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German Pages 306 Year 2021
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 330
Vielfalt und Einheit beherrschenden Einflusses Ein Vergleich der Verbundkonzepte im Konzern-, Bilanzund Wettbewerbsrecht
Von
Jens Schenk
Duncker & Humblot · Berlin
JENS SCHENK
Vielfalt und Einheit beherrschenden Einflusses
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 330
Vielfalt und Einheit beherrschenden Einflusses Ein Vergleich der Verbundkonzepte im Konzern-, Bilanzund Wettbewerbsrecht
Von
Jens Schenk
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bremen hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-18182-7 (Print) ISBN 978-3-428-58182-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2019 von der Prüfungskommission der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bremen als Dissertation angenommen. Das Schrifttum konnte bis Frühjahr 2021 berücksichtigt werden. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Thilo Kuntz, LL.M. (Chicago), für den gewährten Freiraum bei der Themenwahl sowie die anschließende Unterstützung und Betreuung während der Erstellung dieser Arbeit. Darüber hinaus gilt mein Dank seiner engagierten wissenschaftlichen Ausbildung während der gemeinsamen Zeit am Lehrstuhl in Bremen. Herrn Prof. Dr. Sebastian Kolbe gilt mein herzlicher Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Weiter möchte ich mich zutiefst bei meinen Freunden bedanken, die mich während der Arbeit begleitet und dadurch ihre Fertigstellung unterstützt haben. Aus dieser Gruppe besonders zu nennen sind Dr. Mascha Hesse, Lars Howe, Sabrina Howe, Thilo Junghans, Lena Oltmann, Ina Schimmeroth und Dr. Iris Zeppenfeld. Von ganzem Herzen danke ich auch meinem Bruder Dr. Tim Richter-Honsbrok, nicht zuletzt für den Ansporn zur Promotion, sowie meinen Eltern Maria und Manfred Richter für ihre Liebe, ihr Vertrauen und die unermüdliche Unterstützung während meiner gesamten Ausbildung. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Zu guter Letzt danke ich meiner Frau, Dr. Angelika Schenk, für ihren Rat, Zuspruch und ihr unerschütterliches Verständnis, auch während des parallelen Abschlusses der eigenen Dissertation und – ganz besonders – für unser gemeinsames Leben und den Blick auf das, was wirklich zählt. Wohltorf, im Juli 2021
Jens Schenk
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Wildwuchs der Verbundkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Die juristische Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 III. Auswahl der untersuchten Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 IV. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 V. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Erstes Kapitel Vorstellung der Verbundkonzepte
18
A. Abhängigkeit im Aktienkonzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Abhängigkeitstatbestand als Zentralbegriff des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Der Abhängigkeitstatbestand als Quelle anhaltender Rechtsunsicherheit . . . . . . . 20 III. Ursachen der bestehenden Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Auslegungsgrenzen des Abhängigkeitstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Normzweckdiversität als Auslegungshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Ungesichertes herrschendes Abhängigkeitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 V. Untersuchungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Informationsfunktion des Konzernabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Informationsmehrwert durch Konsolidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Grundlagen und Grenzen des bilanzrechtlichen Verbundkonzepts . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Untersuchungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Zusammenschlusskontrolle des GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Der Kontrollerwerb in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 IV. Kontrolle versus Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 V. Untersuchungsausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
8
Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Rekonstruktion der Verbundtatbestände im Konzern-, Bilanz- und Wettbewerbsrecht
46
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Der Abhängigkeitstatbestand im HGB 1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Ungeschriebenes Konzernrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . 48 2. Aktienrechtliche Abhängigkeit bis zur Notverordnung 1931 . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Anknüpfung an den Erwerb eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Beseitigung von Missbräuchen und Umgehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Abhängigkeit in § 226 Abs. 4 HGB 1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Einflussumfang, -intensität und -beständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Einflussgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Stimmenmäßige Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 bb) Organisatorische Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 cc) Vertragsmäßige Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II. Abhängigkeit im AktG 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Ungeschriebenes Konzernrecht im neuen Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Reformierung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Der Abhängigkeitstatbestand in § 15 Abs. 2 AktG 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Reform der Organkompetenzen im AktG 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Beherrschender Einfluss im Lichte veränderter Kompetenzen . . . . . . . . . . . 74 aa) Organisatorische Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Stimmenmäßige Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 cc) Vertragsmäßige Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Fazit – Das historische Abhängigkeitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Abhängigkeit im geltenden Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Lösung des Abhängigkeitskonzepts vom Konzernbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Voraussetzungen beherrschenden Einflusses im geltenden Recht . . . . . . . . . . . 84 a) Einflussumfang im geltenden Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Einflussintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Beständigkeit beherrschenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Mittel beherrschenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Anknüpfung an den bestehenden Abhängigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Wandel des Abhängigkeitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Gründe für ein restriktives Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Das Abhängigkeitsverständnis im Kontext materiellen Konzernrechts 96 (1) Konzernrechtsdiskussion im Vorfeld der Reform 1965 . . . . . . . . . . . 97 (2) Entwicklung des Konzernrechts als Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (a) Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Inhaltsverzeichnis
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(b) Faktischer Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (3) Keine konzernrechtliche Einschränkung der Abhängigkeitsmittel
105
cc) Restriktiver Abhängigkeitsbegriff aus Gründen der Rechtssicherheit? 107 (1) Gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen . . . . . . . . . . . 109 (a) Organisatorische Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (b) Beteiligungsvermittelte Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (c) Vertragliche Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (d) Kombinierte Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (2) Außergesellschaftsrechtlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (a) Allgemeine Voraussetzungen schuldrechtlicher Beherrschung 114 (b) Funktionsweise schuldvertraglicher Beherrschung . . . . . . . . . . . 116 (c) Vertraglicher Einfluss im Lichte der Leitungsautonomie . . . . . . 116 (aa) Dogmatik der Leitungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (bb) Vertragliche Ausnahme von der Leitungsautonomie . . . . . . . 119 (cc) Vertragliche Beherrschung im faktischen Konzern? . . . . . . . 122 (dd) Stimmbindungsverträge als Einflussgrundlage . . . . . . . . . . . 124 (ee) Zusammenfassung der Einflussgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . 126 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Rechtsquellen des Beherrschungskonzepts im Rechnungslegungsrecht . . . . . . . . . 128 1. Geschichte der Konzernrechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Konzernbilanzrecht als Teil des Aktienrechts 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Europäisierung der Konzernrechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Annäherung an internationale Rechnungslegungsstandards . . . . . . . . . . . . . . 133 d) Novellierung des Verbundkonzepts durch das BilMoG 2009 . . . . . . . . . . . . 134 aa) Exkurs: Ursprünglicher Regelungszweck des BilMoG . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Funktionsweise und Nutzen von Zweckgesellschaften . . . . . . . . . . . 137 (2) Off-Balance-Sheet Konstruktion von Zweckgesellschaften . . . . . . . 140 (3) Konsolidierung von Zweckgesellschaften unter einheitlicher Leitung 141 bb) Ursachen der Aufgabe des Leitungskonzepts in § 290 Abs. 1 HGB a. F. 143 (1) Realisierung der Risiken von (Verbriefungs-)Zweckgesellschaften (2) Kriseninduzierte Abkehr vom aktienrechtlichen Leitungskonzept
143 145
2. Verbale Identität und Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Beherrschender Einfluss in den Rechtsquellen des § 290 HGB . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Beherrschender Einfluss in der 7. Konzernbilanzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Beherrschender Einfluss in den Richtlinienentwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Durchsetzung des angelsächsischen Control-Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Auslegung beherrschenden Einflusses in der Konzernbilanzrichtlinie . . . . . 153 aa) Rückschlüsse aus der Richtliniensystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
10
Inhaltsverzeichnis bb) Sec. 154 Companies Act 1948 als Regelungsvorbild . . . . . . . . . . . . . . . 154 cc) Artt. 354, 355 Le Droit Nouveau des Sociétés Commerciales . . . . . . . . 155 dd) Aktienrechtliche Abhängigkeit als Regelungsvorbild . . . . . . . . . . . . . . . 156 d) Zwischenfazit – kein einheitliches europäisches Begriffsverständnis . . . . . . 156 2. Neuer Beherrschungsbegriff in der Modernisierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Entwicklung der IAS-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Internationalisierung der EG-Bilanzrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Beherrschender Einfluss und Kontrolle in der Modernisierungsrichtlinie . . . 160 d) Zwischenfazit – von der Vielfalt zur Einheit beherrschenden Einflusses . . . 162 3. Konzernrechnungslegung nach IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Das Verhältnis von IAS 27 a. F., SIC 12 a. F. und IFRS 10 . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Regelungssystematik von IAS 27 a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Stimmrechtsmehrheit, IAS 27.13 S. 1 a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Beherrschung ohne Stimmrechtsmehrheit, IAS 27.13 S. 2 a. F. . . . . . . . 167 (1) Beherrschung ohne eigene Stimmrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Strukturelle Merkmale der Einzeltatbestände in IAS 27.13 a. F. . . . . 168 c) Voraussetzungen beherrschenden Einflusses nach IAS 27.13 a. F. . . . . . . . . 170 aa) Umfang beherrschenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (1) Einflussumfang der Stimmrechtsmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Einflussumfang durch Vertrag oder Satzungsbestimmung . . . . . . . . 173 (3) Einflussumfang der Mehrheit im Leitungs- oder Aufsichtsorgan . . . 173 (a) Leitungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (b) Aufsichtsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (4) Zusammenfassung des Einflussumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Einflussintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Beständigkeit der Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (1) Stimmrechtsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Beständigkeit und Dauer der Einflussmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 182 dd) Beherrschungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (1) Stimmbindungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (2) Beherrschung durch Satzungen oder Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . 185 (a) Beherrschung durch Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (b) Beherrschung durch vertragliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . 187 (3) Beherrschung des Leitungs- oder Aufsichtsgremiums . . . . . . . . . . . 188 4. Zusammenfassung – Beherrschender Einfluss in § 290 HGB . . . . . . . . . . . . . . 191 III. § 290 HGB als hybrides Beherrschungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Kohärenz zum Deutschen Rechnungslegungsstandard 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Beherrschender Einfluss nach DRS 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Kongruenz der Untersuchungsergebnisse mit DRS 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Inhaltsverzeichnis
11
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Die Verbundklausel nach § 36 Abs. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Aktienrechtsspezifische Auslegung der Verbundklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Friktionen durch das geltende Abhängigkeitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Auflösung der kartellrechtlichen Friktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Kartellrechtlich-funktionale Auslegung des Abhängigkeitsbegriffs . . . . . . . 209 b) Übernahme eines isolierten Abhängigkeitsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Korrektur des geltenden aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs . . . . . . . . 210 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Rechtsquellen des Kontrolltatbestands in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . 214 a) Keine Orientierung am aktienrechtlichen Beherrschungskonzept . . . . . . . . . 214 b) Europäische Rechtsquellen des Kontrollbegriffs im GWB . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Das europäische Kontrollverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Allgemeine Voraussetzungen des Kontrollerwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Umfang bestimmenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) Intensität bestimmenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Dauer und Beständigkeit bestimmenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Zeitliche Mindestdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Beständigkeit der bestimmenden Einflussmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 228 e) Grundlagen bestimmenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Kontrollmittel nach Art. 3 Abs. 2 FKVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (1) Anteilsrechte und Vermögenwerte als Kontrollmittel . . . . . . . . . . . . 230 (a) Anteilsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (b) Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Vertragliche Grundlagen bestimmenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . 236 (3) Kontrolle durch sonstige Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Kontrollmittel nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Zusammenfassung bestimmenden Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Drittes Kapitel Konvergenz der Verbundkonzepte
249
A. Konvergenz der Verbundkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Angleichung der Verbundkonzepte in der FKVO 4064/89 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Unterschiede der formellen Fusionskontrolle zwischen GWB und FKVO . . . . . . 253 III. Wertungswidersprüche der doppelt materiellen Verbundkonzepte . . . . . . . . . . . . . 255 1. Unvereinbarkeit mit den Europäisierungsbestrebungen des GWB . . . . . . . . . . . 255
12
Inhaltsverzeichnis 2. Unvereinbarkeit mit dem Regelungszweck der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . 257 IV. Konklusion – Konvergenz der Verbundtatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
C. Angleichung des Kartell- und Konzernbilanzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Angleichung an das kartellrechtliche Verbundkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Angleichung an das handelsrechtliche Verbundkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Konzeptioneller Vorzug des § 290 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Konvergenz der Verbundkonzepte de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Einleitung I. Wildwuchs der Verbundkonzepte „Zu der Frage, wann ,Abhängigkeit‘ bzw. ,beherrschender Einfluß‘ gegeben ist, scheint es uns müßig zu sein, zu versuchen, eine allgemeine Definition zu geben. Wann im einzelnen der Tatbestand gegeben ist, bleibt in weitem Umfange eine Wertfrage.“1
Die Macht eines Unternehmens, die Geschicke eines anderen Unternehmens zu steuern, dessen Verwaltungsorgane zu besetzen und die grundlegende Geschäftspolitik zu diktieren, ist in der unternehmerischen Realität mehr Regel als Ausnahme. Bei annähernd der Hälfte der börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland ist ein Großaktionär mit mindestens 30 %, bei einem Drittel mit mehr als 50 % der Aktien beteiligt.2 Dort, wo ein Unternehmen die Geschicke eines anderen Unternehmens zu lenken vermag, entsteht ein Unternehmensverbund mit einem Subordinationsverhältnis zwischen herrschendem und beherrschtem Unternehmen. Die Erfassung des Unternehmensverbunds beschränkt sich derweil nicht auf das Gesellschaftsrecht. Auch andere Rechtsgebiete betrachten das Einzelunternehmen im Verbund, etwa dort, wo die isolierte Betrachtung der Einzelgesellschaft eine missbräuchliche Umgehung von Vorschriften eröffnen würde. Gleiches gilt für die Erfassung des wirtschaftlichen Einflusses des Unternehmensverbunds, welcher durch die Regulierung der Einzelgesellschaft nicht zu erreichen ist. Außerhalb des Aktienrechts finden sich Verbundkonzepte exemplarisch auch im Rechnungslegungsund Kartellrecht sowie dem Kapitalmarkt- und Versicherungsrecht, dem Kreditwesengesetz sowie Energiewirtschaftsgesetz.3 Die Gründe für die Anknüpfung von Rechtsfolgen an den Unternehmensverbund sind mannigfaltig und reichen vom Schutz abhängiger Unternehmen über den Schutz von Gläubigern und Anteilseignern bis hin zum Schutz von Wettbewerb und Märkten.4 Den Rechtsgebieten liegt dabei kein einheitliches Begriffsverständnis zur Erfassung verbundener Unternehmen zugrunde. Vielmehr unterscheiden sich die 1
Fuchs/Gerloff, Die konsolidierte Bilanz, S. 80. Bayer/Hoffmann, Börsennotierte Aktiengesellschaften, AG-Report 2015, Rn. 91, 93. 3 Vgl. §§ 15 ff. AktG, § 36 Abs. 2, § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 290 HGB, § 7 Nr. 29 VAG, § 1 Nr. 17 KWG, § 210 Abs. 3 VVG, § 35 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, § 2 Abs. 6 WpÜG, § 3 Nr. 38 EnWG. 4 Für den Außenseiterschutz (Gläubiger und Minderheitsaktionäre) bspw. §§ 311 ff. AktG, Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 1; so auch Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 3; für den Schutz des Wettbewerbs und Marktes als gesamtwirtschaftliche Belange durch das GWB: Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 46. 2
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Verbundkonzepte sowohl materiell als auch normcharakteristisch. Das deutsche Recht ist geprägt von einer Vielfalt von unterschiedlichen Ansätzen zur Erfassung verbundener Unternehmen. Diese Vielfalt wird durch in nationales Recht transformierte, europarechtlich geprägte Verbundkonzepte verstärkt, denen es ebenfalls an einem einheitlichen sekundärrechtlichen Begriffsverständnis fehlt.5 In Folge von Novellierungen und Harmonisierungsbemühungen wurden ferner einzelne Verbundkonzepte im Laufe der Zeit begrifflich modifiziert. Damit einhergehend ist allerdings auch den dynamischen Normverweisen der anknüpfenden Rechtsgebiete die bisherige Verständnisgrundlage entzogen worden, was zur Fragmentierung der Verbundkonzepte beigetragen hat. So verweist die Verbundklausel in der wettbewerblichen Zusammenschlusskontrolle in § 36 Abs. 2 GWB auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand, während sich der Zusammenschlussbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB selbst an dem europäischen Kontrollverständnis orientiert. Im Aktienrecht richtet sich die Aufstellung des Abhängigkeitsberichts in § 312 Abs. 1 AktG nach dem aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzept. Auf welche verbundenen Unternehmen sich die Regelberichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat der AG erstreckt, richtet sich demgegenüber in § 90 Abs. 1 S. 2 AktG nach dem Verbundverständnis über den konsolidierten Konzernabschluss in § 290 HGB. Auf Letzteres rekurrieren auch das Wertpapierübernahmegesetz („WpÜG“) § 2 Abs. 6 WpÜG sowie das Wertpapierhandelsgesetz („WpHG“) in § 35 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Dagegen bedient sich § 3 Nr. 38 EnWG des europäischen Kontrollbegriffs der FKVO. Augenscheinlich zu Recht hat Hopt daher bereits 2001 diese Vielfalt der Verbundkonzepte als „gebietsspezifischen Wildwuchs“ bezeichnet.6
II. Die juristische Fragestellung Grundsätzliche Bedenken gegen die Geltung unterschiedlicher Verbundkonzepte bestehen nicht – im Gegenteil: Unterschiedliche Normzwecke können abweichende Voraussetzungen des zugrundeliegenden Verbundkonzepts erforderlich machen. Gleichwohl folgt aus den unterschiedlichen Normzwecken der jeweiligen Anknüpfungstatbestände nicht zwingend eine Notwendigkeit für die Verwendung unterschiedlicher Verbundkonzepte. Beispielhaft zeigt sich dies bereits am aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG, an den ganz verschiedene Rechtsfolgen geknüpft sind, vgl. §§ 56 Abs. 2, 71d S. 2, 305 Abs. 2, 311 Abs. 1, 312 Abs. 2 AktG. Gleichwohl wird nach heute einhelliger Auffassung von einem einheitlichen Abhängigkeitsverständnis ausgegangen.7 Letztlich ist diese Erkenntnis 5 Beispielhaft ist etwa auf das wettbewerbsrechtliche Kontrollkonzept in Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Fusionskontrollverordnung 139/2004 („FKVO“) zu verweisen. 6 Hopt, in: Doralt/Hommelhoff/Hopt (Hrsg.), Konzernrecht, S. 283. 7 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 3; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 4; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 9; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 460.
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nicht überraschend, da die Erfassung mehrerer Unternehmen, die durch ein Subordinationsverhältnis miteinander verbunden sind, allen Rechtsfolgenormen im Kern gemein ist. Diese Feststellung, dass Anknüpfungstatbeständen mit unterschiedlichen Zweckbestimmungen gleichwohl ein gemeinsames Verbundkonzept zugrunde liegen kann, gibt Anlass zu der Überlegung, ob sich de lege ferenda über das Aktienrecht hinaus ein einheitliches Verbundkonzept etablieren lässt und so der bestehende „Wildwuchs“ reduziert werden kann. Für die Untersuchung dieser Frage ist eine gegenständliche Eingrenzung von Rechtsgebieten vorzunehmen, deren zugrundeliegende Verbundkonzepte voneinander abweichen. Deren Voraussetzungen sind in der Folge zu bestimmen. Anschließend sind die Ergebnisse einander gegenüberzustellen und zu erörtern, ob unter Berücksichtigung der jeweiligen Normzwecke eine rechtsgebietsübergreifende Konvergenz der Verbundkonzepte möglich ist. Konkret lassen sich für die folgende Untersuchung die zwei folgenden Leitfragen herauskristallisieren: 1. Unter welchen Voraussetzungen liegt beherrschender bzw. bestimmender Einfluss innerhalb der ausgewählten Rechtsgebiete vor? 2. Ist auf Grundlage der Einflussvoraussetzungen eine Angleichung der Verbundkonzepte zwischen den ausgewählten Rechtsgebieten möglich und sinnvoll?
III. Auswahl der untersuchten Rechtsgebiete Die Untersuchung der Verbundkonzepte und anschließende Erörterung einer möglichen Konvergenz kann sich nicht auf alle Rechtsgebiete erstrecken, die eine Definition des Unternehmensverbunds enthalten oder auf ein bestehendes Verbundkonzept in einem anderen Rechtsgebiet verweisen. Dies würde den Untersuchungsumfang sprengen. Vielmehr ist eine Auswahl von Rechtsgebieten vorzunehmen, deren Verbundtatbestände sich voneinander unterscheiden und für die sich in der Folge eine mögliche Konvergenz der Verbundkonzepte modellhaft erörtern lässt. Aus diesem Grund bilden das Aktienrecht, das Konzernbilanzrecht im HGB und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen den Gegenstand der folgenden Untersuchung. Diese Rechtsgebiete eignen sich deshalb besonders für einen Vergleich, weil sich die ihnen jeweils zugrundeliegenden Verbundkonzepte in § 17 AktG, § 290 HGB bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB voneinander unterscheiden. Darüber hinaus sind sie eng miteinander verwoben. So ist das Rechnungslegungsrecht ursprünglich aus dem Aktienrecht hervorgegangen. Das Aktienrecht nimmt seinerseits in zahlreichen Vorschriften auf die Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach § 290 HGB Bezug, nicht zuletzt in der bereits erwähnten Einbeziehung verbundener Unternehmen in die Regelberichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat. Das GWB verweist wiederum in seiner Verbundklausel in § 36 Abs. 2 auf das aktienrechtliche Abhängigkeitsprinzip. Überdies kommt allen drei Rechtsgebieten eine hohe Bedeutung im Wirtschaftsrecht zu. Schließlich sind
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die Verbundkonzepte jeweils rechtformneutral ausgestaltet und gehen deshalb mit einem breiten Anwendungsbereich einher. Die Gefahr spezifischer Einflussvoraussetzungen, die nur für einen kleinen Kreis bestimmter Unternehmen Anwendung finden, vgl. etwa das Kontrollkonzept in § 29 Abs. 2 WpÜG, das nur für börsennotierte Unternehmen gilt, wird so vermieden.
IV. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands Die hier untersuchten Verbundkonzepte zum Aktienrecht, Konzernbilanzrecht und Wettbewerbsrecht waren in der Vergangenheit bereits jeweils Gegenstand monographischer Untersuchungen. Exemplarisch wurde der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand bereits in den 1970er Jahren sowohl von Werner als auch Dierdorf beleuchtet.8 Auch Sura hat sich 1980 bereits der Untersuchung von Fremdeinfluss und Abhängigkeit im Aktienrecht gewidmet.9 Mit den Möglichkeiten und Grenzen der vertraglichen Einflussnahme auf den Vorstand einer AG hat sich 2012 Herwig befasst.10 Aus Perspektive des Bilanzrechts hat Clausen 1992 verbundene Unternehmen beleuchtet.11 Im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen untersuchte Leipelt 1991 das Konzept von Abhängigkeit und gemeinsamer Beherrschung.12 Korfmacher widmete sich 1989 der kartellrechtlichen Verweisung auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand.13 Schließlich ist noch die Habilitationsschrift Pohlmanns von 1999 anzuführen, die sich eingehend mit dem Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht und einer Konvergenz der dortigen Verbundtatbestände auseinandersetzte.14 Gegenüber einer monographischen Untersuchung, die alle Einzelheiten des ausgewählten Rechtsgebiets betrachten kann, muss eine Arbeit, wie die vorliegende, die den Vergleich dreier Rechtsgebiete wagt, Schwerpunkte setzen. Diese liegen im Folgenden zum einen auf der Beschränkung der Untersuchung auf die jeweiligen Einflussvoraussetzungen innerhalb der ausgewählten Verbundkonzepte. Sonstige abstrakte Normbegriffe, wie das jeweilige Unternehmensverständnis des Rechtsgebietes, bleiben außer Betracht bzw. werden nur insoweit thematisiert, wie es für die Erfassung und den Vergleich des jeweiligen Verbundkonzepts notwendig ist. Zum anderen beschränkt sich die Untersuchung der Einflussvoraussetzungen ungeachtet 8
Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft auf schuldvertraglicher und tatsächlicher Grundlage, 1978. 9 Sura, Fremdeinfluß und Abhängigkeit im Aktienrecht, 1980. 10 Herwig, Leitungsautonomie und Fremdeinfluss, 2014. 11 Clausen, Verbundene Unternehmen im Bilanz- und Gesellschaftsrecht, 1992. 12 Leipelt, Abhängigkeit und gemeinsame Beherrschung im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1991. 13 Korfmacher, Konzernrecht und Fusionskontrolle, 1989. 14 Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, 1999.
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der Rechtsformneutralität der Verbundtatbestände auf die Rechtsform der AG. Die Übertragung der gezogenen Schlussfolgerungen, beispielsweise zu den zulässigen Einflussgrundlagen in der AG, ist in der Folge nicht ohne Weiteres auf andere Rechtsformen möglich. In Betracht kommt vielmehr nur eine entsprechende Übertragung der Ergebnisse unter Berücksichtigung des jeweiligen Organisationsrahmens der Rechtsform, etwa des GmbHG. Schließlich geht die Untersuchung des beherrschenden bzw. bestimmenden Einflusses zwischen zwei Unternehmen vom Grundtyp der Alleinbeherrschung durch ein Mutterunternehmen aus. Sonderformen, wie die mehrfache Beherrschung oder gemeinsame Beherrschung eines Joint Ventures, bleiben mit einigen wenigen Ausnahmen ausgeklammert.
V. Gang der Untersuchung Die folgende Untersuchung ist in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel werden die Verbundtatbestände der ausgewählten Rechtsgebiete vorgestellt. Ziel dieses ersten Teils ist es, neben der Vorstellung der konkret zu untersuchenden Normen und ihrer Funktionsweise auch ihre Einordnung in den rechtlichen Kontext der gebietsspezifischen Systematik vorzunehmen. Das zweite Kapitel untersucht die Einflussvoraussetzungen der Verbundkonzepte im Aktienrecht, Konzernbilanz- und Kartellrecht. Für die Erfassung des tatsächlichen Normverständnisses werden unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie der Verbundtatbestände die jeweiligen Rechtsquellen und Rechtsfolgen aufgeschlüsselt. Auf Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse werden etwaige Korrekturen des herrschenden Tatbestandsverständnisses der Verbundkonzepte vorgeschlagen und erörtert. Das dritte Kapitel widmet sich dem Vergleich der untersuchten Verbundkonzepte. Untersucht wird, inwieweit zwischen den ermittelten Einflussvoraussetzungen Kongruenz innerhalb und zwischen den Rechtsgebieten besteht. Schließlich ist zu erörtern, ob eine Konvergenz der Tatbestände de lege ferenda möglich ist und wie, im gegebenen Fall, eine solche zu gestalten wäre.
Erstes Kapitel
Vorstellung der Verbundkonzepte A. Abhängigkeit im Aktienkonzernrecht Wird in der juristischen Literatur von einem Konzern gesprochen, so ist bekanntlich nicht die Rede von einer Gesellschaft mit eigener Rechtssubjektivität, etwa als Komparativ zur Aktiengesellschaft. Der Konzern fasst vielmehr einen qualifizierten Verbund mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung (§ 18 AktG) zu einer begrifflichen Einheit zusammen. Das Konzernrecht ist nicht auf die Definitionsnorm des Konzerns als terminus technicus in § 18 AktG samt seiner Anknüpfungstatbestände beschränkt.1 Vielmehr ist es als Teildisziplin des Gesellschaftsrechts ein Sammelbegriff für bestimmte Formen der Unternehmensverbindungen und bezieht sich auch nicht nur auf die AG, sondern auch auf die sonstigen Kapitalgesellschaften.2 So verfügt etwa das GmbHG über keine eigenen Vorschriften für verbundene Unternehmen. Vielmehr sind die aktienrechtlichen Vorschriften analog anzuwenden.3 Im weiteren Sinne umfasst das Konzernrecht die Definitionsnormen der §§ 15 bis 19, die Mitteilungspflichten in §§ 20 bis 22 sowie das materielle Konzernrecht in §§ 291 bis 328 AktG.4 Dass im allgemeinen Sprachgebrauch und selbst in der juristischen Terminologie das Recht der verbundenen Unternehmen ungenau als Konzernrecht bezeichnet wird, dient allein der sprachlichen Vereinfachung und ist in der Sache unbedenklich.5 Angesichts der Prägung des allgemeinen wie juristischen Sprachgebrauchs vom Konzernrecht statt vom Recht der verbundenen Unternehmen vermag die schwindende Bedeutung,6 die der eigentliche Konzerntatbestand, § 18 AktG, für die heutige Praxis hat, zunächst verwundern. Doch in der Tat knüpft der ganz überwiegende Teil der materiellen konzernrechtlichen Normen, wie die §§ 311 – 318, § 56 Abs. 2 sowie § 71d S. 2 AktG, nicht erst an den Konzerntatbestand, sondern bereits an den Ab-
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Vgl. Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, § 15 Rn. 1. Emmerich/Habersack/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 1. 3 Emmerich/Habersack/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 7. 4 Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 2; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15 AktG Rn. 1. 5 Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn. 6; Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 2. 6 Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 2; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 2. 2
A. Abhängigkeit im Aktienkonzernrecht
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hängigkeitstatbestand, § 17 AktG, als sog. potentiellen Konzern an.7 Im Folgenden ist der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand näher vorzustellen, beginnend mit seiner Bedeutung als Zentralbegriff des Konzernrechts (I.), gefolgt von der von ihm ausgehenden Rechtsunsicherheit (II.). Anschließend werden die mit dem Abhängigkeitsbegriff einhergehenden Auslegungshindernisse offengelegt (III.). Schließlich ist das herrschende, restriktive Abhängigkeitsverständnis zu skizzieren, welches weder rechtlich hinreichend abgegrenzt noch dogmatisch abgesichert ist und damit Anlass weiterer Untersuchung gibt (IV.). Ein abschließender Untersuchungsausblick stellt die Agenda des aktienrechtlichen Hauptteils vor (V.).
I. Abhängigkeitstatbestand als Zentralbegriff des Konzernrechts Der Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG gilt in der juristischen Literatur zu Recht als Zentralbegriff des Konzernrechts.8 Dies belegt anschaulich der Blick auf die Rechtsfolgetatbestände, die nicht erst an den Konzernbegriff, sondern bereits an die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme anknüpfen. Dies ist zweckmäßig, geht bereits mit der Möglichkeit zur Ausübung eines beherrschenden Einflusses auf ein anderes Unternehmen die sog. Konzerngefahr einher, die aufgrund der Interessenpluralität im Unternehmensverbund motivierte Einflussnahme zum Nachteil der Gesellschaft.9 Denn divergierende Interessen zwischen Aktionären, Gläubigern und Gesellschaft sind nur solange ungefährlich, wie nicht einer der Beteiligten einen so wesentlichen Einfluss auf die Gesellschaft erlangt, dass er deren Geschicke einseitig zu bestimmen vermag. Eine solch einseitige Durchsetzung von Interessen ermöglicht jedoch bereits beherrschender Einfluss im Sinne von § 17 AktG. Auf die zusätzliche, konzernbegründende einheitliche Leitung kommt es dafür nicht an. Die Einflussnahme innerhalb der Unternehmensgruppe folgt dabei weder einem transparenten System noch einem numerus clausus. Beherrschender Einfluss kann vielmehr subtil und intransparent stattfinden.10 Auch kommt es nicht darauf an, dass der Einfluss aktiv ausgeübt wird, wie zwingend für die Annahme eines Konzerns nach § 18 Abs. 1 AktG vorausgesetzt wird. Das Vorliegen der Abhängigkeitsvoraussetzungen löst zudem die widerlegliche Konzernvermutung nach § 18 Abs. 1 S. 3 AktG aus. Dem Abhängigkeitstatbestand 7 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 Rn. 2; Maria-Reimer/Kessler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 18 AktG Rn. 2; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 2; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 3. 8 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 2; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 1; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 17 AktG Rn. 1; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 2; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 1; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 3; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 3. 9 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 15 Rn. 11. 10 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn 1.
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
kommt damit eine Schlüsselrolle nicht nur unter den Definitionsnormen der §§ 15 bis 19 AktG, sondern auch im Konzernrecht insgesamt zu.11 Exemplarisch setzt etwa das Nachteilzufügungsverbot des faktischen Konzerns, § 311 Abs. 1 AktG nicht die einheitliche Leitung im Konzern, sondern allein das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen zwei Unternehmen voraus.12 Bei Verstoß gegen dieses Schädigungsverbot drohen dem herrschenden Unternehmen bzw. seiner Organmitglieder die Haftungsrisiken in § 317 Abs. 1, 3 AktG.13 Ebenso hat der Vorstand des abhängigen Unternehmens im Falle eines bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses einen Abhängigkeitsbericht nach § 312 AktG zu verfassen.14 Auch das Barabfindungsangebot nach § 305 Abs. 2 S. 2 AktG knüpft bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit einer abhängigen Gesellschaft an ein bestehendes Abhängigkeitsverhältnis an.15 Aber auch außerhalb des Dritten Buches beziehen sich zahlreiche Rechtsfolgen, die primär Schutz vor Umgehung aktienrechtlicher Vorschriften mittels Tochterunternehmen bezwecken,16 auf die aktienrechtliche Abhängigkeitsdefinition. Zu nennen ist etwa das Verbot der Zeichnung und Erwerbs eigener Aktien durch abhängige Unternehmen, §§ 56 Abs. 2, 71d S. 2 AktG oder die Ausdehnung von Stimmrechtsbeschränkungen auf abhängige Unternehmen, vgl. § 134 Abs. 1 S. 4, § 136 Abs. 2 AktG.17
II. Der Abhängigkeitstatbestand als Quelle anhaltender Rechtsunsicherheit Angesichts jener Bedeutung des Abhängigkeitstatbestands innerhalb des AktG und darüber hinaus überrascht umso mehr, dass die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses über 50 Jahre nach Inkrafttreten des AktG 1965 nicht abschließend geklärt sind.18 Anzuführen ist insbesondere die Frage nach den zulässigen Einflussgrundlagen, die der Gesetzeswortlaut in § 17 AktG mit Ausnahme der Mehrheitsbeteiligung in § 17 Abs. 2 AktG offenlässt. Aber auch allgemein ermöglicht der hohe 11 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 2; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 2; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 2; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 3. 12 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 6; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 20; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 4. 13 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 4; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 311 Rn. 62; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 311 Rn. 108. 14 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 4. 15 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 6. 16 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 7; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 24; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 20; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, § 17 Rn. 3. 17 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 7; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 24; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 1. 18 Stellvertretend Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 28 ff.; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 14 ff.
A. Abhängigkeit im Aktienkonzernrecht
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Abstraktionsgrad der Norm Aussagen zu den Anforderungen beherrschenden Einflusses nur im eng begrenzten Rahmen. Treffend hat schon Rittner auf den Punkt gebracht: „Das ungewöhnliche Maß an Unbestimmtheit, das § 17 Abs. 1 demnach auszeichnet, steht in einem auffallenden Widerspruch zu seiner Funktion als Definitionsnorm, zumal einer Definitionsnorm, die für eine Vielzahl z. T. höchst bedeutsamer Vorschriften des AktG maßgebend ist.“19
Dass die Frage nach den konkreten Voraussetzungen beherrschenden Einflusses keine rein akademische ist, sondern auch für die Praxis einen anhaltenden Unsicherheitsfaktor darstellt – gerade angesichts der Rechtsfolgen und Haftungsrisiken – verdeutlicht beispielhaft der Geschäftsbericht des Jahres 2018 der Intershop Communications AG. In diesem begründete der Vorstand die Aufstellung eines Abhängigkeitsberichtes nach § 312 AktG wie folgt: „Der Vorstand der INTERSHOP Communications AG hat rein vorsorglich für das Geschäftsjahr 2018 einen Bericht des Vorstands über Beziehungen zu verbundenen Unternehmen nach § 312 AktG aufgestellt. (…) Der Vorstand geht daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorsorglich von dem Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zu diesen Gesellschaften aus. Der Vorstand ist sich jedoch bewusst, dass diese Einschätzung von Unwägbarkeiten und Unsicherheiten abhängt, insbesondere von der Prognose zukünftiger Hauptversammlungsmehrheiten, die sich nicht sicher vorhersehen lassen. Vorsorglich wurde der Abhängigkeitsbericht erstattet.“20
III. Ursachen der bestehenden Rechtsunsicherheit Im nachfolgenden Abschnitt sind die Ursachen dieser bestehenden Rechtsunsicherheit mit Blick auf den Abhängigkeitstatbestand näher zu beleuchten. Ausgehend vom abstrakten Wortlaut des § 17 AktG ist zunächst der begrenzte definitorische Wert der Vorschrift aufzuzeigen (1.), bevor auf die Normzweckdiversität als Auslegungshindernis einzugehen ist (2.). 1. Auslegungsgrenzen des Abhängigkeitstatbestands § 17 AktG zählt selbst zu den Definitionsnormen des allgemeinen Konzernrechts.21 Im unmittelbaren Zusammenhang zur Mehrheitsbeteiligung nach § 16 AktG 19
Rittner, Die Beteiligung, DB 1976, 1465. Intershop Communications AG, Geschäftsbericht 2018, S. 32. Abrufbar unter: https: //www.intershop.com/files/Intershop/media/downloads/de/investors/financial-reports/2018/An nual-Report-2018.pdf, letzter Zugriff am 15. 6. 2019. Siehe zu diesem Beispiel auch die statistische Untersuchung Bayer/Hoffmann, Beherrschung und Unabhängigkeit der deutschen Börsenlandschaft, AG-Report 2018, R116, R118. 21 Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 2; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15 AktG Rn. 1. 20
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
und dem Konzernbegriff, § 18 AktG, definiert § 17 AktG das Abhängigkeitsverhältnis.22 Danach ist ein Unternehmen abhängig, auf das ein anderes Unternehmen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Genau genommen ist allerdings allein das herrschende Unternehmen definiert, das sich durch sein Einflusspotential auf ein abhängiges Unternehmen auszeichnet. Das abhängige Unternehmen ist dagegen im Umkehrschluss zum herrschenden Unternehmen zu bestimmen. Zwischen abhängigem und beherrschendem Unternehmen besteht Konnexität. Weder kann es ein abhängiges Unternehmen unabhängig von einem herrschenden Unternehmen geben noch umgekehrt. In dieser Gegenüberstellung der Begriffe vom abhängigen und herrschenden Unternehmen erschöpft sich jedoch bereits der definitorische Gehalt der Generalnorm in § 17 Abs. 1 AktG.23 Abgesehen von der Definition des abhängigen und beherrschenden Unternehmens bleibt offen, worin der für den Tatbestand so maßgebliche beherrschende Einfluss überhaupt besteht. Nicht nur sind der notwendige Umfang, die Intensität und eine etwaige Dauerhaftigkeit beherrschenden Einflusses zu bestimmen. Von maßgeblicher Bedeutung für die Anwendungspraxis ist auch die Frage nach den zulässigen Einflussgrundlagen, mithin welche Gestaltungsmittel für die Begründung beherrschenden Einflusses in Betracht kommen. In § 17 Abs. 2 AktG fügt die Norm hinzu, dass bei Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung das in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen als abhängig vermutet wird. Aus den einer Mehrheitsbeteiligung entspringenden Einflussmöglichkeiten lassen sich so erste Rückschlüsse für die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses auch für § 17 Abs. 1 AktG ableiten.24 Aufgrund der Vermutung, dass eine Mehrheitsbeteiligung im Regelfall zur Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses ausreicht, können an den beherrschenden Einfluss keine Anforderungen gestellt werden, die über die Einflussrechte einer Mehrheitsbeteiligung hinausgehen.25 Gleichzeitig sind der Heranziehung des in § 17 Abs. 2 AktG impliziten Einflusspotentials für die Auslegung beherrschenden Einflusses nach § 17 Abs. 1 AktG Grenzen gesetzt. Zunächst ist auf die Widerleglichkeit der Abhängigkeitsvermutung hinzuweisen, die dem formellen Verständnis der Mehrheitsbeteiligung im Sinne von § 16 AktG Rechnung trägt.26 Ob von dieser in Form von Kapital- und/oder Stim22 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 1; Franz, in: Wachter, AktG, § 17 Rn. 1. 23 Zu dieser Kritik an der Konzeption des Abhängigkeitstatbestands vgl. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 25. Allerdings bemängelt Werner nicht ganz zutreffend, dass § 17 Abs. 1 AktG weder eine Aussage darüber treffe, was ein beherrschendes noch was ein abhängiges Unternehmen sei (ebenfalls S. 25). Genau dies stellt § 17 Abs. 1 AktG aber mit der Gegenüberstellung fest. Offen bleibt hingegen, was beherrschender Einfluss ist, dessen Bestimmung maßgeblich ist, um ein Unternehmen als abhängig bzw. herrschend zu qualifizieren. 24 Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 3; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 5; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 25. 25 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 25. 26 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 49; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 17; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 84 ff.
A. Abhängigkeit im Aktienkonzernrecht
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menmehrheit tatsächlich ein beherrschendes Einflusspotential ausgeht, ist irrelevant.27 Die Vermutung in Abs. 2 benennt nur eine mögliche – wenngleich auch in der Rechtspraxis verbreitete28 – Form der Abhängigkeitsgrundlage. Charakteristisch stellt die vermutete Abhängigkeit aufgrund Mehrheitsbeteiligung jedoch nichts anderes als ein Regelbeispiel dar. Dieses ist jedoch nicht abschließender Natur, da der Generalklausel in § 17 Abs. 1 AktG andernfalls kein eigener Anwendungsbereich verbliebe. Zuzustimmen ist daher Koppensteiners Feststellung: „Aus dem Zusammenhang von Abs. 1 und Abs. 2 folgt demgegenüber ohne weiteres, dass das Gesetz mit Abhängigkeitslagen auch dort rechnet, wo die Abhängigkeitsvermutung nicht eingreift.“29
2. Normzweckdiversität als Auslegungshindernis Zusätzlich zum hohen Abstraktionsgrad des Abhängigkeitstatbestands stellt auch die Funktion des Abhängigkeitstatbestands als Anknüpfungsnorm für zahlreiche Rechtsfolgen die Auslegung vor eine Herausforderung. Aufgrund des allgemeinen Geltungsanspruches des Verbundtatbestands für das Aktienrecht und mangels unmittelbarer Rechtsfolgen in § 17 AktG selbst, lässt sich über „den Inhalt des Abhängigkeitsbegriffes ohne Berücksichtigung der Normen, deren Tatbestand diesen Begriff enthalten, auch nichts Abschließendes sagen“.30 Abhängigkeit im Sinne des Aktienrechts ist anhand aktienrechtsspezifischer Maßstäbe zu ermitteln.31 Dies entspricht auch dem allgemeinen Gebot der kontextgebundenen Auslegung von Rechtsbegriffen.32 Gerade die zahlreichen Anknüpfungsnormen, die sich auf die Verbundtatbestände des allgemeinen Teils beziehen, tragen zur Schwierigkeit der Auslegung des Abhängigkeitstatbestands bei. Denn Funktion und Normzweck der Anknüpfungstatbestände können im Einzelnen erheblich voneinander abweichen.33 Vor diesem Hintergrund wurde bereits die Frage aufgeworfen, ob überhaupt von einem einheitlichen Abhängigkeitsverständnis auszugehen ist. Nicht fernliegend erscheint,
27 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 17 AktG Rn. 7. 28 BT-Drucks. IV/171 v. 3. 2. 1962, Begr. RegE Aktiengesetz 1965, S. 100; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 34; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 17 AktG Rn. 17. 29 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 23. 30 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 14; so auch Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2475; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 9. 31 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 9. 32 Siehe zur grundsätzlichen, kontextabhängigen Auslegung zuletzt: Kuntz, Die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung, AcP 2015, 387, 396 ff. Allgemein dazu Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 164. 33 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11.
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
§ 17 AktG stets funktional im Sinne des Regelungskontextes auszulegen.34 Ein differenziertes Abhängigkeitsverständnis wäre zudem kein methodisches Novum, wie sich am Beispiel des Unternehmensbegriffs veranschaulichen lässt.35 Zu Letzterem besteht heute ganz überwiegend Einigkeit, dass es weder innerhalb noch außerhalb des Aktienrechts einen gemeinsamen Unternehmensbegriff gibt.36 Der jeweilige Kontext der Vorschriften, denen der Unternehmensbegriff zugrunde liegt und der mit ihnen verfolgte Regelungszweck variiert zu substantiell, als dass hieraus ein einheitliches Begriffsverständnis entwickelt werden könnte.37 Diese Funktionendivergenz des Unternehmensbegriffs setzt sich auch innerhalb des Konzernrechts fort, weshalb selbst dort nicht von einem gemeinsamen Begriffsverständnis ausgegangen werden kann.38 Zwar ist das Unternehmen einheitlich als Normadressat und nicht als Rechtsobjekt zu verstehen. Indes ist der Normadressat dem Normzweck entsprechend zu bestimmen.39 Für das konzernrechtliche Unternehmensverständnis ist daher ein „teleologischer Unternehmensbegriff“40 maßgeblich, der dem Sinn und Zweck der anknüpfenden Sondervorschriften entspricht.41 Auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand hingegen ist nach heute einhelliger Ansicht ein solch differenziertes, normzweckorientiertes Begriffsver-
34 So Würdinger, in: Barz/Gadow, GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 3; Martens, Mitbestimmung, Konzernbildung und Gesellschaftereinfluss, ZHR 1974, 179, 206; Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 90 f.; auf die Möglichkeit eines differenzierenden Abhängigkeitsverständnisses lediglich hinweisend Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 461; auch nach Ansicht Koppensteiners kann die Idee eines gespaltenen Abhängigkeitsbegriffs nicht von vornherein verworfen werden, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11. 35 Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 90 f.; auf den methodischen Vergleich zum Unternehmensbegriff ebenfalls hinweisend Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 3. Zum teleologischen Unternehmensbegriff Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn. 10 f.; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 15 Rn. 17; Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 9. 36 Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn. 9; vgl. für das Wettbewerbsrecht: K. Schmidt, „Unternehmen“ und „Abhängigkeit“, ZGR 1980, 277, 280 ff. 37 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 15 Rn. 15 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 9; auch OLG Frankfurt am Main, ZIP 2008, 880, 881; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 15 AktG Rn. 6a ff. So ist beispielsweise das Unternehmen in § 31 AktG Rechtsobjekt einer Sacheinlage bzw. Sachgründung und auch in den §§ 3, 23 AktG „Zuordnungsobjekt sachlicher und persönlicher Mittel“, während im Recht der verbundenen Unternehmen §§ 15 ff. AktG das Unternehmen vielmehr als Rechtsträger, mithin Rechtssubjekt verstanden wird, Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn. 9. 38 Miegel, Der Unternehmensbegriff des Aktiengesetzes, S. 117. 39 Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 9. 40 Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 15 Rn. 32; Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn. 10; Windbichler, in: GK-AktG, § 15 Rn. 11; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 15 AktG, Rn. 8; Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 9. 41 Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 15 Rn. 32.
A. Abhängigkeit im Aktienkonzernrecht
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ständnis nicht übertragbar.42 Der systematische Aufbau des AktG, welches den materiellen Regeln allgemeine Definitionsnormen voranstellt, spricht für das Bestreben nach begrifflicher Einheit.43 Im Unterschied zum Unternehmensbegriff hat der Gesetzgeber den Begriff des Abhängigkeitsverhältnisses zudem definiert, weshalb auch aus diesem Grund auf ein einheitliches Begriffsverständnis zu schließen ist.44
IV. Ungesichertes herrschendes Abhängigkeitsverständnis Den aufgezeigten Auslegungshindernissen des Abhängigkeitsverständnisses zum Trotz hat sich im Schrifttum und auch in der Rechtsprechung ein recht einheitliches Verständnis über die grundsätzlichen Voraussetzungen des beherrschenden Einflusses herausgebildet. Gleichwohl sei Bayer zufolge der Abhängigkeitstatbestand „nur in seinem Kernbereich, nicht jedoch in seinen Rändern sicher geklärt.“45 Tatsächlich erscheint selbst dieser Vorbehalt zum Abhängigkeitsverständnis euphemistisch. Schon die Antwort auf die Frage, was noch Kernbereich und was (ungeklärter) Randbereich sein soll, fällt mangels klar erkennbarer Abgrenzung schwer. Zutreffend ist dagegen die Feststellung Bayers, dass das gegenwärtig herrschende Abhängigkeitsverständnis weder in seinen Grenzen exakt abgesteckt noch dogmatisch hinreichend gesichert ist.46 Beispielhaft genannt sei hier die Frage nach den zulässigen Einflussgrundlagen im Sinne des § 17 AktG. Zusammenfassend wird nach heute überwiegender Meinung vertreten, dass die Einflussmöglichkeit gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss.47 Gemeint ist damit, dass eine Abhängigkeit begründende Einflussmöglichkeit 42 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 4; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 3; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 1; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 17 Rn. 1; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG, Rn. 4; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 9; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 459 ff. 43 Windbichler, in: GK-AktG § 17 Rn. 9; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 460. 44 Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2476. 45 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 14. 46 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 14. 47 So Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; im Ergebnis auch Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 59, 69 f.; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 12 f.; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 469 ff.; Oechsler, Die Anwendung des Konzernrechts auf Austauschverträge, ZGR 1997, 464, 486. Die Rechtsprechung hat sich indes zu einer einschränkenden Auslegung des Abhängigkeitsverständnisses ausgesprochen: Ausdrücklich BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 395 ff.; vgl. ferner BGH, Beschluss v. 19. 1. 1993 – KVR 32/91 – „Zurechnungsklausel“, BGHZ 121, 138, 145 f.; OLG Karlsruhe, Urteil v. 11. 12. 2003 – 12 W 11/02 – „Heidelberger Schloßquell Brauerei AG/Brau und Brunnen AG“, AG 2004, 147, 148; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. 7. 2003 – 19 W 6/00 –
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
zumindest einer gesellschaftsrechtlichen Grundlage bedarf, sei es durch eine Mehrheitsbeteiligung, Satzungsbestimmung oder organisatorische Verbundenheit in Form eines Beherrschungsvertrages.48 Externe Einflussmöglichkeiten wie schuldvertragliche Einflussrechte bleiben hingegen als Grundlage des Abhängigkeitsverhältnisses außer Betracht. Zwar sollen zusätzliche, mitunter rein faktische Gegebenheiten ein gesellschaftsrechtliches Einflusspotential zu einer sog. „kombinierten Beherrschung“ verstärken,49 nicht jedoch isoliert ein Abhängigkeitsverhältnis konstituieren können.50 Die Gegenansicht legt den Abhängigkeitsbegriff hingegen weniger restriktiv aus.51 Danach sei grundsätzlich auch eine sog. tatsächliche Abhängigkeit von der Definition der Norm umfasst. Unter tatsächliche Abhängigkeit fallen somit alle Mittel, einschließlich rein wirtschaftlicher Beziehungen, welche die notwendige Einflussqualität losgelöst von einer rechtlichen, geschweige denn gesellschaftsrechtlichen Grundlage erreichen.52 Tatsächlich sind sowohl Gesetz als auch Gesetzeshistorie für eine etwaige Beantwortung dieser Frage nur von begrenztem Wert. Wie aufgezeigt, gibt der Wortlaut der Norm zu den Einflussgrundlagen keine Auskunft. § 17 Abs. 2 AktG typisiert zwar die Beteiligung als Abhängigkeitsmittel, schließt andere Einflussmittel umgekehrt jedoch nicht aus.53 Eine Stütze für die Beschränkung des Einflusspotentials auf eine gesellschaftsrechtliche Fundierung lässt sich daraus nicht ableiten, ebenso wenig wie der Umkehrschluss eines weiten Abhängigkeitsverständnisses.54 Auch die Gesetzesbegründung sah bewusst davon ab, mögliche Grundlagen einer Abhängigkeitslage zu benennen, da sich eine abschließende Aufzählung als „unmöglich“ erwiesen habe.55
„Veba AG“, AG 2003, 688, 689 f.; OLG Düsseldorf, Urteil v. 22. 7. 1993 – 6 U 84/92 – „Feldmühle Nobel-Urteil“, AG 1994, 36, 37. 48 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 14; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 12. 49 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8. 50 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 15; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 469 ff. 51 So Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 38 f.; Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 140 ff.; Prühs, Die tatsächliche Abhängigkeit aus aktienrechtlicher Sicht, DB 1972, 2001, 2002 f.; von Godin/Wilhelmi, in: Dies., Aktiengesetz, § 17 Anm. 2; Geßler, in: Geßler/Hefermehl, AktG, § 17 Rn. 35 ff. In jüngerer Zeit: Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127; Martinek, Franchising, Know-How-Verträge, Management- und Consultingverträge, S. 75 ff.; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 350 ff. 52 Vgl. Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft, S. 38 f. 53 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 21. 54 Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2477. 55 Beg. RegE AktG 1965 zu § 17 Abs. 1, abgedr. bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 31.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
27
V. Untersuchungsausblick Inwieweit das geltende, restriktive Abhängigkeitsverständnis angesichts der aufgezeigten Auslegungshindernisse mit der Systematik und Dogmatik des Aktienrechts und der Anknüpfungstatbestände zu vereinbaren ist, wird im folgenden Kapitel näher beleuchtet. Denn ein Vergleich der Einflusskonzepte zwischen den Rechtsgebieten setzt die sichere Bestimmung der jeweiligen Verbundtatbestände als kohärente Vergleichsgrundlage voraus. Anderenfalls droht eine Verzerrung des Vergleichsergebnisses und damit die Gefährdung des Untersuchungsziels. Für die Beleuchtung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses gilt zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses nicht allein dem isolierten Normenwortlaut zu entnehmen sind oder sich aus diesem ableiten lassen. Vielmehr ist eine Berücksichtigung der mit der Abhängigkeit verknüpften Rechtsfolgen notwendig.56 Nichtsdestotrotz ist von einem einheitlichen Abhängigkeitsverständnis auszugehen. Für die Untersuchung der Voraussetzungen beherrschenden Einflusses sind überdies auch die Gesetzesmaterialien heranzuziehen. Diese sind zwar für eine unmittelbare Bestimmung der Einflussgrundlagen, aber auch der übrigen Einflussparameter nur von begrenztem Wert. Allerdings weist der RegE zum Abhängigkeitstatbestand daraufhin, dass § 17 Abs. 1 AktG „die Begriffe des abhängigen und des herrschenden Unternehmens in enger Anlehnung an das geltende Recht“ bestimmt.57 Neben der Beleuchtung der unterschiedlichen Rechtsfolgenormen im AktG 1965 wird die folgende Untersuchung daher auch die Frage beantworten müssen, ob und inwieweit das historische Beherrschungsverständnis zur Beleuchtung und Konkretisierung des gegenwärtigen Abhängigkeitstatbestands heranzuziehen ist.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht Auch das Konzernbilanzrecht bedient sich eines qualifizierten Verbundkonzeptes. Nach § 290 HGB sind alle Mutterunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft,58 die beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben können, zur Aufstellung eines Konzernabschlusses und eines Konzernlageberichts verpflichtet. Der Konzernabschluss setzt sich zusammen aus der Konzernbilanz, der Konzern-Gewinn- und Verlustrechnung, dem Konzernanhang, der Kapitalflussrechnung und dem Eigenkapitalspiegel, § 297 Abs. 1 HGB. Sein Zweck ist es, dem 56 57
S. 31.
Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11. Begründung RegE zum Aktiengesetz 1965, § 17, abgedr. in: Kropff, Aktiengesetz 1965,
58 Claussen/Scherrer, in: KK-Rechnungslegungsrecht, § 290 Rn. 13. Nicht durch § 290 HGB zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet sind Personengesellschaften. Für sie findet jedoch die gleichlautende Verpflichtung in § 11 PublG Anwendung, Müller, in: Bertram/Brinkmann/Kessler, HGB, § 290 Rn. 8 f.
28
1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
jeweiligen Adressaten einen sicheren Einblick in die wirtschaftliche Einheit eines Unternehmensverbunds zu vermitteln.59 Der Konzernabschluss dient allerdings ausschließlich der Information.60 Unmittelbare Rechtsfolgen knüpfen an ihn nicht an. Im Gegensatz dazu ist der Jahresabschluss („Einzelabschluss“) nach § 242 HGB Anknüpfungspunkt zahlreicher Funktionen.61 Neben der Rechenschafts- und Dokumentationsfunktion kommt dem Einzelabschluss zusätzlich eine Ausschüttungsbemessungs- und Kapitalerhaltungsfunktion zu. Auch für die Steuerbemessung ist der Einzelabschluss ausschlaggebend, § 5 Abs. 1 EStG.62 Dieser Funktionenpluralismus verdeutlicht sich erst in der Gesamtschau der an den Einzelabschluss anknüpfenden Rechtsnormen, von denen zahlreiche ins AktG und GmbHG führen.63 Das Bilanzrecht ist nicht nur eng mit dem Gesellschaftsrecht verwoben.64 Die Bilanz ist vielmehr „integraler Bestandteil des Gesellschaftsrechts“,65 da die Normsetzung des Bilanzrechts ein objektives Gesamtbild des Unternehmens in Bilanzform ermöglicht und so die Interessen aller an der Unternehmensentwicklung Beteiligten wahrt.66 Exemplarisch wird der Einzelabschluss nach § 58 Abs. 1 AktG von der Hauptversammlung oder nach § 58 Abs. 2 AktG vom Aufsichtsrat und Vorstand festgestellt und dient sowohl als Basis für den Gewinnverwendungsbeschluss als auch der Hauptversammlung nach § 174 AktG als Grundlage für die Gewinnverteilungsrechnung. Ferner knüpft das gesamte System der Kapitalerhaltungs- und Ausschüttungsverbotsregeln an den Einzelabschluss an.67 So hat der Vorstand etwa unverzüglich die Hauptversammlung 59 Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 2. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 6; Koppensteiner, in: Festschrift für Klaus J. Hopt, S. 959, 961. 60 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 3; Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 611; Claussen/Scherrer, in: Claussen/Zöllner/Noack, KKAktG, 2. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 2; Senger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 HGB Rn. 2; Ekkenga, Neuordnung des Europäischen Bilanzrechts für börsennotierte Unternehmen, BB 2001, 2362, 2363; Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 26; van Hulle, Die Reform des europäischen Bilanzrechts, ZGR 2000, 537, 541; Hahn, in: Brönner/ Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 12 f.; Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 12; Lorch/Hablizel, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 960. Zur Kritik an der Beschränkung des Konzernabschlusses auf seine Informationsfunktion Schön, Gesellschafter-, Gläubiger- und Anlegerschutz, ZGR 2000, 706, 742. 61 Vgl. hierzu Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 609. 62 Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 41 ff.; Hahn, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 12 f. 63 Das Handelsrecht enthält dagegen selbst zwar Bestimmungen zur Bilanzierung, konkretisiert jedoch den Zweck der Bilanzaufstellung selbst nicht, Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 17. 64 Vgl. Großfeld, Bilanzrecht für Juristen, NJW 1986, 955, demzufolge die Abstinenz der Juristen einem so wichtigen Rechtsgebiet gegenüber jeder Berechtigung entbehrt, S. 955. 65 Winnefeld, Bilanz-Handbuch, S. 5 f. 66 Winnefeld, Bilanz-Handbuch, S. 6. 67 Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 609.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
29
einzuberufen, wenn der Verlust die Hälfte des Grundkapitals erreicht oder übersteigt, § 92 Abs. 1 AktG.68 Dieser Bedeutung des Einzelabschlusses zum Trotz leitete Claussen zur Jahrtausendwende seine Gegenüberstellung von Konzern- und Jahresabschluss mit den Worten „(D)er Konzernabschluss ist in – der Einzelabschluss ist out“ ein und fasste damit die gestiegene Bedeutung des Konzernabschlusses gegenüber dem Einzelabschluss treffend zusammen.69 Denn obgleich der Konzernabschluss an keine weiteren Rechtsfolgen geknüpft ist, hat er gegenüber dem Einzelabschluss in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen.70 Diese Entwicklung ist nachfolgend anhand einer kurzen Darstellung über die Informationsfunktion des Konzernabschlusses und dem begrenzten Aussagegehalt des Einzelabschlusses zu erläutern (I.). Ihr folgt die Vorstellung des Informationsmehrwertes des konsolidierten Konzernabschlusses (II.), bevor schließlich das handelsrechtliche Verbundkonzept vorgestellt wird (III.), welches der Konzernabschlusspflicht zugrunde liegt. Ein Untersuchungsausblick auf das folgende Kapitel beschließt diese Einführung (IV.).
I. Informationsfunktion des Konzernabschlusses Der Konzern ist kein eigenständiges Rechtssubjekt. Für die Zwecke der Konzernrechnungslegung wird er aus allein wirtschaftlichen Erwägungen fiktiv als ein (einheitliches) Unternehmen angesehen, während die einzelnen Konzernunternehmen rechtlich selbständig bleiben.71 Mit der Aufstellung des Konzernabschlusses durch den Vorstand und seiner Billigung durch die zuständigen Organe hat es sein Bewenden, § 171 Abs. 2, § 173 Abs. 1 S. 2 AktG.72 Einer förmlichen Feststellung oder gar Prüfung bedarf es nicht.73 Weder dient der Konzernabschluss als Grundlage eines etwaig ausschüttungsfähigen Konzerngewinns noch als Bemessungsgrundlage der Steuerlast eines Unternehmensverbunds.74 Steuersubjekt ist nicht der Konzern,
68
Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 18. Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604. 70 Rapp, Praxis des Konzernabschlusses, DB 2013, 948; Hahn, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 13; zum Ganzen Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 609 ff.; vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 610 f. 71 Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 2. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 2 f.; Havermann, in: Festschrift für Reinhard Goerdeler, S. 175, 176; Pellens/Amshoff/Schmidt, Konzernsichtweisen in der Rechnungslegung, ZGR 2009, 231, 232 f. 72 Hahn, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 12 f.; Colbe/ Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 28. 73 Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 609. 74 Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 1997, 382, 390; Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 610. 69
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
sondern sind die rechtlich selbständigen Konzernunternehmen.75 Dass die Bedeutung des Konzernabschlusses gleichwohl gestiegen ist, liegt am Einzelabschluss selbst, dessen Aussagekraft nicht so weit geht, die tatsächlichen, wirtschaftlichen Verhältnisse einer Unternehmensgruppe abzubilden. Denn trotz der umfangreichen Anforderungen an Einzelabschlüsse von Kapitalgesellschaften geben diese keine Auskunft über den Umsatz der Unternehmensgruppe oder das Konzernergebnis.76 Der Konzernabschluss dient daher der Kompensation der auch in der Zusammenschau aller Einzelabschlüsse der Unternehmen einer Gruppe nur mangelhaften Aufschlüsselung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse.77 Grund dafür sind die Bilanzierungsregeln für den Einzelabschluss, die auf rechtlich wie wirtschaftlich selbständige Unternehmen zugeschnitten sind. Zwar bleiben auch im Konzernverbund die einzelnen Unternehmen rechtlich selbständig. Zumindest wirtschaftlich sind sie jedoch voneinander abhängig. Gerade aus Sicht etwaiger Gesellschafter des Mutterunternehmens vermag der Einzelabschluss allerdings nur einen rudimentären Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Konzerns zu geben.78 Darin sind allein die Beteiligungen an einem Tochterunternehmen abgebildet, die jedoch keine Auskunft über dessen Vermögensgegenstände, Schulden, Aufwendungen und Erträge zu geben vermögen.79 Aufgrund der Unzulänglichkeit dieser bilanziellen Darstellung im Einzelabschluss
75 Küting/Grau/Seel, Grundlagen der Konzernrechnungslegung, DStR 2010, 35, 45; Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 609. 76 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 1. 77 Dies bereits 1935 feststellend Bores, Konsolidierte Erfolgsbilanzen und andere Bilanzierungsmethoden, S. 21; zum Kompensationszweck Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 48; auf diesen Zweck weist auch die Begründung zum Regierungsentwurf zu den Konzernrechnungslegungsvorschriften im AktG 1965 hin: „Die Jahresabschlüsse der einzelnen Konzernunternehmen bieten daher, auch wenn man sie nebeneinander stellt, nur ein unvollkommenes Bild der Vermögens- und Ertragslage des Konzerns und der einzelnen Konzernunternehmen. (…) Der Konzernabschluß soll die geschilderten Mängel der Einzelabschlüsse dadurch beseitigen, daß er die Einzelabschlüsse zusammenfaßt, und zwar nicht im Wege einer einfachen Addition, sondern unter weitgehender Ausschaltung innerkonzernlicher Beziehungen. Ein in dieser Weise ,bereinigter‘ Konzernabschluß ist geeignet, die Vermögens- und Ertragslage des Konzerns wiederzugeben und darüber hinaus wertvolle Hinweise für die Beurteilung des einzelnen Konzernunternehmens zu liefern.“ BT-Drucks. 4/171, S. 241. 78 Zu denken ist auch an die wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb des Unternehmensverbunds in Form von Verbindlichkeiten und Forderungen zwischen den Konzernunternehmen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung lediglich als innerbetriebliche Liefer- und Leistungsbeziehungen abgebildet werden können, da eine Gewinnrealisierung erst bei Veräußerung an Konzernfremde eintritt, vgl. Küting/Grau/Seel, Grundlagen der Konzernrechnungslegung, DStR 2010, 35, 41; Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 611. Ausführlich zu der Problematik auch in Fällen von konzerninternen Veräußerungen unter Marktpreis, Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 22. 79 Lorch/Hablizel, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 958.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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resultiert ein Informationsdefizit, das zu einem unvollständigen Bild des Gesamtkonzerns führt.80 Mithilfe des Konzernabschlusses soll dieses Informationsdefizit im Unternehmensverbund ausgeglichen werden. Dieses Ziel spiegelt auch die zentrale Auslegungsnorm, § 297 Abs. 2 HGB, wider. Danach hat der Konzernabschluss „unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns zu vermitteln“. Im Unterschied zum Funktionenpluralismus des Einzelabschlusses bezeichnet Ekkenga den Konzernabschluss aufgrund dessen Beschränkung auf die Informationsfunktion als „monofunktional“.81 Diese Monofunktionalität sagt indes nichts über den Stellenwert des Konzernabschlusses aus. Vielmehr kommt ihm als Informationsinstrument eine erhebliche Bedeutung zu, dient er sowohl Aktionären wie Vorstand und Aufsichtsrat gleichermaßen als wichtige Entscheidungsgrundlage.82 Zu den weiteren Adressanten der Konzernrechnungslegung zählen etwa Gesellschafter von Tochterunternehmen sowie deren Management, Gläubiger, Lieferanten und Abnehmer sowie Behörden und die sonstige Öffentlichkeit.83 Der Konzernabschluss dient ihnen als Entscheidungshilfe für die Aufnahme geschäftlicher Beziehungen oder zur Kreditvergabe.84 Ziel des Konzernabschlusses ist aber nicht, den Jahresabschluss für einzelne Konzernunternehmen oder das Mutterunternehmen zu ersetzen. Vielmehr stehen Konzernabschluss, als Abbild der wirtschaftlichen Gesamtheit des Unternehmensverbunds, und Einzelabschluss selbständig nebeneinander, da jeder für sich keine ausreichende Informationsbasis bietet.85 Dies gilt für den Einzelabschluss wie für den konsolidierten Konzernabschluss gleichermaßen, denn Letzterer basiert nicht auf originärer Buchführung, sondern wird vielmehr derivativ aus den Einzelabschlüssen abgeleitet.86
80 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, S. 611; Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 2. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 6. Ausführlich zur eingeschränkten Funktion von Jahresabschlüssen von Konzernunternehmen, Colbe/Ordelheide/ Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 22. 81 Ekkenga, Neuordnung des Europäischen Bilanzrechts, BB 2001, 2362. 82 Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 606; Lorch/Hablizel, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 960. 83 Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 19; Kern, in: Brönner/Hahn, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, S. 970. 84 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 3. 85 Claussen/Scherrer, in: KK-AktG 2. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 13; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 3. 86 Küting/Grau/Seel, Grundlagen der Konzernrechnungslegung, DStR 2010, 35, 39.
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
II. Informationsmehrwert durch Konsolidierung Dass der Konzernabschluss auch gegenüber der Summe von Einzelabschlüssen einen höheren Informationswert hat, wird erst mit Blick auf die Funktionsweise des Konsolidierungsprozesses deutlich. Wie bereits erwähnt, gilt für den Konzernabschluss die Prämisse des § 297 Abs. 2 S. 2 HGB, welche auf dem angelsächsischen Grundsatz des „true and fair view“ basiert.87 Diese Generalklausel, die für die Auslegung der Einzelvorschriften maßgeblich ist, bestimmt und beschränkt gleichzeitig die Zwecke des konsolidierten Abschlusses auf den Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage („VFE-Lage“).88 Unter der Vermögenslage ist die getrennte Ausweisung von Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten sowie deren Bewertung in der Bilanz gemeint.89 Nach § 246 Abs. 2 i. V. m. § 298 Abs. 1 HGB sind diese Aktiva und Passiva unsaldiert auszuweisen. Aus der Differenz von Aktiva und Schulden lässt sich im Folgeschritt das Eigenkapital des Konzerns ermitteln.90 Die Darstellung der Finanzlage des Konzerns gibt Aufschluss über die vorhandene Liquidität und damit der Möglichkeit des Konzerns, seinen Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachzukommen. Neben der Ausweisung von Fremdkapital ist insbesondere die Gliederung von Eigenkapital, Rückstellungen und Verbindlichkeiten nach Restlaufzeiten und Rechtsbeziehungen für den Einblick in die Liquiditätslage des Konzerns von Bedeutung.91 Für Informationen zur Finanzlage sind vor allem Konzernbilanz und Konzernanhang aufschlussreich, vgl. § 268 Abs. 4 i. V. m. § 298 Abs. 1 HGB.92 Schließlich gibt die Darstellung der Ertragslage Auskunft über Erfolgsquellen wie Umsatzerlöse und Beteiligungserträge sowie die Struktur von Aufwendungen, wodurch sich im Folgeschritt der Jahresüberschuss oder -fehlbetrag ermitteln lässt. Maßgebliche Informationsquelle im Konzernabschluss ist die Gewinn- und Verlustrechnung, ergänzt um den Eigenkapitalspiegel. Weitere Angaben, beispielsweise zur angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethode (§ 313 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 HGB) sowie die Gliederung von Umsatzerlösen, sind dem Konzernanhang zu entnehmen, § 314 Abs. 1 Nr. 3 HGB. In diesem Zusammenhang eng verknüpft mit § 297 Abs. 2 S. 2 HGB ist der Grundsatz des § 297 Abs. 3 S. 1 HGB, wonach die VFE-Lage eines Konzerns so darzustellen ist, als ob es sich insgesamt um ein einziges Unternehmen handele. Dazu werden bilanztechnisch nach Aufstellung des Summenabschlusses die Einzelabschlüsse um die innerkonzernrechtlichen Beziehungen bereinigt.93 Erträge und Aufwendungen aus Lieferung und Leistung zwischen den Konzernunternehmen werden durch Aufrechnung eliminiert (sog. Aufwands- und Ertragskonsolidierung), 87 88 89 90 91 92 93
Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 54 f. Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 54 f. Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 26. Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 57. Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 27. Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 59. Küting/Grau/Seel, Grundlagen der Konzernrechnungslegung, DStR 2010, 35, 40.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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vgl. § 305 HGB.94 Ferner sind Schulden zu konsolidieren, indem alle konzerninternen Forderungen und Verbindlichkeiten eliminiert werden, § 303 HGB. Dies gilt gleichermaßen für die Beteiligungen an Konzernunternehmen, die gegen deren Eigenkapital aufzurechnen sind, § 301 HGB (Kapitalkonsolidierung).95 Ebenso zu neutralisieren sind Zwischengewinne, da diese noch nicht realisiert sind, § 304 HGB.96 Letztlich ergeben sich Konzernbilanz und Konzern-GuV aus der Summierung der verbleibenden Posten der Jahresabschlüsse, wobei eine vertiefte Darstellung für die Zwecke dieser Arbeit entbehrlich ist.97 Die derart bereinigten Jahresabschlüsse der Konzernunternehmen bilden sowohl den Unterschied als auch maßgeblichen Informationsmehrwert des Konzernabschlusses gegenüber den Einzelabschlüssen.
III. Grundlagen und Grenzen des bilanzrechtlichen Verbundkonzepts Die gegenwärtige Fassung des handelsrechtlichen Verbundkonzepts für die Konzernrechnungslegung geht auf das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts 2009 („BilMoG“) zurück.98 Die Konsolidierungspflicht für die Aufstellung des Konzernabschlusses knüpft einheitlich an § 290 HGB an. Seit dem BiRiLiG 1985 und bis zum BilMoG wurde die Konsolidierungspflicht von zwei unterschiedlichen Verbundkonzepten, dem Leitungskonzept und dem angelsächsischen ControlKonzept geprägt, die in § 290 Abs. 1 bzw. Abs. 2 HGB a. F. nebeneinander geregelt und gleichzeitig anwendbar waren. Erforderlich war zudem eine Beteiligung des Mutter- am einzubeziehenden Tochterunternehmen im Sinne von § 271 Abs. 1 HGB.99 Mit dem BilMoG wurde nicht nur dieses Beteiligungserfordernis sondern auch die zweispurige Anknüpfung an das Leitungskonzept in Abs. 1 bzw. das Control-Konzept in Abs. 2 Nr. 1 – 3 aufgehoben.100 Seither knüpft die Konsolidierungspflicht an die Möglichkeit der Beherrschung eines Unternehmens (Mutterunternehmen) über ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) an.101 Danach haben die gesetzlichen Vertreter einer inländischen Kapitalgesellschaft einen Kon94
Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 25. Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 25. 96 Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 57; Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 25. 97 Bei Interesse Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 25; Baetge/ Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 57. 98 BGBl. I 1101, Nr. 27 vom 25. 5. 2009. 99 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 20. 100 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 2; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 4; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 1. 101 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 23; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 1; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 4. 95
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
zernabschluss aufzustellen, sofern sie unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss über mindestens ein weiteres Unternehmen auszuüben vermögen. Die Voraussetzung, dass beherrschender Einfluss im Sinne einer einheitlichen Leitung tatsächlich ausgeübt werden muss, ist der alleinigen Einflussmöglichkeit gewichen. Einer aktiven Einflussnahme bedarf es nicht.102 Mit der Ablösung des Leitungskonzepts durch das Prinzip des beherrschenden Einflusses hat der Gesetzgeber ferner Gleichordnungskonzerne aus dem Anwendungsbereich der Konsolidierungspflicht ausdrücklich herausgenommen.103 Welche Voraussetzungen an die Möglichkeit zur Ausübung beherrschenden Einflusses zu stellen sind, eröffnet § 290 Abs. 1 HGB mangels Definition indes nicht. Zwar liefert die Gesetzesbegründung eine Umschreibung, wonach beherrschender Einfluss zu bejahen ist, „wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens dauerhaft zu bestimmen, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen.“104 Doch bleibt dieser Versuch einer Konkretisierung des beherrschenden Einfluss selbst unspezifisch. Unklar ist etwa, welche Bereiche eines Unternehmens nicht die Finanz- und Geschäftspolitik betreffen und daher für die Ermittlung unternehmerischer Abhängigkeit außer Betracht bleiben können oder welche Anforderung an die Nutznießung zu stellen sind. Als Handreiche zur Ermittlung der Konsolidierungspflicht dienen allein die Tatbestandsvarianten in § 290 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 HGB. Bis zum BilMoG als eigenständiges Anknüpfungskonzept ausgestaltet, kommt dem Tatbestandskatalog in § 290 Abs. 2 HGB nunmehr die Funktion von Regelbeispielen zu. Dabei handelt es sich bei den aufzählten Tatbeständen nicht jedoch um widerlegbare Vermutungen der Beherrschungsmöglichkeit im Sinne von § 290 Abs. 1 HGB.105 Denn nach dem Wortlaut besteht beherrschender Einfluss stets, wenn einer der aufgeführten Tatbestände vorliegt.106 Darunter fallen die seit dem BiRiLiG 1985 unveränderten 102
Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 4. Zwar wurde bereits auf Grundlage der mit dem AktG 1965 in § 329 AktG eingeführten Terminologie von „Obergesellschaft“ sowie der durch das BiRiLiG eingeführten „Mutter“und „Tochterunternehmen“ die Beschränkung der Konsolidierungspflicht auf Unterordnungskonzerne suggeriert. Das Konzept der einheitlichen Leitung nach § 18 AktG umfasst derweil grundsätzlich beide Konzerntypen, sodass sich Teile des Schrifttums von Beginn an für die Konsolidierungspflicht von Gleichordnungskonzernen ausgesprochen haben, so etwa Kronstein/Kirchner, in: KK-AktG, 1. Aufl. 1985, § 329 Rn. 3; Claussen/Scherer, in: KK-AktG 2 Aufl. 2004, § 290 Rn. 28; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. 1987, § 290 Rn. 13, 93 ff.; siehe auch Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 61 f., die kritisieren, dass der grundsätzliche Ausschluss von Gleichordnungskonzernen in besonderen Konstellationen Umgehungsmöglichkeiten eröffnet. 104 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/12407, S. 89; vgl. auch Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 14; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 28 f. 105 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 31; vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt/Kumpan et al., HGB, § 290 Rn. 9 ff.; Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 Rn. 31. 106 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 31; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 55 ff. Zu beachten sind allerdings die Befreiungstatbestände §§ 291 ff. HGB. 103
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Varianten der Stimmrechtsmehrheit (Nr. 1), das Bestellungs- und Abberufungsrecht in Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen (Nr. 2) sowie die Einflussnahme aufgrund Beherrschungsvertrags oder Satzungsbestimmung (Nr. 3). Durch das BilMoG als vierte Variante in den Konsolidierungskreis eingefügt wurde der sog. risk-and-reward Ansatz zur Konsolidierung von Zweckgesellschaften. Dabei handelt es sich nach dem handelsrechtlichen Verständnis um Unternehmen,107 die dem Erreichen eines eng definierten Ziels der Muttergesellschaft dienen, wobei Letztere die wirtschaftlichen Risiken und Chancen jener Zweckgesellschaft trägt.108 Diese typisierten Tatbestände ermöglichen eine vergleichsweise einfache Prüfung der bestehenden Konsolidierungsplicht aufgrund der zumindest in § 290 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB nach ganz überwiegender Meinung formal-rechtlichen Betrachtungsweise.109 Auch lassen sich aus dem jeweiligen Einflusspotential, das regelmäßig mit den Tatbeständen in § 290 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB einhergeht, Aussagen über die hinreichenden Anforderungen einer Beherrschungsmöglichkeit treffen. Dennoch sind die Tatbestände in Abs. 2 für die Bestimmung beherrschenden Einflusses in der Generalnorm in § 290 Abs. 1 HGB nur von begrenztem Wert. Bis zum BilMoG bildeten die Tatbestände in § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 HGB a. F. eine abschließende Aufzählung der Varianten des Control-Konzepts.110 Seit dem BilMoG handelt es sich bei den Tatbeständen in § 290 Abs. 2 HGB um nicht abschließende Regelbeispiele. Andernfalls wäre der Generalnorm in § 290 Abs. 1 HGB ein eigener Anwendungsbereich vollständig entzogen. Welche Konstellationen jedoch unter § 290 Abs. 1 HGB zu subsumieren sind, eröffnet der Tatbestand nicht. Hier offenbart sich die beschränkte Indizwirkung der Tatbestände in § 290 Abs. 2 HGB für die Auslegung der Generalklausel.
IV. Untersuchungsausblick Ein näherer Blick auf die handelsrechtliche Verbundklausel in § 290 HGB offenbart die Grenzen der Auslegung bestimmenden Einflusses. Aus der Vorschrift 107 Auf die Unternehmensqualität von Zweckgesellschaft im rechtlichen Sinne, die mangels eigener nach außen in Erscheinung tretender Organisation im Regelfall nicht besteht, kommt es derweil nicht an, siehe Lüdenbach/Freiberg, Mutter-Tochter-Verhältnisse, BB 2009, 1230, 1233; ebenso Ernst/Seidler, Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts, BB 2009, 766, 768. 108 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 51; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 100. Ausführlich zu Zweckgesellschaften im weiteren Verlauf unter S. 137 ff. 109 Ausführlich zur formellen vs. materiellen Auslegung der Tatbestände Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 61 – 64; siehe auch Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 Rn. 31; Küting/Seel, Neukonzeption des Mutter-Tochter-Verhältnisses nach HGB, BB 2010, 1459, 1460 f.; vgl. Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 35. A. A. Leinen, in: Handbuch BilMoG, S. 667 f.; Keitz/Ewelt, Die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme, IRZ 2010, 447, 454. 110 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 32.
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
selbst lässt sich nur unzureichend ableiten, wodurch beherrschender Einfluss außerhalb der einzelnen Tatbestände in § 290 Abs. 2 HGB begründet werden kann. Mangels dieser hinreichenden Anhaltspunkte rekurrieren einige Stimmen im Schrifttum auf das aktienrechtliche Beherrschungsverständnis.111 Offenbar weckt die begriffliche Nähe Assoziationen zum aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff und legt eine Orientierung am dortigen Beherrschungsverständnis nahe. Eine solche Schlussfolgerung gründet jedoch auf dem wenig überzeugenden Argument einer terminologischen Ähnlichlichkeit. Inwieweit eine Orientierung am Aktienrecht zulässig ist, gilt es vielmehr anhand der rechtshistorischen Verflechtung der Rechtsgebiete und der Entwicklung des § 290 HGB, insbesondere mit Blick auf die Modifizierung des Verbundkonzepts durch das BilMoG zu untersuchen. Dabei ist insbesondere die mit der Aufgabe des Leitungskonzeptes und Einfügung des Beherrschungstatbestands einhergehende Intention des Gesetzgebers zu untersuchen, um festzustellen, ob sich eine Orientierung des § 290 HGB an § 17 AktG rechtshistorisch begründen lässt.
C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht Auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erfasst verbundene, aber gleichwohl rechtlich selbständige Unternehmen gesetzlich und knüpft an den bereits bestehenden sowie den erst entstehenden Unternehmensverbund unterschiedliche Rechtsfolgen. Im Gegensatz zum Konzernrecht erfasst das GWB diesen aber nicht zum Zwecke der Organisation der Rechtsbeziehungen zwischen den Unternehmen innerhalb des Unternehmensverbunds. Der Zweck des GWB wie auch des europäischen Wettbewerbsrechts, das sich ebenfalls eigener Verbundkonzepte bedient, liegt vielmehr im Schutz des Wettbewerbs und der unternehmerischen Handlungsfreiheit.112 Die wettbewerbliche Perspektive ruht daher nicht auf dem 111 Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 Rn. 21, auch Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. § 15 Rn. 17; Lüdenbach/Freiberg, Mutter-Tochter-Verhältnisse durch beherrschenden Einfluss, BB 2009, 1230; ebenso Hoffmann/Lüdenbach, in: NWB Kommentar Bilanzierung, § 290 Rn. 8 ff.; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 13 ff. 112 Schulte/Just, in: Schulte/Just (Hrsg.), Kartellrecht, Einleitung Rn. 18; Emmerich/Lange, Kartellrecht, S. 1; Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 2 f.; auf europäischer Ebene bestimmt Art. 3 EUV i. V. m. Protokoll 27 zum AEUV als Ziel der Europäischen Union die Schaffung eines Binnenmarktes, der „ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“, ABl. EU Nr. 2008/C 115/30 (Protokolle); ABl. EU Nr. 2012/C 326/17 (EUV). Aufgabe des GWB ist laut Gesetzgeber die Sicherstellung der Freiheit des Wettbewerbs und Beseitigung Wettbewerb beeinträchtigender wirtschaftlicher Macht, BT-Drucks. II/1158. Gemein haben die Rechtsordnungen ferner, dass sie den Wettbewerb schützen, ohne ihn zu definieren. Bisherigen Ansätzen ist es nicht gelungen, wirtschaftlichen Wettbewerb in seiner Komplexität und Variabilität vollständig zu erfassen. So beschreibt bereits der Ausschussbericht über den Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 1953, unter Wettbewerb sei „jede Art wirtschaftlicher Handlung zu verstehen […], die darauf gerichtet ist, sich im Wirtschaftskampf auf
C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht
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Unternehmensverbund als solchem, sondern sieht ihn vielmehr als Ausgangspunkt für die Ermittlung seiner marktbedingten Auswirkungen auf den Wettbewerb. Der Blick auf die wettbewerbsrelevante Marktmacht eines rechtlich selbständigen Unternehmens würde insoweit verfälscht, bliebe beispielsweise die Eingliederung in einen Konzernverbund oder sonstige Unternehmensverbindung außer Betracht. Denn zwischen verbundenen Unternehmen ist Wettbewerb ausgeschaltet.113 Aus diesem Grund betrachtet das Wettbewerbsrecht verbundene Unternehmen als wirtschaftliche bzw. wettbewerbliche Einheit, mithin als einheitliches Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts.114 Erscheint die Erfassung des Unternehmensverbunds vor diesem Hintergrund ohne Weiteres nachvollziehbar, zeichnet sich das GWB allerdings dadurch aus, dass im Zuge der Zusammenschlusskontrolle gleich zwei unterschiedliche Verbundkonzepte in § 36 Abs. 2 GWB, der sog. Verbundklausel, sowie dem Kontrollbegriff in § 37 Kosten eines Mitbewerbers einen Vorteil zu verschaffen.“, Schriftlicher Bericht des Ausschußes für Wirtschaftspolitik 1953, BT-Drucks. 2/3644, S. 15. Dieser Definitionsversuch stellt jedoch allein auf die konkreten Wettbewerbsbeziehungen zwischen Mitbewerbern ab und vermag somit wichtige Aspekte des Wettbewerbs nicht abzubilden, Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 5. Auch die Definition im Regierungsentwurf zum GWB vermag nicht vollends zu überzeugen, da diese den Wettbewerb auf Nachfrageseite außer Acht lässt, Bechtold/Bosch, GWB, Einführung, Rn. 52. Danach ist „als Wettbewerb das Streben zu betrachten, durch eigene Leistung, die nach Qualität oder Preis besser ist als die Leistung anderer Unternehmen, den Verbraucher zum Abschluß eines Vertrages zu veranlassen.“ RegE zum Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 1955, BT-Drucks. 2/1158, S. 31. Das GWB unterstellt Wettbewerb ebenso wie dessen Freiheit schlicht als gegeben, denn die Beschränkung von Wettbewerb durch private Akteuere setzt deren wirtschaftliche Freiheit und damit Privatautonomie voraus, die ihrerseits erst Wettbewerb zwischen unabhängigen Unternehmen ermöglicht. Dabei geht das GWB für sein wettbewerbspolitisches Leitbild vom Modell der vollständigen Konkurrenz aus und damit optimalem Wettbewerb. Bei Letzterem handelt es sich aufgrund der Unvollkommenheit von Märkten um eine Fiktion, Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 6. Angesichts der Marktunvollkommenheit und der Vielzahl der Parameter im Wettbewerbsprozess erscheint eine abschließende Wettbewerbsdefinition ausgeschlossen, da sich die Ergebnisse dieses Prozesses nicht mit Sicherheit vorhersagen lassen. Vor diesem Hintergrund hat v. Hayek Wettbewerb als „Entdeckungsverfahren“ bezeichnet und mit dem Experimentieren in der Wissenschaft verglichen. Denn „keine Theorie kann ihm gerecht werden, die von der Annahme ausgeht, daß die Tatsachen, die entdeckt werden sollen, schon bekannt seien“, Hayek, Die Verfassung einer Gesellschaft freier Menschen, S. 97 ff. 113 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; vgl. Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 Rn. 136; so schon Ruppelt, in: Bahr/Langen/Bunte et al., Kartellrecht, 11. Aufl. 2011, § 36 GWB Rn. 58. 114 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 63; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al., Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 215; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. Von wettbewerblicher Einheit spricht auch der Gesetzgeber, Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26. Für die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Einheit im europäischen Wettbewerbsrecht Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 679; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al., Kartellrecht, § 36 Rn. 216; BGH, Beschluss v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78 – „WAZ“, BGHZ 74, 359, 364.
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
Abs. 1 Nr. 2 GWB parallel zu Anwendung kommen. Im Unterschied zum Aktienrecht kommt diesen Verbundtatbeständen im GWB nicht die Funktion von allgemeinen Definitionen zu, an die sich unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen. Vielmehr erfüllen die beiden Tatbestände selbst bereits konkrete Funktionen innerhalb der Fusionskontrolle, sind aber auch darüber hinaus – zumindest die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB – im gesamten GWB anwendbar.
I. Zusammenschlusskontrolle des GWB Sowohl die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB als auch der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB sind systematisch innerhalb der Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle, §§ 35 ff. im GWB verankert. Neben dem Kartellverbot und der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen bildet die Zusammenschlusskontrolle die sog. dritte Säule des Kartellrechts.115 Ursprünglich noch als reine Anzeigepflicht ausgestaltet, führte die 2. Novelle 1973 die vorbeugende, materielle Zusammenschlusskontrolle ins GWB ein, die nunmehr im siebten Abschnitt in den §§ 35 bis 43 GWB geregelt ist.116 Zweck der Fusionskontrolle ist die Verschlechterung der Marktstruktur durch den Zusammenschluss von im Wettbewerb stehenden Akteuren zu verhindern. Durch die Konzentration von Unternehmen wird der bestehende Wettbewerbsdruck in einem Markt verringert – die erwünschten Wettbewerbsfunktionen gehen verloren und vermögen die Marktergebnisse negativ zu beeinflussen.117 Unmittelbar dient die Fusionskontrolle damit allein gesamtwirtschaftlichen Belangen.118 Die Fusionskontrolle findet nur auf Zusammenschlüsse Anwendung und damit sog. „externes“ Wachstum rechtlich selbständiger Unternehmen durch Konzentration.119 Für bestehende marktbeherrschende Unternehmen und selbst monopolistische Wirtschaftsteilnehmer sieht das GWB kein Konzentrationsverbot vor oder die Möglichkeit einer Entflechtung von Konzernen wie aus dem US-amerikanischen Anti-Trust-Recht bekannt.120 Internes Wachstum von Unternehmen durch eigene Leistung und ihrem Streben nach Behauptung am Markt schränkt das GWB gerade nicht ein, selbst wenn dies zu einer marktbeherrschenden Stellung führt. Allein 115
Rn. 2.
Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, Vor. § 35 GWB
116 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 36 GWB Rn. 783, 798 f. 117 Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 23; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 1 f. 118 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn 2. 119 Vgl. Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 1 f. 120 Zur Debatte über die Einführung einer Entflechtungsregelung ins GWB siehe Bechtold, Zum Referentenentwurf einer Entflechtungsregelung, BB 2010, 451; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 1.
C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht
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missbräuchliche Verhaltensweisen sind durch das GWB verboten.121 Im Unterschied zur Marktmissbrauchskontrolle knüpft das GWB bei der Fusionskontrolle nicht an das eigentliche (missbräuchliche) Marktverhalten der Beteiligten an. Vielmehr stellt der Zusammenschluss selbst die Wettbewerbsbeschränkung dar, unabhängig vom Marktverhalten des neu entstandenden bzw. der zusammengeschlossenen Unternehmen. Das Wettbewerbsrecht intendiert derweil nicht die Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen per se, sondern richtet sich allein gegen solche, die den Wettbewerb erheblich zu behindern drohen. Von den beteiligten Unternehmen muss daher nicht nur wesentlicher Einfluss auf den relevanten Markt ausgehen, sondern auch eine durch den Zusammenschluss verursachte Verschlechterung der Marktstruktur. Primär richtet sich daher die Fusionskontrolle nach § 36 Abs. 1 GWB gegen Zusammenschlüsse, durch die eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird und den Wettbewerb erheblich behindern würden.122 Die kartellrechtliche Zusammenschlusskontrolle gliedert sich systematisch in die sog. formelle und die materielle Fusionskontrolle.123 Zusammenfassend fallen unter die formelle Fusionskontrolle alle Vorschriften, die den Anwendungsbereich des Gesetzes festlegen. Ungeachtet der Verfahrensvorschriften in §§ 40 ff. GWB sind neben den Zusammenschlusstatbeständen (§ 37 Abs. 1 GWB), mithin der Frage, ob überhaupt ein relevanter Zusammenschluss und damit Konzentrationsvorgang vorliegt, hier insbesondere die Schwellenwerte gem. § 35 Abs. 1 GWB zu nennen.124 Die Fusionskontrolle richtet sich gegen solche Unternehmenszusammschlüsse, von denen schädliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur zu befürchten sind. Dieses Kriterium schließt auch kleine Märkte ein.125 Dennoch soll die Fusionskontrolle nur auf wirtschaftlich bedeutende Zusammenschlüsse Anwendung finden.126 Für die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschriften sind in § 35 Abs. 1 GWB Schwellenwerte bestimmt, die sich nach den Umsätzen der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen richten.127 Übersteigen die Umsätze der beteiligten 121 Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 23; Staebe/Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, Vor § 35 GWB Rn. 1 ff. 122 Zur Unanwendbarkeit von § 36 Abs. 1 S. 1 GWB vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 1 – 3 GWB. 123 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 11 ff. Diese Unterscheidung ist begrifflich misslungen, suggeriert sie doch, dass sich die formelle Fusionskontrolle für die Anwendbarkeitsprüfung fester Kriterien bedienen kann und keine normativen Aspekte zu berücksichtigen braucht. Dies ist aber durch den Verweis auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand in § 36 Abs. 2 GWB, der maßgebliche Bedeutung für die Berechnung von Konzernumsätzen hat, gerade nicht der Fall. Insbesondere die nach § 17 Abs. 1 AktG zu ermittelnde Abhängigkeit bedarf einer normativen Prüfung. 124 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 13. 125 Die Größe eines Marktes und seine volkswirtschaftliche Bedeutung sind unbeachtlich, sofern die Bagatellschwelle des § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB überschritten ist, vgl. Bechtold/ Bosch, GWB, § 36 Rn. 7. 126 Wessely, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 35 GWB Rn. 14. 127 Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 35 GWB Rn. 1.
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
Unternehmen eine der in § 35 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 GWB genannten Schwellenoptionen, unterfällt der Zusammenschluss den Vorschriften der Fusionskontrolle. Den Schwellenwerten des GWB kommt eine doppelte Abgrenzungsfunktion zu. Werden sie von den kumulierten Umsätzen der beteiligten Unternehmen unterschritten, ist die Fusionskontrolle nicht anwendbar. Dies gilt selbst im Falle eines Zusammenschlusses kleinerer Unternehmen, der auf dem jeweiligen Markt einen hohen Marktanteil oder gar eine Monopolstellung nach sich zieht.128 Überschreiten die beteiligten Unternehmen hingegen die Schwellenwerte in Art. 1 Abs. 2 FKVO,129 so findet nach § 35 Abs. 3 GWB das nationale Wettbewerbsrecht ebenfalls keine Anwendung,130 sondern allein europäisches Wettbewerbsrecht. Denn in der Zusammenschlusskontrolle findet die in § 22 Abs. 1 GWB verankerte parallele Anwendbarkeit von GWB und europäischem Wettbewerbsrecht ihre Grenze, vgl. § 35 Abs. 3 GWB, Art. 21 Abs. 3 FKVO.131 Liegen alle sog. Aufgreifkriterien der formellen Fusionskontrolle vor und ist nationales Recht anwendbar, geht es bei der anschließenden materiellen Kontrolle um die Frage, ob das BkartA den Zusammenschluss untersagen oder freigeben muss.132 Entscheident dafür ist nach § 36 Abs. 1 GWB, ob von dem Zusammenschluss eine erhebliche Behinderung des Wettbewerbs zu befürchten ist.133 Dafür haben die Wettbewerbsbehörden eine Prognose anhand verschiedener Parameter (sog. Eingreifkriterien)134 zu erstellen, welche die negativen Veränderungen für den Wettbewerbsprozess durch den Zusammenschluss aufzeigen.135 Die kartellrechtlichen Verbundkonzepte sind indes überwiegend im Rahmen der formellen Fusionskontrolle von Bedeutung, sodass auf eine weitergehende Darstellung der materiellen Fusionskontrolle verzichtet werden kann. Im Folgenden wird zunächst die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB vorgestellt (II.), die für die Ermittlung der wirtschaftlichen Größe des Konzerns von Bedeutung ist. Anschließend ist der Kontrollerwerb in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu beleuchten (III.), der bei der Zusam128
Wessely, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 35 GWB Rn. 5. Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. 1. 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Amtsblatt Nr. L 024 vom 29. 1. 2004. 130 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 35 GWB Rn. 1. 131 Hier besteht ein grundsätzlicher Anwendungsvorrang. Art. 21 Abs. 3 FKVO legt fest, dass Mitgliedstaaten auf Zusammenschlüsse von unionsweiter Bedeutung ihr nationales Recht nicht anwenden dürfen. Aufgrund der exklusiven Zuständigkeit der nationalen Kartellbehörden oder der Kommission (sog. one-stop-shop-Prinzip), können daher Konflikte im Bereich der Fusionskontrolle nicht eintreten, vgl. Westermann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, FKVO, Art. 21 Rn. 3; Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 58. Im Übrigen wird die Anwendung durch die Toleranz- (§ 35 Abs. 2 S. 2 GWB) und Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 S. 1 GWB) eingeschränkt, Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 13. 132 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 1. 133 Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 1. 134 Emmerich/Lange, Kartellrecht, S. 305. 135 Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 17. 129
C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht
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menschlusskontrolle im engeren Sinne zur Anwendung kommt. Abgeschlossen wird diese Einleitung durch einen Ausblick auf den Gang und Gegenstand der kartellrechtlichen Untersuchung (IV.).
II. Die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB Das Kartellrecht erfasst den Unternehmensverbund in seiner wirtschaftlichen bzw. wettbewerblichen Gesamtheit und blickt damit von einer Außenperspektive auf die Unternehmensverbindungen. Dies entspricht dem Regelungszweck der Zusammenschlusskontrolle, welche gerade nicht das innerorganisatorische Machtungleichgewicht innerhalb eines Unternehmensverbunds zu regulieren bzw. auszugleichen sucht, sondern allein den Markt vor wettbewerbsschädlichen Konzentrationsvorgängen schützen will.136 In der formellen Fusionskontrolle kommt die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB bei der Berechnung der Umsatzschwellenwerte nach § 35 GWB zur Anwendung. Danach sind verbundene aber rechtlich selbständige Unternehmen im GWB als wirtschaftliche bzw. wettbewerbliche Einheit anzusehen.137 Ihr Anknüpfungspunkt sind die am Zusammenschluss materiell unmittelbar beteiligten Unternehmen.138 Aufgrund der Verbundklausel sind für die zu ermittelnden Schwellenwerte der formellen Fusionskontrolle nicht nur die Umsätze dieser Unternehmen zu berücksichtigen, sondern darüber hinaus auch die Umsätze aller mit ihnen verbundenen Unternehmen zu addieren. Für Unternehmen, die Teil eines Konzernverbunds sind, kann dies ganz erhebliche Auswirkungen haben. Diese Betrachtung der verbundenen Unternehmen als wirtschaftliche und wettbewerbliche Einheit berücksichtigt die hinter den einzelnen Unternehmen stehende, tatsächliche
136
Siehe dazu bereits die Nachweise in 1. Kap. Fn. 112. Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 63; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 215; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. Von wettbewerblicher Einheit spricht auch der Gesetzgeber, Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26. Für die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Einheit im europäischen Wettbewerbsrecht Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 785; Neuhaus, in: Loewenkampff/ Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 216; Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 36 GWB Rn. 50; BGH, Beschluss v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78 – „WAZ“, BGHZ 74, 359, 364. 138 § 35 Abs. 1 GWB geht vom materiellen Beteiligungsbegriff aus und damit von den unmittelbar den Zusammenschluss vollziehenden Unternehmen. Zur Unterscheidung zwischen den in der Fusionskontrolle unterschiedenen formell und materiell beteiligten Unternehmen siehe Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 35 GWB Rn. 25; Wessely, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 35 Rn. 11 ff. 137
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
ökonomische Größe der Unternehmensgruppe im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle.139 Der Anwendungsbereich der Verbundklausel ist derweil nicht auf die Zurechnung von Umsätzen im Rahmen der formellen Zusammenschlusskontrolle beschränkt. Auch in der sich anschließenden materiellen Zusammenschlusskontrolle für die Ermittlung der Marktmacht einer Unternehmensgruppe findet der Tatbestand Anwendung. Die Unterscheidung zwischen der formellen und materiellen Zusammenschlusskontrolle folgt im Gesetz insoweit keinem klaren Aufbau. Darüberhinaus wurde der Anwendungsbereich der Verbundklausel durch den Wegfall der Zweckbeschränkung auf die Marktanteils- und Umsatzberechnung mit der 6. GWB-Novelle 1998 ausgeweitet.140 Ungeachtet der systematischen Stellung innerhalb der Vorschriften zur Fusionskontrolle ist die Verbundklausel seither auf das gesamte GWB und somit auch auf die Marktmissbrauchskontrolle und das Kartellverbot im eigentlichen Sinne anzuwenden.141 Wie die Verbindung zwischen zwei rechtlich selbständigen Unternehmen im Einzelnen ausgestaltet ist, bleibt aus wettbewerblicher Perspektive zweitrangig. Entscheidend ist vielmehr, dass die Unternehmen in einer Art und Weise miteinander verflochten sind, dass sie wirtschaftlich und wettbewerblich eine Einheit konstitutieren. Gleichwohl muss auch das Wettbewerbsrecht für die Qualifikation einer wirtschaftlichen bzw. wettbewerblichen Einheit rechtlich selbständiger Unternehmen Voraussetzungen und Abgrenzungskriterien aufstellen, um etwa organisatorisch verbundene Unternehmen von solchen zu unterscheiden, die lediglich enge Geschäftsbeziehungen pflegen. Insoweit ist, der Außenperspektive, die das Wettbewerbsrecht auf den Unternehmensverbund einnimmt, zum Trotz, die Art und Weise der Verbindung zwischen den Unternehmen letztlich doch maßgeblich. Besonders ist, dass sich die wettbewerbliche Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB keines eigenen wettbewerblich geprägten Verbundkonzepts bedient. Vielmehr hat sich der historische Gesetzgeber am aktienrechtlichen Verbundkonzept in §§ 17, 18 AktG orientiert und die Verbundklausel als ausdrücklichen und damit dynamischen Verweis auf das gesellschaftsrechtliche Abhängigkeitskonzept ausgestaltet. Danach sind abhängige und beherrschende Unternehmen im Sinne des § 17 AktG sowie Konzernunternehmen nach § 18 AktG als einheitliches Unternehmen anzusehen. 139
Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26; vgl. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 681; Emmerich/Lange, Kartellrecht, S. 287; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. 140 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; vgl. Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 128; BGH, Urteil v. 23. 6. 2009 – KZR 21/08 – AG 2009, 742, 732. 141 Begründung 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 v. 29. 1. 1998, S. 56 f.; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 269.
C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht
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Festzuhalten ist insoweit, dass sich das Wettbewerbsrecht eines gesellschaftsrechtlichen Verbundkonzepts bedient, welches aufgrund der universellen Geltung der kartellrechtlichen Verbundklausel dem gesamten GWB als Zurechnungskonzept zugrunde liegt. Inwieweit das geltende, restriktive Abhängigkeitsverständnis des AktG jedoch mit den Zwecken des GWB zu vereinbaren ist, wird das folgende Kapitel zu beleuchten haben.
III. Der Kontrollerwerb in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB Obwohl die Verbundklausel für das gesamte GWB Anwendung findet, verwendet das GWB mit dem Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB einen weiteren Verbundtatbestand. Auch der Kontrollerwerb ist im Zuge der Anwendbarkeit der Fusionskontrollnormen zu prüfen und damit Teil der formellen Fusionskontrolle.142 Neben den Schwellenwerten in § 35 Abs. 1 Nr. 1, 2 GWB, welche durch die addierten Umsätze der beteiligten Unternehmen erreicht werden müssen,143 setzt das Gesetz voraus, dass überhaupt ein Zusammenschluss zwischen den Beteiligten im kartellrechtlichen Sinne vorliegt. Die Gefahr für den Wettbewerb liegt in der Konzentration seiner Teilnehmer – der Zusammenschluss bildet das konzentrative Element.144 Dieser ist jedoch nicht erst im Falle der gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung oder Fusion gegeben. Der relevante Konzentrationsgrad und damit die strukturelle Gefährdungslage für den Wettbewerb setzt, insbesondere im deutschen Wettbewerbsrecht, selbst die Möglichkeit, beherrschenden Einfluss auszuüben, nicht voraus.145 Eine Legaldefinition des Zusammenschlusstatbestands enthält das Gesetz nicht. Dieser setzt sich vielmehr aus den vier abschließenden Einzeltatbeständen des Vermögens-, Kontroll- und Anteilserwerbs sowie der Möglichkeit wettbewerblich erheblicher Einflussnahme zusammen und verleiht der Zusammenschlusskontrolle einen formalen Charakter.146 Allerdings knüpfen allein die Tatbestände des Vermögens- und Anteilserwerbs (Abs. 1 Nr. 3) ausschließlich an formale Merkmale an, die, unabhängig von ihrer wettbewerblichen Relevanz, einen Zusammenschluss begründen.147 Sie werden ergänzt, um die materiellrechtlich geprägten Tatbestände des Kontrollerwerbs (Nr. 2) und der Möglichkeit zur Ausübung wettbewerblich 142
Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 1. Vgl. Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 7. 144 Vgl. zum Zweck des Zusammenschlusstatbestands in Abgrenzung zur Verbundklausel Pohlmann, Der Unternehmensverbund, S. 73. 145 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 1 f. 146 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 7; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 1 f. 147 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 1 f.; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 1. 143
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1. Kap.: Vorstellung der Verbundkonzepte
erheblichen Einflusses (Nr. 4).148 Letzterer gilt allerdings aufgrund seines Wortlauts („jede sonstige Verbindung“) nur subsidiär und hatte bereits vor der 6. GWB-Novelle die Funktion einer Auffangklausel.149 Derweil hat der Kontrollerwerb für den Zusammenschlussbegriff den Charakter einer Generalklausel. Gleichzeitig ist der Kontrollerwerb auch der statistisch wichtigste Zusammenschlusstatbestand.150 Nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB liegt ein Zusammenschluss vor, wenn ein oder mehrere Unternehmen Kontrolle über die Gesamtheit oder Teile eines oder mehrerer Unternehmen erwerben. Unter Kontrolle ist nach dem Gesetzeswortlaut die Möglichkeit zu verstehen, bestimmenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben zu können. Der Kontrollbegriff erscheint damit dem aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzept insoweit nicht unähnlich. Gleichwohl besteht bereits terminologisch keine vollkommende Deckungsgleichheit zwischen den Tatbeständen. Der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB stimmt derweil mit dem Kontrollkonzept in Art. 3 Abs. 2 FKVO überein, welches der Gesetzgeber im Zuge des damaligen Angleichungsbestrebens zwischen dem GWB und der FKVO mit der 6. GWBNovelle 1998 in das deutsche Recht übernommen hat.
IV. Kontrolle versus Beherrschung Dieses Nebeneinander unterschiedlicher Verbundtatbestände innerhalb der Fusionskontrolle wirft mehrere Fragen auf: Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede bestehen zwischen beherrschendem Einfluss nach § 36 Abs. 2 GWB und bestimmendem Einfluss nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB? Lassen sich Rückschlüsse aus den Voraussetzungen eines Verbundkonzepts auf das jeweils andere übertragen? Liegt eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Verbundklausel auch im Falle einer Kontrolle über ein anderes Unternehmen im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB vor bzw. liegen im Falle beherrschenden Einflusses stets die Voraussetzungen für einen Zusammenschluss vor? Schließlich wirft die parallele Verwendung zweier offensichtlich unterschiedlicher Verbundkonzepte die übergeordnete Frage nach der Notwendigkeit zur Differenzierung auf.
148
Schütz, in: Busche/Röhling/Bergmann, KK-Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 1 ff. Auf ihre Darstellung wird im Rahmen des Hauptteils eingegangen; für die Zwecke der Vorstellung der maßgeblichen Verbundtatbestände bleibt § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB außer Betracht. 150 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 57; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 61; Schütz, in: Busche/Röhling/ Bergmann, KK-Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 12; Monopolkommission, 20. Hauptgutachten, Tabelle IV.3, Rn. 581. 149
C. Abhängigkeit und Kontrolle im Kartellrecht
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V. Untersuchungsausblick Um diese Fragen zu beantworten, widmet sich die kartellrechtliche Untersuchung der näheren Beleuchtung der vorgestellten Verbundkonzepte. Neben den rechtshistorischen Gründen für die Verwendung sowohl des Abhängigkeitstatbestands als auch des Kontrollbegriffs in der Fusionskontrolle sind materielle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Verbundkonzepten aufzudecken. Die kartellrechtliche Untersuchung hat somit aufzuklären, ob bestimmender und beherrschender Einfluss identisch sind oder, falls nicht, wo Differenzen bestehen. Dazu sind die Voraussetzungen der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB als auch des Kontrollbegriffs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB aufzuschlüsseln. Mit Blick auf die Verbundklausel stellt sich die Frage, inwieweit das geltende gesellschaftsrechtliche Abhängigkeitsverständnis im GWB Wirkung entfaltet und mit den wettbewerblichen Regelungszwecken vereinbar ist. Demgegenüber sind für den Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB zunächst dessen europäische Rechtsquellen und ihr Einfluss auf die Auslegung im GWB zu bestimmen. Sodann sind die Voraussetzungen bestimmenden Einflusses aufzudecken und näher zu skizzieren. Auf Grundlage der so ermittelten Einflussparameter, der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Verbundkonzepten ist im Dritten Kapitel die Frage nach der Erforderlichkeit zwei paralleler Verbundkonzepte im GWB zu beantworten und ggf. ein Lösungsvorschlag für ein alternatives Regelungskonzept de lege ferenda zu unterbreiten.
Zweites Kapitel
Rekonstruktion der Verbundtatbestände im Konzern-, Bilanz- und Wettbewerbsrecht A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht Die Wurzeln des aktienrechtlichen Beherrschungsverständnisses reichen bis in die 1930er Jahre zurück. Ein solch weitreichender normgeschichtlicher Hintergrund suggeriert ein etabliertes Normverständnis. Tatsächlich besteht jedoch selbst 50 Jahre nach Verabschiedung des Aktienrechts 1965 und des seither nicht mehr veränderten Wortlauts keine Einigkeit über die verschiedenen Einflussmöglichkeiten, durch die ein Abhängigkeitsverhältnis nach § 17 AktG begründet werden kann. Ausschlaggebend sind dafür zwei Faktoren, die mit Blick auf das untersuchte konzernbilanzrechtliche Verbundkonzept besonders deutlich werden: Auf der einen Seite weist der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand einen erheblichen Abstraktionsgrad auf. Rückschlüsse auf die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses im Aktienrecht lassen sich nur aus der gesetzlichen Vermutung in § 17 Abs. 2 AktG ableiten. Diese ist jedoch zum einen widerleglich und zum anderen nicht abschließend. Auf der anderen Seite knüpft der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand nicht an eine einzelne Rechtsfolge an, wie etwa die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses, vgl. § 290 Abs. 1 HGB, sondern ist als alleinstehende Definitionsnorm zentraler Anknüpfungstatbestand zahlreicher Regelungen, vgl. §§ 56 Abs. 2, 71d S. 2, 311, 312, 317 Abs. 1 und 3 AktG.1 Diese Normverweise gilt es im Rahmen der Auslegung des Abhängigkeitstatbestands zu berücksichtigen. Zu Recht stellt Koppensteiner fest, dass sich „über den Inhalt des Abhängigkeitsbegriffs ohne Berücksichtigung der Normen, deren Tatbestand diesen Begriff enthalten, auch nichts Abschließendes sagen [lasse]“.2 Die Normzweckdiversität der Anknüpfungstatbestände stellt die Auslegung des Abhängigkeitstatbestands daher vor eine Herausforderung. 1 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 24; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 4 f.; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 20. Weitere Verweisungen finden sich in §§ 71a Abs. 2, 89 Abs. 2; 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 115 Abs. 1 S. 2, 134 Abs. 1 S. 4, 136 Abs. 2 S. 1, 145 Abs. 3, 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 293d Abs. 1 S. 2, 302 Abs. 2, 305 Abs. 2 Nr. 2, 320b Abs. 1 S. 3, siehe Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 24; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 4 f. 2 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 14; auch Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 9. So schon zuvor Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2475; Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1466.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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Überdies sind die Gesetzesmaterialien zu § 17 AktG von begrenztem Wert, lässt sich ihnen ein Argument weder für noch gegen ein weites Abhängigkeitsverständnis entnehmen.3 Vielmehr hat die Gesetzesbegründung jedwede Determination etwa der Einflussgrundlagen ausdrücklich offengelassen: „Der Entwurf verzichtet darauf, mögliche Grundlagen eines Beherrschungsverhältnisses zu erwähnen. Eine abschließende Aufzählung hat sich als unmöglich erwiesen. (…) Der Entwurf beschränkt sich daher auf das Erfordernis des beherrschenden Einflusses. Dieser kann auf verschiedensten Grundlagen beruhen.“4
Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst die Frage nach dem Ausgangspunkt der Untersuchung des Abhängigkeitsverständnisses. Eine hermeneutische Untersuchung des Abhängigkeitsbegriffs ohne Berücksichtigung der Anknüpfungstatbestände vermittelt ein unzureichendes Bild beherrschenden Einflusses. Ebenso wenig zur Konkretisierung des Abhängigkeitsverständnisses trägt ein Blick auf die Gesetzesbegründung bei. Auch eine Untersuchung der einzelnen Anknüpfungstatbestände ermöglicht letztlich keine Bestimmung beherrschenden Einflusses. Mit Blick auf deren Regelungszwecke lässt sich lediglich festhalten, ob der Abhängigkeitstatbestand eng oder weit auszulegen ist. Eine Bestimmung der Einflussmöglichkeiten ermöglicht diese Erkenntnis jedoch nicht. Insoweit erscheint allein ein rechtshistorischer Ansatz geeignet, das Abhängigkeitsverständnis in § 17 AktG losgelöst vom herrschenden Schrifttum zu erforschen. Ein solcher Blick auf die Entwicklung beherrschenden Einflusses liegt zudem bereits in Ermangelung hinreichender Gesetzesmaterialien zum geltenden Recht nahe. Dass ein solcher Ansatz nicht nur zweckförderlich, sondern vielmehr unumgänglich ist, offenbart ein Blick auf die Gesetzesbegründung zu § 17 AktG. Ungeachtet besagter, mangelnder Konkretisierung des Abhängigkeitsbegriffs findet sich dort der Hinweis, dass § 17 Abs. 1 AktG „die Begriffe des abhängigen und herrschenden Unternehmens in enger Anlehnung an das geltende Recht“ bestimmt.5 Durch diesen Verweis auf das damalig geltende Recht lässt sich die vormalige Regelung des Abhängigkeitstatbestands in § 15 Abs. 2 AktG 1937 unmittelbar als Erkenntnisquelle heranziehen. Zu früh freut sich allerdings, wer nun glaubt, dass bereits dieser Rekurs auf das AktG 1937 ausreicht, um das sich daran anlehnende, geltende Abhängigkeitsverständnis zu bestimmen. Denn die amtl. Begründung zu § 15 Abs. 2 AktG 1937 verweist ihrerseits auf die bis dato geltende Regelung, welche durch die Notverordnung 1931 („NV 1931“) ins Handelsrecht eingefügt worden war: „Ein abhängiges Unternehmen ist ein rechtlich selbständiges Unternehmen, das auf Grund von Beteiligungen oder sonst unmittelbar oder mittelbar unter dem beherrschenden Einfluss eines anderen Unternehmens steht. Damit schließt sich der Begriff des abhängigen Un-
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Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2478. Begr. RegE zu § 15, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 31. Begr. RegE Aktiengesetz 1965, BT-Drucks. IV/171 v. 3. 2. 1962, S. 100.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände ternehmens eng an das bisherige Recht an, das bereits in § 226 Abs. 4 HGB eine gesetzliche Bestimmung der abhängigen Gesellschaft enthielt.“6
Die Erkenntnis, die aus dieser Verweisungskette folgt, ist gleichsam ernüchternd wie logisch zwingend: Eine Untersuchung bzw. Konkretisierung des Abhängigkeitsverständnisses im AktG 1937 ist nicht möglich, ohne zunächst die Wurzeln des beherrschenden Einflusses im HGB in der Fassung der NV 1931 zu kennen. Ferner ist die Bestimmung des gegenwärtigen Abhängigkeitsbegriffs nicht möglich, ohne im zweiten Schritt die Modifizierung des ursprünglichen Abhängigkeitsverständnisses durch das AktG 1937 und schließlich auch die Einflüsse durch die Aktiennovelle 1965 zu berücksichtigen. Aus diesem Grund beleuchtet die nachfolgende Untersuchung zunächst den Abhängigkeitstatbestand im HGB in der Fassung der NV 1931 (I.) und anschließend sein aktienrechtliches Äquivalent im AktG 1937 (II.). Nach einem Zwischenfazit (III.), welches die Erkenntnisse aus der historischen Entwicklung der aktienrechtlichen Abhängigkeit zusammenfasst, widmet sich die Untersuchung dem Abhängigkeitsbegriff im geltenden Recht (IV.).
I. Der Abhängigkeitstatbestand im HGB 1931 Der folgende Abschnitt beleuchtet das Abhängigkeitsverständnis im HGB. Zu diesem Zweck unerlässlich ist eine Skizzierung des historischen Kontextes. Wie hierbei zu zeigen sein wird, ist die Entwicklung des Abhängigkeitstatbestands eng mit den großen Ereignissen der deutschen Wirtschaftsgeschichte im letzten Jahrhundert verbunden. Im Folgenden ist zunächst das ungeschriebene Konzernrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu rekapitulieren (1.) sowie die Einfügung des Abhängigkeitstatbestands im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre (2.). Anschließend ist der Tatbestand inhaltlich zu beleuchten (3.). 1. Ungeschriebenes Konzernrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vor dem Aktiengesetz 1965 waren die Rechtsbeziehungen innerhalb eines Unternehmensverbunds weitgehend ungeregelt. Vergleichbare Vorschriften wie die §§ 291 ff. AktG kannte weder der Entwurf eines Aktiengesetzes von 1930 noch die NV 1931. Eine solch materiell-rechtliche Erfassung des Konzerninnenrechts war ausdrücklich auch nicht angestrebt worden, sah man dessen wissenschaftliche Entwicklung noch nicht als abgeschlossen an: „Weder sind die rechtlichen Fragen noch die wirtschaftlichen Probleme, zu denen das Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft Anlaß gibt, genügend klargestellt, um die Grundlage für eine umfassende gesetzliche Regelung abzugeben.“7 6 Siehe amtl. Begründung zu § 15 AktG 1937 in: Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 13. 7 Reichsjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften 1930, S. 126.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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Davon unberührt war es in der Wirtschaftspraxis bereits seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zu bedeutenden Konzernierungsprozessen und Kartellbildungen gekommen, die sämtliche Wirtschaftsbereiche erfassten.8 Begünstigt wurden diese Entwicklungen Friedländer zufolge einerseits durch die Kriegsfolgen, die kleinere Betriebe mangels Möglichkeit selbständigen Weiterbestehens zu Zusammenschlüssen zwangen. Andererseits bot die zunehmende Inflation dem Kapital ungeahnte Möglichkeiten, „die von kühnen Spekulanten, aber auch von den großen Industriekonzernen, nicht zuletzt auch vom Handel, der in dieser Periode, besonders im Eisen- Metall- und im Textilhandel, stärker als früher und beherrschend in den Vordergrund tritt, ausgenutzt wurde.“9
Hinzu kam, dass die Konzernbildung durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs aus steuerlicher Sicht begünstigt wurde, sofern die Voraussetzungen der Organschaft vorlagen.10 Das Recht vermochte mit diesem einsetzenden Konzentrationswesen nicht Schritt zu halten, weshalb jene Unternehmensverbindungen gesellschaftsrechtlich ungeregelt blieben. Beschönigend resümierte Rosendorff 1932: „Wir besitzen bereits seit langem ein ,ungeschriebenes‘ Konzernrecht, das trotz fehlender gesetzlicher Regelung seinen Platz nicht nur in der innerdeutschen, sondern in der Weltwirtschaft behauptet, vergleichbar mit den großen Monumenten der Technik.“11
2. Aktienrechtliche Abhängigkeit bis zur Notverordnung 1931 Mit der Notverordnung zum Aktienrecht vom 19. September 1931 wurde erstmalig der Begriff der abhängigen Gesellschaft in § 226 Abs. 4 HGB 1931 eingefügt.12 Eine vergleichbare Regelung eines Mutter-Tochter-Verhältnisses war bereits in § 56 Abs. 3 des Entwurfs eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kom-
8 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 57 m. w. N.; Nörr, Zur Entwicklung des Aktien- und Konzernrechts, ZHR 1986, 155, 168 f.; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1034. Für einen Überblick über die wichtigsten Zusammenschlüsse der Konzentrationsbewegung seit Ende 1925 geordnet nach Gewerbezweig und Zusammenschlussart siehe Friedlaender, Konzernrecht, S. 14. 9 Friedlaender, Konzernrecht, S. 9 f.; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 103. 10 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1034; vgl. auch Nörr, Zur Entwicklung des Aktien- und Konzernrechts, ZHR 1986, 155, 169. 11 Rosendorff, Was müssen Aktionäre und Verwaltungen vom neuen Aktienrecht wissen?, S. 243; siehe auch Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 9. 12 Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19. September 1931, RGBl. 1931 I, S. 493; hierzu Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 570, 573 f.; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 13 f.; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 1; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 15.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
manditgesellschaften auf Aktien von 1930 enthalten,13 erlangte jedoch keine Gesetzeskraft. Im Gegensatz zur heutigen Regelung in § 17 AktG und auch bereits zum Abhängigkeitstatbestand in § 15 Abs. 2 AktG 1937 war § 226 Abs. 4 HGB 1931 nicht als abstrakte Definitionsnorm ausgestaltet, sondern knüpfte an eine konkrete Rechtsfolge, den Erwerb eigener Aktien, an. Dass es überhaupt zu der Erfassung des Verhältnisses von Mutter- und Tochtergesellschaften in § 56 Abs. 3 Aktienrechtentwurf 1930 kam, geht wesentlich auf das Neustaßfurt-Urteil des Reichsgerichts („RG“) zurück.14 In dieser Entscheidung erklärte das RG den Generalversammlungsbeschluss einer AG über eine Kapitalerhöhung für ungültig, durch den ein Teil neuer Aktien von zwei Gewerkschaften übernommen werden sollte, deren Kuxe nahezu vollständig der AG gehörten. Das RG sah darin „zwar nicht unmittelbar, aber doch der Sache nach“ einen unzulässigen Erwerb eigener Aktien: „Denn wenn auch die beiden Gesellschaften äußerlich selbständige Rechtspersönlichkeiten sind, so ist ihr Vermögen doch in Wahrheit Vermögen der Beklagten, sodaß Zahlungen auf – zur Verfügung der Beklagten stehenden – Aktien in Wahrheit aus Mitteln der Beklagten geleistet werden.“15
Mit § 56 Abs. 3 Aktienrechtsentwurf 1930 sollte das Verbot des Erwerbs eigener Aktien durch Tochtergesellschaften gesetzlich kodifiziert werden. Der Verabschiedung der jahrelang geplanten Gesamtreform kamen jedoch die Entwicklungen der durch den Börsenkrach in New York am 24. Oktober 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise zuvor.16 Im Zuge der sich in ihrem Sog anschlie-
13 Der Normtext von § 54 Abs. 3 im Wortlaut: „Eine Aktiengesellschaft, eine Kommanditgesellschaft auf Aktien oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, auf die eine andere Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien auf Grund von Beteiligungen oder in sonstiger Weise unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluß ausübt oder auszuüben in der Lage ist (Tochtergesellschaft), soll weder Aktien dieser Gesellschaft zeichnen noch Aktien oder Zwischenscheine dieser Gesellschaft im regelmaßigen Geschäftsbetrieb erwerben oder als Pfand nehmen. Für Aktien gilt dies nicht, soweit es sich um die Ausführung einer Einkaufskommission handelt.“ Veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien 1930. Weitere vereinzelte Normen mit Bezug zur Tochtergesellschaften finden sich im Entwurf in § 86 Abs. 1, § 110 Abs. 3 hinsichtlich der Offenlegungspflichten sowie auf dem Gebiet des Bilanzrechts über die Ausweisung von Verbindlichkeiten gegenüber Tochtergesellschaften, § 113 IV Nr. 5, vgl. Reichsjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien 1930, S. 126; Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts, S. 4. 14 RG, Urteil v. 18. 1. 1924 – II 263/23 – „Neustaßfurt“, RGZ 108, 41. Darauf verweist Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, HGB, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 43; Friedländer, Aktienrecht, § 226 Anm. 14. 15 RG, Urteil v. 18. 1. 1924 – II 263/23 – „Neustaßfurt“, RGZ 108, 41, 43; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 43. 16 Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 571, 582; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, Vorwort S. V.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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ßenden Bankenkrise17 kam es nicht nur zu zahlreichen notleidenden Aktiengesellschaften sondern zum völligen Zusammenbruch großer Konzerne und Banken,18 welche die Regierung zu einem sofortigen Handeln veranlassten.19 Im Kontext dieser Entwicklung wurde auf Grundlage von Art. 48 Weimarer Reichsverfassung („WRV“) die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 19. September 1931 erlassen.20 Diese novellierte das Aktienrecht unter teilweiser Abweichung und Verschärfung der im Entwurf vorgesehenen Bestimmungen in jenen Bereichen, die als besonders dringlich angesehen wurden, u. a. Bilanzierung, Begrenzung der Gesamtzahl der Aufsichtsratsmandate, Berichts- und Publizitätspflichten, Stärkung der Rechte des Aufsichtsrats, Bestimmungen über die Kreditgewährung an den Vorstand und nicht zuletzt den Rückerwerb eigener Aktien.21 Die Gründe, den Abhängigkeitstatbestand an den Erwerb eigener Aktien zu knüpfen, sind im Folgenden zu erläutern (a)). Anschließend sind die Regelungszwecke der übrigen Anknüpfungsnormen zu beleuchten (b)). a) Anknüpfung an den Erwerb eigener Aktien Mit dem grundsätzlichen Erwerbsverbot eigener Aktien wiederholte sich die Geschichte des Tatbestands zu einem gewissen Grad. Ursprünglich enthielt das ADHGB 1861 keine Regelungen zum Erwerb eigener Aktien.22 Erst die erste Aktienrechtsnovelle von 1870, welche das Konzessionssystem über die Errichtung von Aktiengesellschaften durch ein System der Normativbestimmungen ersetzte, führte in § 215 Abs. 3 ADHGB 1870 aus rechtsdogmatischen und gläubigerschützenden 17 Hachenburg, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, Einleitung I, Anm. 30 f. 18 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 70; Hachenburg, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, Einleitung I, Anm. 30 f.; Rosendorff (2. Kap. Fn. 11), S. 41 f. 19 Rosendorff (2. Kap. Fn. 11), S. 42; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1034; Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 571, 573. 20 Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 571, 582; Hachenburg, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, Einleitung I, Anm. 31. 21 Rosendorff (2. Kap. Fn. 11), S. 42 f.; vgl. auch Hachenburg, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, Einleitung I, Anm. 31, insoweit kritisch anmerkend: „Es ist aber aber etwas anderes, einzelne Stellen eines Gesetzes zu verbessern. Ein anderes ist es, aus einem großangelegten Entwurf nur bestimmte Stücke herauszunehmen. Denn damit wird der Zusammenhang im Ganzen zuerstört. Jeder Torso muß Risse und Trümmerstellen zeigen. Das muss bei der Betrachtung des durch die NotVO. vom 19. 9. 1931 geschaffenen Aktienrechts berücksichtigt werden.“ Ähnlich kritisch auch Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, Vorwort S. VI. 22 Hachenburg, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, Einleitung I, Anm. 67; Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 61 ff.; Bosse, Erwerb eigener Aktien, S. 15.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Erwägungen ein striktes Erwerbsverbot ein.23 Dagegen wurde jedoch Kritik laut, die sich darauf stützte, dass das Verbot legitime Geschäfte verhindere. Da Aktien als selbständige Vermögensgegenstände anerkannt seien, sollte die AG, wie jeder Dritte auch, eigene Aktien besitzen dürfen.24 In einem vom Reichskanzleramt in Auftrag gegebenen Gutachten stellte Goldschmidt fest, dass die strikte Verbotsregel von 1870 nicht den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs der Zeit entsprach,25 weil der Erwerb eigener Aktien als wichtiges Instrument zur schnellen Kapitalherabsetzung bedeutsam sei.26 Im Zuge der Novelle von 1884 wurde der geforderten Lockerung des Verbots im Interesse des Rechtsverkehrs entsprochen und das Verbot in eine SollVorschrift geändert. Bei dieser blieb es auch im HGB 1897, in das die bisherige Vorschrift mit einer redaktionellen Änderung in § 226 HGB 1897 übernommen worden war.27 Auf dessen Grundlage kam es in der Folge zu erheblichen Aktienrückkäufen.28 Ausgelöst durch die wirtschaftliche Depression in den Jahren 1929 bis 1931 und dem 23 Lieder, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 318, 367 f.; Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 48. 24 Ausführlicher dazu Bosse, Erwerb eigener Aktien 2002, S. 17; Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 46 m. w. N. 25 „Das Bedürfnis einer Herabsetzung des Grundkapitals ist im gegenwärtigen Augenblicke für zahlreiche Aktiengesellschaften unverkennbar.“ Goldschmidt, Herabsetzung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft, ZHR 1876, 1, 3. Gemeint ist die auf die Gründerjahre folgende Gründerkrise 1873, die das Vertrauen in die noch junge Rechtsform der Aktiengesellschaft erschütterte, vgl. Hofer, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 388. So schrieb Rudolph von Ihering: „Die Aktiengesellschaft in ihrer jetzigen Gestalt ist eine der unvollkommensten und verhängnisvollsten Einrichtungen unseres ganzen Rechts; das meiste Ungemach, welches in den letzten Jahren auf dem Gebiete des Verkehrslebens über uns hereingebrochen ist, stammt entweder aus dieser Quelle oder steht wenigstens mit ihr in engster Verbindung. (…) Die Verheerungen, die sie im Privatbesitz angestiftet haben, sind ärger, als wenn Feuers- und Wassersnot, Mißwuchs, Erdbeben, Krieg und feindliche Okkupation sich verschworen hätten, den Nationalwohlstand zu ruinieren“, Der Zweck im Recht, S. 173. 26 Goldschmidt, Herabsetzung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft, ZHR 1876, 1, 3 ff.; Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 49. In der Tat kann der Erwerb eigener Aktien für die Aktiengesellschaft in mehrfacher Hinsicht von Vorteil sein: So kann durch die mit dem Rückkauf verbundenen Auszahlung von Liquidität das gezeichnete Eigenkapital der Gesellschaft reduziert werden, wenn die eigenen Aktien eingezogen werden. Dies erscheint insbesondere bei gesunkenem Kapitalbedarf von Vorteil. Ein etwaiger Gewinn verteilt sich zukünftig auf verringertes Eigenkapital und damit zu einem gesteigerten Ertrag pro Aktie. Schließlich kann der Erwerb eigener Aktien auch zur Stabilisierung des Kursniveaus eingesetzt werden, etwa bei allgemeinem Kursverfall, um das Absinken des Aktienkurses einzudämmen, siehe ausführlich zu den ökonomischen Vorteilen des Erwerbs eigener Aktien: Cahn, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 763, 768 ff.; Bosse, Erwerb eigener Aktien, S. 31 ff. 27 Cahn, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 763, 781; Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 48 ff. Der Wortlaut der Norm: § 226. „Die Aktiengesellschaft soll eigene Aktien im regelmäßigen Geschäftsbetriebe, sofern nicht eine Kommission zum Einkauf ausgeführt wird, weder erwerben noch zum Pfande nehmen.“ 28 Für eine exemplarische Aufzählung der Gesellschaften, die im Laufe der Jahre 1930/31 eigene Aktien zurückkauften, siehe Rosendorff (2. Kap. Fn. 11), S. 178.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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mit ihr einhergehenden Kursverfall der Aktien29 veränderte sich das Motiv der Gesellschaften vom Rückkauf eigener Aktien. Anstelle der Kurspflege bzw. Kapitalherabsetzung wurde der Rückerwerb eigener Aktien nun zur dringenden Kursstabilisierung eingesetzt und geriet schließlich zur Massenerscheinung.30 Dabei stellt der Erwerb eigener Aktien für die Gesellschaften jedoch keinen Vermögenswert dar.31 Zudem konnte der Rückerwerb den anhaltenden Kursverfall nicht aufhalten und zwang die Gesellschaften zu weiteren Stützungskäufen und umfangreichen Wertberichtigungen, die das Eigenkapital aufzehrten.32 1929 brach die Frankfurter Allgemeine Versicherungsgesellschaft AG (Favag) zusammen, im Juni 1931 folgte die Norddeutsche Wollkämmerei AG (Nordwolle) in Bremen. Der Konkurs deckte einen hohen Bestand eigener Aktien auf, die das haftende Kapital reduzierten. Bezeichnend für die hiesige Untersuchung ist, dass die Nordwolle für nominell 25 Mio. Reichsmark („RM“) eigene Aktien durch ihre Tochtergesellschaft Ultra Mare erwerben ließ und aufgrund der scheinbaren Forderungen gegenüber dieser, einen geringeren Verschuldungsgrad ausweisen konnte.33 Der Konkurs der Nordwolle führte wiederum bei ihrer Hausbank, der Darmstädter und Nationalbank (Danatbank), zu einem Kreditausfall von 50 Mio. RM bei einem nominellen Grundkapital von 60 Mio. RM.34 Allerdings hatte auch die Bank umfangreiche Rückkäufe eigener Aktien getätigt (35 Mio. RM), wodurch sich das haftende Eigenkapital real reduzierte und die Verluste nicht zu decken vermochte.35 Die Danatbank schloss noch im Juli 1931 ihre Schalter und wurde unter Reichstreuhandschaft gestellt. Die Zusammenbrüche von Favag, Nordwolle und der Danatbank prägten entscheidend den Erlass der Notverordnung 1931.36 Ziel der Erweiterung des Erwerbsverbots eigener 29 Die unterschiedlichen Faktoren, die zur Wirtschafts- und Bankenkrise führten, sind hier nicht zu erläutern. Ausführlicher hierzu Hachenburg, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, Einleitung I, Anm. 30 ff.; Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 20 ff. 30 Bosse, Erwerb eigener Aktien, S. 20; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 1; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 3. 31 Cahn, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 763. 32 Bosse, Erwerb eigener Aktien 2002, S. 20; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 1; ausführlich zu den allgemeinen Nachteilen und Gefahren des Erwerbs eigener Aktien siehe Cahn, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 763, 774; Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 17 ff.; vgl. auch Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 570, 578. 33 Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 570, 580; Born, Die deutsche Bankenkrise 1931, S. 75 f. 34 Zahlen nach Bertheim, Erwerb eigener Aktien 1933, S. 10; vgl. Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 79 ff.; Engelke/Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 570, 580; Bosse, Erwerb eigener Aktien, S. 21 m.w.V. 35 Bertheim, Erwerb eigener Aktien, S. 10; vgl. Maltschew, Der Rückerwerb eigener Aktien, S. 79 ff.; Bosse, Erwerb eigener Aktien, S. 21 m.w.V.; Born, Die deutsche Bankenkrise, S. 95 f. 36 Nörr, Zur Entwicklung des Aktien- und Konzernrechts, ZHR 1986, 155, 166; Engelke/ Maltschew, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 570, 580. Rede des
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Aktien auf abhängige Unternehmen war damit, zukünftig eine Umgehung des unzulässigen Rückerwerbs eigener Aktien zu verhindern.37 b) Beseitigung von Missbräuchen und Umgehungen Die Beseitigung bestehender Missbräuche und Verhinderung einer zukünftigen Umgehung war auch primäres Regelungsziel der übrigen Normanknüpfungen an den neu eingefügten Abhängigkeitstatbestand, etwa in §§ 240a, 246 Abs. 1, 260a Abs. 2 und 261a HGB 1931.38 Quassowski stellte nach den Erkenntnissen, die aus dem Zusammenbrüchen von Nordwolle und der Danatbank folgten, fest: „Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Verwendung der Tochtergesellschaft für das Aktienrecht zahlreichen Vorschriften des Aktienrechts ihren Wirklichkeitswert genommen hat“.39
Deren „rechtspolitische Bedeutung“ sollte mit Erfassung der verbundenen Unternehmen des Konzerns wiederhergestellt werden.40 Im Einzelnen weitete § 240a Abs. 1 HGB 1931 die Voraussetzungen für die Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder auch auf abhängige Unternehmen aus.41 Im entsprechenden § 83 des Entwurfs 1930 war insoweit von einer Einbeziehung abhängiger Unternehmen noch keine Rede.42 § 246 Abs. 1 HGB 1931 erweiterte den Auskunftsanspruch des Aufsichtsrates gegenüber der Geschäftsführung auf die Beziehungen zu abhängigen Gesellschaften.43 Eine besondere Bedeutung der mit der Reichskanzlers Brüning im Reichstag, auszugsweise abgedruckt in: Rosendorff (2. Kap. Fn. 11), S. 42: „Ich habe eine große Sorge. In den Tagen, wo wir die Banken stützen mußten und wo wir den Umfang unserer Hilfe für einzelne wirtschaftliche Unternehmungen sehr viel weiter ausdehnen mussten, als uns lieb war und als öffentlich bekannt ist, in diesen Tagen bin ich allerdings zu einem Ergebnis gekommen: Das Entscheidende ist, daß eines wiederhergestellt wird, nämlich gesunde Prinzipien in der Privatwirtschaft, vor allem auch in manchen großen Gesellschaften. Nicht als ob ich irgendwie das verallgemeinern wollte! Wir haben heute in Deutschland große und kleine Unternehmungen, die in den vergangenen Jahren geradezu mustergültig geleitet worden sind. Aber wir haben daneben auch Erscheinungen wie Favag und Nordwolle, die dazu geeignet sind, den Kredit des deutschen Kaufmanns in der ganzen Welt zu untergraben.“ 37 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 43; Quassowski, Die Vorschriften der Aktienrechtsnovelle, JW 1931, 2914, 2921; vgl. zu der Kritik Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 11. 38 Rosendorff (2. Kap. Fn. 11), S. 183; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 179 Anm. 18c. 39 Quassowski, Die Vorschriften der Aktienrechtsnovelle, JW 1931, 2914, 2919. 40 Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 179 Anm. 18c; Schlegelberger/Quassowski/ Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 32. 41 Quassowski, Die Vorschriften der Aktienrechtsnovelle, JW 1931, 2914, 2919. 42 Vgl. Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 240a Anm. 1, 7 f.; Goldschmit, Das neue Aktienrecht 1932, § 240a Anm. 2 (S. 96). 43 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 246 Anm. 2.
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Notverordnung eingeführten Änderungen des Aktienrechts kam ebenso den Angaben im Geschäftsbericht, § 260a Abs. 2 HGB 1931 zu. Hatte der Vorstand bereits in § 260 Abs. 2 HGB 1897 die Pflicht einen den Vermögensstand und die Verhältnisse der Gesellschaft entwickelnden Bericht aufzustellen, wurde mit der Notverordnung die Berichtspflicht auf die Beziehungen zu abhängigen und Konzerngesellschaften erweitert. „Durch sie soll den Unzuträglichkeiten vorgebeugt werden, die sich aus der Verflechtung und Verschachtelung von Gesellschaften und den dadurch ermöglichten Verschleierungen und Umgehungen der aktienrechtlichen, insbesondere bilanzrechtlichen Vorschriften ergeben.“44
Schließlich ist noch § 261a Abs. 1 A. IV Nr. 9 sowie Abs. 1 B. V Nr. 5 HGB 1931 zu erwähnen, wonach im Jahresabschluss nunmehr Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber abhängigen Gesellschaften gesondert auszuweisen waren. In der Summe war damit allen Bezugsnormen der Notverordnung 1931 der Offenlegungsund Umgehungsschutz im neuen, kriseninduzierten Abhängigkeitstatbestand, § 226 Abs. 4 HGB 1931, gemein.45 3. Abhängigkeit in § 226 Abs. 4 HGB 1931 Vor dem Hintergrund dieses Regelungsziels, eine Umgehung der Vorschriften für rechtlich selbständige Unternehmen durch selbige weitgehend zu verhindern, kann sich die Untersuchung nunmehr dem eigentlichen Kern des Abhängigkeitsbegriffs und seiner Funktionsweise widmen. Wie erläutert, war die ursprüngliche Anknüpfung des Abhängigkeitstatbestands an den Erwerb eigener Aktien in § 226 Abs. 4 HGB 1931 kriseninduziert. Der Verordnungsgeber orientierte sich bei der Fassung weitgehend an § 56 Abs. 3 des Entwurfs für ein Aktiengesetz von 1930, wonach ein Unternehmen „auf Grund von Beteiligungen oder in sonstiger Weise unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluß ausübt oder auszuüben in der Lage ist“. Eine nähere Bestimmung der möglichen Einflussgrundlagen ließ die Begründung des Entwurfs offen,46 was von Homburger als zu unbestimmt kritisierte: „Der Entwurf muss unbedingt umschreiben, welche Abhängigkeit oder Beeinflussung erforderlich ist, um diese Normen zur Anwendung zu bringen.“47
Gleichwohl wurde der Entwurf des Abhängigkeitstatbestands aufgrund des akuten Handlungsbedarfes ohne weitergehende Spezifizierung der Einflussvoraussetzungen in § 226 Abs. 4 HGB 1931 übernommen. Es blieb damit dem Schrifttum überlassen dem Abhängigkeitstatbestand Praktikabilität und Kontur zu verleihen. 44
Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 246 Anm. 7. Quassowski, Die Vorschriften der Aktienrechtsnovelle, JW 1931, 2914, 2919. 46 Vgl. Veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien 1930, S. 126. 47 Homburger, Neugestaltung des Aktienrechts 1931, S. 4. 45
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Wenig überraschend begegnete das überwiegende Schrifttum dem neuartigen Abhängigkeitstatbestand kritisch.48 Besonders Pinner brachte die vorherrschende Kritik am Abstraktionsgrad des Tatbestands auf den Punkt: „In dem Bestreben, tunlichst alle Möglichkeiten der wirtschaftlichen Verflechtung, deren große Zahl der Gesetzgeber nicht verkennt, zu erfassen, wird eine möglichst weitgehende, mit allgemeinen Begriffen arbeitende Definition gewählt. Hierdurch wird sie sowohl zu unbestimmt als auch insbesondere zu weitgehend.“49
Dagegen betonten Lehmann und Hirsch die Vorteile der von Pinner kritisierten Konturlosigkeit des Tatbestands. Diese ermögliche eine weitreichende Anwendbarkeit und entspreche damit dem in der Verhinderung gesetzlicher Umgehungen zugrundeliegenden Regelungszweck50 Nachfolgend sind die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses zunächst mit Blick auf den Einflussumfang, sowie die Einflussintensität und seine -beständigkeit zu untersuchen (a)), bevor die konkreten Einflussgrundlagen erörtert werden (b)). a) Einflussumfang, -intensität und -beständigkeit Ungeachtet der Kritik am Abstraktionsgrad des ersten Abhängigkeitstatbestands bildete sich im Schrifttum ein übereinstimmendes Verständnis der wesentlichen Einflussparameter zum Einflussgegenstand, -intensität und -beständigkeit heraus. Ausgehend vom Wortlaut setzte sich die Auffassung durch, dass beherrschender Einfluss nicht nur unmittelbar sondern auch mittelbar, etwa durch ein zwischengeschaltetes Unternehmen, das seinerseits beherrscht wurde, ausgeübt werden konnte.51 Weiter wurde als Voraussetzung für die Begründung von Abhängigkeit angesehen, dass der beherrschende Einfluss von gewisser Dauer sei, ohne jedoch ein konkretes Zeitfenster vorzugeben. Eine zufällige oder nur ganz vorübergehende Einflussmöglichkeit sollte dagegen kein Abhängigkeitsverhältnis begründen.52 Ebenso bestand überwiegend Konsens über die Einflussqualität, wonach nicht jegliche Einflussmöglichkeit in ein Abhängigkeitsverhältnis münden sollte. Beherr48
Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; Goldschmit, Das neue Aktienrecht 1932, § 226 Anm. 13 f.; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23. 49 Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26. 50 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23. 51 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; Goldschmit, Das neue Aktienrecht 1932, § 226 Anm. 13; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 24; Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043; Goldschmit, Das neue Aktienrecht 1932, § 226 Anm. 14. „Ob und in welchem Umfange die herrschende Ges. von ihrem beherrschenden Einfluß tatsächlich Gebrauch macht, ist gleichgültig. Erheblich ist nur, daß sie ihn auszuüben jederzeit in der Lage ist.“ H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 11. 52 Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 13.
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schender Einfluss setzte vielmehr voraus, dass die herrschende Gesellschaft in der Lage war, dem abhängigen Unternehmen ihren Willen aufzuzwingen.53 Damit ging allerdings nicht die Notwendigkeit eines direkten Weisungsrechts zugunsten des herrschenden Unternehmens einher.54 Auch wurde weder eine gegenständliche „Totalbeherrschung“ verlangt,55 mithin die Beherrschung der Funktionen der Gesellschaft in allen Einzelheiten,56 noch die Beherrschung sämtlicher Organe, also der Verwaltung bestehend aus Vorstand und Aufsichtsrat und der Generalversammlung als beschließendes Organ.57 Ausreichend wurde bereits die Beherrschung der Geschäftsführung angesehen,58 sofern diese umfassend war, mithin alle wichtigen Fragen und Aufgaben der Geschäftsführung beeinflussen konnte.59 Dies überrascht zunächst mit Blick auf die aktienrechtliche Kompetenzordnung im HGB in der Fassung von 1931. Denn die Stellung des Vorstands als Organ der Aktiengesellschaft war tendenziell nachrangig und je nach satzungsmäßiger Gestaltung auf eine bloße Exekutivfunktion beschränkt. Vielmehr war die Generalversammlung oberstes Organ der Aktiengesellschaft und gegenüber dem Vorstand nach § 235 Abs. 1 HGB 1931 weisungsbefugt.60 Die Geschäftsführung oblag allerdings im HGB 1931 nicht zwingend dem Vorstand allein. Vielmehr konnte die Satzung gem. § 246 Abs. 3 HGB 1931, dem Aufsichtsrat Geschäftsführungskompetenzen zuordnen, wovon in 53 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45; H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 11; Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 6 f. Mißverständlich Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043, demzufolge die herrschende Gesellschaft nicht nur in der Lage gewesen sein musste, dem abhängigen Unternehmen ihren Willen aufzuzwingen. Vielmehr soll die eigene Willensbildung bei der abhängigen Gesellschaft ohne Zustimmung des herrschenen Unternehmens gar nicht möglich gewesen sein. Dies suggeriert allerdings, dass beherrschender Einfluss durchgehend hätte ausgeübt werden müssen, wofür jedoch keine Anhaltspunkte vorliegen. 54 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Rn. 33; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45. 55 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45. 56 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33. 57 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33. 58 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45; H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 11. 59 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23; Schlegelberger/ Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26. 60 Friedlaender, Konzernrecht 1927, S. 278; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1032 f. Insoweit nachvollziehbar die Ausführungen bei Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 34, wonach das Recht den Vorstand zu bestellen, allein nicht ausreichte, um beherrschenden Einfluss zu begründen. Dazu steht jedoch Anm. 30 im Widerspruch, in der ein vertragliches Direktionsrecht gegenüber der Geschäftsführung als Beispiel vertraglicher Beherrschung angeführt wird.
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der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht wurde.61 Vor diesem Hintergrund erscheint die Voraussetzung einer Beherrschung der Geschäftsführung als hinreichendes Kriterium für die Begründung eines Abhängigkeitsverständnisses in einem anderen Licht als dies heutzutage der Fall ist. b) Einflussgrundlagen Mit Blick auf die zulässigen Einflussgrundlagen war sich das Schrifttum überwiegend einig, dass das Gesetz jegliche Beschränkungen auf bestimmte Einflussarten ablehnte.62 Durch welche Mittel der Einfluss ausgeübt wurde, war unerheblich.63 Einen restriktiven Ansatz mit einer Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten, wie die heute herrschende Meinung für die aktienrechtliche Abhängigkeit voraussetzt,64 konnte sich für das Abhängigkeitsverständnis in § 226 Abs. 4 HGB 1931 nicht durchsetzen. Unbekannt war ein solch restriktives Verständnis der Einflussgrundlagen der damaligen Literatur derweil nicht. Bereits 1927 hatte Passow in seinen Entwürfen für ein zukünftiges Konzernrecht eine enge Beschränkung auf beteiligungsvermittelte Einflussmöglichkeiten vertreten.65 Der Verordnungsgeber von 1931 hatte sich laut Wortlaut in § 226 Abs. 4 HGB 1931 allerdings ausdrücklich gegen ein solch enges Verständnis der Unternehmensverbindungen entschieden. Vereinzelt wurde allerdings gefolgert, dass es sich bei den „sonstigen Mitteln“, die neben der Beteiligung von § 226 Abs. 4 HGB 1931 als Einflussgrundlagen genannt wurden, zumindest um der Beteiligung wesensähnliche Einflussmöglichkeiten handeln müsse.66 Durchsetzen konnte sich jedoch auch diese Einschränkung nicht.67 Vielmehr wurde aufgrund der sehr offenen 61
Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 91. Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043; Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33. 63 Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043; Schlegelberger/Quassowski/ Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33. 64 Zum herrschenden Abhängigkeitsverständnis siehe die Verweise in 1. Kap. Fn. 47. 65 Passow, Betrieb, Unternehmung, Konzern, S. 110. Auch H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 13 differenzieren zwischen gesellschaftsrechtlichen Mitteln und schuldrechtlichen Verträgen, lehnen eine Einschränkung aber ausdrücklich ab. 66 H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 12. Zu dieser Einschätzung kam auch Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 3, der einen Vergleich zur Formulierung in § 823 BGB zog: „Die Fassung ,in sonstiger Weise‘ muß nach unserer Rechtssprache streng genommen (Beispiel: § 823 BGB!) so ausgelegt werden, daß nur Fälle in Betracht kommen, die mit dem Hauptfall, der ,Beteiligung‘, im Wesen übereinstimmen, somit eine Herrschaft mit körperschaftlichen Mitteln verleihen.“ 67 Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; Flechtheim, in: Düringer/ Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45. Die Argumentation Kronsteins kritisierten etwa Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 62
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Gestaltung des Abhängigkeitstatbestands angenommen, dass beherrschender Einfluss nicht einmal rechtlich fundiert sein musste, sondern vielmehr auch durch tatsächliche Einflussmöglichkeiten ausgeübt werden konnte.68 Ungeachtet der vermeintlichen Intention des Verordnungsgebers die Art des beherrschenden Einflusses möglichst offen zu gestalten, eröffneten die übrigen Parameter beherrschenden Einflusses einerseits und die aktienrechtliche Kompetenzordnung andererseits eine weitergehende Konkretisierung der Einflussgrundlagen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle die bereits im damaligen Schrifttum viel beachtete monographische Arbeit Kronsteins zur abhängigen juristischen Person,69 in der dieser eine umfangreiche Konkretisierung der möglichen Einflussarten und deren Klassifikation in stimmenmäßige (aa)), organisatorische (bb)) und vertragliche Abhängigkeit vornahm (cc)), an welcher im Rahmen der folgenden Erläuterung der Einfachheit halber festgehalten wird. aa) Stimmenmäßige Abhängigkeit Die stimmenmäßige Abhängigkeit ist selbsterklärend und bezieht sich auf die Möglichkeit einer Beherrschung mittels stimmberechtigter Aktien in der Generalversammlung. Kronstein zufolge war die stimmenmäßige Abhängigkeit die stärkste Abhängigkeitsform, da sie, abhängig vom tatsächlichen Anteil der Stimmrechte, durch Beschluss der Generalversammlung sowohl eine vertragliche als auch organisatorische Abhängigkeit durch Satzungsänderung initiieren konnte. Ferner konnte eine stimmenmäßige Abhängigkeit – im Gegensatz zu einem schuldrechtlichen Vertrag – nur vom Machthaber der Stimmrechte aufgegeben werden.70 Welche Beteiligungshöhe notwendig war, um regelmäßig beherrschenden Einfluss zu vermitteln, legte die Verordnung – im Unterschied zur heutigen Mehrheitsvermutung in § 17 Abs. 2 AktG – nicht fest. Gleichwohl implizierte die notwendige Möglichkeit der Willensdurchsetzung des herrschenden Unternehmens regelmäßig die Stimmenmehrheit der Generalversammlung.71 Diese wählte wiederum den Aufsichtsrat, Anm. 25 mit Blick auf den Verweis zu § 823 Abs. 1 BGB als „nicht stichhaltig“: „Schon der Hinweis auf § 823 Abs. 1 BGB versagt deshalb, weil dort eine ganze Anzahl absoluter Rechte nebeneinander gestellt sind, denen ein ,sonstiges Recht‘ gleichgestellt wird. Hier dagegen will das Gesetz keineswegs sagen, daß ein beherrschender Einfluß nur auf Grund von Beteiligungen oder ähnlichen körperschaftlichen Mitteln möglich ist. Es will vielmehr nur an einem allgemein bekannten und üblichen Beispiel zeigen, wodurch eine Abhängigkeit begründet wird oder werden kann, ohne hiermit aber irgendeine Beschränkung zu beabsichtigen.“ 68 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 45; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26; Schlegelberger/Quassowski/ Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043; H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 13. A. A. insoweit Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 25. 69 Kronstein, Die abhängige juristische Person, 1931. 70 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 59. 71 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 29.
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§ 243 Abs. 1 HGB 1931. Unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung durch den Vorstand vermittelte das direkte Weisungsrecht der Generalversammlung, § 235 Abs. 1 HGB 1931 oder mittelbar die Ernennung des Vorstands durch den Aufsichtsrat.72 Obgleich ihm diese Kompetenz im HGB 1931 nicht ausdrücklich zugeordnet war,73 übertrug die Praxis per Satzung diese Aufgabe üblicherweise dem Aufsichtsrat.74 Insoweit wurde die Bestellung und Zusammensetzung des Vorstands ausdrücklich der Satzungsgestaltung überlassen, § 182 Nr. 4 HGB 1931.75 Flechtheim zufolge lag beherrschender Einfluss in aller Regel erst bei einem Anteilsbesitz von mehr als 75 % an der anderen Gesellschaft vor. Allerdings setzte die Begründung der Abhängigkeit nicht die Durchsetzung von Grundlagenbeschlüssen voraus.76 Ein beherrschender Einfluss war daher auch mit weniger als einer solchen Zwei-DrittelMehrheit möglich. Selbst eine Minderheit vermochte ein Abhängigkeitsverhältnis zu begründen, wenn sie damit in der Lage war, die für die Geschäftsführung wesentlichen Beschlüsse durchzusetzen.77 Voraussetzung dafür war eine durch Streubesitz weitgehende Zersplitterung der übrigen Aktien,78 was der faktischen Hauptversammlungsmehrheit im heutigen Verständnis entspricht. Regelmäßig nicht ausreichend war nach übereinstimmender Auffassung allerdings der Besitz einer Sperrminorität,79 da diese allenfalls die Blockade qualifizierter Mehrheitsbeschlüsse er72 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 46; Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 92. 73 Siehe dazu RG, Urteil v. 27. 5. 1913 – II 42/13, RGZ 82, 346, 349: „Seiner wesentlichen Bestimmung nach ist der Aufsichtsrat nicht Vollzugsorgan der Aktiengesellschaft, sondern dazu berufen, die Geschäftsführung zu überwachen. (…) Deshalb ist auch die Bildung der Gesellschaftsorgane, wozu nicht nur die Bestellung, sondern auch die Enthebung von Vorstandsmitgliedern gehört, keine Angelegenheit, die schon nach dem Gesetz in den Geschäftskreis des Aufsichtsrats fällt.“ 74 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 27; Geßler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497, 498; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 231 Anm. 20; über die bisherige Rechtslage Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, § 75, S. 61, vgl. auch Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 46. 75 Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 231 Anm. 20. Insoweit zumindest mißverständlich Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1032: „Der Vorstand wurde seit 1884 von der Generalversammlung gewählt und unterstand seinen Weisungen.“ 76 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 46. 77 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 46; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 61; H. Horrwitz/W. Horrwitz/Ullmann, Kommentar zum neuen Aktienrecht, § 226 Anm. 12. A. A. Friedländer, Aktienrecht, § 226 Anm. 14. 78 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 46; Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043; Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 61. 79 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 29; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 226 Anm. 26.
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öffnete, jedoch selbst keine Beschlüsse durchzusetzen vermochte und damit keinen beherrschenden Einfluss begründen konnte.80 bb) Organisatorische Abhängigkeit Unter organisatorischer Abhängigkeit fasste Kronstein ausschließlich die durch Satzung eingeräumten, beherrschenden Einflussmöglichkeiten zusammen.81 Eine der heutigen Regelung in § 23 Abs. 5 AktG entsprechende Satzungsstrenge war im HGB 1897 noch nicht ausgebildet. Auch die NV 1931 änderte daran nichts. Zwar hatte das RG bereits 1901 in einem Fall, in dem sich ein Aktionär gegen seinen Ausschluss durch die Generalversammlung wendete, ausgeführt: „Die Vorschriften über Rechtsverhältnisse der Gesellschafter und der Aktiengesellschaft sind vielmehr dispositiver Natur nur soweit, als es das Gesetz ausdrücklich zulässt“.82
Damit hatte das RG eine Kehrtwende der bisherigen Gestaltungsfreiheit vollzogen, deren Reichweite es in einem anschließenden Urteil im Jahre 1907 von den Bestimmungen zwischen Aktionär und Gesellschaft auf das gesamte Aktienrecht ausweitete.83 Diese neue Rechtsprechungslinie relativierte das RG allerdings selbst 1928, in der es gegen die Gestaltung einer Satzungsbestimmung, welche alljährlich die Auslosung von Aktien zum Zwecke der Übertragung auf einen neuen Aktionär vorsah, keine Einwände erhob.84 Darin wurde eine Abkehr von den früheren Entscheidungen verstanden.85 Tatsächlich räumte das HGB 1931 der Satzung eine Vielzahl ausdrücklicher Gestaltungsmöglichkeiten ein. Genannt seien hier etwa die Bestimmung einer anderen Art der Gewinnverteilung, § 214 Abs. 3 und der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder, § 243 Abs. 1 sowie die Zuweisung zusätzlicher Obliegenheiten an den Aufsichtsrat, § 246 Abs. 3 und das Mehrheitserfordernis für Beschlüsse und Wahlen der Generalversammlung, § 252 Abs. 1, 4 HGB 1931.86 Aber auch ohne diese ausdrücklich eingeräumte Gestaltungsfreiheit setzte sich die in den frühen Entscheidungen des RG konstatierte Satzungsstrenge mit Blick auf die Ge80
Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 46. 81 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 8. 82 RG, Urteil vom 25. 9. 1901 – I 142/01 – RGZ 49, 77, 80. 83 RG, Urteil vom 12. 1. 1907 – I 542/06 – RGZ 65, 91, 92. „Überall, wo in dem Abschnitt über Aktiengesellschaften keine ergänzende oder abändernde Macht eingeräumt ist, sind die Vorschriften des Abschnitts als absolute anzusehen, die durch den Gesellschaftsvertrag weder ergänzt noch abgeändert werden können.“ 84 RG, Urteil vom 17. 2. 1928 – II 275/27 – RGZ 120, 177, 180. 85 Dazu Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 432 ff.; Spindler, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 995, 1008 f. m. w. N.; Goldschmit, Anm. zu RG, Urteil v. 17. 2. 1928 – II 275/27 – JW 1928, 2617, 2619; Netter, Nichtigkeit befristeter Kapitalerhöhungsbeschlüsse, JW 1930, 3692, 3693. 86 Eine Übersicht hierzu findet sich bei Spindler, in: Bayer/Habsersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 995, 1009 f.
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staltungsmöglichkeiten zur Konstituierung beherrschenden Einflusses im Schrifttum nicht durch.87 Eine gesetzliche Grundlage, welche die Gestaltungsfreiheit insoweit einschränkte, bestand vor der Novelle 1965 nicht.88 Für die Konstituierung beherrschenden Einflusses durch Satzungsgestaltung kamen Kronstein zufolge unterschiedliche Formen in Betracht, etwa durch Einräumung unmittelbarer Einflussrechte auf die Gesellschaftsorgane einerseits und durch eine enge Definition des Tätigkeitsgegenstands des abhängigen Unternehmens andererseits.89 Letzterer konnte etwa so eng gefasst werden und auf die Dienste des herrschenden Unternehmens ausgerichtet sein, dass dem abhängigen Unternehmen ebenso wenig eigener Handlungsspielraum wie wirtschaftliche Selbständigkeit verblieb.90 Einen weitaus größeren Gestaltungsraum für beherrschenden Einfluss bot allerding die Möglichkeit der Zuweisung von Einflussrechten auf Gesellschaftsorgane durch die Satzung. Auf Grundlage von § 246 Abs. 3 HGB 1931 konnte die Satzung dem Aufsichtsrat etwa Weisungsrechte gegenüber dem Vorstand einräumen oder dem Aufsichtsrat die Geschäftsführung übertragen und den Vorstand damit zum reinen Ausführungsorgan herabstufen.91 Eine externe Beherrschung des Aufsichtsrates per Satzungsbestimmung war dagegen ausgeschlossen.92 § 243 Abs. 1 HGB 1931 wies das Recht der Bestellung des Aufsichtsrates allein der Generalversammlung zu. Eine Delegation der Bestimmung von Aufsichtsratsmitgliedern schied damit aus.93 Auch da es an einer entsprechenden Kompetenzzuweisung für die Bestellung des Vorstands fehlte, öffnete sich Gestaltungsspielraum für die Satzung. Dieser war allein die Art der Bestellung und Zusammensetzung des Vorstands übertragen, § 182 Nr. 4 HGB, ohne jedoch weitergehende Voraussetzungen zu benennen.94 Zulässig war es insoweit, dass die Satzung dem Aufsichtsrat oder dem 87
Vgl. allein die von Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 16 ff. Vertiefend zur Entwicklung der Satzungsstrenge Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 437. 89 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 16 ff., 35 ff. Als dritte Form organisatorischer Abhängigkeit sah Kronstein ferner die Bindungen der abhängigen Person durch Gewinnabführung an (S. 39 ff.). Inwieweit eine Gewinnabführung allein jedoch die notwendige Einflussqualität auf die Verwaltung der abhängigen Gesellschaft vermittelte, ist aber fraglich. Auch nach Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 34 vermochte eine satzungsmäßige Gewinnbeteiligung für sich noch kein Beherrschungsverhältnis zu begründen. 90 Vgl. Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 35 ff.; Goldschmit, Das neue Aktienrecht, § 226 Anm. 14. 91 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 267 f.; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 246 Anm. 10. Zur großen praktischen Bedeutung der Vorschrift Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 91 f. m. w. N. 92 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 28. 93 Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 246 Anm. 1; Geßler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497, 502; RG, Urteil vom 11. 6. 1931 – II 398/29 – RGZ 133, 90, 94. 94 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 19 f.; Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 231 Anm. 20; Haussman, Die Tochtergesellschaft, S. 32; Lehmann/Hirsch, Verord88
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Aufsichtsratsvorsitzenden, der Generalversammlung oder sogar außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten das Bestellungsrecht einräumte.95 Als zulässiges Minus zur direkten Vorstandsbestellung konnte dem herrschenden Unternehmen ferner ein satzungsmäßiges Vorschlagsrecht oder ein Zustimmungsvorbehalt eingeräumt werden.96 Ob allerdings das satzungsmäßige Recht zur Bestellung des Vorstands zugunsten eines Dritten, welcher nicht Mitglied der Gesellschaft war, tatsächlich beherrschenden Einfluss im Sinne der obigen Kriterien vermittelte, war nach Kronstein in jedem Einzelfall „Gegenstand eines Werturteils“.97 Denn sofern die Satzung gleichzeitig dem Aufsichtsrat Obliegenheiten der Geschäftsführung übertrug oder gar ein Weisungsrecht oder Zustimmungsvorbehalt gegenüber dem Vorstand einräumte,98 vermochte das Bestellungsrecht des Vorstands allein keinen beherrschenden Einfluss zu begründen.99 cc) Vertragsmäßige Abhängigkeit Die dritte Gruppe der Einflussmittel klassifizierte Kronstein schließlich als vertragsmäßige Abhängigkeit. Im Schrifttum herrschte insoweit Konsens, dass ein Abhängigkeitsverhältnis grundsätzlich auch (schuld)vertraglich begründet werden konnte.100 Organisationsverträge im heutigen Verständnis waren im HGB 1931 noch nicht enthalten. Der Entwurf von 1930 hatte zwar eine Vorschrift zu Abschluss und Aufhebung von Interessengemeinschafts-, Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen vorgesehen.101 Diese wurde jedoch nicht Gegenstand der NV 1931. Als Grundlage der vertraglichen Abhängigkeit wurden daher allein schuldrechtliche Verträge verstanden.102 Doch bereits nach damaliger Auffassung mündete nicht jeder vertraglich vermittelte Einfluss in ein Abhängigkeitsverhältnis. Maßgeblich war die
nung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 32; Goldschmit, Das neue Aktienrecht 1932, § 226 Anm. 14; Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33. 95 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 208; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 21. 96 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 21 mit Beispielen; Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043. 97 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 18. 98 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 205. 99 Richtig insoweit Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 34. 100 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 46 ff.; Goldschmit, Das neue Aktienrecht, § 226 Anm. 14; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 29; Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; Neufeld, Der Erwerb eigener Aktien, JW 1931, 3040, 3043. 101 Reichsjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften, S. 126 f. 102 Siehe Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 46 ff.; Goldschmit, Das neue Aktienrecht, § 226 Anm. 14.
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positive Einflussmöglichkeit des herrschenden Unternehmens.103 Kronstein schloss auch die Fälle „rein wirtschaftlicher Abhängigkeit“, etwa durch Verschuldung, aus.104 Ebenso wenig genügte zur Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses die vertragliche Verpflichtung einer Gesellschaft, sich nur im Rahmen bestimmter Geschäfte den Weisungen einer anderen Aktiengesellschaft zu unterwerfen.105 Auch insoweit war die Begründung von Abhängigkeit durch Obligationsvertrag an den allgemeinen Voraussetzungen von Einflussumfang, -intensität und -beständigkeit zu messen.106 Welche Vertragstypen beherrschenden Einfluss vermittelten, kann mit Blick auf den – im Vergleich zur heutigen Rechtslage – ungleich größeren Gestaltungsspielraum nicht abschließend bestimmt werden. Darauf wies bereits das damalige Schrifttum hin.107 Vorrangig ist jedoch an solche Verträge zu denken, die dem herrschenden Unternehmen unmittelbar umfassende Weisungsrechte auf die Geschäftsführung oder weitgehende Zustimmungsvorbehalte einräumten.108 Inwieweit diese vertraglichen Einflussrechte ein Abhängigkeitsverhältnis begründeten, war auch hier eine Wertungsfrage.109 Dass durch ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand das abhängige Unternehmen zur „bloßen Geschäftsstelle im Dienste der herrschenden Gesellschaft“110 wurde, ließ die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Verträge unberührt. Auch die rechtliche Selbständigkeit der AG, die in § 210 Abs. 1 HGB 1931 gewährleistet war, stand der vertraglichen Abhängigkeit Flechtheim zufolge nicht entgegen, da die AG kein „Selbstzweck“ sei. Vielmehr diene sie Interessen, die auch darin liegen könnten, sich dem Willen eines anderen Unternehmens unterzuordnen und im Rahmen einer wirtschaftlichen Organisation 103
Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 46; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47. 104 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 46. A. A. insoweit Schlegelberger/ Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33; ebenso Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 48. 105 So Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47. 106 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 30; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47. 107 Auf die mannigfaltigen Ausprägungen vertraglicher Abhängigkeit wiesen bereits Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 46 und Haussman, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, S. 110 hin; siehe auch Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 30; Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33. 108 Goldschmit, Das neue Aktienrecht, § 226 Anm. 14; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 51 ff. mit weiteren Beispielen vertraglicher Einflussmöglichkeiten; Lehmann/ Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 30; Flechtheim, in: Düringer/ Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47. 109 Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 46; Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 30. 110 Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 226 Anm. 33.
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zu wirken.111 Die Grenze des vertraglich Zulässigen zog erst das Sittenwidrigkeitsverbot. Dass ein Verstoß gegen die guten Sitten allerdings auch in der Unterwerfung eines Unternehmens unter den Willen eines anderen Unternehmens liegen konnte, hatte das RG noch zuletzt 1913 in seinen Urteilen „Petroleum“112 bzw. 1881 in „Rumänische Eisenbahn“113 entschieden. In Folge zunehmender Konzernierung in der Wirtschaftspraxis hatte sich, so Lehmann und Hirsch, die sittliche Anschauung jedoch verändert: „Das Leben ist über diese Judikatur hinweggegangen.“114 Vertraglich vermittelter, beherrschender Einfluss begründete damit nicht länger einen Sittenverstoß.115 Auch war ein Weisungsvertrag mit der Kompetenzordnung der AG vereinbar, da die Stellung von Vorstand und Aufsichtsrat maßgeblich durch die Satzung geprägt wurden. Das Prinzip der Leitungsautonomie war dem Aktienrecht des HGB 1931 fremd.116 Bemerkenswert ist allerdings, dass die Wirksamkeit des Weisungsvertrages, ebenso wie jeder andere Vertrag, welcher unmittelbar vertragliche Abhängigkeit begründete, nach Teilen des Schrifttums unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Generalversammlung stand.117 Begründet wurde dieses Erfordernis mit dem tiefgehenden Einfluss eines Weisungsvertrages für die zukünftige Entwicklung der abhängigen AG und der sich daraus ergebenen Zuständigkeit der Generalversammlung nach § 253 Abs. 2 HGB 1931.118 Nicht davon betroffen waren derweil Stimmbindungsverträge zwischen Aktionären oder auch Aktionären mit Dritten, da diese nicht mit der Gesellschaft sondern den Gesellschaftern abgeschlossen werden.
111 Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47. 112 RG, Urteil v. 27. 5. 1913 – II 625/12 – RGZ 82, 308, 313 f., 317: „Eine Gesellschaft kann sich auflösen, aber nicht selbst entmündigen, so wenig sich eine natürliche Person selbst entmündigen kann.“ 113 RG, Urteil v. 19. 2. 1881 – I 872/80 – RGZ 3, 123, 132. 114 Lehmann/Hirsch, in: Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23; so auch Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47; Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 87. 115 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 23; Flechtheim, in: Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1934, § 226 Anm. 47. 116 Geßler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497, 498. 117 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 30; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 47. 118 Lehmann/Hirsch, Verordnung über Aktienrecht 1931, § 226 Anm. 30; Kronstein, Die abhängige juristische Person, S. 47. § 253 Abs. 2 HGB lautete: „Die Generalversammlung ist, außer in den im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich bestimmten Fällen, zu berufen, wenn das Interesse der Gesellschaft es erfordert.“ Vgl. zu der damals umstrittenen Frage, wann die Einberufung der Generalversammlung durch den Vorstand notwendig ist, Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 253 Anm. 3 ff.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
II. Abhängigkeit im AktG 1937 1. Ungeschriebenes Konzernrecht im neuen Aktienrecht Auch das Aktienrecht 1937 führte zu keinem Wandel jenes „ungeschriebenen Konzernrechts“. Wie zuvor die NV 1931 wagte auch das Aktienrecht 1937 keine geschlossene, gesetzliche Regelung der konzernrechtlichen Beziehungen.119 Weder enthält es Vorschriften zu den Beziehungen und Pflichten der Konzernunternehmen untereinander noch zu jenen zwischen Ober- und Untergesellschaft oder zu Minderheiten.120 Während der Entwurf 1930 von einer solchen Regelung noch bewusst absah, weil die Entwicklungen im Konzernrecht als „noch nicht abgeschlossen“ angesehen worden waren,121 konnte die Akademie für Deutsches Recht bei ihren Beratungen zur Aktienrechtsnovelle 1937 auf ein inzwischen fortgeschrittenes Schrifttum zum Konzernrecht zurückgreifen.122 Gleichwohl sah sie – allerdings mangels Notwendigkeit – von einer Regelung der Konzernbeziehungen ab, insbesondere des eigentlichen Konzernproblems, der Gefahr für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger der abhängigen Gesellschaft.123 Nach Auffassung des Konzernrechtsunterausschusses sei etwa eine Haftung des missbräuchlich agierenden Mehrheitsaktionärs ausreichend durch die allgemeine Haftungsvorschrift nach § 826 BGB erfasst gewesen: „Diese Generalklausel des bürgerlichen Rechts genügt nach Meinung des Ausschusses auch für das Aktienrecht und bedarf ebensowenig für das Konzernrecht einer gesetzlichen Spezialisierung.“124
Derweil legte § 101 Abs. 3 AktG 1937 fest, dass selbst das Verleiten einer Gesellschaft zu einem nachteiligen Rechtsgeschäft unter vorsätzlicher Ausnutzung bestehenden Einflusses keine Schadensersatzpflicht begründete, sofern die Vorteilserlangung schutzwürdigen Belangen diente. Die darin zum Ausdruck kommende Doktrin einer unregulierten Beherrschungsmöglichkeit und des entschädi119
Sandig, in: Das Neue Aktienrecht, S. 1, 3; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 4: „Dieses Gebilde von stärkster wirtschaftlicher Realität, das in den letzten Jahrzehnten die Wirtschaft in der ganzen Welt in gewaltigen Ausmaßen beeinflußt hat, ist gleichwohl als solches bisher nicht Gegenstand der Gesetzgebung des Unternehmensrechts gewesen. (…) Auch das Aktiengesetz hat hieran nichts geändert.“ von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 8. 120 Zutreffend feststellend, von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 8; vgl. Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 9 f., der in diesem Zusammenhang den von Rosendorff geprägten Ausdruck vom „ungeschriebenen Konzernrecht“ aufgreift. Siehe oben S. 48 f. 121 Reichsjustizministerium, Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften, S. 126. 122 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 1 m.w.V.; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 15 m. w. N. 123 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1038 f. 124 Bericht des Vorsitzenden Ebbecke zu den Beratungen im Konzernrechtsunterausschuss 1935, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuß für Aktienrecht, S. 519, 522 f.
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gungslosen Vorrangs des Konzerninteresses erreichte durch das Aktienrecht 1937 „einen zweifelhaften Höhepunkt“.125 Bis zur Novelle 1965 blieb es insoweit bei einem weitgehend „ungeschriebenen Konzernrecht“ wie es bereits Rosendorff formuliert hatte. Schlegelberger und Quassowski bemerkten dazu treffend: „Ob und inwieweit die gesetzliche Festlegung dieser Begriffe [„Konzern“ und „Konzernunternehmen“, Anm. d. Verf.] den Ausgangspunkt für eine umfassende gesetzgeberische Behandlung des Konzernwesens bilden wird, läßt sich zur Zeit nicht übersehen.“126
2. Reformierung der aktienrechtlichen Kompetenzordnung Dessen ungeachtet gingen mit der Novelle 1937 signifikante Änderungen des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges einher:127 War im bisherigen Verhältnis der drei Verwaltungsträger die Generalversammlung oberstes Gesellschaftsorgan, von der Aufsichtsrat und Vorstand ihre Rechte ableiteten, brach das neue Recht mit „dem demokratischen Aufbau der Verfassung der Aktiengesellschaft.“128 So wurden die Kompetenzen der Generalversammlung, die fortan Hauptversammlung hieß, zugunsten der Stellung des Vorstands beschnitten,129 um, so die amtliche Begründung, etwaige Machtkämpfe zwischen Verwaltung und Hauptversammlung zukünftig zu unterbinden.130 Obgleich die Akademie für Deutsches Recht keine Notwendigkeit für 125 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 73; vgl. Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1039. Wortlaut von § 101 AktG 1937: (1) Wer zu dem Zwecke, für sich oder einen anderen gesellschaftsfremde Sondervorteile zu erlangen, vorsätzlich unter Ausnutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft oder des Vorstands oder des Aufsichtsrats dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) (…) (3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Einfluss benutzt wird um einen Vorteil zu erlangen, der schutzwürdigen Belangen dient. 126 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 4. 127 Baumbach spricht von einem „neuen Geist“ des Aktienrechts, Baumbach, Aktiengesetz, Vorwort, S. III. 128 Geßler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497; Sandig, in: Das Neue Aktienrecht, S. 1 f. 129 Vgl. Schlegelberger, Die Erneuerung des deutschen Aktienrechts, S. 28: „Die Hauptversammlung wird nach dem neuen Recht, wie es mir vorschwebt, ein abgesetzter König sein.“ 130 Amtl. Begründung zu § 15 AktG 1937 in Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 56. Zu den Erwägungen vgl. die Ausführungen von Heymann, im Bericht über die Sitzung des Ausschusses für Aktienrecht am 10. Februar 1934, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuß für Aktienrecht, S. 79, 99. Tatsächlich wurde mit Neugestaltung der Stellung des Vorstands, in dessen ausschließlichen Händen fortan die Leitung der Gesellschaft lag, das ideologisierte Führerprinzip des nationalsozialistischen Staates in das Kapitalgesellschaftsrecht implementiert, § 70 AktG 1937, Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 70 Anm. 1; vgl. zur Diskussion im Vorfeld des Gesetzes Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 631 f. Zu den Hintergründen und den rechtsvergleichenden Einflüssen, inbesondere des US-amerikanischen Corporate Law, auf die –
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eine gesetzliche Organisation der Rechtsbeziehungen von verbundenen Unternehmen sah,131 bedeutete die Reform auch für den Abhängigkeitstatbestand mit der Verankerung in § 15 Abs. 2 AktG 1937 eine nicht unerhebliche strukturelle Neuerung. Diese trug der wachsenden Bedeutung von Konzernen für das Unternehmensrecht Rechnung.132 Mit der abstrakten Definition in den allgemeinen Vorschriften ohne eigene Rechtsfolgenanknüpfung sollte das „Wesen des Konzerns und des Konzernunternehmens“ als Grundlage der Anknüpfungsnormen im Unternehmensrecht geregelt werden.133 In diesem Zuge wurde auch der Anwendungsbereich der Norm erweitert und erfasste nun, anders als die NV 1931, welche sich in § 226 Abs. 4 HGB 1931 nur auf Handelsgesellschaften und bergrechtliche Gewerkschaften bezog,134 alle Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform.135 Wie die bisher geltende Rechtslage beschränkte sich das Aktienrecht 1937 darauf, konzernrechtliche Aspekte nur in Einzelfragen zu regeln und übernahm ganz überwiegend die bisherigen Anknüpfungen mit einigen Erweiterungen.136 Der bisher in § 226 Abs. 4 HGB 1931 geregelte Erwerb eigener Aktien durch ein abhängiges Unternehmen, sowie die Zeichnung der Aktien der Muttergesellschaft wurden in § 65 Abs. 5 bzw. § 51 Abs. 2 AktG 1937 übernommen. Die Vorschrift zur Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder durch abhängige Unternehmen, § 240a Abs. 1 HGB 1931, findet ihr erweitertes Äquivalent in § 80 Abs. 1 AktG 1937. Die sachliche Erweiterung des Auskunftsanspruches des Aufsichtsrates gem. § 246 Abs. 1 HGB 1931 wurde in § 95 Abs. 2 AktG 1937 übernommen,137 ebenso wie die Angaben im Geschäftsbericht zu abhängigen Gesellschaften in § 128 Abs. 2 AktG 1937 (§ 260a Abs. 2 HGB 1931) sowie jene im Jahresabschluss zu Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber abhängigen Unternehmen in § 131 Abs. 1 AktG 1937 (§ 261a Abs. 1 HGB 1931).138 dem vermeintlichen Führerprinzip entsprechenden – gestärkte Stellung des Vorstands, Kuntz, in: Wells, Research Handbook on the History of Corporate and Company Law, S. 205, 218 ff.; Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 92 f. 131 Bericht des Vorsitzenden Ebbecke zu den Beratungen im Konzernrechtsunterausschuss 1935, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuß für Aktienrecht, S. 519, 522 f. 132 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 4; Amtl. Begr. zu § 15 in Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 13; vgl. die Erläuterungen im Bericht des Vorsitzenden Ebbecke zu den Beratungen im Konzernrechtsunterausschuss 1935, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuß für Aktienrecht, S. 519, 520. 133 Amtl. Begr. zu § 15 in Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 13. 134 Goldschmit, Das neue Aktienrecht, § 226 Anm. 12. 135 Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 29 f.; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 1; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 2, 7. 136 Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 15. 137 Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 32 f. 138 Vgl. Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 33 ff. Ferner übernahm § 134 Nr. 2 AktG 1937 die Vorschrift des § 261d HGB, die den Reichsminister der Justiz ermächtigte, Vor-
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Daneben gingen mit dem Aktienrecht 1937 vereinzelt auch neue Regelungen einher. Zu nennen ist etwa das Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung, welches sich sachlich auch auf die Beziehungen zu Konzernunternehmen erstreckt, § 112 Abs. 1 S. 2 AktG 1937.139 Ein solches Auskunftsrecht des Aktionärs war im bisherigen Recht gesetzlich nicht geregelt und wurde allein der Hauptversammlung als Organ zuerkannt.140 Mit der neuen Regelung wurde der Bedeutung des Fragerechts als Grundlage der Stimmrechtsausübung des einzelnen Aktionärs Rechnung getragen.141 Darüber hinaus weitete § 114 Abs. 6 AktG 1937 die Stimmrechtsbeschränkung auch auf abhängige Gesellschaften aus.142 Während nach bisher geltendem Recht zwar auch abhängige Unternehmen den Beschränkungen zum Erwerb eigener Aktien unterlagen, bezogen sich die Beschränkungen zur Stimmrechtsausübung aus eigenen Aktien nach § 226 Abs. 5 HGB 1931 nur auf Mutterunternehmen. Abhängige Unternehmen konnten Stimmrechte aus Aktien der Muttergesellschaft nach wie vor ausüben.143 Die damit einhergehende Umgehungsgefahr einer zumindest mittelbaren Einwirkung der Verwaltung auf die Willensbildung der Hauptversammlung wurde durch die Ausweitung des Stimmrechtsverbots beseitigt und stellt eine Fortentwicklung der Beschränkungen des Erwerbs und der Zeichnung eigener Aktien durch ein abhängiges Unternehmen dar.144 schriften zur Aufstellung eines Konzernabschlusses zu erlassen. Von dieser wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt Gebrauch gemacht, vgl. Kronstein/Kirchner, in: KK-AktG, 1985, Vor. § 329 Rn. 2; Kropff, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, S. 660; Fuchs/Gerloff, Die konsolidierte Bilanz 1954, S. 17; Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 36 f. 139 Vgl. Amtl. Begründung zu § 112 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 96; Baumbach, Aktiengesetz, § 112 Anm. 1. 140 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 112 Anm. 1; Danielcik, Aktiengesetz, § 112 Anm. 2; Baumbach, Aktiengesetz, § 112 Anm. 1. 141 Amtl. Begründung zu § 112 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 96; vgl. von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 112 Anm I (S. 362); Danielcik, Aktiengesetz, § 112 Anm. 2. Gleichwohl steht auch dem in der Ausübung des Stimmrechts beschränkten Aktionär ein solches Auskunftsrecht zu, Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 112 Anm. 2. 142 Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 32. 143 Teichmann/Köhler, Aktiengesetz, § 114 Anm. 6; Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 32; Friedländer, Aktienrecht 1932, § 226 Anm. 16; RG, Urteil v. 19. 11. 1935 – II 200/35 – RGZ 149, 305, 309: „Hätte der Gesetzgeber an einen solchen Rechtsverstoß das Ruhen des Stimmrechts knüpfen wollen, so wäre nicht erfindlich, weshalb er dies nicht auch bei der Neufassung des § 226 HGB durch die Aktienrechtsnovelle unzweideutig zum Ausdruck gebracht hätte, (…) Tatsächlich ist denn auch nach wie vor im Schrifttum ganz überwiegend die Ansicht vertreten, daß durch § 226 Abs. 4 HGB in der Stimmberechtigung der abhängigen Gesellschaft nichts geändert worden, das Stimmrecht also zu bejahen ist (…).“ 144 Vgl. Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 114 Anm. 19; Amtl. Begründung zu § 112 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 100 f. Vgl. auch von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 114 Anm. 19 (S. 373 f.). Der Vollständigkeit halber zu nennen sind auch noch § 119 Abs. 2 und § 137 Abs. 2 AktG 1937, wonach als Sonder- oder Abschlussprüfer der Gesellschaft weder Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrates noch Angestellte abhängiger
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Obgleich mit der Schaffung einer abstrakten Definitionsnorm das Abhängigkeitsverständnis im Kontext der einzelnen Vorschriften auszulegen war,145 ist der mit den Einzelregelungen einhergehende Regelungszweck der NV 1931 unverändert geblieben. Insoweit kam es auch der Novelle 1937 vorrangig darauf an, „für eine klare, offene und übersichtliche Rechtslage zu sorgen und damit der Lauterkeit und Sauberkeit des Aktienwesens zu dienen.“146 Die punktuelle Erfassung von Abhängigkeitsverhältnissen diente vorrangig der Verhinderung missbräuchlicher Umgehungen von Vorschriften, denen durch die Verwendung abhängiger Unternehmen „der Wirklichkeitswert genommen (wurde)“.147 Zeitgenössisch fasste Godin die Bestrebungen des Abhängigkeitskonzepts im neuen Aktienrecht wie folgt zusammen: „Die Bedeutung der Vorschriften, in welchen das Gesetz von abhängigen Unternehmen und Konzernunternehmen spricht, beschränkt sich auf die Klarheit und Durchsichtigkeit der Bilanzen dieser Unternehmen und auf einzelne gesetzgeberische Zwecke, wie der Verhütung der Umgehung anderer Vorschriften des Gesetzes mit Hilfe eines Konzernunternehmens oder eines abhängigen Unternehmens.“148
Von unterschiedlichen Regelungszwecken der Normen mit konzernrechtlichem Bezug, mithin einer Normzweckdiversität, konnte damit im Aktiengesetz 1937 noch keine Rede sein. Dies sollte sich erst mit der Aktienrechtsnovelle 1965 grundsätzlich ändern. 3. Der Abhängigkeitstatbestand in § 15 Abs. 2 AktG 1937 Für den Abhängigkeitstatbestand bedeutete die Novelle 1937 zunächst nur eine strukturelle Neuerung. War dieser bisher in § 226 Abs. 4 HGB 1931 unmittelbar mit dem Erwerb eigener Aktien verknüpft, verankerte das neue Aktienrecht den Abhängigkeitstatbestand in einer eigenen Definitionsnorm im allgemeinen Teil des Aktiengesetzes, § 15 Abs. 2 AktG 1937. Damit war aus dem Abhängigkeitsbegriff eine feststehende Definition und verbindliche Anknüpfungsvorschrift der Rechtsfolgenormen geworden.149 Diese trug der erkannten, wachsenden Bedeutung von
Gesellschaften bestellt oder gewählt werden dürfen, Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 16. 145 von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 8 (S. 37). 146 Teichmann/Köhler, Aktiengesetz, § 15 Anm. 6; Baumbach, Aktiengesetz 1937, § 15 Anm. 3; Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 20. 147 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 10; Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 1; Danielcik, Aktiengesetz, § 15 Anm. 2. 148 So treffend von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 8 (S. 37). Im Ergebnis so auch Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 13; Schlegelberger/ Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 10. 149 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 15.
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Konzernen für das Unternehmensrecht Rechnung.150 Eine Einschränkung des bisherigen Abhängigkeitsverständnisses war in der Novelle 1937 keineswegs beabsichtigt worden: „Im Interesse der erstrebten Sauberkeit (…)“, war Baumbach zufolge, „§ 15 weit auszulegen: die so beliebten Umgehungen u. Verschleierungen sind schonungslos zu unterdrücken.“151 Vielmehr wurde der Anwendungsbereich der Norm erweitert und erfasste nun alle Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform.152 Der Wortlaut der NV 1931 blieb derweil in § 15 Abs. 2 AktG 1937 unverändert. Vielmehr betonte auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich den intendierten gesetzlichen Rekurs auf das bis dato geltende Abhängigkeitsverständnis und ist deshalb ein längeres Zitat wert: „Ein abhängiges Unternehmen ist ein rechtlich selbständiges Unternehmen, das auf Grund von Beteiligungen oder sonst unmittelbar oder mittelbar unter dem beherrschenden Einfluss eines anderen Unternehmens steht. Damit schließt sich der Begriff des abhängigen Unternehmens eng an das bisherige Recht an, das bereits im § 226 Abs. 4 HGB eine gesetzliche Bestimmung der abhängigen Gesellschaft enthielt. Die bisher von der Rechtsprechung und dem Schrifttum entwickelten Begriffsgrundsätze für die abhängige Gesellschaft können daher weiterhin bei Prüfung der Frage der Abhängigkeit eine wertvolle Hilfe bieten, so daß neue Zweifel kaum entstehen können.“153
Das Schrifttum folgte der Begründung des Gesetzgebers, wonach das bisherige Abhängigkeitsverständnis nach § 226 Abs. 4 HGB 1931 ohne weiteres auf § 15 Abs. 2 AktG 1937 übertragen werden könne.154 Auch das RG vertrat diese Auffassung in seiner Thega-Entscheidung ausdrücklich.155 Mit Blick auf die grundsätzli150 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 4; siehe amtl. Begründung zu § 15 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 13; vgl. die Erläuterungen im Bericht des Vorsitzenden Ebbecke zu den Beratungen im Konzernrechtsunterausschusses 1935, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuß im Aktienrecht, S. 519, 520. 151 Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3, vgl. auch Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 38 f. 152 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 16; Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 25, 29 f.; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 1 (S. 33 f.); Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 2, 7. 153 Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 13. 154 Entsprechende Verweise auf das bisherige Abhängigkeitsverständnis in § 226 Abs. 4 HGB finden sich etwa bei Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; Schlegelberger/Quassowski/ Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 10; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 8. 155 RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 49: „Der Begriff der Abhängigkeit zweier Gesellschaften voneinander ist schon in § 226 Abs. 4 HGB im Zusammenhange mit dem dort ausgesprochenen Verbote des Erwerbs, der Inpfandnahme oder der Zeichnung der Aktien der herrschenden Gesellschaft durch die abhängige Gesellschaft dahin umrissen worden, daß eine Handelsgesellschaft als von einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien abhängig zu gelten habe, wenn sie auf Grund von Beteiligungen oder in sonstiger Weise unmittelbar oder mittelbar unter deren beherrschendem Einfluß stehe. Diese Begriffsbestimmung hat das Aktiengesetz in § 15 Abs. 2 unter erweiterter Anwendung auf rechtlich selb-
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chen Voraussetzungen bestand daher Konsens, dass nicht jede beliebige Einflussmöglichkeit ein Abhängigkeitsverhältnis begründen konnte. Vielmehr musste das herrschende Unternehmen in der Lage sein, gegenüber der Geschäftsführung des abhängigen Unternehmens in allen wesentlichen Fragen seinen Willen durchsetzen zu können.156 Nicht notwendig war dagegen, dass sich der beherrschende Einfluss auf alle Organe der abhängigen Gesellschaft erstreckte oder das herrschende Unternehmen in der Lage war Satzungsänderungen durchzusetzen.157 Denn Letztere setzte nach neuem Recht, §§ 145 i. V. m. 146 Abs. 1 AktG 1937 die Kontrolle einer Dreiviertelmehrheit der Hauptversammlung voraus, wodurch die Zahl der erfassten abhängigen Gesellschaften stark reduziert worden und dem Regelungsziel zuwider gelaufen wäre.158 Die Einflussmöglichkeit musste ferner von einer gewissen Beständigkeit sein, wenngleich eine exakte zeitliche Mindestdauer nicht bestimmt wurde. Zufälliger oder ganz vorübergehender Einfluss vermochte kein Abhängigkeitsverhältnis zu begründen.159 Schließlich bestand auch in der Frage der Einflussmittel Übereinstimmung, dass – wie in der Vorgängerregelung – grundsätzlich jedes Mittel in Betracht kommen konnte, welches die vorstehenden Voraussetzungen erfüllte.160 Dass der Abhängigkeitsbegriff und seine Funktionsweise gleichwohl durch die Aktiennovelle 1937 eine tiefgreifende Veränderung erfuhr, zeigt der folgende Blick auf die Reform der Organkompetenzen im AktG 1937 (a)). Diese berücksichtigend ist anschließend die konkrete Funktionsweise beherrschenden Einflusses im Aktienrecht 1937 zu beleuchten (b)). a) Reform der Organkompetenzen im AktG 1937 Dass an den zu § 226 Abs. 4 HGB 1931 entwickelten Einflussvoraussetzungen in § 15 Abs. 2 AktG 1937 festgehalten werden konnte, lag allerdings nicht nur am erklärten Willen des Gesetzgebers, sondern auch an der Unbestimmtheit der genannten Beherrschungskriterien. Dass Beherrschung etwa einen umfassenden Einfluss auf die Geschäftsführung voraussetzte, gibt nur unzureichend Aufschluss ständige Gesellschaften überhaupt übernommen und in Beziehung zu dem in Abs. 1 daselbst behandelten Begriffe des Konzerns und des Konzernunternehmens gebracht.“ 156 RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 49; Baumbach, Aktiengesetz 1937, § 15 Anm. 3; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 9; Danielcik, Aktiengesetz, § 15 Anm. 5. 157 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13. 158 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 38 f. 159 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 28; Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 10; Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 38. 160 Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13; Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; Fischer, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 9; Teichmann/Köhler, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3.
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darüber, auf welche Organe der abhängigen Gesellschaft nach neuem Aktienrecht Einfluss ausgeübt werden musste. Ebenso ungeeignet als Handreiche des Abhängigkeitsverständnisses war der pauschale Hinweis, dass grundsätzlich alle Mittel, die beherrschenden Einfluss vermitteln, für die Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses in Betracht kommen.161 Erst durch die aktienrechtliche Kompetenzordnung im neuen Aktienrecht lässt sich die Funktionsweise beherrschenden Einflusses im neuen Aktienrecht überblicken. Im Unterschied zur oberflächlichen und allein strukturellen Modifizierung des Abhängigkeitstatbestands hatte die aktienrechtliche Kompetenzordnung der Organe in der Novelle 1937 einen tiefgreifenden Wandel erfahren.162 War bisher die Generalversammlung zumindest de jure noch oberstes Organ der Gesellschaft,163 ordnete das neue Aktienrecht die Kompetenz der Geschäftsführung ausschließlich dem Vorstand zu, § 70 AktG 1937.164 Stand der Vorstand damit an der Spitze der Verwaltung, wurde die Aufgabe des Aufsichtsrates gem. § 95 Abs. 1 AktG 1937 auf die Überwachung der Geschäftsführung beschränkt.165 Die Hauptversammlung blieb derweil für die Grundlagenentscheidungen zuständig.166 Insgesamt schärfte die Novelle die Kompetenzen der drei zwingenden Gesellschaftsorgane des Aufsichtsrates, der Hauptversammlung und des Vorstands und grenzte sie in ihrer Funktion stärker voneinander ab.167 Damit schuf der Gesetzgeber ein „gewaltenteiliges System einander im Wesentlichen gleichgeordnete(r) Gesellschaftsorgane(.)“.168 Eröffnete das bisherige Recht dem Aufsichtsrat nach § 246 Abs. 3 HGB 1931 per Satzung weitere Obliegenheiten zu übertragen und ihn so mit umfangreichen Geschäftsführungsmaßnahmen auszustatten, wurde eine solche Übertragung in § 95 Abs. 5 AktG 1937 nunmehr ausdrücklich verboten.169 Gleiches galt für
161 Vgl. dazu Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13; Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; Fischer, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 9; Teichmann/ Köhler, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3. 162 Dazu bereits oben S. 67. 163 In der Praxis entschied die Verwaltung, bestehend aus Aufsichtsrat und Vorstand, weitgehend allein über die Geschicke der Gesellschaft, Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 652. Der Generalversammlung stand ein unmittelbares Eingriffsrecht in die Geschäftsführung zu, vgl. § 235 Abs. 1 HGB a. F., Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 91; Friedlaender, Konzernrecht, S. 278; Altmeppen, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027; 1032 f. 164 Mertens, Das Aktiengesetz, ZNR 2007, 88, 92; Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 647. 165 Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 650. 166 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 408; Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 652. 167 Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 647. 168 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 407. 169 Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 92.
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satzungsmäßig vorgesehene Weisungsrechte.170 Allein ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates zu bestimmten Geschäften des Vorstandes konnte die Satzung einräumen. Derweil war die Bestellung des Vorstands nun zwingende Aufgabe des Aufsichtsrates, § 75 Abs. 1 AktG 1937.171 Auch die Hauptversammlung konnte über Geschäftsführungsmaßnahmen nur noch unmittelbar entscheiden, wenn der Vorstand dies im Einzelfall selbst verlangte, § 103 Abs. 2 AktG 1937.172 Diese Abgrenzung der Organkompetenzen entsprach einerseits dem Zweck der Novelle, für eine klare und offene Rechtslage zu sorgen und diente damit der Sauberkeit des Aktienrechts.173 Dies kam auch potenziellen Mehrheitsaktionären zu gute. Angesichts der zuvor zahlreichen Möglichkeiten der Satzungsgestaltung, der eingeräumten Befugnisse des Aufsichtsrates oder gesellschaftsfremder Dritter mit Blick auf die Bestellung des Vorstandes waren umfangreiche Nachforschungen notwendig, um einen Einblick in die Struktur der jeweiligen Aktiengesellschaft zu gewinnen174 Hier schaffte das neue Gesetz Klarheit und Rechtssicherheit. Anderseits ging mit der Trennung der Organfunktionen eine Einschränkung der Gestaltungsfreiheit einher, was sich nicht zuletzt auf die Funktionsweise beherrschenden Einflusses auswirkte. b) Beherrschender Einfluss im Lichte veränderter Kompetenzen Dass die Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 2 AktG 1937 über den Gesetzeswortlaut hinausgehend weitere Beherrschungsmittel benennt, etwa „die Stimmenmacht, vertragliche Beziehungen, Satzungsbestimmungen oder Verbindungen durch die Person der Verwaltungsträger“,175 welche sich bereits für das bisherige Abhängigkeitsverständnis etabliert hatten, ist nicht unzutreffend. Gleichwohl haben sich sowohl Funktionsweise als auch Anwendungsbereich der genannten Einflussmittel, die sich in den bekannten Kategorien der stimmenmäßigen, organisatorischen und vertraglichen Abhängigkeit erfassen lassen, so maßgeblich verändert, dass von einem gleichbleibenden Abhängigkeitsverständnis zu sprechen, zumindest irreführend erscheint. Ob Schrifttum und Rechtsprechung die Auswirkungen der Novellierung der Organkompetenzen auf das Abhängigkeitsverständnis nicht erkannt haben oder sich streng von der Gesetzesbegründung, wonach alles beim Alten bleiben sollte, leiten ließen, sei dahingestellt. 170
Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 650. Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 648. 172 Bayer/Engelke, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 619, 647; Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 92. 173 Vgl. zum Zweck der Novelle 1937 Teichmann/Köhler, Aktiengesetz, § 15 Anm. 6; Baumbach, Aktiengesetz 1937 § 15 Anm. 3; Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 38 f. 174 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 406. 175 Amtl. Begr. zu § 15 AktG 1937 in: Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 13 f. 171
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Auffällig ist allerdings, dass eine Auseinandersetzung mit der konkreten Einflussmodalität allenfalls ansatzweise zu finden ist. Zwar analysierte etwa Geßler die veränderten Rechtsbeziehungen zwischen Aufsichtsrat und Vorstand, allerdings allgemein und nicht im besonderen Kontext der Auswirkungen auf beherrschenden Einfluss.176 Teichmann und Mauve beschränkten sich derweil darauf festzustellen, dass, „die Abhängigkeit (…), wie die einheitliche Leitung, auf schuldrechtlichen Bindungen, organisatorischen Maßnahmen oder persönlichem Einfluß beruhen (kann).“177 Ebenso begnügte sich das RG in seiner Thega-Entscheidung auf die bloße Wiedergabe der auch in der Gesetzesbegründung exemplarisch genannten Mittel ohne deren Funktionsweise näher zu beleuchten.178 Darüber hinaus finden sich mit Blick auf die reformierte Kompetenzordnung der Gesellschaftsorgane Ungenauigkeiten im Schrifttum zur Funktionsweise beherrschenden Einflusses: So führte Fischer als Mittel der Beherrschung etwa „vertragliche Bindungen bei der Besetzung von Vorstands- oder Aufsichtsratsstellen“ an.179 Als Beispiel organisatorischer Abhängigkeit erläuterte er ferner den satzungsmäßig eingeräumten Zustimmungsvorbehalt des herrschenden Unternehmens zur Besetzung wichtiger Stellen.180 Damit war er freilich nicht allein. Auch nach Schlegelberger und Quassowski konnten dem herrschenden Unternehmen für die Besetzung von Aufsichtsrat und Vorstand des abhängigen Unternehmens sowohl ein Zustimmungsvorbehalt kraft Satzung als auch eine vertraglich gesicherte Mitwirkung eingeräumt werden.181 Ferner zählte Danielcik182 als Beispiel eines „sonstigen Mittels“ im Sinne des Gesetzeswortlauts den Austausch von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern auf. Und schließlich führten von Godin und Wilhelmi das neu geschaffene Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat, § 88 Abs. 1 AktG 1937, als Einflussmittel an, sofern dadurch „der Einfluss ein beherrschender“ war.183 Vor dem Hintergrund dieses Querschnitts des wesentlichen Schrifttums zum Abhängigkeitstatbestand im neuen Aktienrecht kritisierte Gerloff zu Recht die mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Begriff des beherrschenden Einflusses. Vielmehr handelte es sich im Schrifttum „meist nur um allgemeine Betrachtungen über den beherrschenden Einfluß, aus denen dann wohl gefolgert werden soll, ob er im Einzelfall bei so und soviel Prozent Beteiligung oder bei einem sonstigen Beherrschungsmittel vorhanden ist. Dabei herrscht aber vor allem noch große Unklarheit über den Begriff des beherrschenden Einflusses selbst.“184 176 177
S. 30. 178 179 180 181 182 183 184
Geßler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497, 498 ff. Teichmann/Köhler, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; vgl. Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, Vgl. RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 53. Fischer, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4. Fischer, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4. Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 19. Danielcik, Aktiengesetz, § 15 Anm. 9. von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 9. Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 32.
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Gerloff selbst untersuchte den Begriff des beherrschenden Einflusses monographisch. Gleiches hatte bereits 1937 auch Frankenberg für das Aktienrecht im Vergleich zum schweizerischen und englischen Recht versucht. Seine Ergebnisse zum deutschen Abhängigkeitsverständnis bezogen sich jedoch im Schwerpunkt noch auf § 226 Abs. 4 HGB 1931 und waren bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung obsolet.185 Gleiches gilt für die vorstehend exemplarisch beschriebenen Beherrschungsmöglichkeiten Schlegelbergers, Quassowskis, Danielciks, von Godins und Wilhelmis, welche mit der neuen Kompetenzordnung im Aktiengesetz 1937 allesamt unvereinbar waren. Nachfolgend wird dies anhand der bereits bekannten Gliederung von organisatorischer (aa)), stimmenmäßiger (bb)) und vertraglicher Abhängigkeit (cc)) veranschaulicht. aa) Organisatorische Abhängigkeit Die satzungsmäßige Besetzung des Aufsichtsrates war aufgrund der Alleinkompetenz der Generalversammlung bereits nach altem Recht unzulässig, § 243 Abs. 1 HGB 1931. Gestaltungsfreiheit bestand insoweit lediglich über die Besetzung des Vorstands, vgl. § 182 Nr. 4 HGB 1931. Letztere wurde durch das neue Recht allerdings dem Aufsichtsrat zugewiesen, § 75 Abs. 1 AktG 1937. Damit war nicht nur die unmittelbare satzungsmäßige Bestellung durch Dritte versagt, sondern auch ein Zustimmungsvorbehalt oder ein verbindliches Vorschlagsrecht, wodurch die Auswahl der Vorstandsmitglieder beschränkt worden wäre.186 Allenfalls ein unverbindliches Vorschlagsrecht konnte anderen Organen oder Dritten eingeräumt werden,187 vermochte jedoch mangels Durchsetzungsmöglichkeit die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses nicht zu erfüllen. Ebenso ausgeschlossen war neuerdings die satzungsmäßige Mitwirkung an der Geschäftsführung durch Aufsichtsrat oder Hauptversammlung. Ferner war die Hauptversammlung nach § 101 Abs. 2 AktG 1937 von der Geschäftsführung ausgeschlossen und auch dem Aufsichtsrat konnten nach § 95 Abs. 5 AktG 1937 Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden. Allein bei bestimmten Arten von Geschäften konnte die Satzung einen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates gem. § 95 Abs. 2 S. 2 AktG 1937 vorsehen. Dieser Ausnahmetatbestand konnte jedoch nicht insoweit ausgedehnt werden, als die Satzung alle Geschäftstätigkeiten des Vorstands aufzählte und der Zustimmung des Aufsichtsrates unterstellte.188 Vielmehr bezog sich die Vorschrift allein auf einzelne Geschäftsarten. Frankenberg zufolge soll es jedoch zulässig gewesen sein, per Satzung einem zusätzlich zu schaffenden Organ der Gesellschaft ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand einzuräumen. Ein solches wäre seiner Ansicht 185
Vgl. Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 128, demzufolge die satzungsmäßige Einräumung von Weisungsrechten gegenüber dem Vorstand zulässig sei. Dies war allerdings mit § 95 Abs. 5 und § 103 Abs. 2 AktG 1937 unvereinbar. 186 So ganz ausdrücklich Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 75 Anm. 2. 187 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 75 Anm. 2. 188 Geßler, Vorstand und Aufsichtsrat im neuen Aktiengesetz, JW 1937, 497, 498.
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nach den genannten Beschränkungen von Aufsichtsrat und Hauptversammlung nicht zuwidergelaufen und hätte damit nicht gegen zwingendes Gesellschaftsrecht verstoßen.189 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar war die Schaffung eines zusätzlichen Organs mangels Satzungsstrenge nicht ausgeschlossen. Dessen Mitwirkung an der Geschäftsführung durch Weisungsrechte oder Zustimmungsvorbehalte hätte allerdings dem Ziel der Gewaltenteilung innerhalb der AG widersprochen.190 Neben der Kompetenzabgrenzung zwischen den Organen war die Stärkung des Vorstands zum „obersten geschäftsführenden Organ“ und des in § 70 Abs. 1 AktG 1937 verwirklichten „Führerprinzips“ Ziel der aktienrechtlichen Novelle.191 Eine unmittelbare beherrschende Einflussnahme durch ein weiteres Organ war mit dieser neuen Zuständigkeitsregelung in § 70 AktG 1937 unvereinbar und hätte gegen zwingendes Gesellschaftsrecht verstoßen.192 Insoweit hatte sich mit der Aktienrechtsnovelle 1937 der Anwendungsspielraum organisatorischer Abhängigkeit erheblich verringert.193 Auch die unter der Novelle 1937 neu eingefügte Option eines satzungsmäßigen Entsendungsrechts in den Aufsichtsrat, § 88 Abs. 1 AktG 1937, änderte an diesem Bedeutungsverlust nichts. Denn dieses war gerade zur Vermeidung eines beherrschenden Einflusses der entsandten Mitglieder auf ein Drittel aller Aufsichtsratsmitglieder beschränkt.194 Als einzig denkbare Option blieb demnach nur, den Unternehmensgegenstand der abhängigen Gesellschaft so weitgehend auf die Dienste des herrschenden Unternehmens auszurichten, dass dem abhängigen Unternehmen letztlich kein nennenswerter autonomer Entscheidungsraum verblieb. Allerdings setzte auch dies erst die Fähigkeit zur Satzungsänderung voraus. Sofern das abhängige Unternehmen nicht bereits von der Muttergesellschaft gegründet wurde, war die selbständige Erscheinung organisatorischer Abhängigkeit damit ausgeschlossen.195 bb) Stimmenmäßige Abhängigkeit Auch das mit der stimmenmäßigen Abhängigkeit einhergehende Einflusspotential erfuhr durch die Novelle 1937 eine nicht unerhebliche Modifizierung, blieb in der Literatur jedoch ebenfalls weitgehend unbeachtet.196 Der strikten Trennung der Organkompetenzen im neuen Aktiengesetz zum Trotz vermochte eine Stimmrechtsmehrheit auch weiterhin beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ins189
Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 128. Vgl. Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 615. 191 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 70 Anm. 1. 192 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 70 Anm. 7 f. 193 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 409. 194 A. A. von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 88 Anm. 2. 195 So auch Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 60. 196 In Ansätzen auf das veränderte Einflusspotential hinweisend Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 35 f. 190
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gesamt auszuüben.197 Allerdings änderte sich die Einflussmodalität: Das bisherige Recht ermöglichte einem Mehrheitsaktionär über einen Beschluss der Generalversammlung unmittelbar in die Geschäftsführung des Vorstandes einzugreifen bzw. diesem von vornherein Zuständigkeitsbeschränkungen aufzuerlegen, vgl. § 235 Abs. 1 HGB 1931.198 Dieses Weisungsrecht hatte die Novelle 1937 der Hauptversammlung mit § 103 Abs. 2 AktG 1937 ausdrücklich genommen.199 Die von einer Mehrheitsbeteiligung ausgehende Einflussmacht gründete sich nunmehr ausschließlich auf die Personalkompetenz im Aufsichtsrat, welcher allein durch die Hauptversammlung gem. § 87 Abs. 1, 2 AktG 1937 – wie bereits nach bisherigem Recht – bestellt und vorzeitig abberufen werden konnte. Auch der Aufsichtsrat war durch § 95 Abs. 5 AktG 1937 von der Mitwirkung an der Geschäftsführung grundsätzlich ausgeschlossen. Derweil oblag ihm nunmehr die Bestellung des Vorstands, § 75 Abs. 1 AktG 1937, was der Hauptversammlung nunmehr eine doppelt indirekte Einflussmöglichkeit gegenüber dem Vorstand vermittelte.200 Indirekt, weil der Einfluss nicht durch die Hauptversammlung selbst sondern über den Aufsichtsrat ausgeübt wurde, den wiederum die Hauptversammlung ernannte. Doppelt indirekt, weil auch der Aufsichtsrat über keine unmittelbare Durchsetzungsbefugnis in Fragen der Geschäftsführung verfügte, sondern allein über die Personalentscheidungsgewalt ein interessenkonformes Verhalten des Vorstands durchzusetzen vermochte. Denn insoweit schwebte über dem Vorstand das Damoklesschwert einer Abberufung durch den Aufsichtsrat, § 75 Abs. 3 AktG 1937 in Folge eines durch die Hauptversammlung erklärten Misstrauens gegenüber dem Vorstand.201 Mit der im neuen Aktienrecht vollzogenen Trennung der Organkompetenzen schwächte sich das Einflusspotential einer Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung ab. Von einer vormalig unmittelbaren Einwirkung auf die Geschäftsführung der Aktiengesellschaft reduzierte sie sich auf die Aussicht einer potentiellen Abberufung durch den Aufsichtsrat und dem damit einhergehenden allein faktisch wirkenden Zwang zur interessenkonformen Leitung der AG. Gleichwohl bestand weder nach dem Gesetzeswortlaut in § 15 Abs. 2 AktG 1937, der das Beteiligungskriterium ausdrücklich als eigenständige Beherrschungsgrundlage aufzählt, noch den Gesetzesmaterialien, der Literatur oder Rechtsprechung zufolge der ge-
197
Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 409. Pinner, in: Staub, HGB, 14. Aufl. 1933, § 235 Anm. 3; vgl. Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 35. 199 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 35. 200 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 409; vgl. Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 38, 45 ff. 201 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 36; von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 103 Anm. I; Teichmann/Köhler, Aktiengesetz 1939, § 103 Anm. 3. 198
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ringste Zweifel,202 dass eine Beteiligung in entsprechender Höhe den Anforderungen an den beherrschenden Einfluss genügte. cc) Vertragsmäßige Abhängigkeit Die vertragsmäßige Abhängigkeit blieb von der Novelle 1937 weitgehend unberührt, beschränkte sich diese doch vor allem auf die Reform der Binnenstruktur in der AG. Dagegen gründete sich eine vertragliche Abhängigkeit auf externen Bindungen der AG, auf die die Reform keinen Einfluss nahm. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtslage bestand sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung Konsens, dass ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen zwei Gesellschaften auch schuldvertraglich und ohne weitere Notwendigkeit einer zusätzlichen Beteiligung begründet werden konnte.203 Eine Einschränkung, die dem heutigen Verständnis entspricht, wonach beherrschender Einfluss grundsätzlich gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss und damit schuldrechtliche Verbindungen als selbständige Beherrschungsgrundlage ausgeschlossen sind, hatte sich nicht durchsetzen können. Die Besonderheit der vertraglichen Abhängigkeit ist der fließende Übergang von der nicht beherrschenden zur beherrschenden Einflussqualität, abhängig davon, welche Rechte dem herrschenden Unternehmen durch das abhängige Unternehmen eingeräumt wurden.204 Von den Vertragsarten, denen auch noch heute praktische Relevanz zukommt,205 wurden exemplarisch etwa Kredit- und Lieferungsverträge angeführt, die mit weitgehenden Zustimmungs- und Kontrollbefugnissen des herrschenden Unternehmens einhergehen.206 Dass ein Vorstand bereit war, einem Dar-
202 Amtl. Begründung zu § 15 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 14: „Als Mittel des Einflusses seitens der herrschenden Gesellschaft wird die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft im Vordergrund stehen.“ von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 103 Anm. II 9; Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13; RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 53. 203 von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 15 Anm. II 9 f.; Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 30; Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Schlegelberger/ Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 18; Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 62; vgl. RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 49. 204 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 72. 205 Eine andere, damals diskutierte Vertragsart war noch der sog. Interessengemeinschaftsvertrag, der ebenfalls – je nach Gestaltung – ein Abhängigkeitsverhältnis begründen konnte, Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 18. 206 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 18; Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 72.
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lehensgeber weitreichende Kontrollrechte einzuräumen, lässt sich im Fall einer wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens leicht nachvollziehen.207 Im Unterschied zu einer entsprechenden satzungsmäßigen Ausgestaltung wurde die vertragliche Einräumung selbst weitreichender Zustimmungs- und Weisungsrechte gegenüber dem Vorstand für zulässig befunden.208 Aus heutiger Sicht mag eine solch weitgehende vertragliche Bindung des Vorstands mit Blick auf dessen modifizierte Stellung im Kompetenzgefüge der AG, vgl. § 70 Abs. 1 AktG 1937, verwundern. Denn die Novelle etablierte den Grundsatz der Leitungsautonomie indem sie die grundsätzliche, selbständige Leitungsverantwortung für die Gesellschaft dem Vorstand übertrug.209 Damit einher ging die Frage, ob sich der Vorstand selbst dieser ihm zwingend zugeordneten Leitungsautonomie in § 70 Abs. 1 AktG 1937 durch Vertrag begeben konnte. Nach damaligem Verständnis bestanden an dieser Möglichkeit des Vorstands keine durchgreifenden Bedenken. Auch der Gesetzesbegründung zu § 70 AktG 1937 lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass mit dem Grundsatz der Leitungsautonomie für den Vorstand selbst eine Beschränkung seiner Vertretungsmacht einhergehen sollte.210 Eine solche wäre umso schwerwiegender gewesen, zumal mit dem AktG 1937 keine gesetzliche Erfassung vertraglicher Beherrschungsmöglichkeiten und damit Ausnahmemöglichkeiten einhergingen. Das Regelungsziel der gestärkten Vorstandsstellung lag derweil primär in der Gewaltentrennung innerhalb der Gesellschaft und der Entmachtung der Gesellschafter.211 Die Leitung der Gesellschaft sollte nicht mehr von wechselnden Mehrheiten in der Hauptversammlung abhängig sein, sondern ausschließlich den dafür ausgewählten und sachkundigen Mitgliedern des Vorstands vorbehalten bleiben.212 Gleichwohl stand die Leitungspflicht des Vorstands in § 70 AktG 1937 mit der übergeordneten Leitung durch ein beherrschendes Unternehmen im Konzernverbund im Spannungsverhältnis.213 Dass der Vorstand gesellschaftsfremden Dritten ver207 Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 72: „Da das kreditnehmende Unternehmen in der Regel darauf angewiesen sein wird, daß der Vertrag zustande kommt, wird es zu den größten Opfern bezüglich seiner Freiheit bereit sein.“ 208 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 70 Anm. 2. 209 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 70 Anm. 7. 210 Vgl. amtl. Begr. zu § 70 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 58 f. 211 Mertens, Das Aktiengesetz 1937, ZNR 2007, 88, 93; Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 631. 212 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, Vor. § 70; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 70 Anm. 2. 213 Darauf verwies bereits Mauve, in: Das Neuen Aktienrecht, S. 3 f.: „Die Leitung der abhängigen Gesellschaft unter eigener Verantwortung ihres Vorstandes und die einheitliche Leitung des herrschenden und des abhängigen Unternehmens im Konzern sind also schwer zu vereinbaren. (…) Wenn es sich auch um interne Konzernfragen handelt, so werden doch er-
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tragliche Weisungsrechte oder Zustimmungsvorbehalte einräumen konnte, wurde aber insoweit als zulässig angesehen, weil er sich seiner organschaftlichen Leitungskompetenz nicht begab und damit nicht gegen die zwingende gesellschaftsrechtliche Kompetenzregelung verstieß.214 Eingegangene Bindungen waren rein schuldrechtlicher, nicht organisationsrechtlicher Natur.215 Etwaige Weisungsrechte durfte der Vorstand allerdings nur unter Beachtung der ihm gegenüber der AG obliegenden Pflichten befolgen, deren Grenzen in Fällen des § 826 BGB oder § 101 AktG 1937 erreicht wurden.216 Gleichwohl war die Durchsetzungskraft vertraglicher Kontrollrechte nicht zu unterschätzen, konnte doch im Falle des Zuwiderhandelns des Vorstands die sofortige Rückzahlungspflicht des etwaig lebenswichtigen Darlehens für die Gesellschaft vereinbart worden sein. Die Aussicht eines solchen Sanktionsmechanismus war in seiner faktischen Wirkung vergleichbar mit dem Einflusspotential der Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung im neuen Aktienrecht und damit grundsätzlich geeignet, ein eigenständiges Abhängigkeitsverhältnis zu begründen. Die Grenze schuldvertraglich begründeter Abhängigkeit war allerdings dort erreicht, wo der Kompetenzbereich des Vorstands endete und die Zuständigkeit von Aufsichtsrat oder Hauptversammlung berührt wurde. Insoweit verfügte der die Gesellschaft vertretende Vorstand über keine Vertretungsmacht, sodass hierauf gerichtete Verträge zumindest schwebend unwirksam waren.217 Beispielhaft vermochte der Vorstand die Gesellschaft vertraglich weder zu Kapitalerhöhungen noch -herabsetzungen oder sonstigen Satzungsänderungen zu verpflichten, da diese einen Hauptversammlungsbeschluss voraussetzten.218 Unzutreffend war daher auch das sowohl von Schmidt als auch Schlegelberger und Quassowski angeführte Beispiel, dass „eine vertraglich gesicherte Mitwirkung bei der Besetzung der Stellen im Vorstand und Aufsichtsrat“ beherrschenden Einfluss begründen könne.219 Dies musste auch ungeachtet der lediglich schuldrechtlichen Natur solcher Mitwirkungsvereinbarungen gelten.220
gänzende Vorschriften notwendig sein.“ Siehe auch Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, Vor. § 70. 214 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 7c. 215 Vgl. mit Blick auf vertragswidriges Verhalten am Beispiel der Bindung des Aufsichtsrates Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 72. 216 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 7c. 217 Vgl. diesen dogmatischen Ansatz zum Aktienrecht 1965, Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105. 218 von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 103 Anm. II 1. 219 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 21. 220 A. A. Gerloff, Das abhängige Unternehmen, S. 72 f.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Denn diese war bereits schwebend unwirksam aufgrund des fehlenden rechtlichen „Könnens“ der Gesellschaft,221 da die Besetzung des Aufsichtsrats der Hauptversammlung und die Besetzung des Vorstands allein dem Aufsichtsrat oblag. Ein Weisungsrecht, das sich dagegen unmittelbar an den Vorstand richtete und auf die Geschäftsführung beschränkte, ließ den damaligen Zuständigkeitskreis von Hauptversammlung und Aufsichtsrat unberührt. Im AktG 1937 war der Beherrschungsvertrag im Sinne des heutigen § 291 Abs. 1 AktG noch nicht verankert, sodass die Wirksamkeit eines solchen Vertrages auch nicht der Zustimmung der Hauptversammlung vorbehalten war. Eine solche war allein in § 256 Abs. 1, 2 AktG 1937 für den Gewinnabführungsvertrag, den Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag vorgesehen. Umso bemerkenswerter ist insoweit, dass in der Literatur gleichwohl bei Abhängigkeit begründenden Schuldverträgen, die Einholung der Zustimmung der Hauptversammlung nach § 103 Abs. 2 AktG 1937 zumindest empfohlen wurde, um den Vorstand vor einer möglichen Haftung, vgl. § 84 Abs. 4 S. 1 AktG 1937, zu schützen.222 Damit näherte sich das damalige Verständnis von Weisungsverträgen bereits dem im AktG 1965 erstmalig gesetzlich erfassten Beherrschungsvertrag an, welcher Grundlage des heutigen Vertragskonzerns ist.
III. Fazit – Das historische Abhängigkeitsverständnis Mit dem ursprünglichen Abhängigkeitstatbestand, das mit der Notverordnung 1931 Teil des Aktienrechts wurde, verfolgte der damalige Verordnungsgeber das Ziel, eine Verschleierung wirtschaftlicher Verhältnisse und Umgehung aktienrechtlicher Vorschriften durch Konzernunternehmen zukünftig möglichst umfassend zu verhindern. Entsprechend abstrakt konzipiert war die Definition der Abhängigkeit und entsprechend weit sollte der Tatbestand mit Blick auf das Regelungsziel ausgelegt werden. Tatsächlich eröffnete das damalige HGB in Ermangelung detaillierter Vorschriften über die Benennung des Vorstands oder gar zur Satzungsstrenge umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten. Die durchlässige Trennung der Zuständigkeitsbereiche der Gesellschaftsorgane ermöglichte anderen Unternehmen auf vielfältige Weise, einschließlich vertraglicher und satzungsmäßiger Gestaltung, beherrschenden Einfluss auszuüben. Diese Einflussmöglichkeiten sollten von dem eingefügten Abhängigkeitstatbestand in § 226 Abs. 4 HGB 1931 erfasst und transparent gemacht werden, um die Missstände, die sich in der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre auch in Deutschland zeigten, zukünftig zu verhindern. Der Gesetzgeber der Aktienrechtsnovelle 1937 hielt an jenem weiten Abhängigkeitsverständnis in § 15 Abs. 2 AktG 1937 ganz ausdrücklich fest, wie sich nicht zuletzt im weitgehend gleichbleibenden Wortlaut der Vorschrift manifestierte. Aus 221 222
Vgl. mit Blick auf das AktG 1965 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105. Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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diesem Grund ging er auch von den bisherigen Gestaltungsmöglichkeiten beherrschenden Einflusses aus und zählt exemplarisch neben der Beteiligung, etwa die Stimmenmacht, vertragliche Beziehungen und Satzungsbestimmungen auf. Das ganz überwiegende Schrifttum griff dieses Verständnis auf und schloss sich der Gesetzesbegründung an, ohne auf die Funktionsweise beherrschenden Einflusses näher einzugehen. Derweil hatte die Funktionsweise beherrschenden Einflusses in § 15 Abs. 2 AktG 1937 im Vergleich zur Vorgängernorm einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren. Der Grund dafür liegt aber nicht im Verbundkonzept selbst, sondern im novellierten Organisationsgefüge der AG. Die zwingende Trennung der Zuständigkeiten der Organe, insbesondere die Entmachtung von Aufsichtsrat und Hauptversammlung beschränkte nunmehr die Gestaltungsfreiheit beherrschender Einflussnahme. Die Möglichkeit ein Abhängigkeitsverhältnis allein durch Satzung zu begründen, wurde weitgehend bedeutungslos. Eine Mehrheitsbeteiligung eröffnete nach wie vor eine regelmäßige Beherrschungsmöglichkeit, verlor jedoch die unmittelbare Möglichkeit der Willensdurchsetzung und damit an Einflussmacht. Lediglich die vertraglich begründete Beherrschungsmöglichkeit blieb durch die Novelle 1937 weitgehend unberührt und ermöglichte nach damalig übereinstimmender Auffassung, trotz der neu eingeführten Leitungsautonomie in § 70 Abs. 1 AktG 1937, ein Abhängigkeitsverhältnis auch allein schuldvertraglich zu begründen. Ausgangspunkt der Novelle 1965 war damit ein Abhängigkeitsverständnis, das sich seit 1931 in unverändertem Gewand präsentierte, dessen konkrete Funktionsweise sich aber unbemerkt grundsätzlich verändert hatte. Die Prognose der Gesetzesbegründung zum AktG 1937, wonach die bisher von der Rechtsprechung und dem Schrifttum entwickelten Begriffsgrundsätze für die abhängige Gesellschaft bei der Prüfung der Abhängigkeit eine wertvolle Hilfe böten, „so daß neue Zweifel kaum entstehen können“,223 erwies sich vor diesem Hintergrund als unzutreffend.
IV. Abhängigkeit im geltenden Aktienrecht Aufbauend auf den Erkenntnissen des vorstehend untersuchten, historisch gewachsenen Abhängigkeitsverständnis wendet sich dieses Kapital nun der Beleuchtung und Konkretisierung des geltenden Abhängigkeitstatbestands in § 17 AktG zu. Abweichend von dem bisherigen Aufbau ist der inhaltlichen Erörterung des Abhängigkeitsbegriffs keine Skizzierung der Entstehungsgeschichte der Novelle 1965 und Erläuterung der Modifikationen durch das materiell-rechtliche Konzernrecht im Dritten Buches vorangestellt. Darauf wird zu gegebener Zeit zurückzukommen sein. Der folgende Abschnitt beginnt unmittelbar mit der inhaltlichen Beleuchtung des Abhängigkeitstatbestands. Der Vollständigkeit halber ist zunächst auf die strukturelle Abkoppelung des Abhängigkeitsbegriffs vom Konzerntatbestand einzugehen 223 Siehe amtl. Begründung zu § 15 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 13.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
(1.), bevor die grundsätzlichen Voraussetzungen beherrschenden Einflusses im Aktienrecht erläutert werden (2.). Anschließend wendet sich die Untersuchung ihrem Schwerpunkt, der Frage nach den zulässigen Grundlagen beherrschenden Einflusses zu (3.). 1. Lösung des Abhängigkeitskonzepts vom Konzernbegriff Wie bereits zu Beginn der Untersuchung ausgeführt, war der Gesetzgeber der Novelle 1965 wenig bestrebt, das bestehende Abhängigkeitsverständnis im Grundsatz zu reformieren. Vielmehr griff er für den Abhängigkeitsbegriff auf die bestehende Regelung des AktG 1937 zurück: „Absatz 1 [§ 16, der später § 17 wurde. Anm. d. Verf.] bestimmt die Begriffe des abhängigen und des herrschenden Unternehmens in enger Anlehnung an das geltende Recht.“
Wie in § 15 Abs. 2 AktG 1937 zuvor wurde der Abhängigkeitstatbestand im allgemeinen Teil den einzelnen Rechtsfolgen vorangestellt. Anders als in der Vorgängerregelung ist der Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG jedoch vom Konzernbegriff losgelöst und bildet eine eigenständige Definitionsnorm. Grund dafür ist die Voraussetzung der einheitlichen Leitung, die für ein Konzernverhältnis zwingend vorliegen muss, während Abhängigkeit bereits durch die bestehende Möglichkeit einer beherrschenden Einflussnahme begründet wird. Eine Erweiterung des Abhängigkeitstatbestands im Vergleich zur Vorgängerregelung ist damit nicht einhergegangen, da bereits zum bisher geltenden Recht angenommen wurde, dass aus der Möglichkeit beherrschenden Einflusses Abhängigkeit folge.224 Abgeleitet wurde dies aus der fehlenden Tatbestandsvoraussetzung der einheitlichen Leitung in § 15 Abs. 2 AktG 1937. Ungeachtet der einheitlichen Leitung mündete die Abhängigkeitslage nach altem Recht jedoch stets in ein Konzernverhältnis. Damit bestand im AktG 1937 zwischen den Voraussetzungen von Gleichordnungs- (§ 15 Abs. 1) und Unterordnungskonzern (§ 15 Abs. 2 AktG 1937) eine Diskrepanz.225 Durch die Abkoppelung des Abhängigkeitstatbestands vom Konzernbegriff im AktG 1965 wurde diese Diskrepanz aufgelöst und die einheitliche Leitung als Voraussetzung im Konzern etabliert. Für den Abhängigkeitstatbestand ging mit dieser redaktionellen Klarstellung dagegen keine inhaltliche Änderung einher. 2. Voraussetzungen beherrschenden Einflusses im geltenden Recht Die Novelle 1965 hielt am grundsätzlichen Kompetenzgefüge der Gesellschaftsorgane des bestehenden Rechts fest. Sowohl Geschäftsführung als auch Leitung der AG obliegt allein dem Vorstand nach § 76 Abs. 1 AktG. Zwar überwacht 224
Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13; Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 38. 225 Vgl. dazu Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4 ff.; von Godin/Wilhelmi, Gesetz über Aktiengesellschaften, § 15 Anm. 36.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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der Aufsichtsrat die Geschäftsführung nach § 111 Abs. 1 S. 1 AktG, ist von ihr selbst jedoch ausdrücklich nach Abs. 4 S. 1 ausgeschlossen. Lediglich zu einzelnen Maßnahmen kann dem Aufsichtsrat per Satzung ein Zustimmungsvorbehalt eingeräumt werden, § 111 Abs. 4 S. 2 AktG. Auch die Hauptversammlung ist seit der Novelle 1937 von der Geschäftsführung ausgeschlossen, was heute in § 119 Abs. 2 AktG verankert ist. Danach kann sie lediglich auf Verlangen des Vorstands mit bindender Wirkung in Geschäftsführungsfragen entscheiden.226 Eine Rückgängigmachung der mit der Novelle 1937 bewirkten Entmachtung der Hauptversammlung wurde im Zuge der Reform 1965 nicht verfolgt. Vielmehr wurde die Stellung des Vorstands als sachgerecht erachtet.227 Weitgehend unverändert blieben damit auch die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses im geltenden AktG zu jenen im AktG 1937 wie im Folgenden anhand des Einflussumfanges (a)), der Einflussintensität (b)) und der Einflussbeständigkeit (c)) aufgezeigt wird. a) Einflussumfang im geltenden Aktienrecht In Folge der unveränderten Kompetenzordnung im AktG gelten die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses des AktG 1937 im neuen Recht fort. Die Zielrichtung des Einflusses konzentriert sich notwendig auf das Leitungsorgan und damit den Vorstand. Dieser kann zwar indirekt über das Einflusspotential in Hauptversammlung oder Aufsichtsrat oder direkt über ein Weisungsrecht ausgeübt werden. Der Gegenstandsbereich beherrschenden Einflusses, mithin der Einflussumfang, erschöpft sich im Kompetenzbereich des Vorstands. Er umfasst also abstrakt-generell sowohl alle Leitungs- als auch wesentlichen Geschäftsführungsfragen, wobei allerdings nicht sämtliche Alltagsmaßnahmen der Geschäftsführung im Sinne des operativen Geschäfts einzubeziehen sind.228 Die Einflussmacht nur auf bestimmte Geschäftsfelder, etwa Produktion oder Logistik vermag beherrschenden Einfluss aufgrund der nur punktuellen Bindung nicht zu begründen.229 Auf der anderen Seite setzt beherrschender Einfluss nicht die Durchsetzung von Grundlagenbeschlüssen voraus,230 denn dies würde neben dem beherrschenden Einfluss auf den Vorstand 226
Koch, in: Hüffer/Koch, § 119 Rn. 15; Wendt, in: MünchKommAktG, § 119 Rn. 196. Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 699 f. m. w. N. 228 Dies entspricht dem ganz herrschenden Schrifttum: Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 6; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 3; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 12; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 24; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 8; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 17 AktG Rn. 4; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 4; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 8; BGH, Beschluss v. 19. 1. 1993 – KVR 32/91 – BGHZ 121, 137, 146. 229 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 7; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 8; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 12; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 9. A. A. stellvertretend Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 8, § 18 Rn. 11; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 4. 230 Stellvertretend Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 3; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 6. 227
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auch die qualifizierte Beherrschung der Hauptversammlung voraussetzen und damit den Anwendungsbereich der Abhängigkeit stark verengen. Dass ein solcher Einflussumfang nicht Voraussetzung beherrschenden Einflusses ist, ergibt sich bereits aus der Vermutungsregel in § 17 Abs. 2 AktG, da sich Grundlagenbeschlüsse nicht mit der für die Beherrschung regelmäßig ausreichenden, einfachen Mehrheit durchsetzen lassen. b) Einflussintensität Auch mit Blick auf die Einflussintensität gelten die seit dem AktG 1937 bestehenden Voraussetzungen fort. Beherrschender Einfluss qualifiziert sich dadurch, dass er letztlich die Willensdurchsetzung des herrschenden Unternehmens gewährleistet, ungeachtet eines vermeintlich entgegenstehenden Interesses des abhängigen Unternehmens.231 Unzureichend mangels Durchsetzungsmöglichkeit ist insoweit die Einflussmöglichkeit durch reine Partizipation am Willensbildungsprozess der Organe, etwa durch ein satzungsmäßiges Entsendungsrecht von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 101 Abs. 2 AktG.232 Denn dieses ist höchstens auf ein Drittel seiner Mitglieder beschränkt und eröffnet daher gerade keine Durchsetzung der im Aufsichtsrat grundsätzlich mit einfacher Mehrheit zu treffenden Beschlüsse.233 Für die Einflussintensität gelten damit die in der Thega-Entscheidung des RG aufgestellten Grundsätze fort.234 Darin vertrat es die Auffassung, dass für das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnis entscheidend sei, „daß das herrschende Unternehmen über Mittel verfügt, die es ihm ermöglichen, das abhängige Unternehmen seinem Willen zu unterwerfen und diesen bei ihm durchzusetzen.“235 Der heute überwiegenden Ansicht zufolge sind die Anforderungen einer Willensunterwerfung und Willensdurchsetzung, wie sie das RG im Thega-Urteil aufstellte, für den Abhängigkeitsbegriff der Novelle 1965 allerdings zu hoch und auf das
231
Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 5; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 9 f.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 7; BGH, Beschluss v. 19. 1. 1993 – KVR 32/91 – BGHZ 121, 137, 146. 232 Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 31. A. A. Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 11; Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Rn. 7. 233 Vgl. § 108 Abs. 1 AktG i. V. m. § 32 Abs. 1 S. 3 BGB. Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rn. 24; Koch, in: Hüffer/Koch, § 108 Rn. 6; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, Aktiengesetz, § 108 Rn. 23. Ausdrücklich genügt die einfache Mehrheit nach § 111 Abs. 3 für die Einberufung der Hauptversammlung aus Gründen des Unternehmenswohls. Jürgenmeyer, Satzungsklauseln über qualifizierte Beschlussmehrheiten im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, ZGR 2007, 112. 234 von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 17 Rn. 2; Biedenkopf/Koppensteiner, in: KK-AktG, 1. Aufl. 1985, § 17 Rn. 7. 235 RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 49.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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geltende Recht nicht anwendbar.236 Allein das mit dem Beherrschungsvertrag nach § 291 Akt einhergehende Weisungsrecht nach § 308 Abs. 1 AktG sowie die Eingliederung gem. § 319 AktG gewährleiste im geltenden Aktienrecht eine solche Willensdurchsetzung.237 Dabei wird allerdings übersehen, dass die Kompetenzordnung der Gesellschaftsorgane im heutigen Recht weitgehend mit jener im AktG 1937 übereinstimmt. Seit der Novelle 1937 vermittelt die Mehrheitsbeteiligung über die Aufsichtsratsbestellung eine lediglich indirekte Einflussmöglichkeit auf den Vorstand. Wie bereits erläutert, war jedoch insbesondere die durch Beteiligung vermittelte Einflussintensität für die Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses bereits nach alter Rechtslage als hinreichend anerkannt, zumal § 15 Abs. 2 AktG 1937 die Mehrheitsbeteiligung als Einflussgrundlage ausdrücklich benannte. Damit war auch ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand nach damaligem Maßstab keine Voraussetzung beherrschenden Einflusses. Konsens bestand darüber hinaus, dass beherrschender Einfluss nicht notwendig rechtlich vermittelt sein musste.238 Überdies genügte zur Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses ein mittelbarer Einfluss. Dass das RG jenes begrenzte Einflusspotential einer Mehrheitsbeteiligung bei der Thega-Entscheidung 1941 – immerhin vier Jahre nach der Reform – grundlegend verkannte, dürfte ausgeschlossen sein. Bei den Anforderungen an die Einflussintensität, die das RG in Thega aufstellte, ist es daher verfehlt, streng am Wortlaut verhaftet zu bleiben, ohne den Kontext des bereits damals geltenden Einflussmaßstabs zu berücksichtigen. Die Möglichkeit einer Willensunterwerfung beschreibt daher nichts anderes als die auch heute notwendige Voraussetzung einer Durchsetzungsmöglichkeit der Interessen des herrschenden Unternehmens auch gegen den Willen des abhängigen Unternehmens. Ob dieses Ziel durch ein direktes Weisungsrecht oder indirekt über die Aussicht einer Abberufung durch den von der Hauptversammlung besetzten Aufsichtsrat vermittelt wird, kann für das Ziel einer interessenkonform agierenden Geschäftsführung dahinstehen.239 Insoweit kann angeführt werden, dass auch die Beherrschung durch Mehrheitsbeteiligung zumindest indirekten Zwangscharakter vermittelt. Die Vorstandsmitglieder sind in Leitung und Geschäftsführung insoweit unfrei, als sie sich den Interessen des herrschenden Unternehmens zu fügen haben, wollen sie ihre Stellung nicht zugunsten eines interessenskonform handelnden Mitglieds verlieren. Damit kann auf die vom RG aufgestellten Anforderungen an die Einflussqualität im Abhängig236
Geßler, in: Geßler/Hefermehl et al., Aktiengesetz, § 17 Rn. 20; Schall, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 17 Rn. 10; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 5; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 25; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 8; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 21; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20. 237 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 10; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 5; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 25; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 17 Rn. 8. 238 Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, § 15 Anm. 4; Baumbach, Aktiengesetz, § 15 Anm. 3; Danielcik, Aktiengesetz, § 15 Rn. 10; Schlegelberger/Quassowski/Geßler et al., Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 15 Anm. 13. 239 Geßler, in: Geßler/Hefermehl et al., Aktiengesetz, § 17 Rn. 29.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
keitsverhältnis entgegen der herrschenden Meinung nach wie vor zurückgegriffen werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Frage, ob eine aktienrechtliche Sperrminorität für sich genommen ausreichend ist, um beherrschenden Einfluss ausüben zu können, abschließend verneinen. Die Möglichkeit einer solchen sog. negativen Beherrschung durch die Blockade von Satzungsänderungen, § 179 Abs. 2 S. 1 AktG wurde früher von einzelnen Stimmen in der Literatur als Fallgruppe des § 17 Abs. 1 AktG verstanden.240 Angeführt wurde, dass es in Fällen der möglichen Nachteilszufügung nicht sachgerecht sei, zwischen einem positiven Tun und der Blockade des Beschlusses einer etwaig gebotenen unternehmerischen Maßnahme zu unterscheiden.241 Letztere kann durchaus für die Weiterführung des Unternehmens ausschlaggebend sein, vermag doch mittels Sperrminorität sowohl eine Kapitalerhöhung als auch die Veränderung des Unternehmensgegenstandes verhindert zu werden.242 Inzwischen wird eine durch Sperrminorität vermittelte, negative Beherrschung zu Recht einhellig abgelehnt.243 Mit der Entscheidung für die Mehrheitsbeteiligung in § 17 Abs. 2 AktG hat der Gesetzgeber jeder übrigen Beteiligung die regelmäßige Abhängigkeitsbegründung abgesprochen. Dies gilt in der Folge auch für die Sperrminorität. Eine Abhängigkeitslage ist also bereits aufgrund der Normenkonstruktion und des Umkehrschlusses aus § 17 Abs. 2 AktG nicht mittels Sperrminorität zu erreichen.244 Insoweit erscheint die hierzu geführte Debatte wenig nachvollziehbar. Nach wie vor zutreffend brachte bereits Rittner auf den Punkt: „Gewiss kann man – de lege ferenda – auch von einer 25%igen Beteiligung als Basis des Konzernrechts (i.w.S.) ausgehen, muß dann aber auch seine Regelungen im einzelnen darauf einstellen. Das AktG 1965 ist einen anderen Weg gegangen und hat die Mehrheitsbeteiligung als Regelfall genommen. Daran hat sich die Auslegung des Gesetzes zu halten.“245
240
So beispielsweise Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 133 f.; Werner/Peters, Zwei Probleme konzernrechtlicher Abhängigkeiten, BB 1976, 393, 394. So auch Werner/Peters, Banken als herrschende Unternehmen?, AG 1978, 297, 301. 241 Werner/Peters, Zwei Probleme konzernrechtlicher Abhängigkeiten, BB 1976, 393, 394. 242 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 43; Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 133. 243 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 10; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 25; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 42; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 24; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 50, 93 ff.; Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1468; Sura, Fremdeinfluß und Abhängigkeit, S. 66. A. A. früher vertreten, Prühs, Grundprobleme der aktienrechtlichen Abhängigkeit, AG 1972, 308, 311. 244 Insoweit zutreffend Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20, die sich der materiellen Begründung nicht anschließt, sondern nur auf den typischen Fall der Mehrheitsbeteilgung hinweist, mit welcher der Regelfall einer negativen Beherrschung unvereinbar ist. 245 Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1513.
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c) Beständigkeit beherrschenden Einflusses Bereits aus dem Wesen einer Mehrheitsbeteiligung folgt, dass die Beherrschungsmöglichkeit nicht jederzeit die aktive Ausübung des Einflusspotentials gewährleisten muss. Deren turnusmäßige Ausübung im Rahmen der jährlichen Hauptversammlung oder von Aufsichtsratssitzungen ist ausreichend.246 Dies ist aus der Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG zu folgern, welche nicht auf eine qualifizierte Mehrheitsbeteiligung abstellt, die jedoch notwendig wäre, um eine vorzeitige Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder zu ermöglichen, vgl. § 103 Abs. 1 AktG.247 Ferner ist es keine notwendige Voraussetzung, dass in den Zeitraum einer beherrschenden Beteiligung auch ein Hauptversammlungstermin mit Aufsichtsratswahl fällt,248 denn dies würde im ungünstigen Fall eine Mindestdauer von annähernd fünf Jahren voraussetzen, vgl. § 102 Abs. 1 AktG. Ebenso nicht zu verwechseln ist Beständigkeit mit zeitlicher Kontinuität.249 Eine zeitliche Mindestdauer für die Annahme beherrschenden Einflusses lässt sich aus § 17 AktG nicht ableiten. Andernfalls wäre Abhängigkeit nicht bereits bei Begründung einer beherrschenden Einflussmöglichkeit anzunehmen, sondern erst nach zusätzlicher Prüfung der potentiellen Einflussdauer,250 deren Festlegung derweil, mangels Anhaltspunkten für die zeitliche Erheblichkeit des Einflusspotentials, willkürlich erschiene.251 Auch eine vorübergehende Beherrschungsmöglichkeit kann daher ein Abhängigkeitsverhältnis begründen.252 Gleichwohl setzt die Beherrschungsmöglichkeit eine gewisse Beständigkeit voraus, sodass etwa zufällige Abstimmungsmehrheiten in Hauptversammlungen keinen beherrschenden Einfluss vermitteln.253 Ausschlaggebend ist, dass die Durchsetzung allein vom Willen des herrschenden Unternehmens abhängt.254 In diesem Zusammenhang ist auch die Frage einzuordnen, ob bereits die Aussicht einer Einflussmöglichkeit ein Abhängigkeitsverhältnis zu begründen vermag. 246 Zu dieser Schlussfolgerung für das Aktienrecht Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 12; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 19; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 3; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG, Rn. 13. 247 Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 6. 248 Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 21. 249 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 7. 250 So die Kritik bei Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 25. 251 Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 6. 252 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 19; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 55; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 4; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 11 ff.; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 25. 253 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 6; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 50; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 12; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 21; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 20; ders., in: Festschrift für Walter Stimpel, S. 811, 814. 254 Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 461.
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Praktisch relevant wird dies etwa für Optionsrechte. Überwiegend wird vertreten, dass allein die schuldrechtliche Erwerbsoption eines Aktienpakets, das, wenn ausgeübt, etwa eine Mehrheitsbeteiligung vermitteln würde, nicht ausreichend ist, ein Abhängigkeitsverhältnis zu begründen. Dazu sei vielmehr der Vollzug des dinglichen Erwerbsgeschäfts notwendig.255 Zur Begründung wird angeführt, dass die Möglichkeit beherrschenden Einflusses allein zukünftig, nicht jedoch gegenwärtig besteht und damit die Abhängigkeitsvoraussetzungen noch nicht vorlägen.256 Diese Auffassung setzt allerdings zu strenge Anforderungen an das Kriterium der Möglichkeit beherrschenden Einflusses. Sofern ein Unternehmen über eine sichere Erwerbsoption verfügt, ist das Einflusspotential mit jenem eines Stimmbindungsvertrags oder originärer Beteiligung vergleichbar. Auf die tatsächliche Ausübung kommt es nicht an. Da es für die Beherrschungsmöglichkeit weder auf die turnusmäßig stattfindende Hauptversammlung noch auf eine sofortige Einflussmöglichkeit ankommt,257 ist der Ansicht, dass sichere Erwerbsoptionen bei der Ermittlung beherrschenden Einflusses nicht zu berücksichtigen sind, nicht zu folgen. Ebenso wie einem Mehrheitsaktionär gegenüber wird der Vorstand auch die Interessen eines Minderheitsaktionärs mit weitgehenden Erwerbsoptionen berücksichtigen, da das Einflusspotential insoweit vergleichbar ist.258 Bereits Lutter kam in seiner Untersuchung der vorwirkenden Abhängigkeit zu dem Schluss, dass ein künftiger „Herrschafter“ dem gegenwärtigen dann gleichzustellen sei, wenn sich die Voraussetzungen einer künftigen Abhängigkeit so konkret abzeichneten, dass sich ein „vernünftiger“ Vorstand darauf entsprechend einstelle.259 3. Mittel beherrschenden Einflusses a) Anknüpfung an den bestehenden Abhängigkeitsbegriff Schließlich gingen auch die Verfasser der Novelle 1965 für die Frage nach der zulässigen Einflussgrundlage von dem bisherigen Abhängigkeitsverständnis aus.260 255
Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 9; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 11; Krieger, in: Festschrift für Johannes Semler, S. 503, 505. 256 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 11; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 9; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 13; in der Tendenz auch Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 47. 257 Geßler, in: Geßler/Hefermehl et al., Aktiengesetz, § 17 Rn. 29: „Der beherrschende Einfluß setzt deshalb nicht voraus, daß das herrschende Unternehmen sofort seinen Willen durchsetzen kann. Auch das ergibt sich aus der Rechtslage der AG und dem Einfluß, den eine Mehrheitsbeteiligung bei ihr gewährt.“ 258 Zu Recht daher Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 11; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 26. A. A. Krieger, in: Festschrift für Johannes Semler, S. 503, 510, 515. Im Ergebnis so auch Weber, Vormitgliedschaftliche Abhängigkeitsbegründung, ZIP 1994, 678, 687 ff.; vgl. Letixerant, Die aktienrechtliche Abhängigkeit, S. 270 ff., 307 ff. 259 Lutter, in: Festschrift für Ernst Steindorff, S. 125, 133. 260 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 15 ff.
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Wie das RG bekräftigt hatte, kamen danach grundsätzlich alle Mittel in Betracht, die geeignet waren, die vorhergehenden Anforderungen zu erfüllen.261 Eine grundsätzliche Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen bestand nicht. Auch die Änderung des Wortlauts in § 17 Abs. 1 AktG gegenüber § 15 Abs. 2 AktG 1937 implizierte eine solche Verengung der Einflussgrundlagen nicht. Konnte beherrschender Einfluss nach § 15 Abs. 2 AktG 1937 noch auf Beteiligungen oder sonstigen Gründen beruhen, sieht § 17 Abs. 1 AktG gänzlich davon ab, eine konkrete Einflussgrundlage zu benennen. Eine solche lässt sich allein aus der widerleglichen Vermutung bei Mehrheitsbeteiligung in § 17 Abs. 2 AktG ableiten. Da allerdings § 17 Abs. 2 AktG keinen abschließenden Charakter hat und lediglich die Feststellung aktienrechtlicher Abhängigkeit erleichtert, folgt daraus im Umkehrschluss, dass Beherrschung auch durch andere Grundlagen als eine Mehrheitsbeteiligung ermöglicht werden kann. Damit entspricht § 17 AktG inhaltlich § 15 Abs. 2 AktG 1937 trotz modifizierten Wortlauts.262 Letzterer war auch im Gesetzgebungsverfahren mehrfach geändert worden. Im Gegensatz zum bisherigen Recht sah der RefE noch eine abschließende Aufzählung der Grundlagen beherrschenden Einflusses „auf Grund von Beteiligungen, von satzungsmäßigen oder von vertraglichen Rechten“ vor.263 Mit dieser Auflistung sollte allerdings keine Beschränkung auf rein gesellschaftsrechtliche Grundlagen einhergehen. Allein rein tatsächliche Einflussmöglichkeiten, genannt wurde etwa der Einfluss aufgrund familiärer Verbundenheit,264 sollten so aus dem Anwendungsbereich ausgeklammert werden. Dagegen war ausdrückliches Ziel des RefE, die möglichen Einflussgrundlagen nicht nur auf beteiligungsähnliche Rechtsverhältnisse zu begrenzen, sondern auch sonstige Einflussmöglichkeiten etwa durch Lizenz- oder Kreditverträge265 grundsätzlich einzubeziehen, sofern sie beherrschenden Einfluss vermitteln konnten. Dass der letztlich in § 17 Abs. 1 AktG Gesetz gewordene Wortlaut auf eine abschließende Aufzählung jener Beherrschungsgrundlagen verzichtete, ist also nicht etwa als Einschränkung verstehen. Das Gegenteil ist der Fall. Bereits die durch den RefE angestrebte Ausklammerung allein tatsächlicher Einflussmöglichkeiten sah der RegE als zu weitgehend an. Der RegE war bestrebt, durch die explizite Vermeidung der Benennung abschließender Einflussgrundlagen, ungeachtet ihres tatsächlichen Einflusspotentials, eine höhere Flexibilität des Abhängigkeitstatbestands zu gewährleisten. Damit ist der Einzelfallbetrachtung der Vorzug vor einer starren Anwendungspraxis eingeräumt worden. In diesen Kontext ist insoweit die Begründung des RegE einzuordnen, wonach sich „eine abschließende Aufzählung dieser Grundlagen [wie zuvor im RefE, Anm. d. Verf.] (…) als unmöglich erwiesen 261
RG, Urteil v. 21. 4. 1941 – II 128/40 – RGZ 167, 40, 49; so auch von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 17 Rn. 2. 262 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 17. 263 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, zu § 16, S. 4. 264 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, zu § 16, S. 195. 265 Diese benennt der RefE ausdrücklich, BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, zu § 16, S. 195 f.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
(hat)“.266 In der Tat folgte die überwiegende Literaturansicht innerhalb des ersten Jahrzehnts, nachdem das Aktienrecht 1965 in Kraft getreten war, noch dem vom Gesetzgeber intendierten, uneingeschränkten Abhängigkeitsverständnis.267 Nach Wilhelmi kam neben der Beteiligung ausdrücklich noch die Kreditgewährung, die Übernahme von Schuld- und Wandelschuldverschreibung, das Entsendungsrecht zum Aufsichtsrat und – sehr weitgehend – Abhängigkeit in der Rohstoffversorgung als Abhängigkeitsmittel in Betracht.268 Auch Geßler zufolge genügte „nach § 17 jede rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit der mittelbaren oder unmittelbaren Einflußnahme des einen selbständigen Unternehmens auf das andere.“269 b) Wandel des Abhängigkeitsbegriffs Mit der Intention des Gesetzgebers am bisher geltenden Abhängigkeitsverständnis festzuhalten,270 bzw. auch zukünftig Abhängigkeitsverhältnisse ungeachtet der Einflussgrundlage vollständig vom gesetzlichen Anwendungsbereich in § 17 AktG zu erfassen, dürfte sich eine weitere Untersuchung der zulässigen Einflussmittel eigentlich erübrigen. Wie jedoch bereits die Beleuchtung der Abhängigkeitsgrundlagen im AktG 1937 offenbarte, kann die gesetzgeberische Intention von der tatsächlichen Funktionsweise einer Norm durchaus abweichen. Im Aktienrecht 1937 war dies den Modifikationen des Kompetenzrahmens der Gesellschaftsorgane geschuldet. Dieser hat in der Novelle 1965 jedoch keine grundsätzlichen Änderungen erfahren. Insoweit war keine Änderung des bisherigen Abhängigkeitsverständnisses zu erwarten. Die Novelle 1965 beschränkte sich jedoch nicht allein auf die Übernahme bzw. Erweiterung der Rechtsfolgenormen des bisherigen Rechts, sondern kodifizierte erstmals das Konzernrecht allgemein materiell-rechtlich, was zuvor weder das HGB 1931 noch das AktG 1937 gewagt hatten. Damit gehen im Dritten Buch gänzlich neue Abhängigkeitsfolgen und Regelungszwecke einher, die es bei der Auslegung eines einheitlichen Abhängigkeitsverständnisses zu berücksichtigen gilt. Früh nach Inkrafttreten der Novelle 1965 forderten daher erste Stimmen im 266
BT-Drucks. IV/171 v. 3. 2. 1962, Begr. RegE Aktiengesetz 1965, S. 100. Wilhelmi, in: von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 17 Anm. 2; Bolsenkötter, in: Zeiß (Hrsg.), Das Aktiengesetz 1965, § 17 (S. 18); Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 38 ff.; Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 140 ff.; Prühs, Die tatsächliche Abhängigkeit, DB 1972, 2001, 2005; Gessler, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1970, § 17 Rn. 1; Geßler, in: Geßler/Hefermehl et al., Aktiengesetz, § 17 Rn. 56; Paul, Unternehmenskonzentration, DB 1975, 1253, 1254. 268 Wilhelmi, in: von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1971, § 17 Anm. 2. 269 Gessler, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1970, § 17 Rn. 1; Bolsenkötter, in: Zeiß (Hrsg.), Das Aktiengesetz 1965, § 17 (S. 18); Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 24 ff.; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 39 f. Im Ergebnis auch Geßler, in: Geßler/ Hefermehl et al., Aktiengesetz, § 17 Rn. 56, sofern schuldrechtliche Verträge mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit einhergehen. 270 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 17. 267
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Schrifttum, das Abhängigkeitsverständnis auf gesellschaftsrechtlichen Grundlagen zu beschränken.271 Diese Auffassung hat sich heute ganz überwiegend in Schrifttum und Rechtsprechung durchgesetzt. Die Ursachen für dieses vorherrschende Begriffsverständnis, welches offenbar von der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers sowie dem historischen Begriffsverständnis abweicht, sind daher in den Vorschriften des Konzernrechts zu suchen, welches die Novelle 1965 gegenüber dem AktG 1937 modifizierte und prägte. Nachfolgend werden zunächst die Gründe dargestellt, welche von Rechtsprechung und herrschendem Schrifttum für eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtliche Einflussgrundlagen vorgebracht werden (aa)). Jene Argumente gilt es anschließend zu diskutieren. Dazu ist die Beschränkung der Einflussgrundlagen zunächst in den Kontext der Regelungszwecke der Konzernvorschriften des Dritten Buches einzuordnen (bb)). Schließlich ist die Notwendigkeit eines restriktiven Abhängigkeitsverständnisses aus Gründen der Rechtssicherheit zu untersuchen (cc)). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse beschließt dieses Kapitel (dd)). aa) Gründe für ein restriktives Verständnis Geprägt wurde die Auffassung über eine Begrenzung der Einflussgrundlagen von Würdinger.272 Ausgehend von der Thega-Rechtsprechung des RG führte er an, dass die notwendige Voraussetzung der zwangsweisen Durchsetzung des Willens durch das beherrschende Unternehmen nur durch Grundlagen begründet werden könne, die innerhalb der Organisation des beherrschten Unternehmens lägen. Ihm zufolge sei beherrschender Einfluss ausschließlich durch Einflussmittel „organisatorischer Art“ zu erreichen, worunter er abschließend die Beteiligung, Satzungsbestimmung und den durch das Konzernrecht neu eingefügten Beherrschungsvertrag, § 291 AktG, subsumierte.273 Danach kommen Leistungsaustauschverträge grundsätzlich als Beherrschungsmittel nicht in Betracht, welche, anders als der Beherrschungsvertrag nach § 291 AktG, schuldrechtlicher Natur sind.274 Im Unterschied zum Beherr271 Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 3; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 458 mit Verweis auf das Werk Würdingers. 272 Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 3; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 458 mit Verweis auf das Werk Würdingers; Prühs, Die tatsächliche Abhängigkeit, DB 1972, 2001, 2003; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 19. Aufgeworfen wurde die Frage nach einem solch eingeschränkten Verständnis konzernmäßiger Abhängigkeit allerdings schon deutlich früher, zu einer Zeit, die ein geschriebenes Konzernrecht noch nicht kannte, Passow, Betrieb, Unternehmung, Konzern (1925), S. 110: „Man kann die Frage aufwerfen, ob von konzernmäßiger Beherrschung nur da zu reden ist, wo der Beherrschende Inhaber oder Mitinhaber des beherrschten Unternehmens ist, oder ob man von Konzernen auch da sprechen will, wo durch Kreditgewährung, Lieferungs-, Abnahmeverträge u. dgl. ein Unternehmen in starker wirtschaftlicher Abhängigkeit steht. Mir scheint es zweckmäßiger, solche Abhängigkeitsverhältnisse nicht als konzernschaffende Faktoren anzusehen.“ 273 Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 3. 274 Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 8, 9.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
schungsvertrag beschränken sich etwaige Weisungsrechte aus Leistungsaustauschverträgen, Würdinger nannte etwa den Darlehens- oder Lizenzvertrag, auf ihren jeweiligen Vertragsgegenstand. Sofern sie ein umfassendes Weisungsrecht einräumen, seien sie grundsätzlich wegen Knebelung nichtig.275 Überdies seien die §§ 311 ff. AktG nicht auf externe Beherrschung zugeschnitten, da sich aus dieser Abhängigkeitslage die Unternehmen stets selbst befreien könnten.276 Dieser konzernrechtlich geprägte Auslegungsansatz ist in der Folge von Teilen des Schrifttums aufgegriffen und fortentwickelt worden. Rittner zufolge würde eine Ausweitung der §§ 311 ff. AktG auf „wirtschaftliche Abhängigkeiten“ zu einer „inflationären Anwendung der §§ 311 ff. und zu einer Rechtsunsicherheit (zumal bei unübersehbar vielen Grenz- und Zweifelsfällen) führen, die beide den erwiesenen Intentionen des Gesetzgebers extrem widersprechen würden.“277 Auch nach Ulmer enthalten die Vorschriften der §§ 311 – 318 AktG „eine Art Verhaltenskodex eines über Herrschaftsmöglichkeiten innerhalb der Aktiengesellschaften verfügenden Aktionärs oder seiner Hintermänner.“278 Zwar erkannte er mit Blick auf eine schuldvertraglich und damit extern vermittelte Abhängigkeit an, dass eine „derartige Auslegung mit Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 17 AktG noch vereinbar wäre“.279 Allerdings, so Ulmer weiter, „stehen ihr doch das System der Vorschriften über verbundene Unternehmen, der Schutzzweck der §§ 311 – 318 AktG sowie das Verhältnis des Aktienrechts gegenüber dem allgemeinen Privat- und Wirtschaftsrecht entgegen. Aufgabe dieser Gebiete und nicht des Aktienrechts ist es, gegenüber den nicht auf Aktiengesellschaften beschränkten Gefahren marktbedingter Abhängigkeiten Vorsorge zu treffen.“280
Dieser Argumentation schlossen sich in der Folge neben Biedenkopf, Koppensteiner und Windbichler das ganz überwiegende Schrifttum an.281 Zutreffend weist 275
Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 9. Würdinger, in: GK-AktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Anm. 3; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 464. 277 Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1467 Fn. 34; vgl. Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2475. In der Tendenz auch Kropff, in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, § 311 Rn. 86 ff.; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 466. 278 Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 469. 279 Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 472. 280 Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 469. 281 Biedenkopf/Koppensteiner, in: KK-AktG, 1. Aufl. 1985, § 17 Rn. 12: „Abhängigkeiten, die aus solchen Verträgen resultieren, ohne daß diese Verträge den § 291 f. unterfallen, rechnen zum normalen unternehmerischen Risiko und damit auch zum normalen Aktionärs- und Gläubigerrisiko. Daraus folgt, daß die den Schutz der abhängigen Gesellschaft bezweckenden Normen keine Ausdehnung des Abhängigkeitsbegriffes über spezifisch gesellschaftsrechtliche Tatbestände hinaus erfordern.“ Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 40: „Dabei [Austausch-, Liefer- und Kreditbeziehungen, Anm. d. Verf.] handelt es sich um, wenn auch besonders intensive, externe Bindungen, dh Marktbeziehungen, auf die die Definitionen der verbundenen Unternehmen nicht zugeschnitten sind (…).“ Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 21; 276
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Koppensteiner zwar darauf hin, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht erkennen lasse, dass der Gesetzgeber bestimmte Beherrschungsmittel ausschließen wollte.282 Im Ergebnis hält er allerdings nach wie vor am genannten restriktiven Abhängigkeitsverständnis fest.283 Ihm zufolge sei unverständlich, warum die Ausgleichsvorschriften zum faktischen Konzern, §§ 311 ff. AktG, die nur auf abhängige AGs oder KGaA Anwendung finden, einen etwaigen Schutz gegen schuldvertraglich begründete Abhängigkeit nur auf diese Rechtsform beschränken wollte. Vor dem Hintergrund der materiell-rechtlich geprägten Konzernvorschriften sei eine Einbeziehung extern vermittelter Abhängigkeitsgrundlagen vielmehr systemfremd.284 Auch die Rechtsprechung ist dieser Auffassung gefolgt. In der „BuM“Entscheidung führte der BGH aus: „Die Einbeziehung solcher [Anm. d. Verf.: Liefer-, Lizenz- oder Kreditverträge] nichtgesellschaftlicher Einflüsse in die aktienrechtlichen Vorschriften über verbundene Unternehmen würde bei der Vielzahl und Vielfalt möglicher wirtschaftlicher Abhängigkeiten tief und in einem kaum mehr zu übersehenden Ausmaß in das Marktgeschehen eingreifen; sie würde damit weit über das Ziel jener Vorschriften hinausschießen.“285
Auch nach Grigoleit kann dem Konzernrechtsgesetzgeber „keine Regelungsabsicht für die gleichsam unendliche Vielzahl von mitgliedschaftslosen Einflussformen und Interessenkonflikten“ angesonnen werden.286 Hinzuweisen ist auch auf die Argumentation Strohns, der das restriktive Abhängigkeitsverständnis mit der vermeintlichen wirtschaftspolitische Neutralität des AktG begründet: „Das AktG will wirtschaftspolitisch neutral sein. Es will in die marktwirtschaftlichen Geschehensabläufe nicht stärker eingreifen als jede Regelung eines Organisationsrahmens für eine Unternehmensträgerform zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Markt hat. Das eigentliche Anliegen des AktG besteht darin, einen solchen Organisationsrahmen aufzustellen. (…) Das Anliegen des 3. Buches des AktG besteht darin, die innerorganisatorischen Möglichkeiten, die Organe der AG zu beeinflussen, einer Regelung zuzuführen. Folglich Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 14; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 15; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 17 AktG Rn. 5; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 5; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 3; Franz, in: Wachter, AktG, § 17 Rn. 7. A. A. Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 21; Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 129; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 350 ff.; Bayreuther, Wirtschaftlich-existenziell abhängige Unternehmen, S. 584 ff. 282 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 27. 283 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 61. 284 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 59. 285 BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 396; siehe ferner BGH, Urteil v. 19. 1. 1993 – KVR 32/19 – „Zurechnungsklausel“, BGHZ 121, 138, 145; OLG Karlsruhe, Urteil v. 11. 12. 2003 – 12 W 11/02 – „Heidelberger Schloßquell Brauerei AG/ Brau und Brunnen AG“, AG 2004, 147, 148; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. 7. 2003 – 19 W 6/00 AktE – „Veba AG“, AG 2003, 688, 689 f.; OLG Düsseldorf, Urteil v. 22. 7. 1993 – 6 U 84/92 – „Feldmühle Nobel-Urteil“, AG 1994, 36, 37. 286 Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände setzt der Begriff der Abhängigkeit i. S. des § 17 AktG voraus, dass die Beeinflussungsmöglichkeit auf ,spezifisch gesellschaftsrechtlichen‘, d. h. innerorganisatorischen Ursachen beruht.“287
Dass jene materiell-konzernrechtlich geprägte Beschränkung der Einflussgrundlagen für das Abhängigkeitsverständnis insgesamt gelten soll, ungeachtet der zahlreichen Rechtsfolgetatbestände außerhalb des Dritten Buches, wird schließlich mit der Vorrangigkeit der Konzernvorschriften begründet, welche den „Regelungsschwerpunkt für Abhängigkeitsverhältnisse“ bildeten.288 bb) Das Abhängigkeitsverständnis im Kontext materiellen Konzernrechts Die Vorschriften des Dritten Buches regeln die Rechtsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen im Organisationsgefüge eines Konzernverbunds. Sie unterscheiden zwischen vertraglich begründeten und vertragslosen Konzernen, zwischen Unterordnungs- und Gleichordnungskonzernen. Dem Vertragskonzern liegt ein Beherrschungsvertrag nach § 291 Abs. 1 AktG zugrunde, der im Kern organisatorischer Natur ist und insoweit den Grundsatz der Leitungsautonomie nach § 76 Abs. 1 AktG für die abhängige Gesellschaft aufhebt. Welche Einflussgrundlage dem faktischen Konzern zugrunde liegt, lässt § 311 Abs. 1 AktG hingegen offen. Ebenso wie der Beherrschungsvertrag bestimmen die Vorschriften zum faktischen Konzern innerhalb des konzernrechtlichen Organisationsgefüges Rechte und Pflichten für das herrschende und beherrschte Unternehmen. Nachvollziehbar erscheint daher die herrschende Ansicht, dass allein solche Einflussmöglichkeiten tatbestandlich relevant sind, die sich auf die Organisationsordnung und damit dem Machtverhältnis zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung auswirken. Damit fielen extern vermittelte Einflussmöglichkeiten mit lediglich schuldrechtlichem Charakter aus dem Anwendungsbereich aktienrechtlicher Abhängigkeit heraus, da diese keine Auswirkungen auf das Organisationsgefüge im Konzern haben. Die These, dass eine solch organisationsrechtlich geprägte, teleologische Reduktion des Abhängigkeitsbegriffs bereits aus dem Regelungszweck der §§ 311 ff. AktG folgt,289 gilt es allerdings erst zu belegen. Welcher Regelungszweck den materiellen Konzernvorschriften des AktG zugrunde liegt, ist anhand der Entstehungsgeschichte des Dritten Buches zu untersuchen. Unerlässlich dafür ist zunächst die Reformdiskussion zum Konzernrecht zu beleuchten, die nach Kriegsende in Deutschland einsetzte und die vormalig konzernfreundliche Sichtweise maßgeblich veränderte ((1)). Anschließend ist die Ent287
Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft, S. 26 f. Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 460; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 21; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 3. 289 Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Vetter, in: Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, § 17 Rn. 15; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 21; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 28, 59. 288
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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wicklung des materiell-rechtlichen Konzernrechts und seine Funktion darzustellen ((2)). Der Abschnitt endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse ((3)). (1) Konzernrechtsdiskussion im Vorfeld der Reform 1965 Zu Beginn der Reformdebatte, die in der Novelle 1965 mündete, spielten konzernrechtliche Fragen noch eine untergeordnete Rolle. Die erstmalige Kodifizierung eines materiellen Konzernrechts entwickelte sich erst im Zuge der Arbeiten zu einem Schwerpunkt der Aktienrechtsnovelle.290 Im Rahmen der aufkommenden Diskussion über das richtige Wirtschaftssystem im Nachkriegsdeutschland zielten die Reformwünsche zunächst darauf ab, ideologisch motivierte Änderungen des Aktienrechts aus der NS-Zeit, etwa die weitgehende Entmachtung der Hauptversammlung oder das Alleinentscheidungsrecht des Vorstandsvorsitzenden zu revidieren und die Aktiengesellschaft für den Kapitalmarkt zu stärken.291 Für die Belebung der Konzernrechtsdiskussion sorgte, neben der anhaltend empfundenen Diskrepanz zwischen Recht und Rechtswirklichkeit mangels eines geschriebenen Konzernrechts,292 vor allem die Entflechtungspolitik der alliierten Besatzungsmächte:293 Nach dem Vorbild der amerikanischen Anti-Trust-Gesetzgebung verfügten die Siegermächte mit dem von ihnen erlassenen Militär-Regierungs-Gesetz Nr. 56 vom 12. Februar 1947 ein grundsätzliches Verbot der Kartellbildung.294 Ferner wurden neben der Dekartellierung auch Entflechtungsmaßnahmen der im Dritten Reich planmäßigen Konzentration und Zwangskartellbildung, insbesondere der Grundstoff- und Rüstungsindustrie, vorgenommen.295 Dies führte zu einer Änderung der Sichtweise auf Konzerne. Maßgeblich trug dazu auch die konzernkritische, ordoliberale Sichtweise der sog. Freiburger Schule bei, welche erheblichen Einfluss auf die Diskussion über die richtige Wirtschaftsordnung im Nachkriegsdeutschland gewann.296 Diese befürwortete zur Sicherung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer einen Ordnungsrahmen, welcher marktbeschränkende Verhaltensweisen unterbindet. Nicht nur waren Kartelle per se unvereinbar mit der ordoliberalen Theorie sondern auch übermäßige Unternehmenskonzentrationen, deren rechtliche Erfas290
Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 698, 710. Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 698 ff.; vgl. auch den Überblick bei Bahrenfuss, Die Entstehung des Aktiengesetzes, S. 86. 292 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 15 Rn. 2; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 132 ff. 293 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 132; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 236; Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 15 Rn. 2; Altmeppen, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040. 294 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040; Bahrenfuss, Die Entstehung des Aktiengesetzes, S. 59; Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Einleitung, Rn. 5. 295 Bechtold/Bosch, GWB, Einführung, Rn. 5; Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Einleitung, Rn. 6; Bahrenfuss, Die Entstehung des Aktiengesetzes, S. 59. 296 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 236. 291
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
sung verschärft werden sollte.297 Ging das allgemeine Verständnis zum Konzern im Aktiengesetz 1937 noch von einem entschädigungslosen Vorrang des Konzerninteresses aus,298 wurde nun die Gefahr der Konzernierung für die außenstehenden Aktionäre der abhängigen Gesellschaft und ihrer Gläubiger gesehen.299 Im Gegensatz zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die wirtschaftspolitische Stimmung im Nachkriegsdeutschland, so Altmeppen, tendenziell „konzernfeindlich“.300 Über die daraus zu ziehende Konsequenz, etwa die Rechtsbeziehungen verbundener Unternehmen gesetzlich zu erfassen und zu regulieren, bestand derweil keine Einigkeit.301 So wuchsen auf Seiten der Wirtschaft erhebliche Vorbehalte bei den Vorständen der Großunternehmen, die von der starken Stellung der Verwaltung im Aktiengesetz 1937 profitierten. Von einer etwaigen Stärkung der Hauptversammlung wurde eine Einschränkung der Verwaltungsautonomie befürchtet.302 In diesem Sinne stellte der Deutsche Industrie- und Handelstag („DIHT“) 1954 in seiner Denkschrift zur Reform des Aktienrechts einleitend fest, dass „naturgemäß Mehrheitsaktionäre, welche auch nach geltendem Recht die Gesellschaft beherrschen und nicht nur im Aufsichtsrat, sondern meist auch im Vorstand durch ihre Vertrauensleute vertreten sind, an einer Reform weniger interessiert [sind].“303 Zwar betonte er, dass die Stärkung der Minderheitenrechte „der Schwerpunkt der Reform des Aktienrechts“ sein muss.304 Nichtsdestotrotz kam die DIHT-Denkschrift zu dem Ergebnis, dass die Zeit für eine gesetzliche Regelung der Konzernfragen noch nicht „reif“ sei: „Insbesondere die Entflechtungsmaßnahmen der Nachkriegszeit haben dazu geführt, daß sämtliche bisherigen großen Konzerne aufgelöst wurden und sich für die verbleibenden Konzerne überhaupt erst wieder eine feste Praxis entwickeln muß. Diese Entwicklung sollte der Gesetzgeber zunächst einmal abwarten, um nicht wirklichkeitsfremde Regelungen zu treffen.“305 297 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz, S. 90 ff.; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040; Leistner, in: Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 4 Rn. 9 f. 298 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 73; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 235 f. 299 Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 236; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 212; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040. 300 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040; so auch Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 212. 301 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 719. 302 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 719 f. 303 Deutscher Industrie- und Handelstag, Zur Reform des Aktienrechts 1954, Einleitung S. 17. 304 Deutscher Industrie- und Handelstag, Zur Reform des Aktienrechts 1954, Einleitung S. 17. 305 Deutscher Industrie- und Handelstag, Zur Reform des Aktienrechts 1954, S. 53; siehe dazu auch Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 155; Kropff, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 710.
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Diese fehlende Auseinandersetzung mit dem Konzernrecht stieß wiederum auf scharfe Kritik Fischers, der von einer „unerklärliche[n] Wirklichkeitsfremdheit“ sprach.306 Fischer, der ebenfalls zur Freiburger Schule zählte,307 hatte bereits 1950 konkrete Änderungen auf dem Gebiet des „rechtlichen Niemandsland“ des Konzernwesens vorgeschlagen,308 etwa die ersatzlose Streichung von § 101 Abs. 3 AktG 1937 oder die Einfügung eines qualifizierten Hauptversammlungsvorbehalts zu (bis dato gesetzlich nicht geregelten) Beherrschungsverträgen in § 103 Abs. 2 Nr. 1 AktG 1937.309 Das mit den offiziellen Reformarbeiten am Aktienrecht betraute Bundesjustizministerium („BMJ“) konnte aber seine Tätigkeit schlicht mangels ausreichender Ressourcen in der Nachkriegszeit erst 1954 beginnen.310 Dann allerdings ließen sich die Arbeiten an der Reform trotz genannten Widerstands aus der Wirtschaft nicht mehr aufhalten. 1956 erteilte Geßler, damals zuständiger Ministerialrat des für Aktienrecht zuständigen Referats,311 den Forderungen der Spitzenverbände der Wirtschaft nach einer Zurückstellung der Reformarbeiten eine Absage.312 Schließlich sprach sich der 42. Deutsche Juristentag 1957 einstimmig für die Erforderlichkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet des Konzernrechts aus.313 Damit war die Diskussion nach einer Reform des Aktien- und Konzernrechts nicht nur entscheidungsreif, sondern nach Auffassung Fischers sogar „überreif“.314 (2) Entwicklung des Konzernrechts als Schutzrecht War damit die Entscheidung nach dem „ob“ einer Reform des Aktienrechts getroffen, stellte sich in der Folge die weitaus schwierigere Frage nach dem „wie“. Denn mit Blick auf die organisatorischen Beziehungen der verbundenen Unternehmen zueinander betrat der Gesetzgeber rechtliches Neuland: Weder die Teilrechtsnovelle 1931 noch das Aktienrecht 1937 sahen materiell-rechtliche Regelungen der Rechtsbeziehungen innerhalb eines Unternehmensverbunds vor. Hom306
Fischer, Die Reform des Aktiengesetzes, AcP 1954, 182, 196. Siehe zur Person Fischers Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 90 Fn. 25. 308 Fischer, Rechtsschein und Wirklichkeit im Aktienrecht, AcP 1955, 85, 118; Fischer, Wirtschaftsrechtliche und steuerliche Fragen zum Schachtelprivileg, NJW 1954, 700, 703. 309 Fischer, in: Die Unternehmenskonzentration, S. 90 f. 310 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 724, der insoweit der Darstellung von Bahrenfuss, Die Entstehung des Aktiengesetzes, S. 102 ff., dass die Arbeiten an der Reform bereits 1950 begannen, widerspricht. 311 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 720; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1041. 312 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 720; vgl. ferner Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 157. 313 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1041; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 196. 314 Fischer, Die Reform des Aktiengesetzes, AcP 1954, 182, 241, der damit der Auffassung des DIHT ausdrücklich entgegentrat; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 212 mit Verweis auf das Zitat Fischers. 307
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
melhoff stellt dazu fest, dass die Verfasser des Aktiengesetzes 1965 „mit nahezu leeren Händen neu beginnen [mussten].“315 Mit der materiell-rechtlichen Herausforderung einer gesetzlichen Regelung der Rechtsbeziehungen verbundener Unternehmen gingen jedoch grundsätzliche, rechtspolitische Fragen zum intendierten Regelungszweck des Konzernrechts einher. Hierzu hatten sich zahlreiche unterschiedliche Strömungen herausgebildet. Angefangen beim bereits erwähnten Ordoliberalismus, der für eine gesetzliche Regelung der Konzernrechtsverhältnisse zum Zwecke einer Eindämmung derselben eintrat,316 bis hin zu einem konservativen Liberalismus, welcher sich im Kern für den Erhalt der als unverzichtbar angesehenen günstigen Bedingungen für Konzerne im Aktiengesetz 1937 aussprach.317 Ausweislich der Begründung des RefE, welcher der Öffentlichkeit im Oktober 1958 vorgestellt wurde und einen Entwurf des weltweit ersten in sich geschlossenen materiellen Konzernrechts enthielt,318 wählte das zuständige BMJ einen Mittelweg. Der RefE betonte, dass eine Bekämpfung der Konzernbildung als solche nicht intendierter Regelungszweck der Aktienrechtsreform war: „Jeder Versuch, der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung, namentlich in konzernmäßigen Bindungen, wieder unter allen Umständen Wirklichkeitswert zu verschaffen, würde – abgesehen davon, daß seine wirtschaftspolitische Berechtigung dahingestellt bleiben muß – an der Macht der Tatsachen scheitern.“319
Die Reformbedürftigkeit des bestehenden Aktienkonzernrechts feststellend, erkannte der RefE die spätestens seit den 1920er Jahren fortschreitende Konzentration von Unternehmen als unaufhaltsame Rechtswirklichkeit an.320 Gleichzeitig hob er jedoch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Rechts der verbundenen Unternehmen hervor: „Gesellschaftsrechtlich unumgänglich ist es aber, wenn nicht wesentliche Grundsätze des Aktienrechts für konzernverbundene Unternehmen überhaupt aufgegeben werden sollen, daß solche Unternehmensverbindungen rechtlich erfaßt und durchsichtig gemacht, daß die Aktionäre und Gläubiger gegen die mit ihnen verbundenen Gefahren und Nachteile besser geschützt und daß Leitungsmacht und Verantwortlichkeit in Einklang gebracht werden.“321 315
Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, S. 29. Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1040; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 236; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 90 ff. 317 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 114 m. w. N., S. 131. Für einen umfassenden Überblick der von Dettling erkannten fünf wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Strömungen zu jener Zeit (Ordoliberalismus, Neosozialismus, Managerismus, konservativer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft), Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 89 ff. m. w. N. 318 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 213. 319 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 387. Ausführlich zu der Grundentscheidung des BMJ, die auch vom 42. DJT bestätigt wurde. 320 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 326. 321 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 387. 316
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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Das Konzernrecht im RefE 1958 war mithin vorwiegend schutzrechtlich geprägt.322 Für die materiell-rechtliche Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen konzernverbundenen Unternehmen schlug der RefE die Einfügung eines Dritten Buches im Aktienrecht über „Verbundene Unternehmen“ vor und entsprach damit bereits systematisch der heute geltenden Regelung.323 Ebenso wurde inhaltlich bereits zwischen der vertraglichen ((a)) und vertragslosen ((b)) Unternehmensverbindung unterschieden.324 (a) Vertragskonzern Der RefE erfasste erstmalig den sog. Weisungsvertrag in § 270 Abs. 1 Nr. 5 RefE 1958, durch den eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft „sich in den wesentlichen Fragen der Geschäftsführung den Weisungen eines anderen unterwirft“. Für diesen Vorläufer des Beherrschungsvertrages konnte auf die steuerrechtliche Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes (RFH) der 1920er Jahre zum sog. Organschaftsvertrag zurückgegriffen werden.325 Zusammen mit dem im RefE nun vorgesehenen Weisungsvertrag und dem bereits in § 256 AktG 1937 erfassten Gewinnabführungsvertrag war die gesellschaftsrechtliche Grundlage von Organschaftsverträgen geschaffen, welche die Anwendung steuerbegünstigender Schachtelprivilegien eröffneten.326 Vor diesem Hintergrund bezeichnet Vetter das Steuerrecht als einen „Geburtshelfer“ der Konzernentwicklung.327 322 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 218 f., 240; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 240. 323 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 15 Rn. 2. 324 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 15 Rn. 3. 325 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1042. Zur Entwicklung der steuerrechtlichen Schachtelprivilegien und Organschaftslehre, Spindler, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 440, 521 ff.; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 59 ff.; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 234. Im Kern handelte es sich bei der Organschaftslehre um die notwendigen Voraussetzungen zur Anwendung steuerlicher Schachtelprivilegien, die Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen innerhalb eines Konzerns verhinderten und damit eine Gruppenbildung steuerlich attraktiv werden ließen, Spindler, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 440, 521 ff.; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 59 ff. Notwendig für die steuerbegünstigende Anerkennung als unselbständige Gesellschaft und damit Organ eines anderen Unternehmens war nach der ständigen Rechtsprechung des RFH die Voraussetzung „finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das andere geschäftliche Unternehmen – nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung – eingegliedert [zu] sein (…).“ RFH, Beschluss v. 23. 1. 1926 – I B 101/26 – RFHE 20, 46, 48 f.; RFH, Urteil v. 11. 11. 1927 – I A 75/27 – RFHE 22, 183, 187 und RFH, Gutachten v. 26. 7. 1932 – I D 2/31/III D 2/32 – RFHE 31, 297, 299 ff. In einer späteren Entscheidung verlangte der RFH zusätzlich den Abschluss eines schriftlichen Vertrages, durch den das Beherrschungsverhältnis gewährleistet und eine etwaige Gewinnabführung nur gegen Verlustdeckungszusage vereinbart wurde, RFH, Urteil v. 9. 5. 1944 – I 15/44 – RFHE 54, 102, 103; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 234. 326 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1042; zu diesem Ergebnis siehe auch die Begründung des späteren RegE, BT-Drucks.: 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 214.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Erreicht wurde der mit der gesetzlichen Regelung des Weisungsvertrages verfolgte Außenseiter- und Gläubigerschutz mit verschiedenen Ausgleichsansprüchen und Rechtspflichten, die sich unmittelbar an den Abschluss des Weisungs- oder Gewinnabführungsvertrags anknüpfen. Neben dem grundsätzlichen Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses für den Abschluss eines Weisungs- oder Gewinnabführungsvertrages (§ 270 RefE) legten §§ 280, 281 RefE als Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre wahlweise eine Dividendengarantie oder einen Abfindungsanspruch fest.328 Ferner sah § 278 RefE etwa eine Verlustausgleichspflicht vor, § 276 Nr. 3 RefE die Pflicht, die gesetzliche Rücklage aufzufüllen.329 Ungeachtet einzelner Änderungen im Zuge des späteren Gesetzgebungsprozesses blieb es für vertragliche Konzernverbindungen im Grundsatz bei der durch den RefE vorgestellten Konzeption.330 (b) Faktischer Konzern Anders sah dies für faktische Konzernverbindungen aus, die der RefE ebenfalls zu erfassen suchte. Die Herausforderung einer gesetzlichen Erfassung vertragsloser Konzernverhältnisse, welche Kropff rückblickend als „zweifellos schwierigsten Teil der Konzernproblematik“ bezeichnete,331 lag in der Feststellung der Nachteilszufügung durch die Konzernleitung und damit auch einer korrespondierenden Ausgleichsregelung. Um die weitreichenden Rechtsfolgen, die an den Vertragskonzern anknüpften, auch auf vertragslose Konzernverbindungen anwenden zu können, sah der RefE in § 284 RefE eine strenge Haftungsregelung vor, die von Flume scharf kritisiert und als „drakonisch“ bezeichnet worden ist.332 Sinngemäß wurde darin bestimmt, dass gesetzliche Vertreter und Angestellte eines herrschenden Unternehmens, welche einem abhängigen Unternehmen Weisungen erteilen, ohne dass ein Weisungsvertrag nach § 270 RefE besteht, der abhängigen Gesellschaft und ihren Aktionären persönlich, neben der herrschenden Gesellschaft, zum Schadensersatz verpflichtet sind. Im Ergebnis lief dies auf einen faktischen Vertragszwang hinaus.333 Angesichts der an der Haftungsregelung des § 284 RefE überwiegenden und teil-
327 Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 234, vgl. auch Nörr, Zur Entwicklung des Aktien- und Konzernrechts, ZHR 1986, 155, 173. 328 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 401 ff.; Altmeppen, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1046; Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 870. 329 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 396 ff.; Altmeppen, in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1046. 330 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 870. 331 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 871. 332 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1042; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 224 ff.; Flume, Der Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 20. 333 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 15 Rn. 3.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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weisen harsch geäußerten Kritik,334 ließ sich das Konzept des RefE nicht halten.335 Schließlich erkannte auch das BMJ die erheblichen Schwächen der Haftungsregelung:336 So wäre etwa der geforderte Nachweis einer Weisung im Sinne des § 284 RefE wenig praktikabel gewesen. Gleichzeitig hätte die Konzernleitung ihre Leitungsmacht unter Umgehung der Weisungsvoraussetzung ausüben können, etwa durch Erteilung „unverbindlicher Ratschläge“ oder „Empfehlungen“.337 Darüber hinaus weist Altmeppen auf den Zirkelschluss der Norm durch die Voraussetzung einer Weisung im Sinne des § 270 RefE ohne entsprechenden Weisungsvertrag hin: Denn ohne Weisungsvertrag bestand bereits keine rechtliche Möglichkeit rechtsverbindliche Weisungen zu erteilen.338 Bis zur letztlich Gesetz gewordenen Regelung faktischer Konzernverhältnisse in §§ 311 ff. AktG mit der Anknüpfung an die einzelne Maßnahme sowie der Nachteilsausgleichspflicht war es mithin noch weiter Weg.339 Diese Entwicklung abkürzend erhielt der faktische Konzern im Regierungsentwurf 1962 unter maßgeblichem Einfluss der Konzernrechtskommission des DJT und den Anregungen Flumes ein neues Gesicht.340 Besonders zu nennen ist die in §§ 300, 306 RegE eingefügte Ausgleichsregelung. Danach mussten nachteilige Maßnahmen stets durch Vorteile ausgeglichen werden. Eine Veranlassung nachteiliger Maßnahmen war nach § 306 Abs. 2 RegE überhaupt nur dann zulässig und ließ eine Haftung entfallen, „wenn auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft eingegangen wäre oder die Maßnahme getroffen oder unterlassen hätte.“341 Auch diese Regelung stieß ob ihrer strikten Ausgleichspflicht nachteiliger Maßnahmen und damit einhergehenden Einengung der Konzernleitung bei den Wirtschaftsverbänden auf Kritik.342 Die letztlich gelockerte Regelung durch 334 Siehe dazu Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 266; Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 872; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1042, jeweils m. w. N. 335 Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. §§ 311 – 318 Rn. 9 m. w. N. 336 So Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 875. 337 Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 875. 338 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1042. 339 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1043 ff. 340 Kropff, in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, Vor. § 311 Rn. 7. Näher zur Beteiligung Flumes Kropff, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 670, 875 f.; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1043 ff. 341 § 306 Abs. 2 RegE, BT-Drucks.: 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 71. 342 So besonders Bundesverband der Deutschen Industrie et al., Stellungnahme zu den Vorschriften über das Recht der verbundenen Unternehmen im Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes und im Einführungsgesetz zum Aktiengesetz 1960, S. 46, die „nachdrücklichst erhebliche Bedenken“ geltend machen: „Es ist wirtschaftlich einfach unmöglich, im Rahmen eines Konzernverhältnisses ein, ja sogar jedes (!) – kleinste – Einzelrechtsgeschäft und jede – unbedeutsamste – Einzelmaßnahme daraufhin zu prüfen, ob es (sie) [sic!] für die abhängige Konzerngesellschaft nachteilig oder vorteilhaft war.“ Vgl. auch Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1046; Kropff, in: Geßler/Hefermehl, Aktiengesetz, Vor. § 311 Rn. 7.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
die zeitliche Streckung des Ausgleichs nachteiliger Maßnahmen innerhalb einer Rechnungsperiode ist erst in den Ausschüssen des Bundestages entwickelt worden.343 Obgleich mit der Gesetz gewordenen Ausgleichspflicht eine Privilegierung herrschender Unternehmen einhergeht, etwa gegenüber den allgemeinen Kapitalerhaltungsvorschriften, §§ 57 und 62 AktG,344 als auch durch die Möglichkeit der zeitlich aufgeschobenen Kompensation,345 impliziert dies kein grundsätzliches „Schädigungsprivileg“ zugunsten des herrschenden Unternehmens.346 Zutreffend ist vielmehr das Gegenteil, wonach dem herrschenden Unternehmen eine Nachteilszufügung beim abhängigen Unternehmen grundsätzlich verboten und ausnahmsweise nur gegen vollwertigen Ausgleich der Nachteile zulässig ist.347 Hinzu kommt, dass die mit der zeitlichen Lockerung der Ausgleichspflicht einhergehende Privilegierung des herrschenden Unternehmens bei der Bemessung des Ausgleichs zu berücksichtigen ist, etwa durch Verzinsung oder gleichwertige Abgeltung.348 Ungeachtet jener Änderungen blieb der mit ihnen verfolgte Regelungszweck jedoch erhalten. Belegt wird dies durch den RegE, welcher insoweit die Begründung des RefE zum Dritten Buch des AktG übernahm. Darin heißt es: „Denn die aktienrechtliche Kompetenzordnung brauchte nicht um ihrer selbst willen geschützt werden.“ Aufgabe des Konzernrechts sei vielmehr, „daß solche Unternehmensverbindungen rechtlich erfaßt und durchsichtig gemacht, daß die Aktionäre und Gläubiger gegen die mit ihnen verbundenen Gefahren und Nachteile besser geschützt und daß Leitungsmacht und Verantwortlichkeit in Einklang gebracht werden.“349
343
Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1046; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses zur Drucksache IV/171, BT-Drucks. IV/3296 vom 12. 4. 1965, S. 172. 344 Siehe dazu BGH, Urteil v. 1. 12. 2008 – II ZR 102/07 – „MPS“, BGHZ 179, 71, 78 Rn. 12; BGH, Urteil v. 31. 5. 2011 – II ZR 141/09 – „Dritter Börsengang“, BGHZ 190, 7, 16; Leuering/Goertz, in: Hölters, Aktiengesetz, § 311 Rn. 9; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 249, 252; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 63. 345 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 311 Rn. 5; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. §§ 311 – 318 Rn. 2; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 AktG, Rn. 2. 346 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 32, 42; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1052 f.; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 250. A. A. Leuering/Goertz, in: Hölters, Aktiengesetz, § 311 Rn. 9. Für einen Überblick zu dieser umstrittenen Frage Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 311 Rn. 5 f., 8 ff. 347 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1053; Fett, in: Bürgers/Körber, Aktienrecht, § 311 Rn. 1. 348 Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1053; Fett, in: Bürgers/Körber, Aktienrecht, § 311 Rn. 49, 55; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 68; Koch, in: Hüffer/Koch, § 311 Rn. 40. 349 Begr. RegE, BT-Drucks.: 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 214.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
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(3) Keine konzernrechtliche Einschränkung der Abhängigkeitsmittel Wie der Blick auf die Entwicklung der materiellen Konzernvorschriften des Aktienrechts gezeigt hat, gingen mit der Novelle 1965 signifikante Änderungen der bislang geltenden Rechtsordnung einher. Erstmals erfasst seither eine Gesellschaftsrechtsordnung überhaupt die Rechtsbeziehungen innerhalb eines Unternehmensverbunds. Mit der Einfügung des Dritten Buches verbunden ist ferner ein insgesamt verändertes Konzernverständnis, welches sich den ausgehenden Gefahren einer Unternehmenskonzentration für die beteiligten Gesellschaften nicht verschließt. Neben den bisherigen Zielen der an den Abhängigkeitstatbestand anknüpfenden Rechtsfolgen, welche dem Umgehungsschutz dienen, ist durch das neue Konzernrecht im Dritten Buch der Novelle 1965 ein weiterer Regelungszweck hinzugetreten: Der Minderheiten- und Gläubigerschutz. In Anbetracht dieser weitreichenden Modifikation des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges, des Konzernverständnisses und des Regelungszwecks des Rechts der verbundenen Unternehmen kommt dem materiellen Konzernrecht innerhalb der Novelle 1965 eine prägende Rolle zu. Diese ist auch für das Abhängigkeitsverständnis von Bedeutung. Hat bereits die Untersuchung des historischen Abhängigkeitsverständnisses keinen Grund für ein restriktives Abhängigkeitsverständnis hervorgebracht, erscheint ein solches allerdings ebenso wenig auf Grundlage der beleuchteten Regelungszwecke des im AktG 1965 neu eingefügten, materiellen Konzernrechts angezeigt. Soweit im Schrifttum vertreten wird, dass die Einflussgrundlagen allein solche innerorganisatorischer- bzw. gesellschaftsrechtlicher Natur sein können, weil es sich beim Konzernrecht selbst um Organisationsrecht handelt,350 ist dem nicht zu folgen. Zwar zog die gesellschaftsrechtliche Verankerung der Rechts- und Ausgleichspflichten im Konzernverbund untrennbar eine Novellierung des bisherigen organisatorischen Rahmens des AktG nach sich.351 Insoweit handelt es sich bei den §§ 291 ff. AktG in der Tat um Konzernorganisationsrecht.352 Der organisationsrechtliche Charakter tritt besonders an jenen Stellen zum Vorschein, wo die Vorschriften des Dritten Buches in Berücksichtigung der Satzungsstrenge vom Organisations- und Kompetenzgefüge innerhalb der selbständigen Aktiengesellschaft abweichen und den allgemeinen Regeln vorgehen.353 Beispielhaft genannt sei hier das Weisungsrecht nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG für den Vertragskonzern, welches das innerhalb der unbeherrschten Gesellschaft geltende Prinzip der Leitungsauto350
Vgl. etwa Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft, S. 26 ff. Langenbucher, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 291 Rn. 5 ff.; Emmerich/Habersack, in: Emmerich/Habersack/Sonnenschein, Konzernrecht, § 1 Rn. 18 (S. 8); vgl. auch Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. §§ 291 ff. Rn. 6. 352 Stellvertretend zur Entwicklung des Konzernorganisationsrechts im Schrifttum etwa Lutter, in: Recht, Geist und Kunst, S. 105 ff.; K. Schmidt, in: Festschrift für Marcus Lutter, S. 1167 ff. m. w. N. 353 Für den faktischen Konzern Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 21. 351
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nomie, § 76 Abs. 1 AktG überlagert.354 Ebenso verdrängen die Vorschriften zum faktischen Konzern, gem. §§ 311 ff. AktG die allgemeinen Regeln zur Kapitalerhaltung, etwa §§ 57, 60, 62 AktG.355 Dessen ungeachtet liegt der Primärzweck des Konzernrechts, wie dargestellt, nicht im Selbstzweck der Organisation der Rechtsbeziehungen, sondern vielmehr im Schutz des abhängigen Unternehmens, der außenstehenden Aktionäre und Gläubiger.356 Die Vorschriften des Dritten Buches zu verbundenen Unternehmen sind damit ganz vorrangig im Lichte des auf Außenseiter- und Gläubigerschutz orientierten Regelungszwecks auszulegen, wonach konzernierende Unternehmensverbindungen „rechtlich erfasst und durchsichtig gemacht“ werden sollen.357 Eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Abhängigkeitsgrundlagen liefe diesem Regelungszweck zuwider. Denn mit jeder Einschränkung der Beherrschungsgrundlagen geht eine Verengung des Anwendungsbereichs einher und damit der Kreis der zu schützenden, beherrschendem Einfluss ausgesetzten Unternehmen. Für das schutzbedürftige abhängige Unternehmen, deren Aktionäre und Gläubiger kann dahinstehen, auf welcher Grundlage beherrschender Einfluss beruht.358 Insoweit macht es keinen Unterschied, ob ein Unternehmen, das sich etwa zur Absicherung gewährter Darlehen umfangreiche schuldvertragliche Weisungs- und Zustimmungsvorbehalte hat einräumen lassen, über eine zusätzliche Minderheitsbeteiligung verfügt oder nicht.359 Schließlich ist nach der vorstehenden Rückblende auf die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts festzustellen, dass das geltende Aktienkonzernrecht keinesfalls wirtschaftspolitisch neutral ist.360 Bereits mit der grundsätzlichen Zulässigkeit der Konzernierung hat das AktG eine marktwirtschaftlich geprägte Wertungsentschei354
Veil, Unternehmensverträge, S. 110 f.; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 308 Rn. 27; Koch, in: Hüffer/Koch, § 308 Rn. 7; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 38. 355 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rn. 82; Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, S. 231, 249, 252; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 63; siehe S. 102 f. 356 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 311 Rn. 12, 19; Emmerich/Habersack, in: Emmerich/Habersack/Sonnenschein, Konzernrecht, § 1 Rn. 18 (S. 8); Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 3 ff.; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1052 f. 357 Begr. RegE, BT-Drucks. 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 214; Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 311 Rn. 12, 19; Emmerich/Habersack, in: Emmerich/Habersack/Sonnenschein, Konzernrecht, § 1 Rn. 18 (S. 8); Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1052 f. Für eine Übersicht der einzelnen, mit dem Aktiengesetz 1965 in Kraft getretenen Vorschriften zu verbundenen Unternehmen, §§ 291 ff. AktG sei hier abkürzend auf das einschlägige Schrifttum verwiesen, etwa Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 291 sowie Vor. § 311; Altmeppen, in: MünchKommAktG, Drittes Buch, Einleitung, Rn. 1 – 58. 358 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 21; Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2475 f.; Prühs, Grundprobleme der aktienrechtlichen Abhängigkeit, AG 1972, 2001, 2005. 359 Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 129. 360 So aber a. A. Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft, S. 26 f.
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dung getroffen. Nichts anderes gilt für die zwingenden Rechtsfolgen, die mit dem faktischen Konzern oder dem Vertragskonzern einhergehen. Insoweit hatte sich der Gesetzgeber für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel gegenüber der im bisherigen Recht in § 101 Abs. 3 AktG 1937 zum Ausdruck kommenden Doktrin einer unregulierten Beherrschungsmöglichkeit und damit eines entschädigungslosen Vorrangs des Konzerninteresses entschieden.361 Eine Einschränkung der Beherrschungsmöglichkeiten nur auf innerorganisatorisch wirkende Grundlagen erscheint daher auch aus rechtspolitischen Erwägungen nicht angezeigt. Zumindest lässt sich nicht rechtfertigen, warum extern vermittelte Einflussgrundlagen aus dem Anwendungsbereich von § 17 Abs. 1 AktG ausgeschlossen werden sollen, wenn doch die Vorschriften des Konzernrechts gerade dem Schutz der abhängigen Unternehmen zu dienen bestimmt sind. Zu bedenken ist bei einem solchen Verständnis vielmehr, ob eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss nicht zu einer Verstärkung gerade von extern vermittelten Einflussgrundlagen führen könnte, um so die an den § 17 AktG anknüpfenden Rechtsfolgen zu umgehen. Eine solche Umgehungsmöglichkeit würde ein uneingeschränktes Abhängigkeitsverständnis nicht eröffnen. cc) Restriktiver Abhängigkeitsbegriff aus Gründen der Rechtssicherheit? Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass zumindest aus den Regelungszwecken des Minderheiten- und Gläubigerschutzes der materiell-rechtlichen Konzernvorschriften keine zwingende Einschränkung der Einflussgrundlagen folgt. Bereits Werner und Dierdorf hatten ein solch restriktives Abhängigkeitsverständnis in ihren jeweils monographischen Untersuchungen der Grundlagen beherrschenden Einflusses abgelehnt.362 Dierdorf zufolge stelle sich die Frage nach zulässigen Einflussgrundlagen gar nicht. Beherrschender Einfluss verlange allein eine Determination des Umfangs, der Intensität sowie Beständigkeit, setze jedoch keine spezifische Art der Einflussgrundlage voraus. Je nachdem welches Mittel im Einzelfall geeignet ist, die Voraussetzungen beherrschenden Einfluss zu erfüllen, vermag es auch ein Abhängigkeitsverhältnis zu begründen. Das Gesetz habe gerade deswegen
361 Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, S. 73; vgl. Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1039. Wortlaut von § 101 AktG 1937: (4) Wer zu dem Zwecke, für sich oder einen anderen gesellschaftsfremde Sondervorteile zu erlangen, vorsätzlich unter Ausnutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft oder des Vorstands oder des Aufsichtsrats dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (5) (…) (6) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Einfluss benutzt wird um einen Vorteil zu erlangen, der schutzwürdigen Belangen dient. 362 Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 24 ff.; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 39 f.
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den Wortlaut so offengelassen.363 Gegen diese grundsätzliche Unbeschränktheit der möglichen Einflussgrundlagen wird jedoch von der überwiegenden Auffassung der Einwand der Rechtsunsicherheit vorgebracht. So könne nach Grigoleit dem Konzernrechtsgesetzgeber „keine Regelungsabsicht für die gleichsam unendliche Vielzahl von mitgliedschaftslosen Einflussformen und Interessenkonflikten angesonnen werden.“364 Auch Koch zufolge würde die Zulassung extern vermittelter Einflussmöglichkeiten eine „Abhängigkeitsfeststellung von konturloser und damit höchst streitanfälliger Einzelfallbeurteilung abhängig machen.“365 Und nach Rittner führe jenes weite Abhängigkeitsverständnis sogar zu einer „inflationären Anwendung der §§ 311 ff. und zu einer Rechtsunsicherheit (zumal bei unübersehbar vielen Grenzund Zweifelsfällen) (…), die beide den erwiesenen Intentionen des Gesetzgebers extrem widersprechen würden.“366 Zwar hatte der BGH in seiner Seitz-Entscheidung über die Beurteilung einer tatsächlichen Beherrschung noch die Auffassung vertreten, dass dem Schutzzweck einer Norm Vorrang gegenüber etwaiger Rechtssicherheit einzuräumen sei: „Wenn auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit schon wegen der weitreichenden Folgerungen, die das Gesetz an eine Abhängigkeit knüpft (…), nicht außer Betracht bleiben darf, so hat doch der Schutzzweck des Gesetzes den Vorrang. Jedenfalls kann sich das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses nicht nach der Leichtigkeit seiner Feststellung richten. (…) Gerade gegen die feineren, nicht gleich auf der Hand liegenden und in ihrer Vielfalt schwer erfaßbaren Möglichkeiten eines fremden Unternehmereinflusses hat der Gesetzgeber aber den einzelnen Aktionär und Gesellschaftsgläubiger absichern wollen.“367
In seiner späteren BuM-Entscheidung schränkte der BGH diese Auffassung für die Frage nach der zulässigen Abhängigkeitsgrundlage allerdings ausdrücklich ein und verwies ebenfalls auf die entstehende Rechtsunsicherheit bei unbeschränkten Abhängigkeitsgrundlagen: „Die Einbeziehung solcher nichtgesellschaftlicher Einflüsse in die aktienrechtlichen Vorschriften würde bei der Vielzahl und Vielfalt möglicher wirtschaftlicher Abhängigkeiten tief und in einem kaum mehr zu übersehenden Ausmaß in das Marktgeschehen eingreifen“.368
Ob ohne die überwiegend geforderte Beschränkung der Einflussmöglichkeiten auf ihre gesellschaftsrechtliche Fundierung Rechtsunsicherheit und die Gefahr eine Ausuferung der konzernrechtlichen Schutzvorschriften einhergeht, ist allerdings erst mit Blick auf die tatsächliche Funktionsweise der Einflussarten zu belegen. Zu diesem Zweck untersucht der folgende Abschnitt exemplarisch die rechtliche Zulässigkeit gesellschaftsrechtlicher ((1)) sowie rein schuldrechtlich vermittelter 363
Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 39 f. Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6. 365 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 5. 366 Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1467; vgl. auch im Ergebnis Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 20. 367 BGH, Urteil v. 4. 3. 1974 – II ZR 89/72 – BGHZ 62, 193, 197 f. 368 BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 396. 364
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Einflussmöglichkeiten ((2)) im Kontext des geltenden Organisationsrahmens im Aktienrecht. (1) Gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen Dass gesellschaftsrechtlich vermittelter Einfluss geeignet ist, ein Abhängigkeitsverhältnis nach § 17 AktG zu begründen, ist unbestritten.369 Derweil sind die Voraussetzungen, wann ein gesellschaftsrechtlich begründetes Abhängigkeitsverhältnis gegeben ist, nicht definiert.370 Das insoweit ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der gesellschaftsrechtlichen Verankerung ist kein rechtstechnischer Begriff. Aus dem einschlägigen Schrifttum lässt sich lediglich entnehmen, dass es sich dabei um alle Einflussmöglichkeiten handelt, welche in die Innenstruktur der Gesellschaft einzugreifen vermögen.371 Zunächst fallen darunter folglich jene Einflussarten, die ursprünglich Kronstein unter die organisatorische Abhängigkeit subsumierte.372 Aber auch die Beteiligung stellt eine gesellschaftsrechtliche Grundlage im Sinne des geltenden Abhängigkeitsverständnisses dar, eröffnet sie doch den aus der Mitgliedschaft erwachsenden organisatorischen Einfluss durch Beschlüsse der Hauptversammlung. Überdies ist die Beteiligung grundsätzlich als Einflussgrundlage in § 17 Abs. 2 AktG genannt. Schließlich ist mit Blick auf den organisationsrechtlichen Beherrschungsvertrag in § 291 Abs. 1 AktG auch an eine vertragliche Abhängigkeit zu denken, die gesellschaftsrechtlich verankert ist. Für die nachfolgende Skizzierung jener Einflussarten kann daher an der ursprünglichen Gliederung der organisatorischen ((a)), beteiligungsmäßigen ((b)) und vertragsmäßigen ((c)) Abhängigkeit festgehalten werden. Schließlich ist noch auf die sogenannte kombinierte Beherrschung ((d)) einzugehen, die sowohl im Schrifttum als auch vom BGH als zulässige Einflussgrundlage anerkannt ist.373 (a) Organisatorische Abhängigkeit Wie bereits zu Beginn der Untersuchung des geltenden Abhängigkeitsverständnisses erwähnt, hat die Novelle 1965 mit Blick auf die Kompetenzordnung der Gesellschaftsorgane in der selbständigen AG keine nennenswerten Änderungen gegenüber dem AktG 1937 erfahren.374 Unter die organisatorische Abhängigkeit fällt damit allein die durch Satzungsgestaltung vermittelte Abhängigkeit. Dieser sind in der AG im Gegensatz zur GmbH enge Grenzen gesetzt, zumal die Novelle 1965 den Grundsatz der Satzungsstrenge gesetzlich verankert hat, § 23 Abs. 5 AktG. Eine 369
Siehe zum herrschenden Schrifttum und zur Rechtsprechung oben 1. Kap. Fn. 47. Darauf hinweisend schon Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 264. 371 Franz, in: Wachter, AktG, § 17 Rn. 7; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 14; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6. 372 Siehe oben S. 58 ff. 373 BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 397. 374 Siehe oben S. 84 f. 370
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Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften des AktG ist danach nur im Falle ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung zulässig. Eine satzungsmäßige Einschränkung der Leitungskompetenz des Vorstands durch etwaige Zustimmungsvorbehalte zugunsten bestimmter Aktionäre wäre mit § 23 Abs. 5 AktG unvereinbar.375 Das Entsendungsrecht von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 101 Abs. 2 AktG genügt für sich allein nicht, beherrschenden Einfluss zu vermitteln.376 Zwar vermittelt das Entsendungsrecht eine Einflussmöglichkeit. Diese geht durch die Begrenzung auf ein Drittel der Mitglieder aber nicht so weit, Beschlüsse durchsetzen zu können. Damit wird die vorausgesetzte Einflussintensität nicht erreicht, um beherrschenden Einfluss zu begründen.377 Allein in der Formulierung des Unternehmensgegenstands eröffnet sich Gestaltungspotential einer satzungsbedingten Abhängigkeitslage, sofern dieser so eng gestaltet wird, dass das abhängige Unternehmen einer Servicegesellschaft des herrschenden Unternehmens ohne verbleibende Entscheidungsbefugnisse gleichkommt.378 Die Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien dagegen wurde durch das KonTraG aufgehoben.379 Die Bedeutung der Satzung als eigenständige Grundlage beherrschenden Einflusses ist damit letztlich unbeachtlich. (b) Beteiligungsvermittelte Abhängigkeit Die wohl wichtigste Grundlage beherrschenden Einflusses folgt aus einer beteiligungsbasierten Abhängigkeit. Für den Fall einer Mehrheitsbeteiligung sieht § 17 Abs. 2 AktG eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses vor und sucht so die „Unbestimmtheit des Abhängigkeitsbegriffs“ einzuschränken.380 Sah der RegE ursprünglich noch die Unwiderruflichkeit der Vermutung vor, schwächte der Rechtsausschuss dies zu einer widerruflichen Vermutung ab, um einer Umgehung der formalen Mehrheitsbeteiligung den Anreiz zu nehmen.381 Wie bereits zur vorherigen Rechtslage erläutert, folgt aus der Mehrheitsbeteiligung im Regelfall die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme, da mit ihr üblicherweise auch die absolute Stimmenmehrheit einhergeht, mittels derer Hauptversammlungsbeschlüsse durchgesetzt werden können, vgl. §§ 133 Abs. 1, 134 Abs. 1 AktG. Dass beherrschender Einfluss nicht notwendig eine Mehrheits375
Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 624. Geßler, in: Geßler/Hefermehl et al., Aktiengesetz, § 17 Rn. 52; Koppensteiner, in: KKAktG, § 17 Rn. 50; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 31. A. A. noch Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 20; Würdinger, in: GKAktG, 3. Aufl. 1973, § 17 Rn. 7. 377 Oben S. 86 ff. 378 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 50; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 31. 379 Eine ausnahmsweise Zulässigkeit folgt aus § 12 Abs. 2 AktG a. F. i. V. m. § 5 EGAktG, Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 20. 380 Begr. RegE, BT-Drucks.: 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 100. 381 Vgl. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks.: 4/3296 vom 28. 4. 1965, S. 3 f. 376
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beteiligung voraussetzt, folgt aus dem Umkehrschluss von § 17 Abs. 2 AktG i. V. m. § 17 Abs. 1 AktG.382 So erfüllt auch eine Minderheitsbeteiligung die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses, wenn sie tatsächlich wie eine absolute Mehrheit wirkt, etwa im Fall der faktischen Hauptversammlungsmehrheit aufgrund der dort niedrigen Präsenz und des hohen Streubesitzes der Aktien.383 Die mit der Sperrminorität einhergehende Blockademöglichkeit qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in der Hauptversammlung, § 179 Abs. 2 S. 1 AktG, genügt dagegen nach heute übereinstimmender Auffassung nicht, die Voraussetzungen von § 17 AktG zu erfüllen.384 (c) Vertragliche Abhängigkeit Unter vertragliche Abhängigkeit, welche sich auf das Organisationsgefüge in der AG auswirkt und damit gesellschaftsrechtlich vermittelt wird, ist allein der Beherrschungsvertrag zu subsumieren, § 291 Abs. 1 AktG.385 Dass dieser selbständig Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses ist, folgt aus der Vermutung in § 18 Abs. 1 S. 2 AktG. Allein der Beherrschungsvertrag vermittelt ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber dem abhängigen Unternehmen nach § 308 Abs. 1 AktG. Organisatorisch beschränkt der Beherrschungsvertrag den Grundsatz der Leitungsautonomie, § 76 Abs. 1 AktG, für den Vorstand der abhängigen Gesellschaft. Innerhalb der Reichweite des Weisungsrechts nach § 308 Abs. 1 AktG wird die Leitungskompetenz des abhängigen Vorstands überlagert und dem herrschenden Unternehmen unterstellt.386 Dagegen vermittelt der Gewinnabführungsvertrag nach § 291 Abs. 1 S. 2 Var. 2 AktG isoliert keine beherrschende Einflussmöglichkeit.387 Auch die in § 292 AktG aufgeführten Unternehmensverträge, etwa der Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag, sind allein schuldrechtlicher Natur und 382 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 23; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 17 f.; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 10. 383 OLG Düsseldorf AG 2003, 688, 689; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 18; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 35; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 9; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 10. 384 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 10; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 25; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 42; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 24; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 50, 93 ff.; Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1468; Sura, Fremdeinfluß und Abhängigkeit im Aktienrecht, S. 66. A. A. früher vertreten, Prühs, Grundprobleme der aktienrechtlichen Abhängigkeit, AG 1972, 308, 311; Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 133 f., so auch Peters/Werner, Banken als herrschende Unternehmen?, AG 1978, 297. 385 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 12; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 22; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 35. 386 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 33; Koch, in: Hüffer/Koch, § 308 Rn. 1; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 20. 387 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 52; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 12; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 65. A. A. Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 11.
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entsprechen damit nicht den Anforderungen an eine gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlage.388 (d) Kombinierte Beherrschung Eine Ausnahme von der Notwendigkeit einer gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussgrundlage nimmt der BGH allerdings im Falle einer sog. kombinierten Beherrschung an.389 Hierbei besteht zwar eine gesellschaftsrechtliche Einflussgrundlage, etwa durch eine Minderheitsbeteiligung, welche allerdings für sich genommen nicht ausreicht, ein Abhängigkeitsverhältnis zu begründen. Allerdings soll es möglich sein, dass extern vermittelte Einflussmöglichkeiten, etwa schuldvertragliche Zustimmungsvorbehalte, den bestehenden Einfluss zu einem beherrschenden Einfluss verstärken. Dieser Auffassung hat sich ein erheblicher Teil des Schrifttums angeschlossen.390 Vor dem Hintergrund der Beschränkung der Einflussgrundlagen auf ihre gesellschaftsrechtliche Fundierung erscheint es allerdings inkonsistent, dieses Kriterium ausschließlich im Fall eines Zusammentreffens mit außergesellschaftsrechtlichem Einflusspotential aufgeben zu wollen.391 Die Berücksichtigung etwaig schuldrechtlich vermittelter Einflussgrundlagen, die isoliert nicht als beherrschungsbegründend anerkannt werden, können nicht darüber hinweg helfen, dass die gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlage im jeweiligen Fall nicht die Voraussetzungen für die Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses erfüllt.392 Besitzt etwa ein Unternehmen beispielsweise 30 % der Stimmrechte an einem börsennotierten Unternehmen, während die übrigen jeweils zu 25 %, 20 % und 15 % an institutionelle Investoren sowie 10 % im Streubesitz verteilt sind, eröffnet die 30 % Beteiligung bei einer angenommenen Präsensquote von 75 % der Stimmrechte keine faktische Beherrschungsmöglichkeit. Diese fehlendende Beschlussmehrheit wird auch nicht durch etwaige zusätzliche schuldrechtliche Abreden, welche ihrerseits unzureichend sind, kompensiert. Selbst ein satzungsmäßig eingeräumtes Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat nach § 101 Abs. 2 AktG verschafft der Minderheitsbeteiligung keine Durchsetzungsmöglichkeit, sondern nur eine weitere Einflussmöglichkeit, die für sich ebenfalls keine Beherrschungsmöglichkeit eröffnet. Besteht derweil im genannten Beispiel eine Minderheitsbeteiligung von 45 %, käme es auf zusätzliches außergesellschaftliches Druckpotential nicht an, da bereits aus der Beteiligung eine Präsenzmehrheit folgt. Hinzuweisen ist auch auf 388 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 12; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 53; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 65; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 43, demzufolge diese Unternehmensverträge lediglich ein Indiz für Abhängigkeit sein können. 389 BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 397: „So kann sich ein ohnehin schon bestehender gesellschaftsinterner Einfluß durch das Hinzutreten außergesellschaftsrechtlicher Druckmittel zu einem beherrschendem Einfluß vertärken.“ 390 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 31; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 16; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 40; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 16. 391 Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 129. 392 Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 214.
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einen Beschluss des BGH zur Abhängigkeit des VW-Konzerns vom Lande Niedersachsen in den Jahren 1989 – 1993. In diesem Fall verfügte das Land über eine 20 % Beteiligung an der VW AG und ein zusätzliches Entsendungsrecht über zwei Aufsichtsratsmandate. Der BGH erkannte in der Konstellation eine Beherrschungsmöglichkeit des Landes Niedersachsen, da mit der Beteiligungshöhe bereits eine relative Mehrheit in der Hauptversammlung aufgrund der außergewöhnlich niedrigen Präsenz einherging. Dass der BGH in diesem Fall die zusätzliche Einflussmöglichkeit durch das Entsendungsrecht betont, ist unbeachtlich, da der beherrschende Einfluss bereits allein durch die Beteiligung ausgelöst wurde und gerade kein Fall kombinierter Beherrschung vorlag.393 Schließlich erscheint es widersprüchlich, dass bei kombinierter Beherrschung einerseits die organisationsrechtliche Einflussgrundlage vorausgesetzt, andererseits eine extern bedingte Einflussmöglichkeit als abhängigkeitsbegründend angesehen wird, sofern nur daneben eine organisationsrechtlich unbedeutende Minderheitsbeteiligung besteht.394 Warum Letztere für die Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses ausschlaggebend sein soll, obwohl diese keine Beschlussmehrheit in der Hauptversammlung und damit weder eine Kontrolle des Aufsichtsrates noch des Vorstands ermöglicht, ist schleierhaft. Gerade der Einwand der Rechtsunsicherheit und die Gefahr der „höchst streitanfällige(n) Einzelfallbeurteilung“395, die für eine Einschränkung der Einflussgrundlagen vorgebracht werden, realisieren sich im Fall der kombinierten Beherrschung, deren Ermittlung sich fester Kriterien entzieht.396 Vor diesem Hintergrund ist jenen Stimmen im Schrifttum zuzustimmen, welche die Möglichkeit einer kombinierten Beherrschung grundsätzlich ablehnen.397 (2) Außergesellschaftsrechtlicher Einfluss Dass neben dem gesellschaftsrechtlichen Einfluss auch extern begründete Einflussgrundlagen beträchtlichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen vermitteln können, erkennen selbst Stimmen im Schrifttum an, die sich für eine Begrenzung der Einflussgrundlagen aussprechen.398 Exemplarisch angeführt werden etwa komplexe Lieferbeziehungen wie Just-in-time Vereinbarungen („Jit“), Franchise-Systeme sowie Kreditverträge, die mit weitreichenden Zustimmungsvorbehalten, sog. Co-
393
BGH, Beschluss v. 17. 3. 1997 – II ZB 3/96 – BGHZ 135, 107, 114. Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 129. 395 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 5. 396 Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 129. 397 Überzeugend Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 68; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 214; Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 129 f. Vgl. Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 25. 398 Vgl. Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 40; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 58; Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2476. 394
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venants, einhergehen, um vertragliche Risiken abzuwehren.399 Ausgehend von der insoweit unklaren Gesetzesbegründung und dem einer weiten Auslegung offenen Gesetzeswortlaut geht ein Teil der Literatur davon aus, dass auch solche Einflussgrundlagen Abhängigkeit begründen können.400 Als Begründung wird angeführt, dass mit Jit- und Franchise-Vereinbarungen eine solch weitreichende Verflechtung in die Organisation der Betriebsführung des abhängigen Unternehmens einhergeht, dass eine klare Abgrenzung zwischen Austausch- und Organisationsvertrag nicht mehr möglich sei.401 Zudem will Raupach einen etwaigen Trend erkannt haben, wonach Unternehmen eine beteiligungsgestützte Beherrschung zunehmend durch kostengünstigere, komplexe Vertragssysteme ersetzen.402 Ob entgegen der herrschenden Ansicht neben gesellschaftsrechtlichen auch außergesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten ein Abhängigkeitsverhältnis nach § 17 Abs. 1 AktG begründen können, soll in dieser Arbeit allerdings nicht mittels eines normativen Vergleichs der Einflussgrundlagen entschlüsselt werden. Vielmehr gilt es hier, außergesellschaftsrechtliche Einflussgrundlagen am Beispiel schuldvertraglicher Weisungsrechte und Zustimmungsvorbehalte grundsätzlich auf ihre rechtliche Vereinbarkeit mit der aktienrechtlichen Kompetenzordnung zu untersuchen. In diesem Rahmen wird sich auch zeigen, ob die Gefahr einer Ausuferung der konzernrechtlichen Schutzvorschriften nach §§ 311 ff. AktG tatsächlich zu befürchten ist. Dafür sind zunächst die schuldrechtlichen Einflussgrundlagen an den allgemeinen Voraussetzungen zu messen ((a)), bevor näher auf die konkrete Funktionsweise einer schuldrechtlichen Beherrschung ((b)) eingegangen wird. Schließlich ist die Zulässigkeit jener Beherrschungsgrundlagen mit Blick auf die Leitungsautonomie des Vorstands zu diskutieren ((c)), bevor ein Fazit die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammenfasst ((d)). (a) Allgemeine Voraussetzungen schuldrechtlicher Beherrschung Mit Blick auf die Gefahr einer Verwässerung der Rechtsfolgen des Abhängigkeitstatbestands werden von den Befürwortern eines restriktiven Abhängigkeitsverständnisses immer wieder einfache Leistungsaustauschbeziehungen, insbeson-
399 Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 40; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 15; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 23; Hirschmann, in: Hölters, AktG, § 17 Rn. 5. 400 Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 154 ff.; Prühs, Die tatsächliche Abhängigkeit, DB 1972, 2001 ff.; Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, S. 140 ff.; Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens, GWR 2011, 127, 128 ff.; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 20 ff.; Oechsler, Die Anwendung des Konzernrechts auf Austauschverträge, ZGR 1997, 464, 468 ff. 401 Oechsler, Die Anwendung des Konzernrechts auf Austauschverträge, ZGR 1997, 464, 468 f.; Bayreuther, Wirtschaftlich-existenziell abhängige Unternehmen, S. 52 ff. Vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 15. 402 Raupach, in: Festschrift für Gerold Bezzenberger, S. 327, 341 ff.
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dere Liefer- und Kreditbeziehungen angeführt.403 Suggeriert wird damit, dass erst infolge der Beschränkung auf eine gesellschaftsrechtliche Fundierung, jene schuldrechtlichen Einflussgrundlagen vom Anwendungsbereich des Abhängigkeitstatbestands ausgenommen würden. Diese Darstellung entkoppelt allerdings die Frage der Einflussgrundlage von den allgemeinen Voraussetzungen beherrschenden Einflusses und verzerrt damit die Realität. Dass jeder beliebige schuldrechtliche Vertrag ungeachtet seiner tatsächlichen Einflussmöglichkeit Abhängigkeit begründet, vertraten selbst im AktG 1937 weder Schrifttum noch Rechtsprechung. Ungeachtet der Rechtsgrundlage muss eine Einflussmöglichkeit stets die qualitativen Voraussetzungen beherrschenden Einflusses, insbesondere an Einflussumfang und Einflussintensität und Beständigkeit erfüllen, um Abhängigkeit im Sinne von § 17 AktG zu konstituieren. Konsequent angewendet dürfte die Prüfung dieser Voraussetzungen zu einer deutlichen Selektion der in Betracht kommenden schuldrechtlichen Einflussgrundlagen und insbesondere rein wirtschaftlicher Abhängigkeiten führen.404 Zum Einflussumfang wurde bereits erläutert, dass die Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung bzw. Leitung der AG zielen muss. Der Gegenstandbereich des Einflusses muss ferner umfassend sein und sich damit abstrakt generell auf alle relevanten Fragen der Leitung und Geschäftsführung innerhalb der AG auswirken können.405 An dieser Voraussetzung dürfte bereits die Mehrheit der schuldrechtlichen Einflussrechte scheitern. Denn im Regelfall dienen etwa Nebenbestimmungen, die Kreditverträge absichern, allein der Abwehr vertragstypischer Risiken und eröffnen eine lediglich punktuelle Einflussmöglichkeit, die für die Abhängigkeitsbegründung nicht ausreicht.406 Als vertragliche Einflussgrundlagen, welche diese Voraussetzungen erreichen, kommen lediglich ausgesprochen umfangreiche Schuldverträge, exemplarisch etwa Covenants, Franchise-Systeme oder komplexe Jit-Vereinbarungen aber auch Business Combination Agreements („BCA“) sowie Betriebspachtoder Betriebsüberlassungsverträge in Betracht.407 Neben einer umfassenden Einflussmöglichkeit setzt beherrschender Einfluss ferner die Durchsetzung des Willens des herrschenden Unternehmens auch gegen die Interessen des abhängigen Unternehmens voraus.408 Ein unmittelbares Weisungs403 Vgl. etwa Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 20; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 5. 404 Siehe dazu Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 26. 405 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 7; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 8; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 12; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 9. Ferner bereits oben S. 85 f. 406 Vgl. Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 40; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 26; vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rn. 9; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 4. 407 Oechsler, Die Anwendung des Konzernrechts auf Austauschverträge, ZGR 1997, 464, 467 ff.; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 20 ff. 408 Siehe zur Einflussintensität im geltdenden Recht die Ausführungen auf S. 86 ff.
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recht ist hingegen keine notwendige Voraussetzung, da auch eine Mehrheitsbeteiligung ein solches nicht eröffnet. Die Einflussmöglichkeit auf den Vorstand muss nicht einmal rechtlich verankert sein, sondern kann auch auf faktischen Umständen beruhen, wie einer niedrigen Hauptversammlungspräsenz. Wo allerdings weder eine rechtliche noch faktische Durchsetzungsmöglichkeit des Willens der herrschenden Gesellschaft besteht, wird die Schwelle zu beherrschendem Einfluss mangels notwendiger Einflussintensität nicht erreicht. (b) Funktionsweise schuldvertraglicher Beherrschung Auf Grundlage dieser Voraussetzungen lassen sich konkrete Anforderungen an die Funktionsweise einer schuldvertraglichen Beherrschung aufstellen. Mit Ausnahme von Stimmbindungsvereinbarungen eröffnen nur solche Verträge einen Einfluss auf die Geschäftsführungskompetenzen, die unmittelbar mit dem Vorstand geschlossen werden. Weder die Hauptversammlung als Organ noch der Aufsichtsrat sind insoweit an der Geschäftsführung beteiligt. Allerdings genügen nicht sämtliche Verträge, die eine abstrakt-generelle Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung ermöglichen, den Anforderungen beherrschenden Einflusses. Zu denken ist nur an umfangreiche vertragliche Informationspflichten. Aus diesen erwächst dem Adressaten keine Durchsetzungsmöglichkeit seiner Interessen auch gegen den Willen des Vorstands. Im Unterschied zur (Mehrheits-)Beteiligung geht mit einer vertraglichen Einflussgrundlage keine Personalentscheidungsgewalt einher. Die Bestellung etwaiger Vorstandsmitglieder liegt in der ausschließlichen, unübertragbaren Kompetenz des Aufsichtsrates.409 Exemplarisch für eine Willensdurchsetzung gegenüber dem Vorstand kommt daher vorrangig ein vertragliches Weisungsrecht zugunsten des beherrschenden Unternehmens in Betracht. Dieses ist zwar nicht zwingend – alternativ ist an Zustimmungsvorbalte zu denken. In Berücksichtigung der Anforderungen an den Einflussgegenstand müssen diese jedoch einen Umfang annehmen, der alle wesentlichen Fragen der Geschäftsführung umfasst und damit dem Weisungsrecht letztlich äquivalent ist. Aufgrund der allgemeinen Anforderungen beherrschenden Einflusses kommt eine vertragliche Einflussgrundlage mithin nur dann in Betracht, wenn mit ihr zumindest weisungsgleiche Einflussrechte einhergehen, die gegenüber dem Vorstand eine Durchsetzung der Interessen des herrschenden Unternehmens in allen relevanten Fragen der Geschäftsführung ermöglichen. (c) Vertraglicher Einfluss im Lichte der Leitungsautonomie In Anbetracht dieser Anforderungen an eine schuldvertragliche Einflussgrundlage erscheint die rechtliche Zulässigkeit vor allem eine Frage der Leitungsautonomie des Vorstands zu sein bzw. seiner Möglichkeit, sich jenes Prinzips gem. § 76 Abs. 1 AktG vertraglich zu begeben. Die Antwort darauf ist zunächst in der Dog409 Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 Rn. 12; Spindler, in: MünchKommAktG, § 84 Rn. 14.
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matik der Leitungsautonomie ((aa)) zu suchen, bevor anschließend die rechtliche Zulässigkeit schuldrechtlicher Beherrschung im Kontext des Beherrschungsvertrages ((bb)) und des faktischen Konzerns ((cc)) beleuchtet wird. Schließlich wendet sich dieser Abschnitt Stimmbindungsverträgen als Grundlagen beherrschenden Einflusses zu ((dd)), bevor eine Zusammenfassung der Ergebnisse diesen Abschnitt beschließt ((ee)). (aa) Dogmatik der Leitungsautonomie Wie bereits erläutert, weist § 76 Abs. 1 AktG in Anlehnung an § 70 AktG 1937 dem Vorstand die ausschließliche Leitung der Gesellschaft in eigener Verantwortung zu.410 Hauptversammlung und Aufsichtsrat sind seit dem AktG 1937 von der Beteiligung der Geschäftsführung ausgeschlossen, vgl. § 111 Abs. 4 S. 1 und § 119 Abs. 2 AktG.411 Aus der ausschließlichen Zuweisung von Leitung und Geschäftsführung an den Vorstand folgt die Trennung von Inhaberschaft und Leitung in der Aktiengesellschaft.412 Diese gewährleistet ferner, dass der Vorstand in der Leitung der Gesellschaft unabhängig ist. Der Vorstand handelt nach § 76 Abs. 1 AktG in eigener Verantwortung und damit nach eigenem Ermessen, welches ihm in den Grenzen der Business Judgement Rule, § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, auch das bewusste Eingehen geschäftlicher Risiken ermöglicht sowie Raum für Fehleinschätzungen lässt.413 Der Vorstand schließt als gesetzlich berufenes Vertretungsorgan ferner Rechtsgeschäfte für und mit Wirkung gegen die Gesellschaft, § 78 Abs. 1 AktG. Ungeachtet der grundsätzlichen Unabhängigkeit des Vorstands bindet er sich jedoch durch die Verträge, die er für die Gesellschaft schließt, und den daraus erwachsenen Rechten und Pflichten zumindest mittelbar selbst.414 Zu denken ist beispielsweise an langfristige Liefervereinbarungen, welche die Bewegungsfähigkeit der Gesellschaft mit Blick auf etwaige Zulieferer einschränken können.415 Diese Fähigkeit ist jedoch notwendige Voraussetzung für die Leitung der Gesellschaft und damit gerade Ausdruck der Ermessensausübung des Vorstands.416 Insoweit liegt allerdings auch die Annahme nicht fern, dass die Unterstellung der Gesellschaft insgesamt unter fremde Leitung eine konsequente Folge der dem Vorstand eröffneten Möglichkeit zur Selbstbindung ist. Allerdings ist fraglich, ob die 410
Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 1; Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 1. 411 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 2, 13; siehe hierzu auch oben S. 72 ff. 412 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 103. 413 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 59; Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 28; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 36. 414 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101. 415 Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 29; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 75. 416 Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 29; vgl. zur Ablehnung eines generellen Vorwegbindungsverbotes Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 15, 36; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 76 Rn. 50.
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Fähigkeit des Vorstands zur (mittelbaren) vertraglichen Selbstbindung auch die Möglichkeit einschließt, sich selbst und damit die Gesellschaft umfassenden Weisungsrechten zu unterstellen und sich der Leitungskompetenz insgesamt zu begeben. Eine Stütze findet diese Schlussfolgerung im AktG 1937, welches das Prinzip der Leitungsautonomie des Vorstands in § 70 AktG 1937 erstmalig gesetzlich verankerte. Gleichwohl ging die ganz überwiegende Ansicht im Schrifttum von der rechtlichen Zulässigkeit einer (schuld-)vertraglich begründeten Beherrschung und damit der Übertragung von der Leitungskompetenz des Vorstands aus.417 Dies ist umso erstaunlicher, als die Voraussetzungen einer vertraglichen Konzernierung nicht kodifiziert waren. Kritische Stimmen wiesen allein auf ein Spannungsverhältnis zwischen einer übergeordneten Leitung durch das herrschende Unternehmen und dem in § 70 Abs. 1 AktG 1937 eingeführten Prinzip der Leitungsautonomie hin und forderten eine Nachbesserung des Gesetzgebers.418 Dagegen kann sich der Vorstand heutzutage nach allgemeiner und zutreffender Ansicht der Leitungsmacht nicht entäußern.419 Das folgt aus der Dogmatik der aktienrechtlichen Verfassung. Dem Vorstand obliegt zwingend die Leitung der Gesellschaft. Ähnlich wie der Aufsichtsrat seine Aufgaben, etwa die Kontrolle der Geschäftsführung oder die Bestellung der Vorstandsmitglieder, nicht delegieren oder in sonstiger Art übertragen kann, vgl. § 111 Abs. 6, § 107 Abs. 3 S. 4 AktG, sondern persönlich wahrnehmen muss,420 kann sich auch der Vorstand die ihm zugewiesene 417
Darauf verwies bereits Mauve, in: Das Neue Aktienrecht, S. 3 f.: „Die Leitung der abhängigen Gesellschaft unter eigener Verantwortung ihres Vorstandes und die einheitliche Leitung des herrschenden und des abhängigen Unternehmens im Konzern sind also schwer zu vereinbaren. (…) Wenn es sich auch um interne Konzernfragen handelt, so werden doch ergänzende Vorschriften notwendig sein.“ Siehe auch Schmidt, in: GK-AktG, 2. Aufl. 1961, Vor. § 70. 418 Siehe oben, 2. Kap. Fn. 417. Dass das damalige Schrifttum, wie auch das RG in seiner Thega-Rechtsprechung, von einer grundsätzlichen Zulässigkeit schuldrechtlicher Beherrschungsgrundlagen trotz bestehender Leitungsautonomie in § 70 AktG ausging, lässt sich unterschiedlich begründen. Einerseits konnte das Schrifttum zum noch sehr jungen Leitungsprinzip auf keinerlei Forschung zurückgreifen. Dass mit § 70 AktG über die Stärkung der Vorstandskompetenzen auch eine Einschränkung zur Veräußerung Letzterer einherging, lässt sich aus den Gesetzesmaterialien auch nicht entnehmen: Vgl. amtl. Begr. zu § 70 AktG 1937 bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Aktien 1937, S. 58 f. Andererseits hätte die Unzulässigkeit schuldrechtlicher Beherrschungsgrundlagen zur Folge gehabt, dass Konzernbeziehungen vertraglich überhaupt nicht mehr hätten begründet werden können, da es gerade an der gesetzlich kodifizierten Ausnahme eines Beherrschungsvertrags fehlte. Eine solche Auslegung hätte allerdings dem damaligen Verständnis des Gesetzgebers zum Abhängigkeitstatbestand widersprochen. Insoweit wurde die vertragliche Beherrschung wie im bisherigen Recht schlicht vorausgesetzt und auf das Spannungsverhältnis zu § 70 AktG verwiesen. 419 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105, vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 9, 57; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 28; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 76 Rn. 42; Kort, in: GK-AktG, § 76 Rn. 49 ff. 420 Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 83; Kort, in: GK-AktG, § 76 Rn. 49 ff.; Bürgers, in: Bürgers/Körber, Aktienrecht, § 76 Rn. 18; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 12. Differenzierend zu den Grenzen eines Delegationsverbotes und den Anforderungen an die
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Leitung vertraglich nicht begeben. Die Leitungsautonomie des Vorstands ist eine gesellschaftsrechtliche Kompetenzzuweisung und prägt die Binnenorganisation der Aktiengesellschaft. Eine Veräußerung der Leitung an einen gesellschaftsfremden Dritten würde die aktienrechtliche Verfassung verändern und mit dem vertraglich ermächtigten Dritten ein zusätzliches Gesellschaftsorgan schaffen.421 Die Schaffung zusätzlicher Organe betrifft wiederum die Organisationsstruktur der Gesellschaft und stellt eine materielle Satzungsbestimmung dar.422 Aus diesem Grund ist die Übertragung der Leitung einer Gesellschaft satzungspflichtig, sodass bereits vor diesem Hintergrund eine vertragliche Leitungsveräußerung unwirksam ist. In Anbetracht des Prinzips der Satzungsstrenge, § 23 Abs. 5 AktG können zudem nur solche Gestaltungen per Satzung geregelt werden, welche das AktG gestattet. Eine satzungsmäßige Übertragung der Leitung der Gesellschaft sieht das AktG derweil nicht vor. Dem Vorstand fehlt es mithin an der rechtlichen Gestaltungsmacht sich seiner eigenen Leitungskompetenz zu begeben.423 Insoweit ist die Reichweite seiner gesetzlichen Vertretungsbefugnis beschränkt. Die vertragliche Einräumung beherrschenden Einflusses durch Weisungsrechte bzw. umfangreicher Zustimmungsvorbehalte ist mit dem Grundsatz der Leitungsautonomie unvereinbar.424 (bb) Vertragliche Ausnahme von der Leitungsautonomie Die Einräumung von Weisungsrechten gegenüber dem Vorstand und der damit einhergehenden Beherrschung ist somit nur in den Fällen möglich, in denen das Aktienrecht eine Ausnahme vom Prinzip der Leitungsautonomie vorsieht. Eine solche Ausnahme begründen allein die Vorschriften zum Vertragskonzern gem. §§ 291 ff. AktG. Mit der Kodifizierung des Beherrschungsvertrags als Grundlage eines Abhängigkeitsverhältnisses reagierte der Gesetzgeber auf die Forderung im AktG 1937 nach einer Nachbesserung des Spannungsverhältnisses zwischen der Leitungsautonomie des Vorstands und der übergeordneten Leitung im Konzern.425 Mit der Novelle 1965 wurden allerdings nicht nur die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer vertraglichen Beherrschung gesetzlich festgeschrieben. Vielmehr unterscheidet das Aktienrecht seither auch dogmatisch zwischen vertraglich begründeten und vertragslosen Konzernbeziehungen. Diese Trennung geht auf den RefE der Novelle 1965 zurück. Im Bestreben, die Kluft zwischen Recht und RechtswirkDelegation von Leitungsaufgaben Kuntz, Leitungsverantwortung des Vorstands, AG 2020, 801 ff. 421 Ausführlich Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105. 422 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105; Pentz, in: MünchKommAktG, § 23 Rn. 39; Röhricht/Schall, in: GK-AktG, § 23 Rn. 20. 423 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105; vgl. auch Schürnbrand, „Verdeckte“ und „atypische“ Beherrschungsverträge, ZHR 2005, 35, 51. 424 Franz, in: Wachter, AktG, § 17 Rn. 20. 425 Begr. RegE, BT-Drucks.: 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 215.
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lichkeit im Recht der Unternehmensverbindungen wiederherzustellen, suchte der RefE zunächst alle vertraglich begründeten Konzernverbindungen zu erfassen.426 Als Beispiel einer vertraglichen Beherrschung verwies er auf den ungeschriebenen Organvertrag.427 Vertraglich begründete Beherrschungsmöglichkeiten sollten danach zwingend die gesetzlichen Voraussetzungen an den Beherrschungsvertrag erfüllen. „Der Entwurf knüpft daher an eine Rechtseinrichtung an, die außerhalb der Verfassung der Aktiengesellschaft liegt und diese formal nicht berührt. Er läßt die Ausübung von Konzernmacht nur auf vertraglicher Grundlage zu; nur aufgrund eines ,Unternehmensvertrages‘ soll die Gesellschaft in ihrer Geschäftsführung und in der Verfügung über das Vermögen und seine Erträge der Herrschaft eines anderen untergeordnet werden können.“428
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass außerhalb der Vorschriften zum Beherrschungsvertrag nach dem RefE die Möglichkeit einer vertraglichen Beherrschung ungeachtet ihrer dogmatischen Einordnung ausgeschlossen sein sollten: „Durch den Vertragszwang sollen die für die Gesellschaft, ihre Aktionäre und ihre Gläubiger gefährlichen Unternehmensverbindungen rechtlich erfaßt und sichtbar gemacht werden.“429
Der RegE hat an dem Regelungsziel zur Erfassung vertraglicher Einflussgrundlagen ganz überwiegend festgehalten.430 Das Spannungsverhältnis zwischen Leitungskompetenz des Vorstands und übergeordneter Konzernleitung im AktG 1937 löste die Novelle 1965 durch eine Ausnahme für Beherrschungsverträge auf. Organisatorisch bleibt der Vorstand der abhängigen AG nach § 76 Abs. 1 AktG zwar weiterhin zur Leitung der Gesellschaft verpflichtet. Denn der Beherrschungsvertrag eröffnet ein Weisungsrecht nach § 308 Abs. 1 AktG, aber keine Weisungspflicht.431 Ergeht eine solche Weisung, überlagert 426 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 386 f.: „Die Geschicke dieser Gesellschaften [Konzernunternehmen, Anm. d. Verf.] werden außerhalb der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung auf Wegen bestimmt, die zum Teil auf Verträgen mit anderen Unternehmen beruhen, sich aber überwiegend jeder rechtlicher Ordnung entziehen. (…) Gesellschaftsrechtlich unumgänglich ist es aber, wenn nicht wesentliche Grundsätze des Aktienrechts für konzernverbundene Unternehmen überhaupt aufgegeben werden sollten, daß solche Unternehmensverbindungen rechtlich erfaßt und durchsichtig gemacht (werden).“ 427 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 386. 428 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 387 f. 429 BMJ, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes 1958, S. 388. 430 BT-Drucks. IV/171 v. 3. 2. 1962, Begr. RegE Aktiengesetz 1965, S. 214: „Lediglich auf Grund eines Beherrschungsvertrags darf auch der Vorstand der abhängigen Gesellschaft die Interessen der eigenen Gesellschaft zugunsten von Konzernbelangen zurückstellen. Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen den auf einem Beherrschungsvertrag beruhenden und den rein tatsächlichen Konzernverhältnissen. Der Beherrschungsvertrag wird damit als Rechtsgrundlage der Konzernleitungsmacht zum herrschaftsrechtlichen Angelpunkt des Konzernrechts.“ 431 Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 52; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 90; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rn. 34.
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diese die Leitungsautonomie des Vorstands des abhängigen Unternehmens.432 Aufgrund dieser Möglichkeit treffen das herrschende Unternehmen im Vertragskonzern bestimmte Rechtspflichten wie die grundsätzliche Verlustausgleichspflicht in § 302 Abs. 1 AktG sowie die Leistung einer angemessenen Ausgleichszahlung, § 304 Abs. 1 AktG.433 Da der Beherrschungsvertrag damit die innerverbandliche Organisationsordnung ändert, stellt das AktG an ihn entsprechend strenge Formvoraussetzungen. Der Beherrschungsvertrag wird nach § 293 Abs. 1 AktG erst durch Zustimmung mittels qualifizierten Hauptversammlungsbeschlusses und Eintragung ins Handelsregister, § 294 Abs. 2 AktG, wirksam.434 Angesichts dieser Voraussetzungen an den Beherrschungsvertrag erscheint zweifelhaft, inwieweit ein Abhängigkeitsverhältnis schuldvertraglich begründet werden kann. Aufgrund des Zustimmungserfordernisses der Hauptversammlung in § 293 Abs. 1 AktG ist die Vertretungsmacht des Vorstands mit Blick auf die vertraglich eingeräumte Beherrschungsmöglichkeit beschränkt. Selbst wenn er sich insoweit selbst binden wollte, kann er dies ohne Zustimmung der Hauptversammlung nicht rechtswirksam tun. Dies erscheint auch nur konsequent, ist die Hauptversammlung im Regelfall, zumindest mittelbar über die Personalentscheidungsmacht des Aufsichtsrates, an der Bestellung des Vorstands und damit der Leitung der AG beteiligt. Könnte der Vorstand eigenständig die AG unter fremde Leitung stellen, wäre jede Rückkoppelung mit den Inhabern der AG aufgehoben und drohte die AG Gegenstand von Partikularinteressen zu werden.435 Bei den genannten schuldrechtlichen Jit-Vereinbarungen bzw. Covenants bei Finanzierungsverträgen oder auch Business Combination Agreements („BCA“) ebenso wie bei Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsverträgen, die bei entsprechender Ausgestaltung die Anforderungen an beherrschenden Einfluss potentiell erfüllen könnten, fehlt es regelmäßig an der für Beherrschungsverträge erforderlichen Zustimmung der Hauptversammlung.436 Läge diese vor, würde sich die Frage einer außergesellschaftsrechtlichen Einflussgrundlage allerdings auch nicht stellen, da dann der vermittelte Einfluss organisatorischer Natur wäre, vgl. § 308 Abs. 1 AktG. Damit sind letztlich Beherrschungsgrundlagen, die unmittelbar mit dem 432 Begr. RegE, BT-Drucks. 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 216; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 56; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 38; Bürgers, in: Bürgers/Körber, Aktienrecht, § 76 Rn. 27; Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 32 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 76 Rn. 68; Link, in: Wachter, AktG, § 76 Rn. 29 ff. 433 Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 51; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 302 Rn. 3; Deilmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 302 Rn. 2. 434 Servatius, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 293 Rn. 1 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 293 Rn. 24; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 293 Rn. 14. 435 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 104. 436 Koch, in: Hüffer/Koch, § 291 Rn. 14; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 291 Rn. 24; vgl. Deilmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 291 Rn. 32; Schürnbrand, „Verdeckte“ und „atypische“ Beherrschungsverträge, ZHR 2005, 35, 36 f.
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Vorstand vereinbart werden und schuldrechtlicher Natur sind, rechtlich stets unzulässig. Jüngst bekräftigt wurde diese Auffassung durch das OLG Brandenburg im August 2018, welches die Wirksamkeit umfangreicher schuldvertraglicher Pflichten des Vorstands einer AG gegenüber dem Aufsichtsrat zu beurteilen hatte. Unter anderem sah die streitgegenständliche Vereinbarung vor, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat Zugriff auf die Server der AG zu gewähren und einzelne Aufsichtsratsmitglieder auf Verlangen persönlich zu unterrichten habe. Das OLG sah darin eine mit der Leitungsautonomie des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG unvereinbare und daher unwirksame Vereinbarung. Zwar sei es im Rahmen der Geschäftstätigkeit des für die Gesellschaft handelnden Vorstands möglich, bindende schuldrechtliche Verpflichtungen gegenüber Dritten einzugehen. „(D)iese sind nicht als Einschränkung der Leitungsmacht anzusehen, sondern vielmehr deren Ausdruck.“437 Für den Kernbereich der Geschäftsleitung kann der Vorstand allerdings „seine Aufgabe weder einem anderen Gesellschaftsorgan – etwa dem Aufsichtsrat – noch einem Dritten übertragen.“438 Gleiches gilt für schuldrechtliche Verpflichtungen, die den Vorstand persönlich in seiner Leitungsfunktion binden sollen. Diese sind mit § 76 Abs. 1 AktG unvereinbar.439 (cc) Vertragliche Beherrschung im faktischen Konzern? Erfüllen schuldvertragliche Einflussgrundlagen nicht die Anforderungen an den Beherrschungsvertrag nach §§ 293, 294 AktG stellt sich die Frage, ob sie nicht gleichwohl als Grundlagen einer faktischen Konzernierung nach §§ 311 ff. AktG in Betracht kommen können. Letztere setzen das Bestehen eines beherrschenden Einflusses voraus, ohne nähere Anforderungen an dessen Grundlage zu stellen.440 Dass schuldvertragliche Einflussgrundlagen grundsätzlich als Beherrschungsgrundlagen von faktischen Konzernen in Betracht kommen, wird ausgerechnet von einem Teil jener im Schrifttum überwiegenden Ansicht suggeriert, die sich für eine Beschränkung auf gesellschaftliche Grundlagen ausspricht. Denn nichts anderes folgt im Umkehrschluss aus der bereits erwähnten Befürchtung, dass die Zulassung extern vermittelter Abhängigkeit zu einer „inflationären Anwendung der §§ 311 ff. und zu einer Rechtsunsicherheit“ führe.441 Nicht nur impliziert diese Ansicht, dass schuldvertragliche Beherrschungsmöglichkeiten grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Rechtsfolgen des faktischen Konzerns fallen, sondern auch, dass es sich dabei um rechtswirksame Einflussgrundlagen handelt. Einen anderen Schluss 437
OLG Brandenburg, Urteil v. 29. 8. 2018 – 7 U 73/14 – Rz. 70, BeckRS 2018, 35276. OLG Brandenburg, Urteil v. 29. 8. 2018 – 7 U 73/14 – Rz. 69, BeckRS 2018, 35276. 439 OLG Brandenburg, Urteil v. 29. 8. 2018 – 7 U 73/14 – Rz. 71, BeckRS 2018, 35276. 440 Koch, in: Hüffer/Koch, § 311 Rn. 8; Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 53. 441 Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1467; so auch im Ergebnis Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6; vgl. auch Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 21; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 20; Koppensteiner, in: KKAktG, § 17 Rn. 59. 438
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lässt jenes restriktive Abhängigkeitsverständnis, das sich auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen beschränkt und extern vermittelte Einflussgrundlagen, insbesondere schuldrechtliche Verträge, ausklammert,442 nicht zu. Allerdings erlangen vertraglich vermittelte Beherrschungsmöglichkeiten, die bereits nicht den Formvoraussetzungen einer vertraglichen Konzernierung nach §§ 293, 294 AktG genügen, auch nicht über den Weg eines faktischen Konzerns gem. §§ 311 ff. AktG Wirksamkeit. Denn anders als die Vorschriften zum Vertragskonzern sehen die §§ 311 ff. AktG keine Ausnahme vom Prinzip der Leitungsautonomie vor.443 Im faktischen Konzern bleibt es bei der eigenverantwortlichen Leitung des Tochterunternehmens durch dessen Vorstand.444 Aus diesem Grund kommt eine vertraglich begründete Beherrschung, welche nicht die Formanforderungen nach §§ 293, 294 AktG eines Organisationsvertrages erfüllt, auch nicht auf allein schuldrechtlicher Ebene in Betracht. Denn der Vorstand kann sich – wie bereits erläutert – der ihm obliegenden Leitung der AG schuldvertraglich nicht begeben. Insoweit ist seine Vertretungsmacht mit Wirkung nach außen beschränkt.445 Da die Vorschriften über den faktischen Konzern nach §§ 311 ff. AktG keine Ausnahme von diesem Prinzip eröffnen, kann der Vorstand keine schuldrechtlichen Verträge wirksam schließen, die beherrschenden Einfluss gegenüber der AG vermitteln. Eine Einordnung schuldvertraglicher Einflussgrundlagen unter die Vorschriften des faktischen Konzerns ist darüber hinaus auch aus gesetzessystematischen Erwägungen unzulässig. Sie steht der ausdrücklichen Unterscheidung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Konzernverhältnissen entgegen. Ferner würde die Anwendung der §§ 311 ff. AktG die strengeren Ausgleichsvorschriften zum Vertragskonzern aushebeln, sofern bei bewusstem Verstoß gegen die dortigen Formanforderungen, die Vorschriften des faktischen Konzerns zur Anwendung gebracht werden könnten. Überdies würde damit dem Regelungsziel, vertragliche Konzernverhältnisse einer zwingenden Regulierung zu unterziehen, um diese erfassen zu können, ein Bärendienst erwiesen. Letztlich stellt eine Anwendbarkeit der §§ 311 ff. AktG auf schuldrechtliche Beherrschungsgrundlagen eine unzulässige Umgehung der Vorschriften zum Beherrschungsvertrag dar. Diese Feststellung kann jedoch letztlich dahinstehen, da eine schuldvertragliche Beherrschung ohnehin rechtswirksam nicht vereinbart werden kann.
442 Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 5; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 8; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 17 AktG Rn. 5; Grigoleit, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 17 Rn. 6; Franz, in: Wachter, AktG, § 17 Rn. 7; Vetter, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 17 Rn. 15 ff. 443 BT-Drucks. IV/171 v. 3. 2. 1962, Begr. RegE Aktiengesetz 1965, S. 226. 444 Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 52; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 44; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 102. 445 Siehe oben S. 117 ff.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
(dd) Stimmbindungsverträge als Einflussgrundlage Keine Ausnahme davon stellen Stimmbindungsverträge mit Blick auf vertragliche Beherrschungsgrundlagen dar. Gleichwohl sind sie nach ganz einhelliger Auffassung aktienrechtlich zulässig, auch solche zwischen einem Gesellschafter und Dritten.446 Sie sind nicht organisationsrechtlicher sondern schuldrechtlicher Natur und entfalten keine Außenwirkung.447 In der Folge bleiben vertragswidrig abgegebene Stimmen wirksam.448 Gleichwohl bestehen nach der hier vertretenen Ansicht keine Bedenken mit Blick auf die vorausgesetzte (rechtliche) Durchsetzbarkeit der Einflussmöglichkeit. Im Innenverhältnis begründet die Stimmbindungsvereinbarung einen Erfüllungsanspruch, der mit Hilfe der Leistungsklage zwangsweise durchgesetzt werden kann.449 Die Grenzen der Zulässigkeit sind bestimmt durch spezifische Verbote etwa, § 136 Abs. 2 AktG, die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht450 sowie den allgemeinen Grenzen der Vertragsfreiheit, etwa §§ 134, 138 BGB.451 Damit stellen Stimmbindungsvereinbarungen eine zulässige aktienrechtliche Grundlage zur Gewährleistung der Einflussmöglichkeit dar. In der Folge vermag auch ein Nichtaktionär, der eine Stimmbindungsvereinbarung mit einem oder 446
BGH, Urteil v. 29. Mai 1967 – II ZR 105/66 – BGHZ 48, 163, 166 ff.; BGH, Urteil v. 24. November 2008 – II ZR 116/08 – BGHZ 179, 13, 18 f.; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 617; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 25; Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 114; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 136 Rn. 36; Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, § 136 Rn. 23; Habersack, Grenzen der Mehrheitsherrschaft in Stimmrechtskonsortien, ZHR 2000, 1, 8. Dies folgt auch aus § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG. Für die GmbH: Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 47 Rn. 113; Teichmann, in: Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, § 47 Rn. 23. Die ganz überwiegende Auffassung geht heute zu Recht von einer Zulässigkeit von Stimmbindungsvereinbarungen auch zwischen Gesellschaftern und Dritten aus, Schröer, in: MünchKommAktG, 3. Aufl. 2013, § 136 Rn. 70 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 27; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 136 Rn. 36; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 101 Rn. 6; Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 128; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 41; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 50; Herrler, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 136 Rn. 29. Ein Verstoß gegen das Abspaltungsverbot liegt bereits deshalb nicht vor, weil der sich allein schuldrechtlich bindende Aktionär formal Inhaber des Stimmrechts bleibt, Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 41; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 50; Herrler, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 136 Rn. 29. 447 Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 26; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 37; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 46. 448 Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 37; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 25; Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 148. 449 Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 151; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 39; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 29; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 620. In der Praxis verbreitet sind ferner sog. Konsortial- oder Poolverträge, in denen mehrere Gesellschafter die einheitliche Ausübung ihrer Stimmen in bestimmten Angelegenheiten vereinbaren und so den gemeinsamen Einfluss sichern bzw. alleinigen Einfluss verstärken, Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 109; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 45. 450 Habersack, Grenzen der Mehrheitsherrschaft in Stimmrechtskonsortien, ZHR 2000, 1, 8; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 48. 451 Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 114; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 28; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 48.
A. Abhängigkeit und Beherrschung im Aktienkonzernrecht
125
mehreren Gesellschaftern schließt und so über die Mehrheit der Stimmrechte verfügen kann, beherrschenden Einfluss auszuüben. Neben Koch weisen auch Spindler, Herrler und Holzborn auf den Gebrauch von Stimmbindungsvereinbarungen im Rahmen von Kreditbeziehungen hin.452 Denkbar ist mithin, dass ein Fremdkapitalgeber zur Sicherung eines Darlehens an das Tochterunternehmen mit etwaigen Anteilseignern eine zeitlich begrenzte Stimmbindungsvereinbarung trifft, etwa über die Abstimmung zur Besetzung des Aufsichtsrates. Sofern sich die Stimmbindungsvereinbarung auf eine ausreichende Anzahl der Stimmrechte erstreckt, erlangt der Kapitalgeber beherrschenden Einfluss, ohne selbst eine einzige Aktie zu besitzen.453 Im konzernrechtlichen Schrifttum werden Stimmbindungsverträge vorwiegend im Kontext der Einflussmöglichkeit durch Beteiligung erwähnt.454 Denn auf welcher Grundlage das herrschende Unternehmen eine Stimmrechtsmehrheit kontrolliert, ist unerheblich. Übersehen wird dabei jedoch, dass im Fall einer Stimmbindungsvereinbarung, insbesondere zugunsten eines Nichtaktionärs, nicht etwa die Beteiligung Grundlage beherrschenden Einflusses ist, sondern die Stimmbindungsvereinbarung zwischen dem Aktionär und dem Dritten selbst. Da diese rein schuldvertraglicher Natur ist, stellt die Stimmbindungsvereinbarung im Ergebnis eine zulässige schuldvertragliche Beherrschungsmöglichkeit dar. Auch die Einordnung als faktische Beherrschungsmöglichkeit erscheint nicht systemwidrig, sondern mit Blick auf das aus der Beteiligungsmehrheit erwachsende identische Einflusspotential konsequent. Da der Vertrag nicht mit dem Vorstand der Gesellschaft geschlossen wird, besteht auch kein Spannungsverhältnis mit dessen Leitungsautonomie. Dass der Stimmbindungsvertrag als schuldvertragliche Beherrschungsgrundlage in der Literatur nur am Rande und im Rahmen der organisatorischen Beherrschung durch Beteiligung behandelt wird, überrascht nicht, stellt er doch streng genommen eine Durchbrechung der herrschenden Auffassung dar, wonach beherrschender Einfluss notwendig gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss. 452 Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 26; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 46; Herrler, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 136 Rn. 28; Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, § 136 Rn. 22. Zur Einflusssicherung durch Stimmbindungsvereinbarungen von Investoren im Rahmen der Venture Capital Finanzierung Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 558 f. 453 Inwieweit dies erwünscht ist, steht auf einem anderen Blatt. Insbesondere bei börsennotierten Tochterunternehmen dürften Kreditinstitute zurückhaltend gegenüber Stimmbindungsverträgen in genannten Umfang sein, wenngleich mit ihnen eine effektive Einflussmöglichkeit einhergeht. Denn durch die Stimmbindungsvereinbarung ausgelösten Zurechnungstatbestände nach § 30 Abs. 2 WpÜG haben Kreditgeber die Angebotspflicht nach §§ 35 Abs. 1, 29 Abs. 2 WpÜG zu beachten. Siehe dazu Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 36; Süßmann, in: Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, § 30 Rn. 31 ff.; Wackerbarth, in: MünchKommAktG, § 30 WpÜG, Rn. 25. 454 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 9; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 37; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 7; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 23; Fett, in: Bürgers/Körber, Aktienrecht, § 17 Rn. 10; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 46.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
(ee) Zusammenfassung der Einflussgrundlagen Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass neben den allgemein bekannten, gesellschaftsrechtlichen Einflussgrundlagen wie der Satzung, der Beteiligung und dem Beherrschungsvertrag nur wenig Raum für eine schuldvertragliche und damit extern vermittelte Abhängigkeit nach § 17 Abs. 1 AktG besteht. Sofern etwaige Leistungsaustauschbeziehungen zwischen der Gesellschaft und einem anderen Unternehmen überhaupt die hohen allgemeinen Anforderungen an beherrschenden Einfluss erreichen, scheitert ihre Zulässigkeit als Beherrschungsgrundlage regelmäßig an der Leitungsautonomie des Vorstands, derer sich Letzterer vertraglich nicht begeben kann. Insoweit findet die Vertretungsmacht des Vorstands eine gesetzliche Grenze – die Leitung der Gesellschaft stellt eine zwingende Kompetenzzuordnung dar. Eine gesetzliche Ausnahme sieht das geltende Aktienrecht lediglich für den Vertragskonzern vor. Einen solchen zu begründen, ist der Vorstand aber allein außer Stande. Die Wirksamkeit eines Beherrschungsvertrages setzt sowohl einen qualifizierten Hauptversammlungsbeschluss voraus als auch die Eintragung ins Handelsregister. Außerhalb des Vertragskonzerns kann der Vorstand eine beherrschende Einflussmöglichkeit im Sinne von § 17 Abs. 1 AktG vertraglich nicht begründen. Abzugrenzen davon ist derweil der Stimmbindungsvertrag, der selbst eine rechtlich zulässige Einflussgrundlage darstellt und letztlich auch einem Nichtaktionär beherrschenden Einfluss ermöglichen kann. Neben dem Beherrschungsvertrag stellt die Stimmbindungsvereinbarung die einzig zulässige vertragliche Grundlage aktienrechtlicher Abhängigkeit dar. dd) Ergebnis Als Ergebnis der Untersuchung des Aktienrechts ist festzuhalten, dass sich eine Einschränkung des Abhängigkeitsverständnisses auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen, wie sie vom ganz herrschenden Schrifttum und der Rechtsprechung vertreten wird,455 weder aus der historischen Entwicklung des Abhängigkeitstatbestands noch aus den Regelungszwecken des materiellen Konzernrechts ableiten lässt. Vielmehr steht eine solch teleologische Reduktion des Abhängigkeitstatbestands dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und den Normzwecken entgegen. Dessen ungeachtet bestehen auch aus Rechtssicherheitsaspekten keine Bedenken gegen ein grundsätzlich unbeschränktes Abhängigkeitsverständnis. Insoweit vorgebrachte Einwände im Schrifttum und Rechtsprechung haben sich bei näherem Hinsehen als nicht belastbar erwiesen. Denn auch ohne pauschale Beschränkung der Abhängigkeitsmittel kommen für § 17 AktG nur Beherrschungsgrundlagen Betracht, deren Gestaltung im Einklang mit der aktienrechtlichen Verfassung und Binnenorganisation stehen. Neben dem Grundsatz der Satzungsstrenge, § 23 Abs. 5 AktG, welcher die Grenze organisatorischer Einflussmöglichkeiten markiert, bildet 455
Siehe Verweise oben, 2. Kap. Fn. 47.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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hier vor allem die Leitungsautonomie des Vorstands, § 76 Abs. 1 AktG, eine Gestaltungsgrenze schuldvertraglicher Einflussmöglichkeiten. Aus diesem Grund besteht auch keine Gefahr einer ausufernden Anwendung und damit Verwässerung der konzernrechtlichen Schutzvorschriften. Wer den Gestaltungsgrenzen des Aktienrechts zuwider von der grundsätzlichen Zulässigkeit etwaiger Leistungsaustauschbeziehungen als Beherrschungsgrundlagen ausgeht, verkennt sowohl die aktienrechtliche Systematik als auch Dogmatik, die mit der Novelle 1965 einhergegangen ist. Dass eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtliche Einflussgrundlagen nicht nur redundant, sondern auch unzutreffend ist, offenbart ein Blick auf schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarungen. Deren Zulässigkeit wird auch von den Vertretern jenes restriktiven Abhängigkeitsverhältnisses nicht bestritten. Damit ist abschließend festzustellen, dass das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis im Widerspruch zum herrschenden Schrifttum grundsätzlich weit im Sinne der Regelungszwecke der aktienrechtlichen Anknüpfungsnormen auszulegen ist. Ein solch uneingeschränktes Verständnis des Abhängigkeitstatbestands eröffnet eine flexible Anpassung an moderne Gestaltungsmöglichkeiten unter dem Vorbehalt der aktienrechtlichen Zulässigkeit. Aufgrund der Anwendbarkeit des Konzernrechts auf andere Gesellschaftsformen findet das hier vertretene Abhängigkeitsverständnis entsprechende Anwendung. Einen Grund für eine teleologische Reduktion der Abhängigkeitsgrundlagen liefert das Aktienrecht nicht. Eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen ist daher nicht angezeigt.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht Im Unterschied zum abstrakten aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzept knüpft im HGB mit der Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses eine ganz konkrete Rechtsfolge an das Verbundkonzept in § 290 HGB an. Hat die Einleitung bereits den Zweck des Konzernabschlusses und die Funktionsweise der Konzernaufstellungspflicht dargestellt, steht die Untersuchung und Konkretisierung des handelsrechtlichen Verbundkonzepts im Fokus der folgenden Untersuchung. Dazu sind zunächst die Rechtsquellen des § 290 HGB mit Blick auf die Normhistorie zu ermitteln (I.). Von diesen ausgehend, ist das Begriffsverständnis beherrschender Einflussnahme näher zu untersuchen, insbesondere sind die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses im Sinne des § 290 HGB zu unterscheiden und zu konkretisieren (II.).
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
I. Rechtsquellen des Beherrschungskonzepts im Rechnungslegungsrecht Die Voraussetzung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beherrschungsmöglichkeit eines Tochterunternehmens durch ein Mutterunternehmen in § 290 Abs. 1 HGB weckt Assoziationen zum aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand in § 17 Abs. 1 AktG. Beide Generalnormen setzen die Beherrschungsmöglichkeit voraus, ohne diese näher zu bestimmen. Ebenso ist die Beziehung von Generalnorm und Regelbeispiel, welches zur Bestimmung der Generalnorm herangezogen wird, bereits aus dem Aktienrecht bekannt. Darüber hinaus reichen die historischen Wurzeln der Konzernrechnungslegung bis ins Aktienrecht 1965 zurück. Die Rechnungslegung für Konzerne wurde erstmalig in den §§ 329 – 338 im AktG 1965 a. F. kodifiziert und teilt damit ihre Wurzeln mit dem aktienrechtlichen Konzernrecht.456 Wohl aus diesem Grund rekurriert ein Teil der sowohl wirtschafts- als auch rechtswissenschaftlichen Literatur für die Auslegung des beherrschenden Einflusses nach § 290 Abs. 1 HGB auf das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis. So spreche für die Heranziehung des aktienrechtlichen Verständnisses nach Kindler schon, „dass § 290 Abs. 1 [HGB] nahezu wortgleich mit § 17 Abs. 1 AktG ist“.457 Auch nach Grottel und Kreher könne „(a)ufgrund der verbalen Identität mit § 17 Abs. 1 AktG iSe einheitlichen Rechtsordnung (…) zunächst eine entspr. Auslegung in Frage kommen.“458 Für die Ansicht, dass das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis „unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung“ für die Auslegung des § 290 Abs. 1 HGB herangezogen werden kann, sprechen sich sowohl Lüdenbach und Freiberg als auch Busse von Colbe und Schall aus.459 Ob das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis tatsächlich für die Auslegung beherrschenden Einflusses in § 290 Abs. 1 HGB herangezogen werden kann, er456
Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 1; Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604 f. Im Gegenteil stellt Kropff, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, S. 659, 660 kritisch fest, dass der geringe Stellenwert des Konzernabschlusses im Gesellschaftsrecht Tradition hat. 457 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 6. 458 Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 21, auch Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. § 15 Rn. 17. 459 Lüdenbach/Freiberg, Mutter-Tochter-Verhältnisse, BB 2009, 1230; ebenso Hoffmann/ Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 290 Rn. 8 ff.; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 6; Busse von Colbe, MünchKommHGB, § 290 Rn. 13 ff. Insbesondere die Ausführungen Busse von Colbes erscheinen widersprüchlich. So erkennt dieser die Neuartigkeit des Rechtsbegriffs einerseits, zieht aber gleichwohl § 17 Abs. 1 AktG zur Auslegung heran: „Eine Definition des beherrschenden Einflusses findet sich weder im Gesetz noch in der Begründung. Er ist ein neuer unbestimmter Rechtsbegriff. Aus der Vorschrift geht eindeutig hervor, dass die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses zur Aufstellungspflicht führt. Es kommt also nicht darauf an, ob sie auch ausgenutzt wird. […] Der Begriff des beherrschenden Einflusses findet sich bereits in § 17 Abs. 1 AktG als Kriterium des herrschenden Unternehmens. Die Auslegung dieser Vorschrift kann im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung auch für die Auslegung des Abs. 1 herangezogen werden“, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 13.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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scheint allerdings zweifelhaft. Zwar teilen Konzern- und Konzernbilanzrecht gemeinsame Wurzeln. Gleichwohl ist die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses inzwischen im HGB verankert, der entsprechende Sechste Teil des Dritten Buches im AktG ist entfallen. Auch verweist § 290 Abs. 1 HGB im Gegensatz etwa zu § 36 Abs. 2 GWB nicht ausdrücklich auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand. Ob für die Auslegung in § 290 Abs. 1 HGB auf das gesellschaftsrechtliche Abhängigkeitsverständnis zurückgegriffen werden kann, ist anhand der rechtshistorischen Entwicklung von § 290 HGB zu prüfen (1.). Anschließend ist zu evaluieren, inwieweit eine Orientierung des § 290 HGB am aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnis auf eine etwaige „verbale(.) Identität“460 bzw. „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“461 gestützt werden kann (2.). 1. Geschichte der Konzernrechnungslegung Die Rechnungslegung für Konzerne wurde erstmalig im AktG 1965 kodifiziert und teilt damit seine Wurzeln mit dem aktienrechtlichen Konzernrecht.462 Der folgende Abschnitt widmet sich daher der Entwicklung der Konzernrechnungslegung in Deutschland, beginnend mit einem Überblick über die Ursprünge des Konzernabschlusses im AktG 1965 (a)). Anschließend werden die europarechtliche Prägung des heutigen Konzernbilanzrechts (b)) sowie die Annäherungsbestrebungen an internationale Rechnungslegungsstandards skizziert (c)). Danach wendet sich dieser Abschnitt mit der Beleuchtung der Novellierung des § 290 HGB in seine heutige Fassung durch das BilMoG seinem Schwerpunkt zu (d)). a) Konzernbilanzrecht als Teil des Aktienrechts 1965 Als Reaktion auf die zunehmende Tendenz freiwilliger Konzernabschlüsse nach Aufhebung des Gesetzes 27 des Rates der Alliierten Kommission,463 stellte das AktG 1965 erstmals verbindliche, branchenunabhängige Regelungen für konsolidierte Abschlüsse auf.464 Zwar wurde schon in den 1920er Jahren und besonders in der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre die Einführung einer Konzernabschlusspflicht
460
Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 21. Lüdenbach/Freiberg, Mutter-Tochter-Verhältnisse, BB 2009, 1230. 462 Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 1; Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604 f. Im Gegenteil stellt Kropff, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, S. 659, 660 kritisch fest, dass der geringe Stellenwert des Konzernabschlusses im Gesellschaftsrecht Tradition hat. 463 Abl. der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland Nr. 20 vom 20. Mai 1950, S. 299 ff. Vgl. Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 19; Kindler, in: Ulmer, HGB-Bilanzrecht, Vor. § 290 Rn. 10. 464 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 11; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 1. 461
130
2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
diskutiert,465 blieb jedoch ohne nennenswerte Folgen. Bei dieser erstmalig verbindlichen Regelung brachte der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er rechtliches Neuland betrat und bewusst ein behutsames und schrittweises Vorgehen anstrebte, um den Unternehmen ein reibungsloses Hineinwachsen zu ermöglichen.466 Als konstitutives Konzernkriterium setzte § 329 Abs. 1 AktG a. F. die einheitliche Leitung selbständiger Unternehmen durch die Obergesellschaft voraus und knüpfte damit, mangels eigener Konzerndefinition, an das allgemeine Konzernverständnis in § 18 AktG an.467 Eine wesentliche Erweiterung der aktienrechtlichen Konzernrechnungslegung wurde bereits vier Jahre nach Verabschiedung des AktG 1965 mit dem Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz – PublG) auf den Weg gebracht.468 Darin regeln die §§ 11 – 15 PublG die Konzernrechnungslegungspflicht anhand von Größenkriterien und unabhängig von der Rechtsform der Konzernunternehmen. 465 Obwohl in den USA Konzernabschlüsse längst verbreitet waren (bereits 1893 publizierte die National Lead Company in den USA einen konsolidierten Abschluss; verbindliche Vorgaben an die Aufstellung konsolidierter Abschlüsse wurden von der Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) auf Grundlage des Securities Act 1933 und des Securities Exchange Acts 1934 erlassen, Colbe/Ordelheide/Gebhardt, Konzernabschlüsse, S. 6), wurde die Einführung einer gesetzlichen Pflicht zur Aufstellung und Veröffentlichung von Konzernbilanzen von der Akademie für Deutsches Recht ausdrücklich abgelehnt, vgl. die Erläuterungen zu Konzernbilanzen im Bericht des Vorsitzenden Ebbecke zu den Beratungen im Konzernrechtsunterausschuss 1935, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuss für Aktienrecht, S. 519, 524 ff. Zwar blieb nicht unberücksichtigt, dass die Bilanzvorschriften der Aktienrechtsnovelle 1931 „eine wesentliche Verbesserung der Kontrolle über die Finanzangaben der Aktiengesellschaft gebracht habe“, Ebbecke, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuss für Aktienrecht, S. 519, 524. Gleichwohl kritisiert der Ausschussbericht die etwaige Unübersichtlichkeit einer Konzernbilanz und nennt Vorbehalte gegen den vermeintlichen Informationsmehrwert im Vergleich zum Einzelabschluss. Insbesondere die sachgerechte Abgrenzung des Konsolidierungskreises, die etwaig notwendige Ausklammerung ausländischer Tochtergesellschaften aus dem Konsolidierungskreis und die „unüberwindliche praktische Schwierigkeit“ der notwendigen Vereinheitlichung des Bilanzstichtages führt der Vorsitzende Ebbecke als Gründe an, die den Unterausschuss bewegten, einen gesetzlichen Zwang zur Aufstellung und Veröffentlichung von Konzernbilanzen „einmütig“ abzulehnen, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuss für Aktienrecht, S. 519, 524 ff. Der Vorsitzende des (Haupt-)Ausschusses für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht Kißkalt bringt die Vorbehalte gegen die Konzernbilanzpflicht im zweiten Bericht 1935 noch deutlicher auf den Punkt: „Die Aufmachung einer solchen Konzernbilanz mag in einzelnen Fällen zweckmäßig und klarstellend sein. In den meisten Fällen würde sie eine Künstelei und Wirrwarr bedeuten. (…) Die Verwirrung wird umso größer, wenn die herrschende Gesellschaft nur einen Bruchteil der Aktien der abhängigen Gesellschaften besitzt, und die Durchführung wird ganz unmöglich, wenn dem Konzern auch ausländische oder solche Gesellschaften angehören, für die, wie für Banken und Versicherungsgesellschaften, besondere Bilanzierungsvorschriften gelten“, abgedruckt in: Schubert (Hrsg.), Ausschuss für Aktienrecht, S. 497, 512. 466 Begr. RegE AktG 1965, abgedruckt in: Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 436; Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 606; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 11. 467 Kronstein/Kirchner, in: KK-AktG, 1. Aufl. 1985, Vor. § 329 Rn. 1. 468 BGBl. I 1969, S. 1189.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
131
b) Europäisierung der Konzernrechnungslegung Der aktienrechtlichen Konzernrechnungslegung war derweil kein langes Leben beschieden.469 Ende der 1960er Jahre zog der europäische Gesetzgeber die Koordinierung des Gesellschaftsrechts an sich und erließ 1968 die sog. Erste Richtlinie470, die eine Angleichung der Vorschriften für die Publizität von Kapitalgesellschaften zum Gegenstand hatte.471 Dem wurde auch das Bilanzrecht zugeordnet.472 Auf jener Grundlage trat 1978 zunächst die Vierte Richtlinie („Bilanzrichtlinie“) über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen in Kraft.473 Ihr folgte 1983 die Siebte Richtlinie („Konzernbilanzrichtlinie“) über die Aufstellung konsolidierter Abschlüsse.474 Zusammen mit der Vierten und der Achten Richtlinie („Prüferbefähigungsrichtlinie“)475 wurde sie durch das Bilanzrichtliniengesetz 1985 („BiRiLiG“) ins nationale Recht umgesetzt.476 Im diesem Zuge wurde das Konzernbilanzrecht aus dem Aktienrecht herausgelöst und ins neue Dritte Buch des HGB in die §§ 290 – 315 HGB eingefügt. Mit Blick auf den Konsolidierungskreis ist als Neuerung des BiRiLiG die Einbeziehungserweiterung auf alle Konzernunternehmen unabhängig von
469
Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 607. Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des [EWG-]Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1968 L 65/8. Grundlage für die Kompetenz des Europäischen Gesetzgebers ist Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG-Vertrag (später Art. 44 Abs. 2 lit. g EGV) vom 25. 3. 1957, BGBl. II 1957, S. 766 geändert durch die Einheitliche Europäische Akte vom 28. 2. 1986, BGBl. II 1986, S. 1104 und den Vertrag von Maastricht vom 7. 2. 1992, BGBl. II 1992, S. 1251, der zur Angleichung von Rechtsvorschriften ermächtigte, sofern dies für den Gemeinsam Markt erforderlich ist. Da substantielle Unterschiede im Gesellschafts- und Handelsrecht der Mitgliedstaaten sich als Hemmnis für den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr erweisen können, war Ziel der Vorschriften der Herstellung eines Gemeinsamen Binnenmarktes, Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 24; vgl. Niessen, Angleichung des Bilanzrechts, RabelsZ 1984, 81, 84 f. 471 Niessen, Angleichung des Bilanzrechts, RabelsZ 1984, 81, 87. 472 Niessen, Angleichung des Bilanzrechts, RabelsZ 1984, 81, 84; vgl. zum Stellenwert harmonisierter Rechnungslegungsvorschriften für den Binnenmarkt van Hulle, Die Reform des europäischen Bilanzrechts, ZGR 2000, 537 ff. 473 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. EG L 222/11. 474 Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 lit. g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABl. EG L 193/1. 475 Achte Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, ABl. EG vom 12. 5. 1984 Nr. L 126/20. 476 BGBl. I 1985 S. 2355, Nr. 62 vom 24. 12. 1985. Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 2; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 19. 470
132
2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
ihrem Sitz zu nennen (Weltabschlussprinzip), § 294 Abs. 1 HGB.477 Darüber hinaus wurde dem nunmehr in § 290 HGB verankerten Konzerntatbestand ein alternatives und selbständiges Verbundkonzept in § 290 Abs. 2 HGB zugefügt, welches den Unternehmensverbund anhand quantitativer und damit formaler Tatbestandsvarianten bestimmte. Das sog. Control-Konzept geht auf das angelsächsische Modell der konsolidierten Rechnungslegung zurück und war das in Art. 1 Abs. 1 der Konzernbilanzrichtlinie geregelte, auch heute noch geltende zentrale Prinzip an dem sich die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses bemisst.478 Die Begründung der Kontrolle war in den Fällen des § 290 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB a. F. unwiderlegbar ausgestaltet und führte stets zur Konsolidierungspflicht. Dies erhöhte zwar die Rechtssicherheit zur Konsolidierungspflicht aufgrund objektiv nachprüfbarer Kriterien, bot aber gleichzeitig Raum für Diskrepanzen zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit.479 Dass die Umsetzung der Konzernbilanzrichtlinie samt Control-Konzept durch das BiRiLiG nicht zur Ersetzung des Konzepts der einheitlichen Leitung in § 290 Abs. 1 HGB führte, ist auf die in Art. 1 Abs. 2 lit. a) und b) Konzernbilanzrichtlinie eingeräumten Wahlrechte der Mitgliedstaaten zurückzuführen, die als Kompromiss zu den unterschiedlichen Bilanzierungsansätzen der Mitgliedstaaten eingefügt worden waren.480 Von diesen hat Deutschland in großem Umfang Gebrauch gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass mit dem neuen § 290 Abs. 1 HGB ein gegenüber § 329 AktG a. F. abweichendes Leitungsverständnis eingeführt werden sollte, finden sich nicht. Im Gegenteil sprechen die Gesetzgebungsmaterialien ausdrücklich von einer Übernahme des § 329 AktG a. F. in das neue Recht.481 Die einheitliche Leitung als prägendes Merkmal des Konzernbegriffs war daher auch nach der Inkorporierung der Konzernrechnungslegung in das Handelsrecht nach aktienrechtlichem Konzernverständnis einheitlich auszulegen482 – und 477
Vgl. Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 607; Kropff, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, S. 659, 660. 478 Kropff, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, S. 659, 660; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 18. Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 607; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 26, 51. 479 Hierzu Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 26, 54 m.w.N; vgl. auch Niessen, Angleichung des Bilanzrechts, RabelsZ 1984, 81, 91 ff. 480 Küting, Europäisches Bilanzrecht, BB 1993, 30, 31; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 17, 21; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 27; Colbe/Ordelheide/Gebhardt et al., Konzernabschlüsse, S. 5; vgl. zum Gebrauch von Wahlrechten in der 4. Richtlinie, Ladenburg, Zur Problematik der 4. EG-Richtlinie, DB 1978, 1361, 1365; Rost, Der internationale Harmonisierungsprozeß der Rechnungslegung 1991, S. 126. 481 So bereits der RegE, BT-Drucks. 10/3440 vom 3. 6. 1985, S. 31 f.; Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 10/4268 vom 18. 11. 1985, S. 112; Adler/ Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. 1987, § 290 Rn. 13 f.; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, § 290 Rn. 16; Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 19. 482 Kindler, in: Ulmer, HGB-Bilanzrecht 2015, § 290 Rn. 6; Koppensteiner, in: Festschrift für Klaus J. Hopt, S. 959, 961; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. 1987, § 290 Rn. 13 f.; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004,
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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das, wohlgemerkt, ohne ausdrücklichen Verweis auf §§ 17, 18 AktG. Mit Übernahme des aktienrechtlichen Leitungskonzepts in § 290 Abs. 1 HGB ging auch das aktienrechtliche Beherrschungskonzept einher,483 sodass in der Folge in § 290 Abs. 1 und 2 HGB a. F. zwei parallele Verbundkonzepte Anwendung fanden.484 c) Annäherung an internationale Rechnungslegungsstandards Dabei blieb es jedoch nicht. Gerade die zahlreichen Wahlrechte brachten der Konzernbilanzrichtlinie Kritik ein,485 erlaubten sie den Mitgliedstaaten doch vielfältig an ihren Bilanzierungsgewohnheiten festzuhalten.486 Die zahlreichen Wahlrechte erwiesen sich im Zuge der zunehmenden internationalen Verflechtung und dem Streben auch deutscher Konzernunternehmen an ausländische Kapitalmärkte vielmehr als Hindernis.487 Daraufhin schrieb der europäische Gesetzgeber mit der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 vom 19. Juli 2002 („IAS-VO“)488 den verbindlichen Konzernabschluss nach International Accounting Standards („IAS“) sowie den Interpretations of International Accounting Standards des Standing Interpretations Committee („SIC“) für alle börsennotierten Mutterunternehmen innerhalb der EU vor.489 Diese § 290 Rn. 16, insoweit richtig auch zur Rechtslage vor dem BilMoG Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 290 Rn. 8; Ulmer, in: Festschrift für Reinhard Gordeler, S. 623, 640. 483 So ausdrücklich Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 10/4268 vom 18. 11. 1985, S. 112; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 45; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 27; vgl. Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 3. 484 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 45; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 27; vgl. Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 3. 485 Vgl. van Hulle, Die Reform des europäischen Bilanzrechts, ZGR 2000, 537, 537 ff.; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 1997, 382, 381 ff.; Küting, Europäisches Bilanzrecht, BB 1993, 30 ff.; Grund, Internationale Entwicklung und Bilanzrecht, DB 1996, 1293 ff. 486 Küting, Europäisches Bilanzrecht, BB 1993, 30, 31. 487 Näher zu den eingeräumten bilanztechnischen Möglichkeiten deutscher Konzernabschlüsse und der hierzu geäußerten Kritik Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 43; Schön, Gesellschafter-, Gläubiger- und Anlegerschutz im Europäischen Bilanzrecht, ZGR 2000, 706, 716. 488 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung Internationaler Rechnungslegungsstandards Nr. 1606/2002 vom 19. 7. 2002, ABl. EG Nr. L 243/1 vom 11. 9. 2002. 489 Art. 4 der IAS-VO. Dazu Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 13; Schön/Osterloh-Konrad, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 893, 948; kritisch zur Pflichtübernahme der IAS Vorschriften Ekkenga, Neuordnung des Europäischen Bilanzrechts, BB 2001, 2362, 2364. Aus rechtlicher Sicht handelt es sich bei den IAS lediglich um unverbindliche Empfehlungen, von denen jedoch eine erhebliche Strahlkraft ausgeht, Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 49. Bis 2001 wurden sie vom International Accounting Standards Committee („IASC“) aufgestellt, einem weltweiten Zu-
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
zwingenden europarechtlichen Vorgaben sowie die Umsetzung weiterer EGRechtsakte erforderten eine Anpassung der nationalen Bilanzierungsvorschriften,490 denen der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung („BilReG“)491 im Dezember 2004 entsprach.492 Im Rahmen des BilReG wurde auch § 292a HGB a. F., der noch einen optionalen, befreienden Konzernabschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards vorsah, durch § 315a HGB a. F. ersetzt. Auswirkungen auf das Konzernkonzept in § 290 HGB hatte die Annäherung an die internationalen Konzernabschlussvorschriften derweil nicht. Seit dem BiRiLiG 1985 blieb der Tatbestand unverändert. Auch die Möglichkeit einen befreienden Abschluss nach internationalen Vorschriften gem. § 292a HGB a. F. aufzustellen, wirkte sich auf den Anwendungsbereich des Konzerntatbestands in § 290 HGB nicht aus. Denn die Prüfung ob, überhaupt ein Konzern und damit eine Konsolidierungspflicht vorliegt, richtet sich allein nach § 290 HGB.493 d) Novellierung des Verbundkonzepts durch das BilMoG 2009 Eine substanzielle Modifizierung erfuhr das Verbundkonzept in § 290 Abs. 1 und 2 HGB allerdings durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts („BilMoG“) im Jahr 2009.494 Im Zuge dessen wurde das Konzept der einheitlichen Leitung durch das Konzept der möglichen Beherrschung ersetzt. Ferner wurde das bisherige sammenschluss der Berufsorganisationen von Wirtschaftsprüfern in London, die sich seit 1973 parallel zur EG um die Harmonisierung von Rechnungslegungsstandards bemühte, Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 4 ff.; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 49; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 48. Das IASC formulierte und veröffentlichte Grundsätze, die für Aufstellung von Einzel- und Konzernabschlüssen beachtet werden sollten. Die Vorgaben dienen rechnungslegenden Unternehmen als Anhaltspunkte für die Ausübung nationaler Wahlrechte und dienen der internationalen Vergleichbarkeit der Konzernabschlüsse. 490 Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2003 (Modernisierungsrichtlinie), ABl. EU L 178/16 vom 17. 7. 2003; Richtlinie 2003/38/EG des Rates vom 13. Mai 2003 (Schwellenwertrichtlinie), ABl. EU L 120/22 vom 15. 5. 2003; Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 9. 2001 (FairValue-Richtlinie), ABl. EU L 238/28 vom 27. 10. 2001; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 27. 491 Bilanzrechtsreformgesetz, BGBl. I 2004 S. 3166; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 27. 492 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 27. Einen umfangreichen Überblick über die Änderungen durch das BilReG liefert Meyer, Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) und Bilanzkontrollgesetz (BilKoG), DStR 2005, 41 ff. 493 So auch nach der heutigen Rechtslage Senger/Rulfs, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 2 mit Verweis auf den DRS 19; Kohl/Meyer, Beherrschung nach § 290 HGB im Vergleich zu IFRS 10, NZG 2014, 1361, 1362; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 13; Küting/Grau/Seel, Grundlagen der Konzernrechnungslegung, DStR 2010, 35, 37. 494 BGBl. I 2009 S. 1102 vom 25. Mai 2009.
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Beteiligungserfordernis des Mutter- am einzubeziehenden Tochterunternehmen im Sinne von § 271 Abs. 1 HGB aufgehoben.495 Darüber ist auch die seit dem BiRiLiG bestehende parallele Anknüpfung an das Leitungskonzept in § 290 Abs. 1 bzw. das angelsächsische Control-Konzept in Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB a. F. entfallen.496 Maßgeblich ist seither allein die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme. Die quantitativen Tatbestandsvarianten des vormaligen Control-Konzepts sind zwar weiterhin in § 290 Abs. 2 HGB verankert, jedoch nicht mehr als eigenständiges Anknüpfungskonzept ausgestaltet. Vielmehr stellen sie Regelbeispiele für beherrschende Einflussmöglichkeiten im Sinne von § 290 Abs. 1 HGB dar. Neben der Umgestaltung des § 290 HGB betrafen die meisten Änderungen die materiellen Bilanzierungsvorschriften wie Ansatz-, Bewertungs- und Konsolidierungsregeln, auf deren Darstellung verzichtet werden kann. Erwähnenswert ist derweil die Zwecksetzung des BilMoG allgemein, welche die fortschreitende Annäherung an internationale Bilanzierungsregeln sowie die Verschlankung des HGB beabsichtigte, etwa durch die Abschaffung überholter Wahlrechte.497 Gleichzeitig strebte der Gesetzgeber mit dem BilMoG zunächst keine vollständige Übernahme internationaler Bilanzregeln und der einhergehenden Verdrängung deutscher Bilanzierungsvorschriften an. Vielmehr war beabsichtigter Zweck des BilMoG, das Bilanzrecht des HGB „im Verhältnis zu den internationalen Rechnungslegungsstandards [zur] vollwertigen, aber kostengünstigeren und einfacheren Alternative weiterzuentwickeln“.498 Dies zielte insbesondere auf eine Alternative zu den IFRS und den sich zur damaligen Zeit in der Entwurfsphase befindlichen IFRS für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU).499 Deren Komplexität und Regelungsumfang wurde für KMUs als ungeeignet erachtet. Seit der Novellierung durch das BilMoG 2009 ist der Verbundtatbestand in § 290 HGB bis heute unverändert geblieben. Der Vollständigkeit halber ist zwar anzumerken, dass die Vierte und die Siebte Richtlinie 2013 aufgehoben und durch die neue Richtlinie 2013/34/EU („EU-Bilanzrichtlinie“)500 ersetzt worden sind. Ins nationale Recht umgesetzt wurde diese im Zuge des Bilanzrichtlinie-Umsetzungs-
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Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 20. Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 2; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 4; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 1. 497 Aus der Begründung des RegE, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 45. 498 BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 1; siehe auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/12407, S. 1; Pellens/Fülbier/Gassen, Internationale Rechnungslegung, S. 55; vgl. Küting/Koch, in: Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, S. 377, 382. 499 Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen, Internationale Rechnungslegung, S. 55. 500 Richtlinie 2013/34/EU vom 26. 6. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates. 496
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
gesetzes („BilRUG“)501 2015, welches vor allem zu Detailänderungen der Befreiungstatbestände §§ 291 – 293 HGB sowie den §§ 313, 314 HGB führte.502 Die Vorschriften zur Aufstellungspflicht wurden jedoch vollständig in Art. 22 EU-Bilanzrichtlinie übernommen und ließen den Wortlaut des Verbundtatbestand in § 290 HGB unberührt. Ob mit der Aufgabe des Leitungskonzepts in § 290 Abs. 1 HGB und Anknüpfung an die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme durch das BilMoG indes eine Loslösung vom aktienrechtlichen Begriffsverständnis einherging, ist aus dem Wortlaut allein nicht zu schließen, da auch dem aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff das Beherrschungskonzept in § 17 AktG zugrunde liegt. Die Antwort auf diese Frage ist vielmehr in den Beweggründen der Modifikationen des Verbundkonzepts im Zuge des BilMoG zu suchen. Dafür ist zunächst in einem Exkurs auf den ursprünglichen Regelungszweck des BilMoG und der nur geringfügig angestrebten Anpassung des § 290 Abs. 1 HGB a. F. (aa)) einzugehen, bevor die Ursachen für die Novellierung des Verbundkonzepts in die heute geltende Fassung aufgeschlüsselt werden (bb)). aa) Exkurs: Ursprünglicher Regelungszweck des BilMoG Mit dem BilMoG verband der Gesetzgeber anfangs das Ziel, die nationalen Bilanzierungsvorschriften zum Zwecke der Wettbewerbsfähigkeit mit internationalen Standardsettern zu modernisieren, gleichzeitig jedoch das nationale Recht zu einer „kostengünstigeren und einfacheren Alternative“ zu den IFRS und US-GAAP zu entwickeln.503 Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Rechnungslegung sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass international tätige Unternehmen, ungeachtet ihrer Größe und etwaigen Börsennotierung, für die weitere Teilnahme am Geschäftsverkehr faktisch zur Rechnungslegung nach internationalen Standards gezwungen waren. Der damit einhergehende Detailierungsgrad für KMUs wurde nicht nur aus Kostengründen als unzumutbar erachtet, sondern aufgrund der zwingenden Preisgabe wettbewerbsrelevanter Daten als potentiell existenzgefährdend.504 In Konsequenz verfolgte der Gesetzgeber mit dem BilMoG einerseits die Strategie den Informationsgehalt von Jahres- und Konzernabschluss unter Berücksichtigung der Kosten-Nutzen-Relation anzuheben, andererseits Unternehmen gestaffelt nach Schwellenwerten von Informations- und Transparenzanforderungen zu befreien, um so unzumutbare Kosten zu vermeiden.505
501 502 503 504 505
BGBl. I 2015 S. 1245 ff. vom 17. 7. 2015. Merkt, in: Baumbach/Hopt/Kumpan et al., HGB, § 290 Rn. 6. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 32. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 33. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 33 f.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Derweil kam dem § 290 Abs. 1 HGB a. F. im Zuge des BilMoG anfänglich nur eine untergeordnete Bedeutung zu.506 Lediglich das formale Beteiligungserfordernis in § 290 Abs. 1 HGB a. F. sollte gestrichen werden, um Lücken im Konsolidierungskreis zu schließen.507 So setzte der bisherige Tatbestand für die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses voraus, dass ein Mutterunternehmen die einheitliche Leitung (im Sinne des § 18 AktG) über ein Tochterunternehmen ausübt, an dem es ferner im Sinne des § 271 Abs. 1 HGB beteiligt ist. Mit dem Wegfall des Beteiligungskriteriums intendierte der Gesetzgeber eine Bilanzierungslücke für sog. Zweckgesellschaften zu schließen, die in der bisherigen Praxis nicht vom Konsolidierungskreis erfasst worden waren.508 Der übrige Tatbestand sollte im Zuge des BilMoG unangetastet bleiben, insbesondere die parallele Anwendung des ControlKonzepts in Abs. 2 und das Prinzip der einheitlichen Leitung in Abs. 1 fortbestehen.509 Mit dieser nur geringfügigen Änderung versuchte der Gesetzgeber einerseits Konsolidierungslücken zu schließen und so eine Verzerrung der wirtschaftlichen Lage von Konzernen in der Bilanz entgegen zu wirken. Andererseits sollte am nationalen Konsolidierungskonzept festgehalten werden, um entsprechend der Ziele des BilMoG eine Aufwertung des nationalen Konzernrechnungslegungsregimes durch Annäherung an die internationalen Rechnungslegungsstandards zu gewährleisten, „ohne gleich konzeptionell auf die internationalen Konsolidierungskriterien überzugehen.“510 Dass dieses ursprüngliche Bestreben im letztlich verabschiedeten BilMoG aufgegeben wurde und § 290 HGB a. F. schließlich doch eine umfassende Novellierung erfuhr, lässt sich nicht ohne einen näheren Blick auf das Regelungsziel der bilanziellen Erfassung von Zweckgesellschaften sowie den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen in der Zeit des Gesetzgebungsprozesses nachvollziehen. Dafür sind zunächst kursorisch Funktion und Nutzen von Zweckgesellschaften ((1)) sowie ihre Off-Balance-Sheet Konstruktion ((2)) vorzustellen. Anschließend rückt die letztlich verworfene Modifikation des § 290 HGB a. F. im RefE und RegE des BilMoG in den Fokus der Betrachtung ((3)). (1) Funktionsweise und Nutzen von Zweckgesellschaften Zweckgesellschaften (auch als Special Purpose Entities (SPEs), Special Investment Vehicle (SIV) oder Conduits bezeichnet)511 sind selbständige Rechtsträger, die 506 A. A. Busse von Colbe/Schurbohm-Ebneth, Neue Vorschriften für den Konzernabschluss, BB 2008, 98, die „durch diese Änderung bewirkte Ausdehnung des Konsolidierungskreises von erheblicher materieller Bedeutung“ sprechen. 507 RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 78; Stibi, Die handelsrechtliche Konzernrechnungslegung, KoR 2008, 517, 519 f.; Ernst/Seidler, Kernpunkte des Referentenentwurfs eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, BB 2007, 2557, 2560. 508 Theile, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, § 290, S. 211. 509 RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 78. 510 RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 78. 511 Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
für eine sehr eng definierte Aufgabe bzw. Geschäftsaktivität gegründet werden.512 Sie sind bis auf die gesetzliche Mindesteinlage – abhängig von der gewählten Unternehmensform – mit keinem nennenswerten Eigenkapital ausgestattet, sondern werden ausschließlich über Fremdkapital finanziert.513 Sowohl die rechtliche Gestaltung als auch die Funktion von Zweckgesellschaften in der Praxis sind vielfältig.514 In der Regel werden Zweckgesellschaften jedoch Vermögensgegenstände und/ oder Schulden eines Unternehmens (sog. „Initiator“ oder „Originator“) übertragen, welches gleichzeitig das Recht erhält, Leistungen von der Zweckgesellschaft zu empfangen.515 Zweckgesellschaften finden häufig als Verbriefungsvehikel Verwendung.516 Solche Verbriefungszweckgesellschaften werden vorwiegend von Finanzinstituten gegründet und verwaltet.517 Gerade der Bankensektor bedient sich zur Refinanzierung Zweckgesellschaften, die als Verbriefungsvehikel fungieren, um illiquide Vermögenswerte in handelbare Finanzinstrumente umzuwandeln und damit letztlich Liquidität zu generieren.518 Dazu fasst das Finanzinstitut zunächst verbriefbare Vermögenswerte zu einem Pool bzw. Portfolio zusammen und veräußert dieses der Zweckgesellschaft mit allen Rechten und Pflichten.519 Verbriefbar sind grundsätzlich alle Vermögenswerte, die prognostizierbare Zahlungsströme zugunsten ihres Inhabers, mithin Cashflow, erzeugen.520 Mit Blick auf Kreditinstitute kommen hier 512
Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 756; Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309; siehe hierzu auch Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 66, der auch auf die Bezeichnung „Einzweckgesellschaften“ hinweist. Rechtlich handelt es sich bei Zweckgesellschaften vorwiegend um GmbHs oder UGs, Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309; Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 68; Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763. Im Unterschied zur AG erlaubt die GmbH mangels Satzungsstrenge, § 23 Abs. 5 AktG, mehr Gestaltungsflexibilität, wie z. B. die Schaffung zusätzlicher Organe, Drinhausen, in: Zerey (Hrsg.), Zweckgesellschaften, S. 53, 54. Im anglo-amerikanischen Rechtsraum sind trusts und limited liability corporations die verbreitetesten Rechtsformen von Zweckgesellschaften, Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 68 m. w. N.; Drinhausen, in: Zerey (Hrsg.), Zweckgesellschaften, S. 53, 54 f. 513 Zerey, in: Ders. (Hrsg.), Zweckgesellschaften, S. 28. 514 Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 6. 515 Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309; Schruff/Rothenburger, Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 756. 516 Zwirner/Busch, Zweckgesellschaften, IRZ 2011, 7, 8; Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309, 310; Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223. 517 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1224. 518 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223; Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 9. 519 Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309, 310; Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1224. 520 Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 22; Geiger, in: Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 21 Rn. 10 ff.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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vorzugweise Forderungen („assets“) aus Kreditverträgen in Betracht.521 Die Zweckgesellschaft verbrieft diese gebündelten Forderungen und emittiert sie als festverzinsliche Wertpapiere („securities“) am Kapitalmarkt. Diese sind wiederum durch die im Portfolio enthaltenen Vermögenswerte und den daraus folgenden Zahlungsströmen besichert („backed“).522 Die Einnahmen aus den Asset-BackedSecurities-Transaktionen („ABS-Transaktionen“) dienen der Zweckgesellschaft zur Finanzierung des Ankaufs der Forderungsportfolios der Kreditinstitute. Aus diesem Grund haben die ausgegebenen Wertpapiere in der Regel eine kurze Laufzeit von höchstens einem Jahr.523 Bei den in den Portfolios zusammengefassten Vermögenswerten handelt es sich dagegen vorwiegend um langfristige, bspw. immobilienbesicherte Forderungen unterschiedlicher Herkunft.524 Die wirtschaftlichen Vorteile einer solch aufwendigen Strukturierung und Verbriefung von Forderungen mittels Zweckgesellschaften sind vielfältig.525 Die Veräußerung und anschließende Verbriefung von Forderungen ermöglicht gebundenes Kapital in fungible Finanzinstrumente umzuwandeln und so Liquidität freizusetzen.526 Für die Zweckgesellschaften eröffnen sich Aussichten auf Zinsgewinne aufgrund der Fristendifferenz zwischen der Finanzierung langfristiger Aktiva durch kurzfristige Fremdmittel.527 Die initiierenden Kreditinstitute können derweil die an die Zweckgesellschaften übertragenen Forderungen aus ihren Bilanzen ausbuchen. Die entgeltliche Veräußerung stellt einen Aktiv-Tausch dar.528 Mit der vollständigen Übertragung der Forderung begibt sich zudem der Initiator der mit den Kreditforderungen einhergehenden Ausfallrisiken, die auf die Käufer übertragen werden.529 521
Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 22. Diese kurzfristigen Wertpapiere werden auch als Commercial Papers bezeichnet, Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309, 310; Kümpel/ Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1224; vgl. auch Dittrich, in: Zerey (Hrsg.), Zweckgesellschaften, S. 35. 523 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1224; Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136. 524 Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136. Unterschieden wird etwa zwischen hypothekarisch bzw. grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen gegenüber Privathaushalten, die als Residential Mortgage Backed Securities („RMBS“) verbrieft wurden, sowie gewerblichen, besicherten Kreditverträgen, Commercial Mortgages, die entsprechend als Commerical Mortgage Backed Securities („CMBS“) bezeichnet wurden, Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 23; vgl. Kammel, in: Zerey (Hrsg.), Zweckgesellschaften, S. 81, 93. 525 Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 9; Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 757. 526 Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 9. 527 Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 138. 528 Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 9 f. 529 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223; Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 19; Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 757. 522
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Die erzielte Liquidität kann das Kreditinstitut zur Vergabe weiterer Kredite und damit letztlich zur Ertragssteigerung nutzen oder zur Rückführung von Fremdkapital und damit zur Verringerung der Verschuldung und Verbesserung der Eigenkapitalquote.530 (2) Off-Balance-Sheet Konstruktion von Zweckgesellschaften Diese Ausschöpfung der wirtschaftlichen Vorteile basierte im Vorfeld des BilMoG auf einem Bilanzrecht, welches Verbriefungszweckgesellschaften gerade nicht im Konzernabschluss des initiierenden Finanzinstituts erfasste. Eine Konsolidierung von Zweckgesellschaften im Konzernabschluss hätte auch vielmehr zu der unerwünschten Folge einer Verlängerung der Bilanzsumme um das erworbene Forderungsvolumen geführt. Gleichzeitig hätte sich die Eigenkapitalquote des Konzerns aufgrund des geringen Eigenkapitals der Zweckgesellschaften verringert.531 Auch Wertberichtigungen für Risiken aus den Kreditforderungen wären zu berücksichtigen gewesen.532 In der Praxis wurden Zweckgesellschaften daher regelmäßig so konstruiert, dass weder die Kriterien des Control-Konzepts nach § 290 Abs. 2 HGB noch die des Leitungskonzepts nach Abs. 1 erfüllt wurden.533 Aufgrund der ohnehin eng definierten Geschäftstätigkeit der Zweckgesellschaft wurde häufig auf sog. Autopilot-Konstruktionen zurückgegriffen.534 Dabei wurden auf gesellschaftsver530 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223 f.; Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 137 f.; Köhler/ Strauch, Special Purpose Entities im Konzernabschluss, WPg 2008, 189, 190; Schön/Cortez, Finanzmarktkrise als Vertrauenskrise, IRZ 2009, 11, 12; Hoffmann/Lüdenbach, Die bilanzielle Abbildung der Hypothekenkrise, DB 2007, 2213 ff. 531 Hoffmann/Lüdenbach, Die bilanzielle Abbildung der Hypothekenkrise, DB 2007, 2213, 2218; Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften in der Konzernbilanz 2013, S. 70. 532 Hoffmann/Lüdenbach, Die bilanzielle Abbildung der Hypothekenkrise, DB 2007, 2213, 2218. 533 Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309, 311; Köhler/Strauch, Behandlung von Special Purpose Entities im Konzernabschluss, WPg 2008, 189, 193; Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763; Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1226; Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 129. A. A. Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 140, nach dem „Zurechnung der Beteiligung nicht nach formal-juristischer, sondern nach wirtschaftlicher Sicht zu erfolgen hat. Danach ist wirtschaftlicher Eigentümer, wer Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten trägt.“ Vgl. ferner zur formalrechtlichen Natur der Control-Tatbestände in § 290 Abs. 2 HGB a. F., Saenger/ Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 61 ff.; siehe auch Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 31; Küting/Seel, Neukonzeption des MutterTochter-Verhältnisses, BB 2010, 1459, 1460 f.; vgl. Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 35; Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 144. 534 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1226; Köhler/Strauch, Behandlung von Special Purpose Entities im Konzernabschluss, WPg 2008, 189, 190. Weiterführend zur Konstruktion der Zweckgesellschaft mittels Stiftungsmodell (sog. orphan-Zweckgesellschaft), Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 70, mit Verweis auf die Konstruktion der deutschen True Sale International – einer institutionalisierten
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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traglicher Ebene, durch eine enge Definition des Geschäftszwecks in der Satzung und zusätzlicher schuldrechtlicher Abreden, die Geschäftspolitik und laufende Tätigkeit der Zweckgesellschaft in einer Weise vorbestimmt,535 dass ein laufendes Management bzw. eine laufende Einflussnahme der Gesellschaftsorgane nicht notwendig war. Ebenso wurde auf eine Beteiligung nach § 271 Abs. 1 HGB verzichtet.536 (3) Konsolidierung von Zweckgesellschaften unter einheitlicher Leitung Das gesetzgeberische Bestreben zukünftig den Konsolidierungskreis verpflichteter Unternehmen allein durch Streichung des Beteiligungserfordernisses auf Zweckgesellschaften auszudehnen, ging mit der Prämisse einher, dass das Konzept der einheitlichen Leitung tatsächlich geeignet war, Zweckgesellschaften zu erfassen. Dies bezweifelten allerdings Teile des Schrifttums im Vorfeld des BilMoG.537 So führten Schruff und Rothenburger an, dass eine einheitliche Leitung von Zweckgesellschaften nicht bestehe. Den Originatoren in Autopilot-Konstruktionen sei die Möglichkeit einer tatsächlichen, fortwährenden Einflussnahme und damit Leitung im aktienrechtlichen Sinne entzogen.538 Ferner stünde den Kreditinstituten ohnehin keine Befugnis zur Geschäftsführung zu.539 Auch nach Lüdenbach und Freiberg erfüllten die bestehenden Einflussmöglichkeiten die Voraussetzungen des Leitungskonzepts mangels Einbindung in die Finanzpolitik von Zweckgesellschaften nicht, weil sich Zweckgesellschaften ausschließlich durch eigene Darlehen und Wertpapiere refinanzierten.540 Stibi wies darauf hin, dass das aktienrechtliche Leitungskonzept einen grundsätzlich anderen Ansatz verfolge als zur Erfassung von Zweckgesellschaften erforderlich sei.541 Zu diesem Ergebnis gelangten auch Zoeger und Schurbohm-Ebneth, die schließlich Zweifel äußerten
Verbriefungsplattform, https://www.true-sale-international.de/, abgerufen am 7. Februar 2019; Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763. 535 Schruff/Rothenburger, Konsolidierung v. Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763. 536 Lotz/Gryshenko, in: Zerey/Basler-Gretic´, Zweckgesellschaften, S. 147. 537 Siehe nur Schruff/Rothenburger, Konsolidierung v. Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763; im Hinblick auf Leasingzweckgesellschaften Helmschrott, Die Einbeziehung einer Leasingobjektgesellschaft, DB 1999, 1865, 1868; Küting/Brakensiek, Die Einbeziehung von Leasingobjektgesellschaften, DStR 2001, 1359, 1361. 538 Schruff/Rothenburger, Zur Konsolidierung von Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763; so auch Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 122 ff. 539 Schruff/Rothenburger, Konsolidierung v. Special Purpose Entities, WPg 2002, 755, 763. 540 Lüdenbach/Freiberg, Mutter-Tochter-Verhältnisse, BB 2009, 1230, 1231. 541 Stibi/Fuchs, Zum Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, DB 2008, 6, 12, im Vergleich zum internationalen Beherrschungskonzept der IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F., welche ausdrücklich zur Erfassung von Zweckgesellschaften verabschiedet worden sind.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
„inwieweit die gesetzliche Änderung des Konzepts und die damit verbundene Auslegung des Begriffs der einheitlichen Leitung tatsächlich zu einer Ausweitung der konzernabschlusspflichtigen Unternehmen und Erweiterung des Konsolidierungskreises führen.“542
Gleichwohl hielt der am 30. Juli 2008 veröffentlichte RegE zum BilMoG an der geplanten Änderung des § 290 Abs. 1 HGB a. F. und damit am aktienrechtlichen Leitungskonzept fest. Auch die im Schrifttum aufgeworfene Frage, ob für die Auslegung des Konzepts der einheitlichen Leitung zur Erfassung von Zweckgesellschaften der internationale Interpretationsstandard, IAS 27 a. F. bzw. SIC 12 a. F., herangezogen werden kann,543 lehnte der RegE ganz ausdrücklich ab.544 Als Grund für die Beibehaltung des Leitungskonzepts führte der damalige Referatsleiter für Rechnungslegung und Abschlussprüfung im Bundesjustizministerium Ernst die „erhebliche(n) Ermessensspielräume“ an, die bei der Konsolidierung von Zweckgesellschaften nach Maßgabe der internationalen Rechnungslegungsstandards bestanden:545 „Es macht daher wenig Sinn“, so Ernst, „die Unternehmen mit einer Konsolidierungsverpflichtung zu belasten, der sie sich letztlich zumindest teilweise doch wieder entziehen können.“546 Dass derweil der gewählte Regelungsansatz nicht geeignet war, Zweckgesellschaften vollständig zu erfassen und damit das eigentliche Regelungsziel konterkarierte, nahm der RegE offenbar bewusst in Kauf. Insoweit sah er als ausreichend an, dass „formaljuristischen Gestaltungen, die dazu dienen Vermögensgegenstände oder Schulden aus dem Konzernabschluss fern zu halten, zumindest teilweise der Boden entzogen“ werden sollte.547 542 Schurbohm-Ebneth/Zoeger, Zum Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, DB 2008, 40, 41; ebenfalls kritisch Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 141: „Die diesbezüglichen mit dem BilMoG verfolgten Absichten erscheinen auf dem gewählten Konzept der einheitlichen Leitung nur schlecht erreichbar.“ Siehe auch Köhler/Strauch, Special Purpose Entities im Konzernabschluss, WPg 2008, 189, 195: „Durch die anstehenden Änderungen [bezogen auf den RefE-BilMoG, Anm. d. Verf.] wird keine maßgebliche Präzisierung der Regelungen zur Einbeziehung von SPE in den Konzernabschluss erreicht.“ A. A. Busse von Colbe/Schurbohm-Ebneth, Neue Vorschriften für den Konzernabschluss, BB 2008, 98. 543 So beispielsweise Stibi/Fuchs, Zum Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, DB 2008, 6, 12. 544 „Aufgrund der Tatsache, dass mit der Änderung des § 290 HGB konzeptionell kein Übergang auf international üblichen Konsolidierungskriterien erfolgt, sondern nur das Beteiligungskriterium gestrichen wird, besteht an dieser Stelle kein Raum für eine Heranziehung der internationalen Rechnungslegungsstandards zum Zwecke einer Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 290 HGB.“ RegE, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 79. 545 Ernst/Seidler, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, ZGR 2008, 631, 656. 546 Ernst/Seidler, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, ZGR 2008, 631, 656; vgl. auch Ernst, Eckpunkte des Referentenentwurfs, WPg 2008, 114, 116. 547 Hervorhebung und Unterstreichung durch den Verfasser. RegE, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 78; siehe auch Ernst, Eckpunkte des Referentenentwurfs, WPg 2008, 114, 116: „Mit der Neuregelung des § 290 HGB werden wir jedenfalls dafür sorgen, dass in gewissem Umfang künftig auch Zweckgesellschaften einzubeziehen sind.“
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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bb) Ursachen der Aufgabe des Leitungskonzepts in § 290 Abs. 1 HGB a. F. Vor den Hintergrund des RegE überraschte der grundlegende Konzeptwechsel zur Bestimmung des Konsolidierungskreises in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens durch den Rechtsausschuss im März 2009. Nicht nur wurde das Leitungskonzept zugunsten des Konzepts der möglichen Beherrschung in § 290 Abs. 1 HGB aufgegeben. Auch die Tatbestände des bisher eigenständigen ControlKonzepts sind nun Teil des Beherrschungskonzepts und bilden in § 290 Abs. 2 HGB dessen Regelbeispiele. Für die Einbeziehung von Zweckgesellschaften wurde eigens in § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB ein neuer Tatbestand geschaffen, der als sog. risk-andreward Ansatz dem SIC 12 a. F. nachempfunden ist.548 Als Grund für diesen Konzeptwechsel nennt die Begründung des Rechtsausschusses die Finanzkrise 2008, aus welcher die Notwendigkeit folgte, „eine Angleichung des § 290 HGB an den Regelungsinhalt von IAS 27 und SIC 12 vorzunehmen, um im weitest möglichen Umfang auch Zweckgesellschaften in den Konsolidierungskreis einzubeziehen.“549 Dadurch sollte die Auslagerung von Risiken aus dem handelsrechtlichen Jahres- und Konzernabschluss „soweit wie möglich, eingeschränkt werden.“550 Zweckgesellschaften würden durch den neu geschaffenen § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB ausdrücklich in den Konsolidierungskreis einbezogen.551 Inwieweit die Auswirkungen der Finanzkrise den Gesetzgebungsprozess in der letzten Phase beeinflusst haben, lässt sich anhand der ab Mitte 2007 in Mehrzahl realisierten Risiken von Verbriefungszweckgesellschaften illustrieren ((1)). Schließlich ist der Übergang vom Leitungs- auf das Beherrschungskonzept in der heute geltenden Fassung des § 290 HGB als kriseninduzierte Abkehr vom nationalen Konsolidierungstatbestand einzuordnen ((2)). (1) Realisierung der Risiken von (Verbriefungs-)Zweckgesellschaften Neben wirtschaftlichen Vorteilen birgt die Verbriefung von Kreditforderungen Risiken, die sich exemplarisch im Zuge der Finanzmarktkrise mit Blick auf ABSTransaktionen eindrucksvoll realisierten.552 In Erwartung stetig steigender Immobilienpreise auf dem US-amerikanischen Markt und aufgrund eines niedrigen Leitzinses in Folge des Börsenkrachs im Jahr 2000 und den Terroranschlägen am 11. September 2001 stieg die Zahl der Immobilienfinanzierungen zu Beginn des neuen Jahrtausends stark an.553 Diese wurden zunehmend auch Privathaushalten mit
548 Claussen/Scherrer, in: KK-Rechnungslegungsrecht, § 290 Rn. 66; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 49; Senger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 HGB Rn. 104. 549 Begr. d. Rechtsausschusses vom 24. 03. 2009, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. 550 Begr. d. Rechtsausschusses vom 24. 03. 2009, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. 551 Begr. d. Rechtsausschusses vom 24. 03. 2009, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. 552 Vgl. Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 20 f.; vgl. Zerey, in: Zerey/ Basler-Gretic´ (Hrsg.), Zweckgesellschaften, S. 30 f. 553 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
zweifelhafter Bonität, in sog. subprime loans gewährt.554 Aufgrund der antizipierten Wertsteigerung der Immobilie, die das Darlehen besicherte, wurde angenommen, dass der Erlös der Zwangsvollstreckung bei Zahlungsausfall die Darlehensforderungen übersteigen würde.555 Die wirtschaftlichen Anreize der Verbriefungspraxis unterstütze das Kreditgeschäft der Banken durch die Nachfrage weiterer zu veräußernder Kreditforderungen.556 Um die Attraktivität von Kreditverträgen zu steigern, wurden variable Zinssätze mit günstigen Anlaufkonditionen bei mittelfristig steigender Zinslast angeboten.557 Die mit der sukzessiven Leitzinserhöhung der amerikanischen Notenbank und dem Auslaufen der Sonderkonditionen einhergehende höhere Zinslast führte ab Mitte 2007 zu massiven Zahlungsausfällen bei gleichzeitig rückläufigen Immobilienpreisen.558 Letztere zogen wiederum erhebliche Abschläge bei der Verwertung der Immobilien nach sich.559 Mangels ausreichender Erlöse drohte den Zweckgesellschaften ein Forderungsausfall, was sich auf die Attraktivität der zu emittierenden Wertpapiere auswirkte, mit denen sich die Zweckgesellschaften refinanzierten, um den Forderungsankauf sowie die fälligen Zahlungen auf bereits ausgegebene Wertpapiere zu bedienen.560 In der Folge gerieten die Zweckgesellschaften selbst in Zahlungsschwierigkeiten.561 An diesem Punkt wurden die initiierenden Kreditinstitute in Anspruch genommen. Zwar hatten diese mit der Abtretung der Forderungen auch das Bonitätsrisiko übertragen. Letztlich fungierten die Zweckgesellschaften jedoch in ihrem Interesse. Um den von ihnen ausgegebenen Wertpapieren ein positives Rating am Kapitalmarkt zu ermöglichen und so deren Attraktivität auch für institutionelle Investoren zu steigern, hatten die Initiatoren den Zweckgesellschaften Liquiditätslinien oder sonstige Garantie- oder Rückkaufzusagen, sog credit enhancements eingeräumt.562 Im Zuge des drohenden Zahlungsausfalls der Zweckgesellschaften wurden diese Liquiditätslinien und credit enhancements in Anspruch genommen, so geschehen exemplarisch auch bei der Deutschen Industriebank AG (IKB) und der Landesbank Sachsen (Sachsen LB), die durch das Volumen eingeräumter Liquiditätslinien bzw. Patronatserklärungen ihrer Zweckgesellschaften selbst in Schieflage gerieten.563 554 Schön/Cortez, Finanzmarktkrise als Vertrauenskrise, IRZ 2009, 11 f.; Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223. 555 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223. 556 Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223. 557 Schön/Cortez, Finanzmarktkrise als Vertrauenskrise, IRZ 2009, 11, 12. 558 Schön/Cortez, Finanzmarktkrise als Vertrauenskrise, IRZ 2009, 11, 12. 559 Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136; Kümpel/ Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223. 560 Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 137; Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223. 561 Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 137. 562 Schön/Cortez, Finanzmarktkrise als Vertrauenskrise, IRZ 2009, 11, 13; Hoffmann/Lüdenbach, Die bilanzielle Abbildung der Hypothekenkrise, DB 2007, 2213; Köhler/Strauch, Behandlung von Special Purpose Entities im Konzernabschluss, WPg 2008, 189, 190. 563 Siehe dazu Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 82 f. m. w. N.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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In den Zeitraum zwischen Veröffentlichung des RegE am 30. Juli 2008 und dem Entwurf des Rechtsausschusses am 24. März 2009 fiel mit der Insolvenz der Lehman Brothers Holdings Inc. (Lehman Brothers) am 15. September 2008 ein Ereignis, das Großfeld als „Brandbeschleuniger für die Finanzmarktkrise“ bezeichnete.564 Allein die Größe des Zusammenbruchs der US-amerikanischen Großbank musste beeindrucken, ebenso wie das Volumen außerbilanzieller Derivatverbindlichkeiten, wobei es sich Gassen zu Folge im Wesentlichen um Kreditzusagen an Zweckgesellschaften handelte. Deren nomineller Wert war Ende 2007 auf knapp 738 Mrd. Dollar gestiegen.565 Der Anteil von Lehman Brothers an CMBS und RMBS betrug 111 Mrd. Dollar.566 Gemessen am Vermögen übertraf die Insolvenz der Großbank die EnronInsolvenz aus dem Jahr 2001 um den Faktor 10.567 (2) Kriseninduzierte Abkehr vom aktienrechtlichen Leitungskonzept Mit der Lehman Brothers Insolvenz und ihrer zeitlichen Einordnung scheint für die kurzfristige Aufgabe des aktienrechtlichen Leitungskonzepts in der letzten Phase des Gesetzgebungsprozesses eine schlüssige Erklärung gefunden. Die letztlich Gesetz gewordenen Änderungen des Rechtsausschusses in § 290 HGB stellen gegenüber dem RefE und RegE nicht nur eine Novellierung des Verbundkonzepts sondern eine Verschiebung der Gewichtung der gesetzlichen Zweckbestimmung des § 290 HGB von der Stärkung des nationalen Konsolidierungskonzeptes hin zu einer weitgehenden Übernahme der internationalen Rechnungslegungsstandards dar. Gleichwohl ist auffällig, dass die Finanzkrise nicht erst mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers Auswirkungen auf den deutschen Bankensektor offenbarte: So geriet etwa die Sachsen LB bereits 2007 in Schieflage568 und wurde im März 2008 von der Landesbank Baden-Württemberg übernommen.569 Auch die IKB veröffentlichte am 30. Juli 2007 und damit bereits ein Jahr vor dem veröffentlichten RegE zum BilMoG eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG, wonach ihre Bonität in Frage gestellt sei und sich Belastungen aus ihrer Zweckgesellschaft Rhineland 564
Großfeld, Der Fall Lehman Brothers und das Bilanzrecht, RIW 2010, 504. Nach Gassen, Finanzkrise, VJH 2009, 83, 88; der Financial Crisis Inquiry Report geht von 900.000 Derivatverträgen aus, die allein Lehman Brothers abgeschlossen hat, The financial crisis inquiry report, official government edition 2011, S. 22. 566 The Financial Crisis Inquiry Report, S. 20. Siehe Definitionen von RMBS und CMBS in 2. Kap. Fn. 524. 567 Madaus, Insolvenzverfahren der Lehman Brothers Holdings Inc., NZI 2008, 715. 568 So konnte eine kurzfristige Liquiditätskrise nur durch eine Kreditlinie von 17,3 Mrd. Euro durch den Sparkassenverband bewältigt werden, Handelsblatt vom 21. 8. 2007, „Unternehmen droht Kreditklemme“. Zur Illustration: Die SachsenLB hatte Liquiditätszusagen in Höhe von 40 Mrd. Euro an Zweckgesellschaften abgegeben, bei einem Eigenkapital von weniger als 4 Mrd. Euro, Vesper-Gräske, Verbriefungszweckgesellschaften, S. 173, m. w. N. 569 Halbjahresfinanzbericht 2008 der LBBW, vom 15. 8. 2008, S. 32; http://www.lbbw.de/ media/de/investor_relations/pdf_investorrelations/2008/Halbjahresfinanzbericht_2008.pdf?acc Open=all, Zugriff am 18. 07. 2017. 565
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Funding abzeichneten.570 Ebenso veröffentlichte der International Monetary Fund im Oktober 2007 seinen jährlichen Global Fiancial Stability Report, in dem er zur Regulierung von Zweckgesellschaften aufforderte, da deren mangelnde Transparenz und die unklaren Kreditrisiken zum Vertrauensverlust von Marktteilnehmern beitrügen.571 Gleichwohl hielt der RegE noch im Juli 2008 am Leitungskonzept und der nur geringfügigen Anpassung des § 290 Abs. 1 HGB a. F. fest. Eine mögliche Erklärung liefert der Blick auf die Entwicklung des BilMoG selbst, welches nicht als kurzfristige, kriseninduzierte Regulierung der Bilanzvorschriften konzipiert worden war. Vielmehr bildete das BilMoG das Ergebnis eines längeren Planungsprozesses, an dem der Gesetzgeber so lange wie möglich festhalten wollte. Dieser Prozess geht zurück auf den Maßnahmenkatalog der Bundesregierung zum Anlegerschutz und zur Unternehmensintegrität vom 25. Februar 2003, der durch Insolvenzen bekannter Unternehmen wie Enron, WorldCom und den Turbulenzen am Neuen Markt verlorengegangenes Vertrauen der Anleger in die Aktienmärkte wiederherstellen sollte. Das BilMoG sollte diesen Prozess fortsetzen und wurde bereits in den Materialien zum BilReG 2004 angekündigt.572 Ein Ziel des angekündigten BilMoG sollte dabei die Entscheidung des Handelsbilanzrechts über eine Anpassung an internationale Entwicklungen sein.573 Das BilMoG hat letztlich das übergeordnete Ziel ausgegeben, das nationale Bilanzrecht in Abgrenzung zu den internationalen Entwicklungen zu stärken und zu einer vollwertigen Alternative zu den internationalen Rechnungslegungsstandards zu entwickeln. In diesem Rahmen ist der RefE zu § 290 HGB einzuordnen, der als Kompromisslösung zwischen der Einbeziehung von Zweckgesellschaften und der Erhaltung des Leitungskonzepts zu verstehen ist. Ungeachtet der Stimmen im Schrifttum, die im Zuge des Gesetzgebungsprozesses die Eignung des Leitungskonzepts für die Einbeziehung von Zweckgesellschaften bezweifelten,574 hielt noch der RegE am aktienrechtlichen Leitungskonzept fest und nahm dafür etwaige regulatorische Schwächen bei der Konsolidierung von Zweckgesellschaften in Kauf.575 Im Zuge der Überarbeitung des RegE im Rechtsausschuss muss es schließlich doch zur Neubewertung der Erforderlichkeit einer vollumfänglichen Erfassung von Zweckgesellschaften gekommen sein.576 Im Gegensatz zum RegE begründet der 570
Ad-hoc-Mitteilung vom 30. 7. 2007: https://www.ikb.de/uploads/media/07_07_30_Adhoc-Mitteilung.pdf, letzter Zugriff am 12. 3. 2019. 571 IMF, Global Financial Stability Report 2011, S. 36. 572 Begr. RegE zum BilReG, BT-Drucks. 15/3419 vom 24. 6. 2004, S. 21. 573 Begr. RegE zum BilReG, BT-Drucks. 15/3419 vom 24. 6. 2004, S. 21. 574 Stibi, Die handelsrechtliche Konzernrechnungslegung, KoR 2008, 517, 520; Mukjanovic, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, StuB 2008, 136, 141; Petersen/Zwirner, Neuerungen in der Konzernrechnungslegung, DB 2008, 2093, 2094; DAV-Handelsrechtsausschuss, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, NZG 2008, 612, 617. 575 Vgl. RegE, BT-Drucks. 16/10067 vom 30. 7. 2008, S. 1, 78. 576 Vgl. Leinen, in: Kessler/Leinen et al., Handbuch BilMoG, S. 663, 665.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Rechtsausschuss den Konzeptwechsel in § 290 Abs. 1 HGB mit dem Ziel einer Einbeziehung von Zweckgesellschaften in den Konzernabschluss „im weitest möglichen Umfang“.577 Auch spricht der Rechtsausschuss von einer ausdrücklich Angleichung an die IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F.578 Mit der Einführung des Beherrschungskonzepts vollzog der Gesetzgeber folglich keine geringere als eine 1808 Wende, was den Regelungszweck der Novellierung des § 290 HGB anbelangte. Angesichts der aufgezeigten Entwicklung des BilMoG, der zeitlichen Einordnung der Lehman Brothers Insolvenz und der Bezugnahme des Rechtsausschusses auf die Finanzkrise ist zu folgern, dass die heute geltende Fassung des § 290 Abs. 1 HGB als Resultat einer kriseninduzierten Abkehr vom aktienrechtlichen Leitungskonzept und Angleichung an die internationalen Rechnungslegungsvorschriften zu verstehen ist.579 2. Verbale Identität und Einheit der Rechtsordnung Die rechtshistorische Analyse hat aufgezeigt, dass der Gesetzgeber im Zuge des BilMoG die bisherige aktienrechtliche Prägung des nationalen Konsolidierungskonzeptes ausdrücklich aufgegeben hat. Vorbild des Gesetzgebers im Zuge des BilMoG war vielmehr das international etablierte Beherrschungskonzept, welches den damaligen internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen IAS 27 a. F. i. V. m. SIC 12 a. F. zugrunde lag und an welche eine weitgehende Angleichung im Zuge der kriseninduzierten Abkehr vom nationalen Konsolidierungskonzept angestrebt worden war. Vor diesem Hintergrund erscheinen die von Teilen des Schrifttums gleichwohl angeführten Gründe für einen Rückgriff auf das Aktienrecht „(a)ufgrund der verbalen Identität mit § 17 Abs. 1 AktG“580 bzw. „unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung“,581 mehr als zweifelhaft. Eine Auslegung beherrschenden Einflusses nach aktienrechtlichen Maßstäben allein auf die Vergleichbarkeit des vom Kontext isolierten Wortlautes zu stützen, muss bereits in methodischer Hinsicht mit Blick auf die grundsätzliche Relativität 577
Begr. d. Rechtsausschusses vom 24. 3. 2009, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. Ganz im Gegensatz zum RegE, der dafür keinen Raum sah, vgl. RegE, BT-Drucks. 16/ 10067 vom 30. 7. 2008, S. 1, 79. 579 Vgl. Schruff, Wettlauf um die Konsolidierung von Zweckgesellschaften?, WPg 2009, I; Zoeger/Möller, Konsolidierungspflicht für Zweckgesellschaften, KoR 2009, 309, 315; Zwirner/ Künkele, Die Bedeutung der Neuregelung des BilMoG, KoR 2009, 639, 646; Petersen/Zwirner, Die Konzernrechnungslegung im Lichte des BilMoG, StuB 2009, 335, 337; Kümpel/Piehl, Die Konsolidierung von Zweckgesellschaften, DStR 2009, 1222, 1223, 1226; Mukjanovic, Zweckgesellschaften nach BilMoG, StuB 2009, 374; kritisch würdigend Küting/Seel, Neukonzeption des Mutter-Tochter-Verhältnisses nach HGB, BB 2010, 1459, 1465. 580 Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 21; auch Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. § 15 Rn. 17. 581 Lüdenbach/Freiberg, Mutter-Tochter-Verhältnisse nach dem BilMoG, BB 2009, 1230; ebenso Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 290 Rn. 8 ff.; Busse von Colbe, MünchKommHGB, § 290 Rn. 13 ff. 578
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
von Rechtsbegriffen verwundern. Diese ist vielmehr unmittelbare Folge der kontextabhängigen Auslegung von Rechtsnormen.582 Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang der Unternehmensbegriff genannt. Einigkeit besteht heute, dass weder außerhalb noch innerhalb des Aktienrechts von einem einheitlichen Begriffsverständnis auszugehen ist.583 Letztlich variieren die unterschiedlichen Normfunktionen, die den Unternehmensbegriff verwenden, zu substantiell als dass hieraus ein gemeinsamer Unternehmensbegriff entwickelt werden könnte.584 Aus diesem Grund lässt auch eine „verbale Identität“ nicht auf zwingende inhaltliche Kongruenz der Beherrschungsbegriffe in § 290 Abs. 1 HGB und § 17 AktG schließen. Die Vergleichbarkeit des Wortlauts ist daher nicht geeignet, einen handelsrechtlichen Rückgriff auf das aktienrechtliche Beherrschungsverständnis zu rechtfertigen. Gleiches gilt auch für den angeführten Aspekt der „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“,585 wobei unklar ist, worauf sich die Einheitlichkeit bezieht.586 Ist etwa eine einheitliche Verwendung von Rechtsbegriffen gemeint, kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Relativität der Rechtsbegriffe verwiesen werden. Nach anderer Lesart könnte – mit etwas Fantasie – die systematische Einheit des Gesellschaftsrechts angesprochen sein, welches eng mit dem Bilanzrecht verflochten ist und aus diesem Grund die kongruente Auslegung beherrschenden Einflusses in den Rechtsgebieten voraussetze. Doch auch diese Auffassung überzeugt nicht, da die Gesetzessystematik unterschiedliche Beherrschungsbegriffe im Rechnungslegungsrecht und im Aktienrecht impliziert. Anders wären die zahlreichen Verweise des Aktienrechts auf § 290 HGB nicht zu erklären,587 denn deren Notwendigkeit der handelsrechtlichen Anknüpfung entfiele, stimmten § 290 Abs. 1 HGB und § 17 AktG inhaltlich überein. Im Ergebnis vermögen die im Schrifttum vorgebrachten Argumente für einen Rückgriff des § 290 HGB auf das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis ungeachtet der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Konsolidierungskonzepts nicht zu überzeugen. Vielmehr bleibt es bei dabei, dass die aktienrechtliche Anknüpfung mit der Novellierung des § 290 HGB im Zuge des BilMoG entfallen ist. Ein Rückgriff auf das gesellschaftsrechtliche Abhängigkeitsverständnis kommt daher nicht in Betracht. 582 Siehe zur grundsätzlichen, kontextabhängigen Auslegung Kuntz, Die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung, AcP 2015, 387, 396 ff.; allgemein zum Gebot kontextabhängiger Auslegung Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 164. 583 Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn. 9; Zöllner, Zum Unternehmensbegriff, ZGR 1976, 1, 4; Gessler, in: Festschrift für Alexander Knur, S. 145, 146; vgl. das Wettbewerbsrecht: K. Schmidt, „Unternehmen“ und „Abhängigkeit“: Begriffseinheit und Begriffsvielfalt im Kartell- und Konzernrecht, ZGR 1980, 277, 280 ff. 584 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 15 Rn. 15 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 9; auch OLG Frankfurt, Beschluss v. 21. 4. 2008 – 20 W 8/07 – ZIP 2008, 880, 881. 585 Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 13 ff. 586 Eine weitere Fußnote oder gar Erläuterung dazu liefern weder Grottel/Kreher noch Busse von Colbe. 587 Vgl. §§ 90 Abs. 1; 131 Abs. 1, 4; 170 Abs. 1; 171 Abs. 1 – 3; 173 Abs. 1; 175 Abs. 1, 2, 4 AktG.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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II. Beherrschender Einfluss in den Rechtsquellen des § 290 HGB Bleibt zwar das Aktienrecht als Rechtsquelle des heute geltenden Verbundkonzepts in § 290 HGB außer Betracht, gibt doch die Gesetzesbegründung zum BilMoG Aufschluss über das dem § 290 HGB zugrunde liegenden Beherrschungsverständnis. So strebte der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 290 HGB eine Angleichung an das Beherrschungskonzept in IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. an.588 Naheliegend erscheint aus diesem Grund der unmittelbare Rückgriff auf das dortige Begriffsverständnis für die Auslegung beherrschenden Einflusses in § 290 Abs. 1 HGB. Insoweit würde allerdings übersehen, dass das Konzernrechnungslegungsrecht von europäischem Recht überlagert wird. Ob und inwieweit eine Orientierung des Verbundkonzepts in § 290 HGB an IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. möglich ist, bemisst sich unabhängig von der Intention des deutschen Gesetzgebers ausschließlich nach europäischem Recht, genauer an der EU-Bilanzrichtlinie, welche die 7. Konzernbilanzrichtlinie abgelöst hat. Die nachfolgende Untersuchung widmet sich daher der rechtshistorischen Entwicklung des Beherrschungskonzepts in den europäischen Bilanzrichtlinien. Ihr Ausgangspunkt liegt beim ursprünglichen Beherrschungsverständnis, welches der 7. Konzernbilanzrichtlinie zu Grunde lag (1.) und geht dann auf die Entwicklung des Beherrschungsbegriffs in der Modernisierungsrichtlinie ein (2.), deren Fassung Grundlage für den Beherrschungsbegriff im BilMoG geworden ist. Aufgrund der erklärten Angleichung an die internationalen Rechnungslegungsstandards wendet sich die Untersuchung schließlich dem Begriffsverständnis in IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. zu (3.). 1. Beherrschender Einfluss in der 7. Konzernbilanzrichtlinie Die Vorschriften zur Aufstellung eines Konzernabschlusses in der Konzernbilanzrichtlinie wurden von der angelsächsischen Rechtstradition geprägt.589 Als primäres Konsolidierungskonzept, welches die Mitgliedstaaten zwingend in nationales Recht umzusetzen hatten, sah die Konzernbilanzrichtlinie in Art. 1 Abs. 1 das sogenannte Control-Konzept vor.590 Unabhängig von der tatsächlichen Ausübung des Einflusses eines Mutterunternehmens auf ein Tochterunternehmen war Letzteres in den Konzernabschluss einzubeziehen, wenn dem Mutterunternehmen die in § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB genannten Einflussrechte zustanden. Entscheidend war mithin die entsprechende Rechtsinhaberschaft des Mutterunternehmens.591 Das Control588
Begr. d. Rechtsausschusses vom 24. 03. 2009, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. Kropff, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, S. 660; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 18. Claussen, Konzernabschluß versus Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 607. 590 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 89; Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 26. 591 Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, § 290 Rn. 51; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2008, § 290 Rn. 27; Merkt, in: Hopt/Baumbach/Merkt, HGB, § 290 Rn. 8. Das Control-Konzept ging folglich mit starren aber objektiv bestimmbaren Ab589
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Konzept der Konzernbilanzrichtlinie wurde in nationales Recht im Zuge des BiRiLiG 1985 im neu geschaffenen Dritten Buch des HGB in § 290 Abs. 2 HGB a. F. eingefügt.592 Als zusätzliche Option räumte die Konzernbilanzrichtlinie in Art. 1 Abs. 2 neben der Pflicht zur Umsetzung des Control-Konzepts den Mitgliedstaaten ein, eine parallele Abschlusspflicht vorzusehen, wenn nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) das Mutterunternehmen tatsächlich einen beherrschenden Einfluß auf das Tochterunternehmen ausübt oder nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) Mutter- und Tochterunternehmen unter einheitlicher Leitung des Mutterunternehmens stehen. Von diesem Wahlrecht machte der deutsche Gesetzgeber Gebrauch und vermochte deshalb am Leitungskonzept in § 290 Abs. 1 HGB a. F. festzuhalten.593 Darüber, was die Richtlinie selbst unter jenen unbestimmten Rechtsbegriffen der einheitlichen Leitung oder des beherrschenden Einflusses verstand, finden sich jedoch weder im Normtext selbst, noch in den Erwägungsgründen Anhaltspunkte. Aus diesem Grund sind nachfolgend zunächst die Entwürfe der Konzernbilanzrichtlinie auf Anhaltspunkte zum Beherrschungs- und Leitungskonzept zu beleuchten (a)). Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind anschließend im Kontext der letztlichen Durchsetzung des angelsächsischen Control-Konzepts einzuordnen (b)). Schließlich ist das Begriffsverständnis der Wahlrechte in Art. 1 Abs. 2 lit. a) und b) Konzernbilanzrichtlinie anhand der Richtliniensystematik und etwaiger Normenvorbilder im nationalen Recht ausgewählter Mitgliedstaaten zu untersuchen (c)). Der Abschnitt endet mit einem Zwischenfazit zum europäischen Begriffsverständnis in den genannten Wahlrechten (d)). a) Beherrschender Einfluss in den Richtlinienentwürfen Weder der beherrschende Einfluss in Art. 1 Abs. 2 lit. a) noch die einheitliche Leitung in Art. 1 Abs. 2 lit. b) sind in der endgültigen Fassung der Konzernbilanzrichtlinie vom 13. Juni 1983 gesetzlich definiert. Dies war im Entstehungsprozess nicht immer der Fall. So enthielt der erste Entwurf der Richtlinie vom 4. Mai 1976 in den ersten sechs Artikeln einen Abschnitt mit Definitionen, darunter des abhängigen
grenzungskriterien einher, die einerseits die Rechtssicherheit zu erhöhen vermochten, andererseits aber zu einem Auseinanderfallen rechtlicher und wirtschaftlicher Beherrschungsmöglichkeit führen konnten, Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, § 290 Rn. 26. Allerdings sah bereits die Richtlinie in Art. 13 Abs. 3 lit. a) eine Korrekturmöglichkeit im Hinblick auf die Aufstellungspflicht vor, sofern die Rechte des Mutterunternehmens erheblich und dauerhaft eingeschränkt waren, Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2008, § 290 Rn. 29. Diese Korrekturmöglichkeit wurde im Zuge des BiRiLiG 1985 in § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB in nationales Recht umgesetzt, Pfaff, in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2008, § 296 Rn. 8. 592 Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, Vor. § 290 Rn. 2; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 19. 593 Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor § 290 Rn. 27.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Unternehmens und des Konzernbegriffs.594 Die Kommission stützte sich dabei auf einen Vorschlag der Groupe d’Etudes Droit des Sociétés des Experts Compatables de la C.E.E. (Studiengruppe Elmendorff) aus dem Jahr 1971, welche für die Einführung einer Konzerndefinition votierte und sich dafür eng am deutschen Konzernbegriff in § 18 sowie § 326 AktG a. F. orientierte.595 Auch zu den Voraussetzungen beherrschenden Einflusses lassen sich dem Entwurf Anhaltspunkte entnehmen: So sollte eine widerlegbare Abhängigkeitsvermutung nach Art. 2 Abs. 2 des Richtlinienentwurfs vorliegen, wenn das herrschende Unternehmen beim abhängigen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar über eine Kapitalmehrheit oder eine Stimmrechtsmehrheit verfügt oder die Mehrheit der Mitglieder der Leitungs- oder Aufsichtsgremien bestellen kann. Eine weitergehende Definition beherrschenden Einflusses enthielt derweil auch der Entwurf der Kommission nicht. Dies war indes kein Versehen, sondern eine bewusste Unbestimmtheit des Vorschlags, wie der Begründung der Kommission zu entnehmen ist.596 Zum Verzicht einer Aufzählung Abhängigkeit begründender Mittel führte sie aus: „In der Praxis wird es sich meistens um eine Verbindung rechtlicher und tatsächlicher Mittel handeln. Es ist alsdann nicht richtig, die Anwendung von Art. 2 auf die Fälle zu beschränken, in denen beherrschender Einfluß nur aus rechtlichen Mitteln herrührt. Zum anderen besteht kein Zweifel, daß ein beherrschender Einfluß an eine gewisse Beständigkeit geknüpft ist. Daher fällt die Möglichkeit, nur kurze Zeit und infolge eines zufälligen Ge-
594 Vorschlag für eine Siebente Richtlinie auf Grund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des EWG-Vertrags über den Konzernabschluß v. 4. 5. 1976, ABl. EG, Nr. C 121/2, Art. 2 Abs. 1: Ein abhängiges Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie ist ein Unternehmen, auf das ein anderes Unternehmen, das sogenannte herrschende Unternehmen, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. Art. 2 Abs. 2: Es wird vermutet, daß ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen abhängig ist, wenn dieses andere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar: a) Die Mehrheit des gezeichneten Kapitals besitzt oder b) über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans bestellen kann. Art. 3: Ein oder mehrere von ihm abhängige Unternehmen bilden einen Konzern im Sinne dieser Richtlinie, wenn das herrschende Unternehmen tatsächlich einen beherrschenden Einfluß derart ausübt, daß die beteiligten Unternehmen der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens unterstehen. Jedes dieser Unternehmen ist ein Konzernunternehmen. 595 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 80; Biener, Die Konzernrechnungslegung nach der Siebenten Richtlinie, DB 1983, Beilage 19, 1, 2. Der Vorentwurf zur Richtlinie der Studiengruppe Elmendorff ist abgedruckt in: Biener/Schatzmann, Konzern-Rechnungslegung 1983, S. 83 ff. 596 Die Begründungen der Kommission sind abgedruckt in: Biener/Schatzmann, Konzernrechnungslegung, S. 139 ff.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
schehens, einen beherrschenden Einfluß auf ein Unternehmen ausüben zu können, nicht unter die Vorschrift von Art. 2 Absatz 1.“597
b) Durchsetzung des angelsächsischen Control-Prinzips Diese Erläuterungen in den Richtlinienentwürfen können jedoch nicht ohne weiteres zur Auslegung des endgültigen Richtlinientextes herangezogen werden, in dem weder die Definitionen des Konzerns noch des abhängigen Unternehmens enthalten sind.598 In der Tat wurde der erste Abschnitt insgesamt aus dem Richtlinientext gestrichen. Diese Entwicklung geht maßgeblich auf den Einfluss der angelsächsischen Bilanzierungstradition zurück, die sich von den deutschen Konzernrechnungslegungsvorschriften substantiell unterschied.599 Der Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 prägte die Entwicklung der EG-Bilanzrichtlinien.600 So war bereits der Vorschlag für die 4. Richtlinie aus dem Jahr 1971, welche ebenfalls vom deutschen Aktienrecht 1965 geprägt war, geändert worden, um dessen Blockade zu verhindern.601 Die schrittweise Entfernung vom aktienrechtlichen Konzernbegriff mit seinem prägenden Merkmal der einheitlichen Leitung veranschaulicht der überarbeitete Richtlinienentwurf vom 20. Juli 1979.602 Nach Art. 3 dieses Entwurfs sollten ein herrschendes und ein abhängiges Unternehmen einen Konzern bilden, ohne dass es einer einheitlichen Leitung bedurft hätte. Im Vergleich zum aktienrechtlich geprägten Konzernbegriff bedeutete dies eine erhebliche Erweiterung des Konsolidierungskreises, da bereits die Möglichkeit beherrschenden Einflusses einen konsolidierungspflichtigen Verbund zwischen zwei Unternehmen begründete.603 In Folge der erheblichen konzeptionellen Unterschiede in der Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit wurde im Zuge der Konsensfindung auf eine Konzernde597 Siehe die Begründungen der Kommission zum Richtlinienentwurf vom 4. 5. 1976, abgedruckt in: Biener/Schatzmann, Konzern-Rechnungslegung, S. 142. 598 Schruff, Einflüsse der 7. EG-Richtlinie auf die Aussagefähigkeit des Konzernabschlusses, S. 21. Dabei hatte die Kommission in der Begründung ihres ursprünglichen Richtlinienentwurfs erklärt: „Um die Zielsetzung einer Angleichung im Bereich der Konsolidierung zu erreichen, ist es unentbehrlich, daß die Richtlinie den Konzern einheitlich definiert. Eine andere Lösung, die beispielsweise die unterschiedlichen in den einzelnen Mitgliedstaaten bereits bestehenden Definitionen übernähme, würde die Vergleichbarkeit der Konzernabschlüsse und damit auch die Gleichwertigkeit der Informationen innerhalb der Gemeinschaft zunichte machen“, abgedruckt in: Biener/Schatzmann, Konzern-Rechnungslegung, S. 140. 599 Kindler, in: Staub, HGB, Vor § 290 Rn. 17; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 207. 600 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 83. 601 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 83; Lutter, Im Mahlstrom der Interessen: Das Bilanzrecht, NJW 1996, 1945. 602 Dok. 8233/79, DRS 35 v. 20. 7. 1979 (beantragbar beim Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union). 603 Schruff, Einflüsse der 7. EG-Richtlinie, S. 24.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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finition vollständig verzichtet.604 Durchgesetzt im endgültigen Richtlinientext hat sich schließlich das angelsächsische Control-Prinzip mit den objektiv bestimmbaren, formellen Einflusskriterien.605 Die Anknüpfung der Abschlusspflicht an die Konzepte der einheitlichen Leitung oder des beherrschenden Einflusses ist derweil nicht gänzlich entfallen. Vielmehr wurden sie den Mitgliedstaaten parallel zum ControlKonzept als Wahlrecht überlassen. Darin kommt der Kompromisscharakter der EGBilanzrichtlinien zum Ausdruck, mit seiner Notwendigkeit „das zwischen beiden Traditionen Unvereinbare entweder wegzulassen oder insoweit Wahlmöglichkeiten zu gewähren.“606 c) Auslegung beherrschenden Einflusses in der Konzernbilanzrichtlinie Für das Verständnis beherrschenden Einflusses in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Konzernbilanzrichtlinie war die Herabstufung vom zentralen Anknüpfungskonzept in den Vorentwürfen hin zum optionalen Wahlrecht allerdings nicht zum Vorteil. Eine gesetzliche Definition des beherrschenden Einflusses enthält der endgültige Normtext nicht. Darüber hinaus waren die Tatbestandsvarianten entfallen, die zur widerleglichen Vermutung beherrschenden Einflusses führen sollten. Für die weitere Bestimmung der Beherrschung sind zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen anhand der Gesetzessystematik einzugrenzen ((aa)). Anschließend sind exemplarisch das englische ((bb)), französische ((cc)) und deutsche Recht ((dd)) auf Regelungsvorbilder zu prüfen. aa) Rückschlüsse aus der Richtliniensystematik Als einziger Anknüpfungspunkt für eine Eingrenzung des Beherrschungsbegriffs in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie kommt die Tatbestandsvariante des Control-Konzepts in Art. 1 Abs. 1 lit. c) in Betracht, welche ebenfalls von beherrschendem Einfluss spricht. Danach bestand eine Konzernabschlusspflicht, sofern das Mutterunternehmen beherrschenden Einfluss aufgrund eines Vertrages oder einer Satzungsbestimmung auf ein Tochterunternehmen auszuüben vermochte. Aus dem unterschiedlichen Wortlaut folgt aber allein, dass, anders als Art. 1 Abs. 1 lit. c), Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie kein Recht zur Ausübung beherr604
S. 26.
Kindler, in: Staub, HGB, Vor § 290 Rn. 17; Schruff, Einflüsse der 7. EG-Richtlinie,
605 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 83; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 207. 606 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 88; Kindler, in: Staub, HGB, Vor § 290 Rn. 17. Gerade die Vielzahl der Wahlrechte und die sich aus ihnen ergebenen Kombinationsmöglichkeiten führten dazu, dass sich die Vereinheitlichung des Bilanzrechts in Grenzen hielt und gerade deutsche Konzernabschlüsse durch ausländische Aufsichtsbehörden und Kapitalmärkte nicht anerkannt wurden, Claussen/Scherrer, in: KK-Rechnungslegungsrecht, Vor § 290 Rn. 37.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
schenden Einflusses voraussetzte, sondern auch die faktische Ausübung ausreichte. Der Einfluss musste allerdings tatsächlich ausgeübt werden. Die bloße Möglichkeit zur Ausübung beherrschenden Einflusses genügte nicht. Ferner hinzu trat die Voraussetzung des Beteiligungsbesitzes. Festhalten lässt sich mithin allein, dass nach dem Wahlrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie zumindest auch faktische Beherrschungsmöglichkeiten einbezogen werden konnten, sofern der Einfluss tatsächlich ausgeübt und von einer gesellschaftlichen Beteiligung gestützt wurde. Weitere Näherungen des Begriffsverständnisses ergeben sich aus dem systematischen Vergleich von Abs. 1 und Abs. 2 nicht. Der Grund dafür liegt darin, dass beide Normen beherrschenden Einfluss nicht beschreiben, sondern ihn vielmehr voraussetzen. Rückschlüsse für das Begriffsverständnis selbst lassen sich so nicht entnehmen. bb) Sec. 154 Companies Act 1948 als Regelungsvorbild Anhaltspunkte zum Beherrschungsverständnis könnten jedoch etwaigen Normenvorbildern aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu entnehmen sein. Die begriffliche Übereinstimmung beherrschenden Einflusses in Art. 1 Abs. 1 lit. c) und Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie besteht insoweit nicht nur in der deutschen Sprachfassung. In der englischen Sprachfassung ist einheitlich von dominant influence die Rede. Naheliegend erscheint daher nach einem Regelungsvorbild im angelsächsischen Control-Konzept zu suchen, welches sich als primäres Konsolidierungskonzept der Konzernbilanzrichtlinie durchgesetzt hatte.607 Mit dem Kriterium des dominant influence wurde jedoch durch die Konzernbilanzrichtlinie auch in Großbritannien ein Begriff eingefügt, der vorher keine Entsprechung hatte, wie bereits der Blick auf Sec. 154 Companies Act 1948 verrät, wo lediglich von control die Rede ist.608 Ferner kannte der Companies Act 1948 das Institut des Beherrschungsvertrages nicht.609 Die Einfügung dieser zusätzlichen Tatbestandsvariante innerhalb des Control-Konzepts in Art. 1 Abs. 1 lit. c) Konzernbilanzrichtlinie ist vielmehr Ausdruck des Kompromisscharakters der Norm. So konnte sich der angelsächsische Ansatz nicht insoweit durchsetzen, als die Konsolidierungspflicht nur Mehrheitsbeteiligungen nicht jedoch auch vertragliche Beherrschungsgrundlagen 607 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 83; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 207. 608 Companies Act 1948, Section 154: Meaning of „holding company“ and „subsidiary“ (1) For the purposes of this Act, a company shall, subject to the provisions of subsection (3) of this section, be deemed to be a subsidiary of another if, but only if, – (a) that other either – (i) is a member of it and controls the composition of its board of directors; or (ii) holds more than half in nominal value of its equity share capital; or (b) the first-mentioned company is a subsidiary of any company which is that other’s subsidiary. Holtappels, Der Konsolidierungskreis, S. 74. 609 Holtappels, Der Konsolidierungskreis, S. 72 f.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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einbeziehen sollte.610 Dem Common Law lassen sich daher keine Anhaltspunkte für die Bestimmung beherrschenden Einflusses entnehmen. cc) Artt. 354, 355 Le Droit Nouveau des Sociétés Commerciales Nach Auffassung Bieners berücksichtigte das Wahlrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie vielmehr französische Vorstellungen.611 Dem ist zunächst zu entgegnen, dass das einschlägige Gesetz, Le Droit Nouveau des Sociétés Commerciales vom 24. Juli 1966 keine Regelung der Konzerne vorsieht, wie es beispielsweise das deutsche Aktienrecht in den §§ 291 ff. AktG kennt.612 Der Cousté-Entwurf für ein französisches Konzernrecht ist hingegen derweil nicht Gesetz geworden.613 Gleichwohl definiert das französische Recht Tochtergesellschaften („filiale“) und kontrollierte Gesellschaften („sociétés contrôlées“) in Artt. 354, 355 des genannten Gesetzes. Dort ist indes vom Tatbestand der einheitlichen Leitung bzw. direction unique, wie in der französischen Sprachfassung von Art. 1 Abs. 2 lit. b) Konzernbilanzrichtlinie, keine Rede. Dies gilt gleichermaßen für den Begriff des influence dominante. So werden Tochtergesellschaften ausschließlich als Unternehmen definiert, an denen eine Mehrheitsbeteiligung besteht.614 Auch enthält die Definition der sociétés contrôlées zwar einen Tatbestandskatalog ähnlich dem in Art. 1 Abs. 1 Konzernbilanzrichtlinie jedoch gerade keine unbestimmten, normativ auszulegenden Rechtsbegriffe, wie influence dominante, sodass auch das französische Recht keine Rückschlüsse auf das Begriffsverständnis der Richtlinie zulässt.
610
Vgl. Biener, Die Konzernrechnungslegung nach der Siebenten Richtlinie, DB 1983, Beilage 19, 1, 3 (Punkt 3.1). 611 Vgl. Biener, Die Konzernrechnungslegung nach der Siebenten Richtlinie, DB 1983, Beilage 19, 1, 2 (Punkt 2.2). 612 Brachvogel, Frankreich auf dem Weg zu einem Konzernrecht, ZGR 1972, 87; Brachvogel, Entwicklung des Konzernrechts in Frankreich, ZGR 1980, 486. 613 Brachvogel, Entwicklung des Konzernrechts in Frankreich, ZGR 1980, 486. 614 Art. 354: Lorsqu’un société posséde plus de la moitié du capital d’une autre société, la section, comme filiale de la premiére. Art. 355 – 1: Une société est considérée, pour l’application des paragraphes 2 et 4 de la présente section, comme en contrôlant une autre: – lorsque’elle détient directement ou indirectement une fraction du capital lui conférant la majorité des droits de vote dans les assemblées génerales des cette société; – lorsqu’elle dispose seule de la majorité des droits de vote dans cette société en vertu d’un accord conlcu avec d’autres associés ou actionnaires et qui n’est pas contraire à l’intérêt de la société; – lorsqu’elle détermine en fait, par les droits de vote dont elle dispose, les décisions dans les assemblées générale de cette société. Elle est présumée excercer ce contrôle lorsqu’elle dispose, directement ou indirectement, d’une fraction des droits de vote supérieure à 40 p. 100 et qu’aucun autre associé ou actionnaire ne détient directement ou indirectement, une fraction supérieure à la sienne. Abgedruckt in: Gravenstein, Französisches Gesellschaftsrecht, S. 248 f.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
dd) Aktienrechtliche Abhängigkeit als Regelungsvorbild Gleiches gilt für das aktienrechtliche Beherrschungsverständnis in § 17 AktG. Ursprünglich hatte sich der Vorentwurf der Kommission für die Bestimmung des Konsolidierungskreises zwar am aktienrechtlichen Konzernbegriff in § 18 AktG orientiert. Damit hatte dieser auch das inhärente Beherrschungsverständnis des Leitungskonzepts übernommen, welches letztlich als Wahlrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Konzernbilanzrichtlinie aufgenommen wurde. Davon ist jedoch das Konzept des beherrschenden Einflusses in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Konzernbilanzrichtlinie zu unterscheiden. Dieses ist bereits konzeptionell nicht mit § 17 AktG vergleichbar, für dessen Abhängigkeitsbegründung bereits die Einflussmöglichkeit ausreicht. Weder ist eine tatsächliche Ausübung des Einflusses erforderlich, noch bedarf es einer zusätzlichen Beteiligung. d) Zwischenfazit – kein einheitliches europäisches Begriffsverständnis Zusammenfassend erscheinen die Anhaltspunkte, die sich dem Richtlinientext und den Gesetzesmaterialien zur Begriffsbestimmung beherrschenden Einflusses entnehmen lassen, dürftig. Anhand der Herabstufung des Verbundkonzepts von einem zentralen Anknüpfungspunkt der Konzernabschlusspflicht zu einem Wahlrecht offenbart sich der Kompromisscharakter der Konzernbilanzrichtlinie. Im Gegensatz zu den objektiv bestimmbaren Kriterien des Control-Konzepts in Art. 1 Abs. 1 Konzernbilanzrichtlinie, das zwingend in nationales Recht umgesetzt werden musste, wurde in den Wahlrechten auf eine Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe verzichtet. Ungeachtet des Prinzips der unionsautonomen Auslegung blieb die Auslegung den Mitgliedstaaten überlassen. Ziel der Wahlrechte war es gerade, den Mitgliedstaaten ein Festhalten an ihren „tradierten Bilanzierungsgewohnheiten“ parallel zum Control-Konzept zu ermöglichen.615 Dies wird nicht zuletzt in einer 1998 veröffentlichen Mitteilung der Kommission deutlich.616 Darin erläutert diese zwar die Tatbestände des Control-Konzepts in Art. 1 Abs. 1 der Konzernbilanzrichtlinie, unterlässt jedoch klärende Angaben zu den Wahlrechten in Art. 1 Abs. 2.617 Diese Unbestimmtheit eröffnete nicht zuletzt dem deutschen Gesetzgeber im BiRiLiG am bisherigen Konzept der einheitlichen Leitung in seinem national aktienrechtlich geprägten Verständnis festzuhalten, ergänzt um die Voraussetzung einer Beteiligung.618 Der Preis, der mit dieser bewussten Konturlosigkeit der Wahlrechte in Art. 1 Abs. 2 lit. a) und b) der Konzernbilanzrichtlinie einherging,
615
Küting, Europäisches Bilanzrecht, BB 1993, 30, 31. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Hinblick auf bestimmte Artikel der Vierten und der Siebenten Richtlinie des Rates auf dem Gebiet der Rechnungslegung, ABl. EG Nr. C 16 v. 20. 1. 1998; hierzu auch Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 93. 617 Vgl. ABl. EG Nr. C 16 v. 20. 1. 1998, S. 11. 618 Claussen/Scherrer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, § 290 Rn. 4 ff. 616
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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war nicht weniger als ein fehlendes, einheitlich europäisches Begriffsverständnis beherrschenden Einflusses. 2. Neuer Beherrschungsbegriff in der Modernisierungsrichtlinie Dies änderte sich mit der Modernisierungsrichtlinie 2003, die zu jener Modifikation des Mitgliedstaatenwahlrechts in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Konzernbilanzrichtlinie führte, dessen Fassung Grundlage des Beherrschungskonzepts des BilMoG 2009 und damit des heutigen § 290 Abs. 1 HGB geworden ist.619 Dies geschah jedoch weder durch die Einführung einer Definition beherrschenden Einflusses in die Konzernbilanzrichtlinie noch durch konkretisierende Vermutungstatbestände. Vielmehr folgt aus der Entwicklungsgeschichte der Modernisierungsrichtlinie, dass dem Wahlrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Konzernbilanzrichtlinie mit Übernahme des Beherrschungskonzepts der International Accounting Standards auf europäischer Ebene ein nunmehr vollkommen neues Begriffsverständnis zugrunde gelegt worden ist. Diese Entwicklung ist im Folgenden kursorisch darzustellen unter Einbeziehung der IAS-VO (a)) und der Internationalisierung der EG-Bilanzrichtlinien (b)), bevor anschließend der neue Beherrschungstatbestand der Modernisierungsrichtlinie vorgestellt wird (c)). Der Abschnitt endet mit einer kurzen Zusammenfassung (d)). a) Entwicklung der IAS-VO Zu Beginn der 1990er Jahre setzte sich auf europäischer Ebene die Erkenntnis einer mangelnden internationalen Akzeptanz der EG-Bilanzrichtlinien durch.620 Letztlich war die Konzernbilanzrichtlinie zwar ein bedeutender Schritt zur Rechtsannäherung, im Ergebnis jedoch nicht mehr als ein „Minimalkonsens“621 und damit „politische[r] Kompromiss“622 der Mitgliedstaaten. Gerade die „Hypertrophie an Wahlrechten“623 erwies sich im Rahmen der zunehmenden internationalen Verflechtung und dem Streben auch deutscher Konzernunternehmen an ausländische Kapitalmärkte vielmehr als Hindernis und brachte der Konzernbilanzrichtlinie Kritik ein.624 So bezeichnete etwa Lutter die EG-Bilanzrichtlinien als „schlechte(n) Kom619 Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. 6. 2003 („Modernisierungsrichtlinie“), ABl. EU L 178/16 vom 17. 7. 2003. 620 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 96 f. 621 Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 35. 622 Küting, Europäisches Bilanzrecht, BB 1993, 30, 31. 623 Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 35. 624 Vgl. van Hulle, Die Reform des europäischen Bilanzrechts, ZGR 2000, 537 ff.; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 1997, 381 ff.; Europäisches Bilanzrecht, BB 1993, 30 ff.; Grund, Internationale Entwicklung und Bilanzrecht, DB 1996, 1293 ff. Näher zu den eingeräumten bilanztechnischen Möglichkeiten deutscher Konzernab-
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
promiß“, der die „kontinentale Bilanzierung international diskreditiert (hat).“625 In der Tat machte die New York Stock Exchange (NYSE) die Handelszulassung von Aktien deutscher Unternehmen davon abhängig, dass deren Abschlüsse mit den für US-amerikanischen Unternehmen verbindlichen Bilanzierungsvorschriften übereinstimmten.626 Damit verlor das europäische Bilanzrecht erheblich an Ansehen.627 In der Folge waren die Unternehmen, die Zugang zum amerikanischen Kapitalmarkt suchten, zur Aufstellung eines separaten bzw. dualen Konzernabschlusses gezwungen, welcher die amerikanischen Bilanzierungsregeln (US-GAAP) berücksichtigte.628 In Konsequenz dieser mangelnden Anerkennung der auf Grundlage der europäischen Bilanzrichtlinien erstellten Konzernabschlüsse, erarbeitete die EU-Kommission eine neue Strategie, die sie im November 1995 vorstellte. Diese sah vor, den Unternehmen den Zugang zu Kapitalmärkten durch eine Bilanzierung nach IAS zu eröffnen.629 Diese Strategie einer Annäherung an die Internationalen Rechnungslegungsstandards liegt der Entwicklung der IAS-Verordnung zugrunde, die am 14. September 2002 in Kraft trat. Darin erkannte die EU an, dass die bisherigen Rechnungslegungsrichtlinien „den hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung aller kapitalmarktorientierten Unternehmen (…) nicht geschlüsse und der hierzu geäußerten Kritik Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 43; Schön, Gesellschafter-, Gläubiger- und Anlegerschutz, ZGR 2000, 706, 716. 625 Lutter, Im Mahlstrom der Interessen: Das Bilanzrecht, NJW 1996, 1945, 1946. 626 Buhleier/Helmschrott, Die neue Strategie der Europäischen Kommission zur Harmonisierung der Rechnungslegung, DStR 1996, 354, 355; Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 1997, 382, 383; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 35, 41; vgl. EU-Kommission, Mitteilung „Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung – eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung“, KOM (95)508 vom 14. 11. 1995, Ziff. 1.2; vgl. auch Lutter/Schmidt/Bayer, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, S. 821 f. 627 Hommelhoff, Europäisches Bilanzrecht im Aufbruch, RabelsZ 1997, 382, 383; Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 97. 628 Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 46; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 44. Zu den US-GAAP: Nach ihren Vorgaben haben Unternehmen und Konzerne zu bilanzieren, die an einer US-amerikanischen Börse zugelassen werden wollen, vgl. Pellens/Fülbier/Gassen, Internationale Rechnungslegung, S. 61; Claussen/Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 53. Aufgestellt werden die Rechnungslegungsregeln vom US-amerikanischen Rechnungslegungsgremium, dem Financial Standards Accounting Board (FASB), an den die SEC die Regulierungskompetenz 1973 übertragen hatte, Pellens/ Fülbier/Gassen, Internationale Rechnungslegung, S. 61; Kindler, in: Staub, HGB, Vor. § 290 Rn. 49; vgl. Kieso/Weygandt/Warfield, Intermediate accounting, 15. ed. 2013, S. 13. Wie auch bei den IAS/IFRS handelt es sich bei den US-GAAP nicht um gesetzliche Vorschriften oder sonstige Normen sondern eine Sammlung von Rechnungslegungsgrundsätzen, Claussen/ Scherer, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 290 Rn. 53. 629 EU-Kommission, Mitteilung „Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung – eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung“, KOM (95)508 vom 14. 11. 1995, Ziff. 5.2; van Hulle, Reform des europäischen Bilanzrechts, ZGR 2000, 537, 540; Buchner/Ernstberger/Friedl, Das Handelsrecht im Wandel, DB 2016, 11, 13.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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währleisten.“630 Aus diesem Grund verpflichtete Art. 4 der IAS-VO alle kapitalmarktorientierten europäischen Unternehmen zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach den internationalen Rechnungslegungsstandards. Die IAS-VO ergänzt mithin den Rechtsrahmen der Konzernbilanzrichtlinie, der auch kapitalmarktorientierte Unternehmen einschloss. Die einzelnen IAS wurden durch die Verordnung jedoch nicht ipso iure ins europäische Recht übernommen, sondern jeweils durch die Kommission anerkannt.631 b) Internationalisierung der EG-Bilanzrichtlinien Mit der Einführung der IAS-VO gingen allerdings Inkohärenzen zwischen den IAS und den EG-Bilanzrichtlinien sowie unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen für börsennotierte und nicht-börsennotierte Unternehmen im Hinblick auf den Einzel- und konsolidierten Konzernabschluss einher. Gerade am Beispiel der Bestimmung des Konsolidierungskreises offenbarte sich mögliches Konfusionspotential, da beherrschender Einfluss nach IAS 27 a. F. bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Konzernbilanzrichtlinie unabhängig voneinander entwickelt worden und damit nicht zwingend deckungsgleich waren. Im Falle einer Börsennotierung und damit Aufstellungspflicht nach der IAS-VO konnte dies zu einem anderen Konsolidierungskreis führen als im Falle eines nicht kapitalmarktorientierten Unternehmens.632 Letztere können zwar ebenfalls einen befreienden Abschluss nach IAS/IFRS aufstellen, vgl. § 315e Abs. 3 HGB.633 Diese Option ist jedoch fakultativ. Die Frage, ob überhaupt die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses besteht, ist indessen unabhängig von einer etwaigen Börsennotierung nach Maßgabe der in nationales Recht umgesetzten Vorschriften der EU-Bilanzrichtlinien zu beantworten, im deutschen Recht mithin nach § 290 HGB.634 Insoweit sind die Vor630 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards Nr. 1606/2002 vom 19. 7. 2002, ABl. EG Nr. L 243/1 vom 11. 9. 2002, Erwägungsgrund 3. 631 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 96 f.; Kommission der EG, Kommentar zu bestimmten Artikeln der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 sowie zur Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über Rechnungslegung, S. 4 ff., abrufbar unter: http://www.ifrs-portal.com/Dokumente/Framework_de.pdf, letzter Zugriff am 31. 5. 2019. 632 Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27, Rn. 79. 633 Bis zum 18. 4. 2017 war die fakultative Aufstellung eines Konzernabschlusses nach Internationalen Rechnungslegungsstandards in § 315a HGB a. F. geregelt. 634 Vgl. EU-Kommission, Kommentare zu bestimmten Artikeln der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Vierten Richtlinie 78/660/ EWG des Rates vom 25. Juli 1978 sowie zur Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über Rechnungslegung, Ziff. 3.1 f., S. 10, Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach,
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
gaben der IAS/IFRS für die Frage der Konzernabschlusspflicht zumindest für deutsche und europäische Unternehmen redundant.635 Davon zu unterscheiden ist jedoch die Bestimmung des Konsolidierungskreises, mithin der Umfang der von dem Konzernabschluss erfassten Unternehmen. Nach Beurteilung einer grundsätzlichen Konzernabschlusspflicht nach HGB bestimmt sich der Konsolidierungskreises entweder weiter nach § 290 HGB oder, sofern die Voraussetzungen von Art. 4 IASVO vorliegen, nach Internationalen Rechnungslegungsstandards.636 Bildlich ausgedrückt ist § 290 HGB als Einbahnstraße zu verstehen, die in einen Kreisel mit drei Ausfahrten mündet: Die erste Ausfahrt führt mangels Aufstellungspflicht direkt aus dem Kreisel heraus in eine Sackgasse. Die zweite Ausfahrt führt in die Prüfung nach HGB und die dritte führt zur Aufstellungspflicht nach IAS/IFRS. Ziel der sog. Modernisierungsrichtlinie war es daher, diese Inkohärenzen im Hinblick auf den Konsolidierungskreis zukünftig zu vermeiden.637 Dies kommt auch in den Erwägungsgründen der Richtlinie zum Ausdruck, in denen betont wird, wie wichtig es sei, „dass für Unternehmen der Gemeinschaft, die die IAS anwenden, und für solche, die dies nicht tun, gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen.“638 Mit der Modernisierungsrichtlinie sollten die bestehenden Unterschiede zwischen den IAS und dem europäischen Bilanzrecht beseitigt werden.639 c) Beherrschender Einfluss und Kontrolle in der Modernisierungsrichtlinie Mit dem Ziel der Anpassung an die IAS blieb das Wahlrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie im Zuge der Modernisierungsrichtlinie nicht unverändert. Nicht nur das Beteiligungskriterium wurde gestrichen. Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses insoweit modifiziert, als dieser zukünftig nicht mehr tatsächlich ausgeübt werden musste, um die Konzernabschlusspflicht zu begründen. Vielmehr genügte nun bereits die Möglichkeit zur Ausübung beherrschenden Einflusses aus.640 Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 6; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27, Rn. 79; Kraft/Link, Der Konsolidierungskreis nach HGB und IFRS, ZGR 2013, 514, 516. 635 Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27, Rn. 79; Eiter/Schubert, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung nach HGB und IFRS, IFRS Rn. 37. 636 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 6. 637 Asche, Europäisches Bilanzrecht, S. 95. 638 Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2003 (Modernisierungsrichtlinie), ABl. EU L 178/16 vom 17. 7. 2003, Erwägungsgrund 5. 639 Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2003 (Modernisierungsrichtlinie), ABl. EU L 178/16 vom 17. 7. 2003, Erwägungsgrund 15. 640 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen sowie Versicherungsunternehmen, KOM (2002) 259/2 v. 9. 7. 2002, S. 18, Art. 2.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Wenngleich der übrige Wortlaut des Wahlrechts in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie unverändert blieb, orientiert sich das Beherrschungskonzept seit der Modernisierungsrichtlinie an IAS 27 a. F. Diese Schlussfolgerung wird auch durch den neu eingefügten Kontrollbegriff in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Konzernbilanzrichtlinie als Alternative zum beherrschenden Einfluss belegt. Danach steht es den Mitgliedstaaten nunmehr frei u. a. einen konsolidierten Abschluss vorzuschreiben, wenn ein Mutterunternehmen „einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über ein anderes Unternehmen“ ausüben kann. Von Kontrolle auf ein anderes Unternehmen war in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie keine Rede. Auch in der englischen Sprachfassung ist beherrschender Einfluss nicht etwa als control sondern vielmehr dominant influence übersetzt. Die Einfügung des Kontrollbegriffs durch die Modernisierungsrichtlinie suggeriert daher, dass die Konzernabschlusspflicht neben dem Beherrschungsbegriff auch durch ein alternatives und insoweit inhaltlich abweichendes Einflusskonzept der Kontrolle begründet werden kann.641 Gleichwohl findet sich weder eine Definition noch ein sonstiger Hinweis im Normtext auf seinen Bedeutungsgehalt. Dies verwundert jedoch wiederum nicht, denn bei Kontrolle und beherrschendem Einfluss handelt es sich insoweit um identische Konzepte wie ein genauer Blick auf die IAS 27.4 a. F. verrät. Denn anders als in der englischen Sprachfassung der Konzernbilanzrichtlinie ist in der englischen Version der IAS 27.4 a. F. Beherrschung nicht mit dominant influence übersetzt sondern mit control.642 Während folglich in der deutschen Sprachfassung der Begriff des beherrschenden Einflusses mit der Terminologie in IAS 27.4 übereinstimmt, wäre in der englischen Richtlinienfassung ohne Einfügung des controlBegriffs unklar geblieben, dass die Modernisierungsrichtlinie eine Übernahme des control-Verständnisses des IAS 27 a. F. in die Konzernbilanzrichtlinie beabsichtigte, da diese abweichend von dominant influence spricht. Die Übernahme des controlBegriffs hat daher allein für die englische Sprachfassung die klarstellende Bedeutung, dass mit der Modernisierungsrichtlinie eine Übernahme des IAS Verständnisses von Beherrschung/Control ins europäische Konzernbilanzrecht vollzogen wurde. Das mit der Modernisierungsrichtlinie ins europäische Bilanzrecht übernommene internationale Beherrschungsverständnis blieb auch nach Ablösung der Konzernbilanzrichtlinie erhalten. Denn insoweit hat Art. 22 Abs. 2 lit. a) EU-Bilanzrichtlinie das ehemalige Wahlrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie vollständig übernommen. Die EU-Bilanzrichtlinie wurde im Zuge des BilRUG 2015 ins deutsche Recht umgesetzt, ohne dass es zu einer Novellierung des § 290 HGB gekommen ist.
641 Die englische Sprachfassung von Art. 1 Abs. 2 a) lautet: „that undertaking (a parent undertaking) has the power to exercise, or actually exercises, dominant influence or control over another undertaking (the subsidiary undertaking)“. 642 IAS 27.4 a. F. engl. Sprachfassung: „Control is the power to govern the financial and operating policies of an entity so as to obtain benefits from its activities.“
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
d) Zwischenfazit – von der Vielfalt zur Einheit beherrschenden Einflusses Lag der Konzernbilanzrichtlinie 1983 noch kein einheitliches Begriffsverständnis beherrschenden Einflusses zugrunde, änderte sich dies durch die Modifikation des Wahlrechts in Art. 1 Abs. 2 lit. a) im Zuge der Modernisierungsrichtlinie 2003. Das den Bilanzrichtlinien seither zu Grunde liegende Beherrschungsverständnis ist jedoch nicht Resultat einer Harmonisierung der divergierenden mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Vielmehr ist es das Ergebnis der Bestrebungen, einen Gleichklang zu den internationalen Rechnungslegungsstandards herzustellen, um den bisherigen Anerkennungsdefiziten des europäischen Konzernabschlusses entgegen zu wirken. Die Modernisierungsrichtlinie setzte sich zum Ziel, alle Unterschiede zwischen den EG-Bilanzrichtlinien und den IAS zu beseitigen.643 Für die Auslegung beherrschenden Einflusses im Wahlrecht der Konzernbilanzrichtlinie und auch im heute geltenden Art. 22 Abs. 2 lit. a) der EU-Bilanzrichtlinie644 ist daher auf das Beherrschungsverständnis in IAS 27 a. F. zu rekurrieren. 3. Konzernrechnungslegung nach IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. Für das Beherrschungsverständnis in § 290 HGB sind die internationalen Rechnungslegungsstandards von doppelter Relevanz. Wie bereits aufgezeigt, strebte der deutsche Gesetzgeber im Zuge des BilMoG selbst ausdrücklich die Übernahme des international vorherrschenden Beherrschungskonzepts an.645 Die Anpassung an die internationalen Rechnungslegungsvorschriften durch das HGB konnte jedoch nur soweit reichen, wie dies im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung möglich ist. Denn § 290 HGB ist europarechtlich überlagert und steht unter Vorbehalt der EU-Bilanzrichtlinie, gegen deren zwingende Vorgaben und Begriffsverständnis eine Abweichung nicht möglich ist.646 Angesichts der aufgezeigten Orientierung der EU-Bilanzrichtlinie am Beherrschungsbegriff des IAS 27 a. F. steht allerdings der unmittelbaren Auslegung des § 290 HGB im Lichte von IAS 27 a. F. nichts entgegen, obwohl Letzterer systematisch erst über den „Umweg“ der EUBilanzrichtlinie Einzug ins HGB findet. Die folgende Untersuchung der Voraus-
643 Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2003 (Modernisierungsrichtlinie), ABl. EU L 178/16 vom 17. 7. 2003, Erwägungsgrund 15. 644 Richtlinie 2013/34/EU vom 26. 6. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 182/19 v. 26. 6. 2013. 645 Siehe oben S. 143 ff. Begr. Rechtsausschuss zum BilMoG, BT-Drucks. 16/12407 vom 24. 3. 2009, S. 89; Link, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung nach HGB und IFRS, § 290 Rn. 10. 646 Vgl. Küting/Koch, in: Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, S. 377, 382.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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setzungen beherrschenden Einflusses beginnt mit einer Skizzierung des Verhältnisses von IAS 27 a. F., SIC 12 a. F. und IFRS 10 (a)). Dieser schließt sich eine Vorstellung des IAS 27 a. F. und ein Überblick über dessen Regelungssystematik an (b)). Darauf aufbauend sind die Voraussetzungen des Beherrschungsverständnisses der internationalen Rechnungslegungsstandards zu untersuchen (c)). a) Das Verhältnis von IAS 27 a. F., SIC 12 a. F. und IFRS 10 Seit der Verabschiedung des BilMoG auf dem Höhepunkt der letzten Finanzkrise haben sich die internationalen Rechnungslegungsstandards weiterentwickelt. IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. über konsolidierte Abschlüsse und die Erfassung von Zweckgesellschaften wurden abgelöst durch IFRS 10, der ein einheitliches Konsolidierungskonzept vorsieht und nicht mehr zwischen „normalen“ Unternehmen und Zweckgesellschaften unterscheidet.647 Mit Verordnung Nr. 1254/2012 vom 11. Dezember 2012 wurde IFRS 10 ins europäische Recht übernommen und gilt verpflichtend seit dem 1. Januar 2014 innerhalb der EU.648 Börsennotierte Unternehmen, die nach Art. 4 IAS-VO bisher zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach IAS 27 a. F. verpflichtet waren, müssen diesen nach Maßgabe des IFRS 10 aufstellen. Zwar spricht auch IFRS 10 von beherrschendem Einfluss. Dieser bemisst sich nach IFRS 10.6 derweil an der Möglichkeit aus der Verfügungsgewalt über das beherrschte Unternehmen zumindest schwankende Renditen zu generieren bzw. diese zu beeinflussen. Damit weicht das Beherrschungsverständnis von IFRS 10 vom Konzept des IAS 27 a. F. nicht unerheblich ab. In der Folge unterscheiden sich auch der Wortlaut der HGB-Vorschriften und der EU-Bilanzrichtlinie (Art. 22 Abs. 2 lit. a)), die sich am bisherigen Beherrschungskonzept von IAS 27 a. F. orientieren, erneut vom international geltenden Rechnungslegungsstandard.649 Denn Art. 22 Abs. 2 lit. a) EU-Bilanzrichtlinie geht nicht so weit, als das dort zugrundeliegende Beherrschungsverständnis als dynamischer Verweis auf den jeweils aktuellen internationalen Rechnungslegungsstandard ausgestaltet ist. Eine solch weitgehende automatische Angleichung sah weder die Modernisierungsrichtlinie noch die geltende EU-Bilanzrichtlinie vor.
647
Eiter/Schubert, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung nach HGB und IFRS, IFRS, Rn. 44. 648 Verordnung (EU) Nr. 1254/2012 der Kommission vom 11. 12. 2012 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf International Financial Reporting Standard 10, International Financial Reporting Standard 11, International Financial Reporting Standard 12, International Accounting Standard 27 (2011) und International Accounting Standard 28 (2011), ABl. EU Nr. L 360/1 v. 11. 12. 2012. 649 Link, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung nach HGB und IFRS, § 290 Rn. 10.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Aus diesem Grund ging auch dem BilRUG 2015, welches die EU-Bilanzrichtlinie in nationales Recht umsetzte, keine Novellierung des § 290 HGB einher, da insoweit keine Anpassung an IFRS 10 vorgenommen worden ist. Abzuwarten bleibt, ob sich § 290 HGB in den nächsten Jahren durch eine Gesetzesänderung wieder an die geltenden Internationalen Rechnungslegungsstandards annähert.650 Dies setzt allerdings zunächst eine Anpassung des Beherrschungswahlrechts in Art. 22 Abs. 2 lit. a) EU-Bilanzrichtlinie voraus. Letztere wurde jedoch erst im Juni 2013 erlassen,651 sodass eine Annäherung an die IFRS 10 auf europäischer und anschließend nationaler Ebene kurzfristig nicht zu erwarten ist. Aus diesem Grund sind die IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. weiterhin als Grundlage für das geltende Beherrschungsverständnis in Art. 22 Abs. 2 lit. a) EU-Bilanzrichtlinie und damit auch für § 290 HGB heranzuziehen. Bei der folgenden Untersuchung bleibt SIC 12 a. F. gleichwohl weitgehend außer Betracht. Zwar kam der Erfassung von Zweckgesellschaften im Zuge des BilMoG eine maßgebliche Bedeutung zu. Für die Untersuchung des Beherrschungsverständnisses erübrigen sich gesonderte Ausführungen zu SIC 12 a. F. zur speziellen Erfassung von Zweckgesellschaften, da diese aufgrund ihres sehr eng begrenzten Anwendungsbereiches keine Rückschlüsse auf das allgemein gültige Beherrschungsverständnis eröffnen. b) Regelungssystematik von IAS 27 a. F. Bis zur Ablösung durch IFRS 10 regelte IAS 27 a. F. (Consolidated and Separate Financial Statements) die Konzernrechnungslegung sowie die Bilanzierung von Anteilen an Tochterunternehmen im Einzelabschluss.652 Der Schwerpunkt des Standards galt der Konzernrechnungslegung, insbesondere der Konzernabschlusspflicht und der Regelung des Konsolidierungskreises.653 Darüber hinaus legte er, ergänzt von IFRS 3, die wichtigsten Standards zur Konsolidierung von MutterTochter-Beziehungen fest.654 Wie bereits zuvor erwähnt, bediente sich IAS 27 a. F. zur Erfassung des die Konzernabschlusspflicht auslösenden Mutter-Tochter-Verhältnisses von Unterneh650
So Link, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung nach HGB und IFRS, § 290 Rn. 10. Vgl. Richtlinie 2013/34/EU vom 26. 6. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 182/ 19 v. 26. 6. 2013. 652 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 6; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 1. 653 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 1; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 6. 654 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 2. 651
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
165
men dem Konzept der Beherrschungsmöglichkeit bzw. control in der englischen Sprachfassung. Wie in § 290 HGB wird das beherrschte Unternehmen als Tochter-, das herrschende Unternehmen als Mutterunternehmen bezeichnet.655 Sofern eine Beherrschungsmöglichkeit und damit ein Mutter-Tochter-Verhältnis vorliegt, besteht nach IAS 27.9 a. F. grundsätzlich eine Konzernabschlusspflicht durch das Mutterunternehmen. Dabei sind nach IAS 27.12 a. F. alle Tochterunternehmen in den Konsolidierungskreis einzubeziehen. Beherrschung (control) ist in IAS 27.4 a. F. innerhalb eines eigenen Definitionsabschnitts, 27.4 – 27.8, losgelöst von etwaigen Rechtsfolgen, abstrakt definiert als Möglichkeit, die Finanz- und Geschäftspolitik eines Unternehmens zu bestimmen, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen.656 Grundsätzlich ausreichend nach dem Wortlaut (engl. Sprachfassung: power to govern) ist bereits die Möglichkeit zur Einflussausübung. Auf eine tatsächliche Einflussnahme kommt es nicht an.657 Eine nähere Konkretisierung erfährt der Beherrschungsbegriff im Abschnitt über die Bestimmung des Konsolidierungskreises, IAS 27.12 – 27.17 a. F. Unterschieden wird dabei zwischen zwei Fallgruppen, der Beherrschung durch Stimmrechtsmehrheit (aa)) und der Beherrschung ohne Stimmrechtsmehrheit (bb)). aa) Stimmrechtsmehrheit, IAS 27.13 S. 1 a. F. Nach IAS 27.13 a. F. wird Beherrschung zunächst im Falle einer direkten oder indirekten Stimmrechtsmehrheit des Mutterunternehmens angenommen.658 Rechnerisch ist der Stimmrechtsanteil aus dem Quotienten der direkt und indirekt gehaltenen Stimmrechte und der insgesamt verfügbaren Stimmrechte zu ermitteln.659
655
Vgl. Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 4. Engl. Sprachfassung von IAS 27.4 in Bezug auf control: „Control is the power to govern the financial and operating policies of an entity so as to obtain benefits from its activities.“ Auf diese Definition zum beherrschenden Einfluss rekurriert bereits die Gesetzesbegründung des Rechtsausschusses zum BilMoG 2009, wodurch die Intention einer vollumfänglichen Angleichung an IAS 27 unterstrichen wurde. Hierzu siehe Begr. Rechtsausschuss zum BilMoG, BT-Drucks. 16/12407 vom 24. 3. 2009, S. 89, bereits oben S. 143 f. 657 Vgl. Implementation Guidlines (IG) 2 zu IAS 27: „In these contexts, power refers to the ability to do or effect something. Consequently, an entity hat control, joint control or significant influence when it currently has the ability to excercise that power, regardless of whether control, joint control or significant influence is actively demonstrated or passive in nature“; Watrin/ Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 31; Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 4. 658 IAS 27.13: Eine Beherrschung wird dann angenommen, wenn das Mutterunternehmen entweder direkt oder indirekt über Tochterunternehmen über mehr als die Hälfte der Stimmrechte eines Unternehmens verfügt, es sei denn, unter außergewöhnlichen Umständen lässt sich eindeutig nachweisen, dass ein derartiger Besitz keine Beherrschung begründet. Watrin/ Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 32. 659 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 15; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 656
166
2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Eine Beherrschung ist nach dem Wortlaut in IAS 27.13 a. F. trotz Stimmrechtsmehrheit nicht anzunehmen, wenn sich in außergewöhnlichen Umständen eindeutig nachweisen lässt, dass der Besitz der Stimmrechtsmehrheit keine Beherrschung begründet. Die Beherrschungsvermutung ist mithin widerlegbar.660 Welche genauen Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung zu stellen sind, lässt sich IAS 27.13 a. F. nicht eindeutig entnehmen. Zur Orientierung kann jedoch auf IAS 27.21 a. F. zurückgegriffen werden. Danach beherrscht ein Mutterunternehmen ein Tochterunternehmen nicht, wenn es nicht mehr in der Lage ist, dessen Finanz- und Geschäftspolitik zu bestimmen, um aus seiner Tätigkeit Nutzen zu ziehen. Zu berücksichtigen ist für die Widerlegung der Beherrschung trotz Stimmrechtsmehrheit, dass der Verlust der Beherrschung ohne Änderung der absoluten oder relativen Eigentumsverhältnisse eintreten kann, vgl. IAS 27.21 S. 2. a. F. Demzufolge gilt die vermutete Beherrschung als widerlegt, wenn aufgezeigt wird, dass trotz absoluter Stimmrechtsmehrheit ein beherrschender Einfluss nicht ausgeübt werden kann. Eine Möglichkeit, die Beherrschungsvermutung zu widerlegen, können Satzungsbestimmungen sein, nach denen alle wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen ein höheres Quorum als die absolute Stimmrechtsmehrheit voraussetzen.661 Die Möglichkeit zur Nutzenziehung kann jedoch auch allein durch vertragliche Vereinbarung zwischen Mutter- und Tochterunternehmen ausgeschlossen werden. Diese Möglichkeit benennt IAS 27.32 S. 3 a. F. ausdrücklich.662 Zu denken ist hier etwa an einen Entherrschungsvertrag nach aktienrechtlichem Vorbild, der ebenfalls geeignet ist, die Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs. 2 AktG zu widerlegen.663 Schließlich kann die Beherrschungsvermutung aufgrund einer Stimmrechtsmehrheit auch dann wiederlegt werden, wenn ein anderes Unternehmen faktisch beherrschenden Einfluss ausüben kann. Denn aus den IAS 27.IG4 a. F. folgt, dass beherrschender Einfluss nur durch ein Unternehmen ausgeübt werden kann.664 Sofern also ein anderes Unternehmen über eine faktische Beherrschungsmöglichkeit
27 Rn. 34; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 16. 660 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 25; Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 16; Pellens/Amshoff/Schmidt, in: Küting/Pfitzer/Weber (Hrsg.), IFRS und BilMoG, S. 75, 81; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 25. 661 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 16. 662 IAS 27.32 S. 3: Auch vertragliche Vereinbarungen könnten ein Grund sein. 663 Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 35; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 28; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 109; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 22; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 99. 664 Implementation Guidance 4 S. 5: „Furthermore, the definition of control in paragraph 4 of IAS 27 permits only one entity to have control of another entity.“
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
167
verfügt, kann für das Unternehmen mit Stimmrechtsmehrheit die Beherrschungsvermutung widerlegt werden.665 bb) Beherrschung ohne Stimmrechtsmehrheit, IAS 27.13 S. 2 a. F. (1) Beherrschung ohne eigene Stimmrechte Außer im Fall der absoluten Stimmrechtsmehrheit liegt nach IAS 27.13 S. 2 a. F. ebenfalls Beherrschung vor, wenn das Mutterunternehmen zwar nur über die Hälfte oder weniger als die Hälfte der Stimmrechte eines anderen Unternehmens verfügt, faktisch jedoch zumindest eine der in IAS 27.13(a) – (d) a. F. genannten Einflussmöglichkeiten vorliegt.666 Ob neben den genannten Einflussmöglichkeiten (a) – (d) das potentielle Mutterunternehmen per se im Besitz von Stimmrechten sein muss, geht aus IAS 27.13 a. F. nicht eindeutig hervor. Das überwiegende Schrifttum setzt den formellen Besitz von Stimmrechten nicht voraus. Vielmehr komme es auf die in IAS 27.13(a) – (d) a. F. enthaltenen Beherrschungsmöglichkeiten an.667 Dem ist zuzustimmen. Unter „die Hälfte oder weniger als die Hälfte der Stimmrechte an einem Unternehmen“ lässt sich ohne weiteres auch das Fehlen sämtlicher Stimmrechte subsumieren. Aus formellen Gründen die Inhaberschaft von zumindest einer stimmberechtigten Aktie für die faktische Beherrschung zu verlangen, ist mit Blick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise und das marginale Einflusspotential abzulehnen. 665
Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 16. 666 Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 8; Baetge/ Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 27. IAS 27.13 S. 2: Eine Beherrschung liegt ebenfalls vor, wenn das Mutterunternehmen die Hälfte oder weniger als die Hälfte der Stimmrechte an einem Unternehmen hält, gleichzeitig aber die Möglichkeit hat, (a) kraft einer mit anderen Eigentümern geschlossenen Vereinbarung über mehr als die Hälfte der Stimmrechte zu verfügen; (b) gemäß einer Satzung oder einer Vereinbarung die Finanz- und Geschäftspolitik des Unternehmens zu bestimmen; (c) die Mehrheit der Mitglieder der Geschäftsführungs- und/oder Aufsichtsorgane zu ernennen oder abzuberufen, wobei die Verfügungsgewalt über das andere Unternehmen bei diesen Organen liegt; oder die Mehrheit der Stimmen bei Sitzungen der Geschäftsführungs- und/ oder Aufsichtsorgane oder eines gleichwertigen Leitungsgremiums zu bestimmen, wobei die Verfügungsgewalt über das andere Unternehmen bei diesen Organen liegt. 667 „IAS 27 paragraph 12 [IAS 27 (1990)] does not seem to require the parent to have any ownership interest in the subsidiary at all.“ PriceWaterhouseCoopers, Understanding IAS, 2. ed. 1998, IAS 27 Rn. 27.11; Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 16; vgl. Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 43; vgl. Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Pellens/Amshoff/Schmidt, in: Küting/Pfitzer/Weber (Hrsg.), IFRS und BilMoG, S. 75, 82.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
(2) Strukturelle Merkmale der Einzeltatbestände in IAS 27.13 a. F. Im Gegensatz zu der widerleglichen Beherrschungsvermutung aufgrund Stimmrechtsmehrheit geht die überwiegende Ansicht in der Literatur von der Unwiderleglichkeit der Beherrschung ohne Stimmrechtsmehrheit aus.668 Dem ist mit Blick auf den insoweit eindeutigen Wortlaut zuzustimmen: Während IAS 27.13 S. 1 a. F. bei Stimmrechtsmehrheit Beherrschung lediglich vermutet („(e)ine Beherrschung wird dann angenommen, (…)“), wird diese bei den Einflussmöglichkeiten ohne Stimmenmehrheit nach IAS 27.13 S. 2 a. F. vorausgesetzt („Beherrschung liegt ebenfalls vor, (…)“).669 Gleichwohl ist zu beachten, dass dem Beherrschungsverständnis eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde liegt, sog. substance over form.670 Diese kommt bereits in der Widerleglichkeit der Beherrschung bei Besitz der Stimmrechtsmehrheit zum Ausdruck, in Fällen, in denen die Möglichkeit zur tatsächlichen Beherrschung (power to govern) gar nicht besteht.671 Für die Beherrschungsmöglichkeiten ohne Stimmrechtsmehrheit in IAS 27.13 a. F. kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Sofern eine der aufgeführten Positivindikatoren erfüllt ist, wird Beherrschung zwar unwiderlegbar angenommen. Nach der hier vertretenen Auffassung liegen die in IAS 27.13(a) – (d) a. F. genannten Einflussmöglichkeiten allerdings nur dann vor, wenn mit ihnen eine tatsächliche, mithin materielle Beherrschungsmöglichkeit einhergeht.672 Denn nur so lässt sich die wirtschaftliche Betrachtungsweise gewährleisten ohne gleichzeitig eine Widerlegbarkeit der in IAS 27.13(a) – (d) a. F. aufgezählten Einflussmöglichkeiten contra legem anzunehmen. Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, ob die in IAS 27.13(a) – (b) a. F. genannten Tatbestände abschließend oder erweiterbar sind. So geht ein wesentlicher Teil des einschlägigen Schrifttums davon aus, dass die dort genannten Positivindi-
668 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 12; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 42; Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, 8. Aufl. 2009, S. 122; Pellens/Amshoff/Schmidt, in: Küting/Pfitzer/Weber (Hrsg.), IFRS und BilMoG, S. 75, 82; Pellens/Fülbier/Gassen, Internationale Rechnungslegung, S. 154; Heuser/ Theile, IAS-Handbuch, S. 314. A. A. Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Küting/Gattung/Keßler, Zweifelsfragen zur Konzernrechnungslegungspflicht (Teil II), DStR 2006, 579, 581 f. 669 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 12. 670 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 37; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Heuser/Theile, IASHandbuch, S. 314. 671 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28. 672 So auch Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 9.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
169
katoren gerade nicht abschließender Natur sind.673 Nach Baetge, Kirsch und Thiele stellten die alternativen Einflussmöglichkeiten lediglich „potentielle Ausprägungen von Beherrschung“ dar.674 In Konsequenz komme die Begründung einer Beherrschungsmöglichkeit und damit eines Mutter-Tochter-Verhältnisses auch in Fällen in Betracht, in denen die Voraussetzungen in IAS 27.13(a) – (d) a. F. zwar nicht erfüllt sind, wohl aber den Anforderungen der abstrakten Definition von Beherrschung in IAS 27.4 a. F. genügen.675 Als Beleg einer vermeintlichen Erweiterbarkeit der Einflussmöglichkeiten nach IAS 27.13(a) – (d) a. F. wird teilweise auf die Möglichkeit einer de facto control aufgrund einer Präsenzmehrheit in der Hauptversammlung verwiesen. Diese erfülle die Voraussetzungen nach IAS 27.4, sei jedoch nicht von den Indikatoren in IAS 27.13 a. F. erfasst.676 Dieses Beispiel spräche allerdings gerade gegen die Erweiterbarkeit der in IAS 27.13(a) – (d) a. F. genannten Indikatoren. Übersehen wird, dass die Präsenzmehrheit – zumindest im deutschen Aktienrecht – regelmäßig die Möglichkeit eröffnet, die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrates (und mittelbar des Vorstandes) zu bestimmen, sodass bereits IAS 27.13(c) a. F. einschlägig ist und sich die Frage einer Erweiterung der Indikatoren nicht stellt.677 Ähnliches gilt für die Erfassung von Zweckgesellschaften, für deren bilanzielle Erfassung das Standing Interpretations Committee (SIC) bereits 1998 die Interpretation Nr. 12 beschlossen hat. Diese ergänzt IAS 27 a. F. im Hinblick auf die Erfassung von Zweckgesellschaften. Nach SIC 12.8 a. F. ist eine Special Purpose Entity (SPE) zu konsolidieren, „wenn die wirtschaftliche Betrachtung des Verhältnisses zwischen einem Unternehmen und der SPE 673 Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. § 315a, 6. A. Rn. 12; Pellens/Amshoff/ Schmidt, in: Küting/Pfitzer/Weber (Hrsg.), IFRS und BilMoG, S. 75, 82; Watrin/Hoehne/ Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Baetge/ Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28; Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 123; in der Tendenz auch PriceWaterhouseCoopers, Understanding IAS, 2. ed. 1998, IAS 27 Rn. 27.11. A. A. in der Tendenz wohl Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 37: „Die zentrale Frage, ob überhaupt eine Konzernabschlusspflicht (nach IAS 27) besteht und welche Unternehmen in den Konzernabschluss einzubeziehen sind, kann nicht beliebiger Interpretation des Begriffs der ,Möglichkeit‘ überlassen werden.“ 674 Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 123; so auch bereits Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28. 675 Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 123; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/ Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 30, 39; PriceWaterhouseCoopers, Understanding IAS, 2. ed. 1998, IAS 27 Rn. 27.11. 676 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 55; Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 123. 677 Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 315. Das IASB hat die Möglichkeit zur Beherrschung durch Präsenzmehrheit im Rahmen einer informellen Stellungnahme bestätigt, IASB, Update Oktober 2005, S. 2.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
zeigt, dass die SPE durch das Unternehmen beherrscht wird.“678 Wäre IAS 27.13 a. F. nicht abschließend, hätte es SIC 12 a. F. nicht bedurft. Vielmehr hätte sich die bilanzielle Erfassung von Zweckgesellschaften im Wege der Rechtsfortbildung ergeben können und müssen. Dass insoweit IASB und SIC die Erfassung von SPEs ausdrücklich kodifiziert und IAS 27 a. F. ergänzt haben, verdeutlicht ihre ausschließliche Zuständigkeit zur Standardsetzung. Bereits aus Gründen der Rechtssicherheit sind daher zutreffender Weise die in IAS 27.13 a. F. genannten Einflussmöglichkeiten als abschließend anzusehen. c) Voraussetzungen beherrschenden Einflusses nach IAS 27.13 a. F. Aus der abschließenden Aufzählung der konkretisierten Einflussmöglichkeiten in IAS 27.13 a. F. lassen sich allgemeine Voraussetzungen der Beherrschung im Sinne des IAS 27.4 a. F. ableiten. Voranzustellen ist, dass die Anforderungen der Beherrschungsdefinition in IAS 27.4 a. F. durch jede der in IAS 27.13 a. F. genannten Einflussmöglichkeiten erreicht werden. Aus diesem Grund lassen sich sowohl Mindestanforderungen als auch Grenzen beherrschenden Einflusses formulieren. Aus Gründen der Vergleichbarkeit der Beherrschungskonzepte folgt die Untersuchung für die Abgrenzung der einzelnen Parameter beherrschenden Einflusses dem aktienrechtlichen Untersuchungsaufbau beginnend mit der Beleuchtung des Einflussumfangs ((aa)), gefolgt von der Einflussintensität ((bb)), der Einflussbeständigkeit ((cc)) und schließlich der Erörterung der zulässigen Einflussgrundlagen ((dd)). aa) Umfang beherrschenden Einflusses Der Einflussumfang gibt Aufschluss über den Objektbereich des Einflusses.679 Die Definition der Beherrschung in IAS 27.4 a. F. liefert den zentralen Anknüpfungspunkt für den sachlichen Gegenstandsbereich. Danach ist Beherrschung die Möglichkeit die Geschäfts- und Finanzpolitik eines Unternehmens zu bestimmen, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen. In welcher Form Mutterunternehmen die Möglichkeit haben müssen, Nutzen zu ziehen, führt IAS 27.4 a. F. nicht weiter aus.680 Auszugehen ist jedoch von einem grundsätzlich weiten Nutzungsverständnis, um den Konsolidierungskreis nicht einzuengen und Mutterunternehmen gerade die Möglichkeit zu eröffnen, durch formell-rechtliche Gestaltung die Konzernabschlusspflicht zu umgehen.
678
SIC 12 a. F. Tz. 8, abgedruckt in: Zülch, International Financial Reporting Standards (IFRS) 2009, S. 1112. 679 Zum Aktienrecht vgl. Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 27. 680 Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Unter Nutzen im Sinne der Vorschrift ist daher nicht nur der Zufluss finanzieller Mittel zu verstehen, sondern auch das Erlangen sonstiger Vermögenswerte in Form von Kostenersparnissen, Wettbewerbschancen oder die Verringerung von Wettbewerb.681 Damit ist unter Nutzenziehung jeder rechtliche Vorteil zu subsumieren. Der Fokus der vorausgesetzten Entscheidungsmacht untergliedert sich derweil in die Einflussbereiche Geschäfts- und Finanzpolitik. Die Entscheidungsmacht muss sich auf beide Bereiche erstrecken können.682 Was darunter jedoch im konkreten Fall zu verstehen ist, lässt sich der Definition in IAS 27.4 a. F. selbst nicht entnehmen und wird auch im einschlägigen Schrifttum nicht weiter erörtert.683 Daher erscheint nicht unvertretbar zunächst jeden Geschäftsvorgang, angefangen vom operativen Tagesgeschäft über Kapitalmaßnahmen, Satzungsänderungen und sonstigen Grundlagenbeschlüssen bis hin zur Änderung des Gesellschaftszweckes unter die Geschäftsund Finanzpolitik zu subsumieren. Abgesehen vom Szenario einer Tochtergesellschaft, die im Alleinbesitz der Muttergesellschaft steht, erscheint jedoch keine Einflussgrundlage ersichtlich, die geeignet ist, ein solch breites Spektrum abzudecken.684 Für die nähere Bestimmung des Einflussumfangs sind daher die in IAS 27.13 a. F. genannten Einflussmöglichkeiten auf Reichweite und Grenzen zu untersuchen, um so ein konturiertes Bild von der Geschäfts- und Finanzpolitik im Sinne des IAS 27.4 a. F. zu erhalten. Auszugehen ist zunächst von der absoluten Stimmrechtsmehrheit ((1)), gefolgt von der Möglichkeit zur mehrheitlichen Besetzung der Leitungs- bzw. Aufsichtsorgane bzw. der dortigen Stimmrechtsmehrheit ((2)). Schließlich ist auf den durch Vertrag oder Satzung vermittelten Einflussumfang
681 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 12; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29, 122. Verhindert wird die Beherrschung mangels Nutzenziehung im Sinne von IAS 27.4 etwa im Falle treuhänderisch gehaltener Anteile gegenüber dem Treuhänder, Wüstemann/ Küting, in: Staub, HGB, Anh. 315a Rn. 5; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRSKommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 8; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29. 682 Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. 315a 6. A. Rn. 5; Küting/Koch, in: Küting/ Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, S. 377, 387. 683 Insoweit unklar, Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 314; Lüdenbach, in: Hoffmann/ Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 8; Kirsch, Einführung in die internationale Rechnungslegung nach IFRS, S. 191; Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 122; Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 4; Pellens/Fülbier/Gassen, Internationale Rechnungslegung, S. 149; Watrin/Hoehne/ Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 9; Tschesche, IAS-Konzernabschlüsse, S. 90. Verwiesen sei anlässlich dieser Ausführungen auf die Kritik Hensslers, dass das Bilanzrecht samt seiner Kommentierungen seit langem den Wirtschaftswissenschaftlern überlassen wird, Henssler, in: Festschrift für Wolfgang Zöllner, S. 203 mit Verweis auf Hoffmann/ Sauter, Der Jahresabschluß der KG als Exerzierfeld einer Bilanzrechtsrevolution, DStR 1996, 967; siehe auch Claussen, Konzernabschluß vs. Einzelabschluß, ZGR 2000, 604, 619 Fn. 57. 684 Vgl. nur § 33 Abs. 1 S. 2 BGB, der für eine Änderung des Gesellschaftszwecks die Zustimmung aller Aktionäre voraussetzt; Koch, in: Hüffer/Koch, § 179 Rn. 33.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
einzugehen ((3)), bevor aus der Summe der untersuchten Einflusskonstellationen der Einflussumfang zusammenfassend bestimmt werden kann ((4)). (1) Einflussumfang der Stimmrechtsmehrheit In der AG ermöglicht die Mehrheit der Stimmrechte im Regelfall Beschlüsse durchzusetzen oder zu blockieren. Grundsätzlich setzt die Beschlussfassung in der Hauptversammlung nur die einfache Stimmenmehrheit gem. § 133 Abs. 1 AktG voraus, die im Fall der absoluten Stimmrechtsmehrheit nach IAS 27.13 a. F. stets erfüllt wird. Der Einflussumfang richtet sich im Fall der Stimmrechtsmehrheit nach dem Wirkbereich der Hauptversammlung. Deren geschriebene Kompetenzen sind zunächst in § 119 Abs. 1 AktG aufgeführt, von denen besonders die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern (Nr. 1 i. V. m. § 101 AktG), die Verwendung des Bilanzgewinns (Nr. 2 i. V. m. § 175 AktG), Satzungsänderungen (Nr. 5 i. V. m. § 179 AktG) sowie Kapitalmaßnahmen (Nr. 6 i. V. m. §§ 182 ff. AktG) hervorzuheben sind. Wie im Umkehrschluss aus § 119 Abs. 2 AktG zu folgern ist, fallen Maßnahmen der Geschäftsführung grundsätzlich nicht in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung, vgl. auch § 76 Abs. 1 AktG.685 Die Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung eröffnet daher regelmäßig keinen Einfluss auf das operative Tagesgeschäft. Nicht ausgeschlossen ist damit eine Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung per se. Diese kann durch Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung zumindest mittelbar durch die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrates erreicht werden, § 101 Abs. 1 AktG, die wiederum ihrerseits den Vorstand bestellen, § 84 Abs. 1 AktG. Daneben sind noch einige verstreute Zuständigkeiten zu beachten, wie die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern gem. § 103 Abs. 1 AktG, der Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Vermögens der AG, § 179a AktG, dem Squeeze-out, § 327a AktG, Umwandlungen nach dem UmwG, §§ 13, 193 UmwG, dem Abschluss von Unternehmensverträgen, § 293 AktG sowie einem eingeschränkt möglichen Verzicht auf Ansprüche der Gesellschaft gegen Gründer und Organmitglieder, §§ 50, 93 IV AktG.686 Für den Einflussumfang des IAS 27.13 a. F. sind allerdings nur die Kompetenzen der Hauptversammlung zu berücksichtigen, die mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden können. Beherrschender Einfluss setzt daher nicht die Möglichkeit zur Durchsetzung von Beschlüssen voraus, die eine qualifizierte Mehrheit, etwa von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenden Grundkapitals erfordern.687 Aus diesem Grund vom Umfang beherrschenden Einfluss nach IAS 27.13 a. F. ausgeschlossen sind die Möglichkeiten zu Satzungs685 Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 837 f.; Saenger, Gesellschaftsrecht, S. 313; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 119 Rn. 1; Koch, in: Hüffer/Koch, § 119 Rn. 1. 686 Auflistung bei Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 471; Koch, in: Hüffer/Koch, § 119 Rn. 9; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 119 Rn. 13. 687 Zu den Voraussetzungen von Grundlagenbeschlüssen, Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 494; Saenger, Gesellschaftsrecht, S. 315; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 848.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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änderungen, Kapitalmaßnahmen, der Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, der Eingliederung, Umwandlung oder Auflösung der Gesellschaft sowie zum Abschluss von Unternehmensverträgen. (2) Einflussumfang durch Vertrag oder Satzungsbestimmung Neben der Beherrschung durch Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung sieht IAS 27.13(b) auch die Beherrschung des Tochterunternehmens durch Satzung oder Vereinbarung vor. Für die Frage des Einflussumfangs liefert diese Erkenntnis allerdings kein weiteres Puzzleteil. Denn nach IAS 27.13(b) liegen die Voraussetzungen einer Beherrschung nur dann vor, sofern per Satzung oder Vereinbarung die „Finanz- und Geschäftspolitik“ des Unternehmens bestimmt werden kann. Deren Parameter zu ermitteln, ist jedoch gerade Gegenstand dieses Untersuchungsabschnitts. Welche Anforderungen folglich an die Satzung oder an die Vereinbarung im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich aus IAS 27.13(b) a. F. selbst nicht ableiten. Beide Varianten geben vielmehr Aufschluss über die zulässige Einflussgrundlage, die jedoch getrennt zu erörtern ist. Eingeschränkt werden kann deren vorauszusetzende Einflussreichweite nach vorstehenden Ausführungen insoweit, als die Einflussmöglichkeiten durch Satzung oder Vereinbarungen nicht weiter gehen müssen, als durch Stimmrechtsmehrheit in den einzelnen Gesellschaftsorganen erreicht werden kann.688 Inwieweit Satzungsbestimmungen oder Vereinbarungen, welche die ermittelten Voraussetzungen beherrschenden Einflusses erfüllen, mit Blick auf § 23 Abs. 5 AktG zulässig bzw. wirksam sind, ist eine Frage der Einflussgrundlage und wird in den folgenden Abschnitten eingehender beleuchtet. (3) Einflussumfang der Mehrheit im Leitungs- oder Aufsichtsorgan (a) Leitungsorgan Schließlich liegt beherrschender Einfluss auch vor, wenn das Mutterunternehmen die Möglichkeit hat, die Mehrheit der Mitglieder der Geschäftsführungs- und/oder Aufsichtsorgane zu ernennen, IAS 27.13(c) a. F., bzw. die Mehrheit der Stimmen in diesen Gremien zu bestimmen, IAS 27.13(d) a. F. Im Unterschied zur Hauptversammlung obliegt dem Vorstand sowohl die Geschäftsführung, § 77 Abs. 1 AktG, als auch Leitung der AG, § 76 Abs. 1 AktG. In dieser Kompetenzzuweisung kommt die strikte Trennung von Inhaberschaft und Leitung in der AG zum Ausdruck.689 Der Vorstand leitet die Gesellschaft unter eigener Verantwortung, selbständig und wei688 Dies gilt auch für den Beherrschungsvertrag, § 293 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AktG. Dieser sieht ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand des Tochterunternehmens vor, § 308 Abs. 1 AktG. Dies ist jedoch nicht notwendige Voraussetzung. So vermag eine Stimmrechtsmehrheit weder in der Hauptversammlung noch im Leitungs- oder Aufsichtsorgan ein unmittelbares Weisungsrecht zu begründen, führt jedoch gleichwohl zur Beherrschung der Gesellschaft. 689 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 103. Diese Trennung wurde bereits mit dem Aktienrecht 1937 eingeführt. Zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung ausführlich Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 627 ff.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
sungsfrei.690 Was genau unter den Leitungsbegriff fällt, wird vom Gesetz nicht näher ausgeführt.691 Neben den gesetzlich zugewiesenen Leitungskompetenzen692 umfasst die Leitung die strategischen Führungsfunktionen der Gesellschaft.693 Darunter fallen im Sinne einer typologischen Betrachtung exemplarisch Maßnahmen der Unternehmensplanung und Unternehmensstrukturierung einschließlich der „Festlegung der Leitlinien der Markt-, Produkt-, Finanz-, Investitions- und Personalpolitik“,694 langfristige Unternehmensziele, die Überwachung der Planeinhaltung,695 Compliance696 sowie die Besetzung von Führungspositionen.697 Gleichwohl ist die Leitungsautonomie des Vorstands nicht unbeschränkt, sondern findet ihre Grenzen in der aktienrechtlichen Kompetenzzuweisung an andere Gesellschaftsorgane, welche er nicht – auch nicht faktisch – unterlaufen darf, mangels Entscheidungskompetenz aber auch nicht unterlaufen kann.698 Zu berücksichtigen ist, dass Beherrschung im Sinne des IAS 27.13(c) und (d) lediglich die Mehrheit der Mitglieder oder Stimmen im Leitungs- oder Aufsichtsorgan voraussetzt. Das Gesetz sieht jedoch für das Handeln des Vorstands den Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung vor und damit Einstimmigkeit, vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AktG.699 Eine gesetzliche Ausnahme ist allein in § 121 AktG für die Einberufung der Hauptversammlung durch den Vorstand vorgesehen, der diesen Beschluss mit einfacher Mehrheit treffen kann. In der Folge reicht das in IAS 27.13(c) und (d) a. F. vorausgesetzte Mehrheitserfordernis nicht aus, um Beschlüsse im Vorstand durchzusetzen. Gleichwohl eröffnet die Mitglieds- oder Stimmen690 Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 22; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 34; Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 25; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 Rn. 44; BGH, Urteil vom 5.5. 2008 – II ZR 108/07 – DStR 2008, 1448, 1450. 691 Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 9; Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 15. 692 Etwa die Vorbereitung und Ausführung von Beschlüssen der Hauptversammlung, § 83 Abs. 1, 2 AktG, den Berichtspflichten in § 90 AktG, Buchführung und Risikoüberwachung, § 91 AktG, Verlustanzeige, § 92 Abs. 2 AktG, Einberufung des Aufsichtsrates, § 110 Abs. 1 AktG, Einberufung der Hauptversammlung, § 121 Abs. 2 AktG, Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses, §§ 170 ff. AktG. Weitere bei Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG § 76 Rn. 9; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 414; Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 9. 693 Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 15; Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; Mertens/Cahn, KK-AktG, § 76 Rn. 4 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18; vgl. auch Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 76 Rn. 10; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 76 AktG Rn. 5; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 10. 694 Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 10. 695 Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 76 Rn. 10. 696 Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 76 Rn. 10. 697 Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 10; Mertens/Cahn, KK-AktG, § 76 Rn. 4 f.; Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 9; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 18; DaunerLieb, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 76 AktG Rn. 7. 698 Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 104; ders., Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 633. 699 Spindler, in: MünchKommAktG, § 77 Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch, § 77 Rn. 6.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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mehrheit die Blockade jedes Vorstandsbeschlusses und damit eine Lähmung der Gesellschaft. Ob diese jedoch ausreicht, die Gesellschaft zu beherrschen, ist fraglich. Denn insoweit bedürfte es keiner Mehrheit. Zur Blockade bei Einstimmigkeit reicht bereits die Möglichkeit aus, ein einzelnes Vorstandsmitglied zu bestimmen. Indes erscheint das gesetzliche Einstimmigkeitsquorum als Maßstab zu eng gewählt. Selbst das deutsche Aktienrecht gestattet ausdrücklich in der Satzung eine abweichende Regelung vom Einstimmigkeitsprinzip zu treffen, § 77 Abs. 1 AktG. In der Praxis ist daher auch das Mehrheitsprinzip der Regelfall,700 da das Einstimmigkeitsprinzip die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft insoweit unbeweglich macht, als bereits eine Gegenstimme zur Blockade der Geschäftsführungsmaßnahme führt.701 Das Mehrheitsprinzip ermöglicht der Mehrheit dagegen die Durchsetzung von Beschlüssen trotz einzelner Gegenstimmen. (b) Aufsichtsorgan Im Unterschied zum Einstimmigkeitsprinzip des Vorstands trifft der Aufsichtsrat seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit, § 108 Abs. 1 AktG i. V. m. § 32 Abs. 1 S. 3 BGB.702 Die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates kann, vorbehaltlich vorrangiger gesetzlicher Regelungen, durch Satzung bestimmt werden, § 108 Abs. 2 S. 1 AktG. Mit Blick auf die Statuierung abweichender Mehrheitserfordernisse bestehen in der AG dafür jedoch enge Grenzen. Unabhängig einer paritätischen Zusammensetzung des Aufsichtsrates kann die Satzung etwa kein qualifiziertes Mehrheitserfordernis für gesetzlich vorgeschriebene Entscheidungen vorsehen.703 Dies würde die Fähigkeit des Aufsichtsrates zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben unzulässig erschweren. Unzulässig ist ferner die satzungsmäßige Einräumung von Vetorechten, etwa an im Aufsichtsrat vertretene Investoren.704 Die nach IAS 27.13(c) und (d) a. F. geforderte Mitglieder- bzw. Stimmenmehrheit ermöglicht daher, Beschlüsse durchzusetzen oder zu blockieren und so die Tätigkeit des Organs zu steuern. 700 Hoffmann-Becking, Zur rechtlichen Organisation der Zusammenarbeit im Vorstand, ZGR 1998, 497, 518; Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 77 Rn. 5; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 77 AktG Rn. 8. 701 Spindler, in: MünchKommAktG, § 77 Rn. 12; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, 3, § 77 Rn. 10. 702 Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rn. 22; Koch, in: Hüffer/Koch, § 108 Rn. 6; Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, Aktiengesetz, § 108 Rn. 23. Ausdrücklich genügt die einfache Mehrheit nach § 111 Abs. 3 für die Einberufung der Hauptversammlung aus Gründen des Unternehmenswohls. Jürgenmeyer, Satzungsklauseln über qualifizierte Beschlussmehrheiten im Aufsichtsrat, ZGR 2007, 112. 703 Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 108 Rn. 62; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 108 Rn. 23; Hoffmann-Becking, in: MHdB GesR, § 31 Rn. 69; Koch, in: Hüffer/Koch, § 108 Rn. 8; Habersack, in: MünchKommAktG, § 108 Rn. 25; Hopt/Roth, in: GK-AktG, § 108 Rn. 43; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 108 Rn. 31 f.; Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 108 Rn. 10. A. A. Jürgenmeyer, Satzungsklauseln über qualifizierte Beschlussmehrheiten im Aufsichtsrat, ZGR 2007, 112, 118 ff., 122 ff. 704 Habersack, in: MünchKommAktG, § 108 Rn. 25, § 107 Rn. 66; Koch, in: Hüffer/Koch, § 108 Rn. 8.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Im Hinblick auf den Einflussumfang lässt sich aus den dem Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgaben hingegen keine weitere Konturierung vornehmen. Die Hauptaufgabe des Aufsichtsrates besteht in der Überwachung der Geschäftsführung, § 111 Abs. 1 AktG.705 Dazu stehen ihm eine Reihe weitreichender Informationsansprüche zu, vgl. § 90 AktG. Zwar können dem Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 4 AktG Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden. Dies wird jedoch durch seine Zustimmungspflicht zu wichtigen Maßnahmen des Vorstands nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG relativiert.706 Dass durch die Aufsichtsratsmehrheit die Gesellschaft im Sinne von IAS 27.13(c) und (d) a. F. beherrscht wird, erscheint mit Blick auf die Einflussmöglichkeit der Hauptversammlungsmehrheit nach IAS 27.13(a) a. F. nur konsequent. Wenn diese etwa über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, § 101 Abs. 1 AktG beherrschenden Einfluss auszuüben vermag und Aufsichtsratsbeschlüsse mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können, dann muss eine etwaige unmittelbare Möglichkeit zur Bestimmung der Mitglieder- bzw. Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat erst recht zur Beherrschung führen. Maßgeblich dafür ist neben der direkten Einflussnahme nach § 111 Abs. 4 AktG auch das Recht, den Vorstand zu bestellen und abzuberufen, § 84 Abs. 1, 3 AktG und mittelbar Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen zu können. (4) Zusammenfassung des Einflussumfangs Der notwendige Umfang beherrschenden Einflusses kann nicht weiter reichen als die Zuständigkeiten der Organe, deren mehrheitliche Besetzung nach IAS 27.13 a. F. im Regelfall Beherrschung begründet. Die in IAS 27.13 S. 1 und S. 2(a) – (d) a. F. aufgeführten Einflussmöglichkeiten sind jeweils geeignet, die Voraussetzungen der abstrakten Definition des Beherrschungsbegriffs in IAS 27.4 a. F. zu erfüllen. Gleichwohl gilt es, die Einflussmöglichkeiten nicht unabhängig voneinander zu betrachten, sondern vielmehr ihre Schnittmenge zu erkennen. Die in IAS 27.4 a. F. geforderte Bestimmung der Geschäfts- und Finanzpolitik eines Unternehmens ist kein dynamisches Konzept, sondern setzt bestimmte Einflusselemente voraus, welche die in IAS 27.13 aufgeführten Einflussmöglichkeiten jeweils erfüllen. Aus der Untersuchung der gesetzlichen Einflussmöglichkeiten folgt insoweit, dass sich der Einflussumfang nicht etwa auf alle Maßnahmen der Geschäftsführung beziehen muss.707 Ein solcher Einflussumfang kann (auch nicht mittelbar) weder vom Auf-
705 Zur Problematik bei Exzessen der Überwachung durch den Aufsichtsrat Koch, Die Überwachung des Aufsichtsrats durch den Vorstand, ZHR 2016, 579 ff. Im Hinblick der zukunftsbezogenen Kontrolle Habersack, in: MünchKommAktG, § 111 Rn. 34. 706 Habersack, in: MünchKommAktG, § 111 Rn. 125; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 111 Rn. 62; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 304 f. Siehe auch Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 609 ff. 707 Vgl. Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27, Rn. 38.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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sichtsrat noch der Hauptversammlung geleistet werden.708 Anders zur beurteilen ist dies für die unter die Leitungskompetenz des Vorstands fallenden Aufgaben. Auf diese kann – neben dem Vorstand selbst – der Aufsichtsrat über § 111 Abs. 1, 4 AktG direkt sowie indirekt über § 84 Abs. 1, 3 AktG Einfluss nehmen, die Hauptversammlung über § 101 Abs. 1 AktG. Die Grenzen des vorausgesetzten Einflussumfangs sind dort erreicht, wo weder die einfache Vorstands-, Aufsichtsrats- noch Hauptversammlungsmehrheit mangels Kompetenzzuweisung oder Quorum ausreichen, um bestimmte Geschäfte beschließen zu können, exemplarisch Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen, die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, die Eingliederung, Umwandlung oder Auflösung der Gesellschaft, sowie Abschluss von Unternehmensverträgen. Letztlich lässt sich damit eingrenzen, dass der notwendige Beherrschungsumfang dann erreicht ist, wenn eine zumindest mittelbare abstrakt generelle Einflussmöglichkeit auf alle wesentlichen Fragen der Geschäftsführung und Leitung der Gesellschaft besteht. bb) Einflussintensität Vom Umfang des Einflusses zu unterscheiden ist die Einflussintensität, mithin die Qualität des Einflusses. Der Definition in IAS 27.4 a. F. ist zu entnehmen, dass Beherrschung nur dann vorliegt, wenn die Möglichkeit besteht, die Finanz- und Geschäftspolitik eines Unternehmens zu bestimmen. Aus den in IAS 27.13(a), (c) und (d) a. F. vorausgesetzten Mehrheitserfordernissen der jeweiligen Einflussmöglichkeiten lässt sich folgern, dass es sich bei der Möglichkeit die Finanz- und Geschäftspolitik zu bestimmen, um die Möglichkeit zur Durchsetzung der Vorstellungen des Mutterunternehmens im Bereich der Finanz- und Geschäftspolitik – auch gegen Einzelinteressen – handelt.709 Die englische Sprachfassung spricht insoweit etwas genauer von „power to govern“. Bereits im vorhergehenden Abschnitt wurde aufgezeigt, dass Aufsichtsrat und Hauptsammlung ihre Beschlüsse regelmäßig mit einfacher Mehrheit beschließen können. Nichts anderes gilt für Beschlüsse des Vorstands, für die das Gesetz zwar das Einstimmigkeitsprinzip als Regelfall vorsieht, vgl. § 77 Abs. 1 AktG, welches jedoch in der Praxis regelmäßig zugunsten eines flexibleren Mehrheitsprinzips durch zulässige Satzungsänderung abbedungen wird.710 Aus dem gesetzlichen Mehrheitserfordernis folgt ferner, dass die Mög708
BGH, Urteil v. 4. 7. 1977 – II ZR 150/75 – BGHZ 69, 207, 213; Habersack, in: MünchKommAktG, § 111 Rn. 19; Koch, in: Hüffer/Koch, § 111 Rn. 2; Spindler, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 111 Rn. 8. 709 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 4, 11; vgl. Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 315; vgl. auch Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, IAS 28 Rn. 33. Vgl. IAS 27.IG2 „In these contexts, power refers to the ability to do or effect something.“ Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. § 315a, 6. A. Rn. 5. 710 Hoffmann-Becking, Zur rechtlichen Organisation der Zusammenarbeit im Vorstand, ZGR 1998, 497, 518; Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 77 Rn. 5; Dauner-Lieb, in:
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
lichkeit negativer Beherrschung etwa durch Blockade strategischer Entscheidungen der Geschäftsführung nicht ausreicht. Denn im Falle des Einstimmigkeitsprinzips genügt dafür bereits das Recht zur Bestellung eines Mitglieds des Leitungsorgans, im Falle des Mehrheitsprinzips genügt die hälftige Besetzung. Beides entspricht jedoch nicht den Anforderungen an beherrschenden Einfluss im Sinne von IAS 27.13 a. F. Auch die Möglichkeit zur Beherrschung nach IAS 27.13(b) auf Grundlage der Satzung oder Vereinbarung suggeriert eine bestimmte Einflusstiefe: Wo eine (zulässige) Satzungsbestimmung vorliegt, sind der Handlungsfreiheit der Gesellschaftsorgane Grenzen gesetzt. Denn Maßnahmen der Gesellschaftsorgane, die gegen materielle Satzungsbestimmungen verstoßen und diese verletzen, sind rechtswidrig und begründen unter den Voraussetzungen der §§ 93, 116 AktG Schadensersatzansprüche,711 bzw. führen zur Anfechtbarkeit (§§ 243 Abs. 1 AktG) oder Nichtigkeit (§ 241 Abs. 1 Nr. 3 AktG) von Beschlüssen der Hauptversammlung.712 Gleiches gilt auch für vertragliche Vereinbarungen, die ebenfalls nach IAS 27.13(b) a. F. als Grundlage der Beherrschung in Betracht kommt. Eine gesetzlich verankerte Beherrschungsmöglichkeit aufgrund Vertrages stellt der Beherrschungsvertrag dar. Diesem ist eine besonders hohe Einflussintensität inhärent, da mit ihm ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand der beherrschten Gesellschaft einhergeht, vgl. § 308 Abs. 1 AktG. Der vertraglich begründete Konzerneinfluss wirkt im Gegensatz zum faktischen Konzern unmittelbar und damit intensiver, wie auch § 311 Abs. 1 AktG zum Ausdruck bringt. Im faktischen Konzern obliegt dem Vorstand weiterhin die eigenverantwortliche Leitung der abhängigen Gesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG. Eine Pflicht zur Befolgung etwaiger Weisungen der beherrschenden Gesellschaft besteht nicht.713 Gleichwohl übt das Mutterunternehmen, wie aufgezeigt, im faktischen Konzern zumindest mittelbar beherrschenden Einfluss auf das Vorstandshandeln durch die Bestimmung der Personalpolitik aus. Die mit dem Beherrschungsvertrag nach § 291 Abs. 1 AktG einhergehenden Einflussintensität geht über das für die Beherrschung nach IAS 27.13 a. F. vorauszusetzende Mindestmaß hinaus. Weder eröffnet die Hauptversammlungsmehrheit noch eine Mitgliedermehrheit im Aufsichtsrat eine solch unmittelbare Steuerung des Vorstandes. Gleichwohl konstituieren sie Beherrschung im Sinne des IAS 27.4 a. F. Für die Einflussqualität des IAS 27.4 a. F. entscheidend ist die Durchsetzungsmöglichkeit von Entscheidungen des Mutterunternehmens auf Vorstandsebene des Tochterunternehmens. Wie dies erreicht wird, unmittelbar oder mittelbar über den Einfluss der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrates spielt dafür keine Rolle. Dies ist vielmehr eine Frage des Einflussmittels. Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 77 AktG Rn. 8. Spindler, in: MünchKommAktG, § 77 Rn. 12; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 77 Rn. 10. 711 Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, S. 125. 712 Hüffer/Schäfer, in: MünchKommAktG, § 243 Rn. 20; Koch, in: Hüffer/Koch, § 241 Rn. 4 f., § 243 Rn. 7. 713 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 AktG Rn. 10; Leuering/Goertz, in: Hölters, Aktiengesetz, § 311 Rn. 10.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Der unterschiedliche Grad der Einflussqualität wird im Vergleich zwischen der Beherrschung nach IAS 27 a. F. und dem maßgeblichen Einfluss nach IAS 28 a. F. deutlich: „Maßgeblicher Einfluss“ ist nach IAS 28.2 a. F. die „Möglichkeit, an den finanz- und geschäftspolitischen Entscheidungen des Beteiligungsunternehmens mitzuwirken, nicht aber die Beherrschung oder die gemeinschaftliche Führung der Entscheidungsprozesse“.
Entscheidend ist danach allein die Möglichkeit der Beeinflussung im Sinne der Partizipation an allen wesentlichen Entscheidungen im Unternehmen. Auf die Möglichkeit zur Bestimmung des Entscheidungsverlaufs kommt es nicht an.714 Dieses geringere Maß an Einfluss spiegelt sich in IAS 28.6, 7 a. F., dem Äquivalent zu IAS 27.13 a. F., wider: So wird maßgeblicher Einfluss widerleglich vermutet,715 wenn ein Unternehmen mindestens 20 % der Stimmrechte am Beteiligungsunternehmen hält. Auch die übrigen in IAS 28.7(a) – (e) a. F. aufgeführten Einflussmöglichkeiten ermöglichen lediglich eine Teilnahme und Mitwirkung an Entscheidungsprozessen, im Einzelfall auch ihre Blockade,716 eröffnen jedoch keine Durchsetzungsmöglichkeit. cc) Beständigkeit der Beherrschung Beherrschung im Sinne von IAS 27.4 besteht stets in den Fällen, in denen Entscheidungsmacht tatsächlich durchgesetzt wird. Der Beherrschungsbegriff stellt jedoch auf ein früheres Stadium des Einflusses ab, denn Einfluss kann erst dann ausgeübt werden, wenn die Möglichkeit dazu besteht.717 Dass die Möglichkeit der bestimmenden Einflussnahme genügt, um die Konsolidierungspflicht auszulösen, ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, welche dem Standard zugrunde liegt.718 Wo sich eine sichere Beherrschungsmöglichkeit nach den in IAS 27.13 a. F. 714 715
Rn. 8. 716
Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, IAS 28 Rn. 33. Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 33
So etwa im Falle des geltenden Einstimmigkeitsprinzips nach § 76 Abs. 1 AktG und der Zugehörigkeit zum Vorstand der AG im Sinne von IAS 28(a). 717 Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. § 315a, 6. A. Rn. 5; Schmotz, in: Buschhüter/ Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 4; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 6, 13; Lüdenbach, Bilanzpolitische Bedeutung von Options- und Terminkontrakten über Anteile bei der Konsolidierung nach IFRS, BB 2006, 2738; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 26; Senger/ Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 5; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 31. Dies geht auch ausdrücklich aus IAS 27.IG2 hervor: „Consequently, an entity has control, joint control or significant influence when it currently has the ability to exercise that power, regardless of whether control, joint control or significant influence is actively demonstrated or is passive in nature.“ 718 Hierzu bereits oben: Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 35; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
genannten Kriterien abzeichnet, wäre es schlicht Förmelei auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Durchsetzung der Entscheidungsmacht abzustellen. Dies gilt auch in den Fällen, wo beherrschender Einfluss auf die Leitungsebene (doppelt) mittelbar etwa durch eine Hauptversammlungsmehrheit ausgeübt werden kann. Denn in Antizipation durchsetzbarer personeller Konsequenzen kann auch bereits bei bestehender Einflussmöglichkeit nicht von einem unabhängig, sondern vielmehr einflusskonform handelnden Vorstand ausgegangen werden.719 Die darunter definierte Möglichkeit zur Ausübung von Entscheidungsmacht über die Geschäfts- und Finanzpolitik eines Unternehmens muss allerdings tatsächlich bestehen.720 Vor diesem Hintergrund ist einerseits zu prüfen, ob Stimmrechtsoptionen für die Ermittlung der Beherrschungsmöglichkeit zu berücksichtigen sind ((1)) und andererseits, ob sich aus der Beherrschungsmöglichkeit Aussagen zur Beständigkeit und zeitliche Dimension der Beherrschung ableiten lassen ((2)). (1) Stimmrechtsoptionen Wo eine durchsetzbare Einflussmöglichkeit nicht besteht, liegt nach dem Wortlaut von IAS 27.13 a. F. und 27.4 a. F. auch kein Beherrschungsverhältnis vor. Nicht ausreichend ist insoweit die Möglichkeit, eine Beherrschungsmöglichkeit nach IAS 27.13 erst zu begründen.721 Gleichwohl sind nach IAS 27.14 a. F. potenzielle Stimmrechte grundsätzlich zu beachten: „Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Unternehmen die Möglichkeit besitzt, die Finanzund Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens zu bestimmen, werden die Existenz und die Auswirkungen potenzieller Stimmrechte, die ausgeübt oder umgewandelt werden können, einschließlich der von anderen Unternehmen gehaltenen potenziellen Stimmrechte berücksichtigt.“
Dabei gilt es jedoch nach den Umständen, unter denen die Optionsrechte ausgeübt werden können, zu differenzieren. Wie bereits mit Blick auf die Einflussintensität herausgestellt, kommt es für die Beherrschung maßgeblich auf die Durchsetzbarkeit der Entscheidungsmacht an.722 An dieser fehlt es, wenn stimmenmehrheitsbegrünRn. 9; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40. Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 37; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 314. 719 Zu diesem Rechtsgedanken im Aktienrecht: Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG, Rn. 8; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 5; vgl. Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 28. 720 Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 9. 721 Vgl. diesen Rechtsgedanken für das Aktienrecht, Bayer, in: MünchKommAktG, 4. Aufl., § 17 Rn. 11. 722 Siehe S. 177 ff.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
181
dende Optionsrechte erst zu einem zukünftigen Zeitpunkt oder bei sonstigem Bedingungseintritt ausübbar sind.723 Vielmehr müssen sie gegenwärtig ausgeübt werden können.724 Zusätzlich zu der rechtlichen Möglichkeit muss die Ausübungswahrscheinlichkeit berücksichtigt werden.725 So sind die potenziellen Stimmrechte trotz uneingeschränkter rechtlicher Möglichkeit zur Ausübung auch dann nicht für die Berechnung des Stimmrechtsanteils am Beteiligungsunternehmen einzubeziehen, wenn die Ausübung wirtschaftlich wenig sinnvoll ist, etwa wenn der Ausübungspreis den Börsenpreis um den Faktor 2 übersteigt.726 Unerheblich für die Berücksichtigung potenzieller Stimmrechte ist nach IAS 27.15 a. F. dagegen, ob das Unternehmen zur Ausübung oder Umwandlung der Optionsrechte finanziell in der Lage ist und welche Absichten das Management verfolgt.727 Mit Blick auf die Absichten des Managements erscheint diese Einschränkung konsistent mit dem Gedanken, dass es allein auf die Möglichkeit der Beherrschung, nicht auf deren tatsächliche Realisierung ankommt.728 Demgegenüber irritiert aber die Nichtbeachtung der finanziellen Möglichkeiten zur Ausübung der Optionsrechte. Warum potenzielle Stimmrechte einerseits zu berücksichtigen sind, wenn das Unternehmen gar nicht in der wirtschaftlichen Lage ist, diese umzuwandeln bzw. zu erwerben, andererseits jedoch dann nicht, wenn zwar ausreichende Finanzkraft besteht, der Umwandlung jedoch die „ökonomische Substanz“ fehlt,729 ist nicht ersichtlich. Dies betont auch 723
Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 48; ders., Bilanzpolitische Bedeutung von Options- und Terminkontrakten, BB 2006, 2738, 2739; vgl. auch Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 14; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 46. 724 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 48; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 47. 725 Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 15; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 48; einschränkend auch Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 47. 726 Dieses Beispiel nennt Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 50; vgl. auch Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 15; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 47. Ausdrücklich auch IAS 27.IG2: „The ability to exercise power does not exist when potential voting rights lack economic substance (eg the exercise price is set in a manner that precludes exercise or conversion in any feasible scenario).“ 727 IAS 27.IG3: „In addition, the entity examines all facts and circumstances that affect potential voting rights except the intention of management and the financial ability to exercise or convert.“ 728 Vgl. Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 49; Colbe/Ordelheide/Gebhardt, Konzernabschlüsse, S. 108 f.; vgl. IAS 27.IG3. 729 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 50; siehe auch Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 47; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 16.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Lüdenbach, mit Verweis auf das substance-over-form-Prinzip.730 Diese Inkonsistenz ausgeklammert, ist jedoch für die Berücksichtigung von potenziellen Stimmrechten nach IAS 27.15 a. F. stets eine Einzelfallprüfung im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise vorzunehmen.731 (2) Beständigkeit und Dauer der Einflussmöglichkeit Ebenfalls eine Frage der Möglichkeit ist neben der Art der Einflussausübung auch die zeitliche Dimension. Hier wird der Unterschied zur tatsächlichen Einflussausübung und der lediglich vorausgesetzten Möglichkeit zur Beherrschung deutlich. Denn aus IAS 27.13(a) – (d) a. F. lässt sich entnehmen, dass die dort aufgeführten Einflussmöglichkeiten nicht unmittelbar und jederzeit rechtlich durchsetzbar sein müssen. Eine solche Einflussmodalität eröffnet allenfalls eine vertragliche Beherrschung nach IAS 27.13(b). Ausreichend ist vielmehr die Durchsetzungsmöglichkeit als solche, mittelfristig im Rahmen der turnusgemäßen Ausübung von Mitgliedschaftsrechten im Rahmen der jährlichen Hauptversammlung oder von Aufsichtsratssitzungen.732 Gleichzeitig ist von einer gewissen Beständigkeit der Einflussmöglichkeit auszugehen.733 Dies ist unproblematisch, sofern die Entscheidungsmacht rechtlich abgesichert ist. Anders ist dies im Falle faktischer Beherrschung, wie etwa der Präsenzmehrheit. So kann nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht von Beherrschung ausgegangen werden, wenn diese auf außergewöhnlichen und kurzfristigen Umständen beruht. Vielmehr ist eine gewisse Vorhersehbarkeit und Nachhaltigkeit einer faktischen Hauptversammlungsmehrheit vorauszusetzen.734 Anhaltspunkte auf die zeitliche Mindestdauer des Einflusses lassen sich der Definition in IAS 27.4 a. F. nicht entnehmen, sodass danach Beherrschung auch bei nur vorübergehender Entscheidungsmacht anzunehmen ist.735 Ursprünglich sah IAS 27.13(a) (i. d. F. von 1994) ein Einbeziehungsverbot bei nur vorübergehender Beherrschung von Tochterunternehmen vor, soweit dieses nur mit der Absicht zur
730 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 49; Lüdenbach, Bilanzpolitische Bedeutung von Options- und Terminkontrakten, BB 2006, 2738, 2739 f. 731 Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 17; Watrin/ Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 50. 732 Zu dieser Schlussfolgerung für das Aktienrecht Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 12; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 19; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 3; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 13. 733 Vgl. Colbe/Ordelheide/Gebhardt, Konzernabschlüsse, S. 108. 734 Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. § 315a HGB, 6. A., Rn. 14; Watrin/Hoehne/ Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 43; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 10; Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 315; Colbe/Ordelheide/Gebhardt, Konzernabschlüsse, S. 108. 735 Küting/Koch, in: Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, S. 377, 387.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Weiterveräußerung in naher Zukunft erworben wurde.736 Dieses Einbeziehungsverbot wurde im Zuge der Überarbeitung des Standards 2003 gestrichten. Daraus folgt jedoch nicht, dass nun auch vorübergehender Einfluss die Konsolidierungspflicht von Tochterunternehmen begründen sollte. Vielmehr wurde die bilanzielle Erfassung zu veräußernder Tochterunternehmen zentral in IFRS 5 geregelt, wonach Tochterunternehmen von einer Konsolidierung ausgeschlossen sind, sofern die Beherrschung gerade nur vorübergehender Natur ist, vgl. IFRS 5.8 f., 5.32.737 Die Vermögenswerte und Eventualschulden des zur Veräußerung bestimmten Tochterunternehmens sind danach bilanziell in einer gesonderten Kategorie (held for sale) auszuweisen.738 Im Umkehrschluss folgt daraus, dass auch bei nur kurzfristiger Beherrschung von Tochterunternehmen eine Einbeziehung in den Konsolidierungskreis nicht per se ausgeschlossen ist, etwa wenn keine Veräußerungsabsicht besteht.739 Letztlich ist je nach Einzelfall zu untersuchen, ob auch bei nur kurzfristiger Beherrschungsmöglichkeit etwa eine Möglichkeit zur Nutzenziehung im Sinne des IAS 27.4 a. F. vorliegt oder nicht. dd) Beherrschungsgrundlagen Die Definition der Beherrschung in IAS 27.4 a. F. enthält keine ausdrückliche Einschränkung zulässiger Einflussmittel. Folglich kommen nicht nur rechtlich abgesicherte Einflussgrundlagen in Betracht,740 so etwa auch die faktische Hauptversammlungsmehrheit. Maßgeblich für die Beurteilung beherrschenden Einflusses ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise,741 mithin allein die tatsächlich bestehende 736 IAS 27.13: „A subsidiary should be excluded from consolidation when: (a) control is intended to be temporary because the subsidiary is acquired and held exclusively with a view to its subsequent disposal in the near future.“ 737 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 10. Vgl. IAS 27.12, Fn. 1: „Erfüllt ein Tochterunternehmen zum Erwerbszeitpunkt die Kriterien, die gemäß IFRS 5 zur Veräußerung gehaltene langfristige Vermögenswerte und aufgegebene Geschäftsbereiche zur Einstufung als zur Veräußerung gehalten und vorausgesetzt werden, so ist es gemäß diesem Standard zu bilanzieren.“ 738 Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. § 315a, 6. A. Rn. 29; Petersen/Zwirner/ Busch, in: Brösel/Zwirner, IFRS-Rechnungslegung, 2. Aufl. 2009, S. 337. 739 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Intern. Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 10. 740 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 39; widersprüchlich Pellens/Fülbier/ Gassen, Internationale Rechnungslegung, 8. Aufl. 2011, S. 149, nach denen eine Beherrschunsgmöglichkeit vorliegt, „wenn das Mutterunternehmen die (rechtlich abgesicherte) Möglichkeit hat, die Finanz- und Geschäftstätigkeit des Tochterunternehmens so zu bestimmen, dass es aus dessen Aktivitäten einen Nutzen ziehen kann. Gleichfalls konstituierte jedoch auch die Präsenzmehrheit als de facto control eine Beherrschungsmöglichkeit, vgl. S. 154. 741 Vgl. Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 28; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 37; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Watrin/Hoehne/Lammert,
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Möglichkeit, die Geschäfts- und Finanzpolitik eines anderen Unternehmens zu bestimmen. Auf welcher Grundlage bzw. durch welches Einflussmittel eine solch qualitative Einflussmöglichkeit erreicht wird, ist grundsätzlich beliebig. Faktisch werden die in Betracht kommenden Einflussgrundlagen durch die abschließenden Einflussmöglichkeiten in IAS 27.13 a. F. und den ermittelten Parametern zum Beherrschungsumfang, -Intensität und zur Beständigkeit der Beherrschung jedoch weitgehend determiniert: Grundlage der in IAS 27.13 a. F. aufgeführten nominellen Stimmrechtsmehrheit ist die kapitalbedingte Stimmrechtsinhaberschaft. Derweil muss die Zurechnung der Stimmrechte nach IAS 27.13(a) a. F. auf einer rechtlichen Vereinbarung, einem Stimmbindungsvertrag, beruhen. IAS 27.13(b) a. F. benennt als mögliches Einflussmittel die Satzung einerseits und vertragliche Vereinbarung andererseits, wobei die Art der Vereinbarung unbestimmt bleibt. Flexibilität hinsichtlich der Einflussmittel verbleibt mit Blick auf IAS 27.13(c), (d) scheinbar über die Mitglieds- bzw. Stimmenmehrheit in den Leitungs- bzw. Aufsichtsorgan der Tochtergesellschaft. Wie diese Einflussmöglichkeit erreicht werden kann, lässt IAS 27.13(c), (d) offen. Beschränkt werden die Einflussgrundlagen für deutsche Aktiengesellschaften durch die Kompetenzordnung des Aktienrechts. IAS 27 a. F. orientiert sich zwar weder an einer spezifischen Rechtsordnung noch Rechtsform. Unter IAS 27.13(c) lassen sich sowohl dualistische als auch monistische Systeme der Unternehmensverwaltung subsumieren.742 IAS 27.13 a. F. setzt auch nicht voraus, dass alle der in (a) – (d) genannten Einflussmöglichkeiten in den einzelnen Rechtsordnungen umsetzbar sind, wie sich am Beispiel von Großbritannien zeigt, wo das Institut des Beherrschungsvertrages nicht existiert.743 Gleiches gilt für die GmbH, bei welcher der Aufsichtsrat außerhalb des Anwendungsbereichs von Drittelbeteiligungs- und Mitbestimmungsgesetz nur fakultativ ist. Welche Beherrschungsgrundlage im jeweiligen Fall in Betracht kommt, bemisst sich anhand des der Rechtsform des untersuchten Unternehmens zugrundeliegenden Rechts. Vorliegend ist dies das AktG. Aus diesem Grund kommen nur solche Einflussgrundlagen in Betracht, die auch nach dem Aktienrecht zulässig sind. Im Folgenden wird die rechtliche Umsetzbarkeit der in IAS 27.13(a) – (d) genannten Einflussmöglichkeiten am Beispiel der AG erörtert, angefangen bei der Stimmbindungsvereinbarung ((1)) und der Satzung ((2)) sowie der vertraglichen Vereinbarung ((3)) bis hin zur Mehrheitsbesetzung ((4)), um so Rückschlüsse auf konkrete Einflussgrundlagen treffen zu können. in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 40; Heuser/Theile, IASHandbuch, S. 314. 742 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 46. In der englischen Sprachfassung heißt es in IAS 27(c): „power to appoint or remove the majority of the members of the board of directors or equivalent governing body and control of the entity is by that board or body“. 743 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 44; Holtappels, Der Konsolidierungskreis im englischen Konzernbilanzrecht, S. 72 f.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
185
(1) Stimmbindungsverträge Sofern nach IAS 27.13 a. F. eine Beherrschung mangels kapitalbedingter Stimmrechtsmehrheit nicht vermutet wird, kann nach IAS 27.13(a) a. F. gleichwohl eine Beherrschung auf Grundlage einer Stimmrechtsmehrheit vorliegen. Dies ist der Fall, wenn das Mutterunternehmen etwa auf Grund einer Vereinbarung mit anderen Gesellschaftern über die nominelle Stimmrechtsmehrheit verfügen kann. Diese Einflussmöglichkeit gewährt im Aktienrecht das Mittel des Stimmbindungsvertrages. Darin verpflichten sich Aktionäre, die ihnen zustehenden Stimmrechte in der Hauptversammlung nicht frei, sondern in der vertraglich vorgesehenen Weise auszuüben.744 Sofern diese darin besteht, von der Ausübung keinen Gebrauch zu machen, liegt ein sog. Stimmrechtsausschlussvertrag vor.745 Die grundsätzliche Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen nicht nur zwischen Aktionären sondern auch gegenüber gesellschaftsfremden Dritten ist nach heute ganz überwiegender Auffassung anerkannt und wurde bereits im Rahmen der aktienrechtlichen Untersuchung erläutert.746 Stimmbindungsvereinbarungen stellen mithin eine zulässige aktienrechtliche Grundlage zur Gewährleistung der Einflussmöglichkeit im Sinne von IAS 27.13(a) a. F. dar. (2) Beherrschung durch Satzungen oder Vereinbarung Auch eine entsprechende Satzungsgestaltung oder vertragliche Vereinbarung kann Grundlage der Konsolidierungspflicht sein. Damit sind zwar die Einflussgrundlagen konkret benannt, nicht jedoch deren genaue Ausgestaltung. So reicht eine beliebige Satzungsklausel oder schuldrechtliche Vereinbarung, welche etwaige Einflussrechte gewährt, nicht aus. Vielmehr ist die Möglichkeit zur Bestimmung der Geschäfts- und Finanzpolitik notwendige Voraussetzung. So fallen nur solche Satzungsbestimmungen und Vereinbarungen in den Tatbestand von IAS 27.13(b) a. F., welche die Voraussetzungen von Einflussumfang, Einflusstiefe und Beständigkeit 744 Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 107; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 45; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 25. 745 Tröger, in: KK-AktG, § 136 Rn. 107; Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 25; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 136 Rn. 36; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 36; Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, § 136 Rn. 22. 746 Siehe oben S. 124 ff. Arnold, in: MünchKommAktG, § 136 Rn. 66 ff.; Koch, in: Hüffer/ Koch, § 133 Rn. 27; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 136 Rn. 36; Drygala, in: Schmidt/ Lutter, AktG, § 101 Rn. 6; Tröger, in: KK-AktG, 3, § 136 Rn. 128; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 133 Rn. 41; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136 Rn. 50; Herrler, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 136 Rn. 29. Einschränkend Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 2766 mit Blick auf eine dauerhafte Drittbindung, die den „Einfluss Dritter auf die innergesellschaftliche Willensbildung institutionalisiert.“ In diesem Fall, so Schmidt „könnten die Voraussetzungen eines Beherrschungsvertrages (…) unterlaufen werden“. Dem ist jedoch insoweit nicht zuzustimmen, als Stimmbindungsverträge nur eine mittelbare Einflussmöglichkeit und kein direktes Weisungsrecht auf den Vorstand eröffnen, sodass Stimmbindungsverträge bereits dem Grunde nach nicht mit Beherrschungsverträgen vergleichbar sind.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
kumulativ erfüllen. In der Folge muss mit der Satzung oder Vereinbarung die Möglichkeit einhergehen, zumindest mittelbar die Vorstellungen des Mutterunternehmens über die Leitung bei der Tochtergesellschaft durchsetzen zu können. Durch welche zulässigen Gestaltungen dies erreicht werden kann, ist zunächst für die Satzung ((a)) und anschließend für die Vereinbarung ((b)) zu untersuchen. (a) Beherrschung durch Satzung Bei der hier untersuchten Aktiengesellschaft steht der Grundsatz der Satzungsstrenge der Möglichkeit einer Satzungsgestaltung als isolierte Beherrschungsgrundlage entgegen. § 23 Abs. 5 AktG eröffnet kaum eine Möglichkeit zum beherrschenden Einfluss nur auf Grundlage der Satzung.747 Etwaige Satzungsrechte zur unmittelbaren Bestellung oder Abberufung eines Vorstandsmitglieds, bspw. zugunsten eines Investors oder Kreditinstituts, sind aufgrund der damit einhergehenden Untergrabung der Kompetenzen des Aufsichtsrates unzulässig, vgl. § 23 Abs. 5 i. V. m. § 84 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 AktG.748 Dagegen kann in der Satzung das Recht zur Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 101 Abs. 2 AktG verankert werden.749 Unabdingbare Voraussetzung der Berechtigung ist allerdings die Inhaberschaft von Aktien. Außenstehenden Dritten kann ein solches Entsendungsrecht nicht eingeräumt werden.750 Ferner ermöglicht die Satzung eine Entsendung für höchstens ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrates.751 Eine erweiternde Satzungsbestimmung ist nichtig.752 Mit dieser Einschränkung soll der Einfluss der Hauptversammlung auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates sichergestellt und dessen satzungsmäßige Dominanz von Aktionären ohne hinreichenden Aktienbesitz verhindert werden.753 Das Recht ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrates zu entsenden, reicht jedoch nicht aus, Beherrschung i.S.v. IAS 27.4 a. F. zu begründen, wie 747
Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 50; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 45; Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 60. 748 Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 615; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 Rn. 5; Spindler, in: MünchKommAktG, § 84 Rn. 12; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 7. Zur Unzulässigkeit satzungsmäßiger Vetorechte im Aufsichtsrat siehe Habersack, in: MünchKommAktG, § 108 Rn. 25, § 107 Rn. 66; Koch, in: Hüffer/Koch, § 108 Rn. 8. A. A. Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 604 ff. 749 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 50; Koch, in: Hüffer/Koch, § 101 Rn. 9; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 101 Rn. 16; Habersack, in: MünchKommAktG, § 101 Rn. 30. 750 Habersack, in: MünchKommAktG, § 101 Rn. 54; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 101 Rn. 16 ff.; Koch, in: Hüffer/Koch, § 101 Rn. 11; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 101 Rn. 16; Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 101 Rn. 10. 751 Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 101 Rn. 16; Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 101 Rn. 14; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 101 Rn. 21. 752 Habersack, in: MünchKommAktG, § 101 Rn. 55; Koch: in: Hüffer/Koch, § 101 Rn. 11; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 101 Rn. 66; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 101 Rn. 60. 753 Koch, in: Hüffer/Koch, § 101 Rn. 9; Habersack, in: MünchKommAktG, § 101 Rn. 53; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 101 Rn. 16; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 101 Rn. 65.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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schon aus IAS 27.13(c) a. F. folgt. Ein beherrschungssichernder Einfluss allein auf Grundlage der Satzung ist allenfalls durch eine sehr enge Beschreibung des Unternehmensgegenstandes zu erreichen. So etwa, wenn der Zweck der Gesellschaft so genau bestimmt ist, dass sie nur eine „Servicefunktion“ zugunsten eines anderen Unternehmens wahrnimmt754 und die Leitungsautonomie der Geschäftsführung de facto determiniert.755 Dieser Fall beschreibt die Voraussetzungen einer Zweckgesellschaft, vgl. SIC 12.1 a. F.,756 deren Erfassung im konsolidierten Konzernabschluss durch die Interpretationsvorschrift SIC 12 a. F. durch das gesonderte Konzept des risk and reward approach geregelt wird. Dieses stellt für die Prüfung eines Beherrschungsverhältnisses auf die wirtschaftliche Verteilung von den Chancen und Risiken der Zweckgesellschaft ab.757 Auf sonstige Unternehmen findet dieses Konzept keine Anwendung. (b) Beherrschung durch vertragliche Vereinbarung Dagegen findet die Einflussmöglichkeit zur Bestimmung der Geschäfts- und Finanzpolitik des Tochterunternehmens durch Vereinbarung eine gesetzlich normierte Grundlage im Beherrschungsvertrag nach § 291 Abs. 1 AktG.758 Dass der Beherrschungsvertrag geeignet ist, die Geschäfts- und Finanzpolitik eines anderen Unternehmens zu bestimmen, wurde bereits im Zuge des Abschnitts zur Einflusstiefe festgestellt.759 Das dem Beherrschungsvertrag inhärente Weisungsrecht gem. § 308 Abs. 1 AktG eröffnet die Möglichkeit der (unmittelbaren) rechtlichen Durchsetzbarkeit gegenüber dem Vorstand im Hinblick aller Leitungsentscheidungen. Der Beherrschungsvertrag stellt die einzige gesetzliche Ausnahme der Leitungsautonomie nach § 76 Abs. 1 AktG und damit auch die einzige zulässige vertragliche
754
Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 50. Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Intern. Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 20. 756 SIC 12.1: „Ein Unternehmen kann gegründet werden, um ein enges und genau definiertes Ziel zu erreichen (z. B. um ein Leasinggeschäft, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oder eine Verbriefung von Finanzinstrumenten durchzuführen). Solch eine Zweckgesellschaft (,Special Purpose Entity‘, kurz ,Zweckgesellschaft (SPE)‘) kann die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, eines Treuhandfonds, einer Personengesellschaft oder einer anderen Nicht-Kapitalgesellschaft haben. SPE werden oft mit rechtlichen Vereinbarungen gegründet, die ihrem Vorstand, ihrem Treuhänder oder ihrer Geschäftsführung strenge und manchmal dauerhafte Schranken bezüglich der Entscheidungsmacht über die Geschäfte der SPE auflegen. Häufig legen diese Bestimmungen fest, dass die Geldpolitik, die die laufende Tätigkeit der SPE festlegt, nicht geändert werden kann, außer vielleicht durch ihren Gründer oder Sponsor (d. h. sie funktionieren als sog. ,Autopilot‘).“ 757 Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 64 ff.; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 22. 758 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 18; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 9; Watrin/ Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 38; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 38. 759 Siehe oben S. 177 ff. 755
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Möglichkeit dar, beherrschenden Einfluss auf die Geschäfts- und Finanzpolitik ausüben zu können.760 Bei den vertraglichen Vereinbarungen ist jedoch nicht nur an Vereinbarungen mit der Gesellschaft zu denken. Der Vollständigkeit halber zu nennen ist hier der Stimmbindungsvertrag zwischen Aktionären oder Aktionären und Dritten. Wie bereits aus IAS 27.13(a) a. F. folgt, konstituiert auch der Stimmbindungsvertrag Beherrschung im Sinne von IAS 27.4 a. F.761 Die durch ihn vermittelte Einflussmöglichkeit wirkt mittelbar auf das Leitungshandeln des Vorstands und vermag (mittelbar) die Geschäfts- und Finanzpolitik eines Unternehmens zu bestimmen. Der Stimmbindungsvertrag stellt damit eine schuldrechtliche Vereinbarung dar, die per se die Voraussetzungen der Einflussmöglichkeit beherrschenden Einflusses nach IAS 27.13(b) erfüllt. Insoweit überschneiden sich die Einflussgrundlagen von IAS 27.13(a) a. F. und IAS 27.13(b) a. F., wobei IAS 27.13(a) a. F. im Fall der Stimmbindungsvereinbarung lex specialis ist und die Anwendung von IAS 27.13(b) a. F. ausschließt. (3) Beherrschung des Leitungs- oder Aufsichtsgremiums Schließlich verfügt nach IAS 27.13(c) a. F. auch über beherrschenden Einfluss, wer die Mehrheit der Mitglieder in Vorstand bzw. Aufsichtsrat ernennen oder abzusetzen vermag oder nach IAS 27.13(d) a. F. über die Mehrheit der Stimmrechte in diesen Organen bestimmen kann. Auf welcher Grundlage diese Einflussmöglichkeit erreicht wird, lässt der Normtext offen. Grundsätzlich verfügt der Mehrheitsgesellschafter über die in IAS 27.13(c) und (d) a. F. genannte Einflussmöglichkeit. Sofern die Satzung kein höheres Quorum bestimmt,762 reicht – zumindest für die Bestellung – von Aufsichtsratsmitgliedern die einfache Stimmenmehrheit der Hauptversammlung aus.763 In der Folge eröffnet auch die Stimmbindungsvereinbarung über die nominelle Stimmrechtsmehrheit der in IAS 27.13(c) a. F. vorausgesetzten Einflussmöglichkeit. Diese setzt eine Gesellschafterstellung beim Tochterunternehmen nicht voraus. Eine satzungsmäßige oder vertraglich vereinbarte Bestellung der Mehrheit der Mitglieder von Vorstand oder Aufsichtsrat gestattet das AktG dagegen nicht. Ein 760 Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 76 Rn. 44; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 10; Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 291 Rn. 56; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 291 Rn. 11. Ausgeklammert sei hier die Eingliederung, vgl. §§ 391 ff. AktG. 761 Siehe die Ausführungen S. 185. 762 Dies ist für § 101 Abs. 1 AktG zulässig, Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 133 Rn. 42 ff.; Arnold, in: MünchKommAktG, § 133 Rn. 57 f.; Herrler, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 133 Rn. 16. 763 Dies gilt grundsätzlich auch für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern. Eine Ausnahme besteht für Aufsichtsratsmitglieder, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen Wahlvorschlag gewählt worden sind. Ihre vorzeitige Abberufung setzt eine qualifizierte Stimmenmehrheit voraus, § 103 Abs. 1 S. 2 AktG. Koch, in: Hüffer/Koch, § 133 Rn. 14.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
189
unmittelbares Bestellungsrecht außerhalb der Hauptversammlung kann allein die Satzung gem. § 101 Abs. 2 AktG einräumen. Dies gilt wiederum nur zu Gunsten von Gesellschaftern und ist auf ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrates beschränkt.764 Ein satzungsmäßiges Sonderrecht zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern gegenüber einzelnen Aktionären oder Dritten ist unvereinbar mit § 23 Abs. 5 i. V. m. § 84 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 AktG.765 Damit lässt sich zumindest die Einflussmöglichkeit nach IAS 27.13(c) für die deutsche Aktiengesellschaft weder durch Satzung noch sonstige Vereinbarung erreichen. Fraglich ist, ob für die Steuerung der Stimmrechtsmehrheit in den Organen nach IAS 27.13(d) a. F. ein abweichendes Ergebnis erreicht werden kann. Für die Weisungsbindung des Vorstands ist auf die Ausführungen zum Beherrschungsvertrag zu verweisen.766 Ein solcher würde jedoch aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes zu einer Beherrschung nach IAS 27.13(b) a. F. führen. Darüber hinaus sind Stimmbindungsvereinbarungen des Vorstands in Betracht zu ziehen: Zu denken ist etwa an schuldrechtliche Bindungen der Gesellschaft gegenüber Aktionären oder Dritten, welche gegenüber dem Aufsichtsrat Weisungsrechte im Hinblick auf die Bestellung oder Abberufung des Vorstands einräumen. Hierzu fehlt es der Gesellschaft nach Kuntz zutreffend aber bereits an der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht.767 Auch Aufsichtsratsmitglieder können sich weder der Gesellschaft noch Dritten gegenüber zur Bestellung eines bestimmten Vorstandsmitglieds verpflichten.768 Für die Bestellung ist der Gesamtaufsichtsrat ausschließlich und zwingend zuständig.769 Das mit der Personalbestellung ausgeübte unternehmerische Ermessen ist rechtlich unbeschränkbar.770 In der Folge sind rechtsgeschäftliche Bindungen, durch welche sich der Aufsichtsrat oder seine Mitglieder dieser Ermessensfreiheit teilweise oder vollständig begeben, nichtig. Nach verbreiteter Ansicht stellen solche Stimmbindungen ein Verstoß nach § 134 BGB dar.771 Dies setzt aber bereits voraus, dass der Aufsichtsrat Stimmbindungsvereinbarungen überhaupt zu schließen befähigt ist und 764 Siehe bereits oben dazu S. 109; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 101 Rn. 16; Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 101 Rn. 14; Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 101 Rn. 21. 765 Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 615 m.w.V. 766 Siehe S. 119 ff. 767 Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, S. 615. 768 Übereinstimmend, Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rn. 13; Bürgers, in: Bürgers/ Körber, AktG, § 84 Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, § 84 Rn. 5; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 Rn. 12; Spindler, in: MünchKommAktG, § 84 Rn. 15; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rn. 10; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 9; Kort, in: GK-AktG, § 84 Rn. 52. 769 Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 7; Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 84 Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, § 84 Rn. 5. 770 Spindler, in: MünchKommAktG, § 84 Rn. 15; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 Rn. 12; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 8. 771 Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 9; Koch, in: Hüffer/Koch, § 84 Rn. 5; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rn. 10; Seibt, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 84 Rn. 13; Bürgers, in: Bürgers/Körber, AktG, § 84 Rn. 3.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
nicht bereits ein „Überschreiten der Grenzen der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht“ begründet.772 Nach der hier vertretenen Auffassung liegt ein solcher Fall hier jedoch gerade vor. Dies betrifft nicht nur Vereinbarungen mit Dritten, der Gesellschaft und Aktionären, sondern auch Stimmbindungen zwischen Aufsichtsratsmitgliedern.773 Die umfassende Unzulässigkeit von Stimmbindungen mangels Gestaltungsmacht folgt aus der Begrenzung satzungsmäßiger Entsendungsrechte auf ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder, § 101 Abs. 2 S. 4 AktG.774 Wären Stimmbindungen zwischen Aufsichtsratsmitgliedern zulässig, könnte der mit der Drittelgrenze verfolgte Zweck unterlaufen werden, wenn die entsandten Mitglieder Stimmbindungsverträge abschlössen und so über die Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat verfügen könnten. Vor diesem Hintergrund können Aufsichtsratsmitglieder zu Recht keinerlei Stimmbindungen vereinbaren.775 Damit bleibt letztlich nur die Präsenzmehrheit als Einflussgrundlage für die in IAS 27.13(c) und (d) a. F. genannten Einflussmöglichkeiten übrig,776 welche nicht bereits durch die spezielleren Varianten in IAS 27.13(a) und (b) a. F. erfasst werden. Die faktische Hauptversammlungsmehrheit wird mangels nomineller Stimmenmehrheit weder von der Beherrschungsvermutung in IAS 27.13 S. 1 a. F. noch von IAS 27.13(a) a. F. erfasst.777 IAS 27.13(b) a. F. ist bereits der Natur der Präsenzmehrheit nach nicht einschlägig.
772 Zum Funktionenschutz und den Grenzen der rechtsgeschäftlichen Gestaltungs- und Verfügugsmacht des Vorstands der AG nach § 76 Abs. 1 AktG siehe Kuntz, Leitungsautonomie, AG 2016, 101, 105. Die genaue dogmatische Einordnung der Nichtigkeitsfolge kann derweil für die Zwecke dieser Arbeit dahinstehen. 773 Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 Rn. 12; Thüsing, in: Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rn. 21. 774 Zum Zweck der Begrenzung der Entsendungsrechte vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, § 101 Rn. 9; Habersack, in: MünchKommAktG, § 101 Rn. 53; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 101 Rn. 16; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 101 Rn. 65. 775 Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 84 Rn. 9; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 Rn. 12; Koch, in: Hüffer/Koch, § 84 Rn. 5; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rn. 10. 776 Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 315. Das IASB hat die Möglichkeit zur Beherrschung durch Präsenzmehrheit im Rahmen einer informellen Stellungnahme bestätigt, IASB, Update Oktober 2005, S. 2; siehe auch Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 23 f.; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 47; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 11. Abweichend Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, S. 123, nach denen die Präsenzmehrheit zwar zur Beherrschung im Sinne von IAS 27.4 führt und damit Konsolidierungspflicht begründet, jedoch von keiner der in IAS 27.13 genannten Tatbestandsvarianten erfasst wird; so auch Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 43. 777 Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 23; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 10; Watrin/ Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 43.
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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Dieser liegt gerade keine vertragliche Vereinbarung zugrunde, sondern vielmehr die tatsächliche Gegebenheit einer erhöhten Streuung der Aktien bei nachhaltig niedriger Hauptversammlungspräsenz. 4. Zusammenfassung – Beherrschender Einfluss in § 290 HGB Anders als noch in den Entwürfen zur ursprünglichen Konzernbilanzrichtlinie vorgesehen, liegt dem heutigen Verbundkonzept in Art. 22 Abs. 2 lit. a) EU-Bilanzrichtlinie kein an das deutsche Aktienrecht angelehntes Abhängigkeitsverständnis zugrunde.778 Der Beherrschungsbegriff der Konzernbilanzrichtlinie zeichnete sich in seiner ursprünglichen Fassung durch eine weitgehende Unbestimmtheit aus. Erst mit seiner Novellierung im Zuge der Modernisierungsrichtlinie wurde der Beherrschungstatbestand in Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie mit einem einheitlichen europäischen Begriffsverständnis unterlegt. Dabei orientierte sich der europäische Richtliniengeber für den Konsolidierungskreis an IAS 27 a. F. mit dem Ziel, Inkohärenzen zur parallel geltenden IAS-VO zu minimieren. Dem Beherrschungsverständnis nach IAS 27 a. F. kommt damit nicht nur für das handelsrechtliche, sondern auch für das geltende europäische Beherrschungsverständnis in der EU-Bilanzrichtlinie maßgebliche Bedeutung zu. Nach IAS 27.4 a. F. liegt Beherrschung vor, wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Geschäfts- und Finanzpolitik eines anderen Unternehmens zu bestimmen. Der Geschäfts- und Finanzpolitik unterfallen weder das operative Tagesgeschäft der Gesellschaft noch Grundlagenentscheidungen, die eine qualifizierte Mehrheit der Hauptversammlung voraussetzen.779 Dagegen umfasst sie – zumindest für die deutsche Aktiengesellschaft – alle die im Aktienrecht mit der Leitung der Gesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG einhergehenden Bereiche.780 Der steuernde Einfluss muss derweil nicht tatsächlich ausgeübt werden. Ausreichend zur Begründung von Beherrschung ist bereits die Einflussmöglichkeit. Diese setzt keine rechtliche Absicherung voraus, wie mit Blick auf die Präsenzmehrheit als rein faktische Beherrschungsmöglichkeit deutlich wird.781 Der Beherrschung gleichwohl inne wohnt die Durchsetzungsmöglichkeit des Einflusses.782 Als Einflussgrundlagen, welche den vorstehenden Anforderungen genügen und dazu aktienrechtlich zulässig sind, kommen die kapitalbedingte Stimmenmehrheit und die Stimmbindungsver-
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Schruff, Einflüsse der 7. EG-Richtlinie, S. 21. Siehe oben S. 170 ff. 780 Siehe oben S. 176. 781 Heuser/Theile, IAS-Handbuch, S. 315; vgl. Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 23 f.; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/ Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 47; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 11. 782 Dazu oben S. 177 ff. 779
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
einbarung ebenso in Betracht wie der Beherrschungsvertrag nach § 291 Abs. 1 AktG und die Präsenzmehrheit.783
III. § 290 HGB als hybrides Beherrschungskonzept Mit der Aufschlüsselung der Beherrschungsvoraussetzungen in IAS 27 a. F. lässt sich nun auch das Beherrschungsverständnis in § 290 HGB abschließend bestimmen. Denn im Zuge des BilMoG wurde das internationale Beherrschungskonzept in IAS 27 a. F. ausdrücklich in § 290 HGB übernommen (wenngleich über den Umweg der Konzernbilanzrichtlinie).784 Das Beherrschungsverständnis der Generalklausel in § 290 Abs. 1 HGB ist mithin identisch mit den ermittelten Einflussparametern zu IAS 27.13(a) – (d) a. F. Für § 290 Abs. 1 HGB gilt insoweit auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Beherrschung liegt mithin erst dann vor, wenn die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme tatsächlich besteht. Hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten, der zulässigen Einflussmittel (und ihrer Grenzen) unter § 290 Abs. 1 HGB ist vollumfänglich auf die Ausführungen zu IAS 27.13 a. F. zu rekurrieren.785 Während die Beherrschung der Einflussmöglichkeiten nach IAS 27.13 a. F. und in der Folge auch nach § 290 Abs. 1 HGB materiell, anhand der tatsächlichen Einflussmöglichkeit zu beurteilen ist, folgen die in § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB aufgeführten Regelbeispiele einem konzeptionell abweichenden Ansatz. Wie auch die Varianten in IAS 27.13(a) – (d) a. F. begründen sie unwiderlegbar ein Beherrschungsverhältnis, jedoch unabhängig von einer tatsächlichen Beherrschungsmöglichkeit.786 Die Einflussmöglichkeiten in § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB setzen zudem eine rechtliche Absicherung voraus – eine faktische Beherrschungsmöglichkeit genügt nicht. Im Unterschied zu IAS 27.13 a. F. sind die Regelbeispiele in § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB formeller Natur und nicht abschließend.787 Dass sie insoweit trotz Ähnlichkeit mit IAS 27.13(a) – (d) a. F. nicht deckungsgleich sind, bedeutet keine Inkohärenz des ermittelten Beherrschungsverständnisses. Vielmehr wird der Anwendungsbereich der Regelbeispiele in § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB von den Einflussmöglichkeiten des IAS 27.13 a. F. und damit auch von § 290 Abs. 1 HGB 783
Siehe oben S. 187 ff. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. 785 S. 183 ff. 786 Ausführlich zur formellen vs. materiellen Auslegung der Tatbestände Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn. 61 – 64; siehe auch Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 31; Küting/Seel, Neukonzeption des Mutter-TochterVerhältnisses nach HGB, BB 2010, 1459, 1460 f.; vgl. Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 35. 787 Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 Rn 58; Morck, in: Koller/Kindler/ Roth et al., HGB, § 290 Rn. 3; Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 31. Unzutreffend daher Landgraf/Roos, Pflicht zur Konzernrechnungslegung, KoR 2011, 366, 368, nach denen IAS 27.13(a) – (d) grundsätzlich mit den Tatbeständen in § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 4 HGB übereinstimmen. 784
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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vollständig erfasst.788 Aufgrund ihrer inhaltlichen Entsprechung mit den in IAS 27.13 a. F. genannten Einflussmöglichkeiten sind sie mit Übernahme des internationalen Beherrschungsverständnisses im Zuge des BilMoG 2009 obsolet geworden. Dass sie gleichwohl im Zuge des BilMoG nicht gestrichen worden sind, liegt an der zwingenden Vorgabe zur Übernahme des Control-Konzepts in nationales Recht nach Art. 1 Abs. 1 Konzernbilanzrichtlinie. Aufgrund ihres formellen Charakters ermöglichen die Regelbeispiele zudem eine erleichterte Prüfung des Konsolidierungskreises anhand quantifizierbarer Kriterien ohne Rücksicht auf die materielle Einflussmöglichkeit. Letztere kommt nach § 290 Abs. 1 HGB erst in Betracht, sofern eine Konsolidierungspflicht nach § 290 Abs. 2 HGB, etwa mangels rechtlicher Einflussmöglichkeit nicht begründet ist. Insoweit hat der Gesetzgeber das europäische Control-Konzept und das Beherrschungsverständnis nach IAS 27 a. F. durch eine Kombinationslösung konzeptionell miteinander verbunden,789 ohne derweil inhaltlich über das Beherrschungsverständnis in IAS 27.13 a. F. hinauszugehen. In der Folge kann Beherrschung sowohl durch die formalen Voraussetzungen nach § 290 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB sowie durch wirtschaftliche Betrachtungsweise nach § 290 Abs. 2 Nr. 4 als auch durch die Generalklausel in § 290 Abs. 1 HGB nach Vorbild des IAS 27 (und SIC 12) a. F. begründet werden.790
IV. Kohärenz zum Deutschen Rechnungslegungsstandard 19 Abschließend ist das zu IAS 27 a. F. ermittelte und auf § 290 Abs. 1 HGB übertragene Beherrschungsverständnis auf Kongruenz mit dem Beherrschungsverständnis des Deutschen Rechnungslegungsstandard (DRS) 19 zu prüfen. Ebenso wie die IAS und IFRS handelt es sich bei den DRS um Empfehlungen eines privaten Rechnungslegungsgremiums, dem Deutschen Rechnungslegungsstandard Commitee (DRSC), das 1998 nach dem Vorbild der FASB und IASC gegründet worden war. Im Zuge des BilMoG hat der DRSC den Auftrag bekommen, Interpretationen zu den Internationalen Rechnungslegungsstandards zu erarbeiten.791 Der DRS 19 wurde nach Inkrafttreten des BilMoG am 29. Dezember 2010 vom Deutschen Standardisierungsrat verabschiedet und am 18. Februar 2011 durch das Bundesministerium für Justiz im Sinne des § 342 Abs. 2 HGB bekannt gemacht. Er konkretisiert seinerseits die Pflicht zur Konzernrechnungslegung und Abgrenzung des Konsolidierungskreises für das HGB.792 Sein Ziel ist es, die Unklarheiten zur Auslegung des Beherrschungskonzepts, die mit dem BilMoG einhergingen, zu beseitigen und ein 788
SIC 12 wurde in § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB implementiert und stellt eine Ausnahme dar. Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 25. 790 Kindler, in: Staub, HGB, § 290 Rn. 25. 791 Ebke/Paal, in: MünchKommHGB, § 342 Rn. 1. 792 Abrufbar unter http://alt.drsc.de/docs/press_releases/2010/DRS19_nearfinal.pdf, letzter Zugriff am 1. 6. 2019. 789
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
einheitliches Verständnis sicherzustellen.793 Für die Rechtsanwendungspraxis kommt ihm eine erhebliche Bedeutung zu. Die Beachtung der Grundsätze des DRS 19 hat zur Folge, dass die Einhaltung der Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung (GoB) mit Blick auf die Ermittlung des Konsolidierungskreises und der Konzernabschlusspflicht vermutet wird.794 Für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer hat der Standard Bindungswirkung.795 Auch vom überwiegenden Teil des Kommentarschrifttums wird der Standard unmittelbar zur Erläuterung beherrschenden Einflusses nach § 290 HGB herangezogen,796 weshalb dieser in der Rechtspraxis eine „erhebliche faktische Bindungswirkung“797 ausstrahlt. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung eignet sich der Vergleich des ermittelten Beherrschungsverständnisses von IAS 27 a. F. und damit § 290 HGB mit den Interpretationen des DRS 19 für eine Gegenprobe. Dazu werden zunächst die Eckpunkte des DRS 19 zum Beherrschungskonzept in § 290 HGB zusammengefasst (1.). Anschließend werden diese mit den hiesigen Untersuchungsergebnissen verglichen (2.). Der Abschnitt endet mit einer Zusammenfassung (3.). 1. Beherrschender Einfluss nach DRS 19 DRS 19 konkretisiert die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses und Konzernlageberichtes gem. § 290 HGB. Beherrschender Einfluss im Sinne des § 290 HGB setzt nach DRS 19.11 allgemein die Fähigkeit voraus, „direkt und/oder indirekt 793
Küting/Mojadadr, Komplexität, DStR 2012, 199, 202. DRS 19, Vorbemerkung S. 2; Link, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung, § 290 Rn. 3. Diese Vermutungswirkung ist angesichts der mangelnden Normsetzungsbefugnis des DRSC als privatem Rechnungslegungsgremium umstritten und Gegenstand verfassungsrechtlicher und gesetzessystematischer Kritik, so Link, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung, § 290 Rn. 3; Schmidt/Holland, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 342 HGB Rn. 19; Budde/Steuber, Normsetzungsbefugnis, DStR 1998, 1181, 1184. So vermag die Vermutung nach § 342 Abs. 2 HGB den Anschein erwecken, dass „den Standards eine über dem Gesetz hinausgehende Wirkung beigemessen wird“, was aber unzulässig wäre, Budde/Steuber, Normsetzungsbefugnis, DStR 1998, 1181, 1184; Schmidt/Holland, in: Beck’scher BilanzKommentar, § 342 HGB Rn. 19. Bei den verabschiedeten Standards handelt es sich lediglich um Empfehlungen ohne rechtsverbindlichen Charakter. Weitergehende Wirkung erlangen diese erst mit Bekanntmachung durch das Bundesjustizministerium, Ebke/Paal, in: MünchKommHGB, § 342 Rn. 24. Auch durch diese erlangt der Standard jedoch keine Gesetzeskraft, sondern lediglich den Charakter einer widerlegbaren Rechtsvermutung, Ebke/Paal, in: MünchKommHGB, § 342 Rn. 24; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 342 Rn. 4; Kleindiek, in: MünchKommBilanzrecht, § 342 Rn. 27 ff. 795 Link, in: Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung, § 290 Rn. 4; Schmidt/Holland, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 342 HGB Rn. 19. 796 Vgl. etwa Müller, in: Bertram/Brinkmann/Kessler (Hrsg.), HGB-Bilanz-Kommentar, § 290 Rn. 19 ff.; Link, in: Merkt/Probst/Fink, § 290 Rn. 11 ff.; Busse von Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 15, 17; Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 25 ff.; Saenger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, § 290 Rn. 28 ff.; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 290 Rn. 7. 797 Kleindiek, in: MünchKommBilanzrecht, § 342 Rn. 31. 794
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
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die Interessen des Mutterunternehmens bei allen wesentlichen finanz- und geschäftspolitischen Entscheidungen auf Ebene des Tochterunternehmens durchsetzen zu können.“798 Als wesentliche Bereiche der Finanzpolitik zählen nach DRS 19.11 die „Budgetierung, Aspekte der Kapitalstruktur sowie der Liquiditätslage (Beschaffung und Verwendung von Finanzmitteln“, zu den wesentlichen geschäftspolitischen Bereichen, die Unternehmensstrategie, die Personalbeschaffung sowie die Planung des Produktsortiments oder Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.799 Diese Aufzählung ist nicht als Beschränkung auf die genannten Entscheidungsbereiche zu verstehen, da sie nur exemplarischen Charakter haben und nicht abschließend sind.800 Dem Standard zufolge wird lediglich die Möglichkeit der Einflussnahme vorausgesetzt, nicht jedoch die tatsächliche Ausübung beherrschenden Einflusses, DRS 19.10. Potenzielle Stimmrechte werden dabei berücksichtigt. Diese Beherrschungsmöglichkeit darf aber nicht so kurzfristig sein, dass „eine Bestimmung der ökonomischen Aktivitäten nicht möglich ist.“801 Schließlich sind die in § 290 Abs. 2 HGB aufgeführten Regelbeispiele nach dem Verständnis des DRS 19.16 formeller Natur, da sie gesicherte Rechtspositionen voraussetzen und unabhängig einer tatsächlichen Möglichkeit zur Ausübung beherrschenden Einflusses ein MutterTochter-Verhältnis unwiderlegbar begründen.802 Eine Korrekturmöglichkeit ist in diesen Fällen allein über das Einbeziehungswahlrecht, § 296 Abs. 1 HGB, möglich, vgl. DRS 19.16/17. Beherrschender Einfluss kann darüber hinaus auch direkt über die Generalklausel in § 290 Abs. 1 HGB begründet werden. Exemplarisch zählt DRS 19.16 neben der faktischen Hauptversammlungsmehrheit auch potenzielle Stimmrechte auf, welche durch die Regelbeispiele in § 290 Abs. 2 HGB nicht erfasst werden. Nicht ganz eindeutig erscheinen derweil die Ausführungen des Standards zum Kriterium der Nutzenziehung selbst. Während die Gesetzesbegründung zum neu eingeführten Beherrschungskonzept ausführt, dass beherrschender Einfluss zu be798 DRS 19.6 enthält eine eigene Definition beherrschenden Einflusses: „Unmittelbare oder mittelbare Bestimmung der Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens. Diese setzt die Fähigkeit zur Durchsetzung der wesentlichen Entscheidungen in bedeutenden Unternehmensbereichen (z. B. Produktion, Vertrieb, Investition, F&E, Personal, Finanzierung) bei diesem Unternehmen voraus.“ 799 DRS 19.11. 800 Vgl. insoweit den Wortlaut DRS 19.11: „Die Bestimmung der Finanzpolitik zielt dabei insbesondere auf die Budgetierung, Aspekte der Kapitalstruktur sowie der Liquiditätslage (…) des betrachteten Unternehmens ab. Zu den wesentlichen geschäftspolitischen Entscheidungen gehören z. B. Entscheidungen hinsichtlich der Unternehmensstrategie und des Geschäftsmodells, der Personalbeschaffung, der Planung des Produktsortiments oder der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.“ Hervorhebungen durch den Verfasser. 801 DRS 19.12. 802 Ausgenommen davon sind Zweckgesellschaften nach § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB gem. DRS 19.45. Für diese gilt vielmehr eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Auf formalrechtliche Abgrenzungskriterien kommt es nicht an.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
jahen ist, „wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens dauerhaft zu bestimmen, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen“,803 enthält die Definition in DRS 19.6 keine äquivalente Voraussetzung. Beherrschender Einfluss nach DRS 19.6 erschöpft sich danach in der Voraussetzung unmittelbar oder mittelbar die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens zu bestimmen. Nähere Ausführungen enthält dagegen DRS 19.15, worin Nutzenziehung als Möglichkeit, wirtschaftliche Vorteile aus der Tätigkeit eines Unternehmens zu erlangen, legal definiert wird. 2. Kongruenz der Untersuchungsergebnisse mit DRS 19 Im Vergleich der Ergebnisse der Untersuchung des Beherrschungskonzepts des IAS 27 a. F. und den Erläuterungen des DRS 19 offenbart sich ein hoher Übereinstimmungsgrad. Innerhalb der Einflussintensität sind keinerlei Abweichungen festzustellen. Die reine Partizipation an Entscheidungsprozessen der Gesellschaft reicht nicht aus, beherrschenden Einfluss zu begründen. Vielmehr muss eine zumindest mittelbare Durchsetzungsmöglichkeit der Interessen des Mutterunternehmens auf Ebene des Tochterunternehmens bestehen.804 Auch beim Gegenstandsbereich des Einflusses besteht Deckungsgleichheit zwischen dem Standard und dem hiesigen Untersuchungsergebnis: Danach setzt die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens einen umfassenden Einfluss auf die Leitung der Gesellschaft, gem. § 76 Abs. 1 AktG voraus, unter Ausnahme des Tagesgeschäfts und aller Entscheidungen, die eine qualifizierte Mehrheit der Hauptversammlung voraussetzen, mithin Grundlagenentscheidungen.805 Nach DRS 19.11 bezieht sich der Einflussumfang nur auf die wesentlichen finanz- und geschäftspolitischen Entscheidungen. Weitergehend benennt DRS 19.11 konkrete Einflussbereiche wie etwa Budgetierung, Personalbeschaffung und Planung des Produktsortiments. Dies stellt jedoch keine Abweichung vom hiesigen Untersuchungsergebnis dar. Vielmehr handelt es sich dabei um konkrete, typischerweise der Leitung der Gesellschaft zugeordnete Geschäftsbereiche.806 Auch nach DRS 19 umfasst beherrschender Einfluss keine Grundlagengeschäfte, da die qualifizierte Mehrheit Ausdruck der Partizipation Dritter und dem Schutz von Minderheiten in der Gesellschaft dient. Durch deren Mitwirkungsrechte im Rahmen solcher Grundlagengeschäfte werden „die Einflussmöglichkeiten des Mutterunternehmens im Hinblick auf die im normalen Geschäftsgang zu treffenden geschäfts- und finanzpolitischen Entscheidungen
803
Begr. Rechtsausschuss zum BilMoG, BT-Drucks. 16/12407 vom 24. 3. 2009, S. 89. Siehe oben zur Einflussintensität S. 177. 805 Siehe oben S. 191. 806 Vgl. etwa Koch, in: Hüffer/Koch, § 76 Rn. 9; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 76 Rn. 10; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 15 f.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 76 Rn. 4. 804
B. Beherrschung im Konzernbilanzrecht
197
regelmäßig nicht beeinträchtigt.“807 Damit ist der ermittelte Einflussumfang mit dem des DRS 19 deckungsgleich. Gleiches gilt mit Blick auf die Beständigkeit beherrschenden Einflusses. Ebenso wie in der Untersuchung ausgeführt, sind auch dem Standard zufolge Stimmrechtsoptionen grundsätzlich bei der Prüfung beherrschenden Einflusses zu berücksichtigen, sofern ihre Ausübung an keine weiteren rechtlichen Bedingungen geknüpft ist. Ferner muss die Ausübung dem Inhaber der Optionen auch wirtschaftlich möglich sein.808 Dies stellt derweil eine feine Abweichung zu IAS 27.15 a. F. dar, wonach es auf die Liquidität des Stimmrechtsinhabers bei Prüfung nicht ankommt. Diese Voraussetzung war allerdings in Anbetracht der der Regelung zugrunde liegenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise auf Kritik gestoßen.809 Insoweit ist eine Anpassung der Handlungsanweisung an die Rechtspraxis im Sinne des DRS 19.76, welche die finanziellen Verhältnisse berücksichtigt und die Wahrscheinlichkeit einer Stimmrechtsausübung sachgemäß beurteilt, zu begrüßen. Eine grundsätzliche, konzeptionelle Differenz zum Beherrschungsverständnis des IAS 27 a. F. stellt sie derweil nicht dar, allenfalls eine Feinkorrektur. Auch hinsichtlich der Dauer stimmt das Untersuchungsergebnis mit dem Standard überein. Die vorstehende Untersuchung hat aufgezeigt, dass mit Blick auf IFRS 5 zwar nicht jede kurzfristige Beherrschungsmöglichkeit auch zur Konsolidierungspflicht führt. Davon ungeachtet findet IAS 27 a. F. jedoch auch auf die kurzfristige Beherrschungsmöglichkeit grundsätzlich Anwendung. Gleichwohl setzt die Möglichkeit der Nutzenziehung auch nach IAS 27.4 a. F. notwendig eine gewisse Dauerhaftigkeit voraus, ohne die kurzfristige Beherrschungsmöglichkeit im Grundsatz auszuschließen.810 Weiter reicht auch das Kriterium der Dauerhaftigkeit in § 290 HGB nicht. So darf nach DRS 19.12 die Möglichkeit zur Ausübung beherrschenden Einflusses „nicht so kurzfristig sein, dass eine Bestimmung der ökonomischen Aktivitäten nicht möglich ist.“ Die hiesige Untersuchung ist mit Blick auf die der Nutzenziehung nach IAS 27.4 a. F. inhärente Beständigkeit der Einflussdauer zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt.811 Eine vorübergehende Beherrschung ist sowohl nach IAS 27 a. F. als auch DRS 19 nicht stets ausgeschlossen. Mit Blick auf die Nutzungsbegriffe deckt sich das weite Verständnis des IAS 27 a. F. mit dem des DSR 19. Die Nutzenziehung umfasst direkte wie indirekte Vorteile zugunsten des beherrschenden Unternehmens. DRS 19.15 führt aus, dass mit der 807
DRS 19.13. DRS 19.76. Im wirtschaftlichen Vermögen des Stimmrechtsinhabers liegt eine feine, sachgerechte Abweichung zu IAS 27. 809 Siehe oben S. 180 f.; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 50; siehe auch Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 47; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRSHandbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 16. 810 Siehe oben S. 182. 811 Siehe oben S. 182 f. 808
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Beherrschungsmöglichkeit regelmäßig die Möglichkeit zur Nutzungsziehung einhergeht, sodass sie im Umkehrschluss ein Indiz für das Vorliegen beherrschenden Einflusses darstellt. Dass eine Nutzenziehung notwendige Voraussetzung für die Annahme beherrschenden Einflusses ist, besagt DRS 19.15 jedoch nicht. Die tatsächliche Nutzenziehung setzt auch IAS 27.4 a. F. und damit § 290 HGB nicht voraus, sondern allein die dazu bestehende Möglichkeit.812 Diese Möglichkeit geht nach DRS 19.15 mit der Entscheidungsmacht regelmäßig einher, sodass letztlich von einer Übereinstimmung der Voraussetzungen zwischen DRS 19 und IAS 27 a. F. auszugehen ist. Nur dort, wo diese Möglichkeit trotz Entscheidungsmacht ausnahmsweise ausgeschlossen ist, kommt eine Beherrschung nicht in Betracht, etwa bei Treuhandverhältnissen.813 Dies entspricht der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Im Ergebnis besteht im Hinblick auf das Kriterium der Nutzungsziehung kein Unterschied zwischen DRS 19 und IAS 27 a. F. Schließlich stellt DRS 19 keine weiteren Voraussetzungen an die zulässigen Einflussgrundlagen als die allgemeinen Einflussmöglichkeiten. Anhaltspunkte, dass Einflussmittel nach § 290 HGB etwa gesellschaftsrechtlich fundiert sein müssen, sind dem Standard nicht zu entnehmen.814 Die Ausführungen zu sonstigen Beherrschungssachverhalten in DRS 19.69 ff. führen exemplarisch allein die Präsenzmehrheit und potenzielle Stimmrechte auf. Damit verbunden ist aber keine pauschale Einschränkung der Beherrschungsgrundlagen durch DRS 19. Vielmehr stimmen DRS 19 und IAS 27 a. F. ebenfalls in der grundsätzlichen Unbeschränktheit der Beherrschungsgrundlage überein, welche jedoch durch die engen Voraussetzungen der Einflussfaktoren in der AG auf eine Handvoll Beherrschungsmittel limitiert ist. 3. Ergebnis Zwischen DRS 19 und IAS 27 a. F. besteht eine nahezu vollkommene Deckungsgleichheit mit Blick auf das Beherrschungsverständnis in § 290 HGB. Dieses Ergebnis stützt die dieser Untersuchung zugrunde liegende These, dass in § 290 HGB im Zuge des BilMoG 2009 eine weitgehende Anpassung an die Internationalen Rechnungslegungsstandards vollzogen worden ist. Ein etwaiger Rückgriff auf die ursprüngliche, aktienrechtliche Prägung des Konsolidierungskreiskonzepts ist seit812 Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 38 f.; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29. Vgl. auch Stibi/Kirsch/EweltKnauer, DRS 19: Pflicht zur Konzernrechnungslegung, WPg 2011, 761, 766; Landgraf/Roos, Pflicht zur Konzernrechnungslegung, KoR 2011, 366, 368. A. A. Baetge/Hayn/Ströher, in: Baetge/Wollmert/Kirsch et al., Rechnungslegung nach IFRS, 2. Aufl. 2006, IAS 27 Tz. 19. 813 Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. 315a Rn. 5; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 8; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29. 814 Landgraf/Roos, Pflicht zur Konzernrechnungslegung, KoR 2011, 366, 369. Unzutreffend daher Küting/Koch, in: Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht, S. 377, 392; Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 290 Rn. 13.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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her ausgeschlossen.815 Entsprechend finden sich auch in DRS 19 keine Anhaltspunkte auf ein aktienrechtlich geprägtes Begriffsverständnis beherrschenden Einflusses. Einschränkungen, wonach die Grundlage der Beherrschung etwa gesellschaftsrechtlich fundiert sein muss, sind nicht zu finden. Vielmehr stehen die Konkretisierungen des DRS 19 ersichtlich im Einklang mit dem ehemaligen internationalen Konsolidierungskonzept IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F.816 Stimmen in der Literatur, die genau in dieser Anlehnung des DRS 19 an die Internationalen Rechnungslegungsstandards einen „Versuch der Implementierung der internationalen Regelungen durch die Hintertür“ sehen,817 verkennen grundsätzlich die § 290 HGB zugrunde liegenden Rechtsquellen und die bereits 2009 vollzogene Abkehr vom aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzept.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht In der kartellrechtlichen Fusionskontrolle sind gleich zwei unterschiedliche Verbundkonzepte zu beleuchten. So richtet sich einerseits die wirtschaftliche bzw. wettbewerbliche Einheit eines Unternehmensverbunds für die Schwellenwertermittlung in der formellen Fusionskontrolle nach § 36 Abs. 2 GWB. Andererseits verwendet das GWB mit dem Kontrollkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB noch einen weiteren Verbundtatbestand, der ebenfalls im Rahmen der formellen Fusionskontrolle zur Anwendung kommt. Während die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff rekurriert, ist das Kontrollverständnis aufgrund des ausdrücklich intendierten Harmonisierungsbestrebens des Gesetzgebers an den äquivalenten Zusammenschlusstatbestand im europäischen Recht, Art. 3 Abs. 2 FKVO angelehnt. Um eine mögliche Konvergenz der Tatbestände de lege ferenda auszuloten, sind im folgenden Unterkapitel die Voraussetzungen der jeweiligen Tatbestände zu untersuchen, um inhaltliche Übereinstimmungen und Divergenzen zu ermitteln. Dafür beantwortet die folgende Untersuchung zuerst die Frage, inwieweit der kartellrechtlichen Verbundklausel ein spezifisch gesellschaftsrechtliches Verständnis zugrunde liegt (I.). Anschließend widmet sich die Untersuchung der Bestimmung des Kontrollbegriffs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB (II.).
815 Vgl. Müller, in: Bertram/Brinkmann/Kessler, HGB, § 290 Rn. 18, vgl. auch Gelhausen/ Deubert/Klöcker, Zweckgesellschaften nach dem BilMoG, DB 2010, 2005; Senger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 HGB Rn. 27 f. A. A. Busse v. Colbe, in: MünchKommHGB, § 290 Rn. 13. 816 Vgl. Senger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 290 HGB Rn. 28; Landgraf/Roos, Pflicht zur Konzernrechnungslegung, KoR 2011, 366, 373. 817 So aber etwa Landgraf/Roos, Pflicht zur Konzernrechnungslegung, KoR 2011, 366, 373.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
I. Die Verbundklausel nach § 36 Abs. 2 GWB Ist ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen abhängig oder herrschend im Sinne von § 17 AktG oder ein Konzernunternehmen nach § 18 AktG, so sind für die Berechnung der Umsatzerlöse nach der formellen Fusionskontrolle die verbundenen Unternehmen als ein einheitliches Unternehmen zu betrachten.818 Darüber hinaus erlangt die Verbundklausel Bedeutung in der materiellen Fusionskontrolle. Für diese werden die Marktanteile der Konzernunternehmen zusammengerechnet, um ein tatsächliches Bild des wettbewerblichen Einflusses des Unternehmensverbunds zu gewinnen.819 Denn zwischen verbundenen Unternehmen ist der Wettbewerb ausgeschaltet. Die Verbundklausel fungiert als notwendiges Korrektiv zum formalen, vom einzelnen Rechtsträger ausgehenden Unternehmensbegriff im Fusionskontrollrecht.820 Dahinter steht das dem GWB inhärente Prinzip der wirtschaftlichen Betrachtungsweise.821 Danach sollen sich wettbewerbliche Entscheidungen anhand der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Marktteilnehmer orientieren und nicht beliebig von der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmenseinheit abhängig sein.822 Die Verbundklausel zur Abbildung der wirtschaftlichen Einheit von Unternehmen wurde bereits im Zuge der 1. GWB-Novelle 1965 ins GWB eingefügt,823 galt jedoch 818 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 64; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 215; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. Von wettbewerblicher Einheit spricht der Gesetzgeber, Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26. 819 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678. 820 Vgl. Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; so schon Ruppelt, in: Bahr/Langen/Bunte et al., Kartellrecht, 11. Aufl. 2011, § 36 GWB Rn. 58. 821 Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 269. 822 Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 269; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; vgl. die Begründung zur 2. GWB Novelle, BT-Drucks. 6/2520 v. 18. 8. 1971, S. 26. 823 § 23 GWB a. F. von 1965: „(1) Der Zusammenschluß von Unternehmen ist der Kartellbehörde unverzüglich anzuzeigen, wenn 1. die beteiligten Unternehmen durch den Zusammenschluß für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen einen Marktanteil von 20 vom Hundert oder mehr erreichen oder ein beteiligtes Unternehmen einen Marktanteil dieser Höhe bereits ohne Zusammenschluß hat oder 2. die beteiligten Unternehmen insgesamt zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem Zusammenschluß 10 000 Beschäftigte oder mehr oder in diesem Zeitraum einen Umsatz von 500 Millionen Deutscher Mark oder mehr hatten oder in ihrer Bilanz für das letzte vor dem Zusammenschluß endende Geschäftsjahr eine Bilanzsumme von 1 Milliarde Deutscher Mark oder mehr ausgewiesen hatten. Ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 ein beteiligtes Unternehmen ein Konzernunternehmen im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes, so sind für die Berechnung des Marktanteils alle Konzernunternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen. In Fällen des Satzes 1 Nr. 2 sind Umsätze in fremder Währung nach amtlichen Kurs in Deutsche Mark umzurechnen.“ (Hervorund Kursivsetzung durch d. Verf.) Insoweit unzutreffend Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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damals nur für die Zurechnung von Marktanteilen. Damit zog der Verbundtatbestand sowohl vor Verabschiedung des Aktiengesetzes 1965 als auch vor Einführung der präventiven Fusionskontrolle ins nationale Wettbewerbsrecht ein. Denn zu dieser Zeit war die Zusammenschlusskontrolle auf eine bloße Anzeige- und Auskunftspflicht beschränkt.824 Der ursprüngliche Wortlaut bezog sich noch auf das Aktienrecht 1937 und wurde in der 2. GWB-Novelle redaktionell angepasst.825 Mit der Anpassung des GWB an die europäische Fusionskontrolle im Rahmen der 6. GWBNovelle wurde auch die Verbundklausel neu überarbeitet und in der heute bekannten Fassung in § 36 Abs. 2 GWB eingefügt.826 Inhaltlich blieb die Verbundklausel unverändert.827 Durch den Wegfall der Zweckbeschränkung auf die Marktanteils- und Umsatzberechnung mit der 6. GWB-Novelle 1998 wurde jedoch der Anwendungsbereich der Verbundklausel ausgeweitet.828 Trotz der systematischen Stellung im Abschnitt zur Fusionskontrolle findet die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 36 GWB Rn. 36, sowie Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 36 GWB Rn. 783, die beide anführen, dass eine Konzernklausel erstmals mit der 2. GWB-Novelle 1973 ins GWB Einzug gefunden hat und damit parallel zur Einführung der präventiven Fusionskontrolle. 824 Rittner, in: Festschrift für Ernst von Caemmerer, S. 623, 625, auch zur grundsätzlichen Kritik an der unübersichtlichen Systematik formeller und materieller Zusammenschlussvoraussetzungen noch unter dem § 23 GWB a. F. S. 634 – 637. Aus rechtsgeschichtlicher Sicht ist das nationale Kartellrecht nach heutigem Verständnis ein Spätling verglichen mit seinem US-amerikanischen Vorbild. Nach der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 setzte im Zuge der wirtschaftlichen Rezession im Deutschen Reich die Kartellierung der Märkte ein. Das Reichsgericht akzeptierte 1890 großzügig ein Rabattkartell des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler (RGZ 28, 238, 243 f.) und später das Verkaufssyndikat des Sächsischen HolzstoffFabrikanten-Verband (RGZ 38, 155, 158 ff.), um einen vermeintlich schädlichen Preisverfall zu verhindern. Zur gleichen Zeit verabschiedete der US-Congress mit Sec. 1 Sherman Act bereits einen modernen Kartellverbotstatbestand, Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 194 f. Im Deutschen Reich wuchs dagegen die Anzahl der Kartelle während des Ersten Weltkrieges, Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 196. Auch der NS-Staat bediente sich großer Kartelle zur Lenkung der Wirtschaft, die der Reichswirtschaftsminister selbst auf Grundlage des Zwangskartellgesetzes von 1933 begründen konnte, Gesetz über Errichtung von Zwangskartellen vom 15. Juli 1933, RGBl. I, S. 488. Nach Kriegsende wurden mit den durch die Allierten in den westlichen Besatzungsgebieten erlassenen Dekartellierungsgesetzen 1947 erstmals ein Kartell- und Monopolisierungsverbot in Deutschland eingeführt. Diese ermöglichten die Entflechtung auch stark konzentrierter Unternehmen wie die IG Farben. Zur Rolle der großen Zwangskartelle im Zweiten Weltkrieg vgl. M. Kuntz, Conceptualising Transnational Corporate Groups for International Criminal Law, Einleitung, S. 1 ff.; Bechtold/Bosch, GWB, Einführung, Rn. 4. 825 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BGBl. I 1973 S. 917 v. 3. 8. 1973. 826 Sechstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. 8. 1998, BGBl. I 1998 S. 2521. 827 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678. 828 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; vgl. Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 128; BGH, Urteil v. 23. 6. 2009 – KZR 21/08 – „Entega I“, AG 2009, 742, 743.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
seither für das gesamte GWB, mithin die Marktmissbrauchskontrolle und das Kartellrecht im eigentlichen Sinne Anwendung und zwar unabhängig davon, ob sich der Unternehmenssitz im Inland oder Ausland befindet.829 Den Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung bildet die Darstellung des geltenden Verständnisses der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB, das sich eng am Abhängigkeitsbegriff des Aktienrechts orientiert (1.). Davon ausgehend deckt der anschließende Abschnitt Friktionen auf, die mit der vollumfänglichen Übernahme des gegenwärtigen Abhängigkeitsverständnisses in das Wettbewerbsrecht einhergehen (2.). Im Anschluss werden drei alternative Auslegungsansätze der Verbundklausel diskutiert, mittels derer die aufgezeigten Friktionen im Wettbewerbsrecht vermieden werden können (3.). Das abschließende Ergebnis fasst das vorzugswürdige Verständnis der Verbundklausel zusammen (4.). 1. Aktienrechtsspezifische Auslegung der Verbundklausel Die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB verweist auf das aktienrechtliche Abhängigkeitskonzept in § 17 AktG sowie den Konzernbegriff in § 18 AktG. Warum sich der Gesetzgeber des gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeits- und Konzernverständnisses bediente, statt für das Wettbewerbsrecht ein eigenes Verbundkonzept zu entwickeln, lässt sich den ursprünglichen Gesetzesmaterialien zur 2. GWB-Novelle nicht mit Sicherheit entnehmen.830 Naheliegend ist jedoch, dass der Gesetzgeber mit Verweis auf den damaligen § 15 Abs. 2 AktG 1937 zum Zwecke der Rechtseinheit und Rechtssicherheit auf ein bereits etabliertes Verbundkonzept zurückgreifen wollte, zumal er mit dem GWB insgesamt rechtliches Neuland betrat.831 Daran hielten auch die nachfolgenden Novellen des GWB fest, die nunmehr auf den Abhängigkeits- und Konzernbegriff des AktG 1965 verwiesen. Dem aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzept kommt insoweit, wie Schmidt zutreffend formuliert, die Funktion einer „Begriffsvereinheitlichung“ zu.832 Der ausdrückliche Verweis der Klausel auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG bzw. § 18 AktG suggeriert eine einfache Handhabung der Verbundklausel, indem, so Thomas, auf „etablierte(.) aktienrechtliche(.)
829 Begründung 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 v. 29. 1. 1998, S. 56 f.; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 269. 830 Vgl. zur Unklarheit der Gesetzesmaterialien über die Auslegung von § 36 Abs. 2 GWB, Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95. 831 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Kartelle rechtlich noch nicht als verwerflich bzw. volkswirtschaftsschädlich angesehen, von Zusammenschlüssen großer Unternehmen ganz zu schweigen, vgl. Bechtold/Bosch, GWB, Einführung, Rn. 1. 832 K. Schmidt, „Unternehmen“ und „Abhängigkeit“ ZGR 1980, 277, 284.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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Grundsätze“833 rekurriert wird. Für Unternehmen ist die Rechtsklarheit, ob ein Zusammenschluss der wettbewerbsrechtlichen Notifizierungspflicht unterfällt, von erheblicher Bedeutung. Dies gilt sowohl mit Blick auf das Vollzugsverbot des Zusammenschlusses vor Freigabe und der damit verbundenen zivilrechtlichen Wirksamkeit des Erwerbsgeschäfts als auch angesichts eines empfindlichen Bußgeldrisikos im Fall des unerlaubten Vollzugs.834 Aufgrund dieses ausdrücklichen Verweises auf §§ 17, 18 AktG erlangt das aktienrechtliche Verbundverständnis Anwendung im Kartellrecht.835 Es überrascht daher nicht, dass sich die ganz überwiegende kartellrechtliche Literatur für die Auslegung des kartellrechtlichen Verbundkonzepts des herrschenden aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses bedient.836 Nach heute ganz herrschender Auffassung muss beherrschender Einfluss im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB danach nicht nur entsprechende Anforderungen an Umfang, Intensität und Beständigkeit erfüllen wie in § 17 AktG.837 Die Einflussgrundlagen müssen zudem gesellschaftsrechtlich bedingt oder vermittelt sein.838 Eine solch vollumfängliche Auslegung im Sinne des Aktienrechts wurde in der früheren Literatur nicht einheitlich gefordert. Vielmehr wurde der Abhängigkeitsbegriff in der Fusionskontrolle mit Blick auf den hiesigen Regelungszweck trotz Verweises auf das Aktienrecht weiter verstanden als im Gesellschaftsrecht.839 Da833
Vgl. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 705; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 41 GWB Rn. 1 ff. M&A-Verträge enthalten daher häufig die kartellrechtliche Freigabe als aufschiebende Closing-Bedingung. 835 Emmerich/Lange, Kartellrecht, S. 287; Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 64; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 702; Neuhaus, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 220 ff.; Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 36 GWB Rn. 49. 836 Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 226; v. Merveldt/Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 170; Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 64; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 Rn. 142; Schütz, in: KK-Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 137. 837 Vgl. Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 64; Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 82 f.; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 143 ff.; v. Merveldt/ Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 36 Rn. 170. 838 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7. 5. 2008 – VI-Kart 1/07 (V) – „Universitätsklinikum Greifswald“, AG 2008, 859, 860; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703; v. Merveldt/Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 170; Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 64; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 226; Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 277; Kleinmann/Josanhans, Familiäre Verbundenheit, BB 2003, 1341, 1342. 839 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, § 23 Rn. 40; Kleinmann/ Bechtold, in: Kleinmann/Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, 2. Aufl. 1989, § 23 GWB 834
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
nach war der Verweis auf das aktienrechtliche Begriffsverständnis zunächst als Ausgangspunkt der Auslegung anzusehen. Diese sollte sich jedoch primär nach den Zwecken der Fusionskontrolle richten.840 Im Ergebnis wurde für den Verbundbegriff im Kartellrecht ein geringerer Beeinflussungsgrad verlangt als im Aktienrecht.841 Konkret konnten auch Leistungsaustausch- und Kreditbeziehungen im Einzelfall beherrschenden Einfluss im Sinne der Verbundklausel begründen.842 Der BGH hat in seiner Zurechnungsklausel-Entscheidung die unterschiedlichen Ansätze zur Auslegung der kartellrechtlichen Verbundklausel dargestellt, eine Klärung der Frage, welcher methodische Ansatz vorzugswürdig ist, aber ausdrücklich offen gelassen.843 Die Auffassung, dass dem Verweis auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand lediglich die Funktion eines Ausgangspunktes zukommt, vertreten heute neben Kallfaß auch Becker, Knebel und Christiansen.844 Letzteren zufolge kann die Verbundklausel „ohne Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung durchaus zu vom Aktienrecht abweichenden Beurteilungen kommen, solange dies von den besonderen Zwecken der Zusammenschlusskontrolle und des übrigen Kartellrechts gedeckt ist.“845 Die heute überwiegende Auffassung, die von einer vollumfänglichen Orientierung am aktienrechtlichen Verständnis ausgeht,846 stützt ihren Ansatz auf den ausdrücklichen Normverweis, wonach das aktienrechtliche Begriffsverständnis sowohl Maßstab als auch Grenzen der Auslegung der Verbundklausel im Fusionskontroll-
Rn. 349 ff. A. A. stellvertretend Langen/Niederleithinger/Ritter/Schmidt, in: Langen/Niederleithinger/Ritter et al., Kommentar zum Kartellgesetz, 6. Aufl. 1982, § 23 GWB Rn. 88 f. 840 Kleinmann/Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, 2. Aufl. 1989, § 23 GWB Rn. 348. 841 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, § 23 GWB Rn. 40 f.; Koppensteiner, in: KK-AktG, 2. Aufl. 1988, Vor. § 15 Rn. 31; Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 36 GWB Rn. 51: Dies vertreten heute noch Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 276. Dies ist allerdings nicht frei von Widersprüchen, da sie mit Blick auf den beherrschenden Einfluss selbst von der gesellschaftsrechtlich bedingten Einflussmöglichkeit und damit einer grundsätzlich vollumfänglichen Auslegung nach aktienrechtlichen Maßstäben ausgehen. 842 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, § 23 GWB Rn. 44 f.; Kleinmann/Bechtold, in: Kleinmann/Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, 2. Aufl. 1989, § 23 GWB Rn. 354. 843 BGH, Beschluss v. 19. Januar 1993 – KVR 32/91 – BGHZ 121, 137, 145 f. 844 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 143. 845 Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 276. 846 Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 226; v. Merveldt/Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 170; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 31. A. A. Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 277.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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recht bestimmt.847 Ruppelt zufolge ist „(d)ie Übernahme des aktienrechtlichen Beherrschungsbegriffs (…) hier gerechtfertigt, weil der Begriff der verbundenen Unternehmen der Gesamterfassung der wirtschaftlichen Ressourcen von Unternehmensgruppen dient.“848 Zwar sieht auch die herrschende Ansicht, dass es sich bei § 36 Abs. 2 GWB nicht um eine originär aktienrechtliche Norm handelt, sodass bei der Auslegung der aktienrechtlichen Tatbestände „der Grundsatz der kartellrechtlich-funktionalen Auslegung zu beachten“ ist.849 Auch nach Ruppelt schließt die Übernahme des aktienrechtlichen Beherrschungsverständnisses „eine speziell kartellrechtliche Betrachtung des Verbundbegriffs nach Maßgabe der Zwecke der Fusionskontrolle nicht aus, wenn (…) eine konkrete Wertung notwendig und abgebracht ist.“850 Wann eine solche kartellrechtlich indizierte Abweichung vom aktienrechtlichen Verständnis notwendig und angezeigt ist, bleibt allerdings unklar. Nach Paschke sind bislang keine Tatbestände zu erkennen, „bei denen die aktienrechtliche Wertung zu einem dem Sinn der Zusammenschlusskontrolle widersprechenden Ergebnis führt“.851 Vor diesem Hintergrund erscheint der von der herrschenden Auffassung eingeräumte Raum für eine kartellrechtlich-funktionale Auslegung relativ. Der Verweis auf das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis wird nicht nur als Auslegungsmaßstab für das kartellrechtliche Verbundkonzept, sondern zugleich auch als dessen Begrenzung angesehen. So sei, nach Thomas, auch bei der kartellrechtlich-funktionalen Auslegung „der Wille des Gesetzgebers zu respektieren, im Rahmen der Verweisung des § 36 Abs. 2 S. 1 soweit wie möglich anhand der etablierten aktienrechtlichen Grundsätze vorzugehen.“852 Insbesondere sei mit dem Verweis auf §§ 17, 18 AktG ein originär kartellrechtliches Zurechnungsverständnis, welches einen geringeren Beeinflussungsgrad voraussetzt, unvereinbar. Der Verweis habe eine kompetenzbegrenzende Funktion und sei insoweit abschließend.853 Dass § 36 Abs. 2 GWB auf Unternehmen aller Rechtsformen Anwendung findet, stellt in
847 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703; Bechtold/ Bosch, GWB, § 36 Rn. 64; Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 Rn. 95; v. Merveldt/Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 168 ff.; Schulte, in: Schulte/Just, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 82 ff.; vgl. auch Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 1. 848 Ruppelt, in: Bahr/Langen/Bunte et al., Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl. 2011, § 36 GWB Rn. 61. 849 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 850 Ruppelt, in: Bahr/Langen/Bunte et al., Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl. 2011, § 36 GWB Rn. 61; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 851 Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 96. 852 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 853 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 704 ff. Im Ergebnis auch Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 Rn. 96; KG, Beschluss v. 9. 11. 1994 – Kart 20/93 – „HaGE Kiel“, AG 1995, 424, 425 f.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
diesem Sinne weder eine kartellrechtliche Erweiterung des Anwendungsbereichs854 noch eine Abweichung vom aktienrechtlichen Wortlaut dar.855 Vielmehr sind die Definitionsnormen der §§ 15 ff. AktG selbst rechtsformneutral ausgestaltet,856 vgl. nur die Anwendbarkeit im GmbH-Konzernrecht.857 2. Friktionen durch das geltende Abhängigkeitsverständnis Die vollumfängliche Übertragung des gegenwärtigen aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses auf die Verbundklausel des Wettbewerbsrechts geht derweil mit Wertungswidersprüchen einher, die erst bei näherem Blick auf das geltende Abhängigkeitsverständnis deutlich werden. Da Letzteres bereits untersucht worden ist, sind an dieser Stelle lediglich kurz die Eckpunkte des geltenden Abhängigkeitsverständnisses in Erinnerung zu rufen: Der aktienrechtliche Abhängigkeitsbegriff in § 17 AktG ist durch einen hohen Abstraktionsgrad geprägt, aus dem weder ein Argument für noch gegen eine Beschränkung zulässiger Einflussgrundlagen zu entnehmen ist.858 Gleiches gilt mit Blick auf die Gesetzesmaterialien. Der definitorische Gehalt des § 17 AktG erschöpft sich in der Gegenüberstellung von Abhängigkeit und Beherrschung als konnexe Begriffe.859 Die Konturierung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs folgt erst im Kontext der Rechtsfolgetatbestände, ohne die eine abschließende Bestimmung der Abhängigkeitsvoraussetzungen nicht möglich ist.860 Die vorstehende Untersuchung hat aufgezeigt, dass der historische Gesetzgeber des AktG 1965 von einem weiten Abhängigkeitsverständnis ausging, welches insbesondere keine Beschränkung der zulässigen Einfluss-möglichkeiten vorsah. Ob eine Beherrschungsmöglichkeit besteht, sollte sich vielmehr abschließend aus den übrigen Einflussparametern, wie Einflusstiefe, -intensität und -beständigkeit bestimmen.861 Die Beschränkung des Abhängigkeitsverständnisses auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten geht vielmehr auf das Schrifttum zurück, welches die vermeintliche Gefahr einer Ausuferung faktischer Konzernrechtsverhältnisse und der 854
Unzutreffend insoweit Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 143. So aber in der Tendenz Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 274; BGH, Beschluss v. 23. 10. 1979 – KVR 3/78 – „Zementmahlanlage II“, WuW/E 1655, 1656. 856 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 Rn. 710; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 31. 857 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 45. 858 Siehe oben S. 46 f. 859 Siehe bereits S. 21 f., zu dieser Kritik an der Konzeption des Abhängigkeitstatbestands vgl. Werner, Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand S. 25. 860 Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 14; so auch Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2475; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 9. 861 Siehe oben S. 126. 855
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mit ihnen einhergehenden Ausgleichspflichten in den §§ 311 ff. AktG einzudämmen versuchte. Als Argument wurde angeführt, dass die Vorschriften des materiellen Konzernrechts in den §§ 311 ff. AktG den Auslegungsschwerpunkt des § 17 AktG bilden.862 Aus diesem Grund seien externe Einflussmittel unbeachtlich, da Zweck der §§ 311 ff. AktG sei, einen Ausgleich für die Veränderung der innergesellschaftlichen Machtbalance zwischen Vorstand, Aktionären und Gläubigern zu schaffen.863 Bei einem externen Einfluss durch ein wirtschaftlich mächtiges Unternehmen sei die Gesellschaft hingegen als Ganzes betroffen. Das materielle Konzernrecht und in Konsequenz § 17 AktG seien daher nicht auf eine externe Beherrschung zugeschnitten. In der Folge könne sich der Abhängigkeitsbegriff nur auf gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten beziehen.864 Diese Einschränkung der Einflussmittel wird ferner damit begründet, dass marktbedingter Einfluss kein spezifisch aktienrechtliches Problem sei, das einen gebietsspezifischen Schutz erfordere. Vielmehr böten Koppensteiner und Ulmer zu Folge sowohl das speziellere Kartellals auch das allgemeine Vertragsrecht ausreichenden Schutz vor einer etwaigen Beherrschungssituation durch externe Faktoren.865 Selbst der BGH, der sich in der BuM-Entscheidung dieser herrschenden Auffassung im Schrifttum angeschlossen hat, rechtfertigt die Einschränkung der Einflussgrundlagen im Aktienrecht mit der etwaigen „Ausnutzung spezifisch gesellschaftsrechtlicher Möglichkeiten“, welche „deshalb auch mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln zu bekämpfen sind.“866 Mit Blick auf Einflussmöglichkeiten ohne gesellschaftsrechtliche Grundlage führt er aus: „Die allgemeinen Risiken einer marktwirtschaftlichen Betätigung zu erfassen und, soweit in diesem Bereich ein Schutzbedürfnis gegenüber rücksichtsloser Machtausübung auftritt, dem Betroffenen den nötigen Rechtsschutz zu gewähren, ist dagegen nicht die Aufgabe des Rechts der verbundenen Unternehmen, sondern des Zivilrechts, des Wettbewerbsrechts und des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen.“867
In dieser Begründung der Einschränkung aktienrechtlicher Beherrschungsmöglichkeiten offenbahrt sich der Wertungswiderspruch im geltenden Kartellrechtsverständnis: Der aktienrechtliche Abhängigkeitsbegriff ist nach Literatur und Rechtsprechung restriktiv auszulegen. Externe Beherrschungsmöglichkeiten werden als allgemeine Marktrisiken aus dem gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsverständnis ausgeklammert. Der Schutz vor ihnen wird dem allgemeinen Vertragsrecht und dem Kartellrecht als vermeintliche leges speciales überantwortet. Dieses Schutzkonzept muss jedoch dort versagen, wo sich das Kartellrecht, dem der vermeintliche Schutz gegen externe Beherrschungsmöglichkeiten obliegt, für die 862
Siehe oben S. 93 ff. Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 59; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 21. 864 Koppensteiner, in: Festschrift für Walter Stimpel, S. 811, 821; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 470 f. 865 Koppensteiner, in: Festschrift für Walter Stimpel, S. 811, 821; Ulmer, Aktienrechtliche Beherrschung, ZGR 1978, 457, 470 f. 866 BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 396. 867 BGH, Urteil v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – „BuM/WestLB“, BGHZ 90, 381, 396. 863
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Prüfung der Möglichkeit beherrschenden Einflusses wiederum des restriktiven Abhängigkeitsverständnisses des AktG bedient, vgl. § 36 Abs. 2 GWB. Insoweit führt die Rechtfertigung des restriktiven Abhängigkeitsverständnisses im Aktienrecht u. a. mit der Auffangfunktion des Kartellrechts aufgrund dessen Rückverweises in das Aktienrecht zu einem Zirkelschluss. Dies gilt umso mehr als sich der Anwendungsbereich der kartellrechtlichen Verbundkausel seit der 6. GWB-Novelle auf das gesamte Wettbewerbsrecht und damit neben der Fusionskontrolle auch auf das Kartellrecht im engeren Sinne und insbesondere die Marktmissbrauchskontrolle erstreckt.868 Exemplarisch evident wird der Zirkelschluss mit Blick auf die Ermittlung der Marktmacht im Rahmen der Missbrauchskontrolle: Das Verbot des Missbrauchs wirtschaftlicher Macht in § 19 Abs. 1 GWB gilt allein für marktbeherrschende Unternehmen. Für die Marktbeherrschung sind Marktanteile und Ressourcen in einer Gesamtbetrachtung zu prüfen. Im Falle einer wirtschaftlichen Einheit nach § 36 Abs. 2 GWB werden etwaige Marktanteile verbundener Unternehmen addiert.869 Findet hier nun ein restriktives Abhängigkeitsverständnis Anwendung, ist nicht auszuschließen, dass die Missbrauchskontrolle gar nicht erst zur Anwendung kommt, da die Marktanteile verbundener Unternehmen nicht zugerechnet werden. Insoweit besteht gerade dann eine kartellrechtliche Schutzlücke vor extern vermittelter Beherrschung, soweit die Marktmacht des herrschenden Unternehmensverbunds selbst durch extern vermittelte Abhängigkeiten begründet wird, die von der Verbundklausel nicht erfasst werden. 3. Auflösung der kartellrechtlichen Friktionen Eine Auflösung des bestehenden Wertungswiderspruchs im Kartellrecht erscheint auf mehreren Wegen erreichbar. Im Folgenden werden drei Ansätze vorgestellt und bewertet. Zunächst ist eine kartellrechtlich-funktionale Auslegung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs zu diskutieren (a)). Alternativ wird auf den Ansatz eines wertneutralen, von den Rechtsfolgen des besonderen Konzernrechts isolierten Abhängigkeitsbegriffs eingegangen (b)). Als dritter Weg zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wird eine Korrektur des aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses selbst vorgeschlagen, welches der Verbundklausel im GWB zugrunde liegt (c)).
868 BGH, Urteil v. 23. 6. 2009 – KZR 21/08 – „Entega I“, AG 2009, 742; 743; BGH, Beschluss v. 6. 11. 2012 – KVR 54/11 – NVwZ-RR 2013, 604, 605; Neuhaus, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 217; Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 680. 869 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 691 f.
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a) Kartellrechtlich-funktionale Auslegung des Abhängigkeitsbegriffs Nahe liegt eine Korrektur im Sinne der sog. kartellrechtlich-funktionalen Auslegung, welche im Grundsatz selbst bei den Befürwortern einer vollumfänglichen Übernahme des aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses akzeptiert ist.870 Wie weit eine solch kartellrechtlich gebotene Korrektur des aktienrechtlichen Begriffsverständnisses zu gehen vermag, ohne Letzteres zu überdehnen, ist allerdings fraglich. Nach Auffassung des KG Berlin im HaGE-Kiel-Beschluss bestehe für eine Anwendung der Verbundklausel nicht nur auf Beherrschungs- und Konzernverhältnisse im Sinne des AktG sondern auch auf weniger intensive Verbindungen, bei denen eine etwaige wirtschaftliche oder wettberwerbliche Einheit vorliege, kein Raum. Vielmehr würde eine solche Ausdehnung den „Bereich einer zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung damit überschreiten“.871 Auch nach Thomas ist der Wille des Gesetzgebers zur weitgehenden Orientierung am gesellschaftsrechtlich vermittelten, aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnis zu respektieren.872 Die Bereinigung des aufgezeigten Wertungswiderspruchs im Kartellrecht setzt jedoch im Rahmen der Missbrauchsaufsicht eine grundsätzliche Aufgabe des restriktiven aktienrechtlichen Verständnisses voraus und dürfte die Grenzen zur Etablierung eines originär kartellrechtlichen Zurechnungskonzeptes überschreiten. Damit drohten jedoch, wie Thomas zurecht bemerkt, die Konturen des Verweises in § 36 Abs. 2 GWB auf das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis letztlich zu erodieren.873 b) Übernahme eines isolierten Abhängigkeitsverständnisses Eine andere Möglichkeit Wertungswidersprüche im Kartellrecht zu vermeiden besteht darin, das gegenwärtige aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis, welches die Grundlage der Verbundklausel bildet, selbst zu hinterfragen und etwaige Friktionen bereits auf Ebene des Aktienrechts zu korrigieren. So sieht Schall etwa in der Übertragung des geltenden Abhängigkeitsverständnisses aufgrund von Normverweisen ein „methodisches Grundsatzproblem“, welches gerade zu Friktionen in anderen Rechtsgebieten führe.874 Zu berücksichtigen sei, dass die Definitionen im Allgemeinen Teil des AktG, §§ 15 ff. AktG rechtsformneutral ausgestaltet sind. Vor diesem Hintergrund schlägt er vor, den der kartellrechtlichen Verbundklausel zugrunde liegenden Abhängigkeitsbegriff in § 17 AktG losgelöst von den ihn prägenden, aktienspezfischen Rechtsfolgen zu betrachten. Vielmehr solle die Ver870 Vgl. stellvertretend Ruppelt, in: Bahr/Langen/Bunte et al., Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl. 2011, § 36 GWB Rn. 61; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703; Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 96. 871 KG, Beschluss v. 9. 11. 1994 – Kart 20/93 – „HaGE Kiel“, AG 2015, 424, 425 f. 872 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 873 Insoweit zustimmend Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 705 f. 874 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. § 15 Rn. 11c.
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bundklausel nur als isolierte Verweisung auf den Allgemeinen Teil des AktG und die dortigen Definitionsnormen verstanden werden, um etwaige Friktionen aufgrund einer allzu aktienspezifischen Auslegung zu vermeiden. Davon ausgehend sei eine differenzierte Auslegung je nach Regelungsgegenstand vorzunehmen.875 Dieser Ansatz vermag allerdings deshalb nicht zu überzeugen, da – wie schon erörtert – der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand losgelöst von seinen Rechtsfolgen nicht abschließend erfasst werden kann.876 Sein Inhalt wird vielmehr durch die aktienrechtliche Systematik im Allgemeinen und die Rechtsfolgen im Besonderen geprägt. Würden sie ausgeklammert, bliebe vom Abhängigkeitstatbestand lediglich der abstrakte Wortlaut mit sehr eingeschränktem Definitonsgehalt bestehen. Eine solch isolierte Betrachtung dürfte nur schwerlich dem Regelungszweck des Normverweises entsprechen. Zudem stellt sich dann die Frage nach welchen wettbewerblichen Prämissen der abstrakte Wortlaut in § 36 Abs. 2 GWB auszulegen und im Einzelnen zu konktretisieren ist. Ungeachtet dessen würde dem Ziel der Begriffsvereinheitlichung im Rechtsverkehr ein Bärendienst erwiesen, bewirkt eine wertneutrale Betrachtung des Abhängigkeitsbegriffs doch vielmehr eine weitere Begriffszersplitterung. c) Korrektur des geltenden aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs Der hier vertretene Ansatz schlägt demgegenüber einen Mittelweg zwischen den beiden Varianten einer kartellrechtlich-funktionalen Einzelfallbetrachtung und einem isolierten Abhängigkeitsverständnis vor. Statt einer kartellrechtlich-funktionalen Korrektur im Einzelfall ist der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB bereits von vornherein ein aktienrechtliches Abhängigkeitsverständnis zugrunde zu legen, welches die aufgezeigten Friktionen vermeidet. Insoweit hat die vorhergehende Untersuchung zum Aktienrecht bereits aufgezeigt, dass das herrschende, restriktive Abhängigkeitsverständnis des AktG inkonsistent ist. Die grundsätzliche Beschränkung auf gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten lässt sich weder auf das historisch gewachsene Normverständnis noch den Regelungszweck des Gesetzgebers stützen. Vielmehr hat die Untersuchung zum Aktienrecht gezeigt, dass die aktienrechtliche Systematik, insbesondere das Prinzip der Leitungsautonomie in § 76 Abs. 1 AktG und das Gebot der Satzungsstrenge in § 23 Abs. 5 AktG einen hinreichenden Konkretisierungsrahmen für das Abhängigkeitsverständnis bereithält, ohne dass es einer weitergehenden Beschränkung der Einflussgrundlagen bedarf. Das herausgearbeitete Abhängigkeitsverständnis des Aktienrechts ist kein Produkt einer schwerpunktmäßigen Auslegung an spezifischen Rechtsfolgen, sondern berücksichtigt die Regelungszwecke aller Anknüpfungstatbestände gleichermaßen. Gleichwohl ist das hier vorgestellte Abhängigkeitsverständnis nach § 17 AktG 875
Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor. § 15 Rn. 11c. Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 14; so auch Köhler, Der Schutz des abhängigen Unternehmens, NJW 1978, 2473, 2475; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 9. 876
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keinesfalls wertneutral oder unspezifisch. Vielmehr ist es Ausdruck der speziell dem Aktienrecht zugrunde liegenden Prinzipien wie der genannten Satzungsstrenge oder der Leitungsautonomie. Was unter beherrschendem Einfluss zu verstehen ist, richtet sich, ausgehend von der Definition in § 17 AktG, nach den Regelungszwecken der Anknüpfungstatbestände. Die rechtliche Umsetzung beherrschenden Einflusses bemisst sich wiederum am aktienrechtlichen Rahmen, der sowohl Gestaltungsmöglichkeiten beherrschenden Einflusses aufzeigt und zugleich dessen Gestaltungsgrenze bildet. Aufgrund der Rechtsformneutralität des § 17 AktG bleibt derweil auch im Kartellrecht eine entsprechende Anwendung auf andere Gesellschaftsformen unbenommen, ohne dass es jedoch dafür einer kartellrechtlich-funktionalen Korrektur bedarf. Ungeachtet des gesellschaftsrechtsspezifischen Charakters des hier vertretenen Abhängigkeitsverständnisses ist eine vollumfängliche Übertragung auf die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB und damit auf das gesamte Wettbewerbsrecht möglich, ohne dass damit ersichtliche Wertungswidersprüche einhergehen. Insoweit dient das Wettbewerbsrecht nicht zuletzt als Nagelprobe des hier vertretenen Abhängigkeitsverständnisses. Eine vollständige Orientierung am Abhängigkeitskonzept wird deshalb möglich, weil der hier vertretene aktienrechtliche Abhängigkeitsbegriff von jenen Beschränkungen befreit ist, welche gerade mit Verweis auf den Regelungszweck des Wettbewerbsrechts eingeführt worden waren. Gleichzeitig trägt die vollumfängliche Orientierung am Aktienrecht dem gesetzgeberischen Willen Rechnung, auch im Wettbewerbsrecht von einem gesellschaftsrechtlichen und keinem wettbewerbsrechtlich geprägten Verbundkonzept als Grundlage für die Ermittlung von wirtschaftlicher Größe und Marktmacht von Unternehmen auszugehen. Soweit nach dem hier vorgestellten Abhängigkeitskonzept im jeweiligen Fall eine Beherrschungsmöglichkeit nicht vorliegt, ist dieses Ergebnis für das Kartellrecht anzuerkennen. Raum für die Anwendung einer etwaig niedrigeren wettbewerbsrechtlichen Schwelle in § 36 Abs. 2 GWB zur Ermittlung der wirtschaftlichen Größe eines Unternehmensverbunds besteht nicht.877 Diese gesellschaftsrechtliche Orientierung wird auch durch die historische Entwicklung der Verbundsklausel gestützt, welche seit ihrer Einfügung ins Kartellrecht bis heute unverändert auf den aktienrechtlichen Abhängigkeits- und Konzerntatbestand, zunächst § 15 AktG 1937, später §§ 17, 18 AktG verweist, ungeachtet der mittlerweile 9. Novelle, die zum GWB ergangen ist.878 Hätte der Gesetzgeber eine Anpassung der Verbundsklausel gewünscht, hätte er diese ohne weiteres vornehmen können. Eine solche ist jedoch ebenso unterblieben wie auch eine Anpassung an die parallel in der europäischen Fusionskontrolle bestehende Verbundklausel, deren formales Zurechnungskonzept in Art. 5 Abs. 4 FKVO von § 36 Abs. 2 GWB abweicht. 877
Vgl. insoweit zu Recht Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 878 Eingeführt in § 23 Abs. 1 GWB a. F. durch die 1. GWB-Novelle, BGBl. I 1966, S. 37 v. 3. 1. 1966.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
4. Ergebnis Als Ergebnis dieses Teilkapitels ist festzuhalten, dass das herrschende Verständnis zur Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB zutreffend von der vollumfänglichen Orientierung am aktienrechtlichen Abhängigkeits- und Konzerntatbestand ausgeht. Dafür spricht nicht nur im Sinne der grammatikalischen Auslegung der ausdrückliche Verweis auf das Aktienrecht. Auch der Blick auf die Gesetzeshistorie zeigt, dass die Verbundklausel seit ihrem Einzug ins GWB 1966 unverändert für die Feststellung der Marktmacht und wirtschaftlichen Größe von Unternehmen auf den gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeits- und Konzernbegriff rekurriert. Damit wird der Wille des Gesetzgebers deutlich, ungeachtet der im übrigen Fusionskontrollrecht vorgenommenen Anpassung an die europäische Zusammenschlusskontrolle, nicht nur am nationalen Verbundkonzept, sondern gerade auch in Anbetracht der zahlreichen Novellen des GWB am gesellschaftsrechtlichen Verständnis festzuhalten. Das aktienrechtliche Begriffsverständnis bildet nicht nur Vorbild des kartellrechtlichen Verbundkonzepts sondern auch zugleich dessen Grenze, weshalb Raum für eine Modifizierung durch wettbewerbsrechtliche Zurechnungskonzepte grundsätzlich nicht besteht. Dessen ungeachtet geht die Übertragung des geltenden aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses nicht ohne Wertungswidersprüche ins Wettbewerbsrecht einher, weshalb eine Korrektur des ihm zugrunde liegenden Aktienrechts vorzunehmen ist. Diese liegt nahe, da die aktienrechtliche Untersuchung bereits die Fragmentierung des ursprünglichen Abhängigkeitsverständnisses durch das herrschende Schrifttum und die Rechtsprechung aufgezeigt hat und dieses insoweit reformbedürftig ist. Mit dem hier vertretenen Abhängigkeitsverständnis lässt sich die vollumfängliche Übertragung des Abhängigkeitskonzeptes ohne Wertungswidersprüche im Wettbewerbsrecht erreichen und ist daher der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB und auch der übrigen kartellrechtlichen Untersuchung zugrunde zu legen.
II. Der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB Neben der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB bildet der Kontrollerwerb in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB einen weiteren Verbundtatbestand im Wettbewerbsrecht, welcher einen qualitativen Einfluss im Sinne eines Über- bzw. Unterordnungsverhältnisses zwischen zwei rechtlich selbständigen Unternehmen gesetzlich erfasst. Wie die Verbundklausel ist auch der Kontrollerwerb im Rahmen der Anwendbarkeit der Fusionskontrollnormen zu prüfen und damit Teil der formellen Fusionskontrolle. Neben den Umsatzschwellen in § 35 Abs. 1 Nr. 1, 1a GWB, welche für eine Anwendbarkeit des GWB erreicht werden müssen, setzt das Gesetz ferner voraus, dass überhaupt ein relevanter Zusammenschluss zwischen den Beteiligten vorliegt. Liegt ein solcher nach Maßgabe des Gesetzes nicht vor, erübrigt sich die mitunter um-
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fangreiche Schwellenwertberechnung nach § 35 GWB,879 vor allem jedoch die materielle Zusammenschlusskontrolle. Der Zusammenschluss nach § 37 GWB ist dabei grundsätzlich nicht gesellschaftsrechtlich etwa im Sinne einer Eingliederung nach §§ 319 ff. AktG oder umwandlungsrechtlich als Verschmelzung, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG, zu verstehen. Zwar liegt etwa im Falle einer Verschmelzung zweier Unternehmen auch ein Zusammenschluss im wettbewerblichen Sinne vor, vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB.880 Der Zusammenschlussbegriff des GWB ist jedoch weiter, setzt niedrigschwelliger an und damit nicht notwendig einen Zusammenschluss im gesellschaftsrechtlichen Verständnis voraus. Auch die Möglichkeit, beherrschenden Einfluss ausüben zu können, verlangt der relevante Konzentrationsgrad für einen Zusammenschluss gerade nicht.881 Im Unterschied zu § 36 Abs. 2 GWB enthält § 37 GWB keinen Verweis auf die aktienrechtlichen Definitionsnormen der §§ 15 ff. AktG. Das Gesetz enthält keine Legaldefinition des Zusammenschlusses, sondern führt vier abschließende Einzeltatbestände auf, nach denen ein Zusammenschluss vorliegt, wenn die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind. Von den vier Zusammenschlusstatbeständen des Vermögenserwerbs (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB), des Anteilserwerbs (Abs. 1 Nr. 3) und der subsidiär anwendbaren Auffangklausel in § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB sticht der materiell-rechtlich geprägte Kontrolltatbestand in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB besonders heraus. Sein Wortlaut erscheint zunächst dem aus dem Aktienrecht bekannten Abhängigkeitsbegriff nicht unähnlich, weicht begrifflich gleichwohl mit den Termini Kontrolle und bestimmenden Einfluss erkennbar ab.882 Seit Einfügung ins GWB im Zuge der 6. GWBNovelle 1998 hat sich der Kontrolltatbestand in der Praxis zum fallmäßig wichtigsten Zusammenschlusstatbestand der Fusionskontrolle entwickelt. Allein in Deutschland basierten im Jahre 2011 von 1108 angemeldeten Zusammenschlüssen 703 auf einem Kontrollerwerb. 2012 waren es 726 der 1127 in Deutschland angemeldeten Zusammenschlussvorhaben.883 Im Folgenden sind die Voraussetzungen des Kontroll879
Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 1. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 9 ff. Zwar ist die ausdrückliche Erwähnung der Verschmelzung in § 23 Abs. 2 Nr. 1 GWB a. F. mit der 6. GWBNovelle entfallen. Dies hatte aber nur rein redaktionelle Bedeutung, sodass die Verschmelzung nunmehr unter den Tatbestand des Vermögenserwerbs subsumiert werden kann. 881 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 1 f. 882 Unbekannt ist der Begriff der Kontrolle zur Erfassung eines Verbunds zweier Unternehmen dem deutschen Recht zwar nicht. Zu denken ist nur an das Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG), das in § 29 Abs. 1 Übernahmeangebote als solche legaldefiniert, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind. Kontrolle wird in § 29 Abs. 2 WpÜG wiederum als das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft bestimmt und hat damit streng formalen Charakter. Davon unterscheidet sich der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, sodass das WpÜG, ungeachtet der europarechtlichen Prägung, auch nicht etwa zur Auslegung des Kontrollbegriffs im GWB herangezogen werden kann, siehe dazu Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 23. 883 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 57; Schütz, in: KKKartellrecht, § 37 GWB Rn. 12; Monopolkommission, 20. Hauptgutachten, Tabelle IV.3, Rn. 581. 880
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
tatbestands in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB näher zu untersuchen. Zunächst sind jedoch die Rechtsquellen zu bestimmen, welche die Auslegungsgrundlage des Kontrolltatbestands bilden (1.). Anschließend sind die einzelnen Paramenter bestimmenden Einflusses innerhalb des Kontrollverständnisses des GWB zu beleuchten (2.). Den Abschluss bildet eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieses Abschnitts (3.). 1. Rechtsquellen des Kontrolltatbestands in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB a) Keine Orientierung am aktienrechtlichen Beherrschungskonzept Bevor die Voraussetzungen des Kontrollverständnisses in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB genauer untersucht werden können, stellt sich zunächst die Frage, welche Rechtsquellen für die Auslegung heranzuziehen sind. Teilweise wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass Kontrolle mit dem Abhängigkeitsbegriff in § 17 AktG übereinstimmt, sodass Letzterer für die Auslegung bestimmenden Einflusses in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB herangezogen werden kann.884 Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen zweifelhaft. Hätte der Gesetzgeber in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB eine Übernahme des aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnisses für den Zusammenschlussbegriff angestrebt, wäre ihm unbenommen gewesen, einen Verweis auf die Definitionen des Allgemeinen Teils im Aktienrecht nach dem Vorbild des § 36 Abs. 2 GWB einzufügen. Dies gilt umso mehr, als der Zusammenschlusstatbestand vor der 6. GWB-Novelle 1998 in § 23 Abs. 1 Nr. 5 GWB a. F. eine Auffangklausel enthielt, wonach ein Zusammenschluss auch begründet werden konnte durch „jede sonstige Verbindung von Unternehmen, auf Grund deren ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß auf ein anderes Unternehmen ausüben können.“ Ungeachtet des fehlenden ausdrücklichen Verweises auf § 17 AktG wurde im Schrifttum darin zu Recht die Anlehnung an den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand verstanden.885 Dass mit dem in der 2. GWB-Novelle 1973 eingeführten Auffangtatbestand ein originär wettbewerbsrechtliches Beherrschungskonzept eingeführt werden sollte, lässt sich den Gesetzesmaterialien zumindest nicht entnehmen.886 Dieser Auffangtatbestand ist jedoch im Zuge der Einführung des Kontrollbegriffs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB entfallen. 884 So etwa Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 11; Schütz, in: KK-Kartellrecht, § 37 Rn. 36: „,Bestimmender Einfluss‘ ist gleichzusetzen mit dem Begriff des beherrschenden Einflusses in § 17 Abs. 1 AktG und des alten ,§ 23 Abs. 2 Nr. 5 [GWB]‘.“ 885 Bechtold, GWB, 1. Aufl. 1993, § 23 Rn. 26 ff.; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, § 23 Rn. 224 ff.; Emmerich/Lange, Kartellrecht, S. 294 Rn. 5. 886 Vgl. Begr. RegE 2. GWB-Novelle v. 18. 8. 1971, BT-Drucks. VI/2520, S. 27: „Nummer 5 ist ein Auffangtatbestand, der sicherstellen soll, daß alle denkbaren Gestaltungsformen von Zusammenschlüssen, durch die ein beherrschender Einfluß auf ein anderes Unternehmen begründet werden kann, erfaßt werden.“ Im Gegenteil rekurriert die Begr. RegE zur 5. GWBNovelle v. 30. Mai 1989, BT-Drucks. 11/4610 bei der Evaluation von § 23 Abs. 1 Nr. 5 GWB a. F. ausdrücklich auf die hohen Anforderungen beherrschenden Einflusses nach § 17 AktG, S. 19.
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Hauptsächlich spricht gegen eine Orientierung des Kontrollbegriffs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB am Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG jedoch die rechtliche Herkunft des Kontrolltatbestands. Dieser wurde seinem europäischen Pendant in Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO nachgebildet, wo der Kontrollerwerb neben der Fusion in Art. 3 Abs. 1 lit. a) FKVO den Zusammenschluss als Generalklausel regelt.887 Mit der Übernahme des europäischen Kontrolltatbestands strebte der Gesetzgeber eine Harmonisierung mit dem EG-Recht an.888 Im Gegenzug wurden einige Zusammenschlusstatbestände aus dem alten § 23 Abs. 2 GWB a. F. gestrichen, die im Kontrolltatbestand aufgingen bzw. redundant geworden waren.889 Der Kontrollbegriff der FKVO wiederum orientiert sich nicht am deutschen Abhängigkeitsbegriff, sondern ist vielmehr autonom zu bestimmen.890 Ein Rückgriff auf § 17 AktG zur Auslegung des Kontrollbegriffs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist daher bereits aus diesem Grund unzulässig. b) Europäische Rechtsquellen des Kontrollbegriffs im GWB Die Wurzeln des Kontrolltatbestands in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB sind mithin im europäischen Wettbewerbsrecht, genauer Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO verortet.891 Der Gesetzgeber hat im Zuge der 6. GWB-Novelle das Bestreben einer Angleichung an das europäische Zusammenschlusskonzept zum Ausdruck gebracht. Den Gesetzgebungsmaterialien zufolge erschien – im Unterschied zu den ganz überwiegend formellen Zusammenschlusstatbeständen in § 23 Abs. 1 GWB a. F. – der europäische Ansatz einer flexiblen Generalklausel und die damit einhergehende Anpassungsfähigkeit attraktiv: „Dieser Weg bietet Vorteile, weil eine unmittelbare Erfassung aller Konstruktionen möglich ist, mit denen ein steuernder unternehmerischer Einfluß auf ein ,Zielunternehmen‘ erreicht wird.“892
Aus diesem Grund fügte der Gesetzgeber „in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b FKVO“ den Kontrollbegriff ins GWB ein. Vor dem Hintergrund dieses ausdrücklichen Harmonisierungsbestrebens sind das Verständnis des Kontrollbe887 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 57; Schütz, in: KKKartellrecht, § 37 Rn. 31; Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 61; vgl. 6. GWB-Novelle v. 26. 8. 1998, BGBl. I S. 2521. 888 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 5; Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36; kritisch zu der angestrebten Harmonisierung Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 1; Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/ 9720 v. 29. 1. 1998, S. 42. 889 Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 13; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 58; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 17. 890 Vgl. Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 3 FKVO Rn. 27; Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 14 f. 891 v. Merveldt/Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 37 Rn. 35. 892 Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 v. 29. 1. 1998, S. 43.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
griffs in Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO und die europäischen Gesetzesmaterialien für die Auslegung des Kontrollbegriffs im GWB maßgeblich. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, inwieweit das europäische Kontrollverständnis für das GWB rechtsverbindlich ist. Eine rechtliche Bindung an die FKVO und die europäische Entscheidungspraxis wird im Schrifttum zutreffend abgelehnt.893 Zwar spricht die Gesetzesbegründung ausdrücklich von einer angestrebten Annäherung des § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB an Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO. Gleichwohl sieht der Gesetzeswortlaut von einer dynamischen Verweisung auf die europäische Fusionskontrollverordnung ab.894 Eine Bindungswirkung des Kontrollbegriffs des GWB an die europäische Entscheidungspraxis zu Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO besteht daher nicht.895 Dies gilt erst recht mit Blick auf Kommissionsleitlinien wie der Konsolidierten Mitteilung über Zuständigkeitsfragen.896 Diesen kommt selbst auf europäischer Ebene keine Gesetzeskraft zu.897 Allerdings handelt es sich bei ihnen auch nicht um rein unverbindliche Empfehlungen.898 Vielmehr geht mit ihnen eine Selbstbindung der Kommission auf ihre Entscheidungspraxis einher und hat damit letztlich „quasi-verbindliche Bedeutung für die Praxis“.899 Ungeachtet der fehlenden Bindungswirkung der europäischen Entscheidungspraxis sowie der Kommissionsleitlinien für das nationale GWB sind einer abweichenden Auslegung des Kontrollbegriffs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB auf nationaler Ebene Grenzen gesetzt. Denn mit der ausdrücklichen Angleichung der Zusammenschlusstatbestände in § 37 GWB an die FKVO hat der Gesetzgeber sein Bestreben nach einer europarechtskonformen Auslegung zum Ausdruck gebracht. So ist in der Gesetzesbegründung die Erwartung geäußert worden, dass das Bundeskartellamt zum Zweck der übereinstimmenden Auslegung neben der Praxis der
893 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 Rn. 18; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 Rn. 81 f.; Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36; vgl. auch Schütz, in: Busche/Röhling/Bergmann, KK-Kartellrecht 2014, § 37 Rn. 35 ff. 894 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 Rn. 65; Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36. 895 Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36; Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 37 Rn. 81; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 18. 896 Konsol. Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Amtsbl. der EU, C 43/10, 21. 2. 2009. 897 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 65; Thomas, Bindungswirkung, EuR 2009, 423 ff.; EuGH, Urteil v. 13. 12. 2012 – C-226/11 – EuZW 2013, 113, 115 Rn. 29 f.; EuGH, Urteil v. 14. 6. 2011 – C-360/09 – EuZW 2011, 598, 599 Rn. 21. 898 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 5. 899 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 76 mit Verweis auf Thomas, Bindungswirkung, EuR 2009, 423, 426 ff.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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Kommission auch die Entscheidungen der europäischen Gerichte berücksichtigt.900 Damit einher ging folglich nicht nur das Bestreben nach einer Rezeption des damals geltenden sondern vielmehr auch des zukünftigen europäischen Kontrollverständnisses, was der Wirkweise einer dynamischen Verweisung entspricht.901 Wenngleich europäische Rechtsakte und begleitende Auslegungsmaterialien aus genannten Gründen keine Bindungswirkung für nationales Recht entfalten, ist doch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, den Kontrollbegriff im Einklang mit dem Kontrollerwerb der FKVO auszulegen, zu entsprechen.902 Eine Abweichung auf nationaler Ebene ist danach zwar in Ausnahmefällen zulässig, gehe allerdings mit einer „besonderen Begründungslast“ einher.903 Thomas setzt etwa „gewichtige systematische, teleologische oder rechtsstaatliche Argumente“ voraus, um Abweichungen zu rechtfertigen.904 Ein Bedürfnis dafür sei allerdings, so Bach, weder theoretisch noch praktisch erkennbar geworden.905 Für die folgende Untersuchung der einzelnen Voraussetzungen bestimmenden Einfluss im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist daher vollumfänglich das europäische Kontrollverständnis heranzuziehen.906 Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BGH, der ebenso wie das OLG Düsseldorf für die Auslegung von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB die FKVO und die Entscheidungspraxis der Kommission zum Kontrollbegriff berücksichtigt.907 2. Das europäische Kontrollverständnis Die historischen Wurzeln des Kontrollbergriffs reichen zurück auf die 1954 zu Art. 66 § 1 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl („EGKS-Vertrag“) erlassene Entscheidung 24/54 der Hohen Be900 Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 v. 29. 1. 1998, S. 57; Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36. 901 Vgl. Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 37 Rn. 22; Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36. 902 Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36; Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 37 GWB Rn. 83. 903 Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 37 GWB Rn. 22; vgl. auch Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36. 904 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 37 GWB Rn. 82. 905 Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36. 906 Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 36; Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 65; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 18. A. A. wohl Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 11, der sich für die Auslegung des Kontrollbegriffs methodisch unzutreffend am aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand orientiert. 907 BGH, Beschluss v. 10. 10. 2006 – KVR 32/05 – „National Geographic I“, BGHZ 170, 130, 136; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15. 6. 2005 – WuW/E DE-R 1504, 1508. BGH, Urteil v. 5. 12. 1983 – II ZR 242/82 – BGHZ 89, 162, 167.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
hörde.908 Darin setzte diese per Verordnung die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens fest, die im Wesentlichen den Kontrollbegriff so definierte, wie er auch noch heute verwendet wird.909 Der Kontrollbegriff wurde bereits in die ursprüngliche Fusionskontrollverordnung („FKVO 4064/89“) als zentraler Zusammenschlusstatbestand aufgenommen. Bis heute ist die Fusionskontrolle primärrechtlich nicht eigenständig geregelt. Art. 101 AEUV (bzw. die entsprechende Vorgängernormen ex Art. 81 EG) bezieht sich auf abgestimmte Verhaltensweisen, Art. 102 AEUV (ex Art. 82 EG) auf einseitige, missbräuchliche Maßnahmen marktbeherrschender Unternehmen. Gleichwohl wurde in der Entscheidung Continental Can910 die Missbrauchskontrolle auch für Strukturveränderungen angewendet und im Erwerb der Anteilsmehrheit eines Wettbewerbers durch ein marktbeherrschendes Unternehmen eine einseitige Wettbewerbsbeschränkung erkannt. Dennoch blieb Art. 102 AEUV (ex Art. 82 EG) eine nur unzureichende Grundlage einer effektiven Zusammenschlusskontrolle, da Voraussetzung bereits das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung eines der beteiligten Unternehmens ist.911 In der umstrittenen Entscheidung Philipp Morris912 wendete der EuGH dagegen Art. 101 AEUV auf einen Zusammenschluss an, was in der Folge zu erheblicher Rechtsunsicherheit für Unternehmen führte, mangels damals präziser Kriterien für kartellrechtsrelevante Zusammenschlüsse.913 Die Notwendigkeit einer eigenständigen Regelung der Zusammenschlusskontrolle trat offen zutage.914 Nach zwei weiteren gescheiterten Verordnungsentwürfen wurde die Fusionskontrolle auf europäischer Ebene nach intensiven Verhandlungen der Mitgliedstaaten mit Wirkung zum September 1990 durch die FKVO 4064/89 eingeführt.915 Wurde zu Beginn der FKVO 4064/89 noch diskutiert, ob für die Auslegung des Kontrollbegriffes die von der Hohen Behörde aufgestellte Definition herangezogen werden müsse,916 ist mittlerweile angesichts der Entscheidungspraxis der Kom908 Käseberg, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 23; Körber, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 26. 909 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 69. Vgl. Amtsbl. Hohe Behörde v. 6. 5. 1954 S. 345 f. 910 EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973 – C-6/72 – Slg. 1973, 215, 244 f. 911 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 9 ff. 912 EuGH, Urteil vom 17. 11. 1987, Rechtssache C-142/84, Slg. 1987, 4566. 913 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 12 f.; Schödermeier, Auf dem Weg zur europäischen Fusionskontrolle, WuW 1988, 185, 192; Immenga/Fuchs, Art. 85 EWG-Vertrag als Grenze für Unternehmensbeteiligungen?, NJW 1988, 3052. 914 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 16. 915 Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. 12. 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1989 L 395/1, berichtigt ABl. L 257/13; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 16. 916 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 26 m. w. N.
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mission und der Rechtsprechung der europäischen Gerichte von einem gefestigten Kontrollverständnis in Art. 3 Abs. 2 FKVO auszugehen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Mitteilungen, welche die Kommission bereits zur FKVO 4064/ 89 erlassen hat und die unmittelbar der Konturierung des Kontrollerwerbstatbestands dienten.917 Aufbauend auf den Erfahrungen in der Beurteilung von Zusammenschlüssen wurde das europäische Wettbewerbsrecht zunächst 1998 modifiziert918 und 2004 durch die bis heute geltende VO Nr. 139/2004919 (FKVO) schließlich abgelöst. Mit der Ablösung der FKVO 4064/89 verloren die damaligen Mitteilungen zwar nicht ihre Gültigkeit, zumal auch der bisherige Kontrollerwerbstatbestand mit Ausnahme redaktioneller Änderungen von der gegenwärtigen FKVO übernommen wurde. Mit der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen („Konsolidierte Mitteilung“) erließ die Kommission im Februar 2009 unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis allerdings neue Leitlinien, welche die bisherigen Mitteilungen zum Kontrollbegriff ausdrücklich ersetzten.920 Letztere können daher für diese Untersuchung außer Betracht bleiben. Zusammenfassend liegen mit der Konturierung des europäischen Kontrollbegriffs durch die Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission sowie der Konsolidierten Mitteilung ausreichend Materialien für eine hinreichende Bestimmung des Kontrollerwerbs vor. Im Folgenden ist auf die Voraussetzungen bestimmenden Einflusses und damit des Kontrollbegriffs näher einzugehen. Vorwegzunehmen ist, dass Kontrolle nach dem Wortlaut sowohl von einem Unternehmen allein als auch von mehreren Unternehmen gemeinsam ausgeübt werden kann. Der Fokus dieser Untersuchung beschränkt sich derweil auf dem Regelfall der Alleinkontrolle zwischen zwei Unternehmen. Gleichwohl finden sich auch Ausführungen zur gemeinsamen Kontrolle, wo sie für eine umfassende Beleuchtung der Voraussetzungen bestimmenden Einflusses unabdingbar sind. Der Untersuchungsgegenstand beschränkt sich zudem auf die alleinige Kontrolle am Beispiel der Aktiengesellschaft. Zur Vergleichbarkeit mit den bereits untersuchten Verbundkonzepten im AktG und HGB wird auf eine identische Gliederung der Einflussparameter zurückgegriffen. Die nachfolgende 917 Vgl. Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates, ABl. EG Nr. C 66/5 v. 20. 1. 1998; Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates, ABl. EG Nr. C 66/5 v. 20. 1. 1998; Mitteilung der Kommission über den Begriff der beteiligten Unternehmen in der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. EG C 66/14 v. 2. 3. 1998. 918 Verordnung (EG) Nr. 1310/97 des Rates vom 30. 6. 1997 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1997 L 180/1. 919 Verordnung (EG) des Rates Nr. 139/2004 vom 20. 1. 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 L 24/1. 920 Siehe Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Einleitung Rz. 2; Rosenthal/Thomas, Merger Control, S. 23.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Untersuchung wendet sich zunächst den allgemeinen Voraussetzungen des Kontrollerwerbs zu (a)). Anschließend ist der Einflussumfang zu bestimmen (b)), bevor die Intensität bestimmenden Einflusses (c)) sowie dessen Beständigkeit (d)) näher beleuchtet wird. Anschließend ist zu diskutieren, welche Einflussmittel (e)) als Grundlage des Kontrollerwerbs nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 3 Abs. 2 FKVO in Betracht kommen. a) Allgemeine Voraussetzungen des Kontrollerwerbs Wie schon bei den untersuchten Verbundkonzepten im AktG und HGB kommt es nach dem Wortlaut des § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB auf die tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses nicht an. Die Möglichkeit zur Ausübung genügt.921 Darüber hinaus wird die unmittelbare Kontrolle nicht vorausgesetzt. Ausreichend ist bereits die mittelbare Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses, vermittelt etwa durch einen Treuhänder oder eine Zwischengesellschaft.922 Im Unterschied zur Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB aber auch zu den weiteren Zusammenschlusstatbeständen, etwa § 37 Abs. 3 GWB verzichtet der europäische Kontrollbegriff auf quantitative Schwellenwerte bei deren Erreichen ein Kontrollerwerb zu vermuten ist.923 Vielmehr ist die Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses nach Maßgabe der Kommission nicht mittels formeller Einflusskriterien zu bestimmen sondern anhand der tatsächlichen Einflussmöglichkeit. Diese ist wiederum in einer Gesamtwürdigung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu ermitteln.924 b) Umfang bestimmenden Einflusses Der Gegenstandsbereich bestimmenden Einflusses und damit Kontrolle im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 3 Abs. 2 FKVO lässt sich dem jeweiligen Wortlaut nicht unmittelbar entnehmen. Im Unterschied etwa zum Abhängigkeitsverständnis im AktG, welches grundsätzlich von einem abstrakt-generellen Einflussumfang ausgeht, heißt es in § 37 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 GWB, dass ein Zusammenschluss beim Erwerb der „unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle durch ein oder mehrere Unternehmen über die Gesamtheit oder Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen“ vorliege. Ein Zusammenschluss nach § 37 GWB wird mithin 921
Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 17; Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 11; v. Merveldt/Berg, in: Berg/ Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 8; Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 58. 922 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 13; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 68 f.; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 22. 923 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 27. 924 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 27.
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nicht nur im Falle der Kontrolle eines Unternehmens insgesamt begründet, sondern vielmehr bei Kontrolle von einzelnen Unternehmensteilen bzw. Vermögenswerten. Die Rechtsfähigkeit des Unternehmens selbst oder der einzelnen Teile setzt der Zusammenschlussbegriff nicht voraus.925 Daraus einen Rückschluss auf den Gegenstandsbereich bestimmenden Einflusses zu ziehen, etwa dass ein nur punktueller Einfluss auf einen einzelnen Geschäftsbereich eines Unternehmens, wie beispielsweise der Produktion oder den Vertrieb, bereits einen Kontrollerwerb begründet, wäre indes irrtümlich. Denn insoweit stellen § 37 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 GWB bzw. sein europäisches Äquivalent in der FKVO lediglich klar, wann ein Zusammenschluss vorliegt: Nämlich nicht nur dann, wenn ein Unternehmen in seiner Gesamtheit, sondern auch wenn klar abgrenzbare Teile eines Unternehmens, wie ein eigener Geschäftsbereich mit eigener Marktpräsenz, -umsatz und Kundenstamm, von einem anderen Unternehmen kontrolliert wird.926 Darunter können etwa auch Marken oder Exklusivlizenzen fallen.927 Wann derweil Kontrolle über ein Unternehmen insgesamt bzw. an Teilen eines Unternehmens besteht, steht auf einem anderen Blatt. Die Kommission vertritt dazu in ihren Leitlinien, dass bestimmender Einfluss dann vorliegt, wenn das „strategische Wirtschaftsverhalten des anderen Unternehmens“ bzw. die „Geschäftspolitik“ beeinflusst werden kann.928 Wie dies geschieht, ist eine Frage der Kontrollmittel, ob eine Durchsetzungsfähigkeit Voraussetzung ist dagegen eine Frage der Einflussintensität. Aus der Voraussetzung, die Geschäftspolitik bzw. Geschäftsstrategie bestimmen zu können, folgt allerdings die Fähigkeit zu einer umfänglichen Einflussnahme. Die Kommission zählt in diesem Zusammenhang beispielhaft Entscheidungen über Budget, Geschäftsplan, größere Investitionen und die Besetzung der Unternehmensleitung auf.929 Das Gericht der Europäischen Union („EuG“) hat 925
Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 24. 926 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 24; vgl. auch Kommission, Entscheidung v. 22. 12. 2005, Rechtssache M.3867 „Vattenfall/E2 Assets“. In dieser Sache erwarb Vattenfall Kraftwerke von E2. Dies wurde als Kontrollerwerb über Teile an einem Unternehmen angesehen, da den Kraftwerken ein eigenständiger Marktumsatz zugerechnet werden konnte. Siehe auch Rosenthal/Thomas, Merger Control, S. 28 f.; Riesenkampff/ Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 24; ausführlich Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 69. 927 Hirsbrunner/Rating, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 16; Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 24; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 24. 928 Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54, 57; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 28; vgl. auch Kommissionsentscheidung COMP/M.10 „ConAgra/IDEA“ vom 30. 5. 1991; COMP/M.3556 „Fortis/ BCP“ vom 19. 1. 2005, Tz. 7 ff.; COMP/M.2650 „Haniel/Cementbouw/JV (CVK)“ vom 26. 6. 2002. 929 Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 67; so auch Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 25.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
sich diesen Leitlinien ausdrücklich angeschlossen. So handele es sich bei den von der Kommission aufgezählten Beispielen um „typische Indikatoren für die Ausübung von Kontrolle.“930 Der Umfang bestimmenden Einflusses ist mithin grundsätzlich umfassend zu verstehen und schließt alle wesentlichen Fragen der Unternehmensleitung ein. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Kontrollerwerb hinsichtlich eines Unternehmens insgesamt oder nur über einen wesentlichen Unternehmensteil vorliegt. Die Kontrolle setzt jeweils eine umfassende Einflussmöglichkeit voraus. Nicht erforderlich ist derweil, dass der Erwerber der Kontrolle auch Zugriff auf den gewöhnlichen Geschäftslauf bzw. Alltagsgeschäfte hat.931 c) Intensität bestimmenden Einflusses Der Definition der Kontrolle in Art. 3 Abs. 2 FKVO lassen sich Rückschlüsse auf die notwendige Einflussintensität lediglich näherungsweise entnehmen. Dies gilt zumindest für die deutsche Sprachfassung. Wenig aufschlussreich setzt Kontrolle danach einen bestimmenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen voraus. Daraus folgt, dass zumindest nicht jede Einflussmöglichkeit per se geeignet ist, Kontrolle zu begründen. Vielmehr bedarf es einer bestimmten Einflussqualität. Ungenügend ist insoweit die rein partizipatorische Möglichkeit am Willensbildungsprozess innerhalb der Gesellschaft, selbst wenn diese gegenständlich für alle geschäftsstrategisch bedeutsamen Fragen des Unternehmens gilt.932 Bloße Beratungsbefugnisse begründen somit ebenso wenig Kontrolle wie Überwachungstätigkeiten.933 Es bedarf vielmehr einer solch qualitativen Einflussmöglichkeit, welche sich von reinen Partizipationsrechten abhebt und damit innerhalb der Zusammenschlusskontrolle eine klare Abgrenzung ermöglicht, ob ein Kontrollerwerb oder -wechsel im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 3 Abs. 2 FKVO vorliegt oder nicht. Die englische Sprachfassung der FKVO erscheint insoweit klarer, als sie in Art. 3 Abs. 2 FKVO von „possibility to excercise decisive influence on an undertaking“ spricht.934 Vorauszusetzen ist mithin die Fähigkeit, das strategische Wirtschaftsverhalten eines Unternehmens zumindest (mit-)entscheiden zu können.935 Notwendig aber auch hinreichend ist Wessely und Wegner zufolge die Fähigkeit, „die eigenen Interessen 930 EuG, Urteil vom 12. 12. 2012, Rechtssache T-332/09 „Electrabel/Europäische Kommission“, Tz. 97. 931 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 28; Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 27; Richter/Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 60; Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 19. 932 Vgl. Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 18. 933 Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 27. 934 Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.024 (S. 527); Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59. 935 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59; Kommission, Entscheidung v. 19. 1. 2005, Rechtssache M.3556 „Fortis/BCP“, Tz. 7 ff.; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16, 54.
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im Hinblick auf die Geschäftsführung gegenüber den Interessen der übrigen Anteilseigner wahren zu können.“936 Dies entspricht der Fähigkeit des kontrollierenden Unternehmens, eigene Interessen unabhängig vom Willen der übrigen Anteilseigner oder der Geschäftsführung des kontrollierten Unternehmens durchsetzen zu können. Die Macht eines Unternehmens, strategische Entscheidungen in einem anderen Unternehmen durchsetzen zu können, ist allerdings nur für die sog. positive Kontrolle notwendige Bedingung. Zwar ist die Kontrolle durch ein einzelnes Unternehmen („sole control“) im Regelfall positiv ausgestaltet.937 Grundsätzlich kann Kontrolle aber sowohl positiv als auch negativ ausgeübt werden.938 Ausreichend ist insoweit bereits die Möglichkeit, die Annahme strategischer Entscheidungen zu blockieren, ohne dass derartige Entscheidungen alleine durchgesetzt werden könnten (sog. „negative Kontrolle“).939 Die Durchsetzung strategischer Entscheidung gegen das negativ kontrollierende Unternehmen ist dabei ausgeschlossen. Eine solche negative Kontrolle ist vor allem im Fall gemeinsamer Kontrolle von Bedeutung, wo bestimmender Einfluss auf ein anderes Unternehmen von mehreren Akteuren gemeinsam ausgeübt wird. In diesem Fall ist die Kontrolle für den einzelnen Beteiligten stets negativ, da einseitige Entscheidungen nicht möglich sind. Allerdings ist auch – wenngleich selten – eine negative Kontrolle im Falle alleiniger Kontrolle denkbar.940 Zu beachten ist allerdings, dass nach den Leitlinien der Kommission jene gesetzlichen Sperr- bzw. Blockaderechte, die dem Rechtsschutz der Minderheitsgesellschafter gegenüber den Mehrheitseignern dienen, noch keine Kontrolle begründen. Darunter fallen exemplarisch Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen, 936
Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 27; vgl. Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59. 937 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16, 54; Rose/ Bailey, European Law of Competition, 8.028 (S. 528); Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59. 938 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16, 54; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59. 939 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54; Jones/Sufrin, EU Competition Law, S. 1096; Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.030 (S. 530) sprechen von der Möglichkeit eine „deadlock situation“ hervorzurufen; Montag/Kacholdt, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 15; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 33. 940 Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44. So auch ausdrücklich Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54: „Im Unterschied zu der Situation in einem gemeinsam kontrollierten Unternehmen gibt es keine anderen Gesellschafter mit derselben Möglichkeit der Einflussnahme und der Gesellschafter, der die negative alleinige Kontrolle ausübt, muss bei der Festlegung des strategischen Verhaltens des kontrollierten Unternehmens nicht unbedingt mit bestimmten anderen Gesellschaftern zusammenarbeiten. Da er aber Entscheidungen blockieren kann, erwirbt er bestimmenden Einfluss im Sinne des Artikels 3 Abs. 2 und somit die Kontrolle im Sinne der Fusionskontrollverordnung.“
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Kapitalherabsetzungen und die Liquidation,941 wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist.942 Übertragen auf das nationale Gesellschaftsrecht bedeutet dies, dass die Blockade von Satzungsänderungen mittels Sperrminorität von mehr als 25 % des Grundkapitals bzw. der Stimmrechte, vgl. § 179 Abs. 2 AktG bzw. § 53 Abs. 2 GmbHG, nicht ausreicht, um negative Kontrolle im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu begründen. Sofern sich die Blockademöglichkeit mithin nur auf Grundlagengeschäfte bezieht, liegt keine negative Kontrolle vor.943 Dies entspricht auch der Vorstellung des nationalen Gesetzgebers, der in der Begründung zur 6. GWB-Novelle gerade nicht von Vetorechten für Grundlagengeschäfte spricht, sondern erläutert, dass ein Zusammenschluss durch Kontrollerwerb auch dann vorliegen könne, wenn einem Minderheitsgesellschafter neben seiner Beteiligung zusätzliche Vetorechte bezüglich „strategischer (Wettbewerbs-)Entscheidungen“ zustünden.944 Auch die Rechtsprechung nimmt im Falle lediglich bestehender Minderheitsrechte keine Kontrolle an. So hat das EuG etwa in Aer Lingus/Kommission eine Beteiligung von 29,3 % durch Ryanair ohne weitergehende Rechte nicht als kontrollbegründend angesehen.945 Um alleinige negative Kontrolle zu begründen, müssen etwaige Blockademöglichkeiten über die Schutzrechte von Minderheitsgesellschaftern hinausgehen und im Umfang grundsätzlich jenem Einflussgegenstand der positiven Kontrolle entsprechen.946 Sofern Vetorechte nicht in allen Bereichen vorliegen, ist dies nach Auffassung der Kommission allerdings kein Ausschlusskriterium.947 Vielmehr ist dann 941
Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 66. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 66; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 37. 943 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 66; Käseberg, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 46; vgl. auch Kommission, Entscheidung v. 23. 7. 2008, Rechtssache COMP/M.5250, „Porsche/Volkswagen“ Rz. 12. Insoweit besteht Kongruenz zum aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnis, für das die Literaturauffassung eine negative Beherrschung mangels Gestaltungsmöglichkeit ganz einhellig ablehnt: Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 10; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 25; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 42; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 24; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 50, 93 ff.; Rittner, Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit, DB 1976, 1465, 1468; Sura, Fremdeinfluß, S. 66. 944 Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 v. 29. 1. 1998, S. 57; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 027 (S. 49). 945 EuG, Urteil vom 6. 7. 2010, Rechtssache T-411/07, „Aer Lingus Group plc /Europäische Kommission“, Slg. 2010, II-3695, Rz. 67; Jones/Sufrin, EU Competition Law, S. 1097. 946 Etwa Vetorechte hinsichtlich „Budget, Geschäftsplan, größere Investitionen und die Besetzung der Unternehmensleitung“, vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 67. 947 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 66: „Um die gemeinsame Kontrolle zu erlangen, braucht ein Minderheitsgesellschafter nicht alle obengenannten Vetorechte haben. Es genügt möglicherweise, dass er nur einige oder nur ein einziges Recht besitzt.“ 942
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eine Gesamtschau vorzunehmen.948 Dies entspricht gerade auch der Intention des nationalen Gesetzgebers mit dem europäischen Kontrollbegriff eine flexible Generalklausel in die deutsche Zusammenschlusskontrolle einzuführen. Sofern allerdings Vetorechte weder hinsichtlich „der Geschäftspolitik und -strategie, der Besetzung der Unternehmensleitung noch bei der Finanzplanung und dem Geschäftsplan“ zum Tragen komme, bestünde zumindest auch keine gemeinsame Kontrolle.949 Entsprechendes dürfte für die alleinige negative Kontrolle gelten. d) Dauer und Beständigkeit bestimmenden Einflusses Der dritte wichtige Parameter bestimmenden Einflusses ist die Beständigkeit der Einflussmöglichkeit. Bereits nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 FKVO liegt ein Zusammenschluss nur im Falle einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle vor. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit des Kontrollwechsels ist Ausdruck des Normzwecks der Fusionskontrolle, die allein solche Unternehmensverbindungen zu erfassen sucht, welche zu einer Änderung der Marktstruktur führen.950 Daraus lassen sich aber keine Rückschlüsse für die Anforderungen an eine etwaige Beständigkeit des Kontrollerwerbs selbst ableiten. Vielmehr lässt sich als argumentum e contrario aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 FKVO („(…) dauerhafte Veränderung der Kontrolle (…)“) die Vermutung aufstellen, dass der Kontrollbegriff selbst im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO gerade nicht zwingend dauerhaft sein muss. Andernfalls ließe sich die zusätzliche Voraussetzung der Dauerhaftigkeit für die Begründung eines Zusammenschlusses nicht erklären. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen dem Kriterium der Dauerhaftigkeit als Tatbestandsmerkmal der Kontrolle selbst und der Dauerhaftigkeit der Kontrolle als Voraussetzung eines Zusammenschlusses nach Art. 3 Abs. 1 FKVO findet gleichwohl nicht statt. Selbst die Kommission sieht in dem Fall, dass zwei Unternehmen gemeinsam ein drittes erwerben und unmittelbar danach zerschlagen und aufteilen, nicht nur die Voraussetzungen eines Zusammenschlusses mangels Dauerhaftigkeit als nicht erfüllt an, sondern bereits die Voraussetzungen eines Kontrollwechsels mangels struktureller Veränderung als nicht gegeben.951 Danach wird das Kriterium der Dauerhaftigkeit vielmehr als Tatbestandskriterium des Kontrollerwerbs selbst angesehen. Wo eine Einflussmöglichkeit folglich keinen dauerhaften, sondern nur einen ganz vorübergehenden Kontrollwechsel begründet, liegt bereits keine Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO vor.952 Das Kriterium der Dauerhaftigkeit in Art. 3 Abs. 1 FKVO hat insoweit nur deklaratorischen Charakter. Dem 948
Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 73. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 73 m.w.V. auf Kommission, Entscheidung v. 19. 3. 1993, Rechtssache IV/M.295, „SITA-RPC / Scori“. 950 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. 1. 2004, Erwägungsgrund 20. 951 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 32; Kommission, Entscheidung v. 26. 6. 1997, Rechtssache IV/M.890, „Blokker / Toys “R” Us“, Tz. 14. 952 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 28 Fn. 34. 949
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Kontrollverständnis der FKVO und damit auch dem GWB ist eine gewisse Kontinuität bestimmenden Einflusses bereits inhärent. Diese näher beleuchtend, ist zuerst die etwaige zeitliche Mindestdauer bestimmenden Einflusses zu untersuchen (aa)). Anschließend ist auf die Anforderungen an die Beständigkeit der Einflussmöglichkeit einzugehen (bb)). aa) Zeitliche Mindestdauer Die Forderung einer gewissen Beständigkeit der Einflussmöglichkeit ist natürlicher Reflex der Anforderungen an die notwendige Einflussintensität der Kontrolle. Bestimmender Einfluss, obgleich es sich um positive oder nur negative Kontrolle handelt, setzt eine gewisse Planbarkeit voraus. Eine sich zufällig ergebende bzw. ganz vorübergehende Stimmenmehrheit oder Pattsituation in der Hauptversammlung bewirkt noch keine Änderung der Unternehmensverbindung mit Auswirkungen auf den Markt.953 Vorwegzunehmen ist gleichwohl, dass die Voraussetzung der Dauerhaftigkeit nicht ausschließt, dass auch zeitlich befristeter Einfluss Kontrolle begründen kann.954 Wann allerdings ein beständiger Einfluss und damit Kontrolle vorliegt, ist abhängig von der Art des Einflusses. Weder die Verordnung noch die Kommissionsleitlinien sehen feste zeitliche Mindestanforderungen an bestimmenden Einfluss vor. Ob die Anforderungen an eine dauerhafte Strukturveränderung der Unternehmensverbindung erfüllt sind, ist für den jeweiligen Fall individuell zu bestimmen. Anhaltspunkte zur notwendigen Dauerhaftigkeit der einzelnen Einflussarten lassen sich insoweit nur näherungsweise treffen. Ohne den Ausführungen über die Einflussmittel vorzugreifen, ist im Falle eines Anteils- oder Vermögenserwerbs nach Auffassung der Kommission stets von einem dauerhaften Kontrollwechsel auszugehen. Eine Ausnahme davon ist allerdings dann angezeigt, wenn die Anteile oder Vermögenswerte zunächst an einen Intermediär, etwa eine Bank veräußert werden, bevor sie der finale Erwerber erwirbt (sog. warehousing). In diesen Fällen erlangt nur der finale Erwerber und nicht bereits der Intermediär Kontrolle nach Art. 3 Abs. 2 FKVO.955 Bei einer faktisch begründeten Einflussmöglichkeit am Beispiel der Präsenzmehrheit in der Hauptversammlung kann dagegen keine per se Dauerhaftigkeit des Einflusses angenommen werden. Ob etwa ein Minderheitsgesellschafter im Vorfeld damit rechnen konnte, dass er auf der Hauptversammlung über eine Stimmen953
Dies setzt aber Erwägungsgrund 20 voraus, Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. 1. 2004 (FKVO), vgl. auch Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 62. 954 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 28. 955 Vgl. vertiefend dazu Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 166 ff. m.w.V. auf Kommission, Entscheidung v. 7. 1. 2004, Rechtssache M.2978, Tz. 5 ff., „Lagardère / Natexis / VUP“; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 67; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 49 ff.; Jones/Sufrin, EU Competition Law, S. 1101; Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.049 (S. 540).
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mehrheit verfügen würde, ist nach der Kommission im Wege einer zukunftsbezogenen Analyse zu ermitteln. Es ist also eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Präsenzmehrheiten zu treffen auf Basis der vorangegangenen Hauptversammlungen.956 Das Schrifttum will dafür mehrheitlich die letzten drei Hauptversammlungstermine als Referenzgrundlage heranziehen.957 Tatsächlich hat die Kommission in ihrer bisherigen Entscheidungspraxis häufig die vergangenen drei Hauptversammlungspräsenzen als Grundlage ihrer Prognose zugrunde gelegt.958 Im Fall EDFI/Graninge genügte der Kommission derweil die Prüfung der zwei vorausgegangenen Hauptversammlungen,959 was aber nicht den Regelfall darstellt.960 Mit Blick auf vertragliche Einflussgrundlagen setzt die Kommission für die Annahme einer Veränderung der Marktstruktur voraus, dass diese sehr langfristig angelegt sind und in der Regel keine Kündigungsmöglichkeit des kontrollierten Unternehmens vorsehen. Die Kommission führt als Anhaltspunkte Vertragslängen von 8 bzw. 10 bis 15 Jahren auf.961 Dass dies allenfalls als Orientierung zu verstehen ist, ebenso wie das Kriterium der Unkündbarkeit, zeigt sich daran, dass die Leitlinien als typische Grundlage einer vertraglichen Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO ausdrücklich auf den deutschen Beherrschungsvertrag gem. § 291 Abs. 1 AktG rekurrieren.962 Dieser setzt jedoch weder eine bestimmte gesetzliche Mindestdauer voraus, noch ist ein Ausschluss des Kündigungsrechts des kontrollierten Unternehmens – zumindest aus wichtigem Grund – zulässig.963 Möglich ist der Ausschluss eines ordentlichen Kündigungsrechts dagegen bei zeitlich befristeten 956
Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.029 (S. 529). Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 66 m.w.V. auf das Merkblatt des Bundeskartellamts zur Fusionskontrolle, Stand: Juli 2005, S. 12; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 97; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 105. 958 So etwa in Kommission, Entscheidung v. 3. 8. 1993, Rechtssache IV/M.343, „Société Générale de Belgique / Générale de Banque“, Tz. 7; Kommission, Entscheidung v. 4. 11. 1997, Rechtssache IV/M.1046, „Ameritech / Tele Denmark“, Tz. 4; Kommission, Entscheidung v. 22. 12. 1997, Rechtssache IV/M.1058, „UniChem / Alliance Santé“, Tz. 6; Kommission, Entscheidung v. 23. 7. 2008, Rechtssache M.5250, „Porsche / Volkswagen“, Tz. 9; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 026 (S. 46); vgl. Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 105; Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 81. Vgl. auch Rosenthal/Thomas, Merger Control, S. 31 m.w.V. auf Kommission, Entscheidung v. 20. 9. 2001, Rechtssache M.2574, „Pirelli/Edizione/Olivietti/ Telecom Italia“, Tz. 13. 959 Kommission, Entscheidung v. 25. 8. 1998, Rechtssache IV/M.1169, „EDFI / Graninge“; Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 81 Fn. 1. 960 Weiterführend Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 81; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 105. 961 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18 Fn. 19. 962 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18 Fn. 20. 963 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 297 Rn. 15; Koch, in: Hüffer/Koch, § 297 Rn. 5. 957
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Beherrschungsverträgen.964 Sofern keine vertragliche Befristung des Beherrschungsvertrages vorgesehen ist, dürfte gleichwohl regelmäßig von einem dauerhaften Kontrollerwerb im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB auszugehen sein. bb) Beständigkeit der bestimmenden Einflussmöglichkeit Wie die beiden bisher untersuchten Einflusskonzepte des HGB und des AktG setzt auch der Kontrollerwerb, Art. 3 Abs. 2 FKVO bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB weder die tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses voraus, noch den Nachweis, dass dies zukünftig geplant ist.965 Ausreichend ist bereits die Möglichkeit bestimmenden Einfluss auszuüben. Dadurch wird berücksichtigt, dass die Geschäftsführung eines kontrollierten Unternehmens bereits die Interessen des kontrollierenden Unternehmens befolgt, ohne dass es einer ausdrücklichen Weisung bedarf.966 Die Einflussmöglichkeit muss allerdings tatsächlich gegeben sein muss.967 Was das bedeutet, spezifiziert der EuGH hingegen nicht. Ausgehend vom Regelfall einer durch Stimmenmehrheit vermittelten Einflussmöglichkeit bedeutet dies etwa nicht, dass ein tatsächlicher Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft zu jederzeit gewährleistet sein muss. So tritt die Hauptversammlung turnusgemäß nur einmal pro Jahr zusammen. Entscheidend ist vielmehr das von der Stimmenmehrheit ausgehende Einflusspotential, welches eine konstante Verhaltenssteuerung des Vorstands bzw. der Geschäftsführung des kontrollierten Unternehmens bewirkt.968 e) Grundlagen bestimmenden Einflusses Bei der Untersuchung der Einflussgrundlagen nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 3 Abs. 2 FKVO gilt es zu berücksichtigen, dass Einfluss, welcher von einem Unternehmen auf ein anderes ausgeübt wird, nicht losgelöst von dem jeweiligen Gesellschaftsrechtsstatut betrachtet werden kann, welchem die beteiligten Unternehmen unterliegen. Ebenso wie sich Gründung, Aktivität und Liquidation einer Gesellschaft nach dem jeweiligen Gesellschaftsrecht richten, gilt dies auch für die Ausübung unternehmerischen Einflusses zwischen Unternehmen. Aus welcher rechtlichen Perspektive dieser unternehmerische Einfluss dann bewertet und an entsprechende Rechtsfolgen geknüpft wird, sei es konzernrechtlich, bilanzrechtlich oder eben wettbewerbsrechtlich, ist davon unabhängig. Die Rechtmäßigkeit des Einflusses, welcher auf ein Unternehmen ausgeübt wird, bzw. von einem Unternehmen ausgeht, unterliegt jedoch stets dem jeweiligen, nationalen Gesellschafts964
Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 297 Rn. 23; Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 297 Rn. 53. 965 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16. 966 Schröer, in: Frankf. Komm. zum KartellR, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 33. 967 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16; EuG, Urteil vom 23. 2. 2006, Rechtssache T-282/02, Slg. 2006, II-00319, „Cementbouw/Kommission“, Tz. 58. 968 Vgl. Schröer, in: Frankf. Komm. zum KartellR, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 33.
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recht. Ebenso wie den Internationalen Rechnungslegungsstandards zum konsolidierten Abschluss verbundener Unternehmen liegt dem europäischen Kontrollverständnis in Art. 3 Abs. 2 FKVO kein eigenes Gesellschaftsrecht zugrunde, dessen Rahmen die rechtliche Zulässigkeit der Einflussmöglichkeiten beschränkt. Das europäische Kontrollverständnis ist folglich losgelöst von gesellschaftsrechtlichen Restriktionen.969 Dies bedeutet allerdings auch, dass das europäische Kontrollverständnis mit Blick auf das Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten nur insoweit Anwendung findet, als die jeweiligen Einflussgrundlagen auch im nationalen Gesellschaftsstatut zulässig sind.970 Das europäische Kontrollverständnis ist mit Blick auf die konkreten Einflussgrundlagen daher von der mitgliedstaatlichen Ebene zu trennen. Aus diesem Grund sind zunächst die aus der europäischen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung entwickelten Einflussmittel unter Art. 3 Abs. 2 FKVO zu beleuchten (aa)). Anschließend ist die Übertragbarkeit der Fallgruppen am Beispiel des AktG zu skizzieren (bb)). aa) Kontrollmittel nach Art. 3 Abs. 2 FKVO Im Unterschied zum abstrakten Abhängigkeitstatbestand des AktG benennt die Definition der Kontrolle in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art 3 Abs. 2 FKVO die zulässigen Grundlagen bestimmenden Einflusses selbst. Danach wird die Kontrolle durch „Rechte, Verträge oder andere Mittel begründet, die einzeln oder zusammen unter Berücksichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben (…).“ Aus dieser Generalklausel folgt die grundsätzlich unbeschränkte Zulässigkeit der Einflussgrundlagen durch den Zusatz, dass Kontrolle außer durch Rechte und Verträge auch durch andere Mittel begründet werden kann, ohne diese Mittel abschließend zu benennen. Auch aus den Varianten in Art. 3 Abs. 2 lit. a) und b) FKVO, welche lediglich typische Wirkungsarten der Einflussmittel beschreiben, folgt keine Beschränkung der Einflussmittel, wie aus der Ergänzung „insbesondere“ zu schließen ist.971 Die genaue Bestimmung der Einflussmittel wurde vielmehr der Verwaltungspraxis der Kommission bzw. der europäischen Rechtsprechung überlassen. Deren Konturierung der Kontrollmittel ist nachfolgend zu beleuchten. Dabei wird zunächst auf die Kontrolle auf Grundlage von Anteilsrechten oder Vermögenswerten
969 Vgl. dazu die Ausführungen zu „Kontrolle und Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten“ in der Konsolidierten Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rn. 22, wonach der Kontrollerwerb im europäischen Verständnis losgelöst von den individuellen Besonderheiten des jeweiligen Gesellschaftsrechtsstatuts anhand einer Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Einflussmöglichkeit zu prüfen ist. 970 Vgl. hierzu Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 22. 971 Vgl. Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 43.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
((1)) eingegangen, bevor die vertraglichen Grundlagen der Kontrolle ((2)) und schließlich sonstige Einflussmittel untersucht werden ((3)).972 (1) Anteilsrechte und Vermögenwerte als Kontrollmittel (a) Anteilsrechte Der wichtigste Fall des Kontrollerwerbs ist die Erlangung der Anteilsmehrheit an einem Unternehmen.973 Mit der Mehrheitsbeteiligung geht im Regelfall die Fähigkeit einher, die Besetzung der Unternehmensorgane zu bestimmen und so das strategische Wirtschaftsverhalten eines Unternehmens entscheidend zu beeinflussen.974 Die Anteilsmehrheit stellt damit zugleich den in Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO aufgeführten Regelfall der Kontrollgrundlage dar.975 Eine gesetzliche Vermutung nach dem Vorbild von § 17 Abs. 2 AktG, wonach etwa im Falle der Erlangung einer Mehrheitsbeteiligung der Kontrollerwerb widerleglich angenommen wird, ist weder in Art. 3 FKVO noch dem korrespondierenden Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB vorgesehen. Allein entscheidend für die Begründung der Kontrolle ist daher, ob mit der Anteilsmehrheit tatsächlich ein bestimmender Einfluss einhergeht, etwa die Möglichkeit zur Besetzung der Unternehmensorgane.976 Im Gegensatz zum aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff wird daher im Fall der reinen Kapitalmehrheit ohne Stimmenmehrheit kein bestimmender Einfluss vermutet. Ohne die korrespondierenden Stimmrechte fehlt es einer Kapitalmehrheit an der notwendigen Einflussqualität.977 Bei der kontrollbegründenden Mehrheitsbeteiligung handelt es sich allein um die stimmberechtigte Anteilsmehrheit978 ebenso wie die reine Stimmenmehrheit ohne Kapitalmehrheit.979 Stimmrechte innerhalb eines Konzernverbunds sind dabei nach § 36 Abs. 2 GWB zusammenzuzählen.980 Da ausschlaggebend allein die tatsächliche Einflussmöglichkeit ist, liegt auch der kontrollbegründenden 972
Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16 ff. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 82; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 11; Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 13; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 21. 974 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 82; vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54; Varona/Galarza/Crespo et al., Merger Control, 2.33 (S. 15). 975 Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 11. 976 Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 11; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 84; vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 56. 977 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 84. 978 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 64. 979 Denkbar in Fällen von Mehrheitsstimmrechten, sofern diese anerkannt und gültig sind, Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 84. 980 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 65. 973
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Anteilsmehrheit die Prämisse zugrunde, dass strategische Entscheidungen stets mittels einfacher Stimmenmehrheit durchgesetzt werden können und mit Ausnahme von Grundlagenentscheidungen die Gesellschaftssatzung kein strengeres Mehrheitsquorum vorsieht. Ist Letzteres allerdings der Fall, begründet auch eine absolute Stimmenmehrheit keinen bestimmenden Einfluss und damit keine Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO.981 Wie bereits erläutert, kann Kontrolle nicht nur positiv, mittels rechtlicher Durchsetzungsmöglichkeit strategischer Entscheidungen begründet werden. Ausreichend ist bereits die Möglichkeit einer Blockade strategisch wichtiger Entscheidungen des Unternehmens.982 Im Falle einer Kontrolle mittels Stimmenmacht ist diese regelmäßig schon dann gegeben, wenn keine Mehrheitsbeteiligung erworben wird, sondern ein Unternehmen über exakt 50 % der Stimmrechte verfügt. In diesem Fall fehlt es dem Unternehmen zwar an der notwendigen Stimmenmehrheit, um Entscheidungen durchsetzen zu können und etwa die Mitglieder in den Leitungsgremien zu bestimmen.983 Allerdings können die übrigen Stimmrechtsinhaber selbst im Falle abgestimmten Verhaltens keine Entscheidung gegen das kontrollierende Unternehmen durchsetzen, da es an der erforderlichen Stimmenmehrheit fehlt. Damit kann das Unternehmen, das absolut über die Hälfte der Stimmrechte verfügt, alle strategischen Entscheidungen blockieren und erwirbt alleinige negative Kontrolle.984 Dies gilt allerdings nur für den hier angenommenen Regelfall, dass die tatsächliche Einflussmöglichkeit nicht durch zusätzliche Rechte eines Gesellschafters verschoben wird. Verfügen zwei Gesellschafter jeweils über paritätische Stimmrechte an einem Gemeinschaftsunternehmen, liegt grundsätzlich ein Fall der negativen Kontrolle vor.985 Ist einem der Gesellschafter jedoch ein Letztentscheidungsrecht bei der Bestimmung der Leitungsorgane des Gemeinschaftsunternehmens vorbehalten, kann dies wiederum die Einflusswaagschale zugunsten der alleinigen positiven Kontrolle verschieben.986 Entscheidend ist daher, wie Art. 3 Abs. 2
981
Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 56; Jones/Sufrin, EU Competition Law, S. 1097; Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.028 (S. 528); Rosenthal/Thomas, Merger Control, S. 31. 982 Montag/Kacholdt, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 15; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 33. 983 Ausgenommen sei hier die mögliche Präsenzmehrheit in der Hauptversammlung bei 50 % der Stimmenrechte. Insbesondere bei börsennotierten Unternehmen dürfte eine Präsenzquote von 100 % allenfalls selten der Fall sein. 984 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 64; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 84; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 56. 985 Varona/Galarza/Crespo et al., Merger Control, 2.31 (S. 15). 986 Siehe hierzu Kommission, Entscheidung v. 20. 12. 1995, Rechtssache IV/M.650, „SBG / Rentenanstalt“; Hirsbrunner/Rating, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 29.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
FKVO selbst konstatiert, eine Berücksichtigung aller rechtlichen und tatschlichen Umstände. Positive oder negative Kontrolle kann allerdings nicht nur mittels Anteilsmehrheit bzw. paritätischem Stimmrechtsbesitz erworben werden. Auch eine Minderheitsbeteiligung kann bestimmenden Einfluss ermöglichen, wenn zusätzliche tatsächliche oder rechtliche Faktoren vorliegen.987 Grundsätzlich gilt, dass eine rechnerische Minderheitsbeteiligung im Regelfall keinen bestimmenden Einfluss und damit weder positive noch negative Kontrolle begründet. Wie bereits vom aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff bekannt, kann aber im Falle eines hohen Streubesitzes der Aktien auch eine Minderheitsbeteiligung eine faktische Hauptversammlungsmehrheit begründen und damit den Kontrolltatbestand erfüllen.988 Welche Beteiligungshöhe unterhalb von 50 % der Stimmrechte ausreicht, um Kontrolle zu konstituieren, lässt sich nur anhand des jeweiligen Einzelfalls bestimmen. Für den Kontrollbegriff in Art. 3 Abs. 2 FKVO wurde gerade von der Verankerung starrer Schwellenwerte abgesehen. In der Entscheidung VEBA/Degussa hat die Kommission einen Erwerb von 36,41 % der Anteile an Degussa als ausreichend angesehen, um die alleinige positive Kontrolle durch VEBA zu begründen.989 Dem Fall lag eine regelmäßige Hauptversammlungspräsenz von unter 68 % der Stimmrechte sowie ein hoher Streubesitz der übrigen Aktien zugrunde. In einem späteren Fall genügte der Jefferson Smurfit Group PLC der Erwerb von 29,04 % der Anteile am schwedischen Papierhersteller Munksjo AB, um alleinige positive Kontrolle zu erlangen. Denn die übrigen 78,06 % der Anteile waren auf über 12.000 Aktionäre erteilt, von denen der größte 5,9 % der Anteile hielt. Zudem waren auf den vorangegangenen Hauptversammlungen nicht mehr als 36 % des stimmberechtigten Kapitals vertreten.990 Noch weniger, nämlich die Aufstockung von 20,94 % auf 25,96 % der Anteile an der Générale de Banque genügten der Société Générale de Belgique, um positive Kontrolle zu erwerben, da zumindest 50 % der Anteile weit verstreut waren und die Hauptversammlungspräsenz regelmäßig unter 50 % des stimmberechtigten Kapitals
987 Montag und Kacholdt sprechen insoweit von einer qualifizierten Minderheit, in: Dauses/ Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 16; Jones/Sufrin, EU Competition Law, S. 1097. 988 Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 12; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 026 (S. 46 f.); Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 97; Richter/Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 66; Kellerbauer, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 19; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 11; Kallfaß, in: Langen/ Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 23; vgl. EuG, Urteil v. 12. 12. 2012, Rechtssache T-332/09, „Electrabel/Europäische Kommission“, Rz. 47. 989 Kommission, Entscheidung v. 3. 12. 1971, Rechtssache IV/M.942, „VEBA / Degussa“. 990 Kommission, Entscheidung v. 31. 7. 1995, Rechtssache Nr. IV/M.613, „Jefferson Smurfit Group PLC / Munksjo AB“.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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betrug.991 Eine Verallgemeinerung des Kontrollerwerbs aufgrund solch niedriger Beteiligungsverhältnisse ist gleichwohl nicht möglich, wie bereits der Fall Aer Lingus/Kommission gezeigt hat, in dem der EuG einen Beteiligungserwerb von 29,3 % der Stimmrechte durch Ryanair als unzureichend für eine Kontrollannahme angesehen hat.992 Daneben kann nach Art. 3 Abs. 2 FKVO bestimmender Einfluss durch einen Minderheitsgesellschafter auch aufgrund zusätzlicher Rechte, wie etwa dem Recht zur Besetzung der Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrates oder des Vorstands erreicht werden.993 Auch insoweit gilt es, das tatsächliche Einflusspotential unabhängig des Stimmrechtsanteils zu ermitteln. Neben einer solch positiven Kontrolle durch eine Minderheitsbeteiligung besteht korrespondierend auch die Möglichkeit zur negativen Kontrolle. Diese liegt etwa vor, wenn der Minderheitsgesellschafter nicht die Mehrzahl sondern genau die Hälfte der Mitglieder in den Leitungsgremien des Unternehmens bestimmen kann.994 Darüber hinaus wird die negative Kontrolle durch Minderheitsgesellschafter vor allem über Vetorechte begründet, die eine Blockade strategischer Unternehmensentscheidungen im kontrollierten Unternehmen ermöglichen.995 Dienen Vetorechte innerhalb von Gemeinschaftsunternehmen primär der Absicherung des paritätischen Einflusses der Gesellschafter,996 setzt die Begründung negativer Kontrolle voraus, dass sie über die gesetzlichen Einflussrechte von Minderheitsgesellschaftern hinausgehen. Denn eine Sperrminorität als Grundlage negativer Kontrolle zu qualifizieren, würde das RegelAusnahme-Verhältnis der Mehrheits- und Minderheitsrechte ins Gegenteil verkehren und aus dem Schutzzweck der Minderheit eine Beherrschungsposition begründen.997 991 Kommission, Entscheidung v. 3. 8. 1998, Rechtssache IV/M.343, „Société Générale de Belgique / Générale de Banque“; Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.029 (S. 529); Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 026 (S. 47). 992 Siehe oben 2. Kap. Fn. 945. Ebenso erlangte in einem anderen Fall auch Holdercim trotz 42%igen Anteils an Origny-Desvroises keine faktische Mehrheit in drei aufeinanderfolgenden Hauptversammlungen und somit keine Kontrolle, Kommission, Entscheidung v. 5. 8. 1994, Rechtssache IV/M.486, Tz. 6; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 026 (S. 48). 993 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 57; so etwa in Kommission, Entscheidung v. 18. 2. 1998, Rechtssache IV/M.920, „Samsung / AST“. Auch in „Ford / Hertz“ verfügte Ford neben seinem Anteil von 49 % der Stimmrechte an Hertz über die Möglichkeit 6 von 9 Mitgliedern des Boards von Hertz zu benennen und damit über die alleinige positive Kontrolle, Kommission, Entscheidung v. 7. 3. 1994, Rechtssache IV/M.397, „Ford / Hertz“. 994 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn 67; vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 69. 995 Siehe hierzu bereits oben S. 222 ff.; Jones/Sufrin, EU Competition Law, S. 1097; Cook/ Kerse, EC Merger Control, 2 – 027 (S. 49), mit Verweis auf Kommission, Entscheidung v. 5. 5. 2000, Rechtssache M.1920, „Nabisco / United Biscuits“. 996 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21.2. 2009, Rz. 65 ff. 997 Hirsbrunner/Rating, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 39; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 66; Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 38 mit Verweis auf Kommission, Entscheidung v. 19. 3. 1993, Rechtssache IV/M.295, „SITA-RPC/Scori“.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Unzureichend für die Annahme negativer Kontrolle hat die Kommission die Möglichkeit einer Besetzung etwa von 4 der 11 Mitglieder eines Verwaltungsrates sowie Vetorechte über die Eingliederung oder Abwicklung eines Unternehmens, Veränderung des Grundkapitals sowie der Sitzverlegung angesehen.998 Ebenso verneinte die Kommission im Fall British Telecom/MCI die Möglichkeit der strategischen Einflussnahme und damit Kontrolle durch British Telecom an MCI mittels ein Vetorechts, welches den Kontrollerwerb durch Dritte zu verhindern mochte.999 Dagegen verfügte in Belgacom/BICS/MTN lediglich Belgacom über die alleinige negative Kontrolle am Gemeinschaftsunternehmen BICS, da allein Belgacom über ein Vetorecht hinsichtlich aller strategisch relevanten Entscheidungen des Verwaltungsrates einschließlich des Geschäftsplanes und Budgets verfügte.1000 In Cintra/ Albertis/Itinere erlangten dagegen Cintra und Itinere neben Albertis gemeinsamen bestimmenden Einfluss und damit negativen Kontrolle über ein Joint Venture, da wichtige unternehmerische Entscheidungen eine qualitative Mehrheit und damit die Mitwirkung von Cintra und Itinere voraussetzten.1001 Ähnlich lag der Fall in JCI/ Bosch/VB JV, in dem Varta und Bosch gemeinsame Kontrolle über das VB Gemeinschaftsunternehmen innehatten. Obwohl Varta 80 % der Anteile an Johnson Controls, Inc. veräußerte und Bosch nur über 20 % der Anteile am Gemeinschaftsunternehmen verfügte, lag gleichwohl eine gemeinsame negative Kontrolle vor, da wichtige strategische Entscheidungen die Zustimmung beider Gesellschafter voraussetzte.1002 Auch in Bayernwerk/Gaz de France verfügte Bayernwerk nur über 25 % der Anteile an einem Gemeinschaftsunternehmen sowie das Recht, einen von drei Geschäftsführern zu benennen. Gaz de France hingegen hielt 75 % der Anteile und konnte zwei Geschäftsführer stellen. Die Kommission nahm gleichwohl eine gemeinsame negative Beherrschung an, da wichtige strategische Entscheidungen des Gemeinschaftsunternehmens der Zustimmung aller Geschäftsführer bedurfte und insoweit Bayernwerk die notwendigen Vetorechte einräumte, um bestimmenden negativen Einfluss zu begründen.1003 998
Kommission, Entscheidung v. 4. 7. 1991, Rechtssache IV/M.O62, „Eridania / ISI“; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 66; Hirsbrunner/Rating, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 39. 999 Kommission, Entscheidung v. 13. 9. 1993, Rechtssache IV/M.353, „British Telecom / MCI“; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 028 (S. 49 f.); Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 37. 1000 Kommission, Entscheidung v. 26. 10. 2009, Rechtssache M.5584, „Belgacom / BICS / MTN“. 1001 Kommission, Entscheidung v. 18. 2. 2014, Rechtssache M.7075, „Cintra / Abertis / Itinere / Bip & Drive“; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 47. 1002 Kommission, Entscheidung v. 18. 10. 2002, Rechtssache M.2939, „JCI / Bosch / VB Autobatterien JV“. 1003 Kommission, Entscheidung v. 1. 7. 1996, Rechtssache IV/M.745, „Bayernwerk / Gaz de France“; vgl. auch Entscheidung v. 5. 5. 2000, Rechtssache M.1920, „Nabisco / United Biscuits“.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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Eine abschließende Darstellung der Entscheidungspraxis zu Vetorechten ist aufgrund der variablen Einflussmöglichkeiten nicht möglich.1004 Aus der Entscheidungspraxis der Kommission folgt allerdings, dass an die Begründung negativer Kontrolle auf Grundlage von Minderheitsbeteiligungen kein geringerer Maßstab angelegt wird, als an die positive Kontrolle. Als Anhaltspunkt hält die Kommission selbst fest, dass ein Vetorecht keinen bestimmenden Einfluss eröffnet, sofern es „weder bei der Geschäftspolitik und -strategie, der Besetzung der Unternehmensleitung noch bei der Finanzplanung und dem Geschäftsplan zum Tragen kommt.“1005 Maßgeblich ist allerdings die Gesamtschau aller rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten.1006 Insoweit ist die Entscheidungspraxis der Kommission ganz überwiegend von Konsistenz geprägt. (b) Vermögenswerte Neben dem Anteilserwerb kann auch die Übertragung von Vermögenswerten Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO begründen. Notwendig ist dafür nicht der Erwerb des gesamten Vermögens. Auch der Erwerb einzelner Vermögensgegenstände kann ausreichend sein, etwa von bedeutenden Immaterialgüterrechten wie Marken, Copyrights, Internetdomains, Patenten und Lizenzen.1007 So entschied die Kommission in Otto/Primondo Assets, dass der Erwerb bestimmter Handelsmarken, wie etwa Quelle und Privileg einschließlich der zugehörigen Schutzrechte und Patente, einen Zusammenschluss nach Art. 3 Abs. 1 lit. b) FKVO darstelle.1008 Dass bereits die Übertragung einzelner Vermögensgegenstände einen Zusammenschluss nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 3 Abs. 2 FKVO zu begründen vermag, stellt keine Aufweichung der bereits erläuterten Anforderungen an positive bzw. negative Kontrolle dar. Die Vermögensübertragung ist vielmehr Folge der von der Verordnung vorgesehenen Möglichkeit, dass Gegenstand der Kontrolle nicht nur ein Unternehmen als Ganzes sein muss, sondern sich vielmehr auch auf Teile eines Unternehmens beschränken kann, wenn diese selbst wettbewerblich relevant und vom übrigen
1004
Eine weitergehende Darstellung der zu Vetorechten ergangenen Kommissionsentscheidungen ist zu finden bei Hirsbrunner/Rating, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 40; vgl. auch Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 37 ff. 1005 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 73. 1006 Bemerkenswert ist insoweit Kommission, Entscheidung v. 19. 1. 2005, Rechtssache M.3556, „Fortis / BCP“, in der BCP über kein klassisches Vetorecht im Sinne der Konsolidierten Mitteilung der Kommission verfügte, gleichwohl jedoch gemeinsamen Einfluss mitbegründete, weil ein Veto über die Organisation des Vertriebs am Gemeinschaftsunternehmen in dem Fall von außerordentlicher Bedeutung war. Siehe dazu Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44. 1007 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 61; Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 72. 1008 Kommission, Entscheidung v. 16. 2. 2010, Rechtssache M.5721, „Otto / Primondo Assets“.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Unternehmen abgrenzbar sind.1009 In ihren Leitlinien führt die Kommission hierzu aus, dass eine Transaktion, die nur immaterielles Vermögen wie Marken, Patente oder Urheberrechte betrifft, allerdings nur die Kriterien an einen Zusammenschluss erfüllen könne, wenn die Vermögenswerte einen eigenen Geschäftsbereich mit Marktumsatz bilden.1010 Zu Recht einen Kontrollerwerb abgelehnt hatten daher sowohl das OLG Düsseldorf als auch der BGH im Fall National Geographic, in dem es um den Erwerb einer Lizenz zur Herausgabe der Zeitschrift National Geographic auf dem deutschen Markt ging. Da es zum damaligen Zeitpunkt noch keine deutschsprachige Version des Naturkundemagazins gab, fehlte es in der Folge auch an dem erforderlichen Marktumsatz und damit an der Qualifikation als Unternehmensteil.1011 Die Vermögensübertragung stellt insoweit eine alternative Möglichkeit des Kontrollerwerbs an einem Unternehmensteil dar, insbesondere dann, wenn ein Anteilserwerb nicht in Betracht kommt oder nicht möglich ist. Beim Vermögenserwerb werden die Voraussetzungen an den bestimmenden Einfluss durch die Übertragung der jeweiligen Rechtsposition vermittelt, etwa aus Eigentum. Wie bereits aus dem Lizenzerwerb folgt, setzt Kontrolle nach Art. 3 Abs. 2 lit. a) FKVO allerdings die Übertragung und Inhaberschaft eines dinglichen Vollrechts nicht voraus.1012 Vielmehr können nach dem Wortlaut der Verordnung auch Nutzungsrechte ausreichen. Hierbei ist entgegen der Auffassung von Schütz nicht nur an eigentumsähnliche Rechte zu denken.1013 Insoweit kann Kontrolle auch durch Betriebsüberlassungs- und -pachtverträge begründet werden ebenso wie durch Vereinbarung von Exklusivlizenzen für eine umsatzgenerierende Tätigkeit oder ein Produkt.1014 (2) Vertragliche Grundlagen bestimmenden Einflusses Als mögliche Grundlagen der Kontrolle benennt Art. 3 Abs. 2 FKVO ausdrücklich auch Verträge. Eine weitergehende Erläuterung der durch Vertrag vorausgesetzten Einflussmöglichkeiten findet sich im Regelbeispiel Art. 3 Abs. 2 lit. b) 1009 Vgl. Montag/Kacholdt, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 18; vgl. zur Kontrolle über Unternehmensteile, Kommission, Entscheidung v. 26. 6. 1997, Rechtssache IV/M.890, „Blokker / Toys “R” Us“. 1010 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 24. 1011 BGH, Beschluss v. 10. 10. 2006 – KVR 32/05 – National Geographic I, BGHZ 170, 130; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15. 6. 2005 – WuW/E DE-R 1504, 1508; Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 175. 1012 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 18; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 10. 1013 So aber Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 37. 1014 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 175; siehe etwa exemplarisch Kommission, Entscheidung v. 18. 2. 2010, Rechtssache M.5727, „Microsoft / Yahoo! Search Business“; vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 25 Rn. 20.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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FKVO, wonach bestimmender Einfluss durch Rechte oder Verträge ausgeübt wird, „die einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Beratungen oder Beschlüsse der Organe des Unternehmens gewähren.“ Damit wird vorausgesetzt, dass kontrollbegründende Verträge ein vergleichbares Einflusspotential erreichen müssen, wie auf Grundlage von Anteilsrechten oder Vermögenserwerb ermöglicht wird.1015 Eine entsprechende Feststellung ist auch in den Leitlinien der Kommission über die Voraussetzungen einer vertraglichen Kontrolle enthalten.1016 Ferner setzt die Kommission voraus, dass die Verträge langfristig angelegt sind.1017 Unter Kontrolle auf vertraglicher Grundlage fallen daher nur solche Verträge, aus denen unmittelbar eine strukturelle Unternehmensverbindung resultiert und damit regelmäßig bestimmenden Einfluss begründet.1018 Ausgeklammert sind hingegen solche vertraglichen Einflussmöglichkeiten, die unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nur ausnahmsweise bestimmenden Einfluss eröffnen. Letztere werden von der Kommission entsprechend der Aufzählung der Kontrollgrundlagen in Art. 3 Abs. 2 FKVO als „andere Mittel“ der Kontrolle betrachtet. Aus Gründen der Kohärenz zu den Leitlinien der Kommission wird vorliegend an dieser Trennung vertraglicher Kontrollgrundlagen festgehalten. Grundsätzlich gilt, dass vertraglich vermittelte Kontrolle nicht notwendigerweise gesellschaftsrechtlich bedingt sein muss, denn dem europäischen Kontrollverständnis liegt ein spezifisches Gesellschaftsrecht ohnehin nicht zugrunde.1019 Exemplarisch für eine vertraglich vermittelte Kontrolle benennt die Kommission Unternehmensverträge nach nationalem Recht, wie den deutschen Beherrschungsvertrag sowie den Betriebspachtvertrag, die mit einer Übertragung von Unternehmensleitung und Unternehmensressourcen einhergehen, ohne Eigentumsrechte oder Anteile vorauszusetzen.1020 Im Fall Bosch/Rexroth hatte Bosch mit Rexroth sowohl einen Beherrschungsvertrag als auch einen Betriebspachtvertrag abgeschlossen, welcher Bosch die alleinige Ausübung des Geschäftsbetriebs von Rexroth im eigenen Namen und für eigene Rechnung übertrug.1021 Auch in Deutsche Bahn/ECT International/United Deports/JV erfüllte ein Betriebspachtvertrag mit einer Laufzeit von zunächst 3 Jahren plus Verlängerungsoption die Voraussetzungen bestimmenden
1015 Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 25; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 63. 1016 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18. 1017 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18. 1018 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 99. 1019 Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 11; v. Merveldt/Berg, in: Berg/Mäsch, Deutsches und europäisches Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 9; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 17; Schütz, in: KK-Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 38. 1020 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18. 1021 Kommission, Entscheidung v. 4. 12. 2000, Rechtssache M2060, „Bosch/Rexroth“, Tz. 9 ff.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Einflusses.1022 In Celsa/Fundia erwarb der spanische Stahlhersteller Celsa die alleinige positive Kontrolle über den norwegischen Stahlhersteller Fundia Reinforcing AS durch einen unwiderruflichen Managementvertrag. Dieser sah neben der Bestimmung aller Mitglieder Geschäftsführung der Fundia auch die alleinige Entscheidungsbefugnis in allen strategischen Fragen durch Celsa vor.1023 Auch Stimmbindungsverträge subsumiert die Kommission als vertragliche Grundlage bestimmenden Einflusses.1024 Dies ist etwa dann der Fall, wenn zwei Minderheitsgesellschafter vertraglich die Ausübung ihrer Stimmrechte bei wichtigen Entscheidungen, wie der Besetzung der Mitglieder des Aufsichtsrates bündeln, wobei in diesem Fall von gemeinsamer Kontrolle auszugehen sein wird.1025 So hielten in einem Zusammenschluss die NAW Nutzfahrzeuge AG und Saltano LDA jeweils 1/3 der Geschäftsanteile an der Contrac GmbH und verfügten aufgrund eines Stimmbindungsvertrages gemeinsam über bestimmenden Einfluss.1026 Alleinige Kontrolle hat die Kommission dagegen im Falle eines Investmentfonds angenommen, der aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit den Investoren alle Stimmrechte aus den Anteilen, die in der Summe von den Fondsinvestoren gehalten wurden, ausüben konnte. Somit verfügte der Fonds selbst und nicht die Investoren über bestimmenden Einfluss an einem Unternehmen, dessen Anteile vollständig von dem Fonds gehalten wurden.1027 Eine abschließende Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten vertraglich vermittelter Kontrolle ist derweil nicht möglich. Auch die Leitlinien der Kommission benennen die vertraglichen Einflussgrundlagen nicht abschließend. Die vorgestellten Beispiele dienen vielmehr der kursorischen Darstellung der bisherigen Entscheidungspraxis zum Kontrollverständnis. Als Maßstab positiver vertraglich begründeter Kontrolle ist auf die von einer Anteilsmehrheit im Regelfall ausgehende, bestimmende Einflussqualität zu verweisen. Darüber hinaus kommt auch eine negative Kontrollmöglichkeit etwa in Form vertraglicher Vetorechte in Betracht. Gleichwohl lässt sich aus den erläuterten Voraussetzungen schließen, dass nicht jede vertragliche Grundlage geeignet ist, bestimmenden Einfluss und damit Kon1022 Kommission, Entscheidung v. 11. 2. 2002, Rechtssache M.2632, „Deutsche Bahn/ECT International/United Deports/JV“. 1023 Kommission, Entscheidung v. 28. 7. 2006, Rechtssache M.4225, „Celsa / Fundia“; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 63. 1024 Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 66, m.w.V. auf Kommission, Entscheidung v. 23. 11. 1993, Rechtssache V/M.363, „Continental / Kaliko / DG Bank / Benecke“. 1025 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 74; Rose/ Bailey, European Law of Competition, 8.083 (S. 534). Vgl. auch Körber, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 54. 1026 Kommission, Entscheidung v. 26. 2. 1996, Rechtssache IV/M.698, „NAW / Saltano / Contrac“. 1027 Kommission, Entscheidung v. 11. 5. 2001, Rechtssache M.2396, „Industri Kapital / Perstorp (II)“; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 15.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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trolle zu begründen.1028 So führt die Kommission in ihren Leitlinien selbst aus, dass Franchiseverträge zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer in der Regel keinen bestimmenden Einfluss zu Gunsten des Franchisegebers begründen und somit keinen anmeldepflichtigen Zusammenschluss darstellen. Denn der Franchisenehmer handelt vorwiegend auf eigene Rechnung.1029 Der Franchisegeber hat wiederum keinen direkten Einfluss auf die Geschäftsführung des Franchisenehmers. Aus diesem Grund hat die Kommission auch in der Rechtssache UBS/Mister Minit eine Zurechnung der Umsätze der Franchisenehmer von Mister Minit gegenüber dem Franchisegeber nach Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO verneint, da der Franchisegeber keine Kontrolle über das Betriebsvermögen der Franchisenehmer hatte.1030 Gleiches gilt nach Ebenroth und Rösler auch für lean-produktion-Strukturen zwischen Abnehmern und Zulieferern.1031 Ebenso begründen auch größere Kreditverträge mit Kreditauflagen nach Wessely und Wegner im Regelfall keinen bestimmenden Einfluss. Die financial covenants dienen lediglich der Absicherung des gewährten Kredits und sind insoweit den Schutzrechten von Minderheitsgesellschaftern vergleichbar, welchen kein bestimmender Einfluss zuzumessen ist.1032 Zwar vermag eine Kündigung eines wichtigen Darlehensvertrages das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten bringen, doch dürften die Banken regelmäßig keine so umfassenden Einflussrechte auf die Geschäftsführung des Unternehmens haben, dass sie alle wichtigen strategischen Entscheidungen durchsetzen oder blockieren können.1033 (3) Kontrolle durch sonstige Mittel Wie bereits dargelegt, liegt dem europäischen Kontrollverständnis kein bestimmter gesellschaftsrechtlicher Rahmen zugrunde, an dem die Zulässigkeit der Einflussmittel zu messen ist. Insoweit kommen für die Begründung von Kontrolle nach Art. 3 Abs. 2 FKVO dem Grunde nach alle erdenklichen Einflussgrundlagen in Betracht, soweit sie die vorstehend genannten Anforderungen an die Einflussqualität erreichen. Aus diesem Grund können auch solche Einflussmittel, die für sich betrachtet keinen bestimmenden Einfluss vermitteln, ausnahmsweise dann Kontrolle begründen, wenn sie mit anderen Einflussfaktoren kumulativ auftreten. Diese Gestaltungsmöglichkeiten fasst die Kommission in ihren Leitlinien exemplarisch unter sonstige Mittel der Kontrolle zusammen. Danach können ausnahmsweise auch 1028
Rn. 69.
Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2000, Art. 3 FKVO
1029 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 19; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 56. 1030 Kommission, Entscheidung v. 9. 7. 1997, Rechtssache IV/M.940, „UBS / Mister Minit“. 1031 Ebenroth/Rösler, Die Anwendbarkeit des Zusammenschlußbegriffes, RIW 1994, 533, 533 ff. 1032 Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 61; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 132. 1033 Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2000, Art. 3 FKVO Rn. 69.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
langfristige Lieferverträge oder Kreditverträge und damit einhergehende covenants bestimmenden Einfluss begründen, wenn sie mit weiteren strukturellen Verflechtungen des zu kontrollierenden Unternehmens einhergehen.1034 In Nordic Capital/ Transpool führte etwa ein von Nordic Capital gewährtes Darlehen an Transpool zu einem Kontrollwechsel. An das gewährte Darlehen war die Option einer Umwandlung in einen 50%igen Anteil an Transpool geknüpft sowie das Recht zur Bestellung der Hälfte der Mitglieder des Verwaltungsrates. Da wichtige strategische Entscheidungen bei Transpool zudem nur einstimmig beschlossen und von Nordic Capital nunmehr blockiert werden konnten, erwarb Letztere gemeinsame Kontrolle an Transpool zusammen mit den bisherigen Gesellschaftern.1035 In GE/Agfa NDT hielt die Kommission ein zwischen den Beteiligten geschlossenes Manufacturing and Services Agreement für kontrollbegründend nach Art. 3 Abs. 2 lit. b) FKVO, da es langfristige, exklusive Produktions- und Lieferungsverpflichtungen zwischen den Parteien begründete und ein nur einseitiges Kündigungsrecht vorsah.1036 Ungeachtet dieser Beispiele für bestimmenden Einfluss aus sonstigen Gründen ist diese Fallgruppe nicht als Einfallstor für eine Erosion der Voraussetzungen bestimmenden Einflusses zu betrachten. Die Kommission beurteilt wirtschaftliche Abhängigkeit als Kontrollmittel zu Recht zurückhaltend.1037 So verneinte sie die Kontrolle der News Corporation (News Corp.) an der British Sky Broadcasting Group (BSkyB) in der gleichnamigen Rechtssache. Zwar verfügte News Corp. über 37,19 % der Stimmrechte an BSkyB. Diese reichten jedoch nicht für eine Durchsetzung wichtiger strategischer Entscheidungen. Auch bestand insoweit keine negative Kontrolle, da der Stimmenanteil kein Vetorecht über wesentliche Entscheidungen der BSkyB begründete. Die News Corp. stellte ferner lediglich 4 der 14 Mitglieder des Verwaltungsrates, welcher Beschlüsse mit einfacher Mehrheit traf. Um auszuschließen, dass gleichwohl bestimmender Einfluss seitens News Corp. vorlag, wurden schließlich die bestehenden Geschäftsverbindungen beleuchtet. Da die Verträge allerdings nur 5 % des Umsatzes von BSkyB ausmachten, bestand auch keine wirtschaftliche Abhängigkeit und damit keine Kontrolle.1038 1034
Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 20; Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.032 (S. 531). 1035 Kommission, Entscheidung v. 23. 8. 1995, Rechtssache IV/M.625, „Nordic Capital / Transpool“. 1036 Kommission, Entscheidung v. 5. 12. 2013, Rechtssache M.3136, „GE / AGFA NDT“; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 030 (S. 51); Käseberg, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 32. 1037 Zu dieser Einschätzung gelangt auch Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 37. 1038 Kommission, Entscheidung v. 3. 11. 2010, Rechtssache M.5932, „News Corp / BSkyB“, vgl. Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 66. Vgl. auch die Ablehnung des Kontrollerwerbs durch die Kommission aufgrund vertraglicher und organisatorischer Verflechtugen in Kommission, Entscheidung v. 26. 3. 1996, Rechtssache IV/M.697, „Lockheed Martin / Loral Corporation“. Darüber hinaus ist auch an eine personelle Verflechtung als Grundlage bestimmenden Einflusses zu denken, insbesondere bei Personengleichheit in den Leitungsgremien von zwei Unternehmen. Insoweit ist aus der Entschei-
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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Dass die Einflussmöglichkeit aus sonstigen Gründen im Übrigen nicht nur den aufgestellten Voraussetzungen zum Einflussumfang und zur Einflusstiefe entsprechen muss, sondern auch jenen zur Dauerhaftigkeit des Einflusses, hat die Kommission in der Rechtssache CCIE/GTE zum Ausdruck gebracht. Darin hatte Siemens im Zuge des Zusammenschlusses der Beteiligten einen Management-Buyout finanziell unterstützt und sich im Gegenzug für einen begrenzten Zeitraum umfangreiche Kreditsicherungsrechte sowie Lizenz- und Know-how-Vereinbarungen für sich und sein damaliges Tochterunternehmen Osram einräumen lassen. Die Kommission erkannte in diesen Vereinbarungen zwar einen limitierten, allerdings keinen bestimmenden und vor allem keinen dauerhaften Einfluss, um Kontrolle begründen zu können.1039 Gerade mit Blick auf die Anforderungen an die Beständigkeit und Gegenwärtigkeit der Einflussmöglichkeit erscheint fraglich, ob auch Aktienoptionen bestimmenden Einfluss begründen können. Schröer und Körber zufolge erfüllen vertragliche Optionsrechte auf den Anteilserwerb (call-option) nicht den Kontrolltatbestand, da es ihnen an einer gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussmöglichkeit mangelt.1040 Das vermag allerdings nicht zu überzeugen, setzt weder das europäische noch deutsche Kontrollverständnis einen gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss voraus. Streng genommen geht allerdings mit einer Option auf den Erwerb von Aktien (call-option) noch keine tatsächliche Einflussmöglichkeit einher, wie es der Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 FKVO voraussetzt. Vielmehr gewährt eine Option lediglich das Recht zum Erwerb einer Einflussmöglichkeit. Dies reicht nach den Leitlinien der Kommission grundsätzlich nicht aus, um bestimmenden Einfluss und damit Kontrollerwerb zu begründen.1041 Eine solch strenge Anwendung dieses Grundsatzes erscheint allerdings im Vergleich zu dem Einflusspotential, welches von einer Mehrheitsbeteiligung ausgeht und auch für vertragliche Einflussmöglichkeiten als Maßstab herangezogen wird,1042 nicht angemessen. Beim Mehrheitsgesellschafter ist die tatsächliche Einflussmöglichkeit auf Abstimmungen der Hauptversammlung beschränkt, welche turnusgemäß nur einmal pro Jahr einzuberufen ist. Ausgesprochene Empfehlungen oder Wünsche des Mehrheitsgesellschafters an den Vorstand außerhalb der Hauptverdungspraxis der Kommission allerdings kein Fall bekannt, wo personelle Verflechtungen isoliert von vertraglichen oder vermögensrechtlichen Einflussmöglichkeiten, bestimmenden Einfluss begründet haben. 1039 Kommission, Entscheidung v. 25. 9. 1992, Rechtssache IV/M.258, „CCIE / GTE“, Tz. 11 f.; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 66. 1040 So aber Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 51; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 47. 1041 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 60; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 57; Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 34; Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 33; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 018 (S. 40 f.). 1042 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
sammlung sind rechtlich unverbindlich, insbesondere besteht kein verbindlicher Einfluss auf das Tagesgeschäft des kontrollierten Unternehmens. Dass gleichwohl an dem bestimmenden Einfluss des Mehrheitsgesellschafters nicht gezweifelt wird, liegt an dessen letztlich bestehender Durchsetzungs- bzw. Blockadefähigkeit. Denn der Vorstand wird stets im Interesse des herrschenden Unternehmens und damit in vorauseilendem Gehorsam agieren, will er seiner Abberufung entgehen. Insoweit besteht jedoch kein erheblicher Unterschied zu solchen Optionsrechten, die jederzeit und kurzfristig ausgeübt und in Stimmrechte umgewandelt werden können und deren Umwandlung allein im Ermessen des Optionsinhabers stehen. Hier erst eine tatsächliche Ausübung und Umwandlung in Stimmrechte zu verlangen, um eine Einflussmöglichkeit nach Art. 3 Abs. 2 FKVO anzunehmen, erscheint zu formalistisch und entspräche gerade nicht dem normativen Verständnis des Kontrollbegriffs in der Fusionskontrolle. Der Grundsatz, dass Optionsrechte für die Begründung bestimmenden Einflusses unbeachtlich sind, ist daher restriktiv zu verstehen. Das von Optionsrechten ausgehende Einflusspotential ist nur insoweit unbeachtlich als die Ausübung an weitere Bedingungen gekoppelt ist, bzw. die Ausübungsmöglichkeit erst nach einem bestimmten Zeitablauf möglich und nicht absehbar ist, ob eine Umwandlung überhaupt angestrebt wird. Letzteres ist vor allem für die Prüfung von gemeinsamer oder alleiniger Kontrolle von Gemeinschaftsunternehmen von Bedeutung wie ein Blick auf die Entscheidungspraxis der Kommission zeigt: So wurde in der Rechtssache Elf Atochem/Rütgers ungeachtet vereinbarter Optionsrechte eine gemeinsame Kontrolle über in Frage stehende Gemeinschaftsunternehmen angenommen, da die Ausübung der Optionen nicht vor einem Ablauf von fünf Jahren möglich sein sollte.1043 Gemeinsame Kontrolle wurde auch in Dow/Buna festgestellt, da die vereinbarten Put-and-Call-Optionsrechte zum Erwerb der 20 % verbleibenden Anteile am Joint Venture Unternehmen Buna durch Dow erst nach einem Ablauf von 7 Jahren ausübbar sein sollten. Bis dahin galt zwischen den gemeinsam kontrollierenden Unternehmen Dow und der Bundesanstand für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben („BvS“) das Einstimmigkeitsprinzip.1044 Ebenso gemeinsame Kontrolle hat die Kommission in K+S/Solvay/JV über das von den Beteiligten gegründete Gemeinschaftsunternehmen angenommen. Zwar wurden K+S unwiderrufliche Kaufoptionen eingeräumt, allerdings erst nach einer nicht näher bestimmten Interimsphase. Zudem war unklar, ob K+S von diesen Kaufoptionen jemals Gebrauch machen wollte.1045 Wo allerdings die zeitnahe Ausübung der Erwerbsoptionen verbindlich vereinbart, kurzfristig möglich ist und gänzlich im Ermessen des Optionsinhabers steht, 1043 Kommission, Entscheidung v. 29. 7. 1994, Rechtssache IV/M.442, „Elf Atochem / Rütgers“, Tz. 8. 1044 Kommission, Entscheidung v. 4. 7. 1995, Rechtssache IV/M.591, „Dow / Buna“, Tz. 3, 7. Weitere Verweise auf ältere Fälle finden sich bei Kersting, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 68 Fn. 158. 1045 Kommission, Entscheidung v. 10. 1. 2002, Rechtssache M.2176, „K+S / Solvay / JV“, Tz. 8, vgl. Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 018 (S. 40 f.).
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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sind die Optionsrechte bei der Prüfung bestimmenden Einflusses zu berücksichtigen.1046 Exemplarisch ist der Fall Ford/Hertz anzuführen.1047 In diesem Zusammenschluss besaß Ford zunächst einen Minderheitsanteil an Hertz in Höhe von 49 % sowie das Recht 4 der 9 Mitglieder des Verwaltungsrats von Hertz zu bestimmen. Durch eine Aktionärsvereinbarung wurde Ford darüber hinaus eine bedingungslose Erwerbsoption bestimmter Aktien eingeräumt, die Ford binnen Stunden in die Lage versetzt hätten, über die Stimmenmehrheit von Hertz zu verfügen und zusätzlich zwei weitere Mitglieder des Verwaltungsrats zu bestellen. Diese Optionsrechte in Verbindung mit den bestehenden Einflussmöglichkeiten wurden von der Kommission als Grundlage einer de facto Alleinkontrolle angesehen. Daraus folgt, dass die Kommission auch der Kontrolle aus anderen Mitteln keine geringeren Voraussetzungen unterstellt als der Kontrolle aus Anteilsrechten oder Verträgen. Die Kontrolle aus anderen Mitteln ist als Auffangtatbestand konzipiert und als solcher wird er auch von der Kommission in der Entscheidungspraxis genutzt, um die Lückenlosigkeit des Zusammenschlussbegriffs zu gewährleisten.1048 Der Anwendungsbereich ist besonderen Gestaltungsvarianten vorbehalten, die durch das Raster eines bestimmenden Einflusses aufgrund von gesetzlichen oder vertraglichen Rechten fallen. Dies spiegelt sich in der Entscheidungspraxis wider, in welcher der Kontrollerwerb aus sonstigen Mitteln nur sehr selten anzutreffen ist. Entscheidend ist nach dem Kontrollkonzept allerdings nicht die äußere Form des Einflusses, sondern sein tatsächliches Bestehen und die damit einhergehende, „dauerhafte Veränderung der Struktur der beteiligten Unternehmen.“1049 bb) Kontrollmittel nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB Dass der Kontrollbegriff des GWB inhaltlich wie konzeptionell dem der FKVO entspricht, wurde bereits mit Blick auf die Gesetzesbegründung zur 6. GWB-Novelle dargelegt.1050 Der Gesetzgeber war vorrangig um eine weitgehende Adaption des 1046 So schränkt die Kommission in ihren Leitlinien etwa selbst den Grundsatz ein, wonach Erwerbsoptionen keine Grundlage bestimmenden Einfluss sein können, vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 60 Fn. 66, mit Verweis auf die dort genannte Entscheidung des EuGH, Urteil v. 19. 5. 1994, Rechtssache T 2/23, „Air France / Kommission“ sowie Kommission, Entscheidung v. 21. 12. 2005, Rechtssache M.3696, „E.ON / MOL“; Rose/Bailey, European Law of Competition, 8.031 (S. 531); Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 018 (S. 40 f.). 1047 Kommission, Entscheidung v. 7. 3. 1994, Rechtssache IV/M.397, „Ford / Hertz“. Auf diesen Fall verweisen auch Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 58; Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 34; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 37 GWB Rn. 115 Fn. 318. 1048 Schröer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: März 2012, Art. 3 FKVO Rn. 70; Käseberg, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Art. 3 FKVO 32; Cook/Kerse, EC Merger Control, 2 – 030 (S. 50). 1049 Käseberg, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Art. 3 FKVO 32. 1050 Siehe die Rechtsquellen des Kontrolltatbestands in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, S. 215 ff.
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2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
europäischen Kontrollbegriffs ins deutsche Recht bemüht.1051 Aus diesem Grund konnte auch für die Voraussetzungen bestimmenden Einflusses nach dem GWB ganz auf das europäische Begriffsverständnis abgestellt werden. Dem Grunde nach erfasst der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB alle Gestaltungsvarianten, die bestimmenden Einfluss und damit Kontrolle nach Art. 3 Abs. 2 FKVO begründen. Gleichwohl besteht zwischen dem GWB und der FKVO ein spezifischer Unterschied, der jedoch nicht im Wettbewerbsrecht selbst, sondern vielmehr im zugrundliegenden gesellschaftsrechtlichen Referenzsystem liegt. Auf welche Art und Weise bestimmender Einfluss bzw. Einfluss per se von einem Unternehmen auf ein anderes ermöglicht oder ausgeübt wird, bestimmt sich nicht nach Wettbewerbsrecht, sondern nach dem rechtlich institutionalisierten Organisationsgefüge der jeweiligen Unternehmen, mithin dem Gesellschaftsrecht. Das Gesellschaftsrecht bildet den Rahmen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten bestimmenden Einflusses. Das Wettbewerbsrecht hingegen baut auf diesen Möglichkeiten auf und versucht sie insoweit zu erfassen, als jene Gestaltungsmöglichen zu einer Veränderung der Marktstruktur führen können. Dass die exemplarisch beleuchteten Gestaltungsmöglichkeiten bestimmenden Einflusses im Sinne des europäischen Kontrollbegriffs so umfangreich erscheinen, liegt gerade daran, dass es auf europäischer Ebene an einem eigenen Gesellschaftsrecht mangelt, welches der Einflussgestaltung Grenzen setzt. Das europäische Kontrollverständnis geht insoweit von grundsätzlich unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten aus. Vor diesem Hintergrund erscheint auch der normative Ansatz des Kontrollverständnisses plausibel, welches die Einflussqualität gerade nicht anhand formeller Kriterien feststellt, sondern allein die tatsächliche Einflussmöglichkeit im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zu bestimmen sucht. Auf welcher Grundlage der Einfluss ausgeübt wird, spielt für den europäischen Kontrollbegriff keine Rolle. Durch die Adaption des europäischen Kontrollbegriffs ins deutsche GWB umfasst auch § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB grundsätzlich alle denkbaren Gestaltungsoptionen. Gleichwohl kommen nur solche Einflussmöglichkeiten in Betracht, die nach nationalem Gesellschaftsrecht zulässig sind.1052 Für den Fall, dass es sich bei den beteiligten Unternehmen sogar um zwei deutsche Aktiengesellschaften handelt, bleiben viele der vorstehend genannten Einflussgrundlagen ausgeklammert. So sind schuldrechtliche Verträge, die einem anderen Unternehmen ein direktes Recht zur Bestellung der Mehrheit der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrates ein-
1051
Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720, S. 43. Die Fusionskontrolle ist auch auf ausländische Unternehmen anwendbar, wenn ein Inlandsbezug besteht, vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB und die FKVO nicht anwendbar ist, § 35 Abs. 3 FKVO, Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 35 GWB Rn. 1. Dann wäre der Einfluss nach ausländischem Gesellschaftsrecht zu bestimmen. 1052
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
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räumen, aufgrund der Satzungsstrenge in § 23 Abs. 5 AktG unzulässig.1053 In Betracht kommen danach allein Einflussmöglichkeiten, welche etwa nach BGB, HGB, GmbHG oder AktG zulässig sind. Insoweit können die obigen Ausführungen zum Aktienrecht herangezogen werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass unter den Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB nur solche Gestaltungsmöglichkeiten fallen, welche etwa auch nach § 17 AktG beherrschenden Einfluss konstituieren. Dies ist gerade nicht der Fall. Vielmehr müssen die Einflussgrundlagen nur gesellschaftsrechtlich zulässig sein. Ob eine bestimmte, zulässige Einflussmöglichkeit, wie etwa ein satzungsmäßiges Entsendungsrecht, ein Betriebspachtvertrag oder ein Beherrschungsvertrag einen bestimmenden Einfluss begründet, ist wiederum allein anhand der erläuterten Voraussetzungen des Kontrollbegriffs nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. Art. 3 Abs. 2 FKVO zu messen. Dessen ungeachtet ist festzustellen, dass die Grundlagen, die bestimmenden Einfluss im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB begründen, ganz überwiegend auch den Einflussmitteln entsprechen, die bereits im Aktienrecht einen beherrschenden Einfluss konstituieren. Aufgrund der Vergleichbarkeit von Einflussumfang und Einflussintensität im Falle positiver Kontrolle vermögen solche Einflussmöglichkeiten, welche bereits keinen beherrschenden Einfluss nach sich ziehen, regelmäßig auch keinen bestimmenden Einfluss nach dem GWB zu begründen. Eine Ausnahme hiervon besteht mit Blick auf Betriebspachtverträge, die im Aktienrecht keinen beherrschenden Einfluss eröffnen. Dagegen führt die Kommission Betriebspachtverträge als ausdrückliches Beispiel für die vertraglich begründete Kontrolle neben Beherrschungsverträgen an.1054 Entsprechendes dürfte für die Kontrolle von Unternehmensteilen anzunehmen sein, die das Aktienrecht nicht kennt. Ein grundsätzlicher Unterschied besteht darüber hinaus für die Möglichkeit einer negativen Kontrolle. So liegt bestimmender Einfluss auch dann vor, wenn eine Blockade strategisch wichtiger Entscheidungen, die über notwendige Minderheitenrechte hinausgehen, möglich ist.1055 Eine solch negative Beherrschungsmöglichkeit wird für das AktG ganz überwiegend abgelehnt.1056 Notwendig ist stets die tatsächliche Durchsetzungsfähigkeit, die ausschließlich der positiven Kontrolle im GWB entspricht. Vor diesem Hintergrund kann es etwa bei Vetorechten einzelner Vorstandsmitglieder zu einer unterschiedlichen Beurteilung von beherrschendem und bestimmenden Ein-
1053
Zu bejahen ist ein solches Bestellungsrecht durch Dritte hinsichtlich der Geschäftsführer allerdings bei der GmbH, vgl. Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 6 Rn. 31. 1054 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18. 1055 Etwa Vetorechte hinsichtlich „Budget, Geschäftsplan, größere Investitionen und die Besetzung der Unternehmensleitung“, vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 67 ff.; Rose/Bailey, European Law of Competiton, 8.037 (S. 533); Varona/ Galarza/Crespo et al., Merger Control, 2.38 (S. 17 ff.); Rosenthal/Thomas, Merger Control, S. 34 ff. 1056 Vgl. Ausführungen und Verweise S. 86 ff.
246
2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
flusses kommen.1057 Mangels positiver Durchsetzungsfähigkeit von Vorstandsbeschlüssen läge in diesem Fall kein beherrschender Einfluss im Sinne des AktG vor. Dagegen begründet die Blockademöglichkeit von Geschäftsführungsmaßnahmen durch das Vetorecht eine negative Kontrolle und damit bestimmenden Einfluss im Sinne des GWB. Ungeachtet der Tatsache, dass das europäische Kontrollverständnis im GWB letztlich deutschem Gesellschaftsrecht unterliegt, kann es daher im Einzelfall zu einer unterschiedlichen Bewertung ein und derselben Einflussmöglichkeit im AktG und GWB kommen. Bestimmender Einfluss im Sinne des GWB geht von einer niedrigeren Intensitätsschwelle des Einflusses aus als beherrschender Einfluss im AktG – zumindest mit Blick auf die negative Kontrolle. Als Daumenregel kann festgehalten werden, dass im Falle beherrschenden Einflusses nach § 17 AktG stets auch bestimmender Einfluss vorliegt, umgekehrt nicht jedoch bestimmender Einfluss stets zur Abhängigkeit im Sinne des § 17 AktG führt. Gleichwohl beschränkt sich die tatsächliche Divergenz zwischen den Kontrollgrundlagen des GWB und den Mitteln aktienrechtlicher Abhängigkeit auf einen überschaubaren Bereich. 3. Zusammenfassung bestimmenden Einflusses Der Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB entspricht dem europäischen Kontrollverständnis in Art. 3 Abs. 2 FKVO. Erklärtes Ziel des deutschen Gesetzgebers war es, im Zuge der 6. GWB-Novelle das deutsche Wettbewerbsrecht an das etablierte Kontrollkonzept der europäischen Fusionskontrolle anzugleichen. Aus diesem Grund kann für die Auslegung des Kontrollbegriffs des GWB vollumfänglich auf die europäischen Gesetzesmaterialien zurückgegriffen werden. Der Kontrollbegriff wurde im Zuge der Entscheidungspraxis der Kommission und der europäischen Gerichte weitgehend konkretisiert. Eine unverzichtbare Auslegungshilfe stellen ferner die Leitlinien der Kommission zum Kontrollbegriff dar, obgleich sie rechtlich unverbindlich sind. Für die Praxis vermitteln sie Rechtssicherheit und fassen die bisherigen Entscheidungen der Kommission zu einem kohärenten Auslegungskanon zusammen. Mit Blick auf die einzelnen Parameter bestimmenden Einflusses lässt sich zusammenfassen, dass bestimmender Einfluss im Sinne des GWB grundsätzlich von einem umfassenden Einflussumfang ausgeht, mithin die Einflussmöglichkeit auf alle wesentlichen Fragen der Geschäftsleitung voraussetzt.1058 Bestimmender Einfluss vermittelt darüber hinaus die Möglichkeit, Entscheidungen auch gegen die Inter1057 Zur Zulässigkeit von Vetorechten einzelner Mitglieder des Vorstands im AktG, Spindler, in: MünchKommAktG, § 77 Rn. 17; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 77 Rn. 16; Koch, in: Hüffer/Koch, § 77 Rn. 12. 1058 Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 67; so auch Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 25 ff.; Körber, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 28; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59; Schütz, in: KK-Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 19.
C. Beherrschung und Kontrolle im Kartellrecht
247
essen etwa der Verwaltung des kontrollierten Unternehmens durchzusetzen1059 oder – im Falle negativer Kontrolle – strategisch wichtige Entscheidungen des kontrollierten Unternehmens zu blockieren.1060 Zudem ist er auf Langfristigkeit angelegt, ohne jedoch feste Zeitschwellen aufzustellen. Gleichzeitig muss die Einflussmöglichkeit tatsächlich gegeben sein. Nicht notwendig ist derweil eine tagesaktuelle Ausübungsmöglichkeit des Einflusses. Ausreichend ist vielmehr eine turnusmäßige Einflussmöglichkeit, wie sie im Falle der Hauptversammlungsmehrheit in der Regel einmal pro Jahr besteht. Vor diesem Hintergrund können auch kurzfristige und bedingungslose Optionsrechte eine Einflussmöglichkeit begründen, sofern sie eine ähnliche Ausstrahlungswirkung auf ein interessenkonformes Verhalten seitens der Geschäftsleitung des kontrollierten Unternehmens vermitteln wie eine tatsächliche oder nur faktische Hauptversammlungsmehrheit. Schließlich geht das Kontrollverständnis von einer grundsätzlich unbeschränkten Zulässigkeit der Mittel bestimmenden Einflusses aus, sofern sie nur die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass dem europäischen Kontrollverständnis ein eigenes Gesellschaftsrecht fehlt, an dem sich die rechtliche Zulässigkeit der zu prüfenden Einflussmöglichkeiten misst. Dagegen reicht der europäische Kontrollbegriff im GWB für beteiligte Unternehmen, die deutschem Recht unterliegen, nur so weit, als nur solche Einflussmöglichkeiten in den Prüfbereich von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB gelangen, welche nach deutschem Recht überhaupt zulässig sind. Gleichwohl gilt allerdings auch hierbei, dass alle zulässigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht kommen, um bestimmenden Einfluss im Sinne des GWB zu begründen. Auf eine etwaige gesellschaftsrechtliche Verankerung des Einflusses kommt es nicht an. Zumindest hinsichtlich positiver Kontrolle zeichnet sich eine ganz erhebliche Schnittmenge zu den Parametern bestimmenden Einflusses in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB und den Parametern beherrschenden Einflusses im AktG ab, auf das die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB rekurriert. Dies gilt insbesondere dann, wenn dem aktienrechtlichen Beherrschungsbegriff das hier vertretene, von der Notwendigkeit einer gesellschaftsrechtlichen Anknüpfung befreite Einflussverständnis zugrunde gelegt wird. Divergenzen im Untersuchungsspektrum bestehen insoweit hinsichtlich des Einflusszuschnitts, welcher sich im Kontrollbegriff auch auf abgrenzbare Unternehmensteile beziehen kann, während das Aktienrecht grundsätzlich vom Unternehmen als Ganzes ausgeht. Mit Blick auf die negative Kontrolle, welche im Gegensatz zum AktG im GWB als Grundlage bestimmenden Einflusses anerkannt ist, besteht eine inhaltliche Inkongruenz zwischen den Verbundtatbeständen. 1059 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59; Kommission, Entscheidung v. 19. 1. 2005, Rechtssache M.3556 „Fortis/BCP“, Tz. 7 ff.; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16, 54. 1060 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54; Montag/Kacholdt, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 15; Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44; Körber, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 33.
248
2. Kap.: Rekonstruktion der Verbundtatbestände
Gänzlich von einer Gleichsetzung bestimmenden Einflusses nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB und beherrschenden Einflusses nach § 17 AktG zu sprechen,1061 ist daher ungenau.
1061
So aber Schütz, in: KK-Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 36.
Drittes Kapitel
Konvergenz der Verbundkonzepte A. Konvergenz der Verbundkonzepte Hat das vorhergehende Kapitel die Voraussetzungen der unterschiedlichen Verbundkonzepte im Konzern-, Konzernbilanz- und Kartellrecht beleuchtet und aufgeschlüsselt, ist im Zuge des folgenden Kapitels deren mögliche Angleichung auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse zu erörtern. Vorwegzunehmen ist in einem ersten Schritt die Untersuchung einer möglichen Konvergenz der Verbundkonzepte innerhalb des Kartellrechts (B.). Daran an schließt sich die Diskussion einer Vereinheitlichung des Kartellrechts und des bilanzrechtlichen Verbundkonzepts in § 290 HGB (C.), bevor abschließend eine Konvergenz des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands in § 17 AktG zu den vorhergehend genannten Verbundtatbeständen im Kartell- und Konzernbilanzrecht zu erörtern ist (D.)
B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht Dass in der Fusionskontrolle des GWB gleich zwei Verbundkonzepte Anwendung finden, geht auf die wechselvolle Rechtsgeschichte der wettbewerbsrechtlichen Zusammenschlusskontrolle zurück, wie die Untersuchung der Verbundklausel und des Kontrollkonzepts bereits gezeigt hat. Zwar lassen sich die Motive des Gesetzgebers nachvollziehen, einerseits, im ursprünglichen GWB für die Verbundklausel auf den etablierten Abhängigkeits- und Konzernbegriff des AktG zurückzugreifen, andererseits, im Zuge der späteren Europäisierung der nationalen Fusionskontrolle das europäische Kontrollkonzept zu übernehmen. Dass eine parallele Anwendung beider Verbundkonzepte im Rahmen der formellen Fusionskontrolle allerdings auch erforderlich ist, folgt daraus nicht. Angesichts der inhaltlichen Schnittmenge zwischen dem Kontrollbegriff im Zusammenschlusstatbestand, § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, und der am AktG ausgerichteten Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB wurde das Verhältnis der beiden Verbundkonzepte auch in der Literatur mehrfach aufgegriffen:1 So diskutieren 1 Exemplarisch für das deutsche Recht Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 286; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 33; Schütz, in: Busche/Röhling/Bergmann, KK-Kartellrecht, § 37 Rn. 36 f.;
250
3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
Richter und Steinvorth, ob die Übernahme des Kontrollbegriffs durch die 6. GWBNovelle mit Auswirkungen auf die Auslegung der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB einhergegangen ist, was sie mit einem Verweis auf die unterschiedlichen Normzwecke verneinen. Wenngleich dem im Ergebnis zuzustimmen ist, folgt aus den unterschiedlichen Normzwecken nicht zwingend auch die Notwendigkeit unterschiedlicher Verbundkonzepte, wie bereits der Blick auf den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand mit seinen zahlreichen Rechtsfolgen zeigt. Demgegenüber bestehe nach Schütz schon gar kein inhaltlicher Unterschied zwischen dem wettbewerblichen Kontrollbegriff und dem aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand.2 Angesichts der Erkenntnisse des vorigen Kapitels kann dieser Behauptung allerdings nicht gefolgt werden. Thomas und Neuhaus beschränken sich derweil darauf, trotz der großen Schnittmenge, die Verbundkonzepte systematisch voneinander abzugrenzen.3 Unbeantwortet bleibt aber die Frage, die sich nach dem vorstehenden Kapitel geradezu aufdrängt: Ist die Verwendung zweier unterschiedlicher aber inhaltlich weitgehend deckungsgleicher Verbundkonzepte in § 37 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 36 Abs. 2 GWB überhaupt (noch) notwendig? Um die Antwort vorwegzunehmen: Nein. Weder ist die Verwendung zweier ähnlicher, aber nicht deckungsgleicher Verbundkonzepte im GWB notwendig noch zweckmäßig. Diese These ist im Folgenden zu begründen. Dafür werden zunächst die letztlich verworfenen Angleichungsbemühungen auf europäischer Ebene zwischen dem Kontrollbegriff in Art. 3 Abs. 3 und der Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 FKVO 4064/89 beleuchtet (I.). Anschließend sind die mit der Verwendung zweier unterschiedlicher Verbundkonzepte im GWB einhergehenden Wertungswidersprüche im Kontext der Harmonisierungsbemühungen des deutschen Gesetzgebers aufzudecken (II.). Schließlich stellt die abschließende Konklusion eine Regelungsalternative de lege ferenda vor (III.).
I. Angleichung der Verbundkonzepte in der FKVO 4064/89 Auch wenn für das GWB eine Angleichung der Verbundkonzepte nach der 6. GWB-Novelle 1998 bislang nicht erwogen wurde, ist diese Überlegung zumindest für die FKVO nicht neu. Auf europäischer Ebene erwog die Kommission eine mögliche Konvergenz der europäischen Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 FKVO 4064/89 und des Kontrolltatbestands in Art. 3 Abs. 3 FKVO 4064/89 bereits im Zuge
Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 701; derselbe, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 77 f.; Neuhaus, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 216. 2 Schütz, in: KK-Kartellrecht, § 37 Rn. 36 f. 3 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 701; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 216.
B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht
251
des Grünbuches vom 11. Dezember 2001 über die Revision der damaligen Fusionskontrolle.4 Zu berücksichtigen ist, dass sich die europäische Verbundklausel nicht unwesentlich von der deutschen in § 36 Abs. 2 GWB unterscheidet. Auf europäischer Ebene ist die Erfassung einer Unternehmensgruppe vier konkreten und abschließenden Tatbeständen überlassen. So sind bis heute unverändert gem. Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO die Umsätze etwa auch von solchen Unternehmen zu berücksichtigen, (i) an denen ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen mehr als die Hälfte des Kapitals oder Betriebsvermögens besitzt, (ii) über mehr als die Hälfte der Stimmrechte verfügt, (iii) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates oder der zur gesetzlichen Vertretung berufen kann, oder (iv) das Recht hat, die Geschäfte des Unternehmens zu führen. Während die Varianten (i) bis (iii) quantitative Kriterien beinhalten, ist allein die Variante (iv), welche als Auffangklausel ergebnisbezogen ausgestaltet ist, mittels qualitativer Anhaltspunkte zu prüfen. Trotz jener formalen Kriterien zum Zwecke einer leicht feststellbaren Unternehmensverbindung und Umsatzberechnung hat die Kommission in ihrer Entscheidungspraxis das Mehrheitserfordernis in Art. 5 Abs. 4 lit. b) (i) FKVO 4064/89 mehrfach aufgegeben und im Lichte des Kontrollbegriffs ausgelegt, um die Anwendbarkeit der FKVO 4064/89 aufgrund zu starrer Zurechnungstatbestände in Art. 5 Abs. 4 FKVO 4064/89 nicht übermäßig einzuschränken.5 Im Grünbuch 2001 griff die Kommission gerade diese Verzerrung des tatsächlichen Einflusspotentials durch die starren quantitativen Kriterien auf und stellte eine Angleichung der Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 an den qualitativ geprägten Kontrolltatbestand in Art. 3 Abs. 3 FKVO 4064/89 zur Debatte.6 Eine solche Konvergenz der Verbundkonzepte auf europäischer Ebene hatte Pohlmann bereits 1992 in ihrer Habilitation zum Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht gefordert. Ihr zufolge sei mit Blick auf die Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 FKVO ein materieller Auslegungsmaßstab den formellen Kriterien 4
745. 5
Grünbuch über die Revision der Verordnung 4064/89 (EWG) v. 11. 12. 2001, KOM(2001)
Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 1. Aufl. 1997, Art. 5 FKVO 4064/89 Rn. 36 ff.; Löffler, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, Art. 5 FKVO 4064/89, Rn. 9 f. Siehe etwa Kommission, Entscheidung v. 30. 7. 1991, Rechtssache IV/M.062, „Erdiana / ISI“, Tz. 6. In diesem Zusammenschluss verfügte das beteiligte Unternehmen Feruzzi zwar nur über 43,69 % der Anteile und damit weniger als die Hälfte, konnte aber aufgrund der Präsenzmehrheit die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrates bestimmen, sodass der Umsatz von Eridana zugerechnet wurde. Auch in Kommission, Entscheidung v. 2. 3. 1992, Rechtssache IV/M.187, „IFINT / Exor“, Tz. 39, hatten drei durch Stimmbindungsvertrag verbundene Unternehmen zusammen einen Anteil von 49,31 %, verfügten jedoch über 52,1 % der effektiven Stimmrechte auf der Hauptversammlung. Ebenso waren für die Kommission in Entscheidung v. 18. 12. 1991, Rechtssache Nr. IV/M.147, „Eurocom / RSCG“, Tz. 5, nicht der Anteilsbesitz von 44,25 % für die Berücksichtigung der Umsätze maßgeblich, sondern die mit dem Anteilsbesitz einhergehenden stabilen Hauptversammlungsmehrheit. 6 Grünbuch über die Revision der Verordnung 4064/89 (EWG) v. 11. 12. 2001, KOM(2001) 745, S. 39 f.
252
3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
vorzuziehen. So sei ein Unternehmensverbund dann anzunehmen, wenn beispielsweise keine absolute Stimmrechtsmehrheit gleichwohl aber eine faktische Hauptversammlungsmehrheit besteht.7 Dafür habe auch die bisherige Entscheidungspraxis der Kommission gesprochen, welche die Verbundklausel im Lichte des Kontrolltatbestands nach Art. 3 Abs. 3 FKVO 4064/89 ausgelegt und so die Wortlautgrenzen von Art. 5 Abs. 4 FKVO etwa hinsichtlich Mehrheitsbeteiligungen durchbrochen hatte.8 Gehe eine bestehende Kapitalmehrheit nach Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO 4064/ 89 dagegen nur mit einer Stimmenrechtsminderheit einher und besteht auch sonst keine materielle Einflussmacht, sei der Verbundtatbestand teleologisch zu reduzieren und von einer Umsatzzurechnung abzusehen. Denn in diesem Fall fehle es an jener wirtschaftlichen Macht, welche die Verbundklausel gerade zu erfassen sucht.9 Die Auffassung Pohlmanns wurde von zahlreichen Stellungnahmen geteilt, die auf Aufforderung der Kommission im Grünbuch 2001 zur Konvergenz der Verbundkonzepte eingereicht worden waren. Exemplarisch eine Angleichung der Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 an den Kontrolltatbestand in Art. 3 Abs. 3 FKVO 4064/89 begrüßt haben etwa das Bundeskartellamt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, das Schwedische Ministerium für Industrie, Beschäftigung und Kommunikation, die Wirtschaftskammer Österreich sowie die Kanzleien Freshfields Bruckhaus Deringer und Hengeler Mueller. Dagegen ablehnend gegenüber dem Harmonisierungsbestreben äußerten sich aus Gründen einer vermeintlich höheren Rechtsunsicherheit durch das qualitative Kontrollkonzept etwa die Kanzleien Allen & Overy, Clifford Chance, Clearly, Gottlieb, Steen and Hamilton, Lovells sowie White & Case.10 Trotz der gewichtigen Stimmen, die eine Harmonisierung der Verbundklausel an den Kontrolltatbestand ausdrücklich begrüßten, verwarf die Kommission die Harmonisierungsidee der Tatbestände aufgrund der kritischen Stellungnahmen, die mit der Übernahme des qualitativen Kontrollkonzepts in die Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO eine erhöhte Rechtsunsicherheit befürchteten. Dies ist bedauerlich, ist doch Pohlmann zuzustimmen, dass eine materielle Auslegung der Verbundklausel im Lichte des Kontrollverständnisses bereits deshalb mit keiner zusätzlichen Rechtsunsicherheit einhergeht, weil der Kontrollbegriff auf europäischer Ebene klar konturiert ist. So hat der deutsche Gesetzgeber in der 6. GWB-Novelle 1998 den Zusammenschlusstatbestand gerade deshalb an das europäische Kontrollkonzept angelehnt, weil der Kontrolltatbestand „in der europäischen Praxis
7
Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, S. 310. Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, S. 344; die Verweise auf die Kommissionspraxis im 2. Kap. Fn. 5. 9 Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, S. 308. 10 Alle Stellungnahmen sowie das Grünbuch 2001 der Kommission zur Revision der FKVO 4064/89 sind online abrufbar unter http://ec.europa.eu/competitionconsultations/2002_council_ regulation/index.html, letzter Zugriff am 3. 1. 2019. 8
B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht
253
bereits eine hinreichende Konkretisierung erfahren“ hat.11 Rechtsunsicherheit wird vielmehr durch eine Entscheidungspraxis der Kommission verursacht, welche sich über die quantitativen Kriterien der Verbundklausel hinwegsetzt, um der FKVO einen größeren Anwendungsbereich zu gewährleisten.12 Nichtsdestotrotz blieb die parallele Anwendung von Verbundklausel und Kontrollbegriff in der formellen Fusionskontrolle unverändert und wurde auch in die gegenwärtige FKVO übertragen. Trotz inhaltlicher Schnittmengen betont die Kommission in ihren Leitlinien nun vielmehr die Unterschiedlichkeit der formalen Verbundkriterien in Art. 5 Abs. 4 FKVO und des qualitativen Kontrollkonzepts in Art. 3 Abs. 2 FKVO aus Gründen divergierender Normzwecke.13
II. Unterschiede der formellen Fusionskontrolle zwischen GWB und FKVO Aus der Entscheidung der Kommission, eine Harmonisierung der Verbundklausel an den Kontrolltatbestand in der FKVO zu verwerfen, kann derweil weder Rückschluss noch Rechtfertigung für die parallele Verwendung zweier Verbundkonzepte im GWB gewonnen werden. Denn insoweit unterscheidet sich der konzeptionelle Ansatz der Fusionskontrolle im deutschen Recht zu stark von der europäischen Systematik als dass sie einer Übertragung der obigen Ausführungen zu den Harmonisierungsbestrebungen im europäischen Recht zugänglich ist. Gemein ist dem GWB und der FKVO allerdings die zweistufige Prüfung der formellen Fusionskontrolle. Für die Schwellenwertberechnung wählt die europäische Verbundklausel einen formellen Ansatz, während der Zusammenschluss mit Blick auf den Kontrollerwerb normativ-materiell zu bestimmen ist. Bis zur 6. GWBNovelle war die formelle Fusionskontrolle im GWB konzeptionell genau gegensätzlich ausgestaltet: Weit früher als die europäische Fusionskontrolle suchte der deutsche Gesetzgeber in § 23 Abs. 1 GWB a. F. des noch jungen GWB, den Unternehmensverbund zu erfassen. Für die Abbildung der wirtschaftlichen Einheit verbundener Unternehmen zur Schwellenwertberechnung griff er auf den aktienrechtlichen Abhängigkeits- und Konzernbegriff und damit auf ein abstraktes, normativ-materiell zu bestimmendes Verbundkonzept zurück. Einerseits sollte dies eine Begriffsvereinheitlichung zwischen dem Gesellschafts- und Kartellrecht gewährleisten. Andererseits bediente sich der Gesetzgeber eines im Gesellschaftsrecht bereits etablierten Regelungskonzeptes für die strukturelle Unternehmensverbindung.14 Bis zur 6. GWB-Novelle folgte die Prüfung des Zusammenschlusses, ver11 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 13/9720, 29. 1. 1998, S. 57. 12 So auch Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, S. 342. 13 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 184. 14 Siehe oben S. 202 ff.
254
3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
ankert in § 23 Abs. 2 Nr. 1 – 6 GWB a. F., einem Katalog mit ganz überwiegend quantitativ zu bestimmenden Kriterien wie etwa festen Anteilswerten oder Stimmrechten. Qualitativ zu bestimmen war allein die in § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB a. F. enthaltene Auffangklausel, die einen Zusammenschluss im Falle beherrschenden Einflusses vorsah und sich damit am AktG orientierte. Insoweit stimmte das damalige Zusammenschlusskonzept auch inhaltlich mit der Verbundklausel in § 23 Abs. 1 GWB a. F. überein. Dies änderte sich mit der Bestrebung einer Angleichung des Zusammenschlussbegriffs an die Fusionskontrollverordnung und der Übernahme des auf europäischer Ebene bereits etablierten Kontrollkonzeptes in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB im Jahre 1998. Wurde einerseits die vormalige, qualitativ geprägte Auffangklausel der Zusammenschlussprüfung, § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB a. F. gestrichen, blieben andererseits die formellen Kriterien, nach denen ein Zusammenschluss im deutschen Recht vorliegen kann, annähernd unverändert und wurden in § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB übernommen. Insoweit wurde die Übernahme des Kontrollbegriffs im Schrifttum vereinzelt als „Änderung eher kosmetischer Natur“ anstelle einer Europäisierung des Zusammenschlusstatbestands kritisiert.15 Schütz spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Scheinharmonisierung“.16 Ungeachtet davon hat sich die Tatbestandsvariante des Kontrollerwerbs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB in der Praxis zum fallmäßig wichtigsten Zusammenschlusstatbestand der Fusionskontrolle entwickelt.17 Damit ist der Zusammenschluss auch im deutschen Recht seit der 6. GWBNovelle vorrangig qualitativ zu bestimmen. Im Unterschied zur formellen Fusionskontrolle der FKVO, in der sowohl ein formelles, Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO, als auch ein materiell-rechtlich gesprägtes Verbundkonzept, Art. 3 Abs. 2 FKVO, zur Anwendung kommt, zeichnet sich die formelle Fusionskontrolle im GWB seither durch eine doppelt materiell-rechtliche Prüfung der strukturellen Unternehmensverbindungen aus. Aufgrund dieses konzeptionellen Unterschieds zu der formellen Fusionskontrolle der FKVO lässt sich aus den verworfenen Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene auch kein Umkehrschluss zugunsten der Erforderlichkeit zweier parallel anwendbarer, materieller Verbundkonzepte im GWB konstruieren. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die Kommission hatte eine Angleichung der Verbundklausel an das materielle Kontrollkonzept aufgrund der Einwände einer erhöhten Rechtsunsicherheit verworfen. Diese Bedenken müssen dann erst recht hinsichtlich der doppelt materiellen Prüfung von Unternehmensverbindungen im GWB Berücksichtigung finden. 15 So Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 5; ebenso Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 1; von einer „eher ergänzenden Funktion“ spricht Bach, in: MünchKommWettbewerbsrecht, 1. Aufl. 2008, § 37 GWB Rn. 33. 16 Schütz, in: KK-Kartellrecht, Vor. § 35 GWB Rn. 39 und § 37 GWB Rn. 9. 17 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 57; Schütz, in: KKKartellrecht, § 37 GWB Rn. 12; Monopolkommission, 20. Hauptgutachten, Tabelle IV.3, Rn. 581.
B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht
255
III. Wertungswidersprüche der doppelt materiellen Verbundkonzepte Gerade angesichts der geltenden Konzeption im GWB, wonach im Rahmen der formellen Fusionskontrolle die strukturelle Unternehmensverbindung nach unterschiedlichen Konzepten materiell zu ermitteln ist, erscheint eine Konvergenz der Tatbestände nicht nur wünschenswert, sondern geboten. Denn mit der geltenden Rechtslage gehen Wertungswidersprüche einher, die sowohl der angestrebten Europäisierung der deutschen Fusionskontrolle (1.) als auch dem Regelungszweck der formellen Fusionskontrolle (2.) zuwider laufen. 1. Unvereinbarkeit mit den Europäisierungsbestrebungen des GWB Zunächst korrespondiert das Festhalten des GWB an der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB nicht mit der jüngeren Entwicklungsgeschichte der deutschen Fusionskontrolle, die durch eine Angleichung an die europäische FKVO geprägt ist.18 Bereits die 6. GWB-Novelle, die mit einer Neuordnung der Vorschriften der deutschen Zusammenschlusskontrolle in Anlehnung an die FKVO einherging, brachte als Regelunsgziel die Angleichung des deutschen an das europäische Kartellrecht zum Ausdruck.19 Diese Entwicklung hat sich auch in der Folgezeit fortgesetzt. Zu nennen ist etwa die Abkehr vom ausschließlichen Marktbeherrschungskriterium in der materiellen Fusionskontrolle durch die Übernahme des sog. SIEC-Tests (Signiciat Impediment to Effective Competition) aus der FKVO im Zuge der 8. GWBNovelle 2013. Mit der Adaption des SIEC-Tests öffnete das GWB die Zusammenschlusskontrolle einem verstärkt modernen wettbewerbsökonomischen Ansatz, dem auf die EU-Kommission zurückgehenden more economic approach.20 Insoweit war ausdrückliches Ziel der 8. GWB-Novelle ebenfalls, die „Unterschiede zwischen der deutschen und europäischen Fusionskontrolle weiter [zu] verringern, um eine weitgehend gleichlaufende Beurteilung von Fusionsvorhaben auf deutscher und europäischer Ebene zu ermöglichen.“21 Insbesondere sollte die Einführung das SIEC-Tests, „für alle an Zusammenschlüssen beteiligten Unternehmen, unabhängig davon, ob sie auf Grund der maßgeblichen Größenkriterien unter die deutsche oder
18
Rn. 8.
Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, Vor. § 35 GWB
19 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, Vor. § 35 GWB Rn. 8; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 13/9720, 29. 1. 1998, S. 30. 20 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Vor. § 35 GWB Rn. 5; vgl. Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 25; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 7. 21 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 17/9852, 31. 5. 2012, S. 1.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
europäische Fusionskontrolle fallen, einen gleich lautenden Prüfmaßstab und damit ein ,level playing field‘“ schaffen.22 Angesichts dieser ausdrücklichen Bestrebung zur Harmonisierung des Prüfungsmaßstabs der deutschen Fusionskontrolle mit dem europäischen Recht überrascht die fortwährende Verhaftung des GWB am aktienrechtlichen Verweis in § 36 Abs. 2 GWB und damit an einer für die Schwellenwertberechnung maßgeblichen Zurechnungsvorschrift. Auf der einen Seite ist es zu begrüßen, dass der deutsche Gesetzgeber die bisherige Verbundklausel nicht in Anlehnung an Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO zugunsten quantitativer Kriterien aufgegeben hat. Deren Unvollkommenheit hat die Kommission selbst durch eine teleologische Extension, etwa des starren Mehrheitskriteriums, zum Ausdruck gebracht.23 Auf der anderen Seite eröffnet das geltende Verbundkonzept in § 36 Abs. 2 GWB aufgrund seines klaren, am Aktienrecht verhafteteten Wortlauts keinen Raum für eine europarechtlich geprägte Auslegung und steht Angleichungsbestrebungen an die europäische Fusionskontrolle entgegen. Die Verbundklausel wirkt insoweit wie ein übersehenes Relikt aus der Zeit als es auf europäischer Ebene noch keine eigene Fusionskontrolle gab. Dieser Eindruck verstärkt sich mit Blick auf die erwähnten Stellungnahmen zum Grünbuch 2001 zur Revision der FKVO. Bemerkenswert ist, dass sich damals neben dem Bundeskartellamt auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie auf europäischer Ebene für eine Angleichung der Verbundklausel an den materiellen Kontrollbegriff im heutigen Art. 3 Abs. 2 FKVO ausgesprochen hatte. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso fragwürdiger, dass es auf nationaler Ebene kein entsprechenes Harmonisierungsbestreben der deutschen Verbundklausel an den Kontrolltatbestand gegeben hat, zumal es sich um zwei materielle und damit weitgehend ähnliche Konzepte handelt. Dass der Gesetzgeber die entsprechende Divergenz der Verbundtatbestände im nationalen Recht bisher schlicht übersehen hat, ist angesichts dieser Stellungnahmen auszuschließen. Exemplarisch zeigen sich Friktionen zwischen der im GWB allgemein gültigen Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB und dem europäischen Kontrollbegriff in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB etwa hinsichtlich der mittelbaren Kontrolle. So setzt der Kontrollbegriff nicht voraus, dass bestimmender Einfluss an dem zu kontrollierenden Unternehmen unmittelbar besteht. Vielmehr kann nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch ein mittelbarer Kontrollerwerb, mithin die Kontrolle durch ein zwischengeschaltetes Unternehmen oder Treuhänder einen anmeldepflichtigen Zusammenschluss begründen.24 Wie das Verhältnis zwischen dem mittelbaren Kontrollerwerber und dem unmittelbaren Rechteinhaber ausgestaltet sein muss, um eine Zurechnung etwaiger 22 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 17/9852, 31. 5. 2012, S. 28. 23 Siehe dazu bereits oben im 3. Kap. Fn. 5 die Verweise auf die Entscheidungspraxis der Kommission. 24 Vgl. Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 13; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 68 f.; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 22.
B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht
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Anteilsrechte beim mittelbaren Kontrollerwerber zu begründen, lässt das Gesetz aber offen. Aus den Leitlinien der Kommission ist ein tendenziell weites Verständnis des mittelbaren Kontrollerwerbs zu entnehmen: „Eine Kontrollbeteiligung, die von verschiedenen Gesellschaften eines Konzerns gehalten wird, wird normalerweise dem Unternehmen zugeordnet, das die einzelnen formalen Rechteinhaber kontrolliert.“25
Eine Zurechnung aufgrund einer bestehenden Kontrolle nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB zwischen dem mittelbaren Kontrollerwerber und dem unmittelbaren Rechteinhaber ist allerdings in der deutschen Fusionskontrolle problematisch. Thomas weist zurecht daraufhin, dass eine „Verwischung der ausdiffernzierten Zurechnungsregeln“ über die Verbundklausel nach § 36 Abs. 2 GWB drohe, werde die Zurechnung bestehenden Einflusses innerhalb der Figur der mittelbaren Kontrolle zu weit ausgelegt.26 § 36 Abs. 2 GWB entfaltet als Zurechnungsregel im GWB allgemeine Gültigkeit. Die Zurechnung einer Kontrollbeteiligung, die von verschiedenen Gesellschaften eines Konzerns gehalten wird, kommt insoweit nach dem GWB nur in Betracht, wenn die einzelnen formalen Rechteinhaber nicht kontrolliert, sondern vielmehr im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 17, 18 AktG beherrscht werden.27 Damit sind Divergenzen in der Bestimmung mittelbarer Kontrolle dann nicht auszuschließen, wenn etwa eine Zurechnung nach § 36 Abs. 2 GWB mangels Beherrschungsmöglichkeit außer Betracht bleibt, wohl aber die Voraussetzungen der Kontrolle nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB erfüllt sind. Zu denken ist etwa an die negative Kontrolle. Dies steht jedoch der gerade angestrebten Übernahme des Kontrolltatbestands und der Schaffung eines kohärenten Prüfungsmaßstabs in der deutschen und europäischen Fusionskontrolle gerade entgegen und bedarf deshalb einer Harmonisierung de lege ferenda. 2. Unvereinbarkeit mit dem Regelungszweck der Fusionskontrolle Die Verwendung unterschiedlicher materieller Verbundkonzepte für die Schwellenwertberechnung als auch die Zusammenschlussprüfung läuft auch dem Regelungszweck der formellen Fusionskontrolle zuwider. So ist die zweistufige Fusionskontrolle gerade deshalb in eine formelle und eine materielle Prüfung unterteilt, um den Prüfungsumfang zu verschlanken und effektiver zu gestalten. Denn wo bereits die formelle Fusionskontrolle zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen eines anmeldepflichtigen Zusammenschlusses nicht vorliegen, bedarf 25 Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 13. So auch etwa Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 61; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 22. 26 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 68 ff.; wohl auch Bechtold/Bosch, GWB, § 37 Rn. 6. 27 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 69; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 42 hinsichtlich des mittelbaren Anteilserwerbs nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
es auch keiner umfangreichen materiellen Prüfung einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs durch den Zusammenschluss.28 Ziel der formellen Fusionskontrolle ist allein die Prüfung der Anwendbarkeit der materiellen Zusammenschlusskontrolle.29 Die Anwendung der Fusionskontrollvorschriften insgesamt bestimmt sich sowohl für das europäische als auch deutsche Recht nach spezifischen Umsatzschwellenwerten und damit quantivativen Kriterien.30 Insoweit ist der Zurechnungstatbestand der europäischen Verbundklausel in Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO selbst vorrangig quantitativ ausgestaltet, um mittels klar handhabbarer Kriterien die Anwendung der Fusionskontrollvorschriften vergleichsweise leicht festzustellen.31 Ein abstrakt ausgestaltetes, materielles Verbundkonzept, wie die deutsche Verbundklausel mit dem Verweis auf das AktG vorsieht, steht einer leicht feststellbaren Zurechnung der Umsätze verbundener Unternehmen dem Grunde nach entgegen.32 Wie allerdings die erläuterte Entscheidungspraxis der Kommission aufgezeigt hat, geht mit starren quantitativen Kriterien ein mögliches Verzerrungspotential hinsichtlich der tatsächlichen Einflussmöglichkeit einher. Ferner können solch quantitative Kriterien durch eine geschickte Gestaltung leichter umgangen und eine Zurechnung so verhindert werden. Aus diesem Grund ist innerhalb der formellen Fusionskontrolle eine qualitativ ausgestaltete Verbundklausel dem formellen Konzept in Art. 5 Abs. 4 lit. b) FKVO vorzuziehen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich in diesem Sinne für das kartellrechtliche Zurechnungskonzept gerade deshalb an „etablierten aktienrechtlichen Grundsätze[n]“ orientiert, um die Rechtsunsicherheit mit Blick auf die Zurechnung der Umsätze verbundener Unternehmen zu minimieren.33 Aus der Vorzugswürdigkeit einer qualitativ geprägten Verbundklausel in der Zusammenschlusskontolle folgt derweil keine Notwendigkeit eines eigenständigen Verbundkonzepts. Vielmehr erweist die notwendige Prüfung von zwei unterschiedlichen materiellen Verbundkonzepten dem oben genannten Regelungszweck der formellen Zusammenschlusskontrolle einen Bärendienst. In der Literatur wird als Rechtfertigung der Verbundkonzepte auf die abweichenden Regelungszwecke in § 36 Abs. 2 GWB und § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB verwiesen.34 Auch die Kommission beschränkt sich hinsichtlich der Verbundkonzepte in der FKVO auf folgende Feststellung: 28
Vgl. Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 9. Vgl. Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 11. 30 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, FKVO, Einleitung Rn. 34. 31 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 5 FKVO Rn. 64; so auch Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 179 f. 32 In der Stellungnahme der Kanzlei Clifford Chance zum Grünbuch 2001 über die Konvergenz der Verbundtatbestände der FKVO heißt es hierzu: „In the ideal world, jurisdiction would be determined through objective criteria alone.“ Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/com petition/consultations/2002_council_regulation/cliffordchance.pdf, letzter Aufruf am 7. 1. 2019. 33 Vgl. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 34 So etwa Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 77. 29
B. Ein einheitliches Verbundkonzept im Kartellrecht
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„Es gibt bedeutende Unterschiede zwischen Artikel 3 und Artikel 5 [FKVO, Anm. d. Verfassers], da diese Vorschriften verschiedene Funktionen erfüllen.“35
Dem ist allein insoweit zuzustimmen, als die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB eine andere Funktion erfüllt als der Zusammenschlusstatbestand in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Diese Feststellung liefert aber keine Begründung für die Verwendung unterschiedlicher materieller Verbundtatbestände. Im vermeintlichen Unterschied zur Verbundklausel liegt der Zweck des Zusammenschlusstatbestands primär darin, nur solche Vorgänge zu erfassen, die zu „einer dauerhaften Veränderung der Marktstruktur führen“.36 Die Veränderung der Marktstruktur wird verursacht durch die mit dem Zusammenschluss einhergehende Konzentration von Unternehmen. Dadurch wird der bestehende Wettbewerbsdruck in einem Markt verringert und das Marktgleichgewicht negativ beeinflusst.37 Die Veränderung der Marktstruktur ist derweil nur Folge der Konzentration. Der eigentlich durch den Zusammenschlusstatbestand zu erfassende Vorgang ist der Moment der Unternehmenskonzentration. Diese Konzentration ermöglicht eine Zurechnung von getrennten Ressourcen unter einheitliche Verfügungsmacht.38 Insoweit ist der vom Zusammenschlusskonzept erfasste Vorgang allerdings mit jenem der Verbundklausel identisch. Denn um nichts anderes als die Abbildung der Verfügungsmacht über Ressourcen verbundener Unternehmen geht es auch in § 36 Abs. 2 GWB. Zweck der Verbundklausel ist es, verbundene Unternehmen, die zwar rechtlich selbständig sind, aber aufgrund von Einflussmöglichkeiten eine wirtschaftliche oder wettbewerbliche Einheit bilden, wettbewerbsrechtlich als einheitliches Unternehmen zu erfassen.39 Allein der Zeitpunkt der Erfassung der Unternehmensverbindung unterscheidet die Verbundtatbestände. Nach Thomas erfasst der Kontrolltatbestand Veränderungen von Unternehmensverbindungen, während die
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Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 184. Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 184. 37 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, Vor. § 35 GWB Rn. 26 ff.; Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 23; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 18 Rn. 1 f. 38 Pohlmann, Der Unternehmensverbund, S. 99; Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 35 GWB Rn. 102. 39 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 63; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 215; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. Von wettbewerblicher Einheit spricht auch der Gesetzgeber, Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26. Für die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Einheit im europäischen Wettbewerbsrecht, Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 785; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 216; Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 36 GWB Rn. 50; BGH, Beschluss v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78 – „WAZ“, BGHZ 74, 359, 364. 36
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB bestehende Unternehmensverbünde abbildet und kartellrechtlich zu einem einheitlichen System zusammenfasst.40 Vor diesem Hintergrund erscheint wenig nachvollziehbar, dass nicht alle Unternehmen, an denen Kontrolle im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB besteht, deren Erwerb mithin anmeldepflichtig war, in der Folge nicht zwingend dem Unternehmensverbund nach § 36 Abs. 2 GWB unterfallen. Verdeutlicht sei dies an einem einfachen Beispiel: Im ersten Schritt erwirbt Unternehmen A negative Kontrolle am Unternehmen B (etwa aufgrund einer Minderheitsbeteiligung mit umfangreichen Vetorechten) und positive Kontrolle (aufgrund Stimmenmehrheit) an Unternehmen C. Schließt sich Unternehmen A in Zukunft noch mit weiteren Unternehmen zusammen, werden mit Blick auf die Schwellenwertberechnung nach § 35 GWB zu den Umsätzen von A über § 36 Abs. 2 GWB auch die Umsätze von C addiert. Die Umsätze von B bleiben mangels beherrschenden Einflusses zwischen A und B nach § 17 AktG unberücksichtigt, ungeachtet der bestehenden Kontrolle. Auch für die Ermittlung der Marktmacht im Rahmen der materiellen Zusammenschlusskontrolle bleibt C aus genanntem Grund außer Betracht. Dieses Ergebnis erscheint gerade angesichts des Regelungszwecks der Verbundklausel unbefriedigend. Die Ausklammerung von kontrollierten Unternehmen, die nicht dem aktienrechtlichen Beherrschungsbegriff unterfallen, führt zu einer Verzerrung der tatsächlichen wettbewerblichen und wirtschaftlichen Einheit, wie sie die Verbundklausel gerade zu erfassen sucht und steht insoweit dem Regelungsziel der formellen Zusammenschlusskontrolle entgegen.
IV. Konklusion – Konvergenz der Verbundtatbestände Wie sich bereits im Zuge der Ausführungen abgezeichnet hat, erscheint eine Konvergenz der Verbundtatbestände der formellen Fusionskontrolle nicht nur wünschenswert sondern geboten. Diese ist allerdings nicht im Wege der Auslegung zu erreichen, etwa durch ein kartellrechtlich-funktionales Verständnis der Verbundklausel im Sinne des Kontrollbegriffs. Wie bereits aufgezeigt, besteht dafür, aufgrund des Wortlauts und der Entscheidung des Gesetzgebers, sich für den wettbewerblichen Unternehmensverbund in § 36 Abs. 2 GWB vollumfäglich der aktienrechtlichen Verbundbegriffe in §§ 17, 18 AktG zu bedienen, kein Raum.41 Vielmehr bedarf es dafür einer Novellierung, die der Verbundklausel ein wettbewerblich geprägtes Verbundverständnis zugrunde legt. De lege ferenda bietet sich als Lösung dafür an, in der Verbundklausel, § 36 Abs. 2 GWB, den Normverweis auf den aktienrechtlichen Abhängigkeits- und Konzernbegriff durch einen unmittelbaren Verweis auf das Kontrollkonzept in Art. 3 Abs. 2 FKVO zu ersetzen bzw. den Wortlaut aus § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu übernehmen. 40
Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 77. Siehe dazu bereits oben S. 202 ff.; vgl. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 703. 41
C. Angleichung des Kartell- und Konzernbilanzrechts
261
Eine solche Novellierung würde eine geringfügige Herabsetzung der Zurechnungsschwelle von verbundenen Unternehmen bedeuten, da der Kontrollbegriff das Abhängigkeitsverständnis des AktG nicht nur umfasst, sondern darüber hinausgeht, etwa mit Blick auf die negative Kontrolle und die Kontrolle von Unternehmensteilen. Eine Ausuferung des Zurechnungstatbestands durch die mit dem Verweis auf den Kontrollbegriff in Art. 3 Abs. 2 FKVO einhergehenden inhaltlichen Erweiterung der Unternehmensverbindungen in § 36 Abs. 2 GWB ist nicht zu befürchten. Das Kontrollverständnis ist durch die Entscheidungspraxis der Kommission und Rechtsprechung weitgehend konkretisiert. Wie beleuchtet decken sich bestimmender und beherrschender Einfluss in weiten Teilen.42 Eine nennenswerte inhaltliche Erweiterung ginge daher allein mit der Einbeziehung auch negativ kontrollierter Unternehmen sowie von Unternehmensteilen einher. Zudem läge eine mittelbare Kontrolle auch im Verständnis des GWB dann vor, wenn die formalen Rechteinhaber selbst unmittelbar kontrolliert werden, was bereits jetzt dem europäischen Verständnis entspricht.43 Um eventuelle Zweifel an der Möglichkeit einer Konvergenz der Verbundtatbestände nach dem oben genannten Vorbild auszuräumen, ist schließlich auf § 3 Nr. 38 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) hinzuweisen. Darin bedient sich der deutsche Gesetzgeber für die gesetzliche Erfassung einer Gruppe von energieproduzierenden Unternehmen eines ausdrücklichen Verweises auf Art. 3 Abs. 2 FKVO und damit des europäischen Kontrollbegriffs. Angesichts dessen stellen Becker, Knebel und Christiansen zurecht fest, dass „ein entsprechender Wechsel im GWB ebenfalls durch eine Neufassung im Rahmen der letzten Novellen hätte erfolgen müssen.“44 Die Harmonisierung der Verbundtatbestände erscheint insoweit überfällig.
C. Angleichung des Kartell- und Konzernbilanzrechts Die Beleuchtung des Kartellrechts hat ergeben, dass eine Kohärenz der Verbundkonzepte nicht nur möglich, sondern auch geeignet ist, bestehende Friktionen zu vermeiden und die Rechtssicherheit in der Fusionskontrolle zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob insoweit eine Angleichung über die Grenzen des Kartellrechts hinaus auch von Verbundkonzepten anderer Rechtgebiete aus Gründen der Rechts- und Begriffsvereinheitlichung möglich ist. In Betracht kommt etwa das handelsrechtliche Verbundkonzept in § 290 HGB. Denn wie die Untersuchung der Verbundkonzepte im Konzernbilanzrecht und Kartellrecht aufgezeigt hat, besteht zwischen den mit den Verbundtatbeständen verfolgten Regelungszwecken eine nicht unbedeutende Schnittmenge. 42 43 44
Siehe dazu oben S. 246 f. Dazu oben S. 255 ff. Christiansen/Knebel, in: MünchKommWettbewerbsrecht, § 36 Rn. 286.
262
3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
Zweck der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB ist es, verbundene Unternehmen, die zwar rechtlich selbständig sind, aber aufgrund von Einflussmöglichkeiten eine wirtschaftliche oder wettbewerbliche Einheit bilden, wettbewerbsrechtlich als einheitliches Unternehmen zu erfassen.45 Diese Betrachtung der verbundenen Unternehmen als Einheit berücksichtigt die hinter den einzelnen Unternehmen stehende, tatsächliche ökonomische Größe der Unternehmensgruppe im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle.46 Gleiches gilt letztlich auch für den Zusammenschlusstatbestand in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Allein der Zeitpunkt der Erfassung der Unternehmensverbindung unterscheidet die Verbundtatbestände. Während der Kontrolltatbestand marktrelevante Veränderungen von Unternehmensverbindungen erfasst, fasst die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB bestehende Unternehmensverbünde zusammen.47 Der Zweck des Konzernabschlusses lässt sich der Auslegungsnorm in § 297 Abs. 2 HGB entnehmen, nach welcher der Konzernabschluss „unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns zu vermitteln [hat]“. In diesem Zusammenhang eng verknüpft mit § 297 Abs. 2 S. 2 HGB ist der Grundsatz des § 297 Abs. 3 S. 1 HGB, wonach die VFE-Lage eines Konzerns so darzustellen ist, als ob es sich um insgesamt um ein einziges Unternehmen handelte. Angesichts des gemeinsamen Ziels der Verbundkonzepte, die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und damit ökonomische Größe des Unternehmensverbunds zu erfassen, erscheint eine gebietsübergreifende Konvergenz der Verbundkonzepte gerade aus wettbewerbsrechtlicher Sicht wünschenswert, um etwaige Synergieeffekte nutzbar machen zu können. So würde sich etwa die Prüfung der Umsatzschwellenwerte nach § 35 GWB im Zuge der formellen Fusionskontrolle wesentlich vereinfachen, könnte aufgrund des identischen Verbundkonzepts in § 36 Abs. 2 GWB und § 290 HGB etwa der konsolidierte Abschluss der Unterneh45 Bechtold/Bosch, GWB, § 36 Rn. 63; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 678; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 142; Paschke, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Stand: Juni 2006, § 36 GWB Rn. 95; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 215; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. Von wettbewerblicher Einheit spricht auch der Gesetzgeber, Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26. Für die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Einheit im europäischen Wettbewerbsrecht Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 679; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al. (Hrsg.), Kartellrecht, § 36 GWB Rn. 216; Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007, § 36 GWB Rn. 50; BGH, Beschluss v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78 – „WAZ“ BGHZ 74, 359, 364. 46 Begr. RegE zur 2. GWB-Novelle, BT-Drucks. VI/2520, S. 26; vgl. Thomas, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 36 GWB Rn. 681 f.; Emmerich/Lange, Kartellrecht, S. 287; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 30. 47 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 37 GWB Rn. 77. Siehe dazu ferner die Ausführungen auf S. 41, 200 ff.
C. Angleichung des Kartell- und Konzernbilanzrechts
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mensgruppe herangezogen werden. Nach geltender Rechtslage ist dies ohne Prüfung etwaiger Divergenzen der Verbundkonzepte im jeweiligen Einzelfall nicht möglich. Für eine potenzielle Angleichung der Verbundkonzepte im HGB und GWB kommt im GWB allein das Kontrollkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB in Betracht. Dies setzt voraus, dass zunächst innerhalb des GWB die Verbundkonzepte der Verbundklausel und des Zusammenschlusstatbestands nach Vorbild des vorhergehenden Abschnitts angeglichen worden sind. Zwar kommt theoretisch auch eine Ersetzung der aktienrechtlich geprägten Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB durch das internationale Beherrschungskonzept in § 290 HGB in Betracht. Dadurch ließe sich immerhin eine vergleichsweise einfache Heranziehung des Konzernabschlusses für die Berechnung der Umsätze der Unternehmensgruppe im Zuge der Fusionskontrolle ermöglichen. Letztlich wäre jedoch durch die Angleichung der Verbundklausel im HGB nichts gewonnen, da die parallele Anwendbarkeit zweier unterschiedlicher Verbundkonzepte innerhalb der Fusionskontrolle unverändert bliebe. Aus diesem Grund ist der gebietsübergreifenden Konvergenz der Verbundkonzepte zunächst die Angleichung innerhalb des GWB vorzuschalten. Zwischen dem Kontrolltatbestand und dem Beherrschungskonzept besteht sowohl inhaltlich als auch formell eine nicht unerhebliche Schnittmenge. Beide Verbundkonzepte sind strukturell als materielle Generalklauseln konzipiert, ergänzt durch konkretisierende Tatbestandsbeispiele. Inhaltliche Deckungsgleichheit zwischen den Verbundkonzepten besteht sowohl hinsichtlich des Umfangs bestimmenden bzw. beherrschenden Einflusses als auch im Falle der positiven Kontrolle mit Blick auf die Einflussintensität. Gleichwohl bestehen zwischen den Tatbeständen auch erhebliche inhaltliche Divergenzen: So setzt Kontrolle anders als Beherrschung nach § 290 HGB nicht notwendigerweise einen bestimmenden Einfluss über ein Unternehmen als Ganzes voraus, sondern lässt bereits Einfluss über abgrenzbare Unternehmensteile genügen. Die Begründung kartellrechtlicher Kontrolle setzt zudem nicht zwingend die Durchsetzungsmöglichkeit des Einflusses voraus, sondern lässt im Falle der negativen Kontrolle die Blockade strategisch wichtiger Geschäftsentscheidungen genügen. Eine solch negative Beherrschung ist dem bilanzrechtlichen Beherrschungskonzept fremd. Beherrschung setzt stets die Möglichkeit der positiven Durchsetzung der Interessen des Mutterunternehmens voraus. Dies zeigt sich bereits mit Blick auf § 310 HGB, welcher die partielle Einbeziehung von Gemeinschaftsunternehmen in den Konzernabschluss unabhängig des Beherrschungskonzepts in § 290 HGB vorsieht. Mangels Deckungsgleichheit der Verbundkonzepte setzt eine Rechts- und Begriffsvereinheitlichung die Aufgabe und Angleichung zumindest eines Tatbestands de lege ferenda voraus. Eine solche Möglichkeit entzieht sich aber der rechtlichen Handhabe des nationalen Gesetzgebers. Denn im Unterschied zum aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand sind sowohl § 290 HGB als auch § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB europarechtlich geprägt. So basiert § 290 HGB auf Art. 22 EU-Bilanzrichtlinie, welche den Mitgliedstaaten das Verbundkonzept zur Aufstellung eines Konzernabschlusses ver-
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
bindlich vorschreibt. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist aus Gründen der Kohärenz zur FKVO an den dortigen Kontrollbegriff angenähert.48 Eine mögliche Vereinheitlichung der Verbundkonzepte kann daher zunächst allein auf europäischer Ebene erfolgen. Dass auf Ebene des europäischen Sekundärrechts nicht von einem kohärenten Verständnis der verwendeten Verbundkonzepte auszugehen ist, geschweige denn ein solches zukünftig angestrebt wird, folgt bereits aus der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen. Darin stellt sie klar: „Der Kontrollbegriff der Fusionskontrollverordnung ist mit dem Kontrollbegriff in anderen Bereichen des einzelstaatlichen sowie des Gemeinschaftsrechts – z. B. Aufsichtsregeln, Steuerrecht, Luftverkehr, Medien usw. – nicht unbedingt identisch. Wie dieser Begriff in anderen Bereichen ausgelegt wird, ist für den Kontrollbegriff in der Fusionskontrollverordnung nicht unbedingt von Belang.“
Für das Kontrollkonzept der FKVO und dem Beherrschungskonzept in Art. 22 Abs. 2 EU-Bilanzrichtlinie liegen keine Hinweise auf eine potenzielle Vereinheitlichung vor. Solange von einer solchen abgesehen wird, ist eine Konvergenz der Verbundtatbestände des Handelsrechts und des GWB auf nationaler Ebene ausgeschlossen.
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts Wie die aktienrechtliche Untersuchung aufgedeckt hat, ist die gegenwärtig herrschende Auffassung eines auf gesellschaftsrechtliche Einflussgrundlagen beschränkten Abhängigkeitsverständnisses in § 17 AktG abzulehnen. Für eine solch teleologische Reduktion der Abhängigkeitsgrundlagen besteht kein Raum. Eine aktienrechtsspezifische Restriktion bestimmter Einflussgrundlagen steht der entsprechenden Anwendbarkeit des Abhängigkeitsverständnisses auf andere Gesellschaftsformen außerhalb des Aktienrechts entgegen. Dies soll die rechtsformneutrale Gestaltung der Definitionen im Aktienrecht aber gerade gewährleisten.49 Aus der rechtshistorischen Entwicklung des Abhängigkeitsbegriffs sowie den Regelungszwecken der Rechtsfolgenormen im AktG folgt vielmehr die Notwendigkeit eines grundsätzlich unbeschränkten Verbundkonzepts. Die hinreichende Eingrenzung der Beherrschungsgrundlagen erfährt der Abhängigkeitsbegriff durch die aktienrechtliche Systematik und Dogmatik, insbesondere durch das Prinzip der Leitungsautonomie und den Grundsatz der Satzungsstrenge. Einer weitergehenden Einschränkung bedarf es insoweit nicht.
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Begr. RegE zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720 v. 29. 1. 1998, S. 42. Vgl. Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 3; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 115 ff. Vgl. etwa die Friktionen im Kartellrecht durch dieses aktienspezifische Verständnis, S. 206 ff. 49
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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Ausgehend von diesem unbeschränkten Abhängigkeitsverständnis stellt sich die Frage nach einer möglichen Konvergenz zu den Verbundkonzepten im Kartell- und Konzernbilanzrecht. So rekurriert etwa das AktG selbst in § 90 Abs. 1 AktG ohne einen etwaigen Bezug zum Konzernabschluss für den Unternehmensverbund auf das handelsrechtliche Verbundkonzept in § 290 HGB und nicht etwa die eigenen Definitionen zu verbundenen Unternehmen in §§ 15 ff. AktG. Bereits aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung und dem Bestreben einer weiteren Fragmentierung der Verbundkonzepte innerhalb der Rechtsgebiete entgegen zu wirken, ist daher eine mögliche Konvergenz der Verbundtatbestände zu erörtern. Im Folgenden ist zunächst eine Angleichung des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands an das kartellrechtliche Kontrollkonzept zu diskutieren (I.). Anschließend ist eine mögliche Konvergenz zum handelsrechtlichen Verbundkonzept zu prüfen (II.).
I. Angleichung an das kartellrechtliche Verbundkonzept Mit Blick auf das kartellrechtliche Verbundkonzept kommt allenfalls eine Angleichung des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands an das Kontrollkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB in Betracht. Einer umgekehrten Annäherung des GWB an das gesellschaftsrechtliche Verbundkonzept steht bereits die ausdrücklich angestrebte Annäherung der nationalen Zusammenschlusskontrolle an die europäische FKVO entgegen und eröffnet insoweit keine Gestaltungsmöglichkeit.50 Dagegen erscheint mangels europäischer Überlagerung des Aktienrechts – zumindest theoretisch – eine mögliche Annäherung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs an das Kontrollkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht von vornherein ausgeschlossen. Wurde bereits die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung der Verbundkonzepte innerhalb der Fusionskontrolle dargelegt, ist fraglich, ob de lege ferenda eine Angleichung an den Kontrollbegriff über die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB hinaus auf das Aktienrecht insgesamt ausgeweitet werden kann. Insbesondere mit Blick auf den gegenständlichen Einflussbereich und die Einflussintensität bei positiver Kontrolle besteht eine ganz weitgehende Übereinstimmung der Einflussanforderungen zwischen dem kartellrechtlichen Kontrollkonzept und dem Abhängigkeitstatbestand des AktG. Beide Tatbestände setzen ferner keine tatsächliche Einflussnahme voraus, sondern lassen bereits die Einflussmöglichkeit, die zudem nur mittelbar bestehen muss, ausreichen. Überdies sind beide Verbundkonzepte materiell geprägt. Entscheidend ist mithin allein die tatsächliche Einflussmöglichkeit. Zwar besteht nach § 17 Abs. 2 AktG die Vermutung zugunsten einer beherrschenden Einflussmöglichkeit im Falle der Mehrheitsbeteiligung. Diese ist allerdings widerleglich ausgestaltet. Die insoweit bestehende Kongruenz spricht für eine Vereinheitlichung der Verbundkonzepte ungeachtet der unterschiedlichen Regelungszwecke, zumal es sich bei dem europäischen Kontrollbegriff um ein weitge50
Mit Blick auf die 6. GWB-Novelle siehe S. 215 ff.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
hend konkretisiertes Verbundkonzept handelt, welches keinen nennenswerten Raum für Rechtsunsicherheit offenlässt. Neben den inhaltlichen Parallelen der Verbundkonzepte bestehen allerdings auch substanzielle Divergenzen zwischen dem Abhängigkeitstatbestand und dem europäischen Kontrollbegriff. Setzt der Abhängigkeitstatbestand stets einen beherrschenden Einfluss über ein Unternehmen im Ganzen voraus, vermag sich eine wettbewerbliche Kontrolle auch auf abgrenzbare Unternehmensteile zu beschränken, welche über eine eigenständige Marktpräsenz verfügen und Umsätze erzielen. Mit Blick auf eine nur vorübergehende Einflussmöglichkeit verfolgt der Kontrollbegriff einen tendenziell restriktiven Ansatz, da das Wettbewerbsrecht lediglich die mit einer dauerhaften Veränderung der Marktstruktur einhergehende Unternehmensverbindung zu regulieren sucht.51 Demgegenüber erfasst der Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG weitgehend auch solch vorübergehende Einflussmöglichkeiten, sofern diese geeignet sind eine tatsächliche Einflussmöglichkeit zu vermitteln und diese nicht nur rein zufällig ist.52 Vor allem setzt das europäische Verbundkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB im Gegensatz zum Aktienrecht die Durchsetzungsmöglichkeit des Einflusses gegen abweichende Interessen nicht voraus. Ausreichend für die Begründung negativer Kontrolle ist bereits die Möglichkeit der Blockade von strategisch wichtigen Entscheidungen der Geschäftsführung.53 Angesichts dieser Divergenzen zum Kontrolltatbestand erscheint eine vollständige Konvergenz des Aktienrechts ausgeschlossen. Wie im Zuge der aktienrechtlichen Untersuchung aufgezeigt, hat sich der Gesetzgeber des AktG gegen die Möglichkeit der negativen Beherrschung entschieden.54 Allenfalls kommt nach Auffassung des BGH im Falle von Gemeinschaftsunternehmen eine gemeinsame Beherrschung in Betracht. Aus dieser folgt aber keine negative Beherrschungs-
51 Vgl. etwa mit Blick auf die vorausgesetzte Langfristigkeit von Verträgen, Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 18 Fn. 19. 52 Vgl. Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 19; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 55; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 4; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 11 ff.; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 25; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 6; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 50; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 12; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 21; vgl. Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 20; ders., in: Festschrift für Walter Stimpel, S. 811, 814. 53 S. 222 f. 54 Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 10; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 25; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 42; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 24; Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 50, 93 ff.; Rittner, Die Beteiligung als Grund, DB 1976, 1465, 1468; Sura, Fremdeinfluß, S. 66. A. A. früher vertreten, Prühs, Grundprobleme der aktienrechtlichen Abhängigkeit, AG 1972, 308, 311. Insoweit zutreffend Windbichler, in: GK-AktG, § 17 Rn. 20, die sich der materiellen Begründung nicht anschließt, sondern nur auf die typischen Fälle der Mehrheitsbeteiligung hinweist, mit welcher der Regelfall einer negativen Beherrschung unvereinbar ist.
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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möglichkeit der jeweiligen Unternehmensmütter.55 Zwar unterscheidet sich die negative Kontrolle von der negativen Beherrschung insoweit, als die negative Kontrolle qualifiziert ist und sich nicht nur auf etwaige Minderheitenrechte beziehen muss, sondern vielmehr eine umfassende Blockademöglichkeit aller wesentlichen Geschäftsentscheidungen voraussetzt.56 Gleichwohl genügt auch eine solch qualifizierte negative Beherrschung für die Begründung aktienrechtlicher Abhängigkeit nicht. Diese setzt nach dem bereits vom RG aufgestellten Maßstab die Möglichkeit zur Willensdurchsetzung voraus, was eine reine Blockademöglichkeit – irrelevant wie weitgehend – nicht zu vermitteln vermag. Im Unterschied zur Verbundklausel innerhalb des Kartellrechts ist eine solche Erweiterung des Abhängigkeitsverständnisses mit der fein austarierten Systematik im Aktienrecht unvereinbar. Andernfalls bestünde aufgrund des gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzips für das Handeln der Geschäftsführung, vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AktG,57 die Möglichkeit einer negativen Kontrolle durch jedes Mitglied des Vorstands aufgrund der insoweit umfassenden Blockademöglichkeit. Dies würde wiederum die Beschränkung der satzungsmäßigen Entsendungsrechte auf ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder, § 101 Abs. 2 AktG aushebeln, könnte doch zumindest negative Kontrolle bereits durch das Veto eines einzelnen Vorstandsmitglieds erreicht werden. Nicht zuletzt ist auch die Möglichkeit der negativen Beherrschung bzw. Kontrolle mit dem Regelungszweck des materiellen Konzernrechts der §§ 311 ff. AktG unvereinbar. Wie bereits dargestellt, liegt dieser nicht primär in der Organisation der Rechtsbeziehungen innerhalb des Konzernverbunds sondern vielmehr im Schutz der abhängigen Unternehmen, der außenstehenden Aktionäre und Gläubiger.58 Die im Konzernrecht verankerten Nachteilszufügungsverbote bzw. Ausgleichspflichten sind Ausdruck der Schutzbedürftigkeit der abhängigen Unternehmen, welche der Durchsetzungsmöglichkeit der Interessen des herrschenden Unternehmens aufgrund dessen Einflussmacht nichts entgegensetzen können. Würde die Schwelle der Einflussintensität auf eine bloße Blockademöglichkeit herabgestuft, erwüchsen Zweifel an der Schutzbedürftigkeit der nur negativ kontrollierten Unternehmen. Denn gegen ihre Interessen ist die Möglichkeit zur Durchsetzung beherrschenden bzw. bestim55
BGH, Urteil v. 4. 3. 1974 – II ZR 89/72– „Seitz“, BGHZ 62, 193, 196; BGH, Beschluss v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78 – „WAZ“, BGHZ 74, 359, 363. Vgl. Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 28; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 77; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 14. 56 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54; Montag/Kacholdt, in: Dauses/Ludwigs et al. (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 15; Wessely/Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 33. 57 Spindler, in: MünchKommAktG, § 77 Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch, § 77 Rn. 6. 58 Koppensteiner, in: KK-AktG, Vor. § 311 Rn. 12, 19; Emmerich/Habersack/Sonnenschein, Konzernrecht, § 1 Rn. 18 (S. 8); Koch, in: Hüffer/Koch, § 15 Rn. 3 ff.; Altmeppen, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 1027, 1052 f.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
menden Einflusses durch das kontrollierende Unternehmen gerade nicht möglich ist. Warum eine solch begrenzte Einflussmöglichkeit gleichwohl die in §§ 311 ff. AktG verankerten Schutzrechte auslösen soll, lässt sich schwerlich begründen. Nicht zuletzt steht auch eine potenzielle Ausuferung der Abhängigkeitsverhältnisse durch die Senkung der Einflussschwelle im Raum, deren Folgen unabsehbar sind. Im Ergebnis erscheint eine vollumfängliche Angleichung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs an das kartellrechtliche Kontrollverständnis zum Zwecke der Begriffs- und Rechtsvereinheitlichung ausgeschlossen. Die bestehenden Divergenzen zwischen den Verbundkonzepten sind zu substanziell als dass eine wertungswiderspruchsfreie Übertragung in die aktienrechtliche Systematik möglich ist. Allenfalls käme eine Teilangleichung des Aktienrechts in Betracht, welche etwa allein auf die positive Kontrollmöglichkeit und damit Durchsetzungsfähigkeit bestimmenden Einflusses beschränkt wäre. Damit wäre dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung jedoch ein Bärendienst erwiesen, da letztlich doch zwischen Aktien- und Kartellrecht unterschiedliche Anforderungen an bestimmenden Einfluss gestellt würden, die einer angestrebten Rechtsvereinheitlichung zuwiderliefen. Aufgrund der bestehenden Divergenzen zwischen dem Kontrolltatbestand, dem aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff und dem mit ihnen jeweils verbundenen abweichenden Regelungszwecken ist eine Vereinheitlichung auf Grundlage der etablierten Verbundkonzepte de lege ferenda nicht zu erreichen.
II. Angleichung an das handelsrechtliche Verbundkonzept Ein anderes Ergebnis eröffnet dagegen ein Vergleich des aktienrechtlichen und des handelsrechtlichen Verbundkonzepts. Wie die Untersuchung des Beherrschungsverständnisses in § 290 HGB aufgezeigt hat, wurde die Anknüpfung an das Leitungskonzept des aktienrechtlichen Konzerntatbestands in § 18 AktG im Zuge des BilMoG 2009 zwar aufgegeben. Im Ergebnis besteht zwischen dem in § 290 HGB übernommenen, internationalen Beherrschungskonzept der IAS 27 a. F. bzw. SIC 12 a. F. und dem hier vertretenen uneingeschränkten Abhängigkeitsverständnis in § 17 AktG gleichwohl eine umfassende Kongruenz. Bereits konzeptionell verfügen beide Verbundkonzepte über eine materiell geprägte Generalklausel, welche den Unternehmensverbund tatbestandlich erfasst. Ergänzt wird diese Generalklausel in § 290 Abs. 2 HGB von konkretisierten Einflussmöglichkeiten, die allein der Anwendungserleichterung dienen und keinen abschließenden Charakter haben. Im Aktienrecht korrespondiert dazu in § 17 Abs. 2 AktG im Falle einer Mehrheitsbeteiligung die widerlegbare Vermutung eines Abhängigkeitsverhältnisses. Auch diese Vermutung dient der Anwendungserleichterung im Rechtsverkehr, da sie den Regelfall beherrschenden Einflusses erfasst, ohne jedoch abschließend zu wirken und somit andere Einflussgrundlagen in § 17 Abs. 1
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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AktG zu beschränken.59 Gegenüber der Vermutung in § 17 Abs. 2 AktG sind die Tatbestände in § 290 Abs. 2 HGB unwiderleglich ausgestaltet. Sofern eine materielle Beherrschungsmöglichkeit nicht besteht, ist eine Korrektur allerdings über die Befreiungsmöglichkeit von der Konsolidierungspflicht in § 290 Abs. 5 i. V. m. § 296 Abs. 1 HGB möglich. Im Ergebnis ist damit auch im Konzernbilanzrecht die Annahme eines Beherrschungsverhältnisses aufgrund der formalen Kriterien nach § 290 Abs. 2 HGB über § 296 Abs. 1 HGB widerlegbar. § 296 Abs. 1 HGB dient insoweit als Korrektur von „Fehlinterpretationen eines Mutter-Tochter-Verhältnisses“.60 Auch inhaltlich genügt beiden Verbundkonzepten allein die Möglichkeit zur Beherrschung. Auf die tatsächliche Ausübung des Einflusses kommt es nicht an.61 Übereinstimmung besteht ebenfalls beim abstrakt-generellen Einflussumfang. Dieser muss sich grundsätzlich auf alle wesentlichen Entscheidungen der Geschäftsführung beziehen.62 Eine Steuerung von Grundlagengeschäften beim beherrschten Unternehmen setzen dagegen weder § 17 AktG noch § 290 HGB voraus. Während derweil § 290 HGB die Möglichkeit der Nutzenziehung voraussetzt, ist diese Tatbestandsvoraussetzung in § 17 AktG nicht enthalten. Allerdings ist das Kriterium der Nutzenziehung grundsätzlich weit zu verstehen,63 sodass im Regelfall bei Beherrschung im aktienrechtlichen Verständnis inzident auch die Möglichkeit der Nutzenziehung gegeben ist. So werden im Schrifttum beispielhaft allein treuhänderisch gehaltene Anteile genannt, bei denen nach § 290 HGB eine Beherrschungsmöglichkeit zugunsten des Treuhänders an der fehlenden Nutzungsziehung scheitern könnte. In diesem Fall käme allerdings auch nach § 17 AktG wohl allenfalls eine mittelbare Beherrschung zugunsten des Treugebers in Betracht. 59 BT-Drucks. IV/171 v. 3. 2. 1962, Begr. RegE Aktiengesetz 1965, S. 100; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 34; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 17 AktG Rn. 17. 60 Senger/Hoehne, in: MünchKommBilanzrecht, § 296 HGB Rn. 4. 61 Für das Handelsrecht: Wüstemann/Küting, in: Staub, HGB, Anh. § 315a, 6. A. Rn. 5; Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 4; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRS-Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 6; Lüdenbach, Bilanzpolitische Bedeutung von Options- und Terminkontrakten, BB 2006, 2738; Baetge/Schulze, in: Baetge/Dörner/Kleekäpfer et al. (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, IAS 27 Rn. 26; Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 30 Rn. 5. Für das Aktienrecht exemplarisch: Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 6; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 11; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 8. 62 Vgl. Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27, Rn. 38; Koch, in: Hüffer/Koch, § 17 Rn. 6; Hirschmann, in: Hölters, Aktiengesetz, § 17 Rn. 3; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 12; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 24. 63 Schmotz, in: Buschhüter/Striegel, Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 12; Watrin/Hoehne/Lammert, in: MünchKommBilanzrecht, Stand: September 2014, IAS 27 Rn. 29. Verhindert wird die Beherrschung mangels Nutzenziehung im Sinne von IAS 27.4 etwa im Falle treuhänderisch gehaltener Anteile gegenüber dem Treuhänder, Wüstemann/ Küting, in: Staub, HGB, Anh. 315a Rn. 5; Lüdenbach, in: Hoffmann/Lüdenbach, Haufe IFRSKommentar, 10. Aufl. 2012, § 32 Rn. 8.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
Mit Blick auf die Einflussintensität setzt sowohl das aktienrechtliche wie auch handelsrechtliche Beherrschungsverständnis die Möglichkeit der Durchsetzung der Interessen des herrschenden Unternehmens voraus. Weder eröffnet das durch eine Sperrminorität vermittelte Einflusspotential eine (negative) Beherrschung noch wird diese durch eine umfassende Blockade strategischer Entscheidungen erreicht. Beherrschung setzt sowohl im Handels- als auch Aktienrecht die Möglichkeit zur Willensdurchsetzung auch gegen die Interessen des Tochterunternehmens voraus.64 Auch hinsichtlich der Einflussbeständigkeit besteht Kongruenz der Verbundkonzepte. Weder reichen zufällig entstehende Beschlussmehrheiten in der Hauptversammlung aus, um ein aktienrechtliches Abhängigkeitsverhältnis mit den in §§ 311 ff. AktG vorgeschriebenen Rechtsfolgen auszulösen, noch begründen sie eine Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach § 290 HGB. Ungeachtet einer gewissen Beständigkeit der Einflussmöglichkeit schließt derweil eine nur vorübergehende Beherrschungsmöglichkeit weder die Begründung einer Konsolidierungspflicht noch die eines Abhängigkeitsverhältnisses aus.65 Schließlich geht das hier vertretene Abhängigkeitsverständnis ebenso wie das internationale Beherrschungskonzept in § 290 HGB grundsätzlich von einer Zulässigkeit jeglicher Einflussgrundlagen aus, seien sie rechtlicher oder nur tatsächlicher Natur. Eine pauschale Einschränkung der Einflussmittel auf gesellschaftsrechtliche Grundlagen besteht nicht. Vielmehr bemisst sich die Zulässigkeit des jeweiligen Einflussmittels anhand der übrigen Voraussetzungen der Beherrschung und des gesellschaftsrechtlichen Rahmens der jeweiligen Rechtsform. Sofern diese Anforderungen erfüllt sind, kommt die entsprechende Einflussquelle als zulässiges Beherrschungsmittel in Betracht. Angesichts der bestehenden Kongruenz der Verbundkonzepte im Handelsrecht und Aktienrecht erscheint eine Konvergenz der Tatbestände nicht fernliegend. Eine Angleichung des § 290 HGB an das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis ist allerdings mit der im BilMoG 2009 einhergehenden Regelungsabsicht und Angleichungsbestrebung an die Internationalen Rechnungslegungsgrundsätze unvereinbar. In diesem Zuge war die bis dato bestehende Anknüpfung an das aktienrechtliche Leitungskonzept gerade aufgegeben worden. Aus diesem Grund ist allein eine Angleichung des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs an den handelsrechtlichen Verbundtatbestand in § 290 HGB zu erwägen. Dass es sich beim handelsrechtlichen Verbundtatbestand ohnehin um das konzeptionell vorzugswürdige 64
Schmotz, in: Kommentar Internationale Rechnungslegung, IAS 27 Rn. 4, 11; vgl. Heuser/ Theile, IAS-Handbuch, S. 315; vgl. auch Senger/Brune, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 3. Aufl. 2009, IAS 28 Rn. 33; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 11; Koch, in: Hüffer/ Koch, § 17 Rn. 5; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 9 f.; Emmerich, in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 7 f.; BGH, Beschluss v. 19. 1. 1993 – KVR 32/91 – „Zurechnungsklausel“, BGHZ 121, 137, 146. 65 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 19; Dierdorf, Herrschaft und Abhängigkeit, S. 55; Fett, in: Bürgers/Körber, AktG, § 17 Rn. 4; Vetter, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 17 Rn. 11 ff.; Koppensteiner, in: KK-AktG, § 17 Rn. 25.
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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Beherrschungskonzept handelt, ist im Folgenden zu erläutern (1.). Anschließend ist eine Abkehr des Aktienrechts vom eigenen Verbundverständnis de lege ferenda zu diskutieren (2.). 1. Konzeptioneller Vorzug des § 290 HGB Im konzeptionellen Vergleich des handelsrechtlichen Beherrschungstatbestands in § 290 HGB und des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs in § 17 AktG erweist sich ersteres als vorzugswürdig. So ist das aktienrechtliche Abhängigkeitsverständnis der Vermutung in § 17 Abs. 2 AktG zum Trotz von einem hohen Abstraktionsgrad geprägt, was die Bestimmung der Einflussvoraussetzungen und Einflussgrundlagen maßgeblich erschwert und Grund dafür ist, dass Bayer zufolge der Abhängigkeitstatbestand „nur in seinem Kernbereich, nicht jedoch in seinen Rändern sicher geklärt [ist].“66 Wie die vorliegende Untersuchung aufgeschlüsselt hat, lassen sich die Einflussvoraussetzungen des Abhängigkeitsverständnisses einschließlich der Einflussgrundlagen ausschließlich anhand der aktienrechtlichen Systematik und Dogmatik unter Berücksichtigung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Tatbestands hinreichend bestimmen. Diese Art der Bestimmung und Konkretisierung des Abhängigkeitsverständnisses im Aktienrecht und die jeweilige Prüfung der Zulässigkeit einer Einflussgrundlage im Einzelfall erscheint in der Anwendungspraxis ein mühseliger und damit ungeeigneter Weg. Die mit dem Abstraktionsgrad des Abhängigkeitstatbestands einhergehende Rechtsunsicherheit der Einflussvoraussetzungen wurde bereits in der Einleitung exemplarisch anhand des rein vorsorglich aufgestellten Abhängigkeitsberichts der Intershop Communications AG aufgezeigt.67 Zu berücksichtigen ist zudem, dass die in dieser Untersuchung aufgeschlüsselten Einflussvoraussetzungen nur für die abhängige Aktiengesellschaft gelten. Die Definitionsnormen der §§ 15 ff. AktG sind derweil rechtsformneutral ausgestaltet. Sofern es sich bei der abhängigen Gesellschaft etwa um eine GmbH oder eine KG, einen wirtschaftlichen Verein oder auch eine Stiftung handelt, kommt eine Anwendung der hier entwickelten aktienrechtlich geprägten Grundsätze nur sinngemäß zur Anwendung.68 Die genaue Bestimmung der Einflussvoraussetzungen und der zulässigen Einflussgrundlagen richtet sich letztlich jedoch nach dem gesetzlichen Organisationsrahmen der je-
66
Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 14. Intershop Communications AG, Geschäftsbericht 2018, S. 32. Ein vorsorglich aufgestellter Abhängigkeitsbericht findet sich schon in den Geschäftsberichten 2016 (S. 29 f.) und 2017 (S. 28). Abrufbar unter: https://www.intershop.com/de/finanzberichte, letzter Zugriff am 15. 6. 2019. Vgl. Bayer/Hoffmann, Beherrschung und Unabhängigkeit der deutschen Börsenlandschaft, AG-Report 2018, R116, R118. 68 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 49. 67
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
weiligen Rechtsform des abhängigen Unternehmens.69 Beispielsweise kann in der GmbH einem Minderheitsgesellschafter unmittelbar beherrschender Einfluss auf die Geschäftsführung per Satzung eingeräumt werden.70 Dagegen führt Mehrheitsbesitz bei Personengesellschaften nicht regelmäßig zur Beherrschung, sondern allenfalls dann, wenn das Einstimmigkeitsprinzip abbedungen worden ist.71 Vor diesem Hintergrund ist das handelsrechtliche Verbundkonzept in § 290 HGB, welches ebenfalls rechtsformneutral ausgestaltet ist, vorzugswürdig, da es zusätzlich zu der Generalklausel in § 290 Abs. 1 HGB weitere konkretisierende Beispieltatbestände in § 290 Abs. 2 HGB enthält, welche die Rechtsanwendung unabhängig des anwendbaren Gesellschaftsrechts vereinfachen. Zwar sind auch die in § 290 Abs. 2 HGB genannten Beherrschungstatbestände nur insoweit auf die jeweilige Rechtsform anwendbar, wie mit ihnen eine materielle Einflussmöglichkeit einhergeht. Gleichwohl stellen sie vergleichsweise einfach zu überprüfende Anhaltspunkte dar, die in der Summe die ganz überwiegende Anzahl an zulässigen Einflussmöglichkeiten und Einflussgrundlagen erfassen dürften, unabhängig von der Rechtsform des abhängigen Unternehmens. Dass mittlerweile auch auf Gesetzgebungsebene das handelsrechtliche Beherrschungskonzept in § 290 HGB gegenüber dem aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand präferiert wird, folgt aus dem höheren Verbreitungsgrad des § 290 HGB als rechtsgebietsübergreifendes Verbundkonzept. So verweisen beispielsweise das Versicherungsaufsichtsgesetz („VAG“) in § 7 Nr. 29 VAG sowie das WpÜG in § 2 Abs. 6 WpÜG für die Definition des Tochterunternehmens auf § 290 HGB. Gleiches gilt für § 35 Abs. 1 Nr. 1 Wertpapierhandelsgesetz („WpHG“). Auch § 1 Nr. 17 Kreditwesengesetz („KWG“) sowie § 210 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz („VVG“) rekurrieren für die Begriffe des verbundenen Unternehmens bzw. Konzerns auf § 290 HGB und nicht auf den gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitstatbestand. Demgegenüber findet sich außerhalb des Aktienrechts eine ausdrückliche Verweisung auf § 17 AktG nur noch in § 36 Abs. 2 GWB, dessen Angleichung an das Kontrollkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, wie bereits dargestellt, längst überfällig ist. Warum sich der Gesetzgeber in den genannten Rechtsgebieten des handelsrechtlichen statt des aktienrechtlichen Verbundkonzepts bedient hat, bleibt unklar. So führt etwa der RegE zu § 2 Abs. 6 WpÜG aus, dass ein Tochterunternehmen sowohl unter den Voraussetzungen des § 290 HGB a. F. als auch im Falle der Beherrschung
69 Vgl. exemplarisch die Darstellung bei Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 45 ff.; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 115 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 17 AktG Rn. 45 ff. 70 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 45; Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 125. 71 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 117; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, § 17 Rn. 49.
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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nach § 17 AktG entsteht.72 Diese Annahme dürfte zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Inkrafttretens des WpÜG am 1. Januar 2002 in der Tat zutreffend gewesen sein, orientierte sich § 290 Abs. 1 HGB a. F. zu jener Zeit noch am aktienrechtlichen Leitungsprinzip und damit inzident am aktienrechtlichen Beherrschungsverständnis. Aufgrund der dynamischen Verweisung in § 2 Abs. 6 WpÜG ist in Folge der Novellierung durch das BilMoG jedoch die Anknüpfung an das Aktienrecht entfallen. Wenngleich im Ergebnis inhaltliche Deckungsgleichheit zum aktienrechtlichen Abhängigkeitsverständnis besteht, sind die Gesetzesverweise auf § 290 HGB nunmehr dem Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG entkoppelt und vielmehr anhand des internationalen Beherrschungskonzepts zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund ist der Verweis auf § 290 HGB nicht zwingend als beabsichtigte Abkehr vom aktienrechtlichen Verbundkonzept zu verstehen. Die aktienrechtliche Anknüpfung ist nicht ausdrücklich aufgegeben worden. Vielmehr ist diese in Folge der Änderung des § 290 HGB und dem damit einhergehenden Bedeutungswandel der dynamischen Normverweise entfallen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber an der handelsrechtlichen Anknüpfung festgehalten, zulasten der Bedeutung des aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzepts über das Aktienrecht hinaus. 2. Konvergenz der Verbundkonzepte de lege ferenda Angesichts der dargestellten inhaltlichen Deckungsgleichheit stehen einer Konvergenz des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands an das Beherrschungskonzept in § 290 HGB de lege ferenda keine durchgreifenden Bedenken entgegen. Die Begriffsvereinheitlichung könnte nicht nur die bestehende Rechtsunsicherheit über die Auslegung des Abhängigkeitstatbestands beenden, sondern könnte auch die Anwendung der Konzernvorschriften auf andere Gesellschaftsformen erleichtern. Zudem wird eine überflüssige Doppelprüfung eines Abhängigkeitsverhältnisses bei Kapitalgesellschaften einerseits und einer Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses andererseits vermieden. Die bevorzugte Anknüpfung außerhalb des Bilanzrechts auf den Verbundtatbestand in § 290 HGB belegt die Präferenz des Gesetzgebers. Aus Gründen der Begriffsvereinheitlichung und Kohärenz der Verbundkonzepte ist eine Veränderung dieser Tendenz nicht zu erwarten.73 Mit Blick auf die Normkonzeption des § 290 HGB ist im Falle einer Angleichung des Abhängigkeitstatbestands in § 17 AktG zu berücksichtigen, dass die Beherrschungstatbestände in § 290 Abs. 2 HGB unwiderleglich ausgestaltet sind. Aus diesem Grund 72
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/703414 v. 5. 10. 2001, S. 34 f. 73 Allenfalls ist eine unmittelbare Anknüpfung an das Verbundkonzept in Art. 22 der Europäischen Bilanzrichtlinie zu erkennen, so exemplarisch etwa in § 2 Abs. 25 WpHG für die Definition des Mutterunternehmens. Ursprünglich verwies § 22 Abs. 3 WpHG a. F. noch auf die Definition des Tochterunternehmens in § 290 HGB. Dieser Verweis wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenz-Änderungsrichtlinie v. 20. 11. 2015 aufgehoben, BGBl. I S. 2029 v. 25. 11. 2015.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
wäre entweder eine dem § 296 HGB entsprechende Korrekturmöglichkeit ebenfalls ins Aktienrecht zu übertragen. Alternativ könnten die Tatbestände des § 290 Abs. 2 HGB im AktG dem § 17 Abs. 2 AktG entsprechend als widerlegliche Vermutung ausgestaltet werden. Inhaltlich würde dies zu keiner Änderung des Beherrschungsverständnisses des § 290 HGB führen. Die inhaltliche Kohärenz wäre insoweit gewährleistet. Eine Übertragung des Beherrschungskonzepts in § 290 HGB in das Aktienrecht würde Letzteres wieder dem historischen Abhängigkeitskonzept annähern, welches in § 15 Abs. 2 AktG 1937 ausdrücklich neben der Beteiligung auch sonstige Mittel als zulässige Einflussmittel vorsah. Die konkrete Auflistung von Beherrschungsmöglichkeiten nach dem Vorbild in § 290 Abs. 2 HGB stünde im AktG weder dem Abhängigkeitsverständnis selbst noch den Intentionen des Gesetzgebers entgegen. Zwar hatte dieser bei der Konzeption des AktG 1965 von einer abschließenden Aufzählung der Einflussmöglichkeiten bewusst abgesehen, da diese „auf verschiedensten Grundlagen beruhen.“74 Der damaligen Einschätzung, dass eine abschließende Aufzählung unmöglich sei, kann vor dem Hintergrund der hiesigen Untersuchungsergebnisse allerdings nicht gefolgt werden. Aus der Systematik des AktG lassen sich die zulässigen Einflussmöglichkeiten und deren Grenzen hinreichend bestimmen. Ihre konkrete beispielhafte und nicht abschließende Aufzählung dient daher allein der Rechtssicherheit und der Anwendungserleichterung und steht damit dem Regelungszweck des Abhängigkeitstatbestands nicht entgegen. Der einzige Einwand, welcher der angestrebten Rechts- und Begriffsvereinheitlichung der Verbundkonzepte entgegensteht, liegt in den IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F. begründet, welche sowohl Grundlage des Verbundkonzepts der EU-Bilanzrichtlinie in Art. 22 Abs. 2 lit. a) als auch des Verbundkonzepts in § 290 HGB bilden. Wie bereits erläutert, sind IAS 27 a. F. i. V. m. SIC 12 a. F. über Konzern- und Einzelabschlüsse mit Wirkung zum 31. Dezember 2013 durch den neuen IFRS 10 abgelöst worden. Der IFRS 10 weicht nicht unerheblich von seinem Vorgängerstandard ab.75 Nach IFRS 10.6 beherrscht ein Investor ein Beteiligungsunternehmen, „wenn er schwankenden Renditen aus seinem Engagement in dem Beteiligungsunternehmen ausgesetzt ist bzw. Anrechte auf diese besitzt und die Fähigkeit hat, diese Renditen mittels seiner Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen zu beeinflussen.“ Zwar orientiert sich die erst 2013 verabschiedete EU-Bilanzrichtlinie nach wie vor an den IAS 27 a. F. i. V. m. SIC 12 a. F., sodass eine kurzfristige Übernahme des IFRS 10 und damit einhergehende Novellierung auch des deutschen Verbundkonzepts in § 290 HGB nicht zu erwarten ist. Mittelfristig ist eine Angleichung an die geltenden internationalen Standards aber nicht auszuschließen. Eine Übernahme des derzeit deckungsgleichen, handelsrechtlichen Beherrschungskonzepts ins Aktienrecht vermag folglich eine zukünftige, erneute Fragmentierung der Verbundkonzepte zwischen Aktienrecht und Handelsrecht nicht zu verhindern. Inwieweit das Be74 75
Begr. RegE zu § 15, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 31. Vgl. Grottel/Kreher, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 290 HGB Rn. 21.
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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herrschungskonzept des IFRS 10 mit der aktienrechtlichen Systematik und dem derzeitigen Abhängigkeitsverständnis vereinbar ist, wird zu gegebener Zeit erneut zu prüfen sein. In Ermangelung einer absehbaren Novellierung der EU-Bilanzrichtlinie bleibt dieser Einwand bisweilen hypothetischer Natur und lässt die bestehende Kongruenz zwischen Handels- und Aktienrecht im geltenden Recht und damit die Möglichkeit einer Konvergenz der Verbundkonzepte unberührt. Auf einem ganz anderen Blatt dürfte allerdings die Frage stehen, ob eine Aufgabe des eigenen, historisch gewachsenen Abhängigkeitstatbestands in § 17 AktG zugunsten eines letztlich international geprägten Verbundkonzepts im AktG rechtspolitisch erwünscht ist. Eine abschließende Antwort darauf kann für die Zwecke dieser Arbeit dahinstehen. Mit Blick auf § 90 Abs. 1 S. 2 AktG lässt sich allerdings einwenden, dass eine solche Abkehr vom eigenen Verbundkonzept im AktG in Teilen bereits vollzogen worden ist. So erstreckt sich nach § 90 Abs. 1 S. 2 AktG die Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat auch auf Tochterunternehmen im Sinne von § 290 HGB. Warum § 90 Abs. 1 S. 2 AktG auf das handelsrechtliche Verbundkonzept verweist, erschließt sich aus der Gesetzessystematik nicht. Dies gilt gerade im Hinblick darauf, dass die Berichtspflicht in § 90 Abs. 1 AktG nicht abschließend geregelt ist.76 Zu denken ist nur an den Abhängigkeitsbericht nach § 312 Abs. 1 AktG, welcher wiederum an den Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG anknüpft.77 Eine Erklärung für den Vorzug des handelsrechtlichen Tatbestands in § 90 Abs. 1 S. 2 AktG anstelle des aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriffs ist in den Gesetzesmaterialien zu suchen: Die Erweiterung der in § 90 AktG verankerten Regelberichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat auf Konzernunternehmen wurde durch das „Transparenz- und Publizitätsgesetz“ („TransPuG“) 2002 eingefügt.78 Vornehmlicher Zweck der durch das TransPuG fortgeführten Reformierung des Aktienrechts sowie der Konzernrechnungslegung war, die Empfehlungen der im Mai 2000 eingesetzten „Corporate Governance Kommission“ umzusetzen.79 Diese hatte den Auftrag, das Aktienrecht den Anforderungen einer Internationalisierung der Kapitalmärkte und des Wandels der Unternehmensstrukturen entsprechend zu modernisieren, sowie Defizite in der Unternehmensführung und -kontrolle aufzudecken und Lösungen zu erarbeiten.80 Aus diesem Grund wurde u. a. die Pflicht zur jährlichen Abgabe einer Entsprechungserklärung zum Corporate Governance 76 Spindler, in: MünchKommAktG, § 90 Rn. 3; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rn. 14. 77 Auch eine Anknüpfung zum handelsrechtlichen Konsolidierungskreis besteht in § 90 Abs. 1 S. 2 AktG anders als bei den Normverweisen in §§ 131 Abs. 1, 4; 170 Abs. 1; 171 Abs. 1, 2, 3; § 173 Abs. 1 sowie § 175 Abs. 1, 2, 4 AktG nicht. 78 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts zu Transparenz und Publizität vom 19. 7. 2002, BGBl. I S. 2681. 79 Knigge, Transparenz- und Publizitätsgesetz, WM 2002, 1729. 80 Siehe den Auftrag der Kommission BT-Drucks. 14/7515 v. 14. 8. 2001, S. 3.
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3. Kap.: Konvergenz der Verbundkonzepte
Kodex, § 161 AktG eingeführt.81 Auch die bereits seit 1965 bestehende Berichtspflicht in § 90 AktG erfuhr durch das TransPuG eine wesentliche Änderung mit dem Ziel, dem Aufsichtsrat eine effiziente Kontrolle der Geschäftsführung durch Verbesserung des Informationsflusses zu ermöglichen. Diesem Ziel diente die explizite Erweiterung der Regelberichtspflicht auf nachrangige Konzernunternehmen.82 Im Fokus der erweiterten Berichtsplicht stand dabei die Frage nach der erforderlichen Berichtstiefe für die Entwicklungen in Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen.83 Aus welchen Gründen die Erweiterung der Berichtspflicht in § 90 Abs. 1 S. 2 AktG allerdings an das handelsrechtliche Verbundkonzept in § 290 HGB angeknüpft worden ist, bleibt allerdings unklar, zumal das Aktienrecht mit dem Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG einen eigenen Verbundbegriff bereithält, an den die Berichtspflicht ohne weiteres anzuknüpfen vermag. Einen Anhaltspunkt, warum der Gesetzgeber den handelsrechtlichen Verbundtatbestand der Berichtspflicht in § 90 Abs. 1 S. 2 AktG zugrunde gelegt hat, statt auf den eigenen Abhängigkeitstatbestand zu verweisen, liefert auch die Gesetzesbegründung nicht.84 Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: So begründet der RegE die Notwendigkeit einer Erweiterung der Berichtspflicht auf verbundene Unternehmen damit, dass sich die Geschäftspolitik, die Rentabilität, der Gang der Geschäfte und die Lage des Unternehmens nicht sinnvoll und zuverlässig beurteilen lassen, wenn nicht konzernangehörige Unternehmen in die Regelberichtspflicht gem. § 90 Abs. 1 S. 1 AktG aufgenommen werden. Dies gelte gerade „unabhängig davon, ob im Einzelfall ein Konzernabschluss aufzustellen oder ob dies – wegen Inanspruchnahme einer gesetzlichen Befreiung – nicht der Fall ist.“ Auf die Anknüpfung an die Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses kam es dem Gesetzgeber mithin nicht an. Die Erklärung, warum der Gesetzgeber für die Berichtspflicht im AktG ungeachtet einer Konsolidierungspflicht auf das handelsrechtliche und nicht das aktienrechtliche Verbundkonzept verweist, dürfte ebenfalls in der zur Zeit der Ver81
Seibert, Das „TransPuG“-Gesetz, NZG 2002, 608, 611. Spindler, in: MünchKommAktG, § 90 Rn. 5. 83 So wurde einerseits angeführt, dass eine gleichermaßen umfangreiche Berichtspflicht bei Tochterunternehmen wie sie für das Mutterunternehmen besteht zu einer für den Aufsichtsrat nicht mehr zu bewältigenden Informationsmasse führe, Barzen/Kampf, Berichtspflicht des AG Vorstands, BB 2011, 3011, 3012 f. In der Folge vermöge der Vorstand, dem Aufsichtsrat den Blick auf das Wesentliche zu verklären, was dem Normzweck zuwiderliefe. Im Ergebnis sei die Berichtspflicht für nachrangige Unternehmen im Verbund deshalb auf die für die Muttergesellschaft erheblichen Entwicklungen zu begrenzen, Barzen/Kampf, Berichtspflicht des AG Vorstands, BB 2011, 3011, 3012 f.; in der Tendenz auch Koch, in: Hüffer/Koch, § 90 Rn. 7a. Dieser grundsätzlichen Einschränkung halten Krieger und Sailer-Coceani entgegen, dass die explizite Beschränkung in § 90 Abs. 1 S. 2 AktG a. F. mit der Änderung durch das TransPuG gerade entfallen ist, sodass eine derartige Begrenzung im Rahmen der Regelberichterstattung keine gesetzliche Stütze habe, Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 90 Rn. 32. Letztlich ist die Frage des Umfangs der Berichtspflicht bis heute noch nicht abschließend geklärt, so Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 90 Rn. 30; Koch, in: Hüffer/Koch, § 90 Rn. 7a. 84 BT-Drucks. 14/8769, S. 14; vgl. auch Seibert, Das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) 2003, S. 25 f. 82
D. Konvergenz des aktienrechtlichen Verbundkonzepts
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abschiedung des TransPuG geltenden Version des § 290 HGB zu suchen sein. Wie bereits am Beispiel des § 2 Abs. 6 WpÜG erläutert, lag im Jahr 2002 dem § 290 HGB a. F. noch das aktienrechtliche Leitungskonzept zugrunde. Mit dem ursprünglichen Verweis in § 90 AktG auf § 290 HGB a. F. verwies der Gesetzgeber folglich auch auf das eigene, aktienrechtliche Konzernkonzept. Ungeachtet des Verweises auf das Handelsrecht lag § 90 AktG insoweit ein kohärentes, aktienrechtliches geprägtes Verbundkonzept zugrunde. Diese aktienrechtliche Anknüpfung ist allerdings im Zuge der Novellierung des § 290 HGB durch das BilMoG auch für § 90 Abs. 1 S. 2 AktG entfallen. Seither liegt der aktienrechtlichen Regelberichtspflicht nicht der aktienrechtliche Abhängigkeitsbegriff, sondern das internationale Beherrschungskonzept der IAS zugrunde. Dass auch 10 Jahre nach dem BilMoG dieser Anknüpfungswechsel des zugrundeliegenden Verbundkonzepts zu keinen erkennbaren Friktionen oder Rechtsunsicherheit geführt hat, kann als Exempel für eine mögliche Konvergenz auch der übrigen Rechtsfolgenormen und des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands selbst an das europäische bzw. internationale Beherrschungskonzept in § 290 HGB angesehen werden.
Schlussbetrachtung Die Arbeit untersucht die Voraussetzungen beherrschenden und bestimmenden Einflusses der Verbundkonzepte im Aktienkonzernrecht, Kartellrecht und Konzernbilanzrecht. Obwohl die Erfassung mehrerer, in einem Subordinationsverhältnis stehenden Unternehmen allen Verbundkonzepten gemein ist, unterscheiden sie sich nicht nur mit Blick auf Rechtsfolgen und Regelungszweck. Vielmehr unterscheiden sich die Verbundkonzepte auch in den inhaltlichen Voraussetzungen des beherrschenden bzw. bestimmenden Einflusses. Gleichwohl sind die ausgewählten Rechtsgebiete eng miteinander verflochten.1 Dynamische Normverweise, Gesetzesnovellierungen und die Anknüpfung an unterschiedliche Verbundkonzepte innerhalb ein und desselben Rechtsgebiets haben zu einem regelrechten Wildwuchs der Verbundkonzepte sowie Intransparenz von Einflussvoraussetzungen, Gemeinsamkeiten und Unterschieden geführt. Angesichts dessen stellt die Arbeit die Frage, welche Voraussetzungen beherrschendem bzw. bestimmendem Einfluss in den Verbundkonzepten der drei Rechtsgebiete zugrunde liegen. Zum anderen diskutiert die Arbeit, ob und inwieweit de lege ferenda eine Rechts- und Begriffsvereinheitlichung der Verbundkonzepte erreicht werden kann, um einerseits die Rechtssicherheit zu erhöhen und andererseits Synergieeffekte aus der mitunter aufwendigen materiellen Bestimmung des Unternehmensverbunds nutzbar zu machen und so die Rechtsanwendung zu erleichtern. Die Untersuchung beleuchtet die einzelnen Rechtsgebiete und ihre Verbundkonzepte zunächst getrennt voneinander. Das erste Kapitel stellt kursorisch die ausgewählten Verbundtatbestände in den Rechtsgebieten vor und ordnet sie in ihren funktionalen und systematischen Kontext ein. Das zweite Kapitel rollt anschließend die rechtsgeschichtliche Entwicklung der vorgestellten Verbundkonzepte auf, rekonstruiert so das Normverständnis und zeigt etwaige Fehlentwicklungen des jeweils geltenden Begriffsverständnisses auf. Im Dritten Kapitel werden abschließend die Grenzen und Gestaltungsräume einer Konvergenz der herausgearbeiteten Verbundkonzepte innerhalb und zwischen den Rechtsgebieten ausgelotet. Das erste Kapitel beginnt mit der Vorstellung des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands, § 17 AktG. Als Anknüpfungsnorm zahlreicher Rechtsfolgen im AktG und insbesondere in den Vorschriften des materiellen Konzernrechts gilt der Abhängigkeitstatbestand als Zentralbegriff des Konzernrechts.2 Im Gegensatz dazu zeichnet sich die Abhängigkeitsdefinition durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, 1 2
S. 13 ff. S. 19 ff.
Schlussbetrachtung
279
dessen zulässige Einflussgrundlagen auch nach 50-jährigem Bestehen nicht abschließend geklärt sind.3 Im Anschluss an den aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand wird der bilanzrechtliche Verbundtatbestand in § 290 HGB vorgestellt, welcher einerseits die Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Konzernabschlusses für einen Unternehmensverbund mit einer Kapitalgesellschafts als Muttergesellschaft bestimmt, andererseits die Reichweite der in den Konzernabschluss einzubeziehenden Verbundunternehmen absteckt. Abgeschlossen wird das erste Kapitel von einem Überblick über die Verbundtatbestände des Kartellrechts in § 36 Abs. 2 und § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Als Besonderheit zeigt sich hierbei, dass die Tatbestände beide innerhalb der formellen Fusionskontrolle zur Anwendung kommen, sich jedoch gleichwohl konzeptionell nicht unerheblich voneinander unterscheiden. § 36 Abs. 2 GWB rekurriert auf das aktienrechtliche Verbundkonzept zur Erfassung des Unternehmensverbunds für die Schwellenwertberechnung nach § 35 GWB. Demgegenüber kommt das an die europäische Fusionskontrolle angeglichene Kontrollkonzept in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB für die Prüfung des Zusammenschlusstatbestands zur Anwendung. Das zweite Kapitel beginnt mit der Untersuchung des aktienrechtlichen Verbundkonzepts. Für die Auslegung des aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands in § 17 AktG knüpfen die Gesetzesmaterialen an das jeweilige Verständnis der Vorgängernorm an.4 Die Wurzeln des geltenden aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestands in § 17 AktG reichen zurück auf Art. 226 Abs. 4 Notverordnung zum Aktienrecht 1931.5 Weiterentwickelt im Zuge der Novelle 1937, hat die Abhängigkeitsdefinition im AktG 1965 ihre geltende, abstrakte Fassung gefunden. In Berücksichtigung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung und des ursprünglichen Regelungszwecks des Verbundkonzepts lässt sich das heute ganz überwiegend vertretene restriktive Abhängigkeitsverständnis nicht aufrechterhalten. Historischer Regelungszweck der Erfassung verbundener Unternehmen durch den Abhängigkeitstatbestand war die Verhinderung einer Möglichkeit zur Umgehung der auf die Einzelgesellschaft zugeschnittenen aktienrechtlichen Vorschriften durch Einschaltung eines weiteren Unternehmens.6 Daran hat sich im Hinblick der Rechtsfolgetatbestände außerhalb der Vorschriften zum materiellen Konzernrecht im Dritten Buch nichts geändert, vgl. etwa § 89 Abs. 2 S. 2, § 56 Abs. 2 i. V. m. § 71d AktG oder § 136 Abs. 2 AktG. Eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen läuft diesem Regelungszweck vielmehr zuwider.7 Schließlich hat die Kodifizierung des materiellen Konzernrechts zwar den Regelungszweck von § 17 AktG und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen wesentlich erweitert. Allerdings 3 4 5 6 7
S. 20, 46 ff. S. 46 ff. S. 49 ff. S. 51 ff., 54 ff. S. 105 ff.
280
Schlussbetrachtung
lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, dass mit der Implementierung des im Dritten Buch fein austarierten Systems von Schutz- und Ausgleichspflichten innerhalb eines Konzernverbunds eine Einschränkung des Abhängigkeitsverständnisses einhergehen sollte. Vielmehr führt ein restriktives Abhängigkeitsverständnis zu einer Einschränkung des notwendigen Schutzbereichs beherrschter Unternehmen.8 Eine teleologische Reduktion der Beherrschungsgrundlagen ist auch nicht aus Gründen der Rechtssicherheit, etwa durch eine drohende Ausuferung faktischer Konzernverhältnisse angezeigt.9 Vielmehr werden die Gestaltungsmöglichkeiten für eine beherrschende Einflussnahme durch den aktienrechtlichen Organisationsrahmen, insbesondere aufgrund der Satzungsstrenge in § 23 Abs. 5 und der Leitungsautonomie in § 76 Abs. 1 AktG begrenzt, sodass die zulässigen Einflussmöglichkeiten weitgehend konkretisiert werden können.10 Dass sich das herrschende, restriktive Abhängigkeitsverständnis ohnehin nicht konsistent durchhalten lässt, zeigt sich bereits mit Blick auf die Beherrschungsmöglichkeit durch Stimmbindungsverträge, die allein schuldrechtlicher Natur sind. Beherrschender Einfluss im geltenden AktG liegt daher vor, wenn zumindest mittelbar die Möglichkeit zur Durchsetzung der Interessen des herrschenden Unternehmens in allen wesentlichen Fragen der Geschäftsführung besteht, unabhängig der Rechtsnatur der Einflussgrundlage.11 Dem aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand folgt die Untersuchung des bilanzrechtlichen Verbundkonzepts in § 290 HGB. Trotz der Wurzeln des Rechnungslegungsrechts im AktG 1965 und des vergleichbaren Wortlauts des geltenden Verbundtatbestands zu § 17 AktG ist ein Rückgriff auf das aktienrechtliche Beherrschungsverständnis für die Auslegung von § 290 HGB methodisch unzulässig.12 Die aktienrechtliche Anknüpfung des bilanzrechtlichen Verbundkonzepts ist im Zuge des in der Finanzkrise verabschiedeten BilMoG 2009 aufgegeben worden.13 Seither orientieren sich die dortigen Einflussvoraussetzungen an dem Beherrschungskonzept in Art. 22 Abs. 2 lit. a) EU-Bilanzrichtlinie (ex. Art. 1 Abs. 2 lit. a) Konzernbilanzrichtlinie). Dieser liegt jedoch kein originär europarechtliches Begriffsverständnis zugrunde. Vielmehr ist das europäische Beherrschungskonzept dem Begriffsverständnis der Internationalen Regelungsstandards, IAS 27 a. F. und SIC 12 a. F., angelehnt. Obwohl Letztere bereits auf internationaler Ebene durch den IFRS 10 abgelöst wurden, sind sie aufgrund der unverändert geltenden EU-Bilanzrichtlinie für die Auslegung des § 290 HGB heranzuziehen.14 Danach sind die 8
S. 105 ff. S. 107 ff. 10 S. 117 ff., 122 ff. 11 S. 126. 12 S. 147. 13 S. 134 ff. 14 S. 163 ff. 9
Schlussbetrachtung
281
Voraussetzungen beherrschenden Einflusses erfüllt, wenn unabhängig von der Einflussgrundlage,15 eine zumindest mittelbare Durchsetzungsmöglichkeit der Interessen des herrschenden Unternehmens in allen wesentlichen Fragen innerhalb des Kompetenzbereichs der Geschäftsführung gewährleistet werden kann.16 Die das zweite Kapitel abschließende kartellrechtliche Untersuchung wendet sich zunächst der Auslegung der Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB zu. Aufgrund des Normverweises stellt sich die Frage, ob der Unternehmensverbund innerhalb des Kartellrechts ausschließlich im Lichte des gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsund Konzernbegriffs auszulegen ist oder ob die Vorschrift Raum für eine kartellrechtlich-funktionale Auslegung eröffnet.17 Der Blick in die Normhistorie legt nahe, dass der Gesetzgeber, der die Verbundklausel bereits im Zuge der 1. GWB-Novelle 1965 ins GWB einfügte, mit der Übernahme des aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzepts auf ein bereits etabliertes Verbundkonzept im noch jungen Kartellrecht zurückgreifen wollte.18 Daran hat der Gesetzgeber ungeachtet der übrigen Anpassung der Zusammenschlusskontrolle an die Vorschriften der FKVO bis dato festgehalten. Raum für eine kartellrechtlich-funktionale Auslegung besteht daher nicht. Eine Abkehr vom aktienrechtlichen Beherrschungsverständnis wäre bereits mit dem Wortlaut in § 36 Abs. 2 GWB unvereinbar. Das aktienrechtliche Begriffsverständnis bildet nicht nur Vorbild des kartellrechtlichen Verbundkonzepts, sondern auch zugleich dessen Auslegungsgrenze, weshalb eine nur entsprechende Auslegung bzw. Modifizierung durch eigene wettbewerbsrechtliche Zurechnungskonzepte unzulässig ist. Das geltende, restriktive Abhängigkeitsverständnis steht derweil dem Regelungsziel der Verbundklausel, die tatsächliche wirtschaftliche Größe und damit Wettbewerbsmacht des Unternehmensverbunds abzubilden, entgegen. Um diese Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist bei dem der Verbundklausel zugrunde liegendem Begriffsverständnis von einem kohärenten, unbeschränkten aktienrechtlichen Abhängigkeitstatbestand auszugehen, wie es bereits im Zuge der aktienrechtlichen Untersuchung herausgearbeitet worden ist.19 Im Gegensatz zur Verbundklausel wird der Kontrollbegriff innerhalb des Zusammenschlusstatbestands in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB durch das europäische Kontrollverständnis in Art. 3 Abs. 2 FKVO geprägt. Erklärtes Ziel des deutschen Gesetzgebers war es, gerade im Zuge der 6. GWB-Novelle das deutsche Wettbewerbsrecht an das etablierte Kontrollkonzept der europäischen Fusionskontrolle zu adaptieren.20 Aus diesem Grund kann für die Auslegung des Kontrollbegriffs des GWB vollumfänglich auf die europäischen Gesetzesmaterialien zurückgegriffen werden. Bestimmender Einfluss nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB liegt daher vor, wenn 15 16 17 18 19 20
S. 183 ff. S. 191f. S. 202 ff. S. 202 ff. S. 210 ff. S. 214 ff.
282
Schlussbetrachtung
eine zumindest mittelbare Möglichkeit zur Einflussnahme auf alle wesentlichen Fragen innerhalb der Kompetenz der Geschäftsführung gewährleistet ist.21 Die Art der Einflussgrundlage ist dagegen nicht von Bedeutung. Die Durchsetzungsmöglichkeit von Entscheidungen des kontrollierenden Unternehmens auch gegen die Interessen des kontrollierten Unternehmens ist allerdings keine zwingende Voraussetzung einer Kontrollbegründung. (Negative) Kontrolle liegt vielmehr bereits dann vor, wenn die Möglichkeit besteht, strategisch wichtige Entscheidungen des kontrollierten Unternehmens zu blockieren.22 Ebenfalls muss keine Kontrolle über ein Unternehmen als Ganzes bestehen. Für einen Zusammenschluss genügt bestimmender Einfluss und damit Kontrolle bereits über Unternehmensteile mit eigenständiger Marktpräsenz. Trotz der substanziellen inhaltlichen Schnittmenge der Voraussetzungen aktienrechtlicher Beherrschung nach § 36 Abs. 2 GWB und Kontrolle im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB sind die Tatbestände in wesentlichen Voraussetzungen inkongruent. Kontrollierte Unternehmen nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB sind daher nicht ohne weiteres in die Berechnung der Umsatzschwellenwerte nach § 35 GWB in den Unternehmensverbund nach § 36 Abs. 2 GWB einzubeziehen. Maßgeblich sind dafür allein die Voraussetzungen beherrschenden Einflusses. Mit Blick auf die einzelnen Parameter bestimmenden Einflusses lässt sich zusammenfassen, dass bestimmender Einfluss im Sinne des GWB grundsätzlich von einem umfassenden Einflussumfang ausgeht, mithin eine Möglichkeit der Einflussnahme auf alle wesentlichen Fragen der Geschäftsführung voraussetzt.23 Bestimmender Einfluss vermittelt darüber hinaus die Möglichkeit, Entscheidungen auch gegen die Interessen etwa von Minderheitsgesellschaftern durchzusetzen24 oder – im Falle negativer Kontrolle – strategisch wichtige Entscheidungen des kontrollierten Unternehmens zu blockieren.25 Zudem ist er auf Langfristigkeit angelegt, ohne jedoch feste Zeitschwellen aufzustellen. Gleichzeitig muss die Einflussmöglichkeit tatsächlich gegeben sein. Nicht notwendig ist derweil eine tagesaktuelle Ausübungsmöglichkeit des Einflusses. Ausreichend ist vielmehr eine turnusgemäße Einflussmöglichkeit, wie sie im Falle der Hauptversammlungsmehrheit in der Regel einmal pro Jahr besteht. Vor diesem Hintergrund können auch kurzfristige und bedingungslose Optionsrechte eine Einflussmöglichkeit begründen. Schließlich geht das Kontrollverständnis von einer grundsätzlich unbeschränkten Zulässigkeit der 21
S. 220 ff. S. 222 ff. 23 Konsolidierte Mitteilung, ABl. EU Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 67; so auch Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 25 ff.; Körber, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 28; Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59. 24 Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 19 Rn. 59; Kommission, Entscheidung v. 19. 1. 2005, Rechtssache M.3556 „Fortis/BCP“, Tz. 7 ff.; Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 16, 54. 25 Konsolidierte Mitteilung, ABl. (EU) Nr. C 43/09 v. 21. 2. 2009, Rz. 54; Montag/Kacholdt, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, § 4 Rn. 15; Wessely/ Wegner, in: MünchKommWettbewerbsrecht, Art. 3 FKVO Rn. 44. 22
Schlussbetrachtung
283
Mittel bestimmenden Einflusses aus, sofern sie nur die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllen. Auf eine etwaige gesellschaftsrechtliche Verankerung des Einflusses kommt es nicht an. Im Ergebnis zeichnet sich damit – hinsichtlich positiver Kontrolle – eine ganz erhebliche Schnittmenge zu den Parametern bestimmenden Einflusses in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB und den Parametern beherrschenden Einflusses im AktG ab, auf das die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB rekurriert. Dies gilt insbesondere dann, wenn dem aktienrechtlichen Beherrschungsbegriff das hier vertretene, unbeschränkte Einflussverständnis, zugrunde gelegt wird. Divergenzen im Untersuchungsspektrum bestehen hinsichtlich des Einflusszuschnitts, welcher sich im Kontrollbegriff auch auf abgrenzbare Unternehmensteile beziehen kann, während das Aktienrecht vom Unternehmen als Ganzes ausgeht. Auch mit Blick auf die negative Kontrolle, welche im Gegensatz zum AktG im GWB als Grundlage bestimmenden Einflusses anerkannt ist, besteht eine inhaltliche Inkongruenz zwischen den Verbundtatbeständen. Von einer Gleichsetzung bestimmenden Einflusses nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB und beherrschenden Einflusses nach § 17 AktG kann daher nicht gesprochen werden.26 Das dritte Kapitel erörtert eine mögliche Konvergenz der untersuchten Verbundtatbestände de lege ferenda, angefangen mit den Verbundkonzepten innerhalb des GWB. Aufgrund der angestrebten Europäisierung kommt insoweit nur eine Ersetzung der bislang aktienrechtlich geprägten Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB durch das Kontrollkonzept in Betracht. Eine solche Angleichung der Verbundkonzepte erscheint derweil nicht nur wünschenswert, sondern vielmehr überfällig. Im GWB sind beide Verbundkonzepte materiell-rechtlich geprägt und kommen in unmittelbar zeitlichem Zusammenhang im Rahmen der formellen Zusammenschlusskontrolle zur Anwendung. Die doppelt materielle Prüfung steht dem Sinn und Zweck der formellen Fusionskontrolle, den Prüfungsumfang im Rahmen der Fusionskontrolle effizienter zu gestalten und zu verschlanken, entgegen.27 Nicht zuletzt läuft auch das Festhalten der Verbundklausel am national geprägten, gesellschaftsrechtlichen Verbundkonzept dem Bemühen um die Schaffung eines Wettbewerbsrechts im Einklang mit der europäischen Fusionskontrolle zuwider. Eine Angleichung der Verbundkonzepte ist trotz bestehender Divergenzen de lege ferenda möglich. Die inhaltliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Verbundklausel im Falle der Adaption des Kontrollkonzepts steht dem Regelungszweck der Verbundklausel nicht entgegen. Eine Konvergenz des Kontrollkonzepts über das GWB hinaus etwa hinsichtlich des bilanzrechtlichen Beherrschungskonzepts in § 290 HGB bleibt hingegen außer Betracht. Sowohl der Kontrollbegriff als auch das bilanzrechtliche Beherrschungskonzept sind europarechtlich überlagert und eröffnen keine Gestaltungsmöglichkeiten für eine Angleichung der Verbundkonzepte im nationalen Recht de lege ferenda. Anders sieht dies für den Abhängigkeitstatbestand in § 17 AktG aus, dem kein 26 27
So aber Schütz, in: KK-Kartellrecht, § 37 GWB Rn. 36. S. 246 ff.
284
Schlussbetrachtung
europäisches Sekundärrecht zugrunde liegt. Gleichwohl ist eine Angleichung des aktienrechtlichen Beherrschungskonzepts über die Verbundklausel in § 36 Abs. 2 GWB hinaus auf das Aktienrecht insgesamt abzulehnen. Die bestehende Inkongruenz der Voraussetzungen des kartellrechtlichen Verbundkonzepts ist zu substantiell, als dass sie mit den Regelungszwecken der Rechtsfolgen innerhalb des Aktienrechts zu vereinbaren ist.28 Das materielle Konzernrecht dient primär dem Schutz abhängiger Unternehmen, welche der Einflussmacht des herrschenden Unternehmens nichts entgegensetzen können. Eine Herabsetzung der Einflussintensität auf die Möglichkeit der negativen Kontrolle begründet Zweifel an dieser Schutzbedürftigkeit der kontrollierten Unternehmen, bei denen eine Interessendurchsetzung gerade nicht möglich ist. Allenfalls käme eine Teilangleichung des Aktienrechts in Betracht, welche etwa allein auf die positive Kontrollmöglichkeit und damit Durchsetzungsfähigkeit bestimmenden Einflusses beschränkt wäre. Damit wäre dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung jedoch ein Bärendienst erwiesen, da ungeachtet des etwaig identischen Wortlauts der Verbundbegriffe letztlich doch zwischen Aktienund Kartellrecht unterschiedliche Anforderungen an bestimmenden Einfluss gestellt würden, die einer angestrebten Rechtsvereinheitlichung zuwiderliefen.29 Aufgrund der bestehenden Divergenzen zwischen dem Kontrolltatbestand und dem aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff ist eine Vereinheitlichung auf Grundlage der etablierten Verbundkonzepte nicht zu erreichen. Zu einem anderen Ergebnis gelangt die Gegenüberstellung von bilanzrechtlichem Beherrschungskonzept in § 290 HGB und § 17 AktG. Das hier vertretene, unbeschränkte Abhängigkeitsverständnis im Aktienrecht zugrunde gelegt, sind die Verbundkonzepte inhaltlich kongruent.30 Die mit dem hohen Abstraktionsgrad einhergehende Rechtsunsicherheit und Anwendungsschwierigkeit des Abhängigkeitstatbestands unterstreicht die Vorzugwürdigkeit des bilanzrechtlichen Beherrschungskonzepts in § 290 HGB. Letzteres findet zudem als Zurechnungskonzept über die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses hinaus, etwa in § 7 Nr. 29 VAG, § 2 Abs. 6 WpÜG, § 25 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, § 1 Nr. 17 KWG sowie § 210 Abs. 3 VVG einen weitaus höheren Verbreitungsgrad als das Aktienrecht. Vielmehr verweist § 90 Abs. 1 S. 2 AktG selbst seit dem TransPuG 2002 hinsichtlich der Informationspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat über verbundene Unternehmen auf das bilanzrechtliche Beherrschungskonzept, ohne dass es zu ersichtlichen Wertungswidersprüchen zwischen den Verbundkonzepten gekommen ist.31 Allein das Damoklesschwert einer potentiellen Anpassung der EU-Bilanzrichtlinie an den geltenden internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS 10 für konsolidierte Abschlüsse und damit einhergehenden Novellierung des § 290 HGB könnte gegen eine Konvergenz der Verbundkonzepte eingewendet werden. Mangels kon28 29 30 31
S. 265 ff. S. 265 ff. S. 268 ff. S. 273 ff.
Schlussbetrachtung
285
kreter Anhaltspunkte für eine solche Entwicklung bleibt dieser Einwand allerdings hypothetischer Natur. Eine Angleichung der Verbundkonzepte könnte daher ohne Weiteres de lege ferenda vorgenommen werden.
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Stichwortverzeichnis Abstraktionsgrad des aktienrechtlichen Abhängigkeitskonzepts 21, 92, 105 Aktienrechtliche Abhängigkeit – Beständigkeit 56, 89 – Einflussgrundlagen – extern vermittelter Einfluss 20, 63, 79, 111, 113, 124 – gesellschaftsrechtlich vermittelter Einfluss 25, 61, 77, 93, 107 – 110, 126 – kombinierte Beherrschung 25, 112 – Entstehungsgeschichte 20, 49, 70, 92 – Intensität 56, 86 – Umfang 56, 85 Aufgreifkriterien der formellen Fusionskontrolle 39, 41, 253, 258 Auskunftsanspruch – des Aktionärs 69 – des Aufsichtsrats 54, 68, 176, 275 – 276 Beherrschender Einfluss – im AktG siehe Aktienrechtliche Abhängigkeit – nach HGB/IAS a. F. – Beständigkeit 179 – 183 – Entstehungsgeschichte 127 – 136, 147 ff., 157 – 162 – Grundlagen 183 – 189 – Intensität 177 – 179 – Umfang 170 – 176 Berichtspflicht über abhängige Unternehmen 14, 55, 275 – 276 Bestimmender Einfluss siehe Kontrollerwerb im Kartellrecht Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge 63, 82, 111, 115, 121, 237, 245 Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – Novellierung des Verbundkonzepts, HGB 134 – 136, 145 – Ursprünglicher Regelungszweck 136
BuM-Entscheidung des BGH 95, 108, 207 Business Combination Agreements 115, 121 Control-Konzept im Bilanzrecht 33, 132, 135, 137, 143, 149, 153 – 156, 193 Covenants, Einflussmöglichkeit 115, 121, 239 Einfluss durch Sperrminorität 60, 88 – 89, 224, 233, 270 Einflussgrundlagen – für das Aktienrecht siehe Aktienrechtliche Abhängigkeit – für das Bilanzrecht siehe Beherrschender Einfluss nach HGB – für das Kartellrecht siehe Kontrollerwerb im Kartellrecht Eingreifkriterien der materiellen Fusionskontrolle 40, 213, 255, 257 Einheit der Rechtsordnung im Hinblick auf Verbundkonzepte 128, 147, 204 Entherrschungsvertrag 166 Entmachtung der Hauptversammlung 67, 73, 85, 97 Erwerb eigener Aktien durch abhängige Unternehmen 20, 50, 51 – 54, 68 Faktischer Konzern – Entwicklung 102 – 104 – Weisungsfreiheit 86 – 88, 122 – 123 Finanzmarktkrise 2008, Auswirkungen auf die Konzernrechnungslegung 143 – 145 Freiburger Schule, Einfluss auf die Konzernrechtsdiskussion 97, 99 Gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen – im Kartellrecht 203, 206, 209, 237, 241, 279 – nach DRS 198 – 199 Gläubigerschutz im Konzern 51, 102, 105
304 Hybrides Beherrschungskonzept
Stichwortverzeichnis 192 – 193
Interessenpluralität im Konzernverbund 19 Internationale Rechnungslegungsstandards 133 – 134, 157, 162 ff., 170 ff. Kartell- und Konzernbildung nach dem Ersten Weltkrieg 97, 201 Kombinierte Beherrschung siehe Aktienrechtliche Abhängigkeit Kompetenzordnung im Aktienrecht – im AktG 1937 67 – 70 – im geltenden Recht 84 – 85, 99, 117 – in der Notverordnung 1931 57 – 58, 59 – 65 Kontextabhängiges Einflussverständnis 23, 87, 93 ff., 147 – 148, 206 Kontrollerwerb im Kartellrecht – Beständigkeit 225 – 228 – Entstehungsgeschichte 214 – 220 – Europäisches Verständnis 217 ff. – Grundlagen 228 ff. – Intensität 222 – 225 – Umfang 220 – 222 Konvergenz der Verbundtatbestände 15, 249 ff. Konzentrationsverbot im Kartellrecht 38, 43, 259 Konzernabschluss – Informationsmehrwert 32 – 33, 130 – Konzerngefahr 19 – Monofunktionalität 31 Konzernrechnungslegung – Entstehungsgeschichte 129 – 130 – Europäisierung 131 – 133 Konzernrecht – als Organisationsrecht 105 – als Schutzrecht 99 – 101 – Entstehungsgeschichte im AktG 1965 97 ff. – ungeschriebenes 48 – 49 Kreditgewährung an Vorstände abhängiger Unternehmen 54, 68 Lehman Brothers 145, 147 Leitungsautonomie des AG-Vorstands 80, 83, 96, 111, 116, 122
65,
Minderheitenschutz im Konzern 99 ff., 105, 233 Mittel beherrschenden Einflusses siehe Einflussgrundlagen Negativer Einfluss – im Aktienrecht 88, 245, 267 – im Bilanzrecht 178 – im Kartellrecht 223 – 224, 231 – 233, 246 Neustaßfurt-Entscheidung des Reichsgerichts 50 Normzweckdiversität aktienrechtlicher Anknüpfungstatbestände 23, 46, 70 Notverordnung 1931 49, 51, 53 – 55 Organisatorische Abhängigkeit siehe gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussgrundlagen Reformdiskussion des Konzernrechts 97 ff. Reformierung des handelsrechtlichen Verbundkonzepts 134 ff., 145, 157 ff. Relativität von Rechtsbegriffen – im Hinblick auf den Unternehmensbegriff 24, 148, 200 – im Hinblick von Normverweisen 93, 147, 148, 205 Satzungsstrenge im Aktienrecht 61, 77, 105, 119, 186, 210, 245, 264, 280 Schädigungsprivileg im Konzern 104 Seitz-Entscheidung des BGH 108, 267 Stimmbindungsvereinbarungen – Einflusspotential 116, 124 – 127, 185 – Rechtsnatur 124 Stimmrechtsoptionen 90, 180 – 181, 197, 240 – 243 Stimmrechtsverbot abhängiger Unternehmen 20, 69, 124 Studiengruppe Elmendorff 151 Subprime loans 143 – 144 System der Normativbestimmungen, Abkehr vom Konzessionssystem 51 Thega-Entscheidung des Reichsgerichts 71, 75, 86 – 87, 93, 118
Stichwortverzeichnis Verbundklausel – im nationalen Kartellrecht 41 – 43, 199 ff. – in der Fusionskontrollverordnung 239, 250 ff. Verschleierung wirtschaftlicher Verhältnisse durch Konzernunternehmen 13, 55, 71, 82, 140, 143 – 145, 279 Vertragskonzern 96, 101 ff., 119, 126 Vetorechte, Einflussmöglichkeit 175, 224 – 225, 233 – 235, 245 – 246, 267 Vorstand, Kompetenzen in der AG 57, 62, 67 ff., 80, 84, 87, 110, 116 – 118 Vorwirkende Abhängigkeit 90 Weisungsrechte 60, 63 – 64, 78, 80 – 82, 85, 87, 93 – 94, 105, 111, 116 – 121, 178, 189 Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren 50 – 53
305
Wildwuchs der Verbundkonzepte 13 – 15, 278 Wirtschaftliche Abhängigkeit siehe extern vermittelte Einflussgrundlagen Wirtschaftspolitische Neutralität des Aktiengesetzes 95 – 96, 106 Zentralbegriff des Konzernrechts 19 ff., 278 Zurechnungsklausel-Entscheidung des BGH 25, 95, 204, 270 Zusammenbrüche der Favag, Nordwolle und Danatbank 53 – 54 Zweckgesellschaften/Special Purpose Entitys – Einfluss auf das BilMoG 2009 136 – 137, 143 – 147 – Funktion und Nutzen 137 – 140 – Konsolidierung 140 – 143, 146 – 147