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German Pages 33 [18] Year 2022
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Freiheit Demokratie Grundgesetz Demokratischer Kampf heute und die Aufgaben der Kommunistinnen und Kommunisten
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DOKUMENTATION
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Freiheit - Demokratie - Grundgesetz
Seite
Inhalt Freiheit, Demokratie, demokratischer Kampf heute Aufgaben der DKP Von Arnold Schölzel
Demokratischer Kampf heute
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Freiheit, Demokratie, demokratischer Kampf heute Aufgaben der DKP
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Von Arnold Schölzel Kommunisten und das Grundgesetz Von Patrik Köbele
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Umkämpftes Recht Von Hans Heinz Holz
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Die Autoren Dr. Arnold Schölzel Philosoph, Berlin, Mitglied des Parteivorstands der DKP
Patrik Köbele Industriekaufmann, als IT-Berater tätig, Essen Vorsitzender der DKP Dr. Hans Heinz Holz (1927 -2011) Philosoph und Professor in Marburg und Groningen
Impressum Herausgeber: Unsere Zeit - Zeitung der DKP CommPress Verlag GmbH Hoffnungstraße 18 45127 Essen V.i.S.d.P: Klaus Leger Layout: Tom Brenner Titelbild: Rudi Denner / R-mediabase
Tel.:0201-177 889-23 Fax: 0201-177 889-28 E-Mail: [email protected] www.unsere-zeit.de www.dkp.de März 2022
Freiheit und Demokratie sind zum einen zentrale Begriffe im weltweiten Kampf des Imperialismus zur demagogi¬ schen Rechtfertigung seiner Ordnung und seiner globalen Kriege. Im Kampf gegen die Sowjetunion und die sozialis¬ tischen Länder war er damit erfolgreich und versucht ge¬ genwärtig, diesen Erfolg zu wiederholen im Kampf gegen sogenannte autoritäre Staaten. Die Behauptung, allein in den parlamentarischen Republiken des Westens herrsche überhaupt Demokratie, ist zu einem festen Bestandteil der Alltagsideologie auch vieler Unterdrückter und Ausgebeu¬ teter geworden. Zugleich wird in den gegenwärtigen Krisen und angesichts der vom Imperialismus geschürten Kriegsgefahr vielen Menschen immer wieder be¬ wusst, dass sie weder auf lokaler Ebene noch bei allgemeinen oder weltweiten Problemen etwas am Gang der Dinge ändern können. Die Kluft zwischen dem Anspruch der westlichen Länder, Synonym für Demokratie zu sein, und der Re¬ alität, der Einschränkung von Freiheit und Demokratie, ist im Kapitalismus der Gegenwart größer geworden. Wir sollten uns überlegen, ob es nicht an der Zeit ist, wieder mit Lenins ..Entwicklung der Demokratie bis zu Ende“ an die Öffent¬ lichkeit zu gehen, das heißt über sozialistische Demokratie als wirkliche Alterna¬ tive zu sprechen. Dazu einige Überlegungen. Angelegt ist die Kluft im bürgerlichen Begriff von Demokratie, das heißt im im Parlamentarismus: Der Proklamation nach gewährt er allen gleiche Mitbestim¬ mungsrechte, in Wirklichkeit ist er in den Händen von Wirtschafts- und Parteien¬ kartellen. Die bürgerliche Demokratie gilt nie für alle - von Sklaven und Frauen in der sogenannten ältesten Demokratie der Neuzeit, den USA, angefangen bis zu Ar¬ beiterklasse-Migranten heute. Die herrschende Klasse behält sich zudem stets vor, die parlamentarische Republik zu beseitigen, wenn die Interessen der Mehrheit sich auch in parlamentarischen Mehrheiten niederschlagen. Wir erleben in den USA, in der Bundesrepublik und anderswo gegenwärtig Versuche der herrschenden Klasse, sich für den Kampf gegen den Parlamentarismus eine Massenbasis zu schaffen.
Zum anderen sind Freiheit und Demokratie programmatische Orientierungen aller fortschrittlichen Kräfte, insbesondere von Kommunisten und Sozialisten.
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Freiheit - Demokratie Grundgesetz
Beide Begriffe sind an konkrete Gesellschaftsformationen gebunden, das heißt, sie werden von den herrschenden Eigentumsverhältnissen bestimmt. Eine sozia¬ listische Gesellschaft verkörpert einen höheren Typ von Freiheit und Demokratie als die bürgerliche Gesellschaft. Erst im Sozialismus-Kommunismus ist wirkli¬ che Selbstbestimmung der Menschen möglich.
Unter Marxisten gibt es aber seit jeher Kontroversen darüber, in welchem Verhältnis die Demokratie in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschafts¬ formation, das heißt als Erscheinungsform der Diktatur des Proletariats, zur De¬ mokratie in der bürgerlichen Gesellschaftsformation steht, das heißt als Erschei¬ nungsform der Diktatur der Bourgeoisie. Marx vertrat zum Beispiel im „18. Brumaire“ die Ansicht, dass die vom re¬ volutionären Bürgertum formulierten Menschenrechte über dessen Gesellschaft hinausweisen und „sozialistisch“ werden müssen: „Die Bourgeoisie hatte die richtige Einsicht, dass alle Waffen, die sie gegen den Feudalismus geschmiedet, ihre Spitze gegen sie selbst kehrten, dass alle Bildungsmittel, die sie erzeugt, gegen ihre eigene Zivilisation, dass alle Götter, die sie geschaffen, von ihr abge¬ fallen waren. Sie begriff, dass alle sogenannten bürgerlichen Freiheiten und Fort¬ schrittsorgane ihrer Klassenherrschaft zugleich an der gesellschaftlichen Grund¬ lage und an der politischen Spitze angriffen und bedrohten, also .sozialistisch1 geworden waren.“ (MEW 8, S. 153) Das schließt ein, dass alle fortschrittlichen Rechte von der Arbeiterbewegung gegen Beschränkung oder Beseitigung vertei¬ digt werden müssen. Von der Position einer gefestigten sozialistischen Gesellschaft aus vertrat der DDR-Rechtstheoretiker Gerhard Haney 1971 die Auffassung, zwischen beiden Gesellschaften auf deutschem Boden gebe es einen „unübersteigbaren Graben“, einen absoluten Gegensatz. Ein Vergleichen sei nur anhand der objektiven gesell¬ schaftlichen Gesetzmäßigkeiten möglich, wobei die Entgegensetzung und „höhe¬ re geschichtliche Wertigkeit des Sozialismus“ sofort hervortrete. Außerhalb die¬ ses Bezugspunktes seien „beide Ordnungen unvergleichbar“, insbesondere wenn einzelne Seiten aus dem jeweiligen System herausgelöst würden und z.B. Recht, Demokratie oder Wahlsystem isoliert betrachtet würden. Das laufe darauf hinaus, diese Begriffe aus sich selbst heraus zu erklären, also angeblich „systemfrei und entideologisiert“, das heißt letztlich idealistisch, nicht historisch-materialistisch. (Haney: Die Demokratie - Wahrheit, Illusionen und Verfälschungen, Seite 47/48)
Eine andere Position, die nach meiner Meinung der von Marx, Engels und Le¬ nin vertretenen Auffassung näher kommt, vertrat der DDR-Rechtswissenschaftler Uwe-Jens Heuer und vertritt heute noch Ekkehard Lieberam: Nach ihnen schließt Demokratie im Sozialismus „spezifische Fragestellungen“ ein, die mit dem „Wi¬
Marxistischer Freiheitsbegriff
derspruchsverhältnis von Massen und eigenem Staat“ im Sozialismus Zusam¬ menhängen. „Diese Eigenständigkeit wurde vernachlässigt.“ (Lieberam: Wendi¬ ge Vergesslichkeit, Seite 28) Beide betonen immer wieder: Die Demokratiefrage ist nicht mit der Machtfrage identisch, auch wenn beide in einem vielschichtigen Verhältnis zueinanderstehen. Die Vernachlässigung der Demokratiefrage in die¬ sem Sinn allerdings sei ein strategischer Fehler gewesen.
Lieberam: „Machtsicherung mit diktatorisch-administrativen Mitteln war eine notwendige Aufgabe des sozialistischen Staates besonders in den Anfangsjah¬ ren.“ Unter Dubcek 1968 und Gorbatschow nach 1986 wurde es politisch tödlich, „ohne ein Konzept sowohl zur Sicherung der politischen Macht als auch zur Vitalisierung der wirtschaftlichen Entwicklung eine allgemeine Demokratisierung zu verkünden. Weder Walter Ulbricht in den Jahren1963 ff. noch Deng Xiaoping 1978 ff. haben diesen Fehler gemacht.“
Vor diesem Hintergrund möchte ich einige Bemerkungen zum marxistischen Freiheits- und Demokratiebegriff machen und am Schluss einige Aufgaben für die DKP nennen.
Marxistischer Freiheitsbegriff Den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus betrachteten die Denker des vorrevolutionären Bürgertums als Herstellung eines Reiches der Vernunft. Vor ihr sollten sich alle Autoritäten rechtfertigen - staatliche, religiöse, geis¬ tige. Hegel hat als Anhänger der Großen Französischen Revolution von 1789 das in die Worte gefasst, Geschichte sei „Fortschritt im Bewusstsein der Frei¬ heit“ - nicht als Fortschritt realer Freiheit, „sondern dass es im Laufe der Ge¬ schichte fortschreitend zu Bewusstsein komme, dass alles Recht aus der Freiheit hervorgeht“. Und umgekehrt: Freiheit kann nach dem Grundgedanken seiner „Rechtsphilosophie“ nur dort herrschen, wo es Recht gibt, und zwar gesetztes, schriftliches Recht. Denn wo kein Recht ist, so sein Argument, herrscht Willkür. Freiheit schließt für ihn Leibeigenschaft und Sklaverei aus. Freiheit gab es aus seiner Sicht weder in der Antike noch in seiner Gegenwart unter bürgerlichen Demokratien wie in England, den Vereinigten Staaten oder Frankreich nach der Revolution von 1789.
Marx und Engels knüpfen daran unmittelbar an: Nach Engels hat Hegel als erster das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit, von Freiheit und dem Zwang, eine Not zu wenden, „richtig dargestellt“. (MEW 20, 106) Freiheit sei begriffene Notwendigkeit und insbesondere Freiheit des Willens bestehe in der „Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können“. Das ist, bezogen auf den einzelnen, der Kem des marxistischen Freiheitsbegriffs.
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Freiheit - Demokratie - Grundgesetz
Wirkliche Freiheit, so Marx im „Kapital“ analog mit Bezug auf die jeweilige Gesellschaftsformation, besteht darin, „dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden.“ (MEW 25, 828) Das „wahre Reich der Freiheit“ liegt dann allerdings , jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produkti¬ on, blüht auf dieser als dem „Reich der Notwendigkeit“ auf. „Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.“ (ebenda 829).
Das schließt ein, die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Angehörigen einer Gesellschaft in die Lage versetzt werden, Sachkennt¬ nis zu erwerben und auf dieser Grundlage mitzuentscheiden. Freiheit ist die auf Einsicht in die objektiven Gesetzmäßigkeiten von Natur und Gesellschaft ge¬ gründete gemeinschaftliche Herrschaft von Menschen über Natur und Gesell¬ schaft. Geistige Freiheit ist die Fähigkeit, diese Gesetzmäßigkeiten so genau wie möglich widerzuspiegeln. Verzichtet eine marxistisch-leninistische Partei darauf, diese Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, fuhrt das zu subjektivistischen Entschei¬ dungen. Die bürgerliche Gesellschaft ist stets auf Illusionen über Gesellschaft und damit über Freiheit und Demokratie angewiesen, auf die „heroischen“ ihrer revolutionären Phase, auf irrationale nach der bürgerlichen Revolution.
Bürgerlicher Freiheitsbegriff Der einflussreichste Antipode des marxistischen Freiheitsbegriffs war John Stu¬ art Mill (On liberty, 1859), den Marx und Engels selbstverständlich kannten. Alle Freiheitsbegriffe des Liberalismus leiten sich mehr oder weniger von Mill her, etwa die von Karl Raimund Popper ersonnene „offene Gesellschaft“, die von Hannah Arendt gegen den Sozialismus gerichtete Erfindung der „totalen Herrschaft“ oder die Auflösung aller sozialen Gegensätze, insbesondere des Klassenkampfes, in „Kommunikationsverhältnissen“ durch Jürgen Habermas. Das dürfte die albernste Apologie der bürgerlichen Demokratie sein, die gegenwärtig auf dem Markt ist.
Nach Mill ist Freiheit kein philosophischer Begriff, sondern eine teils ange¬ borene, teils erworbene menschliche Verhaltenseigenschaft. Damit die eigenen Antriebe ausgebildet werden können, ist „gesellschaftliche Freiheit" erforder¬ lich, das heißt die Freiheitsfrage reduziert sich auf die „Grenzen der Gewalt, die füglich die Gesellschaft über den einzelnen ausüben sollte“. Darin ist unschwer ein Reflex der Reduktion von Freiheit auf Gewerbefreiheit zu erkennen. Mill unterscheidet zwischen einer kontinentalen, demokratischen Freiheitsidee, auf Grund deren für bestimmte Maßnahmen die Zustimmung der Gesamtheit oder einer Mehrheit notwendig ist, und der liberalen Idee einer Beschränkung der po¬ litischen Macht, gegen die bei Übertretung Widerstand gerechtfertigt ist. Diese
Bürgerlicher Freiheitsbegriff
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Konstruktion, die Freiheit auf die Sphäre der Politik als Gegensatz zu individuel¬ len Rechten reduziert, ist bis heute erfolgreich man sehe sich die Freiheitsvor¬ stellungen von CDU/CSU, FDP, Teilen der Grünen oder die zentralen Probleme solcher Bewegungen wie der „Querdenker“ an.
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Einschränkungen der Grundrechte in imperialistischen Staaten müssen alle Alarmglocken läuten lassen, zumal in Zeiten offener Kriegsvorbereitung. Das ent¬ lässt uns aber nicht aus der Pflicht zur politischen Analyse. Jetzt mit Bezug auf die staatlichen Pandemie-Verordnungen von einer Zerstörung der letzten demokrati¬ schen Regelungen des Grundgesetzes zu reden, ist aus meiner Sicht politisch falsch. In Wirklichkeit haben wir es tagtäglich mit einem äußerst sanften behördlichen Um¬ gang mit Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen zu tun, verfolgt wird niemand. Bei den jetzigen Corona-Protesten müssen wir beachten, es gibt auch re¬ aktionäre Massenrevolten, und diesesind in großen Teilen auch. Das haben wir nach meiner Meinung zu benennen.
Und nebenbei: Der bürgerliche Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim hat 1993 die Verfassung der Bundesrepublik als „Demokratie ohne Volk“, das war sein Buchtitel, bezeichnet. Marxisten sollten darüber hinausgehen. Und: Wer sich einige Artikel zu Grund- und Bürgerrechten im Grundgesetz ansieht, wird feststeilen, dass etwa ab Artikel 7 die klaren Bestimmungen des jeweils ersten Sat¬ zes durch zahlreiche hinzugefügte Absätze oft faktisch aufgehoben werden. Das Grundgesetz ist schon längst so löchrig wie ein Schweizer Käse. Die liberale Freiheitsdefinition, die letztlich identisch ist mit der des Anarchis¬ mus im Sinne von Herrschaftslosigkeit, hatte stets Ausbeutung und Unterdrü¬ ckung zur stillschweigenden Voraussetzung. Sie schlägt seit mehr als 150 Jahren im Imperialismus sehr rasch um in Sozialdarwinismus - Freiheit ist das Recht des Stärkeren - und vor allem: Sie schloss seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert Sklaverei und koloniale Ausrottung mit ein. Die extremsten Varianten wurden in den Vereinigten Staaten seit deren Unabhängigkeit entwickelt. Die Ideologie der „White Supremacy“ war Vorbild für den deutschen Faschismus: Freiheit ist demnach allein der siegreiche Wille zur Macht, der auf Sklaverei und Menschenvemichtung beruht. Das war Nietzsches Botschaft, es ist der Grundstein imperi¬ alistischer Ideologie bis hin zum Faschismus. Erste Voraussetzung bürgerlichen Freiheitsversprechens ist nicht nur das Verschweigen sozialer Ungleichheit, son¬ dern von Anfang an der Einsatz brutalster Gewaltmittel nach innen gegen die Arbeiterklasse und nach außen gegen die kolonialisierten Völker. Ungleichheit muss erhalten bleiben, das ist die wirkliche Devise dieses Freiheitsbegriffs. Aus meiner Sicht besteht unsere Pflicht als Kommunisten darin, die ökonomischen Interessen, die diese Ideologie hervorbringen, zu analysieren und zu bekämpfen.
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Freiheit - Demokratie - Grundgesetz
Freiheit im Kapitalismus und Imperialismus Ich möchte nur zwei Aspekte nennen, die sich aus der Existenz des doppelt freien Lohnarbeiters ergeben: a) Im Sinne des marxistischen Freiheitsbegriffs sind soziale Ungleichheit und Unterdrückung sowie die daraus folgenden Bildungsschranken, Bildungsprivile¬ gien und die Abwesenheit von Mitbestimmung das Gegenteil von Freiheit. Jahr¬ hunderte lang hat der Kapitalismus der Arbeiterklasse Bildung vorenthalten. Es sei nur daran erinnert: Die Geschichte der Kindheit im Europa der Neuzeit ist eine Geschichte des millionenfachen Schuftens von kleinauf für die Industrie. Kinder und Frauen waren in der Industriegeschichte die weißen Sklaven Europas. UNICEF schätzt, dass heute weltweit etwa 160 Millionen Kinder regelmäßiger ausbeuterischer Arbeit nachgehen. In der BRD war die Bildungsfrage stets eine Klassenfrage. Weil die DDR die Bildungsprivilegien abgeschafft hatte, gab man sich bis 1990 reformfreudig im Bildungswesen. Seitdem geht es auch dort um Privatisierung und damit Bildung als Privileg. Also erreichen seit Jahren 15 bis 25 Prozent aller Schüler laut den nationalen Bildungsberichten nicht die Grund¬ kompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen. Deutschland ist laut den OECDPisa-Berichten das Land unter den Industriestaaten, in denen die soziale Herkunft am stärksten über die Bildung entscheidet. Das alles bedeutet Unfreiheit. b) Hinzu kommt: Im Imperialismus erreicht die Manipulation von Meinungen und Überzeugungen im Vergleich zum Kapitalismus der freien Konkurrenz eine neue Dimension. Seit etwa 1890 bilden sich mit jeder neuen Stufe der Technologie Presseund Medienmonopole, die heute eine globale Stufe der Beherrschung von Denken und Emotionen erreicht haben. Sie setzen systematisch an die Stelle von Wissen, Bildung und Kultur Nebensächliches, politisch Spaltendes und falsche Informatio¬ nen. Imperialismus heißt im Zeitalter von GAFA, also Google, amazon, Facebook und Alphabet, faktische Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Verhinderung, sich eine begründete Meinung überhaupt bilden zu können. Hilferding definierte Im¬ perialismus richtig mit: Das Monopol strebt nicht nach Freiheit, sondern Herrschaft.
Die Vergesellschaftung der Medienkonzeme ist ein erstes Erfordernis des Kampfes um Meinungsfreiheit. Zum Wesen des Imperialismus gehören soziale und politische Demagogie zur Spaltung und Lähmung der Arbeiterklasse. Dabei werden immer wieder progres¬ sive Begriffe aufgegriffen und mit einem reaktionären Inhalt versehen. Das gilt insbesondere für Krisen- und Kriegszeiten. Beispiele sind die „Vaterlandsvertei¬ digung“, mit der die SPD 1914 den Ersten Weltkrieg rechtfertigte, aber auch die Behauptung der deutschen Faschisten 1933, sie seien die Träger einer „nationalen Revolution“. Die Nazifuhrung unterband den Begriff „Revolution“ sehr rasch.
Was ist Demokratie?
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Die Totalitarismusdoktrin behauptete einen angeblichen Gegensatz von Unfrei¬ heit im Sozialismus, der mit dem Faschismus gleichgesetzt wird, und Freiheit im Kapitalismus. Als die sozialistischen Länder 1975 die Schlussakte von Helsinki unterschrieben, war das einerseits Resultat ihrer Aufbauleistungen und das Errei¬ chen des strategischen Gleichgewichts von Sowjetunion und USA. Andererseits öffnete sich damit dem Imperialismus die Möglichkeit, mit Hilfe sogenannter Dissidenten oder angeblich unabhängiger Oppositionsbewegungen systematisch
die Konterrevolution unter Berufung auf die individuellen Menschenrechte vo¬ ranzutreiben. Die Erfindung „humanitärer Missionen“ im Jugoslawienkrieg war ein weiterer Musterfall solcher Demagogie. Die heutige Kriegsvorbereitung stellt wie im Kalten Krieg die Welt als auf¬ geteilt zwischen friedlichen Demokratien und aggressiven Autokratien dar, ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Was ist Demokratie? Demokratie ist eine Herrschaftsform und zugleich Triebkraft einer politischen Herrschaft von unten, der Volkssouveränität. Die bürgerliche Demokratie ist wie das Recht ein Kampfplatz der Klassen, sozialistische Demokratie die Herr¬ schaft des Volkes unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei.
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Für Marx war die parlamentarische Demokratie diejenige Form der Bourgeois¬ herrschaft, worunter die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie „gemeinsam herrschen konnten“. (MEW 8, Seiten 131 und 172) Sie ist als Herrschaftsform nach ihm geeignet, „ihre Herrschaft als den Willen des Volkes erscheinen zu las¬ sen“. (MEW 8, 137) Sie hat die reale politische Wirkung, den „Gegensatz“ von „Kapital und Lohnarbeit“ nicht etwa „aufzuheben“, aber doch „abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln“. (MEW 8, 141) Die Bourgeoisie zwängt ihre Herrschaft mit der verfassungsrechtlich „proklamierten Demokratie“ in „demo¬ kratische Bedingungen, die jeden Augenblick den feindlichen Klassen zum Siege verhelfen, und die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stel¬ len“. Geschieht dies tatsächlich, so gilt: Die Bourgeoisieherrschaft als „Ausfluss und Resultat des allgemeinen Volkswillens“ ist vorbei. Nunmehr wird die „Dikta¬ tur" der Bourgeoisie „befestigt, ... wider den Volkswillen“. (MEW 7, 43 und 93) Anders gesagt: Marx und Engels sahen die bürgerliche Demokratie bei allen Beschränkungen als eine Errungenschaft, allerdings als stets gefährdet durch die Bourgeoisie. Lenin formuliert in „Staat und Revolution“ unter Bezug auf Engels: In der demokratischen Republik „übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sichrer aus“, und zwar erstens durch die „direkte Beamtenkoiruption“ (Ameri¬ ka) und zweitens durch die „Allianz von Regierung und Börse“ (Frankreich und
Freiheit - Demokratie - Grundgesetz
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Amerika). Lenin fährt dann fort: „Heute haben Imperialismus und Herrschaft der Banken diese beiden Methoden, die Allmacht des Reichtums in jeder beliebigen demokratischen Republik zu behaupten und auszuüben, zu einer außergewöhnli¬ chen Kunst ,entwickele.“ Und weiter: „Die Allmacht des ,Reichtums1 ist in der demokratischen Republik deshalb sicherer, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus, von einer schlechten politischen Hülle des Kapi¬ talismus abhängig ist.“ Kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien könne diese Macht erschüttern. (LW 25, S. 404/405)
Kommunisten und bürgerliche Demokratie Die Auffassungen des Marxismus Uber das Verhältnis der Arbeiterklasse zur bür¬ gerlichen Demokratie erhielten im Imperialismus, durch den Kampf gegen den Weltkrieg und gegen den Faschismus neue Akzente. Lenin wandte sich - ähnlich wie Rosa Luxemburg insbesondere gegen die These Eduard Bernsteins, es gebe einen ständigen Prozess der Demokratisierung im Kapitalismus, der schließlich in den Sozialismus führe. Bernsteins Idee wird heute vor allem von der Partei „Die Linke“ weitergetragen, die von einer Demokratisierung des Kapitalismus träumt. Wer Regierungsbeteiligung mit Veränderung der Machtverhältnisse ver¬ wechselt, landet allerdings zwangsläufig im klassischen Revisionismus.
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Lenin wies der Demokratie bzw. einer Demokratisierungsstrategie, die sich auch auf die Wirtschaft erstreckt, einen entscheidenden Platz im Kampf um eine andere Gesellschaft zu: „Entwicklung der Demokratie bis zu Ende, Auffinden der Formen einer solchen Befreiung, ihre Erprobung in der Praxis ... Einfluss auch auf die Ökonomik“. (LW 25, 466) Und er ließ dabei keinen Zweifel an der Not¬ wendigkeit eines politischen Bruchs mit dem Kapitalismus.
Kommunisten und bürgerliche Demokratie
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Dennoch betrachteten die kommunistischen Parteien die national befreiten Län¬ der als Partner im Kampf gegen den Imperialismus. Wir wissen heute, welcher An¬ strengungen es bedurfte, bis die letzten großen Kolonien verschwanden, bis z. B. die Apartheidgesetze in Südafrika aufgehoben wurden. Das war eine weltgeschichtliche Errungenschaft des Lagers der Demokratie, die letztlich durch den Sieg kubanischer und angolanischer Truppen über die Armee des Apartheidregimes zustande kam.
Kommunisten und bürgerliche Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg Für Kommunisten war die bürgerliche Demokratie nach dem Sieg über den Fa¬ schismus in fast allen kapitalistischen Industriestaaten ein Kampfplatz, um die Macht der Arbeiterbewegung zu erhalten und auszubauen. Das ist in den wenigs¬ ten entwickelten kapitalistischen Ländern gelungen, vielmehr wurden fast überall die kommunistischen und linkssozialistischen Parteien marginalisiert. Die bür¬ gerliche Demokratie wurde zur relativ konstanten „konservativen Lebensform“ (Marx) kapitalistischer Gesellschaften. Die antifaschistischen Errungenschaften der ersten Nachkriegszeit wurden schrittweise beseitigt. Auf der 3. Tagung des Parteivorstandes hat Patrik Köbele mehrere Phasen in diesem Prozess für die Bundesrepublik genannt. Ich fasse kurz zusammen:
Zunächst ging es von 1945 bis 1949/50 für das deutsche Monopolkapital in den Westzonen darum, gegen das verbreitete antimonopolistische Bewusstsein in der Bevölkerung die Restauration der Eigentums- und Machtverhältnisse durchzusetzen. Ein Beleg dafür ist das gerade 75 Jahre alt gewordene Ahlener Programm der CDU. Im beginnenden Kalten Krieg richteten sich die Attacken weniger gegen Sozialismus als gegen die Sowjetunion, die als „totalitär“, das heißt als Variante des Faschismus, bezeichnet wurde.
Die Konterrevolution 1918/19 in Deutschland und der Sieg des Faschismus in Italien 1922 bilden den Hintergrund für Gramscis Begriffe von Herrschaft als „mit Zwang gepanzerte Hegemonie“ und vom Staat, der ein „vorgeschobener Schützengraben, hinter dem eine robuste Kette von Befestigungswerken und Ka¬ sematten lag“, sei. In diesem Staat, wie er in Westeuropa existiere, werde ein „Stellungskrieg“ der Klassen um Einfluss und Macht geführt werden. (Gramsci: Zur Politik, Geschichte und Kultur, Leipzig 1980, Seite 273)
In der zweiten Phase, nach er erfolgten Wiedererrichtung der deutschen Mo¬ nopolherrschaft und der Integration in den Westen, richteten sich die Angriffe gegen FDJ und KPD, sollte die DDR isoliert und das innere konterrevolutionäre Potential vom Westen aus zu gewaltsamen Aufständen wie am 17. Juni 1953 in der DDR oder 1956 in Polen und Ungarn aktiviert werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg brach das Kolonialsystem zusammen - eine Femwirkung von Oktoberrevolution und des Sieges über den Faschismus. Es entstanden zahlreiche national befreite Länder, die allerdings ökonomisch zum größten Teil in neokolonialer Abhängigkeit von den Kolonialmächten blieben. Eine parlamentarische Demokratie bildete sich in den wenigsten Ländern heraus, faktisch regiert zumeist eine vom Westen abhängige Kompradorenbourgeoisie.
Die dritte Phase setzte in den 1960er Jahren ein, als sich nach der Grenz¬ schließung vom 13. August 1961 die Verhältnisse in der DDR rasch stabilisierten und vor allem international die antikolonialen Bewegungen an Stärke gewannen. Gegenüber den sozialistischen Ländern ging man von der militärischen zur po¬ litisch-ideologischen Umarmungsstrategie über, im Innern wurden kosmetische Reformen vorgenommen. Stichwort: „Mehr Demokratie wagen“ von 1969.
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Der Pinochet-Putsch 1973 in Chile markierte den Beginn der vierten Phase, die oft „neoliberal“ genannt wird, in der Bundesrepublik mit der Kanzlerschaft Kohls 1982 sich voll durchsetzte und schließlich in den Konterrevolutionen in den sozialistischen Ländern Europas mündete. Damit entfiel ein wichtiger poli¬ tischer und sozialer Faktor, der auf die Politik gegenüber der Arbeiterklasse Ein¬ fluss gehabt hatte. Nun konnten die Samthandschuhe ausgezogen werden. Eine Zeitlang konnte die Linkspartei Protest und Widerstand kanalisieren, diese Funk¬ tion erfüllt sie nicht mehr. Die vielfältigen Widersprüche und offenen Krisen der Gesellschaft fuhren nun „zu Protesten und Aufbegehren, die aber heute oftmals in irrationale oder gar nationalistische oder rassistische Richtungen gehen“.
Das ist ein Resultat der Monopolherrschaft der vergangenen 40 Jahre, in der sich der deutsche Imperialismus zur Führungsmacht in der EU entwickelt hat und fester Bestandteil des Versuchs ist, die imperialistische Vorherrschaft in der Welt in Konkurrenz und Kooperation mit den USA, Frankreich und Großbritannien zu erhalten. Es handelt sich nicht um einen Übergang zum Faschismus - der bleibt aber immer eine Option der herrschenden Klasse -, sondern um das, was wir „Re¬ aktionärer Staatsumbau“ genannt haben. Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung haben nicht nur die Katastrophe im Gesundheitswesen offenbart, die vor 20 Jahren mit den Privatisierungen durch SPD und Grüne begann. Die Proteste da¬ gegen sind eine ausgezeichnete Gelegenheit für den staatlichen Überwachungsund Repressionsapparat, den Notstand zu proben und exakt zu erfassen, welche Teile der Bevölkerung sich in einer solchen Krisenlage staatstreu verhalten und welche sich als Fußtruppe für reaktionäre Umwandlungen im Staat eignen.
Aufgaben der DKP Schwerpunkte unserer Arbeit leiten sich aus dem zuletzt Gesagten her. a) Nicht ein Virus, sondern ein unter dem Diktat des Finanzkapitals ruiniertes Gesundheitswesen ist der Grund für Chaos, Widersprüche und Versagen. Der Zu¬ stand des deutschen Gesundheitswesens ist ein Fallbeispiel dafür, dass dort, wo das Profitprinzip auch das Parlament und die Regierung lenken, die Demokratie auf der Strecke bleibt. Der Umbau des Gesundheitswesens fand ohne jede Beteiligung von Beschäftigten, Wissenschaftlern oder der Bevölkerung statt. Das Resultat spricht für sich gerade im Vergleich zu Staaten wie Kuba, Vietnam oder China, die im ProKopf-Bruttoinlandsprodukt weit hinter der Bundesrepublik zurückliegen. b) Bereits kurz nach Beginn der Pandemie wurde das Demonstrationsrecht un¬ verhältnismäßig eingeschränkt, wurde versucht, die Kundgebungen zum 1. Mai 2020 zu verhindern. Jetzt schafft der Verfassungsschutz ein neues „Delikt“, die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Darunter fallt ver¬ mutlich auch die marxistische Staatstheorie. Das reiht sich ein in den Versuch,
Aufgaben der DKP
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die DKP auf kaltem Wege zu verbieten, aber auch in dem 280-Seiten-Schriftsatz, den das Bundesinnenministerium im Klageverfahren der , jungen Welt“ gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht eingereicht hat. Die Primitivität der Argumentation ist seit dem Kölner Kommunistenprozess vor 170 Jahren gleich¬ geblieben, die Entschlossenheit der Reaktion auch. Auch diese Machenschaften müssen immer wieder an die Öffentlichkeit.
c) Wie gehen wir mit den Protesten und Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen um? Sie widerspiegeln, in welch geringem Maß in der Be¬ völkerung und auch in der Arbeiterklasse Wissen über die realen Macht- und Klassenverhältnisse vorhanden ist. Nicht die wirklichen Urheber und Profiteure der Situation werden kritisiert, sondern die angeblich komplette Beseitigung von Grundrechten. Das ist eine Verzerrung der Realität und zeigt nur, in welchem Maß die flachsten bürgerlichen Vorstellungen von Demokratie und Freiheit im Massenbewusstsein verankert sind. Aufklärerische, nicht demagogische Agitation oder Propaganda hat es schwer angesichts einer hohen Emotionalisierung, die vor allem mit Hilfe der „Sozialen Medien“ gefördert wird. Ich sehe nicht, wie man mit Leuten, die gegen ein an¬ gebliches Demonstrations- und Versammlungsverbot ohne Furcht vor staatlicher Gewalt in beachtlicher Zahl demonstrieren, reden soll. Für eine Verbesserung der Lage der Beschäftigten in den Krankenhäusern scheinen sie nicht einzutreten. Für Nazis, die solche Demonstrationen zum großen Teil orchestrieren, lohnen sich Argumente noch weniger. Hier geht es vor allem um Gegenaktionen, um Solidarität mit dem Pflegepersonal, um die offensive Verbreitung der These „Ge¬ sundheit ist keine Ware“ und darum aufzuzeigen, dass das Profitprinzip antide¬ mokratisch ist und mit antidemokratischen Mitteln im Gesundheitswesen in den vergangenen 20 Jahren durchgesetzt wurde. Ob die Demonstrationen noch lange andauern, steht sehr in Frage. Was aber bleiben wird, ist das ruinierte Gesundheitswesen. Das ist unser Thema.
d) Richtig war es, zum 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ an die Berufs¬ verbotspolitik der Bundesrepublik zu erinnern. Die Politik der Berufsverbote hat mit Rechtsstaat und Demokratie nichts zu tun, sie zerstört beides. Bei diesem Thema melden sich auch liberale Juristen und Journalisten zu Wort wie Heribert Prantl, der von einem „Hexenjagdjubiläum“ schrieb, oder Hermann Abmayr mit seiner ARD-Dokumentation. Wir sollten dafür sorgen, dass dieses Thema konti¬ nuierlich in der Öffentlichkeit behandelt wird.
e) Vergessen wir nicht, dass es in Berlin am 26. September 2021 mehr als eine Million Stimmen für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“
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gegeben hat. Die Stimmung in anderen Großstädten soll nach Umfragen ähnlich sein. Der neue Berliner Senat versucht alles, um das Votum ins Leere laufen zu lassen. Hier ist ein Musterfall dafür, wie ernst die Herrschenden ihre Demokratie nehmen. Gegen den reaktionären Staatsumbau benötigen wir eine langfristige Strate¬ gie. Selbst die stark geschwächte parlamentarische Demokratie wird offenbar mit den Interessen des Finanzkapitals unvereinbar. Die Entwicklung in den USA, in denen sich Trump oder eine ähnliche Figur auf die nächste Präsidentschaft vorbereiten, ist eine Warnung für die übrige Welt. Wie stets im Imperialismus gehen Kriegsvorbereitung und Demokratieabbau Hand in Hand. Und damit sind wir wieder bei Max Reimann: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen wer¬ den, die es angenommen haben.“ (Referat auf der 9. Tagung des DKP-Vorstands am 5./6. 2. 2022 in Essen)
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Kommunisten und das Grundgesetz Verfasst anlässlich des 70. Jahrestags der Verabschiedung des Grundgesetzes
Von Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP Eine erste schwere Entscheidung stand vor der kommu¬ nistischen Partei, der KPD. Sollte man sich an der Arbeit des Parlamentarischen Rates beteiligen, der im Auftrag der drei westlichen Besatzungsmächte (Frankreich, Großbri¬ tannien, USA) das Grundgesetz erarbeiten sollte? Es war relativ klar, dass dieser Prozess zu einem weiteren Mei¬ lenstein der Spaltung Deutschlands würde, die von den Kommunisten und der Sowjetunion als vierter Besatzungs¬ macht bekämpft wurde.
Dieser Prozess hatte bereits andere Meilensteine, vor allem die Einführung der D-Mark in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, aber natürlich auch eine Politik, die in den Westzonen mit aller Kraft an der Restaurierung und Verfestigung der kapitalistischen Macht- und Besitzverhältnisse arbeitete. Und das mit gewissen Abstufungen von allen Parteien mit Ausnahme der KPD. Dass die bürgerlichen Parteien den Kapitalismus erhalten, restaurieren wollten, scheint heute wenig ver¬ wunderlich. Damals war das aber sowohl für die SPD als auch für Teile der CDU Bestandteil der Abkehr von den antifaschistischen Konsequenzen, die sie noch 1946 gezogen hatten, als sich manche SPD-Äußerung (schein-)radikaler las als die Erklärung der KPD vom 11. Juni 1945 und selbst die CDU in ihrem Ahlener Programm von der Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus sprach. Nur drei Jahre später wurde also der Parlamentarische Rat gebildet, um ein Grundgesetz auszuarbeiten. Er war kein demokratisch gewähltes Gremium, sondern wurde aus Delegationen der Länderparlamente gebildet. Die geringe Größe (65 Mitglieder) führte dazu, dass durch das Prinzip des Parteienproporzes kleinere Parteien benachteiligt waren. Die KPD-Delegation hatte zwei Mitglieder (3,0 Prozent der Mitglieder des Rates), dies war deutlich weniger als ihr damaliger, auch wahlpolitischer Einfluss. Und an so etwas sollte man sich beteiligen? Die Genossinnen und Genossen entschieden richtig, sie beteiligten sich, hinterließen Spuren und unterschrieben
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das Grundgesetz nicht. Max Reimann (KPD) bei der Schlussunterzeichnung des Grundgesetz: „Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ Angesichts der Geschichte des Grundgesetzes - seiner Änderungen, seines Missbrauchs, den ich später noch beleuchten werde - ein Satz von dramatischem, vorausschauendem
Realismus. Zuvor lohnt es sich aber durchaus, einen Blick auf die konkrete Arbeit der KPD im Parlamentarischen Rat zu werfen. In der Schlussphase brachte die KPD einen eigenen Verfassungsentwurf in die Beratungen des Gremiums ein. Es handelte sich dabei keineswegs um eine sozialistische Verfassung - die KPD hielt fest an den Überlegungen des Juni-Aufrufs von 1945, dass es um einen antifaschistisch-demokratischen Aufbau gehe. Dieser Verfassungsentwurf erkennt Privateigentum, auch an Produktionsmitteln, durchaus an, allerdings stellt er die Quelle aller Werte, die Arbeitskraft und die Arbeitenden, unter besonderen Schutz, dies wird bereits im Artikel 1 des KPD-Entwurfs festgehalten. .. Die KPD beteiligte sich aber keineswegs nur in sozialen und wirtschaftlichen Fragen intensiv an den Debatten. So forderte Heinz Renner (KPD), dass die grundsätzliche Formulierung „Der Krieg ist geächtet“ Verfassungstext werden sollte. Darauf entspann sich folgender Dialog zwischen Renner und Carlo Schmid (SPD). Renner: „Sie wollen doch nicht behaupten, dass mit dieser Fassung (Anm. des Autors: „Verbot der Vorbereitung von Kriegen“) die Bildung eines Heeres für Westdeutschland abgelehnt ist?“ Schmid: „Die Fassung geht noch weiter. Sogar sogenannte Wehrsportvereine sind damit abgelehnt.“ Die FDP setzte dann die Ersetzung des Worts „Krieg“ durch ,Angriffskrieg“ durch. Eine kleine, aber entscheidende Änderung, die der SPD durchaus klar war, denn zuvor hatte Schmid noch formuliert: „Wer in dieser Welt hat denn je behauptet, er treibe Kriegsrüstung, um einen Angriffskrieg zu machen? Es hat noch niemand etwas anderes gesagt, als dass seine Kriegsrüstungen dazu dienten, einen Verteidigungskrieg vorzubereiten.“ Sechs Jahre später stimmte die SPD der Remilitarisierung der Bundesrepublik zu.
Ein weiteres Beispiel aus der Arbeit der kommunistischen Zwei-MannFraktion berührt gleich zwei verfassungsrechtliche Grundfragen, das Recht auf Asyl und das Recht auf Arbeit Die KPD forderte, den Artikel „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ zu ergänzen um die-Formulierung „einschließlich des Rechtes auf Arbeit“. Dies ist nicht nur angesichts des heute meist geltenden Arbeitsverbotes, das auch Rassismus befördert, spannend, sondern auch wegen der Antwort, wiederum von Carlo Schmid (SPD), der argumentierte, dass ja
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Artikel 2 des Grundgesetzes1 jedem ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiere, dazu gehöre eben auch das Recht auf Arbeit. Ob sich in der Partei von Hartz-IV und Jugoslawienkrieg im siebzigsten Jahr des Grundgesetzes jemand an diese Interpretation von Carlo Schmid erinnert? Wohl eher nicht. Zusammenfassend begründete Max Reimann 1974, zum 25. Jahrestag des Grundgesetzes, die frühere Entscheidung der Kommunisten noch einmal. 1974 war er, nach langen Jahren der Illegalität, Mitglied des Präsidiums der 1968 neukonstituierten DKP. Er sagte: „Wir wussten natürlich, dass ein Grundgesetz entstehen sollte, das Deutschland spalten würde, und zwar durch die Bildung eines Staates, in dem für die arbeitenden Menschen ein System der Unterdrückung durch die Monopole herrschen sollte. Gerade im Kampf gegen dieses System war es nicht gleichgültig, wie viel an demokratischen Menschen, für die Jugend, für Rechten für die Arbeiterklasse, für die werktätigen 2 die Frauen durchgesetzt werden konnte.“
Der Weg des GG nach 1949 beziehungsweise weg vom GG von 1949 Als erstes lässt sich mit großer Sicherheit sagen, dass vermutlich die Mehrheit der Mitglieder des Parlamentarischen Rates nicht davon ausging, dass das Grundgesetz 70 Jahre alt werden würde, sondern eher eine Art Provisorium, bis „eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“.3 Als zweites lässt sich feststellen, dass das Volk der Bundesrepublik weder 1949 noch 1989 noch nach der Annexion der DDR über das Grundgesetz abstimmen durfte. Vor diesem Hintergrund ist es besonders zynisch, wenn bundesdeutsche Staatsvertreter quasi als „Gralshüter der Demokratie“ mit dem Finger auf Kuba, Venezuela oder andere Staaten zeigen, in denen dem Staatsvolk nicht misstraut, sondern zugetraut wird, in einem wirklich demokratischen Prozess auch über die Verfassung zu diskutieren und abzustimmen. Und drittens ist es nicht übertrieben, wenn man im Rückblick auf die 70 Jahre des Grundgesetzes sagt, dass seine Geschichte eine Geschichte der Änderungen, der Sinnverdrehungen, der Uminterpretationen, eine Geschichte der Aushöhlung von Grundrechten und Grundannahmen ist. 1 „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rech, te anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittenge¬ setz verstößt." 2 Herbert Mies, Hermann Gautier, Wir Kommunisten und das Grundgesetz, Frankfurt a.M. 1977, S. 110 3 Art 146 GG in der heutigen Fassung
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das Grundgesetz nicht. Max Reimann (KPD) bei der Schlussunterzeichnung des Grundgesetz: „Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ Angesichts der Geschichte des Grundgesetzes - seiner Änderungen, seines Missbrauchs, den ich später noch beleuchten werde - ein Satz von dramatischem, vorausschauendem
Realismus. Zuvor lohnt es sich aber durchaus, einen Blick auf die konkrete Arbeit der KPD im Parlamentarischen Rat zu werfen. In der Schlussphase brachte die KPD einen eigenen Verfassungsentwurf in die Beratungen des Gremiums ein. Es handelte sich dabei keineswegs um eine sozialistische Verfassung - die KPD hielt fest an den Überlegungen des Juni-Aufrufs von 1945, dass es um einen antifaschistisch-demokratischen Aufbau gehe. Dieser Verfassungsentwurf erkennt Privateigentum, auch an Produktionsmitteln, durchaus an, allerdings stellt er die Quelle aller Werte, die Arbeitskraft und die Arbeitenden, unter besonderen Schutz, dies wird bereits im Artikel 1 des KPD-Entwurfs festgehalten. .. Die KPD beteiligte sich aber keineswegs nur in sozialen und wirtschaftlichen Fragen intensiv an den Debatten. So forderte Heinz Renner (KPD), dass die grundsätzliche Formulierung „Der Krieg ist geächtet“ Verfassungstext werden sollte. Darauf entspann sich folgender Dialog zwischen Renner und Carlo Schmid (SPD). Renner: „Sie wollen doch nicht behaupten, dass mit dieser Fassung (Anm. des Autors: „Verbot der Vorbereitung von Kriegen“) die Bildung eines Heeres für Westdeutschland abgelehnt ist?“ Schmid: „Die Fassung geht noch weiter. Sogar sogenannte Wehrsportvereine sind damit abgelehnt.“ Die FDP setzte dann die Ersetzung des Worts „Krieg“ durch „Angriffskrieg“ durch. Eine kleine, aber entscheidende Änderung, die der SPD durchaus klar war, denn zuvor hatte Schmid noch formuliert: „Wer in dieser Welt hat denn je behauptet, er treibe Kriegsrüstung, um einen Angriffskrieg zu machen? Es hat noch niemand etwas anderes gesagt, als dass seine Kriegsrüstungen dazu dienten, einen Verteidigungskrieg vorzubereiten.“ Sechs Jahre später stimmte die SPD der Remilitarisierung der Bundesrepublik zu.
Ein weiteres Beispiel aus der Arbeit der kommunistischen Zwei-MannFraktion berührt gleich zwei verfassungsrechtliche Grundfragen, das Recht auf Asyl und das Recht auf Arbeit Die KPD forderte, den Artikel „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ zu ergänzen um diePormulierung „einschließlich des Rechtes auf Arbeit“. Dies ist nicht nur angesichts des heute meist geltenden Arbeitsverbotes, das auch Rassismus befördert, spannend, sondern auch wegen der Antwort, wiederum von Carlo Schmid (SPD), der argumentierte, dass ja
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Artikel 2 des Grundgesetzes1 jedem ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiere, dazu gehöre eben auch das Recht auf Arbeit. Ob sich in der Partei von Hartz-IV und Jugoslawienkrieg im siebzigsten Jahr des Grundgesetzes jemand an diese Interpretation von Carlo Schmid erinnert? Wohl eher nicht. Zusammenfassend begründete Max Reimann 1974, zum 25. Jahrestag des Grundgesetzes, die frühere Entscheidung der Kommunisten noch einmal. 1974 war er, nach langen Jahren der Illegalität, Mitglied des Präsidiums der 1968 neukonstituierten DKP. Er sagte: „Wir wussten natürlich, dass ein Grundgesetz entstehen sollte, das Deutschland spalten würde, und zwar durch die Bildung eines Staates, in dem für die arbeitenden Menschen ein System der Unterdrückung durch die Monopole herrschen sollte. Gerade im Kampf gegen dieses System war es nicht gleichgültig, wie viel an demokratischen Menschen, für die Jugend, für Rechten für die Arbeiterklasse, für die werktätigen 2 die Frauen durchgesetzt werden konnte.“
Der Weg des GG nach 1949 beziehungsweise weg vom GG von 1949 Als erstes lässt sich mit großer Sicherheit sagen, dass vermutlich die Mehrheit der Mitglieder des Parlamentarischen Rates nicht davon ausging, dass das Grundgesetz 70 Jahre alt werden würde, sondern eher eine Art Provisorium, bis „eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“.3 Als zweites lässt sich feststellen, dass das Volk der Bundesrepublik weder 1949 noch 1989 noch nach der Annexion der DDR über das Grundgesetz abstimmen durfte. Vor diesem Hintergrund ist es besonders zynisch, wenn bundesdeutsche Staatsvertreter quasi als „Gralshüter der Demokratie“ mit dem Finger auf Kuba, Venezuela oder andere Staaten zeigen, in denen dem Staatsvolk nicht misstraut, sondern zugetraut wird, in einem wirklich demokratischen Prozess auch über die Verfassung zu diskutieren und abzustimmen. Und drittens ist es nicht übertrieben, wenn man im Rückblick auf die 70 Jahre des Grundgesetzes sagt, dass seine Geschichte eine Geschichte der Änderungen, der Sinnverdrehungen, der Uminterpretationen, eine Geschichte der Aushöhlung von Grundrechten und Grundannahmen ist. 1 „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rech' te anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittenge¬ setz verstößt.“ 2 Herbert Mies, Hermann Gautier, Wir Kommunisten und das Grundgesetz, Frankfurt a.M. 1977,5.110 3 Art 146 GG in der heutigen Fassung
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Ich nenne im Folgenden einige der wichtigsten Einschnitte: - Am 24. April 1951 verbot die Bundesregierung durch Beschluss die Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung, die Freie Deutsche Jugend (FDJ), die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN) und andere Organisationen als „verfassungswidrig“. - Ab 1951 wurde die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik betrieben, obwohl 1949 im Parlamentarischen Rat alle Kräfte entweder strikt gegen eine Armee waren oder sich zumindest nicht trauten, anderslautende Positionen zu verkünden. Die zeitliche Nähe zum nächsten Verfassungsbruch, dem Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), kommt nicht von un¬ gefähr sie wurde am 17. August 1956 verboten. Als Verbotsgründe mussten unter anderem ihr Kampf gegen die Remilitarisierung und für die Einheit Deutschlands herhalten. Bei der Frage der Weltanschauung griff man zu einem Trick. Nach Artikel 4 Abs. 1 GG sind „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen B ekenntnisses (sind) unverletzlich.“ wie wollte man da der KPD ihre Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus vorwerfen? Nun, ganz einfach, die Weltanschauung des Marxismus-Leninismus ist frei, sie darf aber nicht zum inneren Aufbau einer Partei genutzt werden, da diese, wie das Bundesverfassungsgericht (BVG) entscheidet, sonst „verfassungswidrig“ sind.4 - Ebenfalls 1956 wurde mit den ersten Plänen begonnen, Notstandsgesetze einzuführen, die den Herrschenden das Recht geben, im Kriegs- oder Aufstandsfall Grundrechte außer Kraft zu setzen und das Militär auch nach innen einzusetzen. Die Auseinandersetzungen darum dauerten bis 1968, bis schließlich die CDU mit Hilfe von SPD-Parlamentariern (CDU und SPD waren in einer Großen Koalition) sie durchsetzte. - 1972, vier Jahre nach der Neukonstituierung der DKP, unter der Regierung von Willy Brandt, wurden per Runderlass der Ministerpräsidenten die Berufsverbote geschaffen. Wieder war man trickreich. Einen erneuten Verbotsprozess scheute man, auch international hätte man sich damit in die Reihe mit dem Faschismus in Spanien und Portugal gestellt. Man benutzte deshalb nicht den Terminus des GG, dass die DKP „verfassungswidrig“ und deshalb zu verbieten sei, man nannte die Mitgliedschaft und die Partei
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4 Art 21 GG: (1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben. (2) Parteien, die nach ihren Zielen odernach dem Verhalten ihrer Anhängerdarauf ausgehen,diefreiheitlichedemokratischeGrundordnung zubeeinträchtigenoderzubeseitigen oder den Bestand der-Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. ÜberdieFragederVerfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. (3) Das Nähere regeln Bundesgesetze.
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„verfassungsfeindlich“. Man umging damit die Notwendigkeit einer klaren Definition und schob auch unsere Partei vor einen Knoten, ob dies auf die Gefahr der Feststellung der „Verfassungswidrigkeit“ und damit eines neuen Verbots gerichtlich überprüft werden sollte. Nicht zu vergessen dabei, dass Kommunistinnen und Kommunisten auf weit über hundert Jahre schlechter Erfahrungen mit der Klassenjustiz zurückblicken konnten. Annexion der DDR. Im Gefolge der Krise in der DDR kam es in den Jahren 1989/1990 zu dem, was die bürgerliche Geschichtsschreibung ungenau „Wiedervereinigung“, wir eine Annexion nennen. Über das Verfahren gab es durchaus erheblichen Streit und selbst die meisten der damaligen ,3ürgerrechtler“ waren für ein Verfahren nach Art. 146 GG. Dies hätte aber im Ergebnis der „Wiedervereinigung“ die Neuerarbeitung einer Verfassung oder zumindest eine Volksabstimmung über das Grundgesetz zwingend vorgeschrieben. Das wollte die herrschende Klasse der Bundesrepublik nicht und erzwang einen Beitritt nach Art. 23 GG. Dies war wiederum eine weitere Grundlage für die ökonomische Ausplünderung der DDR, die Siegerjustiz etc. Nebenbei entzog man sich damit auch der Obsoletwerdung des KPD-Verbots Entschädigung tausender Opfer und der und damit der Rehabilitierung und 6 , Rückgabe des beschlagnahmten Eigentums. Jugoslawienkrieg: Ich zitiere hier die Bundeszentrale für politische Bildung, obwohl sie keineswegs für Objektivität steht, trotzdem wird die Tiefe dieses Einschnitts deutlich und eine neue Methode, nämlich die Verfassung durch eine Auslegung des Bundesverfassungsgerichts zu ändern: „Am 30. Juni 1995 beschloss der Deutsche Bundestag, erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen bewaffneten Einsatz zu schicken.“ „386 von 655 Abgeordneten des Deutschen Bundestages stimmten am 30. Juni 1995 für den Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung einer multinationalen Eingreiftruppe in Bosnien und Herzegowina. (...) Es war umstritten, ob Auslandseinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bündnisgebietes mit dem Grundgesetz vereinbar seien und welche Befugnisse dem Parlament bei der Entscheidung über einen Einsatz einzuräumen waren. (...) Die Sozialdemokraten vollzogen im Jahr 1992 eine programmatische Wende (. . .). Das Bundesverfassungsgericht entschied 1994, dass ,Out-of-area‘-Einsätze der Bundeswehr ,zur Wahrung des Friedens' verfassungskonform seien.“ Die Beteiligung des deutschen Imperialismus war wieder möglich und wird seither ausgiebig genutzt
5 Ich beleuchte diese hier nicht 6 Ich laufe heute oft in der Maxstraße in Essen an einem Haus vorbei, das früher der KPD gehörte und beschlagnahmt wurde, der Wert heute: mehrere hunderttausend Euro 7 www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/208787/bundeswehr-in-bosnien-undherzegowina
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- Asylrecht: Wie einfach war die Formulierung im Grundgesetz von 1949: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Heute gibt es diesen Satz immer noch, als Artikel 16 a, Abs 1. Ihm folgen allerdings 4 Absätze, die diesen einfachen Inhalt faktisch abschaffen, weil sie mit der „Drittstaatenregelung“, den sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ das ad absurdum fuhren, was offensichtlich im Parlamentarischen Rat noch recht unstrittig war, wenn man sich die Debatte und dort insbesondere den Beitrag von Heinz Renner (KPD) einschließlich der Zwischenrufe ansieht. Antifaschismus: Seit 1949 gilt Art 139 des GG unverändert, er ist ein Beispiel dafür, wie Artikel des Grundgesetzes in einer Allianz von Parlament, Behörden und Gerichten einfach ignoriert werden. Er lautet: „Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ Damit sind faschistische Organisationen verboten, selbst die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, das neben der Entnazifizierung, der Entmilitarisierung auch die Dezentralisierung von Monopoluntemehmen vorsah, können hierunter gefasst werden. Vergessene Artikel: Die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes, die das Eigentum zum Gebrauch im Interesse des Gemeinwohls verpflichten und die Vergesellschaftung von „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ beinhalten, wurden von Anfang an in die Vergessenheit gedrängt, wenn es nicht gerade um Infrastrukturmaßnahmen, meist im Interesse des Monopolkapitals, ging (Enteignung von Grund und Boden zum Straßenbau).
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Dies ist beileibe nicht alles, was dem Grundgesetz von 1949 angetan wur¬ de. Aber es lässt nachvollziehen, wie unser Genosse Franz-Josef Degenhardt in seinem Lied „Der anachronistische Zug oder Freiheit, die sie meinen“ zu den Zeilen kam: „Darm ein paar Verfassungsrichter, heimlich grinsende Gesichter. Über ihren roten Roben hielten sie verkrampft erhoben Grundgesetze wie zum Hohn, hundertmal geändert schon: Aufrüstung, Gesinnungsstrafen bis zu Notstandsparagraphen. Greisenzittrig riefen sie: Freiheit und Demokratie.
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Vorsitzender der DKP, im Jahre 1974 noch einmal auf den Punkt: „Wie die Verfassung aller bürgerlichen Staaten und wie das Ringen um die Verwirklichung demokratischer Grundsätze, so ist auch das Grundgesetz und die Durchsetzung der in ihm enthaltenen demokratischen Rechte und Freiheiten das Ergebnis und derAusdruck der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse und damit des Klassenkampfes. Was früher galt, gilt auch heute. (...) Verfassungsfragen sind Machtfragen. Die Durchsetzung der demokratischen Grundsätze des Grundgesetzes ist stets eine Kampffrage. (...) Auf der Basis der im Grundgesetz verkündeten demokratischen Prinzipien und Rechte (...) kämpft die DKP ebenso für die sozialen und politischen Interessen des arbeitenden Volkes wie sie darum bemüht ist, über grundlegende demokratische, antimonopolistische Umgestaltungen den Weg zum Sozialismus zu öffnen.“
Dabei bezieht er sich natürlich auch, wie Max Reimann in seiner zitierten Rede zum 25. Geburtstag des Grundgesetzes, auf die vergessenen Artikel des Grundgesetzes, dieArtikel 14 und 15, diedie Verpflichtung enthalten, das Eigentum zum Gemeinwohl zu gebrauchen und die Möglichkeit der „Vergesellschaftung“ von „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ beinhalten. Nein, das GG, so ausgehöhlt es ist, es schreibt den Kapitalismus nicht fest. Auf dem Boden vieler seiner Grundrechte lässt sich kämpfen, auch wenn viele Deformationen, Änderungen, Interpretationen rückgängig zu machen sind. Dass dies möglich und legitim ist, beweist die Praxis des Klassengegners, der ja das Grundgesetz selbst verändert und deformiert hat, während er die, die es verteidigen gerne mal zu Verfassungsfeinden erklärt. Das alles beweist die „prophetischen“ Worte von Max Reimann. Es wäre den Kommunistinnen und Kommunisten aber nicht würdig, sich darauf auszuruhen, es ist Auftrag, gemeinsam mit allen Demokraten um die verbliebenen Grundrechte und deren Befreiung von Deformationen, ja sogar deren Ausweitung im Interesse der großen Mehrheit des Volkes zu kämpfen. Dass dies notwendig ist, beweisen nicht nur die Kriegseinsätze der Bundeswehr, die Schändung des Asylrechts, die Hartz-Gesetze, die Legalität von Naziparteien, die Polizeigesetze, der Demokratieabbau.
Freiheit."
Trotzdem, oder darum erst recht, handeln Kommunisten in Deutschland auch heute noch im Sinne des oben zitierten Satzes .von Max Reimann bei der Verabschiedung des Grundgesetzes. Die Gründe dafür brachte Herbert Mies,
Und es gibt neben der Notwendigkeit auch reale Ansätze. Wenn Schülerinnen und Schüler gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen auf die Straße gehen, dann ist das gut. Wenn allerdings, angesichts der Verbrechen der Automobilkonzeme, der Umweltzerstörung durch die Energiekonzeme dabei nicht die Klassenfrage gestellt wird, droht die Bewegung eingefangen zu werden. Die Klassenfrage lässt sich durchaus mit dem Grundgesetz stellen. „Eigentum
8 Artikel 16 Abs. 2
9 Mies/Gautier, a.a.O.S. 19
Ein vorläufiges Fazit
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verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Das Wohl der Allgemeinheit ist gebrochen durch die betrügerischen Manipulationen der Automobilindustrie, durch die Profitlogik der Energiekonzeme und deren dauerhafte Orientierung auf Atomenergie und die Verbrennung fossiler Brennstoffe - es muss in der Tat über die Eigentumsfrage diskutiert werden.
Wir Kommunisten gestehen auch ein, dass wir die Verfassung ändern, die Grundrechte erweitern wollen. In die Verfassung gehört das Recht auf Arbeit und das Recht auf bezahlbaren Wohnraum, dass Recht auf kostenlose Bildung. Der Artikel über die kommunale Selbstverwaltung ist zu ergänzen um die Finanzierungsverpflichtung durch Bund und Länder natürlich ist die Schuldenbremse zu streichen.
Die Friedensbewegung, viel zu schwach noch, aber sie steht doch in der Tradition der Verabschiedung des Grundgesetzes. Der nach dem verheerenden, von den deutschen Faschisten, dem deutschen Imperialismus verursachten Weltkrieg, vorherrschende Wille, war der Wille nach Frieden und Abrüstung. Spätestens seit 1951 wird er von den Herrschenden, egal welcher bürgerlichen Partei sie angehören, in Permanenz gebrochen. Man kann durchaus sagen, mit der Remilitarisierung, mit den Notstandsgesetzen, mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien, mit der NATO-Osterweiterung, mit den aktuellen Hochrüstungsprogrammen wird in Permanenz Verfassungsbruch begangen. Daran ändert nichts, dass dieser Verfassungsbruch parlamentarisch oder gerichtlich legitimiert wird. Ja, Verfassungsfragen sind Machtfragen, aber es steht damit jedem zu und auf der Agenda, Gegenmacht zu organisieren. Durchaus im Sinne des Grundgesetzes, denn es „haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.
Und als Wichtigstes, Krieg, Militarisierung Hochrüstung sowie die Mitgliedschaft in Aggressionsbündnissen wie der NATO sind zu verbieten - hier lässt sich viel von der neuen Verfassung des sozialistischen Kubas lernen, die, wie gesagt, im Unterschied zum Grundgesetz vom Volk beschlossen wurde.
Die Agendagesetzgebung, dieser dramatische Anschlag auf den sogenannten Sozialstaat (Artikel 20 GG), sind unvereinbar mit „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, sie zerstören „das Recht auf die freie Entfaltung (der) Persönlichkeit“.
Wenn, wie aktuell im Gesundheitswesen, „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ der Patientinnen und Patienten, aber auch der Beschäftigten gefährdet ist, dann muss ebenfalls in die Verfügungsgewalt der Besitzenden eingegriffen werden die Kämpfe um Personalbemessung sind deshalb Kampf um die Verteidigung von Grundrechten.
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Der notwendige Kampf um die Wiederherstellung des zerstörten Asylrechts ergibt sich aus dem, was diesem Recht in der 70-jährigen Geschichte des Grundgesetzes angetan wurde. Es wurde faktisch beseitigt. Und, wer es Emst meint mit „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“, mit ,AHe Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, mit „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Femmeldegeheimnis sind unverletzlich“, der muss gegen Demokratieabbau, gegen Polizeigesetze, für die Auflösung des Verfassungsschutzes kämpfen.
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Wir sehen: Der 70. Geburtstag des Grundgesetzes ist Kampfauftrag, nicht Feiertag.
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Umkämpftes Recht Von Hans Heinz Holz
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth sah im Grundgesetz der BRD vor allem den Ausdruck eines „Klassenwaffenstillstands“ und verteidigte seinen normativen Gehalt gegen verfassungswidrige Interpretationen.
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wenn man dem Faktischen eine normative Kraft zugesteht; und in der Tat ist die Rechtsordnung - wenn auch mit gewissen eigenen Regeln und Konstanten letzten Endes nur ein Spiegel der wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse und damit letztlich der sich durchsetzenden politischen Macht.1 Andererseits ist es der Sinn eines Grundgesetzes, gerade nicht den Schwankungen der Tagespolitik zu folgen, sondern eine langfristig dauernde Idee der Staatsform einer Gesell¬ schaft festzulegen.
Antifaschistischer Auftrag Die Geschichte der Bundesrepublik ist eine Geschichte der Restauration. Sie läßt sich beschreiben als eine Abfolge von Etappen der Zersetzung des Grundgesetzes; eine Serie von Verfassungsänderungen begleitet die deutsche Nach¬ kriegspolitik. Das politische Feld der Bundesrepublik war von 1950 bis 1990 ein Kampffeld, auf dem um die Vertei¬ digung der Demokratie gerungen wurde.
Wer den Widerstand gegen die Aushöhlung der Grundgesetzintentionen schil¬ dert, muss von Wolfgang Abendroth sprechen. Er, der Jurist und Politikwissen¬ schaftler, ragt wie ein Leuchtturm aus dem wogenden Meer des Kampfes um die deutsche Demokratie. Ich sage das so pathetisch, denn so habe ich ihn erlebt, so hat er mich immer mitgerissen: Voll leidenschaftlichem Pathos für eine ge¬ sellschaftliche Ordnung, die den Menschen Frieden, soziale Sicherheit und mehr Gerechtigkeit bringen würde.
Das Grundgesetz hat sich viele Änderungen gefallen lassen müssen. Von der Remilitarisierung der BRD bis zu den Notstandsgesetzen zieht sich eine Ket¬ te von Eingriffen in die Verfassung, die den Intentionen der Staatsgründer von 1949 zuwiderliefen. Und dass diese BRD als ein Provisorium gedacht war und dies auch im Grundgesetz zum Ausdruck kam (worauf Abendroth immer hinge¬ wiesen und Nachdruck gelegt hat), verschwand bald ganz aus dem Bewusstsein der Politiker (und auch der Staatsbürger). So konnte auch in Vergessenheit gera¬ ten, dass nach der Herstellung eines einheitlichen deutschen Staates für diesen eine neue Verfassungsgrundlage hätte geschaffen werden müssen. Die Bundesrepublik Deutschland nach dem „Einigungsvertrag“ ist verfas¬ sungsrechtlich nicht mehr die BRD der Bonner Republik, und die Angliederung der DDR war völkerrechtlich eine Annexion und staatsrechtlich ein nicht demo¬ kratisch legitimierter Akt.
Man mag diese Argumentation für eine formalistische Sophisterei halten,
Die Gründung der Bundesrepublik erfolgte unter dem Eindruck der Erfahrungen des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs als der bisher größten Katastrophe der menschlichen Geschichte. Nach 1945, nach Buchenwald und Auschwitz, nach Hiroschima, nach den Kriegsverwüstungen vom Atlantik bis zum Kaukasus konnten ein Gesellschaftszweck und eine staatliche Hoheitsgewalt nicht mehr so konzipiert werden wie zuvor. Die Vorstellung vom Gemeinwohl (commune bonum), die allen Staatskonzeptionen zugrundeliegt, konkretisierte sich im Begriff der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ als einer antifaschistischen.
Der antifaschistische Charakter des Grundgesetzes ergibt sich nicht nur aus seiner Entstehungsgeschichte, sondern ist auch im Artikel 139 explizit als Folge der Kapitulation Deutschlands und der Übernahme der Hoheitsgewalt durch die Besatzungsmächte benannt: Die Weitergeltung der von den Besatzungsbehörden „zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften“ knüpft die staatliche Existenz der Bundesrepublik an die durch das Potsdamer Abkommen geschaffene staatsrechtliche Ausgangs¬ lage. Die Bestimmung des Artikels 18 über die Verwirkung von Grundrechten nennt dann ausdrücklich die zu schützende verfassungsmäßige Ordnung die „freiheitliche demokratische Grundordnung“.2
Freiheit Was bedeutet das? Wolfgang Abendroth hat sich damit ausführlich auseinander¬ gesetzt. Freiheitlich heißt, dass die Rechts- und Verfassungsordnung nicht einfach das Herrschaftssystem der herrschenden Klasse darstellt und durchsetzt, sondern die Form ist, in der die Klassenkämpfe im Normalfall unter Vermeidung phy¬ sischer Gewalt ausgefochten werden. Als anläßlich seines 70. Geburtstags eine Reihe hochrangiger deutscher Rechtsgelehrter die Aspekte des Grundgesetzes diskutierten, hat Abendroth mit lapidarer Deutlichkeit den Kem des Problems 1 Wilhelm R. Beyer, Der Spiegelcharakter der Rechtsordnung, Meisenheim am Glan 1951 2 Wilhelm R. Beyer, Probleme einer staatsrechtlichen Ordnungslehre, Düsseldorf 1953
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freigelegt: „Wir müssen uns immer darüber klar sein, dass das Gebäude des Ver¬ fassungsrechts sozusagen als Krone dessen anzusehen ist, was darunter an einfa¬ chen Rechtsnormen und rechtlicher Praxis liegt. Wenn man so will, kann das Ver¬ fassungsrecht als ein jeweiliger Klassenwaffenstillstand gelten, aber im Fortgang des Klassenkampfs, nicht als Klassenfrieden. Ein Klassenwaffenstillstand mit dem Zweck, im Klassenkampf, der als Problem in einer Klassengesellschaft ja nie aufgehoben sein kann, die physische Gewaltsamkeit auszuklammem und durch andere Formen der Gewalt, natürlich aber durchaus der Gewalt, zu überspielen“?
Dass dies zwar der Normalfall der Verfassungswirklichkeit ist, aber nicht zur Stillstellung geschichtlich-politischer Aktion führen darf und kann, hat Abendroth sofort hinzugefugt: „Wir müssen dabei jedoch immer wissen, dass es immer wieder Ausnahmesituationen des Klassenkampfs gibt und geben kann, in denen physische Gewaltsamkeit nicht mehr ausgeklammert ist. Hier liegt die politisch-soziologi¬ sche Rechtfertigung von Artikel 20 Absatz 4 GG. Nehmen Sie den Extremfall ei¬ nerseits des imperialistischen Krieges, den zu verhüten unsere Hauptaufgabe ist, weil er nämlich praktisch den Selbstmord der Menschheit bedeuten würde, den Selbstmord der menschlichen Zivilisation; nehmen Sie den anderen Extremfall des Bürgerkriegs“? Die Freiheit der Freiheitlichkeit besteht eben auch gerade darin, dass Vernunft und Menschlichkeit gegen die sich als Legalität gebärdende Herrschaftsausübung zur Geltung gebracht werden können. Darin ist das Wider¬ standsrecht gegen die Staatsgewalt, die Gehorsamsverweigerung gegenüber der Obrigkeit begründet. Heute würde man von „Menschenrechten“ sprechen und dem Recht auf Vemunftgebrauch einen Vorrang vor jeder Gesetzgebung einräumen.
Demokratie Demokratisch heißt, dass die im Grundgesetz offengehaltenen Spielräume für die Gestaltung der gesellschaftlichen Lebensordnung nicht durch einseitige Ent¬ scheidungen verschlossen werden dürfen. Es war Abendroths zentraler Gesichts¬ punkt der Grundgesetzinteipretation, dass die Formulierung „freiheitlich demo¬ kratisch“ nicht im Sinne einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung verstanden werden dürfe, weil dies bei der Verabschiedung des Grundgesetzes gerade nicht festgeschrieben worden sei.
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des Nationalsozialismus möglich gemacht hatte“ und deshalb „eine sozialistische Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse“ erforderlich sei. „Die Verwirklichung des Willens der Majorität der deutschen Bevölkerung“, die sich in den Verfassun¬ gen der neuen Länder in den ersten Nachkriegsjahren niederschlug, wurde „durch die Interventionen der Besatzungsmächte vereitelt“.5 Die restaurativen Kräfte der westdeutschen Bourgeoisie erhielten Rückendeckung, aber hatten im Parlamen¬ tarischen Rat (der verfassunggebenden Versammlung) noch nicht die Oberhand.
„Also konnte die kapitalistische Wirtschaftsweise nicht verfassungsrechtlich garantiert werden und musste die Chance eröffnet werden, die sozialistische Um¬ gestaltung zu vollziehen, ohne dass dadurch eine Grundgesetzänderung notwendig wird. Des Ergebnis wurde durch Artikel 15 erreicht, der durch die Formel des ,de¬ mokratischen und sozialen Bundesstaats1 in Artikel 20 Absatz 1 sowohl überdacht als auch eigänzt wird. (...) Darüber hinaus wird durch Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 der Gesetzgeber beauftragt, ,Inhalt und Schranken1 des Eigentums - also vor allem auch des Eigentums an Wirtschaftsgütem, die soziale Macht vermitteln können - zu be¬ stimmen, um gemäß Artikel 14 Absatz 2 zu erzwingen, dass sein Gebrauch dem Ge¬ meinwohl entspricht. Damit hat das Grundgesetz der Durchsetzung des Anspruchs der Arbeitnehmer auf umfassende Mitbestimmung den Weg offen gehalten“?
Das Grundgesetz läßt die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung zu, die Ab¬ stempelung sozialistischer Ziele als verfassungsfeindlich ist eine illegale Be¬ schneidung des garantierten Möglichkeitsspektrums. Unter Berufung auf Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 15 erklärt Abendroth: „Damit wurde eindeutig der Wille des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht, die liberalen und demokratischen Grundrechte des ersten Teils nicht als Garantien der bestehenden Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung zu missdeuten. Diese Chance zur Demokratisierung der Sozialordnung durch Übergang zum Sozialismus kann nur illegal, nicht aber durch Änderung des Grundgesetzes in legaler Form beseitigt werden, weil der Rechtsgrundsatz des ,demokratischen und sozialen Bundesstaats1 gegen Verfas¬ sungsänderungen geschützt ist.“ (Artikel 79 Absatz 3)7
Sozialer Anspruch
Es war die Erfahrung aus den Jahren 1933 bis 1945, „dass der Widerspruch zwischen politischer Demokratie und spätkapitalistischer Struktur der Wirt¬ schaftsgesellschaft den Zusammenbruch der Weimarer Republik und den Sieg
Niemand wird verkennen, dass die polit-ökonomische Wirklichkeit und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diesen Erwartungen nicht ent¬ sprachen. Es gibt wieder - wie schon in der Weimarer Republik und verschärft durch den Übergang zur staatsmonopolistischen Form des Kapitalismus - die
3 Wolfgang Abendroth u. a. Der Kampf um das Grundgesetz, Frankfurt am Main 1977, S. 188f. 4 Ebd., S. 189
5 Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz, Pfullingen 1966, S. 62 6 Ebd., S. 65 7 Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz, a.a.O., S. 68
Freiheit - Demokratie - Grundgesetz
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Diskrepanz zwischen der Verfassungsidee und der Verfassungswirklichkeit. Peter Römer hat in Fortführung des Gedankens von Abendroth diesen Wider¬ spruch dem normativen Auftrag des Grundgesetzes entgegengesetzt: „Der bun¬ desrepublikanische Staat soll demokratisch und sozial zugleich sein. (...) Eine Demokratie wird nur dadurch zur sozialen Demokratie, dass sie ihre Inhalte, nämlich die der Gleichheit und der Selbstbestimmung aller über ihre eigenen Angelegenheiten, vom politischen auch auf den gesellschaftlichen Bereich über¬ trägt. Es geht also um etwas sehr viel Grundsätzlicheres als nur darum, durch Erweiterung der Mitbestimmung im Betrieb und im Unternehmen eine Demokra¬ tisierung der Wirtschaft zu betreiben. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber soll vielmehr die Möglichkeit haben, durch Gesetz die Wirtschafts- und Sozial¬ ordnung umzugestalten“.8 Das Grundgesetz ist darauf angelegt, die vernünftige Ordnung der Produktionsverhältnisse gemäß dem Gang der Geschichte, das heißt der wissenschaftlich-technischen Entwicklung der Produktivkräfte, herzustellen. Wer sich diesem politischen Prozess dadurch widersetzt, dass er eine bestehende und der Umwandlung ausgesetzte durch konservative Gesetzgebung unangreif¬ bar macht und damit verewigt, handelt nicht nur gegen den Lauf der Geschichte, sondern auch gegen den Sinn des Grundgesetzes. Dagegen hält Abendroth fest: „Verrechtlichung ist Entpolitisierung immer nur von einem Standpunkt aus, näm¬ lich von dem der herrschenden Klasse“, und es ist ein Indiz für die Manipulati¬ on des Selbstverständnisses der unterdrückten Klasse, dass ihr „weitgehend das Bewusstsein für die politischen und sozialen Prämissen dieses Systems entfallen ist und ersetzt ist durch einen quasi theologischen Rechtsglauben abstrakter, dem Scheine nach der Klassenwidersprüche enthobener Art“.9 Der „Kampf ums Recht“ (Jhering) kann sich in der Klassengesellschaft und unter den Bedingungen des Klassenkampfs nicht durch die Ideologie der „Rechtsstaatlichkeit“ begrenzen lassen, sondern muss immer ein Kampf um die politischen Rechte, also um den Anteil an der politischen Macht sein.
Recht und Politik Wolfgang Abendroth war der erste, der in der BRD einen Lehrstuhl für Politik¬ wissenschaft erhielt und ein Institut für diese neue Disziplin auftauen konnte. Er ist in einem gewissen Sinne der Urvater der deutschen Politologie. Es war ein Glücksfall, dass er - im Unterschied zu fast allen späteren Vertretern dieses Fachs Jurist war. Soziologen, Ökonomen, Zeitgeschichtler haben sich in Wis¬ senschaften ausgebildet, deren Grundlage die Beschreibung bestehender Verhält¬ nisse oder geschehender Prozesse ist. Sie haben es in erster Linie mit der theore-
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8 Peter Römer, Im Namen des Grundgesetzes, Hamburg 1989, S. 116 f. 9 Wolfgang Abendroth, Der Kampf um das Grundgesetz, a.a.O., S. 190
Umkämpftes Recht
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Aus dem Grundgesetz der BRD: Idee und Wirklichkeit ... •Artikel 14 (...) 2. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. 3. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. •Artikel15 Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschä¬ digung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirt¬ schaft überführt werden. •Artikel20 1. Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (...) 4. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich "■
ist.
•Artikel 146 Dieses Grundgesetz (...) verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
tischen Verarbeitung von Fakten zu tun. Sie beschäftigen sich mit dem, was ist, und erst in zweiter Linie mit dem, was sein soll. Die Rechtswissenschaft denkt anders. Sie findet wohl ein Gefüge von Be¬ ziehungen und Verhaltensweisen vor; aber sie muss dieses Netz gemäß einer Wunschvorstellung von einer konfliktfreien Ordnung oder von konfliktlösenden Regeln knüpfen. Sie ist normativ. Der Historiker kann feststellen, dass Verträge sogar häufig - gebrochen werden. Der Jurist muss fordern: Verträge sind einzu¬ halten (pacta sunt servanda). Ohne diese Norm gäbe es überhaupt kein Recht.
Die Rechtsordnung erhebt den Anspruch, das zu verbürgen, was allgemein wünschbar ist. Natürlich ist dieses Selbstverständnis ideologisch und verdeckt die Tatsache, dass das allgemein Wünschbare aus der Perspektive der Herrschenden defi¬ niert wird. Das Gemeinwohl ist nicht so einfach zu ermitteln wie die Temperatur des Wassers und „seine inhaltliche Definition je nach der Stellung zu den Grundproble-
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Freiheit - Demokratie - Grundgesetz
Umkämpftes Recht
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men der Gesellschaft verschieden“.10 Aber zum Mindesten muss eine Rechtsordnung auch elementaren Lebensinteressen der Beherrschten gerecht werden, um als Garan¬ tie des Friedens in der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Die an Recht gebundene Friedenspflicht ist der Boden, auf dem das Rechtsverständnis beruht.
trags“, der unter offenkundiger Mißachtung von Artikel 146 zustande gekommen ist und darum keine verfassungsrechtliche Legitimität beanspruchen kann. Diese Lehre sollte aus den Argumenten Abendroths zu ziehen sein. Sie würde der Fak¬ tizität des heutigen Staates eine andere Färbung geben.
Darin berührt sich die Aufgabe des Juristen mit der des Politikers. Auch dieser verwaltet nicht nur das Bestehende, sondern muss ständig Entscheidungen über Wünschbarkeit von Handlungsfolgen und über erstrebenswerte Ziele treffen.
(Aus dem Buch „Dialektik und Debatten“. Herausgegeben vom Verlag 8. Mai, Dezember 2021)
Wie in der Rechtsgelehrsamkeit ist auch in der Politik die Berücksichtigung des Tatsächlichen von normativen Leitprinzipien nicht zu trennen. Der Politik¬ wissenschaftler wird immer auch zu sagen haben, wie die Gesellschaft sein sollte. Und das kann er nicht, indem er nur analysiert, wie sie ist. Er muss die in ihr liegenden Möglichkeiten erkunden und sie, wo er politisch wirkt, offen halten.
Genau das hat Abendroth im Hinblick auf das Grundgesetz getan. Er war nicht bereit, den normativen Gehalt des Grundgesetzes den wirklichen Verhältnissen zu opfern. Für ihn galt es, die Zukunftsperspektive, die sich das Staatsvolk der BRD (und nicht seine späteren ökonomischen Herren) gegeben hatte, als Inhalt der Staatsgewalt festzuhalten, die nach Artikel 20 Absatz 2 vom Volke ausgeht. Seine Einführung in das Grundgesetz begann er: „Das Bonner Grundgesetz wollte zunächst keine endgültige Verfassung eines neuen deutschen Zentralstaats sein, der auf einem Teil des früheren Deutschen Reiches etabliert wurde, sondern das provisorische Verfassungsrecht eines blo¬ ßen Staatsfragments eines (sei es künftigen, sei es des wiederbelebten früheren) gesamtdeutschen Staates für die Periode fixieren, in der der Zusammenschluss der verschiedenen Teile Deutschlands und also die Mitwirkung des gesamten deutschen Volkes an der Entstehung einer endgültigen Verfassung noch nicht möglich war. (Artikel 146) (...) Deshalb kann das Bonner Grundgesetz nur in seinem rechtlichen Inhalt verstanden werden und seine politisch-soziale Funktion für das Regierungssystem der Bundesrepublik und deren Veränderung in der ge¬ schichtlichen Entwicklung seit 1949 nur dann zutreffend bestimmt werden, wenn die politische Willensbildung, die es enthält, historisch analysiert wird. (...) Nur in gleicher Weise können die späteren Änderungenn des Grundgesetzes und die dadurch bewirkten Veränderungen seiner Struktur verstanden werden“.11
Zu keinem Zeitpunkt mag diese rechtsmethodologische und politische Überle¬ gung aktueller gewesen sein, als sie es heute ist, angesichts eines „Einigungsver¬ 10 11
Wolfgang Abendroth, Das Grundgesetz, a.a.O., S. 66 Ebd., S. 11 und13f.
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