Parlamente verwirklichten den Willen des Volkes. Diese bündige Formulierung ist allerdings berechtigt aus der Souveränität des Bürgers bei seiner Wahlentscheidung. Sie reicht aber nicht mehr hin, wenn aus rechtswissenschaftlicher Sicht empfohlen wird, die Aufgaben der Parlamente i n der institutionellen Ordnung der Verfassung umzugestalten, insbesondere die repräsentative Ordnung zurückzudrängen zugunsten einer erweiterten Möglichkeit von Volksabstimmungen. Die i n t u i t i v naheliegende Vorstellung, daß dies mehr Demokratie bedeute, erlaubt und erfordert dann eine fachliche Überprüfung. Auch dabei kann es freilich nicht darum gehen, die Weisheit der Wissenschaft an die Stelle der Weisheit des Wählers zu setzen. Jene ist vielmehr vorauszusetzen, u m m i t dieser die Chancen ihrer Durchsetzung zu überprüfen. Dies bedeutet auch, daß es ausgeschlossen ist, sich, umhüllt mit einem vielleicht nur dünnen Mantel aus einigen Leitprinzipien des Fachs, i n „ganzheitlicher" Weise den zahlreichen lebensweisheitlichen, individual- oder sozialphilosophischen, politischen oder moralischen Standpunkten zu Parlamenten zuzugesellen. Eine solche Abstand nehmende Beschränkung bei den Überlegungen könnte eine verstärkte Aufnahmefähigkeit seitens aller anderen Beteiligten am Verfassungsleben bewirken.
ι Das Reich als Demokratie, S. 188, i n : Anschütz / Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1. Band, Tübingen 1930. 2 Beauftragt ist das Fraunhofer-Institut für Informations- u n d Datenverarbeitung Karlsruhe, Süddeutsche Zeitung Nr. 64, 1982, S. 9.
6
Vorwort
Ich danke Herrn Professor Pestalozza für die Gelegenheit zur Erörterung des Themas und für die in wissenschaftlicher Weise geleistete Ermutigung zu dessen weiterer Ausarbeitung. Die Anleitung durch die tolerante Vorbildhaftigkeit meiner Lehrer, Herrn Professor H. Jarass und Herrn Professor P. Lerche, war die wichtigste Voraussetzung der Arbeit. München, i m Januar 1983 Andreas Greif eld
Inhaltsverzeichnis I . Einführung
11
1. Streitpositionen
11
2. Notwendigkeit funktionell-rechtlicher Betrachtung
12
3. Fragestellung
14
I I . Traditionelle Anschauungen der parlamentarischen Repräsentation 16 1. Repräsentation durch Persönlichkeiten a) Anschauung
16 16
aa) Staatsleben als K r ö n u n g des individuellen Lebens bb) Freiheit v o n aller Abhängigkeit cc) Verdrängung aller Interessen b) Rechtsordnung
16 17 17 18
aa) Staat u n d Bürgerstatus nach dem Grundgesetz bb) Politische Rechte cc) „Plebiszitäre" Elemente der Verfassung 2. Repräsentation als K o r r e k t i v a) Anschauung
18 18 19 20 20
b) Rechtsordnung
20
3. Repräsentation als Entlastung des Bürgers a) Anschauung b) Rechtsordnung
22 22 22
4. Gesamtbetrachtung I I I . Die Pflichten des Parlaments 1. Die Pflicht zur Volks Willensbildung
23 24 24
a) Originäre Schaffung
24
b) Integration der Anschauungen
25
c) Themenbestimmung
27
2. Die Pflicht zur Meinungsberücksichtigung
27
a) Die Pflicht zur Anliegengewichtung
27
aa) Anlage
27
Inhaltsverzeichnis
8 bb) Gefahrenabwehr
29
cc) Ergebnis
31
b) Die Pflicht zur Rechtzeitigkeit
31
3. Die Pflicht zur Willensverantwortung
32
a) Pflicht zur Ergebnisverantwortung
32
b) Qualifizierung des Mehrheitserfordernisses
33
c) Freiheit der Willensbildung
35
4. Parlamentspflichten u n d Schutz der Repräsentation
36
I V . Unvermittelter Volksentscheid
37
1. Willensbildung
38
a) Tatsächlicher W i l l e
38
b) Integration der Anschauungen
40
c) Einfluß auf Frageformulierung
41
2. Meinungsberücksichtigung
43
a) Anliegengewichtung
43
b) Rechtzeitigkeitserfordernis
45
3. Willensverantwortung
46
a) Ergebnis ver antwortung
46
b) Mehrheitsprinzip
47
c) Freiheit der Willensbildung
48
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen 1. Organschaftliche
Initiativkompetenz
50 50
a) Radikales Plebiszit
50
b) Beteiligungsrecht des Parlaments
54
aa) Ablehnungsrecht bb) Recht zum A l t e r n a t i v e n t w u r f
54 55
c) Referendum 2. Gegenstandsbereich der Abstimmungen
56 58
a) Gesamte Gesetz- u n d Verfassungsgebung
58
b) Ausschluß einzelner Bereiche, insbesondere Staatsfinanzen
58
c) Zulassung einzelner Gegenstandsbereiche
60
aa) Neuwahl durch A b s t i m m u n g
60
bb) Verfassungsgebung allgemein cc) Gebietsveränderungen dd) Wahlrechtsänderungen
61 62 63
Inhaltsverzeichnis 3. Bindungswirkung
65
a) Bedeutungsgehalte
65
b) Unmittelbar sachliche B i n d u n g
65
c) Sachliche B i n d u n g durch funktionelle Gewaltenverantwortung
66
d) Zeitliche B i n d u n g
68
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie 1. Die Verfassung des Parlaments a) Die Freiheit des Abgeordneten, A r t . 38 Abs. 1 Satz 2, 46 G G
69 70 70
aa) Amtsentzug
71
bb) Amtsveränderung
73
b) Die Öffentlichkeit der Verhandlung, A r t . 42 Abs. 1 GG c) Das demokratische Mehrheitsprinzip i m Parlament
75 78
aa) Die Abgeordnetenmehrheit, A r t . 42 Abs. 2 GG bb) Die Kanzlerwahl, A r t . 63, 67 G G
78 80
cc) Die Fraktionsprivilegien, §§ 10 ff. GeschOBT
82
2. Die Verfassung der Parteien
85
a) Die Aufgabe des Parteienrechts
85
b) Die Parteienaufgabe, A r t . 21 Abs. 1 Satz 1 GG
87
c) Das innerparteiliche Demokratiegebot, A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG . .
88
aa) Die demokratische Spannungslage
88
bb) Die Rechte des einfachen Parteimitglieds cc) Die Rechte aus Wahlmandaten dd) Vergleich
89 90 91
d) Die Spendenordnung für Parteien, A r t ; 21 Abs. 1 Satz 4 GG 3. Die Verfassung der W a h l a) Die Prinzipien des A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG aa) Allgemeinheit (1) A k t i v e s Stimmrecht (2) Passives Stimmrecht bb) Gleichheit
91 93 93 94 94 95 95
(1) Das Gebot
95
(2) Mängel i n der verfassungsgerichtlichen Vorstellung
96
b) Einfachgesetzliche Realisierungen der Wahlrechtsgrundsätze
98
aa) Parteienvorbehalt für die Listenwahl bb) Sperrklauseln c) Einbruch i n die W a h l Verfassung durch Plebiszite
98 99 100
aa) Unbeschränkter Vertretungsanspruch 100 bb) K e i n Qualifizierungserfordernis zur Trägerschaft der Volkswillensbildung 101
10
Inhaltsverzeichnis V I I . Die demokratischen Rechte des Bürgers
102
1. E i n w i r k u n g e n auf die politischen Freiheitsrechte
102
2. Berührung v o n A r t . 3 Abs. 1 G G
103
3. Das Bürgerrecht auf unvermittelte A b s t i m m u n g
105
a) Grundsätze v o n Rechtsprechung u n d Lehre
105
b) Das Gewicht allgemeiner Parlamentarismuskritik
106
c) Politische Gesichtspunkte
108
d) Der verfassungsrechtliche Schutz der parlamentarischen Demokratie nach dem Grundgesetz 110 aa) Wesensgehaltsgarantie 110 bb) Befugnisse des Verfassungsgebers
110
cc) Befugnisse des Gesetzgebers
111
V I I I . Ergebnisse Literaturverzeichnis
113 118
I. Einführung 1. Streitpositionen A l l e Staatsgewalt nimmt nach A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG seinen Ausgang beim Volke. Wenn A r t . 20 Abs. 2 Satz 2 GG davon spricht, daß das Volk die Staatsgewalt mittels Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt, w i r d daraus kein Gegensatz ersichtlich. „Ausgang" und „Ausübung" scheinen vielmehr aufeinander bezogen. Dies w i r d auch dadurch nahegelegt, daß Bindungen auch der Gesetzgebung erst i m folgenden Absatz hervorgehoben sind. Nach systematischer Auslegung von A r t . 20 Abs. 1 GG verwirklicht sich der Ausgang der Staatsgewalt vom Volke durch jene Verfahren und Organe. I n einer solchen Abhängigkeit des Parlaments und der Regierung vom Willen des Volkes wurde das Ende der repräsentativen und die Verwirklichung einer plebiszitären Demokratie gesehen3. Ganz anders aber deuten jüngere Forderungen das Verhältnis von Volkswillen und Institutionen der parlamentarischen Demokratie, wenn sie auf eine erweiterte „Mitsprache" des Volkes an der staatlichen Willensbildung drängen und hierfür die Einführung von Volksentscheiden als geeignetes Mittel ansehen4. Dabei ist nicht nur an sozial-integrative Erlebnisse des Bürgers mittels zusätzlicher Verfahren gedacht 5 . Vielmehr ist gerade darauf abgehoben, daß der Bürger i n seinem aktivbürgerlichen Status als demokratischer Souverän durch Plebiszite weitergehende Einflußmöglichkeiten erhalten könnte. Parlamente sind nicht nur hier als Hindernisse zur Geltendmachung des „eigentlichen Volkswillens" angesehen. Wenn bei der Erörterung des parlamentarischen Regierungssystems davon gesprochen wird, daß
3 Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 93 ff.; ähnlich Forsthoff, Strukturwandlungen, S. 90 ff. 4 Bleckmann, Zulässigkeit des Volksentscheides; Kopp, Reform der V e r fassungsbestimmungen; Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 12; Steinberg, Standortplanung durch Volksbegehren, S. 117 ff. 5 Z u diesem Vorgang: Anderegg, F i k t i o n u n d Kommunikation, S. 112 f.; Gusy, Mehrheitsprinzip, S. 332; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 223 ff.; Mannheim, M a n and Society, S. 63.
12
I. Einführung
„an die Stelle einer realen Willensübermittlung . . . ein abstrakter Legitimationszusammenhang (tritt)" 6 , liegt i n dieser vorsichtigen Gegenüberstellung von Parlamentslegitimation und Bürgerwille der zutreffend bezeichnete Ausgangspunkt vieler Erwägungen. Der allgemeine Verfassungskonsens über die repräsentative Demokratie scheint so auch nicht auf einer instrumentellen Verbindung von Repräsentation und Demokratie zu beruhen, als vielmehr auf einer historischen Erfahrung, wonach „zu viel Demokratie" von Gefahr sei. Ein solcher Konsens muß brüchig werden, wenn die eigene historische Erfahrung von immer weniger Menschen geteilt wird, vor allem aber, wenn einer aus dem Gefühl der Bedrohung und Machtlosigkeit entspringende Forderung nach größerer Mitsprache nur mit dem Verweis auf eine Formalität und Abstraktheit der repräsentativen Demokratie entgegnet werden kann 7 . Daß Parlament und Parteien als eingerichtete Zielscheibe des Unmuts immer noch als eine Institution verständlich bleiben, die den Bürgern besondere Dienste erweisen, kann dann selbst i n glücklichen Zeiten nicht mehr ohne weiteres als Teil des Grundkonsenses erwartet werden. Die Formalität des grundgesetzlichen Demokratieprinzips ist deshalb immer weniger mit der Darlegung der Formen befriedigend begründet, sondern es ist auch nach der Verbindung dieser Formen zu einem gemeinschaftsverbindenden Zweck gefragt. W i r d diese Frage gerade an den Berufsstand gerichtet, dessen dauernde und anspruchsvolle Aufgabe es ist, die Grenzen und fehlerhaften Ergebnisse von Parlaments- und Parteienmacht zu bestimmen, so liegt darin sicher eine Zumutung. Gleichwohl ist damit auf eine seit langem bestehende und verpflichtende Zuständigkeit verwiesen 8 .
2. Notwendigkeit funktionell-rechtlicher Betrachtung Verfassungsrechtliche Erörterungen des Themas sind lange Zeit selten gewesen. Die bedeutsame Schrift von Leibholz wurde über fünf Jahrzehnte weithin unverändert herausgegeben und gilt bis heute als grundlegend 9 . Andererseits ist eine Funktionsanalyse des parlamentarischen Regierungssystems durchaus als Desiderat des gegenwärtigen β Denninger, Demokratieprinzip, S.40; vgl. Gusy, Mehrheitsprinzip, S. 350 f.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 259. 7 Vgl. den Herüberblick m i t stolzem M i t l e i d aus der Schweiz, Expertenkommission Totalrevision der Bundesverfassung, S. 134, der freilich meist n u r so lange vorhält, als prinzipiell Prinzipien abgehandelt werden. Eichenberger, Der E n t w u r f v o n 1977, S. 555 f. » Richard Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 192. • Leibholz, Repräsentation, S. 93 ff.; eine jüngste Würdigung des Werks bei Röhrich, Parteienstaat.
2. Notwendigkeit funktionell-rechtlicher Betrachtung
13
Verfassungsrechts angesehen 10 . Daß diese nach über dreißig Jahren Grundgesetz noch immer gefordert werden muß, kann indes nicht als zufällig angesehen werden. Die Betrachtungen aus der Zeit vor Erlaß des Grundgesetzes standen noch nicht i n der Verantwortung einer Rechtfertigung verfassungsgerichtlicher Einschränkung der Parlamentshoheit. Die Übernahme der Parlamentsverantwortung durch den Reichspräsidenten nach A r t . 48 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung war angesichts dessen demokratischer Legitimation politischer A r t . So gelten die Werke aus dieser Zeit deshalb nicht immer zu Unrecht als weitgehend philosophisch oder politikwissenschaftlich 11 . Der geringeren Verantwortung korrespondierte eine geringere Bindung an die verfassungsrechtliche Disziplin, weshalb an das jeweils sehr weit verstandene Prinzip der Repräsentation angesichts der Präzision der grundgesetzlichen Gewaltenteilungslehre kaum angeknüpft werden kann. Aber auch ein Neuanfang i n der Betrachtung der Parlamentsleistung steht vor Hindernissen. Die geforderte Funktionsanalyse erstrebt als Ergebnis eine Beschreibung der besonderen Leistung der Institution aufgrund ihrer organisatorischen Einrichtung und ihrer formellen Verfahren. Sie würde es nahelegen, auch i m Verhältnis zur Verfassungsgerichtsbarkeit aus institutionell-rechtlicher Sicht Kompetenzen zuzuweisen, indem sie sich der hierarchischen Ordnung des Verhältnisses von materiellen Verfassungsnormen und einfachem Recht zwar dienstbar macht, diese aber i m Bereich der Kompetenzen nicht lediglich abbildet 1 2 . Andererseits sind die Voraussetzungen zu einer Verständigung über die Organleistungen i m vorliegenden Fall besonders günstig. Das reichhaltig diskutierte Problemfeld der Abgrenzung von gesetzgeberischen zu verfassungsgerichtlichen Kompetenzen muß nämlich nicht betreten werden, wenn nicht die sachliche Kompetenz der Parlamente schlechthin, sondern allein i n der besonderen Richtung des Demokratieprinzips und nur gegenüber der Leistung nicht-repräsentativer Willensbildungsverfahren zu betrachten ist. Die Realisierung des demokratischen Prinzips galt für lange Zeit i m wesentlichen unbestritten als die ureigene u> H. P. Schneider, Entscheidungsdefizite, S. 13 m. Nachw.; Draht, Die E n t wicklung der Volksrepräsentation, in: Nachtrag 1966; siehe bereits Wolff, Organschaft u n d juristische Person, S. 21 ff. F ü r das Staatsrecht der schweizer halb repräsentativen Demokratie spricht v o n einem Rückstand: Lendi, Konsens, S. 499, das Fehlen einer theoretischen Erfassung stellt fest Böckenförde, Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung, S. 594 f. n Vgl. schon die K r i t i k v o n Thoma, Ideologie des Parlamentarismus S. 413 ff. 12 Vielversprechenden Schub für das Thema n u n allerdings durch Hesse, Gemeinwohl u n d Gewaltenteilung, EuGRZ 1978, 427/77; Lerche, Das Rundfunkmonopol, S.148.
14
I. Einführung
Domäne der Volksvertretungen. Nach der Anzweiflung dieses Grundsatzes ist angesichts der Ergebnisoffenheit des Demokratieprinzips, dessen insofern formellen Charakters, seine Überprüfung geradezu angewiesen auf eine verfahrensrechtliche Untersuchung nach funktionellen Kriterien 1 3 . Darin liegt allerdings die Entscheidung für Enthaltsamkeit und methodische Rigidität. So wie Zuständigkeitsregeln kein Gebot allgemeinen fallweisen Abwägens vertragen, dieses vielmehr gerade ersetzen wollen zugunsten eines gegliederten Entscheidungsverfahrens, so verträgt auch die Gegenüberstellung von Volkswahl und Volksabstimmung keine je situationsbezogene Relativierung. Eine vergleichende Verfahrensbetrachtung soll Grundlagen des Vertrauens ermitteln. Einzelne Enttäuschungen dieses Vertrauens können berechtigt erst auf einer solchen Grundlage entstehen. 3. Fragestellung Der zu unternehmende Vergleich der Willensbildungsverfahren Wahl und Abstimmung soll zum Verständnis des grundgesetzlichen Demokratieprinzips gemäß A r t . 20 Abs. 1 GG beitragen. Unmittelbar soll er einer Auslegung von A r t . 20 Abs. 2 Satz 2 GG dienen, wonach das Volk i n Wahlen und Abstimmungen entscheidet. Wahlen sollen nach bislang herrschender Meinung die regelmäßige Entscheidungsform darstellen, Abstimmungen nur i n den verfassungsrechtlich geregelten Fällen der A r t . 29 GG und 118 GG zulässig sein, wobei heute nur noch A r t . 29 GG aktueller Gehalt zukommt. Wenn außerparlamentarischen Abstimmungen teilweise eine überlegene Kraft demokratischer Willensübermittlung zuzuerkennen ist, muß dies Auswirkungen auch auf die Zulässigkeitserfordernisse von Abstimmungen haben. Der verfassungsrechtliche Schutz von Wahlen, welcher nach bisheriger Auffassung i n den Bereich der Unabänderlichkeit nach A r t . 79 Abs. 3 GG reicht, müßte hierdurch betroffen sein. Darüber hinaus w i r d zu Recht die Frage gestellt werden können, ob nicht ohne Verfassungsänderung 14 oder gar ohne einfachgesetzliche Einführung weitere Abstimmungen zulässig sind. Die Fragestellung erfordert terminologische Vorsicht. I n den staatsrechtlichen Betrachtungen über Volks wähl und Volksabstimmung ist ein aus dem politischen Leben überkommener Sprachgebrauch i m Begriffe, sich zu beheimaten, welcher i n einer für die Politik nicht fremden Weise vielleicht aufzuwerfende Fragen suggestiv zu präjudizieren 13 Eher der Politikwissenschaft vorbehalten w i l l solche Strukturfragen Frankel, Die repräsentative u n d plebiszitäre Komponente, S. 30. 14 Bleckmann, Zulässigkeit des Volksentscheides.
3. Fragestellung
15
sucht. Dazu gehört die Rede von „direkter Demokratie", selbst „reiner Demokratie" 1 5 , welche durch Volksabstimmungen Geltung erlange. Auch die Unterscheidung von „mittelbarer" und „unmittelbarer" Demokratie legt Hindernisse oder Umwege des Volkseinflusses nahe, nach deren Wirklichkeit hier erst gefragt werden soll. Es ist deshalb an dieser Stelle neutraler von dem vermittelten Weg oder der Wahl bei Einsatz der Parlamente, vom unvermittelten Weg oder der Abstimmung bei Entscheidung ohne Parlamente gesprochen. Die Betrachtung traditioneller Lehren zur Aufgabe der Parlamente ist gut geeignet, i n das Problemfeld einzuführen. Die Bruchstellen zur Lage unter dem Grundgesetz sind dabei sogleich zu bezeichnen.
Schmitt, Volksentscheid u n d Volksbegehren, S. 7. Vgl. auch Allgemeine Staatslehre, S. 77.
Bluntschli,
I I . Traditionelle Anschauungen der parlamentarischen Repräsentation „Die Fülle des Materials ist so groß, daß es notwendig erscheint, ordnende Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die eine Sichtung und Beherrschung des Stoffes gestatten 1 ." Seit dieser Feststellung i m Jahre 1927, kaum ein rares Bonmot i m Fach, sind die Aussagen zu der W i r kungsweise des parlamentarischen Regierungssystems sicherlich nicht weniger vielfältig geworden. Eine nüchterne, ganz unfeierliche Orientierung 2 an den Grundlagen der Repräsentationsvorstellungen scheint jedoch für unseren Zusammenhang die Unterscheidung von drei wesentlichen Gedankengängen zuzulassen. 1. Repräsentation durch Persönlichkeiten a) Anschauung
aa) Staatsleben als Krönung des individuellen
Lebens
Den gedanklichen Übergang von autokratischen zu demokratischen Regierungsformen überbrückte die Vorstellung von dem Volksvertreter als einer i n der Mitte des Volkes stehenden, dieses aber überragenden Persönlichkeit. Die „besten" Bürger werden aus der Mitte des Volkes i n ein Parlament entsandt, damit sie dort seine besonderen Fähigkeiten „repräsentieren" 3 . Der staatliche Wille blieb gedacht als physisch-personal verkörpert 4 . „Der politische Repräsentant ist . . . eine besonders qualifizierte Persönlichkeit, »Führer' i m eigentlichen Sinne des Wortes, der nicht nur eine . . . Staatstätigkeit technisch zu erfüllen hat . . A " Der demokratische Gedanke ist dadurch nicht ausgeschlossen: „ . . . Jede Repräsentation des Volksganzen w i r d sich . . . nach Möglichkeit aus der Elite der ,Aristokratie 4 des Volkes, aus den . . . durch Geist, ι Scheuner, Gestaltungen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 209. Hierauf dringt Reuss, Geschichte der Repräsentatiwerfassung, z. B. S. 2,23. 3 Siehe Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, S. 551 ff., Wolff, Organschaft, S. 56 ff.; kritisch Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 191 f. 4 Deutlich Carré de Malberg, Contribution, S. 228: „ . . . une réalité d'existence, c'est-à-dire une personnalité . . s Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 166, zurückgehend auf Smend, Verfassung, S.27ff. 2
1. Repräsentation durch Persönlichkeiten
17
Scharfsinn und Bildung ausgezeichneten Persönlichkeiten zu rekrutieren suchen 6 ." Dieser Gedanke darf nicht lediglich als eine jederzeit zu erhebende Forderung an die personelle Qualifikation des Abgeordneten verstanden werden. Er betont vielmehr die Krönung und Umfassung aller gesellschaftlichen Bereiche durch das Staatsleben, wie es i n der parlamentarischen Arbeit zum Ausdruck kommen soll. bb) Freiheit von aller
Abhängigkeit
Die Auswahl von Persönlichkeiten, nicht „Funktionären", läßt zwar Raum für Anregungen des Volkes an den Abgeordneten, schließt aber jede Abhängigkeit aus. „Eine Abhängigkeit der Repräsentanten von dritten Personen . . . selbst der von den repräsentierten Persönlichkeiten, würde den personalen Wert der Repräsentanten aufheben und dam i t eine Repräsentation überhaupt ausschließen7." Hierin liegt mehr als die Betonung einer Unabhängigkeit des Abgeordneten von konkreten Weisungen zu seinen Amtsgeschäften i m Sinne einer direkten Demokratie. Es ist die Unabhängigkeit von jeglichen Einflußnahmen als von den Repräsentierten fremdgesetzten Daten, welche hier unterstrichen ist. Der Abgeordnete hat ein überragendes Wissen, welches er gerade durch Befreiung von Volksmeinungen beauftragt ist zur Geltung zu bringen. Mittelmäßigkeit und Unsachlichkeit, welche bei der Ablösung des monarchischen Prinzips durch die Volksherrschaft drohen sollten, erführen auf diese Weise eine Milderung. cc) Verdrängung
aller Interessen
Eine Volksvertretung durch herausragende Persönlichkeiten ist keine Interessenvertretung. Personen, die sich über die Bürgerschaft mit ihren Standpunkten erheben konnten, besitzen je für sich die Weitsicht, das Gemeinwohl zu erkennen. Dieser Gedanke ist wiederum nicht der andauernden Verpflichtung des Parlamentariers gleichzusetzen, das Gemeinwohl i n der Erfüllung seiner jeweiligen Aufgaben anzustreben. Der Parlamentarier dient hier nicht lediglich dem Gemeinwohl, sondern er erkennt es i n seiner eigenen Person und äußert sich autoritativ darüber. „Repräsentation geht stets vom Gedanken des Volkes als Einheit aus, nicht als Vielheit wie berufsständische Interessenvertretung. Aus der Summation der Einzelinteressen und der partikularen Willen kann sich niemals ein ,Allgemeininteresse 4 ergeben 8 ." Einzelinteressen werden also nicht lediglich überwunden und damit als Gegenstand der parlamentarischen Bemühung anerkannt, sondern sie bleiben von A n β Leibholz, ? Leibholz, β Leibholz, 2 Greifeid
ebenda; desgleichen Schmitt, Verfassungslehre, S. 257. Repräsentation, S. 73. Repräsentation, S. 183.
18
I I . Traditionelle Anschauungen der parlamentarischen Repräsentation
fang an abgedrängt von einer Behandlung. Eine Vertretung von Einzelinteressen müßte für die Bürgerschaft bedeuten: „ . . . the unity of their individual lives is inexpressed no less than the unity of society 9 ." b) Rechtsordnung
Der Gedanke der Vertretung eines Volkes durch aus seiner Mitte entsandte, herausragende Persönlichkeiten bedarf bestimmter Vorkehrungen i n der Verfassung, durch welche er zugleich i n seiner rechtlichen Verbindlichkeit nachgewiesen wäre. aa) Staat und Bürgerstatus
nach dem Grundgesetz
Unmißverständlich stellt bereits A r t . 1 GG den Staat i n den Dienst des einzelnen Menschen, es bekennt sich zu einer anthropozentrischen Ordnung 1 0 . Der Mensch verwirklicht sich danach nicht zuerst i n der politischen Gemeinschaft, sondern er ist autonomer Mensch und auch i n der Gemeinschaft zunächst freier Bürger. Seine parlamentarische Vertretung betrifft i h n nicht als Menschen und nicht umfassend als Bürger der Gemeinschaft, sondern nur i n dem engeren staatsbürgerlichen Bezug parlamentarischer Aufgaben 1 1 . Der Abgeordnete erhebt sich nicht aus einer unitären Gemeinschaft durch begnadete Exzellenz, seine Autorität ist vielmehr „Sache einer gelernten, arbeitsteilig ausgeübten, spezifischen Kompetenz" 1 2 . Die Tätigkeit des Abgeordneten ist professionalisiert 13 , eigener Beruf m i t einer Löhnung, die mehr ist als Aufwandsentschädigung 14 . Der Gedanke des Abgeordnetenmandats als eines Ehrenamtes ist nur noch für einzelne Länderparlamente aufrechterhalten, für Parlamente also, die einen besonderen Aufgabenschwund beklagen. bb) Politische Rechte Das allgemeine und gleiche Wahlrecht des Bürgers und die autonome Exzellenz des Abgeordneten sind schwer miteinander zu vereinbaren 15 . ® Mclver, Modern State, S.465f. Zur politischen Erschließung dieses Gedankens durch B u r k e vgl. Pitkin , Concept of Representation, S. 182; Steffani, Vereinbarkeit von freiem Mandat, S. 115. 10 Herzog, in: Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetz-Kommentar, A r t . 20 Rdnr. 15. 11 Hesse, Verfassungsrecht, S. 6. ι 2 Luhmann, Vertrauen, S. 57. is Professionalismus ist als bestimmender Faktor der Innovationsfähigkeit erkannt, Gesetzgebung ist i n jenem neutralen Sinne Innovation. Vgl. Hage ! Alken, Social Change, S. 33 f.; Lawrence I Lorsch, Organization, S. 151 ff.; Mohr, Determinanten, S. 171. 14 BVerfGE 20, 103 f.; 4, 144 (150 f.). is Badura in: Bonner Kommentar, A r t . 38 GG, Rdnr. 29.
1. Repräsentation durch Persönlichkeiten
19
Es liegt nahe, besondere Qualitätsmaßstäbe nicht nur an den Gewählten, sondern bereits an den Wähler zu stellen, wie es Mehr-KlassenWahlrechte auf ihre Weise taten. Auch jede regionale Aufstellung von Wahlbewerbern muß als Erzeugung einer Abgeordnetenabhängigkeit von weniger als allen Bürgern, die wie hier verstandene Aufgabe der Repräsentation des Gemeinwohls behindern 1 6 . Politische Konflikte außerhalb des Parlaments wären eine Störung des parlamentarischen Erkenntnisprozesses. Parteien hätten sich von einer Vorformung des politischen Willens des Volkes fernzuhalten 17 . A r t . 5 Abs. 1 GG könnte nurmehr die Meinungsäußerungsfreiheit als Garantie einer persönlichkeitsbezogenen Entfaltung garantieren, nicht mehr auch die Freiheit zu politischer Außenwirkung. cc) „Plebiszitäre"
Elemente der Verfassung
Der Abschied von jenen Gedanken einer Repräsentation durch Persönlichkeiten schon durch die Weimarer Verfassung ist allgemein anerkannt. Nach A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, nicht nur t u n dies die zu Abgeordneten gewählten Persönlichkeiten. Einer Forderung nach Volksabstimmung w i r d also nicht grundsätzlich entgegengehalten werden können, daß sie eine „ M i t w i r k u n g " des Volkes wolle, die sich auf das Demokratieprinzip nicht stützen lasse. Die von dieser persönlichkeitsbezogenen Repräsentationsvorstellung ausgehenden Überlegungen gingen bei der Betrachtung der heutigen Verfassung jedoch weiter. Strenge Bindungen der politischen Gewalten schlossen für sie gleichzeitig jedwede Unabhängigkeit aus. Dies folgt schon aus dem B i l d von „Persönlichkeit", dem B i l d eines Honoratioren als eines aus selbstverantwortlicher Moralität handelnden Menschen, der keine besonderen Rollenverpflichtungen kennt. So konnten auch die Verfassungsorgane für die ihnen angehörenden Menschen keine differenzierten Verpflichtungen begründen. Einer persönlichkeitsbezogenen Staatsvorstellung müssen selbständige Pflichten von Verfassungsorganen, welche sich auf deren Träger übertragen, fremd sein. Eine Bindung von Parlament und Regierung an den Wähler konnte deshalb nur bei einer Aufgabe aller Selbstverantwortung dieser Organe verstanden werden, die Unabhängigkeit beispielsweise des Abgeordneten nach A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG mußte als „verfassungsrechtliches Fossil" angesehen werden 1 8 . Zwischen Volks wähl und Volksabstimmung müßten 16 Vgl. die oratorische Mühe, m i t der Burke diesen Bruch zu verdecken suchte, Speech to the electors, S. 159. 17 Siehe die K r i t i k bei Β adura, Bonner Kommentar, Rdnr. 26 f. is Morstein Marx, Repräsentation, 1926, S. 443; siehe auch Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, 1922, S. 66, 68.
2*
20
I I . Traditionelle Anschauungen der parlamentarischen Repräsentation
nach den Forderungen des demokratischen Gedankens nur geringe Unterschiede bestehen. Dies ist nach Skizzierung von zwei weiteren traditionellen Auffassungen zu der parlamentarischen Demokratie zu überprüfen. 2. Repräsentation als K o r r e k t i v a) Anschauung
I n der Gegenwart einflußreicher ist die Vorstellung, die parlamentarische Demokratie sei zur Korrektur des Volkswillens errichtet. Die Vertretung des Volkswillens durch Parlamente mit der Unabhängigkeit seiner Abgeordneten wehre schädlichen Folgen durch momentane Aufwallungen und unbedachten Eifer i n der Meinung des Volkes. Ebenso werde die Lösung des Abgeordneten von rein lokalen Interessen gestattet. Die Demokratie erfahre durch Repräsentation „Mäßigung", der Bürger werde vor sich selbst i n Schutz genommen durch eine Distanz von den „Schalthebeln der Macht" 1 9 . Gemeint ist hier also nicht ein Schutz der Grundrechte des einzelnen, sondern ein Schutz der Gemeinschaft vor „zu viel" Demokratie durch Seniorität und Expertentum 2 0 . Auch der hier häufig i n Bezug gesetzte Rechtsstaatsgedanke, welcher die repräsentative Ordnung vor Abstimmungen schütze, ist wenig mehr als eine veränderte Anknüpfung des gleichen Gedankens, wobei die Konfliktlage allerdings i n schonender Weise dadurch abgedeckt wird, daß der hier bedeutungsvolle Gehalt des Rechtsstaatsprinzips als bekannt vorausgesetzt wird. b) Rechtsordnung
Der Gedanke einer Korrektivfunktion der Parlamente ist als Erwägung des Verfassungsgebers ausreichend verbürgt 2 1 . Der historische Auslegungstopos besitzt bei der Verfassungsinterpretation aber eine beschränkte Bedeutung 22 . W i r d er herangezogen, so muß bei seiner Ausdeutung jedenfalls die konkrete Situation der Verfassungsgebung berücksichtigt werden. Diese ist eine Situation der schleunigen Beraio Scheuner, Mehrheitsprinzip, S.41; H.Schneider, Volksabstimmungen, S. 164 f.; Geiger, Demokratieverständnis des GG, S. 233; Dürig, Einleitung zu Textbuch Grundgesetz, S. 14; Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 9 ff.; Montesquieu, De l'esprit des lois, XI/6. 20 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 232 f.; anklingend auch bei Scheuner, Das repräsentative Prinzip, S. 237. 21 JöR (N.F.) Bd. 1 (1951), S. 453 ff.; vonMangoldt, Grundgesetzkommentar, 1. Auflage, 1953, Erl. 4 zu A r t . 20 GG; Geiger, Demokratieverständnis, S.233; H. Schneider, Volksabstimmungen, S. 155. 22 Roellecke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, S. 22.
21
2. Repräsentation als K o r r e k t i v
tung zur Einigung innerhalb der unterschiedlichsten politischen Kräfte aus der Bevölkerung, was an die schnelle, allseitige Verständigung hohe Anforderungen stellt. Als historische Einigungsgrundlage treten dabei weniger Bemerkungen zu einer Einschränkung von Mehrheitsmeinungen hervor, als vielmehr die ganz praktische Erfahrung der Weimarer Zeit, insbesondere ihrer Parteienzersplitterung, welche der verhängnisvollen Sehnsucht nach letztendlicher Einigung des Volkes wesentlich Vorschub geleistet haben soll 2 3 . Zentraler Gesichtspunkt scheint so eher die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Beschlußfähigkeit gewesen zu sein, während die Auffassung von einer Beschränkung des Volkswillens als ein hierzu notwendiges Mittel angesehen wurde. Bei einer historischen Auslegung ließe sich deshalb vielleicht sagen, daß der Gedanke der Einschränkung des Volkswillens durch Parlamente für den Verfassungsgeber gedanklich Pate gestanden hat. Historischer Zweck der Regelungen war aber eine wirksame Volkswillensbildung, nicht deren Beschränkung. Die Überzeugung von einem Volkswillendämpfungsdienst, den Parlamente verrichten sollen, hat eine Wurzel i n einer Vorstellung von Interessen, die sich auch i m Gedanken der »Repräsentation durch Persönlichkeiten 4 findet. A u f den Unheilscharakter dieser Vorstellung ist von berufener Seite frühzeitig aufmerksam gemacht worden 2 4 . Interessen gelten danach nicht als differenziert einzusetzende Bausteine des Gemeinwohls, sondern als dessen natürliche Gefahr. Ein „falscher Idealismus", der die „soziale Formation der Individuen (übersieht)", muß i n der parteienstaatlichen Demokratie überhaupt eine Gefahr sehen, da durch diese eine »rationale 4 Diskussion ausgeschlossen wird. Das Parlament erscheint so als Vexierbild, einmal i n seiner vermeintlich idealen, aus unbekannter Vorzeit herrührenden Form leidenschaftsloser Sachbefassung, ein anderes Mal als Parteienstreit über Interessen, der i n einen Gegensatz „zur Richtigkeit" der Entscheidung führe 2 5 . Eine parlamentarische Aufgabe der generalpräventiven „Dämpfung" des Volkswillens jenseits der speziellen materiellen Erfordernisse des Verfassungsrechts ist bislang aber noch nicht i n der nötigen dogmatischen Deutlichkeit dargelegt. Wo sie als Teil der Verfassungsordnung begriffen wird, hätte sie die wenig beneidenswerte Aufgabe, sich m i t schlecht geeigneten Waffen aus dem Arsenal politischer Anschauungen zu verteidigen. Die Vorstellung von einer Korrektivfunktion der Parla23 Vgl. Schiffers, Elemente direkter Demokratie, S. 110 ff., Unruh, Die Verfassung. 24 Scheuner, Das Mehrheitsprinzip, S. 41. 25 Hiergegen Denninger, Demokratieprinzip, S. 37, 39,
128 ff.;
von
22
I I . Traditionelle Anschauungen der parlamentarischen Repräsentation
mente ist ein ungeeigneter Maßstab bei der Gegenüberstellung der Leistungen von Volkswahl und Volksabstimmung. 3. Repräsentation als Entlastung des Bürgers a) Anschauung Neben dem Gedanken der Repräsentation als Bürgerkorrektiv findet sich, teils i n offen gelassener Weise ergänzend, teils ersetzend, die A n sicht, die repräsentative Demokratie habe die Aufgabe, den Bürger von der Beschäftigung mit der Fülle einzelner politischer Probleme zu entlasten. Die Vielzahl und Verzweigung politischer Fragen i n der Gegenwart erforderten besondere Beschäftigung, die nur i m Wege einer Vertretung zu bewältigen sei, welche auch über entsprechend gesicherte Handlungsvollmachten verfügen müsse. Auch räumliche Gegebenheiten und Erfordernisse durch die Zahl der Staatsbürger führten zur Notwendigkeit der parlamentarischen Vertretung. Ein Flächenstaat m i t Millionen von Bürgern erlaube es nicht, alle Bürger zu einem Thing zusammenzurufen 26 . b) Rechtsordnung Diese „pragmatische Theorie" ist i n ihrem Gedanken der Undurchführbarkeit einer unbeschränkten Volksabstimmungsdemokratie kaum zu bestreiten. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Volksabstimmungen ergäben sich aber erhebliche Folgen, wenn diese Auffassung als der Kern der Rechtfertigung von Parlamenten angesehen werden müßte. Dann wäre die repräsentative Demokratie wirklich das i m politischen Leben häufig beschworene „geringste Übel", ein vielleicht teilweise dauerhaftes, aber doch immer behelfsmäßiges Arbeitswerkzeug, das die Berechtigung seiner Anwendung vor dem Demokratieprinzip i n Frage stellen lassen müßte, wenn es einer Entscheidungsentlastung des Bürgers nicht mehr bedarf 2 7 . Wo sich die Bürgerschaft zu nachhaltig debattierten öffentlichen Fragen eine eigene Anschauung bilden konnte, würde eine Entscheidung auf dem parlamentarischen Wege fragwürdig. Das Glasfaserkabel und andere neue Übertragungstechnologien beseitigten die bisherigen Hindernisse des weiten Raumes und der großen Zahl gegenüber einer unvermittelten Bürgerteilnahme an den politischen Entscheidungen, anschließend an die Auffassung, 26 Siehe Reuss, Repräsentativverfassung, S. 21 ff.; vonMohl, Staatsrecht, S. 14; Leibholz, Parteienstaat; Loewenstein, Verfassungslehre, S. 23; Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft I , S. 171; Zitate aus der französischen Revolut i o n bei E. Schmitt, Repräsentation u n d Revolution, S. 188 ff. 8 7 Pestalozzi Popularvorbehalt, S . 9 f .
4. Gesamtbetrachtung
23
nach der diese Technologien an die Stelle der Feingliederung von A r t . 5 Abs. 1 GG treten können sollen. 4. Gesamtbetrachtung Die traditionellen Auffassungen zu den Aufgaben der Parlamente verbindet die Überzeugung, daß m i t diesen der Wille des Volkes Einschränkungen erfahre. Der Volkswille ist gleichsam unter Parlamentsvorbehalt gestellt. A u f der Höhe von Verfassungsprinzipien findet dies seinen Ausdruck i n der Lehre, daß das Grundgesetz Demokratie fordere, aber vor einem „Demokratismus" schütze. Für Verfassungsprinzipien ist dies eine Denkfigur besonderer A r t , denn Warnungen vor einem Sozialstaatismus oder Rechtsstaatismus sind unüblich. Generell gelten die Leitprinzipien des Grundgesetzes als Zielwerte des staatlichen Lebens, als Prinzipien also, die bei allen Regelungen als Orientierungspunkte anzustreben sind, deren endgültige, vollständige Erfüllung also ausgeschlossen sein muß, u m sie nicht obsolet werden zu lassen. Grenzen dieser Leitprinzipien sind diesen deshalb nicht inhärent, eine Regelung kann nicht zu sehr Grundrechte schützen oder den Sozialstaat verwirklichen, sondern Begrenzungen jedes Leitprinzips ergeben sich aus den Konflikten m i t anderen Geboten. Beispielsweise können Regelungen i m Sinne des Sozialstaatsgebots sehr häufig einer Abwägung m i t dem grundrechtlichen Freiheitsanspruch des einzelnen bedürfen. Daß sich das Demokratieprinzip des Grundgesetzes i n genereller Weise schon vor sich selbst i n Schutz zu nehmen bemühe, indem es vor einem „Demokratismus" haltmache, ist nicht leicht zu begründen. So verdienen eine Vielzahl von neueren Untersuchungen und Erkenntnissen über die Institution der Parlamente eine Bündelung und zusammenfassende Würdigung. Arbeiten aus der ökonomischen Wissenschaft, der Mathematik und Soziologie, Disziplinen, die sich i n j ü n gerer Zeit lebhaft m i t der Vernunft der Parlamente beschäftigt haben, können dabei herangezogen werden, soweit ihre Aussagen nicht von eigenen normativen Prämissen durchdrungen sind, sie sich vielmehr beschreibend ihrem Gegenstand zugewandt haben und damit einer rechtlichen Würdigung Raum lassen. Erfüllen die Gesprächspartner diese Voraussetzung einer „legitimen Einseitigkeit" 2 8 , so w i r d umgekehrt bei der verfassungsrechtlichen Auslegung das Risiko eines wie auch immer eleganten Abgleitens i n Vulgärsozialwissenschaft verringert, ein Risiko, das angesichts des politiknahen Bereichs des Gegenstandes schwerlich überschätzt werden kann. 28 Isensee, Menschenrechte, S. 70.
I I I . Die Pflichten des Parlaments 1. Die Pflicht zur Volkswillensbildung a) Originäre Schaffung
„ I m Parlament verwirklicht sich der Wille des Volkes 1 ." Dieser alte Grundsatz ist allerdings mehrdeutig. Er kann sicherlich als Ansporn und Ermahnung an die Adresse des Parlaments ausgelegt werden. Dann w i r d er zum Ziel der Bemühung des Abgeordneten, ist aber Gegenstand seiner eigenen Verantwortung. Als staatsrechtliche Feststellung erhält der Satz eine andere Bedeutung. Er meint, daß der Wille des Volkes i m Parlament erst seine Existenz erlangt 2 , also vor der Entscheidung des Parlaments noch nicht besteht. Daß der Wille des Volkes Ursprung und Wurzel in den Parlamenten findet, ist m i t diesem Satz offensichtlich nicht festgestellt. Damit ist keine rechtsdogmatische Fiktion errichtet. Anders als beim einzelnen Menschen ist die Willensbildung bei Personengemeinschaften nicht Ergebnis eines natürlichen Prozesses. Es gibt keinen Volkskörper aus natürlicher Integrität 3 , vielmehr nur politische Ordnungen, für die die artifiziellen Einrichtungen der Willensübertragung von einzelnen zur Gemeinschaft nicht selbstverständlich mitgeschaffen sind, sondern, auch staatsrechtlich, kunstvoll begründet werden müssen 4 . Dies widerspricht der bildkräftigen, von der Stimmauszählung beim Wahlakt täuschend nahegelegten Vorstellung, daß der Wille des Volkes aus einer schlichten Summation von Stimmabgaben der Bürger gebildet werden könne. Auch unter der wenig realitätsnahen Voraussetzung, daß solche autoritativen Individualwillen zu allen politischen Problemen abruffähig existierten, reicht die Aufgabe der Summation aus, u m seit vielen Jahren die Wissenschaft der Wohlfahrtsökonomie m i t un1 Reuss, Repräsentativverfassung, S.23. 2 Hesse, Stellung der politischen Parteien, S. 27 f.; E. Kaufmann, Volkswillen, S. 9 f.; Triepel, Staatsverfassung, S. 33; Scheuner, Der Beitrag der deutschen Romantik, S. 71; Zacher, Freiheitliche Demokratie, S. 27. 3 Katz/Kahn, Social Psychology, insbes. S. 257; Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, S. 19 m. w . Nachw.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 238 ff.; Steiner, Verfassungsgebende Gewalt des Volkes, S. 97 f. m. Nachw. 4 Einführend zu den Gestaltungsmöglichkeiten Gäfgen, Theorie k o l l e k t i v e r Entscheidungen; Weinberger, Abstimmungslogik u n d Demokratie.
1. Die Pflicht zur Volkswillensbildung
25
lösbaren Problemen zu unterhalten 5 . Nach dem grundlegenden „ A r r o w Paradoxon" erscheint es insbesondere unmöglich, unter Voraussetzung von unverzichtbaren demokratischen Anforderungen an den Stimmakt überhaupt zu einer Mehrheitsentscheidung zu gelangen, ohne daß diese unmittelbar nach der Beschlußfassung zu einer Minderheitsauffassung werden müßte. Das Paradoxon kann insbesondere unter der Voraussetzung auftreten, daß für die Lösung eines Problems mehr als zwei Wege vorgeschlagen sind, eine Bedingung, die beim Abstellen auf individuelle Bürgeransichten regelmäßig erfüllt sein wird. Die Ermittlung des Volkswillens bedarf also auch danach besonderer rechtlicher Regelungen, u m einer Lähmung i n seinem Entstehungsprozeß vorzubeugen. Die Rechtsregeln, welche zur Ermittlung des Volkswillens aufgestellt sein müssen, sind vielfältig. Sie betreffen nicht nur den Stimmakt des Bürgers und die Zählweise der Stimme, sondern erstrecken sich auch auf die Autorität zur Festlegung des Gegenstandes der Stimmabgabe. Gerechtigkeitsmaßstäbe oder Demokratiegebote sind i n vielen Einzelheiten hier nicht mehr aussagekräftig. Die Regeln betreffen einen Entstehungsprozeß und können deshalb nicht immer an Entstandenem gemessen werden. Normative Grundsätze bleiben allerdings durch Grobheiten verletzbar. Die Verfahren von Volkswahl und Volksabstimmung weisen große Unterschiede auf, so daß ein grundsätzlich wertender Vergleich aussichtsreich erscheint. Parlamente sind sonach als Institutionen zur originären Bildung des Volkswillens vorauszusetzen. Es gilt der Grundsatz G. Jellineks 6 : „Dieses primäre Organ (das Volk) hat, soweit die Zuständigkeit des sekundären Organs (das Parlament) reicht, an dessen Willen seinen eigenen Willen und keinen Willen außer diesem." b) Integration der Anschauungen
Das Parlament ist jener Ort der Willensbildung des Volkes, wo die Vielfalt von politischen Anschauungen i n der Bürgerschaft Aufnahme und Abstimmung erfährt. Die Kraft des Rousseauschen geisteswissenschaftlichen Gedankens von der Umwandlung der „volonté générale" i n die „volonté de tous" hat die moderne Betrachtung lange Zeit nicht begünstigt 7 . I m Parlament bleiben meist neben den Mehrheitsentscheidungen auch die M i n 5
Arrow, Social Choice and I n d i v i d u a l Values; Bernholz, Logrolling, A r row-Paradox and Cyclical Majorities; Musgrave, Public Finance, S. 116 ff. m. Nachw. « Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 566. 7 Leclercq, Le principe de la majorité, S. 54 ff.; Bridel, Principe majoritaire, S. 45 ff.
26
I I I . Die Pflichten des Parlaments
derheitenansichten von Bedeutung für die fortdauernde Auseinandersetzung u m die besten Lösungen 8 . Eine Umwandlung erfährt der Volkswille eher auf dem Weg von Teilen der Bürgerschaft zu den repräsentierenden Gruppierungen i m Parlament. Der Abgeordnete genügt nicht seiner Aufgabe, wenn er die verschiedenen Auffassungen i n der Bevölkerung lediglich ratifiziert. M i t der Abweisung des imperativen Mandats und der Schaffung von mehrjährigen Amtsperioden ist i h m vielmehr die Verantwortlichkeit dafür zugewiesen, daß die v e r w i r k lichten Vorstellungen i m Ergebnis miteinander verträglich sind. Diese Anforderungen treten neben Ansichten i n der Bürgerschaft und bilden den von dem Parlament zu schaffenden Willen des Volkes. „Öffentliche Meinung und politische Willensbildung i n der Gesellschaft kann nicht identifiziert werden mit staatlicher Willensbildung 9 ." Parlamente können und sollen nicht die Meinungsbilder von Teilen der allgemeinen Öffentlichkeit duplizieren 1 0 , sondern sie sollen eine gemeinschaftlich verbundene und verpflichtete öffentliche Meinung bilden. Die parlamentarische Repräsentation hat eine schöpferische Aufgabe 11 . Einzelne Anschauungen i n der Bevölkerung sind hierfür eine wesentliche Grundlage, deren größtmögliche Aufnahme und Berücksichtigung Gegenstand des demokratischen Wettstreits ist. Die Parlamentarier sind so m i t der Aufgabe betraut, sich u m die Vereinbarkeit der Vielzahl von Ansichten i n den verschiedenen Bevölkerungskreisen zu bemühen. Sie müssen sich deshalb nicht nur beeinflussen lassen, sondern selbst Einfluß auf die Anschauungen des Bürgers zu gewinnen versuchen 12 , durch parlamentarische Fensterreden und mit der koordinierenden Hilfe von politischen Parteien, welche nach A r t . 21 Abs. 1 GG bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken haben. Diese Aufgabe der M i t w i r k u n g wäre mißverstanden allein als eine Tätigkeit „ i n Parallellage" (P. Lerche) zur Willensbildung des Volkes, neben und außerhalb einer „eigentlichen" Willensbildung durch das Volk, geleistet also i n der Stellung einer fallweise heranziehbaren Hilfskraft. M i t w i r k u n g bedeutet hier eher die Erfüllung einer ständigen und besonderen Aufgabe i m Rahmen der Willensbildung des Volkes 1 3 , die Übernahme einer besonderen Verantwortung i n risikoreicher Abhängigkeit. Die von ihnen entwor8 Z u r Einbettung dieser Ordnung i n ein v o m Begriff der Spannung her errichtetes Verfassungsverständnis Göldner, Integration u n d Pluralismus. 0 Frühzeitig BVerfGE 8,104 (113). Scheuner, Das Mehrheitsprinzip, S. 57, anders zum Beispiel die Auffassung T. Ρ aines über das Parlamentshandeln: „ . . . who w i l l act i n the same manner as the whole body w o u l d act were they present." (S. 71). 11 F. Schäfer, Der Bundestag, S. 14 ff. 12 Geiger, Demokratieverständnis, S. 236 f.; Stemberger, Staatsgewalt, S. 28, 119. 13 Hesse, Verfassungsrecht, S. 70; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 190 f.; Isensee, Menschenrechte, S. 90.
27
2. Die Pflicht zur Meinungsberücksichtigung
fenen Meinungen müssen sich i n der Öffentlichkeit Meinung bewähren 1 4 .
als öffentliche
c) Themenbestimmung Das Parlament steht nicht nur i n der Pflicht der Abstimmung der verschiedenen Anforderungen der Bürgerschaft zu einem mehrheitsfähigen Resultat, sondern es muß bei dem Übermaß von möglichen Gestaltungsvorschlägen und Forderungen auch eine Auswahl für die parlamentarische Behandlung treffen. Dies ist Teil seiner Auftragnehmerverantwortung 1 5 . Schon i n der Wahl der öffentlichen Themen liegt ein wesentlicher erster Schritt der Abstimmung des Volkes 1 6 . Hierdurch werden die politischen Ansichten des Bürgers mitbestimmt, weil sie eine erste notwendige Koordination von Kontroversen darstellen, ohne deren Hilfe sich der Bürger i m größeren Kreis kaum verständlich zu machen vermag, j a politische Entscheidungen unmöglich sind 1 7 . Individuelle Präferenzen müssen sich zu sozialen Mustern formen, und erst nach einer solchen Homogenisierung können Meinungen zu — auch kontroversen — öffentlichen Meinungen werden. U m den meinungsbildenden Einfluß auf die Öffentlichkeit bemühen sich viele Gruppen und Mächte mit Hilfe sehr unterschiedlicher Mittel. A l l e i n der Einfluß des Parlaments auf die Themenbestimmung ist jedem Bürger gegenüber allgemein und gleich verpflichtet. Er ist ein abhängiger Einfluß 18 , dessen Bindung und Verpflichtung nicht m i t der Meisterung und Beherrschung des öffentlich verbreiteten Wortes endet. 2. D i e Pflicht zur Meinungsberücksichtigung a) Die Pflicht zur Anliegengewichtung
aa) Anlage Das Parlament hat die von der Gemeinschaft gestellte und kontrollierte Aufgabe, bei seiner Willensbildung sich so eng als möglich an die Auffassungen der Bürgerschaft zu binden.
14 Downs, Theory of Democracy, S. 36 ff. is Eschenburg, ökonomischer Ansatz zu einer Theorie der Verfassung, S. 198 ff.; Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 246. ie Grazia, Political Behavior, S. 150; Hesse, Stellung der politischen Parteien, S. 22 ff. 17 Knight, Planful Act, S. 338, 350. is R. Eschenburg, ökonomischer Ansatz, S. 214; grundlegend Gouldner, The N o r m of Reciprocity, S. 161 ff.; Parsons, Social System, S. 10 ff.
28
I I I . Die Pflichten des Parlaments
I n demokratischen Wahlen ist eine Mehrheit von gleichen Stimmen entscheidend für den Ausgang. Daraus w i r d häufig gefolgert, Volksherrschaft verwirkliche sich i n der Entscheidung einer Bevölkerungsmehrheit über eine gestellte Gemeinschaftsfrage. A m demokratischsten wäre jene Staatstätigkeit, die sich bei jeder Frage an den Meinungen der Mehrheit des Volkes ausrichtet 19 . Dies meint mehr, als daß jeder einzelne Bürger m i t seinen Anliegen grundsätzlich gleiches Gewicht erhält. Es meint die immer gleiche Berücksichtigung aller Bürger bei allen Entscheidungen. Da dies i n der repräsentativen Demokratie offensichtlich nicht geschieht und der Wähler auch keine Möglichkeit hat, sich hiergegen sogleich zu wenden, gilt mit dem Wähler auch der Bürger als teilweise entmachtet 20 . Die Grundlage jener weithin geteilten Vorstellung mag Hans Kelsen formuliert haben 2 1 . „Jede arbeitsteilige Differenzierung des staatlichen Organismus, die Übertragung irgendeiner staatlichen Funktion auf ein anderes Organ als das Volk bedeutet notwendigerweise eine Einschränkung der Freiheit." Diese Sicht widerspricht neueren Aussagen zum Telos der Rechtsregeln des parlamentarischen Regierungssystems. Selbst unter der A n nahme des allinformierten und dadurch entscheidungsfähigen Bürgers verbessert die Einrichtung einer besonderen legislativen Gewalt die Berücksichtigung seiner verschiedenen Anliegen beim Gesetzeserlaß. Parlamente sind danach i m Ergebnis nicht unvermeidbare Zugeständnisse an von außen eindringende Zwänge einer komplizierten Welt, sondern sie sind das Ergebnis von Anforderungen des Bürgers selbst, die er an die Berücksichtigung seiner Belange bei der Gesetzgebung stellt 2 2 . Die besondere Leistung der Repräsentation des Bürgers liegt i n der Pflicht der Repräsentanten, auf das unterschiedliche Gewicht zu achten, das gesetzgeberische Lösungen für die einzelnen Bürger haben. Das Parlament i n seiner Gesamtverantwortung gegenüber dem Wähler verfehlt seinen Auftrag, wenn es bei der Berücksichtigung der Bürgerwünsche insofern lediglich jeweils Stimmen abzählt 23 . Der Bürger kann durch sein zu Wahlperioden gestaffeltes Stimmrecht verlangen, daß ι» Preuß, Verfassung des Freistaates Preußen, S. 265 f.; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 195; diese Sicht hat zahlreiche Ausstrahlungswirkungen, vgl. ζ. B. für die Ordnungsklausel i m Polizeirecht zusammenfassend Martens, Wandlungen i m Recht der Gefahrenabwehr, S. 91. so Für C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 358, steht i n der W R V so das reichspräsidentielle Recht zur Reichstags auf lösung als Möglichkeit, „den W i l l e n des Volkes" durchzusetzen, i m M i t t e l p u n k t des demokratischen Systems. 21 Kelsen, Parlamentarismus, S. 7. 22 Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 44 f. 23 Buchanan / Tullock, The calculus of consent, S. 131 ff.; Dahl, Preface to Democratic Theory, S. 63 ff.; Lendi, Konsens, S. 497 f.
2. Die Pflicht zur Meinungsberücksichtigung
2d
sein Anliegen an die Tätigkeit des Gesetzgebers i n seinem mehrjährigen Zusammenhang und i n seiner für jeden Bürger jeweils verschiedenen Dringlichkeit Berücksichtigung findet. Für das Parlament sind die Vor- und Nachteile avisierter Lösungen nahe an der Betroffenheit der einzelnen, nicht gleichmacherisch an allgemeinen Auffassungen zu vergleichen. Mehrheiten m i t geringem Interesse oder schwacher Überzeugung werden sich i m demokratischen Verfahren repräsentativer Organe auch nicht i m Grundsatz gegen Minderheiten durchzusetzen haben, die m i t der Sache eng verbunden sind und von Lösungen besonders betroffen sein werden 2 4 . Volksherrschaft bedeutet nicht jeweils Mehrheitsherrschaft, sondern, vermittels der Einrichtung von Parlamenten, größtmögliche Berücksichtigung der Betroffenheit der Bürger. Sie ist eine i m weiträumigen Kompromiß verankerte 2 5 Volksherrschaft. Dies w i r d plakativ herausgestrichen m i t dem dadurch möglichen Fall einer Volksvertretung, die i n keiner Einzelfrage einer Mehrheitsanschauung folgt und gleichwohl am erfolgreichsten i n der V e r w i r k lichung des Wählerwillens ist 2 6 . „Nicht durchsetzbar" sind i n der Erfüllung des Wählerauftrags möglicherweise auch Vorhaben, bei denen heftig abweisende Minderheiten nicht durch betonte Mehrheitswünsche aufgewogen werden. I n einer repräsentativen Ordnung ist der Bürger nicht stets gleiche Zahl, sondern seine parlamentarische Vertretung ist das Mittel, mit dem er die Beachtung der unterschiedlichen Dringlichkeit seiner Anliegen durchsetzt. Volksherrschaft bedeutet mehr als Mehrheitsherrschaft, nämlich größtmöglicher Einfluß der Bürger auf die staatliche Entscheidung 27 . Parlamente sind insoweit nicht Korrektiv des Bürgerwillens, sondern Instrumente zu dessen differenzierterer und dadurch verstärkter Geltendmachung. bb) Gefahrenabwehr (1) Der differenzierte Einbezug des Bürgerinteresses i n die parlamentarische Entscheidung führt i m Leistungsstaat zu Gefahren, die sich i n dem utopischen Modell unentwegt gleicher Beteiligung aller Bürger allerdings vermeiden ließen. Eine breite Gruppe von Steuerzahlern (nicht die Allgemeinheit, weil zu dieser auch die Anspruchsteller und die anspruchstellenden Steuerzahler gehören) ist bei jedem 24 Zusammenfassend zu den ökonomischen Lehren des Stimmentauschs Frey, Ansätze zur politischen Ökonomie, S. 16 f.; zur Sonderform der „ K o a l i tionsvereinbarungen" J. C. Thomas, Governmental Overload, S. 374 f.; Downs, M a j o r i t y Voting. 25 Rechtsethische Forderungen zum Kompromiß gegenüber den Handelnden werden hier nicht untersucht, vgl. dazu jüngst Büchler-Tschudin, Demokratie u n d Kompromiß m. Nachw.; Bäumlin, Demokratie, S. 366. 2 ® Lindblom, Intelligence of Democracy, S. 141. 27 Buchanan / Tullock, The calculus of consent, S. 126 ff.
30
I I I . Die Pflichten des Parlaments
einzelnen Finanzierungswunseh nicht ausreichend stark betroffen, u m ein beachtliches politisches Gegengewicht zu dem jeweiligen Leistungsbegehren schaffen zu können 2 8 . Eine Übermächtigung von Steuerzahlern i n kleinen Schritten ist jedoch i m Interesse der Allgemeinheit durch die Finanzverfassung verhindert 2 9 . Die Parlamente können nicht gleichzeitig über Mittelaufbringung und Mittelverwendung i m Sinne einer individuell rationalen Kosten-Nutzenrechnung beschließen. Über die Höhe der Steuern muß vielmehr zusammengefaßt und besonders von den Parlamenten entschieden werden, wodurch vorab ein Entscheidungsrahmen für die verschiedenen Leistungsbegehren gesetzt ist, dessen Beachtung der Bundesfinanzminister gemäß A r t . 112 GG mit besonderen Befugnissen überwacht 3 0 . Die so zu einer eigenen, unabhängigen Aufgabe gemachte Ausgeglichenheit des Staatshaushaltes 31 gilt auch für die politische Beurteilung der Regierungspolitik durch den Bürger als eigenständiges Ziel. (2) Wenn es die besondere Errungenschaft der parlamentarischen Mehrheitsherrschaft ist, die Gewichtung der Bürgerbelange durch besondere Durchsetzungschancen von Minderheitsgruppen zu erreichen, dürfen hierbei auch nicht die Gefahren verkannt werden, die bei institutioneller Betrachtung hieraus ebenfalls entstehen können. Die durch Parlamente mögliche Gewichtung der Bürgeranliegen darf deshalb nicht ineinsgesetzt werden mit einer allgemeinen Vorfahrtsregelung für erregte Minderheiten. So muß die Verfassung Vorsorge treffen, daß es bei der örtlichen Verteilung von belastenden aber gemeinschaftswichtigen Vorhaben regionalen Gruppen nicht jeweils gelingt, an der Versorgung teilzunehmen, ohne Entsorgung sich auferlegen lassen zu müssen. Zu solchen Gefahren führt aber nicht die besondere Sensibilität von Parlamenten, sondern zu Recht w i r d hierin ein Problem der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung gesehen 32 . Diese muß Vorsorgen, daß alle rechtens Betroffenen auch zu den Beteiligten des Willensabstimmungsverfahrens gehören. Der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens vermag für die Exekutive i n nützlicher Weise den Blick auf bundesstaatliche Erfordernisse h i n erweitern. Er vermag aber nicht eine staatsgerechte, funktionell angemessene Kompetenzverteilung zu ersetzen, welche die Ablehnung oder Befürwortung von Maßnahmen ihrer politischen Gesamtverantwortung aussetzt. Proble28 Frey, Dynamic Theory; Shapiro, Public Investment, S. 404. 29 Dies übersehen Luhmann, K o m p l e x i t ä t u n d Demokratie; Buchanan! Tullock, The calculus of consent, S. 131 ff., 143 ff.; Wildavsky, Government Spending, S. 11, 58 ff. 30 Greifeid, Wirtschaftlichkeitsprüfer, S. 61 f. 31 Vgl. A r t . 109 I I , I V , 112 ff. Grundgesetz. 32 Deutlich jüngst HessStGH Beschl. v. 15.1.1982, N J W 1982, S. 1141.
2. Die Pflicht zur Meinungsberücksichtigung
31
matisch w i r d anderenfalls nicht die Einräumung, sondern die Verteilung wirksamen Bürgereinflusses. cc) Ergebnis Durch die institutionelle Anliegengewichtung der parlamentarischen Demokratie w i r d das Gewicht der Freiheitsrechte des Bürgers prinzipiell vor Mehrheitsmeinungen geschützt und die Antinomie von Bürgerwillen und Bürgerfreiheit schon vor dem Einsatz einer rechtsstaatlichen Demokratiekontrolle i m Gebot der repräsentativen Demokratie selbst, wenn auch nicht miteinander versöhnt, so doch aufeinander gewichtend bezogen 33 . „Die Menschenrechte finden i n keiner Staatsform günstigere Lebensbedingungen als i n der parlamentarischen Demokratie 3 4 ." b) Die Pflicht zur Rechtzeitigkeit
Der Bürger fordert nicht nur Entscheidungen, die die verschiedenen Anliegen sachlich möglichst weitgehend miteinander abstimmen, sondern die Entscheidungen müssen auch rechtzeitig Geltung erlangen. Dieser Gesichtspunkt kann bei der Leistungsbeurteilung durch den Bürger einen zum Gesichtspunkt der Wahl der „besten" Alternative noch vorrangigen Platz gewinnen. Dies ist namentlich wahrscheinlich, wenn bei schwierigen Problemen zwar ein hoher Lösungsdruck, aber keine leicht und umfassend ersichtliche Folgengewißheit oder Folgenbewertungsgewißheit besteht. A u f die Häufigkeit dieser Gegebenheit muß nicht hingewiesen werden. Durch die Schaffung von Parlamenten, die von der Wählerschaft getrennt und denen eigene Aufgaben übertragen sind, kann der Bürger auch dieses Anliegen der Führungskraft an einen Verantwortlichen adressieren. Die Pflicht des Parlaments zur Rechtzeitigkeit steuert zugleich einer besonderen Gefahr bei der gemeinschaftlichen Willensbildung entgegen, welche die i n der Praxis häufigen negativen Anschauungsmehrheiten i n der Bevölkerung verursachen. Gerade bei drängenden Problemen mit einer notwendig allseitigen Interessenabwägung, also allseitigen Interessenbeschränkung, ist eine allseits verantwortliche vermittelnde Instanz notwendig, welche durch bloßen Protest und Gegnerschaft ihre Aufgabe verfehlt. Das Parlament ist nicht nur für seine Gesetzesnovellierungen verantwortlich, sondern es muß auch fortbestehende Gesetze, unterlassene Novellierungen vor dem Wähler rechtfertigen: Zu jedem bestehenden Gesetz kann die Opposition Änderungs33 Anders die Lehren, welche Demokratiemaßstab u n d Staatsabwehrrechte allein i n ein Verhältnis spannungsreicher Polarität setzen. 34 Isensee, Menschenrechte, S. 87.
32
I I I . Die Pflichten des Parlaments
Vorschläge machen, welche eine parlamentarische Mehrheit ablehnen muß, damit sie nicht Wirklichkeit werden. M i t einer solchen Ablehnung muß die Mehrheit mit der Behauptung vor den Wähler treten, der Volkswille ziehe die alte Fassung der vorgeschlagenen neuen Fassung vor. Das Entscheidungsproblem u m die Ideallösung w i r d zur Praxisnähe relativiert und muß nicht mehr an den absoluten Ansprüchen der widersprüchlichen Bürgerinteressen gemessen werden. I n der parlamentarischen Praxis erstellen die Mehrheitsgruppen bei Oppositionsvorlagen deshalb gegebenenfalls eigene Vorschläge der Novellierung. Wenn sich i n der Bevölkerung keine überwiegende Anschauung über eine gute Problemlösung gebildet hat, w i r d das beschlossene Gesetz häufig auf mehrheitlichen Widerspruch stoßen. Die Abgeordnetenverantwortlichkeit zwingt gleichwohl dazu, die relativ vorzugswürdigste Entscheidung zu treffen, der Abgeordnete muß i n die Verantwortung treten entweder für eine i n der Bürgermeinung als schlecht, sehr schlecht oder unhaltbar angesehene Lösung. Damit verwirklicht sich i m Parlament der Wille des Volkes auch da, wo er außerhalb des Parlaments durch unüberbrückbare Gegensätze gehindert wäre, sich Ausdruck zu verschaffen. Auch da, wo sich i n der Bevölkerung keine Meinungsmehrheiten bilden können, kann das Volk durch Parlamente auf die relativ vorzugswürdigste demokratische Entscheidung dringen. 3. Die Pflicht zur Willensverantwortung a) Pflicht zur Ergebnisverantwortung
Neben die parlamentarischen Pflichten zur Willensbildung und zur Meinungsberücksichtigung t r i t t die Verantwortung des Parlaments dafür, daß der von i h m gefaßte Wille Jahre über die Zeit seiner Bildung hinaus vor dem Urteil des Wählers bestehen kann 3 5 . Das Parlament übernimmt damit eine Ergebnisverantwortung, von der es sich durch keinen Hinweis auf vergangene Mehrheitsanschauungen entlasten kann. Nach A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG sind Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, auch nicht, wenn sie als „Wählerauftrag" vorgestellt werden. Die Pflichtenübernahme des Abgeordneten mit ihrer Ergebnisverantwortung steht unter verfassungsrechtlichem Schutz. Dies ist nicht nur ein etwaiger Schutz vor dem Wähler, sondern zuerst ein Schutz für den Wähler. Er muß sich nicht durch die Wahlentscheidung an einmal konsentierte Programme und Absichten binden lassen, eine wenig demokratische Bindung, denn auf die Aufstellung der Programme hatte der Staatsbürger auch wenig direkten Einfluß. Politik ist zudem wesensmäßig ein Handeln i n Ungewißheit Friedrich,
Verfassungsstaat, S. 298; Luhmann,
Vertrauen, S. 26.
3. Die Pflicht zur Willens Verantwortung
33
ihrer Folgen 36 . Diese zu bewältigen ist das Parlament beauftragt und gerüstet. Bei einem imperativen Mandat w i r d diese Pflicht des Abgeordneten zur Willensverantwortung auf den Bürger zurückdelegiert. Die Verantwortung jedes Delegierten endet mit der Möglichkeit, beim Delegatar bindende Rückfragen einzuholen. Bindung und Freiheit des Parlaments gegenüber den Ansichten der Bürgerschaft stellen so nicht zuerst ein Abwägen zwischen den Erfordernissen von „Bürgermitsprache" und „Sachgerechtigkeit" 37 dar, sondern sie müssen i n diesem Rahmen bestimmend als Mittel betrachtet werden, u m den Einfiuß des Bürgers auf die vom Parlament wahrgenommene Sache zu verstärken 3 8 . I n der arbeitsgeteilten Gesellschaft w i r d „Macht" zu Recht als abstrahierende Steuerung von Entscheidungen anderer, nicht als Übernahme von Entscheidungsstoffen zur Eigenbehandlung konzipiert 3 9 . Die Kontrollrechte des Bürgers sind nicht an den Nachweis fehlsamer Entscheidungen und damit nicht an den eigenen Sachverstand i n Detailfragen gebunden. Dies entspricht auch der parlamentarischen Pflicht zur Willensbildung. Indem das Parlament wesentlichen Anteil an der Bildung des Mehrheitswillens hat und i h m hierfür eine institutionelle Verantwortlichkeit zugewiesen ist, kann eine getreue Ausführung dieses Mehrheitswillens, die Erfüllung von Partei- oder Wahlprogrammen, den A b geordneten nicht entlasten 40 . Auch positive Berichte der Rechnungshöfe oder Entscheidungen der Verfassungsgerichte können diese besondere Verantwortung gegenüber dem Bürger nicht festlegen. b) Qualifizierung des Mehrheitserfordernisses
Die parlamentarische Pflicht der Willensverantwortung führt zu einer Humanisierung und Demokratisierung des demokratischen Mehrheitsprinzips 41 . Die Leistung der Parlamente w i r d verkannt, jedenfalls verkürzt, wenn der Sieg des Wahlbewerbers mit einer Mehrzahl der Stimmen über den Wahlbewerber mit einer Minderzahl der Stimmen ineins gesetzt w i r d m i t der Verdrängung des eine Minderheit wählenden aktiven Wählers durch den aktiven Wähler, welcher das Mehrheitsvotum abgibt 4 2 . I n der repräsentativen Demokratie gewinnt oder verse Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 173. 37
Z u r Sachbezüglichkeit des demokratischen Verfahrens Lindblom, PolicyMaking-Process, S. 34 ff. se Vgl. Steff ani, Parteienstaat, S. 35; Weinberger, Abstimmungslogik, S. 619. 39 Heller, Souveränität; Luhmann, Macht, S. 9 u. passim. 40 Kriele, Das demokratische Prinzip, S. 52; empirisch grundlegend Sullivan / Ο' Conner, Electoral Choice, m. Nachw. 41 Demokratie als „Maßgeblichkeit einer möglichst großen Mehrheit" entsprechend C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 252. 42 Schmitt, Verfassungslehre, S.224. 3 Greifeid
34
I I I . Die Pflichten des Parlaments
liert i m Stimmakt nicht der Wähler, sondern der Wahlbewerber. Diejenigen Parteien gelangen m i t ihren Kandidaten an die Regierungsverantwortung, denen es gelang, eine Mehrzahl von Stimmen auf sich zu vereinigen. Für die Anliegen des abstimmenden Bürgers ist dies jedoch nur eine organisatorische Vorkehrung i m Dienste darüber hinausreichender Ziele. Der Wahlkampf w i r d u m alle, nicht nur u m die einfache Mehrheit der Mandate geführt. Darunter fällt der Umstand, daß auch i n Wahlbezirken m i t wenig Aussichten bietender Bevölkerungszusammensetzung der Kandidat der bisher unterlegenen Gruppierung sich nicht nur u m Stimmen, sondern auch u m ein Mandat bemüht. Ausschlaggebend deutlich w i r d jener Wahlkampf u m alle Bürgerstandpunkte i n der repräsentativen Demokratie daraus, daß derjenige Kandidat das Mandat gewinnt, der die Anliegen des Bürgers am meisten und nicht nur mehrheitlich befriedigt. Dies hat Bedeutung i n jeder Gesellschaft, i n welcher die Bürger nicht zu monolithischen Blöcken geordnet, mit keinem als einem allabgestimmten Klasseninteresse nebeneinander stehen 43 . Jeder Bürger ist durch vielfältige Beziehungen m i t der politischen Gemeinschaft verbunden. Der Wähler sucht politische Lösungen, die ihn als Anwohner wie als Autofahrer, als Arbeitnehmer wie als Konsument und Kapitalanleger, als Mieter wie als Wohnungssuchender, als Nachkomme wie als Vorfahre, vor allem auch als Interessent wie als Mitbürger m i t sozialem Verantwortungsgefühl, möglichst vollständig, nicht nur zu 51 % befriedigen. U m einen solchen vollständigen Ausgleich w i r d der politische Kampf u m Mehrheiten geführt. Keineswegs müssen deshalb die Wähler einer unterlegenen Partei für eine gesamte Wahlperiode auf die Berücksichtigung ihrer Anliegen verzichten, so wie ein unterlegener Kandidat auf das angestrebte Mandat verzichten muß 4 4 . Die möglichst vollständige A u f nahme aller Interessen i n einer Ausgleichslösung bleibt vielmehr eine das gesamte Parlament institutionell herausfordernde Aufgabe, und ein Sieg bei der kommenden Wahl w i r d nicht dadurch versichert, daß parlamentarische Mehrheiten einzelne Mehrheitsinteressen i n der Bevölkerung getreu widerspiegeln konnten. Durch das repräsentative Mehrheitsprinzip w i r d deshalb zunächst allein der Mandatsbewerber abgewiesen oder aufgenommen i n Parlament oder Regierungsverantwortung. Der aktive Wähler kann so nicht unterliegen, sondern er kann lediglich seine politischen Wünsche i n stärkerem oder geringerem Maße durchsetzen. 43 Dies w i r d schon als eine tatsächliche Voraussetzung von Demokratie angesehen werden können: Heller, Demokratie u n d soziale Homogenität; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 189. 44 „ . . . wäre dies der Fall, . . . könnten w i r uns n u r wundern, wie die Demokratie jemals ihre Probleme lösen u n d als funktionierende politische Ordnung überleben konnte." Sartori, Demokratie, S. 71.
3. Die Pflicht zur Willensverantwortung
35
Wenn bei Erörterung des demokratischen Mehrheitsprinzips zur Berücksichtigung auch von Minderheiten gemahnt wird, ist dies gut. Daneben verdienen aber auch die organisationsrechtlichen Vorkehrungen Erwähnung und Schutz, die bereits innerhalb der Verfassung des politischen Lebens, nicht erst vor Gerichten, den Schutz von Minderheitsanschauungen bewirken. Die parlamentarische Pflicht zur Willensverantwortung stellt höhere Anforderungen als lediglich die Berücksichtigung von Mehrheitsinteressen. c) Freiheit der Willensbildung
Die parlamentarische Willensverantwortung ist ein Unterpfand der Kraft und des weiten Umfangs der i n A r t . 5 Abs. 1 GG gesicherten Freiheit der Willensbildung und Willensäußerung. Nicht der einzelne Bürger mit seinen politischen Anschauungen, sondern das besondere Organ ist Adressat von Verfassungsklagen. I n der Differenz der Verantwortlichkeiten von Bürger und Gesetzgeber w i r d ein freiheitlicher Raum der Entwicklung und Vorformulierung von Meinungen, eine „fruchtbare bipolare Spannung" 4 5 geschaffen, deren die demokratische Willensbildung bedarf. Der Bürger lebt i n vielen Verhältnissen m i t unterschiedlichen Verpflichtungen. Die Maßgeblichkeit aller geäußerten Ansichten als verbindlicher politischer Wille des Einzelnen 40 bedroht als Beseitigung dieses Raumes die Freiheit der politischen Meinungsäußerung. Nicht nur am Stammtisch, auch bei den sorgfältig formulierten Stellungnahmen des Bürgers mit dem Mittel der Verbände ist der Rahmen der Äußerung mitbestimmend 4 7 . Stellungnahmen erfolgen i m Hinblick auf erhoffte Wirkungen oder Wirkungslosigkeiten, und diese werden von dem institutionellen Rahmen, den erwarteten Widerständen und den weiteren Verfahrensweisen gekennzeichnet. Politische Demonstrationen i n der Öffentlichkeit stützen häufig einen guten Teil ihrer hilfreichen und berechtigten Existenz darauf, daß ihre Teilnehmer nur über den Gegenstand des Unmuts, bei weitem aber nicht über konkrete Lösungen sich einig sein müssen. Meinungsäußerungen von Bürgergruppen und Verbänden i n diesem Rahmen sind deshalb nicht ohne weiteres Ausdruck des politischen Willens der darin vertretenen Wähler. Erst i m Wahlakt t r i t t der Bürger i n seinen status activus und w i r d als Glied des Staatsvolks und nicht mehr als Petent oder einzelner Betroffener Teilhaber an der Ausübung von Staatsgew a l t 4 8 . Erst für diesen Wahlakt muß der Bürger auch seine politischen Ansichten zur staatsbürgerlichen Entscheidungsreife überprüft und ge45 Ridder, Meinungsfreiheit, S.279. Z u dieser Unterscheidung H. Schneider, Volksabstimmungen, S. 168. 47 Vgl. Anderegg, Kommunikation, S. 10; Gadamer, Hermeneutik, S. 99. 4« BVerfGE 8, 104, 114; H. Schneider, Volksabstimmungen, S. 168. 3*
36
I I I . Die Pflichten des Parlaments
formt haben. Davorliegende Umfragen oder Erhebungen zur Ermittlung des Willens des Volkes werden den Bürger nicht selten i n Phasen der Vorbereitung der Willensbildung oder auch anderen als staatsbürgerlichen Hollen treffen. I n der Fülle von täglichen Aufgaben muß sich die Bereitschaft des Bürgers zu scharf konturierten Meinungen an der Nähe und Aktualität der Fragen orientieren 4 9 . Die Förmlichkeit des Wahlakts, der Verzicht auf technische Hilfsmittel, soll hierbei auf den besonderen Charakter der Stimmabgabe bei Wahlen hinweisen. Das Parlament t r i t t den gesellschaftlichen Kräften durch die Wahllegitimation i n einer demokratischen Bindung gegenüber, die von jedem Bürger gleich und durch das Wahlgeheimnis i n Lösung von allen Gruppenverbindlichkeiten 5 0 geschaffen wird. Die Differenzierung der demokratischen Entscheidungen i n Volkswahl des Vertreters und Vertreterwahl des Gesetzes schafft der ideellen Verbindung demokratischer Rechte und Pflichten einen organisatorischen Raum, der ihnen ein gemeinsames Wachsen i n der Ausformulierung ermöglicht. Hierin w i r d zu häufig i n erster Linie eine Blokkierung unvermittelter Einflußnahme gesehen. Die parlamentarische Willensverantwortung sichert die außerparlamentarische Willensbildungsfreiheit. 4. Parlamentspflichten u n d Schutz der Repräsentation
Die dargestellten Pflichten des Parlaments sind keine materiell verfassungsrechtlichen Pflichten, denen jeweils Klagebefugnisse des Bürgers zu ihrer Ausführung entsprechen. Es sind andererseits nicht nur aus dem Demokratiegedanken herrührende sozialethische Forderungen an die Parlamente. Vielmehr sind es rechtlich durch die Einrichtung und das Verfahren repräsentativer Demokratie gesicherte Leistungen, für deren Erbringung die Parlamente i m Rahmen des demokratischen Verfassungslebens unter eigene Verantwortung gestellt sind 5 1 . Wenn auch keinesfalls die Ausführung, so kann möglicherweise aber die Einrichtung dieser Pflichten, deren institutioneller Verpflichtungscharakter, i n einen Schutzbereich auf verfassungsrechtlicher Höhe, also auch vor Änderungen durch parlamentarische Entscheidungen, gelangen. Die A n t w o r t hierauf w i r d wesentlich davon bestimmt werden, welchen Schutz diese demokratischen Leistungen i n anderen als parlamentarischen Verfahren genießen. 4
» Albert, Souveränität u n d Entscheidung, S. 162 m i t Verweis auf Ergebnisse der empirischen Sozialforschung. so Scheuner, Das Mehrheitsprinzip, S. 57 gegen Schmitt, Verfassungslehre, S. 280 f. 51 H.-P. Schneider, Die parlamentarische Opposition, S. 17 ff.
I V . Unvermittelter Volksentscheid Für die Auflösung der Parlamentsverantwortung gibt es vielfache Alternativen, für die es i n den Länderverfassungen teilweise praktische Beispiele gibt. Eine Verformung des parlamentarischen Charakters der Demokratie i m Bundesstaat ist deshalb von geringem Gewicht, weil die Länderparlamente aus den bekannten und beklagten föderalistischen Ursachen an Einfluß erheblich verloren haben. Nach dem Gegenstand kann das Parlament von seinen Aufgaben dreifach zurücktreten, bezüglich der Entscheidung über Gesetze, die Verfassung oder bezüglich des „Personals" der Regierungstätigkeit. Nach der Bindung der außerparlamentarischen Entscheidung läßt sich zunächst i m Überblick unterscheiden zwischen einer bloßen Konsultation und einer bindenden Abstimmung. Auch konsultative Plebiszite können dabei nicht als bloße Umfragen 1 gelten, welch letztere von Seiten der exekutiven Körperschaften und der Parteien üblich geworden sind. Verfassungsorgane, wie hier das Volk, handeln nicht nur dann organschaftlich, wenn ihren Entscheidungen eine unmittelbare Bindungswirkung zukommt 2 . So ist beispielsweise auch die Stellungnahme des Bundesrats zu Gesetzesvorlagen der Bundesregierung nach A r t . 76 Abs. 2 GG oder der Vorschlag eines Bundeskanzlers an den Bundestag durch den Bundespräsidenten nach A r t . 63 GG jeweils organschaftliches Handeln. A l l e Volksabstimmungen betreffen das Volk als demokratischen Souverän und damit i n dem i h m hieraus erwachsenden Gewicht. Nach der Antragsbefugnis sind drittens i m wesentlichen zwei Formen der Beteiligung außerparlamentarischer Kräfte zu unterscheiden. Bei der Initiative sind die außerparlamentarischen Gruppen Herr der Entscheidung über Text und Einbringung der Vorlage, beim fakultativen oder obligatorischen Referendum legt das Parlament selbst den Gegenstand des Votums fest. Die durch Typenkombination erhältlichen zahlreichen Varianten der plebiszitären Demokratie wirken i n einem später zu betrachtenden unterschiedlichen Maße, aber nach den gleichen Grundsätzen auf die Willensbildung des Volkes ein. 1
Z u deren Gewicht klassisch Hennis , Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie. 2 BVerfGE 8, 104, 114.
38
I V . Unvermittelter Volksentscheid
Gegenstand und Erfolg der tatsächlich durchgeführten „direkten" Abstimmungen waren so vielfältig, wie es die bürgerschaftlichen Begehren an staatliche Leistungen und Interventionen sind. Anliegen der Schulpolitik, der Rundfunkverfassung und der Parlamentswahl hatten i m Ergebnis Erfolg, und zum Erfolg zählt bereits das Umschwenken von parlamentarischen Mehrheitsmeinungen zu einer Zeit, wo lediglich absehbar ist, daß es Abstimmungsmajoritäten, oder, entsprechend der Sensibilität der demokratischen Beschlußfassung, beachtlichen Minderheiten 3 gelingen wird, das Verfahren i n ein fortgeschrittenes Stadium voranzutreiben. Es liegt verführerisch nahe, die Inhalte und Ergebnisse der Verfahren i m nachhinein einer ruhigen und abgewogenen Beurteilung zu unterziehen. Jeder Staatsbürger ist bei dem Urteil über die Leistung der verschiedenen A r t e n von Volksentscheiden hierzu berechtigt und aufgerufen. So weit dieses Recht des Staatsbürgers reicht, kann es aber nicht i n gleichem Umfang durch Expertise vorgeordnete Beurteilungen geben. Eine staatsrechtliche Wirkungsbeurteilung unterliegt hier engen Schranken. Der Grundsatz der Freiheit, Gleichheit und Allgemeinheit von Wahlen und Abstimmungen besitzt einen Bereich ursprünglicher Wirkungsfreiheit. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ergebnisse der Entscheide sind kaum zu erheben. Der politische Charakter des Entscheidungsstoffes realisiert sich auch darin, daß die Ergebnisse der einzelnen Entscheidung i n schwer widerlegbarer Weise i n der öffentlichen Meinung als günstig und richtig angesehen werden. Die verfassungsrechtliche Beurteilung der verschiedenen Verfahren orientiert sich so nicht an ihren Ergebnissen, sondern nur an ihren verfahrensrechtlichen Anforderungen, welche zur Verwirklichung der demokratischen Freiheiten des Bürgers getroffen sind. Für einen Dispens von diesen Gewaltenteilungsgrundsätzen ist i m folgenden nirgends ein Recht zu erkennen gewesen. 1. Willensbildung a) Tatsächlicher WiUe
Wo das Parlament seine Pflicht der Willensbildung auf andere übertragen oder an andere verlieren kann, lassen sich jene anderen nur bei schöngeistiger Betrachtung schadlos ohne genaueren Blick als „das 3 Bei dem als sehr erfolgreich eingeschätzten nordrhein-westfälischen Volksbegehren gegen die „kooperative Schule" beispielsweise weniger als 30 °/o der Stimmberechtigten, Einzelheiten bei Rösner, B i l d u n g u n d P o l i t i k , S. 33 ff.
. Willensung
39
Volk" bezeichnen. Dem dieser Vorstellung seit je sehr behilflichen hellenischen Staatsideal 4 , nach welchem sich alle Bürger auf dem Forum zur Entscheidung versammeln, steht beispielsweise eine athenische Staatswirklichkeit gegenüber, bei der i m Verhältnis zur ohnehin schon strikt beschränkten Gesamtwählerschaft, sie umfaßt wegen des Ausschlusses von Frauen und Sklaven nur eine Minderheit der Bürger, lediglich ein Bruchteil der Wahlberechtigten an den Versammlungen teilnahm, die zur Erreichung des Quorums zudem häufig durch polizeiliche Maßnahmen von anderen Plätzen und aus Tavernen zusammengetrieben werden mußten 5 . Solche praktischen Voraussetzungen sollen hier aber nicht i m Vordergrund stehen, ihre modernen Erscheinungsformen werden zunächst Sorge der legislativen und exekutiven Instanzen sein. Aus dogmatischer Sicht ist vielmehr von besonderer Bedeutung, daß selbst bei möglichen Versammlungen oder anderen Mitteln der Teilnahme die Entscheidungen nur nach Maßgabe von Antragsbefugnissen, Redeerlaubnissen, Abstimmungsgängen usw. erfolgen können, welche einen bedeutsamen Einfluß auf das Abstimmungsergebnis haben werden 6 . I n der demokratischen Massengesellschaft vermag „das Volk" u m so weniger als unschuldiges Selbst zu entscheiden, vielmehr bedarf es für Volksabstimmungen i n besonderem Maße rechtlicher Erfordernisse der Zulassung von Fragestellungen, von Quoren und Antragsbedingungen 7 , tatsächlich auch des Einflusses auf die Medien, die kein einzelner Bürger und keine Bürgergruppen ohne leistungsfähige Organisation werden erfüllen können. Diese Verbände und Interessengruppen treten für die Vorbereitung der Stimmabgabe an die Stelle des Parlaments 8 . Unvermittelte Volksentscheide besitzen so wesentliche Merkmale einer Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Es zeugt deshalb von konzeptioneller Geschlossenheit, wenn Vorschläge zur Auflösung parlamentarischer Verantwortung verbunden werden mit der Forderung nach Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Medien. Der Bürger muß den Anstrengungen der Interessenverbände gewachsen sein: Er muß die Bedeutung der Fragen, hilfsweise die A b 4 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 243. s Bowra, Classical Greece, S. 108; Dahl, Political Analysis, S. 102 f. 6 Z u A l t e r n a t i v e n u n d ihren w e n i g befriedigenden Ergebnissen H. Schneider, Volksabstimmungen, S. 169 ff.; grundsätzlich Rödding / Nachtkamp, Mechanismen der sozialen Wahl. 7 Für Österreich siehe A r t . 41 I I Bundes-Verfassungsgesetz, sowie §§ 3 ff. des Volksbegehrensgesetzes v o n 1973; für die Schweizer Bundesverfassung A r t . 89 I I I , 90, A r t . 3 ff. Bundesgesetz betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze. » Vgl. dagegen noch Fleiner, Bundesstaatsrecht, S. 317; ähnlich W. Weber, Spannungen u n d Kräfte, S. 22.
40
I V . Unvermittelter Volksentscheid
sichten der Verbände kennen 9 und i n der Lage sein, Zeit für die höchstpersönliche Willensbildung wie für den Urnengang aufzubringen 10 . „Das Volk hat entschieden" w i r d man auch nach jenen Verfahrenshindernissen ausrufen können, es gibt kein gefahrloses, von Sondereinflüssen freies demokratisches Entscheidungsverfahren. Gegen die parlamentarische Entscheidung gewendet, muß ein solcher Ausruf hier aber das erste Mal bezweifelt werden. b) Integration der Anschauungen
Die parlamentarische Pflicht der Willensbildung des Volkes verliert eine institutionelle Sicherung, wo die Vertretungspflicht des Abgeordneten abgelöst ist durch Voten nach anderen Regeln. Selbst lediglich konsultative „Volksbefragungen" müssen den Entscheidungsstoff weitgehend entpolitisieren. Wo eine gewählte Parlamentsmehrheit entscheidet, ist es Aufgabe und Interesse der parlamentarischen Opposition, diese Entscheidungen an alternativen Lösungen zu messen und solche i m Bewußtsein der Öffentlichkeit wachzuhalten 11 . Ohne Verantwortung der Regierungsmehrheit kann weder deren Rede, noch die Gegenrede der Opposition gedeihen, i m demokratischen Wettstreit zwischen parlamentarischer Mehrheit und Minderheit kann allenfalls benachteiligt werden, wer zu Themen von Initiativen deutliche eigene Stellungnahmen abgibt. Es ist wohl nicht nur Überlieferung, wenn i n der Schweiz, als dem klassischen Land der direkten Volksbefragungen, seit langer Zeit eine (nahezu) Allparteienregierung die Exekutivgewalt besitzt, welche an Größe die bundesrepublikanische „Große Koalition" merklich übertrifft. Eine Überzahl von Entscheidungen zum Treibenlassen von Problemen w i r d auch hier festgestellt, sie ist der gemeinsame Nenner für Ordnungen ohne wirksame Vorkehrungen zum Konflikt 1 2 . Organisierte Gruppen, die einen Abstimmungsakt initiieren, haben keine Pflicht, die Verträglichkeit der von ihnen aufgestellten, meist populären Forderungen m i t anderen, meist ebenso populären Forderungen zu besorgen. Hierauf kann sich auch die behördliche Rechts9 Nach einer Untersuchung votiert der Schweizer Stimmbürger zu einem hohen Prozentsatz für die Alternative, gegen die er sich m i t seinem S t i m m akt zu wenden beabsichtigte, so Riklin, Stimmbeteiligung i n der direkten Demokratie. 10 Z u den Ursachen des inzwischen dramatischen Absinkens der S t i m m beteiligungen i n der Schweiz Riklin, a.a.O. 11 H.-P. Schneider, S. 102, 375 ff.; zur Leistung von Ordnungen m i t i n s t i t u tionalisierten K o n f l i k t Luhmann, Konflikt u n d Recht; zum institutionalisierten Konflikt als Voraussetzung demokratischen Einflusses Schattschneider, The Semisovereign People, S. 87 f. 12 Lendi, Konsens, S.497; Neidhart / Hoby, Ursachen, S. 8 f.
. Willensung
41
kontrolle i n den Zulassungsverfahren nicht erstrecken. Einseitige Problemsichten, deren Verwirklichung zu längerfristigen Nachteilen führt, treffen keinen institutionell Verantwortlichen; die Bürgervereine usw., welche Träger der Begehren waren, sind ansonsten bei Eintreffen der Nachteile häufig bereits aufgelöst oder mit einem anderen Begehren als „Firma" neu gegründet. c) Einfluß auf Frageformulierung
Eine Entpflichtung der Parlamente auf dem Gebiet der Willensbildung kann zu weniger Rechten des Bürgers schließlich deshalb führen, weil Fragebeantwortungen i n hohem Maße von Frageformulierungen abhängig sind 1 3 . Die Verantwortung des Parlaments betrifft deshalb nicht nur die Entscheidungsergebnisse, sondern auch die Auswahl und Formulierung von Themen für parlamentarische Entscheidungen. Bei festliegenden Bürgeransichten lassen sich durch Variationen i n der Frageformulierung unterschiedliche Befragungsergebnisse erzielen. Die Eingeschlossenheit des Bürgers i n eine Ja/Nein-Alternative bei dem außerparlamentarischen Stimmakt droht vollständig zu werden durch seine Auslieferung an die Fragen formulierende Bürgergruppe 1 4 . Bei Abstimmungsakten ist es regelmäßig nur möglich, „auf bestimmte Fragen vorbehaltlos und unmotiviert mit ja oder nein zu antworten" 1 5 . Die Initiativgruppe muß wiederum beachten, zur Überwindung des Quorums stimulierende, unmittelbar eingängige, also schlichte Formulierungen zu finden, welche sachnotwendig die Entscheidungsprobleme sehr vereinfachen, dabei aber nicht notwendig ein wirkliches Verständnis erleichtern. Die behördliche Kontrolle der Fragenformulierung muß sich auf erkennbare Täuschungen beschränken. Für den Parlamentswahlkampf, vor allem dessen letzter Phase, läßt sich freilich auch kaum jemals behaupten, daß etwaig bestehende Programmunterschiede der Kandidatengruppen i n einer für jedermann ersichtlichen Deutlichkeit herausgearbeitet sind. Der tobende Kampf w i r d beispielsweise inszeniert zwischen den Prinzipien „Frieden" und „Freiheit". Aber i m unvermittelten Volksentscheid sind die schlichten Gegensätze nicht mehr nur, wie beim Parlamentswahlkampf, Formeln, die dem Wähler des späten Entschlusses eine Formulierungshilfe zur Begründung vor sich selbst oder seinem Bekanntenkreis zu geben bestimmt sind. Der auf vielerlei Gründen, Einstellungen und Erfahrungen beru13 Weinberger, Abstimmungslogik, S. 609, 619 ff.; H. Schneider, Volksabstimmungen, S. 169; Schmitt, Volksentscheid, S. 36 f. i* Für die römischen Verhältnisse Mommsen, Römisches Staatsrecht, S. 304. Den Unterschied zur W a h l verkennt Schmitt, Verfassungslehre, S.240, 277. is BVerfGE 8, 104, 112.
42
I V . Unvermittelter Volksentscheid
hende Entschluß des Wählers — von dieser differenzierten Natur des Wahlentschlusses geht nicht nur die Verfassungsordnung der Demokratie, sondern für ihren Bereich auch die empirische Wahlsoziologie aus 16 — w i r d nicht nur i n allseits verfügbare und verständliche, schnell i n das hitzige Kollegen- oder Freundesgespräch zu werfende Formeln gekleidet, zu deren Deutung sich jede u m wirklichen Erfolg kämpfende Gruppierung passiver Wähler aber eingehender, professioneller Mühe zu unterziehen haben wird. I m Stimmenkampf der Volksabstimmung sind solche zwingend vereinfachenden Fragen nicht nur letzte Pointe i n einer Auftragsbewerbung, sondern sie werden der zu einem Punkt geschrumpfte Auftrag selbst. Sie sind nicht mehr nur i n schlichte Worte gefaßte, i n ihrem Erfolg von differenzierten Erfahrungen abhängige Bewerbungen, sondern sie sind schlichte Bewertungen, die alsbald i n Gesetzesförmigkeit erstarren und die Parteien, erst recht die initiierenden Gruppen von der mühseligen Kleinarbeit der verantwortungsvollen Grundsatzkleinarbeitung befreien. Bei C. Schmitt findet sich dieser Wesenszug der Volksabstimmung i n berühmt und leider wohl auch einflußreich gewordenen Wendungen trefflich beschrieben 17 . Die Stimmabgabe ist richtig als Akklamation bezeichnet, welcher Wesenszug jeden, gerade auch des despotischen Staates sei. Das Volk dient hier als Kulisse für Vorführungen einzelner Herrscher, welche sich zwar vor dieser bewähren müssen, aber nicht als deren Diener i n vielfachen demokratischen Pflichten. Das Volk ist ein reduzierter, bipolarer Apparat der Akklamation: Es „ruft hoch oder nieder, jubelt oder murrt, schlägt m i t den Waffen an den Schild, erhebt auf den Schild, sagt zu einem Beschluß m i t irgendeinem Worte ,Amen' oder verweigert diese Akklamation durch Schweigen". Der Autor w i l l all dies als „reine Demokratie" ansehen, weil er zwar die anspruchsvolleren Regeln der Bürgerberücksichtigung bei Wahlen genau erkennt, sie dann aber zu einem „liberalen I r r t u m " erklärt. M i t der repräsentativen Verfassung der Demokratie des Grundgesetzes ist dieser I r r t u m über 30 Jahre Grundlage unseres Staatslebens. Es ist das Verdienst der repräsentativen Ordnung, eine institutionell verankerte Verantwortung gegenüber dem Bürger nicht nur für die gefundenen Antworten, sondern bereits für die gestellten Fragen geschaffen zu haben 1 8 . Hierin zeigt sich auch, daß eine „Parteienmüdigkeit" von Bürgern i n einer pluralistischen Demokratie zunächst keine Krisenerscheinung des Parlamentarismus ist, die konstitutioneller AbVgl. die i n Political Science Quarterly Werke. 17 Schmitt, Volksentscheid, S.34f. i« Weinberger, Abstimmungslogik, S. 621.
1978, S. 624 ff.
besprochenen
2. Meinungsberücksichtigung
43
hilfe bedarf, sondern ein ordnungsgemäßes, ständiges Element des A n sporns für die Parteien zur Suche nach besseren Lösungen. Die Gefahr der Entfremdung des Bürgers kann von außen nur zusammen m i t der Chance zur Annäherung beseitigt werden. Die Privatisierung der Parlamentsarbeit beendet das Pflichtige politische Bemühen u m einen Brückenschlag zwischen der individuellen Welt der Vorstellung und der Welt sozialer Möglichkeiten. Klagen des Bürgers haben i n Parlament und Parteien keine selbstverständliche Adresse mehr und werden — nach berechtigter Erwartung — dann seltener erhoben 19 . Das mag einen Beobachter erleichtern oder belasten. Eine positive Verbindung zum grundgesetzlichen Demokratieprinzip läßt sich hieraus aber schwerlich herstellen. 2. Meinungsberücksichtigung a) Anliegengewichtung
„One man, one vote" ist ein demokratisches Prinzip, das sich i n seinem Grundsatzcharakter für die westlichen Demokratien kaum mehr weiter rechtfertigen muß. Hinzu t r i t t jedoch die Aufgabe, die Bedeutung der Stimmabgabe des Bürgers nicht fahrlässig i n ihrer W i r kungskraft zu schmälern. Diese Aufgabe setzt noch vor Problemen der Abwägung verschiedener Bürgerinteressen ein. Sie zielt zunächst auf die Bemühung, nicht durch inkompetente Verfahrensordnungen Konsensmöglichkeiten zu vergeben, welche innerhalb divergierender Bürgerinteressen bestehen. „Jeder K u l t von Inkompetenz kann zur Katastrophe führen" ist hier zu gegebener Zeit gewarnt worden 2 0 . Der Systemanalytiker spricht dabei von dem Pareto-Prinzip. M i t i h m w i r d nach einer Regel der Willensbildung gesucht, welche einzelne Bürgeranliegen besser verwirklicht, ohne irgendeinen anderen Bürger dadurch zu benachteiligen 21 . Das Prinzip trägt insofern ökonomischen Charakter, als es innerhalb jeglichen Verzichts auf Bewertungen der einzelnen Anliegen operiert. Dies macht es geeignet, innerhalb einer rechtswissenschaftlichen Bewertung von Wahlverfahren verwandt zu werden, denn die Rechtswissenschaft muß es sich wegen des Gleichheitsgrundsatzes i m Wahlrecht hier ebenso versagen, die Stimme des einzelnen Bürgers wertend zu gewichten. I n der repräsentativen Demokratie ist die Suche nach einem ParetoOptimum mittels der Einrichtung von Parlamenten zur institutionellen 19
Neidhart / Hoby, Ursachen der Stimmabstinenz. 20 Lindblom, 1947. 21 Albert, Marktsoziologie, S. 64; Boulding, Economics, S. 80.
44
I V . Unvermittelter Volksentscheid
Pflicht des demokratischen Prozesses gemacht 22 . I n diesem sollen die zahlreichen Einzelanliegen des Bürgers auf der Basis eines gleichen jeweiligen Gesamtgewichts i n wechselseitigen „Handel" und dadurch zu einem besseren Ausgleich gebracht werden. Für Abstimmungen über Einzelfragen gilt hingegen: „Applying the strict Pareto-rules for determining whether one social situation represents an improvement over another, almost any system of voting that allows some such exchange to take place would be superior to that system which weights all preferences equally on each issue 23 ." I n der direkten Abstimmung gibt es keine Einrichtung zur Sicherung wohlfahrtsfördernder Kompromisse 24 . Daß Parteien und Parlamente Verfassungsinstitutionen sind, u m den Willen jeden Bürgers i m staatlichen Leben stärker zur Geltung zu bringen als i n der unvermittelten Abstimmung, fällt bei der Handgreiflichkeit eines Abstimmungsaktes schwer sich vorzustellen. Und doch sinkt m i t der Zunahme von Abstimmungsakten die staatliche Aufnahmefähigkeit für das Bürgeranliegen 25 . Auch ein überwiegend i n der erfolgreichen Gruppe stimmender Bürger w i r d sich durch ein solches Verfahren benachteiligt sehen. Die Abstimmungsdemokratie erzielt mehr formelle Entsprechung von Bürgervotum und Staatsdirektiven u m den Preis geringerer materieller Übereinkunft von Bürgeranliegen und Staatshandeln 26 . I n einer Hinsicht kann jedoch auch i n der Abstimmungsdemokratie eine Anliegengewichtung stattfinden. Wie i n der Schweizer Abstimmungsdemokratie zu beobachten ist, werden sich einfache Zulassungsvoraussetzungen für die Volksabstimmung dahin auswirken, daß häufig nur noch der besonders betroffene Bürger an den Voten teilnimmt. Der allgemeine Staatsbürger w i r d durch die Vielzahl der gestellten Fragen überfordert, und das organisierte Partikularinteresse kann unter sich entscheiden. Anders als bei der parlamentarischen Rücksicht auf besondere Betroffenheit fehlt hier aber die Pflicht zur Rücksichtnahme auf eine dauernde Gemeinverträglichkeit, die parlamentarische Ergebnisverantwortung, i n welcher sich die einzeln geringfügigen Maßnahmen zu einer repräsentativen Gesamtverantwortlichkeit summieren. So gelten für Abstimmungsakte weit ermäßigte Gebote der Rücksichtnahme. Es gilt nicht mehr „one man, one vote", w o r i n der 22 Downs , Economic Theory, S. 52 ff.; Lindblom, Intelligence of Democracy, S. 141. 23 Buchanan / Tullock, The calculus of consent, S. 132 f. 24 Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, S. 666; siehe hierzu das „Gefangenendilemma" der mathematischen Spieltheorie, Luce / Raiffa, Games and Decisions, S. 94 ff.; Rapoport, Fights, Games and Debates, S. 173 ff. 25 Frey, Politische Ökonomie, S. 16 f.; Weinberger, Abstimmungslogik, S. 619. 26 Vgl. Lendi, Konsens, S. 493.
2. Meinungsberücksichtigung
45
ganze Bürger m i t allen Anliegen Platz hat, sondern nur noch „one issue, one vote". b) Rechtzeitigkeitserfordernis
I n der unvermittelten Abstimmung bleiben die staatlichen Gewalten auch ohne Rechenschaftspflicht für die Rechtzeitigkeit ihrer Maßnahmen. Bei fehlender institutioneller Verantwortung gibt es keine Pflicht zum Einstehen für eine Fragenformulierung. M i t der freien Veränderbarkeit der Fragenformulierungen lassen sich aber ständig veränderte Mehrheitsgruppen bilden, so daß eine alte Mehrheit alsbald durch eine anders zusammengesetze Mehrheit zu überstimmen ist und dies i n durchaus gewöhnlichen Fällen i n einem nicht endenden, zirkulierenden Prozeß sich überholender Entscheidungen 27 . Keine der konkurrierenden Koalitionen w i r d dabei durch eine plausible Regel i m Interesse der gesamten Bürgerschaft auf den Verzicht gerade des Votums zu verpflichten sein, bei dem sie als nächste i n der Abfolge der Durchsetzung stünde 28 . Praktisch w i r d dieser Regreß lang, aber nicht unendlich sein, weil der Bürger seine Aufmerksamkeit noch anderen als Referendumsfragen w i r d zuwenden müssen und weil nicht allen Bürgern die gleichen außerparlamentarischen Organisationsfähigkeiten zu Gebote stehen. Wiederum w i r d es wahrscheinlich, daß sich diejenigen Bürger durchsetzen werden, die dem politischen Streit mehr Freizeit, Interesse oder Mittel der Selbstorganisation zuwenden können, was verschieden ist von der i n der parlamentarischen Demokratie besonders berücksichtigten unterschiedlichen Betroffenheit des Bürgers 2 9 . Die zeitliche Verantwortung des Gesetzgebers muß ohne gewählte Parlamente nicht nur für den rechtzeitigen Erlaß neuer Gesetze erlöschen, sondern auch für das Fortbestehen älterer Gesetze verliert der Bürger an demokratischem Einfluß. Bestehende Gesetze drohen zu Petrifakten zu werden, weil sie nur durch positive Vereinigungen des Bürgerwillens zu konkreten Änderungsvorschlägen aufhebbar sind. Den jeweiligen Entwürfen der Interessenverbände wird, wo die Absichten erkennbar sind, die Bevölkerung häufig ihre Zustimmung versagen. Damit muß sie mit ihrer Stimme aber zugleich das Bestehen27 Z u den praktischen Verhältnissen i n Österreich vgl. den Bericht i n Süddeutsche Zeitung v o m 11.5.1982; für die Schweiz Lendi, Konsens, S.493. Vgl. bereits Schmitt, Verfassungslehre, S. 278 ff.; E.Siéyès spricht i n seiner Rede v o m 20. J u l i 1795 hier von der Gefahr, daß die Bürger dauernd i n einem politischen B i w a k leben müßten. Grundsätzlich Bucheli, Direkte Demokratie; Meier / Riklin, V o n der Konkordanz; zum exakt-theoretischen Nachweis Frey, Ansätze zur politischen Ökonomie, S. 13 f. 2« Rae, Entscheidungsregeln. 20 Oben I V . 2. a).
46
I V . Unvermittelter Volksentscheid
bleiben des bisherigen Zustands befürworten, auch wenn dieser Zustand selbst wiederum als abhilfebedürftig erscheint. Interessenausgleichende, relativ beste Vorschläge werden nicht entworfen und stehen nicht zur Abstimmung. Ein dem Wähler verantwortlicher Parlamentarier kann sich nach seinem Sprichwort ausrichten, daß bei allseitigem Protest der Gruppen über Gesetzesänderungen der gerechte Ausgleich durch eine relativ vorzugswürdige Lösung gefunden ist. Allseitiger Unmut i n der unvermittelten Demokratie führt jedoch zum automatischen Fortgelten früherer Problemlösungen. Unmut ohne Adressaten ist nutzlos und w i r d nach einiger Zeit zum Rückzug des Bürgers von der Teilhabe am Staat führen. Der Bürger begibt sich auf „direktem" Wege auch für die zeitliche Verantwortung der Gesetzgebung seines demokratischen Einflusses 30 . 3. Willensverantwortung
a) Ergebnisverantwortung I n einem Lehrbuch zur Allgemeinen Staatslehre 31 ist bei der Behandlung des Repräsentativprinzips ein Bürgersprichwort festgehalten. A u f die Frage an einen Bürger nach seiner Stimme zu einem gegenwärtigen politischen Problem antwortet dieser schalkhaft, eine Stellungnahme sei i h m leider nicht möglich, weil er seine Stimme bei der letzten Wahl bereits abgegeben habe. Die Wahrheit dieses Wortes muß indes zunächst für alle Stimmabgaben gelten; nicht allein für Wahlen, sondern auch für Abstimmungen. Bei genauerem Hinsehen gilt das Wort aber schwerlich für Wahlen, denn i m Parlament soll eine verlorene Wahl zur Übernahme der Oppositionsaufgabe, nicht zu resigniertem Schweigen führen. Das Volk hat entschieden, aber derart, daß auch das Wort von Minderheiten gegenwärtig und von gesicherter Bedeutung bleibt 3 2 . Darin w i r d zu Recht Menschlichkeit wie Vernunft der demokratischen Ordnung gesehen 33 . Dagegen rückt die Staatsgewalt nach unvermittelten Abstimmungen nicht i n das Zentrum oppositioneller und öffentlicher K r i t i k . Unvermittelte Abstimmungen führen zu staatlichen Ausführungspflichten 30 Lendi, Konsens, S. 488; Weinberger, Abstimmungslogik, S. 621. 31 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 I I I 1. 32 Z u r Willensverantwortung der Mehrheit gerade gegenüber der Opposit i o n Friedrich, Representation, S. 124. Über den bis über den Ausgang des Mittelalters einfluß reichen germanischen Gedanken einer Unterwerfungspflicht von Minderheiten auch i m eigenen W i l l e n nach verlorenen A b s t i m mungen berichtet Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 24 f. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 18 ff.; Luhmann, K o m plexität u n d Demokratie, S. 40.
3. Willensverantwortung
47
ohne politische Ergebnisverantwortung* 4 . Ein Wort von Rottecks w i r d hier anwendbar, auch wenn dieser selbst damit die demokratische Einrichtung des Parlaments treffen wollte 3 5 : „Der Gesamtheit mag auch das volo quia volo zur rechtskräftigen Begründung ihres Entschlusses dienen; denn da sie nur über sich selbst verfügt, erscheint ihr Wille nicht bloß als Beweis, daß sie den Gegenstand für gut halte, sondern er macht solchen Beweis auch überflüssig, weil volenti non fit iniuria." Bedingungen und Differenzierungen, unter denen der Bürger sein Wort verstanden wissen wollte, bleiben bei und nach der Abstimmung ohne aufnehmende Adresse, weil über die gesamte Sache, nicht über einen zur Sensibilität verpflichteten Vertreter entschieden ist. Bei neuen Lagen oder Erkenntnissen gibt es keinen Austausch mehr zwischen Staat und Bürger, nur die ungesicherte Chance von gesellschaftlichen Organisationen i n einem weiteren Entscheid erfolgreich zu sein. Konsultative Volksbefragungen w i r k e n i n einer verfassungspraktischen Betrachtung i n dieselbe Richtung. Das Parlament kann von dem Entscheidungsergebnis abweichen oder es zu späterer Zeit korrigieren. M i t der Notwendigkeit, dies dem Wähler als Erfüllung seines eigenen Auftrages zu verdeutlichen, werden aber wohl die Kräfte der repräsentativen Institution überansprucht b) Mehrheitsprinzip
Das demokratische Mehrheitsprinzip erhält bei unvermittelten Volksentscheiden ein neues Gesicht. Die durch die Wahl repräsentierender Vertreter geschaffene Pflicht der politischen Instanzen zur Suche nach den mehr als mehrheitlichen, dem weitestgehenden Ausgleich der Bürgeranliegen, w i r d zusammen m i t der Institution verdrängt. Die Durchsetzung einer politischen Lösung w i r d erreicht durch die Stimmen einer einfachen Mehrheit. Darüber hinausgehende Anforderungen, wie sie Gegenstand des parlamentarischen Wettstreits sind, wären für den wirtschaftlich kalkulierenden Petenten, und eine große Zahl von Initiativgruppen können und müssen wirtschaftlich kalkulieren, Vergeudung von Ressourcen. Minderheiten werden bei der Suche nach Problemlösungen definitiv und ohne weiteren Schaden von der Berücksichtigung ausgeschlossen. Die konkurrierende Suche nach einem Ausgleich i n einer optimierenden Gesamtlösung, das Zurückstehen i n diesem Moment, u m bei der dem Bürger jeweils wichtigeren anderen Frage vorangestellt zu werden, Lösungen i n einem größeren Zusammenhang, werden durch die Auftrennung der politischen Ordnung i n 34 Zacher, Freiheitliche Demokratie, S. 18 ff. 35 von Rotteck, Ideen über Landstände, zitiert nach Reuss, Repräsentativverfassung, S. 25.
48
I V . Unvermittelter Volksentscheid
Einzelaspekte unmöglich gemacht 36 . Der Bürger kann nicht durch Verzicht an dieser Stelle auf Kompensation an bereiter Stelle dringen. Sein Interesse w i r d jetzt oder überhaupt nicht zur Geltung gebracht. Was auf der Waagschale der Abstimmung leichter wiegt, verliert seinen Charakter des politischen Belangs. Das Mehrheitsprinzip der unvermittelten Abstimmung t r i f f t so nicht nur den i n der Minderheit bleibenden Wahlbewerber oder die unterlegene Partei m i t ihren Lösungsvorschlägen, sondern unmittelbar den Bürger mit seinen Anliegen 37 . c) Freiheit der Willensbildung
Die i n A r t . 5 Abs. 1 GG niedergelegte Freiheit der Meinungsbildung enthält i n seiner unverändert bedeutsamen traditionell-liberalen Bedeutung ein Staatsabwehrrecht. Das autonome Individuum soll einen Schutz seiner ursprünglichen Betätigung genießen, welche Bestandteil seiner Persönlichkeitsverwirklichung ist. Der Verzicht auf den Einbezug von Wirkungsbeurteilungen besaß und besitzt freiheitssichernden Charakter, indem er eine relativierende Beurteilung aus der Sicht von angenommenen Gemeinschaftserfordernissen weitgehend ausschließen soll. Besonders mit der Ablösung des liberalen Nachtwächterstaats durch den fürsorgenden und planenden Staat, welcher i n vielfältiger Weise i n den Dienst von Bürgeranliegen gestellt ist, gewinnt die Freiheit der Meinungsbildung und Meinungsäußerung neben ihrer staatsabwehrenden Komponente i n hohem Maße eine zusätzliche Aufgabe. Sie zielt nunmehr auch auf die Möglichkeit des Bürgers, an der demokratischen Willensbildung teilzuhaben. Die Meinungsfreiheit soll den Staat nicht mehr nur abwehren, sondern dem Bürger auch die Möglichkeit geben, auf den Staat positiv einzuwirken 3 8 . Von einer institutionellen Komponente des A r t . 5 Abs. 1 GG w i r d dabei insofern zu sprechen sein, als es i n einer staatlichen Gemeinschaft von Millionen von Bürgern institutioneller Vorkehrungen bedarf, u m das Wort des einzelnen wirksam aufzunehmen. Die Auswirkungen dieser institutionellen Komponente von A r t . 5 Abs. 1 GG auf Forderungen zur Organisation von Presse, Rundfunk und Fernsehen ist Gegenstand eines heftigen Streits. Dagegen sind Parlament und Regierung als letzte Adressaten der Äußere Zum Verhältnis von Zeit und institutionellem Befriedigungspotential Luhmann, Vertrauen, S. 63; Parsons, Some Reflections on the Place of Force, S.363 7 ff. mit der Parallele zu einem Währungszusammenbruch.
Verkannt v o n Expertenkommission, Bericht, S. 132 f., wo umgekehrt das Mehrheitsprinzip des Parlamentarismus als ungeeignet für gesellschaftlichen Pluralismus vorgestellt w i r d . 38 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 243 ff.; Herzog i n Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetz, A r t . 5, Rdnr. 4 f.
3. Willensverantwortung
49
rungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG nicht angezweifelt. Ihr Einbezug w i r d verfassungsrechtlich untermauert durch das demokratische Prinzip, dessen Anforderungen sich an die Staatsgewalten richten. Eine solche Sicherung des Bürgereinflusses auf die staatliche Willensbildung i m Rahmen des A r t . 5 Abs. 1 GG setzt grundlegend die Verschiedenheit von Staat und Bürgergemeinschaft voraus 39 . Wo sich die Volkswillensbildung außerhalb des Staates vollzieht, Gesetzesnovellen i n privaten Vereinen oder Gruppierungen entworfen und eingebracht werden und Parlament und Staat nur noch die Aufgabe formeller Ratifikation verbleibt, verliert die demokratische Äußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG seinen Adressaten. Sie besitzt i n den Parlamenten nur noch ein formales, lebloses Gerippe und kann allein seine ursprüngliche Bedeutung als liberales Recht persönlichkeitsbezogener, offener Meinungsinnehabung bewahren. Angesichts der bestimmenden teleologischen Interpretation 4 0 der Äußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG gefährdet die Privatisierung der Parlamentsarbeit dieses Grundrecht auf erhebliche Weise.
Böckenförde, Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft. Z u r p r a k tischen Anerkennung dieser Tatsache treffend Schäfer, Der Bundestag, S. 16 f. Herzog, Rdnr. 9. 4 Greifeid
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen Der Ausfall von Parlamentsleistungen, den Volksentscheide aus funktioneller Betrachtung der Verfassungsinstitutionen herbeiführen, wurde bisher dargelegt aus der Sicht eines grundsätzlichen Vergleichs. Mischtypen der demokratischen Willensbildung wurden bislang nicht eingehender untersucht. Es sind aber derzeit wieder verstärkt Vorschläge i m Schwange, und es gibt bereits i n einzelnen Länderverfassungen Beispiele zu Formen unvermittelter Demokratie, welche einen Erfolg i n einer Verzahnung von Abstimmungen und Parlamentsverantwortung versuchen. Lassen sich durch eine differenzierte Verbindung von unvermittelter und vermittelter Demokratie etwa die Vorteile der letzteren wahren, ohne auf die Einführung der ersteren verzichten zu müssen? Eine genauere Betrachtung der verschiedenen Volksentscheidsformen zusammen mit den den Parlamenten eignenden rechtsstaatlichen und demokratischen Organleistungen w i r d hierauf eine A n t w o r t geben können. Maßgebend für die vielfältigen Gestaltungsformen von Volksentscheiden ist erstens die Initiativkompetenz, also die Frage, wer und unter welchen Bedingungen zur Einleitung einer unvermittelten Willensbildung zuständig ist (unten 1.). Ebenso grundlegend für die Formenkunde ist die Frage, welcher gegenständliche Teil der parlamentarischen Zuständigkeiten an das andere Willensbildungsverfahren abgegeben ist (unten 2.). Schließlich scheint es, jedenfalls zunächst, von Bedeutung, welche ΒindungsWirkungen Volksentscheiden beigegeben sind (unten 3.). Begrifflich ist zwischen dem „Volksbegehren" und dem „Volksentscheid" zu unterscheiden. Das „Volksbegehren" ist i n der auf rechtliche Bindungswirkung h i n konzipierten Dogmatik das Zulassungsverfahren zum Abstimmungsverfahren des „Volksentscheids", dessen Ergebnis formell bestimmenden Charakter hat 1 . 1. Organschaftliche Initiativkompetenz a) Radikales Plebiszit
Der weitestgehende Rücktritt von Parlamentsaufgaben w i r d i n dem überschriebenen Bereich durch die Initiativkompetenz außerparlamentarischer Gruppen erreicht. Zur Annäherung der Terminologien soll in1 Vgl. A r t . 73 I I I W R V .
1. Organschaftliche Initiativkompetenz
51
soweit von der »Initiative' gesprochen werden, i m Gegensatz zum Referendum, wo parlamentarische Entwürfe zur Abstimmung gestellt werden 2 . Die Initiative darf nicht i m Sinne der Institutionalisierung einer „außerparlamentarischen Opposition" verstanden werden, welche sich gegen das Parlament und ihre Parteien richtet. I n der praktischen Mehrzahl der Fälle sind es vielmehr i m Parlament selbst vertretene Parteien, die sich des Volksentscheids als verlängerten, freieren Arms zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen bedienen oder die ihre Anliegen i n dieser Form durch nahestehende Verbände bedienen lassen. Dies als „Flucht aus dem Parteienrecht" anzusprechen, würde nach Einführung einer solchen Initiativenkompetenz des „Volkes" wenig praktikable Abhilfe versprechen. Es wäre dabei an ein Verbändegesetz zu denken, welches indes schnell mit der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) i n Konflikt geraten könnte, weil es nicht nur, wie immer wieder erörtert, die Kontrolle der Verbandseinflüsse auf die Parlamente, also die Kontrolle von Lobbies, sich zur Aufgabe machte, sondern schlechthin Verbandsverbindungen i m gesellschaftlichen Bereich zu überwachen hätte 8 . Diese Bedenken gelten auch noch dann, wenn andererseits zuzugeben ist, daß die Kontrolle, denen die Parteien aus verfassungsrechtlichen Gründen unterliegen, auf deren Aufgabe gründet und es insofern folgerichtig wäre, wenn der Aufgabenübertragung ein entsprechender Übergang der Kontrollvorkehrungen folgte. Als radikaler Form der Abgabe von Parlamentskompetenz führt ein radikales Plebiszit zu den Wandlungen der demokratischen Willensbildung, wie sie grundsätzlich bereits niedergelegt wurden (vgl. oben III., 4.). Die parlamentarischen Pflichten bei Willensbildung, Meinungsberücksichtigung und Willensverantwortung sind beseitigt. Insofern findet hier auch kein Versuch der Verzahnung von Repräsentationsleistungen m i t Abstimmungsverfahren statt. Eine nähere Untersuchung verdient das radikale Plebiszit aber deshalb, weil die Gatter vor dem Einbruch i n den parlamentarischen Verantwortungsbereich unterschiedlich hoch gezogen sein können.
(1) Daß es vor einer „Befragung des Bürgers" zur Vermeidung von Mißbrauch noch immer erhebliche formelle Erfordernisse geben muß, w i r d angesichts der Terminologie von „direkter Demokratie" u. a. i n erstaunlicher Selbstverständlichkeit angenommen. I n keiner länder2 Vgl. Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 19, Schmitt, Verfassungslehre, S. 260. 3 Siehe Meessen, Erlaß eines Verbändegesetzes, S. 19 ff.; Schmitt, Volksentscheid, S. 7; grundlegend Böckenförde, Die politische F u n k t i o n der V e r bände, insbes. S. 471 ff.
4*
52
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
staatlichen Volksentscheidungsregelung darf ein Bürger vor den staatlichen Gewalten ungefragt auf die Beachtung seines Wortes dringen. Immer ist es „der" Bürger, worunter i m Unterschied zu staatlichen i m doppelten Wortsinn stattliche Organisationen verstanden werden dürfen. Als erste beträchtliche Hürde ist für sie das gesetzliche Erfordernis der Zulassung als Begehren zu nehmen, wozu ein Antrag mehrerer tausend Bürger erforderlich ist 4 . Es zählt zu den Rechtstatsachen, daß ohne freies Büro mit bereiter Schreibkraft dies kaum jemals erfolgreich unternommen wurde. Nach gelungener Zulassung des Begehrens ist ein erstes Zwischenstadium erreicht. Das Begehren muß nunmehr eine Mindestanzahl von positiven, gültigen Stimmabgaben der wahlberechtigten Bürger erreichen. Ausnahmsweise sind dies i n Bayern 5 nur Vio und i n Baden-Württemberg 6 Ve der Stimmberechtigten, i n Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und i m Saarland 7 aber V5 der stimmberechtigten Bürger. Weigert sich das Parlament einem erfolgreichen Begehren durch die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes zu folgen, so muß als zweite Hürde der Erfolg bei der Abstimmung über das Begehren genommen werden. I n wohlbedachter Verschiedenheit von den Abstimmungsregeln der Parlamente, wo bei Gesetzesbeschlüssen meist die einfache Mehrheit der Abstimmenden ausreichend ist 8 , bedarf es für den Erfolg von Initiativen zumeist qualifizierter Mehrheiten. Diese Qualifikationen können bereits an die Beteiligung knüpfen, so wenn zum Erfolg der Abstimmung eine Beteiligung der Mehrheit der Stimmberechtigten verlangt w i r d 9 . Die hindernden gesetzlichen Vorkehrungen können zum zweiten bei den Zustimmungserfordernissen getroffen sein, so wenn nicht nur die Mehrheit der Abstimmenden, sondern auch die Mehrheit der Stimmberechtigten einer Initiative zustimmen muß 1 0 . Gemilderte, wenn auch immer noch besondere Anforderungen an die Zustimmung werden gestellt, wenn die zustimmende Mehrheit zugleich einen gewissen Mindestanteil der Stimmberechtigten ausmachen muß 1 1 . 4 I m plebiszitfreundlichen Bayern g i l t z. B. das Erfordernis v o n 25 000 gültigen Stimmen gem. A r t . 70, 71 Landeswahlgesetz i. Vbdg. m i t §§ 77 ff. Landeswahlordnung. 5 A r t . 74 I B V . β A r t . 59 I I 2. b w L V e r f . 7 A r t . 70 I bremLVerf.; A r t . 124 11 hessLVerf.; A r t . 109 I I I rhpfLVerf.; A r t . 99 I I 3. saarlLVerf. « Für den Bundestag A r t . 42 I I GG. β Siehe A r t . 72 I bremLVerf. 1« A r t . 63 I I I 3 bwLVerf.; A r t . 72 I I 1 bremLVerf.; A r t . 129 I 2. A l t . r h p f LVerf.; A r t . 100 I I I saarlLVerf. Daß die Plebiszite Verfassungsänderungen zum Gegenstand haben, vermag diese Art der Qualifizierung nicht zu deuten. 11 A r t . 60 V 2 bwLVerf.: Vs der Stimmberechtigten.
1. Organschaftliche Initiativkompetenz
53
(2) So bedeutsam Abstimmungsquoren für die parlamentarische Arbeit sind, so wenig gelangen sie doch aus dem Aspekt einer Verschonung der Bürgerschaft vor nicht nachgefragten Fragen und der Parlamente von zeitlichem Entscheidungsdruck hinaus und hinein i n den Bereich einer Verzahnung von Parlamentsleistung und Volksentscheid. Die Verantwortungslücke für die Wahl von Entscheidungsgegenstand und Frageformulierung bei der Gesetzgebung brechen dadurch seltener auf, sie sind aber nicht überbrückt; eine Anliegengewichtung und eine Berücksichtigung der zeitlichen Dringlichkeit, die Ergebnisverantwortung sind aufgehoben, wo der Initiant die gesetzlichen Erfordernisse einmal gemeistert hat. Die Suche nach Mehrheiten i m Plebiszit muß zwar häufig auf qualifizierte Beteiligungsmehrheiten zielen. Der Wettstreit i n der Sache w i r d dann aber u m einfache Abstimmungsmehrheiten ausgefochten, nicht wie i m Wahlkampf auf der Grundlage möglichst einhelliger Zustimmung zu den sachlichen Elementen der Lösungsvorschläge. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Bürgers ist nicht mehr Element einer Auftragsformulierung an einen Verantwortlichen, sondern für sie muß der Bürger eine direkte Willensverantwortung eingehen.
(3) Bei einem solchen negativen Befund verdient ein neuartiger Vorschlag der Verbindung von Repräsentantenleistungen und radikalem Plebiszit Beachtung, der von der schweizerischen „Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung" vorgelegt wurde 1 2 . Nach A r t . 64, 66 des Verfassungsentwurfs soll es Initianten möglich sein, auch bloße Leitlinien und Prinzipien für vorzunehmende Novellierungen an das Parlament zu richten, welche dieses, wegen seiner überlegenen Kompetenz auch zu abwägendem Ordnen, dann zu erfüllen habe. Ein solches Recht würde, wie richtig gesehen wurde, auch dem einfachen Bürger den Zugang zum Recht des Plebiszits erleichtern, indem es dessen Voraussetzung an juristischer Expertise verminderte. Daß das Parlament damit aber leicht i n Konflikt zu seinem Wählerauftrag geraten könnte, ist nicht verkannt. Als oberstes Gesetzgebungsorgan mußte deshalb das Bundesgericht eingesetzt werden, welches entscheiden soll, ob der Auftrag der Initianten erfüllt ist. Damit dürfte aber nicht mehr nur das Parlament, sondern auch die Judikative mit gewaltfremden Aufgaben belastet sein. Da ein solches Leitlinienplebiszit wenig mehr bewirkt, als die ungleiche Ver12 Commission d'experts, révision totale, S. 142 ff.; n u n auch Standortplanung, S. 117.
Steinberg,
54
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
teilung des Einflusses auf die Fragenformulierung (vgl. oben IV., 1., c)) zu vermindern, scheint es die Kosten der Gewaltenvermischung kaum zu rechtfertigen. b) Beteiligungsrecht des Parlaments
aa) Ablehnungsrecht Als Beteiligungsrecht des Parlaments an der Abstimmungsdemokratie könnte es schon aufgefaßt werden, wenn das Parlament nach einem erfolgreichen Volksbegehren berechtigt ist, den Entwurf des Initianten abzulehnen. Dies hätte zur Folge, daß nunmehr der Volksentscheid als verbindliches gesetzgeberisches Wort durchzuführen wäre. Eine Aufwertung des Ablehnungsrechts des Parlaments zu einem Beteiligungsrecht hätte aber nicht den unterschiedlichen Charakter von Volksbegehren und λ7,Olksentscheid berücksichtigt. Es ist Aufgabe des Volksbegehrens als Vorverfahren zum Volksentscheid, dem Initianten den Nachweis abzuverlangen, daß er erhebliche eigene Kräfte zu sammeln vermag. Erst danach soll er i n den Verfahrensabschnitt des Volksentscheids dringen dürfen. Davor muß es dem Parlament gestattet sein, aus eigener Einsicht die Fortsetzung des Abstimmungsverfahrens unnötig zu machen, indem es den vorgelegten Entwurf i n der eigenen Institution Gesetz werden läßt, wodurch nur ein aufwendiges und unnötiges Verfahren erspart bliebe. Eine materielle Beteiligung des Parlaments ist hierin so lange nicht zu sehen, als jede Veränderung des Initiativtextes als Ablehnung der Volksbegehrensforderung zu gelten hat. I n der Verfassungspraxis stellt sich das Ablehnungsrecht allerdings angesichts der parlamentarischen Verantwortlichkeiten anders dar. Auch hier führt es nicht über eine formelle Prüfungsbefugnis des Parlaments hinaus, gleichzeitig hindert es aber das Parlament an der Wahrnehmung seiner eigenen Aufgaben i m eigenen Hause. Das Parlament w i r d unter demokratische Gesetzlichkeiten gestellt, welche dazu führen, daß es seinen eigenen Willen dem i m Volksbegehren gebildeten Willen unterordnen muß. Das Parlament w i r d i n der Regel Volksbegehren zustimmen und damit den eigentlichen Nachweis demokratischer Leistungskraft i m Volksentscheid für den Initianten unnötig machen. Ursächlich hierfür ist zunächst, daß die Wahl i m Bewußtsein des Bürgers nur als demokratischer Notbehelf angesichts undurchführbarer Abstimmungen gilt 1 3 . Die Durchführbarkeit einer Abstimmung ist hier ja gerade dabei sich zu erweisen. Das Parlament, das das erfolgreiche Begehren nicht widerspruchslos übernimmt, sondern ablehnt « Oben II. 3.
1. Organschaftliche Initiativkompetenz
55
und damit auch den letzten Verfahrensteil, den Volksentscheid notwendig macht, tut dies bislang, nicht nur i n populärer Betrachtung, weniger aus seiner eigenen demokratischen Legitimation heraus, denn als Widersacher oder wohlmeinendes Aufsichtsorgan des Volkes. Tatsächlich gelingt dem außerparlamentarischen Konkurrenten ja durchaus, den Abgeordneten eine teilweise überlegene Leistungskraft zu beweisen; i h m gelang, was sonst Aufgabe des Parlaments ist, nämlich ein Thema zu bestimmen, wozu sich ein hoher Anteil der Bürger einen demokratischen Willen zu bilden bereit w a r 1 4 . Hinter dem Momentum einer solchen Leistung müssen die Marktvorteile und Produktnachteile des Initianten, die aus seiner mehrfachen Befreiung von Parlamentspflichten entstehen 15 , weitgehend unsichtbar werden. Aber auch wenn die Parlamente sich mehr demokratischen Stolz aneigneten und darin Anerkennung finden würden, wäre das hier besprochene aufschiebende Ablehnungsrecht nicht eine Verbindung zweier Willensbildungsverfahren, sondern allenfalls zur unglücklichen Einw i r k u n g auf den repräsentativen Willensbildungsprozeß geeignet. Zwar ist tatsächlich der „Wille des Volkes" kein vorfindliches Datum, sondern seinerseits abhängig von den verschiedenen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu seiner Erhebung. Hiervon aber mehrere verwirklichen und i n eine A r t Organstreit treten lassen zu wollen, wäre wohl eine Überspannung der Anforderungen an das allgemeine Verständnis von demokratischen Konflikten. Schon früh wurde deshalb vor dem Plebiszit m i t dem Argument gewarnt, es hindere den Parlamentarismus an seiner Chance, „sich i n die Volksseele einzupflanzen". Die Länderregelungen über Plebiszite t u n das dann noch Mögliche zur Verschonung der Parlamente, indem sie es zu keinem wirklichen Konflikt der Willensbildungsverfahren kommen lassen. Die Parlamentsentscheidung hat Anhörungscharakter und t r i t t sodann vor dem Volksentscheid zurück. Damit ist zwar der Ausgang des Konflikts eindeutig geregelt. Übersehen blieb aber, daß bereits eine Teilparallelität erhebliche Vorwirkungen auf die Parlamentsarbeit haben muß, die Parlamentsarbeit schon früh unter die Willensbildungsregeln des Plebiszits stellt und damit ihre originären Leistungen verformt und verzeichnet. bb) Recht zum Alternativentwurf Als wirkliche Formen der Parlamentsbeteiligung können hingegen solche Regelungen gelten, welche es dem Parlament gestatten, als Initiant aus eigenen Rechten aufzutreten und einem erfolgreichen Initiantenbegehren einen eigenen Entwurf für das Verfahren des 1 4 Oben I I I . 1. 1 5 Oben I V .
56
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
Volksentscheids gegenüberzustellen. Ein solches Recht zum Alternativentwurf besitzt das Parlament i n Baden-Württemberg, i n Bayern und i m Saarland 16 . Ein Konflikt der verschiedenen Willensbildungsverfahren ist wiederum dadurch verhindert, daß die Abstimmung zum maßgeblichen Mantel der Willensbildung gemacht ist. Ein parlamentarisches Recht zum Alternativentwurf kann dazu dienen, einen Initianten i m Sinne der gesteigerten parlamentarischen Rücksichten zu beeinflussen. Das Parlament kann dabei versuchen, seine Erfahrungen aus der Pflicht zu größerer Mehrheitenbildung (vgl. oben I I I . 3. b)) einzubringen. Wahrscheinlicher ist aber eine Beeinflussung i n umgekehrter Richtung. Denn wenn das Parlament selbst zum Initianten werden muß, werden seine Pflichten durch die zeitliche und sachliche Einräumigkeit des veränderten Entscheidungsprozesses limitiert. Der gleiche Einfluß der Bürger ist nicht mehr institutionell gesichert, sondern der Bürger ist moralisierend aufzurufen, i n der Achtung vor der Institution des Parlaments auf eventuelle Möglichkeiten eines Augenblicksvorteils zu verzichten, ein schwieriges Vorhaben, zumal wenn dessen Wahrnehmung als ein A k t „eigentlicher Demokratie" brilliert. c) Referendum
Die organschaftliche Initiativkompetenz ist beim Referendum völlig verändert. Hier sind es Verfassungsorgane, das Parlament oder die Regierung selbst, welche sachliche Fragen zu konkreten Vorhaben an die Wählerschaft stellen. Für das Bewahren der repräsentativen Parlamentsverantwortung ist wenig Unterschied darin zu sehen, ob das Parlament vor oder nach der eigenen Beschlußfassung über ein Gesetzesvorhaben eine Abstimmung anordnet. Die i n seiner besonderen Freiheit angelegte Bindung des Repräsentanten verwirklicht sich nicht nur i n dem freien Abstimmungsakt i m Plenum, sondern ist geprägt durch die weitere institutionelle Verantwortlichkeit. Referenden, welche zur Lösung eines Konflikts von Parlamentsmehrheit und Regierung eingerichtet wurden 1 7 , haben keinen Bedacht auf das Kräftespiel des Parlamentarismus genommen und sind deshalb theoretische Konstrukte geblieben. Dagegen sind Referenden, welche als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Parlamentsmehrheit und -minderheit bereitstehen, von Bedeutung. Wo Parlamentsmehrheiten zu ihren Entwürfen und Gesetzen eine zusätzliche Ratifizierung durch Plebiszite veranlassen können, w i r d 16 A r t . 74 I V B V ; A r t . 60 I 2 bwLVerf.; A r t . 100 I I 2 saarlLVerf. π Vgl. A r t . 60 I I , I I I bwLVerf.; A r t . 68 n r w L V e r f .
1. Organschaftliche Initiativkompetenz
57
dies zunächst als rechtschaffen und bürgerfreundlich, jedenfalls als harmlos angesehen werden wollen 1 8 . Tatsächlich w i r d hier für ein Vorhaben auch durchaus nachgemessen, inwieweit es i m Verfahren des Parlaments gelungen ist, ein politisches Thema zu bestimmen und hierbei die Anschauungen zu einem mehrheitlichen Konsens zu integrieren (vgl. oben I I I . 1. b), c)). Der Maßstab solchen Nachmessens ist aber nicht der den repräsentativen Körperschaften eigentümliche und strengere. Das Parlament w i r d von der Mühe befreit, weitestmögliche Einigung zu suchen (vgl. oben I I I . 3. b)) und kann sich auf den für A b stimmungen maßgebenden Konsens der einfachen Mehrheit zurückziehen (vgl. oben I I I . 3. b)). Eine Gewichtung der Anliegen (vgl. oben I I I . 2. a)) w i r d für das Parlament nur noch insoweit nötig sein, als sie den Bürger bewegt oder abhält, an der Abstimmung teilzunehmen. Es würde dem Gedanken des Referendums auch widersprechen, wenn nicht mit der Abstimmung auch die Ergebnisverantwortung (vgl. oben I I I . 3. a)) für den Beschluß auf den Bürger zurückdelegiert wäre. Die vielfältigen Einflüsse und Interessen, welche zur Vorlage gerade dieses Textes führten, muß sich der Bürger i n beträchtlichem Maße zueigen machen und insoweit verliert er den Boden für K r i t i k , die Freiheit zur kritischen Meinungsäußerung verliert i n dem befreiten Auftragnehmer ein wichtiges Gegenüber (vgl. oben I I I . 3. c)). Wieder muß die Abstimmung einen Großteil der demokratischen Rationalität der Wahl verdrängen und es führt das Nebeneinander von so artverschiedenen Grundlagen demokratischer Legitimation zu einer Diffusion der Verantwortlichkeiten 1 9 . Nicht das Verstummen der parlamentarischen Opposition, sondern das Verdrängen vor parlamentarischen Regierungsmehrheiten kann dagegen durch Referenden erreicht werden, welche parlamentarische Minderheiten veranlassen können 2 0 . Der beklagenswerte Nachteil, den die parlamentarische Opposition durch die Verbindung der Parlamentsmehrheit mit der Regierung erleidet, hat schon viele Vorschläge geboren. Dieser ist zur Abhilfe besonders ungeeignet 21 . Die parlamentarische Opposition erhält keine zusätzlichen Rechte zur Erfüllung ihrer Aufgabe, sondern sie w i r d von parlamentarischen Pflichten entbunden. Aus der durch die Parlamente geschaffenen besonderen demokratischen Verantwortung gibt es hier wieder einen versteckten Ausweg, welcher i« A r t . 70 I b bremLVerf.; Schmitt, Volksentscheid, S. 51. 19 Ä h n l i c h Expertenkommission Totalrevision, S. 140 f. 20 A r t . 114, 115 rhpfLVerf. Eine entsprechende Möglichkeit i m Saarland ist aufgehoben. Hierher läßt sich auch A r t . 73 I I W R V zählen: Aussetzung der Verkündung eines Reichsgesetzes auf A n t r a g von einem D r i t t e l der M i t glieder des Reichstags u n d A n t r a g von 1 / 2 o der stimmberechtigten Bürger auf Volksentscheid. 21 Ebenso Pestalozza, Popularvorbehalt, S. 24.
58
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
nicht nur den m u t w i l l i g Flüchtenden zur Verhaltensänderung führen muß, sondern auch den institutionellen Verfolger 2 2 . Die sachlichen Nachteile sind dabei identisch mit jenen, auf welche schon bei dem radikalen Plebiszit hingewiesen wurde 2 3 . Ein Publizitätsvorteil gegenüber diesen Instituten liegt allerdings darin, daß der parteiliche Veranlasser der Abstimmung namentlich und durch bisherige Erfahrungen i m öffentlichen Leben bekannt ist (vgl. oben IV. 1. b)). Der Versuch einer Verantwortungsverquickung der parlamentarischen Opposition w i r d so notorisch, was wohl ein Grund dafür ist, warum derartige verfassungsrechtliche Möglichkeiten bisher nicht genutzt wurden. 2. Gegenstandsbereich der Abstimmungen a) Gesamte Gesetz- und Verfassungsgebung
Eine undifferenzierte Zulassung des Initianten zum E i n t r i t t i n den gesamten Gegenstandsbereich der Parlamentsverantwortung war beim grundsätzlichen Vergleich von Parlamentsentscheid und unvermittelter Demokratie (oben III., IV.) zugrunde gelegt worden. Es gelten allerdings nicht ausnahmslos die allgemeinen Bedenken. Wo sich Besonderheiten ergeben, sind sie bei der Variante der Einzelzulassung für besondere Gegenstandsbereiche (unten c)) erörtert. Ansonsten stoßen A b stimmungen i m gesamten Bereich der Gesetz- und Verfassungsgebung auf die vorerwähnten grundsätzlichen Bedenken. b) Ausschluß einzelner Bereiche, insbesondere Staatsfinanzen
Daß unvermittelte Volksentscheide zu volkswillenswidrigen Konsequenzen führen können, ist für die Regelung deren Gegenstandsbereiche vom Praktiker schnell erkannt worden. Nahezu ausnahmslos erstrecken sich sachliche Kompetenzen des Initianten nicht auf die Steuergesetzgebung, entsprechend sind Regelungen üblich, die ausgabenrelevante Beschlüsse von der Initiantenkompetenz ausnehmen 24 . Gegenteilige US-amerikanische Regelungen sorgen bisweilen dadurch für Schlagzeilen i n der dortigen Presse, daß nicht nur die Schulen, sondern auch die Feuerwehrstationen wegen mangelnder Gelder für einige Monate geschlossen werden müssen 25 . I n der Bundesrepublik sind da22 Vgl. Unkelbach, Wahlsystematik, S. 56; ders., Grundfragen des Wählens, S. 30. 23 Expertenkommission Totalrevision, S. 133. 24 A r t . 60 I V bwLVerf.; A r t . 73 B V ; A r t . 70 I I bremLVerf.; A r t . 124 I 3 HessLVerf.; A r t . 68 14 nwLVerf.; A r t . 109 I I I 2 rhpfLVerf.; A r t . 99 I 3 saarlLVerf. Vgl. auch A r t . 73 I V W R V , für die Länderverfassungen aus dieser Zeit Schmitt, Volksentscheid, S. 15. 25 Z u m geschichtlichen Hintergrund siehe aber Oberholtzer, The Referend u m i n America.
2. Gegenstandsbereich der Abstimmungen
59
gegen finanzwirksame Abstimmungen allenfalls bei mehrheitlicher Zustimmung durch das Parlament statthaft 2 6 . Das zwingende Parlamentseinverständnis rührt nicht her von der persönlichen Reife des Politikers und der Uneinsichtigkeit des Bürgers 27 , sondern von der eklatant zutage tretenden Unverzichtbarkeit der institutionellen Leistungen des Parlaments, die ihrerseits allerdings wieder das Rollenverhalten des Parlamentariers prägen werden. Die öffentlichen Finanzen stellen i n zwingender Weise einen nachrechenbaren Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Bürgeranliegen her, welcher selbst durch das Prestige unvermittelter Abstimmungen nicht vergessen gemacht werden kann. „Wie soll man es sich denken, daß das jährlich einmal zu erlassende Haushaltsgesetz mit allen seinen Kompromissen i m Wege des Volksbegehrens zustandekommt 28 ?" Wo beim Erlaß von Ge- oder Verboten noch leichter an lokale Folgen glauben gemacht werden kann, für die sich insoweit noch Abstimmungen einsetzen lassen, ist bei der Verwendung von Finanzmitteln der weite Wirkungszusammenhang zur konstitutionellen Größe geworden. Auch dem parlamentarischen Verfahren soll allerdings keine Weisheit angedichtet werden. Selbst i n seiner Zurichtung auf die Vereinigung möglichst vieler Bürgeranliegen (vgl. oben I I I . 3. b), gegenüber IV. 3. b)) besitzt es keinesfalls die Kapazitäten, die für eine streng rationale politische Entscheidung erforderlich wären. Auch das Parlament kann nur unter Verzicht auf Problembewußtsein und manche Abwägungsrichtungen zu einer Entscheidung gelangen. Es werden nicht die Nachteile einzelner Steuerlasten m i t den Vorteilen einzelner Ausgabemöglichkeiten verglichen. Vielmehr werden die Gedanken restringiert, indem der Haushalt jeweils für Einnahmen wie für Ausgaben als eine eigenständige Größe behandelt w i r d 2 9 . Solche Rationalitätsrestriktionen bei der parlamentarischen Entscheidung sind für den demokratischen Einfluß suchender Bürger jedoch nicht gleichbedeutend mit der erzwungenen Perspektivenverengung 20 Dies w i r d m i t mutigen Schlüssen für Hessen, Nordrhein-Westfalen u n d Rheinland-Pfalz von Pestalozzi Popularvorbehalt, S.27 angenommen. 27 Vgl. H. Schneider, Volksabstimmungen, S. 168; Schmitt, Volksentscheid, S. 14 ff., 51 f. 28 Schmitt, Volksentscheid, S.21. Vgl. auch S.24 daselbst: „Der Haushaltsplan ist eine komplexe Größe . . . er ist ein Gesamtplan." J. J. Rousseau w a r deshalb umsichtig, als er zur V e r w i r k l i c h u n g seines Demokratiekonzepts die Abschaffung des Finanzwesens für nötig hielt, Contrat social, B u c h i l i , Kap. 15. 29 Greifeid, Wirtschaftlichkeitsprüfer, S. 60 ff. Vgl. auch A r t . 113 GG, w o durch nicht das Parlament entmachtet, sondern zu zusammenhängenden Beschlüssen angehalten w i r d .
60
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
eines etwaigen Volksentscheids. Denn die Wahl macht den Parlamentarier nicht nur für sein Handeln, sondern ebenso für die Selektion seines Unterlassens verantwortlich, auch für dieses muß er gegebenenfalls eine demokratische Verantwortung übernehmen. Auch wo Folgen nicht vorauszusehen waren, w i r d der Gesetzgeber durch die Periodizität der Wahl, die Gewährung von Zeit, politisch nachbesserungspflichtig. Innerhalb des Rationalitätskorsetts der Finanzverfassung können i n einer Verfassung der Wahl durch Unruhe des Bürgers dann einzelne Entscheidungen einer Neubearbeitung bedürfen. Einen politischen A k teur des Augenblicks und Agenten von Einzelanliegen können diese demokratischen Verantwortlichkeiten nicht erreichen. c) Zulassung einzelner Gegenstandsbereiche
aa) Neuwahl durch
Abstimmung
Eine besondere Koppelung von Wahl und Abstimmung ist i n Regelungen verwirklicht, welche dem Initianten die Gelegenheit geben, durch eine Abstimmung eine Neuwahl der Repräsentanten herbeizuführen 3 0 . Für eine solche Regelung sprechen gute Gründe. Ein wesentliches Charakteristikum von Wahlen besteht darin, daß sie auf Vertrauen gründen, also einer Vorausermächtigung, der die Kontrolle und Rechenschaftslegung erst nachfolgt 31 . Parlamentsmehrheiten mit ihren Parteien können sich dieser Bürgeraufsicht zeitweise dadurch entziehen, daß sie die Verwirklichung vielleicht neu gefaßter „richtiger" Zielvorstellungen dem Ziel der Wiederwahl voranstellen. Nach aller praktischen Erfahrung und theoretischen Erwartung sind die Träger eines parlamentarischen Mandats zu solchem Tun nicht geneigt, andererseits Parteimitglieder i n ihren mangelnden institutionellen Verpflichtungen als „Teil des Volkes" gegen solche Überlegungen weniger gefeit. A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, und die entsprechende verfassungsrechtliche Unabhängigkeit der Gubernative müssen hier ihre Dienste tun. Bei der Abhängigkeit des Repräsentanten auch von seiner Wiederaufstellung als Parteikandidat bleiben solche Abweichungen i n der demokratischen Orientierung allerdings durchaus vorstellbar. Ein zur Wahl hinzutretendes demokratisches Kontrollinstrument wäre demnach nicht ohne sinnvolle Aufgabe. 30 A r t . 43 bwLVerf.; A r t . 18 I I I B V ; A r t . 39 I Verfassung von B e r l i n (West); A r t . 109 I b rhpfLVerf.; A r t . 6, 14 preuß.Verf. v o m 30.11.1920. Weitere Nachweise für die Weimarer Republik Koelreutter, Parlamentarisches System, S. 7 A n m . 2. 31 Z u m w e i t unterschätzten M i t t e l der Kontrolle durch antizipierte Reakt i o n Sartori, Demokratie, S. 72, 86; Friedrich, Constitutional Government, S. 589 ff.
2. Gegenstandsbereich der Abstimmungen
61
Zwischen den Amtsperioden liegende Abberufungsmöglichkeiten durch Abstimmungen könnten eine solche Aufgabe erfüllen, führten aber gleichzeitig zu untrennbaren beachtlichen Schadensrisiken. Der Parlamentarier w i r d i n die Nähe eines imperativen Mandats gerückt. Das durch Wahlen und ihre Periodizität geschaffene Auftragsverhältnis zwischen Parlament und Bürger w i r d gefährdet und m i t i h m wesentliche Leistungen der parlamentarischen Verantwortung. Die Themenbestimmung (vgl. oben I I I . 1. c)) darf nicht zu weiten Anlauf nehmen müssen, und die Integration von Anschauungen (vgl. oben I I I . 1. b)) muß i n engeren sachlichen Zusammenhängen geleistet werden, immer ist latente Wahl kämpf zeit. Die Abstimmung betrifft zwar die Wahl, w i r d für die Überwindung ihrer Zulassungshürden aber eines „Skandals" usw., also eines Einzelvorgangs bedürfen, den der Initiant zu hoher Unpopularität steigern oder deren Unpopularität er sich zunutze machen kann. Eine wahltypische, längerfristige Verantwortung gegenüber dem Wähler für den augenblicklichen Einsatz der öffentlichen Meinung, ein parlamentsoppositionelles Bemühen u m den Bestand einer negativen öffentlichen Meinung paßt für den Initianten nicht. Ohne Ergebnisverantwortung (vgl. oben I I I . 3. a)) kann es weder eine Pflicht zur Anliegengewichtung (vgl. oben I I I . 2. a)), noch die Pflicht zu erhöhter Mehrheitensuche (vgl. oben I I I . 2. a)) i m Rahmen eines ausgleichenden, also Mehrheiten wie Minderheiten alternierend berücksichtigenden Gesamtprogramms geben. Das grenzenbewußte Parlament w i r d sich als Sachzwang eine anstrengende Vorausschau versagen und, auch nicht i m Einvernehmen, Bürgschaften für Dinge übernehmen wollen, die bei der Realisierung ihrer Einstandspflicht der öffentlichen Meinung schon ohne genauere Prüfung den Verdacht amtlicher Nachlässigkeit aufdrängen müssen. Die ohnehin schon vorhandene effizienzhindernde Risikounlust der öffentlichen Hand 3 2 w i r d sich unter diesen Umständen zuungunsten des Steuerzahlers und des Bürgers noch verstärken. bb) Verfassungsgebung
allgemein
Abstimmungen über die Verfassung treffen auf ganz besondere Umstände. Sie sind ganz i m Gegensatz zu Abstimmungen über einfache Gesetze oder zu Abstimmungen über Wahlen weithin berechtigt, sich auf das demokratische Prinzip, auch das der repräsentativen Demokratie, zu berufen. Allerdings darf dabei nicht an die hervorragende Aufgabe der Verfassung gerührt werden, den einzelnen vor dem Einbruch von Mehrheiten i n den Bereich seiner Individualrechte zu schützen. Auch Abstimmungen dürfen die Verfassung n u r insoweit 32
Z u deren Ursachen Greifeid,
Wirtschaftlichkeitsprüfer, S. 55 ff.
62
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
ändern, als dies i n der Kompetenz der Demokratie liegt. Insbesondere ist damit der von A r t . 79 Abs. 3 GG geschützte Bereich m i t seiner Ausstrahlungswirkung auf die Länderverfassungen nach A r t . 28 Abs. 1, 3 GG ausgenommen. Auch sollten verfassungsändernde Plebiszite entsprechend den parlamentarischen Erfordernissen bei Verfassungsänderungen einer stärkeren Beteiligung und qualifizierter Mehrheiten bedürfen 3 3 . Die Eignung des Plebiszits zur Entscheidung über Verfassungsänderungen darf schon deshalb nicht dahin verstanden werden, daß Volksbegehren betreffend einfacher Gesetze vor ihrer Zulassung als Volksentscheid nicht weiterhin einer amtlichen, verfassungsgerichtlich anfechtbaren Überprüfung auf ihre Verfassungsmäßigkeit bedürfen. Wohl aber darf das Attestat der Eignung der unvermittelten W i l lensbildungsform für Verfassungsänderungen dahin verstanden werden, daß dem Parlament auf diesem Gebiet keine überlegenen Kräfte zugeordnet werden können. Die Eignung des Plebiszits für Änderungen der Verfassung folgt aus deren Charakter einer Grundlegung des staatlichen Lebens und des parlamentarischen Kräftespiels. Auch soweit materielle Werte neu i n die Verfassung aufgenommen werden sollen, wäre für sie ein Charakter der Grundsätzlichkeit zu fordern, sie müßten also jeweils unterschiedlichen konkreten Lösungen i m politischen Leben Raum lassen. I m Rahmen solcher Anforderungen wären Täuschungsabsichten bei Vorlage eines Textes weniger leicht zu realisieren. Die dem Bürger aufgebürdete Entscheidungsverantwortung überträfe nicht jene der Wahl. Nicht für jede Entscheidung kann er die Verantwortlichkeit eines Auftragnehmers verlangen. Ein allgemeines Verfassungsplebiszit träfe allerdings auf die Schwierigkeit, einsichtige materielle Kriterien für den Verfassungscharakter einer Norm zu entwickeln. Institutionell müßte dann wohl das Verfassungsgericht mit einer neuen hochpolitisch wirkenden Kompetenz beladen werden. Nur so wäre ein Etikettenwechsel auszuschließen, mit dem versucht werden könnte, dem Hindernis vor einem Gesetzesplebiszit auszuweichen durch eine Ausgestaltung der Materie als Verfassungsplebiszit. So sprechen doch letztlich praktische Gründe gegen die Zulassung eines sachlich unbeschränkten Verfassungsplebiszits. cc) Gebietsveränderungen Als geeigneten Einzelgegenstand für die Abstimmungsdemokratie über die Verfassung ist i n Art.29 A b s . 2 - 6 und A r t . 118 GG die Ent33 Commission d'experts, Projet de constitution, A r t . 61, 118; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 192. Nach A r t . 76 W R V w a r ein Volksentscheid auf Verfassungsänderung n u r erfolgreich bei Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten. Vgl. Gebhard, Verfassung, A r t . 76 Rdnr. 6.
2. Gegenstandsbereich der Abstimmungen
63
Scheidung über die Einteilung des Staatsgebiets bestimmt worden. Die Wahl einer politischen Heimat liegt den i n deren Rahmen zu treffenden Entscheidungen voraus. Die demokratischen Ausgleichs- und Abstimmungspflichten des Parlaments bedürfen dieser Bestimmung als Grundlage. Kalkulationen von Interessenten sind hier sicher nicht abwesend für die wahrhaft einräumige Entscheidung des Bürgers, aber weitgehend abgedrängt. Insgesamt ist es deshalb berechtigt, wenn nicht notwendig, das Demokratieprinzip hier so zur Wirkung kommen zu lassen, wie es bei mangelndem Verständnis der demokratischen Repräsentation als allgemeingültig angesehen werden mag, als gleiches Stimmgewicht des einzelnen Bürgers zu einer Einzelfrage. Hervorgehobene Minoritätseinflüsse lassen sich aus dem Gedanken der Demokratie hier nicht begründen. dd) Wahlrechtsänderungen Vom Gegenstand her besonders berechtigt sind auch verfassungsändernde Abstimmungen zum Wahlrecht. Sie wurden i n Hessen und i n Bayern bereits durchgeführt 34 . Die Wahl ist Grundlage der Repräsentation, weshalb es bedenklich ist, wenn der Repräsentant ohne sachgebundene Zustimmung des Wählers das Auftragsformular verändern darf 3 5 . Die institutionelle Verantwortung vor dem Wähler kann nicht i n die Verfügungsgewalt des Verantwortlichen gegeben sein. Es mag der Wähler für den politischen Tagesprozeß kleinen Parteien weniger als die für die verfassungsändernde Sperrminorität erforderliche Stimmenzahl geben. Ein Votum von zwei Dritteln der Bürger für Wahlregeln, die kleine Parteien aus dem Parlament auszuschließen geeignet sind, kann darin jedoch nicht gesehen werden. Nicht nur der Wähler der kleinen Partei, sondern auch der Wähler der großen Partei kann auf den Fortbestand der kleinen Partei zielen, wenn er deren relativen Wahlerfolg als gesichert betrachtet. Eine eindeutige Willensübermittlung von Staatsbürger zu Staatsordnung scheint hier nur i m Abstimmungswege gesichert. Die Abstimmung über Wahlregeln betrifft keine Einzelinteressen, die sich i n einen weiträumigen parlamentarischen Ausgleich mit anderen Materien bringen lassen sollten. Als Grundlage des demokratischen Prozesses ist es ihre notwendige Eigenschaft hingegen, aus sich heraus das Schicksal der vielfältigen Interessen nicht berechenbar werden zu lassen. Die mangelnde Autorität von parlamentarischen Mehrheiten zu Wahlrechtsveränderungen, die verfassungssystematisch zu fordernde 34
Pestalozza, Popularvorbehalt, S.20. 35 Dilrig, Neugestaltung des Wahlrechts; Friesenhahn, teien, S. 250 f.
Stellung der Par-
64
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
unmittelbare Entscheidung des Bürgers über die Konstitutionsregeln seiner Repräsentanten ist i n Gefahr, verwechselt zu werden mit der Frage des Verfassungsschutzes von Wahlordnungen i m Sinne einer durch das Erfordernis von qualifizierten Mehrheiten erschwerten Änderungsbefugnis. Wo auch letzteres zugleich angenommen werden möchte, fänden sich Minderheiten ermächtigt, die Regeln der demokratischen Konstituierung der Bürgerschaft zu bestimmen. Dies kann nicht sein. Der Verfassungsschutz von Minderheiten verwirklicht sich i n den Grundrechten und i n der Sensibilität der repräsentativen Demokratie für einzelne Anliegen auch kleiner Gruppen. Er kann aber nicht hinübergreifen i n die demokratische Domäne des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, welches für die Grundrechte ein unverzichtbares Gegenüber darstellt. Solange Wahlrechtsänderungen sich i n dem weiten, wertend nicht erschließbaren Bereich von Gestaltungsmöglichkeiten vollziehen, kann es keinen Verfassungsschutz für ein bestimmtes Wahlsystem geben, welches dem demokratischen Souverän den Weg zur Änderung über eine Abstimmung verlegt. Dies zu betonen besteht Anlaß, weil ein verfassungsrechtlicher Minoritätenanspruch auf das bestehende Verhältniswahlrecht über den Weg des Verfassungsgewohnheitsrechts in Betracht gezogen worden ist. Ein Abschied vom Verhältniswahlsystem verläßt nicht den Bereich von Regelungsmöglichkeiten innerhalb der Wahlgleichheit und des Demokratieprinzips, schon deshalb nicht, weil es umgekehrt, wie seit langem erkannt und allseits anerkannt, große Integrationsparteien gegenüber wenigen Interessenparteien zu benachteiligen geeignet ist. Insgesamt müssen Wahlrechtsveränderungen auf dem Wege von Abstimmungen sich an demokratischen Mehrheiten orientieren. Die verfassungsrechtliche Qualität des Wahlrechts ist dagegen aufzufassen als ein institutioneller Schutz vor Mehrheitsgruppen der Gewählten, sie läßt sich nicht auffassen als ein materieller Schutz des Wahlrechts vor den Stimmrechten der Bürger. Das Bundesverfassungsgericht hat die institutionelle K l u f t zwischen Parlamentskompetenz und Wahlgesetzgebung insofern erkannt, als es sich entschlossen gezeigt hat, Änderungen des Wahlrechtes durch das Parlament einer strengen Kontrolle zu unterziehen 36 . Zu dem derzeit sicher noch Aufsehen erregenden und überraschenden Schritt der Verneinung einer Parlamentskompetenz überhaupt hat es sich noch nicht verstanden. Hierzu ist es sicherlich auch angeraten, ein weiteres allgemeines Einverständnis abzuwarten, denn ein solcher Schritt bedeutete zwar eine systemgerechte Ergänzung der Verfassung, für diese gibt es aber i n den Wortlauten ihrer einzelnen Bestimmungen allein noch se BVerfGE 4, 375 (382 f.); 44, 125 (146).
3. Bindungswirkung
65
wenig Hinweise. Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit bleibt es i n jedem Falle, einerseits den weiten Gestaltungsspielraum für Wahlregeln zu erkennen, andererseits aber auf die damit ebenfalls gegebenen vielfachen Mißbrauchsmöglichkeiten streng zu achten. 3. Bindungswirkung a) Bedeutungsgehalte
Unter der „Bindungswirkung" w i r d bei der Beurteilung von Volksentscheiden gerne allein eine solche Bindung verstanden, welche anderslautende Entscheidungen eines anderen Organs rechtswidrig macht und welche danach auf justiziellem Wege angegriffen werden können. Neben diesem Verständnis ist für das Verfassungsorganisationsrecht von vorrangiger Bedeutung, darüber zu wachen, daß die staatlichen Organe i n ihre besondere Verantwortung gestellt bleiben. Zu dieser Wachsamkeit sind besonders Verfassungsreformatoren aufgerufen. Auch die Verfassungsorgane der Demokratie sind i n eine rechtliche Verantwortung gestellt, die sich allerdings institutionell durch ihre wirksame Verbindung zum Stimmrecht des Bürgers verwirklicht. Die Bindungsw i r k u n g von Volksentscheiden ist deshalb nur zu einem Teil aus dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit von nachfolgenden Parlamentsbeschlüssen zu beurteilen (unten b)). Von gleichem Gewicht für die demokratischen Institutionen sind solche ΒindungsWirkungen, die durch organisationsrechtliche Vorschriften der Verfassung auf den Verantwortungsbereich der Institution einwirken, bedeutsam ist ebenso die funktionelle Gewaltenverantwortung (unten c)). Zuletzt ist nach der sachlichen auch die zeitliche Bindung an unvermittelte Sachabstimmungen zu erörtern, das Problem der Dauer von Bindungswirkungen anzusprechen (unten d)). b) Unmittelbar sachliche Bindung
Die Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers an die Ergebnisse von Plebisziten i m Sinne einer unmittelbaren Rechtswidrigkeit eigener Beschlüsse kennt verschiedene Formen. A n einem Ende der Skala der Möglichkeiten liegt die völlige formelle Entrechtung des Parlaments gegenüber dem Plebiszit. Es erklingt das mächtige Wort: „Wenn das Volk spricht, dann schweigen die Repräsentanten 57 ." I n diesen Bereich fallen auch, da von formeller Bindungswirkung die Rede ist, Beteiligungsrechte des Parlaments als selbständiger Petent i m Abstimmungsverfahren. Ein Recht des Parlaments, eigene Entwürfe der Abstim37 j. Kaiser, D i a l e k t i k der Repräsentation, S. 74. 5 Greifeid
66
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
mung beizustellen, führt zu keiner formellen Beschränkung der Petentenrechte. A m anderen Ende der Skala von formellen ΒindungsWirkungen liegt die „Volksbefragung" zu parlamentarischen Entwürfen oder bereits beschlossenen Gesetzen. I h r Ergebnis hat keinerlei unmittelbar rechtliche und justiziell einklagbare Folgen auf das weitere Handeln des Parlaments. Lösungen zwischen diesen extremen Polen stehen i n der Verpflichtung der Rechtsordnung, für Zuständigkeiten klare Abgrenzungen vorzunehmen. Eine formelle Verschränkung der Zuständigkeiten bei gleichzeitiger eindeutiger Kompetenzzuordnung wäre verwirklicht, wo, entsprechend etwa der bundesstaatlichen Regelung über das Zustandekommen von Einspruchsgesetzen nach A r t . 77 GG, ein Organ das andere m i t je zu qualifizierender Mehrheit zu überstimmen berechtigt wäre. Daß solche erprobten Formen der Gewaltenverschränkung den Volksentscheidregelungen fremd sind, weist wieder darauf hin, daß es sich hier nicht u m eine Gewaltenbalancierung, sondern u m Gewaltenverdrängungen handelt. Die Befugnisse werden deshalb nicht gewaltenteilend aufeinander bezogen, sondern nach Möglichkeit getrennt. Ein Z w i schenschritt hierzu ist die Regelung der schweizerischen Bundesverfassung, wonach parlamentsbeschlossene Bundesgesetze durch Plebiszit lediglich abgelehnt werden können 3 0 . I n der Überzahl der Regelungen werden Kollisionen aber dadurch vermieden, daß die verschiedenen Willensbildungsverfahren schon i m Bereich der Regelung von Initiativkompetenz (oben V. 1.) und Gegenstandsbereich von Abstimmungen (oben V. 2.) voneinander getrennt werden. Wo ein Verfahren unvermittelter Willensbildung zulässig und erfolgreich durchgeführt ist, t r i t t das Parlament zurück. Damit scheint weiser Bedacht genommen auf die nunmehr zu erörternden Gesetze funktioneller Gewaltenverantwortung. c) Sachliche Bindung durch funktionelle Gewaltenverantwortung
Justiziell verfolgbare Rechtspflichten beschreiben nicht den gesamten Umfang der öffentlich-rechtlichen Parlamentsverantwortung, Daneben t r i t t die demokratische Verantwortung des Parlaments, welche durch das Verfassungsrecht errichtet ist. Unabhängig von der direkten sachlichen Bindungswirkung von Volksentscheiden müssen deshalb auch solche Bindungswirkungen von Volksentscheiden beachtet werden, die die institutionelle Verantwortung des Parlaments berühren 3 9 .
38 A r t . 89 I I Bundesverfassung. 39 Vgl. Böckenförde, Enquête-Kommission, S. 14. Anders noch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 260, der davon spricht, daß die „ K r a f t des Politischen den Rahmen der rechtsstaatlichen Normierung durchbrechen muß".
3. Bindungs
W i r k u n g
67
Das Parlament hat i n der Verfassungsordnung die Aufgabe, den Volkswillen zu bilden. Die sachliche Grundlage hierfür bietet das Wählervertrauen. M i t der Bereitschaft von Abstimmungsmehrheiten, einem Initianten zu folgen, ist dem Parlament seine Basis der Legitimation weitgehend entzogen. Die Abstimmung ist zumeist jüngeren Datums als die Wahl. Die Abstimmenden lassen sich auch nicht mehr befragen, inwieweit ihre Teilnahme am Volksentscheid nur i n der A b sicht geschah, falsche Entscheidungen zu verhüten oder gebotene Gelegenheitsvorteile zu erlangen und ob sie auch konkludent der Veränderung der demokratischen Verfassung zustimmen wollten. Wer eine Schnellstraße benutzt, w i l l auch am Ziel ankommen, selbst wenn er mit dem Ausbau der Straße wegen der Umweltschäden keineswegs einverstanden war. Die Anforderungen an Sachbefassung und Zeitaufwand, welche an den Abstimmenden gestellt werden, verbieten es dem Parlament auch ohne beschlußbezogene Bindungswirkung, das A b stimmungsergebnis nur als Spielmaterial oder „wertvolle Information" für die parlamentarische Auseinandersetzung zu verwenden. Zusätzlich können alle vorgehenden Rechte des Parlaments an einer Beteiligung am Plebiszit (oben V. 1. b), c)) nur die Folge einer institutionellen Bindungswirkung haben 40 . Wo Regelungen die Verwirklichung einer begehrten Entscheidung dem Parlament noch „freistellen", sind diese an der verfassungsrechtlich eingerichteten politischen Verantwortung des Abgeordneten vorbeikonstruiert. Ihnen kann deshalb kaum Gewicht zugemessen werden, wenn der Schutz der funktionellen Gewaltenverantwortung des Parlaments und der mit dieser verwirklichten Rechte des Staatsbürgers zu würdigen ist. Sorgen zu einer ungeklärten Problematik des Vorrangs zwischen Plebiszit- und Parlamentsbeschlüssen, wonach es etwa ein „endloses H i n und Her zwischen Parlament und V o l k " 4 1 oder „permanente Wechselbäder" 42 geben könne, sind sehr i n der Theorie eines abgesonderten Einzelaspektes fentworfen. Das Fehlen von Regelungen über den Vorrang zwischen Volksentscheid und Parlamentsentscheid i n allen positiven Plebiszitnormierungen ist wohl auch ein Ergebnis des in der Verfassungspraxis zur Sparsamkeit erzogenen Normgebers. Die institutionelle Stellung und die demokratische Verantwortlichkeit des Parlaments führen zu dessen frühem A b t r i t t , welcher nach reicher Erfahrung weit vor dem bestimmenden Abstimmungsgang bereits beim Verfahrensabschnitt des Begehrens zu erwarten ist 4 3 . Auch wenn Parlamente i m Verständnis der Bürger als mehr u> Triepel, AöR (a.F.) Bd. 39, S.495; Schmitt, Volksentscheid, S. 13 m. Nachw. Krüger / Neumayer / Schneider, Rechtsgutachten, S. 60. 42 Peine, Volksbeschlossene Gesetze, S. 390. 43 Als w i r k l i c h e r Ansatz eines Parlamentswiderstandes gegen plebiszitäre 3*
68
V. Kleine Formenkunde unvermittelter Abstimmungen
denn als Notbehelf oder obrigkeitliche Volkswillenswärter zur Geltung gebracht wären, könnten die Regeln der institutionellen Gewaltenverantwortung schwerlich zu einem anderen Ergebnis führen, als dem des generellen Parlamentsrücktritts vor den Ergebnissen von unvermittelten Sachentscheiden. d) Zeitliche Bindung
Anders als für parallele sachliche Regelungsanstrengungen von Parlament und Initiant ist der Kompetenzwiderspruch weniger eindeutig, wenn es u m die Frage der Befugnis zu späteren Abänderungen von Initiantengesetzen geht. Eine Verantwortungsverwischung ist aber unter dem Gesichtspunkt formeller Zuständigkeiten (oben b)) nur zu verhindern, wenn für das Erfordernis des „später" erkennbare Kriterien gefunden sind. Hierfür ist vorgeschlagen, daß das Parlament allein bei einer „neuen Lage" das Initiantengesetz antasten dürfe 4 4 . Indes dürfte es nicht einfach sein, allseits einsichtlich zu bestimmen, wann eine solche neue Lage eingetreten ist. Ebenso zweifelhaft dürfte es sein, welcher Gewalt die abschließende Kompetenz zur Entscheidung über diese Frage zugewiesen werden sollte. Das spricht für Auffassungen, welche i m Sinne eines „actus contrarius" jeweils nur eine Aufhebung von Abstimmungsergebnissen i m Wege einer Abstimmung zulassen wollen 4 5 . Die Frage darf hier für jenes künftige Jahrzehnt offen gelassen werden, zu dem ihre Entscheidung notwendig werden sollte. Die Wahrnehmung von Abänderungsbefugnissen dürfte eher, ohne Ge- und Verbote, durch die verfassungsrechtlich geschaffene Gewaltenverantwortung (oben c)) bestimmt sein. Hier ist es vor allem die parlamentarische Pflicht zum Einstand für alle aktuellen Gesetze vor dem Wähler (vgl. vor allem oben I I I . 1. c)), von welcher der Repräsentant durch eine Plebiszitherkunft von Gesetzen befreit ist. Das Parlament ist von einer Verantwortung entlastet und w i r d sich anderen Gegenständen zuwenden. Nur bei allseits erkannten offenkundigen Mängeln und unhaltbaren Zuständen kann erwartet werden, daß eine Materie des Plebiszits noch einmal zum Gegenstand der Parlamentsarbeit wird. Volksentscheidsregeln genießen auch dadurch einen besonderen Bestandschutz vor dem Volkswillen. Willensbildung ist i n Deutschland n u r die Frage von Auseinandersetzungsverträgen zwischen Fürsten- u n d Staatseigentum i m Jahre 1926 bekanntgeworden. Das Parlament lehnte ein Volksbegehren ab, was k a u m ohne die Kenntnis der verhärteten Fronten u n d die Voraussicht des Scheiterns des Volksentscheids geschehen sein dürfte. Vgl. Anschiitz, Verfassung, S. 339; Peine, Volksbeschlossene Gesetze, S. 375 f. 44 w. Jellinek in: HDStR., Bd. I I 1932, S. 181; Peine, a.a.O., S. 399. 45 Fleiner / Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 761.
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie I n der Weimarer Verfassung waren unvermittelte Volksentscheide ein selbstverständliches und unmißverständlich i n die demokratische Ordnung integriertes Verfahren zur Volkswillensbildung 1 . Auch die Zweifel an der Verträglichkeit dieses Verfahrens m i t der i m Grundsatz noch immer repräsentativen Willensbildung vermochten deshalb schwerlich zu verfassungsrechtlicher Kraft zu gelangen 2 , schon ohne daß die damalige verschiedene Rolle der Verfassungsrechtsprechung hätte i n Betracht gezogen werden müssen. Dagegen w i r d i n herrschender Betrachtung eine Entscheidung des Grundgesetzes zugunsten der repräsentativen Demokratie angenommen. Zweifel über die Tragweite und Geltungskraft dieser Entscheidung sind jedoch leicht gemacht, wenn man sich nur auf den historischen Willen des Verfassungsgebers oder auf eine der geläufigen, bereits näher betrachteten, grundsätzlichen A n schauungen über die Aufgabe der Parlamente 3 stützen w i l l . Auch ist das repräsentative Prinzip an keiner Stelle unter diesem seinem Namen hervorgehoben, und hauptsächlich damit wollte die Abweisung von Volksabstimmungen häufig begründet werden. Das ist, so hatten w i r erkennen können, u m so mißlicher, als der Repräsentationsgedanke einen hohen Rang i n der politischen Ideengeschichte besitzt und deshalb, beladen m i t einer Vielfalt von je für sich glänzenden Ideen, leicht von einer Verfassungsexegese i n juristischer Methodik abführte. Deshalb war an diesem Platz weniger von der Ideengeschichte westlicher Verfassungen, als vom Text unserer Verfassung auszugehen und das i n A r t . 20 Abs. 1, 2; 28 GG niedergelegte Demokratieprinzip nicht nur als hohe Idee zwischen einer Menschengemeinschaft, sondern i n seinen tatsächlichen und strukturgebenden Anforderungen an die Staatspraxis zu untersuchen. Entgegen einer volkstümlichen und bislang auch wissenschaftlich kaum angefochtenen Anschauung hatte sich aus siebenerlei Hauptgründen (vgl. oben I I I . 1. b), c), 2. a), b), 3. a), b), c)) herausgestellt, daß Volksherrschaft durch Volksabstimmungen besonders gefährdet ist, wogegen Parlamente als überlegene Einrichtungen der ι Vgl. Hernekamp, Formen u n d Verfahren; Schiffers, Elemente direkter Demokratie. 2 Radbruch, Goldbilanz; v. Unruh, Die Verfassung, S. 519. a Vgl. oben I I . 1. - 3.
70
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
Volkswillensbildung, -Übermittlung und -Verstärkung gelten müssen. Entsprechend dem Grundsatzcharakter des Demokratieprinzips, entsprechend auch der Aufgabe des Prinzips, Maßstäbe für die Willensbildung i n einem modernen pluralistischen Staat von 60 Millionen freien Bürgern vorzugeben, mußten die rechtswissenschaftlichen Untersuchungen abstrakter sein, als daß sie vielleicht dem engagierten und vielerlei praktisch besorgten Staatsbürger sogleich einleuchten möchten. Jedoch hat sich das Grundgesetz auch nicht auf Staatsgestaltung durch Vorgabe von Prinzipien verlassen, vielmehr die Pflichten und Rechte der Bürger und Staatsorgane weiter derart systematisch und greifbar beschrieben, daß sich hieraus ein unmittelbar aussagekräftiges B i l d auch für die detaillierteren Anforderungen ergibt, die die Verfassung an die Ordnung der Demokratie stellt. Wo bereits von Anfang an i n der Verfassung eindeutig die Zulässigkeit von Volksentscheiden bestimmt ist, wäre ein prüfender, genauerer Blick auf einzelne Verfassungsbestimmungen fragwürdig. Vor einem Umbruch des WillensbildungsVerfahrens unter dem Grundgesetz ist er jedoch unabdingbar. Es muß festgestellt werden, ob und i n welchem Maße der Umbruch neben dem Prinzip auch die darin eingefaßten, konkreter schützenden Verfassungsbestimmungen erfaßt. Die Ausgestaltung dieser Normen ist großenteils eingefügt i n die repräsentative Ordnung des demokratischen Staates. Wenn Parlamente ihre Aufgaben an Initianten überstellen, sind insofern verfassungsrechtliche Schutzvorkehrungen zunächst lediglich unanwendbar. Zu fragen ist aber nach dem Normzweck, nach dem Schicksal der Bürgerrechte, zu deren Schutz die Verfassungsinstitutionen errichtet sind. 1. Die Verfassung des Parlaments a) Die Freiheit des Abgeordneten, Art. 38 Abs. 1 Satz 2,46 GG
Abgeordnete „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Die Freiheit des Abgeordneten nach A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG schützt die i m vorgehenden Satz geregelte Verantwortung des Abgeordneten vor dem Wähler. Diese muß eindeutig sein, u m wirksam und deutlich erkennbar werden zu können. Organisierte Interessen, darunter sind anders als parlamentarisch organisierte Interessen zu verstehen, müssen an nebenparlamentarischem Druck gehindert werden 4 . Bei genauem Umgang m i t dem Rollenbegriff, der sich immer bei der Erörterung von Schutzeinrichtungen des Bürgers i n gewaltengeteilten, hochdifferenzierten Sozialordnungen empfiehlt, ist es auch nicht der Wähler, der 4 Siehe Badura, scheid, S. 32 f.
Bonner Kommentar A r t . 38, Rdnr. 59; Schmitt,
Volksent-
1. Die Verfassung des Parlaments
71
an einer imperativen Einflußnahme gehindert werden soll; dieser t r i t t zu seinem eigenen Schutz durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahl dem Abgeordneten gegenüber. Vielmehr ist es der Bürger als partikularer Interessent, dem es unmöglich gemacht werden soll, den Abgeordneten nur als Strohmann seines eigenen Geschäfts einzusetzen. Die Bestimmungen über die Immunität, Inkompatibilität, vor allem die Indemnität des Abgeordneten nach A r t . 46 GG wehren der Gefahr amtsfremder Beeinflussung aus weiteren gefahrträchtigen Richtungen. Leicht mißzuverstehen ist allerdings die Formulierung i n A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG, daß Abgeordnete nur ihrem Gewissen unterworfen seien. Dieser Satz darf nicht isoliert von dem vorangestellten Satz betrachtet werden, welcher die Rechte des Wählers regelt. Gerade durch diese syntaktische Verknüpfung ist verdeutlicht, daß die Unabhängigkeit des Abgeordneten auch die Verantwortung vor dem Wähler schützt 5 . Der Abgeordnete ist deshalb nicht als Privatperson, sondern als Vertreter des ganzen Volkes seinem Gewissen unterworfen, er darf und soll also auch insoweit Bedacht nehmen auf die Notwendigkeiten, die für die institutionelle Leistungsfähigkeit des Parlaments bestehen 6 . Die höchsteigene Verantwortung des Abgeordneten für seine Entscheidungen verwirklicht sich i n seiner Amtspersönlichkeit. Das repräsentative A m t des Abgeordneten mit seinem zur Erzeugung einer Verantwortlichkeit geschaffenen freien Handlungsraum w i r d durch ein paralleles Gleis plebiszitärer Willensbildung bedroht. Zu unterscheiden ist dabei i n grundsätzlicher Weise der direkte und persönliche Entzug der gesamten Amtsstellung (unten aa)) und die institutionell vermittelte sachliche Einwirkung auf das A m t des A b geordneten (unten bb)). aa) Amtsentzug Ein Amtsentzug des Abgeordneten ist die Zielsetzung von Initianten, die Neuwahlen herbeiführen wollen. Ein solches Initiativrecht dringt direkt i n wahrgenommene Verantwortungen des Abgeordneten ein. Es muß nicht eingesetzt werden, sondern kann vielmehr als Abschrekkungswaffe die Entscheidungen des Parlaments dauernd beeinflussen, auch wenn es nur wendige und organisationsfähige außerparlamentarische Interessen bei ihrer Arbeit unter einen Schutzschirm stellt. Die Schäden, die dadurch der Verwirklichung des demokratischen Gedankens zugefügt werden, sind ausgeführt (vgl. oben V. 2. c) aa)): Anschauungen i n der Bürgerschaft müssen i n höherem Maße als Fertigprodukte 5 Badura, Rdnr. 50 f.; Steff ani, Parlamentarische Demokratie, S. 35. « Badura, Rdnr. 50, 70; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, S. 257; Kriele, Das demokratische Prinzip, S. 71.
72
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
von freien Verbands- und Medienmächten übernommen werden, wobei die parlamentarische Pflicht zur Integration der Anschauungen und der Themenbestimmung zu vernachlässigen ist. Die Meinungsfreiheit des einfachen Bürgers findet i m Staat einen weniger aufmerksamen Adressaten, es müßte statt dessen Einfluß i n den Verbänden gesucht werden, zu deren Freiheit es gehört, solche Einflußnahme von sich zu weisen. Auf das relative Gewicht von Bürgeranliegen kann vor drohenden Abstimmungen keine Rücksicht mehr genommen werden, und das Parlament muß sich bei allen Entscheidungen der geringeren Abstimmungsmehrheit versichern. Das Verfassungsrecht berücksichtigt diese Schäden i n A r t . 38 Abs. 1 GG, i n dem es das Abgeordnetenmandat auch i n seinem Bestand schützt und vorzeitige Abberufungen („recall") als unvereinbar mit dieser Bestimmung ansieht 7 . Eine solche Form des imperativen Mandats kann dabei nicht nur i n dem von Burke betonten unmittelbaren Zusammenhang gesehen werden, daß der Abgeordnete nicht nur Vertreter des Wahlbezirks, sondern Vertreter des ganzen Volkes sei 8 . Dann müßten allerdings Abstimmungen m i t dem Ziel von Neuwahlen für die gesamte Vertretungskörperschaft dieser Eigenschaft keinen Abbruch t u n können und nur Einzelabberufungen i n einzelnen Wahlkreisen die so verstandene Freiheit des Abgeordneten angreifen. Vielmehr ist für das Grundgesetz richtig gesehen, daß die Freiheit des Abgeordneten nicht nur dessen rechtschaffenen, individuellen Erkenntnisvorgang vor imperativen Notwendigkeiten aus seinem Wahlkreis schützen soll, sondern grundsätzlich dessen Aktionsradius i m parlamentarischen Entscheidungsfeld zu schützen bestimmt ist. Bei aller praktischen Bindung an die Fraktion und bei allen Abhängigkeiten von den Parteien, welche nicht nur unerläßliches Hilfsmittel, sondern auch Beschränkungen für seine Einflußnahme bedeuten, soll er durch die Sicherheit seines Mandats i n der zeitlichen Dimension der Wahlperiode, gerade auch bei Partei- oder Fraktionswechsel 9 , gegenüber den organisatorischen Mächten ein eigenständiges Gewicht erhalten 1 0 und sich damit Oligarchisierungstendenzen i m Parlament entgegenstemmen können. Erst mit der Nähe zu Wahlen soll sich weiterer Einfluß auf die politischen Parteien verlagern können, wenn diese über die wirksame Aufstellung von Kandidaten bestimmen. Eine unbestimmte Häufung von Wahlen muß, ebenso wie schon die bloße Unsicherheit über Neuwahlen, die Freiheit des Abgeordneten beschränken. Dies gilt i n hervorragendem Maße dann, 7
B adura, m. Nachw. 8 Steffani, Edmund Burke. » Vgl. die Sicherung dieser Freiheit durch die gesetzliche Erschwerung eines Mandatsverzichts, § 46 I 4., I I I Bundeswahlgesetz, io Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 256.
1. Die Verfassung des Parlaments
73
wenn es nicht das Parlament selbst ist, welches seine vorzeitige Auflösung beschließt. Neuwahlen aufgrund von außerparlamentarischen Abstimmungen gefährdeten die Unabhängigkeit des Abgeordneten nach A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG. bb) Amtsveränderung Die Freiheit des Abgeordneten w i r d nicht nur durch einen direkten plebiszitären Zugriff auf sein Amt, durch einen Amtsentzug, getroffen, sondern auch durch eine Veränderung der Bedingungen, unter denen er sein A m t auszuführen hat. Dabei w i r d zunächst allerdings davon Abstand zu nehmen sein, jede Amtsbeschneidung des Parlamentariers zugleich als eine Amtsveränderung i m Sinne des A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen. Wo andere Einrichtungen das A m t der Gesetzgebung wahrnehmen, besteht keine parlamentarische Aufgabe mehr. A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG fordert diese nicht, sondern setzt sie voraus. Es kann auch nicht der Auffassung zugestimmt werden, daß das A m t der Parlamente i n herüberwirkender Allgemeinheit durch A r t . 77 Abs. 1 GG bestimmt wird, wonach Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen werden. Dieser A r t i k e l t r i f f t Bestimmungen über das nur derzeit ausschließliche Verfahren der Gesetzgebung, aber keine Aussage über die verfassungsrechtlich notwendige rechtsstaatliche Singularität dieses Verfahrens. Dem dort geregelten Zusammenspiel von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung läßt sich der Wähler oder Abstimmende auch schwerlich als Konkurrent oder Partizipant an die Seite stellen, es sei denn, man verhielte sich wiederum i n der irrigen Auffassung, die Gewalten seien Hinderer und nicht Mittler des Bürgerwillens. Die zuvor erkannte Eignung der Abstimmungsdemokratie für die besonderen Materien vielleicht der grundsätzlichen Verfassungsgebung, sicher aber der Änderungen des Hoheitsgebiets und der Wahlgesetzgebung (oben V. 2. c) bb) - dd)) muß deshalb nicht i n Frage gestellt werden. I n einer Zone zwischen bloßer Amtsbeschneidung und einer die A b geordnetenfreiheit berührenden Amtsveränderung liegen dagegen solche Konstruktionen, welche dem Parlament besondere Vorschlagsrechte innerhalb von plebiszitären Verfahren einräumen. Die unverträgliche Verquickung zweier demokratischer Willensbildungsverfahren erfordert hier eine Entscheidung dahin, ob eine vermittelte oder eine unvermittelte demokratische Willensbildung statthaben soll. Da letztere hier zum entscheidenden Faktor gemacht ist, ließe sich zur Vermeidung von aus A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG herrührenden Bedenken vielleicht annehmen, das Parlament sei i n seiner Aufgabe deshalb nicht berührt, weil es nicht als dieses, sondern als ein nur äußerlich ebenso organisierter Petent eigentümlicher A r t auftrete.
74
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
Solche bemühten Konstruktionen versagen aber ihre Dienste, wenn das Parlament als beschließendes Organ der Gesetzgebung eingesetzt ist. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sind die Parlamentarier Abgeordnete des Volkes i m Sinne von A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Bedenklich werden dann Plebiszitmöglichkeiten i n sachlich wenig oder überhaupt nicht eingeschränktem Bereich, welche die Parlamentsarbeit unter die Kuratel eines Abstimmungswillens stellen. Dann w i r d nicht nur die Freiheit des Abgeordneten als institutionelles Machtmittel gegen Partei und Fraktion entwertet, weil diese, selbst rigider beschränkt, gleich von einer Würdigung der politischen Argumente zu einer statistischen Analyse der Meinungsumfragen und einer Einvernahme der Werbeagenturen fortschreiten müssen, sondern es entsteht für den Abgeordneten selbst auch eine vom Wähler wegführende neue Abhängigkeit von augenblicklichen Auffassungen und jenen, die ohne längerdauernde Verantwortung auf diese kurzfristig Einfluß nehmen können. Selbst Referenden, vom Parlament beschlossene Abstimmungen zwischen den Wahlperioden, eignet i n beträchtlichem Maße die Verkürzung der Freiheit des Abgeordneten. I m reinen Parlamentarismus besitzt der Volksvertreter seine Autorität bis zum Ende der Wahlperiode, aus ihr schöpft er die Kraft, K r i t i k i m Namen des Volkswillens auch an Fehl i n parlamentarischen Mehrheitsbeschlüssen zu üben, hinter denen kräftige Meinungsströme fließen 11 . Referenden entziehen ihm die Grundlage für dieses von A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG gestärkte Recht. I n der nichtverfaßten Demokratie unvermittelter Sachentscheide w i r d nicht nur der Abgeordnete i n seinem A m t bedroht, sondern auch der Initiant arbeitet ungeschützt an der Willensbildung des Volkes. Ohne die Indemnität, Immunität und Inkompatibilität des Abgeordneten gem. A r t . 46 GG steht er den Drohungen von Schadensersatzklagen, Strafanzeigen und, als Beamter, Disziplinarverfahren ungeschützt gegenüber. Ohne einen für die Volkswillensbildung garantierten freiheitlichen Raum muß er seine Arbeit i n hohem Maße an der Wahrscheinlichkeit der Einleitung und des Erfolgs sowie an der Beschwernis solcher Verfahren orientieren, statt sich auf Bürgeranschauungen konzentrieren zu können. Der Bürger hat keine Kontrollmöglichkeiten über diesen verdeckten Einfluß der Rechtsabteilungen, Anwaltskanzleien und Magistraturen. Diesem Publizitätsnachteil des Plebiszits ließe sich entgegenwirken, wenn das Recht der freien Rede für den Gang von Volksabstimmungen über den bisherigen Rahmen des A r t . 5 Abs. 2 GG hinaus ausgedehnt würde. Volksabstimmungen sind insofern jedoch keine verfaßten Verfahren mit deutlichem prozeduralen Rahmen. Die Grundrechte der A n u Vgl. BVerfGE 2, 143 (161); Versteyl, A r t . 42 GG, Rdnr. 17.
1. Die Verfassung des Parlaments
75
gegriffenen auf Persönlichkeits- und Vermögensschutz wären i n Gefahr, i n der uferlosen sachlichen und zeitlichen Weite von Äußerungen des „Volkes" unterzugehen. I n der Abstimmungsdemokratie versagt der durch A r t . 38 Abs. 1 Satz 2, 46 GG vorgesehene Schutz der demokratischen Willensbildung. b) Die Öffentlichkeit der Verhandlung, Art. 42 Abs. 1 G G
Das für das Plenum des Bundestages geltende Öffentlichkeitsgebot „ist eine wertvolle Ergänzung des demokratischen Prinzips" 1 2 , da es die Publizität der Gesetzgebungsarbeit bewirken soll. Es w i r d nicht notwendig dadurch beeinträchtigt, daß Ausschußsitzungen diesem Verfassungsgebot nicht unterfallen 1 3 , auch wenn i n diesen Gremien gegenwärtig ein Großteil der parlamentarischen Problemlösungarbeit geleistet wird. I m Gegenteil ist damit richtig gesehen, daß i m gegliederten Entscheidungsverfahren, soll eine solche Gliederung sinnvoll sein, je verschiedene Regeln gelten müssen. Geheimhaltung und Öffentlichkeit lassen sich deshalb nicht prinzipiell einander gegenüberstellen, sondern sie sind i n ihrem gegenseitigen Bezug zu verstehen, wobei allerdings die Öffnung der Parlamentsarbeit für die Kontrolle des Wählers der leitende Gedanke darstellt. Soll das Parlament seine Aufgabe der verantwortlichen Themenbestimmung und Anschauungsintegration (vgl. oben I I I . 1. b), c)) bewirken können, w i r d man es i h m schwerlich versagen können, vor dem T r i t t an die Öffentlichkeit intern die Möglichkeiten der strengen repräsentativ-demokratischen Mehrheitensuche (vgl. I I I . 3. b)) auszukundschaften. Es ist gerade auch das Recht der Öffentlichkeit, verstehbare Rechtfertigungen von oder Angriffe gegen Mehrheitsentscheidungen zu erhalten, welche nicht durch eine Vielzahl von Bemerkungen und versuchsweise vorgebrachten Ansichten verwischt sind, die die freien Medien und Verbände nach eigenem Gustus aus einem offenstehenden Reservoir von Vorüberlegungen schöpfen können. Die zur Stützung der Geheimhaltung vorherrschend vorgebrachte Überlegung, daß eine volle Öffentlichkeit einen hohen Anteil der Ausschußarbeit i n den vorparlamentarischen Raum verlagern würde 1 4 , erscheint dagegen eher tatsächlicher denn verfassungsrechtlicher Natur; ein solches Ausweichen vor dem Parlament wäre zunächst ein trauriges Zeichen, aber für eine Rechtfertigung einer Geheimhaltung wenig geeignet. i2 Maunz, A r t . 42 GG, Rdnr. 1; siehe auch Hatschek, Staatsrecht, S. 569; Marcic, Die Öffentlichkeit; eingehend Achterberg, Die parlamentarische V e r handlung, S. 16 ff. m. Nachw. Maunz, Rdnr. 3 m. Nachw. ApeZ, Parlamentarismus, S. 148 f.; Linck, Öffentlichkeit der Parlamentsausschüsse, S. 513 ff.; Scheuner, Entwicklung des parlamentarischen Verfahrens, S. 154.
76
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
Die erleichterten Möglichkeiten der Geheimhaltung von Ausschußsitzungen 15 erscheinen so geradezu als systematische Unterstützung von A r t . 42 Abs. 1 GG, der Öffentlichkeit der Plenumsitzungen, denn hier ist der Ort, wo das Parlament seine Überlegungen zur Formulierungsreife entwickelt haben muß, und für die hier „zum Fenster hinaus" gehaltenen Reden muß es vor dem Wähler ungeachtet aller vorhergehenden redlichen Mühe m i t einem verbindlichen Willen i n Ergebnisverantwortung (vgl. oben I I I . 3. a)) treten. Die Öffentlichkeit des Plenums ist deshalb ein „zwingender Satz des Verfassungsrechts" 16 und nur unter den erschwerten Voraussetzungen der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder aufzuheben, A r t . 42 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie bedarf also unter üblichen Verhältnissen auch der Zustimmung der Opposition. Ein Plenumsbeschluß auf Ausschluß der Öffentlichkeit w i r d das besondere Interesse des Bürgers finden und zu politischen Gedanken anregen. Er ist mit dem Mittel der Wahl vor dem Bürger zu rechtfertigen. Staatliche Gesetzgebung außerhalb der Parlamente kennt keine Geheimhaltung, geschweige denn ein damit verbundenes Öffentlichkeitsgebot. Sie w i r d geprägt durch den über Geheimhaltung hinausgehenden Charakter der Privatheit, welche bereits das Informations interesse des Staatsbürgers fragwürdig macht. Die wohlklingenden Vereine und Verbände, welche als die Initianten von Gesetzesentwürfen auftreten, sind allenfalls verpflichtet, schriftliche Begründungen ihrem Entwurf beizugeben, welche jedoch nicht i n einer öffentlichen Versammlung und i n mehreren Lesungen gegenüber vom Volke bestellten professionellen K r i t i k e r n zu verteidigen sind. Bei unvermittelten Sachentscheiden sind benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf eine organisatorische Selbsthilfe verwiesen, wozu sie genug Zeit 1 7 und genug an hier nicht allgemein und gleich verteilten Mitteln haben müssen, u m gemeinsam auf die bedrohlichen Implikationen von Entwürfen aufmerksam zu werden; letztlich also bereits einem einflußreichen Verband angehören, welcher über eine kräftige und reaktionsschnelle „public relations" -Abteilung verfügt, die auch gegenüber Presse, Funk und Fernsehen Zeilen und Zeiten der Erwähnung erwirken kann 1 8 . Das Verfassungsrecht auf gleiche Zuteilung von Sendezeiten i n den öffentlich-rechtlichen Medien gilt für Wahlen und Parteien, nicht für Abstimmungen und Verbände 19 . ie Z u den Abstufungen Achterberg, Parlamentarische Verhandlung, S. 26 ff.; zum Grundgedanken vgl. Greifeid, Information u n d Indiskretion. i« Badura, Bonner Kommentar, A r t . 38 GG, Rdnr. 1; Hatschek, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, S. 569. 17 Z u r institutionellen Zeitverkürzung i n der Abstimmungsdemokratie vgl. oben I V . 3. a. is Vgl. dagegen die Rederechte der Parteien i n den öffentlich-rechtlichen Medien, Jarass, Freiheit des Rundfunks, S. 70, 74. ι» Siehe die Grenzbestimmungen i n B V e r w G DVB1.1971, 70 ff.
1. Die Verfassung des Parlaments
77
Parlamentarische Beteiligungsrechte an der unvermittelten Gesetzgebung, sei es vorher i n Form von Anhörungs- oder Vorschlagsrechten 2 0 , sei es nachher i n Form von Zustimmungspflichten 21 , sind nur auf den ersten Blick geeignet, Verletzungen des für die Gesetzgebung geltenden Publizitätsgebots zu verhüten. Parlamente sind ingeniöse Einrichtungen zur demokratischen Willensbildung. Wo sich jedoch ein Wille auf verschiedenen Schienen bereits gebildet hat, sind sie als demokratische, also wahlabhängige Institutionen verfassungsrechtlich vorsätzlich i n dessen Abhängigkeit gebracht. Pflichten zur unvoreingenommenen Prüfung des Parlaments zu jenen späten Zeitpunkten verkennen den Charakter und das Gewicht seiner demokratischen Pflichten. Es macht demgemäß auch wenig Unterschied, wenn das unvermittelte W i l lensbildungsverfahren von vorneherein als unverbindliche Volksbefragung ausgestaltet ist 2 2 . Auch hier hat sich ein Wille gebildet, zu dessen alsbaldiger Berücksichtigung das Parlament durch das Verfassungsrecht organisatorisch ausgebildet ist. Aber auch wenn man zu einer Rechtspflicht des Repräsentanten zu Volksheroismus, statt zu einer Verpflichtung zu einer funktionsgerechten Aufgabenerfüllung neigen wollte, wäre gegenüber den Publizitätsmängeln der Volksentscheide wenig gewonnen: Die Parlamentsdebatte muß ohne Pflichtige Teilnahme des Initianten geführt werden. Sehr viel vermittelter, am Ende aber deshalb nicht notwendig weniger wirkungsvoll ist die Beeinträchtigung des verfassungsrechtlichen Publizitätsgebots, wenn das Parlament selbst es ist, welches Abstimmungen initiiert, beim Referendum (vgl. oben V. 1. e)). W i r d das Referendum, wie i n der Regel, nach der parlamentarischen Entscheidung eingesetzt, so haben Mehrheit wie Minderheit i n der öffentlichen Beratung zwar die Gelegenheit, durch die Debatte Einfluß zu nehmen auf die Willensbildung des Bürgers. A m Fenster zur Debatte steht dabei aber nicht i n erster Linie der Wähler, sondern der Abstimmende. So wie die Anforderungen an die Entscheidungsqualität beim Plebiszit i m Verhältnis zur Volkswahl sinken, so werden auch die diesen folgenden politischen Gesetzmäßigkeiten der Entscheidungsbegründung vereinfacht. Wo Meinungsumfragen klare Ergebnisse der Abstimmung ankündigen, werden kaum andere Worte als solche der Begründung und Rationalisierung der zu erwartenden Befürwortung gesprochen werden, jedenfalls solange i m Parlament nicht „Splitterparteien" vertreten sind, die sich den Aufstieg zu respektablen Minderheitsparteien vorgenommen haben. Das Publizitätsgebot ist i n dieser Fallvariante nicht direkt ange20 Oben V . l . b ) . 21 Oben V. 3. c). 22 Oben V. 3. c).
78
V . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
griffen, es ist aber auf kargen Boden gesetzt und w i r d nicht die Früchte erbringen, derentwillen es von der Verfassung eingesetzt wurde. c) Das demokratische Mehrheitsprinzip im Parlament
W i r d das an den Staatsbürger adressierte demokratische Mehrheitsprinzip aus dem Rahmen seiner Umsetzung i n unvermittelten Bürgerabstimmungen herausgehoben und innerhalb eines repräsentativen Organs verwirklicht, so erfährt es charakteristische Veränderungen. Daß aus einem freien gesellschaftlichen Verband i n Verbindung mit einer Mehrheit einzelner Abstimmender eine Mehrheit von Stimmen gewählter Repräsentanten wird, führt zu einer Verschiebung des Stimmgewichts der einzelnen Staatsbürger, welche für den Parlamentarismus charakterisierend ist. Das demokratische Mehrheitsprinzip erhält dadurch eine neue Qualität (unten aa)). Sie erschließt sich i m weiteren durch eine genauere Beobachtung seiner Abwandlungen für die besondere Situation der Kanzlerwahl (unten bb)) und der besonderen Rechte der Fraktionen (unten cc)). aa) Die Abgeordnetenmehrheit,
Art. 42 Abs. 2 GG
Mehrheiten bei Abstimmungen i m Bundestag lassen sich denken als eine Mehrheit der Abstimmenden (Abstimmungsmehrheit), eine Mehrheit der offiziell Anwesenden (Anwesenheitsmehrheit) oder eine Mehrheit der Mitglieder des Parlaments (vgl. A r t . 121 GG). Hätte das Parlament dem Volke das Heft der demokratischen Entscheidung aus der Hand genommen, so wäre eine A n t w o r t auf diese Frage von höchster Bedeutung und das Schweigen der Verfassung an dieser Stelle schwer verständlich; die Prozeßtätigkeit und die literarische Bemühung u m Begründung verschiedener Ansichten sicherlich intensiv 2 3 . Dagegen w i r d einhellig angenommen, daß i n A r t . 42 Abs. 2 GG die Abstimmungsmehrheit angesprochen ist. Deren Maßgeblichkeit scheint allerdings nach § 45 Abs. 1 GeschOBT erheblich dadurch eingeschränkt, daß zur Beschlußfähigkeit des Bundestages die Notwendigkeit der A n wesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder i m Sitzungssaal gefordert wird. Bei genauerem Hinsehen w i r d jedoch offenbar, daß diese Vorschrift weniger zur richtigen Mehrheitsermittlung als gegen eine zufällige Mehrheitsverwechslung eingerichtet ist. Die Beschlußunfähigkeit w i r d gebräuchlicherweise nicht ex officio vom Parlamentspräsidium, sondern erst nach Antrag aus dem Hause festgestellt, § 45 Abs. 2 Z u r recht relativen Bedeutung dieser Frage zutreffend Achterberg, Die parlamentarische Verhandlung, S.49; von Mangoldt / Klein, A r t . 42, A n m . I V . 2. a.
1. Die Verfassung des Parlaments
79
GeschOBT 24 . Das Parlament ist eine über den Plenarsaal hinausreichende Organisation, die schon vor der Plenumsdebatte Entscheidungen verantwortlich vorbereitet und nötigenfalls durch Vereinbarungen, auch zwischen den Fraktionen, betreffend Anwesenheiten für Abstimmungsergebnisse Vorsorgen kann. Die Anwesenheiten i m Plenum folgen insoweit den beabsichtigten Ergebnissen, nicht umgekehrt die Ergebnisse den Anwesenheiten 25 . Für die parlamentarischen Entscheidungen sind nicht nur die je anwesenden, sondern alle Abgeordneten verantwortlich. Alle Volksvertreter mit ihren Parteien müssen das Handeln des Parlaments als Institution vor dem Wähler rechtfertigen. Eine genauere Aufschließung des demokratischen Mehrheitsprinzips i m Parlament nach A r t . 42 Abs. 2 GG ergibt sich deshalb, wenn man den Blick auf den zunächst vielleicht selbstverständlichen Normbestandteil lenkt, daß die Mehrheit nicht aus gebundenen Boten von Bürgern, sondern aus ihr A m t versehenden Abgeordneten besteht. Abgeordnetenmehrheiten, die jeweils nur singuläre Mehrheitsinteressen von Bürgergruppen aus der Gesellschaft i n das Parlament übernehmen und dort durchsetzen, genügen nicht ihren institutionellen Anforderungen und müssen u m den Wahlerfolg fürchten 26 . Der Abgeordnete steht i n einem Wettkampf u m die Annäherung an optimale Interessenintegration, er muß u m Wahlmehrheiten, nicht u m plebiszitäre Abstimmungsmehrheiten kämpfen 2 7 und darin auch der Pflicht zur rechtzeitigen Entscheidung 2 8 und der Anliegengewichtung 29 genügen. Täuschungsabsichten durch eine bestimmte Formulierung der Abstimmungsfrage würden auf beruflich geschulte Politiker treffen; derartigen Versuchen politischer Einflußnahme werden aus diesem Grund für den Bundestag wenig Erfolgschancen eingeräumt 30 . I n einem anderen als dem parlamentarischen Rahmen des A r t . 42 Abs. 2 GG ist das demokratische Mehrheitsprinzip nicht gleich gültig. Initianten zu Volksabstimmungen suchen augenblickliche Stimmen für einzelne Sachrealisationen, nicht die Zustimmung des Bürgers zu einer Politik. I h r grundlegender Maßstab ist die Durchsetzung der Sache, nicht sind es die Anliegen des ganzen Staatsbürgers. Eine Addition von Abstimmungsmehrheiten der Bürger zu einem Umfang, welcher der wahlbeauftragten Arbeit des Parlaments über einen gewissen Zeitraum 24 Achterberg, Grundzüge, S. 75; F. Schäfer, Bundestag, S. 212 f. 25 Vgl. BVerfGE 44, 308 (315 ff., 320): Vermutung angemessener Repräsentation. 2« Vgl. oben I I I . 2. 27 Vgl. oben I I I . 3. b), I V . 3. b). 28 I I I . 2. b). 29 I I I . 2. a). M F. Schäfer, Bundestag, S. 213.
80
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
entspräche, müßte die Mehrheitsverhältnisse unter gleichen Bürgern mit gleichen Auffassungen i n hohem Maße verändern. Das demokratische Mehrheitsprinzip wäre dabei i n geringerem Maße beachtet als i m Rahmen von A r t . 42 Abs. 2 GG, weil für staatliches Handeln und Unterlassen geminderte Anforderungen an Bürgerzustimmung bestünden 31 . bb) Die Kanzlerwahl,
Art 63, 67 GG
Eine typische, besondere Qualität des parlamentarischen Mehrheitsprinzips w i r d deutlich i n den Vorschriften, welche die Bestellung und Abberufung des Bundeskanzlers regeln. Die Kanzlerwahl ist nicht nur eines unter vielen Rechten des Parlaments, sondern es ist der verfassungsrechtliche Angelpunkt des parlamentarischen Einflusses auf die Exekutive, der auch nach dem Wahlakt systembildend für die Parlamentsbedeutung bleibt 3 2 . Die meist selbstverständliche Anerkennung der Leistung dieses Wahlverfahrens kontrastiert i n eigenartiger Weise m i t der Beurteilung der Volkswahl der Abgeordneten, auch wenn den Abgeordneten i m Unterschied zum Wähler ein Recht des konstruktiven Mißtrauensvotums innerhalb der Legislaturperiode zusteht. Aus guten, durchaus demokratischen Überlegungen ist vorgesorgt, daß zur Bestellung des Leiters der Exekutive nicht 51 °/o der Abgeordnetenstimmen unabdingbar erforderlich sind und umgekehrt zur A b berufung des Bundeskanzlers auch große Mehrheiten allein nicht ausreichen. Diese Bestimmungen brauchen sich nicht auf einen diffusen Effizienzgrundsatz zu berufen, sondern sie residieren unmittelbar i m demokratischen Mehrheitsprinzip 3 3 . Nach A r t . 63 Abs. 2 GG ist i m ersten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt, wer die Stimmen der einfachen Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt. Mißlingt eine solche Mitgliedervereinigung, ist dem Parlament eine 14tägige Frist zu weiteren ebensolchen Versuchen mit anderen Kandidaten eingeräumt, A r t . 63 Abs. 3 GG. Danach ist für die Wahl des Bundeskanzlers nur noch eine relative Stimmenmehrheit erforderlich, A r t . 63 Abs. 4 GG. Gemessen an der Mitgliederz ahi des Parlaments kann diese aus einer Minderheit der Volksvertreter bestehen. Gemessen an dem demokratischen Mehrheitsprinzip sind solche relativen Stimmehrheiten i m Parlament gleichwohl Mehrheiten vollen Rechts. Der Gegenstand der parlamentarischen Mehrheitsbildung sind nicht beliebige Einstellungen oder Auffassungen, wie sie i m gesellschaftlichen Raum die Politiker zur Beachtung zwingen. Parlamentsmehrheiten müssen sich vielmehr Z u m Ganzen oben I V . «2 F. Schäfer, Bundestag, S. 15 f., 19. 33 Z u m harten K a m p f u m eine Wegbereitung dieser Lösung i n der Weimarer Republik, die zunächst an den radikalen Parteien scheiterte, H. Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnung, S. 310 ff.
1. Die Verfassung des Parlaments
81
aus aufgabenbezogenen, positiven, also entwickelten Ordnungsvorstellungen bilden, sie zählen nur als konstruktive Mehrheiten. Die Vereinigung i n der Ablehnung von Vorschlägen, Gemeinsamkeiten i n diffuser Aversion, besitzen geringes Gewicht. Sie entstehen häufig innerhalb sehr unterschiedlicher positiver Regelungsvorstellungen. Dies ist nicht mißzuverstehen als eine verfassungsrechtliche Erleichterung für einen Hochbetrieb bei der Gesetzgebungsarbeit. Die konstruktive Übereinkunft des Parlaments kann auch i n großer Zurückhaltung bei seiner Tätigkeit bestehen, und nach A r t . 63 GG kann dann ein dementsprechender Kanzlerkandidat gekürt werden. Die Verfassung sorgt jedoch vor, daß ein solcher konstruktiver Konsens auch wirklich besteht. „Eine Mehrheit kann i n der Demokratie nur innerhalb des Kreises derjenigen entscheiden, die zur Antwort auf ein und dieselbe Frage aufgerufen sind 3 4 ." Gelingt es nur einer Minderheit von Abgeordneten, ihre A u f fassungen i n einer Übereinkunft über einen Kanzler zusammenzufassen, so w i r d diese zur relativen Mehrheit. I n einem solchen Falle ist allerdings den sich abseits stellenden Abgeordneten der Vorwurf zu machen, daß sie ihrem Wählerauftrag zu konstruktiver Willensbildung nicht nachgekommen sind. Der Bundespräsident muß deshalb gem. A r t . 63 Abs. 4 Satz 3 GG prüfen, ob es nicht geboten ist, den auftraggebenden Wähler erneut u m ein Machtwort zu b i t t e n 3 4 3 . Sehr deutlich w i r d die Abweisung negativer parlamentarischer Mehrheitsmeinungen von einer demokratischen Einflußnahme noch einmal i n A r t . 67 GG bei den Anforderungen an die parlamentarische Abwahl des Bundeskanzlers. Nur solche Mehrheiten können den Bundeskanzler zur Aufgabe seines Amtes verpflichten, welche durch Willensvereinigung über einen neuen Kandidaten auch konstruktive Vorstellungen vorweisen können. Historisch ist diese Regelung aus schlechten Erfahrungen gebildet. Inhaltlich ist die Vorschrift ohne Besonderheiten. Sie ist nur Ausdruck der allgemeinen Anforderungen, welche die Verfassung des repräsentativen Systems an Mehrheitsbildungen i m Rahmen des organisationsrechtlich Möglichen sich zu stellen bemüht. Das Schicksal des konstruktiven parlamentarischen Mehrheitsprinzips i n unvermittelten Abstimmungsverfahren ist alsbald noch einmal i m Vergleich mit der Verfassung der Wahl (unten V I . 3.) zu betrachten. Aus den bisherigen Erwägungen läßt sich aber bereits feststellen, daß der Bürgeranspruch auf konstruktive demokratische Mehrheitsbildung die Auflösung der Parlamentsverantwortung nicht überleben kann.
So eine Grundsatzformulierung i n BVerfGE 1, 14 (46), I I . 34a Z u m weiten Ermessensspielraum gegenüber einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle vgl. das U r t e i l des BVerfGs v o m 16.2.1983. 6 Greifeid
82
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
cc) Die Fraktionsprivilegien,
§§ 10 ff. GeschOBT
Für die Abgeordneten des Bundestages gilt ein Zweiklassenstimmrecht. I n die Klasse minderen Einflusses geraten jene Abgeordnete, welche nicht fähig (oder nicht willens) sind, zusammen m i t anderen Parlamentariern eine Fraktion zu bilden. Hierhin gehört i n ursprünglicher Weise der ohne Parteienbindung i n einem Wahlkreis von den Bürgern direkt gewählte einzelne Kandidat. Eine Gruppe von Parlamentariern kann u. a. nur dann den Status einer Fraktion erlangen, wenn sie erstens aus Abgeordneten besteht, welche nicht i m Konkurrenzkampf u m Wählerstimmen standen 36 , und zweitens, wenn sie eine parlamentsinterne 5 %-Klausel überwunden haben, nämlich mindestens aus einem solchen Prozentsatz der Mitglieder des Bundestages bestehen, § 10 Abs. 1 GeschOBT. Maßgebliche Rechte des Parlamentariers können nur i m organisatorischen Rahmen einer Fraktion verwirklicht werden 3 6 . So werden die vorentscheidenden Ausschüsse des Parlaments allein von den Fraktionen besetzt, § 12 Satz 1 GeschOBT. I n den Ausschuß Sitzungen w i r d über die Formulierung der Vorlagen beraten und abgestimmt, welche das Plenum aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der parlamentarischen Arbeit i m wesentlichen nur noch annehmen oder ablehnen kann 3 7 . Abänderungsanträge fraktionsloser Abgeordneter sind i n zweiter Lesung noch möglich, § 82 Abs. 1 GeschOBT, werden aber nur dann eine Chance der Aufnahme haben, wenn sie geringfügige Modifikationen betreffen, nicht aber, wenn sie strukturändernde Neubestimmungen der Novelle bewirken sollen. Fraktionslose Abgeordnete dürfen ohne besondere Vereinbarung m i t dem Ältestenrat i n den Plenumssitzungen nur 15 Minuten sprechen, Fraktionsredner dürfen die Einräumung von 45 Minuten Redezeit verlangen, § 35 Abs. 1 Satz 2, 3 GeschOBT. I m Vorstand des Bundestages sind allein Fraktionen vertretungsberechtigt, § 12 Satz 2 GeschOBT. Auch der Ältestenrat des Bundestages, welchem die wichtige Aufgabe der Bestimmung der Tagesordnung des Plenums zuerkannt ist, §6 Abs. 2 Satz 2 GeschOBT, w i r d allein von Fraktionsmitgliedern gebildet, § 12 Satz 1 GeschOBT. Diese und weitere Nachteile können von Abgeordnetengruppierungen ohne Fraktionsstatus nur vermieden werden, wenn eine Mehrheit des Bundestages beschließt, dieser Gruppe den Fraktionsstatus zuzuerkennen, § 10 Abs. 1 Satz 2 GeschOBT. Eine recht35 Das weitere gesetzliche Erfordernis gleichgerichteter politischer Ziele k a n n nicht als gesetzliche Hürde betrachtet werden, da über dieses die f r a k tionsbildenden Abgeordneten selbst zu entscheiden haben werden. Vgl. BVerfGE 20, 56 (104); Badura, Rdnr. 75; Der Wähler soll nach B V e r f GE 43, 142 dadurch zwar betroffen sein, dies könne aber verfassungsrechtlich unbeachtet bleiben, w e i l es sich dabei n u r u m einen „Reflex" handele. 37 Achterberg, Die parlamentarische Verhandlung, S. 145 f.
1. Die Verfassung des Parlaments
83
liehe Verpflichtung hierzu besteht nicht, auch nicht i n der Form von Ermessensschranken. Vor die Erkenntnis der Bedeutung der parlamentarischen Geschäftsordnung für das Prinzip der repräsentativen Demokratie sind schon seit langem verschiedene dogmatische Parapets gestellt, welche auch die Sicht auf die Verbindung zu den demokratischen Rechten des Bürgers behindern, deren Realität aber nicht anzugreifen geeignet sind 3 8 . Dazu gehört einmal die Lehre, daß die Geschäftsordnungen der Parlamente statuarisches Innenrecht seien, welches Nichtmitglieder des Organs nicht verpflichten könne 3 9 . So weit, so bedeutungslos für unsere Frage der verfassungsrechtlichen Folgen für das inhaltsprägende Verfahren der Volkswillensbildung 4 0 . Sodann ist auch jene Lehre geeignet, falschen Vorstellungen behilflich zu sein, wonach die Geschäftsordnung eines Parlaments immer nur für eine Legislaturperiode gelte und von jedem neugewählten Parlament, wenn auch regelmäßig i n konkludenter Weise, erneut anzuerkennen sei. Ob dem Grundsatz der Diskontinuität der Parlamente weiterhin eine solche Wirkung zukommt 4 1 , sei hier dahingestellt. Denn von Interesse i n diesem Zusammenhang sind nicht die formellen Voraussetzungen der Inkraftsetzung der Geschäftsordnung, sondern die Wirkungen seiner materiellen Bestimmungen auf das Verfassungsleben des hohen Staatsorgans und damit auch seine Auswirkungen auf das hohe demokratische Recht des Staatsbürgers. Hierfür ist die Berechtigung der Fraktionsvorrechte i m Parlament aber nicht abhängig von anderweitigen Kompensationen des vereinzelten Abgeordneten. Das Recht zur Teilnahme an den Schlußabstimmungen i m Plenum insbesondere kann die fraktionslosen Abgeordneten auch kaum für den Ausschluß an der Vorbereitung der Novellen entschädigen 42 . Die diesen gestellte Ja/Nein-Alternative für Abstimmungen i m Plenum ermöglicht weithin nur noch passive Akklamation, nicht äber parlamentstypische konstruktive Beiträge zur Willensbildung. Eine Problemschau, wonach das parlamentarische Verfahren i n einer Dialek88
Unbeeindruckt hiervon Hatschek, Das Parlamentsrecht. 3ö K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie, S. 43 ff., Lippmann, Phantom Public, S. 143 ff.; vgl. schon Laband, Staatsrecht, S. 319. I m Kaiserreich mochte sich die Regierung m i t diesem Satz über die Schaffung eines satzungsmäßigen Mißbilligungsrechts des Parlaments gegenüber der Exekutive beruhigen, Ver. d. RT., Sten. Ber. Bd. 285, S. 1653 f. (1912). Z u den hier mitschwingenden Illusionen H. Schneider, Bedeutung der Geschäftsordnung, S. 309 f. 40 H. Schneider, S. 306. 41 Vgl. U r t e i l des StGH v. 20.12.1932, RGZ 139, A n h a n g S. 17 f.; Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 50 ff., H. Schneider, S. 314. Grundsätzlich Steiger, Organisatorische Grundlagen, S. 57 ff. 42 Siehe aber Badura, A r t . 38 GG, Rdnr. 76. 6*
84
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
t i k von effizientem Entscheidungsgang und freier Persönlichkeit des Abgeordneten zu schwanken hätte, wäre i m Ansatz verfehlt. Vielmehr ist A m t und freies Mandat des Abgeordneten mit der Organisation des Parlaments i n einen solchen gegenseitigen Bezug gebracht, welcher die Parlamentsaufgabe der demokratischen Willensbildung zu v e r w i r k l i chen geeignet ist. M i t den Worten F. Schäfers 43 ist dabei für den Bundestag grundlegend, „daß er sich aus 518 einzelnen Menschen zusammensetzt, die alle eine eigene Meinung und Auffassung von den Sachfragen haben, über die er zu entscheiden hat. Er muß daher einen Weg von der Willens- und Entscheidungsfähigkeit i m eigentlichen, natürlichen Sinne, die allein bei dem einzelnen Abgeordneten als Person liegt, zum Gesamtwillen des Parlaments als einer Personenmehrheit finden, der auf den Willensäußerungen der einzelnen Mitglieder beruht." Das Parlamentsrecht hat die Erfüllung dieser Aufgabe dadurch angebahnt, daß es an das A m t der 518 Abgeordneten, welche ja ihrerseits den Willen von 40 Millionen Wählern zu übertragen haben, eine Mindestanforderung an politischer Vorgruppierung stellt, ohne welche die Erfüllung der parlamentarischen Pflichten bedroht wäre. Splittergruppen und Abgeordnete ohne den Nachweis der Fähigkeit zur W i l lensverbindung erfahren deshalb als Konsequenz des demokratischen Prinzips eine, immer vorläufige, Herabstufung ihrer Einflußmöglichkeiten. Durch diese Regelung w i r d nicht nur das Parlament „technisch" arbeitsfähig gemacht, sondern gerade dadurch w i r d auch das demokratische Prinzip mit seinen konstruktiven Mehrheiten geschützt. Das parlamentarische Mehrheitsprinzip ist mit den Regeln zur Abgeordnetenmehrheit (oben aa)), Kanzlerwahl (oben bb)) und Fraktionsprivilegierung (oben cc)) nur beispielhaft und grundsätzlich behandelt. Die kunstvollen und historisch geprüften Regelungen des Parlamentsrechts zur Übermittlung des Volkswillens werden mit der Einstellung der Parlamentsarbeit auf oder durch Plebiszite weitgehend oder völlig gegenstandslos. Bleibend ist aber die Sorge u m ein Verfahren der Volkswillensbildung, welches den demokratischen Anspruch des Bürgers auf einen leistungsfähigen und dauerhaft verantwortlichen Staat verwirklicht. I n Plebisziten hat das Willensäußerungsrecht des Volkes Ähnlichkeit m i t jenem der parlamentarischen Splittergruppen, ein Recht auf Akklamation ohne die Möglichkeit eines kontrollierten Einflusses auf die inhaltliche Gestaltung der Alternativen. Hierbei hat es zwar immer ein insofern entscheidendes Stimmgewicht. Für ein Recht auf konstruktive Mehrheitsbildung i n einem öffentlichen, Interessen ausgleichenden Verfahren fehlt jedoch der Pflichtige Adressat.
43 F. Schäfer, Bundestag, S. 60.
2. Die Verfassung der Parteien
85
Für dessen Gewährleistung ist nicht nur das Parlament, sondern sind i n engem Zusammenhang auch die Parteien ausgebildet, weshalb diese nun einen entsprechenden Hinblick verdienen. 2. D i e Verfassung der Parteien a) Die Aufgabe des Parteienrechts
Die Väter des Grundgesetzes taten einen weiten Schritt, als sie, auch gegenüber der Weimarer Verfassung, erstmalig und an zentraler Stelle Regeln über Parteien i n die Verfassung aufnahmen. Dies ist weniger als ein Zurückweichen vor den Realitäten des Parteienstaates zu würdigen, denn dieser vermochte schon i n früheren Zeiten ohne verfassungsrechtliche Anerkennung das politische Leben unter seine Regeln zu stellen und die staatliche Willensbildung hervorragend zu beeinflussen. Einer „Anerkennung" bedurften die Parteien insoweit kaum 4 4 . Eher liegt A r t . 21 GG ein Selbsteingeständnis des Verfassungsgebers zugrunde, welchem die — schwierige — Ausweitung der verfassungsrechtlichen Kontrolle des demokratischen Verfahrens auch auf die Parteien folgen mußte 4 5 . Die Schwierigkeiten für ein solches Vorhaben lagen dabei auch i n der Bildung einer staatsrechtlichen Konzeption, denn die Parteien w i r k e n i m Grundrechtsbereich freier Meinungsbildung und lassen sich nicht als staatliche Gewalten erfassen 46 . Vielmehr sind sie Mittler zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung 4 7 und bedürfen deshalb sowohl der Freiheit der einen als auch der Kontrolle der anderen. A r t . 21 Abs. 1 GG ist danach keine Anerkennung der bestehenden Parteien, sondern eine generelle Schaffung von Mindestanforderungen an ein Organisationsstatut, welche Verbände erfüllen müssen, die sich der Aufgabe der parteispezifischen Beeinflussung von Parlamentsentscheidungen widmen wollen 4 8 . Bestehenden Parteien w i r d dadurch weder ihr Fortbestand 49 noch ihr Wahlerfolg garantiert. Es kann auch ein falscher 44 Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 247 f.; vgl. Forsthoff, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung, S. 12; Seifert, Die politischen Parteien, S. 62. 45 Höre schon die Stimme G. Radbruchs, Die politischen Parteien, S. 289; zu einigen schon vor dem Grundgesetz bestehenden Sonderrechten der Parteien Laband, Staatsrecht, S.333. 4« So n u n die gesicherte Rechtsprechung vgl. BVerfGE 20, 56 (100 f.), vgl. auch Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 253. 47 i n der Sprache des Bundesverfassungsgerichts: „Faktoren des Verfassungslebens", erstmals BVerfGE 1, 208 (225, 227). 48 Siehe §2 Parteiengesetz, BVerfGE 3, 383 (403); 24, 260 (264 ff.); 24, 300 (361); Seifert, Die politischen Parteien, S.44. 49 BVerfGE 20, 56 (96 ff.).
86
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
Eindruck erweckt werden, wenn von verfassungsrechtlichen „ P r i v i legien" der Parteien gesprochen wird. Den besonderen Rechten der Parteien zugrundeliegend sind vielmehr ihre besonderen Pflichten 50 , ihre Aufgabe i m Verfassungsleben. Der parteiliche Einfluß von Verbänden auf die Arbeit der Parlamentarier ist abhängig gemacht von amtlich zu prüfenden besonderen Anforderungen an deren Organisation und Tätigkeitsweise. Deshalb ist auch die Rede von einem „Parteienmonopol", wo ihr Rechtswert zukommen soll, geeignet, die Betrachtung i n Schieflage zu bringen. Es ist nicht einzelnen Betreibern von Parteiaufgaben die monopolistische Versorgung eines Stimmenmarktes 5 1 übertragen, sondern es gibt Anforderungen an den Marktzutritt, welche schon deshalb verfassungsgesetzlichen Rang haben müssen, weil sie durch die Wählerstimme allein nicht mehr hinreichend erwirkt werden können. Für allgemeinen Mißmut über den „Parteienstaat" ist hier nicht die richtige Gelegenheit zur Erprobung seiner Schlagkraft. Es widerspricht nicht dem Charakter von Pflichten und Anforderungen, wenn für deren Übernahme vom Staat besondere Rechte 52 gewährt werden. Die Abhängigkeit des Vorteils von den öffentlich-rechtlichen Pflichten der Parteien war es, welche das Bundesverfassungsgericht angesichts langer Jahre des gesetzgeberischen Zögerns einsetzen mußte, u m ein unwilliges Parlament dazu anzuhalten, den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Regelung des Parteienwesens i n A r t . 21 Abs. 3 GG endlich, nach 18 Jahren ergebnisloser Erörterung, zu erfüllen 5 3 . Durch den verfassungsrechtlichen Regelungsauftrag erhält das einfachgesetzliche Parteiengesetz zusammen mit den hiermit verbundenen Wahlgesetzen eine materielle Verbindung zum Verfassungsrecht 54 , welche sie über die sonst für einfaches Recht geltende Disponibilität i n der Hand des Gesetzgebers hinaushebt, wenn dies auch nicht formell dazu führen muß, daß nur verfassungsändernde Mehrheiten als änderungsbefugt eo Herzog, A r t . 21 GG, Rdnr. 3, 99; Hesse, Stellung der politischen Parteien. Z u r A n w e n d u n g des Marktgedankens auf die parlamentarische Demokratie vgl. die berühmten Ausführungen Schumpeters, Kapitalismus, Sozialismus u n d Demokratie, S.44ff. u n d die Würdigungen v o n Albert, Marktsoziologie, S. 66 ff.; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 163; Scheuner, Grundfragen des modernen Staates, S. 124 ff. 52 Insbesondere das wahlrechtliche Listenprivileg, siehe §§ 27, 18, 1 I I , 4, 6 Bundeswahlgesetz, § 33 Bundeswahlordnung, dazu genauer unten V I . 3. b). Vgl. dagegen die Aufzählung von Pflichten u n d Rechten der Parteien für die konstitutionelle Staatsverfassung bei E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 9. 53 BVerfGE 20, 56; Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 258; Scheuner, Parteiengesetz u n d Verfassungsrecht, S. 88; Seifert, Die politischen Parteien, S. 48 ff. 54 Dürig, Neugestaltung des Wahlrechts; Friesenhahn, Stellung der Parteien, S.251, 264; Scheuner, Parteiengesetz u n d Verfassungsrecht, S.88ff.
2. Die Verfassung der Parteien
87
angesehen werden können. Allerdings gewinnt dadurch aber die Erörterung des einfachen Rechts der Parteien und der Wahl einen i n Verbindung mit A r t . 21, 28, 38 GG zu sehenden besonderen verfassungsrechtlichen Charakter. b) Die Parteienaufgabe, Art. 21 Abs. 1 Satz 1 G G
Die Parteien haben nach A r t . 21 Abs. 1 Satz 1 GG die Aufgabe, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. A n Aufgaben der M i t w i r k u n g kann es keine Rechte der Exklusivität geben. Der einzelne, Verbände, Medien und Institutionen sind bei dieser Aufgabe ebenso beteiligt. Es ist hingegen die Eigenart dieser M i t w i r k u n g 5 6 , die hier ohne ausholende Erklärungen angesprochen ist. Sie w i r d zunächst deutlich durch die Bestimmung des Parteibegriffs, für die i m Parteiengesetz breiterer Raum war. Parteien können danach nur solche Verbände sein, die dauernd an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. I n §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 2 Parteiengesetz ist dieses Erfordernis näher dahin bestimmt, daß Parteien Vereinigungen von Bürgern sind, „die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes i m deutschen Bundestag oder i n einem Landtag m i t w i r k e n wollen . . . " . Die Rechtsstellung als Partei geht verloren, wenn der Verband sechs Jahre lang „weder an einer Bundestagswahl, noch an einer Landtagswahl m i t eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat", § 2 Abs. 2 Parteiengesetz. Kurzzeitige oder kleinräumige Verbände sollen also nicht die Rechte der politischen Parteien erlangen. A n Parteien ist die Anforderung eines weiteren personellen, zeitlichen und räumlichen Rahmens für ihre Existenz gestellt 56 . Der Zweck dieser Vorschriften reicht über diesen bedeutsamen Wortsinn hinaus und liegt vor allem auch i n einer Anforderung, die ohne Eingriff i n die Wahlfreiheit des Bürgers nicht hätte auf andere Weise geregelt werden können: Parteien sollen auch sachlich und programmatisch umfassendere Ziele verfolgen, u m auf diese Weise den Anforderungen der parlamentarischen Demokratie nach Vorausschau und Abstimmung besser entsprechen zu können. Zwar lassen sich die m i t einem Parteistatut versehenen Verbände auch auf diese Weise nicht zu einem umfassender bedachten Programm zwingend anhalten, sie werden jedoch vor die gesetzliche Notwendigkeit gestellt, ihre Entscheidungen vor einer höheren Anzahl von Bürgern, einschließlich der Wähler von morgen, begründen zu müssen. Schließlich können als Parteien nur solche Verbände an™ Scheuner, S. 89. s« Herzog, A r t . 21, Rdnr. 18; Die i n § 1 I I ParteienG zusätzlich bestimmten Pflichten sind eher als präambulierende Lehrsätze aufzufassen; deutlich Henke, Recht der politischen Parteien, S. 22, 37.
88
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
erkannt werden, die nicht lediglich Verbände verbinden oder ein Zweckverband eines anderen Verbandes sind, sondern erforderlich ist nach § 2 Abs. 1 Parteiengesetz die Verbindung von einer gewissen, nicht zu geringen Anzahl von natürlichen Personen 57 . Auch diese Regelungen lassen sich schwerlich ohne Verwerfungen zu dem demokratischen Gedanken der freien Meinungsbildung nach A r t . 5 Abs. 1 Satz 1 GG dahin verstehen, daß einmalig auftretende Interessenten und einseitig gebildete Verbände ihren Ansichten qua definitione den Stempel mangelnder Gemeinwohlberücksichtigung aufprägen lassen müssen, wohl aber dahin, daß Volksherrschaft heute zu ihrer Betätigung eines Auftragsverhältnisses mit Auftragnehmern bedarf, welche persönlich, zeitlich und räumlich greifbar und angreifbar sind; daß Grundelement des demokratischen Gedankens heute die Verantwortlichkeit vor dem Bürger ist, deren Anforderungen durch den Verweis auf eine Einigkeit i n Meinungen i m gesellschaftlichen Bereich vielleicht nähergebracht, aber noch nicht erfüllt sind. c) Das innerparteiliche Demokratiegebot, Art. 21 Abs. 1 Satz 3 G G
aa) Die demokratische
Spannungslage
Wenn verbandliche Gruppierung als eine strukturelle Voraussetzung heutiger demokratischer Herrschaft anerkannt ist, so w i r d durch A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG zugleich erkannt, daß der inneren Ordnung jener Verbände, welche die Schlüsselfunktion für alle parlamentarischen Einflußbestrebungen innehaben, unmittelbarer verfassungsrechtlicher Gehalt zukommt. Die innere Ordnung der Parteien muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Die inhaltliche Weite und Wirkung dieses Satzes war von Anbeginn umstritten. Insbesondere kann die geforderte zweifache Legitimation des Parlamentsabgeordneten von der Parteiorganisation einerseits wie von der Wählerschaft andererseits zu einem Spannungsverhältnis führen, welches mit der Erweiterung des Demokratieprinzips auf die Parteien nicht aufgelöst, sondern erst herbeigeführt ist. Die bekannte Definition Schumpeters 58 , wonach eine Partei eine Gruppe ist, „deren Mitglieder willens sind, i m Konkurrenzkampf u m die politische Macht i n Übereinstimmung miteinander zu handeln", gilt i n recht unterschiedlichem Maße für den hauptberuflichen Abgeordneten und das i n seiner Freizeit hinzutretende einfache 1 Parteimitglied. Deshalb ist das innerparteiliche Demokratiegebot kein bloßes Ab57 Diese Erfordernisse werden durch die wahlrechtliche Sperrklausel als überwacht angesehen, wodurch eine heikle Aufgabe v o n V e r w a l t u n g u n d Rechtsprechung an den Wähler übergeben werden konnte, vgl. unten V I . 3. b), bb). 58 Schumpeter, S. 449 f.; zustimmend Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 247, siehe auch § 2 I S. 1 ParteienG.
2. Die Verfassung der Parteien
89
bild des allgemeinen staatlichen Demokratieprinzips i n einem kleineren organisatorischen Rahmen. Es steht i m Zusammenhang m i t der besonderen Rolle, welche Parteien i m demokratischen Willensbildungsprozeß besitzen, und ist aus der Perspektive des einfachen Parteimitglieds nicht ausreichend gewürdigt. Erfordernisse der repräsentativen Demokratie können deshalb Gebote einer strikt verstandenen innerparteilichen Demokratie eingrenzen 59 . Es liegt i n der Konsequenz des A r t . 38 Abs. 1 Satz 2 GG, der Hinwendung des Abgeordneten zum Wähler, wenn die gewählten Volksvertreter schon i m Vorfeld der parlamentarischen Entscheidungen, i n den Parteigremien, mit besonderem Einfluß ausgestattet sind. I n der demokratischen Spannungslage zwischen den Geboten einer innerparteilichen Demokratie (unten bb)) und den Möglichkeiten eines Wählereinflusses auf die Parteien selbst (unten cc)) ist die zurückhaltende Formulierung von A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG aber jedenfalls dahin zu verstehen, daß die Parteien ihre innerverbandliche Verantwortung für ihre Zielsetzungen grundsätzlich vor dem Wort des Wählers i m Rahmen einer innerparteilichen demokratischen Ordnung einlösen müssen. Daß selbst ein derart i n Beziehung zur repräsentativen Verfassung gesetztes innerparteiliches Demokratiegebot noch als unerfüllter und hoffnungsloser Anspruch gewertet werden muß, besteht kein Anlaß anzunehmen 60 . Der Einfluß des einfachen Parteimitglieds ist nicht schicksalshaft daran gebunden, daß aus dem unmittelbaren Bekanntenkreis Kandidaten für Parteiämter gewonnen werden können. Ohne eine solche höchstpersönliche Entsendung kann Einfluß auf die Führungsgremien auch dadurch gewonnen werden, daß diese zu Verhaltensänderung und Anpassung entsprechend sich wandelnder Vorstellungen geführt werden. bb) Die Rechte des einfachen Parteimitglieds Parteien dürfen i m Unterschied zu Bürgervereinen, Bürgerinitiativen usw. nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Parteiengesetz keine allgemeinen Aufnahmesperren verhängen. Einzelne Aufnahmeanträge dürfen jedoch nach § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 Parteiengesetz ohne Begründung abgelehnt werden. Dies ist eine Vorkehrung etwa dagegen, daß rühmliche Personen der Medienwelt unwillkommenen, übermäßigen Einfluß auf das Selbstdarstellungsrecht der Parteien gewinnen können. Sogenannte „Unterwanderungen" durch Angehörige von einzelnen Berufssparten zusammen mit den Hausfrauen oder Hausmännern ihrer Familien lasse Hesse, Stellung der politischen Parteien, S. 30 ff.; Unberücksichtigt in der Auseinandersetzung Flechtheim u. a., Zum Parteiengesetz-Entwurf; Scheuner, Der Entwurf des Parteiengesetzes. w Siehe aber Loewenstein, Kooptation u n d Zuwahl, S. 74 ff.
90
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
sen sich aber nicht abwehren. Eine neben die Parteigründungsfreiheit nach A r t . 21 Abs. 1 Satz 2 GG tretende wohlbedachte Ordnung, weil der interessierte Bürger nicht nur i n der Parlamentslobby Platz nehmen, sondern auch innerhalb der Parteien und unter deren Öffentlichkeitserfordernissen und Arbeitsregeln seinen Anliegen Geltung verschaffen können soll 6 1 . Einmal aufgenommene Parteimitglieder können nur unter erschwerten formellen wie materiellen Voraussetzungen ausgeschlossen werden, § 10 Abs. 4, 5 Parteiengesetz. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Parteiengesetz besteht ein Grundsatz gleichen Stimmrechts für alle Parteimitglieder. Der innerparteilichen Demokratie dient auch § 15 Abs. 2 Parteiengesetz, wonach Wahlen zu Parteiämtern geheim sein müssen. Eine Beobachtung des Wahlverhaltens durch die Parteispitze soll damit ausgeschlossen werden. § 7 Abs. 1 Satz 2 Parteiengesetz ist u m die Konstitutionsfähigkeit von gebietlichen Minderheiten besorgt, § 15 Abs. 3 Parteiengesetz schützt das Antragsrecht von Minderheiten. Insgesamt erheben diese Bestimmungen nicht den Anspruch einer fertigen, gerechten Balancierung der verbandsinternen Einflüsse, sondern sie wollen lediglich die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen entsprechend A r t . 21 Abs. 1 Satz 3, Absatz 3 GG bestimmen 62 . cc) Die Rechte aus Wahlmandaten Das Parteiengesetz schafft ausdrücklich Raum für innerparteiliche Regelungen, welche einen direkten Einfluß des Wählers auf die W i l lensbildung der Parteien gestatten, auch wenn der Wähler vor der Last einer aktiven Parteimitgliedschaft zurückschreckt. Dies schwächt den Grundsatz der innerparteilichen Demokratie, nicht aber den ausgreifenderen Gedanken der Parteiendemokratie nach A r t . 21 GG. Nach § 11 Abs. 2 Parteiengesetz können dem Vorstand der Parteien neben direkt von der Partei gewählten Mitgliedern auch ein Fünftel kraft Wahl eingesetzten Amts- oder Mandatsträgern angehören. Nach § 12 Abs. 2 Parteiengesetz können i n allgemeinen Parteiausschüssen nicht von der Partei, sondern vom Bürger gewählte Mandatsträger bis zu einem Drittel stimmberechtigt und darüber hinaus bis zur Hälfte ohne Stimmrecht vertreten sein. Die Zusammensetzung der Vertreterversammlungen von Parteien muß sich i n erster Linie nach der Zahl der Mitglieder bemessen, § 13 Satz 2 Parteiengesetz, sich also vorrangig nach dem Prinzip der Parteiendemokratie bestimmen. Daneben kann aber auch das Wählerwort Bedeutung erlangen, wenn nach § 13 Satz 3 Parteiengesetz die Delegiertenverteilung i n der Versammlung bis zur Hälfte nach dem relativen Wahlerfolg der Gebietseinheiten aufgeschlüsselt werden kann. ei Weitergehend zum Zugangsrecht des Bürgers Knöpfle, nend Henke, Recht der politischen Parteien, S. 89 f. «2 Scheuner, E n t w u r f des Parteiengesetzes, S. 343 f.
Zugang. A b l e h -
2. Die Verfassung der Parteien
91
dd) Vergleich Die i m Rahmen von A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG durch das Parteiengesetz geschaffene sorgfältige Balancierung von Wählereinfluß auf die Parteien und deren verbandlicher Eigenverantwortung würde zumindest fragwürdig, wenn man von den beschriebenen Anforderungen befreite Verbände als Wettbewerber der Parteien zuließe. Den innerparteilichen Führungsmächten kann es auch nicht verdacht werden, wenn sie bei Gelegenheiten zu unvermittelten Abstimmungen sich neu als „parteioligarchische" Bürgervereine gruppieren und dabei die zum demokratischen Ballast gewordene parteiinterne Kontrolle abwerfen. Der Staatsbürger verliert gleichzeitig die Einsicht i n und wesentlichen Einfluß auf jene organisatorischen Kräfte, welche den Bürgerwillen maßgeblich vorformulieren. Ein großer Teil der Volksabstimmungsformen ist geeignet, A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG kraftlos zu machen. A l l e i n das Referendum (vgl. oben V. 1. c)) und Plebiszite zu bestimmten Sondergebieten (vgl. oben V. 2. c), bb) - dd)) sind hiervon auszunehmen. d) Die Spendenordnung für Parteien, Art. 21 Abs. 1 Satz 4 G G
Die sorgfältig balancierende Vereinbarung von unabhängiger Verantwortung vor und gleicher Beeinflussung durch den Wähler zu schützen bestimmt sind auch die verfassungsrechtlichen Grundsätze über Spenden an Parteien. Eine finanzielle Abhängigkeit der Parteien von privaten Geldgebern ist rechtlich nicht untersagt. Hiergegen Vorsorge zu treffen ist i n die eigene Verantwortung der Parteien gestellt 68 . Zur Realisierung dieser vor dem Wähler bestehenden Verantwortung gebietet jedoch A r t . 21 Abs. 1 Satz 4 GG eine öffentliche Rechenschaftslegung über die Herkunft ihrer Spendenmittel. M i t Billigung der Verfassungsrechtsprechung 64 deutet das Parteiengesetz diese Anforderung i m Lichte ihres Schutzzwecks einschränkend. Lediglich die Höhe der Spenden muß nach §24 Abs. 2, 4. Parteiengesetz jährlich von den Parteien allgemein bekanntgegeben werden. Eine Offenbarung der Herkunft der Spenden ist nach § 25 Parteiengesetz nur erforderlich, wenn ein einzelner Spender i m Laufe eines Kalenderjahres einer Partei mehr als 20 000 D M zuwendet. Die Vorschriften wollen nicht nur Loyalitätskonflikte der Parteien vermeiden. Entfernt sich die Parteiprogrammatik von dem Willen des Volkes, so ist es Aufgabe von Wahlen, dies zum Ausdruck zu bringen. Die Rechte des Parteimitglieds bewahren soll i n erster Linie A r t . 21 Abs. 1 Satz 3 GG. Geschützt ist m i t A r t . 21 Abs. 1 Satz 4 GG vor allem die Parteienaufgabe der Vorformung des politischen Willens des Voles BVerfGE 20, 56 (105); Hesse, Verfassungsrecht, S. 72. «4 BVerfGE 24, 300 (356 f.).
92
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
kes, welche einen besonderen Unabhängigkeitsbereich erfordert 6 5 . Verdeckte Gewichte widerlaufen so nicht einem als präexistent gedachten Volkswillen, sondern sie sind geeignet, diesen zu verformen, nachdem sie das demokratische Recht des Bürgers auf Einsicht i n das Verfahren der Willensbildung geschmälert haben. Ungleiche Geldmittel der Parteien bei der öffentlichen Auseinandersetzung von Meinungen widerlaufen nach der Rechtsprechung nicht dem Demokratieprinzip, und ein besonderer Einsatz von Bürgern und Verbänden für bestimmte Auffassungen ist ein garantierter Teil der demokratischen Ordnung. A r t . 21 Abs. 1 Satz 4 GG fordert aber die Beteiligung des allgemeinen und gleichen Bürgers an diesem Kräftemessen. Anfänglichen Bedenken, wonach das Offenlegungsprinzip den Grundsatz der geheimen Wahl verletze 66 , ist zu Recht nicht gefolgt worden. Das Wahlgeheimnis ist integraler Bestandteil der Wahlrechtstrias, welche die Prinzipien der Allgemeinheit, Gleichheit und des Geheimnisses zu einer Einheit verbindet und es unmöglich macht, einzelne Teile aus ihrem Zusammenhang zu lösen und gegeneinander zu wenden. Nicht das Verfassungsprinzip, wohl aber dessen gesetzliche Verwirklichung stehen angesichts einer unbefriedigenden Praxis i m Mittelpunkt von Reformbestrebungen. Befriedigende Lösungen sind dadurch erschwert, daß die Verfassungsrechtsprechung auf der Grundlage sehr allgemeiner, prinzipieller Erwägungen eine öffentliche Förderung der Parteien als weitgehend unzulässig ansah 67 , aber auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das private Förderungswesen deutlich erkannte 6 8 . Anmahnungen an das Gericht, seine Rechtsprechung zu überdenken, erscheinen insofern berechtigt 69 . Für die Betreiber von Abstimmungsverfahren scheinen alle durch A r t . 21 Abs. 1 Satz 4 GG vorgegebenen Erfordernisse und erzeugten Probleme der Abwägung spurlos aufgelöst. I n den Länderregelungen zu Volksabstimmungen ist von Organisationen als Initianten und Koordinatoren des Verfahrens zumeist überhaupt keine Rede. Die bildhafte Vorstellung von einer Demokratie ohne Organisation w i r k t hinein bis «5 BVerfGE 20, 56 (106). ββ Friesenhahn, Stellung der Parteien, S. 281 f.; Scheuner, Parteiengesetz u n d Verfassungsrecht, S. 94. Richtig H. Meyer, Wahlsystem, S. 142. «7 BVerfGE 20, 56 (112 ff.); aufrechterhalten i n BVerfGE 41, 399 (419). K r i tisch hierzu Häberle, Parteifinanzierung; Rauschning, Z u r Methode der E n t scheidung; Zwirner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. D i f ferenziertere Sprüche sich nunmehr eröffnend aber BVerfGE 52, 63 (88), wo nicht mehr von einem generellen Finanzierungsverbot, sondern von den notwendigen Vorkehrungen bei staatlicher Finanzierung die Rede ist. «8 BVerfGE 24, 300. Siehe auch Külitz, Spendenfinanzierung, m i t einem neuen Lösungsvorschlag.
. Die Verfassung der
a
i n die einfachgesetzlichen Verfahrensregeln, wo lediglich ein „Vertrauensmann" und dessen „Stellvertreter" als formelle Adresse oder Quelle von Erklärungen für den unterschiedslos dahinter stehenden Bevölkerungsteil erscheint 70 . Theoretische Teilhabemöglichkeiten der Parteien bei Volksabstimmungsverfahren mittels den Parlamenten eingeräumter Befugnisse zur Anhörung oder Ablehnung haben angesichts des Wettkampfcharakters demokratischer Willensbildung wenig Gewicht: Die Offenlegungspflicht von A r t . 21 Abs. 1 Satz 4 GG benachteiligt einseitig die Parteien i m Verfahren der Willensbildung des Volkes und unterläuft deshalb den Zweck der Vorschrift, die Schaffung eines offenen demokratischen Wettbewerbs. Nur das Referendum, vor allem das fakultative Referendum, sind i n diesem Punkte unbedenklicher. Unwiderrufen kann auch die Feststellung bleiben, daß die Sachgegenstandsbereiche der Verfassungsprinzipiengebung, der Hoheitsgebietsveränderung und der Wahlrechtsänderungen sich für Plebiszite eignen 71 . Der Prozeß der politischen Willensbildung bliebe hier auch ohne das Mittel der Parteien für den Bürger durchschaubar. 3. D i e Verfassung der W a h l a) Die Prinzipien des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 G G
Die Wahl ist jener Teil des gegliederten Verfahrens der repräsentativen Demokratie, i n welchem der Bürger als Souverän unmittelbar handelnd bildlich beobachtbar ist 7 2 . A u f dem Weg der politischen Wünsche von Millionen von Staatsbürgern zu einem Willen des Volkes ist die Wahl der Brückenkopf auf der Seite der staatlichen Institution. Der Bürger selbst w i r d an dieser Stelle als Wähler zum Teil des Staates 73 . Die Regelung dieses Übertragungsvorgangs gewinnt daraus i n einem demokratischen Staat seine besondere verfassungsrechtliche Qualität. Das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag w i r d durch die i n A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegten Prinzipien der Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit, Gleichheit und des Wahlgeheimnisses regiert. Die Bundesverfassung garantiert diese Grundsätze i n A r t . 28 Abs. 1 Satz 2 GG auch für die Länder. I n noch zu behandelnder Weise werden die Prinzipien auch i n die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 79 Abs. 3 GG als Grundelemente der demokratischen Ordnung nach A r t . 20 Abs. 1, Abs. 2 7« Siehe n u r A r t . 70 I I bay. Landeswahlgesetz. 71 Oben V. 2. c) bb) - dd). 72 Z u r ,Partialität i n Verschränkung' der Einrichtung der W a h l Staatsrecht, S. 91 ff.; I. v. Münch, A r t . 38, Rdnr. 2. ™ A r t . 20 I I GG; BVerfGE 8, 104 (115 f.).
Stein,
94
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
GG einbezogen 74 . Die Verknüpfung der Prinzipien mit dem Demokratiegebot zeigt auf, daß die Regelungen des A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG von grundlegender Bedeutung für den demokratischen Willensübertragungsvorgang überhaupt sind und deshalb nicht nur für den engeren Zusammenhang des A r t . 38 GG, die Wahl von Abgeordneten zum Bundestag, gelten 75 . Sie gelten als Teile des Demokratieprinzips für alle Stimmengänge des Staatsbürgers und damit nicht nur für Delegiertenwahlen, sondern auch i n entsprechender Weise für Sachabstimmungen i n plebiszitärer Form. Unsere Würdigung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der parlamentarischen Demokratie i m Lichte ihrer Verwandlung durch eine Abstimmungsdemokratie w i r d deshalb den Gegenstand und das Schicksal auch dieser Grundsätze prüfen müssen. aa)
Allgemeinheit
Der Grundsatz „untersagt den unberechtigten Ausschluß von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl überhaupt. Er verbietet es dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, w i r t schaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen." 76 Neben den i n A r t . 3 Abs. 3 GG verpönten Differenzierungskriterien zählen hierzu auch Bedingungen, welche an Bildung oder Steuerleistung oder Vermögen knüpfen 7 7 . Die Allgemeinheit der Wahl kann beschränkt werden, sofern für sie ein „zwingender G r u n d " 7 8 besteht. Die Mitgliedschaft i n einer Partei, also i n einem Verband, welcher die Vorformulierung des Willens des Volkes zur Aufgabe hat, ist kein solcher Grund für eine Durchbrechung des Grundsatzes der A l l gemeinheit 79 . Damit w i r d der Einfiüß des nichtorganisierten Bürgers auf die Arbeit der Parteien gesichert. Obwohl nicht unmittelbar an der Fragenformulierung und Themenbestimmung für das politische Leben beteiligt, soll sein Wille das entscheidende Maß geben 80 . (1) Aktives Stimmrecht Der Grundsatz der Allgemeinheit des Bürgervotums steht ohne Parlamente nur noch als Rumpf. Auch wenn der Abstimmende i n unvermittelten Sachentscheiden i n Stimmkabinen aus gleichem Holz und Tuch vorgelassen wird, so bleiben dennoch beim Sachvotum die für die Formulierung der Fragen verantwortlichen Kräfte nicht faßbar. Ein solcher allge74 Unten V I I . 3. a). 75 Badura, A r t . 38, Rdnr. 29. 7« BVerfGE 36, 139 (141); s. a. 15, 165 (166 f.). 77 Maunz, A r t . 38 GG, Rdnr. 40; I.V. Münch, A r t . 38 GG, Rdnr. 6. 78 BVerfGE 36, 141; 28, 220 (225). 7» I. v. Münch, Rdnr. 6. 80 Vgl. oben I I I . l.,2.
. Die Verfassung der
a
meiner Einfluß ist nur außerhalb, durch Mitgliedschaft i n der parteinehmenden Kraft zu verwirklichen, eine Folge, die der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gerade ausschließen w i l l . Sodann sind anders als die Wahlorgane bei ihrer Entscheidung über die Aufnahme i n Wählerlisten (vgl. §§ 12 ff. BWahlG) freie Verbände nicht verpflichtet, interessierte Staatsbürger aufzunehmen. Auch die politische Partei unterliegt bei ihrer Entscheidung über eine Ablehnung von Mitgliedschaftsanträgen wirkungsvollen formellen Voraussetzungen. Ähnliche Regelungen für Petenten zu schaffen würde deren Charakter als freier Verband des Volkes beseitigen. (2) Passives Stimmrecht Der i n A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegte Grundsatz der Allgemeinheit erstreckt sich auf das passive Stimmrecht des Staatsbürgers 81 . Die Kandidatur als Person oder Vorschläge zur Sache sollen nicht i n eine andere direkte Abhängigkeit als jene des Stimmengangs gebracht werden 8 2 . Diese Unabhängigkeit soll für die Wahl A r t . 48 GG untermauern, welcher Kandidaten durch Gewährung von bezahltem Urlaub, Arbeitsplatzschutz und Entschädigungsrechten von wahlfremden Pressionen freistellen soll 8 3 . M i t der Aufgabe der Autonomie des Bereichs politischer Entscheidungen i m Wege von Plebisziten muß auch der von A r t . 48 GG intendierte Schutz des stimmwerbenden Staatsbürgers vor gesonderten gesellschaftlichen Kräften verlorengehen. Dies ist selbst bei einer bloßen Parallelität von Wahlen und Abstimmungen bedeutsam, weil die Stimmsysteme i m Rahmen des jeweiligen Staatsganzen beurteilt werden müssen 84 . bb) Gleichheit Der i n A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 GG statuierte, als Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitsprinzips von A r t . 3 Abs. 1 GG zu deutende Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl mit seiner grundrechtlichen Dimension verbietet i n formaler Strenge Differenzierungen i m Stimmrecht der Bürger. (1) Das Gebot Dabei w i r d unterschieden zwischen dem Zählwert der Stimme, der allzeit gleich sein muß 8 5 , und dem Erfolgswert der Stimme. Für letzte81 Maunz, Rdnr. 3 A n h a n g zu A r t . 38 GG; I . v. Münch, Rdnr. 8. 82 Z u m k u l t u r e l l e n Verdienst dieser Regel N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 136 ff. 83 BVerfGE 4, 151; Rauball i n I. v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, A r t . 46 GG, Rdnr. 1 f. 34 Vgl. BVerfGE 1, 288. 85 BVerfGE 34, 81 (99); 14, 121 (135).
96
V . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
ren ist der Gesetzgeber nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung „aus besonders wichtigen Gründen" ausnahmsweise berechtigt, „ i n gewissen, eng umschriebenen Grenzen vom Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit a b z u w e i c h e n " B e i der Sperrklausel von 5 °/o für Minoritäten stünden dem Anliegen der Wahlrechtsgleichheit so ζ. B. „staatspolitische Gefahren" gegenüber, welche, wie die Weimarer Verfassung gelehrt habe, aus der übermäßigen Parteienzersplitterung entstünden 87 . Das Gericht läßt unerörtert, woher der hohe Rang einer Staatspolitik gegenüber den Grundrechten des Bürgers rührt, auch, ob Anliegen der Staatspolitik ohne weitere verfassungsrechtliche Fundierung noch geeignet sein können, die Grundrechte des Bürgers einzuschränken. Wenn die Parlamente i n Bund und Ländern unter dem Makel der Antastung der Wahlrechtsgleichheit gebildet wären, verlören sie einen Teil ihrer demokratischen Legitimation, und es wäre darauf zu achten, ob nicht Verfahren der Volkswillensbildung ohne Parlamente derartige Grundrechtsbeschränkungen überwinden können. (2) Mängel i n der verfassungsgerichtlichen Vorstellung Die Lehren über eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Wahlrechtsgleichheit mittels Erfolgswertdifferenzierungen der Wählerstimmen mögen i n den jeweiligen konkreten Zusammenhängen gerichtliche Entscheidungen einsichtig gemacht haben. Für die weitere Erfassung der verfassungsrechtlichen Stellung der Wahl i n einer parlamentarischen Demokratie können sie aber i n die Irre führen 8 8 . Es ist nicht Aufgabe der Wahl, alle Meinungsströme und politischen Auffassungsunterschiede auf Delegierte zu übertragen, damit diese sie, erinnernd an das Redeparlament von 1848, i n der Parlamentsöffentlichkeit stellvertretend für den Bürger vortragen 8 9 . I n dieser Sicht müßte die Wahlgleichheit als eine bloße Ausprägung des A r t . 5 Abs. 1 GG erscheinen. Der Bereich freier Meinungsbildung sähe sich danach i n staatlicher Umarmung und die politischen Auffassungen der Bürger fänden ihren höchsten Ausdruck i n den Sitzungen des Parlaments und dem Vortrag der Repräsentanten. Die Aufgabe des Parlaments erscheint heute begrenzter. Es soll nicht die politischen Meinungen der Bevölkerung abbilden 9 0 , sondern i n bezug »e BVerfGE 1, 208 (247); 7, 63 (70); 34, 81 (99). 87 BVerfGE 1, 256 u n d fortlaufend. 88 H. Meyer, Wahlsystem, S. 62 ff.; Thoma, Ungleichheit u n d Gleichheit, S. 457. Das Gericht ist zwar immer bereit, v o n seiner Dogmatik Abstand zu nehmen, Frowein, Die Rechtsprechung, S. 81, das falsche Licht, i n welches das aktivbürgerliche Wahlrecht getaucht bleibt, ist jedoch schädlich. 8» Siehe die Ähnlichkeit m i t der Repräsentationsvorstellung oben I I . 1. m Siehe aber dies als eine v o n BVerfGE 1, 208 (244) dem Verhältniswahlrecht zugeordnete Eigenschaft.
. Die Verfassung der
a
97
auf seine organschaftlichen Aufgaben der Gesetzgebung und der Bestellung der Exekutive den Willen des Volkes verwirklichen 9 1 . Das Parlament als Sprachrohr von politischen Auffassungen der Bevölkerung einerseits und als zur demokratischen Herrschaft berufenes Organ andererseits sind zwar eng verbundene Funktionen. Es ist sicher auch eine Aufgabe des Parlaments, politische Strömungen des Volkes zu repräsentieren. Alle seine Tätigkeiten stehen jedoch i n engem Bezug zu seinen spezifischen Organaufgaben, für die allein i h m eine Suprematie eingeräumt ist. Aus dieser begrenzten, Staat und Gesellschaft unterscheidenden Aufgabe des Parlaments müssen auch die Kriterien der Gleichheit bei seiner wahlrechtlichen Bestellung gedeutet werden. Aufgabe der Wahl zum Parlament ist es nicht zuerst, politischen Meinungen Ausdruck zu verschaffen, welche das Parlament i n autonomer Volkswillensbildung umzuformen berufen ist, sondern, und darin liegt ein häufig erkanntes „plebiszitäres" Moment 0 2 , mit der Wahl durch den Bürger soll bereits eine bestimmte, praktische Politik herbeigeführt werden. Daran ändert es auch nichts, wenn die Bestimmtheit der Wahlentscheidung nicht i n konkreten Sachvorstellungen, sondern nur i n der Verantwortlichkeit von (nicht „Überantwortung an" !) Repräsentanten liegt. Ein Wahlrecht gewinnt gerade darin demokratische Qualität, daß es dem Bürger ermöglicht, die Verantwortlichen eindeutig zu bestimmen, und i h n nicht lediglich darauf beschränkt, i n ihren Folgewirkungen unabsehbare Vorgaben für die Stärke einzelner Gruppierungen zu treffen. Das Mehrheitswahlrecht, das diese Forderung am besten verwirklicht 9 3 , ist deshalb keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes der Wahl Verfassung 94, obwohl dabei bis zu 49 % der Wähler bei der parlamentarischen Vertretung unberücksichtigt bleiben können. Auch Plebiszite, bei denen ähnliches für den Erfolgswert der Stimme gilt, können aus diesem Grund nicht als gleichheitssatzwidrig gewertet werden. Je mehr Verantwortung für staatswillensbildende Mehrheiten bereits vor der parlamentarischen Arbeit beim Wähler liegt, desto unmittelbarer steht dieser bereits i m demokratischen Wettkampf und damit i m Risiko u m Gewinn oder Verlust bei seiner Stimmabgabe. Er selbst und öi Die Verschiedenheit dieser Ziele findet sich schon i n BVerfGE 1, 208 (247) angelegt u n d ist i n BVerfGE 6, 84 (91 ff.) deutlich herausgestellt. Die w i r k same Mehrheitswillensbildung bleibt auch dort jedoch individualrechtsfeindliches Interesse des Staates u n d w i r d nicht als I n h a l t des Wahlrechts des Bürgers erkannt. 92 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 226 ff. Hesse, Verfassungsrecht, S. 61. 84 BVerfGE 1, 208 (246 ff.); 34, 81 (100). Das Gericht k a n n diese Erkenntnis aus seinen eigenen dogmatischen Vorgaben nicht mehr folgern u n d läßt sie deshalb unbegründet, vgl. Frowein, Die Rechtsprechung, S. 96. 7 Greifeid
98
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
nicht erst der Delegierte muß sich i n einer Gemeinschaft i m politischen Willen vereinen, welche eine Regierung oder eine zur Regierungsübernahme befähigte Opposition zu bilden imstande ist. Das Parlament ist eine zur Herrschaft des Volkes, nicht ein zum Widerstreit gegen einen autoritären Staat eingerichtetes Organ. Aus der demokratischen Aufgabe selbst ist die Verfassungsordnung legitimiert, Vorkehrungen zu treffen, damit parlamentarische Mehrheiten sich ihrer Pflicht zur Herrschaft stellen und sich nicht als negative Ablehnungsmehrheiten i n zersplitterten Zufallsgruppierungen ihrer Verantwortung entziehen können. b) Einfachgesetzliche Realisierung der Wahlrechtsgrundsätze
aa) Parteienvorbehalt
für die Listenwahl
Bei der Parlamentswahl besitzt jeder Wähler zwei Stimmen: mit der ersten Stimme wählt er „direkt" einen Wahlkreisabgeordneten m i t der relativen Mehrheit der Stimmen, §§ 4, 5 BWahlG; m i t der Zweitstimme votiert er für einen Landeswahlvorschlag (Landesliste) einer Gruppe von Abgeordneten, §§ 4, 6 BWahlG. Nach dem Grundsatz des § 1 Abs. 2 BWahlG setzt sich das Parlament zur einen Hälfte aus Wahlkreisabgeordneten, zur anderen Hälfte aus Abgeordneten zusammen, welche über Landeslisten gewählt wurden. Zur Aufstellung von Landeswahlvorschlägen sind nicht schlichte Bürgergruppen, sondern nur Parteien befugt, § 27 BWahlG 9 5 . Zur Sicherstellung des Parteicharakters wahlwerbender Organisationen stellt das Bundeswahlgesetz besondere Anforderungen, §§ 27 Abs. 1, 18 BWahlG. Das Ausmaß der Parteienbevorzugung w i r d jedoch erst deutlich, wenn zusätzlich i n Betracht gezogen wird, daß auch die Erststimme des Wählers für einen möglicherweise parteilosen Kandidaten bei der Bildung des Parlaments nur ins Gewicht fällt, wenn der Wähler innerhalb einer relativen Mehrheit von Erststimmen gewählt hat. Gelingt es dem parteiabstinenten Wähler nicht, eine solche Mehrheit zu bilden, bleibt seine Erststimme insofern wirkungslos. Als Minderheitswähler w i r d er nur m i t seiner Zweitstimme berücksichtigungsfähig, welcher er aber nur einer Partei und ihrer Liste geben kann 9 6 . Diese Regeln wurden höchstrichterlich als verfassungsmäßig angesehen 97 . I n der dogmatischen Beurteilung w i r d dabei häufig abgestellt auf die Anerkennung des Parteienstaats durch A r t . 21 Abs. 1 GG, wo9* Anders z. B. § 17 ReichswahlG von 1868; Hatschek, Wahlgesetz, S. 244. «« §§ 18 I, 27 Bundeswahlgesetz. BVerfGE 5, 77 (82). Z u m literarischen Echo Schreiber, Wahlrecht, §27 Rdnr. 2. Anders für K o m m u n a l w a h l e n BVerfGE 13, 1 (13 f.). M i t einer gewissen Plötzlichkeit wurde auch ein Parteienmonopol für die Aufstellung von
3. Die Verfassung der W a h l
99
durch eine verfassungsrechtliche „Spannungslage" m i t den Wahlrechtsgrundsätzen herbeigeführt werde. Richtiger w i r d von einer Modifikation der Wahlrechtsgrundsätze durch andere Vorschriften des Grundgesetzes gesprochen 98 . Bei einer systematischen Betrachtung erscheinen die Regelungen des Bundes Wahlgesetzes jedoch kaum als Kompromisse i n dem Anliegen der verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze, vielmehr als deren einfachgesetzliche Ausführung i m Einklang mit A r t . 20 Abs. 1, 21 GG 9 9 . Eine Kontrolle des Bürgers über die Parlamente, welche das Wahlrecht verwirklichen soll, bedarf Regeln, welche die Verantwortlichen für die Gesetzgebung für den Bürger bestimmbar macht. Daraus gewinnt das „aktivbürgerliche" Grundrecht 1 0 0 der Wahl erst seinen Gegenstand. Einzelne Wahlbewerber geben keine Auskunft über die Verbindungen, die sie nach der Wahl i n der Bemühung u m Mehrheiten eingehen werden. Gehen sie Verbindungen ein, so bleibt deren Entscheidungsprozeß wegen der mangelnden Konstitutionalisierung als Fraktion und Partei i m Ergebnis unverantwortet. Der Parlamentarier ist m i t seinem nur i n einer Gruppe möglichen konkreten Beitrag zur Gesetzgebung dem Wählervotum entzogen und kann i m Wahlkampf nur an seinen politischen Meinungen gemessen werden. Die Privilegierung von Parteien i m Bundeswahlgesetz w i l l dazu beitragen, daß der Bürger bei der Wahl eine wirksame Entscheidung nicht nur über freie Pendel, sondern über verantwortete Parlamentsarbeit treffen kann. Der mögliche Nachteil des Wählers eines ungruppierten Kandidaten ist der Nachteil des Verlierers i m demokratischen Wettkampf u m mehrheitsbildende Organisation. bb) Sperrklauseln I m Bund und i n den Ländern werden Parteien bei der Zweitstimmenverteilung grundsätzlich nur berücksichtigt, wenn ihr Stimmanteil 5 °/o der abgegebenen Stimmen erreicht 1 0 1 . Damit soll eine Aufsplitterung der Parlamente i n kleine Gruppen verhindert werden, welche Mehrheitsbildungen zu gesetzgeberischen Entscheidungen unmöglich oder unvorhersehbar machen 102 . Ein Widerspruch zu den grundrechtDirektkandidaten als verfassungswidrig bezeichnet, BVerfGE 41, 399 (417). Die weite Regelungskompetenz, die sich das Gericht hier zumißt, vgl. B V e r f GE 20, 56 (116), ist jedoch aus der geringen Parlamentskompetenz zu W a h l rechtsregelungen begründet, vgl. oben V. 2. c) dd). »8 Badura, A r t . 38 GG, Rdnr. 34 ff. m Hesse, Stellung der politischen Parteien, S. 23; Rinck, Parteienstaat, S. 75. loo Z u dieser Klassifizierung Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 419 ff. ιοί Vgl. z. B. § 6 I V BWahlG. κ* 2 Siehe die Begründungen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit B V e r f GE 1, 208 (248 ff.); 34, 81 (99 f.); Frowein, Die Rechtsprechung, S,89ff. 7*
100
V I . Die institutionelle Ordnung der parlamentarischen Demokratie
liehen Wahlrechtsgrundsätzen 103 kann i n solchen Regelungen nur liegen, wenn es nicht zum Inhalt des Wahlrechts des Bürgers gehörte, m i t diesem Instrument eine vor i h m verantwortliche Regierung zu bilden, er durch die Wahl vielmehr eigene Auffassungen an das Parlament abgäbe. Wenn i n der Wahl aber die Meinungsbildung des Bürgers gipfelt zur Willensbildung des Volkes, dürfen Sperrklauseln als staatliche Vorkehrungen gedeutet werden, das Stimmrecht des Bürgers i n seinem Ziel der Einflußnahme auf die Staatsgewalt zu schützen. Dann muß der demokratische Wettkampf u m Mehrheiten nicht erst i m Parlament, sondern bereits bei der Parteienbindung und i m Wahlkampf beginnen. Deswegen sind Sperrklauseln nicht als unbeschränkt zulässig anzusehen. Wohl aber sollten sie als integraler Bestandteil eines Verfahrens zur Volksherrschaft angesehen werden. Dagegen ist der Begriff der „Effizienz" einer Tätigkeit i m eigentlichen Sinn des Wortes „wertlos" und kann allenfalls i m Zusammenhang m i t einem Wert der Verfassung Bedeutung erhalten. Selbst die folgenreiche, „reibungslose" Tätigkeit von Parlamenten an sich dürfte dabei noch grundsätzlicher normativer Abstützung bedürfen. Die Aufgabenerfüllung der Parlamente w i r d legitimiert durch das besondere demokratische Auftragsverhältnis gegenüber dem Bürger. c) Einbruch in die Wahlverfassung durch Plebiszite
Die Anforderungen des Wahlrechts gegen ihre Verkennung als Regeln zur Temperierung oder Verformung des Volkswillens besonders i n Schutz zu nehmen besteht Anlaß, weil hieraus Folgerungen über den freiheitlichen Charakter der Volkswillensbildung durch Plebiszite gezogen werden möchten. Das Wahlrecht ist ein Teil des mehrgliedrigen Regelwerks zur Bildung des Volkswillens, nicht ein dem Volkswillen neuerlich aufgesetzter Filter. Die Entbehrlichkeit dieser Regelungen ist fraglich. aa) Unbeschränkter
Vertretungsanspruch
Volksabstimmungsverfahren kennen keine besonderen Anforderungen an volkswillenvorbildende Verbände, wie sie das „Parteienprivileg" für die Listenwahl aufstellen. Die Einbringung von Entwürfen i n das Abstimmungsverfahren über Gesetze ist nicht mehr verbunden mit der Erfüllung der Anforderungen des Parteiengesetzes zur Öffentlichkeit, Rechenschaftslegung, innerverbandlicher Demokratie u. a. 1 0 4 . Hin103 F ü r den Parlamentarischen Rat w a r sogar noch strittig, ob die Einführ u n g einer Sperrklausel einer verfassungsrechtlichen Abstützung bedurfte, Meyer, Wahlsystem, S. 29 f., 93 f. im o b e n V I . 2.
. Die Verfassung der
a
101
tergrund und späte Folgen der ausgesuchten Abstimmungsfrage bleiben damit außerhalb einer verbandlichen Verantwortung ebenso wie deren Verträglichkeit mit anderen Zielen. Ohne Verpflichtung der Initianten, ihre Absichten weiter abzustimmen und öffentlich kundzutun, verliert das Stimmrecht des Bürgers weiter an Steuerungspotential. Diese Verluste sind auch nicht durch reife staatsbürgerliche Überlegung vor dem Stimmakt zu beseitigen. Der demokratische Wettstreit findet auf neuen Feldern statt und bringt veränderte Chancen des Gewinns und Risiken des Verlustes für den Staatsbürger, die er weitgehend nur noch hinsichtlich ihrer Ergebnisse, nicht mehr hinsichtlich ihrer Anlage beeinflussen kann. bb) Kein Qualifizierungserfordernis zur Trägerschaft der Volkswillensbildung Die wahlgesetzlichen Sperrklauseln werden richtigerweise i m Zusammenhang m i t der Anforderung von § 2 Abs. 1 Parteiengesetz gesehen, wonach Parteien eine gewisse Größe und eine gewisse Festigkeit ihrer Organisation besitzen müssen, u m anerkannt zu werden 1 0 5 . Vor einer eingehenden Kontrolle solcher Voraussetzungen hält sich die Exekutive m i t guten Gründen fern, und dies erscheint vor allem deswegen unschädlich, weil der Wähler i m Wege der wahlrechtlichen Sperrklauseln über die „Ernsthaftigkeit" der Zielsetzungen der Partei entscheiden kann. Die durch das Wahlrecht somit zu bewirkende Bemühung u m dauernde M i t w i r k u n g an der Willensbildung des Volkes und darin die Forderung nach Vereinung eines erheblichen Anteils von Bürgerstimmen gilt deshalb für Parteien, nicht für Initianten 1 0 6 . Sie sind bei einmaligem, punktuellem, kurzfristigem Erfolg siegreich. I m Ergebnis werden bei der allgemeinen Zulassung einer Volkswillensbildung durch Sachabstimmung die i m Wahlrecht getroffenen Vorkehrungen für die demokratische Willensbildung hintergangen, und ihre Aufrechterhaltung w i r d wegen ihrer Einseitigkeit fragwürdig.
Seifert, Die politischen Parteien, S. 163. io« Vereinigungen m i t dem Ziel, eine Volksabstimmung herbeizuführen, sind m i t diesem Ziel nicht als Partei anerkennungsfähig, Maunz, A r t . 21 GG, Rdnr. 13; Parteienrechtskommission, S. 128.
V I I . Die demokratischen Rechte des Bürgers Nach A r t . 1 GG sind die Rechte des Menschen Grundlage für alles staatliche Handeln. Systemleistungen kommen i m Staatsrecht nur eine dienende Funktion zu, ohne Anknüpfung an die Freiheiten und den Status des Bürgers sind sie haltlos. Schon die bisherige Sicht auf die repräsentativen Organe möchte das berücksichtigt haben. Eine abschließende Beurteilung der Einrichtungen der parlamentarischen Demokratie muß darüber hinaus beim Staatsbürger seinen Ausgangspunkt nehmen. Die Verfassung ist geprägt durch ihren liberal-rechtsstaatlichen Charakter, welcher Staat und Bürger auseinander setzt. Diese Trennung w i r d nicht aufgehoben, sondern nur inhaltlich anders bestimmt, wenn Rechte der Verfassung dem Bürger auch Ansprüche auf Leistungen gegenüber dem Staat verleihen sollen. Der Schutz des Aktivbürgers i n seinen demokratischen Rechten als souveräner Träger des Staates findet sich i n dieser, den Grundrechten eigenartigen Weise unmittelbar lediglich als Segment des A r t . 3 Abs. 1 GG, i m Recht auf Wahlgleichheit 1 . Jedoch fanden m i t der Konstituierung des demokratischen Staates i n der Verfassung des Grundgesetzes auch traditionelle Bürgerfreiheiten eine neue Richtung. Sie erhielten Bedeutung als gesicherte Chancen zur politischen Einwirkung des Bürgers auf die Staatsorgane. Hierzu zählen vor allem die Freiheiten der A r t . 5, 8, 9 und 17 GG. Sie besitzen nun eine wichtige Dimension i n ihrer Eigenschaft als „politische Freiheitsrechte" 2 . 1. E i n w i r k u n g e n auf die politischen Freiheitsrechte
A u f die Veränderung der Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit durch einen Wechsel von parlamentarischer zu plebiszitärer Demokratie ist bereits hingewiesen worden 3 , an diese Ausführungen kann angeknüpft werden. Der besondere Charakter, der i n den Meinungsfreihei1 Kritisch zu dieser T r a d i t i o n Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 136 ff. m. Nachw. 2 Hesse, Verfassungsrecht, § 5 I I 4.b.; § 12 I 5. a. F ü r das Petitionsrecht ist diese Einordnung bezweifelt, Dagtoglou, Bonner Kommentar, A r t . 17 GG, Rdnr. 23 ff. 3 Oben I I I . 3. c); VI.3.C).
2. Berührung von A r t . 3 Abs. 1 GG
103
ten, der Versammlungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit und dem Petitionsrecht liegenden Freiheitrechte als Recht der Einflußnahme äußert sich darin, daß sie schon i n ihrem ganz ursprünglichen Verständnis eines Gegenstands der Einflußnahme, eines Gegenübers bedürfen. Durch die Auflösung der Parlamentshoheit werden sie dadurch beeinträchtigt, daß ihnen ein wesentliches, zur Sensibilität verpflichtetes Subjekt entzogen w i r d und ihnen damit zu einem nicht geringen Teil Gegenstandslosigkeit droht, die Betätigung der Rechte i n jeglicher Hinsicht „ i m Freien" erfolgen muß, i n der Gefahr verbindungsloser Folgenlosigkeit. Der Bürger steht vor einer Staatsgewalt ohne legitimationsbedürftigen Staat. Diese Wirkungen lassen sich auch nicht mit jenen Argumenten rechtfertigen, welche für die Privatisierung von Staatsaufgaben sich aufbieten lassen mögen. Denn eine Privatisierung findet durch Plebiszite nicht wirklich statt. Es w i r d nicht Privaten die Regelung eigener Angelegenheiten überantwortet, sondern ebenso wie der Wähler durch seinen status activus beim Wahlakt als demokratischer Souverän zum Teil der Staatsgewalt wird, so erfüllen Betreiber von Abstimmungen zu einem bedeutenden Anteil Staatsaufgaben i m Rahmen der legislativen Staatsgewalt. Die durch Plebiszit zustande gekommenen Gesetze sind ohne Unterschied zu parlamentarisch erlassenen Gesetzen auszufertigen, bekanntzumachen und durch die Exekutive auszuführen sowie gegebenenfalls gegenüber dem Bürger durchzusetzen. Deshalb verdienten hier eher jene Regeln Beachtung, die für die Erfüllung von Staatsaufgaben durch Private gelten. Diese fordern aber insbesondere den Fortbestand öffentlich-rechtlicher Verantwortung der Staatsgewalt und einen ungeschmälerten Grundrechtsschutz 4 . Es ist kein Grund ersichtlich, warum für die politischen Freiheitsrechte des Bürgers eine Ausnahme gemacht werden sollte. 2. Berührung von Art. 3 Abs. 1 GG Das i n A r t . 3 Abs. 1 GG enthaltene Grundrecht auf Wahlrechtsgleichheit ist durch eine Änderung der Wahlverfassung besonders betroffen. Nicht nur Veränderungen des Wahlrechts i m einfachgesetzlichen Sinne müssen den Anforderungen des A r t . 3 Abs. 1 GG entsprechen, sondern auch umstürzende Veränderungen des demokratischen Willensbildungsverfahrens müssen die Gleichheit des Staatsbürgers berücksichtigen. Die Verbindung des A r t . 3 Abs. 1 GG zu A r t . 21 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 1 Satz 1 GG, die Verbindung zu den Leistungen der repräsen4 BVerfGE 9, 282; Gallwas, E r f ü l l u n g v o n Verwaltungsaufgaben, S. 216 ff.; Ossenbühl, E r f ü l l u n g von Verwaltungsaufgaben, S. 159 ff., 164 f.
104
V I I . Die Demokratischen Rechte des Bürgers
tativen Ordnung, setzt dabei Maßstäbe, die selbstverständlich übertroffen, nicht aber ohne verfassungsrechtliche Bedenken unterlaufen werden können. I n dieser Anknüpfung des Gleichheitsgrundsatzes an Regelungen der repräsentativen Ordnung liegt also nicht nur eine Schwächung von Bürgerrechten, wenn dies überhaupt anzunehmen ist, zu einer Gleichheit „nur" i m Rahmen der parlamentarischen Ordnung, wie häufig der Akzent gelegt ist, sondern die Gleichheit des Staatsbürgers gewinnt durch diese Verknüpfung auch einen positiven Qualitätsmaßstab, eine Verbindung zur bereits erreichten Zivilisation der Demokratie. Allerdings widerläuft das Gleichheitsprinzip nicht einer allgemeinen Verringerung der demokratischen Willensbildungsleistungen i n der Folge einer Ablösung der Parlamente. Geringe Leistungen der Integration von Anliegen (oben I I I . 1. b), IV. 1. b)), eine nachlassende Fähigkeit zu Anliegengewichtung (oben I I I . 2. a), IV. 2. a)), die Entlassung des Gesetzgebers aus der Pflicht zur Rechtzeitigkeit (oben I I I . 2. b), IV. 2. b)), schwächere Mehrheitsbildungen (III. 3. b), IV. 3. b)) treffen grundsätzlich alle Bürger, jeweils betroffene Opfer finden keinen Schutz unter dem Gleichheitsprinzip der Verfassung. Dagegen erhält der Gleichheitsgrundsatz Bedeutung für die Frage, ob der Staat sein demokratisches Verfahren auf eine Weise ausgebildet hat, die es dem Bürger ungeachtet seines Standes oder seiner Steuerleistung oder seiner Bildung oder seiner Freizeit ermöglicht, mit seiner Stimme gleichen Einfluß auf die staatliche Willensbildung zu nehmen 6 . Dies ist der klassische Inhalt der Wahlrechtsgleichheit. Er gilt nicht allein für historische Ausformungen von Stimmrechtsdifferenzierungen, sondern überhaupt gegenüber Novellierungen, die einen ungleichen Zugang zum Stimmrecht des Staatsbürgers bewirken. Es ist zwar nicht Aufgabe des Gleichheitsgrundsatzes zu verhindern, daß die gesellschaftliche Ungleichheit der Bürger hinüber w i r k t auf das Geschick und die Weisheit i n der Wahrnehmung der demokratischen Rechte. Daraus werden auch Vorteile mancher Bürger bei der Durchsetzung ihrer Interessen entstehen, ohne daß damit Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes angenommen werden könnten. Andererseits verlangt die Stimmrechtsgleichheit mehr als eine nur korrekte Addition von Stimmzetteln. Sie umfaßt auch die gleiche politische W i r k k r a f t der Stimmabgabe und ist deshalb beeinträchtigt, wenn der Gegenstand der Entscheidung, die Formulierung der Entscheidungsalternativen bereits vor der Stimmabgabe von nicht verantwortlichen gesellschaftlichen Gruppenmächten vorgenommen wurde, statt, von Stimmrecht mit umfaßt, bei Delegierten zu liegen. Durch das Recht besonderer, organisierter Gruppen, den Bürger vor vorformulierte Alternativen zu stellen, auf deren Auswahl Ö Siehe BVerfGE 12, 139 (142); 15, 165 (166 f.).
3. Das Bürgerrecht auf unvermittelte A b s t i m m u n g
105
und Abfassung er kein Recht der Einwirkung hatte, also ohne Kontrollmöglichkeit des Bürgers über Themenbestimmung und Frageformulierung (vgl. oben I I I . 1. c), IV. 1. c)), zu der wesentlich auch eine Ergebnisverantwortung für die Entscheidungsfolgen gehört (vgl. oben I I I . 3. a), IV. 3. a)), ist ein integraler Teil aus der demokratischen Gleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG herausgebrochen, der Grundsatz der demokratischen Gleichheit schwer beschädigt. 3. Das Bürgerrecht auf unvermittelte A b s t i m m u n g a) Grundsätze von Rechtsprechung und Lehre
Die Mängel an demokratischer Leistungskraft, welche unvermittelte Volksentscheidungen i m Vergleich zu der repräsentativen Demokratie herbeiführen müssen, der gleichzeitig geführte Angriff auf wichtige Grundrechte des Staatsbürgers i n der Demokratie, könnte zu raschen Antworten führen, wenn nicht ein Bürgerwille zur Einführung von Volksabstimmungen vorstellbar wäre und diesem selbst wiederum eine verfassungsrechtlich bedeutsame Qualität zukommen müßte. Mehr als andere Einrichtungen des Staates bedürfen gerade die demokratisch konstituierten Organe des Bürgervertrauens, welches durch deren institutionelle Leistungsfähigkeit allein nicht notwendig gesichert ist. Jeglicher verfassungsrechtliche Schutz des Parlamentarismus dient deshalb einer demokratischen Einrichtung, beschränkt aber zugleich ein demokratisches Recht des Bürgers auf Entscheidung mittels eines anderen Willenbildungsverfahrens. Das Grundgesetz hat dieses Dilemma nach schrecklicher Erfahrung dahin entschieden, daß der Bestand demokratischer Einrichtungen von demokratischen Entscheidungen unabhängig sein soll. Das Volk ist zur eigenen Herrschaftsausübung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Indes ist von diesen ehern scheinenden Grundsätzen hinein i n die praktischen Tatbestände von plebiszitärer Ovationsherrschaft bislang kaum ein gedanklicher Weg gebahnt 6 . Es finden sich rein quantitative Aussagen über den Schutz der Parlamente, ihnen sei nicht „zu viel" an Aufgaben zu nehmen, oder es w i r d der bereits kritisierte Versuch unternommen, die formale Einrichtung der Parlamente zu belassen, sie aber zur gutmütig mahnenden Nachhut eines anderen demokratischen Prozesses zu machen. Gesichert, wenn auch bezweifelt scheint allerdings i m Ergebnis die Erkenntnis, daß Plebiszite nicht etwa ein selbstverständlicher Teil der demokratischen Verfassung sind, welcher, bisher aus historischen Grün« Siehe den Befund von Böckenförde,
Totalrevision, S. 594 f.
106
V I I . Die Demokratischen Rechte des Bürgers
den und Ängstlichkeit der Regierenden i n Bann getan, aus dem Prinzip selbst lediglich entnommen zu werden braucht, u m Geltung i n der Verfassungsordnung zu erlangen 7 . Daß es i n der dogmatischen Interpretation dabei häufig für erforderlich gehalten wird, das Prinzip des Rechtsstaats gegen das Prinzip der Demokratie i n einen Konflikt zu führen, muß hier nicht mehr kritisiert werden. Fester Bestandteil des Verfassungsrechts ist es auch, daß sich der grundgesetzliche Schutz der repräsentativen Demokratie gemäß A r t . 79 Abs. 3, 20 Abs. 2 GG auch gegen verfassungsändernde Mehrheiten nach A r t . 79 Abs. 2 GG durchzusetzen hat 8 . Auch überwältigende Mehrheiten des Parlaments können sich nicht auf diese Weise zur Aufhebung ihrer Pflichten und Ermächtigung anderer Stellen entschließen. Hingegen soll sich dieser Schutz des Wesensgehalts der Verfassung nicht auf alle Gegenstände der parlamentarischen Verantwortung erstrecken. Die Schaffung von weiteren Materien unvermittelter Abstimmungen mittels verfassungsändernder Parlamentsmehrheiten w i r d nicht ausgeschlossen9. I n der Diskussion werden dabei etliche Argumente herangezogen und überprüft, die hier bisher nicht gewürdigt sind. Der Ausschluß dieser Argumente aus der bisherigen Betrachtung ist zunächst noch zu begründen (unten b), c)), bevor die verfassungsrechtlichen Erfordernisse und verfassungsrechtlichen Grenzen für die Einführung von Volksentscheiden unter dem Grundgesetz festgestellt werden können. b) Das Gewicht allgemeiner Parlamentarismuskritik
Mängel der Parlamente bei der Geltendmachung des Volkswillens sind i n vielfacher Weise wissenschaftlich behauptet und festgestellt. I n diesem engeren Rahmen des Vergleichs von Volkswahl und Volksabstimmung sind aber nicht alle bedenklichen Erscheinungen des Parlamentarismus umfassend zu würdigen. Die K r i t i k an Wirkungsweise und Leistung der Parlamente war nicht i m Rahmen allgemeiner A n forderungen an das repräsentierende Organ zu untersuchen, sondern lediglich insofern, als die strukturelle Ablösung der Parlamente durch unvermittelte Abstimmungen demokratische Vorteile verspricht 1 0 . 7 BVerfGE 1, 33; 3, 19 (26 f.); 18, 154. Scheuner, Das Grundgesetz i n der Entwicklung zweier Jahrzehnte, S. 368 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, § 5 I I 2 b. « BVerfGE 9, 268 (281 f.), Wernicke, A r t . 20 GG, Rdnr. 1 d., Geiger, Demokratieverständnis, S.244. ° Maunz / Dilrig, Grundgesetz-Kommentar, A r t . 79, Rdnr. 47. Schnapp, A r t . 20 GG, Rdnr. 31. io Hesse, Verfassungsrecht, § 5 I ; Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 194: die K r i t i k muß die Fragwürdigkeit aller Verfassungssysteme zum Ausgangsp u n k t nehmen.
3. Das Bürgerrecht auf unvermittelte A b s t i m m u n g
107
Ein kräftiger Strang der allgemeinen Parlamentarismuskritik w i l l den Repräsentanten die Ausübung von zuviel oder überhaupt von Macht zum V o r w u r f machen. Dabei w i r d zumeist nicht deutlich gesehen, daß Volksherrschaft gerade Machtbildung zum Gegenstand hat, welche nicht nur den für Minderheiten, sondern auch den für Mehrheiten stimmenden Bürger unter kollektive Zwänge stellt. Macht w i r d sodann der Entscheidungsbefugnis von Personen angeheftet, ohne deren institutionelle Rollenverpflichtung zu würdigen, so daß es zu einem Unmut über die relative Konstanz i n der personellen Zusammensetzung von Funktionärsgruppen kommen muß 1 1 . Solchen Anschauungen fehlt die hier notwendige Hinsicht des Vergleichs m i t anderen Verfahren, daneben ist ihr Ansatz fragwürdig. Ein Mangel an Vergleich hat auch die Weimarer Auffassung diskreditiert, wonach Plebiszite sich als Kontrollinstrument von Parlamenten einsetzen ließen. Deshalb wurde „aus der Korrektur . . . schnell eine Kollision" 1 2 . Auch die Verfechter des Parlamentarismus sahen zu jener Zeit i n diesem nicht eine demokratische Einrichtung m i t vorzüglicher Leistungsfähigkeit, sondern eine zunächst erforderliche „Erziehungsmethode" für das Volk gegenüber der „reinen Demokratie" 1 3 . Die Rechtsordnung für Parteien und Parlamente ist jedoch das Kontrollinstrument des Volkes über die politischen Aktivisten, welches nicht zu verwechseln ist m i t den Gefahren, vor denen es hüten soll. Eine Ernennung der Kontrollierten zu kontrollfreien Kontrolleuren vergrößert nur die Risiken. Der Gedanke der Parlamentskontrolle durch Plebiszite war nicht zu Ende geführt, weil auf das Machtgeschehen bei A b stimmungen kein vergleichendes Augenmerk gelegt war. Eine Auflösung der parlamentarischen Pflichten durch Sachabstimmungen findet sich auch befürwortet, wo auf einen Vertrauensverlust des Bürgers i n seine parlamentarischen Einrichtungen erkannt wird. Die Maßstäbe, die zu dieser Erkenntnis führten, sind nicht immer deutlich. Richtig ist jedenfalls, daß jede fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft die Parlamente weiter zu eigenständigen Faktoren der demokratischen Willensbildung machen muß 1 4 . Die große Zahl unterschiedlicher Interessen des Volkes werden i n den Parlamenten nicht mehr direkt abgebildet, sondern finden sich auf die Notwendigkeit einer Einigung h i n bereits modifiziert. Verbände und nicht mehr die Parteien formulieren die unmittelbaren Gruppeninteressen 15 . Auch für den Bürger ist aber heute erkennbar, daß der Wunsch, den 11 Klassisch Michels, Z u r Soziologie des Parteienwesens. 12 Schmitt, Volksentscheid, S. 51. 13 Preuß, Protokolle der Weimarer Reichsversammlung, S. 309. 14 Parsons, Reflections on the Place of Force, S. 62. 15 Böckenförde, Politische F u n k t i o n der Verbände.
108
V I I . Die Demokratischen Rechte des Bürgers
er m i t dem Mittel des Verbandes an seine gewählte Vertretung adressiert, von anderer A r t ist, als das Votum, das er als Wahlbürger abgibt. Durch die Entpflichtung der Parlamente vom Interessenausgleich kann jedenfalls nicht zusätzliches Vertrauen i n diese Institution geschaffen werden, sondern das Vertrauen kann nur gegenstandslos werden. Die Pflichterfüllung steht nicht mehr i n einer Bewährungsprobe, weil die Pflichten aufgelöst sind. c) Politische Gesichtspunkte
I n staatsrechtlichen Untersuchungen zur Zulässigkeit von Plebisziten unter dem Grundgesetz finden sich häufig i n zwangloser Weise auch verschiedene politische Überlegungen angestrengt. Dagegen erscheint es notwendig, Fragen der Ausübung der politischen Gestaltungsrechte des Bürgers von jenen verfassungsrechtlichen Erfordernissen zu trennen, die die Freiheitlichkeit dieser Gestaltung zu bewahren bestimmt sind. I n den Bereich der so verstandenen politischen Gestaltungsfreiheit des Bürgers wäre die Erwägung einzuordnen, daß Volksentscheide konservative Politik begünstigten 16 . Eine solche Zuordnung zum Autonomiebereich der Politik belegt bereits der Begriff „konservativ" mit seinem Pendant „fortschrittlich". M i t dieser Unterscheidung werden für das politische Leben die ersten Groborientierungen geschaffen, für die aus staatsrechtlicher Sicht kaum ein Beitrag erwartet werden kann. Auch mit der Rede von der „Beruhigungsfunktion" oder „Ventilfunktion" von Volksabstimmungen ist kaum i n das Koordinatensystem der Verfassung zu gelangen. Parlamente und Regierung sind mittels ihrer politischen Verantwortlichkeit zur frühzeitigen konstruktiven Aufnahme von Bürgerunruhe eingerichtet. Der Wille des Volkes läßt sich nicht als Dampf auffassen, welcher ein Ventil erfordert. Es w i r d auch auf die Gefahren des demagogischen Mißbrauchs von Plebisziten hingewiesen 17 . Auch hiermit scheint jedoch eine wichtige Verantwortung des demokratischen Souveräns bezeichnet, nicht bereits auf ein Schutzgut der Verfassung hingewiesen. „Gewiß kann diese (politische) Freiheit demagogisch mißbraucht werden — wie wäre sie sonst eine Freiheit 1 8 ?" Die Lehre zur politischen Meinungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG hat so auch sehr bald den Gedanken der Beschränm So etwa der Abgeordnete Heuß i m Parlamentarischen Rat, JöR (N.F.), Bd. 1, S. 620 f. So Böckenförde, Überlegungen u n d Empfehlungen der Enquête-Kommission Verfassungsreform, S. 14; vgl. Kopp, Reform der Verfassungsbestimmungen, S. 598; W. Weber, Spannungen u n d Kräfte, S. 196. i« Thoma, Das Reich als Demokratie, S. 193.
3. Das Bürgerrecht auf unvermittelte A b s t i m m u n g
109
kung dieses Freiheitsrechts für „Demagogen" aufgegeben 19 . Auch das Leben der Gemeinschaft i m Staat enthält immer emotionale Elemente, und die Verfassung des Parlamentarismus begünstigt nicht technizistische Gefühllosigkeit, sondern weitsichtiges und abwägendes Mitgefühl mit allen Betroffenen. Verfassungsrechtliche Grenzen der Abstimmungsdemokratie können so auch nicht i n einem Blankettbegriff der Demagogie bestehen, sondern nur von dem Schutz demokratischer und individueller Rechte herrühren. Zusätzlich ist zweifelhaft, ob der Parlamentarismus überhaupt als Schutz vor Demagogie angesehen werden kann. Diese Annahme ist aus der Situation des Herrenchiemseer Verfassungskonvents m i t seinen leidgeprüften und kooperationswilligen Abgeordneten zwar verständlich. Als dauerhafte, organisierte Vorkehrung des repräsentativen Systems ist sie aber recht zweifelhaft. Für diese spräche wohl die Ergebnisverantwortung des Parlaments (oben I I I . 3. a)), andererseits ist die institutionelle Wettkampfverpflichtung der Parteien und ihr Zwang zur Suche nach breiten Mehrheiten (oben I I I . 3. b)) erleichtert, wenn sich außenstehende Minderheiten als Sündenböcke namhaft machen lassen. Jedenfalls scheinen die politischen Parteien i n ihrer Arbeit auf die Motoren der Emotion noch weitgehend angewiesen. Als nurmehr politische Überlegung kann auch die einfluß reiche und mehrerwähnte Vorstellung aufgefaßt werden, Parlamente berechtigten sich aus dem Schutz vor unbedachten Volkswillensaufwallungen. Das Recht der repräsentativen Dëmokratie dient unter anderem dazu, Entscheidungen bedachtsam zu fällen. Hier w i r k t e n sicherlich kluge staatsmännische Überlegungen. Daraus aber auf ein volkswillensresistentes Verfassungsgebot zu schließen w i r d i m Rahmen des Grundgesetzes nicht nur schwer zu begründen sein, sondern das Aufbieten dieses Gedankens ist auch völlig entbehrlich. Der Wesensgehalt des Grundgesetzes sollte durch einen Grundkonsens seiner Bürger gestärkt sein, welchem auch jene beitreten können, die dem Schutz vor sich selbst und dem Nächsten weniger Gewicht beimessen wollen als dem Schutz vor anonym und bürgerfern empfundenen Großorganisationen. Einem etwaig für notwendig gehaltenen Streit zwischen „Bürgerohnmacht" und „Demokratismus" sollte nicht die Freiheit gelassen werden, das erforderliche breite Feld des Konsenses über die repräsentative Demokratie zu verheeren. Die parlamentarische Demokratie weist sich gegenüber einer Abstimmungsdemokratie vielmehr durch ihre erhöhten Leistungen bei der demokratischen Willensbildung, Meinungsberücksichtigung und Willensverantwortung aus. Die Fragen einer Bremsung oder Beschleunigung der Volkswillensverwirklichung mögen als bildi» Vgl. BVerfGE 7, 210 (Lüth).
110
V I I . Die Demokratischen Rechte des Bürgers
hafte Begriffe des politischen Lebens dienen, zur Ausdeutung des Verfassungsprinzips der repräsentativen Demokratie sind sie undienlich. d) Der verfassungsrechtliche Schutz der parlamentarischen Demokratie nach dem Grundgesetz
I m Herrenchiemseeer Verfassungskonvent wurde die demokratische Ordnung betont als repräsentative konstituiert. Darin w i r d auch das Ergebnis einer umfassenderen Wirkungswürdigung durch die tätigen Gründungsväter gesehen werden können. Solche Erfahrungen der Verfassungspraxis sind seit je i n die Gründung und Sicherung der verschiedenen, notwendig verbundenen rechtlichen Institutionen des Parlamentarismus eingegangen. Das Werk der Bundesverfassung besitzt darüber hinaus heute eine Systematik, die staatsrechtlich auch insofern erschließbar ist, als aus ihr der verfassungsrechtliche Veränderungsschutz der repräsentativen Institutionen genauer bestimmt werden kann. aa) Wesensgehaltsgarantie Das Wahlrecht und die politischen Freiheitsrechte des Bürgers stellen die Einrichtungen der repräsentativen Verfassung grundsätzlich unter die Garantie des A r t 79 Abs. 3 GG. Die allgemeine Ablösung der demokratischen Wahl durch Abstimmungen berührt das Demokratieprinzip i n seinem Wesensgehalt. Wesensgehaltsverstöße sind weder an die formelle Auflösung oder Entmachtung der Parlamentsinstitution, noch an die Einführung eines justiziell verfolgbaren imperativen Mandats gebunden. Die rechtliche „Bindungswirkung" von Abstimmungen ist i n diesem Bereich politischer Verantwortung kein maßgebliches Kriterium. Eine gegenständlich unbeschränkte Einführung von Abstimmungsverfahren verstößt gegen den Wesensgehalt des Grundgesetzes. Eine besondere Stellung nimmt hier jedoch das Referendum als ein parlamentsbeschlossenes Abstimmungsverfahren ein, dessen Zulässigkeit i m Rahmen von A r t . 79 Abs. 3 GG von der Gegenstandsweite unabhängig ist. Jedoch müßte eine gesetzliche Möglichkeit für Minderheiten oder einfache Mehrheiten des Parlaments zu einem Referendumsbeschluß zu gelangen Bedenken aus A r t . 79 Abs. 3 GG begegnen. bb) Befugnisse des Verfassungsgebers Der Wesensgehalt der Verfassung schützt nicht den gesamten Bereich parlamentarischer Verantwortung. Eine Einführung von Abstimmungsverfahren i m Wege einer Verfassungsänderung ist für bestimmte Bereiche möglich, ohne das parlamentarische System i n seinem Kern anzugreifen. Allgemeine Voraussetzung für eine solche Zulässigkeit
3. Das Bürgerrecht auf unvermittelte A b s t i m m u n g
111
ist eine deutliche Gegenstandsbeschreibung der Plebiszitherrschaft. Besondere Voraussetzung ist die gegenständliche Eignung für diese Herrschaftsform. Die gegenständliche Eignung ist allgemein gegeben, wenn hiermit die demokratische Steuerbarkeit und Verantwortlichkeit des Staates für sein Handeln nicht aufgeopfert werden muß. Besondere Eignung zur Abstimmungsdemokratie kommt erstens jenen Gegenständen zu, für die die Kompetenz der Parlamente zur Gesetzgebung fragwürdig erscheint. Dies ist für eine Veränderung jener Rechtsregeln anzunehmen, die die Pflichten des Parlaments vor dem Bürger selbst betreffen. Bei einer parlamentarischen Veränderung des Wahlrechtssystems würde der Auftragnehmer Aufgaben der Auftraggeber wahrnehmen. Auch Veränderungen des Staatsgebiets betreffen jenes Grundverhältnis des Bürgers zu seinen Vertretungsorganen, dessen Bestimmung noch Voraussetzung für die Errichtung der parlamentarischen Pflichtenbindung ist. Ebenso wäre es bei einer parlamentarischen Einführung von Volksabstimmungen. Auch hierdurch werden Aufgaben und Rechte des Wahlbürgers grundsätzlich verändert. Diese Gegenstände weisen sich insofern als geeignet für eine Abstimmungsdemokratie aus. Dementsprechende Veränderungen wären durch eine Verfassungsänderung herbeizuführen, zu der nach dem Grundgesetz allein das Parlament befugt ist. Eine für formelle Verfassungsänderungen ausreichende materielle Unbedenklichkeit der Abstimmungsdemokratie kommt zweitens jenen Gegenständen zu, bei denen bisherige Entscheidungspflichten des Parlaments nicht i n einen unkontrollierbaren Bereich privater Verfügung fallen, vielmehr zurück i n die Hände des allgemeinen und gleichen Wahlbürgers gegeben werden, ohne damit dessen Recht auf eine für das staatliche Handeln verantwortliche, i n repräsentativer Leistungsfähigkeit gebildete Vertretung unangemessen zu schmälern. Dies kann für die Änderung oder Einfügung von Verfassungsbestimmungen m i t Grundsatzcharakter angenommen werden, deren einzelne Ausgestaltung i n vom Bürger kontrollierten Händen bleibt. Abstimmungen zu Wahlrechtsänderungen und die Einführung von zulässigen Abstimmungen sowie zu Hoheitsgebietsveränderungen sind auch i n diesem Sinne unbedenklich, weil die Bürgerstimme auch hier nicht für Weiterungen i n Anspruch genommen werden kann, welche bei der Entscheidung nicht vorauszusehen waren. cc) Befugnisse des Gesetzgebers Der Gesetzgeber ist durch die Ordnung der repräsentativen Demokratie i n eine gesteigerte demokratische Verantwortung gestellt, welche auch den politischen Freiheitsrechten des Bürgers eine stärkere W i r k -
112
V I I . Die Demokratischen Rechte des Bürgers
kraft geben. Er kann sich seiner verfassungsrechtlichen Pflichten nicht durch einfachgesetzliche Zulassung von Abstimmungsverfahren entledigen.
V I I I . Ergebnisse 1. Der Wille des Volkes als nicht nur mythische Größe oder Zielumschreibung für Politik, sondern entsprechend unserer Verfassung grundlegender Tatbestand für die staatliche Willensbildung, ist nur wirklich i m Rahmen einer organisatorischen Ordnung zu dessen Bestimmung. Deshalb haben jegliche Regeln von Volkswillensbildung Einfluß auf dessen Gehalt, sie „ermitteln" nicht nur den Volkswillen, sondern sie bilden ihn. Seine Autorität als Volkswille gewinnt der so gebildete Wille durch die Autorität der Verfassungsentscheidung über das Willensbildungsverfahren. Auch Plebiszite sind keine ursprünglich-natürliche Willensbildungsform menschlicher Gemeinschaften, auch Plebiszite beruhen auf einer Ordnung gesetzter Normen. Grundsätzliche normative Veränderungen des demokratischen W i l lensbildungsverfahrens, wie sie i n einem Übergang von der Ordnung der Volkswahl zu einer Ordnung der Volksabstimmung liegen würden, sind Bewertungen mit verfassungsrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstäben zugänglich. 2. I n der repräsentativen Demokratie verwirklicht sich der Wille des Volkes i m Parlament. Das Parlament ist deshalb keine Institution, die einen i n anderer Organisation des Volkes geschaffenen Volkswillen lediglich aufnimmt. Vielmehr ist es eine Verfassungseinrichtung, die i n einem vom Staatsbürger geschaffenen und von diesem kontrollierten Auftrag gesellschaftliche Meinungen aufzunehmen verpflichtet ist, u m aus diesen den Volkswillen zu formen. I n der parlamentarischen Demokratie w i r k t der Bürger i n zwei verschiedenen Weisen auf die staatliche Willensbildung ein: I m Wege der Wahl als allgemeiner und gleicher Souverän des Staates und i m Wege der andauernden politischen Auseinandersetzung als Mitglied unterschiedlicher Interessen- und Meinungsgruppierungen. Die Vorstellung von plebiszitärer Demokratie w i l l mit den Parlamenten die Differenzierung dieser zwei Wege wieder beseitigen und durch die Ablösung der Träger demokratischer Verantwortung das Verhältnis von Staat und Bürger i n der Demokratie insoweit nur noch auf das eine Bein eines Anweisungsverhältnisses stellen.
8 Greifeid
114
V I I I . Ergebnisse
Politische Meinungsbildung und demokratische Willensbildung stehen i n der parlamentarischen Demokratie i n einem einander dienenden Bezug, der sie wechselseitig stärkt und ihnen institutionellen Raum schafft. Ihre Unterscheidung mit der Zuerkennung eines ihnen je besonderen Charakters ist kein Entschluß der Verfassung „für Rechtsstaat" oder „gegen Demokratie". Befürwortungen von Plebisziten aus einer Umkehrung solcher Bewertungen, also aus einer Forderung nach „mehr Demokratie" i m Tausch für „weniger Rechtsstaat" vermögen nicht zu den verfassungsrechtlichen Fragen zu gelangen, die das Grundgesetz an plebiszitäre Staatswillensbildung stellt. Für die politische Willensbildung des Volkes verwirklicht sich i m Rechtsstaat das Demokratieprinzip. Historische und politische Auffassungen, wonach Repräsentanten zur generalpräventiven Fernhaltung des Volkes von „der Macht" bestellt seien, sind unter dem Grundgesetz bedeutungslos. Die Ordnung der repräsentativen Demokratie ist auch nicht ausreichend verstanden als desillusionierte Folgerung aus bedauerlichen Schwächen und vorhersehbaren Ungenügsamkeiten der menschlichen Natur. Vielmehr ist sie eine die Mündigkeit des Menschen voraussetzende Ordnung, welche i n ihrer Anlage zu Leistungen befähigt ist, die andere Verfahrensordnungen der Volkswillensbildung nicht zu erbringen vermögen. Als formelle Ordnung bildet sie eine wichtige Hilfe, wenn auch keine Garantie für die Qualität der i n ihrem Rahmen geschaffenen Inhalte. 3. Parlamente sind i n eine Pflicht zur Volkswillensbildung gestellt. Wie jeder Auftragnehmer müssen sie einen Raum gesicherter Freiheit besitzen, u m unter kontrollierter Verantwortung stehen zu können. Die parlamentarische Demokratie ist eine Form der Volkswillensbildung, i n welcher die verschiedenen Meinungen und Wünsche des Bürgers auf einen Prüfstand ihrer tatsächlichen gegenseitigen Verträglichkeit gehoben werden. Das Parlament ist eine vom Bürger beauftragte, von diesem abhängige Instanz zur Abstimmung einer Vielzahl von Einzelanliegen zu gemeinschaftlich befriedigenden Lösungen. Anschauungen i n der Bürgerschaft muß es hierbei zum Ausgangspunkt seiner eigenen Tätigkeit nehmen, sie aber i m parlamentarischen Verfahren nicht lediglich abbilden. Die eigene Pflichtenstellung des Parlaments führt zu einer höheren „Nettoverwirklichung von Werten" i n der demokratischen Willensbildung. M i t den Parlamenten ist für den Bürger eine allgemein und gleich zugängliche Pforte zum Prozeß der Gesetzgebung geschaffen. Mächte der freien politischen Meinungsbildung sind für i h r Einwirken auf die staatliche Willensbildung dadurch gleichzeitig einer demokratischen Kontrolle unterworfen.
V I I I . Ergebnisse
115
Durch Parlamente ist die Möglichkeit zur Bestimmung von Themen politischer Entscheidungen einer Kontrolle des demokratischen Souveräns unterstellt. Die Auswahl und Formulierung von Themen für politische Entscheidungen bestimmt bereits i n hohem Maße das Ergebnis demokratischer Verfahren. Durch Plebiszite w i r d dieser Vorgang der Vorfestlegung einer staatsbürgerlichen Kontrolle weitgehend entzogen. Durch die parlamentarischen Pflichten der Meinungsberücksichtigung werden die Anliegen des Bürgers i n verstärktem Maße i n die staatliche Willensbildung aufgenommen. Mittels eines Zeitraumes demokratischer Verantwortung des Parlaments verbinden sich die verschiedenen Begehren der Bürger zu einem Zusammenhang, i n dem das Parlament nicht mehr nur auf die Zahl der Anspruchsteller, sondern auch auf die den Anliegen vom Bürger je beigemessenen Gewichte zu achten verpflichtet ist. Das Ausmaß der Betroffenheit des Bürgers durch staatliche Maßnahmen w i r d zu einer wichtigen Größe der demokratischen Entscheidungsfindung, ohne daß das Parlament dadurch aus seiner Gesamtverantwortlichkeit gegenüber dem allgemeinen und gleichen Bürger entlassen ist. Durch die parlamentarische Ordnung kann der Staatsbürger seine Anliegen i n differenzierter Form i n die Volkswillensbildung einbringen. Seine Stimme trägt, anders als beim Plebiszit, auch die verschiedenen Gewichte seiner vielfältigen Anliegen. M i t Parlamenten ist eine Institution geschaffen, mit welcher der Bürger die Rechtzeitigkeit staatlicher Entscheidungen durchsetzen kann. Die dauernde Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers ist Grundlage für seine Verantwortlichkeit i n der Zeit. Nicht nur neuerlich verabschiedete Gesetze, sondern auch andauernde Gesetzeslagen unterfallen seiner Verantwortlichkeit. Sie müssen vor dem Bürger i m Lichte der relativen Vorzüge von Novellierungsvorschlägen gerechtfertigt werden und versteinern nicht bis zu einer Bildung einer Mehrheitsmeinung i n der Bürgerschaft über die absolute Richtigkeit eines Neuerungsvorschlags. Durch die Willensverantwortung des Parlaments kontrolliert der Bürger den gesamten Gesetzgebungsvorgang. Diese Kontrollweite w i r d durch die Er g ebnisv er antwortung des Delegierten ermöglicht. Dessen demokratische Verantwortlichkeit beschränkt sich nicht auf die getreue Erfüllung von Anweisungen. Die Wählerstimme kann dadurch nicht für inhaltliche Gehalte i n Anspruch genommen werden, auf deren Formulierung sie nicht direkt einwirken kann. Vielmehr gewinnt der Wähler dauernden Einfluß auf die Ausdeutung seines Willens durch die repräsentativen Organe. I m Plebiszit fehlt eine derartige Bindung an den 8*
116
V I I I . Ergebnisse
Bürgerwillen. Die Bürgerstimme kann nur über Ja oder Nein einer vorgehend festgelegten Frage entscheiden. Durch die Willensverantwortung der Parlamente w i r d das Mehrheitserfordernis der Demokratie qualifiziert. Die Auseinandersetzung der Parlamente und Parteien u m auch einfache Mehrheiten w i r d auf der Grundlage des Bemühens u m ein Programm m i t vollständigem Einverständnis der Bürger geführt. I m Plebiszit genügt das Einverständnis je einfacher Mehrheiten. Durch die Differenzierung von gesellschaftlicher Meinungsbildung und demokratischer Willensbildung werden Bürgerfreiheit und staatliche Verantwortung vor dem demokratischen Souverän wechselseitig gestärkt. Plebiszitäre Herrschaft, die die Verschiedenheit dieser Bereiche aufzulösen sucht, greift m i t der Wechselbezüglichkeit von Meinungsbildung der Bürger und Willensbildung des Staates einen Lebensraum für die Entfaltung des Rechts der „öffentlichen Meinungsfreiheit" (Ridder) an. 4. Eine Verknüpfung der parlamentarischen m i t der plebiszitären Demokratie ist nicht möglich, da beide Verfahren unverträglich sind. Die Einführung von Elementen der Abstimmungsdemokratie bei Aufrechterhaltung einer parlamentarischen Ordnung ist nur durchführbar bei deutlicher Abgrenzung ihrer Gegenstandsbereiche. Eine Lähmung der parlamentarischen Demokratie durch parallele Plebiszitmöglichkeiten t r i t t auch dann ein, wenn den Abstimmungen keine Bindungswirkungen zukommen. Für die Sondergebiete der Entscheidungen über das Wahlrecht, das Hoheitsgebiet und, begrenzt, die Verfassungsgrundsatzgebung sind Plebiszite geeignete demokratische Verfahren. 5. Die Verfassung schützt die parlamentarisch-demokratische Willensbildung i n ihren differenzierten Einrichtungen. Die umfassende Wählerverantwortlichkeit des Abgeordneten w i r d insbesondere durch A r t . 38 Abs. 1 Satz 2, 46 GG gesichert. Die Pflicht zur Verantwortungsübernahme vor dem Wähler bei der Willensbildung ist mit den parlamentarischen Mehrheitsprinzipien einschließlich der Fraktionsprivilegien abgestützt. Die Schlüsselfunktion i n der demokratischen Willensbildung ist solchen Verbänden vorbehalten, die sich besonderen Formen der öffentlichen Kontrolle unterwerfen (Parteienvorbehalt). Verbände, welche Abstimmungsverfahren betreiben, unterliegen nicht den Anforderungen des A r t . 21 GG. Die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl erhalten durch Parlamente dadurch ihre Geltungsweite, daß sie das gesamte Handeln des Abgeordneten, dessen Entscheidung über aufzuwerfende
V I I I . Ergebnisse
Fragen wie seine Entscheidung über darauf zu findende Antworten zum Prüfungsgegenstand der Wahlentscheidung machen. Der Zugriff des Bürgers auf einen derartig umfassend für Ergebnisse Verantwortlichen w i r d durch den Parteienvorbehalt bei der Listenwahl und die wahlrechtlichen Sperrklauseln befestigt. M i t Plebisziten w i r d die Entscheidung über die politische Auswahl unter verschiedenen Problemformulierungen aus der Kontrolle des allgemeinen und gleichen demokratischen Souveräns weitgehend entlassen, der Gegenstandsbereich von A r t . 38 Abs. 1 GG entscheidend verengt. I n der repräsentativen Demokratie ist die Freiheit zur Einflußnahme des Bürgers auf den Staat durch die politischen Freiheitsrechte befestigt. Durch die Einrichtung der Wahl ist die Staatsgewalt, obwohl durch einen Stimmakt zur Herrschaftsausübung legitimiert, der andauernden K r i t i k und Einflußnahme durch den Bürger ausgesetzt. Die politischen Freiheitsrechte sichern diese Einflußnahme. Ihre W i r k samkeit ist gebunden an die politische Verantwortlichkeit des Staats für seine Maßnahmen. Durch eine Privatisierung der Normgebung i m Wege von Plebisziten w i r d die Staatsgewalt aus ihrer Verantwortung entlassen, den politischen Freiheitsrechten ein gesicherter Grund entzogen. Das Grundrecht auf demokratische Gleichheit soll unbeschadet der sozialen Unterschiede i n der Gesellschaft dem Staatsbürger eine formal möglichst gleiche Ausübung seines Stimmrechts sichern. Durch Parlamente besteht diese Gleichheit der Einflußnahme vor der Gesamtverantwortlichkeit der staatlichen Gewalt für ihre Maßnahmen. Durch die Abgabe staatlicher Verantwortung für die Gesetzgebungsvorbereitung an Private, für die das Gebot der Öffnung zu gleicher Einflußnahme nicht gilt, w i r d das Gebot demokratischer Gleichheit i n seinem Wirkungsbereich erheblich verengt. 6. Der Demokratiegrundsatz ist Teil der Wesensgehaltsgarantie der Verfassung nach A r t . 79 Abs. 3 GG. Die Verfassung berechtigt damit nicht nur, sondern verpflichtet den Bürger auch zur Selbstherrschaft. Die aufgezeigte, durch Plebiszite drohende Zerrüttung des feingliedrigen rechtsstaatlichen Hegelwerks zur Schaffung der organisatorischen Voraussetzung von Volksherrschaft stellt auch die parlamentarische Demokratie unter die Wesensgehaltsgarantie der Verfassung. Aufgrund besonderer Verhältnisse sind von diesem Grundsatz die Gegenstandsbereiche der Wahlgesetzgebung, Hoheitsgebietsveränderung und Verfassungsgrundsatzgebung ausgenommen.
Literaturverzeichnis Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, 1971. — Das Parlament i m modernen Staat, DVB1.1974, S. 693 ff. — Die parlamentarische Verhandlung, B e r l i n 1979. Albert, Souveränität u n d Entscheidung, i n : ökonomische Ideologie u n d p o l i tische Theorie, 2. Aufl., Göttingen 1972, S. 98 ff. — Marktsoziologie u n d Entscheidungslogik, Neuwied 1967. Anderegg,
F i k t i o n u n d Kommunikation, Göttingen 1973.
Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 13. Aufl., 1930. — (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Tübingen 1930. Apel, Der Deutsche Parlamentarismus, 1968. Arndt, K . F., Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie u n d autonomes Parlamentsrecht, B e r l i n 1966. Arrow,
Social Choice and I n d i v i d u a l Values, New Y o r k 1951.
Badura, A r t . 38 GG, i n : Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung. Bagehot, The English Constitution, unveränderter Nachdruck der 2. Auflage v o n 1872, Oxford 1963. Bäumlin, Demokratie, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl. Stuttgart— Berlin, S.366. Behrens, Politische Entscheidungsprozesse, Opladen 1980. Bernholz , Logrolling, A r r o w - P a r a d o x and Cyclical Majorities; Public Choice 14 (1973), S. 87 ff. v. Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme i n Europa, 1970. Bleckmann, Die Zulässigkeit des Volksentscheides nach dem Grundgesetz, JZ 1978, 217 ff. Bluntschli,
Allgemeine Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart 1886, Band 1.
Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, Opladen 1973. — Die politische F u n k t i o n der wirtschaftlich sozialen Verbände . . . , Der Staat 15 (1976), S. 457 ff. — Überlegungen u n d Empfehlungen der Enquête-Kommission Verfassungsreform zur demokratisch-parlamentarischen Verfassungsorganisation, H a n nover 1977. — Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung, AöR 106 (1981), S. 580 ff. Boettcher, Herder-Dorneich, Schenck, Neue politische Ökonomie als Ordnungstheorie, Tübingen 1980.
Literaturverzeichnis Boulding,
119
Economics as a Science, New Y o r k 1970.
Bowra, Classical Greece, New Y o r k 1965. Bridel, Réflexions sur le principe majoritaire dans les démocraties, in: Festschrift W. Kägi, Zürich 1979. Buchanan / Tullock,
The calculus of consent, 5. Aufl., A n n A r b o r 1974.
Bucheli, Die direkte Demokratie i m Rahmen eines Konkordanz- oder K o a l i tionssystems, Bern 1979. Büchler-Tschudin,
Demokratie u n d Kompromiß, Basel 1980.
Burke , Speech to the Electors of B r i s t o l . . . (1774), in: The Works of the Right and Honourable Edmund Burke, Band I I , London u. a. 1906. Carré de Malberg , Contribution à la Théorie générale de l'Etat, Band I I , 1922. Dagtoglou,
Bonner Kommentar, A r t . 17 GG, Zweitbearbeitung.
Dahl, A Preface to Democratic Theory, Chicago 1956. — Modern political analysis, 3. Aufl., Englewood Cliffs 1976. Denninger, Demokratieprinzip u n d Verfassung, in: Sozialwissenschaften i m Studium des Rechts, Hrsg. Hoffmann-Riem, München 1977. υ. Doemming / Filsslein / Matz, Entstehungsgeschichte der A r t i k e l des G r u n d gesetzes, JöR N.F. 1 (1951). Downs , A n Economic Theory of Democracy, New Y o r k 1957. — I n Defense of M a j o r i t y Voting, Journal of Political Economy 69 (1961), S. 142 ff. Drath , Die E n t w i c k l u n g der Volksrepräsentation, in: Rausch (Hrsg.) a.a.O., S. 260 ff. Diirig, Z u r Neugestaltung des Wahlrechts, Bericht des v o m Bundesminister des I n n e r n eingesetzten Beirates für Fragen der Wahlrechtsreform, 1968, S. 57 ff. — Einführung i n das Grundgesetz in: dtv-Textbuch, 20. Auflage. Eichenberger, Der E n t w u r f 1977 für eine neue schweizerische Bundesverfassung, Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht 40 (1980), S. 477 ff. Eschenburg, Rolf, Der ökonomische Ansatz zu einer Theorie der Verfassung, Tübingen 1977. Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bericht, B e r n 1977. Flechtheim
u. a., Z u m Parteiengesetz-Entwurf, DÖV 1967, 256 ff.
Fleiner / Giacometti, Nachdruck 1969.
Schweizerisches
Bundesstaatsrecht,
Tübingen
1923,
Föhr / Rinken, Innere Demokratie i n den Verbänden, in: Poser, Wassermann (Hrsg.), Freiheit i n der sozialen Demokratie, S. 111 ff. Forsthoff, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung u n d inneren Ordnung der Parteien, in: Die politischen Parteien i m Verfassungsrecht, Tübingen 1950. — V o n der sozialen zur technischen Realisation, Der Staat 9 (1970), S. 151 ff.
Literaturverzeichnis — Der Staat der Industrie-Gesellschaft, München 1971. — Strukturwandlungen der modernen Demokratie, in: Rechtsstaat i m W a n del, 2. Aufl., 1976. Fränkel, Die repräsentative u n d plebiszitäre Komponente i m deutseihen V e r fassungsstaat, Tübingen 1958. Frey, Ansätze zur politischen Ökonomie, in: Pommerehne, Frey, Ökonomische Theorie der Politik, a.a.O. — A Dynamic Theory of Public Goods, Finanzarchiv N.F. 32, 185. Friedrich, Representation and Constitutional Reform i n Europe, in: The Western Political Quarterly 1, 1948. — Constitutional Government and Democracy, 2. Ausgabe, Boston 1941. — Der Verfassungsstaat der Neuzeit, B e r l i n u. a. 1953. Friesenhahn,
Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, V V D S t R L 16.
— Die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien i n der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht (n.F.) 87, 1968, I. Halbband, Heft 3, S. 245 ff. Frowein, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht, AÖR 99 (1974), S. 72 ff. Gadamer, Kleine Schriften I, Philosophische Hermeneutik, Tübingen 1967. Gäfgen, Z u r Theorie k o l l e k t i v e r Entscheidungen i n der Wirtschaft, Jahrbücher für Nationalökonomie u n d Statistik 173 (1961), S. 1 ff. Gallwas, Die E r f ü l l u n g v o n Verwaltungsaufgaben durch Private, W D S t R L 29, 212 ff. Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reiches v o m 11. August 1919, München u. a. 1932. Gehrig, Parlament—Regierung—Opposition, München 1969. Geiger, Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes, in: Demokratie u n d Verwaltung, Festschrift 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, B e r l i n 1972, S. 221 ff. Göldner, Integration u n d Pluralismus i m demokratischen Rechtsstaat, T ü b i n gen 1977. Gouldner , The N o r m of Reciprocity: A Preliminary Statement, American Sociological Review 25 (1960). de Grazia, Political Behavior, New Y o r k 1952. Greifeid, Die Allgemeinheit der W a h l u n d das Beamtenmonopol i n den Volksvertretungen, Z B R 4 (1982). — Der Rechnungshof als Wirtschaftlichkeitsprüfer, München 1981. — Information u n d Indiskretion zwischen Presse u n d Behörden, Die V e r w a l t u n g 4, 1981. Grewe, Z u m Begriff der politischen Partei, in: Festgabe für E. Kaufmann, 1950. Grube / Richter, Demokratietheorien, Hamburg 1975. Gusy, Das Mehrheitsprinzip i m demokratischen Staat, AöR 1981, 3 (106).
Literaturverzeichnis
121
Häberle, Unmittelbare staatliche Parteifinanzierung unter dem Grundgesetz, JuS 1967, S. 64 ff. Habermas,
Strukturwandel der Öffentlichkeit, 2. Aufl., Neuwied 1965.
Hage / Aiken,
Social Change i n Complex Organizations, New Y o r k 1970.
Hartmann, V., Repräsentation i n der politischen Theorie u n d Staatslehre i n Deutschland, B e r l i n 1979. Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, B e r l i n 1915. — Kommentar zum Wahlgesetz u n d zur Wahlordnung des deutschen Kaiserreichs, B e r l i n 1920. — Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, Band 1, B e r l i n 1922. Heller, Souveränität, E i n Beitrag zur Theorie des Staats- u n d Völkerrechts (1927), in: Gesammelte Schriften, Leiden 1971. — Demokratie u n d soziale Homogenität, in: Probleme der Demokratie, Politische Wissenschaft, Heft 5, 1928. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl., Göttingen 1972. Hennis, Parlamentarische Opposition u n d Industriegesellschaft, in: Gesellschaft, Staat, Erziehung 1 (1956). — Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, Tübingen 1957. Herder-Domeich, Neue Politische Ökonomie u n d Ordnungstheorie, in: D u wendag, Siebert (Hrsg.), P o l i t i k u n d M a r k t , Stuttgart 1980. Hernekamp,
Formen u n d Verfahren direkter Demokratie, 1979.
Herzog, A r t . 5, 21 GG, in: Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, Kommentar zum Grundgesetz, München 1981. — Parlamentarisches System, i n : Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1482 ff., 1966. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien i m modernen Staat, W D S t R L 17 (1959), S. 27 ff. — Gemeinwohl u n d Gewaltenteilung, Grundrechtsverwirklichung durch O r ganisation u n d Verfahren, EuGRZ 1978, S. 427. — Grundzüge des Verfassungsrechts Aufl., Karlsruhe 1980.
der Bundesrepublik Deutschland, 12.
Huber, E. R., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Stuttgart 1957, Band 4. Imboden, Die politischen Systeme, Basel u. a. 1962. Isensee, Menschenrechte—Staatsordnung—Sittliche Autonomie, Gestalt der menschenrechtlichen Freiheit i m Verfassungsstaat, i n : Schwartländer (Hrsg.), Modernes Freiheitsethos u n d christlicher Glaube, München u . a . 1981, S. 70 ff. Jarass, Die Freiheit des Rundfunks v o m Staat, B e r l i n 1981. Jellinek,
Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Neudruck Darmstadt 1959.
Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, A n t i n o m i e u n d Synthese, in: Festschrift Giacometti, 1953, S. 107 ff. Kaiser, Die D i a l e k t i k der Repräsentation, in: Festschrift für Carl Schmitt, B e r l i n 1959, S. 71 ff.
Literaturverzeichnis Katz / Kahn, The Social Psychology of Organizations, New Y o r k 1966. Kaufmann,
E., Z u r Problematik des Volkswillens, B e r l i n 1931.
Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus, 1926, 2. Aufl. 1968. Knight, The Planful Act, The Possibilities and Limitations of Collective Rationality, in: ders., Freedom and Reform, New Y o r k 1947. Knöpf le, Der Zugang zu den politischen Parteien, Der Staat 1970, S. 321. Koellreutter, Das parlamentarische System i n den deutschen Landesverfassungen, Tübingen 1921. Kopp, Reform der Verfassungsbestimmungen über die unmittelbare Teilnahme des Volkes an der politischen Willensbildung, in: Reformen des Rechts. Festschrift 200 Jahre Rechtswissenschaftliche Fakultät der U n i v e r sität Graz, Graz 1979. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, V V D S t R L 29 (1971), S. 46 ff. Krüger,
Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., 1966.
Krüger / Neumayer / Schneider, Rechtsgutachten über die Frage „Wie ist verfassungsrechtlich die Lage zu beurteilen, die durch das U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts v o m 30. 5.1956 u n d durch das Volksbegehren i m Gebietsteil Baden . . . entstanden ist?" Külitz,
Die Spendenfinanzierung der politischen Parteien, DÖV 1982, S. 305 ff.
Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band I, 5. Auflage, Tübingen 1911. Lawrence / Lorsch, Organization and Environment, Boston 1967. Leclercq, Le principe de la majorité, Paris 1971. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation u n d der Gestaltwandel der Demokratie i m 20. Jahrhundert, 3. erw. Auflage, B e r l i n 1966; 1. Auflage 1929. — Parteienstaat u n d repräsentative Demokratie, DVB1.66 (1951), S. 1. Leisner, Die Unvereinbarkeit von öffentlichem A m t u n d Parlamentsmandat, Stuttgart 1968. Lendi, Konsens — Fähigkeit zum Dissens, in: Recht als Prozeß u n d Gefüge, Festschrift für H. Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981. Lerche, Das Rundfunkmonopol — öffentlich-rechtlich gesehen, in: Mestmäkk e r (Hrsg.), K o m m u n i k a t i o n ohne Monopole, Baden-Baden 1980. Linck, Die Öffentlichkeit der Parlamentsausschüsse aus verfassungsrechtlicher u n d rechtspolitischer Sicht, DÖV 1973, S. 513 ff. Lindblom,
The Intelligence of Democracy, New Y o r k u. a. 1965.
— The P o l i c y - M a k i n g Process, 2. Aufl., Englewood Cliffs 1980. Lippmann, Loewenstein,
The Phantom Public, New Y o r k 1925. Verfassungslehre, 2. Auflage, Tübingen 1969.
— Kooptation u n d Zuwahl, F r a n k f u r t / M . 1973. de Lolme, Constitution de l'Angleterre, Genf 1778. Luce / Raiffa, Games and Decisions, New Y o r k 1957.
123
Literaturverzeichnis Luhmann,
F u n k t i o n u n d Folgen formaler Organisation, B e r l i n 1964.
— Grundrechte als Institution, B e r l i n 1965. — Legitimation durch Verfahren, Neuwied 1969. — Komplexität u n d Demokratie, in: ders., Politische Planung, 2. Auflage, Opladen 1975. — Vertrauen, 2. Auflage, Stuttgart 1973. — Macht, Stuttgart 1975. — K o n f l i k t u n d Recht, in: Ausdifferenzierung des Rechts, Beiträge Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, F r a n k f u r t / M . 1981. υ. Mangoldt 1953.
/ Klein,
Mannheim,
M a n and Society i n an Age of Reconstruction, London 1940.
zur
Das Bonner Grundgesetz, B e r l i n u . a . 1966; 1. Auflage
Marcic, Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, in: Festschrift für A . A r n d t , 1969, S.267. Martens,
Wandlungen i m Recht der Gefahrenabwehr, DÖV 1982, S. 91.
Maunz, in: Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, Grundgesetz-Kommentar, chen, A r t . 42 GG.
Mün-
Meessen, Erlaß eines Verbändegesetzes als rechtspolitische Aufgabe, T ü b i n gen 1976. Meier / Riklin, S. 507 ff.
V o n der Konkordanz zur Koalition, in: ZSR n.F. 93, 1974,
Meyer, Wahlsystem u n d Verfassungsordnung, F r a n k f u r t / M . 1973. Michels, Z u r Soziologie des Parteienwesens i n der modernen Demokratie, Leipzig 1925. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht u n d P o l i t i k I, 1860. Mohr, Determinanten der Innovation, Hamburg 1976. Mommsen, Römisches Staatsrecht I I I , 1887. Morstein Marx, S. 430 ff.
Rechtswirklichkeit u n d freies Mandat, AöR N.F. 11, 1926,
Müller / Saladin, Das Problem der Konsultativabstimmung, in: Berner Festgabe zum schweizerischen Juristentag 1979, Bern u. a. 1979, S. 405 ff. υ. Münch, A r t . 38 GG, in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, München 1976. Musgrave,
Theory of Public Finance, New Y o r k u. a. 1959.
Naschold, Kassenärzte u n d Krankenversicherungsreform, der Statuspolitik, Freiburg 1967. Nawiasky,
Z u einer Theorie
Die Grundgedanken des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1950.
Neidhart / Hoby, Ursachen der gegenwärtigen Stimmabstinenz i n der Schweiz, Forschungsbericht 1977. Oberholtzer,
The Referendum i n America, 2. Auflage, New Y o r k 1900.
Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem des Grundgesetzes, V V D S t R L 33, 7 ff.
Literaturverzeichnis — Z u m heutigen Sinn der parlamentarischen Repräsentation, DÖV 1975, S.763. Ossenbühl, Die E r f ü l l u n g v o n Verwaltungsaufgaben durch Private, W D S t R L 29, 138 ff. Parsons, The Social System, Glencoe III. 1951. — Some Reflections on the Place of Force i n the Social Process, i n : Eckstein (Hrsg.), I n t e r n a l War: Problems and Approaches, New Y o r k u. a. 1964, S. 33 ff. Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteienwesens. Probleme eines Parteiengesetzes. Bericht der v o m Bundesminister des I n n e r n eingesetzten Parteienrechtskommission 1957. Peine, Volksbeschlossene Gesetze u n d ihre Änderung durch den parlamentarischen Gesetzgeber, Der Staat 18 (1979), S. 375 ff. Pestalozza, Der Popularvorbehalt, Direkte Demokratie i n Deutschland, Berl i n 1981. Pitkin,
The Concept of Representation, Berkeley u. a. 1972.
Pommerehne
/ Frey (Hrsg.), ökonomische Theorie der Politik, B e r l i n 1979.
Preuß, Die Verfassung des Freistaats Preußen v. 30.11.1920, JöR Bd. 10 (1921), S. 265 ff. Projet de Constitution, Commission d'experts pour la préparation d'une révision totale de la Constitution fédérale, Bern 1974. Radbruch, Goldbilanz der Reichsverfassung, in: Die Gesellschaft, 1924, S. 57 ff. — Die politischen Parteien i m System des deutschen Verfassungsrechts, HdbDStR Bd. 1, 1930. Rae, Decision-Rules and I n d i v i d u a l Values i n Constitutional Choice, A m e r i can Political Science Review 63, 1969, S. 40 ff. Rapoport , Fights, Games and Debates, A n n A r b o r 1960. Rauball, A r t . 48 GG, in: v. Münch (Hrsg.), a.a.O. Rausch (Hrsg.), Z u r Theorie u n d Geschichte der Repräsentation u n d Repräsentatiwerfassung, Darmstadt 1968. Rauschning, Z u r Methode der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die staatliche Parteifinanzierung, JZ 1967, S. 346. Reuss, Z u r Geschichte der Repräsentatiwerfassung i n Deutschland, A ö R N.F. 27, 1936, S. 1 ff. Ridder, Meinungsfreiheit, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte (Band 2), B e r l i n 1968. Riklin, Stimmbeteiligung i n der direkten Demokratie, i n : Recht als Prozeß u n d Gefüge, Festschrift für H. Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981. Rinck, Parteienstaat u n d Selbstverwaltung, JZ 1961, S. 73 ff. Rödding / Nachtkamp, Mechanismen der sozialen Wahl, in: Duwendag / Siebert (Hrsg.), P o l i t i k u n d Macht, Stuttgart u. a. 1980. Röhrich, Die repräsentative Demokratie, Opladen 1981. — Der Parteienstaat der Bundesrepublik Deutschland, N J W 1981, S. 2674.
Literaturverzeichnis
125
Roellecke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Festschrift zum Bestehen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2 1976. Rösner, B i l d u n g u n d P o l i t i k , 1980. Ryffel, Der demokratische Gedanke i m politischen u n d i m sozialen Bereich, in: Demokratie u n d Verwaltung, Festschrift 25 Jahre Hochschule für V e r waltungswissenschaften Speyer, B e r l i n 1972, S. 191 ff. Sartori,
Demokratie als Elitenherrschaft, in: Grube / Richter, a.a.O., S. 67.
Schäfer, Der Bundestag, 2. Aufl., Opladen 1975. Scharpf, Demokratietheorien zwischen Utopie u n d Anpassung, Konstanz 1970. Schattschneider,
The Semisovereign People, Hindsdale/Illinois 1960.
Scheuner, Über die verschiedenen Gestaltungen des parlamentarischen Regierungssystems, AÖR N.F. 13 (1927). — Grundfragen des modernen Staates, in: Recht—Staat—Wirtschaft Bd. I I I . , 1951. — Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, in: Festschrift H. Huber, 1961, S.237. — Der E n t w u r f des Parteiengesetzes, DÖV 1967, S. 343. — Parteiengesetz u n d Verfassungsrecht, DÖV 1968, S. 88 ff. — Das Grundgesetz i n der E n t w i c k l u n g zweier Jahrzehnte, AöR 95 (1970), S. 353 ff. — Z u r E n t w i c k l u n g des parlamentarischen Verfahrens i m Deutschen B u n destag, in: Festschrift für Eschenburg, 1971, S. 143 ff. — Das Mehrheitsprinzip i n der Demokratie, Opladen 1973. — Die Lage des parlamentarischen Regierungssystems i n der Bundesrepub l i k , DÖV 1974, S. 433 ff. — Konsens u n d Pluralismus als verfassungsrechtliches Problem, in: Rechtsgeltung u n d Konsens, Schriften zur Rechtstheorie, Heft 49, B e r l i n 1976. — Der Beitrag der deutschen Romantik zur politischen Theorie, RheinischWestfälische Akademie der Wissenschaften, Heft 248, 1980. Schiffers, 1971.
Elemente direkter Demokratie i m Weimarer
/ Klein, Schmidt-Bleibtreu Darmstadt 1980.
Regierungssystem,
Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl., Neuwied,
Schmitt, C., Volksentscheid u n d Volksbegehren, B e r l i n 1927. — Verfassungslehre, B e r l i n 1928. Schmitt, E., Repräsentation u n d Revolution, München 1969. Schnapp, A r t . 20 GG, in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, F r a n k f u r t / M . 1974. — Überlegungen zu einer Theorie des Organisationsrechts, AöR 105 (1980), S. 243 ff. Schneider, H.-P., Die parlamentarische Opposition i m Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, F r a n k f u r t / M . 1974. — Entscheidungsdefizite der Parlamente, AöR 105 (1980), S. 4 ff.
126
Literaturverzeichnis
Schneider, H., Die Bedeutung der Geschäftsordnung oberster Staatsorgane, in: Rechtsprobleme i n Staat u n d Kirche, Festschrift R. Smend, 1952, S. 303 ff. — Volksabstimmungen i n der rechtsstaatlichen Demokratie, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, Forschungen u n d Berichte aus dem öffentlichen Recht; Bachof, Drath, Gönnenwein, Walz (Hrsg.); München 1955, S. 155 ff. Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 2 Bände, K ö l n u. a. 1976. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus u n d Demokratie, Ubersetzung M ü n chen 1950 (Original New Y o r k 1942). Seifert, Die politischen Parteien i m Recht der Bundesrepublik Deutschland, K ö l n u. a. 1975. Shapiro, Can Public Investment Have a Positive Return, Journal of Political Economy 81, Nr. 2, 1973, S. 401 ff. Siéyès, Politische Schriften, Band 1, 1796. v.Simson, S. 3 ff.
Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, V V D S t R L 29 (1971),
Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, Leipzig 1928. Steffani, Z u r K r i t i k £ m Parteienstaat u n d zur Rolle der Opposition, i n : Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschehen, Bd. 45 (1965), S. 17 ff. — Parlamentarische Demokratie — Z u r Problematik v o n Effizienz, Transparenz u n d Partizipation, i n : Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 1973, S. 17 ff. — Edmund Burke: Z u r Vereinbarkeit v o n freiem Mandat u n d Fraktionsdisziplin, Zeitschrift für Parlamentsfragen (12), 1/1981. Steiger, Organisatorische systems, B e r l i n 1973.
Grundlagen des parlamentarischen
Regierungs-
Stein, Staatsrecht, 7. Aufl., Tübingen 1980. Steinberg, Standortplanung umweltbelastender Großvorhaben durch Volksbegehren u n d Volksentscheid?, ZRP 1982, S. 113 ff. Steiner, Verfassungsgebung u n d verfassungsgebende Gewalt des Volkes, Berl i n 1966. Sternberger,
Nicht alle Staatsgewalt geht v o m Volke aus, Stuttgart u. a. 1971.
Sullivan / Ο'Conner, Electoral Choice and Popular Control of Public Policy, American Political Science Review 66 (1972), S. 1256 ff. Thoma, Z u r Ideologie des Parlamentarismus (1925), Wiederabdruck bei K l u x e n (Hrsg.), Parlamentarismus, 1967, S. 54 ff. — Das Reich als Demokratie, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Tübingen 1930, S. 186 ff. — Ungleichheit u n d Gleichheit i m Bonner Grundgesetz, DVB1.1951, S. 457. Thomas, Governmental Overload i n the United States, A d m i n i s t r a t i o n and Society, Vol. 11 Nr. 4, Februar 1980, S. 371 ff. Triepel, Die Staatsverfassung u n d die politischen Parteien, 2. Aufl., B e r l i n 1930.
Literaturverzeichnis Unkelbach,
127
Grundlagen der Wahlsystematik, Göttingen 1956.
— / Wildenmann,
Grundfragen des Wählens, F r a n k f u r t / M . 1961.
v. Unruh, Die Verfassung als Gewähr für Recht u n d Freiheit, DVB1. 1982, S. 517 ff. Versteyl,
A r t . 42 GG, i n : v. Münch (Hrsg.), a.a.O.
Weber, M., Wirtschaft u n d Gesellschaft, 4. Aufl., Tübingen 1956. Weber, W., Spannungen u n d K r ä f t e i m westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart 1961. Weinberger, Abstimmungslogik u n d Demokratie, in: Reformen des Rechts, Festschrift zur £00 Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität G r a G r a z 1979. Wernicke, A r t . 20 GG, in: Bonner Kommentar, Hamburg 1968. Wildavsky,
How To L i m i t Government Spending, London 1980.
Wittmayer,
Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922.
Wolff, Organschaft u n d juristische Person, Band 2, Theorie der Vertretung, Neudruck der Ausgabe B e r l i n 1934, A a l e n 1968. Zacher, Freiheitliche Demokratie, München 1969. Zippelius,
Allgemeine Staatslehre, München 1973.
Zwirner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteifinanzierung, AÖR 93 (1968), S. 81 ff.