Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen [1 ed.] 9783428519576, 9783428119578

Der Vertrauensschutz des Angeklagten im Zusammenhang mit Absprachen wird überwiegend dem fair-trial-Grundsatz zugeordnet

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German Pages 539 Year 2006

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Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen [1 ed.]
 9783428519576, 9783428119578

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 173

Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen

Von

André Graumann

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANDRÉ GRAUMANN

Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 173

Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen

Von

André Graumann

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Gerhard Fezer, Hamburg Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-11957-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern und Sylwia

Vorwort Der Große Senat für Strafsachen des BGH hat in seinem Beschluß vom 3. März 2005 (Az: GSSt 1 / 04; StV 2005, 311 = NJW 2005, 1440 = StraFo 2005, 239 = JZ 2005, 628 = NStZ 2005, 389 = wistra 2005, 261) nicht nur wichtige Antworten im Zusammenhang mit der Problematik der Urteilsabsprachen im Strafprozeß gegeben (hinsichtlich des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten im Rahmen solcher Absprachen), sondern auch wichtige Fragen gestellt, die von Rechtsprechung und Wissenschaft künftig noch zu beantworten sind. Der Klärung bedürfe die Frage nach der Reichweite der (vom BGH angenommenen) Bindungswirkung der gerichtlichen Strafmaßzusage. Zudem stelle sich die Frage nach der Verwertbarkeit des „vorgeleisteten“ Geständnisses, wenn die Bindungswirkung entfällt. Damit ist vom Großen Senat die Frage nach den Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Vertrauensschutzes des Angeklagten bei Vornahme einer Urteilsabsprache angesprochen worden. Eine Beantwortung wird dadurch erschwert, daß anders als etwa im Verwaltungsrecht eine Vertrauensschutzdogmatik im Strafverfahrensrecht bislang nicht existiert. Mit der vorliegenden Untersuchung wird der Versuch unternommen, die Problematik des Vertrauensschutzes des Angeklagten im Zusammenhang mit strafprozessualen Absprachen dogmatisch aufzuarbeiten und einen Beitrag zur Beantwortung der nunmehr auch vom Großen Senat aufgeworfenen Fragen zu leisten. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis Juli 2005 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Gerhard Fezer, für die hervorragende Betreuung der Arbeit. Er hat mir bei der Anfertigung der Arbeit größtmöglichen Freiraum gelassen und war zugleich jederzeit bereit, in kürzester Zeit meine Entwürfe zu lesen und zu besprechen. Auch wurden dadurch und durch die äußerst zügige Erstellung des Erstgutachtens die Anfertigung der Arbeit und das Promotionsverfahren ganz erheblich beschleunigt. Ich danke auch meinem Bruder Matthias für die Unterstützung beim Korrekturlesen, Herrn Dr. Frank Meyer für die Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema des Vertrauensschutzes im Strafprozeß und Herrn Professor Dr. Dr. h. c. FriedrichChristian Schroeder für die Aufnahme der Arbeit in die „Strafrechtlichen Abhandlungen, N. F.“.

8

Vorwort

Ich widme diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit meiner Frau und meinen Eltern. Hamburg, im August 2005

André Graumann

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Teil Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen in Rechtsprechung und Literatur

30

I. Die Urteilsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

II. Die Prozeßumfangsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

III. Ausblick auf die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

2. Teil Der Vertrauensbegriff

80

I. Bedeutung des Vertrauensbegriffs für den Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

II. Erforderlichkeit einer eigenständigen Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

III. Das zu schützende Vertrauen des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

3. Teil Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes im Strafprozeß

92

I. Der Grundsatz des fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

II. Fürsorgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

III. Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

IV. Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

10

Inhaltsübersicht VI. Die Grundrechte als Grundlage eines strafprozessualen Vertrauensschutzes . . . . 116 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Teil Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes bei der Urteilsabsprache

184

I. Die mit dem geltenden Strafprozeßrecht zu vereinbarende Urteilsabsprache – Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches gegen die vertrauensschaffende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 III. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 IV. Rechtsfolgen – Der Inhalt des grundrechtlichen Abwehranspruches . . . . . . . . . . . . 451 V. Grundrechtlicher Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 VI. Zusammenfassende Übersicht – Vertrauensschutz bei Urteilsabsprachen . . . . . . . 477 VII. Bewertung des Diskussionsentwurfs für eine gesetzliche Regelung der Verständigung in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 5. Teil Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes bei der Prozeßumfangsabsprache

488

I. Die mit dem geltenden Strafprozeßrecht zu vereinbarende Prozeßumfangsabsprache – Schutz des Beschuldigten auf einfach-gesetzlicher Ebene . . . . . . . . . . 488 II. Grundrechtlicher Abwehranspruch gegen die vertrauensschaffende Maßnahme

497

III. Grundrechtlicher Abwehranspruch gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 IV. Grundrechtlicher Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Teil Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen in Rechtsprechung und Literatur

30

I. Die Urteilsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

1. Begriff und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

2. Vertrauen als Grundlage und grundlegendes Problem der Absprachen . . . . . . .

33

3. Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 36, 210 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

4. Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

aa) Bindungswirkung und Hinweis bei zulässiger Abweichung von der Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

bb) Konkretisierung der Bindungswirkung durch den 5. Strafsenat (BGH StV 2004, 471) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

cc) Die Bindungswirkung aus Sicht des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

dd) Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Geständnisses . . . . . . . . . . . .

66

c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

II. Die Prozeßumfangsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

III. Ausblick auf die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

12

Inhaltsverzeichnis 2. Teil Der Vertrauensbegriff

80

I. Bedeutung des Vertrauensbegriffs für den Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

II. Erforderlichkeit einer eigenständigen Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

III. Das zu schützende Vertrauen des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

3. Teil Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes im Strafprozeß

92

I. Der Grundsatz des fairen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

II. Fürsorgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

III. Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

1. Treu und Glauben im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Bedenken gegen einen Rückgriff auf Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Fehlende rechtliche Relevanz eines ungeschriebenen Grundsatzes von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Fazit für die weitere Untersuchung: Subjektives Recht als Grundlage eines Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 IV. Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Rechtssicherheit als Ausdruck der Ordnungsfunktion des Rechts . . . . . . . . . . . . 110 2. Mangelnde Ordnungsfunktion vertrauensschaffender Maßnahmen im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Fazit für die weitere Untersuchung: Funktion der vertrauensschaffenden Maßnahme als Hinweis auf die Grundlage des erforderlichen subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 VI. Die Grundrechte als Grundlage eines strafprozessualen Vertrauensschutzes . . . . 116 1. Grundrechtlicher Abwehranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Inhaltsverzeichnis

13

a) Überblick über die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Abwehranspruch aus Art. 2 II 2 GG, Art. 2 I GG (Vermögen) und Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG (Ehr- und Achtungsanspruch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Abwehranspruch aufgrund einer Beeinträchtigung der prozessualen Subjektstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Aussagefreiheit – Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts . . . (a) Inhalt des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Persönliche Informationen des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . (c) Persönlichkeitsbezug der Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 132 134 136

(2) Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (a) Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (aa) Erhebung als Beeinträchtigung oder Ausdruck der Willensentschließungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (bb) Standort im Rahmen der Eingriffsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . 142 (cc) Fazit und Ausblick auf die weitere Untersuchung . . . . . . . . 145 (b) Informationsverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (aa) Beeinträchtigung oder Ausdruck informationeller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (bb) Beeinträchtigung trotz freier Preisgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (cc) Bedingungswidrige Verwendung als Voraussetzung der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (dd) Zwischenergebnis: Grundrechtlicher Schutz gegen vertrauensenttäuschende Informationsverwendung . . . . . . . . . 150 (ee) Begrenzung als Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (ff) Fazit und Ausblick auf die weitere Untersuchung . . . . . . . . 153 (3) Verhältnis zu anderen prozessualen Gewährleistungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (a) Nemo-tenetur-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (b) Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 103 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (1) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (a) Art. 103 I GG als Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (b) Vertrauensschutz vorrangig Frage des Abwehrrechts . . . . . . . . 163 (2) Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Allgemeine Handlungsfreiheit – Art. 2 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (2) Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

14

Inhaltsverzeichnis 2. Grundrechtlicher Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Überblick über die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Schutzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Förderungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Leistungsanspruch zum Schutz oder zur Förderung der prozessualen Subjektstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Teil Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes bei der Urteilsabsprache

184

I. Die mit dem geltenden Strafprozeßrecht zu vereinbarende Urteilsabsprache – Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Inhalt und Zustandekommen der Urteilsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) § 136a I 3 StPO – Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Das Geständnis als Strafzumessungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (2) Die Rechtmäßigkeit des angekündigten Strafmaßes . . . . . . . . . . . . . . (a) Für die Strafzumessung irrelevante Gründe eines Fehlschlages der Urteilsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fehlschlag aufgrund neu hervorgetretener oder vom Gericht bei der Absprache übersehener tatsächlicher Umstände . . . . . . (c) Fehlschlag aus rechtlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Kein Ermessen des Gerichts bei der Strafzumessung . . . . . . . . (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 195 196 197 199 201

(3) Die Zulässigkeit der Antizipation des Verfahrensergebnisses . . . . . 204 (a) Tatsächliche Möglichkeit der Antizipation („Prognosegewißheit“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (b) Rechtliche Möglichkeit der Antizipation („Selbstbindungsmacht“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Inaussichtstellen als maßgebliches Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Einschränkung aufgrund des objektiv-überindividuellen Zwecks des § 136a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (3) Erforderlichkeit eines gesteigerten Handlungsunrechts . . . . . . . . . . 217 (4) Ergebnis: Von Vertrauensenttäuschung unabhängiger Schutz der Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

Inhaltsverzeichnis

15

b) § 136a I 3 – Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 220 c) § 136a I 1 StPO – Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Fehlvorstellung bezüglich der Strafmaßprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Fehlvorstellung bezüglich Rechtmäßigkeit des Zustandekommens der Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 d) Art. 6 I 1 EMRK, Art. 14 III lit. g) IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 e) Urteilsabsprache als prozessual zulässige Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . 227 f) § 169 S. 1 GVG – Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 g) Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 h) Grundsatz der richterlichen Unbefangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 i) Verbot der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Die Realisierung oder Nicht-Einhaltung der Urteilsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Amtsaufklärungsgrundsatz – § 244 II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) § 261 StPO, Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) § 265 StPO als Grundlage einer gerichtlichen Hinweispflicht bei fehlgeschlagenen Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) § 265 IV StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Veränderung der Sachlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Angemessenheit der Aussetzung zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (3) Möglichkeiten einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung . . . . . 240 bb) § 265 I, II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (1) Anforderungen an eine Gesetzeslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (2) Wertungsmäßige Vergleichbarkeit als Voraussetzung einer Lückenfüllung durch Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Hinweis durch das Gericht zur Beseitigung eines in der Vornahme der Absprache liegenden Verfahrensfehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches gegen die vertrauensschaffende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Die von den Grundrechten gewährleistete Willensentschließungsfreiheit

256

b) Arten der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

16

Inhaltsverzeichnis c) Motivationsbestimmendes staatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 d) Beeinträchtigung durch tatsächliche Einwirkung auf die entscheidungserheblichen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Intensität des psychischen Drucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Ausschluß sinnvoller Verhaltensalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 cc) Irrationalität und Unzumutbarkeit des Anders-Handelns . . . . . . . . . . . . . 268 (1) Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (2) Grundlage: Subsidiarität staatlichen Schutzes gegenüber der Selbstverantwortung des Grundrechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (3) Maßstab des besonnenen und gewissenhaften Dritten . . . . . . . . . . . . (a) Grundrechtlich geschützte Freiheit und Selbstbestimmung als Selbstzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Freiheit als Grundlage subjektiv-vernünftigen Verhaltens . . . . (c) Bedeutung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273 274 277 279

(4) Zwischenergebnis: Weder objektive noch subjektive Unzumutbarkeit als Beeinträchtigungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 dd) Alternativität grundrechtlich gewährleisteter Rechtspositionen . . . . . . 283 (1) Vorhandene Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (2) Abgrenzung zu den bedingten Verhaltensgeboten und -verboten

286

(3) Kumulative Gewährleistung grundrechtlicher Positionen . . . . . . . . 287 (4) Zwischenergebnis: Beeinträchtigung bei Herstellung einer Alternativität durch die staatliche Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (5) Voraussetzungen der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erforderlichkeit und Eignung der Interessenpreisgabe zum Erhalt eines Grundrechtsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Eingriffscharakter der drohenden Beeinträchtigung des Grundrechtsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Problem: Rechtswidrigkeit der drohenden Beeinträchtigung? (d) Unterscheidung zwischen prima-facie- und definitiver Grundrechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Freiheitserweiterung durch Schaffung einer Abwendungsmöglichkeit als Argument gegen eine Beeinträchtigung? . . . . . . . . (f) Rechtmäßigkeit des drohenden Eingriffs als Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beeinträchtigung . . . . . . . (g) Kontrolle des Ergebnisses: Ausreichende Berücksichtigung des Abwendungsinteresses des Grundrechtsträgers? . . . . . . . . . (h) Zwischenergebnis: Gefundenes Ergebnis als umfassende Berücksichtigung der grundrechtlichen Interessen des Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 292 293 295 299 301 303 307

315

(6) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Inhaltsverzeichnis

17

ee) Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 (1) Eingriff durch die Strafmilderungsmöglichkeit des § 46 StGB . . . (a) Erforderlichkeit und Eignung der Interessenpreisgabe trotz Entscheidungsoffenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Beeinträchtigung bei objektiv-tatsächlicher Möglichkeit der Alternativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Grenze: Voraussetzungen für Eingriffsabwendung nicht gegeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eingriff durch die Strafmaßprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Alternativität grundrechtlicher Interessen bei Reue und Einsicht des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fehlen der Voraussetzungen einer Strafmilderung . . . . . . . . . . . (c) Eigenständige Eingriffsqualität der Strafmaßprognose . . . . . . .

318 320 321 323 326 327 327 328 331

(3) Zwischenergebnis: Beeinträchtigung durch § 46 StGB und die Strafmaßprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (4) Grundrechtsverzicht bei Zustimmung zur Strafmaßprognose? . . . . (a) Grundlage und Wirkung des Grundrechtsverzichts . . . . . . . . . . (b) Freiwilligkeit als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

335 336 338 340

(5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 ff) Rechtliches Gehör und Rechtsmittelbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 e) Beeinträchtigung durch Hervorrufen einer Fehlvorstellung über die entscheidungserheblichen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Anforderungen an die staatliche Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (1) Objektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 (2) Subjektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 bb) Gegenstand des Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 (1) Beschränkung auf rechtsgutsbezogene Irrtümer? . . . . . . . . . . . . . . . . 345 (2) Beschränkung auf objektiv-entscheidungserhebliche Umstände?

347

(3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 cc) Maßstab bei der Feststellung des Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (1) Obliegenheit zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (2) Maßstab des objektiven Dritten in der Situation des Grundrechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2 Graumann

18

Inhaltsverzeichnis dd) Konkretisierung des Maßstabes bei staatlicher Informationserteilung

353

(1) Grundsatz: Erwartung von Richtigkeit und Vollständigkeit der staatlichen Informationserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 (2) Erkennbarkeit der Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 ee) Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 ff) Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 gg) Rechtsmittelbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 f) Ergebnis: Eingriff in die prozessuale Subjektstellung durch die vertrauensschaffende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 a) Eingriff durch § 46 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 aa) Wesensgehaltsgarantie gemäß Art. 19 II GG – Kernbereich des Grundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 bb) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (1) Abwägung beider Interessen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (2) Besonderheiten des Interessengegensatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Eingriff auch im Interesse des beeinträchtigten Angeklagten (b) Beeinträchtigungserfolg nur bei Mitwirkung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375 375 377 378

(3) Abwägungsbefugnis des Grundrechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 (5) Grenzen der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffes in die Willensentschließungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 b) Eingriff durch die Strafmaßprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 aa) § 46 StGB als Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (1) Eingriff zum Zweck der Geständniserlangung aus generalpräventiven Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 (2) Eingriff zum Zweck der Information des Angeklagten . . . . . . . . . . . 386 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (4) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Inhaltsverzeichnis

19

bb) Rechtfertigung durch die StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 (1) Ermächtigung im Zusammenhang mit der Pflicht zur Sachaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 (2) Rechtfertigung durch den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 (3) § 136 II StPO als Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Befugnis zur verteidigungsfördernden Vernehmungsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zustimmungserfordernis bei beeinträchtigender Information (c) Differenzierung nach der Ursache des Scheiterns der Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

396 397 399 400

(4) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 III. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 1. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 a) Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 b) Das öffentliche Interesse an der Informationsverwendung . . . . . . . . . . . . . . . 411 aa) Verfassungsrechtlicher Rang des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 bb) Konkrete Gewichtigkeit des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 c) Das Interesse des Angeklagten an der Informationsverwendung . . . . . . . . . 415 aa) Gewichtigkeit aufgrund der Art der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 bb) Gewichtigkeit aufgrund der Verwendung der Information . . . . . . . . . . . 417 (1) Drohende Beeinträchtigung materieller Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 418 (2) Drohende Beeinträchtigung des Verteidigungsinteresses . . . . . . . . . 419 d) Das überwiegende Informationsverwendungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 aa) Gegenüberstellung der Bedeutung der jeweiligen Interessen . . . . . . . . . 422 bb) Informationsverfügungsbefugnis des Staates als maßgeblicher Faktor für die Gewichtigkeit des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (1) Informationsverfügungsbefugnis als Folge einer Informationserhebungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (2) Begrenzung durch Zweck der Informationserhebung . . . . . . . . . . . . 426 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 2*

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Inhaltsverzeichnis cc) Interessenminderung aufgrund der Veranlassung der Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 (1) Veranlassung als Abwägungskriterium in der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 (2) Voraussetzung: Normativ geringere Schutzwürdigkeit aufgrund der Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 dd) Freiheit des Angeklagten bei der Informationspreisgabe als gewichtsminderndes Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 (1) Beeinträchtigung der Freiheit durch die Strafmaßprognose . . . . . . . 435 (2) Anforderungen an die Freiheit bei der Informationspreisgabe . . . . 436 (3) Verbleibendes Maß an Freiheit bei der Geständnisablegung . . . . . . 440 (a) Kenntnis oder Kennenmüssen bezüglich Fehlschlagsursache . 441 (b) Keine Kenntnis und kein Kennenmüssen bezüglich Fehlschlagsursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 ee) Zusammenfassende Gewichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 IV. Rechtsfolgen – Der Inhalt des grundrechtlichen Abwehranspruches . . . . . . . . . . . . 451 1. Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 a) Verfahrenshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 b) Bindungswirkung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 aa) Das subjektive Grundrecht als Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 bb) Die negatorischen Ansprüche zum Schutz des Abwehrrechts . . . . . . . . 458 cc) Der negatorische Schutz der Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 c) Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 d) Strafmilderungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 e) Hinweispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 2. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 3. Rechtsmittelbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 V. Grundrechtlicher Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 1. Voraussetzungen eines Förderungsanspruches gemäß Art. 103 I GG bei fehlgeschlagener Urteilsabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

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2. Förderungsanspruch bei Urteilsabsprache ohne Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Kein Anspruch aufgrund der Eigenverantwortlichkeit des Angeklagten . . 471 b) Ausnahme: Abwehrrechtlich unbeachtliche Fehlvorstellung . . . . . . . . . . . . . 472 3. Förderungsanspruch bei Urteilsabsprache mit Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 VI. Zusammenfassende Übersicht – Vertrauensschutz bei Urteilsabsprachen . . . . . . . 477 1. Aussagefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 2. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 3. Rechtsmittelbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 VII. Bewertung des Diskussionsentwurfs für eine gesetzliche Regelung der Verständigung in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 5. Teil Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes bei der Prozeßumfangsabsprache

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I. Die mit dem geltenden Strafprozeßrecht zu vereinbarende Prozeßumfangsabsprache – Schutz des Beschuldigten auf einfach-gesetzlicher Ebene . . . . . . . . . . 488 1. § 136a I 3 StPO – Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils 489 a) Versprechen eines Vorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 b) Gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 aa) Zusammenhang zwischen der Einstellung gemäß § 154 I Nr. 1, II StPO und dem Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 bb) Rechtmäßigkeit der Einstellung gemäß § 154 I Nr. 1, II StPO . . . . . . . . 492 cc) Die Zulässigkeit der Antizipation der Einstellungsentscheidung . . . . . 494 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 2. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 II. Grundrechtlicher Abwehranspruch gegen die vertrauensschaffende Maßnahme

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1. Beeinträchtigung durch das Hervorrufen einer Fehlvorstellung . . . . . . . . . . . . . . 497 2. Beeinträchtigung durch die Herstellung einer Alternativität zwischen grundrechtlich geschützten Positionen des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

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Inhaltsverzeichnis III. Grundrechtlicher Abwehranspruch gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 IV. Grundrechtlicher Leistungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

Einleitung „Vertrauen . . . ist ein elementarer Tatbestand des sozialen Lebens“1. „Kein soziales System kann ohne Vertrauen funktionieren“2. Dem „sozialen Phänomen“ Vertrauen kommt in allen gesellschaftlichen Bereichen Bedeutung zu. Es ist nicht auf den persönlichen Nahraum des Individuums, auf familiäre und freundschaftliche Beziehungen beschränkt. Relevanz erlangt es etwa auch bei beruflichen und geschäftlichen Kontakten, in der Politik und beim Umgang verschiedener Staaten miteinander. Vertrauen wird sogar als eine Grundbedingung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats bezeichnet 3. Denn zum einen ist es die freiheitlich-demokratische Ordnung, die gewissermaßen „darauf vertraut“, daß Bürger und auch staatliche Entscheidungsträger für sie eintreten und in ihrem Sinne handeln4. Zum anderen vertraut das Volk den Institutionen des Rechtsstaats und somit dem Rechtsstaat selbst5. Insbesondere kann der Bürger auf das geltende Recht und dessen Beachtung durch staatliche Organe vertrauen6. „Das Recht begründet schon kraft seiner Verbindlichkeit Vertrauensschutz“7. Aus diesem Grund kann auch davon gesprochen werden, daß der Vertrauensgedanke das gesamte Recht fundiert8. Das Vertrauen trägt aber nicht nur in dieser allgemeinen Form die Rechtsordnung. „Das Vertrauensprinzip ist ein immanentes Prinzip unserer Rechtsordnung, das in den ihm jeweils zu ziehenden Grenzen auf allen Rechtsgebieten Beachtung beanspruchen kann“9. Es hat deshalb auch in speziellen Ausprägungen in sämtLuhmann Vertrauen, S. 1. Herder-Dorneich Sozialökonomischer Grundriß, S. 184. 3 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 6; Birk in: Vertrauensschutz im Steuerrecht, S. 9 (11); Schnur VVDStRL 22 (1965), 101 (106 f.): Das Vertrauen, das die freiheitliche Verfassung den Staatsbürgern entgegenbringe, sei ein, wenn nicht sogar d a s Grundprinzip des Rechtsstaats. 4 Huber FS Kägi, S. 193: „Der demokratische Staat gründet sich auf ein Vertrauen in das Volk und seine Eignung für die geforderte Mitwirkung“; Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 6; Schnur VVDStRL 22 (1965), 101 (106 f.). 5 Schwarz Vertrauensschutz, S. 43; vgl. auch Siolek Verständigung, S. 22: Vertrauen in die Justiz als einer der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. 6 Huber FS Kägi, S. 193: „Der Rechtsstaat baut auf das Vertrauen in das Recht auf . . .“. 7 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 6. 8 Luhmann Vertrauen, S. 44, vgl. auch S. 42; Kirchhof in: Vertrauensschutz im Steuerrecht, S. 1: Vertrauen als Grundlage des Rechts. 9 Larenz Methodenlehre, S. 424; vgl. auch Huber FS Kägi, S. 193 (198): Schutz des Vertrauens als „ein sehr allgemeiner, unscharf umränderter Rechtsgedanke“. 1 2

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lichen Teilbereichen des Rechts Eingang in konkrete Regelungen gefunden. So sind zahlreiche Normen des Zivilrechts auf den Gedanken des Schutzes des Vertrauens eines Beteiligten zurückzuführen, z. B. die §§ 122 ff. und 170 ff. BGB sowie die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb. Zudem weist der Bereich des Zivilrechts mit § 242 BGB eine Generalklausel auf, die als Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrauensschutzes angesehen wird und insofern vielfältige Konkretisierungen erfahren hat10. Im Straßenverkehrsrecht ist der Vertrauensgrundsatz entwickelt worden, nach dem derjenige Verkehrsteilnehmer auf verkehrsgerechtes Verhalten Dritter vertrauen darf, der selbst den Sorgfaltsanforderungen nachkommt11. Im Strafrecht findet sich der Begriff des Vertrauens etwa in den Anvertrauenstatbeständen, z. B. § 246 II StGB, und in der von der h. M. verwendeten Formel zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit wieder12. Im öffentlichen Recht hat das Vertrauen vor allem aber im Zusammenhang mit der Frage nach einem Vertrauensschutz im Verhältnis des Bürgers zum Staat Bedeutung erlangt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat hier eine Entwicklung eingesetzt, die auch als „Siegeszug des Vertrauensschutzprinzips“ 13 bezeichnet wurde. Als thematische Bezugspunkte sind insofern insbesondere die Frage nach der Möglichkeit rückwirkender Gesetze zu nennen sowie Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten, die schließlich in den §§ 48, 49 VwVfG normiert worden sind. Im Strafrecht ist der Vertrauensschutz als Rückwirkungsverbot in Art. 103 II GG verfassungsrechtlich verankert worden. Außerdem wird die Zulässigkeit der rückwirkenden Rechtsprechungsänderung, bei der eine neue Beurteilung auf bereits zuvor begangene Taten angewendet wird, in diesem Zusammenhang diskutiert14. Als Grund für die in immer stärkerem Maße gewachsene Bedeutung des Vertrauensschutzprinzips im Verfassungs- und Verwaltungsrecht wird der Wandel vom „klassischen Liberalstaat“, der zwischen Staat und Gesellschaft eine deutliche Trennung vornimmt, zum „sozialen Leistungs- und Lenkungsstaat“ angeführt15. Der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes beschränkt staatliches Handeln nicht mehr auf Hoheitsaufgaben, bei deren Erfüllung die von den Grundrechten primär gewährleistete Freiheit des Bürgers vom Staat zu wahren ist. Vielmehr erfolgt staatliche Tätigkeit auch im Bereich der Daseinsvorsorge, der Staat gestaltet mit seinem Handeln die sozialen Verhältnisse aus. Vertrauensschutz wird dann als not10 Vgl. G. Roth in: MüKomm-BGB, § 242 Rn. 255 ff.; Hohloch in: Erman BGB, § 242 Rn. 106 f.; Palandt-Heinrichs § 242 Rn. 55 ff. 11 BGHSt 14, 97 (99); 14, 201 (210 f.); Jagusch / Hentschel StraßenverkehrsR, Einl. Rn. 136; Janiszewski / Jagow / Burmann / Heß StraßenverkehrsR, § 1 StVO Rn. 24 ff. 12 BGHSt 36, 1 (9 f.); NJW 1999, 2533 (2534); NStZ 2002, 315 (316); Roxin AT I, § 12 Rn. 27; Jescheck / Weigend AT, S. 301. 13 Ossenbühl DÖV 1972, 25 (27). 14 Loré Aspekte, passim; vgl. auch BVerfG NJW 1990, 3140; BayObLG NJW 1990, 2833. 15 Burmeister Vertrauensschutz, S. 8 ff.; Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 23 ff.

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wendiges Korrelat zu dieser – auch das Verhalten des Bürgers – lenkenden Staatstätigkeit begriffen, als Schutz des Bürgers gegenüber der Dynamik, die staatlichem Handeln gerade in diesem Bereich zukommt. Mit der Entwicklung hin zum heutigen Sozialstaat geht nämlich eine gewachsene Abhängigkeit des Bürgers von staatlichem Handeln einher. Der einzelne ist „in überaus hohem Maße auf Staatstätigkeit jedweder Art angewiesen“16. Nun stellt bereits diese grundlegende Erklärung des „Siegeszuges“ und „kometenhaften Aufstiegs“17 des Vertrauensschutzgrundsatzes im öffentlichen Recht eine erste Verknüpfung zum Strafprozeß her. Das gesamte Strafverfahren ist durch eine Konstellation der Abhängigkeit des betroffenen Bürgers von den staatlichen Organen der Strafverfolgung und ihrem Handeln gekennzeichnet. Der Staat ist es nämlich, der die Grundlage eines jeden Strafverfahrens, den Vorwurf der Straftatbegehung, formuliert und konkretisiert. Auf diese staatliche Tätigkeit ist der Bürger, gegen den sich ein Strafverfahren richtet, aber auch angewiesen, wenn er durch die Ausübung von prozessualen Rechten selbst das Verfahren mitgestalten will. Erst durch den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf wird der Beschuldigte in die Lage versetzt, eine andere Stellung einzunehmen als die eines Objekts staatlicher Untersuchung18. Nun ist dies allerdings zunächst einmal noch nicht grundsätzlich eine Frage des Vertrauensschutzes, sondern des allgemeinen Erfordernisses der Information des Beschuldigten über den Straftatvorwurf durch die Strafverfolgungsorgane. Der Zusammenhang wird aber deutlicher, wenn man wiederum einen Blick auf die Entwicklung des Vertrauensschutzgrundsatzes im öffentlichen Recht wirft. Die soziale Daseinsvorsorge wird als ein dynamischer Bereich beschrieben, der Korrekturen staatlichen Handelns zwangsläufig erforderlich macht. Der VertrauensMuckel Kriterien, S. 13. Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 2. 18 Angesprochen werden hier also Konstellationen, in denen das Vertrauen des Beschuldigten für sein Verhalten im Strafverfahren von Bedeutung ist, also für seine prozessuale Reaktion auf den Vorwurf der Straftatbegehung. Insofern besteht nämlich das spezifische Spannungsverhältnis zwischen der Dynamik des Prozesses und dem Interesse des sich verteidigenden Beschuldigten, dessen Verteidigungsbemühungen von einer hinreichend sicheren Grundlage abhängig sind. Ein eigenständige Frage ist hingegen, ob der Vertrauensschutzgedanke Bedeutung für die Rechts- / Bestandskraft verfahrensbeendender Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane hat. Vgl. dazu BGHSt 48, 331 (334): Der Grundsatz des Vertrauensschutzes führe bei einer gerichtlichen Einstellung gemäß § 153 II StPO zu einem beschränkten Strafklageverbrauch. Vgl. zum Vertrauensschutz und staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügungen Schroeder NStZ 1996, 319 (320). Vgl. auch zu einem Strafklageverbrauch, wenn es an der gemäß § 153a I bzw. II StPO erforderlichen Zustimmung des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft fehlt OLG Karlsruhe NStZ 1987, 42; LR-Beulke § 153a Rn. 93; Karl NStZ 1995, 535; ablehnend Schroeder NStZ 1996, 319. Zum Gedanken des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit dem Tatbegriff des § 264 StPO und der Frage nach der Reichweite des Strafklageverbrauchs durch das Urteil BGH NStZ 1988, 77 (78); BGH NJW 2001, 2643 (2645); Neuhaus MDR 1989, 213 (221); Krauth FS Kleinknecht, S. 215 (229). 16 17

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schutz sei Teil eines Konflikts, der sich aus dem „Spannungsverhältnis von Stabilität und Tradition auf der einen Seite und Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Rechtsordnung andererseits“19 ergebe. Auch das Strafverfahren ist in höchstem Maße auf die Flexibilität des staatlichen Handelns angewiesen. Bereits dem Begriff des „Prozesses“ ist das Erfordernis nach Dynamik immanent, jede Statik hingegen fremd. Staatliches Handeln im Rahmen eines Strafprozesses ist durch das Element der Vorläufigkeit geprägt. Der dem Beschuldigten gegenüber erhobene Vorwurf ist vorläufiger Natur, erst das Verfahren selbst dient seiner Verifikation und führt daher gegebenenfalls zu Modifikationen. Das Strafverfahren ist also gekennzeichnet durch das Angewiesensein des Beschuldigten auf die Konkretisierung des staatlichen Vorwurfes einerseits und dessen notwendige Vorläufigkeit andererseits. Die im Strafprozeß besonders große Bedeutung des letzteren Aspekts könnte der Grund dafür sein, daß der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Bereich in viel geringerem Maße beachtet wird als im Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Während dort die Vorstellung von Besitzpositionen des Bürgers besteht, die der Vertrauensschutz in einer Weise zu wahren hat, die das Erfordernis der Flexibilität und das Bedürfnis des Bürgers nach Beständigkeit staatlicher Tätigkeit in Ausgleich bringt, so erscheinen solche Besitzpositionen im Strafprozeß von vornherein als ein Fremdkörper, der mit dem Charakter der Vorläufigkeit staatlichen Handelns nicht zu vereinbaren ist20. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht gerade in einem Bereich, der durch die Abhängigkeit des Bürgers einerseits und durch das unabweisbare Bedürfnis des Staates nach Änderung seines Verhaltens andererseits geprägt ist, ein Schutz des Bürgers im Hinblick auf diese Veränderungen dringend erforderlich ist. Verneint man dies, gibt man dem öffentlichen Interesse den generellen Vorrang vor dem Bedürfnis des von einem Strafverfahren betroffenen Bürgers nach einer beständigen Vorwurfsgrundlage, die als solche auch Grundlage seiner eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten ist. Das Spannungsverhältnis wird dann einseitig aufgelöst. Das Erfordernis eines solchen Schutzes wird dadurch verdeutlicht, daß Rechtsprechung und Literatur in verschiedenen Zusammenhängen auf den Aspekt des Vertrauens des Beschuldigten oder seines Verteidigers abstellen und der Gedanke des Vertrauensschutzes auf diese Weise ausdrücklich oder stillschweigend in die Beurteilung der Fälle einfließt21. Dennoch erfährt der Vertrauensschutz im StrafSchwarz Vertrauensschutz, S. 28. Plötz Fürsorgepflicht, S. 216: Eine Übertragung des allgemeinen Vertrauensschutzes auf den Strafprozeß sei ausgeschlossen, weil dem Verfahrensrecht ein Schutz von wohlerworbenen Rechten wesensfremd sei. Der Bedeutung des prozessualen Vertrauensschutzes sind nach Plötz, S. 218 auch durch die Zäsurwirkung der einzelnen Verfahrensabschnitte Grenzen gesetzt. 21 Denkbar sind auch Vertrauensenttäuschungen weiterer Verfahrensbeteiligter, etwa eines Zeugen bei Nichteinhaltung einer Vertraulichkeitszusage der Polizei oder Staatsanwaltschaft, vgl. dazu J. Meyer ZStW 95 (1983), 834 (839 f.). 19 20

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prozeß im Vergleich mit anderen Bereichen des öffentlichen Rechts eher geringe Aufmerksamkeit22. Das Vertrauen auf die Maßnahme eines Strafverfolgungsorgans wird aber etwa als entscheidender Aspekt herausgestellt, wenn gemäß §§ 154, 154a StPO eingestellte Taten oder ausgeschiedene Tatteile strafschärfend oder bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden sollen23. Der Angeklagte dürfe darauf vertrauen, daß keine Berücksichtigung zu seinem Nachteil erfolgt. Er müsse daher wegen des Grundsatzes des fairen Verfahrens auf die entsprechende Absicht des Gerichts hingewiesen werden, wenn die Einstellung sein Verteidigungsverhalten beeinflussen konnte. Auch im Beweisantragsrecht hat der Vertrauensaspekt Berücksichtigung gefunden. Dies gilt insbesondere für eine Änderung der gerichtlichen Auffassung, die einem ablehnenden Beschluß gemäß § 244 VI StPO zugrunde lag. Ein solcher Beurteilungswandel kann etwa darin bestehen, daß das Gericht sich nicht an eine Wahrunterstellung hält oder eine zunächst als wahr unterstellte Tatsache später für bedeutungslos erachtet. Hier werden ebenfalls Hinweispflichten auf den Gedanken des Vertrauensschutzes gestützt24. Die Problematik widersprüchlichen Verhaltens wird auch bei der Behandlung von Beweisanträgen gemäß § 219 StPO durch den Vorsitzenden erörtert25. Insofern werden Frage- und Hinweispflichten26 oder die Pflicht, sich mit dem Beweisantrag in der Hauptverhandlung zu beschäftigen27, in 22 Vgl. die Einschätzung von F. Meyer Willensmängel, S. 105 f.; vgl. auch Loré Aspekte, S. 17 f. zum materiellen Strafrecht. 23 BGH NStZ 1980, 100; StV 1981, 236; St 30, 165 f.; 31, 302; NStZ 1995, 76; NStZ 1996, 507 und 611 f.; NStZ 1998, 51; Urteil vom 20. März 2001 – 1 StR 543 / 00 (www. bundesgerichtshof.de); NStZ 2004, 277 (278); OLG Hamm StV 2002, 187; StV 2004, 313 f.; H.-J. Bruns NStZ 1981, 81 (85); Terhorst JR 1982, 247 (248); Theune StV 1985, 162 (166); Rieß NStZ 1987, 134 f.; Appl Strafschärfende Verwertung, S. 153 ff.; Gillmeister NStZ 2000, 344 (347). Nach BGH StV 2004, 115 soll sogar schon die Abtrennung eines Verfahrens „mit dem Ziel einer eventuellen Einstellung nach § 154 II StPO“ einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand zugunsten des Angeklagten begründen. 24 Zur nicht eingehaltenen Wahrunterstellung BGHSt 32, 44 (45 und 47 f.); Laufhütte SchRAG StrafR, S. 192 f.; LR-Gollwitzer § 244 Rn. 369; ablehnend Meyer JR 1984, 173 (174); Herdegen NStZ 1984, 337 (343). Zur späteren Bedeutungslosigkeit einer als wahr unterstellten Tatsache BGHSt 30, 383 (385); Tenckhoff StV 1986, 424 (426); Schlothauer StV 1986, 213 (227); ablehnend zu einer Hinweispflicht BGH GA 1972, 272 (273); BGH bei Pfeiffer / Miebach NStZ 1983, 354 (357 Nr. 25); OLG Celle StV 1986, 423; Herdegen NStZ 1984, 337 (342); Müller GS Meyer, S. 285 ff. Vgl. auch zur Feststellung des Gegenteils einer Tatsache, die bei der Beweisablehnung als bedeutungslos eingestuft worden ist BGH StV 1992, 147; OLG Frankfurt a.M. MDR 1993, 1001 f.; Deckers StV 1992, 147 f. 25 Vgl. Schmid Verwirkung, S. 213: Schutz des Angeklagten, der auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes beruhe. 26 HansOLG Hamburg JR 1956, 28; BayObLGSt 1964, 26; Meyer-Goßner StPO § 219 Rn. 5; KK-Treier § 219 Rn. 3; Keller in: AK-StPO § 219 Rn. 5; Schlüchter in: SK-StPO § 219 Rn. 18; HK-Julius § 219 Rn. 9; Steffen Verletzung des § 219, S. 76. 27 RGSt 61, 376 (378); BGHSt 1, 51 (54); OLG Hamm NStZ-RR 1998, 340; KG StV 1990, 255 (256); KK-Treier § 219 Rn. 6; Alsberg / Nüse / Meyer Beweisantrag, S. 363; Kumlehn Fürsorgepflicht, S. 119 f.; Klefisch JW 1932, 1660 (1661).

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Einleitung

Betracht gezogen, wenn dieser unzulässig in die Hauptverhandlung „verwiesen“ wurde28, der Vorsitzende ihn gar nicht beschieden29 oder unzulässigerweise aufgrund einer Wahrunterstellung abgelehnt hat30. Desweiteren erlangt der Vertrauensschutz im Strafprozeß Bedeutung bei unrichtigen Auskünften der Strafverfolgungsorgane, durch die der Angeklagte z. B. zu einem Rechtsmittelverzicht bewegt werden kann31, und bei der Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung32. Auch bei sonstigen Veränderungen der Sach-, Rechts- oder Verfahrenslage wird mitunter auf den Gedanken des Vertrauensschutzes abgestellt33. Maßgeblich wird auf den Vertrauensschutzgedanken nicht zuletzt im Zusammenhang mit strafprozessualen Absprachen abgestellt, die von einem Strafverfolgungsorgan nicht eingehalten werden. In der vorliegenden Arbeit soll der Vertrauensschutz im Strafprozeß am Beispiel solcher Absprachen, insbesondere der Urteilsabsprache, untersucht werden. Dies bietet sich zunächst deshalb an, weil im Bereich der Absprachen einerseits das Vertrauen des Beschuldigten in das Handeln der Strafverfolgungsorgane einen besonderen Stellenwert einnimmt, andererseits damit aber auch die Gefahr einer Enttäuschung von Vertrauen groß ist. Zudem sind gerade in diesem Bereich zahlreiche Fragen nach den Voraussetzungen und dem Inhalt eines Schutzes vor Vertrauensenttäuschungen noch nicht hinreichend beantwortet worden34. Ob und auf welche Weise das auf Absprachen beruhende Vertrauen des Beschuldigten geschützt werden muß, ist insbesondere auch mit Blick auf eine geplante gesetzliche Regelung der Verständigung in der Hauptverhandlung35 zu klären. Siolek hat im Zusammenhang mit den strafprozessualen Absprachen bereits 1992 die Aufgabe benannt, die Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens und die Folgen seiner Verletzung herauszuarbeiten36 – dies ist in monographischer Form bis heute nicht geschehen. Zunächst soll betrachtet werden, auf welche Weise der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit strafprozessualen Absprachen in RechtspreRGSt 61, 376; KG StV 1990, 255. BayObLGSt 1964, 26; OLG Köln NJW 1954, 46; KG JR 1950, 567. 30 BGHSt 1, 51. 31 Ausführlich zu dem Vertrauensschutz des Angeklagten in diesem Bereich F. Meyer Willensmängel, S. 104 ff. 32 LG Berlin StV 2003, 156; Hilgendorf NStZ 1996, 1 (3); Theiß Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, S. 254 ff.; LR-Lüderssen § 143 Rn. 8; Fezer StrafprozeßR, 4 / 40. 33 BGH StV 1981, 329; König StV 1998, 113 (115); Schurig Belehrung und Beratung, S. 194; vgl. aber auch BGH GA 1968, 303 (304); StV 1986, 191; NStZ 1988, 191; St 43, 212 (216). 34 Vgl. den 1. Teil. 35 Vgl. den „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“ der Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen sowie des Bundesministeriums der Justiz vom Februar 2004, dokumentiert in StV 2004, 228 ff. (zu der Verständigung S. 231 und 237); siehe dazu 4. Teil VII. 36 Siolek Verständigung, S. 153. 28 29

Einleitung

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chung und Literatur Berücksichtigung gefunden hat (1. Teil). Die Darstellung der bisherigen Behandlung dieses Grundsatzes wird ergeben, daß dem Vertrauensschutz zwar im Anschluß an die allgemeine Auffassung im öffentlichen Recht37 verfassungsrechtliche Bedeutung zugemessen wird, eine tragfähige Verankerung in einer rechtlichen Grundlage aber noch nicht erfolgt ist. Insbesondere als Folge dieser Tatsache sind Unstimmigkeiten bei der Konkretisierung des Grundsatzes festzustellen. Diese Bestandsaufnahme wird die Aufgabe begründen, den Gedanken des Vertrauensschutzes im Strafverfahren von seinem Zustand „freien Schwebens“ auf rechtliche Kategorien zurückzuführen38. Die Suche nach einem rechtlichen Rahmen für den Vertrauensschutz erfordert einen Blick auf den Begriff des Schutzgegenstandes „Vertrauen“, der die Grundlage und zwingende Voraussetzung eines jeden Vertrauensschutzes bildet, jedoch keinen selbstverständlichen Inhalt aufweist (2. Teil). Anschließend ist es geboten, den Vertrauensschutz im Strafverfahren auf eine rechtliche Grundlage zu stützen, um dem Vorwurf bloßer Billigkeitsentscheidungen entgehen zu können (3. Teil). Ist eine rechtliche Basis für einen strafprozessualen Vertrauensschutz gefunden, kann eine Konkretisierung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieses Schutzes vorgenommen werden, wobei dies vorrangig anhand der Urteilsabsprache erfolgen soll (4. Teil). Anschließend sind die gefundenen Maßstäbe auf die sogenannte Prozeßumfangsabsprache (5. Teil) anzuwenden.

37 Zu den verschiedenen Herleitungen etwa Muckel Kriterien, S. 29 ff.; Blanke Vertrauensschutz, S. 12 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 13 ff.; Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 60 ff. 38 Vgl. Blanke Vertrauensschutz, S. 52: Der Topos des Vertrauensschutzes müsse in einem ersten Schritt mittels einer dogmatischen Standortbestimmung aus seiner Abstraktionshöhe in die „Ebenen“ eines gleichsam „faßbaren“ und damit subsumtionsfähigen Rechtsgrundsatzes geführt werden.

1. Teil

Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen in Rechtsprechung und Literatur Strafprozessuale Vertrauens- bzw. Vertrauensschutzkonstellationen zeichnen sich durch zwei staatliche Maßnahmen aus, die in einem bestimmten Zusammenhang mit dem Vertrauen des Betroffenen stehen. Zunächst handelt es sich dabei um ein Verhalten eines Strafverfolgungsorgans, welches – tatsächlich oder aber jedenfalls aus der Sicht des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers – ausdrücklich oder konkludent eine bestimmte Mitteilung über die Sach-, Rechts- oder Verfahrenslage enthält. Der Inhalt dieser wirklichen oder vermeintlichen Information bildet dann den Anknüpfungspunkt für das Vertrauen des Betroffenen1. Dieses erste Verhalten des Strafverfolgungsorgans soll daher vertrauensschaffende Maßnahme genannt werden2. Später kommt es dann zu einem zweiten staatlichen Verhalten, das inhaltlich im Widerspruch zu der vertrauensschaffenden Maßnahme steht, also von der tatsächlich oder vermeintlich gemachten Mitteilung bezüglich der Sach-, Rechtsoder Verfahrenslage abweicht3. Da das Strafverfolgungsorgan somit auch dem Vertrauen des Beschuldigten oder seines Verteidigers zuwiderhandelt, soll dies als die vertrauensenttäuschende Maßnahme bezeichnet werden. Im folgenden wird zu betrachten sein, auf welche rechtlichen Grundlagen ein Schutz des Betroffenen im hier interessierenden Bereich der strafprozessualen Absprachen gestützt wird und welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet worden sind.

I. Die Urteilsabsprache 1. Begriff und Inhalt Für das gesetzlich nicht vorgesehene konsensuale Zusammenwirken der Verfahrensbeteiligten existieren zahlreiche Bezeichnungen4, so daß sich zunächst die Zum Vertrauensbegriff 2. Teil. Vgl. Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 104: In der ersten Phase erzeugt ein staatliches Organ das Vertrauen des Bürgers; vgl. auch Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 7. 3 Vgl. Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 104: In der zweiten Phase wird das Vertrauen des Bürgers durch das staatliche Organ enttäuscht; vgl. auch Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 7. 1 2

I. Die Urteilsabsprache

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Frage stellt, welcher Begriff für eine Untersuchung dieses tatsächlichen Phänomens gewählt werden soll5. Der Begriff muß zum einen möglichst weit sein, um verschiedene Arten des Zusammenwirkens erfassen zu können und nicht einzelne Verhaltensweisen auszugrenzen. Da eine rechtliche Beurteilung des faktischen Vorgangs noch erfolgen muß, sollte die Bezeichnung zum anderen möglichst neutral sein, also nicht bereits eine bestimmte Bewertung enthalten. Daher sind für eine allgemeine Beschreibung Begriffe unbrauchbar, die den Inhalt oder die Art und Weise des Zusammenwirkens als von vornherein unzulässig kennzeichnen und ausschließlich für Vorgänge Verwendung finden könnten, die als rechtswidrig eingestuft worden sind. Hierzu zählt etwa der Begriff „Deal“6. Auch die Bezeichnung des Zusammenwirkens als „Vergleich“ ist wenig geeignet, da ein Vergleich im Zivilprozeß (vgl. §§ 278 VI, 794 I Nr. 1 ZPO, § 779 I BGB) an die Stelle einer Entscheidung tritt, was für das Zusammenwirken im Strafverfahren aber ersichtlich nicht in Betracht kommt7. Umfassend und neutral erscheint hingegen der Begriff der Verständigung8, der sämtliche Arten des Zusammenwirkens der Verfahrensbeteiligten unabhängig von ihrem spezifischen Inhalt und der rechtlichen Zulässigkeit zu erfassen vermag. Überwiegend werden die hier zu untersuchenden Vorgänge aber jedoch als „Absprachen“ bezeichnet9. Dies ist angesichts der obigen Vorgabe an den Begriff nicht ganz unproblematisch, weil die Bezeichnung als Absprache auf ein Element des – bindenden – Zusicherns oder Versprechens hindeutet und insofern nur ein Ausschnitt möglicher Verständigungen erfaßt wird, da auch ein für einige oder alle Beteiligten unverbindliches Zusammenwirken denkbar ist10. Es ist deshalb durchaus zu begrüßen, daß in dem Vorschlag für eine gesetzliche Regelung, der von den Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen sowie dem Bundesjustizministerium erarbeitet worden ist, ausdrücklich zugunsten des Verständigungsbegriffs auf die Bezeichnung als „Absprache“ verzichtet wird11. Angesichts 4 Vgl. die Darstellung bei Bussmann Informalität, S. 17 f. und 196 ff., sowie Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 19; Dreher Kontrollierbarkeit konsensualer Verfahrensweisen, S. 24; Küpper / Bode Jura 1999, 351 (352); Terhorst GA 2002, 600. 5 Ausführlich dazu Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 19 ff. 6 Vgl. Meyer-Goßner StraFo 2003, 401, der vorschlägt, zwischen (zulässiger) Absprache und (unzulässigem) Deal zu unterscheiden; Leipold NJW-Spezial 2004, 183: negativ besetzter Begriff; vgl. auch den Titel der Dissertation von Weider: „Vom Dealen mit Drogen und Gerechtigkeit“. 7 Dreher Kontrollierbarkeit konsensualer Verfahrensweisen, S. 26; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 21. 8 Schlüchter FS Spendel, S. 737 (741); Siolek Verständigung, S. 46; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 14 und 15. 9 Siolek FS Rieß, S. 563: „mittlerweile einhellig unter dem Begriff der „Absprache“ bekannt“; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 22 f.; Dreher Kotrollierbarkeit konsensualer Verfahrensweisen, S. 26. 10 Vgl. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 15.

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

der Gebräuchlichkeit des Absprachenbegriffs in Rechtsprechung und Literatur bleibt eine terminologische Umkehr aber wohl einer künftigen gesetzlichen Regelung vorbehalten. Auch in der vorliegenden Arbeit soll daher der Begriff der Absprache beibehalten werden. Synonym dazu wird der Begriff der Verständigung verwendet12, so daß die Absprache also nicht auf bestimmte Formen und Inhalte des Zusammenwirkens beschränkt wird. Eine Annäherung an das tatsächliche, als „Absprache“ bezeichnete Phänomen ermöglichen verschiedene Definitionen dieses Begriffs, die sich in der Literatur finden. So werden unter Absprachen etwa „bewußt aufeinander bezogene Absichtserklärungen oder Verhaltensweisen über den weiteren Ablauf und das Ergebnis des Verfahrens zwischen Prozeßsubjekten“13 verstanden. Eine Absprache sei „jede Einigung auf ein beiderseits zu befolgendes Verhaltensprogramm, nach der das Verhalten des einen Partners von dem des anderen abhängig sein soll“14. Von anderer Seite wird eine Absprache darin gesehen, daß die Vorstellung der Prozeßbeteiligten über den Gang und das Ergebnis des Verfahrens im Gesprächswege zur Deckung gebracht wird15. Eine Urteilsabsprache16 liegt vor, wenn Gegenstand der Verständigung das Verfahrensergebnis ist17, die Verfahrensbeteiligten sich also nach Anklageerhebung über die zu verhängende Strafe einerseits und über das Prozeßverhalten vor allem des Angeklagten andererseits verständigen18. Dabei ist „die mit großem Abstand häufigste Form der Urteilsabsprache . . . die Vereinbarung eines Geständnisses, das der Angeklagte im Hinblick auf eine in Aussicht gestellte mildere Bestrafung abzulegen bereit ist“19. Häufig erfolgt eine Kombination dieser Urteilsabsprache mit einer Verständigung über den Prozeßumfang, insbesondere über Einstellungen gemäß § 154 11 Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens StV 2004, 228 (237). Es wird dabei allerdings vor allem auf die fehlende Verbindlichkeit für Angeklagten, Verteidiger und Staatsanwaltschaft verwiesen; aber auch das Gericht könne nicht endgültig an seine Erklärung gebunden werden. Siehe zu dem Entwurf unten 4. Teil VII. 12 So etwa BGHSt 43, 195; Küpper / Bode Jura 1999, 351 (352). 13 LR-Rieß Einl. Abschn. G Rn. 62. 14 Niemöller StV 1990, 34 (35). 15 Dahs NStZ 1988, 153 (153 f.). 16 Wenig geeignet erscheint der Begriff der verfahrensbeendenden Absprache (vgl. BGHSt 45, 227; BGH StV 2003, 264, 265; BGH NStZ 2004, 338), da er wie die Bezeichnung als „Vergleich“ suggeriert, eine Verständigung könne eine Entscheidung ersetzen. 17 Niemöller StV 1990, 34 (35); Küpper / Bode Jura 1999, 351 (352): Einigung über den Rechtsfolgenbereich. 18 LR-Rieß Einl. Abschn G Rn. 59. 19 Weßlau ZStW 116 (2004), 150 (165); vgl. auch Meyer-Goßner StraFo 2003, 401: Verständigung über Strafmilderung gegen Geständnis als praktisch wichtigster Fall; Terhorst GA 2002, 600.

I. Die Urteilsabsprache

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StPO20. Da für die Frage des Vertrauensschutzes die Nicht-Realisierung der Absprache entscheidend ist, werden vorliegend diese „gemischten“ Verständigungen mit Blick darauf der Urteils- oder Prozeßumfangsabsprache zugeordnet, welcher Inhalt der Verständigung von dem Strafverfolgungsorgan jeweils nicht umgesetzt wurde. Im Zusammenhang mit der Urteilsabsprache werden also alle diejenigen Verständigungen behandelt, die hinsichtlich der Strafmaßankündigung nicht eingehalten wurden.

2. Vertrauen als Grundlage und grundlegendes Problem der Absprachen Das gegenseitige Vertrauen zwischen den Verfahrensbeteiligten ist schon am Beginn der Diskussion um strafprozessuale Absprachen als die entscheidende Grundlage eines solchen Vorgehens bezeichnet worden21. Dies wurde damit begründet, daß die Verfahrensbeteiligten mangels einer Normierung der fraglichen Verständigungsformen nicht nach fomalisierten Regeln agieren, sondern auf informeller Basis in Kontakt miteinander treten. Fehle eine rechtliche Basis, so wachse das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Vertrauen zwischen den Beteiligten22. Das Vertrauen stellt demnach also einen Ersatz für die Sicherheit einer rechtlichen Grundlage dar. Zuspruch haben strafprozessuale Absprachen von Beginn an vor allem von Vertretern aus der Praxis erfahren, welche die Absprachen hervorgebracht hat23. Bei einer positiven Grundhaltung gegenüber dieser Verständigungsform, die als legitimes Mittel zur Verfahrenserledigung angesehen wird, erscheint auch das Erfordernis der Vertrauensbasis grundsätzlich als rechtlich unproblematisch. Vielmehr wird das gegenseitige Vertrauen als das entscheidende tatsächliche Moment bei einem rechtlich zulässigen Vorgang herausgestellt24. Eine rechtliche (Bindungs-)Wirkung der Verständigung wurde nämlich auch im Lager der AbspraSiehe dazu unter II. Bussmann / Lüdemann MschrKrim 1988, 81 (84): „herausragende Rolle im Sinne einer absolut notwendigen Bedingung“; Gallandi MDR 1987, 801: Zu informellen Programmen gehöre „das Vertrauen als Grundelement menschlicher Verständigung“, das Vertrauen sei „Ausgangspunkt der Verständigung überhaupt“ (S. 803). Vgl. auch Kölbel NStZ 2002, 74 (76): Vertrauen als wesentliche Funktionsvoraussetzung des gesamten Absprachensystems. 22 Bussmann / Lüdemann MschrKrim 1988, 81 (87). 23 Vgl. Schmidt-Hieber Verständigung, passim; dens. StV 1986, 355; Widmaier StV 1986, 357; Rückel NStZ 1987, 297; Dahs NStZ 1988, 153; Gatzweiler NJW 1989, 1903; Böttcher / Dahs / Widmaier NStZ 1993, 375; Krekeler NStZ 1994, 196; vgl. zur Literatur nach BGHSt 43, 195 Kuckein / Pfister BGH-FS, S. 641; Meyer-Goßner StraFo 2001, 73; dens. StraFo 2003, 401; dens. Gollwitzer-Kolloquium, S. 161. 24 Vgl. Gatzweiler NJW 1989, 1903 (1906); Dahs NStZ 1988, 153 (157 und 159); Gallandi MDR 1987, 801 (801 und 803). 20 21

3 Graumann

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

chenbefürworter verneint25. In der Vertrauensbeziehung der Beteiligten wurde aber der Grund dafür gesehen, daß Verständigungen trotzdem „funktionieren“26. Die Partner einer Verständigung könnten sich nur als Folge dieser Basis trotz mangelnder rechtlicher Verbindlichkeit aufeinander und damit auf das Ergebnis der Absprache verlassen. Betont wurde der Charakter der Absprachen als „gentlemen’s agreement“, das die Beteiligten, wenn auch nicht rechtlich, so doch in faktischer Hinsicht binde27. Von einem absprachekritischen Standpunkt aus, der seit Beginn der Diskussion um strafprozessuale Absprachen vor allem in der Wissenschaft zu finden gewesen ist28, erscheint jedoch unter anderem auch das Erfordernis gegenseitigen Vertrauens als ein rechtliches Problem. Insofern wurde zum einen ebenfalls die sogenannte „de-facto-Bindungswirkung“ der Absprachen der Annahme rechtlicher Unverbindlichkeit gegenübergestellt29. Ein informelles Vorgehen der Beteiligten auf der Grundlage einer Vertrauensbeziehung schaffe angesichts der gegenseitigen Erwartungshaltung ein persönliches Bindungsempfinden insbesondere auch des Richters, das im Widerspruch zu der rechtlichen Unverbindlichkeit von Verständigungen stehe30. Aus dieser Sicht stellt das Vertrauen der Beteiligten also nicht die tatsächliche Grundlage eines rechtmäßigen Vorgehens dar, sondern bildet den Nährboden für rechtlich nicht zulässige Handlungsweisen, die auf dem subjektiven Empfinden beruhen, der Verständigung und den Erwartungen der anderen Beteiligten entsprechen zu müssen31. Allerdings ist zutreffend geltend gemacht worden, daß die Möglichkeit einer „faktischen Bindungswirkung“ von Verständigungen, die auf das gegenseitige Vertrauen der Akteure zurückzuführen ist, kein Argument für die generelle Unzulässigkeit von Absprachen ist. Zwar wäre eine Erfüllung von Erwartungen des Beschuldigten, weil die staatlichen Beteiligten sich faktisch an die Absprache gebunden fühlten, tatsächlich nichts anderes als eine rechtswidrige Maßnahme, wenn die 25 Vgl. nur Schmidt-Hieber Verständigung, Rn. 165; Gatzweiler NJW 1989, 1903 (1906); dens. NStZ 1991, 46; Böttcher / Widmaier JR 1991, 353 (354 f.). Dies entsprach der ganz h. M. bis zum Urteil des 4. Strafsenats des BGH vom 28. August 1997, BGHSt 43, 195, wo eine – begrenzte – rechtliche Bindung allerdings gerade über den Aspekt des Vertrauens begründet wird, S. 210; siehe zu der Entscheidung unten I. 4. 26 Gatzweiler NJW 1989, 1903 (1906). 27 Dahs NJW 1987, 1318; Wolfslast NStZ 1990, 409 (415). 28 Vgl. Schünemann NJW 1989, 1895; dens. StV 1993, 657; Hassemer JuS 1989, 890; Weigend JZ 1990, 774; Rönnau Absprache, S. 73 ff.; vgl. zur Literatur nach BGHSt 43, 195 Schünemann FS Rieß, S. 525; Siolek FS Rieß, S. 563; Weigend NStZ 1999, 57; dens. BGHFG, S. 1011; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 129 ff.; Nelles in: Däubler-Gmelin / Mohr Recht schafft Zukunft, S. 226. 29 Schünemann Triberg-Symposium, S. 41; Küpper / Bode Jura 1999, 351 (354). 30 Nestler DRiZ 1988, 288 (293); Kremer Absprachen, S. 64; vgl. auch Bussmann Informalität, S. 166. 31 Kremer Absprachen, S. 62 f., vgl. auch S. 179 f.; vgl. auch Schünemann Gutachten 58. DJT, B 72.

I. Die Urteilsabsprache

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Bindung im Recht keine Entsprechung findet32. Die bloße Möglichkeit, daß eine Absprache zum Anlaß zu einem rechtswidrigen Verhalten genommen wird, steht aber der Annahme der Existenz von rechtmäßigen Verständigungen nicht entgegen33. Die Vertrauensbasis hat nämlich nicht zwangsläufig zur Folge, daß die beteiligten staatlichen Organe sich aus moralischen Gründen zu einem rechtswidrigen Handeln gezwungen sehen. Vielmehr ist – soweit dies rechtlich geboten ist – auch eine unverbindliche Ausgestaltung von Verständigungen vorstellbar34. Zum anderen wurde das Erfordernis gegenseitigen Vertrauens aber nicht nur wegen der Gefahr einer unzulässigen Einhaltung der Absprache herangezogen, um deren generelle Unzulässigkeit zu begründen. Der Blick wurde auch auf den umgekehrten Fall gerichtet, in dem sich ein staatliches Organ nicht an die Absprache mit dem Beschuldigten hält. Der Angeklagte trage bei einer rechtlichen Unverbindlichkeit der Verständigungen das „Vorleistungsrisiko“, was für ihn ein „vabanque-Spiel“ darstelle und nicht mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren sei35. Dem Beschuldigten kommt nämlich im Rahmen strafprozessualer Absprachen die Rolle des „Vorleistenden“ zu36. Bei der Urteilsabsprache erfolgt sein prozessuales Verhalten, das Gegenstand der Verständigung ist, schon während der Hauptverhandlung, während das vom Gericht angekündigte Verhalten erst in dem darauf folgenden Urteil umgesetzt werden kann. Mangels einer Möglichkeit zur „Erfüllung“ einer Absprache „Zug um Zug“ oder einer gerichtlichen „Vorleistung“ in diesen Fällen, erbringt der Angeklagte seinen Verhaltensbeitrag also in der bloßen Erwartung einer gerichtlichen „Gegenleistung“. Eine Sicherheit bezüglich der Einhaltung der Absprache durch das Gericht existiert für ihn nicht, soweit man eine Bindungswirkung der Verständigung aus sich selbst heraus ablehnt. Der Angeklagte kann dann also nur auf ein absprachegemäßes Verfahrensergebnis vertrauen. Jedoch läßt sich auch die Möglichkeit, daß das durch eine Verständigung geschaffene Vertrauen des Beschuldigten durch die Strafverfolgungsorgane enttäuscht wird, nicht gegen die generelle Zulässigkeit von strafprozessualen Absprachen anführen. Vielmehr wurde im Schrifttum schon bald nach Beginn der Diskussion um die Möglichkeit von Verständigungen im Strafverfahren erkannt, daß in einer solchen Vertrauenskonstellation gegebenenfalls Schutzinstrumente herausgearbeitet werden müssen, die zugunsten des Beschuldigten eingreifen, wenn ein staatliches Organ von der Absprache abweicht37. 32 Vgl. Bussmann Informalität, S. 166 f., der betont, daß die Absprachenbefürworter, die von einer rein faktischen Bindungswirkung ausgehen, eine rechtliche Subsumtion nur noch vorspiegeln. 33 LR-Rieß Einl. Abschn. G Rn. 70; Tscherwinka Absprache, S. 85 f. 34 Schmidt-Hieber DRiZ 1990, 321 (322); vgl. auch Janke Verständigung, S. 88. 35 Schünemann NJW 1989, 1895 (1897); Kremer Absprachen, S. 64 f. und 149 f.; vgl. auch Rönnau Absprache, S. 211. 36 Vgl. Schünemann NJW 1989, 1895 (1897); Gatzweiler NStZ 1991, 46 (47); Steinhögl Deal, S. 62; Kreß ZStW 116 (2004), 172 (177).

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

Soweit das Vertrauen des Beschuldigten normativ schutzwürdig erscheint, muß ihm das Risiko enttäuschter Erwartungen abgenommen werden. Dies ist dann aber kein Grund für die Unzulässigkeit der Absprache als vertrauensschaffende Maßnahme, sondern führt erst zu einem Verbot der Vertrauensenttäuschung. Sollte die Schutzwürdigkeit des Vertrauens aber abzulehnen sein, so kann die rechtlich unbeachtliche Vertrauensenttäuschung von vornherein nicht der Rechtmäßigkeit der Verständigung entgegenstehen. Es stellt sich also die Frage nach der Möglichkeit und Reichweite eines Schutzes des Vertrauens des „vorleistenden“ Beschuldigten, wenn eine mit Strafverfolgungsorganen getroffene Absprache von staatlicher Seite nicht eingehalten wird38. Zur Terminologie ist noch anzumerken, daß die Situation der Nicht-Realisierung des Abspracheninhalts als „fehlgeschlagene“ 39 oder „gescheiterte“40 Verständigung bezeichnet wird41. Zwar wurde diesbezüglich der Vorschlag einer Differenzierung gemacht: Bei der gescheiterten Absprache komme es mangels Einigung im Gegensatz zu der Situation des Fehlschlags gar nicht erst zu einer Absprache42. In der vorliegenden Arbeit werden diese Begriffe aber synonym für alle zustande gekommenen Verständigungen verwendet, die dann – insbesondere von einem Strafverfolgungsorgan – nicht umgesetzt werden. Auch das Scheitern einer Absprache ist eben nur möglich, wenn überhaupt eine Absprache stattgefunden hat. Für das Nicht-Zustandekommen einer Absprache trotz entsprechender Bemühungen mindestens eines Verfahrensbeteiligten bietet sich eher der Begriff des gescheiterten bzw. fehlgeschlagenen Verständigungsversuchs oder -gesprächs an43. Die nun folgende Betrachtung der bisherigen Behandlung des Vertrauensschutzgedankens im Zusammenhang mit der Urteilsabsprache wird in zwei Abschnitte unterteilt. Der Grund dafür ist, daß für diese spezielle Fragestellung zwei grundlegende Entscheidungen des BGH existieren, die im Hinblick auf Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes erheblich voneinander abweichen. In der 37 Schmidt-Hieber Verständigung, Rn. 231 ff.; Gallandi MDR 1987, 801; Nestler DRiZ 1988, 288 (295 und 296); Seelmann in: Jung / Müller-Dietz Dogmatik, S. 25: Eine Gelegenheit zur genaueren Bestimmung der Grenzen des Vertrauensschutzes im Strafprozeß böte sich bei näherer Behandlung des „strafprozessualen Vergleichs“; vgl. auch Dencker in: Dencker / Hamm Vergleich, S. 99, der de lege ferenda die Ausarbeitung eines „Rechts der Leistungsstörungen“ fordert. 38 Das Problem der Nicht-Einhaltung von Absprachen stellt auch Weßlau heraus, ZStW 116 (2004), 150 (167 f., 171); vgl. auch Kreß ZStW 116 (2004), 172 (177 f.). 39 Gallandi MDR 1987, 801; Gräfin von Galen / Wattenberg ZRP 2001, 445 (450); Kuckein / Pfister BGH-FS, S. 641 (657); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, passim; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 237. 40 Schmidt-Hieber Verständigung, Rn. 231; Kintzi FS Hanack, S. 177 (184); Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63; Meyer-Goßner StraFo 2003, 401; Weßlau ZStW 116 (2004), 150 (167). 41 Zu den verschiedenen Gründen für ein Abweichen siehe unten 4. Teil I. 1. a) aa) (2). 42 Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 237 und 247 Fn. 1341. 43 Vgl. BGH NStZ 2002, 219 (220); Terminologie bei Schöch NJW 2004, 3462 (3463): „versuchte Verständigung“.

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ersten Entscheidung wurde der 2. Strafsenat zu Beginn der Absprachendiskussion im Jahre 1989 mit dem Fall einer fehlgeschlagenen Absprache konfrontiert44. Diese Entscheidung war zunächst prägend für die Behandlung des Vertrauensschutzes in diesem Bereich. Zu einer grundlegenden Veränderung führte erst das Grundsatzurteil des 4. Strafsenats zu den Verständigungen im Strafverfahren, das im Jahre 1997 erging45. Zwar bildete keine fehlgeschlagene Absprache den Gegenstand dieser Entscheidung, sondern eine Verständigung, die vom Gericht absprachegemäß umgesetzt wurde. Der Senat hat im Rahmen der grundsätzlichen Erwägungen aber auch zu dieser Frage Stellung genommen und damit die Basis für eine veränderte Beurteilung des Vertrauensschutzes bei einem Scheitern der Urteilsabsprache geschaffen.

3. Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 36, 210 Der Entscheidung des 2. Strafsenats lag folgende Vertrauensschutzkonstellation zugrunde: In einem Verfahren, das Einfuhr von Betäubungsmitteln und Handeltreiben damit zum Gegenstand hatte, wurde am zweiten Hauptverhandlungstag die Verhandlung zweimal unterbrochen, um den Verteidigern Gelegenheit zur Prüfung zu geben, ob sie Beweisanträge stellen wollten. In der ersten Pause nahmen die Verteidiger Kontakt zum Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auf, der die Beantragung von Freiheitsstrafen in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten sowie vier Jahren ankündigte. Noch in dieser Pause wandte sich der Vorsitzende an die Verteidiger und erklärte auf Nachfrage, die Verteidiger könnten davon ausgehen, daß nach Übung der Kammer Anträge des Staatsanwalts nicht überschritten würden. In der zweiten Pause trat der Vorsitzende noch einmal an die Verteidiger heran und stellte mit Blick auf die Mitteilung des Staatsanwalts die Frage, ob denn weitere Beweisanträge noch nötig seien. Die Verteidigung stellte daraufhin keine Beweisanträge mehr und gab auch keine Erklärungen mehr ab. Der Staatsanwalt beantragte die angekündigten Strafen, die Kammer verhängte jedoch Freiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten sowie von fünf Jahren und sechs Monaten.

Der BGH sah in diesem Vorgehen des Vorsitzenden einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens46. Der Gedanke des Vertrauensschutzes gebiete einen Hinweis auf die beabsichtigte Verhängung höherer Strafen.

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BGHSt 36, 210. BGHSt 43, 195. BGHSt 36, 210 (216).

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a) Voraussetzungen Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines aus dem fair-trial-Gebot abgeleiteten Vertrauensschutzes orientiert der 2. Strafsenat sich an der Prüfung47, die sich im öffentlichen Recht herausgebildet hat48: – staatliches Handeln als Vertrauensgrundlage, – tatsächliches Vertrauen des Bürgers, – Vertrauensbetätigung des Bürgers, – Schutzwürdigkeit des Vertrauens.

Unter Vertrauensgrundlage (oder auch Vertrauenstatbestand) wird das Verhalten eines staatlichen Organs verstanden, das bestimmte Erwartungen auslöst49. Dieses Verhalten muß der Bürger gekannt und in der Folge entsprechende Erwartungen gehegt, also tatsächlich darauf vertraut haben50. Dies ist vom 2. Strafsenat in der genannten Entscheidung bejaht worden. Es handele sich bei den Äußerungen des Vorsitzenden nach dem Gesprächszusammenhang um eine Zusicherung, die Kammer werde keine höheren als die vom Staatsanwalt beantragten Strafen verhängen51. Der Vorsitzende habe dadurch entsprechende Erwartungen bei den Verteidigern und den Angeklagten geweckt. Konsequent ist später vom 2. Strafsenat – erst recht – die Mitteilung des Ergebnisses einer Zwischenberatung des Gerichts, mit welcher Strafe im Falle eines Geständnisses bei unveränderter Beweislage zu rechnen sei, als eine Vertrauensgrundlage eingestuft worden52. Dem schließt sich 1996 auch der 5. Strafsenat an53, der mit seiner Entscheidung allerdings in einen Widerspruch zu BGHSt 36, 210 gerät. Eine Absprache mit unmittelbaren Rechtswirkungen erfordere die Mitteilung eines Zwischenberatungsergebnisses, durch die ein „hervorgehobener besonderer Ver47 Vgl. auch die Übersicht über die geprüften Voraussetzungen bei Schünemann JZ 1989, 984 (987). 48 Vgl. Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 79 ff.; Muckel Kriterien, S. 80 ff.; Geurts Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, S. 29 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 46 ff.; Schwarz Vertrauensschutz, S. 295 ff.; Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 103 ff.; vgl. auch § 48 II VwVfG. 49 Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 79; Schwarz Vertrauensschutz, S. 296. 50 Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 90, die anschließend auch noch den guten Glauben des Bürgers unter dem Aspekt des Vertrauens prüft. Bei diesem Vorgehen werden tatsächliches Vertrauen und dessen Schutzwürdigkeit teilweise also schon gemeinsam angesprochen; Schwarz Vertrauensschutz, S. 302 ff.; Muckel Kriterien, S. 89 ff. 51 BGHSt 36, 210 (213); zustimmend Schünemann JZ 1989, 984 (987) mit dem Hinweis, daß die Machtposition des Gerichts eine „Unklarheitenregel“ zu dessen Lasten nahelege. 52 BGHSt 38, 102 (103 und 105): Gegenstand der Entscheidung war allerdings die Frage nach dem rechtlichen Gehör der Staatsanwaltschaft, die nicht an der Verständigung beteiligt worden war. 53 BGHSt 42, 46: Auch hier ging es um das rechtliche Gehör der Staatsanwaltschaft bei Verständigungsgesprächen zwischen Verteidigung und Vorsitzendem.

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trauenstatbestand“ geschaffen wird54. Eine bloße Prognose des Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten über die Straferwartung bei einem Geständnis stelle hingegen keinen besonderen Vertrauenstatbestand dar55. Allerdings wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß in diesem Fall nicht über den Schutz enttäuschten Vertrauens zu entscheiden war56. Bezweifelt worden ist das Vorliegen einer Vertrauensgrundlage vom 1. Strafsenat für den Fall, daß der Angeklagte durch seinen Verteidiger über ein Gespräch mit dem Vorsitzenden informiert wird, in dem die Halbierung des Strafmaßes bei Ablegung eines Geständnisses in Aussicht gestellt wurde57. Ohne Hinweis auf die konkrete Höhe der Strafe sei die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes fraglich. Ebenfalls wurde in dieser Entscheidung aber auch angezweifelt, daß der Angeklagte deshalb auf eine bestimmte Strafhöhe vertraut hat, weil der Vorsitzende dem Verteidiger im Zusammenhang mit der angekündigten Halbierung zwei Strafhöhen genannt hat58 – dies obwohl der Angeklagte auf der Grundlage der Mitteilung seines Verteidigers ein Geständnis abgelegt hat59. Der 1. Strafsenat hat zudem das Vorliegen des erforderlichen Vertrauenstatbestandes in einem Fall offen gelassen, in dem der Vorsitzende auf die günstige Auswirkung der Wiederholung eines Geständnisses hingewiesen hat, später aber die Höchststrafe verhängt wurde60. Der 2. Strafsenat lehnte die Eignung einer gerichtlichen Äußerung als Vertrauensgrundlage ab, wenn in dem Angeklagten dadurch nur die Erwartung geweckt wurde, die Erreichung seines Verteidigungszieles hinsichtlich des Strafmaßes sei nicht ausgeschlossen61. BGHSt 42, 46 (49 und 50). Dazu kritisch Fahl JA 1997, 272 (275); Zschockelt NStZ 1996, 449. 56 BGHSt 42, 46 (51). 57 BGH NStZ 1997, 561 (562). 58 BGH NStZ 1997, 561 f.: Der BGH hielt eine Zusage des Vorsitzenden nicht für bewiesen, da nach dessen dienstlicher Äußerung die Aussage gegenüber dem Verteidiger, daß bei einem Geständnis „statt 8 Jahren nur 4 Jahre herauskommen“, nur „die beispielhafte Verdeutlichung der Kammerrechtsprechung“ gewesen ist. Ob aber die konkreten Angaben zur Höhe der Strafe tatsächlich nur ein Beispiel für eine „Strafmaßhalbierung“ gewesen sind, erscheint doch äußerst fraglich. Es ist wohl kaum davon auszugehen, daß dem Verteidiger die vorherige Aussage, die zu verhängende Freiheitsstrafe falle in der Regel nur halb so hoch aus, mit einem beliebigen Zahlenbeispiel erläutert werden mußte, um von diesem nachvollzogen werden zu können. Viel näher liegt die Annahme, daß der Vorsitzende seine persönliche Einschätzung von dem Ergebnis abgegeben hat, zu dem die Kammer in einem solchen Fall kommen könnte und mit der Einschränkung, dies sei „keine Angabe . . . über den Ausgang der Verfahrens“, nur die Unverbindlichkeit seiner eigenen Einschätzung zum Ausdruck bringen wolllte. Eine andere Frage ist dann, ob das Vertrauen in eine solche Äußerung als schutzwürdig anzusehen ist, vgl. BGHSt 36, 210 (215). 59 Der BGH ließ die Frage letztlich offen, da er im Anschluß an BGHSt 36, 210; 38, 102 einen Hinweis des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung genügen ließ, in dem die Zusage eines Strafmaßes verneint wurde. 60 BGH NJW 1994, 1293 (1294). 61 BGH NJW 1990, 1921 (1922). 54 55

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Als weitere Voraussetzung des Vertrauensschutzes ist in BGHSt 36, 210 angesprochen worden, daß die geweckten Erwartungen zu einer Beeinflussung des Prozeßverhaltens geführt haben müssen62. Dies entspricht dem Erfordernis der Vertrauensbetätigung63, also der Vornahme von Dispositionen auf der Grundlage des Vertrauens64. Eine solche wurde vom 2. Strafsenat bejaht, weil die Verteidiger nach den Äußerungen des Vorsitzenden davon abgesehen haben, weitere Beweisanträge zu stellen65. Aus revisionsrechtlicher Sicht – abstellend auf das Beruhenserfordernis des § 337 I StPO – ist das Vorliegen dieser Voraussetzung verneint worden, wenn die Revision vorgetragen hat, es seien im Vertrauen auf die Absprache Beweisanträge nicht gestellt worden, obwohl in der Hauptverhandlung zahlreiche Beweisanträge gestellt wurden66. Schließlich wurde vom 2. Strafsenat geprüft, ob die Verteidiger auf die Zusage des Vorsitzenden auch vertrauen durften. Es handelt sich dabei um das normative Kriterium der Schutzwürdigkeit oder Berechtigung des Vertrauens67. In BGHSt 36, 210 wurden verschiedene Aspekte im Hinblick darauf untersucht, ob sie die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ausschließen68. Dies wurde für den – konkret nicht gegebenen – Fall bejaht, daß der Verteidigung die Absicht des Gerichts, von einer Zusage abzuweichen, bekannt oder erkennbar wird69. In einem solchen Fall dürfe man sich auf die vorherige Zusicherung nicht mehr verlassen, da die Vertrauensgrundlage wieder beseitigt werde. Als Ausschlußkriterium hat der BGH auch in Betracht gezogen, daß die Zusage, ein bestimmtes Strafmaß werde nicht überschritten, von dem Vorsitzenden abgegeben wurde, obwohl damit ein künftiges Entscheidungsverhalten der Strafkammer in Aussicht gestellt wurde. Eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens sei bei Äußerungen des Vorsitzenden anzunehmen, die nicht unter dem Vorbehalt erfolgen, daß die Kammer dies noch bestätigen müsse. Die Beteiligten hätten dann keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß sie die Erklärungen ihrem prozessualen Verhalten zugrundelegen dürfen70. Desweiteren ist der 2. Senat in seiner Entscheidung auf die Frage eingegangen, ob die Tatsache, daß der Vorsitzende seine Äußerung außerhalb der Hauptverhandlung abgegeben hat, der Berechtigung des dadurch ausgelösten Vertrauens des Angeklagten und seines Verteidigers entgegensteht. Er verneint dies mit der Erwägung, die Verläßlichkeit BGHSt 36, 210 (213 und 216). Schünemann JZ 1989, 984 (987). 64 Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 96; Schwarz Vertrauensschutz, S. 307; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 56 ff.: Vertrauensverhalten; vgl. auch § 48 II 2 VwVfG. 65 BGHSt 36, 210 (213). 66 BGH NJW 1994, 1293 (1294). 67 Vgl. Geurts Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, S. 30; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 50 ff.; Schwarz Vertrauensschutz, S. 309 ff. 68 BGHSt 36, 210 (214 f.). 69 BGHSt 36, 210 (215). 70 BGHSt 36, 210 (215); zustimmend Schünemann JZ 1989, 984 (987) und Rössner / Engelking JuS 1991, 664 (669), wenn auch mit abweichender Begründung. 62 63

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der Äußerung sei nicht allein deshalb in Zweifel zu ziehen, weil sie nicht in der Verhandlung selbst erfolgt ist71. Schünemann ist dem im Ergebnis mit der Begründung gefolgt, das Gericht dürfe nicht materielle Schutzwirkungen aufheben, indem es zusätzlich vorgeschriebene Förmlichkeiten verletze72. Schließlich kommt noch die Rechtswidrigkeit der zugrundeliegenden Absprache als Hindernis für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in Betracht. Der 2. Strafsenat hielt die Statthaftigkeit der Verständigung allerdings in diesem Zusammenhang für grundsätzlich irrelevant73. Allein die Kompetenzwidrigkeit hinsichtlich der in Aussicht gestellten Erfüllung der Zusicherung oder deren offensichtliche Rechtswidrigkeit könnten der Berechtigung des Vertrauens entgegenstehen, da niemand auf derartige Verhaltensweisen vertrauen dürfe74. In BGHSt 36, 210 wurde ein evidenter Rechtsvorstoß jedoch verneint75. Diese Auffassung hat in der Literatur teilweise Zuspruch erfahren. Nur wenn der Betroffene die Prozeßordnungswidrigkeit der Verständigung erkenne, könne sich die Differenzierung zwischen statthaften und unstatthaften Absprachen auf den Vertrauensschutz auswirken76. Es überwog im Schrifttum aber die Kritik daran, daß der 2. Senat eine grundsätzliche Klärung der Zulässigkeit von Absprachen als unerheblich für die Frage des Vertrauensschutzes eingestuft hat. Nur bei prozessualer Statthaftigkeit einer Verständigung könne diese Anknüpfungspunkt für den Schutz des Vertrauens sein77, 78. Die prozessuale Unzulässigkeit führe vielmehr dazu, daß die Revision auf den in der BGHSt 36, 210 (214). Schünemann JZ 1989, 984 (988). 73 BGHSt 36, 210 (214). 74 BGHSt 36, 210 (215); ablehnend zum Entfallen schutzwürdigen Vertrauens bei bloßer Kompetenzwidrigkeit F. Meyer Willensmängel, S. 300 ff.; vgl. zum Ausschlußkriterium „offensichtliche Rechtswidrigkeit“ Weider StV 2000, 540 ff. 75 BGHSt 36, 210 (215 f.). 76 Rössner / Engelking JuS 1991, 664 (669), die in einem BGHSt 36, 210 nachgebildeten Fall die Rechtswidrigkeit der Verständigung bejahen, aber davon ausgehen, daß dies – bezogen auf den damaligen Diskussionstand betreffend die Zulässigkeit von Absprachen – „für den Angeklagten und auch für den Verteidiger praktisch nicht erkennbar“ war. 77 Janke Verständigung, S. 206; Gerlach Absprachen, S. 184; Schünemann JZ 1989, 984 (988), der davon ausgeht, jede unzulässige Verständigung sei kompetenzwidrig, im Fall BGHSt 36, 210 aufgrund der „Schuldspruchreife“ zum Zeitpunkt der Verständigung aber deren Zulässigkeit annimmt; Strate NStZ 1989, 439 f., der die Zusicherung in BGHSt 36, 210 als unstatthaft ansieht und daher einen Vertrauensschutz ablehnt. Auch Greeven StV 1990, 53 setzt für den Vertrauensschutz wohl die Zulässigkeit der Verständigung voraus, bejaht dies aber im Fall des 2. Senats. Dabei stellt er darauf ab, daß der Senat das Vertrauen der Verteidiger geschützt hat, es werde nicht ohne vorherigen Hinweis eine höhere Strafe verhängt werden. Dies erscheint aber zweifelhaft angesichts dessen, daß der 2. Senat den Vertrauenstatbestand mit der Erwartung begründet, „das Gericht werde im Strafmaß nicht über den Antrag des Staatsanwalts hinausgehen“ (BGHSt 36, 210, 212), vgl. schon Rössner / Engelking JuS 1991, 664 (668 Erl. 50). 78 Kölbel NStZ 2002, 74 (77) sieht den Grund für das Nichtvorhandensein eines „besonderen Vertrauens“ bei „unvollendeten oder regelwidrigen“ Absprachen in der regelmäßig erfolgenden anwaltlichen Beratung des Angeklagten. 71 72

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Verständigung selbst liegenden Verfahrensfehler gestützt werden könne, solange dieser für das Urteil kausal gewesen ist79. Bei rechtswidrigen Verständigungen sei Vertrauensschutz keine von Rechts wegen eintretende Folge, sondern ein bloßer Reflex der gerichtlichen Pflicht, die Kausalität eines in der Absprache liegenden Verfahrensfehlers für das Urteil zu verhindern, nämlich den Fehler durch einen actus contrarius zu beseitigen80. Das gemeinsame prozeßordnungswidrige Verhalten der Verfahrensbeteiligten im Zusammenhang mit unzulässigen Verständigungen dürfe nicht auch noch mit Rechtsschutz versehen werden81. Die Rechtswirkungen unzulässiger Absprachen besitzen nach dieser Auffassung keinen spezifischen Bezug zu der Tatsache des Scheiterns der Verständigung, weil der Tatrichter unabhängig von diesem Aspekt aufgrund des Verfahrensfehlers zum Tätigwerden verpflichtet ist82.

b) Rechtsfolgen Die Funktion des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der strafprozessualen Urteilsabsprache wurde auf der Grundlage von BGHSt 36, 210 allein darin gesehen, den Angeklagten und seinen Verteidiger vor Überraschungen zu schützen, die die Folge eines erwartungswidrigen Verhaltens des Gerichts sein können. Der 2. Strafsenat leitete aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens eine Pflicht des Vorsitzenden ab, die Verteidiger und Angeklagten auf die beabsichtigte Verhängung höherer Strafen hinzuweisen und ihnen damit die Gelegenheit zur Verteidigung zu geben83. Das Gericht ist nach dieser Ansicht mangels rechtlicher Bindungswirkung der Verständigung nicht verpflichtet, den Erwartungen zu entsprechen, die der Vorsitzende bei Angeklagten und Verteidigern geweckt hat84. Diese fehlende Bindung wurde vom Senat später auch im Fall der Mitteilung des Ergebnisses einer gerichtlichen Zwischenberatung betont85. Dabei wurden auch die Gründe benannt, die zu einem Abweichen von der eigenen Ankündigung hinsichtlich des Strafmaßes führen können: ein Bekanntwerden neuer Umstände, das eine abweichende Beurteilung erfordert, die Befassung anderer Richter mit der Sache, z. B. nach einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht, aber auch „bessere 79 Schünemann JZ 1989, 984 (988 f.); Janke Verständigung, S. 206; vgl. aber auch Rössner / Engelking JuS 1991, 664 (669), die die Bedeutung des Vertrauensschutzes auch in diesen Fällen betonen. 80 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 124. 81 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 127. 82 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 124 f. und 127. 83 BGHSt 36, 210 (216); zu der ungenauen Formulierung des BGH (Hinweis, „daß nun doch die Verurteilung zu höheren . . . Strafen in Betracht komme“) vgl. Schünemann Gutachten 58. DJT, 124: Hinweis auf entsprechende Absicht, nicht auf die bloße Möglichkeit. 84 BGHSt 36, 210 (212). 85 BGHSt 38, 102 (104).

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Einsicht“ des Gerichts, die zu einer anderen Gewichtung der Umstände führt86. Eine Rechtsfolge, die über den Hinweis auf das Fehlschlagen der Absprache hinausgeht, wird dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht entnommen. Insbesondere werde die Verwertbarkeit des im Rahmen der Verständigung abgelegten Geständnisses durch deren unterbliebene Realisierung nicht berührt. Dies verstoße nicht gegen das Gebot fairen Verfahrens87. Damit wird dem „vorleistenden“ Angeklagten zwar das Risiko abgenommen, von einem der Vereinbarung zuwiderlaufenden Verhalten des Gerichts überrascht zu werden. Von diesem Ansatzpunkt aus endet hier aber auch der Schutz des Angeklagten. Denn von einem weitergehenden Risiko, das der Angeklagte mit seiner „Vorleistung“ eingeht, wird er nicht befreit. Ein solches bestand etwa in BGHSt 36, 210 nicht, weil die Beweisanträge nach einem Hinweis auf die beabsichtigte Abweichung hätten gestellt werden können. Im typischen Fall der Urteilsabsprache, der die Ablegung eines Geständnisses beinhaltet, ist der Angeklagte damit aber schutzlos gestellt. Er hat es nicht mehr selbst in der Hand, nach dem gerichtlichen Hinweis den status quo ante wieder herzustellen. Mit einem Widerruf des Geständnisses kann er dessen Verwertung nicht verhindern88. Dieses Risiko eines Fehlschlags der Absprache wird dem Angeklagten bei einem Verständnis des Vertrauensschutzes als Überraschungsschutz nicht abgenommen89. Schon früh wurden im Schrifttum Zweifel an einem Vertrauensschutz laut, der ausschließlich der Verhinderung von Überraschungsentscheidungen dient, und ein weitergehender Schutz des Beschuldigten bei gescheiterten Absprachen gefordert90. Auch mit Blick auf die „Vorleistung“ in Form des Geständnisses wurde von Cramer 1989 vorgeschlagen, bei fehlgeschlagenen Absprachen durch eine Konkretisierung des Grundsatzes des fairen Verfahrens einen Vertrauensschutz zu entwickeln91. Die ersten aufgezeigten Wege zu einem weitergehenden Schutz des Angeklagten in den Fällen des „vorgeleisteten“ Geständnisses zielten allerdings noch darauf ab, über eine Auslegung des § 136a StPO zu einem den Angeklagten schützenden BGHSt 38, 102 (104 f.). BGHSt 38, 102 (105); BGH NJW 1994, 1293 (1294); BGH NStZ 1997, 561; zustimmend Zschockelt NStZ 1991, 305 (310); Janke Verständigung, S. 226; vgl. auch Gerlach Absprachen, S. 168: keine analoge Anwendung von § 136a StPO möglich. 88 Vgl. BGHSt 21, 285 (287); StV 1995, 341; OLG München NJW 1981, 593 (594); OLG Köln NStZ 1991, 96 (97); Roxin StrafverfahrensR, § 15 Rn. 19; Gerlach Absprachen, S. 166 f.; Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (69); Eschelbach JA 1999, 694 (701); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 153; Niemöller StV 1990, 34 (38); Arnold Geständnis und Geständniswiderruf, S. 772. 89 Ausdrücklich BGHSt 38, 102 (105): „Das geltende Recht läßt einen Ausschluß dieses Risikos nicht zu“. 90 Vgl. Nestler DRiZ 1988, 288 (295 und 296) sowie die Nachweise in den folgenden Fn. 91 Cramer FS Rebmann, 145 (158 f.); vgl. auch Siolek Verständigung, S. 152 f.; gegen Cramer aber Schünemann Gutachten 58. DJT, B 127. 86 87

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Beweisverwertungsverbot zu kommen. So ist H. Schäfer der Ansicht, daß das geltende Recht zwar keine Bindung des Gerichts an das von ihm genannte Verfahrensergebnis zuläßt92. Wolle das Gericht aber tatsächlich von diesem Ergebnis abweichen, so sei das auf der Grundlage der Absprache abgelegte Geständnis in keinem Fall zum Nachteil des Angeklagten verwertbar93. Dies stützt H. Schäfer darauf, daß es sich jedenfalls nachträglich bei der gerichtlichen Ankündigung um das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils gemäß § 136a I 3 2. Alt. StPO handele. Hamm geht davon aus, daß der Angeklagte sich oftmals bei seiner Aussage in einem Irrtum befinden wird, wenn der Vorsitzende es unterläßt, ihn darauf hinzuweisen, daß die Voraussetzungen eines Strafnachlasses nach neuen Erkenntnissen nicht vorliegen94. Dies führe zu einer täuschungsbedingten Unverwertbarkeit gemäß § 136a StPO. Erst später folgten Vorschläge, unabhängig von einem Verstoß gegen § 136a StPO ein Beweisverwertungsverbot auf der Grundlage verfassungsrechtlicher Prinzipien anzunehmen. Wolter zieht bei einem Abweichen von dem angekündigten Verfahrensergebnis, ohne daß dies durch neu hervorgetretene schulderhöhende Umstände geboten wäre, ein ungeschriebenes Beweisverwertungsverbot als Folge eines fair-trial-Verstoßes in Betracht95. Tscherwinka spricht sich für den Fall der Nichteinhaltung einer Absprache durch das Gericht für ein Beweisverwertungsverbot aus, das er aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ableitet96. Dies begründet er allerdings allein mit der „elementaren Bedeutung“ und „fundamentalen Stellung“ dieses Grundsatzes97. Auf der anderen Seite ist aber auch in der Literatur die Möglichkeit eines Beweisverwertungsverbotes, das den geständigen Angeklagten bei einem Fehlschlag der Verständigung schützen könnte, oftmals verneint worden98.

c) Fazit Es läßt sich damit festhalten, daß der BGH schon zu Beginn der Diskussion um strafprozessuale Absprachen mit der Entscheidung BGHSt 36, 210 die Grundlage für einen strafprozessualen Vertrauensschutz in diesem Bereich geschaffen hat, der auf den Grundsatz des fairen Verfahrens gestützt wird. Diese Verankerung des Vertrauensschutzes im fair-trial-Prinzip hat auch in der Literatur Zustimmung erfahH. Schäfer DRiZ 1989, 294 (296). H. Schäfer DRiZ 1989, 294 (295). 94 Hamm DRS IV (457), Blatt 94 Rücks. 95 Wolter in: SK-StPO Vor § 151 Rn. 75. 96 Tscherwinka Absprache, S. 91. 97 Tscherwinka Absprache, S. 90 f. 98 Schlüchter in: SK-StPO Vor § 213 Rn. 46; LR-Rieß Einl. Abschn. G Rn. 83; Janke Verständigung, S. 226. 92 93

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ren99. Die Entscheidung des 2. Strafsenats hat die Behandlung des Vertrauensschutzes bei der Urteilsabsprache bis 1997 geprägt. Bemerkenswert sind dabei vor allem zwei Aspekte, in denen die BGH-Rechtsprechung später durch BGHSt 43, 195 eine erhebliche Veränderung erfahren hat. Auf der Seite der Voraussetzungen eines Schutzes bei fehlgeschlagenen Urteilsabsprachen hat sich mit Blick auf BGHSt 36, 210 insbesondere das Problem ergeben, inwiefern die Zulässigkeit solcher Verständigungen für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens von Bedeutung ist. Davon hängt ab, ob und wie weit die Diskussion um die verfahrensrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen in die Vertrauensschutzproblematik hineinwirkt. Der BGH hat erst bei evidenten Rechtsverstößen – sowie bei Zusage eines kompetenzwidrigen Verhaltens – ein Hindernis für die Berechtigung des Vertrauens angenommen und bis 1997 eine allgemeine Beurteilung der Verständigung im Strafverfahren vermieden. Verneint man hingegen mit zahlreichen Äußerungen im Schrifttum die Schutzwürdigkeit bei unzulässigen Absprachen, ist die Reichweite des Vertrauensschutzes von der jeweiligen grundsätzlichen Haltung zu Verständigungen im Strafprozeß abhängig. Läßt man Urteilsabsprachen nur in einem sehr eng begrenzten Rahmen zu100, ergibt sich dann kaum ein Anwendungsbereich für einen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Wer deren Zulässigkeit mit der Praxis in weitgehendem Maße bejaht, gelangt auch zur Annahme einer größeren Bedeutung des Fehlschlages der Urteilsabsprache und damit des Vertrauensschutzes. Auf der Rechtsfolgenseite ergab sich auf der Grundlage von BGHSt 36, 210 und der nachfolgenden Rechtsprechung vor allem das Problem, daß ein bloßer Überraschungsschutz keinerlei Vertrauensschutz des Angeklagten bei einem Scheitern der Urteilsabsprache gewährleistete, wenn in deren Rahmen ein Geständnis abgelegt worden war. Das Gericht kann demnach jederzeit von der Ankündigung bezüglich des Strafmaßes abweichen und trotzdem das Geständnis verwerten. Insbesondere ist diesbezüglich ein Begründungsdefizit festzustellen: Mit der Ablehnung eines Schutzes des geständigen Angeklagten nach dem Fehlschlagen der Verständigung wird der entstehende Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Angeklagten auf99 Cramer FS Rebmann, S. 145 (158); Schünemann JZ 1989, 984 (986 f.); Schmidt-Hieber DRiZ 1990, 321 (323); Siolek Verständigung, S. 151 ff.; Janke Verständigung, S. 204. 100 Siehe vor allem Schünemann Gutachten 58. DJT, B 66 ff.; StV 1993, 657 ff.; NJW 1989, 1895 (1897), der anknüpfend an die Arbeiten von Schmidt-Hieber Verständigung, Rn. 153 ff.; DRiZ 1990, 321 ff.; NJW 1990, 1884 f. das Modell der von ihm sogenannten „labilen Absichtserklärung“ entwickelt und als die allein zulässige Verständigungsform eingestuft. Dabei handelt es sich um eine unverbindliche Prognose hinsichtlich des Strafausspruches, bei der das künftige Prozeßverhalten des Angeklagten auf der Grundlage einer vorläufigen Einschätzung hypothetisch antizipiert wird. Einer solchen Absprache verbliebe nach Ansicht Schünemanns „nur eine marginale praktische Bedeutung“, StV 1993, 657 (658). Ein Geständnis des Angeklagten könne sich allein zu einem frühen Zeitpunkt in der Hauptverhandlung noch in relevanter Weise auf die Strafzumessung auswirken, in dem aber nur eine so unbestimmte Prognose abgegeben werden kann, daß die labile Absichtserklärung den Bedürfnissen der Praxis nicht gerecht zu werden vermag („Prägnanzbremse“).

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gelöst, ohne daß dies mit seiner mangelnden Schutzwürdigkeit oder auf andere Weise hinreichend begründet wird101. Als Grund dafür erscheint erscheint vor allem die Verankerung des Vertrauensschutzes in dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieser Generalklausel ist eine differenzierte Begründung einzelner Voraussetzungen und Rechtsfolgen, die sich aus diesem Gebot ergeben, kaum möglich102.

4. Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 Das Urteil des 4. Strafsenats vom 28. August 1997 hatte keine fehlgeschlagene Urteilsabsprache zum Gegenstand, sondern eine gelungene Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung. Eine Absprache fand sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe statt, und das Urteil stimmte mit dem Ergebnis dieser Verständigung auch überein. Der Senat entsprach der Revision des Angeklagten und hob den Strafausspruch aufgrund eines Verstoßes gegen § 46 I 1, II 1 StGB auf103, weil die Strafkammer die Vereinbarung einer konkreten Strafe zur Grundlage der Strafzumessung gemacht habe104. Die 4. Strafsenat nahm die Entscheidung aber zum Anlaß, allgemein zur Zulässigkeit der Urteilsabsprache Stellung zu beziehen. In diesem Zusammenhang äußerte er sich unter anderem zu dem Schutz des Vertrauens des Angeklagten bei einem Abweichen des Gerichts von der Verständigung. Daher hatte die Entscheidung auch entscheidenden Einfluß auf die weitere Behandlung des Vertrauensschutzgedankens im Bereich der Urteilsabsprache. Als Beispiele für diese Behandlung auf der Basis von BGHSt 43, 195 können zwei Fälle aus der neueren BGH-Rechtsprechung dienen, die bereits erhebliche Unterschiede zu dem Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 36, 210 aufzeigen. Der 5. Strafsenat nahm in einem Fall, in dem von der Revision eine Verständigung zwischen Verteidiger und Vorsitzendem behauptet wurde, keine nähere Aufklärung der Umstände vor, da nach seiner Auffassung schon nach dem Vorbringen der Revision ein Vertrauensschutz nicht in Betracht kam105: Nach dem Vorbringen der Revision hatten zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger vor Beginn der Hauptverhandlung Gespräche stattgefunden, in deren Rahmen sich der Vorsitzende zu der voraussichtlichen Strafhöhe äußerte. Diese Äußerungen wurden später in keiner Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Vgl. die Kritik von Haas GS Keller, S. 45 (61 f.) an BGHSt 38, 102 (104 f.). Vgl. dazu auch unten 3. Teil I. 103 Der Senat behandelt die Problematik der Verständigung im Strafverfahren also im Rahmen einer Sachrüge, prüft aber quasi inzident eine Verfahrensrüge, Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 129. 104 BGHSt 43, 195 (196 und 210 f.). 105 BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01 (www.bundesgerichtshof.de). 101 102

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Der 5. Strafsenat lehnte von vornherein einen Vertrauensschutz zugunsten des Angeklagten ab, „der nur durch einen förmlichen Hinweis zu beseitigen gewesen wäre“106. In einer weiteren Entscheidung, der eine fehlgeschlagene Urteilsabsprache zugrundelag, hat der 5. Senat jedoch in der absprachewidrigen Verurteilung einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens erblickt107: In der Hauptverhandlung hatten sich die Verfahrensbeteiligten darauf verständigt, daß der Angeklagte im Fall eines Geständnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als vier Jahren verurteilt werden sollte. In diese Gesamtstrafe sollten auch die Einzelstrafen aus einer anderen rechtskräftigen Verurteilung – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten – einbezogen werden108. Daraufhin legte der Angeklagte ein Geständnis ab. Später erkannte die Strafkammer die Unzulässigkeit der in Aussicht gestellten Einbeziehung der Strafen aus der rechtskräftigen Verurteilung. Die Voraussetzungen des § 55 I StGB lagen nämlich nicht vor, da die angeklagten Taten erst nach der früheren Verurteilung begangen worden waren. Auf diese veränderte Situation wurde der Angeklagte vom Gericht hingewiesen. Das Gericht verurteilte den Angeklagten auch ohne die rechtlich unzulässige Einbeziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren.

Der 5. Senat stufte diese Gesamtstrafenbildung als einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens ein109. Das bei der Absprache angekündigte Strafmaß sei nicht unvertretbar hoch oder niedrig gewesen. Einen Grund, von den dabei bekanntgegebenen Straffindungsgrundsätzen abzuweichen, habe das Landgericht nicht bezeichnet. Das Tatgericht hätte zudem bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen, daß die Einbeziehung von Einzelstrafen unterblieb, welche wiederum zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten geführt hatten. Unter Beachtung des die Gesamtstrafenbildung prägenden Prinzips der Strafzusammenziehung hätte daher eine Freiheitsstrafe verhängt werden müssen, die drei Jahre und zwei Monate überschreitet, vier Jahre aber deutlich unterschreitet110.

106 BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01, S. 2 (www.bundesgerichtshof.de). 107 BGH StV 2004, 471. 108 Es handelte sich zudem um eine Kombination mit einer Prozeßumfangsabsprache, da auch die Einstellung weiterer Taten nach § 154 II StPO zum Abspracheninhalt zählte. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang aber nicht relevant, da die Einstellungen absprachegemäß erfolgten. 109 BGH StV 2004, 471 (472). 110 Der Senat hat den Angeklagten unter entsprechender Anwendung von § 354 I StPO selbst zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, StV 2004, 471 (472). Darauf muß hier aber nicht eingegangen werden. Grund für das Absehen von der grundsätzlich gebotenen Zurückverweisung ist nämlich eine fairneßwidrige Verfahrensverzögerung, die von dem Landgericht auch bei der Strafzumessung berücksichtigt wurde.

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a) Voraussetzungen Diese Entscheidungen des 5. Senats beruhen maßgeblich auf den vom 4. Senat formulierten Zulässigkeitskriterien für Absprachen. In BGHSt 43, 195 wurden sieben Grundsätze benannt, deren Einhaltung die Zulässigkeit einer Urteilsabsprache zwischen den Verfahrensbeteiligten zur Folge haben soll111: – Eine Absprache über den Schuldspruch ist ausgeschlossen112. – Die freie Willensentschließung des Angeklagten muß gewahrt bleiben, § 136a StPO und der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare sind zu beachten113. – Die Zusage der Strafmilderung darf nicht mit einem Rechtsmittelverzicht verknüpft werden114. – Eine Urteilsabsprache muß unter Einbeziehung aller Beteiligter in der Hauptverhandlung erfolgen, und das Ergebnis ist als wesentlicher Verfahrensvorgang zu protokollieren; Vorgespräche müssen in der Hauptverhandlung offen gelegt werden115. – Eine bestimmte Strafhöhe darf nicht zugesagt werden, es darf aber für den Fall der Ablegung eines glaubhaften Geständnisses eine Strafobergrenze angegeben werden116. – „Die . . . Verständigung steht unter dem Vorbehalt, daß das später ergehende Urteil materiell-rechtlich zutreffend und unter Berücksichtigung aller Umstände vertretbar ist“117. Es sind die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung zu beachten, das Geständnis darf auch dann strafmildernd berücksichtigt werden, wenn es nicht in erster Linie aus Schuldeinsicht und Reue abgelegt wird. – Der Grundsatz des fairen Verfahrens führt zu einer grundsätzlichen Bindung des Gerichts an eine auf diese Weise zustande gekommene Verständigung, bei einem 111 Vgl. auch die Überblicke bei Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprache, S. 38 ff.: „sieben Säulen der Weisheit“; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen, S. 130 f.; Meyer-Goßner Gollwitzer-Kolloquium, S. 161 (165 f.). Die Zulässigkeitskriterien sind nunmehr auch vom Großen Senat für Strafsachen übernommen worden, es ist nur z. T. eine Konkretisierung erfolgt, vgl. BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 f. Die übrigen Senate hatten schon zuvor in ihren Entscheidungen auf vom 4. Senat aufgestellten Zulässigkeitsanforderungen verwiesen, vgl. BGH StV 2003, 264 (265) und StV 2004, 115 (116) (1. Strafsenat); StV 2004, 417 (2. Strafsenat); StV 2003, 544 (545) und NStZ 2004, 342 (343) (3. Strafsenat); StV 2003, 481 und StV 2004, 471 (5. Strafsenat). 112 BGHSt 43, 195 (204); dies gilt auch für die Anordnung der Sicherungsverwahrung, BGH NStZ 2005, 39. 113 BGHSt 43, 195 (204). 114 BGHSt 43, 195 (204 f.). 115 BGHSt 43, 195 (205 f.). 116 BGHSt 43, 195 (206 f.). 117 BGHSt 43, 195 (208).

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Abweichen aufgrund schwerwiegender neuer Umstände muß ein entsprechender Hinweis erteilt werden118. Die letztgenannte Erwägung stützt der 4. Strafsenat darauf, daß das Gericht sich nicht in Widerspruch zu eigenen Erklärungen setzen dürfe, auf die ein Verfahrensbeteiligter vertraut hat. Insofern wird also das Erfordernis eines Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der Urteilsabsprache aufgezeigt und – wie schon acht Jahre zuvor vom 2. Senat – aus dem fair trial-Gebot abgeleitet. aa) Im Unterschied zu BGHSt 36, 210 werden aber nicht nur die Voraussetzungen einer zulässigen Urteilsabsprache benannt – auch die Bedeutung dieser Voraussetzungen für den Vertrauensschutz wird anders beurteilt119. Die Ausführungen, die letztlich auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes beruhen, erfolgen nämlich im Hinblick darauf, daß die Verständigung „auf diese Weise in öffentlicher Verhandlung unter Einbeziehung aller Beteiligter“ 120 zustande gekommen sein muß. Dies deutet darauf hin, daß sich der BGH der Auffassung im Schrifttum angeschlossen hat, daß nur die prozessual statthafte Verständigung schutzwürdiges Vertrauen auslösen kann. Voraussetzung für den Schutz des Vertrauens des Angeklagten wäre dann insbesondere die in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgte und protokollierte Angabe einer Strafobergrenze für den Fall eines Geständnisses121. In diese Richtung weist auch die oben genannte Entscheidung des 5. Strafsenats, in der ein Vertrauensschutz zugunsten des Angeklagten bei Vorgesprächen, die nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind, abgelehnt wird122. Der 1. Strafsenat spricht ebenfalls aus, daß nicht protokollierte Äußerungen des Gerichts außerhalb der Hauptverhandlung keinen Vertrauensschutz begründen können und deshalb keine Hinweispflicht des Gerichts zur Folge haben123. In einer weiteren Entscheidung verneint der 5. Senat einen Vertrauenstatbestand für den Angeklagten, wenn dieser außerhalb des in BGHSt 43, 195 beschriebenen förmlichen Verfahrens ein Geständnis ablegt124. Ob damit bereits eine geeignete Vertrauensgrundlage im obigen Sinne abgelehnt wird oder die Schutzwürdigkeit eines faktisch vorhandenen Vertrauens, kann offen bleiben. Dies hängt davon ab, BGHSt 43, 195 (210). Vgl. dazu BGHSt 36, 210 (214). 120 BGHSt 43, 195 (210). 121 Vgl. auch BGH StV 2003, 268 (4. Strafsenat): Ein Vertrauenstatbestand sei durch die in öffentlicher Hauptverhandlung protokollierte Angabe einer Strafobergrenze geschaffen worden; vgl. aber auch BGH StV 1999, 408 (4. Strafsenat): Ob ohne Protokollierung ein Berufen auf die behauptete Zusage möglich ist, wird offen gelassen. Der Große Senat für Strafsachen benennt diesen Aspekt nunmehr als künftig zu regelnde Frage, BGH StV 2005, 311 (312). 122 BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01 (www.bundesgerichtshof.de). 123 BGH NJW 2005, 445 (446). 124 BGH StV 2003, 481 mit abl. Anm. Schlothauer; vgl. auch 4. Teil I. 1. c) bb). 118 119

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ob die Voraussetzung der Vertrauensgrundlage über ihre Eignung, Erwartungen des Bürgers zu wecken, hinaus mit normativen Erwägungen angereichert wird oder diese allein im Rahmen der Schutzwürdigkeit geprüft werden. Auch der 3. Strafsenat ist der Auffassung, daß der Angeklagte aus einer Verständigung „nichts für sich herleiten“ kann, wenn die in BGHSt 43, 195 formulierten Anforderungen an das Zustandekommen einer Absprache nicht eingehalten wurden125. Die im Rahmen einer solchen unzulässigen Verständigung vereinbarte Strafe sei deshalb für die Überprüfung der tatsächlich verhängten Strafe ohne Bedeutung. Im Schrifttum ist allerdings geltend gemacht worden, der BGH dürfe nicht so verstanden werden, daß bei fehlender Protokollierung mangels tauglicher Vertrauensgrundlage stets der Vertrauensschutz entfiele126. Die Ausführungen bezögen sich nicht auf den Vertrauensschutz im verfassungsrechtlichen Sinne, sondern auf die Voraussetzungen der Bindungswirkung der Absprache. Rechtliche Zulässigkeit und Protokollierung seien Voraussetzungen, damit die gerichtliche Zusage aus sich selbst heraus Bindungswirkung entfalten könne. Dies gelte aber nicht für den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Damit wird die Verständigung wie eine Zusage im Verwaltungsrecht behandelt (vgl. § 38 VwVfG), die den Charakter der Verbindlichkeit in sich selbst trägt, so daß es der Heranziehung eines allgemeinen Vertrauensschutzgedankens nicht bedarf127. Der BGH hat aber in BGHSt 43, 195 und der nachfolgenden Rechtsprechung keine Begründung dafür geliefert, daß im Strafverfahren eine Zusage in diesem Sinne überhaupt als Handlungsform existiert128 und die Urteilsabsprache eine solche Zusage darstellt. Vielmehr wird die Bindungswirkung der Verständigung als Folge des Grundsatzes des fairen Verfahrens angesehen, der aufgrund seiner Ableitung aus Art. 20 III i. V. m. Art. 2 I GG verfassungsrechtlichen Charakter aufweist129. Einer Abweichung des Gerichts von seiner früheren Erklärung stehe die Schaffung von Vertrauen entgegen, dessen Schutz zu den Grundsätzen des fairen Verfahrens zähle130. Der BGH gelangt also erst über den verfassungsrechtlichen Fairneßgrundsatz zu einer Bindung des Gerichts131, womit dann aber auch die BGH NStZ 2001, 555 (556). F. Meyer Willensmängel, S. 294. 127 F. Meyer Willensmängel, S. 295. 128 Vgl. Schünemann FS Rieß, S. 525 (537 f.), siehe dazu auch unten 4. Teil I. 1. e). 129 Siehe dazu 3. Teil I. 130 BGHSt 43, 195 (210); vgl. auch BGH NJW 2005, 445 (446): „Vertrauensbegründend im Sinne des Grundsatzes des fair trial sind nur solche Absprachen oder Zusicherungen, die protokolliert sind“. 131 Vgl. Schünemann FS Rieß, S. 525 (537 f.), der bemängelt, daß der 4. Strafsenat kein Argument für eine in sich verbindliche Urteilsabsprache gefunden habe und daher in einem Zirkelschluß erst mit der Vertrauenslage die Bindung des Gerichts begründe; vgl. auch Rönnau wistra 1998, 49 (51); Satzger JA 1998, 98 (101); Moldenhauer Verfahrensordnung 125 126

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Voraussetzung für diesen Schutz – Zustandekommen der Verständigung „auf diese Weise“ – auf einen verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes bezogen ist. Der 5. Strafsenat bezieht sich zudem in seinen Entscheidungen nicht allein auf eine mögliche Verbindlichkeit der Verständigung, sondern auch auf die vom 4. Strafsenat benannte Pflicht zu einem Hinweis bei Abweichung von der Absprache132 und einen möglichen Schutz des Angeklagten durch ein Absehen von der Verwertung des absprachebedingten Geständnisses133. Demnach könnten auch diese potentiellen Folgen einer gescheiterten Verständigung nicht auf einen Schutz des Vertrauens des Angeklagten gestützt werden, wenn die Absprache nicht den Anforderungen von BGHSt 43, 195 entspricht. Der Grund für diese Ansicht kommt in der erstgenannten Entscheidung zum Ausdruck: Da die Vorgespräche nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien, könne der Verteidiger an ihrer Unverbindlichkeit nicht zweifeln. Warum die Äußerungen des Vorsitzenden deshalb nicht geeignet sind, einen Vertrauensschutz zugunsten des Angeklagten zu begründen, führt der 5. Senat zwar nicht aus. Auch in der zweiten Entscheidung wird aber das Fehlen eines Vertrauenstatbestandes in einen Zusammenhang mit der Unverbindlichkeit der Absprache gestellt, die außerhalb der Hauptverhandlung und ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft vorgenommen wurde. Als entscheidend erscheint also, daß das Vertrauen auf eine Verständigung, die nicht die Anforderungen an eine Bindungswirkung erfüllt, von vornherein nicht schutzwürdig ist, so daß auch nicht subsidiär andere Rechtsfolgen in Betracht kommen, die einen Vertrauensschutz gewährleisten könnten134. Dies ist bei einer solchen Sicht vielmehr nur dann der Fall, wenn trotz Einhaltung der erforderlichen Verständigungsvoraussetzungen ausnahmsweise doch ein Abweichen von der Absprache zulässig ist. Vertrauensschutz würde also ausschließlich bei Urteilsabsprachen eingreifen, die mit BGHSt 43, 195 zu vereinbaren sind. bb) Zwar hat der 4. Strafsenat in einer Entscheidung, durch die BGHSt 43, 195 ergänzt wird, festgestellt, daß die mit der Protokollierungspflicht verbundene positive und negative Beweiskraft des Protokolls hinsichtlich der Verständigung nur für die Verbindlichkeit der in der Hauptverhandlung getroffenen Absprache gilt135. Dadurch sei das Gericht hingegen nicht an der freibeweislichen Feststellung eines unzulässigen Geschehens gehindert, das sich in oder außerhalb der Hauptverhandlung ereignet hat. für Absprachen?, S. 139: „Fairneß-Argument nicht ausreichend“; Kölbel NStZ 2002, 74 (75): Verpflichtung zur Einhaltung von Verfassungswegen. 132 BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01 (www.bundesgerichtshof.de). 133 BGH StV 2003, 481. 134 Vgl. auch schon Tscherwinka Absprachen, S. 75, der die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens bei einem ausdrücklichen Hinweis des Gerichts auf die Unverbindlichkeit der Absprache ablehnt. 135 BGHSt 45, 227 (228). 4*

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Damit wird deutlich gemacht, daß nicht von vornherein jeglicher Schutz des Angeklagten im Zusammenhang mit einer Verständigung ausscheidet, nur weil diese nicht die Anforderungen erfüllt, die an eine Bindungswirkung gestellt werden. So bejaht der 4. Senat in dieser Entscheidung die Unwirksamkeit eines absprachegemäß erklärten Rechtsmittelverzichts und gewährt dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO. Allerdings ändert dies nichts an der Einschätzung, daß Vertrauensschutz nur im Fall der Einhaltung aller Absprachenvoraussetzungen gewährt wird. BGHSt 45, 227 hatte nämlich eine gescheiterte Absprache zum Gegenstand136. Dennoch hat der 4. Strafsenat die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts ausdrücklich nicht auf „enttäuschte Erwartungen“ des Angeklagten gestützt137. Dann ist aber die Tatsache des Scheiterns, also der Nicht-Realisierung der Absprache für den Schutz des Angeklagten für sich genommen unerheblich. Vielmehr ist das unzulässige Vorgehen des Gerichts im Zusammenhang mit der Absprache für den Schutz des Angeklagten maßgeblich138. Dieser Schutz des Angeklagten, der auf die Unzulässigkeit der Absprache zurückgeht, hängt nicht davon ab, daß die Absprache scheitert. Es handelt sich nicht um einen spezifischen Vertrauensschutz gegen die abweichende staatliche Maßnahme, auch wenn das Abweichen gerade die Folge der Unzulässigkeit der Verständigung sein kann. Steht die Verständigung im Widerspruch zu den in BGHSt 43, 195 formulierten Voraussetzungen, ist also demnach nicht das durch die Absprache hervorgerufene Vertrauen des Angeklagten im Hinblick auf einen Fehlschlag zu schützen139. Die Tatsache der Unzulässigkeit kann aber einen auf andere Weise zu begründenden Schutz zur Folge haben, der dann auch – aber eben nicht nur – bei einem Scheitern der Absprache eingreift140. So läßt sich auch die Rechtsprechung des 3. Strafsenats verstehen, der bemerkt, ein Vertrauenstatbestand ergebe sich nur, wenn die in BGHSt 43, 195 aufgestellten 136 Es handelte sich um eine Kombination einer Urteils- mit einer Prozeßumfangsabsprache (dazu unter II.), da auch Einstellungen gemäß § 154 I und II StPO Abspracheninhalt waren, BGHSt 45, 227 (228 f.). Später wurde aber bezüglich mehrerer Taten von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, obwohl insofern – z.T. nur aus der Sicht des Verteidigers und des Angeklagten – eine Einstellung vereinbart worden war. 137 BGHSt 45, 227 (230) gegen Schlüchter in: SK-StPO, Vor § 213 Rn. 52, die die Unwirksamkeit als Kompensation ansieht, wenn ein versprochener Vorteil in einer anderen Sache nicht gewährt wird. 138 BGHSt 45, 227 (230 ff.). 139 Vgl. auch Pfister DRiZ 2004, 178 (181): Der BGH habe das Risiko eines Fehlschlags der Absprache auf den Angeklagten verlagert. Dieser könne sich nicht auf eine Zusage berufen, die nicht im Einklang mit den Regeln von BGHSt 43, 195 steht. 140 Vgl. dazu die gegenüber BGHSt 36, 210 in der Literatur vertretene Auffassung, bei einer prozeßordnungswidrigen Absprache liege der Verfahrensfehler in der Absprache selbst, so daß sich ein „Vertrauensschutz“ des Angeklagten nur als bloßer Reflex ergebe, Schünemann JZ 1989, 984 (988); ders. Gutachten 58. DJT, B 124 f.

I. Die Urteilsabsprache

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Mindestbedingungen für Verständigungen im Strafverfahren gewahrt werden141. Zwar hat der Senat in einem Fall, in dem eine Zusage hinsichtlich der Strafhöhe nicht eingehalten werden durfte, für die neue Hauptverhandlung darauf hingewiesen, daß die Verwertbarkeit der absprachebedingten Geständnisse überprüft werden müsse142. Zur Grundlage eines Beweisverwertungsverbots hat er nicht Stellung genommen, sondern auf eine Äußerung in der Literatur verwiesen. Dort wird aber in erster Linie das Eingreifen von § 136a StPO im Zusammenhang mit Verständigungen behandelt143. Angesichts dessen, daß nach dem Eindruck des Senats bei der Verständigung der von BGHSt 43, 195 vorgegebene Rahmen nicht eingehalten worden ist144, dürften die Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit vor allem auf der Täuschungsvariante des § 136a I 1 StPO gründen145 – nicht auf einem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. cc) Der BGH stellt also nunmehr bei der Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens entscheidend auf die Einhaltung der in BGHSt 43, 195 herausgearbeiteten Zulässigkeitskriterien ab. Allerdings liegen auch vereinzelte Entscheidungen vor, in denen dieser Zusammenhang zwischen Rechtmäßigkeit der Absprache und Schutzwürdigkeit des Vertrauens nicht durchgehalten wird. Der 2. Strafsenat, der in BGHSt 36, 210 die Schutzwürdigkeit des Vertrauens erst für den Fall einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Verständigung oder einer Kompetenzüberschreitung verneint hatte146, hat im Fall einer fehlgeschlagenen Absprache offen gelassen, ob das Vorgehen des Gerichts mit BGHSt 43, 195 im Einklang stand147. Da das Gericht von der Verständigung abweichen wollte – und durfte148 – habe es dem Angeklagten mit Blick auf den fair-trial-Grundsatz einen Hinweis erteilen müssen. In diesem Fall ist allerdings die Angabe der Strafobergrenze in der Hauptverhandlung protokolliert worden. Jedenfalls durch dieses Vorgehen hat die Strafkammer nach Auffassung des Senats einen Vertrauenstatbestand für den Angeklagten begründet. Es könne dahinstehen, ob und inwieweit das Vorgehen den Anforderungen an eine Verständigung entsprach. BGH NStZ 2004, 342 (343); NStZ 2001, 555 (556). BGH NStZ 2004, 493 (494). 143 Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (67 ff.), der nur in besonderen Fällen unabhängig von § 136a StPO ein Beweisverwertungsverbot aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens herleiten möchte, S. 71 f. 144 BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2003 – 3 StR 257 / 03, S. 6 (www.bundesgerichtshof.de); insoweit in NStZ 2004, 493 nicht abgedruckt. 145 Vgl. Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (70): Der Angeklagte werde im Sinne dieser Norm getäuscht, wenn das Gericht ihn im Rahmen einer Absprache zu einem Geständnis veranlaßt, obwohl diese Verständigung nach Form und / oder Inhalt unzulässig ist. 146 BGHSt 36, 210 (215). 147 BGH StV 2004, 417; vgl. aber auch BGH StV 1999, 408 (4. Strafsenat): Ob ohne Protokollierung ein Berufen auf die behauptete Zusage möglich ist, wird offen gelassen. 148 Die Einlassung des Angeklagten genügte nach Ansicht des Landgerichts nicht den Anforderungen an ein glaubhaftes Geständnis. 141 142

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

Im Widerspruch zu der Annahme, nur die zulässige Verständigung schaffe einen Vertrauenstatbestand, steht aber insbesondere ein Beschluß des 1. Strafsenats149, der drei Jahre vor der unter aa) genannten Entscheidung des Senats ergangen ist. Auch in diesem Fall waren schon die Verständigungsgespräche gescheitert und damit eine Absprache gar nicht zustande gekommen. Zudem hatte das Gericht gerade die unzulässige Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts von der Angeklagten gefordert. Die Angeklagte wurde zu einer höheren Strafe verurteilt, als vom Gericht im Rahmen der Gespräche in Aussicht gestellt worden war. Der 1. Senat bejahte unter Verweis auf BGHSt 36, 210 eine Hinweispflicht des Gerichts, da für die Beteiligten eine Veränderung der für die Strafzumessung erheblichen Sachlage nicht erkennbar gewesen sei. Damit wurde in dieser Entscheidung das durch die Ankündigung einer bestimmten Strafhöhe geschaffene Vertrauen aber unabhängig davon geschützt, ob eine Verständigung im Sinne von BGHSt 43, 195 erfolgt ist150. Auch in einer anderen Entscheidung, in der der 1. Senat die Schutzwürdigkeit absprachebedingter Erwartungen wegen der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Verständigung verneinte151, machte der Senat die Schutzwürdigkeit des Vertrauens offenbar nicht von der Einhaltung aller Absprachevoraussetzungen abhängig, sondern lag noch auf der Linie der Rechtsprechung des 2. Senats in BGHSt 36, 210.

BGH NStZ 2002, 219 f. mit Anm. Weider NStZ 2002, 174. Vgl. auch Weider NStZ 2002, 174: „Nach der vom 4. Senat in seiner Grundsatzentscheidung aufgestellten „Verfahrensordnung für Absprachen“ gilt die Hinweispflicht nur in Fällen zustande gekommener Absprachen“ (Hervorhebungen im Original). Nicht zuzustimmen ist allerdings Weiders Interpretation der Entscheidung des 1. Strafsenats, soweit es um eine mögliche Bindungswirkung geht. Die Auffassung des Senats, daß auch bei einem Scheitern der Verständigungsgespräche ein Vertrauenstatbestand geschaffen werde, bedeute, daß auch in diesem Fall eine Bindung bestehe, also nur noch aus nachvollziehbaren Gründen von der Ankündigung abgewichen werden dürfe, S. 175. Weider geht davon aus, daß der Senat nur deshalb auf eine bloße Hinweispflicht abstellt, weil die Revision nicht beweisen konnte, daß keine strafschärfenden Umstände neu hervorgetreten sind. Dem Beschluß läßt sich eine solche Sicht indes nicht entnehmen. Der Senat verweist in seiner Entscheidung nicht etwa auf BGHSt 43, 195, wo die Bindungswirkung geschaffen wurde, sondern auf BGHSt 36, 210, wo die Hinweispflicht noch als einzige Rechtsfolge eingestuft wurde. Dies läßt sich damit erklären, daß die Angeklagte in dem Fall des 1. Senats kein absprachebedingtes Geständnis abgelegt hat, so daß es allein um die Möglichkeit ging, die Verteidigung auf eine von der Ankündigung abweichende, höhere Strafe einstellen zu können. Es kann nicht unterstellt werden, daß der 1. Strafsenat von einer grundsätzlichen Bindungswirkung ausgegangen ist, obwohl sich die Verteidigungsposition der Angeklagten ganz anders darstellte als bei der Ablegung eines Geständnisses im Rahmen einer Absprache. 151 BGH StV 2000, 539 (540); es handelte sich allerdings um eine Prozeßumfangsabsprache. Auch Weider stellt die Entscheidung in einen Zusammenhang mit BGHSt 36, 210, vgl. StV 2000, 540. 149 150

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b) Rechtsfolgen aa) Bindungswirkung und Hinweis bei zulässiger Abweichung von der Absprache Wie bereits erwähnt, wird Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 in erster Linie dadurch gewährleistet, daß das Gericht an die im Rahmen der Verständigung angegebene Strafobergrenze gebunden ist152. Der Grundsatz des fairen Verfahrens verbiete ein Abweichen von einer früheren Erklärung, auf die ein Verfahrensbeteiligter vertraut hat153. Dem aus dem fair-trial-Grundsatz abgeleiteten Gedanken des Vertrauensschutzes wird also erstmals die Funktion zugeschrieben, das Gericht an seiner Erklärung bezüglich des Verfahrensergebnisses festzuhalten. Nach einer statthaften Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten sei eine Abweichung von dem angekündigten Verfahrensergebnis nur bei „schwerwiegenden neuen Umständen“ zulässig, „die dem Gericht bisher unbekannt waren und 152 Das OLG Köln hat der Urteilsabsprache noch in anderer Hinsicht eine Bindungswirkung zugeschrieben. In diesem Fall hatte das OLG in einem gegen einen Bewährungsbeschluß gerichteten Beschwerdeverfahren zu entscheiden, NJW 1999, 373: Die Strafkammer hatte im Rahmen einer Absprache die Verhängung einer Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt, die zur Bewährung verhängt werden sollte. Daraufhin verzichteten die Angeklagte und ihr Verteidiger auf weitere Beweisanträge bzw. nahmen diese zurück. Nachdem alle Verfahrenbeteiligten im Anschluß an die Urteilsverkündung Rechtsmittelverzicht erklärt hatten, verkündete die Strafkammer den Bewährungsbeschluß. Dieser beinhaltete eine Auflage gemäß § 56b II 1 Nr. 2 StGB. Darüber war bei der Verständigung nicht gesprochen worden. Das OLG Köln ging davon aus, daß die Angeklagte eine solche Auflage gerade deshalb nicht erwartete, NJW 1999, 373 (375). Es bestünde die Möglichkeit, daß die Angeklagte bei einer entsprechenden Erwartung nicht auf ihre prozessualen Rechte in der Hauptverhandlung verzichtet hätte. Die Strafkammer sei daher primär verpflichtet gewesen, die Angeklagte auf die Möglichkeit einer solchen Auflage hinzuweisen. Nun, da die Angeklagte aufgrund des Rechtsmittelverzichts nicht mehr neu über die Ausübung ihrer Verfahrensrechte entscheiden könne, müsse der Bewährungsbeschluß hinsichtlich der Auflage aufgehoben werden, NJW 1999, 373 (375). Nach dieser Entscheidung muß sich die Strafkammer also an der durch sie geweckten Erwartung, es werde keine Geldauflage verhängt werden, festhalten lassen. Ist ein Bewährungsbeschluß eines solchen Inhalts nicht zum Gegenstand der Absprache gemacht worden, kann er nur bei einem entsprechenden Hinweis verhängt werden. Damit kommt der Absprache insofern zunächst einmal keine Bindungswirkung zu, da die Verhängung der Auflage grundsätzlich noch möglich ist. Ist aber das Verfahren z. B. aufgrund eines Rechtsmittelverzichts rechtskräftig abgeschlossen, so erstarkt nach dieser Auffassung das durch die Absprache hervorgerufene Vertrauen zu einem entsprechenden „Anspruch“. Subsidiär kommt dem Grundsatz des Vertrauensschutzes demnach auch in dieser Konstellation eine Bindungsfunktion zu. Das OLG Köln hat allerdings Widerspruch erfahren. Kaetzler ist der Ansicht, einem Vertrauensschutz stehe entgegen, daß kein positiver Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei, wistra 1999, 253 (255). Der Verteidiger dürfe sich nicht überrumpelt fühlen, wenn keine positive Zusicherung erfolgt ist. Vielmehr müsse er mit allen gesetzlich vorgesehenen Konsequenzen auch dann rechnen, wenn nicht ausdrücklich auf sie hingewiesen worden ist. 153 BGHSt 43, 195 (210).

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die Einfluß auf das Urteil haben können“154. In BGHSt 43, 195 werden als solche Umstände erhebliche Vorstrafen des Angeklagten genannt und neue Tatsachen oder Beweismittel, aufgrund derer sich der Verbrechenscharakter der bislang als Vergehen eingestuften Tat herausstellt155. Inzwischen ist festgestellt worden, daß die Bindung an die Strafobergrenze auch entfällt, wenn die Einlassung des Angeklagten den Anforderungen an ein glaubhaftes Geständnis nicht genügt156. Allgemein kommt keine Bindungswirkung in Betracht, wenn der Angeklagte eine Bedingung für das in Aussicht gestellte Strafmaß nicht erfüllt, etwa wenn der Angeklagte erst nach der Vernehmung der Opfer ein Geständnis ablegt, obwohl eine Strafmilderung im Rahmen der Verständigung ausdrücklich gerade mit Blick auf die Vermeidung dieser Vernehmungen angekündigt worden ist157. In einem Fall zulässigen Abweichens von der Absprache müsse der Angeklagte aber zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen und der Hinweis protokolliert werden158. Der 5. Strafsenat hat diese Grundsätze im zweiten Ausgangsbeispiel auch auf den Fall angewendet, daß eine in Aussicht gestellte Gesamtstrafenbildung nicht mit § 55 I StGB zu vereinbaren ist159. Das Landgericht sei nicht verpflichtet gewesen, sondern aus Rechtsgründen gehindert, die angekündigte Gesamtstrafenbildung vorzunehmen. Es mußte den Angeklagten aber auf die insoweit gescheiterte Absprache hinweisen. Genau genommen müßte dieser Grund für das Scheitern der Absprache im Rahmen von BGHSt 43, 195 nicht den „schwerwiegenden neuen Umständen“ zugeordnet werden, sondern dem Vorbehalt, das später ergehende Urteil müsse materiell-rechtlich zutreffend sein160. Dennoch erscheint eine Gleichbehandlung nachvollziehbar, da sich in beiden Konstellationen erst nachträglich herausstellt, daß die angekündigte Strafe aus strafzumessungsrechtlichen Gründen nicht verhängt werden kann. Der Große Senat für Strafsachen hat jetzt klargestellt, daß das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen darf, sondern auch mit Blick auf tatsächliche oder rechtliche Aspekte, die zum Zeitpunkt der Urteilsabsprache schon vorhanden waren und übersehen worden sind161. Der 3. Strafsenat hatte zuvor schon die Bindungswirkung in einem Fall verneint, in dem das Gericht bei der Urteilsabsprache eine Vorstrafe des Angeklagten übersehen hatte, die von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift mitgeteilt worden war162. BGHSt 43, 195 (210); vgl. auch BGH StV 2003, 268. BGHSt 43, 195 (210). 156 BGH StV 2003, 268; BGH StV 2004, 417. 157 BGH StV 1999, 408; vgl. auch BGHSt 49, 84 (88); BGH NStZ 2004, 342 (343). 158 BGHSt 43, 195 (210); BGH StV 2003, 268; BGH StV 2004, 417; BGH StV 2004, 471 f. 159 BGH StV 2004, 471. 160 BGHSt 43, 195 (208). 161 BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312). Ein Beispiel für das Übersehen eines rechtlichen Aspekts bildet der vorstehend genannte Fall des 5. Strafsenats, BGH StV 2004, 471. 162 BGH NStZ 2004, 493. 154 155

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Der Entscheidung des Großen Senats läßt sich keine eindeutige Aussage darüber entnehmen, ob die tatsächlichen Aspekte „schwerwiegend“ im Sinne von BGHSt 43, 195 sein müssen oder ob der Große Senat auch in dieser Hinsicht über den 4. Senat hinausgeht. Ausdrücklich bezieht sich der Große Senat nur auf den Zeitpunkt des Vorhandenseins des Umstandes, der eine Abweichung von der Strafmaßankündigung bedingt. Allerdings spricht der Große Senat bezüglich der ursprünglich bereits vorhandenen Umstände von relevanten, für die Urteilsfindung maßgeblichen Aspekten163. Dies spricht eher gegen eine Einschränkung auf schwerwiegende Umstände. Dann müßte dies aber konsequent auch für neue Umstände Geltung beanspruchen, so daß hier eine Änderung gegenüber BGHSt 43, 195 zu erwarten sein könnte. Im Schrifttum jedenfalls hat – bei Befürwortern und Gegnern der Bindungswirkung – die Einschränkung des 4. Senats, nur schwerwiegende neue Umstände ließen die Bindung des Gerichts an die Absprache entfallen, Kritik erfahren164. Damit bestünde nämlich eine Bindung bei neu hervorgetretenen Umständen, die zwar für die Strafzumessung durch das Gericht relevant sein könnten, aber eben nicht als schwerwiegend einzustufen wären. Rönnau lehnt dies mit dem Hinweis darauf ab, daß § 46 II StGB die umfassende Abwägung sämtlicher Strafzumessungsfaktoren verlange und § 261 StPO die Entscheidungsfreiheit bis zur Schlußberatung garantiere165. Bömeke stützt den Wegfall der Bindungswirkung in diesen Fällen auch auf die Kenntnis des Angeklagten von den neuen Umständen und der daraus folgenden mangelnden Schutzwürdigkeit des Vertrauens166.

bb) Konkretisierung der Bindungswirkung durch den 5. Strafsenat (BGH StV 2004, 471) Eine nähere Konkretisierung der Bindungswirkung, die auf den Vertrauensgedanken gestützt wird, ist in BGHSt 43, 195 noch nicht erfolgt167. Inzwischen hat der BGH deutlich gemacht, daß die Nichtbeachtung dieser Bindung durch das Gericht von dem Angeklagten im Wege der Revision gerügt werden kann168. Es handelt sich also um eine rechtliche Verbindlichkeit der Absprache169. Anlaß zu einer BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312). Rönnau wistra 1998, 49 (52); Satzger JA 1998, 98 (101); Haas GS Keller, S. 45 (70); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 47 f.; F. Meyer Willensmängel, S. 300 Fn. 1373, der auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz der clausula rebus sic stantibus abstellt. 165 Rönnau wistra 1998, 49 (52). 166 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 48. 167 Rönnau wistra 1998, 49 (52 Fn. 35): „Zur Qualität dieser „Verbindlichkeit“ sowie zu den Konsequenzen einer Nichtbeachtung dieser Bindungswirkung finden sich im Urteil leider keine weiteren Ausführungen“. 168 Vgl. BGHSt 45, 227 (228); vgl. auch BGHSt 49, 84 (87), wo allerdings eine bindende Zusage mangels Zustandekommen der Absprache abgelehnt wird, dazu sogleich im Text. 169 Kölbel NStZ 2002, 74 (75); F. Meyer Willensmängel, S. 294 Fn. 1369: Anspruchscharakter. 163 164

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weitergehenden Erörterung der Bindungswirkung hatte der BGH allerdings in der Regel auch nicht, da er vor allem mit unzulässigen oder fehlgeschlagenen Absprachen beschäftigt wurde, bei denen eine Abweichung von der Verständigung zulässig und sogar geboten war170. (1) Von besonderer Bedeutung für die Konkretisierung der Bindungswirkung erscheint daher der Beschluß des 5. Strafsenats vom 9. Juni 2004171, der vorstehend bereits als zweites Ausgangsbeispiel geschildert worden ist. Dieser Fall ist allerdings insofern atypisch, als es gerade nicht um eine Bindung des Gerichts an seine Erklärung geht, es werde bei einem Geständnis unter Einbeziehung der Strafen aus einer rechtskräftigen Verurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als vier Jahren verhängen. Von dieser Ankündigung durfte und mußte das Landgericht auch nach Auffassung des BGH abweichen, da einer Einbeziehung § 55 I StGB entgegenstand172. Dennoch wird der Vertrauensschutz des Angeklagten nicht – wie man nun mit Blick auf BGHSt 43, 195 vermuten könnte – auf den Hinweis beschränkt, der dem Angeklagten erteilt wurde. Vielmehr wird die Strafzumessung im Urteil als ein Widerspruch zu der entsprechenden Ankündigung im Rahmen der Verständigung bemängelt, so daß das Landgericht an dieser früheren Erklärung teilweise noch festgehalten wird, also daran gebunden gewesen ist. Zu fragen ist allerdings zunächst danach, ob der 5. Strafsenat seine Entscheidung tatsächlich auf einen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz stützt oder die Strafzumessung im Urteil aus anderen Gründen für unzulässig erachtet. Zwei Aspekte können für letztere Annahme angeführt werden: Erstens stellt der Senat darauf ab, daß es abgesehen von der in Aussicht gestellten Einbeziehung der Strafen aus der anderen Verurteilung keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Ankündigung nicht mit dem Strafzumessungsrecht zu vereinbaren war173. Für eine Abweichung von der Strafzumessung, die der Ankündigung zugrundelag, gäbe es insoweit keinen tragfähigen Grund. Dies könnte dafür sprechen, daß der 5. Strafsenat in dem Urteil bereits einen Verstoß gegen das Strafzumessungsrecht erblickt. Darauf deutet zweitens insbesondere auch die Folgerung des Senats hin, das Landgericht hätte in seinem Urteil – „wegen des notwendig geringeren Zusammenziehungseffekts bei gesonderter Gesamtstrafbildung“ – ein Strafmaß von drei Jahren und zwei Monaten überschreiten müssen174. Damit wird nämlich eine Bindung des Gerichts zu Lasten des Angeklagten postuliert. Dennoch wird das Ergebnis des 5. Strafsenats auf einen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz zurückgeführt werden müssen. Es findet sich nämlich keine Be170 Vgl. BGH StV 1999, 408; BGH StV 2003, 268; BGH NStZ 2004, 342 f.; BGH StV 2004, 417; BGH NStZ 2004, 493. 171 BGH StV 2004, 471. 172 BGH StV 2004, 471. 173 BGH StV 2004, 471 (472). 174 BGH StV 2004, 471 (472).

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gründung dafür, warum die tatrichterliche Strafzumessung gegen das Strafzumessungsrecht verstoßen sollte, wenn das Gericht „auf Grund besserer Einsicht“175 zu einer veränderten Beurteilung der bisherigen Sachlage kommt. Daß mit der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren die Grenzen „tatrichterlichen Ermessens“176 überschritten wurden und die Strafzumessung daher für sich genommen einer Revision zugänglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hatte die Revision des Angeklagten mit einer auf den Grundsatz des fairen Verfahrens gestützten Verfahrensrüge Erfolg177. Der Widerspruch zu der Verständigung, der nicht auf einem tragfähigen Grund beruhe, begründe einen Fairneßverstoß. Die Abweichung wird also als eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruches des Angeklagten auf ein faires Verfahren eingestuft und über diesen Anspruch eine Bindung konstruiert. Ein anderer Grund für die Fairneßwidrigkeit des Urteils als dessen Widerspruch zu gerichtlich geschaffenen Erwartungen des Angeklagten178 ist aber nicht ersichtlich, so daß für die Entscheidung der Gedanke des Vertrauensschutzes maßgeblich ist. Genau aus diesem Grund existiert in den Ausführungen des 5. Strafsenats allerdings der bereits angedeutete Widerspruch: Der Grundsatz des fairen Verfahrens kann nicht herangezogen werden, um eine Bindung des Gerichts an eine Strafuntergrenze zu begründen. Auf der Grundlage der Entscheidung des Senats hätte die Staatsanwaltschaft im Fall, daß der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden wäre, zu Lasten des Angeklagten eine Verfahrensrüge erheben können, mit der Begründung, die Strafe sei entgegen der Verständigung zu niedrig und daher ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens! Dies scheint der Senat übersehen zu haben179. Es bleibt die Frage, ob es nicht inkonsequent ist, wenn der 5. Strafsenat trotz des Scheiterns der Absprache noch eine Bindung des Gerichts an seine Strafmaßankündigung annimmt. Die angekündigte Gesamtstrafenbildung war unzulässig, wie sich später herausstellte. Damit erkannte das an der Absprache beteiligte GeBGHSt 38, 102 (105). BGHSt 29, 319 (320); MüKomm-Franke § 46 Rn. 23; Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 50; LK-Gribbohm Vor §§ 46 ff. Rn. 5: Akt rechtlich gebundenen Ermessens; Haas GS Keller, S. 45 (59): gesetzlich gebundenes Ermessen bei der Festlegung der Strafe. Bei der Strafzumessung hat der Richter jedoch kein Ermessen im verwaltungsrechtlichen Sinne, es handelt sich vielmehr um einen Beurteilungsspielraum, siehe dazu 4. Teil I. 1. a) aa) (2) (d). 177 BGH StV 2004, 471 (471 und 472). 178 Daß die Erwartungen durch einen Hinweis beseitigt wurden ist insofern unbeachtlich, weil der Angeklagte aufgrund seiner Erwartungen bereits zuvor seine „Leistung“ erbracht, nämlich ein Geständnis abgelegt hatte. 179 Der Grund dafür läßt sich der Entscheidung entnehmen: Der Senat nutzt diese angebliche Untergrenze, um die entsprechende Anwendung von § 354 I StPO zu begründen. Der Angeklagte hätte bei einer Zurückverweisung nicht noch günstiger gestellt werden können, da eine niedrigere Gesamtstrafe nicht zulässig gewesen wäre, BGH StV 2004, 471 (472). Diese Prämisse ist nach dem Gesagten aber falsch. 175 176

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richt einen rechtlichen Aspekt, den es zum Zeitpunkt der Absprache übersehen hatte180. Dennoch kann die Entscheidung des 5. Senats, daß die Strafzumessung durch das Landgericht nach oben begrenzt war, auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 nur als zutreffend bewertet werden. Allein die Vereinbarung, daß auch die Strafen aus der rechtskräftigen Verurteilung miteinbezogen werden sollten, war unzulässig. Ein anderer Teil der Absprache war von dieser Unzulässigkeit nicht betroffen: Das Landgericht stellte dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses in Aussicht, aufgrund der damit verbundenen Strafmilderung ein gewisses Strafmaß nicht zu überschreiten. Dieses Maß wurde zwar nicht ausdrücklich gesondert benannt, weil die Beteiligten noch von der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 I StGB ausgingen. Das ändert aber nichts daran, daß konkludent auch eine „circa-Strafe“ angekündigt wurde, die ohne die Einbeziehung der früheren Verurteilung nach Ansicht des Landgerichts zu verhängen gewesen wäre. Angesichts der vom Landgericht zu beachtenden Grundsätze der Gesamtstrafenbildung kommt der 5. Strafsenat daher mit Recht zu dem Schluß, daß aufgrund der Verständigung eine Strafe über drei Jahren und zwei Monaten und deutlich unter vier Jahren zu erwarten war, sollte die Einbeziehung der rechtskräftigen Einzelstrafen, die zu einer Gesamtstrafe von zehn Monaten geführt hatten, noch scheitern181. Das konkludente Inaussichtstellen der auf diese Weise näher bezeichneten „circa-Strafobergrenze“ für den Fall eines Geständnisses ist aber nicht zu beanstanden. Es handelt sich insoweit um eine zulässige Verständigung, wenn man BGHSt 43, 195 zugrundelegt. Zudem ist kein Grund ersichtlich, warum der zulässige Teil der Absprache nicht nach den Regeln für rechtmäßige Absprachen beurteilt werden sollte, wenn eine solche isolierte Bewertung möglich ist182. Insbesondere gibt es keine Rechtfertigung dafür, dem Angeklagten den Vertrauensschutz im Rahmen dieser zulässigen Absprache nur deshalb zu versagen, weil das Gericht einen davon getrennten Abspracheninhalt, der dem Angeklagten zusätzlich in Aussicht gestellt wurde, aus rechtlichen Gründen nicht umsetzen kann. Der Annahme, das Landgericht hätte eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren in dem genannten Sinne „deutlich“ unterschreiten müssen, ist daher auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 zuzustimmen. Der Beschluß des 5. Strafsenats verdeutlicht aber auch den Inhalt der Bindungswirkung, wenn er einen „tragfähigen Grund“ für das Abweichen von einer angekündigten Strafzumessung vermißt, die nicht „unvertretbar hoch oder unvertretbar niedrig gewesen wäre“183. Das Gericht darf demnach nur von seiner An180 Vgl. BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312): Trotz des Vertrauenstatbestandes bestehe keine Bindung des Gerichts. 181 Vgl. BGH StV 2004, 471 (472); diese Erwartung kann aber keine Bindung des Gerichts an die Untergrenze begründen, siehe vorstehend im Text. 182 Vgl. Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (404): Durch unzulässige Zusagen werde regelmäßig die Wirksamkeit der zulässigen Zusage einer Strafobergrenze nicht berührt. 183 BGH StV 2004, 471 (472).

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kündigung abweichen, wenn neue tatsächliche Umstände eine höhere Strafe erfordern (auf der Grundlage von BGHSt 43, 195: schwerwiegende neue Umstände) oder wenn die Verhängung der in Aussicht gestellten Strafe allein aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre, wie etwa im Hinblick auf die unzulässige Gesamtstrafenbildung184. Ausgeschlossen ist ein Abweichen hingegen, wenn es objektiv – vom Revisionsgericht – nicht nachvollzogen werden kann. Damit darf der Tatrichter also nicht allein „auf Grund besserer Einsicht“185 zu einem veränderten Ergebnis kommen, das ausschließlich auf einer neuen subjektiven Bewertung der Umstände beruht186. Die Bindung schließt somit ein Gebrauchmachen von dem „tatrichterlichen Ermessen“ aus, das grundsätzlich von dem Revisionsgericht nur auf die Einhaltung seiner Grenzen überprüft werden kann187 – solange nicht neue Umstände bekannt werden, die objektiv nachvollziehbar eine neue Bewertung erfordern188. Über diese Bindung des Gerichts an seine eigene Absprache hinaus läßt sich dem Beschluß des 5. Strafsenats noch eine weitere wichtige Aussage entnehmen: Diese Bindung gilt nicht nur für das an der Absprache beteiligte Gericht, sondern auch für den neuen Tatrichter, der nach erfolgter Zurückverweisung in der Sache zu entscheiden hat. Der Senat macht deutlich, daß das „tatrichterliche Ermessen“ nach einer Zurückverweisung in derselben Weise begrenzt wäre wie das des Gerichts, von dem die Erklärung hinsichtlich des Strafmaßes stammt189. Allerdings ist auch allein diese Sicht auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 eine konsequente Handhabung des Vertrauensschutzgedankens: Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Angeklagten, der durch die Bindung des Gerichts an seine Äußerung gewährleistet wird, liefe weitgehend leer, wenn eine Nichtbeachtung der Bindung 184 Zwar ist in dem Fall, der dem Beschluß des 5. Senats zugrunde liegt, ebenfalls erst nachträglich bemerkt worden, daß ein räuberischer Diebstahl, der die Einsatzstrafe bildete, nach § 250 II StGB qualifiziert war, StV 2004, 471 (472). Diesen Umstand schloß der BGH als tragfähigen Grund für ein Abweichen aus. Dies beruht offenbar auf dem Vorliegen eines minder schweren Falles, der zu dem Strafrahmen des § 250 III StGB führt, vgl. StV 2004, 471: Einsatzstrafe von 2 Jahren und sechs Monaten. 185 BGHSt 38, 102 (105). 186 Vgl. Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (402): Die Berufung des Gerichts auf „bessere Einsicht“ sei ausgeschlossen, ohne weiteres könne das Gericht von der Strafobergrenze nicht mehr abgehen. 187 Vgl. BGHSt 29, 319 (320); 34, 345 (349); 45, 312 (318); KG NStZ-RR 2004, 175 (179); LK-Gribbohm § 46 Rn. 326; MüKomm-Franke § 46 Rn. 80; Sch / Sch / Stree § 46 Rn. 65 f. Vgl. auch BGH StV 2004, 470 (471); BGH, Beschluß vom 17. Juni 2004 – 3 StR 172 / 04, S. 2 (www.bundesgerichtshof.de). 188 Vgl. die Beschreibung der Bindungswirkung bei Weider NStZ 2002, 174 (175): Ein Abweichen setze „eine sachliche, rechtlich zulässige und nachvollziehbare Rechtfertigung“ voraus. Die Umstände, die zu einer höheren Strafe führen, seien im Urteil darzustellen, S. 176 f. 189 Vgl. BGH StV 2004, 471 (472); ausdrücklich bezieht der Senat sich insofern nur auf die – unzutreffende – Begrenzung nach unten, dies muß dann aber auch für die obere Begrenzung gelten.

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letztlich nur zu einer neuen Hauptverhandlung führen würde, in der das neue Gericht bei der Strafzumessung wieder ungebunden wäre. Der 5. Senat hat damit schon eine Antwort auf die Frage gegeben, die jetzt der Große Senat für Strafsachen in seiner Entscheidung zum Rechtsmittelverzicht im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen ausdrücklich formuliert hat190. Dieser Aspekt zeigt noch einmal mit besonderer Deutlichkeit, daß das Verbot des Abweichens von der Verständigung nicht dem Strafzumessungsrecht zu entnehmen sein kann, sondern nur einem verfassungsrechtlichen Grundsatz. Daß aus dem einfachen Recht die Bindung eines Tatgerichts an die Wertung der Strafzumessungsfaktoren durch ein anderes Tatgericht folgen könnte, ist bisher nicht begründet worden, und ein entsprechender Versuch dürfte auch kaum Erfolg versprechen. (2) Ein Vergleich der Entscheidung des 5. Strafsenats vom 9. Juni 2004 mit einem neuen Urteil des 4. Strafsenats zeigt, daß der 4. Senat die von ihm in BGHSt 43, 195 aufgestellten Grundsätze weniger konsequent handhabt. Der Entscheidung des Senats191 lag folgender Sachverhalt zugrunde: In einem Verfahren, in dem dem Angeklagten u. a. Hehlerei zur Last gelegt wurde, stellte die Strafkammer eine Freiheitsstrafe von höchstens vier Jahren in Aussicht. Als Voraussetzung wurde die Ablegung eines Geständnisses und die Begleichung einer Steuerschuld in Höhe von 500 000 Euro genannt, die aus einer Vortat herrührte. Der Angeklagte legte daraufhin ein Geständnis ab, erklärte sich aber zur Zahlung der gesamten Summe außerstande. Das Landgericht wies später darauf hin, daß es sich an die in Aussicht gestellte Strafobergrenze nicht mehr gebunden fühle192 und verurteilte den Angeklagten schließlich zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten.

Die Revision des Angeklagten hatte mit der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens Erfolg. Allerdings wird dieser Verstoß nicht auf eine erwartungswidrige Verurteilung, also auf eine Vertrauensenttäuschung gestützt. Insofern bemerkt der Senat nur, daß eine Bindung des Landgerichts an die angegebene Strafobergrenze mangels Zustandekommen der angestrebten Verständigung nicht in Betracht kam193. Der 4. Strafsenat wählt vielmehr folgende Konstruktion194: Die Absprache selbst sei unzulässig gewesen und stelle eine Verletzung des fair-trial-Prinzips dar. Mit seinem Vorschlag habe das Gericht – wie stets bei einer Absprache – Druck auf den Angeklagten ausgeübt. Dieser Druck könne nicht hingenommen werden, wenn das dem Angeklagten angesonnene Verhalten einem Zweck diene, der mit 190 BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312): Der Regelung bedürfe die Frage, ob auch Rechtsmittelgericht und neues Tatgericht an die Zusage gebunden sind. 191 BGHSt 49, 84. 192 BGHSt 49, 84 (87). 193 BGHSt 49, 84 (87). 194 BGHSt 49, 84 (88 ff.)

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der angeklagten Tat und dem Gang der Hauptverhandlung in keinem inneren Zusammenhang stehe. Dies sei vorliegend der Fall, da das Verfahren durch die Begleichung der Steuerschuld nicht gefördert werde. Für die im Rahmen einer Absprache erforderliche Konnexität reiche auch nicht aus, daß die Begleichung der Steuerschuld bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten hätte berücksichtigt werden dürfen. Auf der „letztlich gescheiterten Absprache“ könne das Urteil auch beruhen. Die Spanne zwischen angekündigter und verhängter Strafe – ein Jahr und neun Monate – sei nicht allein mit dem Wegfall des Strafmilderungsgrundes zu erklären, den eine vollständige Erfüllung der fiskalischen Ansprüche zur Folge gehabt hätte. Folglich könne nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Weigerung des Angeklagten bei der Strafzumessung strafschärfend ausgewirkt hat. Dieser Entscheidung kann unter Zugrundelegung von BGHSt 43, 195 nicht zugestimmt werden. Auf die Aussagen zur erforderlichen Konnexität muß an dieser Stelle nicht eingegangen werden195. Entscheidend ist für die vorliegende Untersuchung vielmehr die Anwendung – bzw. nicht erfolgte Anwendung – des Vertrauensschutzgedankens. Selbst wenn man mit dem 4. Strafsenat die angestrebte Verständigung über die Begleichung der Steuerschuld für unzulässig erachtet, bleibt auch in diesem Fall ein zulässiger Teil einer Absprache zurück: Eine Strafmilderung wurde nämlich auch für den Fall eines Geständnisses in Aussicht gestellt. Da der Angeklagte daraufhin ein Geständnis ablegte, ist die Urteilsabsprache also teilweise und – auf der Basis von BGHSt 43, 195 – in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zustande gekommen. Die Bemerkung des Senats, eine Bindung scheide mangels Verständigung aus, greift daher zu kurz. Der zulässige Teil der Absprache kann und muß nach den vorstehenden Ausführungen im Hinblick auf den Vertrauensschutz isoliert bewertet werden. Insofern hätte schon der 4. Strafsenat die Grundsätze herausarbeiten müssen, die einige Monate später der 5. Strafsenat angewendet hat. Dies hätte zu folgenden Erwägungen führen müssen: Das Landgericht hat in strafzumessungsrechtlich zulässiger Weise für den Fall eines Geständnisses und einer Erfüllung der Steuerschuld eine Strafobergrenze von vier Jahren in Aussicht gestellt. Dies enthält konkludent die Ankündigung einer Strafobergrenze von über vier Jahren, wenn nur ein Geständnis abgelegt wird. Diese hypothetische Strafobergrenze läßt sich wiederum als eine „ca.-Strafobergrenze“ beschreiben. Sie beträgt nämlich „vier Jahre + Höhe der strafmildernden Wirkung einer Begleichung der Steuerschuld“. An diese Summe ist das Landgericht auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 als Strafobergrenze gebunden gewesen. Zudem macht der 4. Strafsenat deutlich, daß der letztgenannte Summand in seinen Grenzen auch vom Revisionsgericht überprüft werden kann, da der Senat insofern jedenfalls den Wert von einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe verwirft. Aufgabe des 4. Senats wäre es nun gewesen, eine – revisible – Grenze für die strafmildernde Wirkung der Begleichung der Steuerschuld, die unterhalb dieses 195

Vgl. dazu aber 4. Teil II. 2. b) bb) (2).

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

Wertes liegt, zu benennen oder zumindest näher zu beschreiben. An diese Grenze wäre im Sinne einer effektiven Gewährleistung des Vertrauensschutzes auch das neue Tatgericht nach Zurückverweisung der Sache gebunden gewesen – solange sich keine Umstände ergeben, die objektiv nachvollziehbar eine höhere Strafe erfordern. Unter Zugrundelegung der Grundsätze von BGHSt 43, 195 ist in diesem Fall also in der Abweichung von der Absprache selbst, soweit diese zustande gekommen und zulässig ist, der Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens zu erblicken. Anders als der 5. Strafsenat196 stuft der 4. Strafsenat die Abweichung von dem zulässigen Teil der Absprache jedoch gar nicht als Verfahrensfehler ein. Als solcher wird nur der Versuch des Gerichts angesehen, sich mit dem Angeklagten über eine Begleichung der Steuerschuld zu verständigen. Zwar hat auch der 4. Senat das Landgericht an seine Erklärung gebunden, da ja gerade die Strafmaßdifferenz, die nicht mit dem Wegfall des möglichen Strafmilderungsgrundes zu erklären ist, zum Erfolg der Verfahrensrüge geführt hat197. Auf das Abweichen wird aber nur zur Begründung dafür abgestellt, daß das Urteil auf der „letztlich gescheiterten Absprache“ auch im Sinne von § 337 I StPO beruhen kann198. Der Senat könne angesichts der Differenz nicht ausschließen, daß die Weigerung des Angeklagten, auf das gesamte „Angebot“ einzugehen, zu einer rechtsfehlerhaften Strafschärfung geführt hat199. Das nicht näher begründete Abweichen von der Ankündigung wird also lediglich unter dem Aspekt betrachtet, daß es mittelbar auf den gescheiterten Verständigungsversuch zurückzuführen sein könnte, der seinerseits die Gesetzesverletzung im Sinne des § 337 I StPO darstellt. Erhebliche Konsequenzen hat dies für die neue Hauptverhandlung, die durch die Zurückverweisung erforderlich geworden ist. Während der 5. Strafsenat im Sinne der effektiven Gewährleistung eines fairen Verfahrens auch eine Bindung des neuen Tatgerichts an die Absprache annimmt200, ist dies vom Standpunkt des 4. Strafsenats aus nicht möglich: Das neue Tatgericht, das nicht verfahrensfehlerhaft eine unzulässige Absprache anstreben wird, ist in seiner Gewichtung der Strafzumessungsfaktoren durch die Tatsache einer früheren Absprache in keiner Weise gebunden. Da eine Abweichung von dieser Absprache nach der Entscheidung des Senats für sich genommen keinen Verfahrensfehler begründet, kann es wiederum Vgl. BGH StV 2004, 471 (472). Vgl. BGHSt 49, 84 (89 f.). 198 Dies wird in der Anmerkung von Weider NStZ 2004, 339 (341) nicht deutlich: Der Senat beanstande die „Schere“ wegen Fehlens einer näheren Begründung im Urteil als rechtsfehlerhaft. Ein solcher Rechtsfehler wird entgegen Weider nicht festgestellt, die Ausführungen finden sich bei der Prüfung des Beruhenserfordernisses. 199 BGHSt 49, 84 (90). 200 Vgl. BGH StV 2004, 471 (472) und oben Fn. 189. 196 197

I. Die Urteilsabsprache

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aufgrund der subjektiven Bewertung des neuen Tatgerichts zu einer höheren Strafe kommen, soweit dies nicht aus anderen Gründen die Grenzen „tatrichterlichen Ermessens“ überschreitet. Allein aufgrund des Verbots der reformatio in peius gemäß § 358 II 1 StPO ist das Gericht wenigstens an die im ersten Verfahren verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten gebunden. Dies hätte aber eben bereits eine Enttäuschung des durch die ursprüngliche Absprache geweckten Vertrauens zur Folge, da es nicht allein mit der unterbliebenen Begleichung der Steuerschulden begründet werden kann, sondern jedenfalls eine abweichende Gewichtung der Strafzumessungsfaktoren voraussetzt. Jedenfalls im Hinblick auf den Vertrauensschutz des Angeklagten, der aufgrund einer gerichtlichen Strafmaßankündigung ein Geständnis abgelegt hat, kommt der Entscheidung des 4. Strafsenats daher kein „richtungsweisender“ Charakter zu201. Im Zusammenhang mit der Vertrauensschutzproblematik verdient sich dieses Prädikat die Entscheidung des 5. Strafsenats, durch die die von BGHSt 43, 195 begründete Bindungswirkung konsequent fortgeschrieben und konkretisiert wird.

cc) Die Bindungswirkung aus Sicht des Schrifttums Oben wurde bereits erwähnt, daß die Beschränkung der Möglichkeit, von der Absprache abzuweichen, auf schwerwiegende neue Umstände in der Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen ist202. Die Annahme, das Gericht sei grundsätzlich an seine Ankündigung hinsichtlich des Strafmaßes gebunden, hat aber durchaus Zuspruch erfahren. Teilweise wird dabei allerdings nicht auf die Konstruktion eines verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes abgestellt, sondern der Absprache selbst ein bindender Charakter zugesprochen203. Von anderer Seite ist dem BGH auch bei der Heranziehung des Vertrauensschutzgedankens zur Begründung einer Bindungswirkung strafprozessualer Absprachen zugestimmt worden204. Kölbel hat insofern allerdings einen 201 So die Bewertung der Entscheidung durch Weider NStZ 2004, 339. Zu der Entscheidung auch noch unten 4. Teil II. 2. b) bb) (2). 202 Rönnau wistra 1998, 49 (52); Satzger JA 1998, 98 (101); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 47 f.; F. Meyer Willensmängel, S. 300 Fn. 1373; vgl. auch Altenhain / Haimerl GA 2005, 281 (295): Dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens komme im Zweifel Vorrang gegenüber der Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu, deshalb dürfen keine zu hohen Hürden für die Abkehr von der Zusage aufgestellt werden. 203 Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, zusammenfassend S. 141, geht von einer Bindungswirkung der Verständigung aus, da es sich bei der strafprozessualen Absprache um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handele; F. Meyer Willensmängel, S. 294 f., stuft die inhaltlich und formell rechtmäßige Absprache als Zusage ein, die aus sich selbst heraus Bindungswirkung entfalte; Heller Gescheiterte Urteilsabsprache, S. 74: Zusicherung; vgl. auch Beulke StrafprozessR, Rn. 396a: Fortfall des staatlichen Strafanspruchs im zugesagten Ausmaß. 204 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 118 f.; Bottke GS Zipf, S. 451 (466); Meyer-Goßner StraFo 2001, 73 (75 f.); Kölbel NStZ 2002, 74 (77).

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

anderen verfassungsrechtlichen Ansatz gewählt205: Eine erwartungswidrige Verurteilung erhöhe die Intensität des mit dem Urteil verbundenen Eingriffs in die Grundrechte des Angeklagten. Es handele sich um einen weitergehenden Eingriffsakt als bei einem gleichen Strafurteil, dem keine Absprache vorausging. Diese zusätzliche Eingriffsintensität könne vermieden werden, indem der Angeklagte entweder auf die Abweichung hingewiesen oder das Gericht an der Absprache festgehalten werde. Ein Teil des Schrifttums steht der rechtlichen Verbindlichkeit der Absprachen aber auch weiterhin ablehnend gegenüber206. Dabei wird zum einen auf der Grundlage des einfachen Strafprozeßrechts die Beeinträchtigung der bis zur Schlußberatung garantierten Entscheidungsfreiheit des Gerichts angeführt207. Zum anderen wird auch davon ausgegangen, daß sich mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes eine solche Bindungswirkung ohnehin nicht begründen ließe. Dies stelle einen Zirkelschluß dar, weil es das Vertrauen auf eine bereits bestehende Bindung des Gerichts voraussetze208. Bei unverbindlichen Prognose bestehe hingegen gar kein Vertrauen auf ein bestimmtes Ergebnis, sondern allein auf eine Hinweiserteilung vor einer Abweichung des Gerichts von der eigenen Ankündigung209. Von anderer Seite wird hingegen davon ausgegangen, daß auch die Kenntnis von dem Fehlen einer rechtlichen Bindung der Begründung einer Bindungswirkung kraft Vertrauensschutzes nicht entgegensteht210. Dafür wird die im Zivilrecht zu findende Auffassung angeführt, das Vertrauen könne für sich genommen anspruchsbegründend wirken, wenn eine rechtliche Bindung aus Rechtsgründen unmöglich ist. Dies sei im Zusammenhang mit Verständigungen im Strafprozeß vor dem Hintergrund des § 261 StPO der Fall.

dd) Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Geständnisses Die oben dargestellten Ansätze in der Literatur, den mit einem Geständnis „in Vorleistung getretenen“ Angeklagten bei einem Fehlschlagen der Absprache nicht allein mit einer Hinweispflicht des Gerichts zu schützen, zielten vor allem darauf ab, ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des absprachebedingten Geständnisses zu begründen. Für den BGH stellt sich diese Frage auf der Basis der Grundsätze von BGHSt 43, 195 regelmäßig nicht mehr. 205 Kölbel NStZ 2002, 74 (76); zu diesem Ansatz wird unten ausführlich Stellung genommen, siehe 3. Teil VI. 1. b). 206 Rönnau wistra 1998, 49 (51 f.); Satzger JA 1998, 98 (101); Schünemann FS Rieß, S. 525 (538); Haas GS Keller, S. 45 (65 ff.). 207 Rönnau wistra 1998, 49 (52). 208 Schünemann FS Rieß, S. 525 (538); ders. Gutachten 58. DJT, B 122; Haas GS Keller, S. 45 (63). 209 Schünemann FS Rieß, S. 525 (538). 210 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 119.

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Wenn das Gericht an die Absprache gebunden ist, wird ein ausreichender Vertrauensschutz bereits gewährleistet. Da dem Gericht aufgrund der Bindungswirkung eine Vertrauensenttäuschung gerade verboten ist, besteht kein Bedürfnis nach der Kompensation enttäuschter Erwartungen. Ein solches kann sich dann nur noch ergeben, wenn ein Abweichen von der Absprache zulässig ist. Zu der Frage der Verwertbarkeit des Geständnisses bei einer zulässigen Abweichung von der Absprache hat der BGH noch nicht eindeutig Stellung genommen. Es lassen sich insofern aber zwei Situationen unterscheiden, nämlich das Abweichen von einer unzulässigen Urteilsabsprache und der Fehlschlag einer statthaften Urteilsabsprache, der auf neu hervorgetretenen (schwerwiegenden) Umständen beruht. In letzterem Fall ist der bisherigen Rechtsprechung des BGH seit BGHSt 43, 195 eine einheitliche Haltung zu entnehmen: Bei einem zulässigen Abweichen von einer zulässigen Absprache genügt das Gericht dem fair-trial-Grundsatz durch die Erteilung eines Hinweises an den Angeklagten. Die Hinweispflicht nimmt also die Stellung als subsidiärer Vertrauensschutz ein, soweit keine Bindungswirkung besteht211. Bislang hat der BGH hier einen weitergehenden Schutz in Form eines Beweisverwertungsverbots nicht in Betracht gezogen. Allerdings ist die Frage der Verwertbarkeit bei einem Fortfall der Bindung jetzt vom Großen Senat für Strafsachen aufgeworfen worden212, so daß sich hier möglicherweise eine Änderung der Rechtsprechung andeutet. Bei der erstgenannten Situation der unzulässigen Urteilsabsprache zeichnet sich in der bisherigen Rechtsprechung keine klare Linie ab. Bereits im Zusammenhang mit den Voraussetzungen des Vertrauensschutzes wurde erwähnt, daß der BGH in diesem Fall überwiegend das Vorliegen schutzwürdigen Vertrauens verneint, aber die Möglichkeit einer unzulässigen Beeinträchtigung des Angeklagten durch die rechtswidrige Verständigung in Betracht zieht – und damit einen auf andere Weise vermittelten Schutz des Angeklagten. Insofern stellt sich auch die Frage nach einem Verstoß der Absprache gegen § 136a StPO213. In zwei neueren Entscheidungen deuten der 3. und der 5. Strafsenat die mögliche Unverwertbarkeit des absprachebedingten Geständnisses an und dürften dabei vor allem ein Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a III 2 StPO im Blick haben214. In anderen Fällen unzu211

Vgl. BGHSt 43, 195 (210); BGHSt 49, 84 (87); BGH StV 2003, 268; BGH StV 2004,

417. BGH – Großer Senat – StV, 311 (312). Vgl. bereits BGHSt 43, 195 (204). 214 Vgl. BGH NStZ 2004, 493 (494) (3. Strafsenat), vgl. dazu bereits vorstehend unter I. 2. a); BGH StV 2004, 471 (472) (5. Strafsenat). Zum einen verweist auch der 5. Strafsenat auf Äußerungen in der Literatur, die sich vorrangig mit § 136a StPO beschäftigen. Zum anderen wird sich die Überlegung des Senats auf die Ankündigung einer unzulässigen Gesamtstrafenbildung beziehen, was sich auch auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 als rechtswidrige Absprache einstufen läßt. Mit Hinblick auf die Abweichung des Gerichts von dem zulässigen Teil der Absprache besteht nämlich kein Bedürfnis nach einem weitergehenden Schutz des Angeklagten, da der 5. Strafsenat ja insofern eine Bindung annimmt, die bei einer Zurückver212 213

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

lässiger Absprachen ist die Möglichkeit eines Beweisverwertungsverbots hingegen vom BGH nicht in Erwägung gezogen worden215. Auch in der Literatur lassen sich diese beiden Konstellationen – unzulässige sowie fehlgeschlagene, aber rechtmäßige Absprachen – unterscheiden. Wer den Grundsätzen von BGHSt 43, 195 ablehnend gegenübersteht, insbesondere eine regelmäßig strafmildernde Wirkung des Geständnisses verneint, kommt konsequent dazu, jedenfalls einen Großteil der vom BGH für zulässig erachteten Urteilsabsprachen unter § 136a StPO zu subsumieren, genauer: unter § 136a I 3 StPO216, 217. Bei grundsätzlicher Akzeptanz der in BGHSt 43, 195 formulierten Grundsätze wird in der Literatur oftmals davon ausgegangen, daß die Nichtbeachtung der vom BGH benannten Zulässigkeitsvoraussetzungen regelmäßig zur Unverwertbarkeit des absprachebedingten Geständnisses führt. So wird vertreten, die Veranlassung eines Geständnisses im Rahmen einer Absprache, die nach Form und / oder Inhalt unzulässig ist, stelle eine Täuschung im Sinne des § 136a I 1 StPO dar218. Insbesondere werde der rechtsunkundige Angeklagte über die mangelnde Verbindlichkeit solcher Verständigungen getäuscht219. Eine Differenzierung nimmt Kölbel vor220: Bei einem mißbräuchlichen Verständigungsversuch führe § 136a StPO zur Unverwertbarkeit des Geständnisses. Sei die Verständigung unerkannt unzulässig und unverbindlich, handele es sich um einen rechtswidrigen Eingriff in die Aussagefreiheit des Angeklagten, was ebenfalls die Unverwertbarkeit des Geständnisses zur Folge habe. Moldenhauer stützt ein Beweisverwertungsverbot in diesen weisung sogar von dem neuen Tatgericht hätte beachtet werden müssen, vgl. StV 2004, 471 (472). 215 Vgl. insbesondere BGH StV 2003, 481 (5. Strafsenat): Bei einer unzulässigen Verständigung bestehe kein Vertrauenstatbestand dahin, daß das Geständnis unverwertbar bleiben werde; inzwischen zitiert der Senat aber Schlothauer StV 2003, 481 ff., der in seiner ablehnenden Anmerkung zu dieser Entscheidung ein Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a StPO angenommen hat, und zieht selbst die Möglichkeit eines Beweisverwertungsverbots in Betracht, vgl. vorherige Fn. Vgl. auch BGHSt 49, 84 (87 ff.); BGH NStZ 2004, 342 f. 216 Vgl. insbesondere Schünemann FS Rieß, S. 525 (539 ff.); ausführlich zu § 136a StPO in diesem Zusammenhang Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 159 ff.; vgl. auch das Fazit von Moldenhauer auf S. 251: Die überwiegende Anzahl der abgesprochenen Geständnisse in der Praxis falle unter § 136a III 2 StPO. 217 Vgl. auch Haas GS Keller, S. 45 (zusammenfassend S. 73): Das absprachebedingtes Geständnis sei regelmäßig aufgrund eines fahrlässigen Eingriffs in die Aussagefreiheit des Angeklagten unverwertbar, wobei das Beweisverwertungsverbot – bei entsprechender Auslegung – auf § 136a I 3 2. Alt. StPO oder unmittelbar auf den nemo-tenetur-Grundsatz zu stützen sei. Der Eingriff bestehe darin, daß der Angeklagte die gerichtliche Ankündigung grundsätzlich als bindendes Versprechen auffassen dürfe, eine solche Bindung mit dem Recht aber nicht zu vereinbaren sei. Seine Berechtigung und Schutzwürdigkeit erhalte das Vertrauen bei Verständigungen im Strafprozeß daher erst durch das Recht des Angeklagten, die Erklärungen der Strafverfolgungsorgane als Zusicherungen zu verstehen, S. 61 und 63. 218 Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (70). 219 Schlothauer StV 2003, 481 (482). 220 Kölbel NStZ 2003, 232 (236 f.); ders. NStZ 2002, 74 (77 f.).

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Fällen rechtswidriger Absprachen, die nicht gegen § 136a StPO verstoßen, auf das aus dem fair-trial-Prinzip abgeleitete Gebot der „Waffengleichheit“221. Auch Meyer-Goßner nimmt an, daß Geständnisse, die auf unzulässigen, heimlichen Absprachen beruhen, nicht verwertet werden dürfen222. Solchen „Deal-Geständnissen“ sei die verfahrensrechtliche Wirksamkeit abzusprechen. Beulke / Swoboda sprechen sich für ein aus dem fair-trial-Grundsatz folgendes Beweisverwertungsverbot für den Fall aus, daß die Willensfreiheit des Angeklagten so massiv durch unzulässigen Druck im Rahmen der Absprache beeinträchtigt worden ist, daß die Fairneß des Verfahrens insgesamt in Frage steht223. Anders wird hingegen auch im Schrifttum überwiegend das Scheitern einer zulässigen Urteilsabsprache beurteilt, für das je nach Standpunkt das Hervortreten schwerwiegender neuer oder jeglicher neuer Umstände erforderlich ist. Das Risiko eines solchen Fehlschlags bei „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ trage allein der Angeklagte224. Neben dem Hinweis auf die beabsichtigte Abweichung von der Absprache sei ein Beweisverwertungsverbot nicht erforderlich225. Bei Ablegung des Geständnisses in einem ordnungsgemäßen Verfahren bestehe kein Anlaß, dessen Verwertbarkeit zu verneinen226. Zudem sei auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten vorhanden, da der Angeklagte sich die Zusage des Gerichts durch das Verschweigen strafschärfender Umstände erschlichen haben müsse227. Demgegenüber geht Kuckein allerdings davon aus, daß „aus besonderen, im konkreten Einzelfall liegenden Gründen“ der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren zur Unverwertbarkeit des im Rahmen einer gescheiterten Absprache abgelegten Geständnisses führen kann228. Ein solcher Ausnahmefall liege etwa vor, wenn bei dem Angeklagten in dem Maße ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, daß eine Verwertung des Geständnisses aus rechtsstaatlichen Gründen nicht hinnehmbar erscheint. Wann dies der Fall ist, wird aber nicht ausgeführt. Herrmann spricht sich generell für ein Beweisverwertungsverbot nach dem Scheitern 221 Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 247 ff.; vgl. aber auch Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 113: kein Beweisverwertungsverbot bei konsensualer Umgehung des Rechts. 222 Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (403 und 405). 223 Beulke / Swoboda JZ 2005, 67 (73). 224 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 113; Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1076); Kintzi FS Hanack, S. 177 (185), der wohl auf die rechtliche Unverbindlichkeit als entscheidenden Faktor für die Risikoverteilung abstellt, so auch Beulke / Satzger a. a. O.; vgl. schon BGHSt 38, 102 (105). 225 Kölbel NStZ 2002, 74 (78 mit Fn. 50); ders. NStZ 2003, 232 (236). 226 Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (403). 227 Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (403); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 113. 228 Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (71 f.): Grundsätzlich sei das Scheitern aber ein Risiko des Angeklagten; differenzierend Heller Gescheiterte Urteilsabsprache, S. 130 f.

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

einer Absprache aus, „um dem Angeklagten nicht das Risiko einer fehlgeschlagenen Absprache aufzubürden“229.

c) Fazit Durch die Entscheidung des 4. Strafsenats in BGHSt 43, 195 hat die Handhabung des Vertrauensschutzgedankens bei der Urteilsabsprache entscheidende Veränderungen erfahren. Zwar wird die Grundlage dieses Schutzes weiterhin in dem Grundsatz des fairen Verfahrens gesehen230. Der BGH vertritt aber nunmehr die – zuvor vielfach in der Literatur zu findende231 – Auffassung, daß ein Vertrauensschutz des Angeklagten die Zulässigkeit der Absprache voraussetzt. Eine nach Form und / oder Inhalt unzulässige Verständigung schaffe keinen normativ beachtlichen Vertrauenstatbestand bzw. stehe der Schutzwürdigkeit des Vertrauens entgegen. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sind die vom 4. Strafsenat in BGHSt 43, 195 formulierten Anforderungen an eine zulässige Urteilsabsprache. In Fällen unzulässiger Verständigungen wird aber ein Schutz des Angeklagten aufgrund einer gerade mit der rechtswidrigen Absprache einhergehenden unzulässigen Beeinträchtigung in Betracht gezogen, etwa die Unwirksamkeit eines im Rahmen der Absprache vereinbarten Rechtsmittelverzichts oder ein Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a III 2 StPO. Die Grundlage des Schutzes bildet dann nicht die Enttäuschung des Vertrauens, sondern bereits die unzulässige Schaffung bestimmter (falscher) Erwartungen. Allerdings hat der 1. Strafsenat auch bei einem gescheiterten Verständigungsgespräch, das sich zudem auf eine unzulässige Absprache bezog, das Bedürfnis nach einem Vertrauensschutz anerkannt232. In BGHSt 43, 195 wurden erstmals umfassend die Voraussetzungen rechtmäßiger Urteilsabsprachen benannt. Damit wurde aber keine Begründung dafür geliefert, warum – im Gegensatz zu der Annahme der vorherigen Rechtsprechung – nur 229 Herrmann JuS 1999, 1162 (1166); der Verweis auf BGHSt 42, 191 – a. a. O. mit Fn. 51 – geht allerdings fehl, da der 5. Strafsenat die Frage des Beweisverwertungsverbots offen gelassen hat und es zudem um ein unterschiedliches Verständnis bezüglich der Reichweite einer Prozeßumfangsabsprache ging, vgl. unten II. 230 BGHSt 43, 195 (210); 49, 84 (87); StV 2003, 268; NStZ 2004, 342 (343); StV 2004, 417; StV 2004, 471 (472); so auch ganz überwiegend die Literatur, vgl. Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1075 f.); Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (71 f.); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 118; Weider NStZ 2002, 174 (175); Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (402); Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 251; Schellenberg Hauptverhandlung, S. 240; Jeßberger Kooperation, S. 149; Heller Gescheiterte Urteilsabsprache, S. 128. 231 Siehe I. 3. a). 232 BGH NStZ 2002, 219 (220); vgl. nunmehr aber die Entscheidung desselben Senats in NJW 2005, 445 (446) bezüglich eines gescheiterten Verständigungsgesprächs außerhalb der Hauptverhandlung: Dies sei nicht vertrauensbegründend im Sinne des fair-trial-Grundsatzes.

I. Die Urteilsabsprache

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bei Einhaltung dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten entstehen kann. Auf der Rechtsfolgenseite wird auf der Grundlage von BGHSt 43, 195 erstmals eine Bindungswirkung der Urteilsabsprache bejaht. Subsidiär wird in den Fällen zulässigen Abweichens weiterhin auf die Pflicht des Gerichts zurückgegriffen, den Angeklagten auf das Scheitern der Absprache hinzuweisen. Die Annahme, dem Vertrauensschutz komme bei Urteilsabsprachen die Funktion zu, das Gericht an seiner Erklärung hinsichtlich des Strafmaßes festzuhalten, ist in der Literatur vorgeworfen worden, sie beruhe auf einem Zirkelschluß233. In der Tat wird eine Unstimmigkeit sichtbar, wenn man diese Rechtsfolge in Beziehung zu der Voraussetzung setzt, die Verständigung müsse nach den Grundsätzen von BGHSt 43, 195 erfolgt sein234. In der Rechtsprechung wird nämlich als Grund für dieses Erfordernis angedeutet, daß nur die bindende Zusage einen beachtlichen Vertrauenstatbestand schaffe235. Wenn aber die Bindung erst über den Vertrauensschutz konstruiert wird, dann kann sie denknotwendig nicht Bestandteil seiner Voraussetzungen sein. Es sind zwei Möglichkeiten vorstellbar, die diesen Widerspruch entfallen ließen: Erstens ließe sich die Beschränkung schutzwürdigen Vertrauens auf Zusagen, die die Anforderungen an eine Bindung erfüllen, zumindest logisch nachvollziehen, wenn diese Bindung bereits unabhängig vom Vertrauensgedanken bestünde236. Dann wäre allerdings ein verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz gar nicht mehr erforderlich237. Zweitens kommt daher eine Bindungswirkung kraft eines solchen Vertrauensschutzes nur in Betracht, wenn die Verbindlichkeit der Zusage nicht bereits zur Voraussetzung gemacht wird. Dies erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, setzt aber eine Begründung voraus, warum das Vertrauen des Angeklagten bei unverbindlichen Erklärungen des Gerichts zu einem Verbot führen kann, von diesem Erklärungen abzuweichen238. Insofern wäre aber eine spezifisch auf diese strafprozessuale Situation bezogen Begründung erforderlich239. Begründungsbedürftig ist insbesondere auch die Divergenz zu dem Vertrauensschutz auf der Grundlage von BGHSt 36, 210. Zwar ist es aufgrund der Tatsache, Schünemann FS Rieß, S. 525 (538); Haas GS Keller, S. 45 (63). Vgl. bereits BGHSt 43, 195 (210). 235 Vgl. BGH StV 2003, 481; BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001, S. 2 (www.bundesgerichtshof.de); StV 2003, 268; NStZ 2004, 342 (343). 236 Vgl. Schünemann FS Rieß, S. 525 (538). 237 Vgl. F. Meyer Willensmängel, S. 295. 238 Vgl. aber Haas GS Keller, S. 45 (61): Die Berechtigung des Vertrauens folge erst aus dem Recht des Angeklagten, die Erklärung des Gerichts als verbindliche Zusicherung zu begreifen; Schünemann FS Rieß, S. 525 (538): kein Vertrauen auf ein bestimmtes Ergebnis; vgl. auch bereits Tscherwinka Absprache, S. 75. 239 Vgl. aber Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 119: Anlehnung an zivilrechtlichen Vertrauensschutz. 233 234

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

daß die Aussagen zum Inhalt des Vertrauensschutzes insofern obiter dicta darstellten240, nicht zu einem entscheidungserheblichen Widerspruch gekommen. Es wird aber deutlich, daß hier weitgehend nur behauptet worden ist, was der Grundsatz des Vertrauensschutzes bei dem Fehlschlagen einer Urteilsabsprache gebietet241. Was in dieser Situation „fair“ ist, liegt wohl im Auge des Betrachters. Es stellt sich daher die Aufgabe, den Vertrauensschutz im Strafprozeß daraufhin zu untersuchen, ob auch eine Herleitung möglich ist, die genauere Aussagen über Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solchen Schutzes zuläßt.

II. Die Prozeßumfangsabsprache Praktisch bedeutsam ist neben der Urteilsabsprache noch die sogenannte Prozeßumfangsabsprache. Es handelt sich dabei um eine Einigung der Verfahrensbeteiligten über den Umfang des Prozeßgegenstandes242. Dabei wird von Seiten des Strafverfolgungsorgans eine Beschränkung des Prozeßstoffes gemäß §§ 154, 154a StPO in Aussicht gestellt. Mit Blick auf den Beschuldigten kommen verschiedene prozessuale Verhaltensweisen als Gegenstand der Verständigung in Betracht, insbesondere ein Geständnis oder die Nichteinlegung / Rücknahme eines Rechtsmittels. Die Prozeßumfangsabsprache kann entweder im Ermittlungsverfahren zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem getroffen werden oder in der Hauptverhandlung gemeinsam mit dem Gericht. In der Hauptverhandlung erfolgt häufig auch eine Kombination dieser Verständigung mit einer Urteilsabsprache und einer Prozeßumfangsabsprache zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem, die weitere Ermittlungsverfahren betrifft. Auch bei dieser Form einer strafprozessualen Absprache hat der Grundsatz des Vertrauensschutzes Berücksichtigung gefunden. Die Prozeßumfangsabsprache scheitert, wenn das Strafverfolgungsorgan entgegen der Verständigung die Strafverfolgung betreibt. Ein Beispiel dafür stellt eine Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH aus dem Jahre 1990 dar243: In diesem Fall hatte der sachbearbeitende Staatsanwalt dem Beschuldigten zugesagt, die Staatsanwaltschaft werde eine Lohnsteuerhinterziehung nicht weiterverfolgen – gemäß § 154 I StPO, wie der BGH anmerkt – wenn der Beschuldigte einen Strafbefehl wegen Vgl. etwa BGHSt 38, 102 (104 f.). Einerseits BGHSt 38, 102 (104 f.): Durch die Abweichung von der Mitteilung hinsichtlich der Straferwartung und die gleichzeitige Verwertung des Geständnisses werde nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen; andererseits BGHSt 43, 195 (210): Aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens folge eine Bindung des Gerichts an die Absprache. 242 Küpper / Bode Jura 1999, 351 (352); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 67, der diese Abspracheform von Verständigungen unterscheidet, bei denen sämtliche Anschuldigungen ohne Hauptverhandlung auf dem Einstellungs- oder Strafbefehlswege erledigt werden; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 26. 243 BGHSt 37, 10. 240 241

II. Die Prozeßumfangsabsprache

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Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen durch Rücknahme seines Einspruchs rechtskräftig werden ließe. Daraufhin nahm der Beschuldigte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurück, weil er darauf vertraute, nicht mehr wegen Lohnsteuerhinterziehung verfolgt werden zu können. Später klagte der Nachfolger des Staatsanwalts die Tat, von deren Verfolgung zunächst abgesehen worden war, doch noch an.

Nach Auffassung des 3. Strafsenats wird durch die „Zusage“ des zuständigen Staatsanwalts, eine bestimmte Tat nicht weiter zu verfolgen, das Vertrauen des Beschuldigten hervorgerufen, diese Tat sei mit seiner Rechtsmittelrücknahme und der Strafe in der anderen Sache schon „mitbestraft“ und „erledigt“244. Dieses Vertrauen und die dadurch beeinflußte Willensbetätigung seien zu berücksichtigen, da der Beschuldigte kein Objekt des Verfahrens und in seiner Willensentschließung und -betätigung vor Beeinträchtigungen zu schützen sei. Der BGH entschied aber nicht abschließend darüber, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft tatsächlich gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstieß, obwohl der Beschuldigte nach der Absprache mit dem Staatsanwalt die Lohnsteuerhinterziehung noch fortsetzte245. Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens lasse sich aufgrund der Unbestimmtheit dieses Prinzips jedenfalls kein Verfahrenshindernis herleiten, so daß die von der Verständigung erfaßte Tat weiter verfolgt werden durfte246. Die Nichteinhaltung des geschaffenen Vertrauenstatbestandes sei aber für die Strafzumessung bei der vermeintlich „mitbestraften“ Tat maßgeblich247. Eine Anklage unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens begründe daher einen wesentlichen Strafmilderungsgrund248, was das Landgericht aber ebenso wie die Fortsetzung der Straftat auch beachtet habe. In der Literatur ist diese Entscheidung überwiegend auf Kritik gestoßen249. Diese setzt sowohl bei den Voraussetzungen als auch den Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes an. Einem schutzwürdigen Vertrauen des Beschuldigten stünde die Fortsetzung der ihm vorgeworfenen Straftat nach der Verständigung entgegen250. Man könne hier an einen „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ oder eine Analogie zu § 38 III VwVfG – der nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage nach einer behördlichen Zusicherung – denken251. Außerdem wird die Rechtswidrigkeit der zwischen dem BGHSt 37, 10 (14). BGHSt 37, 10 (12 f.). 246 BGHSt 37, 10 (13). 247 BGHSt 37, 10 (14). 248 BGHSt 37, 10 (13). 249 Uneingeschränkte Zustimmung zum Urteil hingegen bei Gatzweiler NStZ 1991, 46 f., der mangels einer Bindungswirkung von Absprachen die Wichtigkeit der „faktischen Verläßlichkeit“ betont. 250 Scheffler wistra 1990, 319 (320); Weigend JR 1991, 257 (259); Gerlach Absprachen, S. 189 f. 251 Weigend JR 1991, 257 (259). 244 245

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

Angeklagten und der Staatsanwaltschaft erfolgten Verständigung als Kriterium für den Ausschluß der Berechtigung des Vertrauens genannt. Insofern wird – parallel zur im Schrifttum gegenüber BGHSt 36, 210 vertretenen Auffassung – davon ausgegangen, daß Vertrauensschutz im Zusammenhang mit Absprachen grundsätzlich nur bei deren Zulässigkeit in Betracht kommt. Bei einer illegalen Zusicherung sei der Beschuldigte sogar nach einer Vorleistung weitgehend schutzlos252. Man könne es nicht als Verstoß gegen das Rechsstaatsprinzip ansehen, wenn die Staatsanwaltschaft ein zu Unrecht eingestelltes Verfahren wieder aufgreift. Scheffler geht allerdings von der Zulässigkeit der in diesem Fall vorgenommenen Absprache aus, die dem Zweck des § 154 StPO entspreche, und läßt daher die Schutzwürdigkeit nicht an diesem Aspekt scheitern253. Weigend hält die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, wegen der Rücknahme des Einspruches gegen den Strafbefehl von der Verfolgung weiterer Taten abzusehen, für rechtswidrig, weil die Ermessensentscheidung auf diese Weise durch ein sachfremdes Kriterium beeinflusst worden sei254. Die Unzulässigkeit der Absprache in BGHSt 37, 10 wird auch von Bömeke bejaht255. Er stellt den Angeklagten aber auch bei Rechtswidrigkeit der Verständigung nicht schutzlos, sondern differenziert lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgen256. Zum anderen zielt die Kritik auf die vom 3. Strafsenat gewählte Rechtsfolge des Vertrauensschutzes ab. Die Annahme eines Strafmilderungsgrundes sei nicht nur strafzumessungsdogmatisch zweifelhaft, sondern stelle nicht die richtige Kompensation der Verletzung eines schutzwürdigen Vertrauens dar. Insofern wäre eine Orientierung am „Vertrauensschaden“ des Beschuldigten möglich, d. h. die Reaktion müsse der Rücknahme des Einspruches gerecht werden257. Vorzugswürdig erscheine aber eine Orientierung am „Erfüllungsschaden“ und damit eine Nichtverurteilung des Beschuldigten258. Dies könne dogmatisch über eine Verwirkung der staatlichen Strafverfolgungsbefugnis begründet werden259. Von anderer Seite ist allerdings angeführt worden, gegen eine solche „Radikallösung“ spreche „noch mehr“ als gegen die Strafzumessungslösung über eine Reduktion der Strafe260. Weigend JR 1991, 257 (260). Scheffler wistra 1990, 319 (320). 254 Weigend JR 1991, 257 (259). 255 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 201. 256 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 200. 257 Scheffler wistra 1990, 319 (321). 258 Scheffler wistra 1990, 319 (321). Gegen eine Orientierung am „Vertrauensschaden“ auch Gerlach Absprachen, S. 192, der dies mit der Unanwendbarkeit der Wiederaufnahmevorschriften und der Zulässigkeit der reformatio in peius im Einspruchsverfahren begründet. 259 Für ein Verfahrenshindernis auch Roxin StrafverfahrensR, § 11 Rn. 15; Steiner Fairneßprinzip, S. 200, der allerdings der Ansicht ist, mit dem fair-trial-Prinzip lasse sich dies nicht überzeugend begründen. 260 Weigend JR 1991, 257 (258); Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1080) halten die Strafmilderung für den „korrekten Ausgleich“. 252 253

II. Die Prozeßumfangsabsprache

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Gerlach hat hingegen eine Differenzierung nach der Reichweite des enttäuschten Vertrauens vorgenommen: Grundsätzlich sei das Verfahren erneut einzustellen. Habe das Verhalten des Angeklagten jedoch wie in BGHSt 37, 10 eine eingeschränkte Schutzwürdigkeit seines Vertrauens zur Folge, sei keine Einstellung gerechtfertigt, sondern führe die nicht eingehaltene Absprache zu einer Strafmilderung261. Eine Differenzierung findet sich auch bei Bömeke262: Bei einer rechtmäßigen Zusage müsse der Ausgleich über eine Strafmilderung im Zweitverfahren erfolgen, das dann den einzigen Rechtsverstoß beinhalte. Eine unzulässige Vereinbarung erfordere hingegen die Beseitigung der unmittelbaren Folgen. Da in dem Fall, der der Entscheidung BGHSt 37, 10 zugrunde lag, eine unzulässige Koppelung erfolgt sei, führe der Bruch der Vereinbarung zu der Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme263. Auch bei Enttäuschung des auf einer Prozeßumfangsabsprache beruhenden Vertrauens des Angeklagten bestehen also Unstimmigkeiten, die die Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solchen – aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleiteten – Schutzes betreffen. Es findet sich wiederum das Problem, in welcher Weise sich die Frage nach der Zulässigkeit der Absprache auf die Vertrauensschutzproblematik auswirkt264. Auf der Rechtsfolgenseite ist wie bei der Urteilsabsprache fraglich, ob und wann der Gedanke des Vertrauensschutzes eine Bindungswirkung entfalten kann, das Strafverfolgungsorgan also an der Beschränkung des Prozeßstoffes festgehalten werden kann, oder auf welche Möglichkeiten zur Kompensation des enttäuschten Vertrauens alternativ abzustellen ist. In späteren Entscheidungen des BGH, die gescheiterte Prozeßumfangsabsprachen zum Gegenstand haben, läßt sich eine veränderte Sichtweise feststellen. Während der 3. Strafsenat noch in der absprachenwidrigen Anklage der Tat, also der Nichteinhaltung der Absprache, einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens erblickt hat265, rückt nun die Beeinträchtigung des Beschuldigten durch die Prozeßumfangsabsprache als solche in den Vordergrund. Der Schwerpunkt verlagert sich also von der spezifischen Vertrauensschutzkonstellation, dem Schutz gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme, auf einen Schutz gegen die vertrauensschaffende Maßnahme. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen: Zunächst ist der BGH nicht mehr wie in BGHSt 37, 10 in demjenigen Verfahren mit der gescheiterten Absprache konfrontiert worden, um dessen Nicht-Durchführung es dem Beschuldigten Gerlach Absprachen, S. 194 f.; so wohl auch Festa Absprachen, S. 64 f. Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 200 f. 263 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 201. 264 Vgl. dazu auch BGH StV 2000, 539 (540) (1. Strafsenat): Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Prozeßumfangsabsprache schließe schutzwürdige Erwartungen aus. Damit knüpft der Senat an die Ausführungen des 2. Senats in BGHSt 36, 210 (215) an, vgl. auch Weider StV 2000, 540. 265 BGHSt 37, 10 (13 und 14). 261 262

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

bei der Verständigung gerade ging. Des weiteren lag BGHSt 37, 10 wohl die Prämisse zugrunde, daß es zu einer rechtmäßigen Absprache zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem gekommen ist266. Dies wurde von dem BGH in den späteren Entscheidungen verneint. Insofern nimmt Bömeke – wie bereits erwähnt – eine Differenzierung danach vor, in welchem Verfahren ein Rechtsverstoß erfolgt ist. Schließlich dürfte seit 1997 auch BGHSt 43, 195 eine entscheidende Rolle beim Vertrauensschutz im Zusammenhang mit Prozeßumfangsabsprachen spielen. Noch aus dem Jahre 1996 stammt folgende Entscheidung des 5. Strafsenats267: Der Vorsitzende der Strafkammer, die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger verständigten sich darauf, daß die Angeklagten nach Ablegung eines Geständnisses zu jeweils acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und die Verfahren bezüglich weiterer Straftaten gemäß § 154 StPO eingestellt werden sollten. Nach der Ablegung der Geständnisse stellte sich aber heraus, daß die Staatsanwaltschaft die Reichweite der Absprache hinsichtlich der Einstellung nach § 154 StPO anders als Vorsitzender und Verteidiger dahingehend verstanden hatte, daß nur Straftaten, die bereits Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren, eingestellt werden sollten. Ein Absehen von der Strafverfolgung wegen weiterer Straftaten gemäß § 154 I StPO kam für die Staatsanwaltschaft nicht in Betracht. Die Strafkammer des LG Berlin sah daraufhin von der Verwertung der Geständnisse ab.

Der 5. Strafsenat – und im Anschluß daran auch die Literatur – hat für diese Konstellation aufgrund der fehlenden Willensübereinstimmung der Beteiligten die Bezeichnung „Dissens“ gewählt268. Laut BGH mag die Strafkammer durch Nichtverwertung der Geständnisse den Grundsätzen eines fairen Verfahrens entsprochen haben269. Der BGH hatte über diese Frage allerdings nicht zu entscheiden, da die Revisionsführer (die Angeklagten) durch diese Entscheidung nicht beschwert waren. Der Einschätzung des LG Berlin ist auch das Schrifttum überwiegend gefolgt. Hinsichtlich der Geständnisse bestehe ein selbständiges Beweisverwertungsverbot. Dieses wird insbesondere aus dem fair-trial-Grundsatz hergeleitet. Demnach fällt die in diesem Fall erfolgte Schaffung des bloßen Anscheins einer Absprache grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Staates, so daß dieser letztlich auch das Risiko der dissensbedingt fehlgeschlagenen Absprache zu tragen habe270. Eine Ausnahme wird nur für den Fall in Betracht gezogen, daß ein Mißverständnis Vgl. Weigend JR 1991, 257 (260). BGHSt 42, 191. 268 BGHSt 42, 191 (192); Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1076); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 113 ff.; Kintzi FS Hanack, S. 177 (186 ff.); vgl. demgegenüber aber Haas GS Keller, S. 45 (72) und unten 5. Teil II. 1. 269 BGHSt 42, 191 (193); die Revision machte ein Prozeßhindernis und die Befangenheit der Schöffen geltend, was vom BGH verworfen wurde. 270 Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1076); Weigend BGH-FG, S. 1011 (1037); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 116, vgl. aber auch S. 199: Der Dissens stehe einer wirksamen Vereinbarung entgegen; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 248 ff. 266 267

II. Die Prozeßumfangsabsprache

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hinsichtlich der Verständigung allein in der Verantwortung des Beschuldigten liegt, z. B. bei einer Unachtsamkeit auf seiner Seite271. Kölbel stuft die Absprache hingegen als einen Eingriff der Strafverfolgungsorgane in die Aussagefreiheit des Angeklagten ein, welcher bei Schaffung eines bloßen Rechtsscheins einer Absprache auch nicht durch einen Grundrechtsverzicht des Angeklagten ausgeschlossen sei272. Damit wird ebenfalls entscheidend auf die Verantwortung für den Anschein einer Absprache bestimmten Inhalts abgestellt. Diese Verletzung des Schweigerechts führe zu einem selbständigen Beweisverwertungsverbot. Die Annahme der Unverwertbarkeit der Geständnisse ist allerdings nicht unbestritten geblieben. Kintzi geht von der Verwertbarkeit der auf der Grundlage eines „Dissenses“ abgelegten Geständnisse aus. Einer „Erfüllung“ der Absprache durch die Justizorgane stünden sachliche Gründe entgegen und ein Verschulden auf ihrer Seite sei nicht zu erkennen273. Durch die Verwertung werde „rechtsstaatlich Unverzichtbares“ nicht preisgegeben274. Eine gescheiterte Prozeßumfangsabsprache lag auch der bereits erwähnten275 Entscheidung BGHSt 45, 227 zugrunde: Die Berufsrichter, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger einigten sich – unter Mißachtung der Grundsätze von BGHSt 43, 195 – darauf, daß der Angeklagte bei einem Geständnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt werden sollte. Auch Einstellungen gemäß § 154 I und II StPO wurden vereinbart. Schließlich erklärte sich der Angeklagte, nachdem die Vorsitzende dies den Verfahrensbeteiligten nahe gelegt hatte, zu einem Rechtsmittelverzicht bereit, der dann später auch vereinbarungsgemäß erklärt wurde. Es stellte sich später heraus, daß Verteidiger und Angeklagter die Zusage bezüglich § 154 I StPO auch auf ein Ermittlungsverfahren bezogen hatten, das weder dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft noch den Richtern bekannt war. Dieses Verfahren gelangte später zur Anklage, ebenso ein Verfahren, das von der Verständigung tatsächlich erfaßt gewesen war.

Der 4. Strafsenat des BGH hatte über einen Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Revisionseinlegung zu entscheiden, dem er aufgrund der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts statt gab. Dabei widersprach der Senat aber ausdrücklich der Auffassung, dies könne mit der Notwendigkeit einer Kompensation enttäuschter Erwartungen begründet werden276. 271 Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1076), die diese Konstellation aber als rein theoretisch ansehen, da der Angeklagte regelmäßig an der Absprache gar nicht beteiligt werde und ihm das Verschulden seines Verteidigers nicht zugerechnet werden könne. 272 Kölbel NStZ 2002, 74 (78); ders. NStZ 2003, 232 (236); vgl. auch Haas GS Keller, S. 45 (70 ff.) zu einem fahrlässigen Eingriff der Strafverfolgungsorgane in die Aussagefreiheit des Angeklagten durch Vornahme einer unzulässigen Absprache. 273 Kintzi FS Hanack, S. 177 (187). 274 Kintzi FS Hanack, S. 177 (188). 275 Siehe I. 4. a). 276 BGHSt 45, 227 (230) gegen Schlüchter in: SK-StPO, Vor § 213 Rn. 52.

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1. Teil: Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Absprachen

Nach den obigen Ausführungen277 dürfte von diesem Standpunkt aus schon aufgrund der Nichtvereinbarkeit der Absprache mit BGHSt 43, 195 die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, die fraglichen Taten würden nicht weiter verfolgt, entfallen. Der Senat stützt die Unwirksamkeit im Ergebnis vielmehr auf die Beeinträchtigung der Willensentscheidung und -betätigung durch die unzulässige Absprache selbst, so daß sich auch hier der Schutz des Angeklagten bereits gegen die vertrauensschaffende Maßnahme als solche richtet278. Die Frage nach einem spezifischen Vertrauensschutz gegen die Enttäuschung als solche stellt sich offenbar nur, wenn gegen die staatliche Schaffung von Vertrauen kein oder kein ausreichender Schutz des Angeklagten gewährleistet wird.

III. Ausblick auf die weitere Untersuchung Es hat sich gezeigt, daß die auf den Grundsatz des fairen Verfahrens gestützte Berücksichtigung des Vertrauensschutzgedankens im Bereich der strafprozessualen Absprachen oftmals mehr auf den subjektiven Erwägungen des jeweiligen Rechtsanwenders als auf objektiv nachvollziehbaren Kriterien eines Vertrauensschutzes basiert279. Bei dieser Vorgehensweise läßt sich nicht klären, ob Vertrauensschutz dazu dient, das Strafverfolgungsorgan an seinen vertrauensschaffenden Erklärungen festzuhalten, ob und wie enttäuschtes Vertrauen zu kompensieren ist oder ob Vertrauensschutz im Strafprozeß weitgehend auf Überraschungsschutz beschränkt ist. Auch bleibt unklar, ob und welche Rolle die Zulässigkeit der Absprachen für einen Vertrauensschutz spielt. Die Erarbeitung von Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes erfordert die vorherige Bestimmung der dogmatischen Grundlage eines solchen Schutzes280. Ohne eine rechtliche Herleitung des Vertrauensschutzgrundsatzes setzen sich darauf gründende Entscheidungen dem Vorwurf einer bloßen Billigkeitsjudikatur aus, da die jeweils maßgebenden Entscheidungskriterien weniger auf eine nachvollziehbare Argumentation als vielmehr auf das subjektive Gerechtigkeitsempfinden zurückzuführen zu sein scheinen281. Zudem kann nur so ein Zirkelschluß vermieden werden, da anderenfalls dem Vertrauensschutzgedanken nur Siehe I. 4. a). BGHSt 45, 227 (231 ff.); vgl. auch bereits BGH NJW 1995, 2568 (3. Strafsenat). 279 Vgl. zum fair-trial-Grundsatz auch K. Meyer JR 1984, 173 (174): Maßgeblich sei, was der Richter „rechtsstaatlich“ wolle. 280 Muckel Kriterien, S. 29; Blanke Vertrauensschutz, S. 12. 281 Vgl. auch Ossenbühl DÖV 1972, 25 (34): Die Gefahr des Grundsatzes des Vertrauensschutzes bestehe darin, „daß die Idee des Vertrauensschutzes zu einer Disziplinlosigkeit des juristischen Denkens und damit letztlich zu einer Bedrohung der Transparenz juristischen Argumentierens . . .“ führe; Luhmann Vertrauen, S. 43 f.: Es bestehe bei der Anwendung des Vertrauensprinzips die Gefahr überflüssiger Parallelkonstruktionen und undifferenzierter Begründungen. 277 278

III. Ausblick auf die weitere Untersuchung

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Konkretisierungen entnommen würden, die schon im Vorverständnis des Betrachters vorhanden waren282. Es muß eine Rechtsgrundlage gefunden werden, die tatsächlich auch als Ursprung eines Vertrauensschutzes identifiziert werden kann283. Die Suche nach einer Rechtsgrundlage für den Schutz des Vertrauens setzt allerdings voraus, daß Klarheit hinsichtlich des Schutzgegenstandes besteht284. Daher ist ein Blick auf den Begriff des Vertrauens zu werfen, das den tatsächlichen Anknüpfungspunkt für den normativen Schutz des Betroffenen bildet.

282 283 284

Vgl. Schenke AöR 101 (1976), 337 (359). Blanke Vertrauensschutz, S. 31 f. Vgl. Schwarz Vertrauensschutz, S. 35.

2. Teil

Der Vertrauensbegriff I. Bedeutung des Vertrauensbegriffs für den Vertrauensschutz Die Grundlage eines jeden Vertrauensschutzes bildet das Vertrauen. Zugleich stellt es damit Grundlage und Begrenzung einer Untersuchung des Vertrauensschutzes dar. Das Vertrauen gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Frage nach einem Schutz stellt. Insofern kommt dem Begriff des Vertrauens eine zentrale Bedeutung zu. Um einen Untersuchungsgegenstand vorweisen zu können, muß dieser Begriff mit einem Inhalt versehen werden1. Schon die Suche nach einer dogmatischen Grundlage des Vertrauensschutzes2 ist nur möglich, wenn man eine Vorstellung von dem Inhalt des Begriffs „Vertrauen“ hat3. Dennoch erfolgt trotz seiner Verwendung in aller Regel keine genauere Betrachtung des Vertrauensbegriffs, wenn eine spezielle normative Bedeutung des Vertrauens untersucht wird4. Zum einen läßt sich dies sicherlich darauf zurückführen, daß Vertrauen etwas Alltägliches darstellt, so daß jedermann auch ein Vorverständnis hinsichtlich dieses Begriffs hat. Insofern scheint diesem zunächst ein selbstverständlicher Inhalt zuzukommen5. Auf der anderen Seite ist der Begriff dem Versuch einer genaueren Definition aber trotzdem nicht leicht zugänglich6. Da er keine klaren Konturen aufweist, wird er in ganz unterschiedlicher Weise verwendet und verstanden7. Dies führt dazu, daß in der Rechtswissenschaft bei einer Beschäftigung mit dem Vertrauen zumeist unausgesprochen ein bestimmter allgemeiner Sprachgebrauch zugrunde gelegt wird. Zudem wird als Grund für eine „Vernachlässigung“ des Vertrauensbegriffs in der Rechtswissenschaft auch noch angeführt, daß Vertrauen als 1 Vgl. Laucken Zwischenmenschliches Vertrauen, S. 17: „Sonst schwebt das Forschen haltlos hin und her“; vgl. auch Kniemeyer Vertrauen, S. 78. 2 Dazu im 3. Teil. 3 Vgl. Schwarz Vertrauensschutz, S. 35. 4 Dazu und zu den folgenden Gründen Wiegand in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 183 (183 f.); Kniemeyer Vertrauen, S. 78 zum Strafprozeßrecht. 5 Nowicka Vertrauen, S. 5. 6 Nowicka Vertrauen, S. 5. 7 Wiegand in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 183.

I. Bedeutung des Vertrauensbegriffs für den Vertrauensschutz

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eine innere Tatsache in den meisten Fällen nicht selbst feststellbar sei, so daß den objektiven Elementen eines Vertrauensschutzes praktisch eine wesentlich größere Relevanz zukäme8. So ist auch im 1. Teil zu sehen gewesen, daß in einschlägigen Konstellationen in aller Regel nicht das Vertrauen des Betroffenen in Frage gestellt, sondern die „Schutzwürdigkeit“ oder „Berechtigung“ dieses Vertrauens problematisiert wird. Grund dafür ist aber vor allem, daß Vertrauen eben ein faktisches Phänomen bezeichnet, auch soweit es um die Frage nach einem normativen Schutz des Vertrauens geht. Wenn dieses Phänomen mit dem aus dem Alltagsgebrauch stammenden Vorverständnis hinreichend beschrieben werden kann, ist es durchaus gerechtfertigt, auf eine nähere Begriffsklärung zu verzichten. Im Unterschied zu anderen Disziplinen muß die Rechtswissenschaft sich dann nicht mit Voraussetzungen und Inhalt von Vertrauen auseinandersetzen, sondern hat allein die normative Bewertung dieser faktischen Gegebenheit vorzunehmen, insbesondere also die normative Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu beurteilen. Eine genauere Betrachtung des Vertrauensbegriffs muß also nur erfolgen, wenn nicht schon vom Vorverständnis her feststeht, welcher Sachverhalt – in Abgrenzung zu anderen Sachverhalten – als Vertrauen bezeichnet und mit Blick auf seine Schutzwürdigkeit überprüft werden soll. Eine Begriffsklärung ist dann wichtig, weil ein als Nicht-Vertrauen eingestufter Sachverhalt aus dem Rahmen herausfällt, in dem ein Vertrauensschutz in Betracht gezogen wird. Eine normative Begründung der Ablehnung dieses Schutzes könnte dann mitunter als überflüssig angesehen werden, da es schon an der faktischen Grundvoraussetzung fehlt. In aller Regel wird eine nähere Beschreibung des Vertrauens aber nicht erforderlich sein. So ist ja auch im Zusammenhang mit den strafprozessualen Absprachen weitgehend unproblematisch festzustellen, daß durch die Verständigung eine nach dem Vorverständnis als Vertrauen zu bezeichnende Vorstellung des Angeklagten hervorgerufen wird. Völlig zu Recht beschränkt sich die Erörterung daher fast ausschließlich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen dieses faktische Vertrauen normativ berechtigt und damit zu schützen ist und auf welche Weise ein solcher Schutz zu erfolgen hat. Mehrere Beispiele aus der Absprachendiskussion lassen es aber geboten erscheinen, kurz darauf einzugehen, wann und inwieweit durch eine Absprache Vertrauen des Angeklagten geschaffen wird. Insofern sind nämlich unterschiedliche Vorverständnisse zu erkennen, die sich entscheidend auf die Frage nach dem Vertrauensschutz auswirken können. In diesem Zusammenhang sind etwa die vom 4. Strafsenat in BGHSt 43, 195 postulierte Bindungswirkung des Vertrauensschutzes9 und eine kritische Äußerung in der Literatur zu nennen. Schünemann hat dem Versuch des BGH, mit Hilfe des fair-trial-Grundsatzes über den Vertrauensschutz eine Bindung des Gerichts an die Urteilsabsprache zu schaffen, entgegengehalten, es handele sich dabei um einen 8 9

Wiegand in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 183 (183 f.). BGHSt 43, 195 (210).

6 Graumann

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2. Teil: Der Vertrauensbegriff

Zirkelschluß10. Laut Schünemann setzt eine Vertrauenslage eine vorher bereits bestehende Bindung des Gerichts voraus, so daß die Konstruktion einer erstmaligen Bindung über den Schutz des Vertrauens nicht in Betracht komme11. Im 1. Teil wurde bereits erwähnt, daß die Konstruktion des BGH tatsächlich einen Zirkelschluß darstellt, wenn dabei die Schutzwürdigkeit des Angeklagten gerade auf die Tatsache einer „bindenden Zusage“ gestützt werden sollte12. Es ist aber auch gesagt worden, daß nicht von vorherein ausgeschlossen werden kann, daß der Grundsatz des Vertrauensschutzes das Gericht an seiner Erklärung festhält, obwohl diese für sich genommen keine Bindungswirkung entfaltet. Dies ist keine Frage des faktischen Vertrauens, sondern setzt eine normative Begründung voraus, warum das Vertrauen des Angeklagten auf den Inhalt der Erklärung (die Ankündigung der Verhängung bzw. Nichtüberschreitung eines bestimmten Strafmaßes) trotz deren Unverbindlichkeit durch eine Bindung geschützt werden muß13. Schünemann verneint hingegen für den Fall einer labilen Absichtserklärung des Gerichts, in dem es seine „gegenwärtige vorläufige und hypothetische Einschätzung des möglichen weiteren Prozeßverlaufes offenlegt, sich aber in keiner Weise inhaltlich festlegt“14, nicht erst die Schutzwürdigkeit des Vertrauens als Voraussetzung einer Bindung des Gerichts. Vielmehr wecke eine labile Absichtserklärung gar kein Vertrauen auf ein bestimmtes Ergebnis, sondern nur auf die rechtzeitige Erteilung eines Hinweises für den Fall einer Veränderung der gerichtlichen Einschätzung15. Ein Schutz des Vertrauens des Angeklagten wird also – bezogen auf die Einhaltung der Absprache durch das Gericht – schon deshalb von vornherein abgelehnt, weil ein darauf gerichtetes Vertrauen gar nicht bestehe. Damit liegt aber bereits dem Vertrauensbegriff ein anderes Verständnis zugrunde, als es etwa in der Entscheidung des BGH zum Ausdruck kommt16. Die Frage, ob und worauf der Betroffene im Fall einer für sich genommen rechtlich unverbindlichen Erklärung vertraut, ist offenkundig für Existenz und Inhalt eines möglichen Vertrauensschutzes bedeutsam17. Ermöglicht das Vorverständnis insofern keine eindeutigen Aussagen, muß der Inhalt des Vertrauensbegriffs genauer benannt werden. Dieses Erfordernis verdeutlichen einige weitere Beispiele: Schünemann FS Rieß, S. 525 (538). Vgl. bereits Schünemann Gutachten 58. DJT, B 122. 12 Siehe 1. Teil I. 4. c). 13 Ein solcher Begründungsversuch findet sich bei Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 119; vgl. demgegenüber aber auch Haas GS Keller, S. 45 (61 und 63): Die Berechtigung des Vertrauens folge aus dem Recht des Angeklagten, Erklärungen als bindende Zusicherungen zu verstehen. 14 Schünemann FS Rieß, S. 525 (527 f.). 15 Schünemann FS Rieß, S. 525 (538). 16 Vgl. BGHSt 43, 195 (210): “ . . . Widerspruch zu eigenen, früheren Erklärungen, auf die ein Verfahrensbeteiligter vertraut hat“. 17 Vgl. auch BGH NStZ 1997, 561 (562). 10 11

II. Erforderlichkeit einer eigenständigen Begriffsbildung

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So hat der 2. Strafsenat des BGH etwa eine Pflicht des Gerichts, auf die beabsichtigte Verhängung einer nicht zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe hinzuweisen, verneint, wenn vorherige Äußerungen der Richter nicht geeignet waren, im Angeklagten – der daraufhin ein umfassendes Geständnis abgelegt hat – „andere Erwartungen zu wecken als die, daß das Erreichen seines Verteidigungsziels nicht ausgeschlossen sei“18. Darin könne keine Zusage gesehen werden, das Gericht werde der Strafmaßerwartung des Angeklagten entsprechen. Der Angeklagte habe die Äußerungen auch nicht als Zusagen mißverstanden. Zwar erwähnt der 2. Strafsenat hier nicht ausdrücklich den Begriff des Vertrauens. In dem neun Monate zuvor ergangenen Urteil BGHSt 36, 210 hat der Senat aber die Erwartung eines Strafmaßes und das Vertrauen darauf gerade von der Tatsache einer „Zusicherung“ abhängig gemacht19. Die spätere Entscheidung kann daher dahingehend verstanden werden, daß hier die gerichtlichen Äußerungen schon nicht geeignet waren, das erforderliche Vertrauen des Angeklagten auf eine bestimmte Entscheidung zu wecken. Auch findet sich in der Literatur die Ansicht, eine „unverbindlich ausgestaltete“ Absprache wecke nur eine bloße Hoffnung des Angeklagten20. Es fehle dem Angeklagten an der für das Vertrauen erforderlichen persönlichen Kenntnis des Gegenüber21. Auf der Grundlage eines bloßen Vorverständnisses vom Begriff des Vertrauens ist es also nicht möglich, diesen Sachverhalt ohne weiteres von denjenigen Sachverhalten abzugrenzen, die von vornherein nicht zum Anknüpfungspunkt eines Vertrauensschutzes werden können. Vorhandensein und Inhalt des Vertrauens können daher nur anhand einer genaueren Betrachtung des Begriffs bestimmt werden. Dabei ist zunächst zu fragen, ob insofern auf vorhandene Begriffsbestimmungen zurückgegriffen werden kann.

II. Erforderlichkeit einer eigenständigen Begriffsbildung Im Gegensatz zum Strafprozeßrecht wird im Verfassungs- und Verwaltungsrecht im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz versucht, den Begriff des Vertrauens 18 BGH NJW 1990, 1921 (1922): U. a. war erklärt worden, eine solche Entscheidung hänge „an einem seidenen Faden“. Als der Angeklagte daraufhin ein Teilgeständnis ablegte, unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung mit der Bemerkung „So wird das nichts“. Kritisch dazu Haas GS Keller, S. 45 (63 f.): Die Äußerung könne auch als Versprechen zu deuten sein. 19 Vgl. BGHSt 36, 210 (212, 213 und 214). 20 Gutterer Deal, S. 31. 21 Vgl. auch Oswald in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 111 (125): Ob und wie der Angeklagte aufgrund einer strafprozessualen Absprache Vertrauen erwerbe, sei angesichts des Fehlens der in der Regel erfolgenden „Vertrauensprüfungen“ unklar.

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2. Teil: Der Vertrauensbegriff

in subsumtionsfähiger Weise zu benennen. Dabei taucht allerdings teilweise das Vertrauen wiederum in dieser Definition auf, so daß zumindest der Eindruck eines nicht präzisierungsbedürftigen oder -fähigen Begriffes entsteht22. In anderen Definitionen wird das Vertrauen durch andere Begriffe, etwa den Glauben des Bürgers, ersetzt. So sei Vertrauen nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der feste Glaube daran, daß sich jemand in einer bestimmten Weise verhalten wird, also im öffentlichen Recht die zu festem Glauben verdichtete Erwartung des Bürgers bezüglich des Verhaltens eines staatlichen Organs23. An anderer Stelle ist die Rede von einem psychischen Befund des Inhalts, daß der Begünstigte fest mit dem Fortbestand eines Verwaltungsaktes rechne, sich darauf einrichte und verlasse24. Es handele sich um eine innere Einstellung des Menschen, um das Sichverlassen auf eine Sachlage, eine Erklärung oder das Verhalten eines anderen Menschen25. Diese Inhaltsbestimmungen führen allerdings auch nicht dazu, daß der Begriff des Vertrauens in diesem Bereich in seinen Grenzen völlig unstrittig wäre. So wird etwa mitunter vertreten, daß der Vorbehalt einer späteren Änderung durch das staatliche Organ einem tatsächlichen Vertrauen auf den Bestand entgegenstehe26. Durch eine Verwahrung könne die Behörde das Entstehen von Vertrauen auf Seiten des Bürgers verhindern27. Eine Auffassung läßt das Vertrauen als solches auch dann entfallen, wenn der Bürger aufgrund von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes mit dessen Aufhebung rechnet28. Von anderer Seite wird das Vorhandensein von Vertrauen verneint, wenn der Bürger die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes positiv kennt, da Vertrauen Arglosigkeit voraussetze29. Auch diese Definitionen des Vertrauensbegriffs, die auf dem allgemeinen Sprachgebrauch beruhen, lassen also keine eindeutige Feststellung der relevanten Vertrauenssachverhalte zu30. Daß daraus kaum merkliche Übergänge zwischen Vertrauen und Nicht-Vertrauen folgen, wird deutlich, wenn Vertrauen als „in das Spannungsverhältnis von Hoffnung und Zuversicht eingebettet“31 beschrieben wird. 22 Vgl. Kopp / Ramsauer VwVfG, § 48 Rn. 83: Berechtigte Bestandserwartung im Sinne von § 48 II VwVfG sei das subjektiv tatsächlich betätigte Vertrauen. 23 Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 7 f.; Schwarz Vertrauensschutz, S. 35; Muckel Kriterien, S. 89: feste Zuversicht. 24 Knoke Rücknahme, S. 148. 25 Stich Vertrauensschutz, S. 3 f. 26 Maurer FS Boorberg-Verlag, S. 223 (246); a.A. die h. M., vgl. Knoke Rücknahme, S. 149 m. w. N. 27 Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 81 f., die allerdings auch Ausnahmen zuläßt, S. 82. 28 Schäfer in: Obermeyer VwVfG, § 48 Rn. 43. 29 Ossenbühl Rücknahme, S. 83. Vgl. nunmehr aber § 48 II 3 VwVfG: Frage der Schutzwürdigkeit. 30 Vgl. auch Kniemeyer Vertrauen, S. 79: Die umgangssprachliche Bedeutung von Vertrauen sei zu allgemein, um auf seiner Grundlage eine inhaltsreiche Definition zu erarbeiten. 31 Schwarz Vertrauensschutz, S. 35.

II. Erforderlichkeit einer eigenständigen Begriffsbildung

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Eine genauere Definition des Vertrauensbegriffs kann ein Blick auf andere Disziplinen ermöglichen. Vertrauen als „psychischer Befund“32 und „innere Einstellung des Individuums“33 besitzt eine umfassende Bedeutung in allen Bereichen des sozialen Lebens und ist daher in erster Linie kein Gegenstand der Rechtswissenschaft34. Mit dem Thema „Vertrauen“ beschäftigen sich die Philosophie, die Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft sowie die Wirtschaftswissenschaften. Ein handhabbarer Vertrauensbegriff könnte daher dem besonderen Sprachgebrauch der primär für dieses Thema „zuständigen“ Wissenschaften zu entnehmen sein35. Es existieren dort zahlreiche Definitionen, die das Vertrauen einer wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich machen sollen36. So wird denn auch in verschiedenen rechtswissenschaftlichen Arbeiten der Versuch unternommen, den Untersuchungsgegenstand Vertrauen mit Hilfe dieser Definitionen genauer zu bestimmen37. Bei einer Übertragung fachspezifischer Definitionen – dies gilt auch für den Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch – ist aber folgendes zu berücksichtigen: Der Vertrauensbegriff läßt sich vor allem durch seine Vielgestaltigkeit kennzeichnen38. Das Vertrauen ist ein Begriff, der ganz unterschiedlich verwendet wird, weil er keine klaren Konturen aufweist39. Vertrauen wird deshalb auch als „vage Sache“40 bezeichnet. Nun erstaunt dies aber angesichts der schier unbegrenzten Bedeutung des Phänomens „Vertrauen“ nicht. Vertrauen ist notwendig ein relativer Begriff, der ohne bestimmte Bezugsobjekte überhaupt keinen Sinn ergibt41. Aus der Vielgestaltigkeit dieser Bezugsobjekte ergibt sich zwangsläufig eine Vielzahl von Konstellationen, die durch nichts anderes als durch die Zuordnung zu der „vagen Sache“ Vertrauen miteinander verbunden sind. Vertrauen erscheint als ein so Knoke Rücknahme, S. 148 f. Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 97. 34 Stich Vertrauensschutz, S. 3. 35 Vgl. auch Stich Vertrauensschutz, S. 3 f.: Ein von dem „natürlich-sittlichen“ Vertrauen zu unterscheidendes „rechtliches“ Vertrauen gäbe es nicht, es handele sich vielmehr um die gleiche innere Einstellung. 36 Hartmann in: Hartmann / Offe Vertrauen, S. 7 (24): Definitionsüberfluß; Oswald in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 111. 37 So bestimmt Kniemeyer Vertrauen, S. 80 ff. mit Blick auf das Vertrauen zwischen Verteidiger und Mandantem, den Inhalt dieses Begriffs mit Hilfe anderer Fachrichtungen; auch Fehlmann Haftungsgrundlage, S. 18 ff. unternimmt in ihrer Arbeit über die Vertrauenshaftung im Zivilrecht den Versuch einer „Annäherung“ an den Vertrauensbegriff aus der Sicht verschiedener Disziplinen, vgl. S. 1.; vgl. auch Wiegand in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 183 (184): Eine interdisziplinäre „Einkreisung“ des Vertrauens könne im Hinblick auf dessen Bedeutung Klarheit für die Rechtswissenschaft bringen. 38 Vgl. Muckel Kriterien, S. 13. 39 Wiegand in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 183. 40 Oswald in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 111; vgl. auch Luhmann Vertrauen, S. 42: Vertrauen als allgemeines, diffuses soziales Erfordernis. 41 Loré Aspekte, S. 8. 32 33

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2. Teil: Der Vertrauensbegriff

komplexes Konstrukt, daß der Versuch, zu einer umfassenden Theorie des Vertrauens zu gelangen, zwangsläufig auf Widersprüche stoßen muß42. Es handelt sich um zahlreiche Phänomene, die sich hinter dem Begriff des Vertrauens verbergen43. Dann muß aber von einer Vielzahl von Vertrauensbegriffen oder -typen ausgegangen werden44, wenn auch Überschneidungen und fließende Übergänge nicht ausgeschlossen sind. Hinzu kommt, daß diese verschiedenen Konstellationen Gegenstand ganz unterschiedlicher wissenschaftlicher Herangehensweisen sind. Die jeweilige wissenschaftliche Perspektive und die damit verbundene unterschiedliche Schwerpunktsetzung hinsichtlich der Funktion des Vertrauens45 führen auch zu abweichenden Begriffsbildungen46. Dies spricht grundsätzlich für das Erfordernis einer eigenständigen juristischen Begriffsbildung, die jedenfalls den Nachweis erbringen muß, daß und warum der Rückgriff auf anderweitige Definitionen den „Bedürfnissen“ einer konkreten normativen Fragestellung gerecht wird47. Daher muß auch im Recht keineswegs eine einheitliche Begrifflichkeit existieren48. Gerade bei der Frage nach dem rechtlichen Schutz des Vertrauens erscheint die Möglichkeit eines solchen Rückgriffs aber zweifelhaft. Das Vertrauen von Menschen ist ein psychologisches und soziologisches Faktum. Auch ist der Schutz persönlichen Vertrauens aufgrund dessen elementarer Bedeutung für jede Form menschlichen Zusammenlebens als eine ethische Norm anzusehen49. Jedoch stellt diese außerrechtliche Existenz und Bedeutung von Vertrauen keine ausreichende Grundlage für einen rechtlichen Schutz von Vertrauen dar. Nur das Recht selbst kann die rechtliche Fundierung eines solchen Schutzes schaffen50. Das Recht stellt ein „ethisches Minimum“ dar, das nur ein Mindestmaß an sittlichen Normen in Rechtspflichten überführt51. Deshalb sind das sozial feststellbare und das rechtlich geschützte Vertrauen nicht deckungsgleich52. Es bedarf daher der Unterscheidung zwischen einem „natürlichen, rechtsfreien“53 und einem rechtlich typisierten VerBrückerhoff Vertrauen, S. 106. Vgl. Brückerhoff Vertrauen, S. 106. 44 Vgl. Hartmann in: Hartmann / Offe Vertrauen, S. 7 f. 45 Vgl. Nowicka Vertrauen, S. 5. 46 Vgl. auch Möller in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 8; Kummer / Hof in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 18. 47 Vgl. auch Loré Aspekte, S. 11 f.: Die juristische Vertrauensschutzbegrifflichkeit löse sich von dem allgemein-sprachlichen Verständnis. 48 Vgl. Loré Aspekte, S. 10. 49 Schwarz Vertrauensschutz, S. 32; Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 6; Eichler Rechtslehre, S. 4 f.; Luhmann Vertrauen, S. 43: ethisch fundiertes Argument des Vertrauensschutzes. 50 Muckel Kriterien, S. 26 ff. 51 Stich Vertrauensschutz, S. 6 f. 52 Vgl. Luhmann Vertrauen, S. 42. 53 Eichler Rechtslehre, S. 6 Fn. 5. 42 43

II. Erforderlichkeit einer eigenständigen Begriffsbildung

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trauen, welchem allein rechtliche Beachtlichkeit zukommt54. Der normative Schutz des Vertrauens setzt also eine Grundlage im Recht voraus, welche allein die Kriterien liefern kann, nach denen der Vertrauensschutz zu beurteilen ist55. Der außerrechtlichen Funktion von Vertrauen kommt dabei keine Bedeutung zu. Wenn Vertrauen als soziales und ethisches Phänomen für sich genommen keinen rechtlichen Schutz zu begründen vermag, dann kann es ihn aber auch nicht selbst begrenzen. Auch dies ist ausschließlich der rechtlichen Grundlage vorbehalten, die für die Reichweite des normativen Schutzes maßgebend ist. Allein aus ihrer Funktion läßt sich die Beschränkung eines Schutzes ableiten. Dies bedeutet, daß der „Rahmen“ eines potentiellen Vertrauensschutzes nicht von vornherein mit der Erwägung eingeschränkt werden kann, unter Zugrundelegung außerrechtlicher Definitionen oder eines allgemein-sprachlichen Verständnisses sei das Erfordernis tatsächlichen Vertrauens gar nicht erfüllt. Eine Begrenzung des Vertrauensbegriffs, die in anderen Zusammenhängen vorgenommen wird, läßt sich dort durch die jeweilige wissenschaftliche Fragestellung rechtfertigen. Wird eine solche Abgrenzung zwischen Vertrauen und Nicht-Vertrauen auf eine normative Betrachtung übertragen, wird aber die Maßgeblichkeit der rechtlichen Grundlage übergangen. Solche Beschränkungen des Vertrauensschutzes mögen im Ergebnis zutreffend sein, können aber nur mit der Norm begründet werden, die den fraglichen Schutz gewährleistet. So wären im vorliegenden Zusammenhang z. B. Definitionen unbrauchbar, die in Soziologie oder Psychologie zur Abgrenzung zwischenmenschlichen Vertrauens von anderen Einstellungen verwendet werden56. Insofern müssen auch die obigen Ausführungen57 zum Vertrauen im Rahmen der strafprozessualen Absprachen präzisiert werden. Seit Beginn der Absprachendiskussion wurde die Bedeutsamkeit des gegenseitigen Vertrauens für Verständigungen im Strafverfahren betont. Für die Beschreibung und Untersuchung dieses interpersonellen Vertrauens, das als eine Grundlage der Absprachen bezeichnet wird, können durchaus Begriffsbestimmungen für zwischenmenschliches Vertrauen herangezogen werden, da es sich um ein solches handelt58. 54 Schwarz Vertrauensschutz, S. 32 Fn. 34; Haas GS Keller , S. 45 (61): „Vertrauen als ubiquitäres Phänomen ist nie ein materialer Rechtsgrund der Schutzwürdigkeit von Erwartungen“; vgl. auch Stich Vertrauensschutz, S. 4. 55 Muckel Kriterien, S. 25 ff. 56 Vgl. etwa Laucken Zwischenmenschliches Vertrauen, passim. 57 Siehe 1. Teil I. 2. 58 Vgl. auch Kniemeyer Vertrauen, S. 80 ff., der zur Bestimmung der Voraussetzungen einer Vertrauensbeziehung zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten auf Ansätze aus Psychologie, Soziologie und Philosophie zurückgreift. Zwischenmenschliche Vertrauensbeziehungen kommen z. B. auch in den §§ 52 f. und 97 StPO zum Ausdruck, die insofern eine Art des Vertrauensschutzes darstellen, vgl. Roxin StrafverfahrensR, § 34 Rn. 34. Auch jede Kriminalprognose enthält ein Element interpersonellen Vertrauens, Schüler-Springorum in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 215 (222).

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2. Teil: Der Vertrauensbegriff

Dies ist allerdings von dem Problem der Vertrauensenttäuschung durch die Nichteinhaltung einer Absprache zu unterscheiden. Das damit angesprochene Vertrauen des Angeklagten kann allenfalls gemeinsam mit zwischenmenschlichem Vertrauen vorliegen, setzt es aber nicht voraus59. Wenn etwa die Absprache vor der Hauptverhandlung und unter ausschließlicher Beteiligung der professionellen Akteure stattfindet, kann eine Vertrauensbeziehung zwischen Richtern und Angeklagtem gar nicht entstehen. Trotzdem stellt sich bei einem Bruch der Absprache durch das Gericht die Frage nach einem Vertrauensschutz, wenn der Angeklagte aufgrund der Verständigung z. B. zu Beginn der Hauptverhandlung ein Geständnis abgelegt hat. Das Vorhandensein einer interpersonellen Vertrauensbasis ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, weil es die Schutzbedürftigkeit des Angeklagten nicht beeinflußt. Das Vertrauen des Beschuldigten, um dessen Schutz es in dieser Untersuchung geht, muß daher mit Blick auf die unter rechtlichen Aspekten zu beurteilende Situation konkretisiert werden. Es ist eine eigenständige Bestimmung vorzunehmen, welches tatsächliche Phänomen in den hier interessierenden strafprozessualen Fallgestaltungen als „Vertrauen“ den Anknüpfungspunkt einer normativen Bewertung bilden soll. Dabei muß auf Abgrenzungsmerkmale verzichtet werden, soweit erst die rechtliche Grundlage des potentiellen Schutzes eine Aussage über die Differenzierung zwischen verschiedenen Sachverhalten zu treffen vermag.

III. Das zu schützende Vertrauen des Beschuldigten Die Nichteinhaltung von strafprozessualen Absprachen durch die Strafverfolgungsorgane wird an dem „Vertrauen“ des Beschuldigten (oder seines Verteidigers) gemessen, weil in der Situation einer solchen Absprache die Elemente des „Kerngehalts“ festzustellen sind, der individuellem Vertrauen – unabhängig von allen Unterschieden bei der näheren Begriffsbestimmung – stets zukommt60. Zu diesen Grundvoraussetzungen, um einen Sachverhalt dem vielgestaltigen Phänomen des – individuellen – Vertrauens sinnvoll zuordnen zu können, zählt zunächst ein „psychischer Befund“61 in Gestalt einer „inneren Einstellung des Individuums“62. Zum Mißbrauch zwischenmenschlichen Vertrauens bei einer staatlichen Deliktsprovokation Dencker in: Lüderssen V-Leute, S. 238 (245 f.): Es handele sich um einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit. 59 Vgl. aber Gutterer Deal, S. 31: Es bestehe wohl nur eine bloße Hoffnung, daß das Gericht sich die Absprache halten wird, da es an der für Vertrauen erforderlichen persönlichen Kenntnis des Gegenüber fehle; vgl. auch Oswald in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 111 (125), die – aus psychologischer Sicht – ebenfalls das Vertrauen des Angeklagten in das Ergebnis einer Absprache für fraglich hält. 60 Vgl. Laucken Zwischenmenschliches Vertrauen, S. 19 ff. zu einem „obligatorischen Bedeutungskern“ des umgangssprachlichen Verständnisses von Vertrauen. 61 Knoke Rücknahme, S. 148 f.

III. Das zu schützende Vertrauen des Beschuldigten

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Zudem muß es sich bei dieser Einstellung um eine in die Zukunft gerichtete Erwartung des Individuums handeln63. In strafprozessualen Vertrauensschutzkonstellationen ist die Erwartung des Beschuldigten bzw. des Verteidigers auf ein künftiges Verhalten eines Strafverfolgungsorgans gerichtet. Es stellt sich nun aber die Frage, ob und wie diese auf die Zukunft bezogene Erwartung noch präzisiert werden kann, um das Vorliegen einer ausreichenden Erwartung und ihren Inhalt feststellen zu können. Zu beachten ist dabei, daß nach dem Gesagten mit dem Vertrauensbegriff ein tatsächlicher Sachverhalt beschrieben werden muß, der den Anknüpfungspunkt einer normativen Betrachtung bilden soll, inwiefern Angeklagter und Verteidiger in dieser Situation rechtlichen Schutz geltend machen können. Nicht geht es um eine Untersuchung, ob in diesem Zusammenhang auf der Grundlage des allgemeinen Sprachgebrauchs oder im Rahmen einer soziologischen oder psychologischen Fragestellung „Vertrauen“ festgestellt werden kann. Der kleinste gemeinsame Nenner sämtlicher Konstellationen, in denen strafprozessualer Vertrauensschutz in Betracht kommt, läßt sich mit dem Begriff der Möglichkeitsvorstellung beschreiben. Dies bringt die Mindestvoraussetzung an die innere Einstellung des Angeklagten und des Verteidigers zum Ausdruck. In ihnen wird durch das als vertrauensschaffende Maßnahme bezeichnete Verhalten eines Strafverfolgungsorgans die Vorstellung geweckt, ein künftiges Verhalten des Organs sei zumindest möglich. So muß der Angeklagte aufgrund einer Urteilsabsprache, auch wenn diese ausdrücklich als vorläufig und unverbindlich bezeichnet wird, von der Möglichkeit ausgehen, daß es zu der Verhängung der angekündigten Strafe kommt. Allerdings kann dies schon deshalb in anderen Zusammenhängen keine hinreichende Voraussetzung für Vertrauen sein, weil damit gleichzeitig auf ein bestimmtes Verhalten einer Person und dessen Ausbleiben vertraut werden könnte. An die Vorstellung des Vertrauenden werden daher höhere Anforderungen gestellt, etwa im allgemeinen Sprachgebrauch mit Hilfe der Begriffe „(fester) Glaube“, „festes Rechnen“ oder „Sichverlassen“64. Unter Zugrundelegung dieser höheren Anforderungen könnten dann auch vorliegend bestimmte Vorstellungen bereits von vornherein aus dem Vertrauensbegriff herausgenommen werden. So ist tatsächlich fraglich, ob der Angeklagte bei Kenntnis der Unverbindlichkeit einer Absprache in diesem Sinne auf deren Realisierung vertraut oder nicht allein darauf, daß er jedenfalls von der Nichteinhaltung nicht überrascht wird65. Seine Vorstellung hinsichtlich der Realisierung könnte dann angesichts der – gegenüber einer verbindlichen Zusage – geringeren Wahrscheinlichkeit, die auch aus seiner Sicht für den Eintritt 62 63 64 65

Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 97. Schüler-Springorum in: Hof / Kummer u. a. Recht und Verhalten, S. 215 (216). Siehe vorstehend unter II. Vgl. Schünemann FS Rieß, S. 525 (538).

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2. Teil: Der Vertrauensbegriff

dieses Ereignisses spricht, als bloße Hoffnung von dem Vertrauen abgegrenzt werden. Nun gibt es aber keinen Grund, vorliegend das „Vertrauen“ des Angeklagten in dieser Weise zu begrenzen, auch wenn dies mit dem allgemeinen Sprachgebrauch und Definitionen in anderen Disziplinen nicht zu vereinbaren ist. Eine Differenzierung nach dem Wahrscheinlichkeitsgrad, mit dem das künftige Verhalten des Strafverfolgungsorgans zu erwarten ist, ist begründungsbedürftig. Ein Schutz des Angeklagten könnte in besonderer Weise geboten sein, wenn die Strafverfolgungsorgane ihm nur eine unsichere Grundlage für sein Verteidigungsverhalten „bieten“. Wenn der Angeklagte, der nun einmal nur auf den staatlichen Vorwurf reagieren kann, durch das Hervorrufen einer bloßen Möglichkeitsvorstellung hinsichtlich künftiger Entscheidungen des Gerichts zu schwerwiegenden, eventuell irreparablen Entscheidungen über sein Prozeßverhalten veranlaßt wird, dann kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß er verfassungsrechtlich unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Bindung des Gerichts an seine Erklärung zu schützen ist. Eine Antwort darauf vermag nur die Grundlage dieses potentiellen Schutzes zu geben, die noch zu ermitteln ist. Ausschließlich mit den Kriterien, die dieser Grundlage zu entnehmen sind, kann das Erfordernis von Begrenzungen und auch der genannten Differenzierung begründet werden. Der Vertrauensbegriff kann also nicht von vornherein über Anforderungen an die Vorstellung des Beschuldigten begrenzt werden. Eine Begrenzung der relevanten Möglichkeitsvorstellungen erfolgt hier vielmehr allein in objektiver Hinsicht dadurch, daß ein Schutz nur dann in Betracht kommt, wenn diese Vorstellung kausal durch ein staatliches Organ hervorgerufen worden ist und wenn sie zu einer prozessualen Reaktion des Betroffenen geführt hat, also auch dessen Entscheidung kausal beeinflußt hat66.

IV. Zusammenfassung Vertrauen als tatsächliches Phänomen bedarf in einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung grundsätzlich keiner genaueren Begriffsklärung, da der Gegenstand der normativen Betrachtung in der Regel schon vom Vorverständnis her eindeutig festzustellen ist. Vorliegend stellte sich aber z. B. die Frage, ob und worauf der Angeklagte vertraut, wenn ihm im Rahmen einer Urteilsabsprache unverbindlich und vorläufig ein Strafmaß mitgeteilt wird. Die Antwort darauf kann für Reichweite und Inhalt eines Schutzes des Vertrauens relevant sein.

66 Dabei handelt es sich nach der verwaltungsrechtlichen Terminologie schon um die Voraussetzungen der Vertrauensgrundlage und der Vertrauensbetätigung, vgl. Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 46 ff. und 56 ff.; Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 79 ff. und 96 ff.; siehe dazu auch schon 1. Teil I. 3. a).

IV. Zusammenfassung

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Muß der Vertrauensbegriff mit Inhalt versehen werden, darf nicht ohne Begründung auf den allgemeinen Sprachgebrauch oder Definitionen in anderen Fachgebieten, die sich mit Vertrauen beschäftigen, zurückgegriffen werden. Das Vertrauen ist ein vielgestaltiges Phänomen, sein Inhalt wird mit Hinblick auf die Funktion bestimmt, die diesem Konstrukt im Rahmen der jeweiligen Fragestellung zukommt. Daher ist eine eigenständige juristische Begriffsbildung erforderlich, die den tatsächlichen Sachverhalt beschreibt, der als „Vertrauen“ zum Anknüpfungspunkt normativer Überlegungen werden soll. Dies führt vorliegend dazu, als „Vertrauen“ eine Möglichkeitsvorstellung des Angeklagten oder Verteidigers einzustufen, die von einem Strafverfolgungsorgan hervorgerufen wird, sich auf das künftige Verhalten eines Strafverfolgungsorgans bezieht und den Betroffenen zu einem prozessual relevanten Verhalten veranlaßt. Erhöhte Anforderungen an die Möglichkeitsvorstellung sind nicht zu stellen. Der Angeklagte muß also nicht etwa mit der Realisierung einer Absprache „fest rechnen“ oder an diese „fest glauben“, auch wenn dies z. B. mit dem allgemeinen Sprachgebrauch besser zu vereinbaren wäre. Vorstellungen von einem vorrechtlichen Vertrauensbegriff können normative Erwägungen nicht ersetzen. Faktisches Vertrauen im sozialen Sinne kann eine Rechtsfolge weder begründen noch ausschließen. Ob und auf welche Weise der Bürger in einer Situation zu schützen ist, kann allein mit normativen Erwägungen begründet werden, die sich auf die Rechtsgrundlage des potentiellen Schutzes stützen lassen. Die Frage nach Voraussetzungen und Inhalt des Schutzes eines Angeklagten, der aufgrund einer Absprache auf deren Realisierung in dem Sinne vertraut, daß er die Verhängung des angekündigten Strafmaßes für möglich hält, läßt sich daher nur anhand normativer Kriterien beantworten. Die Herausarbeitung solcher Kriterien setzt voraus, daß nun in einem nächsten Schritt überhaupt eine rechtliche Grundlage gefunden wird, die den Schutz des in diesem Teil benannten Vertrauens gewährleisten kann.

3. Teil

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes im Strafprozeß Dem Grundsatz des Vertrauensschutzes des Bürgers gegenüber staatlichem Handeln wird allgemein verfassungsrechtlicher Rang zugemessen1. Soweit dieser Gedanke im Strafprozeß Berücksichtigung findet, wird er ebenfalls verfassungsrechtlichen Wertungen entnommen2. Während im Strafprozeßrecht allerdings eine genauere Herleitung des Vertrauensschutzgrundsatzes allgemein nicht erfolgt3, hat im Verfassungs- und Verwaltungsrecht eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den möglichen Grundlagen stattgefunden, die zu einer Vielzahl verschiedener Auffassungen geführt hat4. Zu beachten ist im weiteren, daß die im öffentlichen Recht gewonnenen Erkenntnisse nicht einfach übernommen werden können, sondern jedenfalls einer spezifischen Begründung aus strafprozessualer Sicht bedürfen. Schon die Vielgestaltigkeit der denkbaren Vertrauensschutzkonstellationen, die Folge des Handelns einer der drei Staatsgewalten sein können, deutet darauf hin, daß ein einheitlicher Vertrauensschutzgrundsatz nicht existieren dürfte5. Vielmehr geht es darum, 1 Ausführlich zu den verschiedenen Herleitungen Blanke Vertrauensschutz, S. 12 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 13 ff.; Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 60 ff.; Muckel Kriterien, S. 29 ff.; Geurts Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, S. 20 ff. Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Vertrauensschutzes vgl. auch BVerfGE 13, 261 (270 ff.); 59, 128 (152); 74, 129 (152); 80, 137 (153); 87, 48 (61). Ablehnend zum verfassungsrechtlichen Rang des Vertrauensschutzes allein Püttner VVDStRL 32 (1974), 200 (226). 2 Wobei insbesondere auf den Grundsatz des fairen Verfahrens abgestellt wird, vgl. z. B. BGHSt 32, 44 (45 und 47 f.); NStZ 1996, 507; NStZ 1998, 51; OLG Frankfurt a.M. MDR 1993, 1001 f.; OLG Hamm StV 2004, 313; H.-J. Bruns NStZ 1981, 81 (85); Schlothauer StV 1986, 90 (91 f.); Deckers StV 1992, 147 f.; F. Meyer Willensmängel, S. 105 sowie die Nachweise 1. Teil Fn. 46, 99 und 230. 3 Eine mit einer Begründung versehene Herleitung eines Vertrauensschutzes im Strafprozeß findet sich allerdings bei Kölbel NStZ 2002, 74 (76), siehe dazu ausführlich unten VI. 1. b). Vgl. aber auch Haas GS Keller, S. 45 ff., der die Berechtigung des Vertrauens des Angeklagten bei Absprachen auf dessen Aussagefreiheit stützt; allerdings geht es in seinen Ausführungen nur um den Schutz gegen unzulässige Absprachen, nicht in spezifischer Weise um die vertrauensenttäuschende Maßnahme. 4 Vgl. Blanke Vertrauensschutz, S. 13: „fast unüberschaubare Vielfalt der Ansichten“; Burmeister Vertrauensschutz, S. 17: „totale Verwirrung bei der Standortbestimmung“; Geurts Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, S. 21: „diffuses Bild“.

I. Der Grundsatz des fairen Verfahrens

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für den jeweiligen Rechtsbereich oder sogar nur einzelne Konstellationen eine solche Grundlage zu erarbeiten6. So können die Grundlage des Vertrauensschutzes und die daraus abgeleiteten Kriterien zwischen verschiedenen Rechtsbereichen durchaus divergieren7. Daher beginnt die Suche nach einer Grundlage für einen strafprozessualen Vertrauensschutz mit einem Blick auf spezifisch (straf-)prozessuale Grundsätze, die aus dem Grundgesetz abgeleitet werden. Anschließend wird dann auf verfassungsrechtliche Grundlagen einzugehen sein, die allgemein zur Verankerung des Vertrauensschutzes im öffentlichen Recht in Betracht gezogen werden.

I. Der Grundsatz des fairen Verfahrens Der Vertrauensschutz im Strafprozeß wird in erster Linie auf den Grundsatz des fairen Verfahrens gestützt8. Dies gilt insbesondere auch für den Vertrauensschutz gegenüber der Nichteinhaltung einer Absprache9. Geltungsgrund, Bedeutung und Funktionsweise des fair-trial-Grundsatzes sind noch nicht abschließend geklärt10. Das BVerfG hat den Begriff des fairen Verfahrens zu einer verfassungsrechtlichen Prozeßmaxime erhoben11, die es aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) i. V. m. dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 I GG) herleitet12. Ein Problem stellen die hohe Abstraktheit und inhaltliche Unbestimmtheit dieses Prinzips dar13, das auch ein subjektives Recht auf ein faires Verfahren vermittelt und deshalb als Prozeßgrundrecht eingestuft wird14. Der fair-trial-Grundsatz 5 Vgl. Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 416; Huber FS Kägi, S. 193 (198): Der Vertrauensschutz sei „ein sehr allgemeiner, unscharf umränderter Rechtsgedanke“. 6 Vgl. Blanke Vertrauensschutz, S. 12 und 31; vgl. auch Mellinghoff in: Vertrauensschutz im Steuerrecht, S. 25 (27 und 31). 7 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 9: Eine einheitliche Erfassung des Vertrauensschutzes hinsichtlich seiner Voraussetzungen oder Rechtsfolgen sei nicht möglich, da er in sehr unterschiedlichen Konstellationen aktuell werde. Vgl. auch Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 416: Der Rahmen, in dem staatliches Handeln sich „ändern“ dürfe, sei für jede staatliche Gewalt gesondert zu bestimmen. 8 Siehe die Nachweise in Fn. 2. 9 Vgl. nur BGHSt 36, 210 (216); BGHSt 43, 195 (210). 10 LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 99 f. 11 LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 99. 12 BVerfGE 57, 250 (274); 63, 45 (60); 78, 123 (126); 91, 176 (180); 101, 397 (404); DVBl. 2001, 118; 2 BvR 2032 / 01 vom 27. August 2003, Absatz-Nr. 8 und 15 (www.bverfg.de); 1 BvR 1892 / 03 vom 4. Mai 2004, Absatz-Nr. 9 und 10 (www. bverfg.de). 13 LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 101; Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1075); vgl. auch Di Fabio in: Maunz / Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 72.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

bedarf laut BVerfG „behutsamer Konkretisierung“, durch die vorhandene gesetzliche Wertungen nicht übergangen werden dürfen15. Eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens wird erst dann angenommen, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte ergibt, daß rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preigegeben wurde16. Diese Vorgaben werden in der Literatur auch als „mehr als vage“ bezeichnet17. Die Unsicherheiten bei der Konkretisierung, die daraus resultieren, zeigt beispielhaft die im 1. Teil dargestellte Rechtsprechung des BGH zu den fehlgeschlagenen Absprachen. Hier werden ohne nähere Begründung dem fair-trial-Grundsatz verschiende Rechtsfolgen entnommen oder die Fairneßwidrigkeit des gerichtlichen Vorgehens abgelehnt18. Insbesondere der bemerkenswerte Wandel bei der Handhabung des Vertrauensschutzgedankens, der in diesem Bereich stattgefunden hat19, verdeutlicht, daß ein so verstandener Grundsatz des fairen Verfahrens kaum rationale Kriterien zu liefern vermag. Die Bestimmung des rechtsstaatlich Zwingenden und Unverzichtbaren hängt weitgehend allein von dem jeweiligen Rechtsanwender ab20. Daher besteht bei dem Versuch, das fair-trial-Prinzip anhand dieser Vorgabe zu konkretisieren, in besonderem Maße die Gefahr eines Zirkelschlusses. So führen die Behauptung, zum Inhalt des fair-trial-Prinzips gehöre auch der Schutz des durch das Gericht geweckten Vertrauens21, oder die Annahme, der Vertrauensschutz sei ein wesentlicher Untergrundsatz dieses Prinzips, das folglich konkretisiert werden könne22, bei der dogmatischen Verankerung des Vertrauensschutzes nicht weiter. Ohne argumentative Stützung dieser Aussagen wird der Vertrauensschutz dem Fairneßprinzip nur zugeschrieben, um ihm anschließend wieder entnommen werden zu können. Gewinn verspricht hingegen die Erkenntnis, daß der Inhalt des Grundsatzes des fairen Verfahrens überhaupt nur mittels eines Rückgriffs auf andere Prinzipien oder Wertbestimmungen ermittelt werden kann23. Deutlicher noch kommt dieser Ge14 BVerfGE 70, 297 (308); 78, 123 (126); 1 BvR 1892 / 03 vom 4. Mai 2004, Absatz-Nr. 10 (www.bverfg.de); A. Bruns Prozeßgrundrechte, S. 96 ff.; Rzepka Fairness, S. 450. 15 BVerfGE 57, 250 (276); 70, 297 (308); DVBl. 2001, 118. 16 BVerfGE 57, 250 (276); 63, 45 (61); 70, 297 (308 f.). 17 Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1075); zustimmend Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 115. 18 Vgl. BGHSt 38, 102 (105) einerseits und BGHSt 43, 195 (210) andererseits. 19 Vgl. 1. Teil 3. und 4. 20 Kölbel NStZ 2003, 232 (234): Unbestimmtheit der Verfahrensfairness, die sie der Beliebigkeit verdächtig mache. 21 BGHSt 36, 210 (216); 43, 195 (210). 22 Roxin 40 Jahre BGH, S. 66 (92). 23 LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 101.

I. Der Grundsatz des fairen Verfahrens

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danke zum Ausdruck, wenn der Grundsatz des fairen Verfahrens als ein Prinzip im rechtstechnischen Sinne und damit als ein Optimierungsgebot eingestuft wird24. Prinzipien sind Normen, die in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können und gebieten, daß etwas in möglichst hohem Maße realisiert wird25. Sie sind von den Regeln zu unterscheiden, die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können26. Diese Auffassung sieht die Funktion des Fairneßprinzips darin, bestimmte verfassungsrechtliche Werte im Strafverfahren zu verwirklichen, indem es sie einer Optimierung zuführt. Zu diesen Werten zähle auch der Vertrauensschutz des Bürgers27. Insofern wird also vorausgesetzt, daß es gelingt, die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes des Angeklagten unabhängig von dem Gedanken der Verfahrensfairneß einem verfassungsrechtlichen Grundsatz zuzuordnen. Diese verfassungsrechtliche Wertbestimmung dient dann der Konkretisierung des Fairneßprinzips. So wird der Vertrauensschutz denn auch als ein Element des Rechtsstaatsprinzips aufgefaßt, dessen bestmögliche Verwirklichung im Strafverfahren durch das fair-trial-Prinzip gewährleistet werde28. Dies macht aber ein weiteres methodisches Problem des Grundsatzes des fairen Verfahrens deutlich. Wenn der Inhalt des Fairneßprinzips von anderen verfassungsrechtlichen Wertbestimmungen abhängig ist, dann ist die Bedeutung dieses zusätzlichen Verfahrensprinzips zweifelhaft. Daran ändert auch die Charakterisierung als Optimierungsgebot nichts. Z. B. lassen sich das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte auch als Prinzipien in diesem Sinne einstufen29, so daß die in ihnen normierten Werte – selbstverständlich auch im Strafverfahren – bestmöglich zu verwirklichen sind. Dies gebieten etwa die Grundrechtsbestimmungen, die die jeweilige Wertentscheidung beinhalten. Dann bedarf es aber keines Rückgriffs auf ein ungeschriebenes Prinzip der Verfahrensfairneß. Es handelt sich allein um eine Frage des Gewährleistungsbereichs der Prinzipien des geschriebenen Verfassungsrechts. Vor diesem Hintergrund verdient die Konkretisierung des Fairneßbegriffs durch Rzepka Zustimmung. Unter dem Begriff der Fairneß faßt sie alle verfassungsrechtlich abgesicherten Verfahrensabwehrrechte zusammen, so daß die Fairneß als Oberbegriff der Verfahrensgrundrechte erscheint30. Es sei eine subjektive Entscheidung bei der Begriffswahl, ob man die freiheitssichernden Abwehrrechte des 24 Steiner Fairneßprinzip, S. 140 ff., 153 ff., 179; zustimmend Roxin StrafverfahrensR, § 11 Rn. 11; F. Meyer Willensmängel, S. 102 ff. 25 Alexy Grundrechte, S. 75 f. 26 Alexy Grundrechte, S. 76. 27 Steiner Fairneßprinzip, S. 172 ff.; F. Meyer Willensmängel, S. 103 f. 28 Steiner Fairneßprinzip, S. 172 ff. und zusammenfassend S. 178; F. Meyer Willensmängel, S. 103 f. 29 Vgl. zum Prinzipiencharakter der Grundrechte Alexy Grundrechte, passim; Borowski Grundrechte als Prinzipien, passim; Jansen Der Staat 36 (1997), 27 ff.; Somek ARSP Beiheft 92 (2003), 113 ff.; Dreier in: ders. GG, Vorb. Rn. 40. 30 Rzepka Fairness, S. 321.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

einzelnen im Strafverfahren unter diesem Begriff zusammenfasse oder dafür z. B. den Begriff der Subjektstellung wähle31. Die Reichweite eines so verstandenen fair-trial-Prinzips richtet sich dann aber nach dem Gewährleistungsgehalt der Grundrechte. Insofern wird in der Literatur auch nicht ohne Grund die Ansicht vertreten, einem Grundsatz des fairen Verfahrens komme keine eigenständige Funktion zu32. Ob der fair-trial-Grundsatz einen Gewährleistungsbereich besitzt, der über den anderer Verfassungsprinzipien hinausreicht, kann und muß hier jedoch nicht erörtert werden. Entscheidend ist, daß die Suche nach einer verfassungsrechtlichen Grundlage des Vertrauensschutzes im Strafprozeß sich auf die Betrachtung anderer verfassungsrechtlicher Grundsätze konzentrieren muß33. Läßt sich einem geschriebenen Grundsatz oder der Konkretisierung eines solchen Grundsatzes ein Schutz des Vertrauens entnehmen, wäre der Rückgriff auf einen selbständigen Gedanken der Verfahrensfairneß, der nicht bloß eine zusammenfassende Bezeichnung für anderweitige Gewährleistungen darstellt, nicht nur überflüssig, sondern mangels Existenz einer planwidrigen Lücke im geschriebenen Recht sogar unzulässig34. Deshalb schreibt das BVerfG dem fair-trial-Grundsatz zu Recht die Funktion zu, die rechtsstaatlich unverzichtbaren Mindesterfordernisse des Verfahrens zu gewährleisten35 und damit einen Mindeststandard an Rechten für den Beschuldigten. Einer solchen Generalklausel36 könnte allenfalls die Funktion eines Auffangtatbestandes zukommen37, der – indem neue prozessuale Schutzgehalte herausgearbeitet werden – eingreift, wenn die geschriebenen Verfassungsgrundsätze und deren Konkretisierungen das rechsstaatlich Unverzichtbare nicht zu gewährleisten vermögen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens darf dann aber nicht den Ausgangspunkt bilden, wenn eine Grundlage für den Schutz des Beschuldigten gesucht wird. Andere verfassungsrechtliche Grundsätze können zum einen mehr als nur den rechtsstaatlich unverzichtbaren Mindeststandard gewährleisten38. Zum anderen kann Rzepka Fairness, S. 464; vgl. dazu noch unten V. 3. Heubel fair trial, zusammenfassend S. 141 f.; Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 381; Krey StrafverfahrensR Bd. 2, Rn. 255; vgl. auch Kühne StrafprozessR, Rn. 287 ff., der sich insbesondere auf die Fürsorgepflicht bezieht; K. Meyer JR 1984, 173 (174). 33 Vgl. Kölbel NStZ 2002, 74 (76): Normtextnähere und daher kontrolliertere Begründungsweisen seien vorzugswürdig; dens. NStZ 2003, 232 (234). 34 Vgl. Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 109, 310, 381; vgl. auch Heubel fair trial, S. 80, 123 f.; Rzepka Fairness, S. 322; Frisch FS Bruns, S. 385 (391 und 392). 35 BVerfGE 70, 297 (308); vgl. auch BVerfGE 57, 250 (276); 63, 45 (61). 36 Vgl. Schroeder StrafprozeßR, Rn. 55; Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1075); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 115. 37 Vgl. Schwab / Gottwald in: Habscheid Effektiver Rechtsschutz, S. 1 (68); Geppert Jura 1992, 597 (599); A. Bruns Prozeßgrundrechte, S. 126; Di Fabio in: Maunz / Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 73; Eschelbach GA 2004, 228 (236 f.). 38 Vgl. Ransiek Polizeivernehmung, S. 94. 31 32

II. Fürsorgepflicht

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durch sie auch das erforderliche Maß an Schutz des Beschuldigten im Sinne einer Begrenzung festgelegt werden. Zwar ist geltend gemacht worden, daß spezielle Garantien des Grundgesetzes insofern keine Sperrwirkung entfalten39. Ebenso wie die Wertungen des einfachen Rechts muß ein fair-trial-Grundsatz aber auch die verfassungsrechtlichen Wertungen berücksichtigen, so daß für die jeweilige Konstellation das Vorliegen einer abschließenden Regelung zu prüfen ist. Der Grundsatz des fairen Verfahrens – verstanden als ein verfassungsrechtlicher Grundsatz mit selbständigem Gewährleistungsgehalt – käme daher als Grundlage des Vertrauensschutzes im Strafprozeß nur in Betracht, wenn sich ein solcher Schutz aus dem Grundgesetz nicht auf andere Weise ableiten ließe, gleichzeitig aber rechtsstaatlich zwingend erforderlich erschiene. Letzteres setzt freilich voraus, daß die Verfassung nicht in Form einer abschließenden Regelung eine gegenteilige Aussage über die (Un-)Verzichtbarkeit dieses Schutzes getroffen hat.

II. Fürsorgepflicht Weitgehend anerkannt als Prozeßmaxime ist auch die Fürsorgepflicht der Strafverfolgungsorgane gegenüber dem Beschuldigten (und anderen privaten Prozeßbeteiligten), der ebenfalls verfassungsrechtlicher Rang zugemessen wird40. Im Zusammenhang mit Vertrauensschutzkonstellationen wird oftmals auf die Fürsorgepflicht abgestellt, um Hinweispflichten der Strafverfolgungsorgane zu begründen41. Es stellt sich daher die Frage, ob Vertrauensschutz im Strafprozeß der Fürsorgepflicht zuzuordnen sein könnte. Ein Nachteil ist allerdings darin zu sehen, daß dieses Institut nicht positiv normiert worden ist und daher die Fürsorgepflicht selbst noch eine dogmatische Fundierung erfahren muß. Über die rechtliche Grundlage herrscht indes alles andere als Klarheit. Insofern werden etwa der fair-trial-Grundsatz, das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip, das rechtliche Gehör, das Gebot von Treu und Glauben, die Menschenwürde und schließlich auch der Vertrauensschutzgrundsatz selbst einzeln oder in kombinierter Form ins Feld geführt42. Die Verankerung des Vertrauensschutzgedankens in dem Institut der Fürsorgepflicht setzt also jedenfalls eine geTettinger Fairneß, S. 7. LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 120; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 110 f. und 113; KK-Pfeiffer Einl. Rn. 32; Meyer-Goßner StPO, Einl. Rn. 156; Roxin StrafverfahrensR, § § 42 Rn. 23. 41 Vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 340; HansOLG JR 1956, 28; Meyer-Goßner StPO, § 219 Rn. 5; Plötz Fürsorgepflicht, S. 46 f., 196 f., 219 f.; LR-Gollwitzer § 219 Rn. 25; Gillmeister StraFo 1997, 8 (11); Bringewat MDR 1986, 353 (357). 42 Vgl. zu den verschiedenen Herleitungen Kielwein Fürsorgepflicht, S. 57 ff.; Kumlehn Fürsorgepflicht, S. 20 ff.; Plötz Fürsorgepflicht, S. 62 ff.; Meyer-Goßner StPO, Einl. Rn. 156. 39 40

7 Graumann

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

naue Betrachtung des verfassungsrechtlichen Hintergrundes dieser Pflicht voraus, um die Richtigkeit einer solchen Ableitung gewährleisten zu können. Zudem läßt sich auch die Existenz einer selbständigen Fürsorgepflicht nur dann begründen, wenn ausdrücklich normierte Grundsätze des Verfassungsrechts nicht bereits einen ausreichenden Schutz des Beschuldigten gewährleisten und sich ihnen auch keine Aussage über die fehlende Erforderlichkeit eines solchen Schutzes entnehmen läßt. Ein Rückgriff auf das ungeschriebene Institut der Fürsorgepflicht kommt daher ebenfalls erst in Betracht, wenn die Betrachtung möglicher verfassungsrechtlicher Grundlagen eine Lücke im Beschuldigtenschutz aufzeigt43. Allerdings bietet sich die Pflicht zur prozessualen Fürsorge angesichts des Inhalts, den sie in der Konkretisierung in Literatur und Rechtsprechung erfahren hat, ohnehin nicht als Grundlage eines allgemeinen Vertrauensschutzes im Strafprozeß an. Der Gedanke der Fürsorge verpflichtet die Strafverfolgungsorgane, bei erkennbarer Hilfsbedürftigkeit z. B. des Beschuldigten, diesem die Wahrnehmung eines ihm in dieser Verfahrenssituation zustehenden prozessualen Rechts zu ermöglichen, indem ihm fehlende Handlungskompetenz vermittelt wird44. Es geht also nur um ein Eingreifen, wenn die Ausübung vorhandener Verfahrensrechte aufgrund der mangelnden Handlungskompetenz des Beschuldigten gefährdet ist45, nicht um eine Erweiterung oder Veränderung seiner durch diese Rechte definierten Prozeßrolle46. Der Schwerpunkt der aus der Fürsorgepflicht hergeleiteten ungeschriebenen Handlungspflichten der Strafverfolgungsorgane liegt denn auch vor allem im Bereich der Belehrungen und Hinweise, die dem Beschuldigten eine Ausübung seiner Rechte ermöglichen47. Insofern kommt es zu Überschneidungen mit Vertrauensschutzkonstellationen, in denen der Gedanke des Vertrauensschutzes zur Begründung von Hinweispflichten herangezogen wird, wie etwa in BGHSt 36, 21048. Allerdings könnte eine so verstandene prozessuale Fürsorgepflicht die Vertrauensschutzproblematik nur dann vollständig erfassen, wenn es sich dabei ausschließlich um ein Informationsproblem handelte49. Im 1. Teil ist aber bereits die Schutzlücke im Bereich der Absprachen aufgezeigt worden, die sich ergibt, wenn der Vertrauensschutz auf einen bloVgl. Hübner Verfahrensgrundsätze, S. 253; vgl. auch Kühne StrafprozessR, Rn. 287 ff. Kielwein Fürsorgepflicht, S. 105; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 110; Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 281; LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 121; HK-Krehl Einl. Rn. 18. 45 Vgl. Plötz Fürsorgepflicht, S. 104; Kielwein Fürsorgepflicht, S. 173; Rogall in: SKStPO, Vor § 133 Rn. 110: Ermöglichung einer sachgerechten Wahrnehmung der Verteidigung. 46 LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 121. 47 LR-Rieß Einl. Abschn. H Rn. 123; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 110; Fezer StrafprozeßR, 10 / 43 ff.; Roxin StrafverfahrensR, § 42 Rn. 23. 48 Vgl. dazu 1. Teil I. 3. 49 Vgl. Siolek Verständigung, S. 152. 43 44

III. Treu und Glauben

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ßen Überraschungsschutz reduziert wird50. Da die Fürsorgepflicht dem Beschuldigten nur zum tatsächlichen Gebrauch rechtlich vorgefundener Möglichkeiten verhelfen soll, kann mit diesem Institut aber z. B. kein Beweisverwertungsverbot aufgrund der Nichteinhaltung einer Absprache begründet werden. Die Möglichkeit der faktischen Ausübung der dem Beschuldigten in dieser Situation zustehenden Rechte wird schon durch einen entsprechenden Hinweis gewährleistet. So kann der Beschuldigte aufgrund der Information etwa von seinem Recht Gebrauch machen, das im Rahmen der Verständigung abgelegte Geständnis zu widerrufen. Das Verbot, dieses Geständnis zu verwerten, stellt hingegen eine Erweiterung seiner Verfahrensrechte durch Wiedereinräumung des „vollständigen“ Schweigerechts dar. Besonders deutlich wird der Widerspruch zu einer Fürsorgepflicht dieses Inhalts mit Blick auf eine mögliche Bindung des Staates an sein Vorverhalten im Strafverfahren, die sich aus dem Vertrauensschutz ergeben soll51. Durch die Begründung von Ansprüchen des Angeklagten, die auf die einfach-gesetzlich nicht vorgesehene Einhaltung von Zusagen gerichtet sind, wird seine rechtliche Stellung im Prozeß erheblich erweitert. Die Fürsorgepflicht könnte aufgrund der ihr zugeschriebenen Funktion damit jedenfalls keinen umfassenden Vertrauensschutz gewährleisten. Findet sich hingegen eine Rechtsgrundlage für den Vertrauensschutz des Beschuldigten, die in Vertrauensschutzkonstellationen gegebenfalls auch Hinweispflichten begründet, dann kommt ein Rückgriff auf die ungeschriebene Fürsorgepflicht insofern nicht in Betracht. Die Bestimmung einer Grundlage des Vertrauensschutzes im Strafverfahren setzt also vorrangig eine Betrachtung derjenigen Grundsätze voraus, die auch im sonstigen öffentlichen Recht zur Herleitung dieses Schutzes in Betracht gezogen werden. Es sind dies vor allem der Grundsatz von Treu und Glauben, das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialstaatsprinzip und die Grundrechte52.

III. Treu und Glauben Im Verwaltungsrecht wurde gerade in den Anfängen der Entwicklung des Vertrauensschutzgedankens zu seiner Herleitung entscheidend auf den Grundsatz von Treu und Glauben abgestellt53. Auch die Rechtsprechung des BVerwG zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte basierte – vor Schaffung des VwVfG – auf diesem Gedanken54. Dabei wurde nicht eine Analogie zu der Positivierung von Vgl. 1. Teil I. 3. b). Vgl. BGHSt 43, 195 (210). 52 Zu den verschiedenen Herleitungen etwa Muckel Kriterien, S. 29 ff.; Blanke Vertrauensschutz, S. 12 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 13 ff.; Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 60 ff. 53 Vgl. Gowa Treu und Glauben, passim; M. Baumann Treu und Glauben im öffentlichen Recht, passim. 54 BVerwGE 8, 261 (269); 10, 64 (68); 40, 147 (150). 50 51

7*

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Treu und Glauben in § 242 BGB gebildet, sondern vielmehr von einem übergeordneten Grundsatz ausgegangen, der auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruche55. Auch heute wird teilweise noch der Grundsatz von Treu und Glauben – vor allem aber in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip – als Grundlage des Vertrauensschutzes herangezogen. Das Gebot von Treu und Glauben gäbe dem Vertrauensschutz Grund und Maß, und insofern sei ihm auch verfassungsrechtlicher Rang zuzumessen56. Diese Auffassung stößt inzwischen aber vielfach auf Ablehnung57.

1. Treu und Glauben im Strafverfahren Im Strafprozeßrecht wurden die ersten Ansätze eines Vertrauensschutzes, die im Zusammenhang mit der unzulässigen Behandlung von Beweisanträgen nach § 219 StPO entstanden58, ebenfalls auf Treu und Glauben zurückgeführt59. Es wurden keine Bedenken gesehen, das Prozeßrecht in dieser Hinsicht anders zu behandeln als den Rechtsverkehr des bürgerlichen Rechts60. Dieser Grundsatz sei immer dort anzuwenden, „wo ein geistiges Sich-Verhalten sich im Rahmen von mit Rechten und Pflichten begleiteten Regeln abspielt“61. Treu und Glauben beanspruche daher als ein die Rechtsordnung beherrschender Grundsatz auch im Strafprozeß Geltung62. Im Strafverfahren wird dieses Prinzip mitunter aber auch herangezogen, um Rechte des Angeklagten zu beschränken. So soll der Grundsatz von Treu und Glauben zur Verwirkung des Rügerechts führen können63. Auch im Zusammenhang mit einem exzessiven Gebrauch des Beweisantragsrechts durch den Angeklagten ist mit der Postulierung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots64 eine OriBVerwGE 3, 199 (203); DÖV 1958, 826 (827). Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 72; vgl. auch Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 36 ff. 57 Blanke Vertrauensschutz, S. 94 f.; Muckel Kriterien, S. 30 f.; Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 57 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 19 ff. 58 Vgl. dazu die Einleitung. 59 von Beling JW 1924, 321; Mattil GA 1933, 1; Gerland ZStW 54 (1935), 294 (296); Schmid Verwirkung, S. 306. 60 von Beling JW 1924, 321. 61 Mattil GA 1933, 1. 62 Schmid Verwirkung, S. 303, der aber auch noch das Rechtsstaatsprinzip, fair trial und die prozessuale Fürsorgepflicht nennt, S. 306; Krey StrafverfahrensR Bd. 2, Rn. 260; Tiedemann NJW 1968, 834; Fuhrmann NJW 1963, 1230 (1232); Bohne JZ 1957, 588 (589); vgl. auch Molketin MDR 1982, 98 (99). 63 Schmid Verwirkung, S. 303; Fuhrmann NJW 1963, 1230 (1232); vgl. auch BVerfGE 32, 305 (308 f.). 64 Vgl. BGHSt 38, 111 (113): Auch im Strafverfahren bestehe ein allgemeines Mißbrauchsverbot. 55 56

III. Treu und Glauben

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entierung an zivilrechtlichen Ursprüngen deutlich geworden65. Eine solche Beschränkung der Verteidigungsrechte unter Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben hat jedoch Ablehnung erfahren. Die Gedanken des § 242 BGB könnten nicht auf das Strafverfahren übertragen werden66. Dabei wird vor allem auf den Charakter des Strafverfahrens als eines „Zwangsverfahrens“ abgestellt, der grundlegende Unterschiede zu dem auf der Dispositionsfreiheit der Beteiligten beruhenden zivilrechtlichen Rechtsverhältnis zur Folge habe67. Im Gegensatz zum Privatrecht stünden sich hier gerade keine Parteien mit sich wechselseitig beeinflussenden Interessen gegenüber, auf die dann auch wechselseitig Rücksicht genommen werden müsse. Vielmehr sei das Verhältnis der Verfahrensbeteiligten „rein funktional durch die Aufgabenstellung des Verfahrens geprägt“68. Insofern könne und dürfe eine loyale Kooperation im Sinne von Treu und Glauben von dem Angeklagten ohnehin nicht erwartet werden, so daß der Verweis auf dieses Prinzip eine Einschränkung von Verteidigungsrechten nicht stützen könne69. Nun erscheint damit allerdings eine umgekehrte Inpflichtnahme der staatlichen Verfahrensbeteiligten keinesfalls von vornherein ausgeschlossen70. Es fragt sich daher, ob im Strafverfahren der Grundsatz von Treu und Glauben zumindest einseitig zu Lasten des Staates („Treu“) und zu Gunsten des Bürgers („Glauben“) herangezogen werden kann. Auch in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts wird darauf abgestellt, daß das Bedürfnis des Bürgers nach einem Schutz seines Vertrauens gegenüber dem Staat ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens erfordere und daher die Anwendung von Treu und Glauben rechtfertige, da diesem Prinzip ein solches Verbot zu entnehmen sei71. Ein solches Bedürfnis ersetzt für sich genommen aber nicht die Begründung, warum der möglicherweise notwendige Schutz des Bürgers gerade in diesem – positiv nur in einer Vorschrift des Zivilrechts normierten – Grundsatz verankert werden sollte. So geht denn der Hinweis auf die Wesensverwandschaft mit dem bürgerlich-rechtlichen Vertrauensschutz72 nicht über die bloße Behauptung hinaus, Ausführlich zum Grundsatz von Treu und Glauben als Geltungsgrund eines allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbot im Strafprozeß Fahl Rechtsmißbrauch, S. 79 ff. 65 Vgl. Kempf StV 1996, 507 (509). 66 Weber GA 1975, 289 (292 ff.); Kempf StV 1996, 507 (509); Spiekermann Mißbrauch, S. 22 f. 67 Kempf StV 1996, 507 (509); Weber GA 1975, 289 (294): Es fehle an personalen Zurechnungspunkten für aus Treu und Glauben abgeleitete prozessuale Verhaltenspflichten; Scheffler JR 1993, 170 (172); Kudlich Allgemeines Mißbrauchsverbot, S. 185; Abdallah Problematik des Rechtsmißbrauchs, S. 178. 68 Kindhäuser NStZ 1987, 529 (532). 69 Herdegen NStZ 2000, 1 (3); Spiekermann Mißbrauch, S. 23. 70 Vgl. Herdegen NStZ 2000, 1 (3 f.); Spiekermann Mißbrauch, S. 23; vgl. aber auch Weber GA 1975, 289 (293 f.). 71 Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 47; Stich Vertrauensschutz, S. 18 f. 72 Vgl. Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 46.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

der Grundsatz von Treu und Glauben verlange in beiden Rechtsgebieten den Schutz des Vertrauens des einzelnen.

2. Bedenken gegen einen Rückgriff auf Treu und Glauben Gegen einen Rückgriff auf Treu und Glauben bei der Suche nach der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes lassen sich aber erhebliche Bedenken anführen. Grundsätzlich könnte der Gewährleistungsgehalt eines solchen Gebots kaum einen ausreichenden Vertrauensschutz begründen. In der verwaltungsrechtlichen Diskussion ist geltend gemacht worden, Treu und Glauben könne als Redlichkeitsgebot nur illoyales Verhaltens einer Behörde erfassen, während ein Schutzbedürfnis des Bürgers auch bei „redlichem Verhalten“ des Staates bestehe73. Dieser Aspekt stünde tatsächlich auch im Strafverfahren in zahlreichen Vertrauensschutzkonstellationen einem als bloßen Redlichkeitsgebot verstandenen Vertrauensschutz entgegen. Steht die Vertrauensenttäuschung durch das Strafverfolgungsorgan nämlich im Einklang mit dem Recht, wird damit nur der verfassungsrechtlichen Bindung der Strafverfolgungsorgane an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 III GG Genüge getan, etwa bei der Nichteinhaltung einer Absprache aufgrund einer neuen Bewertung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen. Es besteht dann sogar eine Verpflichtung des staatlichen Organs zu einer Korrektur der früheren Erklärung. Sollte die Abweichung von der früheren Erklärung hingegen dem Recht widersprechen, ist die Tatsache dieses rechtswidrigen Verhaltens Anknüpfungspunkt für den Schutz des Bürgers und für einen über Treu und Glauben vermittelten Vertrauensschutz kein Platz. Während auf Seiten des Beschuldigten also das Unterworfensein unter den Zwang des Staates eine Verpflichtung nach Treu und Glauben unzumutbar macht74, ist es umgekehrt die verfassungsmäßige Gesetzesbindung der Strafverfolgungsorgane, welche die rechtliche Unmöglichkeit eines stets an den Grundsätzen der Loyalität und Rücksichtnahme orientierten Handelns zur Folge hat. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu dem von § 242 BGB vorausgesetzten Rechtsverhältnis, das von wechselseitig aufeinander bezogenen Interessen und der weitgehenden Dispositionsfreiheit der Beteiligten bestimmt ist. Ist eine Abweichung von der vertrauensschaffenden Maßnahme durch die Gesetzesbindung der Strafverfolgungsorgane geboten, sind also alle Beteiligten bei ihrer Entscheidung über eine Verhaltensänderung durch normativen Zwang eingeengt75, fehlt es an einer 73 74 75

Mainka Vertrauensschutz, S. 11 ff. Kindhäuser NStZ 1987, 529 (532). Zur fehlenden Rücksichtnahmepflicht des Beschuldigten siehe vorstehend unter III. 1.

III. Treu und Glauben

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Vergleichbarkeit zu den in § 242 BGB geregelten Sachverhalten, die nicht nur einer Analogie entgegensteht, sondern auch das Abstrahieren eines allgemeinen Grundsatzes aus dieser Norm fragwürdig erscheinen läßt. Ein umfassender Vertrauensschutzgrundsatz ließe sich folglich nur dann auf das Gebot von Treu und Glauben stützen, wenn ein solches ungeschriebenes Verfassungsprinzip die Bindung von Exekutive und Judikative an das Gesetz aufheben würde, soweit eine Regelung für sich genommen „unredlich“ im Sinne von Treu und Glauben erscheint – und damit auch das die Regelung anwendende staatliche Verhalten. Diese Funktion kann einem verfassungsrechtlich fundierten Grundsatz von Treu und Glauben mit Blick auf den rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip aber nicht zugeschrieben werden. Dies hätte nämlich die Installierung einer ungeschriebenen Abwägungsnorm auf Verfassungsebene zu Folge, nach der staatliche Entscheidungen stets im Wege eines billigen Interessenausgleichs erfolgen müßten. Ein solcher Interessenausgleich ist aber in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers. Die Wertungen der Legislative dürfen nicht durch eine Handlungsanweisung an Exekutive und Judikative überspielt werden, die maßgeblichen Interessen noch einmal selbst umfassend abzuwägen und einem gerechten Ausgleich zuzuführen, der sich an Billigkeit und Rücksichtnahme orientiert. Dann würde letztlich die Billigkeit und nicht die gesetzliche Regelung den Maßstab der Entscheidung liefern. Ein Vertrauensschutz, der Wertungen des einfachen Gesetzes zuwiderläuft, kann daher jedenfalls nicht mit einer allgemeinen verfassungsrechtlichen Billigkeitsklausel begründet werden. Deshalb scheiden insbesondere eine im einfachen Recht nicht vorgesehene Bindung des Gerichts an eine Urteilsabsprache, aber auch ein Beweisverwertungsverbot oder eine Strafmilderung, die mit dem einfachen Recht nicht zu vereinbaren sind, als Folge des Gebots von Treu und Glauben von vornherein aus. Ausgeschlossen ist damit lediglich nicht, daß das Gebot von Treu und Glauben zur Füllung von Lücken herangezogen werden kann, wenn der Gesetzgeber diesbezüglich einen Ausgleich der Interessen gar nicht vorgenommen hat. Dies könnte etwa hinsichtlich der Information des Angeklagten über die Nichteinhaltung der Absprache der Fall sein. Eine solche Hinweispflicht wäre zwar nicht der Fallgruppe des Verbots eines venire contra factum proprium zuzuordnen, weil es gar nicht um die Begründung eines solchen Verbotes ginge. Möglicherweise könnte das Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln, im Strafprozeß aber gerade der Begründung von Neben(informations)pflichten dienen76. Auch die Bedenken aufgrund der Gesetzesbindung bestünden insofern nicht, da die Strafverfolgungsorgane nicht dem Vorrang des Gesetzes zuwider handelten.

76 Vgl. zur Herleitung von Nebenpflichten aus dem Gebot von Treu und Glauben im Zivilrecht G. Roth in: MüKomm-BGB, § 242 Rn. 145 ff.; Hohloch in: Erman BGB, § 242 Rn. 64 ff.; Palandt-Heinrichs § 242 Rn. 23 ff.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Der Grundsatz von Treu und Glauben könnte demnach ausschließlich dazu dienen, gesetzlich nicht vorgesehene Hinweise und Belehrungen von der Stufe eines nobile officium zu einer rechtlichen Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane zu erheben77. Damit könnte er aber – vergleichbar der Fürsorgepflicht – nur einen Überraschungsschutz gewährleisten.

3. Fehlende rechtliche Relevanz eines ungeschriebenen Grundsatzes von Treu und Glauben Letztlich ist aber sogar jegliche verfassungsrechtliche Funktion des Grundsatzes von Treu und Glauben abzulehnen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß es sich bei diesem Gebot wie auch dem ihm zugeschriebenen Schutzgut „Vertrauen“ in erster Linie um ethische Prinzipien handelt. Daß derartige Prinzipien nur bei einer Normierung auch rechtliche Geltung beanspruchen, ist schon im Zusammenhang mit dem Vertrauensbegriff erwähnt worden78. Im Zivilrecht hat eine solche Normierung in § 242 BGB stattgefunden, wodurch die Heranziehung ethischer Prinzipien als rechtlicher Maßstab ermöglicht wird. Hat im öffentlichen Recht und insbesondere im Strafverfahren eine solche Transformierung des ethischen Prinzips in die rechtlichen Regelungen nicht stattgefunden, verbliebe ein allgemeiner Grundsatz von Treu und Glauben hier jedenfalls unterhalb der Stufe des Rechts. Dies bedeutet für den vorliegenden Zusammenhang, daß das ethische Gebot, auf die Interessen des anderen Rücksicht zu nehmen, nur dann den Schutz des Beschuldigten begründen könnte, wenn dies im Recht auch Niederschlag gefunden hätte. Anders als im Zivilrecht können ethisch fundierte Interessen mangels ausdrücklicher Normierung nicht unmittelbar über Treu und Glauben in einem Interessenausgleich berücksichtigt werden. Es müßte angesichts der fehlenden Positivierung von Treu und Glauben außerhalb und unabhängig von diesem Prinzip eine rechtliche Fundierung dieser Interessen bestehen. Mit anderen Worten: Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht als ungeschriebenes Verfassungsprinzip setzt hier den Rückgriff auf Werte voraus, die in der Verfassung selbst bereits vorhanden sind und dem Interesse des Beschuldigten an seinem Schutz gerade in rechtlicher Hinsicht Geltung verleihen79. Gelingt der Nachweis des Vorhandenseins eines solchen Wertes nicht, entspräche es nicht der Wertvorstellung des Grundgesetzes, dem Bürger in dieser Situation rechtlich fundierten Schutz zu vermitteln. Dann kann insofern aber auch kein ungeschriebenes Gebot von Treu und Glauben zum Zuge kom77 78 79

Vgl. Schmid Verwirkung, S. 306. Siehe 2. Teil II. Vgl. zum Verwaltungsrecht Mainka Vertrauensschutz, S. 16.

III. Treu und Glauben

105

men80. Dem stünde schon das Fehlen einer Lücke entgegen, die den Rückgriff auf ein ungeschriebenes verfassungsrechtliches Prinzip rechtfertigen könnte. Läßt sich jedoch anhand eines Verfassungswertes die Entscheidung des Grundgesetzes für einen solchen Schutz nachweisen, ist aus dem gleichen Grund der Rückgriff auf Treu und Glauben verschlossen, weil dann bereits eine geschriebene Grundlage existiert81. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist daher im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz im öffentlichen Recht in jedem Fall funktionslos. Im Unterschied zu dem fair-trial-Grundsatz und der Fürsorgepflicht läßt sich also von vornherein jede Bedeutung ausschließen, da der Gedanke von Treu und Glauben ausschließlich in anderen verfassungsrechtlichen Grundsätzen Ausdruck gefunden haben kann, anderenfalls aber unterhalb der Schwelle rechtlicher Relevanz verbleibt.

4. Fazit für die weitere Untersuchung: Subjektives Recht als Grundlage eines Vertrauensschutzes Diese Ausführungen machen im Hinblick auf die weitere Suche nach einer verfassungsrechtlichen Grundlage des Vertrauensschutzes vor allem deutlich, daß ein solcher Schutz kein Selbstzweck ist. Das Vorhandensein von Vertrauen als solchem stellt keinen Grund für das rechtliche Erfordernis eines Schutzes dar82. Hinter dem Vertrauensschutz steht vielmehr der Gedanke, daß die Vertrauensenttäuschung des Bürgers durch den Staat, der dieses Vertrauen selbst hervorgerufen hat, bestimmte Interessen beeinträchtigt, die eines Schutzes bedürftig sind. Diese Interessen verleihen dem Vertrauen überhaupt erst rechtliche Relevanz. Der Charakter eines solchen, durch die Vertrauensenttäuschung beeinträchtigten Interesses läßt sich aber bereits jetzt präzisieren: Es muß sich dabei um ein subjektives Recht des Bürgers handeln. Dem Vertrauensschutz wird nämlich eine individualrechtsschützende Funktion zugeschrieben, er stellt gerade eine subjektive Berechtigung des Bürgers dar, dessen Vertrauen enttäuscht wird83. Wenn aber der Vertrauensschutz ein subjektives Recht ist, dann müssen auch die ihn erst begründenden Interessen einen subjektiv-rechtlichen Gehalt aufweisen. Wäre die Vertrauensenttäuschung nur im Hinblick auf objektives Recht bedenklich, ließe sich nicht 80 Vgl. Blanke Vertrauensschutz, S. 95: Dem Grundsatz von Treu und Glauben komme nicht einmal die Funktion einer „Notbremse“ zu, wenn ein anderer dogmatischer Weg noch nicht erschlossen sei. 81 Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 59 f.; Muckel Kriterien, S. 31. 82 Vgl. Seer Verständigungen, S. 306: Die Existenzberechtigung des Vertrauensschutzes ergebe sich nur aus dem Bezug zu einem bestimmten Rechtsgut; Haas GS Keller, S. 45 (61): „Vertrauen als ubiquitäres Phänomen ist nie ein materialer Rechtsgrund der Schutzwürdigkeit von Erwartungen“. 83 Schwarz Vertrauensschutz, S. 41: subjektives Recht auf Anerkennung von Vertrauensschutz.

106

3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

erklären, warum dem Bürger zu ihrer Verhinderung ein subjektives Recht zugesprochen wird. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes kann also nur in einem auf Verfassungsrecht gründenden subjektiven Recht gefunden werden, welches durch die Vertrauensenttäuschung beeinträchtigt wird. Dies macht es erforderlich, die Anforderungen an die Existenz eines subjektiven Rechts zu skizzieren. Ein subjektives Recht setzt Rechtsmacht voraus, die dem einzelnen von der Rechtsordnung zur Wahrung seiner Interessen verliehen worden ist84. Das Vorhandensein subjektiv-öffentlicher Rechte wird überwiegend mit der sogenannten „Schutznormlehre“ ermittelt85. Auf deren Grundlage werden drei Voraussetzungen benannt, um einer Norm des öffentlichen Rechts eine solche subjektive Berechtigung des Bürgers entnehmen zu können86: Die Norm muß den Bürger objektiv begünstigen, eine solche Begünstigung bezwecken und schließlich auch auf die Durchsetzbarkeit der Rechtsfolge für den begünstigten Bürger abzielen. Die Unzulässigkeit der Enttäuschung des Vertrauens des Bürgers müßte sich also einer Norm des Grundgesetzes entnehmen lassen, die dem Bürger auch die Berechtigung verleiht, diese Unzulässigkeit geltend zu machen. Im Hinblick darauf sind nun mögliche verfassungsrechtliche Grundlagen des Vertrauensschutzes zu betrachten. Auch in der verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Diskussion stehen bei der Suche nach einer grundgesetzlichen Verankerung des Vertrauensschutzes inzwischen andere Rechtsgrundlagen gegenüber dem Gebot von Treu und Glauben deutlich im Vordergrund.

IV. Sozialstaatsprinzip Erwähnt werden soll zunächst der Versuch, das Sozialstaatsprinzip als Grundlage des Vertrauensschutzes heranzuziehen87. Dieser Vorschlag ist allerdings im Verfassungs- und Verwaltungsrecht auf Ablehnung gestoßen88. Auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Strafverfahrens wird teilweise auf die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips hingewiesen89. Aus dieser StaatszielbestimRüthers Rechtstheorie, Rn. 64. Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 534 mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. Siehe Kopp / Schenke VwGO, § 42 Rn. 78 ff. zum Erfordernis der Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte im Rahmen der verwaltungsprozessualen Klagebefugnis. 86 Sachs Grundrechte, S. 35; Epping Grundrechte, Rn. 110. 87 Rupp-v. Brünneck, Sondervotum, BVerfGE 32, 111 (129, 139 f.); vgl. auch Götz FG BVerfG II, S. 421 (422). 88 Muckel Kriterien, S. 31 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 27 ff.; Schwarz Vertrauensschutz, S. 227: kein selbständiger Geltungsgrund des Vertrauensschutzes. 89 Rieß FS Schäfer, S. 155 (183). 84 85

V. Rechtsstaatsprinzip

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mung ist insbesondere die Aufgabe hergeleitet worden, die mangelnde Handlungskompetenz des Beschuldigten zu kompensieren, indem ihm eine tatsächliche Wahrnehmung seiner formell vorhandenen Rechte ermöglicht und somit materielle Gleichheit hergestellt wird90. Dieses insofern übereinstimmend formulierte Anliegen macht die enge Beziehung eines so verstandenen Sozialstaatsprinzips zur Fürsorgepflicht deutlich91, deren Grundlage daher zumindest auch im Sozialstaatsprinzip gesehen wird92. Damit wird aber klar, daß sich ein umfassender Vertrauensschutz schon aus den im Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht genannten Gründen nicht auf dieses Prinzip stützen läßt. Wenn nur die faktische Möglichkeit zur Ausübung schon vorhandener Rechte ermöglicht werden soll, ist der Anwendungsbereich jedenfalls für den vorliegenden Zusammenhang zu eng gefaßt. Hinzu kommen aber anknüpfend an die vorherigen Ausführungen allgemeine Bedenken gegenüber einem als Grundlage des Vertrauensschutzes verstandenen Sozialstaatsprinzip. Es handelt sich dabei um eine objektive Staatszielbestimmung, die gerade nicht die Grundlage subjektiver Rechte bildet93. Damit besteht ein grundsätzlicher Widerspruch zu dem individualrechtsschützenden Charakter des Vertrauensschutzes94. Ein solcher Schutz setzt das Vorhandensein subjektiver Rechte voraus, die durch eine Vertrauensenttäuschung entwertet werden95.

V. Rechtsstaatsprinzip In der Rechtsprechung des BVerfG wird das Rechtsstaatsprinzip als eine Grundlage des Vertrauensschutzes im öffentlichen Recht eingestuft96, wobei insbesondere das Unterprinzip der Rechtssicherheit zu dessen Ableitung herangezogen wird. Auch das BVerwG hat teilweise schon im Rahmen der Rechtsprechung zur Rücknahme von Verwaltungsakten auf diesen Aspekt abgestellt97. Insbesondere hat aber das BVerfG vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit der Rückwirkung von Gesetzen formuliert, für den Bürger bedeute Rechts90 Giehring in: Hassemer / Lüderssen Sozialwissenschaften, S. 181 (201); Rieß FS Schäfer, S. 155 (183); Müller-Dietz FS Dünnebier, S. 75 (99); ablehnend Rzepka Fairness, S. 348: Bei den sogenannten „Fürsorgepflichten“ gehe es nicht um die Verwirklichung von Sozialstaatlichkeit, sondern um die Achtung der Freiheitsrechte. 91 Rieß FS Schäfer, S. 155 (184). 92 Kielwein Fürsorgepflicht, S. 112; Krey StrafverfahrensR, Rn. 257; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 110 ff. 93 Herzog in: Maunz / Dürig GG, Art. 20 VIII. Rn. 28; Jarass / Pieroth GG, Art. 20 Rn. 103; vgl. auch BVerfGE 27, 253 (283); 39, 302 (315); 69, 272 (314 f.); 82, 60 (80). 94 Vgl. Muckel Kriterien, S. 34. 95 Siehe III. 4. 96 BVerfGE 13, 261 (271); 14, 288 (297); 18, 429 (439); 51, 356 (362); 72, 200 (242); 83, 89 (109 f.); 94, 241 (258); 103, 392 (403); 108, 370 (396 f.); 109, 133 (180). 97 BVerwGE 13, 28 (32).

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

sicherheit in erster Linie Vertrauensschutz98. Der Bürger solle die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich entsprechend einrichten können99. Daher ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG auch von der „Herleitungskette“ Rechtsstaatsprinzip – Rechtssicherheit – Vertrauensschutz die Rede100. Auch in der Literatur ist diese dogmatische Fundierung überwiegend auf Zustimmung gestoßen101. Dabei wird der rechtsstaatliche Aspekt der Rechtssicherheit oftmals – wie auch in der Rechtsprechung des BVerfG102 – als subsidiärer Geltungsgrund des Vertrauensschutzes eingestuft. Dies ist darauf zurückzuführen, daß insbesondere einzelne Grundrechte – wie etwa Art. 14 GG im Hinblick auf vermögenswerte Güter – als Grundlage besonderer Ausprägungen des Vertrauensschutzes angesehen werden103. Über die Grundrechtsgewährleistungen könnten zwar bestimmte einzelne, nicht aber alle Vertrauensschutzkonstellationen erfaßt werden. Dieses Defizit werde aber durch den Rückgriff auf einen allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz ausgeglichen104. Teilweise wird jedoch von der Parallelität des rechtsstaatlichen und des grundrechtlichen Vertrauensschutzes ausgegangen105. Schließlich wird auch die Auffassung vertreten, der Vertrauensschutz werde abschließend über die Grundrechte gewährleistet und könne nicht auf das Rechtsstaatsprinzip gestützt werden106. Rechtssicherheit könne nur als objektive Kontinuitätsgewähr verstanden werden, da sich subjektive Rechte aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht ableiten ließen107. Fragwürdig erscheint die Annahme, ein rechtsstaatlicher Vertrauensschutz könne parallel zu einem Vertrauensschutz existieren, der sich aus den Gewährleistungen der Grundrechte ergibt. Angesichts dessen, daß erstens die Grundrechte BVerfGE 13, 261 (271); 14, 288 (297); 18, 429 (439); 51, 356 (362). BVerfGE 13, 261 (271). 100 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 19; Muckel Kriterien, S. 60. 101 Muckel Kriterien, S. 60; Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 47 ff.; Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 26 f.; Götz FG BVerfG II, S. 421 (424); Papier DVBl. 1996, 125 (129); Geurts Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, S. 28 f.; vgl. auch schon Stich Vertrauensschutz, S. 21 f. 102 BVerfGE 36, 281 (293): „Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat für die vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren“; E 53, 257 (309); 75, 78 (104 f.). 103 Schmidt JuS 1973, 529 ff.; Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 59: „Die Eigentumsgarantie selbst erfüllt eine Vertrauensschutzfunktion“; 104 Muckel Kriterien, S. 60; Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 116: Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes greife auch dort ein, wo der Schutzbereich der Grundrechte ende. 105 Sobota Rechtsstaat, S. 173. 106 Schwarz Vertrauensschutz, zusammenfassend S. 254. 107 Schwarz Vertrauensschutz, S. 251. Ablehnend gegenüber der Ableitung des Vertrauensschutzes aus dem Gebot der Rechtssicherheit auch schon Pettenkofer Vertrauensschutz, S. 67 ff.; Mainka Vertrauensschutz, S. 19 f. 98 99

V. Rechtsstaatsprinzip

109

schon für sich genommen Ausdruck der materiell verstandenen Idee der Rechtsstaatlichkeit sind108 und zweitens insofern erheblich konkretere Maßstäbe herausgebildet worden sind, die Grundrechte also weniger diffus erscheinen als das allgemeine Prinzip des Rechtsstaates109, besteht dann nämlich kein Bedürfnis für einen solchen Rückgriff. Sollte sich nachweisen lassen, daß strafprozessualer Vertrauensschutz eine Frage der Grundrechte ist, käme dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip daneben keine Bedeutung zu110. Fraglich ist aber, ob das allgemeine Rechtsstaatsprinzip, genauer: das Unterprinzip der Rechtssicherheit, als Grundlage des Vertrauensschutzes im Bereich des Strafverfahrens überhaupt in Frage kommt oder ob eine solche Verankerung von vornherein ausscheidet. Die Zuordnung des Vertrauensschutzes zu einer verfassungsrechtlichen Norm setzt nach dem oben Gesagten voraus, daß darin objektiv ein solcher Schutz vorgesehen ist und dem Bürger insofern auch eine subjektive Berechtigung verliehen wird111. Daß das Rechtsstaatsprinzip den Ursprung subjektiver Rechte bildet erscheint zwar zweifelhaft112, wird von der überwiegenden Ansicht in der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Diskussion aber gerade im Hinblick auf den Vertrauensschutz, der die subjektive Seite der Rechtssicherheit darstelle, bejaht113. Im folgenden wird der Frage nachgegangen, ob unter Hinnahme dieser Prämisse im Zusammenhang mit strafprozessualen Vertrauensschutzkonstellationen tatsächlich ein subjektiv-rechtlicher Vertrauensschutz im Gebot der Rechtssicherheit verankert werden kann. Ein solches subjektives Recht setzt zunächst eine entsprechende objektive Begünstigung des Beschuldigten in diesen Konstellationen voraus114. Ob das Gebot der Rechtssicherheit im vorliegenden Zusammenhang eine für den Beschuldigten vorteilhafte Wirkung entfaltet, kann nur anhand einer Betrachtung seines Inhalts geklärt werden115. Neben der Bestimmtheit staatlicher Regelungen bildet vor allem deren Beständigkeit im Sinne einer „Nicht-Änderung“ den Kern des Gedankens der Rechtssicherheit116. Dies soll die Unverbrüchlichkeit des Rechts117, die Verläßlichkeit der Vgl. Schmidt-Aßmann in: HStR I, § 24 Rn. 30 f. Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 419. 110 Vgl. Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 109, 310, 381: Der Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip sei nur dann dogmatisch zulässig, wenn ein Problem nicht von den verfassungsrechtlichen Einzelbestimmungen erfaßt wird. 111 Siehe III. 4. 112 Vgl. Schwarz Vertrauensschutz, S. 250 f.; Scholz AöR 100 (1975), 80 (105). 113 Muckel Kriterien, S. 62; Sachs in: ders. GG, Art. 20 Rn. 131; Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 17. 114 Siehe III. 4. 115 Vgl. Schwarz Vertrauensschutz, S. 249. 116 Schwarz Vertrauensschutz, S. 249; Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 416. 117 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 20. 108 109

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Rechtsordnung gewährleisten118. Diese Verläßlichkeit wiederum vermittelt Sicherheit durch Stabilität und Vorhersehbarkeit staatlicher Entscheidungen. Da das Gebot der Rechtssicherheit gegenüber allen staatlichen Gewalten Geltung beansprucht und die hier im Blickpunkt stehenden Vertrauenskonstellationen durch die Modifikation staatlichen Verhaltens, also fehlende Beständigkeit, gekennzeichnet sind, erscheint ein Zusammenhang zur Rechtssicherheit naheliegend. Nur eine genauere Betrachtung von Sinn und Zweck der Rechtssicherheit vermag aber Aufschluß darüber zu geben, ob tatsächlich sämtliche staatliche Maßnahmen an diesem Maßstab zu messen sind.

1. Rechtssicherheit als Ausdruck der Ordnungsfunktion des Rechts Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß sich Sinn und Zweck der Rechtssicherheit nur über die Funktion des Rechts erklären lassen, durch das und bezüglich dessen119 Sicherheit vermittelt werden soll120. Radbruch sah die Rechtssicherheit als eine Komponente der Idee des Rechts an121. Dem entspricht es, wenn die Beständigkeit des Rechts als Voraussetzung dafür bezeichnet wird, daß das Recht seine Ordnungsfunktion erfüllen kann122. Soziale Normen und damit auch das Recht sind kein Selbstzweck, ihnen kommen vielmehr bestimmte Aufgaben und Funktionen zu123. Eine grundlegende Funktion der Normen ist in der Ordnung des menschlichen Zusammenlebens zu sehen124. Nur so können auch Streitigkeiten verbindlich entschieden werden125, nur so erscheint überhaupt ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft möglich126. Insofern sind die Ordnungs-, die Streitentscheidungs- und die Befriedungsfunktion des Rechts eng miteinander verbunden. Soziale Normen stellen aufgrund dieser Zwecke eine Grundvoraussetzung der Existenz einer Gesellschaft dar. Der Aufgabe, das menschliche Zusammenleben zu ordnen und zu befrieden, kann das Recht aber tatsächlich nur nachkommen, wenn es ein Mindestmaß an Kontinuität und Beständigkeit wahrt und so Verläßlichkeit erzeugt. Kann die Grundlage des Zusammenlebens beliebig abgeändert werden, so droht im schlimmsten Fall ein BVerfGE 24, 75 (98); 60, 253 (268); 63, 343 (357). Sobota Rechtsstaat, S. 154. 120 Stern in: ders. StaatsR I, S. 829. 121 Radbruch Rechtsphilosophie, S. 169; vgl. auch Stern in: ders. StaatsR I, S. 796; Muckel Kriterien, S. 60. 122 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 1. 123 Koller Theorie des Rechts, S. 53. 124 Koller Theorie des Rechts, S. 56 f.; Rüthers Rechtstheorie, § 3 Rn. 75 ff. 125 Rüthers Rechtstheorie, § 3 Rn. 83. 126 Rüthers Rechtstheorie, § 3 Rn. 85. 118 119

V. Rechtsstaatsprinzip

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dem normlosen Zustand vergleichbares Chaos. Eine soziale „Grundlage“, deren Bestand nicht einmal für eine gewisse Dauer gesichert ist, kann das Zusammenleben nicht ordnen, sondern nur „Unordnung“ schaffen. Damit erweist sich die Rechtssicherheit, verstanden als Beständigkeit staatlichen Handelns, als unerläßliche Voraussetzung für die Umsetzung der Aufgaben des Rechts. Aus dieser Bestimmung der Funktion der Rechtssicherheit ergibt sich aber auch, daß nur solche staatlichen Maßnahmen diesem Gebot unterliegen, die der Erreichung der genannten Zwecke dienen. Steht eine Maßnahme aufgrund ihres Charakters nicht im Dienste der Ordnungs- und Befriedungswirkung des Rechts, so können diese Funktionen des Rechts durch die mangelnde Beständigkeit der Maßnahme auch nicht beeinträchtigt werden. Nur die Beständigkeit einer Maßnahme, die Ordnung und Befriedung auch tatsächlich dient, wird durch das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit gewährleistet127. Dies gilt vor allem für das Handeln der Legislative. Das Gebot der Rechtssicherheit beansprucht aber auch gegenüber der Exekutive und Judikative grundsätzlich Geltung. Denn Ordnung und Befriedung der Gemeinschaft können nicht allein durch das Aufstellen abstrakt-genereller Regelungen herbeigeführt werden, sondern erst durch deren Konkretisierung und Umsetzung im Einzelfall. Deshalb erscheint es auch geboten, den Verwaltungsakt und dessen Bestandskraft als Ausfluß des Prinzips der Rechtssicherheit anzusehen128. Der Verwaltungsakt dient von seiner Funktion her der Rechtssicherheit129, weil er auf Konkretisierung von Rechten und Pflichten und damit auf eine Stabilisierung der Verhältnisse abzielt130. In noch stärkerem Maße muß dies dann aber für gerichtliche Entscheidungen gelten131. Eines haben Gesetze und die eben genannten Maßnahmen von Exekutive und Judikative gemeinsam, und dies erscheint charakteristisch für eine Maßnahme, der eine Ordnungswirkung zukommt: Sie weisen einen materiell endgültigen Charakter auf. Dies ermöglicht die Regelung eines Rechtsverhältnisses, die letztlich einen Maßstab des menschlichen Zusammenlebens bildet oder konkretisiert und die deshalb im Zeichen der Ordnung und Befriedung steht. Dem steht eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt, wie etwa eine Befristung im Sinne des § 36 II Nr. 1 VwVfG, ebensowenig entgegen, wie die zeitliche Beschränkung der Geltungsdauer eines Gesetzes. Entscheidend ist, daß jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum eine endgültige und verbindliche, ordnende und befriedende Regelung getroffen wird und diese Maßnahme insofern auch von dem Gebot der Rechts127 Vgl. auch Seer Verständigungen, S. 381: Zusammenhang zwischen Rechtssicherheit und Funktion des jeweiligen staatlichen Handelns, Rechtsfrieden herzustellen. 128 Maurer Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 40; Badura in: Erichsen Allgemeines Verwaltungsrecht, § 38 Rn. 46. 129 Lee Vertrauensschutzprinzip, S. 45. 130 Maurer Allgemeines VerwR, § 9 Rn. 40; vgl. auch Blanke Vertrauensschutz, S. 46 f. 131 Vgl. Erichsen in: ders. Allgemeines Verwaltungsrecht, § 16 Rn. 1.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

sicherheit erfaßt wird. Sogar eine Zusage, deren Unterfall der Zusicherung in § 38 VwVfG geregelt ist, weist einen solchen materiell endgültigen Charakter auf, da es sich nicht um eine vorläufige, sondern um eine vorgelagerte Entscheidung handelt132. Trifft der Staat eine Entscheidung, die durch ihre inhaltliche Verbindlichkeit gekennzeichnet ist, so fordert das Prinzip der Rechtssicherheit ein gewisses Maß an Beständigkeit, also eine Bestands- oder Rechtskraft, die nur unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise durchbrochen werden darf.

2. Mangelnde Ordnungsfunktion vertrauensschaffender Maßnahmen im Strafverfahren Diese Ordnungsfunktion, die erst den Anwendungsbereich der Rechtssicherheit eröffnet, fehlt vertrauensschaffenden Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane grundsätzlich aber deshalb, weil diese in einen Zusammenhang mit der das Verfahren beendenden Entscheidung gestellt werden müssen. Sie sind geprägt von der Entscheidungsoffenheit dieses Verfahrens133. Zwar kommt dem erstinstanzlichen Urteil eine ordnende und befriedende Funktion zu, indem eine inhaltlich endgültige, wenn auch noch in anderer Instanz überprüfbare, Regelung des durch den Verdacht der Straftatbegehung gestörten Verhältnisses zwischen Angeklagtem und Allgemeinheit erfolgt. Zahlreiche vorherige Maßnahmen weisen aber den Charakter von Prognosen der Strafverfolgungsorgane bezüglich rechtlicher oder tatsächlicher Aspekte auf und sind daher nur vorläufige Stationen auf dem Weg zu der abschließenden Entscheidung. Sie stellen keine vorgezogenen Entscheidungen dar, die ausnahmsweise modifiziert werden könnten. Deshalb handelt es sich genau genommen gar nicht um eine Änderung der früheren Maßnahme, wenn später eine abweichende Entscheidung ergeht. Im Urteil wird nicht gegebenenfalls von der Modifikation einer früheren Maßnahme abgesehen, sondern überhaupt erst entschieden. Dies gilt für alle Maßnahmen, die aktuelle Einschätzungen über den Inhalt einer späteren Entscheidung beinhalten, so etwa für die in der zugelassenen Anklage enthaltene Beurteilung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Dieses Verhalten der Strafverfolgungsorgane weist keinerlei materiell endgültigen Charakter auf. Es handelt sich nicht um vorgelagerte Entscheidungen, sondern Prognosen künftiger Entscheidungen. Solchen Maßnahmen kommt daher selbst noch keine Ordnungsund Befriedungswirkung zu. Diesen Zwecken des Rechts dient erst die spätere Entscheidung. Der Staat kann dann aber auch nicht unter Hinweis auf die Rechtssicherheit, die eben diese Funktionen des Rechts sichern soll, an solchen vorläufi132 133

Blanke Vertrauensschutz, S. 231. Vgl. Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 75; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 72.

V. Rechtsstaatsprinzip

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gen Erklärungen festgehalten werden. Im Prozeß, der einer Entscheidungsfindung dient, kann hinsichtlich vieler Maßnahmen zwingend nicht einmal ein Mindestmaß an Kontinuität und Beständigkeit gefordert werden. Beständigkeit gebietet das Prinzip der Rechtssicherheit erst im Hinblick auf die Entscheidung, die materiell endgültig ist. Damit ergibt sich für die Urteilsabsprache, daß jedenfalls unter Rückgriff auf das Gebot der Rechtssicherheit tatsächlich keine primäre Bindungswirkung begründet werden kann, die allein eine Folge des Vertrauensschutzes sein soll134. Nur bei staatlichen Maßnahmen, denen für sich genommen Verbindlichkeit zukommt, ist die erforderliche Ordnungsfunktion festzustellen. Wird die Beständigkeit einer solchen Maßnahme ausnahmsweise in Frage gestellt, bildet die Rechtssicherheit einen argumentativen Gegenposten. In diesem Fall könnte das Rechtsstaatsprinzip dann grundsätzlich zum Anknüpfungspunkt für einen Vertrauensschutz werden, der ebenfalls auf das Verbot einer Modifikation des staatlichen Handelns abzielt. Vertrauensschutz als subjektive Komponente der Rechtssicherheit käme daher vorliegend nur in Betracht, wenn eine Urteilsabsprache aus sich heraus eine Bindungswirkung entfalten würde. Allerdings wäre dann diese regelmäßige Bindung des Gerichts gerade nicht mit dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgrundsatz zu erklären135. Ob ein verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz bei fehlgeschlagenen Urteilsabsprachen zumindest dann aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet werden kann, wenn die mögliche Bindung aus der Absprache selbst heraus nicht eingreift136, hängt also davon ab, wie nach dem einfachen Recht die Verbindlichkeit der Urteilsabsprache zu beurteilen ist137. Das sei hier vorweggenommen: Der Urteilsabsprache kommt nach dem einfachen Recht – aus sich selbst heraus – aufgrund von § 261 StPO und § 46 StGB in keiner Weise Verbindlichkeit zu138. Es handelt sich bei der gerichtlichen Ankündigung um die Prognose hinsichtlich einer künftigen Entscheidung. Deshalb scheidet hier aber auch jeder aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit folgende Vertrauensschutz aus139. 134 Vgl. dazu bereits 2. Teil I. Damit ist aber keine Aussage über die Rechtsfolgen getroffen, die aus einer anderen möglichen Rechtsgrundlage abzuleiten sind. Entscheidend sind hier nämlich allein Sinn und Zweck der Rechtssicherheit. 135 So mit Recht F. Meyer Willensmängel, S. 295, der auf die Parallele zur Zusage im Verwaltungsrecht verweist. 136 Vgl. zu der Frage, ob bei einem Wegfall der Bindung der Behörde an eine Zusicherung (§ 38 III VwVfG) der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz einen Entschädigungsanspruch begründen kann Kopp / Ramsauer VwVfG, § 38 Rn. 45 einerseits, Liebetanz in: Obermayer VwVfG, § 38 Rn. 58 andererseits. 137 Dazu ausführlich 4. Teil I. 1. a) aa) (3) (b). 138 Vgl. aber Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, zusammenfassend S. 141: öffentlichrechtlicher Vertrag; F. Meyer Willensmängel, S. 294 f.: Zusage. 139 Anderes gilt nur für diejenigen Maßnahmen im Strafverfahren, die inhaltlich für sich genommen ein Rechtsverhältnis regeln. Dies könnte man etwa im Hinblick auf die Pflicht-

8 Graumann

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Hiergegen könnte allerdings eingewendet werden, daß die Rechtssicherheit, indem sie die Ordnungsfunktion des Rechts gewährleistet, insbesondere auch subjektive Vorhersehbarkeit für den von der staatlichen Maßnahme betroffenen Bürger gewährleistet. Und bei inhaltlich vorläufigen Maßnahmen kann ebenfalls das Bedürfnis nach Gewährleistung von Vorhersehbarkeit und gewissermaßen „subjektiver Befriedung und Ordnung“ bestehen, wie gerade mit Blick auf den Beschuldigten deutlich wird, der sich während des Prozesses gegen einen vorläufigen Vorwurf verteidigen muß. Dennoch hilft der Verweis darauf nicht weiter, daß der Beschuldigte etwa eine Urteilsabsprache tatsächlich zur Grundlage seiner Willensentschließung gemacht und daher auf die Maßnahme vertraut habe. Ein aus dem Rechtsstaatsprinzip folgender Anspruch auf den Schutz seines Vertrauens scheitert schon daran, daß dem Gebot der Rechtssicherheit objektiv keine Begünstigung des Beschuldigten in diesen Fällen zu entnehmen ist. Wenn man das Rechtsstaatsprinzip als Ursprung subjektiver Rechte ansieht und daraus Vertrauensschutz als subjektive Entsprechung der Rechtssicherheit ableitet140, dann muß sich dieser individuelle Schutz in seiner Ausgestaltung zwangsläufig an der objektiven Seite der Rechtssicherheit orientieren. Aus den Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts141 ergibt sich ohne weiteres, daß dieses mit dem objektiven Gehalt der Norm übereinstimmen muß142. Gebietet die Rechtssicherheit aber im vorliegenden Zusammenhang angesichts der fehlenden Ordnungswirkung gerade keine Beständigkeit des staatlichen Handelns, so kommt der Tatsache, daß der Beschuldigte die vorläufige Maßnahme zur Grundlage seines Handelns gemacht hat, insofern keine Bedeutung zu. Will man den Vertrauensschutz aus der Rechtssicherheit ableiten, stellt es einen Zirkelschluß dar, vom Aspekt des subjektiven Vertrauens her den Inhalt der objektiven Rechtssicherheit „anzureichern“. Die rechtliche Relevanz des subjektiven Vertrauens könnte ja nur daraus folgen, daß das Rechtsstaatsprinzip objektiv eine Begünstigung des Beschuldigten vorsieht, indem es die Beständigkeit der Absprache gebietet. Daß das Gebot der Rechtssicherheit hier nicht weiterzuhelfen vermag, wird dann besonders deutlich, wenn in strafprozessualen Vertrauenskonstellationen eine Pflicht der Strafverfolgungsorgane, auf die Abweichung von einer Prognose hinzuweisen, als Ausdruck des Vertrauensschutzes angesehen wird143. Kontinuität, Beständigkeit, Unverbrüchlichkeit, die die Rechtssicherheit ausmachen, werden hier überhaupt nicht gefordert. Die bloße Kenntnis des Bürgers von der Diskontinuität soll hier als Schutz ausreichen. Auch dadurch wird also subjektive Vorherverteidigerbestellung annehmen, die von der Funktion her dem Verwaltungsakt vergleichbar ist, vgl. Hilgendorf NStZ 1996, 1. 140 Vgl. Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 2. 141 Siehe III. 4. 142 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 544. 143 Vgl. die in der Einleitung genannten Konstellationen, in denen auf den Vertrauensaspekt abgestellt wird, sowie 1. Teil I. 3. b).

V. Rechtsstaatsprinzip

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sehbarkeit gewährleistet, ohne daß dies der Rechtssicherheit zugeordnet werden könnte. Hinsichtlich der Grundlage dieses Schutzes muß also ein anderer Begründungsansatz gewählt werden144.

3. Fazit für die weitere Untersuchung: Funktion der vertrauensschaffenden Maßnahme als Hinweis auf die Grundlage des erforderlichen subjektiven Rechts Nach dem Gesagten wird deutlich, daß die Funktion und Wirkungsweise der vertrauensschaffenden Maßnahme bei der Suche nach einer Norm, die dem Beschuldigten Vertrauensschutz als subjektives Recht vermittelt, ein wichtiger Anhaltspunkt sein kann. Entscheidend ist die Feststellung, ob diese Maßnahme eine den Beschuldigten begünstigende Wirkung entfaltet und ob sich dies einem rechtlich geschützten Interesse zuordnen läßt. Die vertrauensschaffende Maßnahme der Urteilsabsprache konnte im Hinblick auf den Aspekt der Rechtssicherheit keine begünstigende Wirkung entfalten, weil ihr mangels materieller Endgültigkeit keine Ordnungsfunktion zukommt. Wird hingegen in anderer Weise durch die Ankündigung des Gerichts im Rahmen der Absprache eine objektive Begünstigung des Angeklagten geschaffen, so könnte diese positive Wirkung bei einer Nichteinhaltung der Absprache nachträglich entfallen. Es liegt dann aber nahe, ein subjektives Recht gegen die Modifikation und damit den Schutz vor einer Vertrauensenttäuschung auf eben dieses Interesse zurückzuführen, das durch die vertrauensschaffende Maßnahme ursprünglich gefördert worden ist. Bei der Frage nach der Funktion und Wirkungsweise der hier interessierenden Maßnahmen kann auf einige Bemerkungen im Rahmen der Einleitung verwiesen werden: Eine sinnvolle Entscheidung des Beschuldigten über die Ausübung der ihm zustehenden Verfahrensrechte ist von Informationen durch die Strafverfolgungsorgane abhängig. Ob es sich nun um ausdrückliche Prognosen der Strafverfolgungsorgane hinsichtlich der Sach-, Rechts- oder Verfahrenslage handelt oder um Maßnahmen, denen sich konkludent entsprechende Einschätzungen entnehmen lassen: Stets wird die Transparenz des Verfahrens in irgendeiner Weise erhöht und dem Beschuldigten, der über seine prozessualen Rechte besser disponieren kann, die Teilnahme am Verfahren erleichtert. Diese positive Wirkung der vertrauensschaffenden Maßnahmen ist unabhängig von deren mangelnder Stabilität im Sinne der Rechtssicherheit, da die Möglichkeit des Beschuldigten, sich zu verteidigen, jedenfalls verbessert wird, wenn er von aktuellen Einschätzungen der Strafverfol144 Vgl. auch Kunig Rechtsstaatsprinzip, S. 419 f.: Nur mit einer grundrechtlichen, differenzierenden Argumentation könne die „zwischen“ dem Bestand und der Verfassungswidrigkeit eines rückwirkenden Gesetzes liegende Rechtsfolge „Übergangsrecht“ unmittelbar begründet werden.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

gungsorgane Kenntnis erhält. Diese Wirkung ist allerdings hinfällig oder kann sich sogar in ihr Gegenteil verkehren, wenn später von Einschätzungen abgewichen wird – und sich das Verteidigungsverhalten des Beschuldigten nunmehr aus dessen Sicht vielleicht als nachteilhaft herausstellt. Diese faktische Wirkung der vertrauensschaffenden Maßnahmen läßt sich aber auch einem rechtlich geschützten Interesse des Beschuldigten zuordnen. Die Transparenz des Verfahrens und die damit verbundene tatsächliche Möglichkeit zur sinnvollen Beteiligung sind aus der prozessualen Subjektstellung des Beschuldigten abzuleitende Forderungen. Der Beschuldigte ist nicht als Objekt einem vollständig geheimen Verfahren unterworfen. Ihm kommt vielmehr die Stellung eines Prozeßsubjekts zu, das selbständig auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens gestaltend Einfluß nehmen kann145. Diese verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten findet ihren Ursprung in den Grundrechten und geht letztlich auf das aus der Menschenwürdegarantie folgende Verbot zurück, den Beschuldigten zum Objekt – des Verfahrens – zu machen146. Daß die Grundrechte ihrem Träger subjektive Rechte vermitteln, ist heute unbestritten147. Wenn aber die vertrauensschaffenden Maßnahmen von ihrer Wirkungsweise her die grundrechtlich garantierte prozessuale Subjektstellung des Beschuldigten fördern, erscheint eine Frage naheliegend: Wird nicht diese grundrechtliche Gewährleistung tangiert, wenn später inhaltlich im Widerspruch zu den vertrauensschaffenden Maßnahmen gehandelt, das Vertrauen des Beschuldigten also enttäuscht wird? Die Grundrechte als subjektive Berechtigungen des Bürgers schützen Interessen des Beschuldigten, die in einer Vertrauensschutzkonstellation beeinträchtigt sein könnten. Folglich besteht die Möglichkeit, daß hier das hinter dem Gedanken des Vertrauensschutzes im Strafverfahren stehende Beschuldigteninteresse gefunden werden kann, welches den notwendigen Anknüpfungspunkt für einen solchen individualrechtlichen Schutz bildet.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines strafprozessualen Vertrauensschutzes Auch im Zusammenhang mit der Frage nach Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Gesetzen oder gegenüber Maßnahmen der Verwaltung wird den Grund145 Fezer StrafprozeßR, 3 / 1; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 59; LR-Rieß Einl. Abschn. I Rn. 65; KK-Pfeiffer Einl. Rn. 86; vgl. auch – überwiegend auf den Grundsatz des fairen Verfahrens bezogen – BVerfGE 63, 45 (61); 65, 171 (174 f.); 70, 297 (323); BGHSt 36, 305 (309); 37, 10 (14); 38, 372 (374). 146 Vgl. Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 59; KK-Pfeiffer Einl. Rn. 86; Fezer StrafprozeßR, 3 / 1; vgl. auch Rzepka Fairness, S. 464: Die freiheitssichernden Abwehrrechte des einzelnen im Strafverfahren könnten z. B. unter den Begriffen der Fairneß oder der Subjektstellung zusammengefaßt werden. 147 Sachs Grundrechte, S. 34: Die Frage danach stoße heute eher auf Unverständnis.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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rechten große Bedeutung zugemessen. Grund und Maß des Vertrauensschutzes ergeben sich danach aus den Gewährleistungen der jeweils einschlägigen Grundrechte. So hat nach der Rechtsprechung des BVerfG der Grundsatz des Vertrauensschutzes für Eigentumspositionen in Art. 14 I GG „eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren“148. Auch in der Literatur wird Vertrauensschutz als dem Eigentum immanent149 oder als integraler Bestandteil dieses Grundrechts150 bezeichnet. Der Berufsfreiheit des Art. 12 I GG wird ebenfalls eine vertrauensschützende Funktion hinsichtlich einer bereits begründeten beruflichen Stellung zugemessen151. Vertrauensschutz bei Beeinträchtigungen des Beamtenstatus wird über Art. 33 V GG gewährleistet152. Während das BVerfG die Grundrechte als speziell gegenüber einem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ansieht153, wird in der Literatur zunehmend die Vertrauensschutzfunktion der Grundrechte in den Mittelpunkt gestellt und insofern von einer abschließenden Gewährleistung ausgegangen154. Die Verankerung des Vertrauensschutzes in den Grundrechten bietet auch bei der Konkretisierung der Voraussetzungen den Vorteil, daß auf die in der Grundrechtsdogmatik entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann155. Dabei werden das Vertrauen des Bürgers und dessen Enttäuschung vor allem als Kriterien der Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestuft156. Das Gewicht der Vertrauensenttäuschung sei ein in die Verhältnismäßigkeitsabwägung einzustellendes Element. Die Heranziehung der Grundrechte als Grundlage des Vertrauensschutzes wird auch in diesen Bereichen als Konsequenz der individualrechtsschützenden Wirkung dieses Prinzips angesehen157. Bevor der Versuch einer Verankerung des Vertrauensschutzes im Strafprozeß in den Grundrechten unternommen werden kann, stellt sich allerdings die Frage, welBVerfGE 36, 281 (293); 71, 1 (11 f.). Rüfner JZ 1983, 755; Weber-Dürler Vertrauensschutz, S. 59. 150 Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 50. 151 BVerfGE 50, 265 (275 ff.); 64, 72 (82 f.). 152 BVerfGE 53, 257 (309); 67, 1 (14). 153 BVerfGE 36, 281 (293): „Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat für die vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren“; E 53, 257 (309); 72, 141 (154); 75, 78 (104 f.); so auch Muckel Kriterien, S. 58 und 60: Das Defizit des lückenhaften Schutzes durch die Grundrechte könne so ausgeglichen werden. 154 Grabitz DVBl. 1973, 675 (681 ff.); Schmidt JuS 1973, 529 (531 ff.); Kisker VVDStRL 32 (1974), 149 (161 ff.); Robbers JZ 1988, 481 (486 f.); Möller / Rührmair NJW 1999, 908 (910); Schwarz Vertrauensschutz, S. 254. Vgl. auch Götz FG BVerfG II, S. 421 (436 f.), der aber auch das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte des Vertrauensschutzes ansieht, S. 422. 155 Muckel Kriterien, S. 35. 156 Kopp BayVBl. 1980, 38 (39 f.); Möller / Rührmair NJW 1999, 908 (910); Schwarz Vertrauensschutz, S. 273 f. 157 Schwarz Vertrauensschutz, S. 257. 148 149

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

che Grundrechtsfunktion vorliegend relevant werden könnte. Die Grundrechte als subjektive Rechte des Bürgers weisen nämlich nicht nur eine einzelne Berechtigung auf. Sie können vielmehr „ein Bündel von grundrechtlichen Positionen“158 enthalten159. Die subjektiven Rechte können dabei in verschiedene Grundkategorien eingeteilt werden160, von denen hier die zwei allgemein im Vordergrund stehenden in Betracht kommen: die Grundrechte als Abwehr- und als Leistungsrechte161. Die Grundunterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien wird oftmals nach dem Inhalt der jeweiligen staatlichen Verpflichtung und des korrespondierenden Anspruches des Bürgers vorgenommen. Der Abwehranspruch entspreche der Pflicht des Staates, etwas zu unterlassen, der Leistungsanspruch richte sich auf ein positives Handeln162. Zu beachten ist allerdings, daß diese Unterscheidung nur hinsichtlich des jeweiligen Primärrechts Aussagekraft besitzt163. Insbesondere kommen nämlich im Rahmen der abwehrrechtlichen Sekundäransprüche, die bei einer Verletzung des Primärrechts entstehen, (Folgen-)Beseitigungsansprüche in Betracht, die auf ein positives Tun gerichtet sind164. Entscheidend für die Abwehrfunktion des Grundrechts ist vielmehr (entsprechend dem status negativus im Sinne der Status-Lehre von Jellinek165) die Gewährleistung der Abwehr von Beeinträchtigungen des Grundrechtsgutes, die von staatlichem Handeln ausgehen. Die im 1. Teil aufgeführten Vertrauensschutzkonstellationen zeichnen sich durch eine staatliche Maßnahme aus, die im Widerspruch zu einem vorherigen staatlichen Verhalten steht und auf diese Weise Interessen eines Bürgers beeinträchtigen könnte, die grundrechtlich abgesichert sind166. In Betracht kommt in diesen Fällen daher ein gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme gerichtetes Abwehrrecht167. Alexy Grundrechte, S. 224. Vgl. auch BVerfGE 6, 55 (72). 160 Sachs Grundrechte, S. 37. 161 Weitere Funktionen wie die Bewirkungsrechte oder die grundrechtlichen Rechtsstellungen (vgl. Sachs in: Sachs GG, Vor Art. 1 Rn. 50 f.) sind vorliegend ohne Bedeutung. 162 Epping Grundrechte, Rn. 15; Jarass / Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 2; Alexy Grundrechte, S. 224 f. und 402. 163 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 77; vgl. allerdings Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 697, der – auch mit Blick auf den Leistungsbegriff des § 241 I 2 BGB – darauf hinweist, daß die Existenz von Leistungsansprüchen, die primär auf ein Unterlassen gerichtet sind, nicht von vornherein ausgeschlossen ist. 164 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 697; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 77; vgl. auch Blanke Vertrauensschutz, S. 64; Pieroth / Schlink Grundrechte Rn. 62; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 202. Ausführlich zum Inhalt des grundrechtlichen Abwehranspruches siehe unten 4. Teil IV. 165 Siehe dazu Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 426 ff. 166 Siehe vorstehend unter V. 3. 167 Vgl. Blanke Vertrauensschutz, S. 51 f. 158 159

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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Unter der Leistungsfunktion der Grundrechte (entsprechend dem status positivus) sollen alle sonstigen grundrechtlichen Ansprüche des Bürgers gegen den Staat verstanden werden168. Zwar wird der grundrechtliche Leistungsbegriff teilweise weitgehend auf sozialstaatliche Aktivitäten beschränkt169. Wenn man jedoch nicht verkennt, daß innerhalb eines umfassend verstandenen Leistungsbegriffs zwischen verschiedenen Ansprüchen unterschieden werden muß170, die jeweils Besonderheiten aufweisen, spricht nichts dagegen, den davon strukturell zu unterscheidenden Abwehrrechten eine einheitliche Kategorie von Grundrechten gegenüberzustellen171. Dabei ist insbesondere zwischen Ansprüchen zu unterscheiden, die auf den Schutz der vorhandenen Grundrechtsgüter durch den Staat abzielen (Schutzansprüche) oder auf eine Mehrung des Bestandes an Grundrechtsgütern im Wege staatlicher Förderung gerichtet sind (Förderungsansprüche, die als Leistungsrechte im engeren Sinne bezeichnet werden könnten; möglich ist auch die Bezeichnung als Realisierungshilfsrecht oder Grundrechtsvoraussetzungsschutz)172. Vorliegend deutet die Tatsache, daß Vertrauensschutz im Strafverfahren oftmals eben nicht zur Abwehr der vertrauensenttäuschenden Maßnahme herangezogen, sondern als Quelle von Hinweispflichten für die Strafverfolgungsorgane angesehen wird173, darauf hin, daß eine entsprechende vertrauensschützende Funktion auch einem leistungsrechtlichen Gehalt der Grundrechte zu entnehmen sein könnte. Es könnte ein primäres Leistungsrecht bestehen, das auf ein positives Handeln in Form des Hinweises gerichtet ist. Da keine der beiden genannten Grundrechtsfunktionen von vornherein als Grundlage eines strafprozessualen Vertrauensschutzes ausscheidet, müssen beide Kategorien subjektiver Rechte daraufhin genauer untersucht werden. Begonnen wird mit der Prüfung, ob ein grundrechtlicher Abwehranspruch den Schutz des Vertrauens im Strafverfahren begründen kann. Der Grund dafür liegt darin, daß den meisten Grundrechten primär eine Abwehrfunktion zukommt174. Die Lei168 Vgl. Alexy Grundrechte, S. 403; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 75 f.; Epping Grundrechte, Rn. 17 ff.; Sachs in: Sachs GG, Vor Art. 1 Rn. 46 ff. 169 Ein engerer Leistungsbegriff findet sich etwa bei Dreier in: Dreier GG, Vorb. Rn. 50; Bethge Grundrechtskollisionen, S. 224. 170 Vgl. auch Hermes Grundrecht auf Schutz, S. 118 ff.; Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 118. 171 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 698 f.; Alexy Grundrechte, S. 403 ff. 172 W. Roth Die Grundrechte Minderjähriger, S. 25; ders. Faktische Eingriffe, S. 75; Alexy Grundrechte, S. 405; Sachs in: ders. GG, Vor Art. 1 Rn. 46 ff.; ders. in: Stern StaatsR III / 1, S. 728; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 203; Epping Grundrechte, Rn. 17 f.; Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 118. 173 Vgl. die in der Einleitung genannten strafprozessualen Vertrauensschutzkonstellationen sowie 1. Teil I. 3. b). 174 BVerfGE 7, 198 (204): „Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“; Jarass / Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

stungsfunktion ist demgegenüber vor allem eine Ergänzung, die diesen Grundrechten als zusätzlicher Schutzgehalt entnommen wird175. Der Vorrang kommt aber weiterhin der Abwehrfunktion zu176. Droht einem Grundrechtsgut von staatlicher Seite eine Gefahr, vermittelt das Abwehrrecht dem Bürger den erforderlichen Schutz. Die Leistungsansprüche treten in anderen Gefährdungslagen ergänzend hinzu. Eine Ausnahme ergibt sich für diejenigen – wenigen177 – Grundrechte, denen ohnehin ein Leistungsgehalt zukommt, der also nicht nur das Abwehrrecht ergänzt. Weist ein solches Grundrecht sogar – wie dies hinsichtlich Art. 103 I GG teilweise vertreten wird178 – ausschließlich einen leistungsrechtlichen Charakter auf, so scheidet ein Abwehranspruch allerdings von vornherein aus.

1. Grundrechtlicher Abwehranspruch Eine Antwort darauf, ob ein grundrechtlicher Abwehranspruch des Beschuldigten in den strafprozessualen Vertrauenskonstellationen besteht, ist nur nach einer Betrachtung der Struktur dieses Anspruches möglich. Im Folgenden wird deshalb zunächst ein Überblick über dessen Voraussetzungen gegeben (a), bevor die Frage danach gestellt wird, welchem Grundrecht einer solcher Anspruch zu entnehmen sein könnte (b und c).

a) Überblick über die Voraussetzungen aa) Die Grundrechte dienen als Abwehrrechte der Abwehr von Eingriffen des Staates in Freiheit und Eigentum179. Dem Eingriffsbegriff kommt daher eine zentrale Bedeutung im Rahmen der Voraussetzungen des grundrechtlichen Abwehranspruches zu180. Nach dem sogenannten klassischen Eingriffsbegriff konnte nicht jede staatliche Maßnahme einen solchen Anspruch auslösen. Die Maßnahme mußte vielmehr verschiedene Anforderungen erfüllen, um als Grundrechtseingriff eingestuft werden zu können: So mußte sie auf eine Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzbereiches abzielen (Finalität), die Beeinträchtigung ohne ZwiRn. 2, 6; von Münch in: von Münch / Kunig GG, Vorb. Art 1 – 19 Rn. 16; Schwarz Vertrauensschutz, S. 262. 175 Jarass / Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 5 und 9; Krings Schutzansprüche, S. 142: „Unterstützung der originären und primären Abwehrfunktion durch die Schutzpflichten“; Dietlein Schutzpflichten, S. 87 f. 176 Isensee in: HStR V, § 111 Rn. 11: „Primat der Abwehrfunktion“; vgl. auch W. Roth Faktische Eingriffe, S. 409; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 242. 177 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 413 und 423. 178 Epping Grundrechte, Rn. 786; Sachs Grundrechte, S. 516. 179 Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 58; Bleckmann Grundrechte, § 11 Rn. 6. 180 Jarass / Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 24.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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schenursache unmittelbar herbeiführen (Unmittelbarkeit), einen Rechtsakt darstellen (Rechtsförmigkeit) und durch Befehl und Zwang auf den betroffenen Bürger einwirken (Imperativität)181. Heute ist man sich einig, daß der Grundrechtsschutz nicht auf den klassischen Eingriff beschränkt werden kann182. Entscheidend ist nicht mehr die staatliche Maßnahme an sich, sondern die durch sie hervorgerufene Wirkung für den Bürger183. Einen Eingriff kann daher auch staatliches Verhalten darstellen, welches unbeabsichtigt zu einer Beeinträchtigung führt, faktisch oder mittelbar in Grundrechte eingreift oder nicht den Charakter eines Ge- bzw. Verbots aufweist. Unter einem Eingriff läßt sich folglich allgemein die durch staatliches Verhalten zurechenbar herbeigeführte Beeinträchtigung des Schutzbereiches eines Grundrechts verstehen184. Keine Einigkeit herrscht allerdings hinsichtlich der Frage, wie dieser erweiterte Eingriffsbegriff seinerseits begrent werden kann, um ihm eine Kontur zu verleihen185. Beeinträchtigungen, denen Eingriffsqualität zukommt, lösen wiederum ein Rechtfertigungsbedürfnis aus186. Das staatliche Verhalten verletzt das Grundrecht, wenn es nicht Ausdruck von dessen Schranken und der Eingriff damit gerechtfertigt ist187. Anderenfalls besteht eine Duldungspflicht des betroffenen Bürgers188. Nur der nicht gerechtfertigte Eingriff führt also zu einem Abwehranspruch. Insofern ergibt bei der Frage nach einem Abwehranspruch also eine zweigeteilte Prüfung189. Auf der ersten Prüfungsstufe ist auf zwei Aspekte einzugehen: die Einschlägigkeit des Schutzbereichs und dessen Beeinträchtigung. Ist ein Eingriff des Staates in ein grundrechtliches Schutzgut festzustellen, liegt eine prima-facie-Position des betroffenen Grundrechtsträgers vor190. Dies ist eine grundrechtliche Ge181 Bleckmann Grundrechte, § 12 Rn. 34 ff.; Epping Grundrechte, Rn. 316; Dreier in: ders. GG, Vorb. Rn. 81. 182 Vgl. statt aller Isensee in: HStR V, § 111 Rn. 62 ff.; sind die Voraussetzungen des „klassischen“ Grundrechtseingriffs gegeben, ist aber auch heute noch ohne weiteres von einem Grundrechtseingriff auszugehen, Bleckmann Grundrechte, § 12 Rn. 40. 183 Bleckmann Grundrechte, § 12 Rn. 40; Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 128 und 155; Führ Eigen-Verantwortung, S. 299. 184 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 126; Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 240; Eckhoff Grundrechtseingriff, S. 271; Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 71; Lerche in: HStR V, § 121 Rn. 45: Staat wirkt in den Schutzbereich des Grundrechts beschränkend ein. 185 Dreier in: ders. GG, Vorb. Rn. 82; Sachs Grundrechte, S. 104; vgl. auch von Arnauld Freiheitsrechte, S. 94; vgl. die verschiedenen Ansätze zur Konturierung des erweiterten Eingriffsbegriffs nachstehend im Text. 186 Eckhoff Grundrechtseingriff, S. 9. 187 Bleckmann Grundrechte, § 12 Rn. 75. 188 Henke DÖV 1984, 1 (3 f.). 189 Zur zweigeteilten Grundrechtsprüfung siehe von Arnauld Freiheitsrechte, S. 91, der begründet, warum dies einem dreistufigen Prüfungsaufbau vorzuziehen ist, vgl. auch S. 90.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

währleistung ohne Berücksichtigung möglicher Schranken191. Gegen Eingriffe entfaltet der Schutzbereich eine prima-facie-Schutzwirkung, so daß der Eingriff zunächst als unzulässig angesehen werden muß192. Auf der zweiten Prüfungsstufe kommt als Ausnahme zu dieser Regel die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in Betracht193. Erst unter Berücksichtigung der wirksamen Beschränkung des Grundrechts ergibt sich der effektive Garantiebereich dieses Grundrechts, in dem Eingriffe zugleich eine Grundrechtsverletzung darstellen194. Dabei handelt es sich um die definitiven Positionen des betroffenen Grundrechtsträgers195. Die Ableitung eines Schutzes gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme aus den Grundrechten als Abwehrrechte setzt also voraus, daß das jeweilige staatliche Verhalten den Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts beeinträchtigt196 und diese Modifikation nicht Ausdruck der Schranken dieses Grundrechts ist197. bb) Auf die Erörterung eines solchen Schutzes kann sich die nachfolgende Untersuchung aber nicht beschränken. Der Grund dafür liegt darin, daß vorliegend auch noch eine andere staatliche Maßnahme einen grundrechtlichen Abwehranspruch auslösen könnte: die vertrauensschaffende Maßnahme. Dieser kommt zwar nach dem oben Gesagten198 große Bedeutung im Hinblick darauf zu, daß der Beschuldigte die grundrechtlich gebotene Stellung als Prozeßsubjekt einnehmen kann. Das Verhalten der Strafverfolgungsorgane kann daher im Dienste der Grundrechtsverwirklichung stehen. Gerade diese Relevanz für die Grundrechtsausübung durch den Beschuldigten läßt es aber als möglich erscheinen, daß vertrauensschaffende Maßnahmen, wenn sie einen bestimmten Inhalt aufweisen, auch zu einer Beeinträchtigung in Form einer Schmälerung der Subjektstellung führen können. Daß die Ankündigungen oder Einschätzungen der Strafverfolgungsorgane hinsichtlich der Sach-, Rechtsoder Verfahrenslage offenkundig keine imperativen Regelungen sind, die unmittelbar zu einer Beeinträchtigung des Beschuldigten führen, steht dem ja nicht entgegen. Angesichts des sogenannten erweiterten Eingriffsbegriffs erscheint es kei190 Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 24; von Arnauld Freiheitsrechte, S. 90; Alexy Grundrechte, S. 273; vgl. auch Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 25 f.; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 152. 191 Alexy Grundrechte, S. 273; Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 101. 192 von Arnauld Freiheitsrechte, S. 90 und 91. 193 Zum Regel-Ausnahme-Modell der Freiheitsgewähleistung als Grundlage einer jeden Rechtsordnung von Arnauld Freiheitsrechte, S. 16 f.; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 60. 194 Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 25 f.; Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 24 f. 195 Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 24 f. und 103; Alexy Grundrechte, S. 91 f. 196 Vgl. Muckel Kriterien, S. 36. 197 Blanke Vertrauensschutz, S. 51. 198 Siehe V. 3.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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nesfalls ausgeschlossen, daß durch das Hervorrufen von Vertrauen beim Beschuldigten in dessen Grundrechte eingegriffen wird. Vielmehr könnte es durchaus einen faktischen und mittelbaren Eingriff darstellen, wenn der Beschuldigte durch die Organe der Strafverfolgung zu einem Verhalten veranlaßt wird, das seiner prozessualen Situation schadet. Stellt aber bereits die vertrauensschaffende Maßnahme einen grundrechtswidrigen Eingriff dar, besteht ein Abwehranspruch des Beschuldigten, ohne daß es dafür auf die vertrauensenttäuschende Maßnahme ankommt. Der so vermittelte Schutz könnte möglicherweise sogar ein weiteres Schutzbedürfnis entfallen lassen. Der Abwehranspruch des Beschuldigten wäre dann also unabhängig vom Vorliegen einer Vertrauensenttäuschung und könnte unter Umständen einen weitergehenden Grundrechtsschutz begründen. Es muß daher sogar vorrangig geprüft werden, ob die Grundrechte nicht schon im Hinblick auf die erste staatliche Maßnahme den erforderlichen Schutz des Beschuldigten gewährleisten. Bei einer grundrechtlichen Fundierung des Vertrauensschutzes muß dieser Schutz daher umfassend sowohl als Schutz gegen die Enttäuschung als auch gegen die Schaffung von Vertrauen verstanden werden. cc) Beide Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane, die die jeweilige Vertrauensschutzkonstellation kennzeichnen199, können also möglicherweise zur Entstehung eines Abwehranspruches führen. Dies setzt nach dem oben Gesagten zunächst den Eintritt eines Erfolges in Gestalt einer Schutzbereichsbeeinträchtigung voraus, die die Grundlage eines jeden Eingriffes bildet200. Um die Bedingungen des Eintritts eines solchen Erfolges präzisieren zu können, ist erstens eine – allgemeine, d. h. nicht auf einzelne Grundrechte bezogene – Konkretisierung des Inhalts des Schutzbereichs der Grundrechte erforderlich und zweitens die Feststellung, unter welchen Voraussetzungen dieser Bereich beeinträchtigt wird. (1) Der Schutzbereich erstreckt sich auf alle Schutzgüter des jeweiligen Grundrechts201. Der Inhalt des Schutzbereichs der Grundrechte kann daher nur mittels einer Betrachtung ihres Schutzzwecks genauer bestimmt werden202. Dabei müssen die Grundrechte in einem engen Zusammenhang mit der Menschenwürde des Art. 1 I GG gesehen werden203. „Wesenstypisch“ für die Würde des Menschen ist nämlich seine Freiheit204, diese ist notwendige Bedingung der MenschenwürVgl. 1. Teil vor I. Vgl. auch Sachs Grundrechte, S. 104: eingetretene Störung eines grundrechtlichen Schutzgegenstandes. 201 Gemeint ist hier der sachliche im Unterschied zum personalen Schutzbereich, vgl. Jarass / Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 20 f. 202 Dazu und zum Folgenden ausführlich W. Roth Faktische Eingriffe, S. 67 ff., 111 ff., 161 ff. 203 Vgl. Di Fabio JZ 2004, 1 (6): Menschenwürde als Quelle der Grundrechte; Gallwas Faktische Beeinträchtigungen, S. 59: Art. 1 I GG als das maßgebende Motiv für die nachfolgenden Grundrechte. 204 Rzepka Fairness, S. 301 f. 199 200

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

de205. Die Würde verwirklicht sich in der Selbstbestimmung des Menschen als einem autonom handelnden Individuum206. Selbstbestimmung im Sinne der Gestaltung des eigenen Lebens nach eigenen Vorstellungen ist ohne Freiheit aber nicht denkbar207. Die Sicherung dieser zur Selbstverwirklichung des Menschen erforderlichen Freiheit ist gemeinsame Aufgabe aller Grundrechte208, wobei die einzelnen Grundrechte verschiedene Freiheiten schützen209. Ein bedeutsames Schutzgut der Grundrechte ist damit die Freiheit210, verstanden als „Chance zur Verwirklichung selbst gesetzter (autonomer) Ziele“211. Folglich fallen in den Schutzbereich eines Grundrechts alle menschlichen Verhaltensweisen, in denen die Ausübung der gerade von diesem Grundrecht gewährleisteten Freiheit zu erblicken ist212. Der Schutzbereich ist derjenige Ausschnitt der „Wirklichkeit“, der Gegenstand der Gewährleistung ist213. (2) Die Funktion der Abwehrrechte besteht in dem Schutz der vorhandenen „Ist-Freiheit“214 des Bürgers vor staatlichen Maßnahmen, die diese Freiheit beeinträchtigen, indem sie mindestens das Maß an Freiheit verringern. Wann eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, läßt sich nur beantworten, wenn feststeht, was „Freiheit“ in diesem Zusammenhang ausmacht. Die obige Definition legt zwei Elemente der Freiheit nahe: Zielsetzung (das Wollen) und Zielverwirklichung (das Können)215. Selbstbestimmung wird gekennzeichnet durch die autonome Entscheidung, in welcher Weise eine Gestaltung des eigenen Lebens erfolgen soll, und durch die Möglichkeit, dieses Gestaltungsvorhaben auch tatsächlich umsetzen zu können216. Eine Verringerung des Maßes an Freiheit liegt daher zum einen vor, wenn auf die Willensentschließung derart eingewirkt wird, daß eine Entscheidung des Individuums nicht mehr Ausdruck seiner Autonomie hinsichtlich der Zielsetzung ist, zum anderen wenn davon unabhängig die HandlungsAlexy Grundrechte, S. 321. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 68. 207 Rzepka Fairness, S. 302; vgl. auch Dreier in: Dreier GG, Vorb. Rn. 45. 208 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 70. 209 Stern in: HStR V, § 109 Rn. 42. 210 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 624: „Unter allen Schutzgegenständen der Abwehrrechte ist die Freiheit von größter Bedeutung, . . .“. Verkannt werden darf allerdings nicht, daß die Grundrechte daneben noch weitere Schutzgegenstände aufweisen, wie z. B. in Art. 2 II 1GG das Leben und die körperliche Unversehrheit, siehe dazu S. 643 ff.; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 13 f. 211 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 69. 212 Vgl. Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 199. 213 Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 310. 214 So die Bezeichnung durch W. Roth Faktische Eingriffe, S. 74. 215 Ausführlich W. Roth Faktische Eingriffe, S. 161 ff. 216 BVerfGE 65, 1 (42 f.): „Individuelle Selbstbestimmung setzt . . . voraus, daß dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten“. 205 206

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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fähigkeit des Individuums beschränkt wird, d. h. seine Chance zur Lebensgestaltung. Wird die menschliche Freiheit in dieser Weise beeinträchtigt, ist eine Beeinträchtigung des Grundrechtes festzustellen, dessen Schutzbereich diese Freiheit gewährleistet. Nun ist die Freiheitsbeeinträchtigung nach der obigen Definition aber nicht hinreichende Voraussetzung eines Eingriffes. Dieser setzt vielmehr voraus, daß die Beeinträchtigung des Schutzbereiches in zurechenbarer Weise durch die Handlung eines gemäß Art. 1 III GG grundrechtlich gebundenen staatlichen Organs herbeigeführt worden ist. Dies meint zunächst einmal jedenfalls die Ursächlichkeit des Staates für die Freiheitsbeeinträchtigung, erfordert also die Feststellung der Kausalität des staatlichen Handelns für die Grundrechtsbeeinträchtigung 217. Dazu bietet sich ein Rückgriff auf die im Strafrecht gebräuchliche Formel von der conditio sine qua non an218. Die Weite der conditio-Formel führt aber auch in der Grundrechtsdogmatik zu dem Erfordernis, begrenzende Kriterien zu entwickeln219. Als Eingriff des Staates in die Freiheit des Bürgers stellt sich eine Handlung daher erst dar, wenn der Erfolg dem Staat auch nach normativen Kriterien zuzurechnen ist220. Hinsichtlich der Frage, anhand welcher Kriterien eine Begrenzung der staatlichen Verantwortung erfolgen und dem erweiterten Eingriffsbegriff Kontur verliehen werden könnte, herrscht allerdings keine Einigkeit221. Insofern existiert eine Vielzahl verschiedener Ansätze. So wird teilweise versucht, anhand der Intensität eine Abgrenzung zwischen Eingriffen und unerheblichen Einwirkungen vorzunehmen222. Oftmals werden zur Begrenzung des erweiterten Eingriffsbegriffs auch einzelne Merkmale des „klassischen“ Eingriffs verwendet, wie Finalität223, Unmittelbarkeit224 oder die „zwangsgleiche“ bzw. „befehlsähnliche“ Wirkung der Maßnahme225. Auf der anderen Seite wurden aber auch Begrenzungskriterien entwickelt, die unabhängig von dem „klassischen“ Eingriff sind, insbesondere Anforderungen an das Handlungsunrecht des staatlichen Organs226, die Lehre vom Schutzzweck der Norm227 und eine – mit Haftungsbegrenzungen im Straf- und Zivilrecht verSachs Grundrechte, S. 104: „Mindestvoraussetzung“. Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 128 f.; Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 181. 219 Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 128 f. 220 Eckhoff Grundrechtseingriff, S. 271. 221 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 129 ff. zu den verschieden Eingrenzungen der staatlichen Verantwortlichkeit. 222 Jarass NVwZ 1984, 473 (476); Schoch DVBl. 1991, 667 (670); Eckhoff Grundrechtseingriff, S. 252 ff. 223 Friauf DVBl. 1971, 674 (681 f.); Lerche in: HStR V, § 121 Rn. 50. 224 Gronefeld Preisgabe und Ersatz, S. 98 ff.; Wagner NJW 1966, 569 (572 ff.). 225 Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 267 und 276; Köpp Normvermeidende Absprachen, S. 210; Führ Eigen-Verantwortung, S. 303 ff. 226 Olivet Handlungsunrechtslehre, passim; Kirchhof Mittelbares Einwirken, S. 88 ff. 217 218

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

gleichbare – objektive Zurechnung, die die Mitverursachung des Beeinträchtigungserfolges durch Dritte oder den Betroffenen selbst berücksichtigt228. (3) Ist der Staat in zurechenbarer Weise für eine Freiheitsbeeinträchtigung verantwortlich, so liegt ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in das betroffene Grundrecht vor. Dieser löst jedoch keinen Abwehranspruch des Bürgers aus, wenn er Ausdruck der Schranken des jeweiligen Grundrechts ist und daher eine Duldungspflicht des Bürgers besteht. Dies setzt zum einen voraus, daß der jeweilige Gesetzesvorbehalt des betroffenen Grundrechts Beachtung gefunden hat. Zum anderen muß der die Freiheit beeinträchtigende staatliche Akt sich innerhalb der ihm gesetzten Grenzen halten (sog. Schranken-Schranken)229. Dazu zählt vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem die grundrechtlich geschützte Freiheit des Bürgers nicht weiter beeinträchtigt werden darf, als es zur Erreichung eines zulässigen Zieles erforderlich und dem Grundrechtsträger zumutbar erscheint. Eine Rechtfertigung des Eingriffs scheidet allerdings von vornherein aus, wenn durch die staatliche Maßnahme der Wesensgehalt des Grundrechts im Sinne des Art. 19 II GG angetastet wird. Gelingt die Rechtfertigung nicht, hat der Bürger einen gegen die den Eingriff begründende staatliche Maßnahme gerichteten Abwehranspruch. Im folgenden soll nun erstens untersucht werden, welche Grundrechte in den Vertrauenskonstellationen Abwehransprüche des Beschuldigten begründen könnten. Es ist also festzustellen, welche Schutzbereiche in diesem Zusammenhang einschlägig sind. Außerdem wird zweitens aufzuzeigen sein, inwiefern die vertrauensschaffenden und vertrauensenttäuschenden Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane diese Schutzbereiche beeinträchtigen könnten. Die Möglichkeit eines solchen Eingriffes würde die Möglichkeit eines grundrechtlich fundierten, verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes im Strafverfahren eröffnen. Die Reichweite dieses Schutzes hinge dann von dem in den einzelnen Konstellationen festzustellenden tatsächlichen Vorliegen einer Beeinträchtigung sowie der jeweiligen Rechtfertigungsprüfung, insbesondere der Verhältnismäßigkeit des einzelnen Eingriffes, ab230. Nach den obigen Ausführungen, die den Blick auf die Grundrechte als Ursprung eines strafprozessualen Vertrauensschutzes gelenkt haben, läge es nun nahe, auf diejenigen Grundrechte abzustellen, die die Subjektstellung des Beschuldigten begründen. Es wird jedoch zunächst noch auf einen anderen grundrechtlichen Ansatz eingegangen, der sich in der Literatur im Zusammenhang mit der strafprozessualen Urteilsabsprache findet. 227 Ramsauer VerwArch 72 (1981), 89 ff.; Alexy Grundrechte, S. 277 f.; Schulte Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 96. 228 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 183 ff.; A. Roth Verwaltungshandeln, S. 226; Engel Staatliche Informationstätigkeit, S. 198. 229 Vgl. Bleckmann Grundrechte, § 11 Rn. 10: Jarass / Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 44. 230 Vgl. dazu unten 4. und 5. Teil.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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b) Abwehranspruch aus Art. 2 II 2 GG, Art. 2 I GG (Vermögen) und Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG (Ehr- und Achtungsanspruch) Kölbel hat im Zusammenhang mit der Frage nach der „Bindungswirkung von Strafmaßabsprachen“231 den Versuch unternommen, einen strafprozessualen Vertrauensschutz auf Grundrechtsgewährleistungen zu stützen. Kölbel kritisiert die Ableitung des Vertrauensschutzes aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und stuft statt dessen die Grundrechte als Grundlage eines solchen Schutzes ein232. Das Vertrauen des Beschuldigten auf die Absprache werde von denjenigen Grundrechten mitgeschützt, in die mit dem Urteil eingegriffen wird. Es sind dies zum einen bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe die Bewegungsfreiheit des Art. 2 II 2 GG sowie das über Art. 2 I GG geschützte Vermögen im Falle einer Geldstrafe. Zum anderen greift ein staatlicher Vorwurf, insbesondere aber der auf eine Straftatbegehung bezogene, stets in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG ein, weil mit der Erhebung eines Vorwurfes der Ehr- und Achtungsanspruch des Betroffenen beeinträchtigt wird233. Kölbel geht nun davon aus, daß die Intensität des mit dem Urteil verbundenen Eingriffs in diese Grundrechte mit der Nichteinhaltung der Absprache ansteigt. Die Erwartungswidrigkeit eines jeden Grundrechtseingriffs führe zu der Erhöhung von dessen Intensität234. Wenn aber auf der einen Seite die strafbedingte Eingriffsschwere ansteige, dann müßten auf der anderen Seite auch weitergehende Anforderungen an die Rechtfertigungsprüfung gestellt werden. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Urteils in Form von Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit müsse sich daher auch auf den Umstand der Erwartungswidrigkeit beziehen. Da insofern grundsätzlich keine Gründe für eine Rechtfertigung ersichtlich seien, müsse der Richter das „überraschungsbedingte Eingriffs-Plus“ vermeiden. Dies könne durch einen Hinweis auf die beabsichtigte Abweichung oder die Einhaltung der Absprache geschehen, wobei letzteres grundrechtsfreundlicher und daher vorzugswürdig sei235. Nun spricht das Gefühl tatsächlich für die Annahme, die Verhängung eines Urteils, dessen Inhalt aufgrund widersprüchlichen staatlichen Verhaltens überraschend ist, treffe diesen Angeklagten noch „härter“ als denjenigen, gegen den das gleiche Urteil ohne einen solchen Widerspruch verhängt wird. Ob dies aber die eben beschriebene grundrechtsdogmatische Einordnung ermöglicht, kann nur mit einem Blick auf die oben geschilderte Struktur des Abwehranspruches geklärt werden. Zweifellos erleichtert es die Suche nach einer verfassungsrechtlichen Grundlage des Vertrauensschutzes, wenn sich herausstellt, daß dafür auf einen ohnehin vorhandenen und insofern unbestrittenen Grundrechtseingriff – in Form des UrSo der Titel seines Aufsatzes, NStZ 2002, 74. Kölbel NStZ 2002, 74 (76). 233 Lagodny Strafrecht, S. 123 und 127; siehe dazu auch unten VI. 1. c) aa) (1) (c). 234 Kölbel NStZ 2002, 74 (76) unter Verweis auf entsprechende Konzeptionen im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vgl. dazu die Nachweise oben in Fn. 156. 235 Kölbel NStZ 2002, 74 (76 f.). 231 232

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

teils – zurückgegriffen werden kann. Dann müßte aber für die strafprozessualen Vertrauenskonstellationen auch der Nachweis dieser Prämisse gelingen, die ein Aufgehen der gesamten Vertrauensschutzproblematik in der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Folge hätte. Ein Eingriff erfordert nach den obigen Ausführungen die durch staatliches Verhalten in zurechenbarer Weise herbeigeführte Beeinträchtigung des Schutzbereiches eines Grundrechts236. Schutzbereichsbeeinträchtigung meint dabei die Beeinträchtigung der durch das jeweilige Grundrecht gewährleisteten Freiheit oder eines anderen Schutzgutes. Ein weitergehender Eingriff, ein Eingriff höherer Intensität237 setzt dann aber voraus, daß das jeweilige grundrechtliche Schutzgut durch den Staat in stärkerem Maße beeinträchtigt, der Grundrechtsträger also etwa in seiner Freiheit weitergehend eingeschränkt worden ist. Wenn im Zusammenhang mit absprachewidrigen Urteilen auf einen intensiveren Eingriff in diejenigen Grundrechte abgestellt wird, die ohnehin durch ein Strafurteil verkürzt werden, muß daher der Nachweis gelingen, daß z. B. die von Art. 2 II 2 GG geschützte Bewegungsfreiheit in diesem Fall stärker tangiert wird. Es ist aber nicht ersichtlich, warum z. B. die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren in die Bewegungsfreiheit in unterschiedlichem Maße eingreifen sollte, je nachdem, ob zuvor eine Strafobergrenze von vier Jahren angekündigt worden ist oder nicht. Die beeinträchtigende Wirkung für die Bewegungsfreiheit ist die gleiche, zumindest gründen Unterschiede nicht auf dem Umstand der Erwartungswidrigkeit des Urteils. Dies gilt ebenfalls für das Vermögen. Und der mit der Verurteilung verbundene Vorwurf beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht des Verurteilten in Form seines Achtungsanspruches auch nicht in stärkerem Maße, nur weil die konkrete Rechtsfolge nicht der Erwartung des Angeklagten entsprach238. Die Annahme, die Abweichung von einer Absprache intensiviere etwa die von einer Freiheitsstrafe ausgehende Beeinträchtigung des Grundrechtsträgers, bleibt also eine bloße Behauptung. Der den genannten Grundrechten nach herkömmlichen Verständnis zukommende Schutzbereich wird in keiner Weise zusätzlich tangiert239. Dann ist es aber nicht möglich, den Vertrauensschutz im Strafverfahren Siehe vorstehend unter a). Vgl. Kölbel NStZ 2002, 74 (76). 238 Dies gilt gerade, wenn man mit Lagodny Strafrecht, S. 98 ff., 115 ff. und 132 (auf den Kölbel verweist, NStZ 2002, 74, 76 Fn. 36) die allein durch den Vorwurf herbeigeführte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts von dem in der Verhängung besonderer Sanktionsmittel liegenden Grundrechtseingriff unterscheidet. Die Strafhöhe als solche ist dann von vornherein keine Frage der Intensität des Eingriffes durch den Vorwurf. 239 Eine zusätzliche Beeinträchtigung könnte allein begründet werden, indem man auf den Charakter der materiellen Grundrechte als Verfahrensgarantien abstellt, die eine effektive Durchsetzung des materiellen Rechts gewährleisten, vgl. dazu Bethge NJW 1982, 1; Denninger in: HStR V, § 113 Rn. 1 ff.; Schenke in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 431 (Zweitbearbeitung); BVerfGE 24, 367 (401); 52, 380 (389 f.); 53, 30 (65). Insofern könnte die „Überraschung“ nämlich eine eigenständige Beeinträchtigung darstellen. Diese Argumentation kommt vorliegend aber nicht in Betracht, da hier selbständige pro236 237

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als akzessorisch in dem Sinne zu begreifen, daß er nur bei der Rechtfertigung eines ohnehin gegebenen Eingriffes Relevanz erlangt. Dann bürdete man dem Staat eine „zusätzliche Rechtfertigungslast“240 auf, ohne daß ein entsprechendes Rechtfertigungsbedürfnis festgestellt worden wäre. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann nämlich nicht abstrakt, losgelöst von einem beeinträchtigten Freiheitsinteresse erfolgen241. Dies verbietet schon der systematische Standort dieses Prinzips als Schranke für das staatliche Handeln innerhalb der Rechtfertigungsprüfung („Schranken-Schranke“). Handelt es sich dabei um ein Gebot der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Bürgers und freiheitsbeschränkenden öffentlichen Interessen242, so muß zunächst einmal die weitergehende Freiheitsbeeinträchtigung dargelegt werden, die ein zusätzliches Rechtfertigungsbedürfnis begründen könnte. Mit Blick auf die materiellen Freiheiten, die durch das Urteil beeinträchtigt werden, gelingt dies nicht243. Zu erwähnen ist allerdings noch, daß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne, also bei der Abwägung des privaten und öffentlichen Interesses, durchaus die Beeinträchtigung von Interessen des Grundrechtsträgers Bedeutung erlangen kann, welche nicht von dem betroffenen Grundrecht geschützt werden. Als interessenverstärkender Abwägungsfaktor wird es nämlich anerkannt, wenn mit dem Eingriff zusätzlich noch weitere verfassungsmäßig anerkannte zessuale Garantien existieren, die einem Rückgriff auf die Verfahrensfunktion der materiellen Rechte entgegensteht, vgl. Mauder Anspruch auf rechtliches Gehör, S. 37 f.; Bethge NJW 1982, 1 (6 f.); D. Lorenz NJW 1977, 865 (870). 240 Kölbel NStZ 2002, 74 (76). 241 Degenhart Staatsrecht I, Rn. 390, warnt davor, das Verhältnismäßigkeitsgebot als bloße Billligkeitsklausel zu vestehen. Es müsse immer der Bezug zu der konkret betroffenen Rechtsposition deutlich werden. Ein Musterbeispiel für eine abstrakte Billigkeitsabwägung stellt die Hörfallen-Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen dar, vgl. BGHSt 42, 139 (155 ff.). 242 Maurer Allgemeines VerwR, § 10 Rn. 17. 243 In anderen Bereichen des öffentlichen Rechts ist demgegenüber eine Herleitung des Vertrauensschutzes in der beschriebenen Weise durchaus möglich, vgl. Möller / Rührmair NJW 1999, 908 ff. So schützt etwa das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG v. a. auch in der Vergangenheit begründete Rechtspositionen, einen vorhandenen Bestand an solchen Positionen, der durch den „Vergangenheitsbezug“ staatlicher Maßnahmen zu beeinträchtigt werden droht, Schmidt JuS 1973, 529 (532). Dieses Grundrecht ist weniger „zukunftsgerichtet“, Schmidt a. a. O. Das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 I GG schützt auch einen bestimmten Status des jeweiligen Grundrechtsträgers, vgl. dazu Preuß JA 1977, 313 (317). Deshalb kann derjenige, der von einer staatlichen Maßnahme nicht nur für die Zukunft, sondern „vergangenheitsbezogen“ getroffen wird, in stärkerem Maße beeinträchtigt sein. Die Bewegungsfreiheit und der persönliche Ehr- und Achtungsanspruch sind hingegen in besonders deutlicher Weise rein „zukunftsbezogen“. Der Angeklagte erwirbt hier keinen Bestand oder Status, der durch eine Maßnahme, der im Sinne der Abweichung von einer Ankündigung Vergangenheitsbezug zukommt, eingeschränkt werden könnte. Entscheidend ist vielmehr die in die Zukunft gerichtete schutzbereichsbeeinträchtigende Wirkung. Dies gilt im vorliegenden Zusammenhang auch für das bei einer Geldstrafe betroffene Vermögen, das bei einer erwartungswidrigen Verurteilung ebenfalls nicht in spezifischer Weise „vergangenheitsbezogen“ beeinträchtigt wird. 9 Graumann

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Werte beeinträchtigt werden, also eine Interessenhäufung stattfindet244. Deshalb ist nicht von vornherein auszuschließen, daß die Erwartungswidrigkeit eines Urteils eine Rolle spielt, soweit es um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die materiellen Grundrechte geht. Auch auf diese Weise kann der Vertrauensschutz aber nicht auf die materiellen Grundrechte gestützt werden. Voraussetzung ist ja, daß die Nichteinhaltung der Absprache ein anderes, verfassungsrechtlich relevantes Interesse des Angeklagten beeinträchtigt. Die Begründung einer solchen Beeinträchtigung ist also gerade nicht entbehrlich. Läßt sich aber eine Beeinträchtigung in Form eines Grundrechtseingriffs feststellen, der auf dem Abweichen von der Verständigung beruht, dann ist dieser Eingriff der vorrangige Anknüpfungspunkt für den Vertrauensschutz des Angeklagten. Der gegebenenfalls erforderliche grundrechtliche Schutz wird also über dieses Grundrecht gewährleistet, so daß für eine Berücksichtigung des Interesses bei den durch das Urteil betroffenen materiellen Grundrechten kein Bedürfnis besteht. Die Abweichung des Urteils von einer strafprozessualen Absprache müßte die Freiheit des Angeklagten also in spezifischer Weise einschränken. Anderenfalls handelte es sich bei einem eventuellen Interesse des Angeklagten, gerade nicht erwartungswidrig verurteilt zu werden, um ein (grund-)rechtlich irrelevantes Interesse, dessen Beeinträchtigung keinen Rechtfertigungszwang zur Folge hätte. Dann müßte sich das staatliche Verhalten, die Abweichung von der Absprache, auch nicht im Hinblick auf dieses Interesses an ihrer Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit messen lassen. Bei der Suche nach einem Anknüpfungspunkt für eine Freiheitsbeeinträchtigung, die gerade in dem Umstand der Abweichung von einer vorherigen Ankündigung liegt, hilft nur ein Blick auf das insofern tatsächlich tangierte Interesse des Angeklagten weiter, welches den Unterschied zu dem inhaltlich in gleicher Weise, aber nicht erwartungswidrig Verurteilten begründet. Der Angeklagte könnte aufgrund der Erwartungswidrigkeit in seinen Verteidigungsmöglichkeiten gegen das Urteil beeinträchtigt sein und damit in seiner Stellung als Prozeßsubjekt245. Wurde eine bestimmte andere Entscheidung erwartet, wurden unter Umständen Verteidigungsmöglichkeiten gar nicht in Betracht gezogen, deren Gebrauch im Hinblick auf das tatsächlich verhängte Urteil sinnvoll gewesen wäre. Betroffen ist also eventuell das Verteidigungsinteresse des Beschuldigten. Deshalb kommen nicht die durch das Urteil betroffenen materiellen Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes in Betracht. Vielmehr muß festgestellt werden, welche Grundrechte hinter diesen Verteidigungsinteressen bzw. der prozessualen Subjektstellung stehen und daher durch die Abweichung – oder sogar schon durch die Schaffung von Vertrauen246 – eine Einschränkung erfahren haben könnten.

244 245 246

Siehe 4. Teil III. 2. c) bb) (1). Siehe schon oben V. 3. Siehe oben VI. 1. a).

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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c) Abwehranspruch aufgrund einer Beeinträchtigung der prozessualen Subjektstellung Da die Subjektstellung des Beschuldigten in Verfahrensrechten Ausdruck findet247, ist zu untersuchen, welchen Grundrechten die in den Vertrauenskonstellationen möglicherweise tangierten Verfahrensrechte thematisch zuzuordnen sind, welche Freiheitsgewährleistung ihnen also jeweils zugrunde liegt. In den Schutzbereich dieser Grundrechte könnte durch die vertrauensschaffenden oder die vertrauensenttäuschenden Maßnahmen eingegriffen und damit die prozessuale Subjektstellung des Beschuldigten beeinträchtigt werden.

aa) Aussagefreiheit – Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG Ein erstes Verfahrensrecht, das in Vertrauenskonstellationen beeinträchtigt werden kann, stellt die Freiheit des Beschuldigten dar, sich zu dem Vorwurf zu äußern oder aber zu schweigen. Die Aussagefreiheit des Beschuldigten ergibt sich nicht aus der StPO selbst248. Sie wird jedoch in § 115 III 1, § 136 I 2 und § 243 IV 1 StPO vorausgesetzt, da hier eine entsprechende Belehrungspflicht des Richters normiert wird, die gemäß § 163a III 2 und IV 2 StPO auch bei Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei besteht. Vorliegend könnte dieses Recht des Beschuldigten, frei darüber zu entscheiden, ob er sich durch eine Aussage zur Sache verteidigen will oder nicht, in denjenigen Vertrauenskonstellationen beeinträchtigt werden, in denen die vertrauensschaffende Maßnahme zu einem Geständnis führt – insbesondere also im typischen Fall einer Urteilsabsprache249. Bei der Aussagefreiheit, also im allgemeinen Sinne der Freiheit über die Entscheidung, einem anderen das eigene Wissen mitzuteilen, handelt es sich in erster Linie um ein materielles Recht. Diesem Recht ist auch in einem Verfahren umfassend Rechnung zu tragen. Mit Blick auf die Bedeutung, die den Wissensmitteilungen des Angeklagten bezogen auf Gang und Ergebnis des Verfahrens zukommen kann, sowie die Tatsache, daß dadurch seine Verfahrensstellung in erheblichem Maße geprägt wird, erscheint es gerechtfertigt, die Aussagefreiheit trotz ihres genuin materiellen Charakters im Strafprozeß auch als Verfahrensrecht zu bezeichnen250. Sie wird zusammen mit der sonstigen Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare zugeordnet251. Diesem wird allgemein verfassungsrechtlicher Rang zugesprochen252. 247 Vgl. Fezer StrafprozeßR, 3 / 1; Rzepka Fairness, S. 320, 321 und 464; Rogall in: SKStPO, Vor § 133 Rn. 59. 248 Fezer StrafprozessR, 3 / 10. 249 Vgl. 1. Teil I. 1. 250 Vgl. Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 135: Die Selbstbelastungsfreiheit sei kein Verfahrensrecht, könne im Hinblick auf den Strafprozeß aber als Justizgrundrecht bezeichnet werden.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Der Aussagefreiheit wird grundrechtlicher Schutz jedenfalls über die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG zuteil. Ganz überwiegend wird – wie auch von dem Bundesverfassungsgericht seit dem Elfes-Urteil253 – jegliches menschliches Verhalten als vom Schutzbereich dieses Grundrechts erfaßt angesehen254. Geschützt wird also allgemein die Freiheit, autonom über das eigene Tun und Unterlassen entscheiden zu können. Darunter fällt auch die Entscheidung über eine Wissensmitteilung und folglich eine jede Aussage im Strafverfahren255. Eine stärkere Schutzwirkung würde allerdings das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermitteln256, das aufgrund des engen Bezuges zur Würde des Menschen aus Art. 2 I i. V. m. 1 I GG abgeleitet wird257 und den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre gewährleistet258. Da das Recht, eine Aussage verweigern zu können, für den Beschuldigten eine viel weitergehende Bedeutung hat als für den Zeugen, der in der Regel tatsächlich nur in seiner allgemeinen Verhaltensfreiheit betroffen ist, fragt sich, ob auch dieses Grundrecht einschlägig ist. Anknüpfungspunkt dafür ist, daß das Fehlen der Freiheit, selbst über eine Aussage entscheiden zu können, zu einer ungewollten Selbstbelastung des Beschuldigten führen kann, die eine über die Beeinträchtigung der Verhaltensfreiheit weit hinausgehende Gefahr für seine Persönlichkeit schafft. (1) Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts (a) Inhalt des Rechts Die Aussagefreiheit bzw. das Schweigerecht des Beschuldigten könnte dem Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung unterfallen, das eine Teilausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt259. Dieses Recht wurde vom Bundesverfassungsgericht erstmals im Urteil zum Volkszäh251 Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 66; LR-Rieß Einl. Abschn. I Rn. 88: Aussagefreiheit als Ausfluß und Bestandteil des weitergehenden nemo-tenetur-Grundsatzes. Zum nemotenetur-Grundsatz vgl. auch unten VI. 1. c) aa) (3) (a). 252 BVerfGE 56, 37 (43); LR-Rieß Einl. Abschn. I Rn. 88; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 132; Bosch nemo tenetur, S. 22 ff.; Nothhelfer Selbstbezichtigungszwang, S. 10 ff.; K. Groth Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 67 ff. 253 BVerfGE 6, 32. 254 Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 368; Dreier in: ders. GG, Art. 2 I Rn. 20; Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 13; Jarass / Pieroth GG, Art. 2 Rn. 3. 255 Vgl. Amelung Informationsbeherrschungsrechte, S. 34 f.; Rogall Der Beschuldigte, S. 137; Kühl JuS 1986, 115 (117); Bosch nemo tenetur, S. 46. 256 Sachs Grundrechte, S. 194. 257 Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 373. 258 BVerfGE 54, 148 (153). 259 Denninger KJ 1985, 215 (218).

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lungsgesetz anerkannt260, indem es die Befugnis des einzelnen postuliert, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“261 bzw. „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“262. Dies folge aus dem Gedanken der Selbstbestimmung. Individuelle Selbstbestimmung setze nämlich voraus, daß der Bürger überschauen könne, wer wann und bei welcher Gelegenheit Kenntnis von welchen ihn betreffenden Informationen hat263. Anderenfalls sei die freie Entfaltungsmöglichkeit in erheblichen Maße bedroht, weil die Unsicherheit das Verhalten wesentlich beeinflussen könne. Dies würde letztlich sogar die freiheitlich-demokratische Gesellschaft beeinträchtigen, da diese auf die Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit ihrer Bürger angewiesen sei264. Das Bundesverfassungsgericht folgert daraus, daß der einzelne gerade angesichts der Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung „gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten“ geschützt werden muß265. Daß es sich bei diesem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht um ein eigenständiges Grundrecht handelt, sondern um eine Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, macht das Bundesverfassungsgericht bereits im Volkszählungsurteil deutlich, wo es an seine vorangehende Rechtsprechung zu diesem Grundrecht anknüpft266. Dabei ist insbesondere das Recht auf Selbstdarstellung267 zu nennen, das wiederum spezielle Ausprägungen wie das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort erfahren hat268. Die freie Selbstdarstellung ermöglicht dem Bürger, sein Bild in der Umwelt, seine Rolle im Rahmen sozialer Kommunikation einer eigenen Definition zu unterziehen269. Dies steht in einem engen Zusammenhang mit der Entscheidungsmacht über diejenigen Informationen, die etwas über die betreffende Person aussagen, so daß das informationelle Selbst260 BVerfGE 65, 1 (41 ff.). In der Literatur findet sich der Begriff der informationellen Selbstbestimmung schon vor diesem Urteil, vgl. Steinmüller u. a. Grundfragen des Datenschutzes, S. 93. 261 BVerfGE 65, 1 (42); siehe auch BVerfGE 78, 77 (84); 80, 367 (373); 92, 191 (197); 96, 171 (181); 103, 21 (32 f.); 2 BvR 1841 / 00 vom 15. März 2001, Absatz-Nr. 29 (www.bverfg.de); 2 BvR 429 / 01 vom 20. Dezember 2001, Absatz-Nr. 15 (www.bverfg.de). Kritisch zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung u. a. Duttge NJW 1998, 1615 ff.; ders. JZ 1996, 556 (560); Diederichsen Jura 1997, 57 (59). 262 BVerfGE 65, 1 (43). 263 BVerfGE 65, 1 (43). 264 BVerfGE 65, 1 (43). 265 BVerfGE 65, 1 (43). 266 Vgl. BVerfGE 65, 1 (41 f.); siehe etwa auch Scholz / Pitschas Informationelle Selbstbestimmung, S. 23; Kim Informationelle Selbstbestimmung, S. 64. 267 BVerfGE 54, 148 (155); 63, 131 (142). 268 Vgl. Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 377. 269 Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 11; Steinmüller u. a. Grundfragen des Datenschutzes, S. 87 f.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

bestimmungsrecht auch als Fortschreibung des Selbstdarstellungsschutzes bezeichnet wird270. Darüber hinaus kann aber auch von einer Zusammenfassung aller Einzelverbürgungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesprochen werden, soweit diese Verbürgungen Informationen zum Inhalt haben271. Diese Rechte werden bezogen auf Informationseingriffe zu einem Unterfall der informationellen Selbstbestimmung272, so daß im Hinblick auf Grundrechtsbeschränkungen einheitliche Grundsätze anzuwenden sind273. (b) Persönliche Informationen des Beschuldigten Die Zuordnung der Aussagefreiheit des Beschuldigten zum Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung setzt voraus, daß sich diese Freiheit auf seine persönlichen Informationen bzw. Daten bezieht. Unter einer Information kann ungeachtet aller Definitionsprobleme die Wiedergabe oder Beschreibung eines Lebenssachverhaltes verstanden werden274. Ein Datum ist hingegen die durch Zeichen fixierte Information275. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht besteht unabhängig von der gegenständlichen Fixierung einer Information276, da die vom Bundesverfassungsgericht genannten Beeinträchtigungen der individuellen Selbstbestimmung nicht ausschließlich bei einer solchen Fixierung zu befürchten sind, sondern etwa auch bei der Fixierung im menschlichen Gehirn277. Daher kommt der begrifflichen Unterscheidung vorliegend keine Bedeutung zukommt278. Hier geht es um tatsächliche Geschehnisse, die möglicherweise zur Feststellung einer Straftatbegehung des aussagenden Beschuldigten führen können, und damit um die Wiedergabe von Lebenssachverhalten. Das gesamte Strafverfahren läßt sich als Informations- oder Datenverarbeitungsprozeß begreifen, da es mit der Erforschung eines Sachverhalts stets die Erhebung und Verwertung von Informationen voraussetzt279. Auch könnte man inso270 Di Fabio in: Maunz / Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173; vgl. auch Podlech in: AK-GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 14; Scholz / Pitschas Informationelle Selbstbestimmung, S. 25; Epping Grundrechte, Rn. 534; Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 185; Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 11; R.Groth Verdeckte Ermittlung, S. 26 f.; Ernst Informationen im Strafprozeß, S. 60. 271 Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 2 Rn. 38; Murswiek in: Sachs GG, Art. 2 Rn. 73. 272 Vgl. R. Groth Verdeckte Ermittlung, S. 17 f. 273 Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 2 Rn. 38; Murswiek in: Sachs GG, Art. 2 Rn. 73. 274 Vgl. Steinmüller u. a. Grundfragen des Datenschutzes, S. 42; Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 5; Amelung Informationsbeherrschungsrechte, S. 11; siehe auch BVerfGE 65, 1 (42): Offenbarung von Lebenssachverhalten. Ausführlich zum Begriff der Information Albers Informationelle Selbstbestimmung, S. 87 ff. 275 Steinmüller u. a. Grundfragen des Datenschutzes, S. 43. 276 Vgl. aber auch Kunig Jura 1993, 595 (599). 277 Vgl. Amelung Informationsbeherrschungsrechte, S. 12. 278 Vgl. auch Di Fabio in: Maunz / Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 175: „bedeutungsgleich“.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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fern den Begriff des Beweises durch den der Information ersetzen280. Besonders deutlich wird dies bei der von Amelung begründeten Lehre von den Informationsbeherrschungsrechten281. Dieser Ansatz stützt die unselbständigen Beweisverwertungsverbote, die Folge eines Verstoßes gegen eine Beweiserhebungsnorm sind282, auf Grundrechte, die ihrem Träger die Beherrschung bestimmter Informationen ermöglichen und durch den Verfahrensverstoß verletzt werden. Im Vordergrund steht dabei allerdings nicht das allgemeine Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern die Herleitung aus speziellen Grundrechten wie Art. 13 GG und Art. 2 II 1 GG. Bei einer Verletzung des informationellen Gewährleistungsgehalt der Grundrechte durch die Beweiserhebung komme dem Beschuldigten ein Folgenbeseitigungsanspruch zu, der auf die Unverwertbarkeit der rechtswidrig erlangten Information gerichtet sei. Wenn der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vom Vorliegen persönlicher Informationen bzw. Daten abhängig gemacht wird, wird damit auf den Begriff der Personenbezogenheit in § 3 I BDSG Bezug genommen283. Danach muß es sich um Angaben über die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person handeln. Die Sachverhaltsbeschreibung muß also etwas über eine bestimmte Person aussagen oder zumindest geeignet sein, einen Bezug zu ihr herzustellen284. Angaben, die die Begehung einer Straftat belegen, erfüllen diese Anforderung, so daß die in der Aussage des Beschuldigten enthaltenen Informationen personenbezogener Art sind285. Aus diesem Grund wird in der Literatur häufig insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz von Verdeckten Ermittlern oder V-Leuten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für einschlägig erachtet, wenn von Beschuldigten oder auch zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen Informationen erlangt werden286. Das Bundesverfassungsgericht sieht ebenfalls Informationen, die zu einer Selbstbelastung führen, als vom Schutzbereich erfaßt an287. 279 Riepl Informationelle Selbstbestimmung, S. 1; Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 53; Schmitz Rechtliche Probleme, S. 3; für das Verwaltungsverfahren Eberle GS Martens, S. 351 (357 f.) 280 Amelung Informationbeherrschungsrechte, S. 11; Müssig GA 2004, 87 (95): strafprozessuales Beweisrecht als Informationsordnung. 281 Grundlegend Amelung Informationsbeherrschungsrechte, passim; vgl. auch dens. FS Bemmann, S. 505 ff.; dens. FS Roxin, S. 1259 ff.; Störmer Verwertungsverbote, passim. 282 Vgl. zur Terminologie Küpper JZ 1990, 416 f.; HK-Julius § 261 Rn. 10 f.; Janicki Beweisverbote, S. 61 und 146. 283 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42). 284 Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 5; Stumper DNA-Analysen, S. 76 f. 285 Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 80; Schmitz Rechtliche Probleme, S. 3; Schlauri Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 80. 286 Meurer FS Roxin, S. 1281 (1292); Ellbogen Verdeckte Ermittlungstätigkeit, S. 68 ff.; Gaede StV 2003, 260 (262); Eschelbach StV 2000, 390 (393); Erfurth Verdeckte Ermittlun-

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

(c) Persönlichkeitsbezug der Informationen Es stellt sich allerdings die Frage, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht über die informationelle Selbstbestimmung den Bürger tatsächlich umfassend vor jeglichem staatlichen Umgang mit personenbezogenen Informationen schützt. Dies gilt insbesondere angesichts der Weite dieses Begriffes, der den Schutzbereich konstituieren soll288. Gerade unter Berufung auf das Volkszählungsurteil wird von der sogenannten Eingriffstheorie aber jede Einschränkung des Schutzes abgelehnt, was einen sogenannten informationellen Totalvorbehalt zur Folge hat289. Dabei finden sich auch in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Anhaltspunkte für eine Relativierung des informationellen Selbstbestimmungsrechts. Dem einzelnen wird darin keine absolute Herrschaft über „seine“ Informationen zugestanden, die als Abbild der Realität nicht ihm allein zugeordnet werden können290. Allerdings sind die Aussagen insofern nicht eindeutig291, sie könnten sich auch allein auf die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen beziehen. Für eine Einschränkung des Schutzbereiches spricht aber die Verankerung des informationellen Selbstbestimmungsrechts im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dieses soll ja nur die engere Persönlichkeitssphäre schützen292, wie vor allem der besondere Bezug zur Menschenwürde in Art. 1 I GG deutlich macht. Wird dieser Bezug nicht berücksichtigt, sind etwa die Grenzen der informationellen Selbstbestimmung zur allgemeinen Handlungsfreiheit kaum noch auszumachen. Wenn das informationelle Selbstbestimmungsrecht wie schon erwähnt in einen engen Zusammenhang mit den übrigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestellt wird293, insbesondere bezogen auf das Recht auf Selbstdarstellung, so macht auch dies deutlich, daß sich die Schutzbereichsausgestaltung an den übrigen Persönlichkeitsaspekten orientieren muß. Die informationelle Selbstbestimmung ist ein Teilinhalt dieser Rechte, indem sie in deren Vorfeld Gefährdungen abwehrt, die im Zusammenhang mit Informationsverarbeitung entstehen294. Entscheidend für das Eingreifen dieses Rechts ist also, ob die jeweilige informationelle Maßnahme des Staates tatsächlich geeignet ist, Ausprägungen des allgemeigen, S. 48 f.; Derksen JR 1997, 167 (169 f.); Weiler GA 1996, 101 (106); Fezer JZ 1995, 972; Lilie / Rudolph NStZ 1995, 514 (515); Strate AnwBl. 1986, 309 (311). 287 BVerfGE 96, 171 (181); so auch Di Fabio in: Maunz / Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 187; Jarass NJW 1989, 857 (859). 288 Vgl. Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 193. 289 Grundlegend zu der extensiven Auffassung Schwan VerwArch 66 (1975), 120 ff.; vgl. zur Kritik Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 182 f.; Schmitz Rechtliche Probleme, S. 30; Rogall JZ 1987, 847 (851). 290 BVerfGE 65, 1 (43 f.). 291 Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 181. 292 Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 77. 293 So auch schon im Volkszählungsurteil, vgl. BVerfGE 65, 1 (41 f.). 294 Vgl. Rogall Informationseingriff, S. 57 f.; Ernst Informationen im Strafprozeß, S. 59 ff.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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nen Persönlichkeitsrechts zu beeinträchtigen 295. Zu beachten ist allerdings, daß dabei nicht auf die Figur des Grundrechtsgefährdung zurückgegriffen werden muß, um einen Eingriff feststellen zu können296. Die Reichweite des Schutzbereiches hängt zwar von einer Gefahrenlage ab, dieser Schutzbereich wird aber dann gegebenenfalls tatsächlich beeinträchtigt297. Auch das Bundesverfassungsgericht differenziert zwischen den Gefahren für die Selbstbestimmung des Bürgers und der daraus folgenden Befugnis zur freien Verfügung über persönliche Informationen, die ebenfalls Teil der Selbstbestimmung ist und durch Informationseingriffe beschränkt werden kann298. Man könnte insofern auch von einem doppelten Grundrechtsbezug des Schutzes sprechen299. Für die nähere Bestimmung, ob der Umgang mit Informationen persönlichkeitsrelevant ist, können die Anhaltspunkte für eine Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil herangezogen werden. Danach ist nicht allein die Art der Information entscheidend, sondern vor allem ihre Nutzbarkeit und die insofern bestehenden Verwendungsmöglichkeiten300. Das Grundrecht ist also primär verarbeitungsorientiert301. Zu weit geht es aber, wenn dem Informationsinhalt gar keine eingenständige Bedeutung zugemessen wird, da eben nur „nicht allein“ auf ihn abgestellt werden kann302. Auch weiterhin kann sich aus der Art einer Information selbst die besondere Relevanz für die Persönlichkeit des Betroffenen und den daran anknüpfenden Schutz ergeben. Der Gedanke der informationellen Selbstbestimmung besagt nur, daß es keine von vornherein „belanglosen“ Daten mehr gibt303. Den Angaben des Beschuldigten kommt unter Beachtung dieser Vorgaben sogar in zweierlei Hinsicht die erforderliche persönlichkeitsrechtliche Bedeutung zu, um sie dem Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts auch bei einem engen Verständnis zuordnen zu können. Die Verwendungsmöglichkeit der in der Aussage enthaltenen Informationen besteht in deren Verwertung im Urteil. Weiter oben wurde schon erwähnt, daß die strafrechtliche Verurteilung den aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden Ehr- und Achtungsanspruch des 295 Vgl. Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 189, die auf die reale Gefährdung grundrechtlich garantierter Freiheiten als einschränkendes Kriterium abstellt. 296 So aber Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 27; Perschke Die Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 84; Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 190. 297 R. Groth Verdeckte Ermittlung, S. 25. 298 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42). 299 Sánchez Informationelle Selbstbestimmung, S. 78. 300 BVerfGE 65, 1 (45); ähnlich Rogall GA 1985, 1 (13 f.); ders. JZ 1987, 847 (851): Art der Information und Art ihrer Verarbeitung. 301 Riepl Informationelle Selbstbestimmung, S. 8; Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 84; Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 28; Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 12. 302 Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 58. 303 Vgl. BVerfGE 65, 1 (45).

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Betroffenen tangiert, der diesem schon kraft seines Person-Seins zukommt304. Der Grund dafür wird durch den Charakter des strafrechtlichen Vorwurfes besonders deutlich. Über den Täter wird mit der Verhängung von Strafe ein sozialethisches Unwerturteil ausgesprochen. Er wird persönlich für ein in solchem Maße sozialschädliches Verhalten verantwortlich gemacht, daß Strafe als ultima ratio staatlicher Reaktionsmöglichkeiten geboten erscheint. Ein solcher Vorwurf vor der Gesellschaft kann für des Leben des Angeklagten in der Gesellschaft weitreichende Folgen haben305, sein sozialer Geltungsanspruch wird erheblich berührt. Ein verurteilter Straftäter kann im Hinblick auf die festgestellte Staftatbegehung nicht selbst darüber bestimmen, wie die eigene Person gegenüber der Öffentlichkeit dargestellt werden soll, so daß die Freiheit der Selbstdarstellung angesichts der Gewichtigkeit des Vorwurfes erheblich beeinträchtigt wird. Dies gilt aber nicht allein für das auf der staatlichen Informationsverarbeitung beruhende Urteil, sondern auch schon für die durch einen Eingriff hervorgerufene Selbstbelastung. Die fremdbestimmte Selbstbezichtigung tangiert das Persönlichkeitsrecht in besonderem Maße, weil hier die Bestätigung des achtungsmindernden Vorwurfes und damit die Erzeugung eines entsprechenden Bildes bei der Öffentlichkeit durch den Betroffenen selbst erfolgt. Das Eingeständnis des Beschuldigten, eine Straftat begangen zu haben, weist daher einen engen Persönlichkeitsbezug auf306 und das Recht, nicht durch einen Eingriff zu einem Geständnis veranlaßt zu werden, wird von der Freiheit der Selbstdarstellung erfaßt307. Sowohl die Art als auch die Verwendung der Information begründen also weitreichende Gefahren für die Persönlichkeit des Beschuldigten. Somit unterfällt seine umfassende Befugnis, eigenverantwortlich über eine selbstbelastende Aussage und damit auch das Recht zu schweigen zu entscheiden, dem informationellen Lagodny Strafrecht, S. 122, vgl. oben VI. 1. b). Siehe Lagodny Strafrecht, S. 123. 306 Renzikowski JZ 1997, 710 (714). 307 Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 377; Murswiek in: Sachs GG, Art. 2 Rn. 71. Die so begründete persönlichkeitsbezogene Bedeutung der Information und ihrer Nutzung könnte allerdings in Frage gestellt werden, wenn der Gegenstand der Selbstbezichtigung offenkundig ist, vgl. Bosch nemo tenetur, S. 55. Laut Rogall – in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 138 – zeigt das auch in diesem Fall Geltung beanspruchende Verbot des Selbstbelastungszwanges, daß dabei nicht an den Schutz der Information angeknüpft wird und das Verbot daher nicht mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht in Zusammenhang gebracht werden kann. Tatsächlich kommt der vom Beschuldigten selbst preisgegebenen Information für das sozialethische Unwerturteil der Öffentlichkeit dann keine Bedeutung mehr zu. Indes ist ein hinreichender Schutz auch möglich, wenn man aus diesem Grund die Einschlägigkeit der informationellen Selbstbestimmung ablehnen sollte. Die erzwungene Selbstbelastung beeinträchtigt nämlich jedenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit. Dieser Eingriff ist aber nicht erforderlich und damit verfassungswidrig, wenn der Aussage des Beschuldigten angesichts der Beweislage ohnehin keine Relevanz zukommt, so daß man dieses Verbot noch nicht einmal dem unantastbaren Kernbereich zuordnen müßte, um die Verfassungswidrigkeit des Vorgehens zu begründen. Dazu, daß das Verbot des Selbstbelastungszwangs aber ohnehin noch einer weiteren Begründung bedarf, vgl. unten VI. 1. c) aa) (3) (a). 304 305

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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Selbstbestimmungsrecht308. Zu fragen ist nun nach der Möglichkeit einer Beeinträchtigung dieses Rechts durch vertrauensschaffende oder -enttäuschende Maßnahmen im Strafprozeß. (2) Schutzbereichsbeeinträchtigung Informationsverarbeitung zeichnet sich durch verschiedene Phasen aus309. In jeder Phase kann der jeweilige Umgang des Staates mit der personenbezogenen Information zu einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führen. Insofern lassen sich die Informationserhebung, -speicherung, -verwendung und die Weitergabe von Daten unterscheiden310. Vorliegend kommt eine Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts durch die Erhebung und Verwendung von Informationen im Zusammenhang mit strafprozessualen Absprachen in Betracht. (a) Informationserhebung Den Anknüpfungspunkt für einen möglichen Eingriff im Rahmen der Informationerhebung bildet die vertrauensschaffende Maßnahme, d. h. die Absprache, in deren Rahmen das Gericht dem Angeklagten ein bestimmtes Strafmaß, eine Strafobergrenze etc. in Aussicht stellt. Dabei ist zunächst zu erwähnen, daß einem solchen Eingriff weder entgegensteht, daß es sich nicht um eine Erhebung zu Zwekken der automatischen Datenverarbeitung handelt311 noch daß keine rechtliche Verpflichtung zu einer Preisgabe der Informationen besteht312. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht soll dem einzelnen die Kontrolle über seine Daten garantieren313 und deren Integrität schützen314. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil die besonderen Gefahren der modernen Datenverarbeitung für den drohenden „gläsernen Menschen“ herausgestellt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellt aber kein spezifisches Grundrecht auf Daten308 Vgl. Nothhelfer, Selbstbezichtigungszwang, S. 82 f.; Wolter in: SK-StPO § 163a Rn. 44; Renzikowski JZ 1997, 710 (714); Fezer JZ 1995, 972; K. Groth Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 69. 309 Schmitz Rechtliche Probleme, S. 20. 310 BVerfGE 65, 1 (43). 311 Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 26; Weichert Informationelle Selbstbestimmgung, S. 28; Makrutzki Verdeckte Ermittlungen, S. 100; Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 55. 312 Vgl. zum fehlenden Erfordernis einer zwangsweisen Erhebung Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 56; Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 25; Schmitz Rechtliche Probleme, S. 32 f.; Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 26 f.; Weßlau Vorfeldermittlungen, S. 168. 313 Epping Grundrechte, Rn. 535. 314 Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck Komm. z. Bonner GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 108.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

schutz dar315. Der Verlust der Beherrschung der eigenen persönlichen Informationen und damit verbunden Gefahren für die Persönlichkeitsentfaltung drohen unabhängig davon, auf welche Weise die Erhebung und Verarbeitung der Informationen erfolgt316. (aa) Erhebung als Beeinträchtigung oder Ausdruck der Willensentschließungsfreiheit Die Erhebung von Informationen meint deren Beschaffung durch den Staat317. Ein Verhalten des Gerichts, das im Rahmen der Beschaffung der Informationen für eine mögliche Grundrechtsbeeinträchtigung kausal geworden sein könnte, ist mit der Absprache gegeben. Mit der Strafmaßankündigung wird ein entsprechendes Vertrauen in Form einer Möglichkeitsvorstellung318 beim Angeklagten hervorgerufen. Dieses Vertrauen führt dann auch zu der Ablegung des Geständnisses und damit zu der Preisgabe der Informationen. Dabei könnte im Sinne der obigen Terminologie die Zielsetzungsmöglichkeit 319, mit anderen Worten: die Willensentschließungsfreiheit, als ein Aspekt der Selbstbestimmung über die Informationspreisgabe beeinträchtigt werden320. Fraglich ist jedoch, wie sich die Beteiligung des Angeklagten selbst an dem Informationserhebungsvorgang auswirkt. Obwohl eine rechtliche Verpflichtung zur Informationspreisgabe eben nicht erforderlich ist, damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Schutzwirkungen entfalten kann, entfällt aber immerhin die Möglichkeit, unproblematisch einen klassischen Eingriff feststellen zu können321. Hier kommt nur ein über das Verhalten des Betroffenen vermittelter Eingriff faktischer Art in Betracht. Der Angeklagte legt das Geständnis jedenfalls ohne rechtlichen Zwang ab, so daß die erfolgte Informationserhebung auch gerade Ausdruck seiner Willensentschließung sein könnte. In der Grundrechtsdogmatik herrscht keinesfalls Einigkeit darüber, welche Bedeutung dem zustimmenden Willen des Betroffenen im Rahmen der Prüfung eines Abwehranspruches zukommt. Die willentliche Beteiligung des Grundrechtsträgers an dem Vorgang, der möglicherweise einen Eingriff darstellt, wird verschiedenen Vgl. Scholz / Pitschas Informationelle Selbstbestimmung, S. 23. BVerfGE 78, 77 (84); siehe auch Dreier in: Dreier GG, Art. 2 I Rn. 52; Murswiek in: Sachs GG, Art. 2 Rn. 73; Schmitz Rechtliche Probleme, S. 27; R. Groth Verdeckte Ermittlung, S. 19; Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 55. 317 Vgl. § 3 III BDSG. 318 Siehe zum Vertrauensbegriff oben 2. Teil III. 319 Siehe dazu oben VI. 1. a). 320 Gleichzeitig würde auch die Zielverwirklichungsmöglichkeit tangiert werden, da mit der Einschränkung des Wollens eine solche des Könnens einherginge. 321 Siehe dazu oben VI. 1. a). 315 316

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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Begriffen zugeordnet. Genannt werden insofern vor allem der Grundrechtsverzicht322 oder die Einwilligung323 des Grundrechtsträgers und die Möglichkeit der Grundrechtsausübung durch den Betroffenen324, die auch in einem negativen Gebrauchmachen zu sehen sein kann325. Der Grundrechtsverzicht zeichnet sich dadurch aus, daß die Willensäußerung des Grundrechtsträgers zu einer Verringerung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen führt, weil auf die Geltendmachung des Grundrechtsschutzes – z. B. in Form eines Abwehranspruches326 – verzichtet wird327. Der Bürger stimmt damit also einer Beeinträchtigung eines grundrechtlichen Schutzgutes zu328, insbesondere einer Verkürzung seiner Freiheit durch den Staat329. So verstanden330 besteht aber kein sachlicher Unterschied zu einer Einwilligung, mit der die Hinnahme der Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes durch einen anderen331 erklärt wird332. Während Zulässigkeit und Rechtsfolgen einer solchen Zustimmung des Grundrechtsträgers umstritten sind, ist die Beurteilung unproblematisch, sofern es sich bei der Willensäußerung um eine bloße Grundrechtsausübung handelt. Diese läßt sich von dem Grundrechtsverzicht dadurch unterscheiden, daß dabei allein von der grundrechtlichen Gewährleistung Gebrauch gemacht wird333. Das Verhalten des Bürgers ist dann Ausdruck der gewährleisteten Freiheit, ohne daß es zu einer Beeinträchtigung von Schutzgütern kommt. Aus diesem Grunde kommt auch von vornherein kein Abwehranspruch in Betracht, auf dessen Geltendmachung verzich322 Stern in: ders. StaatsR III / 2, S. 887 ff.; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 92 ff.; Eppelt Grundrechtsverzicht, passim; Spieß Grundrechtsverzicht, passim; Malacrida Grundrechtsverzicht, passim; Koch Grundrechtsschutz, S. 126 ff. 323 Amelung Einwilligung, passim; Bethge VVDStRL 57 (1998), 7 (44); Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 260. 324 Geiger NVwZ 1989, 35 (37); Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 110. 325 Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 261. 326 Eppelt Grundrechtsverzicht, S. 59. 327 Stern in: ders. StaatsR III / 2, S. 906; Spieß Grundrechtsverzicht, S. 51: Der Wille sei darauf gerichtet, über eine Einschränkung des Grundrechtsschutzes den Handlungsspielraum des Staates zu erweitern. 328 Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 97; Vgl. auch Frenz Selbstverpflichtungen, S. 180. 329 Koch Grundrechtsschutz, S. 134 ff. 330 Vgl. aber etwa Starck in: von Mangoldt / Starck / Klein GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 261, der nur auf den – unzulässigen – Totalverzicht eines Grundrechts abstellt; vgl. auch Amelung Einwilligung, S. 15 und 19 ff. 331 Zum Begriff Amelung Einwilligung, S. 15. 332 Eppelt Grundrechtsverzicht, S. 33, 230: Fall des Grundrechtsverzichts; Stern in: ders. StaatsR III / 2, S. 905 f.: Grundrechtsverzicht sei der plastischere und zudem eingebürgerte Begriff. 333 Geiger NVwZ 1989, 35 (37); Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 110; vgl. aber J. Ipsen JZ 1997, 473 (476): Der verbreitete Sprachgebrauch bezüglich „Grundrechtsausübung, -gebrauch“ sei verfehlt, da Freiheitsgebrauch nicht gleichbedeutend mit Gebrauch des Freiheitsrechts sei.

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tet werden könnte334. Die Zulässigkeit dieser Willensäußerung ergibt sich aus ihrer Zuordnung zum grundrechtlichen Schutzbereich, mangels einer Grundrechtsbeeinträchtigung scheidet ein Eingriff aus, auch wenn das Verhalten des Bürgers durch eine staatliche Maßnahme veranlaßt wurde. Vorliegend geht es um die Mitwirkung des Angeklagten bei der Informationserhebung. Die Preisgabe der Informationen erfolgt durch sein eigenes Verhalten. Eine solche Bestimmung wird aber von dem Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts gerade gewährleistet335. Dieses ermöglicht dem Grundrechtsträger eine Selbstdarstellung nicht nur durch das Recht, Informationen zurückzuhalten, sondern auch in Form der positiven Gewährleistung, anderen nach eigenem Willen persönliche Informationen mitteilen zu können. Somit kann es sich bei der Preisgabe im Rahmen der Aussage um eine Grundrechtsausübung im eben beschriebenen Sinne handeln336. Dies stünde einem Eingriff entgegen, setzt aber voraus, daß der Angeklagte dabei tatsächlich unbeeinträchtigt von seiner Freiheit Gebrauch macht. (bb) Standort im Rahmen der Eingriffsprüfung Es fragt sich, bei welcher der oben beschriebenen Voraussetzungen des Eingriffes im Rahmen der Prüfung eines Abwehranspruches337 eine solche Grundrechtsausübung einzuordnen ist. Der Eingriff zeichnet sich nach dem Gesagten durch einen Erfolg sowie eine Verbindung zwischen dem Erfolg und einer staatlichen Maßnahme aus, welche über Kausalität und objektive Zurechnung hergestellt wird. Es wurde schon angedeutet, daß der objektiven Zurechnung, die anhand normativer Kriterien zu beurteilen ist, das eigenverantwortliche Handeln des Grundrechtsträgers als Selbstschädigung entgegenstehen kann338. Als Grund dafür wird angeführt, ein staatlicher Eingriff liege nur vor, wenn in der hervorgerufenen Freiheitsbeeinträchtigung bei normativer Betrachtung die Verwirklichung einer staatlich geschaffenen Gefahr gesehen werden kann339. Dies führt zur Ablehnung eines Eingriffes in Fällen, in denen das Geschehen allein in der Verantwortung des Bürger liegt340. Wertungsmäßig hat sich dann eine von dem 334 Auch insofern ist eine Einwilligung denkbar. Dies setzt voraus, daß das Verhalten des Dritten, auf das sich die Zustimmung bezieht, das Grundrechtsgut nicht beeinträchtigt, sondern von ihm erfaßt wird, wie etwa bei der Einwilligung in die Verarbeitung oder Weitergabe persönlicher Informationen, vgl. Geiger NVwZ 1989, 35 (37). 335 BVerfGE 65, 1 (43). 336 Vgl. Geiger NVwZ 1989, 35 (37); vgl. aber auch Siolek Verständigung, S. 138: Grundrechtsverzicht bezüglich Schweigerecht bei strafprozessualer Absprache. 337 Siehe VI. 1. a). 338 Siehe VI. 1. a). 339 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 131 f. 340 Vgl. auch F. Meyer Willensmängel, S. 25 f., 29 ff., 101 ff., der die Beachtlichkeit eines Willensmangels des Angeklagten beim Rechtsmittelverzicht über die Abgrenzung von Ver-

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Dispositionsbefugten eigenverantwortlich begründete Gefahr in dem Erfolg niedergeschlagen, so daß das staatliche Organ keine Verantwortung für die Verwirklichung trägt. Den Grund dafür, daß dieser Aspekt nicht erst bei der Frage nach der Rechtfertigung einer Freiheitsbeeinträchtigung des Bürgers, sondern bereits im Rahmen des Eingriffs berücksichtigt wird, stellt der Schutzzweck der Abwehrrechte dar. Diese dienen dem Schutz der Freiheit vor staatlicher Beeinträchtigung, nicht dem Schutz des Bürgers vor solchen Nachteilen, die nicht der Staat, sondern er selbst sich zufügt341. Fällt ein solches Handeln in den Verantwortungsbereich des Bürgers, so ist er insoweit auch selbst für den Schutz seiner Freiheit verantwortlich und kann bei deren Beeinträchtigung keine Ansprüche gegenüber dem Staat geltend machen342. Es handelt sich dann normativ betrachtet um eine Selbstschädigung. Solche Beeinträchtigungen sind daher auch dann nicht rechtfertigungsbedürftig, wenn der Staat einen kausalen Beitrag erbracht hat. Auf den ersten Blick liegt es nahe, die eingriffsausschließende Grundrechtsausübung als eigenverantwortliches Handeln des Grundrechtsträgers im Rahmen der objektiven Zurechnung anzusprechen. Teilweise wird denn auch die objektive Zurechnung problematisiert, soweit es um eine Beeinträchtigung des Schweigerechts durch eine V-Person geht, die den Beschuldigten heimlich ausforscht343. In anderem Zusammenhang wird danach gefragt, ob es den Strafverfolgungsorganen, die den Beschuldigten bei der Vernehmung entsprechend beeinflussen, zuzurechnen ist, wenn dieser auf den Beistand eines Verteidigers verzichtet344. Indes ist in diesen Fällen und auch im vorliegenden Zusammenhang die objektive Zurechnung nicht der korrekte Prüfungsstandort, um das möglicherweise eigenverantwortliche Handeln des Beschuldigten im Rahmen der Eingriffsprüfung anzusprechen. Die objektive Zurechnung hat nämlich einen bestimmten Bezugsgegenstand, der in einem Erfolg besteht und logisch vorrangig festzustellen ist. Bei der Prüfung eines Abwehranspruches ist dieser Erfolg aber nicht wie bei der Nötigung gemäß § 240 I StGB in jeder Handlung des Grundrechtsträgers zu sehen, sondern erst in einer Schutzbereichsbeeinträchtigung. Handelt es sich bei dem Schutzgut des einschlägigen Grundrechts um eine Freiheit, müßte also diese Freiheit beeinträchtigt werden. Liegt aber eine Grundrechtsausübung vor, dann macht der Grundrechtsträger ja gerade von der durch dieses Grundrecht gewährleisteten Freiheit Gebrauch. Dann fehlt es jedoch an einer beeinträchtigenden Einwirkung auf den Schutzbereich, so daß es sich verbietet, von einem abwehrrechtlich relevanten Erfolg zu sprechen345, 346. Die objektive Zurechnung ist hingegen erst die Verknüpfung zwiantwortlichkeitsbereichen feststellt. Bei objektiver Irreführung durch staatliche Organe sei der Vertrauensschutzgrundsatz das maßgebliche Abgrenzungskriterium. 341 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 190 f. 342 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 190. 343 Weiler GA 1996, 101 (106), der die Zurechnung aber aufgrund der mit dem heimlichen Ausforschen verbundenen Täuschung bejaht. 344 Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 180 ff.

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schen dem vorrangig festzustellenden Erfolg in Form der Schutzbereichsbeeinträchtigung und dem dafür verantwortlichen Verhalten347. Die objektive Zurechnung wird daher erst relevant, wenn die Beeinträchtigung eines Grundrechtsschutzgutes vorliegt. Dies ist z. B. der Fall, wenn das jeweilige Grundrecht ein nicht mit der Freiheit identisches weiteres Schutzgut aufweist, etwa die körperliche Unversehrtheit in Art. 2 II 1 GG. Fügt sich der Grundrechtsträger aufgrund staatlicher Veranlassung selbst eine Verletzung zu, so ist das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit in jedem Fall beeinträchtigt. Handelt der Betroffene dabei aber in Ausübung des weiteren Schutzgutes der Freiheit (bezüglich der Disposition über die körperliche Unversehrtheit), so handelt es sich um eine Selbstschädigung, die dem Staat nicht zuzurechnen ist. Entscheidend ist, daß es sich bei dem Erfolg eben gerade um eine auf das jeweilige Grundrecht bezogene „Schädigung“ im Sinne einer Schutzgutverminderung handeln muß. Die Preisgabe von Informationen durch den Grundrechtsträger verwirklicht in der Regel aber das informationelle Selbstbestimmungsrecht und verkürzt es nicht, da diese Preisgabe ebenfalls gewährleistet ist. Die Offenbarung von Informationen ist nicht nur grundsätzlich nicht als negativ für den Dispositionsbefugten einzustufen. Vielmehr sind etwaige negative Auswirkungen keine Beeinträchtigung der informationellen Selbstbestimmung348. Das Geständnis kann etwa zu einer Verurteilung des Angeklagten führen, die wiederum verschiedene Grundrechte beeinträchtigt 349. Diese „Schädigung“ bezieht sich aber eben auf die anderen Grundrechte, die das Urteil tangiert350. 345 Vgl. auch Koch Grundrechtsschutz, S. 134; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 197. Man kann zwar in einem weiteren Sinne durchaus davon sprechen, daß der Zurechnungszusammenhang zwischen der staatlichen Maßnahme und den Folgen des Verhaltens des Grundrechtsträgers unterbrochen wird, wenn diesem eine freie Willensentscheidung zugrunde liegt, vgl. Sachs JuS 1995, 303 (307). Abwehrrechtlich ist aber entscheidend, daß das Verhalten des Grundrechtsträgers und dessen Folgen schon gar keinen Beeinträchtigungserfolg darstellen. 346 Vgl. aber Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerskonsultationsrechts, S. 178: Eine Beeinträchtigung des Verteidigerkonsultationsrechts läge vor, wenn der Erfolg – die Aussage ohne Verteidigerbeistand – dem Vernehmungsbeamten zuzurechnen sei. Eine Aussage ohne Verteidigerbeistand stellt jedoch im Rahmen der Prüfung eines Abwehranspruches nur dann einen Erfolg – eine Schutzbereichsbeeinträchtigung – dar, wenn der Beschuldigte dabei nicht von seiner Freiheit Gebrauch macht, auf den Beistand eines Verteidigers zu verzichten. 347 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 128: Verknüpfung zwischen Schutzgegenstandsbeeinträchtigung und Staatshandeln. 348 Anderes gilt für die Möglichkeit des Staates, mit preigegebenen Informationen in einer Weise umzugehen, die ihrerseits die informationelle Selbstbestimmung berührt. Dies sind dann aber gegebenenfalls Eingriffe im Rahmen der Informationsverarbeitung, die an einer freien Bestimmung über die Preisgabe nachträglich nichts ändern. 349 Siehe oben VI. 1. b). 350 Zu einer Beeinträchtigung der informationellen Selbstbestimmung durch das Urteil sogleich im Text, siehe dazu aber auch Fn. 348.

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(cc) Fazit und Ausblick auf die weitere Untersuchung Festzuhalten ist, daß im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache ein grundrechtlicher Vertrauensschutz des Angeklagten im Sinne eines Schutzes gegen die Schaffung von Vertrauen in Betracht kommt. Dies setzt voraus, daß das Gericht die durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG gewährleistete Aussagefreiheit verletzt, indem es im Rahmen der Absprache eine bestimmte Möglichkeitsvorstellung des Angeklagten hinsichtlich des Strafmaßes hervorruft, die kausal zu der Ablegung eines Geständnisses führt. Es ergeben sich für die genauere Prüfung der Voraussetzungen eines solchen Schutzes in Form eines Abwehranspruches folgende Aufgaben: Erstens wird bei der Frage nach dem Vorliegen eines Eingriffes die Voraussetzung der Schutzbereichsbeeinträchtigung problematisiert werden müssen. Es ist zu klären, ob der Angeklagte bei der Ablegung des Geständnisses von seiner informationellen Selbstbestimmung Gebrauch macht und damit in Ausübung der gewährleisteten Freiheit handelt oder ob diese Freiheit durch das mit der Absprache verbundene Handeln des Gerichts beeinträchtigt wird. Dazu wird eine Analyse dieser Freiheit und der Bedingungen ihrer Beschränkung erforderlich sein351. Zweitens wäre gegebenenfalls nach einer Norm zu suchen, die zu einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines mit der Absprache verbundenen Eingriffes in die Aussagefreiheit führen könnte352. Drittens müßte geprüft werden, ob eine solche Norm und der darauf beruhende Einzelakt in Form der Absprache den verfassungsrechtlichen sog. SchrankenSchranken gerecht würden. (b) Informationsverwendung Den zweiten Anknüpfungspunkt für einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht stellt die vertrauensenttäuschende Maßnahme dar, die der Informationsverwendung zuzuordnen ist. Diese Maßnahme besteht nämlich bei der Urteilsabsprache in der Verwertung der mit dem Geständnis preisgegebenen Informationen im Urteil, wobei gleichzeitig von dem bei der Absprache angekündigten Strafmaß abgewichen wird. Im Volkszählungsurteil betont das Bundesverfassungsgericht, daß der einzelne auch vor der unbegrenzten Verwendung seiner persönlichen Daten geschützt werden müsse. Die von der informationellen Selbstbestimmung gewährleistete Freiheit erstreckt sich daher auch auf die Verwendung dieser Informationen353. Der Grundrechtsträger hat das Recht, über das „Ob“ und „Wie“ der Nutzung seiner per351 352 353

Dazu unten 4. Teil II. 1. Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung unten 4. Teil II. 2. BVerfGE 65, 1 (43).

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

sonenbezogenen Daten zu entscheiden. In der staatlichen Informationsverwendung kann also ein Eingriff in Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG zu sehen sein. Nach der obigen Terminologie354 würde es sich dabei um eine Beeinträchtigung der Zielverwirklichungsmöglichkeit des Betroffenen handeln, da dieser durch eine eigenmächtige Informationsnutzung des Staates in seinem grundrechtlichen „Können“ , seinen Willen tatsächlich selbstgestaltend in der Wirklichkeit umzusetzen, eingeschränkt wäre. (aa) Beeinträchtigung oder Ausdruck informationeller Selbstbestimmung Dies macht aber auch schon deutlich, welche Bedeutung dem zustimmenden Willen des Grundrechtsträgers im Rahmen der Informationsverarbeitung zukommt: Verwendet der Staat Informationen mit dem Einverständnis des Bürgers, so macht dieser von seiner informationellen Selbstbestimmung Gebrauch, er übt dieses Grundrecht also aus355. Dem Grundrechtsträger wird auch gewährleistet, in die Verwertung seiner Informationen einzuwilligen und auf diese Weise eine bestimmte Selbstdarstellung zu verwirklichen. Informationsverarbeitung mit Einwilligung des Grundrechtsträgers beeinträchtigt daher nicht den Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts356, auch dann fehlt es schon an dem für einen Eingriff notwendigen Erfolg357. Im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache könnte eine Einwilligung des Angeklagten in die Informationsverwendung in der Ablegung des Geständnisses zu sehen sein. Dem Angeklagten ist dabei nämlich bewußt, daß das Urteil auf seine Angaben gestützt werden könnte. Die mögliche Zustimmung zu der weiteren Verarbeitung fällt also mit der Preisgabe der Informationen durch den Angeklagten zusammen. Dann ist die Frage nach dem Vorliegen eines Eingriffes zunächst einmal aber auch einheitlich zu beantworten. Hat der Angeklagte in Ausübung seiner Aussagefreiheit Informationen offenbart, so liegt darin auch eine Einwilligung in deren Verwertung im Urteil. Wenn jedoch die Freiheit des Angeklagten bei der Informationserhebung beeinträchtigt war, gilt dies auch für die Einwilligung. Die Zustimmung zur Informationsverwendung stellt dann kein Gebrauchmachen von der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit dar, so daß die Verwertung die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers beeinträchtigt. Der Eingriff durch InformaSiehe oben VI. 1. a). Hüsch Verwertungsverbote, S. 289; Schumacher Verwertbarkeit rechtswidrig erhobener Daten, S. 68; Geiger NVwZ 1989, 35 (37). 356 Geiger NVwZ 1989, 35 (37); vgl. hingegen Bleckmann Grundrechte, § 21 Rn. 96: Bei der Verwertung von Daten sei „die Problematik des Grundrechtsverzichts“ nicht innerhalb des Schutzbereichs zu lösen, da dieses Grundrecht nicht auf die Willensrichtung des Grundrechtsträgers abstelle. 357 Es handelt sich hier also gerade nicht um eine solche Einwilligung, die inhaltlich mit dem Grundrechtsverzicht identisch ist, weil dies eine vom zustimmenden Willen unabhängige Schutzbereichsbeeinträchtigung voraussetzt, vgl. oben VI. 1. c) aa) (2) (a) (aa). 354 355

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tionsverwendung könnte insoweit als akzessorisch zu dem Eingriff im Rahmen der Informationserhebung bezeichnet werden358. (bb) Beeinträchtigung trotz freier Preisgabe Dieser Akzessorietät sind allerdings Grenzen gesetzt. Auch bei einer Informationspreisgabe, die in Ausübung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit erfolgt, kann die anschließende Verarbeitung durch staatliche Organe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen359. Der Grund dafür liegt in der umfassenden Befugnis des Grundrechtsträgers hinsichtlich der Verwendung seiner persönlichen Informationen, die selbständig neben der Befugnis zur Preisgabe solcher Informationen besteht360. Die Folge ist nämlich, daß der einzelne auch mit der freiwilligen Offenbarung von Informationen nicht die Verfügungsbefugnis über diese verliert. Dies ist auf die Schutzrichtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zurückzuführen. Entscheidend sind gerade die Beeinträchtigungen, die von bestimmten Verwendungsmöglichkeiten hinsichtlich personenbezogener Informationen drohen361. Dann wäre der Schutz des Grundrechtsträgers aber nur in unzureichendem Maße gewährleistet, wenn er nicht die spezifische Bestimmungsmöglichkeit bezüglich Nutzung und Verwertung der Informationen beinhalten würde. Anderenfalls bliebe dem Betroffenen nämlich nur die Alternative, schon auf die Preisgabe seiner Informationen zu verzichten. Dies würde jedoch seine Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung und Selbstdarstellung in dem gleichen Maße beeinträchtigen wie die Unsicherheit362 über den Informationsstand der Umwelt363. Aus diesem Grund unterliegt insbesondere die mit der Offenbarung von Informationen verbundene Zweckbestimmung der autonomen Entscheidung des Bürgers. Werden Informationen zu einem Zweck verwendet, auf den sich der freie Wille des Betroffenen nicht erstreckt, handelt es sich um einen (erstmaligen) Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht364.

Vgl. auch Eberle GS Martens, S. 351 (359). Möglich ist auch der umgekehrte Fall, in dem der zunächst unfreien Preisgabe eine spätere Einwilligung zur Nutzung der z. B. zwangsweise erhobenen Informationen folgt. Bei den Absprachen kann die Zustimmung des Angeklagten typischerweise aber nur in der Geständnisablegung zum Ausdruck kommen. 360 Vgl. BVerfGE 65, 1 (43). 361 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42 f.). 362 Siehe dazu BVerfGE 65, 1 (43). 363 Vgl. Perschke Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden, S. 83 f. 364 Sánchez Informationelle Selbstbestimmung, S. 81; Ernst Informationen im Strafprozeß, S. 74 f.; R. Baumann DVBl. 1984, 612 (615); Weichert Informationelle Selbstbestimmung, S. 113. 358 359

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Vorliegend könnte daher ein Eingriff durch das Urteil auch dann noch in Betracht kommen, wenn das Geständnis Ausdruck der Aussagefreiheit des Angeklagten war. Zwar läge dann eine Einwilligung hinsichtlich der Nutzung der Informationen durch das Gericht vor. Die Grenzen dieser Einwilligung und damit der Selbstbestimmung des Angeklagten könnten aber mit dem Abweichen von dem angekündigten Strafmaß überschritten werden, womit an dieser Stelle also der Umstand der Vertrauensenttäuschung relevant wird. Allerdings scheint hier auf den ersten Blick kein Fall der erwähnten Zweckentfremdung vorzuliegen365. Unabhängig von der Schwierigkeit, die Identität eines Zwecks von anderen Zwecken abzugrenzen366, wird bei der Informationserhebung im Strafprozeß jedenfalls das jeweilige konkrete Verfahren als einheitlicher Zweck anzusehen sein367. Die Informationen sollen aber gerade in dem Strafverfahren verwertet werden, in dessen Rahmen sie preisgegeben wurden. (cc) Bedingungswidrige Verwendung als Voraussetzung der Beeinträchtigung Dennoch kommt bei einem Fehlschlagen der Absprache unabhängig von der Informationspreisgabe eine Beeinträchtigung durch die Verwertung der Informationen in Betracht. Diese Verwendung läuft nämlich auf jeden Fall der tatsächlichen Bestimmung des Angeklagten, die mit der Preisgabe der Informationen zum Ausdruck kommt, zuwider. Bei einer Urteilsabsprache werden die Informationen offenbart und für die gerichtliche Entscheidung zur Verfügung gestellt, weil in dem Angeklagten durch die gerichtliche Ankündigung eine ganz bestimmte Möglichkeitsvorstellung368 hinsichtlich eines bestimmten Strafmaßes, einer Strafobergrenze etc. geweckt wird. In der Ablegung des Geständnisses kommt auch hinreichend zum Ausdruck, daß der Angeklagte subjektiv die Verwertbarkeit seiner Angaben unter den Vorbehalt der Einhaltung der gerichtlichen Ankündigung stellt, woran auch seine mögliche Kenntnis von deren Vorläufigkeit nichts ändert. Diese Annahme folgt aus der Kausalität der Absprache für das Geständnis. Nur wenn dieser Ursachenzusammenhang nicht festzustellen ist und ein Geständnis damit auch ohne die Absprache abgelegt worden wäre, gibt der Angeklagte seine Informationen der gerichtlichen Verwertung preis, ohne dies von der Einhaltung der Verständigung abhängig zu machen. 365 Im Ergebnis wird sich aber diese Zweckwidrigkeit bei einem Scheitern der Urteilsabsprache noch herausstellen, vgl. unten 4. Teil III. 2. d) bb) (2). Dies setzt aber voraus, daß zunächst untersucht wird, ob die Erhebung einen Eingriff darstellt und mit welchem Zweck ein etwaiger Eingriff gerechtfertigt werden kann. 366 Vgl. dazu Deutsch Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 79. 367 Vgl. Riepl Informationelle Selbstbestimmung, S. 17. 368 Siehe dazu oben 2. Teil III.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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Es fragt sich allein, ob das informationelle Selbstbestimmungsrecht die Befugnis gewährleistet, die Informationsverwendung auch von anderen Bedingungen als dem Nutzungszweck abhängig zu machen. Dann könnte hier zunächst offen bleiben, ob es sich bei der Verwendung nach einem Fehlschlag der Urteilsabsprache um eine zweckwidrige Nutzung handelt369. Für eine solche umfassende Befugnis spricht aber der Schutzzweck, der der Bestimmungsmacht des einzelnen über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Informationen zugrunde liegt. Nur wenn der Bürger die Kontrolle über den Umgang mit seinen Informationen behält und somit „Informationsverunsicherung“370 vermieden wird, ist die individuelle Selbstbestimmung gewährleistet371. Diese allgemeine Integrität personenbezogener Daten372 ist Voraussetzung für die unbefangene Grundrechtsausübung, die der Umwelt ein Bild des Grundrechtsträgers vermittelt, mit der dieser also sein Recht auf Selbstdarstellung verwirklicht. Die Gefahr der „Informationsverunsicherung“, die Grundrechtsausübung und Selbstdarstellung hemmt und damit die freie Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigt, besteht aber nicht nur, wenn der Grundrechtsträger nicht weiß, wer über ihn welche Informationen besitzt373. Eine solche Wirkung droht auch dann, wenn der Betroffene von vornherein weiß, daß die mit einer eventuellen Grundrechtsausübung verbundene ausdrückliche oder konkludente Vermittlung von Informationen an seine Umwelt, von ihm nach dieser Ausübung nicht mehr beherrscht werden kann. In diesem Zusammenhang ist die Zweckentfremdung sicherlich der naheliegendste Unsicherheitsfaktor. Es besteht insofern aber kein sachlicher Unterschied zu anderen Umständen, die den Grundrechtsträger zur Preisgabe seiner Informationen und Zustimmung zu deren Verwertung veranlaßt haben. Müßte er damit rechnen, daß seine persönlichen Informationen auch unter Umständen genutzt werden, die nicht von seinem Willen erfaßt sind, so begründet dies die Gefahr, daß er auf eine Grundrechtsausübung, die die Offenbarung derartiger Informationen mit sich bringt, verzichtet. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß sich die Bedeutung einer Information zusammen mit den äußeren Bedingungen entscheidend verändern kann374. Es ist daher nicht ersichtlich, warum die Bestimmungsbefugnis des Grundrechtsträgers bei der Verwendung der Daten auf den Zweck beschränkt werden und damit auf der Ebene des Schutzbereiches eine Differenzierung zu sonstigen Verwertungsumständen erfolgen sollte. Hingegen ist es denkbar, daß die Art der Verwertungsbedingung, die der Bürger aufstellt, bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sein wird. Der 369 370 371 372 373 374

Vgl. aber auch schon vorstehend Fn. 365. Schmitt Glaeser in: HStR VI, § 129 Rn. 97. BVerfGE 65, 1 (42 f.). Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 108. Kunig Jura 1993, 595 (601). Vgl. Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 28.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts erfaßt zunächst aber ganz allgemein die Entscheidung des einzelnen, unter welchen Umständen er persönliche Informationen gegenüber wem offenbart375, so daß bei einer Veränderung der Umstände der Wille des Grundrechtsträgers maßgeblich bleibt376. Es ist dann aber bei einer Verwendung entgegen der vom Grundrechtsträger ausdrücklich oder konkludent formulierten Bedingung eine gesetzliche Grundlage erforderlich, um dem Gesetzesvorbehalt des Art. 2 I GG gerecht zu werden. Auf diese Weise werden der staatlichen Informationsverarbeitung in einem Verfahren auch nicht in unsachgerechter Weise Informationen entzogen. Wenn der Staat z. B. mangels gesetzlicher Grundlage gar nicht die Möglichkeit hatte, Informationen im Wege eines Eingriffs zu beschaffen, stellt eine Rechtfertigungslast hinsichtlich der Verwertung von Informationen, die freiwillig offenbart wurden, gegen den Willen des Grundrechtsträgers kaum eine unzumutbare Anforderung dar. Selbst wenn die Rechtfertigung nicht gelingt, droht dann nur der Verlust einer Information, auf deren Erhebung die staatlichen Organe ohnehin keinen Anspruch hatten377. Umgekehrt erscheint eine solche Bestimmungsmöglichkeit des Grundrechtsträgers nur als Konsequenz der ihm eingeräumten Dispositionsbefugnis über personenbezogene Daten. Hat er sogar das Recht, Informationen vollständig zurückzuhalten, so kann es demgegenüber quasi als Minus angesehen werden, daß er die Preisgabe mit Bedingungen verbinden kann. (dd) Zwischenergebnis: Grundrechtlicher Schutz gegen vertrauensenttäuschende Informationsverwendung Damit läßt sich im Hinblick auf die Vertrauensschutzproblematik eine wichtige Erkenntnis festhalten: Die von dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistete Aussagefreiheit bietet dem Angeklagten Schutz gegen vertrauensenttäuschendes staatliches Verhalten. Hat er, veranlaßt durch eine staatliche Einschätzung, ein Geständnis abgelegt, so stellt es grundrechtsdogmatisch die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme dar, wenn das Gericht dieses später unter von der Einschätzung abweichenden Umständen verwerten will. Der Grund dafür liegt in dem Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts, welches das Recht des Grundrechtsträgers gewährleistet, eine Verwendung seiner persönlichen Informationen von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen. Eine bedingungswidrige Verwendung beeinträchtigt diese Freiheit. Knüpft der Angeklagte die Verwendung an die Einhaltung einer strafprozessualen Absprache, vermittelt ihm das Recht auf informationelle Selbstbestimmung also Schutz gegen eine vertrauensenttäuschende Verwertung des Geständnisses. Steinmüller u. a. Grundfragen des Datenschutzes, S. 88. Vgl. R. Baumann DVBl. 1984, 612 (615). 377 Vgl. dazu auch unten 4. Teil III. 2. d) bb): geringere Schutzwürdigkeit des öffentlichen Interesses an der Informationsverarbeitung, wenn insofern keine Erhebung zulässig. 375 376

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Auf diese Weise nimmt das informationelle Selbstbestimmungsrecht dem Grundrechtsträger die Last des aus einer möglichen Vertrauensenttäuschung resultierenden Risikos ab und wahrt so seine Chance zur Persönlichkeitsentfaltung 378. Die Aussagen können daher aber nicht einfach auf andere Grundrechte übertragen werden. (ee) Begrenzung als Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs Es gibt in diesem Zusammenhang auch keine auf Schutzbereichsebene unbeachtliche Bedingung. Denn die Freiheit, über die Nutzung einer Information zu entscheiden, kann nicht von vornherein durch die Vorgabe beschränkt werden, daß die Ziele des Dispositionsbefugten als anerkennenswert einzustufen sein müssen. Dies stünde der Autonomie des Grundrechtsträgers, dem Sinn und Zweck einer Dispositionsbefugnis, entgegen, weil dazu eben gerade die ganz persönliche Entscheidung zählt, welche Ziele gesetzt und verwirklicht werden sollen. Nun kann allerdings überlegt werden, ob das Erfordernis der objektiven Zurechnung der Schutzbereichsbeeinträchtigung doch noch eine Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf der Ebene des Eingriffs ermöglicht. Dies liegt besonders nahe, wenn der seine Informationen preisgebende Bürger zum einen Bedingungen aufstellt, die ersichtlich nicht eintreten werden, ihm zum anderen aber bekannt war, daß die offenbarten Informationen bedeutsam für den Aufgabenbereich eines staatlichen Organs sind. Wenn der Betroffene in einer solchen Situation in Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheit Informationen preisgibt, so könnte man ihn auch als verantwortlich für das weitere „Schicksal“ seiner Informationen ansehen und einen Eingriff aufgrund des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit ablehnen379. Dafür spricht, daß z. B. der Angeklagte tatsächlich selbständig ein Risiko für seine eigenen Interessen begründet, weil er davon Kenntnis hat, daß die Nutzung der im Geständnis enthaltenen Informationen unabhängig vom Strafmaß für die Aufgabe des Gerichts von großer Bedeutung sein kann. Nach § 261 StPO ist das Gericht grundsätzlich sogar verpflichtet, die ordnungsgemäß erhobenen Beweismittel bei der Entscheidung zu berücksichtigen380. Dies zeigt jedoch schon, daß sich das Erfordernis einer von den Bedingungen des Betroffenen unabhängigen Verwendung der Informationen ja gerade aus einfach-gesetzlichen Vorschriften ergibt, die sich auf die Tätigkeit des staatlichen Organs beziehen. Und diese gesetzlichen Regelungen begründen dann gegebenenfalls auch die Offenkundigkeit dieser Tatsache für den Bürger. Vorschriften des einfachen Rechts können einem staatlichen Akt aber nicht die Eingriffsqualität nehmen (es sei denn, es wird rechtlich begründete HandlungsfreiVgl. Keller Provokation von Straftaten, S. 80 f. und 86 f. Siehe dazu auch oben VI. 1. a) und c) aa) (2) (a) (bb). 380 BGHSt 29, 109 (110); Pfeiffer StPO, § 261 Rn. 3; Meyer-Goßner StPO, § 261 Rn. 6; KK-Schoreit § 261 Rn. 17 und 21; Schlüchter in: SK-StPO, § 261 Rn. 10 und 14; LR-Gollwitzer § 261 Rn. 14; Maiwald in: AK-StPO, § 261 Rn. 1. 378 379

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

heit für die Zukunft wieder genommen), sondern allenfalls zu der Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffes führen. Daß der Bürger die einfach-rechtliche Möglichkeit des Staates gekannt hat, auch gegen seinen Willen die preisgegebenen Informationen zu verwenden, kann daher ein bei der Verhältnismäßigkeit der Verwendung zu berücksichtigender Aspekt sein, steht aber nicht dem Eingriffscharakter dieses staatlichen Verhaltens entgegen. Mit anderen Worten: Daß im vorliegenden Zusammenhang die Geständnisablegung die Gefahr begründen soll, daß das Geständnis auch absprachewidrig verwertet werden kann, ist gerade rechtfertigungsbedürftig und schließt nicht etwa den Schutz des Angeklagten dagegen aus. Dieses Verständnis des informationellen Selbstbestimmungsrechts hat aber nicht zur Folge, daß der Beschuldigte im geltenden Strafverfahren durchgängig „bedingte Geständnisse“ ablegen und damit unter Umständen erhebliche Unsicherheit bei den Strafverfolgungsorganen hinsichtlich ihrer Entscheidungsgrundlagen schaffen könnte. Das Strafprozeßrecht bietet eine ausreichende Rechtsgrundlage, um den hinter der Strafverfolgung stehenden öffentlichen Interessen grundsätzlich zum Durchbruch zu verhelfen, wenn es um die Verwertung eines Geständnisses ohne Beachtung der vom Beschuldigten formulierten Bedingungen geht381. So ist etwa an der Verwertbarkeit unabhängig von dem zu verhängenden Strafmaß nicht zu zweifeln, wenn der Angeklagte mit den Worten ein Geständnis ablegt, er mache diese Angaben aufgrund seiner Einschätzung hinsichtlich der Rechtslage, nach der ein bestimmtes Strafmaß zu verhängen sei. Die Verwendung solcher Informationen gebietet nach dem Gesagten die Vorschrift des § 261 StPO. Geht der Beschuldigte das mit der Ablegung eines Geständnisses verbundene Risiko aufgrund eigener Einschätzungen oder gar unter willkürlich gewählten Bedingungen ein, erscheint zudem eine Verwertung auch bei Nichteintritt der Bedingungen zumutbar und damit verhältnismäßig382. Es läßt sich dann nämlich keine höhere Schutzwürdigkeit feststellen als bei einem Widerruf des Geständnisses und dessen anschließender Verwertung gegen den Willen des Angeklagten. Und in diesem Fall wird die Zulässigkeit einer solchen Verwertung nicht in Frage gestellt383. Ein Abwehranspruch kann daher nur in Fällen bestehen, in denen die vom Beschuldigten ins Auge gefaßten Bedingungen auf Einschätzungen der Strafverfolgungsorgane beruhen – also in Vertrauenskonstellationen.

Siehe vorstehend im Text mit den Nachweisen in Fn. 380. Siehe dazu ausführlich unten 4. Teil III. 2. d) cc) und dd). 383 Vgl. BGHSt 21, 285 (287); StV 1995, 341; OLG München NJW 1981, 593 (594); OLG Köln NStZ 1991, 96 (97); Roxin StrafverfahrensR, § 15 Rn. 19; Gerlach Absprachen, S. 166 f.; Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (69); Eschelbach JA 1999, 694 (701); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 153; Arnold Geständnis und Geständniswiderruf, S. 772. 381 382

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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(ff) Fazit und Ausblick auf die weitere Untersuchung Damit lassen sich folgende Schlußfolgerungen hinsichtlich des Schutzes der Aussagefreiheit gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme ziehen: Die Reichweite des Vertrauensschutzes stellt sich angesichts dessen, daß einerseits die Vertrauensenttäuschung stets ein Eingriff ist, andererseits aber entsprechende Rechtsgrundlagen vorhanden sind, als ein Problem des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dar, der den Grundrechtsschranken gegenüber wiederum eine Schranke bildet. Vor allem aber lassen die soeben gemachten Ausführungen einen für diese Verhältnismäßigkeitsprüfung wichtigen Aspekt erkennen. Wenn davon ausgegangen wird, daß die Informationsverwendung unter bedingungswidrigen Umständen dem Beschuldigten – wie bei einem Widerruf des Geständnisses – stets zuzumuten ist, sofern ihm dieses Risiko bekannt war und er trotzdem in Ausübung seiner Aussagefreiheit ein „bedingtes Geständnis“ abgelegt hat, dann hat dies vor allem einen Grund: Die Preisgabe der Informationen war dann nämlich auch mit Blick auf die weiteren Nutzungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsorgane Ausdruck der freien Selbstbestimmung des Beschuldigten, so daß es angesichts der Gewichtigkeit des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung384 angemessen erscheint, ihn in diesem Fall mit dem Risiko einer bedingungswidrigen Verwendung zu belasten. Dies ist aber auch mit Blick auf die Vertrauenskonstellation der Urteilsabsprache von großer Bedeutung. Aus grundrechtlicher Sicht kann sich diese Situation nämlich genauso darstellen wie die eben geschilderte. Sollte der Angeklagte trotz der Urteilsabsprache bei der Informationspreisgabe, die zugleich die Einwilligung zu einer Verwendung unter einer bestimmten Bedingung beinhaltet, in Ausübung der ihm gewährleisteten Freiheit gehandelt haben, so gibt es keinen Grund für eine andere Beurteilung. Zwar ist dann die Preisgabe unter der Bedingung eines bestimmten Strafmaßes vom Gericht kausal herbeigeführt worden. Diese Ursächlichkeit genügt aber eben gerade nicht, um die grundrechtliche Relevanz einer staatlichen Maßnahme begründen zu können385. Ob der Angeklagte eigenverantwortlich ein Risiko eingegangen ist, weil er sich ohne staatlichen Einfluß zu einer Preisgabe entschlossen hat, oder die Preisgabe zwar staatlich veranlaßt wurde, dies aber seine grundrechtliche Freiheit unberührt gelassen hat, ist demnach unerheblich. Ist die Einwirkung auf den Angeklagten im Rahmen der Urteilsabsprache grundrechtlich irrelevant, so kann sie auch bei einer Vertrauensenttäuschung eine solche Bedeutung nicht erlangen. Konsequent ist es daher allein, bezüglich der vertrauensenttäuschenden Maßnahme einen Schutz des Angeklagten aufgrund deren Verhältnismäßigkeit abzulehnen, soweit ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die vertrauensschaffende Maßnahme nicht festgestellt werden kann. Nur das Vorliegen eines solchen Eingriffes erhöht die Intensität des in der 384 385

Siehe dazu unten 4. Teil III. 2. b). Siehe oben VI. 1. a).

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

vertrauensenttäuschenden Maßnahme liegenden Eingriffes in einem solchen Maße, daß gegenüber der nicht durch eine gerichtliche Strafmaßeinschätzung veranlaßten Informationspreisgabe eine abweichende Beurteilung der Verhältnismäßigkeit in Betracht zu ziehen ist. Nun zeigt sich also, daß die vertrauensschaffende Maßnahme unter Grundrechtsgesichtspunkten nicht nur vorrangig zu prüfen ist, weil sie möglicherweise für sich genommen schon einen ausreichenden Schutz zur Folge hat386. Vielmehr kommt der Prüfung der Eingriffsqualität dieser Maßnahme eben auch entscheidende Bedeutung im Hinblick auf den Grundrechtsschutz gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme zu. Es bleibt festzuhalten, daß sich bei der Urteilsabsprache auch die Möglichkeit eines grundrechtlichen Vertrauensschutzes im Sinne eines Schutzes gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme ergibt. Daß diese Maßnahme in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, wurde bereits festgestellt. Hinsichtlich der weiteren Prüfung eines über einen grundrechtlichen Abwehranspruch vermittelten Vertrauensschutzes sind nun noch folgende Aufgaben zu nennen: Nach einem Eingehen auf diejenigen Normen, die einen solchen Eingriff legitimieren können, werden im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit spezifische Kriterien des Vertrauensschutzes im vorliegenden Zusammenhang herausgearbeitet werden müssen. Dies ist aber überhaupt nur erforderlich, wenn zunächst eine Freiheitsbeeinträchtigung des Angeklagten bei der Ablegung des Geständnisses festgestellt werden kann, da anderenfalls die Informationsverwendung nach freier Preisgabe zumutbar wäre. Sofern ein solcher Vertrauensschutz aufgrund der Unverhältnismäßigkeit der vertrauensenttäuschenden Maßnahme in bestimmten Konstellationen durchzugreifen vermag, muß der Inhalt des daraus resultierenden Abwehranspruches des Angeklagten und damit die Rechtsfolge dieses Vertrauensschutzes näher bestimmt werden. (3) Verhältnis zu anderen prozessualen Gewährleistungen des Grundgesetzes Bevor die Reichweite des aus der Aussagefreiheit abzuleitenden Vertrauensschutzes untersucht wird, ist noch auf deren Verhältnis zu verwandten prozessualen Gewährleistungen des Grundgesetzes einzugehen. Möglicherweise kommt diesen Gewährleistungen im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz ebenfalls Bedeutung zu.

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Siehe oben VI. 1. a).

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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(a) Nemo-tenetur-Grundsatz Der nemo-tenetur-Grundsatz schützt den Betroffenen jedenfalls vor Zwang zu einer Selbstüberführung387. Umstritten ist, ob er sich auch auf Täuschungen erstreckt388. Diesem Grundsatz wird das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren zugeordnet389. Der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare könnte auch bei der Veranlassung eines Geständnisses im Rahmen von Absprachen eingreifen390. Dies würde zu der Unverwertbarkeit des Geständnisses führen, so daß ein weitergehender Schutz in Form einer Bindungswirkung nicht mehr in Betracht käme. Teilweise wird aber der nemo-tenetur-Grundsatz wiederum als Bestandteil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung angesehen391. Dem wird jedoch unter Verweis auf einen anders gelagerten Schutzzweck entgegengetreten392. Der Schutz der Information sei nicht der entscheidende Gesichtspunkt dieses Prinzips393. Strafprozessuale Informationen seien nicht im Sinne einer abwägungsfesten Position in gesteigertem Maße schutzwürdig, nur weil sie von dem Beschuldigten selbst stammen394. Letzterer Auffassung ist zuzugeben, daß der Gedanke der informationellen Selbstbestimmung allein nicht zu begründen vermag, warum der Aussagezwang im Strafverfahren einer Abwägung von vornherein unzugänglich sein sollte. Insofern sind andere an das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde anknüpfende Begründungen vorzugswürdig. So wird als Grund für jegliches Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung im Strafverfahren der naturrechtliche Gedanke des Selbstschutzes genannt, der die Respektierung des elementaren Selbsterhaltungstriebes gebiete395. 387 BGHSt 42, 139 (153): Freiheit von Zwang zur Aussage oder zur Mitwirkung am Strafverfahren; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 139; Bosch nemo tenetur, S. 122; K. Groth Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 75. 388 Vgl. BGHSt 42, 139 (153): „Die Freiheit von Irrtum fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes“; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 140; Verrel Selbstbelastungsfreiheit, S. 278; vgl. aber auch Bosch nemo tenetur, S. 121 ff.; Fezer NStZ 1996, 289 (290); Weßlau ZStW 110 (1998), 1 ff.; K. Groth Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 78 ff. 389 Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 66; LR-Rieß Einl. Abschn. I Rn. 88; HK-Lemke § 136 Rn. 17. 390 Vgl. auch BGHSt 43, 195 (204); Rönnau Absprache, S. 198; Gerlach Absprachen, S. 67 ff.; Siolek Verständigung, S. 135 ff.; Janke Verständigung, S. 154 ff.; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 201 ff. 391 Renzikowski JZ 1997, 710 (714); Nothhelfer Selbstbezichtigungszwang, S. 82 f.; Keller Provokation von Straftaten, S. 132: besondere Ausformung dieses Rechts im Hinblick auf die den Rechtsinhaber besonders belastende Situation des Strafverfahrens. 392 F.L. Lorenz JZ 1992, 1000 (1006); Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 138. 393 Vgl. Bosch nemo tenetur, S. 50. 394 F.L. Lorenz JZ 1992, 1000 (1006); Bosch nemo tenetur, S. 53; Böse GA 2002, 98 (101 ff.).

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Daß eine solche besondere Begründung erforderlich ist, um den nemo-teneturGrundsatz dem abwägungsfesten Grundrechtskernbereich im Sinne des Art. 19 II GG zuordnen zu können, steht einem Zusammenhang mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht aber nicht entgegen. Schon weiter oben wurde erwähnt, daß dieses Recht die einzelnen Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zusammenfaßt, soweit diese Verbürgungen Informationen zum Gegenstand ihres Schutzes haben396. Dies läßt sich jedoch auch im Hinblick auf den nemo-teneturGrundsatz nicht bestreiten. Allein steht dort nicht die besondere Schutzwürdigkeit der Information selbst im Vordergrund. Das gilt aber sogar allgemein für das informationelle Selbstbestimmungsrecht, welches ja nicht daten-, sondern verarbeitungsorientiert ist397. Der Wesensgehalt des Grundrechts wird z. B. bei der Herstellung von vollständigen Persönlichkeitsprofilen berührt398, also bei einem speziellen Umgang mit für sich genommen möglicherweise belanglosen Informationen. Zudem stellt das nemo-tenetur-Prinzip eine besondere Ausprägung des Selbstdarstellungsrechts dar399, das von entscheidender Bedeutung für den Gedanken der informationellen Selbstbestimmung ist400. Die besonderen Gefahren für die Selbstdarstellung ergeben sich hier daraus, daß der Betroffene gezwungen wird, sich selbst in einer seinem Willen zuwiderlaufenden Weise in der Öffentlichkeit darzustellen. Der nemo-tenetur-Grundsatz umfaßt Situationen, in denen zu der besonderen Verwendung (im Strafverfahren) noch eine spezifische Art und Weise der Informationserhebung hinzukommt. Es handelt sich dabei um „eine besonders zugespitzte Version der Funktionalisierung des einzelnen“401 im Zusammenhang mit seinen persönlichen Informationen. Der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare läßt sich daher als eine absolute, dem Wesensgehalt zuzurechnende Schranken-Schranke im Rahmen des informationellen Selbstbestimmungsrechts einordnen402, wie dies auch das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil schon angedeutet hat403. Vorliegend ist also zunächst zu untersuchen, ob in der Informationserhebung überhaupt ein Eingriff in 395 Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 132; Salger Schweigerecht, S. 14; Schlauri Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 97 f.; Steinhögl Deal, S. 63; K. Groth Verbot des Selbstbelastungszwangs, S. 66. 396 Siehe oben VI. 1. c) aa) (1) (a). 397 Siehe oben VI. 1. c) aa) (2) (b) (bb). 398 Riepl Informationelle Selbstbestimmung, S. 9 ff. 399 Di Fabio in: Maunz / Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 187. 400 Vgl. oben VI. 1. c) aa) (1) (a). 401 Keller Provokation von Straftaten, S. 132. 402 Vgl. Renzikowski JZ 1997, 710 (714); anders etwa Ransiek Polizeivernehmung, S. 52 f.: Das informationelle Selbstbestimmungsrecht bestehe neben dem nemo-tenetur-Grundsatz, der nur in einem Teilbereich Art. 1 I GG zuzuordnen sei. 403 BVerfGE 65, 1 (46): „Ein überwiegendes Allgemeininteresse wird regelmäßig überhaupt nur an Daten mit Sozialbezug bestehen unter Ausschluß . . . von Selbstbezichtigungen“.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt, bevor im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung darauf eingegangen werden kann, ob hier der nemo-tenetur-Grundsatz einer Abwägung mit öffentlichen Interessen entgegensteht404. Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Einzelverbürgungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zusammenfaßt, soweit sie Informationen betreffen405, setzt diese Einordnung des nemo-tenetur-Grundsatzes im Zusammenhang mit der informationellen Selbstbestimmung allerdings voraus, daß es sich bei dem Grundsatz tatsächlich um ein aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG abzuleitendes Persönlichkeitsrecht handelt. Teilweise wird aber die Auffassung vertreten, der nemo-tenetur-Grundsatz finde seine Grundlage in dem Anspruch auf rechtliches Gehör. (b) Anspruch auf rechtliches Gehör Schon früher wurde in vereinzelten Äußerungen im Schrifttum angedeutet, die Grundlage des Schweigerechts sei in dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 I GG bzw. dessen Konkretisierung in Art. 104 III 1 GG zu finden, da der Beschuldigte hiernach zwar die Möglichkeit zu einer Äußerung habe, aber eben keine entsprechende Pflicht406. Auch in einer neueren Stellungnahme wird der nemo-tenetur-Grundsatz in dem Anspruch auf rechtliches Gehör verankert407. Um die mögliche Bedeutung dieser Aussage im vorliegenden Zusammenhang erkennen zu können, ist zu klären, ob die Aussagefreiheit tatsächlich auch dieser Verfassungsnorm zuzuordnen ist und in welchem Verhältnis Art. 103 I GG dann gegebenenfalls zu dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht. Der Herleitung des Schweigerechts aus Art. 103 I GG wurde vor allem entgegengehalten, daß der Sinn dieser Norm darin liege, dem Beschuldigten aktive Beteiligungsmöglichkeiten zu verschaffen408, dadurch aber die Normierung einer Mitwirkungspflicht an einer anderen Stelle nicht ausgeschlossen sei409. Dabei wird aber nicht hinreichend berücksichtigt, daß nach geltendem Verfassungsrecht dem Beschuldigten in Art. 103 I GG die Freiheit eingeräumt wird, sich zu den tatsächlichen Grundlagen des Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äu404 Diese Einordnung ist allerdings im Ergebnis unerheblich, wenn man von einem anderen Standpunkt aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht eine Ergänzungsfunktion für Konstellationen zuschreibt, in denen das nemo-tenetur-Prinzip nicht eingreift, vgl. F.L. Lorenz JZ 1992, 1000 (1006); Bosch nemo tenetur, S. 55. 405 Siehe oben VI. 1. c) aa) (1) (a). 406 Niese ZStW 63 (1951), 199 (219); Castringius Schweigen des Beschuldigten, S. 21; Bauer Die Aussage, S. 51. 407 Böse GA 2002, 98 (118 ff.). 408 Rogall Der Beschuldigte, S. 125; Salger Schweigerecht, S. 10. 409 Rogall Der Beschuldigte, S. 125; Nothhelfer Selbstbezichtigungszwang, S. 53 f.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

ßern410 und dies eben auch die Einräumung einer „negativen Freiheit“ mit sich bringt411. Wenn der Beschuldigte zu einer Aussage gezwungen wird, liegt die Entscheidung über das „Ob“ einer aktiven Beteiligung in Form einer Äußerung nicht in seiner freien Entscheidung, so daß der Schutzbereich des Art. 103 I GG tangiert wird412. Vor dem Hintergrund dieser Vorschrift ließe sich eine Mitwirkungspflicht also derzeit nur im Grundgesetz normieren, wodurch die in Art. 103 I GG vorgesehene rechtliche Handlungsfähigkeit teilweise zurückgenommen würde. So gesehen wird die Aussagefreiheit mit der Möglichkeit zu schweigen auch über den Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet. Zu beachten ist aber zunächst, daß Art. 103 I GG schon deshalb nicht die alleinige Grundlage des nemo-tenetur-Prinzips sein kann, weil die Vorschrift nur in gerichtlichen Verfahren Geltung beansprucht413, das Verbot des Selbstbelastungszwangs aber auch gegenüber den übrigen Strafverfolgungsorganen im Ermittlungsverfahren414. Außerdem stellt der Anspruch auf rechtliches Gehör zwar ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht dar. Dies schließt jedoch eine Beschränkung aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts nicht aus415, so daß für die Einstufung des nemo-tenetur-Grundsatzes als grundrechtlicher Wesensgehalt ohnehin auf weitere Aspekte abgestellt werden muß. Und damit kommt jenseits dieses Kernbereichs auch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in Betracht. Wenn aber Art. 103 I GG ebenfalls bei Beeinträchtigungen der Aussagefreiheit tangiert wird, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Norm zu dem informationellen Selbstbestimmungsrecht, insbesondere danach, ob vorliegend auf das rechtliche Gehör als ein spezielleres Recht abgestellt werden muß416. Dieses Recht umfaßt nämlich nach dem Gesagten neben anderen Gewährleistungen auch die Befugnis, über die Preisgabe persönlicher Informationen zu entscheiden, wenn diesen – wie der Tatsache des strafbaren Verhaltens einer Person – Bedeutung für das jeweilige Verfahren zukommt. Nun wird allgemein nicht davon ausgegangen, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht gegenüber anderen einschlägigen 410 Zum Inhalt des Art. 103 I GG und dessen Charakter als Abwehrrecht siehe unten VI. 1. c) bb) (1). 411 Böse GA 2002, 98 (120); vgl. auch Schünemann Gutachten 58. DJT, B 147 mit Fn. 432; vgl. auch bereits oben VI. 1. c) aa) (2) (a) (aa). 412 Vgl. Böse GA 2002, 98 (119 ff.). 413 BVerfGE 27, 88 (103); H. Wagner ZStW 109 (1997), 545 (562 ff.); Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 4 ff.; Degenhart in: Sachs GG Art. 103 Rn. 5. 414 Vgl. nur Meyer-Goßner StPO, Einl. Rn. 29a: übergeordneter Rechtsgrundsatz des gesamten Strafverfahrens. 415 Vgl. dazu Pecher Verfassungsimmanente Schranken, passim; Winkler Kollisionen, passim; Bamberger Schranken vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, passim; Misera-Lang Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, passim. 416 Zum Abwehrrechtscharakter von Art. 103 I GG siehe nachstehend unter VI. 1. c) bb) (1) (a).

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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Grundrechten subsidiär ist, sondern daß diese Rechte gleichrangig nebeneinander stehen417. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht bleibt daher auf jeden Fall Prüfungsmaßstab. Allerdings wird vertreten, der Schutz in speziellen Gewährleistungen sei demgegenüber vorrangig zu prüfen418. Ein solches Vorrangverhältnis ist bei der Aussagefreiheit aber abzulehnen. Art. 103 I GG soll dem Beschuldigten die Möglichkeit zu aktiven Verteidigungsmöglichkeiten geben, mit denen er Gang und Ergebnis des Verfahrens beeinflussen kann419. Zwar schließt die dazu eingeräumte Freiheit nach dem eben Gesagten auch das Schweigerecht mit ein. Im Mittelpunkt des rechtlichen Gehörs steht aber die Fähigkeit des Beschuldigten, sich am Verfahren in rechtlich beachtlicher Weise zu beteiligen. Dies wird nämlich etwa von der informationellen Selbstbestimmung auch hinsichtlich persönlicher Informationen des Beschuldigten nicht gewährleistet. Die informationelle Selbstbestimmung enthält zwar auch die positive Befugnis, die Informationen zu offenbaren. Mit anderen Worten: Der Beschuldigte darf – soweit es um solche Informationen geht – auch gerade aufgrund dieses Rechts reden. Damit ist aber kein Anspruch auf rechtliche Wirkung im Verfahren verbunden. Nur Art. 103 I GG gewährleistet durch die Schaffung eines bestimmten rechtlichen Könnens420, daß der Beschuldigte sich auch in prozessual beachtlicher Weise äußern kann, das Gericht diese Erklärungen also vor allem auch berücksichtigen muß421. Das Schweigerecht stellt im Rahmen dieser Vorschrift bloß einen Annex dar, der die Folge der umfassenden Freiheitsgewährleistung hinsichtlich der aktiven Verteidigungsmöglichkeiten ist. Dies unterscheidet es auch von anderen Grundrechten, die einen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung partiell identischen Schutzgehalt aufweisen, und vorrangig zu prüfen sein sollen422. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist hingegen ein materielles Grundrecht, das in spezifischer Weise auch das Recht auf Nichtbeteiligung schützt und insofern prozessuale Bedeutung erlangt. Es kann nicht durch ein formelles Grundrecht verdrängt werden, dessen Existenz die Möglichkeit gewährleisten soll, Informationen mit einer bestimmten rechtlichen Bedeutung – nämlich der Beeinflussung des Verfahrens – preiszugeben. Das Vorenthalten der Informationen erlangt hingegen gerade keine Bedeutung, die über das informationelle Selbstbestimmungsrecht hinausgeht. Dies spricht dafür, dem materiellen Grundrecht bei 417 Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 24; Ernst Informationen im Strafprozeß, S. 43; Kunig Jura 1993, 595 (603 f.); Scholz / Pitschas S. 89 f. Vgl. aber zur Verdrängung des informationellen Selbstbestimmungsrechts durch Art. 10 GG BVerfG 1 BvR 330 / 96 vom 12. März 2003, Absatz-Nr. 43 (www.bverfg.de). 418 Lammer Verdeckte Ermittlungen, S. 24; Scholz / Pitschas S. 90. 419 Rogall Der Beschuldigte, S. 125; Nothhelfer Selbstbezichtigungszwang, S. 53 f. 420 Vgl. oben VI.1. a). 421 Dies ließe sich zwar auch auf der Grundlage der materiellen Rechte konstruieren – aber nur soweit die Verfahrensgrundrechte nicht anwendbar sind, vgl. oben VI. 1 b) Fn. 239. 422 Vgl. Kunig Jura 1993, 595 (603): Die Art. 4, 5, 10, 13, 12, 14 GG schützten Daten, die die gewährleisteten Betätigungen betreffen.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

der Prüfung den Vorrang einzuräumen, wenn es nicht um das Interesse des Beschuldigten an aktiver Beteiligung am Verfahren geht, sondern um sein Interesse, sich nicht (in dieser Weise) an dem Verfahren zu beteiligen. Für dieses Vorrangverhältnis spricht schließlich aber auch, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht einen weitergehenden Schutz der persönlichen Informationen vermittelt als Art. 103 I GG. Es könnte daher insofern sogar als das speziellere Grundrecht bezeichnet werden. Die informationelle Selbstbestimmung ermöglicht – wie oben ausgeführt wurde423 – die Beherrschung der Informationen auch nach deren freiwilliger Offenbarung, indem eine Verwendung an Bedingungen geknüpft werden kann. Aus diesem Grund greift die Verwertung des Geständnisses unter gleichzeitigem Bruch der Absprache stets in dieses Grundrecht ein, da die Einhaltung der Absprache eine solche Verwendungsbedingung darstellt. Diesen Schutz gewährleistet das rechtliche Gehör nicht. Art. 103 I GG gewährleistet nämlich lediglich die potentiell günstige Einflußnahme auf das Verfahren, also die Chance, Verfahren und Ergebnis im eigenen Sinne beeinflussen zu können. Das rechtliche Gehör wird mit der Berücksichtigung der Äußerungen durch das Gericht verwirklicht. Wie sich die Berücksichtigung tatsächlich auswirkt, ist dafür nicht von Bedeutung. Der Angeklagte hat insofern aber auch keine Möglichkeit zur Bestimmung darüber, wie und unter welchen Umständen seine Äußerungen berücksichtigt werden sollen. Im Gegensatz zum informationellen Selbstbestimmungsrecht kann er seine Äußerungen also nicht mit Bedingungen hinsichtlich der Berücksichtigung bei der gerichtlichen Entscheidung verbinden. Dann greift diese Berücksichtigung in Form einer Verwendung des Geständnisses aber nicht in Art. 103 I GG ein, auch wenn dies einer vom Angeklagten bestimmten Verwendungsbedingung widerspricht. Insoweit gewährleistet das rechtliche Gehör also keinen Schutz gegen eine Vertrauensenttäuschung. Das rechtliche Gehör könnte daher allenfalls Schutz gegen eine Beeinträchtigung durch die vertrauensschaffende Maßnahme bieten. Es wird sich aber herausstellen, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht auch diesbezüglich dem Angeklagten, der im Rahmen der Verständigung ein Geständnis abgelegt hat, einen weitergehenden Schutz vermittelt424. bb) Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 103 I GG In den Fällen eines möglichen Eingriffes in die Aussagefreiheit können gleichzeitig auch noch andere Verteidigungsinteressen betroffen sein. Ist ein Geständnis nicht erfolgt, können ausschließlich andere Verfahrensrechte den Anknüpfungspunkt einer Freiheitsbeeinträchtigung bilden. Als solche Verfahrensrechte kommen Beweisantrags-, Erklärungs- und Stellungnahmerechte in Betracht. Ein Beispiel für eine solche Vertrauenskonstellation stellt die – untypische – Urteilsabsprache 423 424

Siehe vorstehend unter VI. 1. c) aa) (2) (b) (cc) und (dd). Vgl. unten 4. Teil II. 1. d) dd) (3).

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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in BGHSt 36, 210 dar425. Dort wurden aufgrund der Absprache keine Beweisanträge mehr gestellt. Auch hier ist, um die grundsätzliche Eignung als Grundlage grundrechtlichen Vertrauensschutzes beurteilen zu können, zunächst wieder festzustellen, welchem Grundrecht die möglicherweise betroffenen Verteidigungsinteressen zuzuordnen sind und auf welche Weise eine Schutzbereichsbeeinträchtigung erfolgt sein könnte. (1) Schutzbereich Grundrechtlicher Vertrauensschutz könnte in Fällen wie BGHSt 36, 210 über den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 I GG gewährleistet werden. Dieser Anspruch wird teilweise als grundrechtsgleiches oder -ähnliches Recht bezeichnet426. Aufgrund der Gewährleistung einer verfassungsrechtlichen subjektiven Rechtsposition weist Art. 103 I GG aber den Charakter eines „echten“ (formellen) Grundrechts auf, das die Voraussetzung zur Durchsetzung materieller Rechte darstellt427. Das rechtliche Gehör beinhaltet anerkanntermaßen drei verschiedene Verwirklichungsstufen: das Recht auf Information über den Verfahrensstoff, das Recht auf diesbezügliche Äußerung und das Recht auf Berücksichtigung des Geäußerten428. Nun wird dieses Grundrecht teilweise aber ausschließlich als ein Leistungsrecht eingestuft429. Dann käme ein Abwehranspruch von vornherein nicht in Betracht. Es muß also zunächst nach der abwehrrechtlichen Qualität des rechtlichen Gehörs gefragt werden. (a) Art. 103 I GG als Abwehrrecht Voraussetzung dafür ist, daß dieses (Prozeß-)Grundrecht dem Bürger einen status quo an Freiheit verleiht, der durch staatliches Handeln verringert, also beeinträchtigt werden kann. Dies ist im Hinblick auf die zweite Verwirklichungsstufe rechtlichen Gehörs aber zu bejahen. Art. 103 I GG begründet das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung zu den ihr zugrundeliegenden Tatsachen und Beweisergebnissen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern430. Daraus folgt für das Gericht ein Verbot der Verwertung von Vgl. die Sachverhaltsschilderung 1. Teil I. 3. vor a). BVerfGE 61, 82 (104); Jarass / Pieroth GG, Art. 103 Rn. 1; Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 1075. 427 Knemeyer in: HStR VI, § 155 Rn. 14; BVerfGE 7, 275 (278); 61, 14 (17); 65, 305 (307); vgl. auch Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 3: Grundrecht. 428 Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 1077; Degenhart in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 8 ff.; Fezer StrafprozeßR, 10 / 51 ff. 429 Epping Grundrechte, Rn. 786; Sachs Grundrechte, S. 516. 430 Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 9; Jarass / Pieroth GG, Art. 103 Rn. 19. 425 426

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Tatsachen und Beweisergebnissen, zu denen ein Verfahrensbeteiligter nicht in dieser Weise gehört worden ist431. Zudem verleiht bereits Art. 103 I GG unmittelbar den Verfahrensbeteiligten die zur Realisierung rechtlichen Gehörs erforderlichen Rechte und legt somit selbst das erforderliche Maß an rechtlichem Gehör fest432. Dieses wird konkretisierend ausgestaltet durch die Regelungen in den einzelnen Verfahrensordnungen, die dann auch über die grundgesetzlichen Forderungen hinausgehen können. Geben die einfachen Gesetze dem Betroffenen aber keinen ausreichenden Anspruch auf rechtliches Gehör, folgt dieser unmittelbar aus Art. 103 I GG433. Dies gilt also auch für die Äußerungsmöglichkeiten. Das Grundrecht gewährleistet damit unmittelbar bestimmte Verhaltensmöglichkeiten. Es handelt sich also um einen normativ geprägten Schutzbereich, der „rechtliche Handlungsfähigkeit“434 verleiht. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs schafft folglich schon für sich genommen einen Freiheitsbereich des Bürgers. Dieser Zustand an „Ist-Freiheit“ kann durch staatliche Organe verkürzt werden, wodurch gegebenenfalls Abwehransprüche gegen den Staat ausgelöst werden. Art. 103 I GG stellt daher ein Grundrecht dar, das sowohl zu Abwehr- als auch Leistungsansprüchen des Grundrechtsträgers führen kann435. Auch stehen bei den hier interessierenden Vertrauenskonstellationen Verteidigungsinteressen des Angeklagten in Frage, die der abwehrrechtlichen Gewährleistung des Art. 103 I GG unterfallen. Zwar gewährleistet die Vorschrift verfassungsrechtlich nur ein Mindestmaß an rechtlichem Gehör436. Das Äußerungsrecht beinhaltet aber zum einen begriffsnotwendig das Recht, Erklärungen zur Sach- oder Rechtslage abzugeben, also selbst zur Sache Stellung zu nehmen. Zum anderen ist dazu jedoch auch die Möglichkeit zu zählen, auf die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung mit Hilfe der Stellung von Beweisanträgen Einfluß zu nehmen437. Daher hat eine durch Art. 103 I GG eröffnete Freiheit Ausdruck gefunden in dem Beweisantragsrecht, in den Erklärungsrechten i. S. d. §§ 257, 258 StPO und in dem Recht des Angeklagten, sich zur Sache zu äußern438 (vgl. § 243 IV 2 431 BVerfGE 70, 180 (189); Schmidt-Bleibtreu / Klein GG, Art. 103 Rn. 3; Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig GG, Art. 103 I Rn. 139. 432 Bröll Das rechtliche Gehör, S. 113; Fezer StrafprozeßR, 10 / 50. 433 BVerfGE 9, 89 (96); Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 8. 434 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 163 f. 435 Vgl. Jarass / Pieroth GG, Art. 103 Rn. 1: „nicht nur ein Abwehrrecht, sondern auch ein Teilhabe- und Leistungsrecht“. 436 Rüping in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 8; Schmidt-Bleibtreu / Klein GG Art. 103 Rn. 2. 437 Rüping Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 152; Knemeyer in: HStR VI, § 155 Rn. 31; Rzepka Fairness, S. 341; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 91; BVerfGE 15, 303 (307); 36, 85 (87); 57, 250 (274); 69, 145 (148): Rechtliches Gehör als das Recht, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Vgl. hingegen Eschelbach GA 2004, 228 (237): Das Beweisantragsrecht ließe sich auf das Fairneßgebot stützen, nicht auf Art. 103 I GG; so auch Frister ZStW 106 (1994), 303 (324 mit Fn. 92). 438 Vgl. dazu Meyer-Mews JR 2003, 361 ff.

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StPO). Folglich fällt die Stellung von Beweisanträgen und die Abgabe von Erklärungen zur Sach- oder Rechtslage in den Schutzbereich dieser Norm. Die Ausübung dieser Rechte könnte beeinträchtigt werden, wenn der Angeklagte durch eine Ankündigung dazu veranlaßt wird, von ihrem Gebrauch abzusehen, und anschließend sogar noch von der Ankündigung abgewichen wird. Daher könnte die durch Art. 103 I GG gewährleistete Freiheit des Angeklagten zum Anknüpfungspunkt für grundrechtlichen Vertrauensschutz werden. (b) Vertrauensschutz vorrangig Frage des Abwehrrechts Zu beachten ist allerdings, daß Art. 103 I GG mit Blick auf die Informationsund Berücksichtigungspflichten des Gerichts unbestritten auch ein leistungsrechtlicher Gehalt zukommt. Zudem wird unter dem Schlagwort „Verbot von Überraschungsentscheidungen“ anerkannt, daß das Gericht nach Art. 103 I GG seiner Entscheidung keine Rechtsauffassung zugrunde legen darf, mit der ein gewissenhafter Beteiligter nicht zu rechnen braucht, ohne zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilt zu haben439. Zwar müsse das Gericht den Beteiligten grundsätzlich nicht seine rechtlichen Überlegungen mitteilen, es sei weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet440. Etwas anderes könne sich aber nicht nur im Falle des Abweichens von einer gefestigten Rechtsprechung ergeben, sondern auch bei Abweichung von einer ohne entsprechende Verpflichtung erfolgten Äußerung der Rechtsansicht441. Dies spricht etwa im Fall BGHSt 36, 210 für eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör, weil das Gericht nicht auf die beasichtigte Abweichung hingewiesen hat und die Verhängung höherer Freiheitsstrafen Verteidiger und Angeklagte daher überraschte. Der Vorsitzende hatte nämlich mit der Ankündigung niedrigerer Freiheitsstrafen zu der strafzumessungsrechtlichen Beurteilung Stellung genommen, ohne dazu durch die StPO oder Art. 103 I GG rechtlich verpflichtet gewesen zu sein. Ein solches „Überraschungsverbot“ erscheint zunächst aufgrund der damit verbundenen Informationspflicht des Gerichts als Ausdruck des leistungsrechtlichen Gehalts des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Müßte der Betroffene aufgrund eines solchen Rechts, das Art. 103 I GG unmittelbar und nicht nur als Ergänzung des Abwehrrechts zu entnehmen ist, umfassend über Veränderungen der geäußerten 439 Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 13; Jarass / Pieroth GG Art. 103 Rn. 39a; Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 1077; Degenhart in: Sachs GG Art. 103 Rn. 15; Dahs Rechtliches Gehör, S. 49; Rüping Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 157 f. 440 Degenhart in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 15; Schmidt-Bleibtreu / Klein GG, Art. 103 Rn. 4. 441 Rüping Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 157 f.; Degenhart in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 15: Verstoß gegen Art. 103 I GG und fair-trial-Grundsatz; Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig GG, Art. 103 I Rn. 141: Fälle enttäuschten prozessualen Vertrauens.

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Rechtsauffassung informiert werden, käme einem abwehrrechtlichen Schutz daneben jedenfalls keine eigenständige Bedeutung zu. Eine Prüfung würde damit überflüssig. Nun wird aber eine entsprechende Informationspflicht eben von der zu konkretisierenden Schutzbedürftigkeit des „gewissenhaften“ oder „sorgfältigen“442 Verfahrensbeteiligten abhängig gemacht443, so daß ein weitergehender abwehrrechtlicher Schutz nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Vor allem bildet jedoch die Pflicht des Gerichts zum Schutz des Betroffenen vor „Überraschungsentscheidungen“ eine begründungsbedürftige Ausnahme zu der grundsätzlich fehlenden Pflicht, die eigene Rechtsansicht darzulegen. Ein solcher Grund kann nur darin bestehen, daß der Grundrechtsträger anderenfalls von seinen Äußerungsrechten nicht in der grundrechtlich vorgesehenen Weise Gebrauch machen kann444. Dieser normative Gesichtspunkt ist auch für die Bestimmung der eben erwähnten Schutzbedürftigkeit maßgeblich445. Ob der Betroffene eines Schutzes bedarf, um von der durch Art. 103 I GG gewährleisteten Freiheit Gebrauch machen zu können, ist also keine Frage allein der leistungsrechtlichen Gewährleistung von Art. 103 I GG. Vielmehr führt die Anknüpfung des Schutzes vor „Überraschungsentscheidungen“ an eine bereits vorhandene Freiheit des Betroffenen dazu, daß er immer dann auf ein Abwehrrecht zu stützen ist, wenn diese Freiheit durch den Staat unzulässig verkürzt wird. Mit der Äußerung des Gerichts oder Vorsitzenden ist auch eine potentiell freiheitsverkürzende Maßnahme vorhanden. Beruht das Hindernis, welches einem Gebrauchmachen der Äußerungsrechte entgegensteht, auf einer staatlichen Beeinträchtigung, dann gilt sogar das Vorrangverhältnis des Abwehrrechts gegenüber dem ergänzenden Leistungsrecht446. Denn auf das von vornherein existierende originäre Leistungsrecht des Art. 103 I GG kann der Schutz vor Überraschungsentscheidungen nicht zurückgeführt werden, wenn man das Gericht nicht generell zur Darlegung seiner Rechtsauffassung verpflichten will. Grundlage des Schutzes ist vielmehr allein die Bedeutung dieser „Leistung“ für den abwehrrechtlichen Schutzgegenstand, so daß in erster Linie ein entsprechendes Abwehrrecht in Betracht kommt und gegebenenfalls ein unterstützendes Leistungsrecht. Es läßt sich festhalten, daß das Grundrecht auf rechtliches Gehör auch ein Abwehrrecht vermittelt. Der Schutzbereich erstreckt sich auf die Freiheit zu Stellungnahmen, Erklärungen und Anträgen. Nur wenn es im Zusammenhang mit „ÜberraDegenhart in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 15. Vgl. auch Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig GG, Art. 103 I Rn. 141: Frage der Zurechnung zum Bereich des „Überraschenden“. 444 Vgl. Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 13: Eine Hinweispflicht bestehe „insoweit, als das „Recht auf Äußerung“ ohne korrespondierendes „Recht auf Information“ leerliefe“. 445 Vgl. auch Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 13: „Hier erweist sich besonders deutlich die Wechselseitigkeit von Gehörsrecht und Obliegenheit zu seiner Wahrnehmung“. 446 Siehe oben VI. vor 1. 442 443

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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schungsentscheidungen“ nicht zu einem verfassungsrechtlich unzulässigen Eingriff in die durch Art. 103 I GG gewährleistete Äußerungsfreiheit des Betroffenen kommt, ist von Bedeutung, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör als Leistungsgrundrecht einen entsprechenden Schutz zu begründen vermag. (2) Schutzbereichsbeeinträchtigung Bei der Frage nach einer Beeinträchtigung des von Art. 103 I GG gewährleisteten Freiheitsbereiches im Zusammenhang mit den hier interessierenden Vertrauenskonstellationen, ist wieder nach den verschiedenen staatlichen Maßnahmen zu differenzieren. Zunächst kommt ein Eingriff in das Recht auf rechtliches Gehör durch die vertrauensschaffende Maßnahme in Betracht, bei der Urteilsabsprache also die Verständigung selbst, insbesondere die Strafmaßprognose des Gerichts. Auch insofern ist – wie bei der Aussagefreiheit – eine Verkürzung der Zielsetzungs- bzw. Willensentschließungsfreiheit des Angeklagten zu prüfen. Voraussetzung dafür ist zum einen die im Einzelfall erforderliche Feststellung eines Verhaltens des Beschuldigten, das dem Schutzbereich des Art. 103 I GG unterfällt. So wurde in BGHSt 36, 210 offensichtlich von der Möglichkeit abgesehen, Anträge im Beweisverfahren zu stellen. Zwar hat der Betroffene dann gerade nicht von der ihm garantierten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Da es aber keine Beteiligungspflicht gibt, handelt es sich bei dem Unterlassen einer aktiven Beteiligung um die negative Seite der Freiheitsgewährleistung und damit auch um eine Form der Grundrechtsausübung447. Weiterhin könnte die durch Art. 103 I GG geschützte Willensentschließungsfreiheit auch im Hinblick auf eine Entscheidung über die Abgabe von Erklärungen zur Sach- oder Rechtslage betroffen sein. Dann müßte festgestellt werden können, daß wegen der Ankündigung eines Strafmaßes z. B. auf eigene Ausführungen zur Strafhöhe verzichtet wurde. Zum anderen ergibt sich aufgrund dieser notwendigen „Mitwirkung“ des Grundrechtsträgers auch hier448 das Problem, unter welchen Voraussetzungen die Beeinflussung des Verhaltens des Angeklagten eine Schutzbereichsbeeinträchtigung darstellt, und wann die Nichtäußerung bloß Ausdruck der ihm von Art. 103 I GG eingeräumten Freiheit ist, welche die Möglichkeit zur Verfahrensbeteiligung aufgrund einer selbstbestimmten Entscheidung garantiert – und damit auch die Nichtbeteiligung als Folge einer solchen Entscheidung gewährleistet. Die vertrauensschaffende Maßnahme wird daher hinsichtlich des rechtlichen Gehörs an denselben Maßstäben zu messen sein, die auch mit Blick auf die Aussagefreiheit herauszuarbeiten sind. 447 Vgl. Bleckmann Grundrechte, § 11 Rn. 240; Dreier in: ders. GG, Vorb. Rn. 37 und 48; Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 2 Rn. 17. 448 Vgl. oben VI. 1. c) aa) (2) (a) (aa).

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Eine Beurteilung anhand unterschiedlicher Maßstäbe ist nicht etwa deshalb erforderlich, weil allgemein davon ausgegangen wird, es genüge zur Gewährung rechtlichen Gehörs die rechtzeitige und zumutbare Gelegenheit zur Äußerung449. Es sei in der Regel ausreichend, wenn der Verfahrensbeteiligte erkenne, daß diese Gelegenheit bestünde und es an ihm liege, sie wahrzunehmen450. Dies wird im Strafverfahren grundsätzlich schon dadurch sichergestellt, daß die Urteilsgrundlage Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sein muß, in der die Beteiligten grundsätzlich anwesend sind451. Eine Gelegenheit zur Äußerung wird man auch in BGHSt 36, 210 nicht verneinen können, weil die Angeklagten und ihre Verteidiger die Möglichkeit hatten, sich für ein aktives Prozeßverhalten – die Stellung von Beweisanträgen, die Abgabe von Erklärungen – zu entscheiden. Da Art. 103 I GG aber eine vollwertige Grundrechtsgewährleistung darstellt, genügt das bloße Vorhandensein einer solchen Entscheidungsgelegenheit eben nicht, um von ausreichendem rechtlichen Gehör ausgehen zu können. Vielmehr muß die Willensentschließungsfreiheit des Grundrechtsträgers dabei in dem durch die Grundrechte vorgesehenen Maße gewahrt worden sein. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die durch Art. 103 I GG eröffnete Freiheit in geringerem Umfang gegen staatliche Beeinträchtigungen geschützt sein soll als die materiellen Grundrechte, insofern also ein engerer Eingriffsbegriff heranzuziehen wäre. Desweiteren ist wiederum eine Beeinträchtigung auch durch die vertrauensenttäuschende Maßnahme in Betracht zu ziehen, bei der Urteilsabsprache also das im Widerspruch zur Strafmaßprognose stehende Urteil. Mit der gerichtlichen Entscheidung wird den Verfahrensbeteiligten zwangsläufig die Möglichkeit genommen, noch vorher – wie durch Art. 103 I GG gewährleistet452 – auf den Inhalt Einfluß zu nehmen. Dies stellt aber dann keine Beeinträchtigung der in diesem Grundrecht eröffneten Freiheit dar, wenn nur Tatsachen und Beweisergebnisse verwertet werden, zu denen die Beteiligten bereits in der von dem Grundrecht vorgesehenen Weise gehört wurden453. Findet hingegen eine solche Verwertung statt, ohne daß dem erforderlichen Maß an rechtlichem Gehör genügt wurde, beeinträchtigt die Entscheidung die Zielverwirklichungsmöglichkeit des betroffenen Beteiligten, nämlich sein durch Art. 103 I GG gewährleistetes „Können“, noch vor der gerichtlichen Entscheidung zu deren Grundlagen Stellung zu nehmen454. 449 Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 92; Knemeyer in: HStR VI, § 155 Rn. 30; Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 9; Degenhart in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 22: Art. 103 GG sei jedenfalls verletzt, wenn überhaupt keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. 450 Rüping Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 145. 451 Niemöller Hinweispflicht, S. 45 f. 452 Schmidt-Bleibtreu / Klein GG, Art. 103 Rn. 2a; Kunig in: von Münch / Kunig GG, Art. 103 Rn. 9. 453 Vgl. Jarass / Pieroth GG, Art. 103 Rn. 21: Es bestehe kein Anspruch auf rechtliches Gehör (mehr), wenn eine mögliche Äußerung in zurechenbarer Weise versäumt wurde. 454 So handelt es sich bei der Anordnung von Zwangsmaßnahmen ohne vorherige Gehörgewährung (§ 33 IV 1 StPO) um Eingriffe in das Recht auf rechtliches Gehör, vgl. Rogall in:

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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Es wird daher deutlich, daß im Bereich des rechtlichen Gehörs die Eingriffswertigkeit der vertrauensenttäuschenden Maßnahme vollständig von der Beurteilung der vertrauensschaffenden Maßnahme abhängt. Führt die vertrauensschaffende Maßnahme nicht zu einem Eingriff, unterläßt der Angeklagte also eine Stellungnahme in Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheit, dann kann auch die Verwertung von Tatsachen und Beweisergebnissen, auf die sich das Äußerungs- und Antragsrecht bezogen hätte, keine Schutzbereichsbeeinträchtigung darstellen. Wurde der Angeklagte hingegen durch einen Eingriff zu dem Nichtgebrauch der Möglichkeit rechtlichen Gehörs veranlaßt, dann wurde dieses nicht in dem von Art. 103 I GG vorgesehenen Maße gewährt. Unter dieser Voraussetzung ist dem Gericht verboten, die Tatsachen und Beweisergebnisse zu verwerten, zu denen der Angeklagte ohne den Eingriff in Form von Anträgen oder Erklärungen Stellung genommen hätte. Damit steht im Zusammenhang mit einem grundrechtlichen Abwehranspruch aus Art. 103 I GG die Frage im Mittelpunkt, wann die vertrauensschaffende Maßnahme in dieses Grundrecht eingreift. Die Tatsache der Abweichung von der Prognose kann eine selbständige Bedeutung erst bei der Prüfung eines grundrechtlichen Leistungsanspruchs erlangen. Dort wird zu fragen sein, ob die Vertrauensenttäuschung unter diesem Aspekt einen Schutz zu begründen vermag, wenn aufgrund des fehlenden Eingriffscharakters der vertrauensschaffenden Maßnahme kein Abwehranspruch besteht. cc) Allgemeine Handlungsfreiheit – Art. 2 I GG Schließlich kommt noch die Gewährleistung von Vertrauensschutz aufgrund der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG in Betracht, wenn der Beschuldigte in einem Verfahrensrecht beeinträchtigt wird, das nicht Ausdruck eines spezielleren Grundrechts ist. Dies könnte insbesondere auf das Recht, gegen das gerichtliche Urteil mit Rechtsmitteln vorzugehen (§§ 296 I i. V. m. 312, 333 StPO), zutreffen. Der Angeklagte kann beeinflußt durch ein Verhalten der Strafverfolgungsorgane einen Rechtsmittelverzicht gemäß § 302 I 1 StPO erklären. Denkbar ist auch das Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist, ohne das in Frage kommende Rechtsmittel einzulegen. Urteilsabsprachen beinhalteten typischerweise die Vereinbarung der Beteiligten, keine Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen455, was der 4. Strafsenat des BGH im Rahmen der „Verfahrensordnung für Absprachen“ allerdings für unzulässig erklärt hat456. SK-StPO, Vor § 133 Rn. 92 f. Die nachträgliche Anhörung (§§ 33a, 311a) stellt nur die Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffes sicher. Anders wohl z. B. Jarass / Pieroth GG, Art. 103 Rn. 19; Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 1076: Recht, sich grundsätzlich vor Erlaß einer Entscheidung zu äußern, bei Eilmaßnahmen unverzügliche Nachholung. 455 Schünemann Gutachten 58. DJT., B 32; Gerlach Absprachen, S. 169; Siolek Verständigung, S. 199; Janke Verständigung, S. 49 f.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Beispiele enttäuschten Vertrauens lassen sich aber auch insbesondere bei Prozeßumfangsabsprachen finden, wenn etwa mit Blick auf die Vereinbarung eines Absehens von der Verfolgung gemäß § 154 StPO in einer anderen Sache keine Revision eingelegt wird. Zu nennen ist hier auch der unterbliebene oder zurückgenommene Einspruch gegen einen Strafbefehl aufgrund der zugesagten Einstellung eines anderen Verfahrens457. (1) Schutzbereich Das Recht, Berufung oder Revision einzulegen, wird nicht von vornherein durch eine grundrechtliche Gewährleistung garantiert. In Betracht käme insofern nur die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV 1 GG. Diese fordert aber nach ganz h. M. keinen Instanzenzug458. Der Aussage, die Norm gebiete „keinen Rechtsschutz gegen den Richter“ ist zuzustimmen, soweit das vorherige Verfahren nicht nur vor einem Richter stattgefunden hat, sondern auch ein „antizipiertes Rechtsschutzverfahren“459 darstellte, das alle Anforderungen an effektiven Rechtsschutz erfüllte460. Diese Voraussetzung ist bei einem erstinstanzlichen Strafverfahren oder einem Berufungsverfahren insbesondere wegen der zahlreichen Mitwirkungsmöglichkeiten des Angeklagten aber gegeben461. Daher ist weiterer Rechtsschutz verfassungsrechtlich nicht geboten462. Dies hat jedoch nicht zur Folge, daß die Ausübung des Rechts zur Rechtsmitteleinlegung überhaupt keine grundrechtliche Relevanz aufweist. Der Gesetzgeber hat nämlich, ohne dazu verpflichtet zu sein, eine solche Möglichkeit geschaffen. Damit wurde dem Angeklagten subjektive Rechtsmacht verliehen und eine entBGHSt 43, 195 (204 f.). Siehe 1. Teil II.; dieses Recht wird aber nicht von Art. 2 I GG gewährleistet, sondern von Art. 19 IV GG, siehe dazu nachstehend Fn. 461. 458 BVerfGE 49, 329 (340 f.); 65, 76 (90); 92, 365 (410); 96, 27 (39); Schenke in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 275; Krüger in: Sachs GG, Art. 19 Rn. 125; Papier in: HStR VI, § 154 Rn. 37; Jarass / Pieroth GG, Art. 19 Rn. 31. 459 Vgl. Gusy AnwBl. 1984, 225 (226). 460 Vgl. Krebs in: von Münch / Kunig GG, Art. 19 Rn. 57. 461 Anders verhält es sich etwa mit der richterlichen Anordnung von Zwangsmaßnahmen, wenn die Anhörung des Betroffenen gemäß § 33 IV 1 StPO unterbleibt. Dies stellt nicht nur einen Eingriff in Art. 103 I GG, sondern hat auch zur Folge, daß der von Art. 19 IV 1 GG geforderte Rechtsschutz noch nicht gewährt worden ist – dessen grundlegende Voraussetzung ist nämlich die Beteiligung des Bürgers, über dessen Recht entschieden wird. Daher erfordert auch die Rechtsschutzgarantie (entgegen BVerfGE 49, 329, 340 f.; 96, 27, 39) in diesen Fällen eine Möglichkeit der Überprüfung der richterlichen Anordnung. Allerdings spricht auch unter dem Aspekt effektiven Rechtsschutzes nichts dagegen, daß diese Überprüfung von dem Richter vorgenommen wird, der die Anordnung getroffen hat, vgl. §§ 33a, 311a StPO. 462 Dies gilt im Hinblick auf die Spezialität des Art. 19 IV 1 GG auch für die materiellen Grundrechte in ihrer Funktion als Verfahrensgarantien, vgl. oben VI. 1. b) Fn. 239. 456 457

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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sprechende Freiheit zu deren Gebrauch eingeräumt. Bei dieser Freiheit handelt es sich um rechtliche, weil rechtlich konstituierte Handlungsfähigkeit463. Diese Fähigkeit und damit die dahinter stehende Freiheit kann aber durch staatliches Verhalten genauso beeinträchtigt werden wie eine „natürliche“ Handlungsfreiheit. Den Grundrechten ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß ihre freiheitsschützende Funktion auf eine ganz bestimmte Freiheit des Bürgers beschränkt ist464. Art. 14 GG besitzt sogar einen ausschließlich rechtlich konstituierten Schutzbereich465, da das Eigentum von der inhaltlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber abhängig ist466. Dann muß aber die durch das Recht geschaffene Handlungsmöglichkeit bzw. die in ihr zum Ausdruck kommende Freiheit jedenfalls subsidiär über Art. 2 I GG geschützt werden und insofern auch die mögliche Grundlage eines Abwehranspruches des Bürgers gegenüber einem staatlichen Eingriff darstellen467. Daß der Staat diese Freiheit u. U. auch wieder vollständig abschaffen kann, steht dieser Annahme nicht entgegen. Dabei handelt es sich um ein Problem der Abgrenzung zwischen der Beeinträchtigung vorhandener Freiheit und der Rücknahme von Freiheit, d. h. der Ausgestaltung der künftigen Freiheit des Bürgers, für die Zukunft468. Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber allein um den Schutz des Bürgers gegenüber einer Verringerung seines ihm rechtlich aktuell zukommenden Maßes an Freiheit. Die Ausübung des Rechts auf Einlegung von Rechtsmitteln und als dessen Kehrseite die Möglichkeit des Verzichts darauf fallen daher – angesichts der fehlenden Einschlägigkeit eines spezielleren Grundrechts – in den Schutzbereich des Art. 2 I GG469.

Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 163 ff.; Eckhoff Grundrechteingriff, S. 177. Vgl. Grabitz DVBl. 1973, 675 (682). 465 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 167. 466 Wendt in: Sachs GG, Art. 14 Rn. 44: „Die Reichweite des Schutzes der Eigentumsgarantie bemißt sich danach, welche Befugnisse einem Eigentümer kraft der einschlägigen eigentumskonstituierenden Normen des privaten und / oder öffentlichen Rechts zustehen“. 467 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 167; Eckhoff Grundrechtseingriff, S. 177. 468 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 167 ff. 469 Etwas anderes gilt für den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen einen Strafbefehl gemäß § 410 StPO. Dieses Verfahrensrecht war etwa im Fall BGHSt 37, 10 maßgebend (siehe dazu bereits 1. Teil II.). Verzichtet der Angeklagte auf dessen Ausübung, so kommt ein Eingriff in Art. 19 IV GG in Betracht, da dieses Recht über die Rechtsschutzgarantie verfassungsrechtlich abgesichert ist. Das Verfahren vor dem Erlaß des Strafbefehls gewährleistet nämlich nicht den erforderlichen effektiven Rechtsschutz, da die Anhörung des Angeschuldigten gemäß § 407 III StPO unterbleiben kann (vgl. dazu schon vorstehend Fn. 461). Für die Voraussetzungen eines Eingriffes in dieses Recht gelten aber die folgenden Ausführungen entsprechend. 463 464

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

(2) Schutzbereichsbeeinträchtigung Wiederum ist vorrangig eine Beeinträchtigung der grundrechtlichen Freiheit durch die vertrauensschaffende Maßnahme zu prüfen. Die Willensentschließungsfreiheit des Verurteilten muß bei seiner Entscheidung über die Nichteinlegung eines Rechtsmittels dem grundrechtlich vorgesehenen Maß genügen. Wurde diese Freiheit durch die Absprache verkürzt, dann ist die Entscheidung des Grundrechtsträgers eingriffsveranlaßt, also gerade nicht Ausdruck seiner Befugnis, eigenverantwortlich über die Einlegung eines Rechtsmittels zu entscheiden. Der Verurteilte hat dann einen Abwehranspruch gegen die vertrauensschaffende Maßnahme des Strafverfolgungsorgans. In diesen Zusammenhang einzuordnen ist die Problematik eines Willensmangels des Angeklagten nach der unzulässigen Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache470. Dieses Problem (sog. Vorabzusage) wurde zuletzt im Schrifttum ausführlich erörtert, so daß hier auf diese Ausführungen verwiesen kann471. Danach erregt das Gericht mit einer solche Vereinbarung einen Irrtum des Angeklagten über Bindungswirkung und Zulässigkeit der Vorabzusage. Die Vermutung spreche zudem für die Kausalität dieser unzulässigen Willensbeeinflussung für einen später erklärten Rechtsmittelverzicht. Der Rechtsmittelverzicht müsse daher als unwirksam behandelt werden. Auch der Große Senat für Strafsachen stellt nunmehr entscheidend auf eine Willensbeeinträchtigung des Angeklagten ab, die allerdings bei Erteilung einer qualifizierten Belehrung vermieden werden könne472. Es stellt sich weiterhin die Frage, ob auch durch eine vertrauensenttäuschende Maßnahme in die Rechtsmittelbefugnis, die durch die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet ist, eingegriffen werden kann. Dies ist jedenfalls für die Urteilsabsprache zu verneinen: Dort existiert nämlich gar keine vertrauensenttäuschende Maßnahme, die die Freiheit des Betroffenen verkürzen könnte. Der Verzicht oder die Nichteinlegung eines Rechtsmittels erfolgt nämlich zeitlich nach dem Urteil473. Weicht dieses aber inhaltlich von der vertrauensschaffenden Maßnahme ab, dann 470 Vgl. zur Unzulässigkeit einer solchen Vereinbarung schon BGHSt 43, 195 (204 f.) und jetzt die Bestätigung und Ausweitung dieser Rechtsprechung durch den Großen Senat für Strafsachen, StV 2005, 311 (313 f.). 471 Vgl. insbesondere F. Meyer Willensmängel, S. 305 ff.; dens. StV 2004, 41 (44 f.); vgl. auch Weider FS Lüderssen, S. 773 (780 ff.); Mosbacher NStZ 2004, 52 (53); Grunst NStZ 2004, 54 f.; dies. Prozeßhandlungen, S. 384 f.; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 204 ff.; Rieß Gollwitzer-Kolloquium, S. 191 (201 ff.). 472 BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (314 f.). Siehe dazu auch unten 4. Teil I. 1. i). 473 Nur scheinbar anders ist es, wenn der Angeklagte vereinbarungsgemäß schon vor dem Urteil einen Rechtsmittelverzicht erklärt. Ein Verzicht gemäß § 302 StPO ist nämlich überhaupt erst nach dem Urteil möglich, Weigend StV 2000, 63 (64); Weider FS Lüderssen, S. 773 (775). Der Angeklagte hat also keine rechtlich beachtliche Handlungsmöglichkeit, vorher einen Verzicht zuerklären. Vielmehr handelt es sich – sofern der Verzicht nicht nach dem Urteil „wiederholt“ wird – um einen Fall der bloßen Nichteinlegung eines Rechtsmittels.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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wird das in Form einer Möglichkeitsvorstellung bestehende Vertrauen ja gerade beseitigt. Durch die Vertrauensenttäuschung selbst kann der Verurteilte also in seiner daraufhin erfolgenden Verhaltensentscheidung nicht mehr beeinträchtigt werden. Anders kann es sich bei Prozeßumfangsabsprachen darstellen. Hier folgen auf den Rechtsmittelverzicht staatliche Maßnahmen, die von der Ankündigung abweichen und auf diese Weise in die allgemeine Handlungsfreiheit des Betroffenen eingreifen könnten. Diese Maßnahme besteht v. a. in einer der Vorstellung des Angeklagten vom vereinbarten Prozeßumfang zuwiderlaufenden Anklageerhebung. Gegenüber diesen Abweichungen könnte das Vertrauen des Angeklagten durch einen Abwehranspruch zu schützen sein. Zu beachten ist nun aber, daß ein solcher Vertrauensschutz einen Schutz darstellt, der sich gegen nachträgliche Eingriffe in die durch die Betätigung der Handlungsmöglichkeit aktualisierte Freiheit richtet474. Anders als in den oben erörterten Fällen der Verwertung eines Geständnisses oder von Tatsachen und Beweisergebnissen, zu denen nicht in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt worden ist, wird der hier einschlägige Schutzbereich durch den „Vertrauensbruch“ selbst aber in keiner Weise berührt. Während in den anderen Konstellationen darin jedenfalls ein zweiter Eingriff zu sehen sein kann, der als Anknüpfungspunkt grundrechtlichen Vertrauensschutzes in Betracht kommt475, kann das Recht zur Rechtsmitteleinlegung durch das inhaltlich abweichende zweite staatliche Verhalten nicht mehr eingeschränkt werden. In Betracht kommt insofern nämlich wiederum nur eine Beeinträchtigung des (rechtlichen) Könnens des Betroffenen476. Die dem Angeklagten durch das Gesetz eingeräumte Zielverwirklichungsmöglichkeit umfaßt aber allein die Freiheit, die ergangene Entscheidung innerhalb einer bestimmten Frist anzufechten. Diese Handlungschance steht jedoch in keinem Zusammenhang mit der später erfolgenden zweiten staatlichen Maßnahme, durch die ein Vertrauen des Grundrechtsträgers enttäuscht wird. Es wird ihm mit dieser Abweichung keine Möglichkeit der Erreichung eines Zieles genommen oder erschwert, für dessen Verfolgung er sich in Ausübung der ihm grundrechtlich eröffneten Handlungschancen entscheiden konnte. Die einzige nun fehlende Möglichkeit, durch den Gebrauch rechtlich eingeräumten Könnens ein Ziel zu erreichen, ist in der Unanfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung zu sehen. Diese ist aber ausschließlich auf den Verzicht des Angeklagten auf Einlegung eines Rechtsmittels zurückzuführen. Ob später eine ankündigungsgemäße oder eine abweichende Maßnahme erfolgt, ist dafür unerheblich. Ein Eingriff kann in diesen Fällen also nur anknüpfend an die Verzichtsentscheidung des Angeklagten festgestellt werden, mit der die Freiheit zur Rechtsmitteleinlegung und damit die Möglichkeit einer Freiheitsbeeinträchtigung endet. In Betracht kommt also nur eine Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit 474 475 476

Grabitz DVBl. 1973, 675 (683); Blanke Vertrauensschutz, S. 50. Siehe oben VI. 1. c) aa) (2) (b) (ff) und bb) (2). Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 167.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

durch die vertrauensschaffende Maßnahme. War die Entscheidung, kein Rechtsmittel einzulegen, hingegen Ausdruck der gemäß Art. 2 I GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit, dann trägt allein der Verurteilte die Verantwortung dafür und kann insofern keinen abwehrrechtlichen Schutz begehren.

2. Grundrechtlicher Leistungsanspruch Unter grundrechtlichen Leistungsrechten werden hier alle grundrechtlich begründeten Ansprüche verstanden, die nicht aus einem Abwehrrecht resultieren477. Sie sind typischerweise bereits auf der Primärebene auf ein positives Tun des Staates gerichtet. Als Grundlage eines strafprozessualen Vertrauensschutzes kommen sie daher insbesondere mit Blick darauf in Betracht, daß oftmals ein Hinweis der Strafverfolgungsorgane, der den Betroffenen über die beabsichtigte Abweichung von einer vertrauensschaffenden Maßnahme informiert, als Ausdruck eines solchen Schutzes angesehen wird. Es wird nun zunächst wieder ein Überblick über die Voraussetzungen eines grundrechtlichen Leistungsanspruches gegeben (a), bevor darauf eingegangen werden kann, inwieweit sich diese Grundrechtsfunktion zur Gewährleistung eines Vertrauensschutzes im Strafprozeß eignet (b).

a) Überblick über die Voraussetzungen Eine erste – negative – Voraussetzung ergibt sich aus der Ergänzungsfunktion, die grundrechtlichen Leistungsansprüchen im Rahmen der ganz überwiegend primär abwehrrechtlich orientierten Grundrechte zukommt478: Anlaß für die Schutzbedürftigkeit des Grundrechtsträgers darf nicht eine Beeinträchtigung seiner Freiheit durch den Staat sein. Der Schutz gegen staatliche Eingriffe in die Freiheit ist allein eine Frage des Abwehrrechts. Ein grundrechtlicher Leistungsanspruch kann nur entstehen, wenn andere Gefährdungslagen für das Grundrechtsgut festzustellen sind, die zu dem Bedürfnis nach einer Erweiterung des grundrechtlichen Schutzes führen, der über den des Abwehrrechts hinausreicht. Im Rahmen der Leistungsrechte muß die schon erwähnte Unterscheidung zwischen Schutzansprüchen und Förderungsansprüchen (auch Realisierungshilfsrecht oder Grundrechtsvoraussetzungsschutz genannt) durchgeführt werden. Voraussetzungen und Inhalt dieser Ansprüche sind nämlich grundlegend verschieden. Charakteristisch für den Schutzanspruch ist die Identität des Schutzobjektes mit dem des Abwehrrechts: Es geht um den ungeschmälerten Bestand des Grundrechtsgutes. Im Zusammenhang mit dem Schutzgut der Freiheit richtet sich dieser Anspruch also auf den Schutz vor Einwirkungen, die das von der Grundrechtsnorm 477 478

Siehe oben VI. vor 1. Siehe oben VI. vor 1.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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gewährleistete Maß an „Ist-Freiheit“ verringern. Genau diesen Schutz vermitteln auch die Abwehrrechte479. Der Unterschied liegt darin, daß einem Schutzanspruch eine Freiheitsbeeinträchtigung zugrundeliegt, die nicht dem Staat zuzurechnen ist und damit keinen Eingriff darstellt, sondern einen anderen Ursprung hat, insbesondere von dem Verhalten anderer Bürger ausgeht480. Der abwehrrechtliche Schutzgegenstand erhält insofern noch eine weitere Schutzrichtung. Der Förderungsanspruch zielt hingegen nicht auf den Erhalt der vorhandenen Freiheit des Grundrechtsträgers ab. Vielmehr geht es gerade um eine Erweiterung des abwehrrechtlichen Schutzgegenstandes481. Bezogen auf das Schutzgut der Freiheit richtet sich der Anspruch also auf eine Förderung durch den Staat, die ein bestimmtes Maß an „Soll-Freiheit“ herbeiführt und damit das ursprünglich vorhandene Maß an Freiheit erhöht482. Insbesondere kann eine Verpflichtung des Staates bestehen, die tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein Grundrechtsträger seine (abwehr-) rechtlich gewährleistete Freiheit ausüben kann483. Insofern sind etwa auch finanzielle Leistungen denkbar, die eine – abwehrrechtlich nicht gewährleistete – ökonomische Freiheit schaffen484. aa) Schutzanspruch Im Zusammenhang mit dem leistungsrechtlichen Schutzgehalt von Grundrechtsbestimmungen ist vor allem der Begriff der Schutzpflicht gebräuchlich. Inzwischen wird aber allgemein anerkannt, daß neben dieser objektiven Verpflichtung staatlicher Organe auch ein diesbezügliches subjektives Recht des betroffenen Bürgers existiert485. Dieses Recht ist die Folge des individualrechtsschützenden Charakters der Grundrechte486. Die Grundrechtsnormen dienen den Interessen der Bürger, sie zielen auf Möglichkeiten der Selbstbestimmung ab, ohne die menschliche Würde nicht denkbar ist487. Dieser Vorstellung vom selbstbestimmten Individuum widerspräche es aber in erheblichem Maße, wollte man die subjektive DurchsetzSiehe oben VI. 1. a). W. Roth Faktische Eingriffe, S. 75 und 414; Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 728 f.; Alexy Grundrechte, S. 410; Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 118; Hermes Grundrecht auf Schutz, S. 119. 481 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 745. 482 Begriff nach W. Roth Faktische Eingriffe, S. 74, 75 und 423. 483 Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 118: „Grundrechtsvoraussetzungsschutz“; Hermes Grundrecht auf Schutz, S. 119: „materielle Auffüllung der Grundrechte“; Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 745: Ansprüche auf „Realisierungshilfe“. 484 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 745 f. 485 Krings Schutzansprüche, S. 235; Jaeckel Schutzpflichten, S. 60 f.; Unruh Schutzpflichten, S. 64; Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 178 f.; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 410 ff. 486 Jaeckel Schutzpflichten, S. 60; Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 178; Unruh Schutzpflichten, S. 64. 487 Vgl. oben VI. 1. a). 479 480

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

barkeit von staatlichen Pflichten verneinen, die gerade dem individuellen Interesse des Betroffenen dienen. Der einzelne würde zum Objekt eines staatlichen Schutzes, der seine Subjektqualität gewährleisten soll488. Aus diesem Grund ist allgemein im grundrechtlichen Zusammenhang ein „Auseinanderklaffen von Pflicht und Recht“ abzulehnen, woran auch der Topos der in den Grundrechten verankerten objektiven Wertordnung nichts zu ändern vermag489. Auch die Herleitung von Schutzpflichten und korrespondierenden Ansprüchen läßt sich entscheidend auf den Sinn und Zweck der Grundrechte stützen. Ausdrücklich nennt Art. 1 I 2 GG im Hinblick auf die Menschenwürde nicht allein die staatliche Verpflichtung zur Achtung, sondern auch zur Gewährleistung von Schutz490. Darüberhinaus läßt sich aber allgemein feststellen, daß das Schutzgut im Mittelpunkt der Grundrechtsgewährleistungen steht und nicht die Herkunft der drohenden Beeinträchtigung 491. Der effektive Schutz der Selbstbestimmung, in dessen Dienst die Grundrechte stehen, wäre allein durch ein an den Staat gerichtetes Verbot, die Freiheit zu verkürzen, nicht gewährleistet492. Dies setzt vielmehr voraus, daß der Grundrechtsträger auch vor anderen Beeinträchtigungen geschützt wird. Damit setzt der grundrechtliche Schutzanspruch eine drohende oder bereits eingetretene493 Freiheitsbeeinträchtigung voraus, die dem Staat nicht zuzurechnen ist. Stellt man zur Begründung des Anspruchs entscheidend auf die effektive Gewährleistung der Freiheit ab, so kann die Herkunft der Beeinträchtigung grundsätzlich überhaupt keine Rolle spielen494. Es kommen daher nicht ausschließlich Beeinträchtigungen durch Private in Betracht, sondern etwa Gefahren natürlichen Ursprungs und unter engen Voraussetzungen sogar Handlungen des betroffenen Grundrechtsträgers selbst495. Da die Schutzpflicht primär auf die vorbeugende Verhinderung künftiger Beeinträchtigungen von Grundrechtsgütern gerichtet ist, genügt bereits die Gefahr einer Beeinträchtigung, um einen Schutzanspruch auszulösen496. Eine weitere Voraussetzung ist damit aber die Überschreitung einer bestimmten Gefahrenschwelle. Eine staatliche Verpflichtung zu einem unabhängig davon bestehenden umfassenW. Roth Faktische Eingriffe, S. 411. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 410 und 412. 490 Vgl. Krings Schutzansprüche, S. 142 f. 491 Jaeckel Schutzpflichten, S. 53. 492 Jaeckel Schutzpflichten, S. 54; Krings Schutzansprüche, S. 160 ff.; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 415; Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 151 ff. 493 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 736 f. 494 Dietlein Schutzpflichten, S. 103; Jaeckel Schutzpflichten, S. 80 f.; Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 734 ff.; Unruh Schutzpflichten, S. 76: Schutzgutorientierung der Schutzpflicht. 495 Vgl. zu letzterem 4. Teil II. 2. a) bb) (2) (a). 496 Hermes Grundrecht auf Schutz, S. 236; Jaeckel Schutzpflichten, S. 86. 488 489

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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den Schutz existiert nicht. Ein Schutz ad infinitum scheidet zum einen schon deshalb aus, weil seine Erfüllung dem Staat faktisch unmöglich wäre497. Zum anderen wäre der Versuch des Staates, einen „totalen Schutz“ zu gewährleisten, der Freiheit letztlich abträglich, da er nur mit Hilfe umfassender Reglementierungen unternommen werden könnte498. Überwiegend wird daher in Anlehnung an den Gefahrenbegriff des Polizeirechts die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Grundrechtsgutsbeeinträchtigung zu den Voraussetzungen eines grundrechtlichen Schutzanspruches gerechnet499.

bb) Förderungsanspruch Mit der vorstehend im Hinblick auf den Schutzanspruch gegebenen Begründung läßt sich feststellen, daß auch der Förderungspflicht des Staates stets ein Förderungsanspruch des Bürgers korrespondiert. Folgen aus den Grundrechten staatliche Pflichten im Interesse der Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers, so steht diesem das Recht zu selbstbestimmter Durchsetzung des Interesses zu. Die Herleitung der Förderungsrechte muß allerdings – von den ausdrücklich normierten Ausnahmen abgesehen – gesondert erfolgen, da es eben um eine Erweiterung des im Mittelpunkt der Norm stehenden Schutzgegenstandes geht500. Trotzdem ist die generelle Existenzberechtigung von Förderungsrechten überzeugend begründet worden501: Die Grundrechte setzen, indem sie das Recht auf die Achtung von Grundrechtsgütern normieren, voraus, daß diese Güter bereits existieren. Das Grundgesetz geht davon aus, daß der Mensch grundsätzlich die Möglichkeit zur Selbstbestimmung besitzt, die nicht durch den Staat beeinträchtigt werden darf. Ein Achtungsanspruch verlöre nämlich seinen Sinn, wenn nichts zu Achtendes bestünde. Ohne die tatsächliche Voraussetzung der Inanspruchnahme eines Freiheitsrechtes wäre dieses jedoch wertlos502. „Die Abwehrrechte implizieren so die Notwendigkeit eines Soll-Bestandes an Freiheit; seine Bemessung ergibt sich daraus, daß der Freiheitswert hoch genug erscheinen muß, damit die betreffende Freiheit sinnvoll als abwehrrechtliches Schutzgut erscheinen kann“503. Um dem Sinn der Freiheitsrechte, der Gewährleistung einer freien Entfaltung des Menschen in Selbstbestimmung, gerecht werden zu können, muß sich der Grundrechtsgehalt 497 Dietlein Schutzpflichten, S. 105; Hermes Grundrecht auf Schutz, S. 244; vgl. auch Unruh Schutzpflichten, S. 78; vgl. zur Unmöglichkeit im Zusammenhang mit grundrechtlichen Ansprüchen Mehde Vorbehalt des Möglichen, passim. 498 Dietlein Schutzpflichten, S. 105. 499 Jaeckel Schutzpflichten, S. 86; Krings Schutzansprüche, S. 229; Hermes Grundrecht auf Schutz, S. 236 ff.; Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 740. 500 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 732 und 745. 501 Ausführlich W. Roth Faktische Eingriffe, S. 427 ff.; Alexy Grundrechte, S. 458 ff. 502 Vgl. BVerfGE 33, 303 (331 f.); Alexy Grundrechte, S. 458. 503 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 428.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

auch auf die Mindestvoraussetzungen dieser Selbstbestimmung in tatsächlicher Hinsicht erstrecken504. Als zentrale Voraussetzung des Förderungsanspruches ergibt sich infolge dieser Herleitung, daß der Betroffene über grundlegende tatsächliche Voraussetzungen der Freiheitsausübung nicht verfügt, so daß die abwehrrechtlich gewährleistete Freiheit für ihn wertlos ist505. Wann das erforderliche Maß dieser faktischen „SollFreiheit“ nicht erfüllt ist, kann allerdings nur im Zusammenhang mit einzelnen Grundrechtsbestimmungen entschieden werden506. Zudem sind bei der Prüfung des Anspruches auch gegenläufige Interessen zu berücksichtigen507. Die zentrale Voraussetzung zeigt, daß der grundrechtliche Förderungsanspruch im Strafprozeßrecht bereits eine weitgehende Konkretisierung erfahren hat, wenn auch unter einem anderen Etikett. Diese Voraussetzung deckt sich nämlich mit der Funktion, die der oben bereits angesprochenen Fürsorgepflicht zugeschrieben wird. Die Fürsorgepflicht dient demnach dazu, dem hilfsbedürftigen Beschuldigten die tatsächliche Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte zu ermöglichen, indem ihm die insofern erforderliche Handlungskompetenz vermittelt wird508. Diese Pflicht sollte aber nicht mit fair trial, dem Rechts- oder dem Sozialstaatsprinzip in Zusammenhang gebracht werden: Sie ist (leistungs-)grundrechtlich fundiert, weil die abwehrrechtlich gewährleistete prozessuale Subjektstellung des Beschuldigten ohne sie z. T. leerlaufen würde. Der Rückgriff auf andere Prinzipien ist damit überflüssig bzw. methodisch sogar unzulässig. Die Grundrechte geben der Fürsorgepflicht einen ausreichenden Geltungsgrund, und diese Verankerung kann auch der Ausgestaltung der Pflicht nur förderlich sein509. Umgekehrt ist die erfolgte Konkretisierung der Fürsorgepflicht bei der genaueren Betrachtung des grundrechtlichen Förderungsanspruches hilfreich. So ist ein Kriterium herausgearbeitet worden, das eine weitere Voraussetzung eines solchen Anspruches darstellt. Die Fürsorgepflicht der Strafverfolgungsorgane wird davon 504 Vgl. Dirnberger Recht auf Naturgenuß, S. 148: „Der Staat . . . hat bei allen seinen Handlungen das von der Verfassung vorausgesetzte Menschenbild nicht nur zu achten, sondern er ist zusätzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, daß sich dieses Bild möglichst entfalten kann . . .“. Vgl. auch Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 281 zum Zusammenhang zwischen Eigenverantwortlichkeit und staatlicher Fürsorgepflicht im Strafprozeß. 505 Alexy Grundrechte, S. 466: Prinzip der faktischen Freiheit muß leistungsrechtliche Position sehr dringend fordern; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 433: Wert bestimmter Freiheiten droht auf Null zu sinken. 506 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 747. 507 Alexy Grundrechte, S. 466. 508 Siehe oben II. 509 Vgl. Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 281: Bestimmung des Umfangs der Fürsorgepflicht durch Koppelung an Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten. Die Bedeutung der Subjektstellung für Begründung und Begrenzung der Fürsorgepflicht betonen auch Plötz Fürsorgepflicht, S. 106; Kielwein Fürsorgepflicht, S. 119; Maiwald FS Lange, S. 745 (751); Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 114.

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

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abhängig gemacht, daß die Hilfsbedürftigkeit des Beschuldigten objektiv erkennbar war510. Den Grundrechten als Abwehrrechten, die allein vor einer objektiven Beeinträchtigung des Grundrechtsgutes schützen, ist eine solche Voraussetzung nach dem neueren Eingriffsbegriff zwar fremd511. Auch im Rahmen des Schutzanspruches wurde aber die objektive Vorhersehbarkeit einer Beeinträchtigung als Voraussetzung benannt, denn dies erscheint als Mindestanforderung an das Vorliegen einer Gefahr, verstanden als hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes. Die Gründe, den Förderungsanspruch ebenfalls von der objektiv feststellbaren Gefahr einer Benachteiligung des Grundrechtsträgers abhängig zu machen, die Folge seiner Hilfbedürftigkeit ist, sind die gleichen: Zum einen wäre es dem Staat faktisch unmöglich, Förderungen vorzunehmen, deren Bedürfnis noch nicht einmal zu erkennen ist512. Zum anderen wäre es mit der Vermutung des Grundgesetzes, der Bürger verfüge über die Fähigkeiten zu einer selbstbestimmten Disposition über seine Grundrechtsgüter, nicht zu vereinbaren, wenn der Staat ohne einen konkreten Anlaß das Vorliegen grundlegender tatsächlicher Voraussetzungen der Freiheitsausübung in Frage stellen würde. Der Förderungsanspruch setzt also eine objektiv nachprüfbare Prognose voraus, daß der Grundrechtsträger zur Freiheitsausübung der Förderung seiner tatsächlichen Freiheit durch den Staat bedarf.

b) Leistungsanspruch zum Schutz oder zur Förderung der prozessualen Subjektstellung In den strafprozessualen Vertrauenskonstellationen kommt wiederum die prozessuale Subjektstellung des Beschuldigten als Anknüpfungspunkt für einen grundrechtlichen Vertrauensschutz in Betracht, da die Verfahrensrechte als Grundlage dieser Stellung durch eine Vertrauensenttäuschung entwertet zu werden drohen. Ein Leistungsanspruch könnte sich daher aus denjenigen Grundrechten ergeben, die bereits im Zusammenhang mit der Frage nach einem Abwehranspruch als verfassungsrechtliche Gewährleistung der betroffenen Verfahrensrechte ermittelt wurden. Damit ist zunächst auf die – durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewährleistete – Aussagefreiheit des Beschuldigten einzugehen, soweit als Folge der hervorgerufenen Möglichkeitsvorstellung ein Geständnis abgelegt wurde, typischerweise also im Fall einer Urteilsabsprache. Im Hinblick auf einen grundrechtlichen Schutzanspruch ist festzustellen, daß hier eine Beeinträchtigung des Grundrechtsgutes durch die Informationspreisgabe droht. Insofern ist aber im Rahmen des Abwehranspruches vorrangig eine Beeinträchtigung durch den Staat zu prüfen. 510 511 512

Kielwein Fürsorgepflicht, S. 133; F. Meyer Willensmängel, S. 226 f. Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 199 ff. Vgl. F. Meyer Willensmängel, S. 226: Überforderung der Justiz.

12 Graumann

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Sollte eine dem Staat zuzurechnende Verringerung der Freiheit zu bejahen sein, scheidet ein Schutzanspruch – unabhängig davon, ob die weiteren Voraussetzungen eines Abwehranspruches vorliegen – aus. Ist der Grundrechtsträger aber in seiner Willensentschließungsfreiheit unbeeinträchtigt, wird er in aller Regel gerade in Ausübung seiner grundrechtlich gewährleisteten Freiheit handeln, wenn er Informationen preisgibt513, so daß ein Schutz dieser Freiheit – vor ihm selbst – nicht in Betracht kommt514. Die Vertrauensenttäuschung durch Verhängung einer höheren Strafe ist bereits als Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung eingestuft worden. Auch insofern erscheint also ausschließlich ein Abwehranspruch des Beschuldigten möglich. Ein Förderungsanspruch scheidet ebenfalls in aller Regel aus515, da der Beschuldigte über die tatsächlichen Möglichkeiten zum Gebrauch seiner Aussagefreiheit verfügt, jedenfalls aber die Unterschreitung eines erforderlichen Mindestmaßes nicht ersichtlich ist. Die einzige Behinderung seiner Dispositionsmöglichkeiten könnte auf die staatlichen Maßnahmen zurückzuführen sein, was eine Frage des Abwehrrechts ist. Soweit in den Vertrauenskonstellationen Antrags-, Erklärungs- oder Stellungnahmerechte berührt sind, kommt Art. 103 I GG als Grundlage eines leistungsrechtlichen Anspruches in Frage. Im Hinblick auf einen möglichen Schutzanspruch ergeben sich aber keine Unterschiede zu den Feststellungen zur Aussagefreiheit. Wenn der Beschuldigte aufgrund der vertrauensschaffenden Maßnahme davon absieht, von diesen Rechten Gebrauch zu machen, könnte dies eine Beeinträchtigung seiner Freiheit durch den Staat darstellen. Anderenfalls wird darin eine Ausübung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit zu sehen sein, weil das Recht auf rechtliches Gehör auch die Entscheidung gewährleistet, nicht aktiv auf das Verfahren Einfluß zu nehmen. Abhängig von dem Vorliegen eines solchen Eingriffes ist die Beantwortung der Frage, ob eine vertrauensenttäuschende Verurteilung in das Grundrecht aus Art. 103 I G eingreift516. Eine Verringerung der grundrechtlich vorgesehenen Freiheit kann also nur durch staatliche Maßnahmen erfolgen, so daß kein Schutz-, sondern ein Abwehranspruch zu prüfen ist. In Betracht zu ziehen ist aber ein auf Art. 103 I GG gestützter Förderungsanspruch des Beschuldigten. Dabei ist von Vorteil, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör unbestritten eine leistungsrechtliche Komponente enthält517, so daß eine entsprechende Funktion dieses Grundrechts nicht problematisiert werden Siehe oben VI. 1. c) aa) (2) (a) (aa). Eine Ausnahme könnte nur im Fall fehlender Willensentschließungsfähigkeit angenommen werden, vgl. unten 4. Teil II. 2. a) bb) (2) (a). 515 Eine nicht-absprachenspezifische Ausnahme kommt bei für das Gericht erkennbaren Irrtümern in Betracht, die auf subjektiv-unterdurchschnittliche Erkenntnismöglichkeiten des Angeklagten zurückzuführen sind, siehe 4. Teil V. 2. b). 516 Siehe oben VI. 1. c) cc) (2). 517 Siehe oben VI. 1. c) cc) (1). 513 514

VI. Die Grundrechte als Grundlage eines Vertrauensschutzes

179

muß. Diese vorgesehene Förderung besteht zum einen darin, daß das Gericht Ausführungen auch tatsächlich berücksichtigen muß. Zum anderen muß der Bürger Informationen über den Verfahrensgegenstand erhalten, um überhaupt sinnvoll über die Ausübung seiner Rechte disponieren zu können. Dazu gehört aber eben grundsätzlich nicht die Auskunft über die Rechtsauffassung des Gerichts. Wenn jedoch aufgrund einer entsprechenden Auskunft eine Möglichkeitsvorstellung des Betroffenen hervorgerufen wurde, könnte angesichts der Funktion des Förderungsrechts durchaus ein solcher Anspruch entstehen, der dann einen „Überraschungsschutz“ vermittelt. Zu den tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheitsausübung zählt nämlich ein ausreichender Wissensstand, der es dem Grundrechtsträger ermöglicht, eine an seinen Interessen orientierte Entscheidung zu treffen. Ändert das Gericht aber seine Rechtsansicht, die es dem Betroffenen mitgeteilt hat, dann stellt dieser sich nunmehr irrtümlich die mögliche Verwirklichung der Ankündigung durch das Gericht vor. Es könnte sich bei der Vorstellung des Beschuldigten also um einen tatsächlichen Umstand handeln, der ihn von einer eigentlich gewünschten Ausübung seiner rechtlich gewährleisteten Freiheit abhält. Damit ist die Möglichkeit einer Pflicht des Staates eröffnet, die tatsächliche Handlungskompetenz durch eine Beseitigung der Fehlvorstellung mittels eines entsprechenden Hinweises zu erhöhen, die Freiheit des Beschuldigten also in tatsächlicher Hinsicht zu fördern. Eine Änderung der Rechtsansicht hätte auch zwangsläufig das Erkennen einer möglichen Hilfsbedürftigkeit des Beschuldigten durch das Gericht zur Folge. Auch ein solcher Förderungsanspruch wäre allerdings nur für den Fall zu prüfen, daß der unzureichende Wissensstand des Beschuldigten nicht die Folge eines Eingriffes, der in der vertrauensschaffenden Maßnahme zu sehen sein könnte, ist. Anderenfalls handelte es sich nämlich um eine „Freiheitsförderung“, durch die eine vorherige Freiheitsverringerung ausgeglichen würde. Dies wäre aber Gegenstand eines Abwehrrechts, dem Vorrang gegenüber dem hier in Frage stehenden Leistungsrecht zukäme, welches eine Ergänzung des abwehrrechtlichen Schutzgegenstandes darstellt518. Der Förderanspruch setzt also voraus, daß nicht bereits das Abwehrrecht den eventuell erforderlichen Vertrauensschutz gewährleistet. Hingegen scheidet im Zusammenhang mit der durch die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG gewährleisteten Rechtsmittelbefugnis ein grundrechtlicher Leistungsanspruch regelmäßig von vornherein aus519. Die Entscheidung für einen Rechtsmittelverzicht oder die schlichte Nichteinlegung eines Rechtsmittels kann auf einer staatlichen Beeinträchtigung durch eine vertrauensschaffende Maßnahme beruhen und gegebenenfalls einen Abwehranspruch auslösen. Insofern kommt also kein Schutzanspruch in Betracht. Dies gilt aber auch mit Blick auf die Möglichkeit eines Förderungsanspruches. Zwar ist auch hier die Erkennbarkeit einer Fehlvorstellung möglich, die noch vor dem Rechtsmittelverzicht beseitigt wer518 519

12*

Siehe oben VI. vor 1. Zu der denkbaren Ausnahme siehe Fn. 514.

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

den könnte. Nun wird aber die Freiheit, gegen ein gerichtliches Urteil ein Rechtsmittel einlegen zu können, von der Verfassung nicht vorausgesetzt, sondern einfach-gesetzlich konstituiert520. Damit erlangt der Bürger zwar abwehrrechtlichen Schutz gegen staatliche Maßnahmen, durch die er in der ihm eingeräumten Freiheit beeinträchtigt wird. Wenn aber nicht einmal das Vorhandensein einer solchen rechtlichen Freiheit vom Grundgesetz gefordert wird, dann gilt dies erst recht für die tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheitsausübung. Ein bestimmtes Maß an „Soll-Freiheit“ ist bei der Rechtsmitteleinlegung nicht vorgesehen, so daß auch keine entsprechende Förderung beansprucht werden kann. Auch in diesem Zusammenhang kommt also allein ein Vertrauensschutz aufgrund eines Abwehranspruches in Betracht.

VII. Zusammenfassung Der Grundsatz des fairen Verfahrens kommt als Grundlage eines Vertrauensschutzes nur in Betracht, wenn rechtsstaatliche Mindesterfordernisses nicht gewahrt werden und das geschriebene Verfassungsrecht insofern keinen hinreichenden Schutz zu gewährleisten vermag. Dies ist angesichts der erfolgten Verankerung in den Grundrechten aber nicht der Fall, da insofern über die Reichweite des Vertrauensschutzes eine abschließende Aussage im Grundgesetz enthalten ist. Das Gebot von Treu und Glauben ist als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes des Bürgers gegenüber dem Staat ebenfalls abzulehnen. Es handelt sich dabei primär um ein ethisches Gebot, dem nur dann rechtliche Bedeutung zukommt, wenn es im Recht Ausdruck gefunden hat. Der rechtliche Schutz von Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern knüpft an die Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen des Bürgers an. Es muß daher bei der Suche nach einer verfassungsrechtlichen Grundlage auf die normierten Verfassungswerte zurückgegriffen werden, wobei ein subjektiver Vertrauensschutz die Existenz eines entsprechenden subjektiven Rechts erfordert. Läßt sich insofern eine rechtliche Relevanz des Vertrauens nachweisen, ist aber der Rückgriff auf das ungeschriebene Gebot von Treu und Glauben verschlossen. Im Verfassungs- und Verwaltungsrecht wird auch das Rechtsstaatsprinzip überwiegend als Grundlage subjektiver Rechte eingeordnet und der Vertrauensschutz des Bürgers aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit abgeleitet. Dem steht vorliegend jedoch nicht nur der Anwendungsvorrang der Grundrechte entgegen. Vielmehr vermag die Rechtssicherheit bei Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane in der Regel – so auch bei der Urteilsabsprache – von vornherein kein subjektives Recht auf Vertrauensschutz zu begründen. Der Gegenstand des sub520

Siehe oben VI. 1. c) cc) (1).

VII. Zusammenfassung

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jektiven Rechts muß nämlich inhaltlich dem jeweiligen objektiven Recht entsprechen. Das Gebot der Rechtssicherheit ist aber auf die Ordnungs- und Befriedungsfunktion des Rechts zurückzuführen und greift daher nur dort ein, wo staatlichen Maßnahmen eine solche Funktion innewohnt. Dies setzt einen materiell abschließenden Charakter der jeweiligen Maßnahme voraus, so daß rechtsstaatlicher Vertrauensschutz nur dann in Betracht kommt, wenn das staatliche Handeln schon für sich genommen grundsätzlich eine bindende Wirkung entfaltet, wie etwa Gesetze oder Verwaltungsakte (auch Zusagen im Verwaltungsrecht). Strafprozessuale Maßnahmen, die den möglichen Anknüpfungspunkt für einen Vertrauensschutz bilden, weisen hingegen in der Regel aufgrund der Entscheidungsoffenheit des Verfahrens keinen materiell abschließenden Charakter auf. Ein subjektiver Anspruch des Beschuldigten auf Rechtssicherheit scheitert daher daran, daß dieses rechtsstaatliche Gebot schon objektiv keine Beständigkeit der fraglichen Maßnahmen gebietet. Hingegen ist die Funktion dieser vorläufigen Maßnahmen im Strafverfahren, die zur Transparenz des Verfahrens führen, in einem engen Zusammenhang mit der prozessualen Subjektstellung des Beschuldigten zu sehen, die auf seinen Verfahrensrechten basiert, welche wiederum auf Grundrechtsgewährleistungen beruhen. Diese subjektiven Rechte könnten durch eine Abweichung von früheren Erklärungen der Strafverfolgungsorgane beeinträchtigt werden. Daher muß im Hinblick auf die einzelnen Grundrechte, die hinter der prozessualen Subjektstellung des Beschuldigten stehen, untersucht werden, ob in den Vertrauenskonstellationen Abwehr- oder Unterlassungsansprüche bestehen, die einen Vertrauensschutz gewährleisten. Dabei sind zunächst die primären Abwehrrechtsgehalte der Grundrechte zu betrachten. Abwehransprüche können sich nicht nur gegenüber der vertrauensenttäuschenden Maßnahme ergeben, sondern auch als Folge der vertrauensschaffenden Maßnahme. Letzteres ist vorrangig zu prüfen, da dann bereits ein ausreichender Schutz gewährleistet wäre. Im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache kommen als Grundlage eines Vertrauensschutzes die Aussagefreiheit, das rechtliche Gehör und die Rechtsmittelbefugnis in Betracht. Die Aussagefreiheit kann angesichts der Ablegung eines Geständnisses tangiert sein. Sie wird durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 I GG gewährleistet und umfaßt das Recht des Bürgers, über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Informationen zu entscheiden. Dieses Recht könnte bereits durch die Informationserhebung im Rahmen einer Verständigung beeinträchtigt werden (vertrauensschaffende Maßnahme). Insofern ist zu untersuchen, ob die Ablegung des Geständnisses gerade Ausdruck der grundrechtlichen Freiheit des Angeklagten ist oder seine Entscheidungsfreiheit durch die Absprache verkürzt wird. Nur dann läge die für einen Eingriff erforderliche

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3. Teil: Die verfassungsrechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes

Schutzbereichsbeeinträchtigung durch eine Verringerung seiner Willensentschließungsfreiheit vor. Hingegen ist bereits festgestellt worden, daß die Informationsverwertung im Urteil stets einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung darstellt, wenn von der Strafmaßprognose abgewichen wird (vertrauensenttäuschende Maßnahme). Sinn und Zweck dieses Grundrechts gebieten eine Befugnis des Grundrechtsträgers, über die Bedingungen des Umgangs mit seinen Informationen zu bestimmen. Diese Freiheit wird durch eine bedingungswidrige Nutzung verkürzt. Bei der Urteilsabsprache ist in der absprachegemäßen Verurteilung eine solche Bedingung zu sehen. Allerdings wird sich die Unverhältnismäßigkeit dieses Eingriffs nur dann ergeben können, wenn die Ablegung des Geständnisses nicht frei erfolgte und dem Eingriff daher eine besondere Intensität zukommt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß ein auf freier Entscheidung des Beschuldigten beruhendes Geständnis auch sonst trotz Widerruf ohne weiteres verwertbar bleibt, obwohl damit die Einwilligung in die Verwendung entfällt. Daher kommt der vertrauensschaffenden Maßnahme auch entscheidende Bedeutung für einen etwaigen Schutz gegen die Vertrauensenttäuschung zu. Das rechtliche Gehör gemäß Art. 103 I GG könnte betroffen sein, wenn absprachebedingt auf Beweisanträge, Erklärungen oder Stellungnahmen verzichtet wird. Diese Rechte gestalten den abwehrrechtlichen Gehalt von Art. 103 I GG aus. Auch hier kommt ein Schutz gegen die vertrauensschaffende Maßnahme in Betracht, also die Absprache selbst. Insofern ist wiederum entscheidend, ob der Betroffene bei seinem prozessualen Verhalten in Ausübung grundrechtlicher Freiheit oder aufgrund einer Beeinträchtigung seiner Willensentschließungsfreiheit handelt. Ein selbständiger Schutz gegen die vertrauensenttäuschende Maßnahme scheidet aus. Die Verwertung von Tatsache und Beweisergebnissen im Urteil stellt nämlich nur dann einen Eingriff in Art. 103 I GG dar, wenn der Betroffen dazu nicht in ausreichendem Maße gehört wurde. Dies setzt aber gerade eine Beeinträchtigung bei seiner Entscheidung voraus, von seinem Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Gebrauch zu machen. Auch bei der Rechtsmittelbefugnis, die als rechtlich konstituierte Freiheit von der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG geschützt wird, kommt nur ein Schutz gegen die vertrauensschaffende Maßnahme in Betracht. In leistungsrechtlicher Hinsicht scheidet ein Schutzanspruch aus, da allein eine Beeinträchtigung durch staatliches Handeln droht, was aber eine Frage des Abwehrrechts ist. Hingegen ist bei einer Vertrauensenttäuschung ein auf Art. 103 I GG gestützter Förderungsanspruch in Betracht zu ziehen, für den im Strafverfahren die Bezeichnung als Fürsorgepflicht üblich ist. Dann müßten dem Betroffenen aufgrund der Vertrauensenttäuschung – für das Gericht erkennbar – wesentliche Voraussetzungen fehlen, um von der rechtlich gewährleisteten Freiheit tatsächlich Gebrauch machen zu können. Allerdings könnte ein solcher Anspruch nur dort Bedeutung erlangen, wo nicht bereits ein Abwehranspruch existiert.

VII. Zusammenfassung

183

Die Verankerung des Vertrauensschutzes im Strafprozeß in den Grundrechten bringt Kriterien für Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solchen Schutzes mit sich, die den Vertrauensschutzgedanken handhabbar machen. Auf der geschaffenen Grundlage sind nun die Voraussetzungen eines Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen zu untersuchen.

4. Teil

Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes bei der Urteilsabsprache „Das geschriebene deutsche Strafprozeßrecht kennt Urteilsabsprachen nicht“1. Der 3. Strafsenat des BGH bringt in seinem Anfragebeschluß vom 24. Juli 2003 deutlich zum Ausdruck, daß weder Begriff und Inhalt noch Zulässigkeit der sogenannten Urteilsabsprachen im Strafverfahren gesetzlich geregelt sind2. Eine erste Annäherung an das tatsächliche, als Urteilsabsprache bezeichnete Phänomen ermöglichen die oben genannten Definitionen, die in abstrakter Weise den Vorgang einer solchen Verständigung beschreiben3. Mangels eines entsprechenden gesetzlichen Anknüpfungspunktes ist es allerdings auf dieser Basis noch nicht möglich, von der Urteilsabsprache zu sprechen. Die Weite der genannten Definitionen macht bereits deutlich, daß verschiedenste Einigungsinhalte und Vorgehensweisen im Rahmen einer solchen Verständigung denkbar sind4. Eine weitere Annäherung an das Zustandekommen und den Inhalt einer Urteilsabsprache muß nun im Wege einer Betrachtung erfolgen, wann sich das bisher nur grob beschriebene Vorgehen der Verfahrensbeteiligten in das geltende Strafprozeßrecht einfügt und damit nicht contra legem stattfindet. Nur dies ermöglicht eine Antwort darauf, wann eine Absprache ohnehin eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 337 StPO darstellt und im Falle einer Revision zur Aufhebung des darauf beruhenden Urteils führt. Vor allem ist vorliegend aber von Bedeutung, daß auf diese Weise die Feststellung möglich ist, ob die als Grundlage eines strafprozessualen Vertrauensschutzes in Betracht kommenden Grundrechtsschutzgüter schon auf einfach-gesetzlicher Ebene einen hinreichenden Schutz erfahren, soweit es um (fehlgeschlagene) Urteilsabsprachen geht. Dabei ist zwar zunächst einmal festzuhalten, daß das Strafverfahrensrecht keine Norm enthält, die als „konkreter Vertrauensschutz“5 bezeichnet werden kann. In BGH StV 2003, 544. Vgl. auch den Vorlagebeschluß des 3. Strafsenats vom 15. Juni 2004, NStZ-RR 2004, 266 (267): Die Verständigung in Strafsachen sei eine dem deutschen Strafverfahrensrecht fremde Erscheinung; sowie den daraufhin ergangenen Beschluß des Großen Senats für Strafsachen vom 3. März 2005, StV 2005, 311 (312): „Allerdings enthält die StPO keine Regelungen über die Urteilsabsprache“. 3 Siehe 1. Teil I. 1. 4 Vgl. Weigend BGH-FG, S. 1011 (1017): Vielgestaltigkeit des Phänomens der Urteilsabsprachen. 1 2

4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

185

keiner Regelung der StPO findet sich der Vertrauensschutz als Tatbestandsmerkmal wieder, wie es etwa in § 48 VwVfG bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes der Fall ist. Mit Blick auf die StPO stellt sich aber die Frage, ob dort ein „abstrakter Vertrauensschutz“ normiert ist, ob der Vertrauensschutzgedanke also Regelungen zugrunde liegt, ohne ausdrücklich in ihnen benannt worden zu sein, vergleichbar dem in § 49 VwVfG normierten Widerruf von rechtmäßigen Verwaltungsakten6. Insofern kommen also Regelungen der StPO in Betracht, die einen ausreichenden Schutz der bedrohten Verteidigungsinteressen, genauer: der dahinter stehenden grundrechtlichen Freiheiten, gewährleisten. Ein solcher Schutz könnte auch schon eine Folge der vertrauensschaffenden Maßnahme sein, also der Absprache selbst7. Zu fragen ist also, ob der Gesetzgeber von seiner Ausgestaltungsbefugnis Gebrauch gemacht und im einfachen Recht Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechtsgüter getroffen hat, die bei Urteilsabsprachen in der im 3. Teil beschriebenen Weise bedroht sind. Es könnte sogar ein weitergehender Schutz existieren, als es verfassungsrechtlich erforderlich wäre8. Zunächst soll also mit Blick auf die bedrohten Verteidigungsinteressen eine Auslegung des einfachen Rechts erfolgen, ohne Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte. Insofern ist vor allem von Interesse, ob die einschlägigen Vorschriften der StPO einer möglichen verfassungskonformen Auslegung zugänglich sind oder einen Rückgriff auf einen etwaigen weitergehenden grundrechtlichen Vertrauensschutz zulassen. Einem Schutz der grundrechtlichen Freiheiten durch das einfache Recht käme Anwendungsvorrang zu, so daß ein unmittelbarer Rückgriff auf die Grundrechte nur in Betracht kommt, wenn das einfache Recht bei (fehlgeschlagenen) Absprachen allenfalls ein lückenhaften Schutz vermittelt. Im folgenden wird dementsprechend zunächst darauf eingegangen, unter welchen Voraussetzungen eine Urteilsabsprache mit dem Strafprozeßrecht zu vereinbaren ist, insbesondere inwieweit das einfache Recht ohne Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Aspekte Schutz gewährleistet (I.). Dabei werden etwaige Lücken im Schutz der Beschuldigtenposition aufzuzeigen sein, die den Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz ermöglichen. Steht fest, daß ein Anwendungsbereich für einen unmittelbaren Grundrechtsschutz vorhanden ist, ist auf die Voraussetzungen (II. und III.) und Rechtsfolgen (IV.) des Vertrauensschutzes in Form eines Abwehranspruches einzugehen sowie auf die Möglichkeit eines grundrechtlichen Leistungsanspruches (V.), soweit kein Abwehrrecht den Schutz des Angeklagten gewährleistet.

5 6 7 8

Kisker VVDStRL 32 (1974), 149 (152 f.); Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 8. Vgl. Maurer in: HStR III, § 60 Rn. 8. Siehe 3. Teil VI. 1. a). Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 608.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

I. Die mit dem geltenden Strafprozeßrecht zu vereinbarende Urteilsabsprache – Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene Bei der Betrachtung der bisherigen Behandlung des Vertrauensschutzgedankens in Rechtsprechung und Literatur wurde bereits erwähnt, daß der Anwendungsbereich eines verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes maßgeblich von der Möglichkeit zulässiger Urteilsabsprachen abhängt9. Dies gilt zum einen für die Frage, welche Rolle die (Un-)Zulässigkeit der Absprache im Rahmen eines solchen Vertrauensschutzes spielt. Zum anderen greifen bei unzulässigen Absprachen aber vor allem in wesentlich größerem Umfang einfach-gesetzliche Schutzinstrumente ein, die einem Rückgriff auf das Verfassungsrecht entgegenstehen. Sieht man etwa mit Schünemann eine Verständigung über das Verfahrensergebnis nur unter so engen Voraussetzungen als zulässig an, daß nahezu sämtliche Absprachen, die sich in der Praxis finden, aus dem Bereich des Zulässigen herausfallen („Prägnanzbremse“)10, dann kann auch einem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz praktisch keine Bedeutung mehr zukommen. Schutz vermittelt dem Angeklagten dann schon häufig die Tatsache, daß die rechtswidrige Absprache als solche zur Aufhebung des Urteils führt. Zudem wird bei einer rechtswidrigen Verständigung über das Strafmaß oftmals das abgelegte Geständnis einem Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a III 2 StPO unterfallen und auf diese Weise der geständige Angeklagte geschützt werden11. Die Grundsatzkritik an den Absprachen ist auch mit dem Versuch des 4. Strafsenats in BGHSt 43, 195, die Absprachen in das geltende Recht zu integrieren, nicht verstummt12. Die Einfügung der Absprachenpraxis in das geltende Strafprozeßrecht mußte demnach „wie [die] Quadratur des Kreises notwendig scheitern“13. So wenig diese Grundsatzkritik an Bedeutung verloren hat, so wichtig erscheint es doch auch, die Folgen der in BGHSt 43, 195 entwickelten Grundsätze – etwa für den Vertrauensschutz – zu betrachten. Insbesondere erscheint eine grundsätzliche Umkehr der Rechtsprechung mit Blick auf die Entscheidungen der übrigen Senate Siehe 1. Teil I. 3. c). Schünemann StV 1993, 657 (658): marginale praktische Bedeutung; vgl. auch Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 200 und 251. 11 Vgl. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 110 ff.; Siolek Verständigung, S. 176 ff.; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 159 ff. 12 Vgl. etwa Schünemann FS Rieß, S. 525 ff.; Weigend NStZ 1999, 57 ff.; Nelles in: Däubler-Gmelin / Mohr Recht schafft Zukunft, S. 226 ff.; Weßlau ZStW 116 (2004), 150 (164 ff.); Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 200: Eine absprachengemäße Strafmilderung sei nur in einem so geringen Rahmen möglich, daß Absprachen damit äußerst unattraktiv würden; Bieneck wistra 2004, 471 (472). Vgl. aber auch die Erwiderung auf die Kritik an den Grundsätzen von BGHSt 43, 195 von Meyer-Goßner Gollwitzer-Kolloquium, S. 161 ff. 13 Schünemann FS Rieß, S. 525 (546). 9

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des BGH, in denen auf „die Grundsätze von BGHSt 43, 195“ verwiesen wird14, und die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen, der Urteilsabsprachen auf der Basis von BGHSt 43, 195 für zulässig erklärt15, nicht mehr realistisch. Desweiteren könnten die in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien bei einer gesetzlichen Regelung weitgehend übernommen werden16. Daher ist es auch wichtig, sich mit den vom BGH für die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen entwickelten Grundsätzen auf ihrer eigenen Basis auseinanderzusetzen. Fehlt es an jedem gemeinsamen Nenner, gelangt eine Kritik dieser Grundsätze nicht mehr zu Fragen wie dem Vertrauensschutz, die ebenfalls im künftigen Umgang mit Urteilsabsprachen von Bedeutung sind. Vorliegend sollen daher der Untersuchung solche Aspekte zugrundegelegt werden, die die notwendige Basis einer Zulässigkeit von Urteilsabsprachen bilden, um auf dieser Grundlage beurteilen zu können, inwieweit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes bei einer solchen Gestaltung des Strafprozesses Bedeutung zukommt. Im Grundsatz wird damit von der Möglichkeit der Integration einer – praktisch relevanten – Urteilsabsprache in das geltende Strafverfahren ausgegangen, auf entsprechende Probleme nur hingewiesen. Dies gilt insbesondere für die Annahme, dem Geständnis des Angeklagten komme in der Regel strafmildernde Wirkung zu und das Gericht sei in der Lage, unter hypothetischer Antizipation des Geständnisses schon Aussagen zur möglichen Strafhöhe zu machen. Vor diesem Hintergrund ist nun zunächst der gesetzliche Rahmen zu skizzieren, innerhalb dessen eine Verständigung bezüglich des Verfahrensergebnisses erfolgen kann, welche Anforderungen also an Inhalt und Zustandekommen einer Urteilsabsprache zu stellen sind (1.). Anschließend wird darauf eingegangen, welche gesetzlichen Vorgaben bei der Realisierung oder im Fall der Nichteinhaltung einer Urteilsabsprache zu beachten sind (2.). Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen nach dem Gesagten solche Vorschriften, die einen Vertrauensschutz möglicherweise schon auf einfach-gesetzlicher Ebene gewährleisten.

1. Inhalt und Zustandekommen der Urteilsabsprache Als Ausgangspunkt bietet sich die Frage an, wann Urteilsabsprachen mit § 136a StPO zu vereinbaren sind, da diese Vorschrift dem Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz entgegenstehen könnte. Die Regelung dient 14 Vgl. BGH StV 2003, 264 (265) und StV 2004, 115 (116) (1. Strafsenat); StV 2004, 417 (2. Strafsenat); StV 2003, 544 (545) und NStZ 2004, 342 (343) (3. Strafsenat); StV 2003, 481 und StV 2004, 471 (5. Strafsenat). 15 BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 f. 16 Vgl. den Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens StV 2004, 228 (231 und 237), dazu unten VII.; vgl. auch schon die „Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens“ StV 2001, 314 (316).

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nämlich zumindest auch dem Schutz des Beschuldigten17. Sie wird sogar als Kernvorschrift zum Schutz der Aussagefreiheit bezeichnet18. § 136a StPO gewährleistet die Freiheit hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Aussage19 gegenüber bestimmten unzulässigen Vernehmungsmethoden, die aber nur als Beispiele zu verstehen sind20. Ist eine Aussage auf eine Verletzung dieser Norm zurückzuführen, so besteht ein Verwertungsverbot, das gemäß § 136a III 2 StPO sogar von einer Zustimmung des Beschuldigten bezüglich der Verwertung unabhängig ist. Ist das im Rahmen einer Absprache abgelegte Geständnis unverwertbar, werden die Folgen eines möglicherweise in der vertrauensschaffenden Maßnahme liegenden Eingriffes in die Aussagefreiheit beseitigt. Zu einem zweiten Eingriff durch eine vertrauensenttäuschende Maßnahme kann es dann mangels Verwendbarkeit der erlangten Informationen nicht mehr kommen. In ihrem Anwendungsbereich stellt die Regelung des § 136a StPO daher eine ausreichende Konkretisierung des erforderlichen Schutzes der Aussagefreiheit dar, die einem unmittelbaren Rückgriff auf das Verfassungsrecht entgegensteht. Im Zusammenhang mit Absprachen kommt dabei insbesondere dem Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils gemäß § 136a I 3 StPO Bedeutung zu.

a) § 136a I 3 StPO – Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils Die typische Urteilsabsprache erstreckt sich auf die Ablegung eines Geständnisses durch den Angeklagten, welches wiederum Voraussetzung des vereinbarten Verfahrensergebnisses sein soll. Das Geständnis wirkt sich dabei mildernd aus, so daß es zu einem geringeren Strafmaß als im Fall des nicht geständigen Angeklagten kommt. Aus der Sicht des nach einer Absprache geständigen Angeklagten stellt die Verurteilung zu der vereinbarten Strafe also gegenüber dem sonst zu erwartenden Strafmaß einen günstigen Zustand dar21. Das vereinbarte Strafmaß ist damit ein Vorteil im Sinne des § 136a I 3 StPO22. 17 Daneben besteht ein überindividueller Schutzzweck der Norm, Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 4; Gundlach in: AK-StPO § 136a Rn. 2. Siehe dazu unten I. 1. a) bb) (2). 18 Rogall Der Beschuldigte, S. 50; KK-Boujong § 136a Rn. 1. 19 LR-Hanack § 136a Rn. 1; BGHSt 5, 332 (334): Die Vorschrift schütze die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten für seine Einlassung schlechthin. 20 BGHSt 5, 332 (334). 21 Eich Tatsächliche Verständigung, S. 116. Vgl. aber demgegenüber Tscherwinka Absprachen, S. 134 f., der das Strafmaß mit der Strafe vergleicht, die sich bei einem „normalen“ Verfahren und Geständigkeit des Angeklagten ergeben hätte und daher einen Vorteil ablehnt. Wenn der potentielle Vorteil die Folge einer Aussage sein soll, dann muß er aber zu der Situation in Bezug gesetzt werden, in der eine solche Aussage unterbleibt. 22 Vgl. LR-Hanack § 136a Rn. 51: Herbeiführung eines Zustandes, der vom Empfänger des Versprechens als günstig empfunden wird.

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Dieser könnte vom Gericht im Rahmen der Verständigung auch versprochen werden. Zwar ist der Inhalt dieses Begriffes umstritten, da teilweise darauf abgestellt wird, ob der Vernommene die Erklärung als bindende Zusage auffassen kann23, während andere das Inaussichtstellen eines unzulässigen Vorteils genügen lassen24. Geklärt werden soll zunächst aber, ob der in Frage stehende Vorteil gesetzlich vorgesehen ist. Das Versprechen eines solchen Vorteils wäre nach § 136a I 3 StPO nämlich nicht zu beanstanden.

aa) Gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil Nach welchem Maßstab die Zulässigkeit eines Vorteils zu beurteilen ist, ist ebenfalls strittig. Während von einer Ansicht jeder Vorteil als unzulässig angesehen wird, der die Gegenleistung für eine Aussage oder den Inhalt eine Aussage darstellt25, wird von anderer Seite darauf abgestellt, ob der Vorteil überhaupt nicht oder jedenfalls im konkreten Fall rechtlich nicht gewährt werden darf26. Die erste Auffassung ist abzulehnen, weil das Gesetz eben gerade die Möglichkeit des Versprechens eines Vorteils für eine Aussage vorsieht, sofern dieser nicht unzulässig ist27. Deshalb kann es nicht allein um den Hinweis auf ein rechtlich ohnehin gebotenes Verhalten gehen28. Vielmehr kann ein Vorteil nur versprochen werden, wenn ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum existiert und die Gewährung insofern von der persönlichen Entscheidung des Handelnden abhängig ist29. Auch dann kann das Versprechen zu einer erheblichen Beeinflussung der Willensfreiheit des Beschuldigten führen, die von § 136a StPO jedoch als zulässig eingestuft wird30. Im Ansatz ist daher der zweiten Ansicht zuzustimmen, die die jeweilige Zulässigkeit des Vorteils für maßgeblich erachtet. Dieser Ausgangspunkt ist aber ebenfalls problematisch, wenn dabei die Prüfung auf die Zulässigkeit des Vorteils selbst reduziert wird, vorliegend also auf die Möglichkeit des Gerichts, dem angekündigten Strafmaß mit dem Urteil zu entsprechen. Dies zeigt schon die Tatsache, daß es 23 BGHSt 14, 189 (191); Rogall in: SK-StPO § 136a Rn. 65; Meyer-Goßner StPO § 136a Rn. 23; KK-Boujong § 136a Rn. 32; HK-Lemke § 136a Rn. 38; maßgeblich ist der für den Angeklagten erkennbare Bindungswille des Gerichts, Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 55, da ein rechtswidriger Vorteil nicht rechtlich verbindlich versprochen werden kann, Schünemann Gutachten 58. DJT, B 99. 24 Grünwald NJW 1960, 1941; LR-Hanack § 136a Rn. 50; Eisenberg BeweisR, Rn. 685. 25 KK-Boujong § 136a Rn. 32; KMR-Müller § 136a Rn. 15; BVerfG NJW 1984, 428. 26 Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 67; HK-Lemke § 136a Rn. 40; LR-Hanack § 136a Rn. 52. 27 Friehe Verzicht auf Entschädigung, S. 394. 28 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 101. 29 Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 51a. 30 LR-Hanack § 136a Rn. 52; Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 51a.

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um die Ausfüllung eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraumes durch ein Strafverfolgungsorgan geht. Ein solcher Vorgang unterfällt nicht der Willkür des Handelnden, sondern hat sich an dem Zweck der jeweiligen Norm zu orientieren31. Wenn § 136a I 3 StPO aber gerade rechtlich nicht vorgesehene Beeinflussungen des Willens verhindern soll32, dann muß sich das Verbot auch auf ein rechtswidriges Vorgehen bei der Ausfüllung des Spielraumes erstrecken, welches von der inhaltlichen Zulässigkeit des Vorteils selbst unabhängig ist33. Verdeutlichen läßt sich dies mit folgenden Erwägungen: Das Versprechen eines Vorteils i. S. d. § 136a I 3 StPO führt zu der tatsächlichen Verknüpfung dieses Vorteils mit zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen. Eine solche Verknüpfung wird zum einen zwischen Vorteil und Aussage des Beschuldigten hergestellt34, zum anderen zwischen Vorteil und Versprechen des Strafverfolgungsorgans. Wenn dieser tatsächliche Zusammenhang keine rechtliche Entsprechung findet, wird eine rechtswidrige Ausfüllung des Ermessens- und Beurteilungsspielraumes genutzt, um den Beschuldigten zu einer Aussage zu veranlassen35. Vor § 136a I 3 StPO kann aber eben gerade nur solches Verhalten Bestand haben, das in rechtmäßiger Weise auf die Willensfreiheit einwirkt. Aus diesem Grund setzt die Zulässigkeit des Vorteils der Strafmilderung zunächst voraus, daß nach der einschlägigen Norm des § 46 II 2 StGB, die den für ein Versprechen erforderlichen Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum aufweist36, überhaupt ein Zusammenhang zwischen dem Geständnis und der Entscheidung über die Strafhöhe besteht (1). Erst dann wird die Rechtmäßigkeit des jeweiligen Strafmaßes, welches den Vorteil darstellt, relevant (2). Schließlich muß geprüft werden, ob es zulässig ist, daß das Gericht die Beurteilung des Strafmaßes schon zu dem Zeitpunkt der Absprache vornimmt, um die Art und Zulässigkeit der tatsächlichen Verbindung zwischen dem Versprechen und dem Vorteil rechtlich erfassen zu können (3). (1) Das Geständnis als Strafzumessungsfaktor Dem Geständnis müßte also bei der Strafzumessung Bedeutung zukommen. Anderenfalls wäre die an eine Aussage geknüpfte Strafmilderung ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil. Der 4. Strafsenat des BGH ist in seinem Urteil vom 28. AuSchünemann Gutachten 58. DJT, B 102. Vgl. Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 51a; LR-Hanack § 136a Rn. 52. 33 Vgl. Seier JZ 1988, 683 (688): „Unzulässiger Willensdruck kann auch und gerade durch die Art und Form des Zugeständnisses von staatlicher Seite ausgeübt werden“; vgl. auch Füllkrug MDR 1989, 119 (120). 34 Friehe Verzicht auf Entschädigung, S. 392. 35 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 102 ff. 36 Näher zum Charakter des richterlichen Entscheidungsspielraumes in dieser Norm unten I. 1. a) aa) (2) (d). 31 32

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gust 1997 zu dem Ergebnis gekommen, daß grundsätzlich jedes Geständnis Bedeutung als Strafmilderungsgrund erlangen kann37. Dies wird darauf gestützt, daß bei einem Geständnis, auch wenn es im Rahmen einer Verständigung abgelegt wird, Schuldeinsicht und Reue des Angeklagten vorliegen können38. Zudem bekenne der Angeklagte sich zu seiner Tat und fördere das Prozeßziel des Rechtsfriedens39. Schließlich leiste er mit dem Geständnis einen Beitrag zur Sachaufklärung und Verfahrensabkürzung, was ihm ebenfalls zugute gehalten werden könne40. Der BGH stellt außerdem darauf ab, daß angesichts des Grundsatzes in dubio pro reo jeweils von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen ist41. Der 4. Strafsenat deutet also zum einen an, daß das Geständnis als selbständiger Faktor in der Strafzumessung zu berücksichtigen ist. In der Literatur wird dies aber ganz überwiegend abgelehnt. Weder könne das Geständnis unter dem Aspekt der Genugtuungs- und Friedensfunktion dem Bemühen eines Ausgleichs mit dem Verletzten gemäß § 46 II 2 StGB zugeordnet werden, weil sich aus dem Eingeständnis der Tat nicht automatisch für den Verletzten ein Ausgleich für das ihm Zugefügte ergebe42. Noch sei eine Subsumtion unter das Merkmal „Auswirkungen der Tat“ möglich. Dies wird allerdings von Schmidt-Hieber versucht, der darauf abstellt, daß durch ein Geständnis die Tataufklärung erleichtert und damit die Auswirkungen der Tat gemindert werden43. Dem wird aber zu Recht entgegengehalten, daß mit den Tatfolgen i. S. d. § 46 II 2 StGB nicht das Strafverfahren gemeint ist, das zur Verfolgung der Tat angestrengt wird44. Außerdem handelt es sich bei der Erleichterung der Tataufklärung gar nicht um eine Auswirkung der Tat selbst, sondern um eine auf ein Nachtatverhalten zurückzuführende Folge45. Es fehlt daher an einer materiell-rechtlichen Grundlage, um das Geständnis als solches strafmildernd berücksichtigen zu können46. Zum anderen hat der BGH die Schuldeinsicht und Reue des Täters als Grundlage der strafmildernden Wirkung des Geständnisses genannt. Dies entspricht der gängigen Konstruktion der Rechtsprechung und herrschenden Lehre, um ein Geständnis bei der Strafzumessung mittelbar berücksichtigen zu können. Auf der BGHSt 43, 195 (210). BGHSt 43, 195 (209). 39 BGHSt 43, 195 (209). 40 BGHSt 43, 195 (209). 41 BGHSt 43, 195 (209). 42 Sch / Sch / Stree § 46 Rn. 41a; Fezer StrafprozeßR, 21 / 13; Rönnau wistra 1998, 49 (53); anders aber Schmidt-Hieber NStZ 1988, 302 (304); G. Schäfer Strafzumessung, Rn. 383. 43 Schmidt-Hieber FS Wassermann, S. 995 (997 f.). 44 Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1077); Schünemann Gutachten 58. DJT, B 112 f. 45 Rönnau Absprache, S. 103; Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 52. 46 Fezer StrafprozeßR, 21 / 13; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 113; Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 52; a.A. Cramer FS Rebmann, S. 145 (148); Niemöller StV 1990, 34 (36). 37 38

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Grundlage der sogenannten „doppelspurigen Indizkonstruktion“ stellt das Geständnis des Beschuldigten ein Verhalten des Täters nach der Tat i. S. d. § 46 II 2 StGB dar, das jedoch kein selbständiger Strafzumessungsfaktor ist47. Auf das Geständnis als solches kommt es nicht an, sondern auf die dahinter stehende Motivation des Beschuldigten48. Liegen dem Geständnis Schuldeinsicht und Reue zugrunde, so läßt dies unter Umständen Rückschlüsse auf die Tatschuld und Gefährlichkeit des Täters zu49. Neben Minderung von Schuld und spezialpräventivem Strafbedürfnis kann sich die in dem Geständnis zum Ausdruck kommende Einsicht des Täters aber unter Umständen auch in generalpräventiver Hinsicht auswirken50. Ausgeschlossen ist demnach eine Strafmilderung aber, wenn das Geständnis allein aus prozeßtaktischen Gründen abgelegt wird, weil es dem Angeklagten dann um die Milderung als solche geht und somit ein Indiz für diejenigen Aspekte, die eine solche Milderung begründen können, nicht vorhanden ist. Taktische Motive als Hintergrund der Geständnisablegung liegen aber gerade im Zusammenhang mit Absprachen nahe, da die Aussage des Angeklagten hier zuvor von den Verfahrensbeteiligten sogar vereinbart wird51. Aus diesem Grund wird die Strafmilderung von den Befürwortern der Absprachen, wie auch vom 4. Strafsenat, auf den Zweifelsgrundsatz gestützt, der auch im Rahmen der Strafzumessung Anwendung findet52. In aller Regel müsse gerade angesichts der Schwierigkeit der Motiverforschung davon ausgegangen werden, daß einem Geständnis auch Motive wie Reue und Unrechtseinsicht zugrunde liegen, es sei denn es ließe sich ausnahmsweise nachweisen, daß allein prozeßtaktische Erwägungen den Ausschlag gegeben haben53. Diese Argumentation ist jedoch nicht unproblematisch, da sie im Prinzip auf jegliches Prozeßverhalten des Angeklagten angewendet werden könnte, sogar auf das Leugnen der Tat54. Außerdem fragt sich, ob nicht in der typischen Verständigungssituation – mit einem „schlanken“ Geständnis abgesprochenen Inhalts – die Beweggründe der Einsicht und Reue mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden können55. Mit der Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo wird aber eine 47 LK-Gribbohm § 46 Rn. 206; Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1077); Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 43; Kritik an der „doppelspurigen Indizkonstruktion“ etwa bei Dencker ZStW 102 (1990), 51 (56 f.). 48 Maurach / Gössel / Zipf AT 2, S. 613; Tröndle / Fischer StGB § 46 Rn. 50; vgl. auch BGHSt 14, 189 (191 f.). 49 BGHSt 1, 106; LK-Gribbohm § 46 Rn. 206; Sch / Sch-Stree § 46 Rn. 41a. 50 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 110 und 112. 51 BGHSt 43, 195 (209). 52 Vgl. MüKomm-Franke § 46 Rn. 21. 53 Schmidt-Hieber Verständigung, Rn. 174; ders. FS Wassermann, S. 995 (999 f.); Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1078); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 50. 54 Grünwald StV 1987, 453 (454); Rönnau wistra 1998, 49 (53); so befürwortet Stalinski Geständnisbonus, S. 141 ff. tatsächlich unter Rückgriff auf den in-dubio-Grundsatz eine Strafmilderung auch im Fall des schweigenden und des leugnenden Angeklagten.

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Regel, die auf Restzweifel im Einzelfall zugeschnitten ist56, „für den Standardfall institutionalisiert“57. Diese Bedenken in materiell-rechtlicher Hinsicht sind umso schwerwiegender, als dem Geständnis „die größte Bedeutung in der dogmatischen Konstruktion kooperativer Prozeßmodelle“58 zukommt59, die Zulässigkeit der Urteilsabsprache mit dieser materiell-rechtlichen Frage also steht und fällt. Wer sich der Kritik anschließt und die strafmildernde Wirkung des Geständnisses im Rahmen von Absprachen ablehnt, der muß die Strafmilderung konsequent als einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil i. S. d. § 136a I 3 StPO einstufen60. Eine Ausnahme ergibt sich allenfalls für atypische Fälle, in denen besondere Umstände auf die für die Strafmilderung erforderliche Motivation hindeuten. Hier soll im weiteren – wie oben schon angekündigt – diese Basis zulässiger Urteilsabsprachen zugrunde gelegt werden, um die daraus resultierenden Folgen untersuchen zu können. Die unmittelbare Berücksichtigung des Geständnisses bei der Strafzumessung ist nach geltendem Recht aber ausgeschlossen. Die einzige Möglichkeit bleibt die Indizkonstruktion, und insofern haben Beulke / Satzger einen gangbaren Weg aufgezeigt, der zu einer regelmäßigen Strafmilderung aufgrund absprachebedingter Geständnisse führt61: Lege ein Angeklagter, nachdem er bis dahin geschwiegen hat, aufgrund einer Verständigung ein Geständnis ab, so werde er zwar stets „maßgeblich von prozeßtaktischen Überlegungen geleitet“. Für eine strafmildernde Wirkung genüge es aber, wenn Reue und Unrechtseinsicht zumindest auch ausschlaggebende Motive für das Geständnis gewesen sind. Das überwiegende Motiv sei ohnehin kaum feststellbar, zudem sei die Strafzumessungsschuld geringer als bei einem „reinen Prozeßtaktiker“. Im Zweifel müsse aber zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, daß Reue und Unrechtseinsicht als Grundlage einer Geständnisbereitschaft bereits vor der Verständigung vorhanden waren. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Absprache letztlich nur den Ausschlag für das Geständnis gebe, weil der ohnehin geständnisbereite Angeklagte erst in ihrem Rahmen größere Gewißheit über seine prozessuale Stellung erlangen oder diese vielleicht sogar verbessern kann. Zuvor könne er angesichts der größeren Ungewißheit aus Angst vor der drohenden Bestrafung trotz latenter Geständnisbereitschaft geschwiegen haben. 55 Weigend NStZ 1999, 57 (61); Schünemann FS Rieß, S. 525 (540); ders. Gutachten 58. DJT, B 111 und 112; ders. NJW 1989, 1895 (1897 f.); Bosch nemo tenetur, S. 198 f. Fn. 335; vgl. auch Horn in: SK-StGB, § 46 Rn. 148a. 56 Vgl. Fezer StrafprozeßR, 21 / 12. 57 Rönnau wistra 1998, 49 (53). 58 Rönnau wistra 1998, 49 (53). 59 Vgl. auch Schünemann Gutachten 58. DJT, B 111 f.: Lebenswichtigkeit der Verbindungslinie zum materiellen Strafrecht für die Absprachen; Weigend NStZ 1999, 57 (60): strafmildernde Wirkung eines Geständnisses als problematischer Angelpunkt jedes „deals“. 60 Vgl. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 110 ff.; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 181 ff. 61 Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1078).

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Unter Zugrundelegung dieser Argumentation wird also davon ausgegangen, daß über die „doppelspurige Indizkonstruktion“ und den in-dubio-Grundsatz der erforderliche Zusammenhang zwischen Strafmilderung und Geständnis bei der Urteilsabsprache im Regelfall hergestellt werden kann. Es handelt sich daher bei der Verknüpfung von Strafmaß und Geständnis grundsätzlich nicht um einen unzulässigen Vorteil. Anders ist dies allerdings zu beurteilen, wenn das Gericht bei dem Angeklagten den Eindruck erweckt, das Geständnis werde für sich genommen – entgegen der erforderlichen dogmatischen Konstruktion – auf jeden Fall als strafmildernd berücksichtigt. Aufgrund des Schutzzwecks des § 136a StPO, der die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung sichern soll, ist entscheidend nämlich darauf abzustellen, wie ein objektiver Erklärungsempfänger in der Person des Angeklagten die Erklärung des Gerichts verstehen durfte62. (2) Die Rechtmäßigkeit des angekündigten Strafmaßes Desweiteren müßte das bei der Verständigung angegebene Strafmaß auch als solches inhaltlich rechtmäßig sein, um bei der Strafmilderung von einem zulässigen Vorteil sprechen zu können. Das Gericht darf auch bei der Bekanntgabe des Strafmaßes im Rahmen der Absprache „den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen“63, und „es hat die Höhe der Strafe . . . nach den allgemeinen Grundsätzen der Strafzumessung festzulegen“64. Das auf Schuldeinsicht und Reue beruhende Geständnis kann – vor dem Hintergrund der herrschenden Spielraumtheorie 65 – bei der Ermittlung des Schuldrahmens (§ 46 I 1 StGB) sowie bei der Festlegung der konkreten Strafhöhe unter Berücksichtigung spezial- (§ 46 I 2 StGB) und generalpräventiver (vgl. §§ 47 I, 56 III StGB) Aspekte Bedeutung erlangen. Zu beachten ist dabei insbesondere, daß Geständnisse, bei denen das Vorliegen der erforderlichen Motive nur nicht ausgeschlossen werden kann, kaum zu umfangreichen Strafmilderungen aufgrund der Reue und Unrechtseinsicht des Täters führen können. Die Auswirkungen des Geständnisses bei der Strafzumessung sind daher in einer Weise begrenzt, der die Absprachenpraxis nicht gerecht wird66. 62 Seier JZ 1988, 683 (688); Rönnau Absprache, S. 192; vgl. bereits Erbs NJW 1951, 386 (389). 63 BGHSt 43, 195 (208). 64 BGHSt 43, 195 (209). 65 Siehe dazu G. Schäfer Strafzumessung, Rn. 461 ff.; LK-Gribbohm § 46 Rn. 18 ff.; Sch / Sch / Stree Vorbem §§ 38 ff. Rn. 10; Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 24. 66 Vgl. Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 200: „Zu einer exorbitanten Honorierung der Verfahrenskooperation bei Absprachen kann es damit aber nicht kommen“. Vgl. aber auch BGH NStZ 2005, 393: Die Differenz zwischen einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten und einer solchen von 6 – 7 Jahren könne nicht mit der strafmildernden Wirkung eines Geständnisses erklärt werden.

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Im Vordergrund steht vorliegend aber wiederum nicht diese materiell-rechtliche Problematik, die sich bei sämtlichen Urteilsabsprachen ergibt67. Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Schutz des Angeklagten bei fehlgeschlagenen Absprachen ist vielmehr von Interesse, ob sich das Scheitern der Verständigung bzw. die damit verbundene Modifizierung des Strafmaßes auf die Zulässigkeit des Vorteils auswirkt, der ja in dem angekündigten aber letztlich nicht verhängten Strafmaß besteht68. Eine entsprechende Prüfung erfordert zunächst eine Differenzierung nach dem Grund des Scheiterns der Absprache. Als mögliche Ursachen werden insofern genannt69: – die Unzulässigkeit der Absprache, – ein „Dissens“ in Form von Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt der Absprache, – die Absprache wird von einem daran beteiligten Dritten nicht eingehalten, – ein „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ aufgrund neu bekannt gewordener Umstände, – das Gericht hat tatsächliche Umstände, die bei der Urteilsabsprache bereits vorhanden waren, bei der Strafmaßankündigung übersehen (dies hat nunmehr der Große Senat für Strafsachen ausdrücklich als Fehlschlagsursache genannt, StV 2005, 311, 312), – der Einhaltung der Absprache stehen rechtliche Gründe entgegen, – „Vertragsuntreue“, weil ein Verfahrensbeteiligter aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht an der Vereinbarung festhalten will.

(a) Für die Strafzumessung irrelevante Gründe eines Fehlschlages der Urteilsabsprache Die Unzulässigkeit der Absprache, der „Dissens“ und die Nichteinhaltung durch einen Dritten können an dieser Stelle schnell als irrelevant ausgeschieden werden. Alle diese Umstände haben nämlich keinen Einfluß auf das Strafmaß und können daher über die Zulässigkeit einer entsprechenden gerichtlichen Einschätzung nichts aussagen. So darf das Gericht nach der Ablegung des antizipierten Geständnisses auch gar nicht von seiner Einschätzung abweichen, nur weil etwa ein „Dissens“ 67 Vgl. auch BGHSt 43, 195 (210): Die Gewichtigkeit des Geständnisses als strafmildernder Gesichtspunkt könne unterschiedlich sein. 68 Dabei wird an dieser Stelle noch nicht danach differenziert, ob sich die Ankündigung etwa auf eine bestimmte Strafhöhe, eine Strafobergrenze oder nur auf einen Rahmen bezieht oder beziehen darf, siehe dazu nachfolgend unter I. 1. a) aa) (3) (a). Ein Abweichen liegt allgemein immer dann vor, wenn das tatsächlich verhängte Strafmaß von der Ankündigung nicht mehr umfaßt wird. Wurde das Strafmaß nur auf einen Bereich eingeengt, liegt eben kein Scheitern der Verständigung vor, solange sich das Urteil in diesem Bereich bewegt. 69 Übersicht nach Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (64); Braun Absprache, S. 103 f.

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über zusätzlich vereinbarte Verfahrenseinstellungen offenbar wird70. Die Urteilsabsprache für sich genommen schlägt nämlich allein bei Vorliegen eines Grundes fehl, der strafzumessungsrechtlich relevant ist und daher eine Veränderung des Strafmaßes rechtfertigt. Anderenfalls muß das Gericht seine Ankündigung einhalten. Mangels eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils kommt ein Verwertungsverbot gemäß § 136a StPO dann also nicht in Betracht71. (b) Fehlschlag aufgrund neu hervorgetretener oder vom Gericht bei der Absprache übersehener tatsächlicher Umstände Eine Abweichung ist hingegen begründet, wenn sich nach der Absprache neue Umstände ergeben, aufgrund derer das angekündigte Strafmaß trotz des Geständnisses nicht mehr innerhalb des Schuldrahmens oder gar des Strafrahmens liegt oder die Strafzwecke eine andere Bewertung notwendig machen72. Hierzu kann auch der Fall gezählt werden, in dem das Geständnis nicht den Anforderungen entspricht, von denen bei der Ankündigung ausgegangen worden ist, insbesondere wenn es ersichtlich nicht von Reue und Schuldeinsicht getragen wird. Auch in diesen Konstellationen wird die inhaltliche Richtigkeit der Einschätzung im Rahmen der Absprache nicht berührt. Die spätere Veränderung in tatsächlicher Hinsicht, die eine neue rechtliche Bewertung mit sich bringt, ändert nichts an der Rechtmäßigkeit des angekündigten Strafmaßes, das auf einer anderen Sachlage basierte. Wie es zu beurteilen ist, daß das Gericht überhaupt solche Einschätzungen hinsichtlich des Strafmaßes vornimmt, obwohl es noch zu solchen tatsächlichen Veränderungen kommen kann, ist erst eine Frage des Zusammenhangs zwischen Versprechen und Vorteil, nicht der Zulässigkeit des Vorteils selbst73. Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn das Gericht die Verständigung nicht einhält, weil es bei der Strafmaßankündigung einen tatsächlichen Umstand übersehen hat, der ihm bereits bekannt war oder bekannt sein mußte73a. So hat etwa in einem Fall des 3. Strafsenats des BGH das Gericht bei der Absprache eine Vorstrafe des Angeklagten nicht berücksichtigt, die die Staatsanwaltschaft bereits in der Anklageschrift mitgeteilt hatte73b. Das Gericht muß bei der Erstellung seiner Strafmaßprognose alle Strafzumessungsfaktoren einbeziehen, deren Feststellung in der Hauptverhandlung jedenfalls überwiegend wahrscheinlich ist73c. Übersieht das Zu diesen Absprachen siehe unten 5. Teil. Eine andere Frage ist, ob sich z. B. ein „Dissens“ bezüglich der Einstellung weiterer Verfahren auf verfassungsrechtlicher Ebene auf die Verwertbarkeit des Geständnisses auswirkt, siehe dazu unten 5. Teil II. 1. 72 Vgl. BGHSt 43, 195 (210). 73 Anders wohl H. Schäfer DRiZ 1989, 294 (295), der bei Abweichung von dem angekündigten Ergebnis „jedenfalls nachträglich betrachtet“ vom Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils ausgeht. 73a Vgl. BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312). 73b BGH NStZ 2004, 493. 70 71

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Gericht einen bereits bekannt gewordenen Umstand, basiert die Strafmaßeinschätzung auf einem schon zum Zeitpunkt der Verständigung unzutreffenden Sachverhalt. Die Nicht-Berücksichtigung einer strafzumessungsrechtlich relevanten Tatsache führt zur Unvereinbarkeit des angekündigten Strafmaßes mit § 46 StGB. Da die Strafmaßprognose auf unvollständiger Tatsachengrundlage rechtswidrig ist, handelt es sich bei dem prognostizierten Strafmaß in diesem Fall um einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil. (c) Fehlschlag aus rechtlichen Gründen Ein Fehlschlagen der Absprache kommt auch dann in Betracht, wenn das Gericht allein aus rechtlichen Gründen eine Modifikation des Strafmaßes für erforderlich hält74. Dies gilt etwa für den Fall, daß das Gericht wie in BGH StV 2004, 471 die Unzulässigkeit einer in Aussicht gestellten nachträglichen Gesamtstrafenbildung erkennt. Darüber hinaus scheitert die Verständigung aber auch dann aus rechtlichen Gründen, wenn das Gericht nunmehr der Ansicht ist, daß die Abwägung aller – zum Zeitpunkt der Absprache bereits bekannten und auch berücksichtigten – Umstände i. S. d. § 46 II 1 StGB die Verhängung einer höheren Strafe notwendig macht („bessere Einsicht“ i. S. v. BGHSt 38, 102, 104 f.). Spricht es diese daher im Urteil aus, so stellt sich das ursprünglich angekündigte Strafmaß aufgrund eines Widerspruches zu den Grundsätzen der Strafzumessung als rechtswidrig heraus. In diesen Fällen liegt also nahe, daß es sich bei der angekündigten Strafmilderung um einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil i. S. d. § 136a I 3 StPO handelt. Zu klären ist allerdings, ob diese Beurteilung für alle Fälle gilt, in denen eine Verständigung trotz gleichbleibender Sachlage scheitert. Dem könnte zunächst entgegengehalten werden, daß es nicht möglich ist, ein bestimmtes Strafmaß zwingend als das allein „richtige“ zu bezeichnen75. Anerkanntermaßen erfordert die bei der Strafzumessung vorzunehmende Abwägung gemäß § 46 II 1 StGB eine subjektive Wertentscheidung des Richters, die einer exakten Richtigkeitskontrolle nicht zugänglich ist76. Es existiert bei der Strafzumessung daher ein Spielraum, der rational nicht mehr überprüfbar ist77, in dem 73c Das Maß der Wahrscheinlichkeit ist für die Genauigkeit der Prognose entscheidend, vgl. dazu nachstehend unter (3) (a). 74 Vgl. BGHSt 36, 210; das Hervortreten neuer Umstände ist hier nicht ersichtlich. Zur Frage, ob die Strafkammer auch aus Gründen der Opportunität von der Strafmaßeinschätzung des Vorsitzenden abgewichen sein könnte, sogleich im Text. 75 Vgl. Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 50. 76 Vgl. BGHSt 29, 319 (320); 34, 345 (349); 45, 312 (318); KG NStZ-RR, 2004, 175 (179); H.-J. Bruns Recht der Strafzumessung, S. 63; LK-Gribbohm § 46 Rn. 326; MüKommFranke § 46 Rn. 80; Sch / Sch / Stree § 46 Rn. 65 f. 77 Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 50; Jescheck / Weigend AT, S. 871: Es verbleibe ein Spielraum, innerhalb dessen die Festsetzung der Sanktion „vertretbar“ und deshalb – bei entsprechender Begründung – mit Rechtsmitteln nicht erfolgreich angreifbar sei; LK-Gribbohm § 46

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das vom Richter gefundene Strafmaß also nicht als „falsch“ verworfen werden kann. Dies könnte als Argument dafür angeführt werden, auch das Vorliegen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils davon abhängig zu machen, daß die Grundsätze der Strafzumessung bei der Strafmaßankündigung so verletzt wurden, daß dies im Wege einer nachträglichen Überprüfung durch das Revisionsgericht festgestellt werden kann. Die Verständigung enthielte dann nur einen unzulässigen Vorteil, wenn die angekündigte Strafe auf in sich fehlerhaften Strafzumessungserwägungen beruht, wenn bei der Einschätzung rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen werden oder über deren Bedeutung eine Fehlvorstellung besteht oder wenn sich die in Aussicht gestellte Strafe so weit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, daß ein grobes Mißverhältnis zwischen Schuld und Strafe entstünde78. Hingegen schiede ein unzulässiger Vorteil durch die Ankündigung immer dann aus, wenn das Gericht der Ansicht ist, aus rechtlichen Gründen von ihr abweichen zu müssen, obwohl sie nicht in der eben beschriebenen Weise – revisionsrechtlich überprüfbar – rechtsfehlerhaft war. Gegen eine solche Einschränkung spricht aber, daß dabei die revisionsrichterliche Perspektive zu weit in den Vordergrund gerückt wird. Die Grenzen bei der Kontrollmöglichkeit sollen verhindern, daß das Revisionsgericht, welches die Entscheidung nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen hat, seine eigene subjektive Wertentscheidung an die Stelle der Entscheidung des Tatrichters setzt79. Diese Gefahr besteht aber gar nicht, wenn die zweite Beurteilung des Strafmaßes ebenfalls in vollem Umfang zu erfolgen hat, also nicht auf die Kontrolle der Rechtsfehlerhaftigkeit der ersten Beurteilung beschränkt ist. Um eben diesen Fall geht es aber vorliegend, da ja hier die zweite Maßnahme nicht die Entscheidung einer Kontrollinstanz, sondern der eigentliche Strafzumessungsakt des Tatgerichts ist. Die begrenzte Revisibilität der Strafzumessungsentscheidung spricht daher nicht dagegen, die Strafmaßankündigung im Rahmen einer Absprache stets als rechtlich fehlerhaft anzusehen, wenn das Urteil selbst davon abweicht, ohne daß sich die tatsächliche Grundlage verändert hat. Einer solchen Beurteilung könnte allein das Vorhandensein mehrerer „richtiger“ Strafmaße in ein und demselben Fall entgegenstehen. Dann bestünde die Möglichkeit, daß sowohl das angekündigte als auch das tatsächlich verhängte Strafmaß Rn. 19, der darauf hinweist, daß dieser revisionsfreie Raum nicht mit dem Schuldrahmen der Spielraumtheorie verwechselt werden darf. 78 Vgl. LK-Gribbohm § 46 Rn. 326; MüKomm-Franke § 46 Rn. 80; Sch / Sch / Stree § 46 Rn. 65 f.; KG NStZ-RR 2004, 175 (179). Vgl. auch BGHSt 45, 312 (318); StV 2004, 470 (471); Beschluß vom 17. Juni 2004 – 3 StR 172 / 04, S. 2 (www.bundesgerichtshof.de). 79 Vgl. LK-Gribbohm § 46 Rn. 326: Die Feststellung, Bewertung und Abwägung der wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände sei Sache des Tatrichters, der in der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täterpersönlichkeit gewonnen hat.

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rechtlich einwandfrei sind, womit kein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil vorliegen würde. (d) Kein Ermessen des Gerichts bei der Strafzumessung Dies setzt aber voraus, daß das Gericht bei der Strafzumessung einen Ermessensspielraum im Sinne der verwaltungsrechtlichen Terminologie hat, also die Befugnis aus mehreren rechtlich zulässigen Möglichkeiten auf der Grundlage von Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rechtsfolge auszuwählen80. Deshalb ist hier schon auf den noch fehlenden Grund für das Scheitern einer Absprache einzugehen: die „Vertragsuntreue“ eines Verfahrensbeteiligten, der den Verständigungsinhalt nicht mehr für opportun hält. Fraglich ist aber, ob das Gericht die Strafhöhe tatsächlich nach seinem Ermessen bestimmen kann. Für eine solche Annahme läßt sich die schon erwähnte Abhängigkeit des Strafzumessungsvorgangs von subjektiven Wertungen anführen, die einer objektiven Richtigkeitskontrolle entgegensteht81. Dies deutet auf eine Wahlmöglichkeit des Richters hin. Zwar ist der Richter bei der Strafzumessung keinesfalls frei, da er an die Zweckvorstellungen des Gesetzes gebunden ist82. Er muß nach § 46 I 1 StGB zunächst den Rahmen der schuldangemessenen Strafe festlegen und anschließend die konkrete Strafhöhe innerhalb des Schuldrahmens unter Heranziehung spezialund generalpräventiver Gesichtspunkte bestimmen, maßgeblich sind dabei also die Strafzwecke. Daß bei der Ermessensausübung der Zweck, der der jeweiligen Norm zugrunde liegt, beachtet werden muß, ist aber nichts ungewöhnliches. Vielmehr ist es gerade Sinn des Ermessens, eine sachgerechte Lösung im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielvorstellungen des Gesetzes zu finden83. Hinsichtlich des Aspekts des Schuldausgleichs folgt jedoch bereits aus der Regelung des § 46 I 1 StGB, daß insofern ein Ermessen des Richters ausgeschlossen ist. Zwar gibt es nach der Spielraumtheorie stets verschiedene schuldangemessene Strafen. Bei der Festlegung der Grenzen des Schuldrahmens hat der Richter aber allein die gesetzlichen Vorstellungen zu konkretisieren. Ein Ermessen wird ihm in dieser Norm nicht eingeräumt, da eben allein die schuldangemessene Strafe zulässig sein kann. Für die Obergrenze der Schuldangemessenheit ergibt sich dies auch aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Menschenwürde, die jeder Strafe ohne Schuld entgegenstehen84. 80 Maurer Allgemeines VerwR, § 7 Rn. 7; Wolff / Bachof / Stober VerwR I, § 31 Rn. 31; Liebetanz in: Obermayer VwVfG, § 40 Rn. 3; Kopp / Ramsauer VwVfG, § 40 Rn. 11; Pache Beurteilungsspielraum, S. 23 f. 81 Vgl. auch LK-Gribbohm Vor §§ 46 ff. Rn. 5: individuelle Komponente im richterlichen Entscheidungsakt; Haas GS Keller, S. 45 (59 f.): gesetzlich gebundenes Ermessen des Tatrichters bei der Festlegung der Strafe. 82 Jescheck / Weigend AT, S. 871; Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 50. 83 Vgl. Maurer Allgemeines VerwR, § 7 Rn. 13; Liebetanz in: Obermayer VwVfG, § 40 Rn. 3; Pache Beurteilungsspielraum, S. 23 f.

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Ein Ermessen kommt daher von vornherein nur im Bereich der präventiven Strafzwecke in Betracht, also bei der Bestimmung der konkreten Strafhöhe innerhalb des Schuldrahmens. Zu beachten ist dabei aber, daß die Strafzwecke als Zielvorstellungen des § 46 StGB nicht allein Grenzen darstellen, die der Richter bei der Strafzumessung zu beachten hat. Vielmehr sind die bei der Abwägung i. S. d. § 46 II 1 StGB maßgeblichen Grundsätze der Strafzumessung der alleinige Bestimmungsgrund der Strafe85. Daraus folgt, daß der Richter sich bei der Strafzumessung im Rahmen der schuldangemessenen Strafe ausschließlich von den Strafzwekken in Form der Spezial- und Generalprävention leiten lassen darf. Hingegen hat er nicht die Befugnis, die Strafhöhe auf der Grundlage irgendeines anderen Zwecks „auszuwählen“. Man könnte daher ein Ermessen allenfalls noch bei der Berücksichtigung dieser gesetzlich abschließend normierten Strafzwecke im Einzelfall vermuten. Auch eine solche Wahlfreiheit des Richters muß aber abgelehnt werden. Denn auch die Festlegung der Strafhöhe innnerhalb des Schuldrahmens hat im Wege einer Abwägung gemäß § 46 II 1 StGB zu erfolgen. In diese sind aber sämtliche Strafzumessungsfaktoren mit dem Gewicht ihrer spezial- oder generalpräventiven Bedeutung einzustellen. Es werden also gerade nicht verschiedene „richtige“ Strafen gebildet, etwa: zum einen die Strafhöhe unter vorrangiger Berücksichtigung spezialpräventiver Aspekte, zum anderen primär im Hinblick auf generalpräventive Aspekte. Eine zulässige und in diesem Sinne „richtige“ Strafe liegt erst vor, wenn in der Abwägung alle Umstände berücksichtigt wurden. Der Tatrichter muß in dieser Abwägung letztlich zu einer konkreten Strafhöhe kommen, weil er dabei sämtliche Wertungsmaßstäbe (nämlich die Strafzwecke), die ihm zur Verfügung stehen, „verbraucht“. Eine weitere Auswahl zwischen verschiedenen Strafhöhen könnte er dann mangels legitimer Auswahlgründe nicht mehr treffen. Mit anderen Worten: Die einzigen Zweckerwägungen, die nach dem Strafzumessungsrecht in die Entscheidung miteinfließen dürfen, aber auch alle berücksichtigt werden müssen, führen zu genau einer „richtigen“ Strafe im jeweiligen Fall86. Wenn die für die Strafzumessung erforderliche Wertentscheidung auch stark subjektiv gefärbt ist, so konkretisiert der Richter dabei doch nur die gesetzlichen Wertungen im Einzelfall „als verlängerter Arm des Gesetzgebers“87. Es handelt sich bei der Strafzumessung also strukturell um Rechtsanwendung88. Geht man BVerfGE 20, 323 (331). H.-J. Bruns StrafzumessungsR, S. 94. 86 H.-J. Bruns StrafzumessungsR, S. 87 ff.; ders. Recht der Strafzumessung, S. 63 ff.; Frisch NJW 1973, 1345 (1347); Niemöller StV 1990, 34 (37); Maatz StraFo 2002, 373 (378); Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 50. Wie diese gefunden wird, wie also der Strafzumessungsvorgang beschaffen ist, spielt insofern keine Rolle. Dem Vorhandensein einer „richtigen“ Strafe steht es insbesondere nicht entgegen, von einem Rahmen schuldangemessener Strafen auszugehen. „Richtig“ ist nur diejenige, innerhalb dieses Rahmens liegende Strafe, die sich bei Abwägung sämtlicher Strafzumessungsfaktoren ergibt. 87 H.-J. Bruns StrafzumessungsR, S. 93. 88 LK-Gribbohm Vor § 46 ff. Rn. 5; Jescheck / Weigend AT, S. 871; Frisch NJW 1973, 1345 (1349); Grasnick JZ 1992, 260. 84 85

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von einem „Spielraum“ bei der Festlegung der Endstrafe aus, besteht dieser nicht in der objektiven Wahlmöglichkeit zwischen zwei gleichrichtigen Strafen, es handelt sich nur um eine subjektive Unsicherheit89. Der Richter hat tatsächlich keine Wahl zwischen verschiedenen Strafhöhen, ein tatrichterliches Ermessen bei der Strafzumessung existiert nicht90. Will man den Strafzumessungsakt in der Terminologie des Verwaltungsrechts einordnen, dann ist er als Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffes zu qualifizieren, der aufgrund der erforderlichen Wertung mit einem Beurteilungsspielraum versehen ist, womit nur eine eingeschränkte Überprüfung durch das Revisionsgericht stattfinden kann91. Im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache ist es dem Gericht also nicht möglich, von dem angekündigten Strafmaß aus Gründen der Zweckmäßigkeit abzuweichen, ohne daß dies rechtlich geboten wäre. Damit kommt „Vertragsuntreue“ in diesem Sinne als Grund für das Scheitern einer Verständigung nicht in Betracht. (e) Zwischenergebnis Auf dieser Grundlage lassen sich zwei Folgerungen für die Behandlung der Fälle ziehen, in denen das Gericht ohne eine Veränderung der Sachlage von der Strafmaßankündigung abweicht: Wenn das im Urteil ausgesprochene Strafmaß im Gegensatz zu demjenigen, das bei der Absprache angekündigt worden ist, einen revisiblen Verstoß gegen das Strafzumessungsrecht darstellt, dann ist die Sachrüge begründet, das Geständnis bleibt aber jedenfalls vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen verwertbar92. Ist hingegen ein Verstoß des Urteils gegen das Strafzumessungsrecht nicht 89 H.-J. Bruns StrafzumessungsR, S. 656; Maatz StraFo 2002, 373 (378): Der Richter sei nicht frei, zwischen mehreren „richtigen“ Strafen zu wählen, es gebe allein aus der Perspektive der Rechtsüberprüfung mehrere gleichermaßen „richtige“ Entscheidungen. 90 Grasnick JZ 1992, 260 Fn. 1: „Irrlehre vom tatrichterlichen Ermessen“. 91 H.-J. Bruns StrafzumessungsR, S. 95: Es handele sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff des Maßes und des Grades, nämlich der „nach Lage der Sache richtigen Strafe“; vgl. aber auch Maatz StraFo 2002, 373 (379): Der Tatrichter habe bei der „Feststellung“ wertausfüllungsbedürftiger normativer Merkmale eine Beurteilungs- oder Bewertungsaufgabe, nicht eigentlich aber einen entsprechenden „Spielraum“. Aus dem Verwaltungsrecht siehe zum unbestimmten Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum etwa Maurer Allgemeines VerwR, § 7 Rn. 26 ff.; Wolff / Bachof / Stober VerwR Bd. 1, § 31 Rn. 14 ff.; Pache Beurteilungsspielraum, S. 33 ff.; H.-J. Koch Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 14 ff. 92 Spricht allerdings das Tatgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, ein anderes Strafmaß aus als in der Absprache angekündigt, so ist das Vorliegen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu bejahen. Da es sich um eine neue tatrichterliche Entscheidung handelt, kann das vom an der Verständigung beteiligten Gericht genannte Strafmaß auch dann als unzulässig bewertet werden, wenn insofern kein revisibler Rechtsfehler vorgelegen hat, vgl. oben I. 1. a) aa) (2) (c). Dies gilt übrigens auch in Fällen, in denen das Gericht, das die Absprache vorgenommen hat, davon in seinem Urteil überhaupt nicht abweicht, aber (1.) das

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festzustellen, dann ist die Wertung des Tatgerichts maßgeblich. Es muß also von der „Richtigkeit“ des verhängten Strafmaßes ausgegangen werden. Das hat nach dem Gesagten aber zwangsläufig zur Folge, daß das angekündigte Strafmaß unzulässig gewesen und die Unzulässigkeit nunmehr vom Tatgericht erkannt worden ist. Damit ist der Vorteil als solcher als rechtswidrig einzustufen93. Allerdings könnte das letztere Ergebnis im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BGH stehen, die insofern allerdings nicht § 136a StPO zum Gegenstand hatte. In zwei neueren Entscheidungen, die im 1. Teil dargestellt worden sind94, hatten der 4. und der 5. Strafsenat über Fälle zu entscheiden, in denen Gerichte ohne objektiv nachvollziehbare Gründe im Urteil von der Strafzumessung abgewichen waren, die sie der Ankündigung im Rahmen der Absprache zugrunde gelegt hatten95. Von Bedeutung ist hier vor allem die Bemerkung des 4. Strafsenats, es sei nicht davon auszugehen, daß das Landgericht eine auch aus seiner Sicht unangemessen niedrige Strafe in Aussicht gestellt habe. Obwohl die verhängte Strafe im Ergebnis nicht unangemessen hoch erscheine, könne der Senat daher nicht ausschließen, daß die Strafe rechtsfehlerhaft geschärft worden sei96. Dies spricht dafür, daß der BGH bei Fehlen eines objektiv nachprüfbaren Grundes für das Abweichen von der Absprache nicht die Zulässigkeit des angekündigten Strafmaßes Urteil aus einem beliebigen Grund aufgehoben wird und (2.) die neue Tatinstanz zu einem anderen Strafmaß gelangt. 93 Dies trifft selbst dann zu, wenn das angekündigte Strafmaß zu hoch war und nun eine Abweichung nach unten erforderlich ist. Dieser – theoretisch denkbare – Fall kann kaum als ein „Scheitern“ der Absprache angesehen werden, weil sich die tatsächlich verhängte Strafe noch günstiger für den Angeklagten darstellt. Dennoch bleibt die in Aussicht gestellte Strafe ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil (wobei die Betonung auf „gesetzlich nicht vorgesehen“ liegt) sowie eine Drohung mit einem unzulässigen Nachteil, weil der Angeklagte nach der Einschätzung ohne Ablegung eines Geständnisses sogar mit einer noch höheren Strafe zu rechnen hatte. Allerdings kann es, sofern das Versprechen dieses Vorteils bejaht wird, an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen der unzulässigen Beweismethode und der Aussage des Beschuldigten fehlen. Das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen Beweismethode und Willensbeeinträchtigung, der auch bei § 136a I 3 StPO festgestellt werden muß, Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 24; Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 20, ist zwar zu bejahen. Dieser Zusammenhang besteht aber nicht zwischen Beeinträchtigung und Aussage, wenn der Angeklagte bei Angabe des korrekten Strafmaßes das Geständnis ebenfalls abgelegt hätte. Anders ist es aber insbesondere, wenn der Angeklagte angesichts einer drohenden niedrigeren Strafe das Unterbleiben einer Strafmilderung riskiert und seine Verteidigung auf einen Freispruch ausgerichtet hätte. 94 Siehe 1. Teil I. 4. b) bb). 95 BGHSt 49, 84 (89 f.); StV 2004, 471 (472). Das Abweichen von der Ankündigung als solches war zwar jeweils gerechtfertigt, weil in dem einen Fall die Absprache nicht vollständig zustande gekommen ist und in dem anderen eine unzulässige Gesamtstrafenbildung angekündigt worden ist. Diese Aspekte konnten aber die tatsächlich verhängte Strafe nicht erklären, die Tatgerichte müssen auch von der konkludent enthaltenen Einschätzung, zu welcher Strafmilderung ein Geständnis führen würde, abgewichen sein. 96 BGHSt 49, 84 (90). Vgl. auch BGH StV 2004, 471 (472): Das angekündigte Strafmaß erscheine nicht unvertretbar, ein tragfähiger Grund für das Abweichen sei nicht ersichtlich.

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in Zweifel zieht, sondern allein die Rechtmäßigkeit der verhängten höheren Strafe97. Auf dieser Basis würde die Unzulässigkeit des in Aussicht gestellten Strafmaßes i. S. d. § 136a I 3 2. Alt. StPO wohl kaum erwogen werden. Dies ändert aber nichts an den vorstehenden Ausführungen. Kann die tatsächlich verhängte Strafe vom Revisionsgericht aufgrund des Beurteilungsspielraums des Tatrichters nicht beanstandet werden, so muß bei einem Abweichen des Urteils von der Absprache – ohne Hervortreten neuer Umstände – die Beurteilung des Tatrichters maßgebend sein. Es ist also davon auszugehen, daß „bessere Einsicht“ zu der Erkenntnis geführt hat, daß die Strafzwecke doch eine höhere Strafe erfordern. Angesichts fehlenden Ermessens ist daher das angekündigte Strafmaß als rechtswidrig einzustufen. Nun ist zuzugeben, daß eine rechtswidrige Strafschärfung gerade dann nicht ausgeschlossen werden kann98, wenn das Gericht in objektiv nicht nachvollziehbarer Weise eine höhere Strafe verhängt, nachdem der Angeklagte sich z. B. dem gerichtlichen Ansinnen, einen Rechtsmittelverzicht zu versprechen, verweigert hat99. Dies wird allerdings nicht nachzuweisen sein. Denn der Annahme, wenn in einem solchen Fall keine neuen strafschärfenden Umstände bekannt geworden sind, beruhe die höhere Strafe offensichtlich auf rechtswidrigen Strafzumessungsgesichtspunkten100, ist zu widersprechen. Wer bei einem Richter ein solches bewußt rechtswidriges Verhalten vermutet, dem muß es doch genauso naheliegend erscheinen, daß dieser Richter unangemessen niedrige Strafen in Aussicht stellt, um Angeklagte zu Absprachen zu bewegen101. Möglicherweise hat dann eine Weigerung des Angeklagten, auf eine rechtswidrige Absprache einzuge97 Die Rechtmäßigkeit der höheren Strafe wird nicht allein unter dem Aspekt, daß ein Abweichen aufgrund der Bindungswirkung unzulässig sein könnte, in Frage gestellt. Auf die Bindungswirkung hat der 4. Strafsenat nämlich – inkonsequent – gar nicht abgestellt, siehe 1. Teil I. 4. b) bb). Vielmehr hielt der Senat die Strafzumessung im Urteil als solche – unabhängig von einer Bindung – für möglicherweise rechtsfehlerhaft. Vgl. auch Beulke / Swoboda JZ 2005, 67 (74): Es scheine den 4. Senat nicht zu stören, wenn die tatsächlich verhängte (höhere) Strafe alles in allem weit mehr schuldangemessen erscheint als die zunächst zugesagte Strafobergrenze. 98 Dies war bei BGHSt 49, 84 (89 f.) entscheidend, weil die mögliche Strafschärfung in der Beruhensprüfung i. S. d. § 337 I StPO angesprochen wurde. 99 Vgl. BGH NStZ 2002, 219; vgl. aber auch BGHSt 49, 84: Weigerung, eine Steuerschuld zu begleichen. 100 So Weider NStZ 2002, 174 (175) in seiner Anm. zu BGH NStZ 2002, 219. 101 Dafür spricht im Fall BGH NStZ 2002, 219 etwa, daß die Staatsanwaltschaft sich nur mit „Hängen und Würgen“ mit der angekündigten Strafe einverstanden erklärte, vgl. Weider NStZ 2002, 174, der den gesamten Sachverhalt anhand der Revisionsbegründung, den eingereichten Stellungnahmen und den eingeholten dienstlichen Erklärungen darstellt. Zwar hat der Vorsitzende in diesem Fall den Rechtsmittelverzicht der Angeklagten erst gefordert, nachdem dies von der Staatsanwaltschaft zur Bedingung erklärt worden war, unter der sie das angekündigte Urteil nicht anfechten werde. Hier könnte man nun aber – will man einen bewußten Rechtsverstoß des Gerichts unterstellen – auch vermuten, daß das Gericht aufgrund des zuvor schon erfolgten Geständnisses eine unangemessen niedrige Strafe zu verhängen beabsichtigte.

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hen, nur dazu geführt, daß letztlich das aus Sicht des Tatgerichts angemessene Strafmaß verhängt wurde. Eine Urteilsabsprache oder ihr Scheitern stellen also keinen Grund dar, bei einer objektiv nicht nachprüfbaren Straferhöhung im Urteil von deren Rechtswidrigkeit auszugehen, wenn das verhängte Strafmaß innerhalb des Beurteilungsspielraums des Tatrichters liegt102. (3) Die Zulässigkeit der Antizipation des Verfahrensergebnisses Die Zulässigkeit der Strafmaßankündigung setzt neben der Beachtung der Grundsätze der Strafzumessung voraus, daß das Verfahrensergebnis vom Gericht auch antizipiert werden darf. Mit dem Versprechen eines Vorteils ist – unabhängig vom Streit um den Begriff des Versprechens – stets die Vorwegnahme einer Beurteilung bezüglich des Vorteils verbunden. Ob dieser Vorgang eine unzulässige Beeinflussung der Willensfreiheit des Angeklagten darstellt, kann abschließend erst beantwortet werden, wenn feststeht, inwieweit die Beurteilung der Gewährung des jeweiliges Vorteils nach der dafür maßgeblichen Norm überhaupt vorweggenommen werden darf103. Die dafür maßgeblichen Prüfungspunkte lassen sich im Anschluß an Niemöller104 als „Prognosegewißheit“ und „Selbstbindungsmacht“ bezeichnen. Erstens muß das Gericht zum Zeitpunkt des Versprechens das Vorliegen der Voraussetzungen dafür, daß der Vorteil später auch gewährt werden kann, in tatsächlicher Hinsicht beurteilen können105. Ist das Gericht angesichts der aktuellen Beurteilungsbasis zu einer Vorwegbeurteilung der Vorteilsgewährung noch gar nicht in der Lage, dann ist eine entsprechende Erklärung unzulässig. Zweitens ist von Bedeutung, inwieweit mit der Erklärung die Entscheidung über die Gewährung des Vorteils rechtlich schon vorweggenommen werden darf. Ersetzt das Gericht die spätere Entscheidung durch das Versprechen, handelt es unzulässig, wenn eine solche Selbstbindung mit dem Recht nicht zu vereinbaren ist. (a) Tatsächliche Möglichkeit der Antizipation („Prognosegewißheit“) Der 4. Strafsenat hat sich in BGHSt 43, 195 nicht ausdrücklich zu tatsächlichen Problemen bei der Beurteilung des Strafmaßes zum Zeitpunkt der Verständigung 102 Vgl. auch den in BGHSt 49, 84 (89) formulierten Grundsatz: „Selbst die Unzulässigkeit einer vom Gericht in Aussicht genommenen Absprache . . . reicht für sich genommen nicht aus, die Besorgnis einer fehlerhaften Strafzumessung zu begründen“. 103 Vgl. Schünemann Gutachen 58. DJT, B 102: Zusicherungsfähigkeit des Vorteil; Friehe Verzicht auf Entschädigung, S. 393 f.: Versprechensfähigkeit des Vorteils. 104 Niemöller StV 1990, 34 (37). 105 Friehe Verzicht auf Entschädigung, S. 394 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 104.

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geäußert106. In der Literatur wird hingegen die Unzulässigkeit des Vorteils „Strafmilderung“ – neben der grundsätzlichen Ablehnung der strafmildernden Wirkung des Geständnisses – auch auf diesen Aspekt gestützt. Insbesondere wird geltend gemacht, das Geständniss lasse sich jedenfalls nicht lückenlos antizipieren, so daß eine mögliche strafmildernde Wirkung nicht schon abschließend im voraus beurteilt werden könne107. Die Angabe eines exakt bestimmten Strafmaßes sei daher materiell-rechtlich ausgeschlossen. In der Tat erscheint es praktisch unmöglich, die ohnehin schwer feststellbaren Motive der Reue und Unrechtseinsicht auch noch vor der Ablegung des Geständnisses genau beurteilen zu wollen. Dies wäre aber Voraussetzung für eine genaue Einschätzung hinsichtlich der Strafmilderung. Dennoch ist es konsequent, eine solche Prognose für möglich zu halten, wenn man die Aussagen des 4. Strafsenats zur strafmildernden Wirkung des Geständnisses – wie hier – im wesentlichen zugrundelegt. Diese Wirkung ergibt sich in der Verständigungssituation demnach nämlich aus dem Grundsatz in dubio pro reo. Damit wird die Motiverforschung aber gerade als nicht möglich angesehen und der Zweifelsgrundsatz nur angewendet, weil auch die für eine Strafmilderung erforderlichen Motive in aller Regel nicht ausgeschlossen werden können108. Auf dem Boden dieser Ansicht ist aber eine inhaltlich detaillierte Antizipation des Geständnisses gar nicht erforderlich. Es kann vielmehr von dem als Standard eingestuften Geständnis ausgegangen werden, bei dem sich Reue und Einsicht zwar nicht positiv feststellen, aber auch nicht ausschließen lassen. Besondere Anforderungen sind dann an das Geständnis gar nicht zu stellen, der Zweifelsgrundsatz muß konsequent auch bei „schlanken“ Geständnissen wie etwa der bloßen Bestätigung des Anklagevorwurfes angewendet werden. In diesem Sinne sind vom Richter die in dem Geständnis zum Ausdruck kommenden Motive im „Normalfall“ schon im voraus präzise zu beurteilen. Dann ist aber auch eine konkrete Angabe der für diesen Fall zu erwartenden Strafmilderung durchaus möglich. Gegen die Bestimmung eines exakten Strafmaßes im Rahmen der Verständigung wird aber zudem angeführt, daß dafür die Beurteilungsgrundlage zu diesem Zeitpunkt allgemein noch nicht ausreichend sei109. Eine Strafmilderung komme ja nur in Betracht, wenn sich die Beweisaufnahme noch in einem sehr frühen Stadium befinde110. Mit dieser Kritik wird der Tatsache Rechnung getragen, daß sich die 106 Vgl. demgegenüber die frühere Rechtsprechung des 3. Strafsenats in BGHSt 37, 298 (304); der Senat hat sich BGHSt 43, 195 aber inzwischen angeschlossen, vgl. BGH StV 2003, 544 (545). 107 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 113 f.; Janke Verständigung, S. 196; Niemöller StV 1990, 34 (37): Das Geständnis sei anders als das guilty plea im amerikanischen Strafprozeß keine von vornherein erkennbare Größe. 108 Beulke / Satzger JuS 1997, 1072 (1078). 109 Vgl. aber demgegenüber auch Weider NStZ 2002, 174 (176): Einschätzung des Gerichts nach den im Zeitpunkt der Verständigungsgespräche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen; vgl. auch Schlüchter in: SK-StPO, Vor § 213 Rn. 46. 110 Schünemann StV 1993, 657 (658); Niemöller StV 1990, 34 (37).

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Ungewißheit des Gerichts auf andere strafzumessungsrelevante Faktoren beziehen kann111. Da im Unterschied zu dem Geständnis insofern nicht von einer bestimmten Standardkonstellation ausgegangen werden kann, verbietet sich hier eine präzise Antizipation. Können Umstände, die für die Strafzumessung bedeutsam sind, aktuell noch nicht beurteilt werden, scheidet die Angabe eines bestimmten Strafmaßes daher aus. Maßgebend ist dafür aber der tatsächliche Verfahrensstand im jeweiligen Einzelfall112. Zu beachten ist wieder, daß nach dem Urteil des 4. Strafsenats die strafmildernde Wirkung des Geständnisses erst entfällt, wenn es auf eine erdrückende Beweislage zurückzuführen ist, was aber bei Vornahme einer Verständigung wohl ausgeschlossen ist113. Akzeptiert man diesen Standpunkt, dann sind Absprachen aber auch in Verfahrenslagen denkbar, in denen der Amtsermittlungsgrundsatz114 nach der Ablegung eines glaubwürdigen Geständnisses keine weiteren Beweiserhebungen mehr gebietet, die Beweisaufnahme sich also nicht ganz am Anfang befindet. Wenn in diesem Sinne die Strafzumessungsfaktoren schon hinreichend ermittelt worden sind, kann deren Beurteilung unter Antizipation des noch für die Schuldfrage und die Strafmilderung maßgeblichen Geständnisses eine genaue Strafzumessung ermöglichen. Kommt es aber etwa noch auf den Inhalt des Geständnisses an, um neben dessen strafmildernder Wirkung auch andere Strafzumessungsfaktoren beurteilen zu können, so ist eine präzise Angabe ausgeschlossen. Es kommt dann eine ungefähre Angabe in Betracht115, die auch als „Circa-Strafe“ bezeichnet werden kann116. Besteht hinsichtlich maßgeblicher Aspekte der Strafzumessung noch in weitergehendem Maße Unklarheit, wird es dem Gericht allein möglich sein, einen mehr oder weniger weiten Rahmen anzugeben, in dem das Strafmaß nach aktueller Beurteilung liegen würde117. Möglicherweise ist es dann auch nur dazu in der Lage, den Strafrahmen nach einer Seite hin zu begrenzen, etwa durch Angabe einer Strafobergrenze118. Wie präzise das Strafmaß in Rahmen der Verständigung benannt werden kann, hängt also von der jeweiligen tatsächlichen Beurteilungsbasis ab. Kündigt das Gericht eine Strafhöhe an, die mangels hinreichender Sachlage in dieser Bestimmtheit noch nicht festgestellt werden kann, handelt es sich um einen unzulässigen Vorteil i. S. d. § 136a I 3 StPO. Vgl. auch BGHSt 37, 298 (304). Janke Verständigung, S. 195 f.; Böttcher / Widmaier JR 1991, 353 (355). 113 Vgl. BGHSt 43, 195 (209). 114 Vgl. dazu auch unten I. 2. a). 115 Böttcher / Widmaier JR 1991, 353 (355). 116 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 56 f.; Janke Verständigung, S. 197 f.; der Sache nach auch Siolek FS Rieß, S. 563 (570). 117 Schünemann StV 1993, 657 (658); Böttcher / Widmaier JR 1991, 353 (355); vgl. auch BGHSt 38, 102. 118 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 56 f.; Böttcher / Widmaier JR 1991, 353 (355, siehe aber auch 356); vgl. BGHSt 43, 195 (207 f.). 111 112

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(b) Rechtliche Möglichkeit der Antizipation („Selbstbindungsmacht“) Neben dieser faktischen Antizipationsmöglichkeit setzt die Zulässigkeit der Vorwegnahme des weiteren voraus, daß eine solche auch rechtlich gestattet ist. Maßgeblich dafür ist, inwieweit das Gericht die Entscheidung über die Gewährung des Vorteils „Strafmilderung“ schon im Zeitpunkt der Absprache treffen darf. Da das Strafmaß erst im Urteil ausgesprochen wird, geht es also um die Bindung des Gerichts an seine Ankündigung. Die Frage nach der Bindung wird bei einem Abweichen relevant, so daß hier wiederum nach den Ursachen für das Fehlschlagen einer Verständigung zu differenzieren ist. Nachdem festgestellt wurde, daß mangels Wahlmöglichkeit ein echtes Ermessen des Gerichts eine Urteilsabsprache nicht scheitern lassen kann, bleiben allerdings nur noch zwei Gründe für einen Fehlschlag übrig: das Bekanntwerden weiterer tatsächlicher Umstände und die neue rechtliche Bewertung der bisherigen Sachlage. (aa) Hinsichtlich der Veränderung der Sachlage äußert sich der 4. Strafsenat des BGH ausdrücklich: Eine Abweichung von der Absprache sei bei schwerwiegenden neuen Umständen möglich119. Die vom Senat postulierte Bindung soll also bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln bestehen, die diese Schwelle nicht erreichen. In der Literatur ist zu Recht festgestellt worden, daß eine solche Selbstbindung durch die Verständigung mit dem geltenden Strafverfahrens- und Strafrecht nicht zu vereinbaren ist. Die Nicht-Berücksichtigung von strafzumessungsrelevanten Umständen, die nicht in diesem Sinne schwerwiegend sind, verstößt gegen § 46 II StGB, der gerade eine Abwägung aller Faktoren vorsieht120. Zudem wird die Norm des § 261 StPO verletzt121, die den prozessualen Maßstab für die Gewährung des in einem Strafmaß bestehenden Vorteils darstellt. Nach dieser Vorschrift ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, alle ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel in seinem Urteil zu berücksichtigen122. Eine umfassende Verwertung des Verhandlungsstoffes setzt aber voraus, daß das Gericht sich vor dem letzten Wort des Angeklagten noch nicht endgültig festgelegt hat123. 119 BGHSt 43, 195 (210): als Beispiele dafür werden der Verbrechenscharakter der Tat und erhebliche Vorstrafen des Angeklagten genannt; in einer späteren Entscheidung zählt der Senat dazu auch den Fall, daß das abgelegte Geständnis nicht glaubhaft ist, StV 2003, 268; so auch BGH StV 2004, 417 (2. Strafsenat). Der Große Senat für Strafsachen hat nunmehr klargestellt, daß die Bindungswirkung auch entfällt, wenn die Umstände schon bei der Urteilsabsprache vorhanden waren und übersehen worden sind, StV 2005, 311 (312), siehe bereits 1. Teil I. 4. b) aa). 120 Rönnau wistra 1998, 49 (52). 121 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 47 f.; Rönnau wistra 1998, 49 (52). 122 BGHSt 29, 109 (110); Meyer-Goßner StPO, § 261 Rn. 6; LR-Gollwitzer § 261 Rn. 14; Schlüchter in: SK-StPO, § 261 Rn. 14. 123 KK-Schoreit § 261 Rn. 18; LR-Gollwitzer § 261 Rn. 37; vgl. auch BGHSt 37, 298 (303 f.)

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Eine Differenzierung bei der Abweichungsmöglichkeit von der Absprache nach der Gewichtigkeit neu bekanntgewordener Umstände ist also gemessen an den Vorschriften der §§ 261 StPO und 46 StGB, die für die Rechtmäßigkeit der Verhängung des angekündigten Strafmaßes maßgeblich sind, unzulässig124. Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen, in der ebenfalls die Bedeutung von § 261 StPO betont wird125, deutet darauf hin, daß diese Differenzierung auch in der Rechtsprechung künftig entfallen könnte126. Es läßt sich somit festhalten, daß das Gericht die Entscheidung im Rahmen der Verständigung nicht in einer Weise vorwegnehmen darf, die die Berücksichtigung weiterer Tatsachen und Beweismittel ausschließt. Aufgrund des Schutzzweckes des § 136a StPO ist wiederum die Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers in der Person des Angeklagten entscheidend127. Ein unzulässiger Vorteil liegt demnach schon vor, wenn das Gericht bei der Absprache den Eindruck erweckt, es fühle sich daran auch bei einer künftigen Veränderung der Sachlage gebunden128. (bb) Der 4. Strafsenat hat nur zu einer Abweichung, die auf die Sachlage zurückzuführen ist, ausdrücklich Stellung genommen, die Bindungswirkung bzw. Abweichungsmöglichkeit bei einer neuen Bewertung, die allein aus Rechtsgründen erfolgt, aber nicht konkretisiert. Deutlicher kommt der Inhalt der Bindungswirkung in dem Beschluß des 5. Strafsenats vom 9. Juni 2004129 zum Ausdruck, auf dessen Analyse im 1. Teil hier verwiesen werden kann130. Eine Abweichungsmöglichkeit ergibt sich demnach auch, wenn die Verhängung der in Aussicht gestellten Strafe rechtswidrig wäre, wie etwa bei einer angekündigten unzulässigen Gesamtstrafenbildung. Dies bestätigen schon die Ausführungen des 4. Strafsenats, die Verständigung stehe unter dem Vorbehalt, daß das später ergehende Urteil materiell-rechtlich zutreffend ist131. Der Große Senat für Strafsachen hat nunmehr ausgesprochen, daß auch das Übersehen rechtlicher Aspekte, die für die Entscheidung relevant 124 Zwar stützt der 4. Strafsenat das aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes folgende Verbot einer Abweichung ja auf den Grundsatz des fairen Verfahrens (BGHSt 43, 195, 210), den er in Art. 20 III GG i.V.m. Art. 2 I GG verankert (BGHSt 43, 195, 203 f.). Da aus dem Verfassungsrecht im Widerspruch zum einfachen Recht stehende Rechtsfolgen abgeleitet werden können, kann eine so begründete Selbstbindungsmöglichkeit auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Wenn der BGH aber den Eindruck erweckt, bei Bindung an eine Obergrenze bestünde im Gegensatz zur verbindlichen Zusage über die Höhe der Strafe gar kein Widerspruch zu § 261 StPO und § 46 StGB (BGHSt 43, 195, 206 f.), dann ist dies nach dem Gesagten mit dem einfachen Recht nicht zu vereinbaren. 125 BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312). 126 Siehe bereits 1. Teil I. 4. b) aa). 127 Seier JZ 1988, 683 (688); Rönnau Absprache, S. 192. 128 In diesem Fall kommen beide oben, I. 1. a) vor aa), genannten Ansichten aufgrund des Bindungswillens auch zu einem „Versprechen“. 129 BGH StV 2004, 471. 130 Siehe 1. Teil I. 4. b) bb). 131 BGHSt 43, 195 (208).

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sind, zum Fortfall der Bindungswirkung führt132. Ausgeschlossen ist ein Abweichen hingegen, wenn es objektiv – vom Revisionsgericht – nicht nachvollzogen werden kann. Damit darf der Tatrichter also nicht allein „auf Grund besserer Einsicht“133 zu einem veränderten Ergebnis kommen, das ausschließlich auf einer neuen subjektiven Bewertung der Umstände beruht134. Die Bindung schließt somit ein Gebrauchmachen von dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum aus135. Solange das angekündigte Strafmaß nicht im Wege der Revision gerügt werden könnte, ist der Tatrichter daher an die Bewertung der Sachlage gebunden, auch wenn er nach der Absprache insofern eine andere Beurteilung für erforderlich erachtet. (cc) Im Schrifttum wird teilweise im Anschluß an die Grundsätze des BGH eine Bindungswirkung der Absprachen befürwortet, obwohl im Gegensatz zum 4. Strafsenat jegliche Veränderung der Sachlage als Grund für den Wegfall dieser Bindung angesehen wird136. Der Ursprung der Bindung wird teilweise schon im einfachen Recht gesehen. Zurückgeführt wird die Bindungswirkung dabei auf den Charakter der rechtmäßigen Absprache als einer Zusage, die aus sich selbst heraus rechtlich verbindlich sei137, bzw. als eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, der die daran beteiligten Vertragspartner binde138. Von anderer Seite wird zur Begründung der Bindungswirkung wie vom BGH auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes als Teil des fair-trial-Prinzips abgestellt139. Die Bindung des Gerichts an die Absprache verhindere ein in seinem Belieben stehendes Abweichen140 ohne hinreichende Gründe141. Das Gericht könne seine Meinung nicht einfach ändern und dies in Form eines entsprechenden Hinweises bekanntgeben142. Nun ist aber zu beachten, daß ein derart beschriebenes „freies Abweichen“ des Gerichts von dem angekündigten Strafmaß ohnehin nicht zulässig ist. Hat sich die Sachlage nicht verändert, kommt die Verhängung eines höheren Strafmaßes allein in Betracht, wenn dies aus rechtlichen Gründen erforderlich ist. Selbst wenn man die Strafzumessung als einen richterlichen Ermessensakt begreifen sollte, wäre ein BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (312). BGHSt 38, 102 (105). 134 Vgl. Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (402): Die Berufung des Gerichts auf „bessere Einsicht“ sei ausgeschlossen, ohne weiteres könne das Gericht von der Strafobergrenze nicht mehr abgehen. 135 Siehe bereits 1. Teil I. 4. b) bb). 136 Vgl. Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 47 und 118; F. Meyer Willensmängel, S. 294 f. (mit Fn. 1373). 137 F. Meyer Willensmängel, S. 294 (mit Fn. 1369); Heller Gescheiterte Urteilsabsprache, S. 74: Zusicherung. 138 Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, S. 120 ff. und 143 f. 139 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 118. 140 F. Meyer Willensmängel, S. 295. 141 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 117 f. 142 Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, S. 143; vgl. auch F. Meyer Willensmängel, S. 295: Ein Hinweis beseitige die Bindungswirkung einer Zusage nicht. 132 133

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grundloses Abweichen rechtswidrig, da es jedenfalls kein freies, sondern allenfalls ein an Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes gebundenes Ermessen geben kann143. Damit stellt ein nicht durch tatsächliche oder rechtliche Gründe legitimiertes höheres Strafmaß einen Verstoß gegen das Strafzumessungsrecht dar. Die „Bindung“ des Gerichts an das im Rahmen der Verständigung angegebene Verfahrensergebnis folgt also nicht aus der Absprache, sondern aus dem materiellen Recht. Diese Feststellung ist insofern wichtig, als es für die „Bindung“ dann gerade nicht auf spezifische Absprachenvoraussetzungen ankommen kann. Es muß – z. B. mangels Einverständnis des Angeklagten – nach der Strafmaßankündigung durch das Gericht noch nicht einmal zu einer Verständigung gekommen sein, weil die Absprache als solche strafzumessungsneutral ist144. Von einer Bindungswirkung der Absprache könnte daher nur die Rede sein, wenn sie einer neuen Strafzumessung auf der Basis der unveränderten Sachlage entgegenstünde. Für die Möglichkeit einer solchen Bindung könnte angeführt werden, daß § 261 StPO das Gericht dazu verpflichte, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise umfassend zu würdigen145, die Vorschrift sich also nur auf die Sachverhaltsfestellung und die insofern mangelnde Bindung an Beweisregeln beziehe146. Eine solche Auslegung der Norm greift indes zu kurz, was nach den Ausführungen von Schünemann in seinem Gutachten zum Juristentag 1990 seinen Hintergrund schon auf der Ebene der prozessual zulässigen Handlungsformen hat147. Im Offizialverfahren, das vom Legalitäts- und Amtsermittlungsgrundsatz geprägt ist und auf das Auffinden der materiellen Wahrheit abzielt, besitzen insbesondere auch die Strafverfolgungsorgane keine Dispositionsbefugnis über den staatlichen Strafanspruch148. Das Gericht kann also etwa auch nicht von der Verhängung der Strafhöhe absehen, die von ihm auf der Grundlage der Strafzumessungsgrundsätze für richtig gehalten wird. Aus der fehlenden Dispositionsbefugnis folgt aber zwangsläufig die mangelnde Kompetenz, sich zu einem solchen rechtswidrigen Verhalten zu verpflichten149. Dabei kommt es selbstverständlich nicht auf Vorsatz oder Fahr143 Lackner / Kühl StGB, § 46 Rn. 50; zum Beurteilungsspielraum des Richters bei der Strafzumessung siehe vorstehend unter I. 1. a) aa) (2) (d). 144 Weider NStZ 2002, 174 (176) in seiner Anmerkung zu BGH NStZ 2002, 219: Hinweispflicht bei Abweichen von angekündigtem Strafmaß, obwohl Verständigung nicht zustande kam. 145 BGHSt 29, 109 (110); LR-Gollwitzer § 261 Rn. 14; Schlüchter in: SK-StPO, § 261 Rn. 14. 146 Vgl. Niemöller StV 1990, 34 (37); vgl. auch Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 118; Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, S. 137. 147 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 66 ff.; ders. FS Baumann, S. 361 (371 f.); ders. StV 1993, 657 (657 f.). 148 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 68 f. mit Fn. 165: staatlicher Strafanspruch als zusammenfassende Bezeichnung für Recht und Pflicht des Staates zur Anordnung und Vollstreckung einer im Einzelfall verwirkten Strafe. 149 Schünemann FS Baumann, S. 361 (371). Für ein staatliches Organ kommt dann aber auch keine Kompetenz zu einem moralisch wirksamen und verbindlichen Versprechen im Sinne eines gentlemen’s agreement in Betracht, Schünemann Gutachten 58. DJT, B 72.

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lässigkeit des Strafverfolgungsorgans hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des zugesagten Verhaltens an, da die objektive Rechtmäßigkeit der Entscheidung gefordert wird. Das Gericht kann also nicht in die Situation kommen, sehenden Auges ein dem materiellen Recht widersprechendes Urteil erlassen zu müssen, das im Wege der Revision sogar aufgehoben werden könnte. Garantiert wird vom Gesetz vielmehr eine „Entscheidungsfreiheit bis zum letzten Augenblick“150. Daher ist auch § 261 StPO dahingehend auszulegen, daß das Gericht sich in keiner Weise der Freiheit hinsichtlich seiner in der Urteilsberatung zu findenden Entscheidung berauben darf151. Jegliche Bindungswirkung einer Absprache steht daher im Widerspruch zum Strafverfahrensrecht152, eine partielle Bindung unter dem Vorbehalt clausula rebus sic stantibus ist ausgeschlossen153. Vielmehr kann das Gericht anders als eine Verwaltungsbehörde, die eine Zusicherung gemäß § 38 VwVfG abgegeben hat154, auch aufgrund „besserer Einsicht“155, also einer Meinungsänderung (hinsichtlich der rechtlichen Bewertung) nach der Verständigung von seiner Ankündigung abweichen und ein höheres als das angekündigte Strafmaß verhängen. Das Gericht darf also auch insofern keinen anderen Eindruck bei dem Angeklagten hervorrufen, da ansonsten ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil i. S. d. § 136a I 3 StPO vorliegt. Im übrigen entfällt damit der vom BGH genannte Grund dafür, nur die Ankündigung einer Strafobergrenze als zulässig anzusehen, nicht aber die einer bestimmten Strafhöhe156. Ist eine präzise Angabe des zu erwartenden Strafmaßes tatsächlich möglich, dann ist das Gericht daran nicht aufgrund einer unzulässigen Bindung gehindert. Denn insofern bindet es sich ja in keiner Weise, es darf jederzeit nach oben oder unten von der Prognose abweichen. Festzuhalten bleibt damit, daß es sich bei der vorweggenommenen Beurteilung des Verfahrensergebnisses in keiner Weise um eine Vorwegnahme der diesbezüglichen Entscheidung, also des Urteils, handeln darf. Die Urteilsabsprache kann daher nach der StPO nur eine hypothetische Antizipation des Strafmaßes beinhalten. Die Strafmaßankündigung des Gerichts stellt eine Prognose auf der Grundlage der aktuellen Sachlage dar, von der das Urteil aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen aber abweichen kann – wobei letzteres eben auch den Gebrauch des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums umfaßt.

Schünemann Gutachten 58. DJT, B 72. Niemöller StV 1990, 34 (37 f.). 152 Siehe dazu Rönnau Absprache, S. 157 ff.; Gerlach Absprachen, S. 129; Siolek Verständigung, S. 167 ff.; Kremer Absprache, S. 177 ff.; Janke Verständigung, S. 61 ff.; Braun Absprache, S. 101 ff. 153 Von Schünemann sog. stabile Absichtserklärung, Gutachten 58. DJT, B 74. 154 Vgl. Liebetanz in: Obermayer VwVfG, § 38 Rn. 59: Die Bindung entfalle nach Absatz 3 nicht bei einer bloßen Änderung der Rechtsauffassung. 155 BGHSt 38, 102 (105). 156 Vgl. BGHSt 43, 195 (207). 150 151

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bb) Versprechen Ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil liegt bei einer Urteilsabsprache – sofern man die grundsätzlich strafmildernde Wirkung des Geständnisses akzeptiert – nach dem Gesagten insbesondere vor, wenn entweder das angekündigte Strafmaß und damit der Vorteil als solcher unzulässig war oder die mit der Verständigung verbundene Antizipation rechtswidrig gewesen ist. Ersteres ist bei einem Übersehen strafzumessungsrechtlich relevanter Aspekte durch das Gericht oder einem revisiblen Verstoß bei der Strafzumessungs-Prognose zu bejahen, aber auch immer dann, wenn das Gericht bei unveränderter Sachlage augrund einer neuen Abwägung der Strafzumessungsfaktoren zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt (oder das neue Tatgericht, nachdem die Sache nach erfolgreicher Revision zurückverwiesen worden ist). Die Antizipation des Strafmaßes ist unzulässig, falls die Vorwegbeurteilung des Strafmaßes in dieser Weise tatsächlich nicht möglich war oder aufgrund des in der Verständigung zum Ausdruck kommenden Bindungswillens des Gerichts als unzulässig zu bewerten ist. Der jeweilige unzulässige Vorteil müßte jedoch gerade auch versprochen worden sein, um hinsichtlich des Geständnisses ein Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a III 2 StPO annehmen zu können. Hier werden nun die unterschiedlichen Begriffsbestimmungen hinsichtlich des Merkmales „Versprechen“ relevant157. (1) Inaussichtstellen als maßgebliches Kriterium Allerdings kommen die beiden diesbezüglich vertretenen Auffassungen zu demselben Ergebnis, sofern das Gericht im Rahmen der Absprache den Eindruck vermittelt, es wolle sich in irgendeiner Hinsicht an den Inhalt der Verständigung binden. Dieser unzulässige Vorteil wird nicht nur in Aussicht gestellt, sondern muß vom Angeklagten auch als bindend zugesagt verstanden werden, so daß beide Ansichten zur Einschlägigkeit des § 136a I 3 2. Alt. StPO gelangen. Macht das Gericht hingegen deutlich, daß eine Bindungswirkung in keiner Weise besteht, so ist der Inhalt des Versprechensbegriffes oftmals irrelevant, da es sich grundsätzlich schon nicht um einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil handelt. Liegt jedoch in einem solchen Fall ein unzulässiger Vorteil vor, führen die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auf dem Boden der engeren Auslegung wird das angekündigte Strafmaß, das mit dem Strafzumessungsrecht unvereinbar ist oder in dieser Weise gar nicht prognostiziert werden konnte, dem Angeklagten nicht versprochen, wenn der fehlende Bindungswille des Gerichts zum Ausdruck kommt. In Aussicht gestellt worden ist dieses Strafmaß hingegen. Für eine engere Auslegung des Merkmales wird der Wortsinn des Begriffes „Versprechen“ angeführt158, von der anderen Seite ein weites Verständnis dadurch 157

Siehe dazu bereits oben I. 1. a) vor aa) mit den Nachweisen in den Fn. 23 f.

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aber nicht für ausgeschlossen gehalten159. Tatsächlich erscheint es nicht notwendig, die Abgabe eines Versprechens begriffsmäßig von dessen Unbedingtheit abhängig zu machen. Vielmehr ist durchaus denkbar, daß ein Versprechen an Vorbehalte geknüpft wird. Die extensive Auslegung des § 136a I 3 2. Alt. StPO soll ihren Grund in dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift finden. Abgestellt wird dabei auf den durch die Norm gewährleisteten Schutz der Willensfreiheit des Vernommenen. Das Inaussichtstellen unzulässiger Vorteile könne die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung nämlich ebenfalls beeinträchtigen 160. Schünemann hat herausgestellt, daß durch die von ihm sog. labile Absichtserklärung der Richter „sogar einen besonders perfiden Druck auf die unantastbare Aussagefreiheit des Angeklagten“ ausüben könne161. Der Angeklagte fühle sich gezwungen, diese möglicherweise einmalige Gelegenheit zur Erlangung eines rechtswidrigen Vorteils zu ergreifen. Da sich prinzipielle Unterschiede bei der Beeinflussung der Willensfreiheit also nicht feststellen lassen, erscheint vor dem Hintergrund des Schutzes des Vernommenen das weite Verständnis der Norm vorzugswürdig. (2) Einschränkung aufgrund des objektiv-überindividuellen Zwecks des § 136a StPO Allerdings fragt sich, ob eine extensive Auslegung des Merkmales des Versprechens nicht teilweise zu weit geht. Sie würde nämlich dazu führen, daß eine inhaltlich falsche Prognose hinsichtlich des Urteils selbst bei ausdrücklichen Vorbehalten des Strafverfolgungsorgans dem Verbot des § 136a StPO unterfiele. Nach den obigen Ausführungen stellt es einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil dar, wenn das Gericht ein Strafmaß ankündigt, das es später „aufgrund besserer Einsicht“ als unzutreffend einstuft. Das Geständnis wäre nach der extensiven Auslegung gemäß § 136a III 2 StPO selbst dann unverwertbar, wenn das Gericht den Angeklagten ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß es gemäß § 261 StPO die Möglichkeit hat, bis zur Urteilsberatung seine Einschätzung zu überdenken und gegebenenfalls zu korrigieren. Einen ersten Anhaltspunkt für Bedenken bietet der systematische Vergleich mit den übrigen Methoden, die in § 136a StPO genannt werden. Die meisten dieser Maßnahmen weisen ersichtlich eine andere Qualität auf als eine Prognose, die sich als falsch herausstellt. Dies begegnet jedoch zunächst dem Einwand, daß auch letzteres eben eine massive Beeinflussung der Willensfreiheit darstellen kann und angesichts des Schutzzwecks eine unterschiedliche Behandlung nicht zu rechtfertigen ist. 158 159 160 161

Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 65. LR-Hanack § 136a Rn. 50. Kremer Absprachen, S. 137 f.; Gerlach Absprachen, S. 76; LR-Hanack § 136a Rn. 50. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 100.

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Klarer läßt sich der Qualitätsunterschied aber fassen, wenn man beachtet, daß § 136a StPO zwei Schutzzwecke aufweist. Neben der Aussagefreiheit des Vernommenen dient die Norm auch einem überindividuellen Zweck162. Verhindert werden sollen Vernehmungsmethoden, die letztlich die Funktionsbedingungen der Rechtspflege und damit das Rechtsstaatsprinzip beeinträchtigen 163. Zu diesen zählt nämlich, daß dem Staat eine Selbstdarstellung als Rechtsstaat gelingt164, was wiederum voraussetzt, daß er den eigenen Bindungen an ethische Prinzipien gerecht wird und dem Ansehen der Strafrechtspflege nicht zuwiderhandelt165. Dieser Normzweck wird jedoch vorliegend auch bei dem Inaussichtstellen eines unzulässigen Vorteils nicht immer erfüllt. Am deutlichsten ist dies erkennbar, wenn das Gericht seine eigene strafzumessungsrechtliche Bewertung der relevanten Tatsachen ändert. Weicht das Gericht von seiner im Rahmen der Verständigung abgegebenen Prognose aus rechtlichen Gründen ab, so handelt es sich zwar bei dem ursprünglich angekündigten Strafmaß um einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil. Wurde die Verhängung eines solchen Strafmaßes aber unter den Vorbehalt einer solchen Änderungsmöglichkeit gestellt, kann die Prognose in keiner Weise die rechtsstaatliche Selbstdarstellung gefährden. Das Strafverfahren lebt geradezu von Prognosen, von denen hier nur der Eröffnungsbeschluß genannt sei. Prognosen ist das Risiko der Unrichtigkeit nicht nur begriffsmäßig immanent. Vielmehr setzt der rechtsstaatliche Strafprozeß als ein transparentes Verfahren Prognosen zwingend voraus und trifft entsprechende Vorkehrungen, wenn sie sich nicht bestätigen. Ein Beispiel ist § 265 I StPO, der auch den Fall erfaßt, daß das Gericht schlicht die Unrichtigkeit seiner eigenen rechtlichen Bewertung erkennt. Daß sich eine Prognose als falsch herausstellt, tangiert für sich genommen also in aller Regel die Funktionsbedingungen der Rechtspflege überhaupt nicht, sondern ist die Verwirklichung eines mit einer rechtsstaatlichen Rechtspflege zwangsläufig verbundenen Risikos. Entscheidend ist daher, in welchem Verhältnis die verschiedenen Normzwecke des § 136a StPO zueinander stehen, insbesondere ob sie kumulativ betroffen sein müssen, damit eine Vernehmungsmethode dem Verbot dieser Vorschrift unterfällt. Die Antwort auf diese Frage liefert eine Betrachtung des § 136a III 2 StPO. Danach unterfallen die nach § 136a StPO rechtswidrig erhobenen Beweise selbst dann einem Verwertungsverbot, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt. Diese Regelung kann mit dem Schutz der Aussagefreiheit nicht begründet werden, sondern läßt sich allein auf den überindividuellen Schutzzweck der Norm stützen. 162 Reiche § 136a StPO, S. 93 f. sieht beim Täuschungsverbot Individualbelange sogar nur als reflexartig mitgeschützt an. 163 Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 4; Peters Strafprozeß, S. 334; Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 2; HK-Lemke § 136a Rn. 45: Schutz der Integrität der Rechtspflege. Anders Lesch ZStW 111 (1999), 624 (640 f.): Die Funktion der Verbote des § 136a StPO bestehe darin, falsche Aussagen bei förmlichen Vernehmungen zu verhindern. 164 Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 4. 165 Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 2; Peters Strafprozeß, S. 334.

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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Die Verletzung des § 136a StPO setzt mit der Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Beschuldigten voraus, daß dessen Aussagefreiheit aufgrund der jeweiligen Methode bei der Beweiserhebung tangiert wird166. Oft wird es sich sogar um solche Verletzungen handeln, die mit der Menschenwürde und daher dem Kernbereich des Grundrechts der Aussagefreiheit nicht zu vereinbaren sind167. Damit ließe sich mit Blick auf Äußerungen im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts168 bei vielen Methoden noch begründen, warum gemäß § 136a III 1 StPO die Einwilligung des Beschuldigten dem Beweismethodenverbot nicht entgegenstehen kann. Allerdings stößt auch diese Begründung jedenfalls schon dort an ihre Grenzen, wo das staatliche Vorgehen nicht der Menschenwürde des Beschuldigten zuwiderläuft169. Die Regelung des § 136a III 2 StPO jedoch steht überhaupt nicht mit der Intensität der Beeinträchtigung der Aussagefreiheit und insbesondere einer Verletzung der Menschenwürde in Zusammenhang170. Anderes könnte allenfalls dort gelten, wo die Beeinflussung bei der Beweiserhebung zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verwertung der Aussage noch fortwirkt. Dies kann aber im Hinblick auf eine Verwertung im Urteil nur als denkbarer Ausnahmefall angesehen werden. In aller Regel liegt die massive Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Beschuldigten allein bei der Beweiserhebung unter Anwendung der verbotenen Methoden vor, z. B. bei Folter oder der Androhung von Folter in der polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren. Die Folge ist auf verfassungsrechtlicher Ebene eine Grundrechtsverletzung, die zu einem Abwehranspruch des Beschuldigten führt. Dessen Inhalt wird durch § 136a StPO in Form eines Beweisverwertungsverbotes konkretisiert. Nun wäre es aus der grundrechtlichen Perspektive aber an dem Betroffenen selbst, über die Geltendmachung dieses Anspruches zu entscheiden. Der Abwehranspruch verleiht dem Beschuldigten als subjektives Recht eine entsprechende Willensmacht171, so daß die Ausübung des Rechts grundsätzlich seinem im 166 Diese Voraussetzung beansprucht auch bei § 136a I 2 und 3 StPO Geltung, Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 24; Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 20. In Absatz 2 der Norm wird ebenfalls eine Beeinträchtigung der grundrechtlichen Aussagefreiheit beschrieben, vgl. dazu unten II. 1. b). 167 Vgl. BGHSt 5, 332 (333); Meyer-Goßner StPO, § 136a Rn. 1: Die Vorschrift enthalte eine Ausprägung des Art. 1 I GG. 168 Stern in: Stern StaatsR III / 2, S. 923: Menschenwürde als Grenze des Grundrechtsverzichts; Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 137; Hillgruber Schutz vor sich selbst, S. 138. 169 Vgl. Reiche § 136a, S. 91 zum Merkmal der Täuschung: Die Unbeachtlichkeit der Einwilligung gemäß § 136a III 1 StPO könne mangels Menschenwürderelevanz der Täuschung ihren Grund nicht in Art. 1 I GG finden. Siehe auch Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 72: Die Unbeachtlichkeit der Einwilligung folge nicht aus den Individualrechten, sondern der Selbstbindung des Staates; Amelung FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 1 (8 f.); ders. StV 1985, 257 (259): Die Grenze für die Einwilligungsfreiheit folge nicht aus der Menschenwürde des Betroffenen, sondern dem Interesse des Staates, als Rechtsstaat dazustehen. 170 Anders etwa Roxin StrafverfahrensR, § 25 Rn. 16. 171 Vgl. oben 3. Teil III. 4.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Zeitpunkt der möglichen Verwertung gegebenen freien Willen unterliegen müßte. Die mit der Beweiserhebung verbundene Ausschaltung seiner Selbstbestimmung würde ihm mit einer solchen Entscheidungsmöglichkeit gerade zurückgegeben. Die generelle Nichtbeachtlichkeit seiner Zustimmung zur Verwertung ist angesichts der Tatsache, daß ein Fortwirken der Willensbeeinträchtigung nicht einmal vermutet werden kann, als ein aufgedrängter Schutz anzusehen. Klarzustellen ist allerdings, daß daraus nicht folgt, daß die Unbeachtlichkeit einer Zustimmung gemäß § 136a III 2 StPO ihrerseits in die Grundrechte des Beschuldigten eingreift172 und daher gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung der Norm erforderlich bzw. deren Verfassungswidrigkeit festzustellen wäre. Es gehört nämlich nicht zu der grundrechtlichen Freiheit des Beschuldigten, darüber zu entscheiden, ob das Gericht eine frühere Aussage von ihm der Entscheidung zugrundelegen muß oder nicht173. Eine solche Möglichkeit ist auch nicht auf der Grundlage eines leistungsrechtlichen Grundrechtsgehalts zu fordern, da Art. 103 I GG in ausreichendem Maße eine Einflußnahme auf die gerichtliche Entscheidung ermöglicht. Wenn aber der Beschuldigte – grundrechtlich fundiert – das Verfahren und die Entscheidung mit seiner Aussage in freier Selbstbestimmung beeinflussen kann, dann entspricht es jedenfalls nicht dem Sinn und Zweck dieser Freiheit, ihm die Befugnis zur Bestimmung über die Nutzung einer getätigten Aussage zu entziehen – sofern er nur zu diesem Zeitpunkt zu einer freien Entscheidung in der Lage ist. Die Freiheit wird dann letztlich nämlich in einem geringeren Maße gewährt, als wenn die Verwertung zur Disposition des Beschuldigten stünde. Die Einräumung von Freiheit in einem geringeren Maße mit dem Schutz des Beschuldigten begründen zu wollen, liefe der Vorstellung von dem Beschuldigten als einem eigenverantwortlichen Prozeßsubjekt, die dem Strafverfahren zugrundeliegt, zuwider. Auf den Individualschutz kann § 136a III 2 StPO, der in allen Fällen einer Verletzung des durch § 136a StPO normierten Verbots eingreift, daher nicht gestützt werden. Vielmehr kann insofern allein der überindividuelle Schutzzweck der Vorschrift herangezogen werden174. Eine Beeinträchtigung der Selbstdarstellung als Rechtsstaat ist 172 Anders aber Amelung NStZ 1982, 38 (39 f.), gegen ihn zu Recht Frister ZStW 106 (1994), 303 (323). 173 Das die Aussagefreiheit gewährleistende Recht auf informationelle Selbstbestimmung beinhaltet nur das Recht, zu entscheiden, ob das Gericht eine Aussage verwerten darf oder nicht. Es verleiht keine Rechtsmacht, andere zu einer Verwertung der preisgegebenen Informationen zu bestimmen, vgl. bereits oben 3. Teil VI. 1. c) aa) (3) (b). Insofern ist im gerichtlichen Verfahren Art. 103 I GG einschlägig, der jedoch hinreichend beachtet wird, wenn der Angeklagte die Möglichkeit zu einer Wiederholung seiner früheren Aussage erhält. Auch die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG greift nicht ein, da dies eine entsprechende rechtlich konstituierte Handlungsfähgkeit voraussetzt, die aufgrund § 136a III 2 StPO aber gerade nicht besteht. Vgl. auch Frister ZStW 106 (1994), 303 (323): § 136a III StPO sei keine staatliche Freiheitsbeschränkung, da die Norm kein Verbot enthalte; die Weigerung, bestimmte vom Beschuldigten angebotene Beweiserhebungen durchzuführen oder zu verwerten, stelle selbst keinen Grundrechtseingriff dar.

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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nämlich stets zu befürchten, wenn einem Strafurteil Aussagen zugrunde liegen, die in rechtsstaatswidriger Weise gewonnen wurden. Insofern besteht ein berechtigtes Interesse des Staates, solche Beweise vollständig von der weiteren Verwertung auszuschließen. (3) Erforderlichkeit eines gesteigerten Handlungsunrechts Daraus folgt nun, daß die Willensfreiheit des Beschuldigten von § 136a StPO nur gegenüber solchen Vernehmungsmethoden geschützt wird, die zugleich in dem beschriebenen Sinne die Funktionsbedingungen der Strafrechtspflege beeinträchtigen. Dies muß aber grundsätzliche Konsequenzen für die Auslegung des „Versprechens“ haben. Während vor allem die in § 136 I 1 StPO genannten Methoden – mit Ausnahme der Täuschung – diese Anforderung ohne weiteres erfüllen, müssen die Methoden des § 136a I 3 StPO in besonderer Weise restriktiv interpretiert werden. Das Anknüpfen an eine bindende Zusage ist insofern aber keine Lösung, nach dem oben Gesagten kommt durchaus auch ein Inaussichtstellen als Versprechen – als Drohung ohnehin – in Betracht. Entscheidend ist vielmehr, daß das Inaussichtstellen einer unzulässigen Maßnahme – sei es als Versprechen, sei es als Drohung – zwar rechtswidrig sein mag, aber nicht in gesteigertem Maße rechtsstaatswidrig. Fehlerhaftes und damit auch rechtswidriges Handeln ist immer möglich, wenn Menschen Entscheidungen treffen. Eine rechtsstaatliche Rechtspflege sieht effektive Sicherungen dagegen vor, ihre Funktionsbedingungen werden dadurch aber nicht angetastet. Wenn aber das Erfolgsunrecht einer auf diese Weise erfolgten Beweiserhebung dem Normzweck nicht ausreichend gerecht zu werden vermag, liegt es nahe, gesteigerte Anforderungen an das Handlungsunrecht zu stellen, vergleichbar der Herbeiführung einer Aussage durch Täuschung des Beschuldigten175. Ist den Organen der Strafverfolgung ein rechtswidriges Vorgehen in erheblichen Maße vorzuwerfen, so ist dies geeignet, daß Vertrauen in die Strafrechtspflege als unerläßliche Voraussetzung des Rechtsstaats zu erschüttern. Dies ist jedenfalls bei vorsätzlichem Handeln der Strafverfolgungsorgane der Fall. Es erscheint aber – ohne daß dies hier vertieft werden kann – durchaus möglich, bereits ein grob fahrlässiges Vorgehen als drohende Beeinträchtigung der Funktionsbedingungen der rechtsstaatlichen Strafrechtspflege einzustufen. Damit kommt § 136a I 3 2. Alt. StPO 174 Vgl. Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 79: Es sollen unter allen Umständen Erkenntnisse aus dem Strafverfahren herausgehalten werden, die mit dem Makel der beschriebenen Vernehmungsmethoden belastet sind; Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 53 f.: Die Beeinträchtigung der Integrität der Strafrechtspflege schließe eine Disposition des Angeklagten über den Schutz des § 136a StPO aus. 175 Vgl. dazu BGHSt 31, 395 (399 f.); 35, 328 (329); KK-Boujong § 136a Rn. 23; Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 48.

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neben dem Täuschungsverbot eine eigenständige Bedeutung dort zu, wo keine Fehlvorstellung des Vernommenen vorliegt und soweit man für eine Täuschung nur vorsätzliches Handeln genügen läßt. Es muß also in allen Fällen, in denen im Rahmen der Urteilsabsprache ein unzulässiger Vorteil in Aussicht gestellt wird, dieses gesteigerte Handlungsunrecht des Strafverfolgungsorgans festzustellen sein, um ein Versprechen im Sinne des § 136a I 3 StPO und damit die Unverwertbarkeit des Geständnisses annehmen zu können. Folglich ist entgegen den herkömmlichen Auffassungen auch die bindende Zusage eines Strafmaßes allein nicht ausreichend. Als Problem bei der Feststellung des erforderlichen Handlungsunrechts erweisen sich allerdings die zahlreichen Unklarheiten im Zusammenhang mit strafprozessualen Verständigungen. Gesteigertes Handlungsunrecht setzt jedenfalls voraus, daß der in Frage stehende Vorteil in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits als unzulässig eingestuft worden ist. (4) Ergebnis: Von Vertrauensenttäuschung unabhängiger Schutz der Aussagefreiheit Die Aussagefreiheit erfährt also gemäß § 136a I 3 2. Alt. StPO insbesondere hinreichenden Schutz, wenn das Gericht vorsätzlich oder grob fahrlässig ein falsches Strafmaß prognostiziert, ein Strafmaß angibt, das sich in dieser Genauigkeit angesichts des Verfahrensstandes noch nicht prognostizieren läßt, oder den Eindruck der Verbindlichkeit der Erklärung erweckt. Es genügt dann, daß dieses Verhalten kausal zu einem Willensmangel und der Aussage des Angeklagten geführt hat. Weitere Anforderungen an seine Beeinflussung, etwa eine besondere Erheblichkeit des Willensmangels176, müssen nicht geprüft werden. Führt ein solches Verhalten durch eine Willensbeeinflussung des Angeklagten zu einer Aussage, so ist diese schon aus objektiv-rechtsstaatlichen Gründen unverwertbar, für eine Einschränkung bietet § 136a StPO keinen Anhaltspunkt. Wichtig ist insofern auch, daß der Schutz gemäß § 136a StPO, insbesondere das Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a III 2 StPO, unabhängig von einer späteren Vertrauensenttäuschung ist. Diese Frage stellt sich nicht, wenn der unzulässige Vorteil gerade in dem Strafmaß selbst besteht, wohl aber dann, wenn das Gericht z. B. den Eindruck erweckt, von der Absprache könne nicht mehr abgewichen werden. Kommt es dann tatsächlich zu einer absprachegemäßen Verurteilung, weil sich die Sachlage nicht verändert hat und auch keine neue rechtliche Bewertung erforderlich ist, so ist das Geständnis trotzdem nicht verwertbar177.

Vgl. Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 25; KK-Boujong § 136a Rn. 8. Vgl. aber Schlothauer StV 2003, 481 (483) zur Täuschung über eine Bindungswirkung der Verständigung: Das unter falschen Vorstellungen abgelegte Geständnis sei gemäß § 136a StPO unverwertbar, wenn das vom Gericht erzeugte Vertrauen nachträglich enttäuscht wird. 176 177

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Dies ändert nämlich an der Verletzung von § 136a StPO nichts, und gemäß § 136a III 2 StPO sind Aussagen bei einer solchen Verletzung unverwertbar. Daher käme allenfalls eine teleologische Reduktion der Norm in Betracht, wenn dem Angeklagten ein Vorteil unlässig versprochen wird, weil das Gericht den Vorteil zu diesem Zeitpunkt nicht in dieser Weise antizipieren darf, später aber zufällig tatsächlich dieser Vorteil aufgrund seiner inhaltlichen Richtigkeit gewährt wird. Einer solchen Reduktion des Beweisverwertungsverbots stehen aber beide Funktionen der Norm entgegen. Erstens ist der objektiv-rechtsstaatliche Zweck des § 136a StPO auch in einem solchen Fall tangiert. Das Strafverfolgungsorgan hat vorsätzlich oder jedenfalls grob fahrlässig eine Aussage mit rechtswidrigen Mitteln veranlaßt. Das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Rechtsstaatlichkeit der Strafrechtspflege nimmt aber nicht in geringerem Maße Schaden, nur weil sich später zufällig die inhaltliche Rechtmäßigkeit eines in rechtswidriger Weise versprochenen Vorteils herausstellt. Dies wirkt sich auf das rechtsstaatswidrige Vorgehen bei der Beweiserlangung nicht aus. Eine Selbstdarstellung als Rechtsstaat gelingt nur, wenn auf Beweismittel, die mit solchen Methoden gewonnen wurden, nicht zurückgegriffen wird, um die Aufgaben der Strafrechtspflege erfüllen zu können. Zweitens wird aber auch die Aussagefreiheit nur so in der vorgesehenen Weise gewahrt. Es läßt sich auch nicht anführen, daß der Angeklagte in einem solchen Fall ja letztlich nicht schlechter gestellt wird, als wenn der Vorteil tatsächlich in dieser Weise hätte versprochen werden dürfen. Richtig ist, daß es zu dem Verfahrensergebnis kommt, das sich der Angeklagte vorgestellt hat, also hier die in Aussicht gestellte Strafe verhängt wird, weil sie inhaltlich richtig ist, nicht weil eine Bindung bestand. Damit kann aber nicht die Verletzung der Autonomie des Angeklagten geheilt werden, die in der unzulässigen Willensbeeinflussung zu sehen ist, welche wiederum kausal zu dem Geständnis geführt hat. Für den Angeklagten war nun einmal die Vorstellung entscheidend, durch die Ablegung des Geständnisses das Gericht bei der Strafzumessung binden zu können. Die Autonomie, die ihm auf diese Weise genommen wird, wird ihm nicht zurückgegeben, indem später zufällig trotz fehlender Bindung die versprochene Strafe verhängt wird. Vielmehr muß ihm die Möglichkeit gegeben werden, sich unter den tatsächlichen Umständen zwischen Schweigen und Aussage zu entscheiden. § 136a StPO gewährleistet also völlig unabhängig von einer Vertrauensenttäuschung durch ein abweichendes Urteil Schutz gegen die vertrauensschaffende Maßnahme. Festzuhalten bleibt aber vor allem, daß sich in dem Scheitern einer Absprache grundsätzlich allein das einer jeden Prognose immanente Risiko verwirklicht. Dies stellt nach den obigen Ausführungen in keiner Weise eine Gefährdung für eine rechtsstaatliche Rechtspflege dar. Nach dem Sinn und Zweck der Norm scheidet daher ein „Versprechen“ i. S. d. § 136a I 3 StPO aus, wenn sich allein das typische Prognoserisiko verwirklicht. Soweit das Gericht also nicht vorsätzlich ein falsches Dies ist nur dann richtig, wenn damit das Vertrauen auf eine Bindungswirkung gemeint ist, da dieses ja dann in jedem Fall enttäuscht wird, gilt aber nicht hinsichtlich des Vertrauens auf die Verhängung der angekündigten Strafe.

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Strafmaß prognostiziert oder seine vorläufige Bewertung auf einer grob fehlerhaften Anwendung des Strafzumessungsrechts beruht, führt § 136a I 3 2. Alt. StPO bei fehlgeschlagenen Absprachen nicht zur Unverwertbarkeit des Geständnisses.

b) § 136a I 3 – Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme Oftmals wird die Unverwertbarkeit des im Rahmen einer Urteilsabsprache abgelegten Geständnisses weitgehend auf § 136a I 3 1. Alt. StPO gestützt178. Das Versprechen eines Vorteils in Form der Strafmilderung habe als Kehrseite jedenfalls die latente Drohung mit einer höheren Strafe für den Fall zur Folge, daß der Angeklagte sich nicht geständig zeige. Eine Drohung im Sinne dieser Vorschrift liegt dann vor, wenn der Vernehmende einen Nachteil in Aussicht stellt, auf dessen Eintritt er Einfluß zu haben vorgibt179. Auf der Grundlage dieser Definition läßt sich das Vorliegen des Merkmals der Drohung tatsächlich bei Urteilsabsprachen stets feststellen. Dem kann insbesondere nicht entgegengehalten werden, dem Angeklagten entgehe mit der Strafmilderung allenfalls eine Vergünstigung, während ihm eine Verschlechterung nicht drohe180. Es handelt sich bei der Prognose im Rahmen der Verständigung nicht etwa um die Drohung mit einem Unterlassen. Vielmehr wird in jedem Fall die Verhängung eines Strafmaßes in Aussicht gestellt, das oberhalb der unter Antizipation eines Geständnisses prognostizierten Strafhöhe liegt. Dies gilt unabhängig davon, wie genau die Prognose ist und ob für den Fall des Nichtablegen eines Geständnisses ebenfalls eine Prognose abgegeben wird. Denn wenn bei der vorläufigen Bewertung ein Strafmilderungsgrund berücksichtigt wird, wird zwangsläufig mitgeteilt, daß die Strafe ohne diese Milderung darüber liegen kann. Dieses mindestens konkludent in Aussicht gestellte höhere Strafmaß ist aus der Sicht des Angeklagten auch ein Nachteil, wobei es dafür auf einen Vergleich mit der gemilderten Strafe gar nicht ankommt181. Der Nachteil, auf dessen Eintritt das Gericht aufgrund seiner Zuständigkeit bei der abschließenden Entscheidung auch Einfluß hat, besteht schon in der Verhängung von Strafe überhaupt. Dem Angeklagten wird bei einer Urteilsabsprache mit Strafe gedroht, die im Falle eines Geständnisses aber immerhin gemildert werden soll, womit sie sich dann als weniger nachteilhaft darstellen würde. 178 Weigend JZ 1990, 774 (778 f.); Rönnau Absprache, S. 189 ff.; Kremer Absprachen, S. 134 ff.; Küpper / Bode Jura 1999, 351 (359); Dencker / Hamm Vergleich, S. 43 f.; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 165: Es handele sich stets um eine Drohung i. S. d. § 136a I 3 StPO, wenn die Initiative zu der Absprache von dem Gericht ausgeht. 179 KK-Boujong § 136a Rn. 30; HK-Lemke § 136a Rn. 36. 180 Weigend JZ 1990, 774 (778 Fn. 57); zustimmend Kremer Absprachen, S. 135. 181 Während anders herum ein Vorteil nur über den Vergleich mit dem Strafmaß festgestellt werden kann, das bei Nichtablegung eines Geständnisses zu verhängen ist, vgl. oben I. 1. vor aa).

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Das Verbot gemäß § 136a StPO setzt allerdings auch die Unzulässigkeit der angedrohten Maßnahme voraus. Dabei darf wiederum nicht isoliert auf die Maßnahme als solches abgestellt werden, weil auch hier eine tatsächliche Verknüpfung der Maßnahme mit dem Aussageverhalten des Beschuldigten einerseits und der Vorwegbeurteilung der erforderlichen Voraussetzungen durch den Vernehmenden andererseits hergestellt wird182. Die Unzulässigkeit kann sich daher auch aus der fehlerhaften Ausfüllung eines Beurteilungsspielraumes ergeben183. Unzulässig ist die Ankündigung damit etwa, wenn das Gericht den Eindruck vermittelt, es werde das Fehlen eines Geständnisses strafschärfend berücksichtigen, weil dadurch ein unzulässiger Zusammenhang mit dem prozessualen Verhalten des Angeklagten hergestellt wird184. Auch in diesem Zusammenhang kann der erkennbare Bindungswille des Gerichts die Unzulässigkeit begründen, sofern der Angeklagte davon ausgehen muß, das Gericht habe sich für den Fall der mangelnden Geständigkeit im Strafmaß schon festgelegt. Schließlich führt die Fehlerhaftigkeit des angekündigten Strafmaßes zur Unzulässigkeit der Maßnahme als solcher185. Im Anschluß an die Ausführungen186 zum Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils ist jedoch eine restriktive Auslegung des Merkmals der Drohung vorzunehmen. Auch dies setzt aufgrund des Normzwecks des § 136a StPO ein gesteigertes Handlungsunrecht des Strafverfolgungsorgans voraus. Verwirklicht sich insbesondere allein das einer Prognose stets immanente Risiko einer Fehleinschätzung, fällt die Absprache aus dem Schutzzweck des § 136a StPO heraus. Damit scheidet eine Verwertbarkeit des Geständnisses auch gemäß § 136a I 3 1. Alt. StPO nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Vorgehen des Gerichts aus.

c) § 136a I 1 StPO – Täuschung Die Aussagefreiheit des Angeklagten könnte auch über das Täuschungsverbot des § 136a I 1 StPO im Rahmen einer Verständigung hinreichenden Schutz erfahren. Grundvoraussetzung einer Täuschung ist – unabhängig von allen Problemen bei der Bestimmung des Begriffes – eine Fehlvorstellung des Angeklagten. Anknüpfungspunkt für eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit können ins182 Vgl. Seier JZ 1988, 683 (688); Rönnau Absprache, S. 191 f.; Gerlach Absprachen, S. 73 f. 183 Siehe oben I. 1. aa) vor (1). 184 Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, S. 82 f.; vgl. auch BGH StV 2004, 470 zu einem Fall, in dem eine nicht nachvollziehbare Strafmaßdifferenz in Aussicht gestellt wurde. 185 Dabei kommt es nicht darauf an, ob das angegebene Strafmaß zu hoch oder zu niedrig ist, vgl. oben Fn. 93. Auch das Ankündigen einer zu niedrigen Strafe ist das Inaussichtstellen eines Nachteils, der stets mit Strafe einhergeht, und den der Angeklagte mit einem Geständnis verringern können soll. 186 Siehe vorstehend unter I. 1. a) bb).

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besondere diejenigen Umstände sein, die schon bei der Feststellung der Unzulässigkeit des Vorteils bzw. der angedrohten Maßnahme von Bedeutung waren.

aa) Fehlvorstellung bezüglich der Strafmaßprognose So ruft das Gericht durch die Absprache eine Fehlvorstellung des Angeklagten hervor, wenn es bei ihm den falschen Eindruck erweckt, das Geständnis sei per se ein Strafmilderungsgrund, trotz unzureichender tatsächlicher Grundlage sei schon die Angabe eines präzisen Strafmaßes möglich oder es sei rechtlich an den Inhalt der Verständigung gebunden. Ob im Rahmen des Täuschungsverbotes stets bewußt irreführendes Handeln des Gerichts erforderlich ist187 oder die fahrlässige Irrtumserregung mitunter ausreicht188, kann hier offen bleiben, da in diesen Fällen der Schutz aufgrund des objektiv-rechtsstaatlichen Normzwecks jedenfalls nicht über den des § 136a I 3 StPO hinausgehen kann189. Erforderlich ist nach dem Gesagten aber jedenfalls gesteigertes Handlungsunrecht des Strafverfolgungsorgans, so daß nicht oder nur leicht fahrlässig erfolgte unrichtige Angaben des Vernehmungsbeamten nicht zu einer Täuschung i. S. d. § 136a StPO führen190. Die potentielle Täuschung kann sich auch auf die Zulässigkeit eines Strafmaßes beziehen, das tatsächlich mit dem Strafzumessungsrecht nicht zu vereinbaren ist. Einschlägig ist diese Variante des § 136a I 1 StPO, wenn das Gericht insofern mit Vorsatz handelt, da es dem Angeklagten dann vorspiegelt, das Ergebnis entspreche seiner aktuellen Einschätzung der Sach- und Rechtslage. In diesem Fall greift wiederum auch § 136a I 3 StPO ein, da es sich nicht mehr um das einer Prognose immanente Risiko handelt. Wenn das Gericht jedoch nicht vorsätzlich ein falsches Strafmaß angibt, dann fehlt es schon an einer Fehlvorstellung des Angeklagten. Die Richtigkeit der angekündigten Strafhöhe wird nämlich – sofern die Vorläufigkeit der Einschätzung verdeutlicht wird – nicht behauptet. Vielmehr wird eben nur der Eindruck erweckt, dieses Verfahrensergebnis entspreche der aktuellen Rechtsauffassung des Gerichts, was dann ja aber auch tatsächlich der Fall ist. Damit erlangt das Täuschungsverbot keine eigenständige Bedeutung neben § 136a I 3 StPO soweit es um die inhaltlichen Anforderungen an die Strafmaßprognose im Rahmen einer Verständigung geht191. Eine solche Relevanz kommt jedoch 187 Vgl. BGHSt 31, 395 (399 f.); 35, 328 (329); KK-Boujong § 136a Rn. 23; Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 48. 188 Vgl. Eisenberg BeweisR, Rn. 655; Achenbach StV 1989, 515 (517 f.). 189 Vgl. Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 38: Das Täuschungsmerkmal beziehe sich in besonderem Maße auf das Selbstbild des Staates in der Ermittlungssituation. 190 Vgl. demgegenüber die Auffassung, bei falschen Rechtsauskünften genüge deren objektive Unrichtigkeit, Meyer-Goßner StPO, § 136a Rn. 13; Achenbach StV 1989, 515 (518). 191 Allerdings kann es im Zusammenhang mit der Prognose zu Täuschungen kommen, die nicht absprachenspezifisch sind, wie etwa das Vorspiegeln des Vorhandenseins weiterer

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bei dem Hervorrufen einer Fehlvorstellung in Betracht, die sich nicht auf strafzumessungsrelevante Umstände bezieht und daher die inhaltliche Zulässigkeit der Prognose nicht beeinflußt. Hier erscheint eine Täuschung hinsichtlich weiterer Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verständigung möglich.

bb) Fehlvorstellung bezüglich Rechtmäßigkeit des Zustandekommens der Absprache So kann der Angeklagte z. B. getäuscht werden, wenn durch die Vornahme einer Verständigung der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt wird192. Wann dies in Betracht kommt, ist natürlich davon abhängig, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Verstoß bejaht wird. Dies wirkt sich aber nicht auf die folgenden Ausführungen zur Verletzung des Täuschungsverbots aus, allein dessen Reichweite hängt von der jeweils zum Öffentlichkeitsgrundsatz vertretenen Ansicht ab. Nach der hier vertretenen Auffassung zu den Anforderungen, die sich aus § 169 GVG ergeben – siehe dazu nachstehend unter f) – kann ein Fall, den der 5. Strafsenat des BGH zu entscheiden hatte, als Beispiel eines solchen Verfahrensverstoßes dienen. Dort wurde eine Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft vorgenommen193. Der BGH problematisiert dieses Vorgehen zwar nicht unter dem Aspekt des § 169 GVG, hält die Absprache aber für unzulässig, da die Staatsanwaltschaft nicht beteiligt wurde194. Zudem ist der Inhalt der Gespräche nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Die Folge könne laut Senat auch eine Besorgnis der Befangenheit sein. Im konkreten Fall war die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft allerdings mangels vollständigen Sachvortrags i. S. v. § 344 II 2 StPO unzulässig. Der Senat wies zudem in seiner Entscheidung darauf hin – ohne daß dies entscheidungserheblich gewesen wäre –, daß durch eine derartige, im Widerspruch zu den vom BGH formulierten Zulässigkeitsvoraussetzungen stehende Verständigung kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Einhaltung der Verständigung oder die Nicht-Verwertung des Geständnisses entstehen kann195. Beweismittel, vgl. Rönnau Absprache, S. 197; Janke Verständigung, S. 168. Vgl. auch noch Hamm DRS IV (457), Blatt 94: Eine Täuschung könne in dem Unterlassen eines Hinweises des Gerichts zur Korrektur einer Zusage des Vorsitzenden liegen. Dies kann auch auf den Fall erweitert werden, daß das Gericht nach seiner eigenen Prognose das Erfordernis eines Abweichens erkennt. Voraussetzung ist allerdings stets, daß sich der Anlaß zu der Korrektur noch vor Ablegung des Geständnisses ergibt, ansonsten kann die Täuschung nicht kausal dafür sein. 192 Siehe dazu nachstehend unter I. 1. f). 193 BGH StV 2003, 481. 194 Gegen eine rechtswidrige Verständigung überhaupt Meyer-Goßner StraFo 2003, 401 (401 und 402): Es handele sich um zulässige Vorgespräche. 195 Vgl. auch BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01, S. 2 (www.bundesgerichtshof.de) zum Fehlen einer Hinweichspflicht bei Abweichung von solchen Gesprächen.

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Ein Beweisverwertungsverbot scheide daher aus. Schlothauer vertritt demgegenüber in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung die Auffassung, daß der Angeklagte, dem die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer strafprozessualen Absprache unbekannt seien, in diesem Fall getäuscht werde und das Geständnis daher gemäß § 136a III 2 StPO unverwertbar sei196. Die Fehlvorstellung des Angeklagten beziehe sich auf die fehlende Verbindlichkeit einer solchen unzulässigen Absprache. Vom hier vertretenen Standpunkt aus kommt der Absprache ohnehin keine Bindungswirkung zu. Insbesondere ist die Beachtung des § 169 GVG, von Anwesenheitsvorschriften oder dem Grundsatz der richterlichen Unbefangenheit für die Frage irrelevant, ob das Gericht sich an den Inhalt der Ankündigung halten muß197. Sollte das Gericht den Eindruck erweckt haben, es sei an die Verständigung gebunden, ergibt sich das Verwertungsverbot daher schon aufgrund einer Verletzung des § 136a I 3 2. Alt. StPO. Dennoch kann das Täuschungsverbot in diesem Zusammenhang auch vom Boden der hiesigen Auffassung aus Bedeutung erlangen, auf eine vermeintliche Bindungswirkung kommt es dafür nicht an. Eine Fehlvorstellung des Angeklagten liegt nämlich jedenfalls hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des gerichtlichen Vorgehens im Rahmen der Absprache vor. Der Angeklagte hat in aller Regel keinen Grund, daran zu zweifeln, daß das Gericht sich bei einer Verständigung im Rahmen der maßgeblichen Vorschriften halten wird198. Er weiß nicht um die Anforderungen, die sich u. a. aufgrund des § 169 GVG für eine Urteilsabsprache ergeben. Zudem handelt ein Gericht, das eine Verständigung unter Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes und der Anwesenheitsrechte von Verfahrensbeteiligten durchführt, in aller Regel auch mit Vorsatz hinsichtlich dieser Rechtsverletzung und einer insofern möglichen Irreführung des Angeklagten. Auf die weiteren Probleme bei der Präzisierung des Täuschungsbegriffes kommt es daher wiederum nicht an. Fraglich ist allein, ob der für ein Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a III 2 StPO erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dieser Beeinträchtigung der Willensfreiheit und der Aussage des Angeklagten besteht199. Daran fehlt es, wenn der Angeklagte aufgrund der Verständigung das Geständnis auch dann abgelegt hätte, wären ihm der – hier bejahte – Verstoß gegen § 169 GVG und die weiteren Rechtsverletzungen bekannt gewesen. Nun könnte man der Meinung sein, das Fehlen des Kausalzusammenhangs lasse sich damit begründen, daß ja gerade von der Schlothauer StV 2003, 481 (482). Siehe oben I. 1. a) aa) (2) (a). 198 Schlothauer StV 2003, 481 (482); Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (70): Es handele sich um eine Täuschung, wenn der Angeklagte im Rahmen einer unzulässigen Absprache zu einem Geständnis veranlaßt werde. 199 Vgl. zu dieser Voraussetzung Rogall in: SK-StPO, § 136a Rn. 84; LR-Hanack § 136a Rn. 62; vgl. auch Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (70). 196 197

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

225

Irrelevanz einer solchen Rechtsverletzung für die Strafmaßprognose und deren Einhaltung ausgegangen wird. Dabei würde aber übersehen, daß, jedenfalls wenn wie im Fall des 5. Strafsenats die Staatsanwaltschaft an der Absprache nicht beteiligt wird, eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, daß das Urteil auf deren Revision hin wegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 338 Nr. 5 und 6 StPO aufgehoben wird200 201. Die Folge wäre dann eine erneute Hauptverhandlung vor einem anderen Gericht. Daß dieses hinsichtlich des Strafmaßes zu der gleichen Einschätzung gelangt wie das an der Verständigung beteiligte Gericht, ist angesichts des weiten Beurteilungsspielraumes des Tatrichters bei der Strafzumessung aber höchst unsicher. Es kann kaum davon ausgegangen werden, daß der Angeklagte das Geständnis auch in dem Wissen abgelegt hätte, daß die Strafmaßprognose von einem Gericht stammt, dessen Entscheidung wohl nicht rechtskräftig werden wird. Die Beeinträchtigung der Willensfreiheit ist daher für die Aussage kausal. In diesen Fällen erfährt die Aussagefreiheit also ebenfalls bereits auf einfach-gesetzlicher Ebene hinreichenden Schutz, weil das Geständnis gemäß § 136a III 2 StPO täuschungsbedingt unverwertbar ist. Dieses Verwertungsverbot ist nach dem oben Gesagten auch nicht von einer Enttäuschung des Vertrauens abhängig, so daß die Höhe des tatsächlich verhängten Strafmaßes unerheblich ist.

d) Art. 6 I 1 EMRK, Art. 14 III lit. g) IPBPR Ein gegenüber verfassungsrechtlichen Ableitungen vorrangiger Schutz der Aussagefreiheit könnte sich auch aus Art. 6 I 1 EMRK und Art. 14 III lit. g) IPBPR ergeben. Diese Vorschriften sind Bestandteil völkerrechtlicher Abkommen, denen die Bundesrepublik beigetreten ist, und nehmen nach der Transformation dieser Verträge in das innerstaatliche Recht den Rang eines einfachen Gesetzes ein202. Art. 6 I 1 EMRK gewährleistet den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren. Zum Inhalt eines solchen fairen Verfahrens wird auch das Schweigerecht des Angeklagten gezählt203. Art. 14 III lit. g) IPBPR gewährleistet den Schutz des Angeklagten davor, zu einer Selbstbelastung oder einem Schuldanerkenntnis 200 Vom Standpunkt des BGH aus kommt allein ein relativer Revisionsgrund in Betracht, da die Vornahme der Verständigung selbst nicht als Verstoß gegen das Prinzip der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und die insofern geltenden Anwesenheitsvorschriften angesehen wird. 201 Eine andere Auffassung vertritt neuerdings aber der 3. Strafsenat, BGH StV 2004, 639 f.: Verständigungsgespräche außerhalb der Hauptverhandlung, die auch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden, sind zwar unzulässig, stellen aber mangels Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit keinen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 6 StPO dar, siehe auch nachstehend unter f). 202 BGHSt 21, 81 (84); Weigend StV 2000, 384 (386 f.); Meyer-Goßner StPO, Vorb. MRK Rn. 3; LR-Gollwitzer MRK / IPBPR Einl. Rn. 19. 203 EGMR StV 2003, 257 (259): Das Schweigerecht gehöre zum Kernbereich des fairen Verfahrens.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

gezwungen zu werden. Wenn in diesen Vorschriften die Aussagefreiheit normiert ist, ist ihre Relevanz im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen nicht von vornherein auszuschließen. Zudem ist zu beachten, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Schweigerecht der EMRK inzwischen teilweise einen weitergehenden Anwendungsbereich einräumt als der BGH dem nemo-teneturGrundsatz204. Dennoch können die genannten Vorschriften jedenfalls dann der Zulässigkeit einer Absprache nicht entgegenstehen und daher auch dem Angeklagten keinen Schutz vermitteln, wenn der Angeklagte nicht mit Mitteln zu der Verständigung gezwungen wird, die über die bloße Zusage einer Strafmilderung hinausgehen. Sollte auf andere Druckmittel zurückgegriffen werden, ergibt sich die Unverwertbarkeit des Geständnisses aber ohnehin schon aus § 136a StPO. Der Grund für die fehlende Bedeutung dieser Vorschriften im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen liegt in dem völkerrechtlichen Hintergrund der Normen und den daraus folgenden Konsequenzen für ihre Auslegung. Art. 6 EMRK und Art. 14 IPBPR sind in zahlreichen Vertragsstaaten geltendens Recht. Diese Vertragsstaaten haben Regelungen geschaffen, die einen einheitlichen rechtsstaatlichen Standard unabhängig von den verschiedenen Strukturen der einzelnen Rechtsordnungen garantieren sollen. In diesem Sinne ist auch die Aussage zu verstehen, die EMRK gewährleiste einen internationalen Mindeststandard205. Die Folge ist aber, daß die normierten Grundsätze in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten inhaltsgleich Geltung beanspruchen206. Ihr Inhalt kann damit nicht von den Eigenarten der einzelnen Rechtsordnungen her bestimmt werden, sondern nur durch Auslegung auf internationaler Ebene207. Dies wird dadurch verdeutlicht, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Normen der EMRK einen Anwendungsbereich unabhängig davon zuweist, um welchen Vertragsstaat es sich handelt, und nicht etwa das jeweilige nationale Recht bei der Inhaltsbestimmung in den Vordergrund stellt. Nun sind aber Absprachen hinsichtlich des Verfahrensergebnisses im Strafverfahren in verschiedenen Vertragsstaaten geltendes Recht, wobei diese Verständigungsformen oftmals im Vergleich zu den in Deutschland vorhandenen, gesetzlich zulässigen Möglichkeiten viel weitergehend sind. Dies gilt etwa für die Vereinigten 204 EGMR StV 2003, 257 (259): Das Schweigerecht diene prinzipiell der freien Entscheidung über eine Aussage. Sein Anwendungsbereich erstrecke sich daher auch auf eine Täuschung des Beschuldigten, die durch den Einsatz eines Informanten herbeigeführt wird; vgl. demgegenüber den Großen Senat in BGHSt 42, 139 (152 f.), der eine Verletzung des nemotenetur-Grundsatzes bei einer heimlichen Ausforschung des Beschuldigten ablehnt; vgl. auch Gaede StV 2003, 260 (262): Die Haltung des BGH bleibe hinter der des EGMR ihrem Grundansatz nach zurück. 205 Vgl. Frister StV 1998, 159 (162); Meyer-Goßner StPO, Art. 6 MRK Rn. 4; vgl. auch Roxin StrafverfahrensR, § 3 Rn. 7. 206 Heubel fair trial, S. 33 und 39. 207 Heubel fair trial, S. 33 zu Art. 6 EMRK; Bosch nemo tenetur, S. 25 zu Art. 14 IPBPR.

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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Staaten208, aber auch für zahlreiche europäische Länder wie England209, Italien210 und Spanien211. Grundlage von Urteilsabsprachen ist aber die Bereitschaft des Angeklagten, an der eigenen Bestrafung in irgendeiner Weise mitzuwirken212, sei es durch eine Selbstbelastung, sei es durch ein Anerkenntnis der Bestrafung. Den Grund für eine solche Bereitschaft kann nur ein Entgegenkommen des Staates bei dem Strafausspruch darstellen. Die daraus entstehende faktische Drucksituation für den Angeklagten wird also von vielen Rechtsordnungen akzeptiert. Wollte man dies allein also als Verstoß gegen die EMRK oder den IPBPR ansehen, so würde dies teilweise die Fundamente des jeweiligen Strafverfahrens zum Einsturz bringen. Eine solche Folgerung ist aber nicht nur in der Praxis undenkbar. Es ist vielmehr bei der Vertragsauslegung davon auszugehen, daß die mit jeder Absprachensituation verbundene Druck- oder auch Zwangssituation des Angeklagten nicht als eine Verletzung internationaler Mindeststandards eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens einzustufen ist. Es bleibt den einzelnen Vertragsstaaten überlassen, die Zulässigkeit solcher Formen der Verfahrenserledigung im Strafprozeß zu regeln.

e) Urteilsabsprache als prozessual zulässige Handlungsform Schünemann hat die Frage aufgeworfen, ob die Absprache im Strafverfahren überhaupt in das System der prozessual zulässigen Handlungsformen einzuordnen ist213. Dies führte zur Ablehnung von Vereinbarungen, an die die Beteiligten gebunden sind. Hingegen wurde die vorläufige Einschätzung des Gerichts hinsichtlich des Verfahrensergebnisses – von ihm als labile Absichtserklärung bezeichnet – als eine prozessual statthafte Handlungsform eingestuft214. Der Grund dafür ist, daß es sich bei einer solchen nach dem geltenden Prozeßrecht allein zulässigen Prognose um einen gerichtlichen Hinweis auf die Rechtslage handelt215. Die „Absprache“ besteht zum einen aus Äußerungen der Verfahrensbeteiligten, die dabei von ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch machen, bezüglich Sach- und Rechtslage. Zum anderen ist in der gerichtlichen Ein208 Zu Absprachen im amerikanischen Recht vgl. Weigend Absprachen, S. 34 ff.; Rönnau Absprache, S. 270 ff.; Kremer Absprachen, S. 300 ff.; Braun Absprache, S. 148 ff. 209 Vgl. Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 73 ff.; Weigend Absprachen, S. 84 ff.; Braun Absprache, S. 161 ff. 210 Vgl. Bogner Absprachen, S. 135 ff.; Festa Absprachen, S. 89 ff.; Kremer Absprachen, S. 268 ff.; Braun Absprache, S. 172 ff. 211 Vgl. Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 112 ff.; Braun Absprache, S. 168 ff.; Kremer Absprachen, S. 261 ff. 212 Vgl. Nestler KJ 1989, 448 (453): Das Vergleichsstrafrecht lebe von der Selbstbelastung als Gegenleistung. 213 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 66 ff. 214 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 75; ders. StV 1993, 657 (658). 215 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 79.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

schätzung eine Wissensäußerung zu sehen, die sich auf das zu erwartende Strafmaß bezieht und auf der aktuellen Sachlage – unter Antizipation des Geständnisses – beruht216. Dies wird dadurch verdeutlicht, daß der Strafzumessungsakt Rechtsanwendung darstellt und nicht ein gerichtliches Ermessen im Sinne einer Wahlmöglichkeit beinhaltet217. Damit ist die gerichtliche Maßnahme im Rahmen der Verständigung als eine Information der übrigen Verfahrensbeteiligten über die in Betracht kommende Rechtsfolge anzusehen. Diese ist zwar in der StPO nicht vorgesehen, steht aber handlungssystematisch im Zusammenhang mit den dort geregelten Einschätzungen der Strafverfolgungsorgane bezüglich Sach-, Rechts- oder Verfahrenslage, die anderen Verfahrensbeteiligten einen erweiterten Kenntnisstand verschaffen, wie z. B. in §§ 136 I 1 und 265 I, II StPO218. Der Mitteilung der vorläufigen Beurteilung der Rechtsfolgenseite der Tat muß eine gerichtliche Zwischenberatung vorausgehen219.

f) § 169 S. 1 GVG – Öffentlichkeitsgrundsatz Zu den Anforderungen, die an Verständigungen mit Blick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz des § 169 S. 1 GVG zu stellen sind, lassen sich drei Auffassungen unterscheiden. Nach einer Ansicht bezieht sich diese Vorschrift nur auf Vorgänge, die tatsächlich zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden220. Also unterfielen Verständigungen gerade nicht dem Gebot der Öffentlichkeit, wenn sie in Sitzungspausen oder zwischen Verhandlungstagen zustande kommen. Auch der 3. Strafsenat hat sich in seinem Urteil vom 19. August 2004 dieser engen Auffassung angeschlossen: Ein Verstoß gegen § 169 GVG liege schon deshalb nicht vor, weil die Beteiligten die Gespräche bewußt außerhalb der Hauptverhandlung geführt haben221. Dieser formalen Betrachtungsweise ist der 4. Strafsenat in BGHSt 43, 195 nicht gefolgt, er vertritt vielmehr eine vermittelnde Position. Vorgespräche außerhalb der Verhandlung zur Abklärung der Gesprächsbereitschaft und „Verhandlungspositionen“ seien zwar zulässig, dann müßten aber der wesentliche Inhalt und das Ergebnis dieser Gespräche durch das Gericht in der Hauptverhandlung offengelegt werden222. Allerdings hat der 3. Strafsenat entschieden, daß auch ein Verstoß geVgl. BGHSt 42, 46 (50). Siehe vorstehend unter I. 1. a) aa) (2) (d). 218 Anders aber Haas GS Keller, S. 45 (51, vgl. auch 59): Zumindest das Gericht bewege sich bei Absprachen stets außerhalb des durch das Prozeßrecht definierten Prozeßhandlungskanons. 219 BGHSt 43, 195 (205 f.); 42, 46 (49); 38, 102 (103 f.); vgl. auch BGH NStZ 2005, 395 f. Schmidt-Hieber Verständigung, Rn. 165; Altenhain / Haimerl GA 2005, 281 (286); vgl. auch Mellinghoff Fragestellung, S. 18. 220 BGHSt 42, 46 (47); Cramer FS Rebmann, S. 145 (149). 221 BGH StV 2004, 639. 216 217

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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gen die vom 4. Strafsenat aufgestellten Grundsätze lediglich zur Rechtswidrigkeit der Absprache führt, nicht aber den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO begründet223. Vorzugswürdig erscheint aber angesichts des Sinn und Zwecks des Öffentlichkeitsgrundsatzes, eine Kontrolle des Verfahrensganges durch die Allgemeinheit zu gewährleisten224, eine weitergehende Auffassung in der Literatur. Demnach stellt bereits das Zustandekommen der Absprache selbst einen Teil der Hauptverhandlung dar, der folglich öffentlich stattfinden muß225. Zulässig ist es daher allein, außerhalb der Hauptverhandlung die generelle Bereitschaft zu einer Verständigung zu klären und zu signalisieren. Dies ist erforderlich, um den Verfahrensbeteiligten eine effektive Vorbereitung der Verhandlung zu ermöglichen226. Das Gespräch der Beteiligten und die Mitteilung des Beratungsergebnisses durch das Gericht dürfen hingegen nur im Rahmen der öffentlichen Hauptverhandlung erfolgen. Dadurch wird zudem die Einbeziehung aller Verfahrensbeteiligter sichergestellt227. Eine Verletzung dieser Vorgaben führt zu einer Rügemöglichkeit gemäß § 338 Nr. 5 und 6 StPO228. Das Ergebnis der Absprache wird vom BGH als wesentlicher Verfahrensvorgang eingestuft und ist daher protokollierungsbedürftig229.

g) Unschuldsvermutung Die Unschuldsvermutung ist einfach-gesetzlich in Art. 6 II EMRK verankert. Zudem wird sie verfassungsrechtlich durch das Rechtsstaatsprinzip begründet230. Die Strafverfolgungsorgane müssen den Beschuldigten so behandeln, als wäre er unschuldig231. Maßnahmen, die der Klärung über Schuld oder Unschuld dienen, sind allerdings zulässig und vom Beschuldigten zu dulden, wenn der gesetzliche 222 BGHSt 43, 195 (206); vgl. auch BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01 (www.bundesgerichtshof.de). 223 BGH StV 2004, 639 f. 224 BGHSt 27, 13 (15); Fezer StrafprozeßR, 14 / 57; KK-Diemer § 169 GVG Rn. 2. 225 Schünemann FS Rieß, S. 525 (543); ders. Gutachten 58. DJT, B 88 f.; Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 153 ff.; Rönnau Absprache, S. 169; ders. wistra 1998, 49 (51); Eich Tatsächliche Verständigung, S. 113; Gerlach Absprachen, S. 86. 226 Vgl. noch BGHSt 37, 298 (305) (3. Strafsenat): Zulässigkeit von Fühlungnahmen außerhalb der Hauptverhandlung zur Vorbereitung der Sitzung; die Festlegung der zu verhängenden Strafe dürfen sie hingegen nicht betreffen. Vgl. auch die Entscheidung des Senats in StV 1999, 407: „In Vorgesprächen dürfen lediglich die Bereitschaft und Positionen geklärt, nicht aber ohne Mitwirkung des Angekl. ein Ergebnis vereinbart werden“. 227 Vgl. BGHSt 43, 195 (206). 228 Moldenhauer Verfahrensordnung für Absprachen?, S. 261; Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 139. 229 BGHSt 43, 195 (206); BGH StV 2003, 268. 230 LR-Rieß Einl. Abschn. I Rn. 75; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 74. 231 Fezer StrafprozeßR, 3 / 4.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Nachweis der Schuld geführt werden soll und dem Beschuldigten nichts zugemutet wird, was für einen Unschuldigen unzumutbar wäre232. Die Unschuldsvermutung wird bei einer Urteilsabsprache jedenfalls gewahrt, wenn die Initiative zu der Verständigung von dem Angeklagten selbst ausging233. Die bloße Einschätzung hinsichtlich der Rechtslage, beruhend auf der aktuellen Sachlage und unter Antizipation eines glaubhaften Geständnisses, stellt für sich genommen keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung dar. Das Gericht muß nach dem oben Gesagten nämlich deutlich machen, daß es sich um eine vorläufige Prognose handelt, daß die Strafmaßerwartung also nur für den Fall gilt, daß der gesetzliche Nachweis der Schuld gelingt234. Später wird noch darzulegen sein, daß aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen eine Strafmaßprognose ohne Zustimmung des Angeklagten ohnehin nicht zulässig ist235. Eine darüberhinausgehende Bedeutung könnte die Unschuldsvermutung also nur noch erlangen, wenn sie bereits bei Initiierung eines Verständigungsgesprächs durch das Gericht verletzt wäre. Dies wird teilweise angenommen, wenn der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht überführt worden ist (noch keine „Schuldspruchreife“)236. Daß jedoch jedes Inaussichtstellen einer Strafmaßprognose zu einem Verstoß führen soll, erscheint nicht als zwangsläufige Annahme. Unzweifelhaft ist, daß insofern – wie allgemein im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen – ein großes Mißbrauchsrisiko besteht. Für eine Verletzung der Unschuldsvermutung dürfte aber die Art und Weise des Vorgehens des Gerichts im Einzelfall entscheidend sein. Wird dem Angeklagten verdeutlicht, daß es sich bei der Prognose nur um eine vorläufige Einschätzung auf der Grundlage des vorhandenen hinreichenden Tatverdachts handeln würde und unabhängig von seiner Entscheidung noch der gesetzliche Nachweis der Schuld geführt werden muß, dürfte die Unschuldsvermutung grundsätzlich gewahrt werden. Die Absprache, die damit ins Gespräch gebracht wird, macht zwar nur für den schuldigen Angeklagten einen Sinn. Grundlage der Initiierung ist aber eben nur der entsprechende Verdacht237, eine Überzeugung muß weder bestehen, noch wird notwendig ein solcher Eindruck hervorgerufen. Vielmehr ist dies nur dann gegeben, wenn durch die Art und Weise der gerichtlichen Initiative für den Angeklagten erkennbar wird, daß das Gericht eine Verurteilung auch für den Fall anstrebt, daß ein gesetzlicher Nachweis der Schuld nicht gelingt. Nur dann ist einem Unschuldigen das „Anbieten“ der Strafmaßprognose auch nicht zuzumuten. Anson232 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 95; Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 76; LR-Rieß Einl. Abschn. I Rn. 77. 233 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 98. 234 Vgl. Janke Verständigung, S. 153 f. 235 Siehe unten II. 2. b) aa) (4) und bb) (3) (b). 236 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 97 f.; dagegen etwa Weigend JZ 1990, 774 (777). 237 Vgl. Rogall in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 76: „(Faktischer) Tatverdacht und (normative) Unschuldsvermutung schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander“.

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sten muß er die mit der gerichtlichen Initiative verbundene Aussage über die bestehende Verurteilungswahrscheinlichkeit hinnehmen238.

h) Grundsatz der richterlichen Unbefangenheit Für die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 II StPO gelten die Bemerkungen hinsichtlich der Unschuldsvermutung entsprechend. Eine bloße Einschätzung bezüglich der Rechtsfolgenseite der vorgeworfenen Tat ist für sich genommen nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters hervorzurufen. Beruhen eine Strafmaßprognose bzw. die Initiative dazu erkennbar auf dem gerechtfertigten Tatverdacht und nicht auf einer durch besondere Umstände zum Ausdruck kommende Voreingenommenheit des Gerichts – etwa bei dem Drängen zu einem Geständnis – besteht kein Anlaß, von dessen Befangenheit auszugehen.

i) Verbot der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts Schließlich hat schon der 4. Strafsenat die übliche Praxis, einen Rechtsmittelverzicht zu vereinbaren, als unzulässig verworfen239. Die Folgen einer solchen rechtswidrigen Vereinbarung wurden aber in BGHSt 43, 195 nicht angesprochen. Nach einem Vorlagebeschluß des 3. Strafsenats240 hat der Große Senat für Strafsachen nunmehr entschieden, daß nicht nur die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache unzulässig ist241, sondern sogar jedes Mitwirken des Gerichts an einem Rechtsmittelverzicht im Zusammenhang mit einer Absprache242. Ebenfalls hatte der Große Senat über die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts zu entscheiden, der nach einem auf einer Verständigung basierenden Urteil erklärt wird. Dabei ist er dem 3. Strafsenat nicht in der Annahme gefolgt, daß eine rechtswidrige Rechtsmittelverzichtsvereinbarung zwangsläufig zur Unwirksamkeit des späteren Rechtsmittelverzichts führt243. Vielmehr wird die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten auf eine unzulässige Willensbeeinträchtigung durch das Gericht gestützt244. Der Rechtsmittelverzicht wird aber als wirkVgl. Kühl NJW 1988, 3233 (3235). BGHSt 43, 195 (204 f.). 240 BGH NStZ-RR 2004, 266. Vgl. auch den Anfragebeschluß StV 2003, 544 sowie die daraufhin ergangenen Beschlüsse der anderen Senate, StV 2004, 4 (5. Strafsenat); StV 2004, 115 (1. Strafsenat); StV 2004, 196 (2. Strafsenat). 241 Dies war vom 2. Strafsenat in Zweifel gezogen worden, vgl. StV 2004, 196. 242 BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (313 f.); vgl. zu dieser Entscheidung Seher JZ 2005, 634; Altenhain / Haimerl GA 2005, 281 (297 ff.). 243 Vgl. den Anfragebeschluß des 3. Strafsenats, StV 2003, 544 (546); vgl. dazu F. Meyer StV 2004, 41 (43 f.). 238 239

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sam eingestuft, wenn das Gericht nach der eigentlichen Rechtsmittelbelehrung eine qualifizierte Belehrung darüber erteilt, daß der Angeklagte unbeschadet der Absprache zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt ist. Diese Belehrung müsse bei jeder Urteilsabsprache erfolgen, unabhängig von Gesprächen über einen Rechtsmittelverzicht245.

2. Die Realisierung oder Nicht-Einhaltung der Urteilsabsprache Wird der unter 1. beschriebene gesetzliche Rahmen bei der Vornahme einer Urteilsabsprache beachtet, so stehen die Verständigung und die Strafmaßprognose durch das Gericht jedenfalls für sich genommen nicht im Widerspruch zu den Vorschriften des Strafverfahrensrechts. Allerdings kann es auch zu Verstößen gegen Verfahrensregelungen kommen, die der Absprache zeitlich nachfolgen, aber in einem engen Zusammenhang mit ihr stehen. Es handelt sich also um die prozessualen Anforderungen, die sich hinsichtlich der „Abwicklung“ der Urteilsabsprache ergeben und die sowohl ihre Realisierung als auch ihr Scheitern betreffen können.

a) Amtsaufklärungsgrundsatz – § 244 II StPO Eine erhebliches Problem stellt insofern in der Absprachenpraxis die Regelung des § 244 II StPO dar. Die Verständigung dient gerade der Vermeidung einer dem herkömmlichen Verständnis dieser Norm entsprechenden Beweisaufnahme246. Der 4. Strafsenat hat mit Blick auf die Überprüfung des im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnisses formuliert, sich aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben247. Dadurch wurde eine Lücke eröffnet, die eine gravierende Einschränkung der Reichweite des Amtsaufklärungsgrundsatzes ermöglicht248.

b) § 261 StPO, Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip Wird in der öffentlichen Hauptverhandlung nach diesbezüglicher Erörterung durch die Verfahrensbeteiligten eine bloß vorläufige Einschätzung des Gerichts BGH – Großer Senat – StV 2005, 311 (315); vgl. bereits 3. Teil VI. 1. c) cc) (2). Vgl. auch die auf diesen Grundsätzen basierende Entscheidung des 3. Senats, Beschluß vom 14. Juni 2005 – 3 StR 130 / 05 (www.bundesgerichtshof.de). 246 Fezer BGH-FG, S. 847 (880). 247 BGHSt 43, 195 (204). 248 Weigend NStZ 1999, 57 (61); Fezer BGH-FG, S. 847 (879) zu BGH NStZ 1999, 92 (2. Strafsenat). 244 245

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hinsichtlich der Strafzumessung bekannt gegeben und stützt das Gericht seine Entscheidung dann gegebenenfalls auch auf das daraufhin abgelegte Geständnis des Angeklagten, so ergeben sich insofern keine Bedenken.

c) § 265 StPO als Grundlage einer gerichtlichen Hinweispflicht bei fehlgeschlagenen Absprachen Im vorliegenden Zusammenhang könnte bei der „Abwicklung“ einer Urteilsabsprache allein der Regelung des § 265 StPO Bedeutung zukommen. In dieser Vorschrift werden Hinweis- bzw. Aussetzungspflichten des Gerichts normiert, um dem Angeklagten auch bei tatsächlichen oder rechtlichen Veränderungen während der Hauptverhandlung die Gelegenheit zu einer ausreichenden Verteidigung zu bieten249. Im Zusammenhang mit Absprachen ist dabei insbesondere die mögliche Pflicht, den Angeklagten auf die Änderung der gerichtlichen Einschätzung hinsichtlich des zu erwartenden Strafmaßes und damit das Scheitern der Absprache hinzuweisen, von Interesse. Sollte sich bei dem Fehlschlagen einer Verständigung aufgrund neu bekannt gewordener Umstände oder einer neuen rechtlichen Bewertung eine entsprechende Hinweispflicht bereits aus § 265 StPO ergeben, stünde dies einem Rückgriff auf Art. 103 I GG entgegen. Wird der Angeklagte über das Scheitern der Absprache informiert, liegt es allein in seiner Verantwortung, ob er nun von Beweisantrags-, Erklärungs- oder Stellungnahmerechten Gebrauch macht, von deren Ausübung er angesichts des Verständigungsinhalts zunächst abgesehen hat. Damit würde sich die Feststellung einer Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs durch die Absprache und eines entsprechenden grundrechtlichen Vertrauensschutzes250 erübrigen, da die gewährleistete Freiheit bei einem solchen Hinweis jedenfalls wieder hergestellt würde. Tatsächlich wird § 265 StPO mit Art. 103 I GG und dem Grundsatz auf ein faires Verfahren in Verbindung gebracht sowie insbesondere als ein gesetzlich geregelter Fall der gerichtlichen Fürsorgepflicht angesehen251. Es ist daher zu prüfen, ob und in welchem Maße durch diese Vorschrift ein „abstrakter Vertrauensschutz“ gewährleistet wird252. Allerdings ist dabei zu beachten, daß die Norm keine Generalklausel zum Schutz des Angeklagten vor jeglicher Überraschung im Strafverfahren darstellt253. § 265 StPO gestaltet nicht etwa den gesamten Anwendungsbereich des Anspruchs 249 Vgl. Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 2: Sicherung der umfassenden Verteidigung des Angeklagten. 250 Vgl. dazu oben 3. Teil VI. 1. c) bb) (2). 251 Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 3; Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 1; KK-Engelhardt § 265 Rn. 1; Fezer StrafprozeßR, 17 / 8; Schlothauer StV 1986, 213 (214 f.). 252 Siehe dazu oben vor I. 253 BGHSt 29, 274 (278); K. Meyer JR 1971, 518.

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auf rechtliches Gehör einfach-gesetzlich aus, so daß dieser im Strafverfahren vollständig in dieser Vorschrift aufginge. Vielmehr kommen durchaus auch auf Art. 103 I GG zurückgehende Pflichten in Betracht, die sich nicht aus § 265 StPO ergeben254. Vorliegend muß deshalb geklärt werden, auf welche Regelungen des § 265 StPO in direkter bzw. analoger Anwendung die Pflicht des Gerichts gestützt werden kann, auf das Scheitern einer Absprache aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen hinzuweisen. Soweit dies nicht möglich ist, ist zur Begründung eines Schutzes des Angeklagten der Rückgriff auf das Verfassungsrecht zulässig, aber auch erforderlich. Dieser Notwendigkeit einer präzisen rechtlichen Herleitung gerichtlicher Hinweispflichten wird von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen zu wenig Beachtung geschenkt. In BGHSt 36, 210 wird der Hinweis auf die Überschreitung des prognostizierten Strafmaßes mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens und Vertrauensschutzerwägungen begründet, was auf eine unmitellbare Anwendung von Verfassungsrecht schließen läßt255. Dennoch wird der Entscheidung voranstehend auch § 265 IV StPO zitiert, ohne daß auf diese Vorschrift noch eingegangen wird. Der 4. Strafsenat hingegen nennt in seiner Grundsatzentscheidung im Zusammenhang mit der Hinweispflicht § 265 I und II StPO256. Diese Pflicht soll bestehen, wenn von der Absprache zulässigerweise abgewichen wird. Eine verfassungsrechtliche Herleitung wie in BGHSt 36, 210 findet sich nicht mehr, andererseits wird nicht ganz klar, ob tatsächlich eine analoge Anwendung dieser Normen befürwortet wird. Teilweise wird die Grundlage einer möglichen Hinweispflicht auch gar nicht angegeben257. Im Schrifttum wird teilweise im Hinblick auf den geschaffenen Vertrauenstatbestand eine Hinweispflicht auf eine analoge Anwendung von § 265 I, II StPO gestützt, ohne daß die Voraussetzungen einer solchen Analogie näher untersucht werden258. In anderen Äußerungen zur Entscheidung des 2. Strafsenats in BGHSt 36, 210 wird die Grundlage der Hinweispflicht demgegenüber in § 265 IV StPO gesehen, eine ausführliche Begründung dieser Verankerung erfolgt aber ebenfalls nicht. Da die Pflicht sich aus § 265 IV StPO ergebe, scheide eine unmittelbare Anwendung von verfassungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem fair-trialPrinzip, aus259. Dabei wird auf eine Ansicht Bezug genommen, laut der die Hinweispflicht als Minus in der ausdrücklich geregelten Pflicht zur Aussetzung der 254 BGHSt 29, 274 (278); LR-Gollwitzer § 265 Rn. 4; vgl. auch Schlothauer StV 1986, 213 (214). 255 Vgl. insbesondere auch BGHSt 36, 210 (212): „Die Beschwerdeführer rügen hiernach mit Recht, in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt worden zu sein.“ 256 BGHSt 43, 195 (210); vgl. auch BGH StV 2003, 268 (269). 257 Vgl. BGH NStZ 2002, 219 (220); BGH, Beschluß vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 433 / 01, S. 2 (www.bundesgerichtshof.de). 258 Vgl. HK-Julius § 265 Rn. 10; Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 25. 259 Schünemann JZ 1989, 984 (986), der bei prozessual unzulässigen Absprachen den Hinweis aber für erforderlich hält, um die Kausalität dieses Verfahrensfehlers für das Urteil zu

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Hauptverhandlung enthalten ist260. Allerdings sei der – mittelbare – Rückgriff auf den Grundsatz des fairen Verfahrens dennoch methodisch korrekt: Nur so könne erklärt werden, warum sich das dem Gericht in § 265 IV StPO eingeräumte Ermessen in den Fällen der Enttäuschung berechtigten Vertrauens auf Null reduziere261. Mitunter wird auch einfach § 265 StPO genannt, ohne den einschlägigen Absatz anzugeben262. Vorliegend soll zunächst auf § 265 IV StPO als mögliche Rechtsgrundlage einer gerichtlichen Hinweispflicht bei gescheiterten Absprachen eingegangen werden, da insofern mit dem Merkmal der Veränderung der Sachlage ein möglicher Anknüpfungspunkt im Tatbestand der Norm vorhanden ist, während die anderen drei Absätze ersichtlich in keiner Konstellation des Fehlschlagens einer Verständigung direkt Anwendung finden können. Insofern käme nämlich allein eine Erhöhung der Strafbarkeit i. S. v. § 265 II 1. Alt. StPO in Betracht. Die bloße Erhöhung der Hauptstrafe ist aber selbst bei neuen Strafzumessungsgesichtspunkten nicht auf die vorausgesetzten vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umstände zurückzuführen263.

aa) § 265 IV StPO (1) Veränderung der Sachlage § 265 IV StPO setzt zunächst eine Veränderung der Sachlage voraus. Unter dieses Merkmal können einige, nicht jedoch alle Konstellationen der fehlgeschlagenen Urteilsabsprachen subsumiert werden. Eine Veränderung im Sinne dieser Norm liegt zum einen vor, wenn neue Tatsachen bekannt werden, die in der zugelassenen Anklage nicht erwähnt wurden264. Darunter fallen insbesondere auch Tatsachen, die nur für die Strafzumessung relevant sind265. Damit lassen sich hier ohne weiteres diejenigen Absprachen einordnen, die aufgrund neu hervorgetretener Umstände scheitern, weil diese die Verhängung einer höheren Strafe erfordern. Nicht erfaßt werden aber Fälle, in denen das beseitigen, siehe dazu unten I. 2. d); Gerlach Absprachen, S. 185 f.; Janke Verständigung, S. 202; vgl. auch Hassemer JuS 1989, 890 (892). 260 BGHSt 19, 141 (142); vgl. auch BGHSt 28, 196 (197); 32, 44 (47): Der Anspruch auf faires Verfahren könne eine dem Rechtsgedanken des § 265 IV StPO zu entnehmende Hinweispflicht gebieten. 261 Schünemann JZ 1989, 984 (986 f.); Gerlach Absprachen, S. 186; Janke Verständigung, S. 203. 262 Vgl. LR-Rieß Einl. Abschn. G Rn. 83: Hinweis nach § 265 StPO; Schünemann FS Rieß, S. 525 (528): Hinweis analog § 265 StPO. 263 Vgl. Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 29; Fezer StrafprozeßR, 17 / 10. 264 LR-Gollwitzer § 265 Rn. 99; Fezer StrafprozeßR, 17 / 17. 265 Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 42.

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Gericht ohne eine Änderung der tatsächlichen Grundlage allein seine Rechtsauffassung modifiziert. Nun wird allgemein die Ansicht vertreten, § 265 IV StPO dürfe nicht eng ausgelegt werden266. Deshalb wird über neue Tatsachen hinaus eine Veränderung der Sachlage auch dann angenommen, wenn sich die Verfahrenslage verändert, z. B. wenn neue Beweismittel in der Hauptverhandlung vorgelegt werden, auf die die Verfahrensbeteiligten nicht vorbereitet sind267. Eine wesentliche Veränderung der Verfahrenslage wird aber auch darin gesehen, daß das Gericht darauf hinweist, an der im Rahmen einer Verständigung prognostizierten Strafhöhe nicht festhalten zu können268. Konsequenterweise muß dies vom Boden dieser Ansicht aus auch bei einem Scheitern der Absprache gelten, über das der Angeklagte noch nicht informiert ist, da eine effektive Verteidigung dann noch stärker gefährdet sein kann. Demgegenüber ist es jedoch abzulehnen, das Scheitern einer Verständigung aus rechtlichen Gründen über den Umweg einer Änderung der Verfahrenslage als Veränderung der Sachlage einzustufen. Denn das Scheitern ist kein selbständiges Ereignis, welches von den dafür ursächlichen Umständen gedanklich getrennt werden könnte. Das wird besonders deutlich, wenn man unter der Absprache richtigerweise eine vorläufige Absichtserklärung oder Prognose versteht269: Es ändert sich allein die rechtliche Bewertung hinsichtlich der Strafzumessung, nicht etwa ein Vertrag oder eine Zusage, denen davon isoliert eine Wirkung zukäme. Eine Veränderung der Rechtslage als eine solche der Sachlage anzusehen, ist aber nicht nur vor dem Hintergrund des Sprachverständnisses bezüglich dieses Merkmals bedenklich. Dagegen spricht insbesondere auch der systematische Zusammenhang mit dem Absatz 3 der Vorschrift. Hier wurde eine Aussetzungspflicht nur für solche Fälle einer rechtlichen Änderung i. S. d. § 265 I und II StPO normiert, in denen diese auf neu hervorgetretene Umstände zurückzuführen ist. Dann liegt eine ähnliche Interpretation aber auch bei der Aussetzungsmöglichkeit des Absatzes 4 nahe. Zwar könnte behauptet werden, für die in Absatz 3 geregelte gleichzeitige Änderung von Sach- und Rechtslage sollte schon bei der bloßen Behauptung der ungenügenden Vorbereitung auf die Verteidigung eine Aussetzungspflicht geschaffen werden, eine Aussetzung aber auch in allen anderen Fällen ermöglicht werden270. Dies erscheint allerdings vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Bezugnahme auf eine veränderte Sachlage nicht besonders schlüssig, bei einer „Generalklausel 266 Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 39; Pfeiffer StPO, § 265 Rn. 14; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 96; KK-Engelhardt § 265 Rn. 29. 267 Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 41 und 43 f.; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 101 ff. 268 LR-Gollwitzer § 265 Rn. 101. 269 Siehe oben I. 1. a) aa) (3) (b); anderenfalls käme man aber auch gar nicht zu den hier interessierenden Fällen des Scheiterns einer Absprache, weil dies dann aufgrund der Bindung für sich genommen unzulässig wäre. 270 Vgl. auch Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 44: Die Formulierung „auch sonst“ sei dahingehend zu verstehen, daß über die von Abs. 1 und 2 schon erfaßten Fälle hinaus weitere Gestaltungen einschlägig würden.

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für Veränderungen“ in Absatz 4 wäre eine Beschränkung auf die Formulierung „auch sonst“ naheliegender gewesen. Schließlich steht eine auf rechtliche Modifizierungen ausgedehnte extensive Auslegung des § 265 IV StPO auch im Widerspruch zu den Regelungen der Absätze 1 und 2. Dort wird eine Hinweispflicht nur für spezielle Fälle der Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes begründet. Anders als bei dem Hervortreten neuer Umstände in der Hauptverhandlung stellt die Veränderung der Rechtsauffassung des Gerichts nämlich grundsätzlich einen für die Verteidigung des Angeklagten irrelevanten Aspekt dar. Dies gilt nur dann nicht, wenn das Gericht seine ursprüngliche Auffassung dem Angeklagten mitgeteilt hat. Der Gesetzgeber hat dieses Problem aus seiner Sicht mit § 265 I, II StPO aber hinreichend berücksichtigt, indem er bei Abweichungen vom Eröffnungsbeschluß eine Hinweispflicht statuiert hat271. Denn nur insofern ist eine Mitteilung der Rechtsauffassung gesetzlich vorgesehen. Bezüglich anderer Bewertungen und kosequent dann auch Veränderungen rechtlicher Art hat der Gesetzgeber es nicht als erforderlich erachtet, den Angeklagten zu informieren, um seine Verteidigungschancen zu sichern. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß der Angeklagte selbst für seinen Kenntnisstand hinsichtlich der möglichen rechtlichen Beurteilungen verantwortlich ist272 und sich über die insofern bestehenden Möglichkeiten bei der Einschätzung der Rechtslage vorab informieren muß. Folglich kann die Tatsache, daß das Gericht seine – dem Angeklagten unbekannte – Rechtsansicht ändert, neben der Entbehrlichkeit eines entsprechenden Hinweises erst recht nicht dazu führen, daß zur Vorbereitung der Verteidigung eine Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich wäre. Für eine genügende Vorbereitung auf die Verteidigung in rechtlicher Hinsicht trägt der Angeklagte in diesem Bereich der Rechtsfolgen nach dem Gesetz die alleinige Verantwortung. Entnimmt man zudem der Aussetzungspflicht als Minus generell auch noch eine Hinweispflicht, so umgeht man die Regelung in den Absätzen 1 und 2 sogar offensichtlich. Diese wären dann samt ihrer einschränkenden Fassung überflüssig273. Aus der gesetzlichen Konzeption ergibt sich daher, daß die Aussetzungspflicht des § 265 IV StPO jedenfalls nicht auf solche ausschließlich rechtlichen Veränderungen ausgedehnt werden kann, die nicht schon von Absatz 1 erfaßt werden274. 271 BGHSt 29, 124 (127): § 265 I StPO enthält den Grundsatz, daß das Gericht den Eröffnungsbeschluß umgestalten muß, bevor es abweichend von ihm verurteilen darf; BGHSt 13, 320 (324); K. Meyer JR 1971, 518; Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 6; Schlüchter in: SKStPO, § 265 Rn. 3; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 3. 272 Vgl. zu der grundsätzlichen Verantwortungsverteilung bei veränderten Unrechtsfolgen Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 24; Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 3 und 35; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 34; KK-Engelhardt § 265 Rn. 6. 273 Dem wird vielleicht entgegengehalten, daß die Absätze 1 und 2 im Gegensatz zu § 265 IV StPO dem Gericht kein Ermessen einräumen, siehe dazu aber sogleich im Text. 274 Dieses Argument kann also nicht bei rechtlichen Veränderungen i. S. d. § 265 I StPO herangezogen werden, auch insofern bleibt es aber bei den vorstehenden Bedenken.

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Insofern wird das Risiko der hinreichenden Vorbereitung der Verteidigung nämlich allein dem Angeklagten zugewiesen. Problematisch ist vorliegend allerdings, daß im Rahmen von Verständigungen eine Information – über das Strafmaß – erfolgt, auf die die Konzeption des § 265 StPO nicht eingerichtet ist. Das ändert aber nichts daran, daß eine direkte Anwendung von § 265 IV StPO bei einem Scheitern der Absprache allein aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, sondern nur eine Analogie in Betracht gezogen werden kann. Nach der eingangs genannten Auffassung im Schrifttum wäre § 265 IV StPO dann aber jedenfalls bei einem Fehlschlagen aus tatsächlichen Gründen einschlägig und der Vorschrift als Minus gegenüber der Aussetzung der Hauptverhandlung eine Hinweispflicht zu entnehmen, gerade wenn ein Hinweis im Hinblick auf die Sicherung der Verteidigung des Angeklagten ausreichend erscheint275. (2) Angemessenheit der Aussetzung zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder Verteidigung Dieses Vorgehen ist jedoch schon ohne einen Blick auf die Rechtsfolgenseite der Vorschrift problematisch. Die Kritik hat vielmehr bereits bei der Behandlung der Voraussetzungen der Norm anzusetzen. Allerdings kann die Ansicht, die auf § 265 IV StPO als Grundlage der Hinweispflicht abstellt, sich auf die herrschende Meinung stützen, wenn sie davon ausgeht, daß das Gericht über die Aussetzung der Hauptverhandlung bei einer Veränderung der Sachlage nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe276. Dieses Verständnis des Absatzes 4 ist jedoch abzulehnen. Bei der Aussetzungspflicht gemäß § 265 IV StPO handelt es sich um eine gebundene Entscheidung des Gerichts, die „Angemessenheit der Aussetzung zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder Verteidigung“ ist ein Tatbestandsmerkmal der Norm und zu deren Voraussetzungen zu rechnen277. Dem kommt vorliegend für die Anwendbarkeit der Vorschrift erhebliche Bedeutung zu. Der Begriff des Ermessens wird in diesem Zusammenhang ersichtlich insbesondere benutzt, um die Unterschiede zwischen den Regelungen der Absätze 3 und 4 zu verdeutlichen. Während sich bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 3 ein Anspruch des Angeklagten auf Aussetzung ergäbe278, stehe diese Entscheidung bei einer veränderten Sachlage i. S. d. § 265 IV StPO im pflichtgemäßen Ermessen 275 Vgl. auch BGHSt 19, 141 (142): Die Unterrichtung bleibe als „das Mindere“ übrig, wenn eine Aussetzung nicht geboten sei. 276 BGH NJW 1958, 1736 (1738); KK-Engelhardt § 265 Rn. 30; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 105 ff.; Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 45; Roxin StrafverfahrensR, § 42 Rn. 11. Vgl. demgegenüber Mitsch NStZ 2004, 395 (396): formell keine Ermessensausübung. 277 So auch Mitsch NStZ 2004, 395 (396). 278 Vgl. dazu zuletzt BGHSt 48, 183 (186 ff.).

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des Gerichts279. Dabei wird eine Begründung dafür, warum diese Vorschrift dem Gericht einen Ermessensspielraum einräumen soll, nicht geliefert280. Gegen ein solches Ermessen spricht aber schon der Wortlaut der Norm: Das Gericht hat unter bestimmten Voraussetzungen die Hauptverhandlung auszusetzen281. Wenn in Kommentierungen statt dessen von einem „Können“ die Rede ist282, wird das der Fassung der Norm nicht gerecht. Auch der Vergleich mit Absatz 3 rechtfertigt nicht die Annahme eines Ermessensspielraumes: Der Unterschied zu dieser Norm besteht darin, daß dort die inhaltlich nicht nachprüfbare283 „Behauptung der nicht genügenden Vorbereitung auf die Verteidigung“ durch den Angeklagten maßgebend ist, während in § 265 IV StPO das Gericht selbst die „Angemessenheit“ einer Aussetzung aus diesem Grund zu prüfen hat. Das ist aber kein Argument dafür, diese Prüfung von der Tatbestands- auf die Rechtsfolgenseite der Norm zu verschieben. Dies erscheint vielmehr als ein weiteres Beispiel für eine verfehlte Heranziehung verwaltungsrechtlicher Kategorien im Straf- und Strafprozeßrecht284. Auch bei der Angemessenheit i. S. d. § 265 IV StPO handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der allenfalls aufgrund der Wertungsbedürftigkeit einen Beurteilungsspielraum des Gerichts schaffen kann285. Entweder die Aussetzung erscheint zur Vorbereitung angemessen oder nicht, insofern kann es – aus Sicht des Tatgerichts – nur eine richtige Entscheidung geben. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung, insbesondere zwischen den Verteidigungsbedürfnissen des Angeklagten und gegenläufigen Aspekten wie dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung und drohendem Beweismittelverlust286. Damit sind sich u. U. zuwiderlaufende gesetzliche Ziele im Einzelfall zu konkretisieren. Dies ist aber strukturell Rechtsanwendung, für eine Wahlmöglichkeit bei den Rechtsfolgen ist dabei kein Platz287. Die eingeschränkte Überprüfbarkeit ist eine andere Frage, nämlich eine des Beurteilungsspielraums.

Siehe die Nachweise in Fn. 276. Vgl. auch Maurer Allgemeines VerwR, § 7 Rn. 9: Das Ermessen müsse sich im Einzelfall aus der einschlägigen Rechtsnorm ergeben. 281 Vgl. Fezer StrafprozeßR, 17 / 18: „§ 265 IV verpflichtet daher das Gericht zur „Aussetzung“ der Hauptverhandlung, wenn dies aus den genannten Gründen „angemessen“ erscheint“ (Hervorhebung nicht im Original.). 282 Vgl. Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 40. 283 KK-Engelhardt § 265 Rn. 27; Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 39. 284 Vgl. bereits oben I. 1. a) aa) (2) (d) zur Einstufung der Strafzumessung als Ermessensentscheidung. 285 Mitsch NStZ 2004, 395 (396): § 265 IV StPO beinhalte formell keine Ermessensausübung. Ein dem Ermessen gleicher Effekt werde durch die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf der Tatbestands-Seite der Norm ausgelöst. 286 Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 45; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 105. 287 Vgl. demgegenüber LR-Gollwitzer § 265 Rn. 106: Die Ermessensentscheidung sei (nur – Anm. Verf.) nachprüfbar, soweit ihre Anwendung von rechtlichen Erwägungen abhängt. 279 280

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Folglich setzt die direkte Anwendung von § 265 IV StPO stets voraus, daß neben der Veränderung der Sachlage die Aussetzung zur Vorbereitung von Anklage oder Verteidigung angemessen erscheint. Dann muß das Gericht die Hauptverhandlung aber auch aussetzen. An dieser Voraussetzung dürfte es vorliegend jedoch in aller Regel fehlen. Im Zusammenhang mit Urteilsabsprachen stellt sich allein die Frage einer Verpflichtung des Gerichts, den Angeklagten über das Scheitern der Absprache zu informieren. (3) Möglichkeiten einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung Nun wird die Hinweispflicht aber ohnehin erst über ein argumentum a fortiori, genauer: argumentum a maiore ad minus, aus § 265 IV StPO abgeleitet288. Dieses Argument ist, wenn der Wortsinn als Grenze der Auslegung289 überschritten wird, als ein der Analogie nahe verwandtes Instrument der richterlichen Rechtsfortbildung einzustufen290. Ein solcher Schluß ist insbesondere dann zulässig, wenn der Zweck der Vorschrift auf einen nicht geregelten Sachverhalt sogar noch in höherem Maße zutrifft, als auf den gesetzlich geregelten Tatbestand291. Dann ist die für den geregelten Tatbestand geltende Rechtsfolge in dem ungeregelten Fall „erst recht“ heranzuziehen. (a) Vom hier vertretenen – vorstehend unter (2) dargelegten – Standpunkt aus ist eine solche richterliche Rechtsfortbildung jedoch selbst in denjenigen Fällen nicht möglich, in denen das Scheitern der Absprache auf das Hervortreten neuer Umstände, also eine Veränderung der Sachlage, zurückzuführen ist. Es fehlt insofern nämlich nicht nur – in aller Regel – an der Voraussetzung der Angemessenheit der Aussetzung. Vielmehr fehlt es zusätzlich auch an einer Identität der Rechtsfolgen. Das argumentum a maiore ad minus wird von der Gegenauffassung ja gerade auf der Rechtsfolgenseite der Norm verwendet292. Die Pflicht, auf die Veränderung hinzuweisen, kann der ausdrücklich normierten Rechtsfolge, die in der Aussetzung der Hauptverhandlung besteht, nicht im Wege der Auslegung als eine eigenständige Rechtsfolge entnommen werden, da der Wortlaut der Rechtsfolgenseite der Norm eindeutig überschritten wird293. 288 Vgl. Schünemann JZ 1989, 984 (986); Gerlach Absprachen, S. 186; Janke Verständigung, S. 202. 289 Larenz Methodenlehre, S. 324 und 366. 290 Larenz Methodenlehre, S. 389; Zippelius Juristische Methodenlehre, S. 62; vgl. aber E. Schneider Logik, S. 121 f. 291 Larenz Methodenlehre, S. 389. 292 Dazu gesondert sogleich im Text. 293 Da die Anordnung der Aussetzung wegen § 305 S. 1 StPO nicht selbständig anfechtbar ist (Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 47; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 109), muß die gerichtliche Entscheidung gemäß § 34 StPO oftmals noch nicht einmal begründet werden, so daß selbst bei einer Aussetzung nicht zwangsläufig eine Information über die konkrete Veränderung erfolgt.

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Wenn eine solche Hinweispflicht, die auch unabhängig von der Angemessenheit einer Aussetzung Bedeutung erlangen kann, in § 265 IV StPO nicht enthalten ist, dann geht es aber gar nicht um die Anwendung dieser Norm in einer vergleichbaren Konstellation. Vielmehr soll auf einen möglicherweise ähnlichen Sachverhalt, der mit dem geregelten Tatbestand aber nicht übereinstimmt (in dem eine Aussetzung nämlich nicht „angemessen“ ist), die dort „angemessene“ Rechtsfolge angewendet werden – welche aber ebenfalls nicht § 265 IV StPO entnommen wird. Wenn aber weder Tatbestand noch Rechtsfolge mit dieser Norm übereinstimmen, dann wird diese nicht einmal entsprechend angewendet. Es wird statt dessen eine „Parallelvorschrift“294 geschaffen. Das argumentum a maiore ad minus beruht aber wie der Analogieschluß auf dem Gebot der Gerechtigkeit, wertungsmäßig gleich liegende Tatbestände auch gleich zu behandeln295. Auf vergleichbare Fälle die dort jeweils „passende“ Rechtsfolge anzuwenden, übersteigt diese Möglichkeit der Rechtsfortbildung296. Aus diesem Grund scheidet zudem eine analoge Anwendung des § 265 IV StPO als Grundlage einer Hinweispflicht aus, wenn eine Verständigung allein aus rechtlichen Gründen fehlschlägt. Neben der fehlenden Verwirklichung des Tatbestandes der Norm handelt es sich hier ebenfalls nicht um eine von dieser Vorschrift angeordnete Rechtsfolge. Vom hier vertretenen Standpunkt aus kommt eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung des § 265 IV StPO im Wege eines argumentum a maiore ad minus in den Fällen der Urteilsabsprache also von vornherein nicht in Betracht. (b) Es läßt sich zudem aber auch darlegen, daß der Weg zu einer solchen Rechtsfortbildung vorliegend in jedem Fall versperrt ist. Dies gilt selbst dann, wenn man der unter (1) und (2) dargelegten Auffassung nicht folgt, sondern schon die Tatsache einer veränderten Rechtsansicht des Gerichts als Veränderung der Sachlage ansieht und mit der allgemeinen Auffassung davon ausgeht, daß die Prüfung der Angemessenheit der Aussetzung der Rechtsfolgenseite zuzuordnen und insofern ein richterliches Ermessen anzunehmen ist. 294 Vgl. Niemöller Hinweispflicht, S. 38 zur Ableitung einer Hinweispflicht bezüglich einer veränderten Sachlage aus § 265 IV StPO. 295 Larenz Methodenlehre, S. 390. 296 Deshalb sollte auch die Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht auf § 265 IV StPO gestützt werden, vgl. aber LR-Gollwitzer § 265 Rn. 108; KK-Engelhardt § 265 Rn. 30; Loos in: AK-StPO, § 265 Rn. 45. Die Unterbrechung ist ebenfalls eine in dieser Vorschrift nicht vorgesehene Rechtsfolge. Dies gilt vor allem angesichts der Tatsache, daß die Unterbrechung eben nicht bloß eine kürzere Aussetzung ist, sondern sich ganz andere Konsequenzen für die Hauptverhandlung ergeben, vgl. dazu Fezer StrafprozeßR, 11 / 34. Auf der Tatbestandsseite der Norm fehlt es, wenn eine Unterbrechung in Betracht gezogen wird, wiederum an der „Angemessenheit der Aussetzung“. Erweist sich aufgrund der veränderten Sachlage eine Unterbrechung als erforderlich, um eine sachgerechte Verteidigung zu gewährleisten, so verpflichtet insbesondere Art. 103 I GG den Vorsitzenden, von seiner Befugnis gemäß § 228 I 2 StPO Gebrauch zu machen.

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Bei einem solchen Verständnis von der Norm genügt für eine Verwirklichung des Tatbestandes eine Veränderung der Sachlage. Sieht man sämtliche Veränderungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als von diesem Merkmal erfaßt an, so ist § 265 IV StPO in allen Fällen einer fehlgeschlagenen Absprache einschlägig. Das argumentum a maiore ad minus muß dann nur auf der Rechtsfolgenseite verwendet werden, so daß die Gefahr einer „Parallelvorschrift“ nicht droht. Auch eine solche Rechtsfortbildung, bei der dem gesetzlichen Tatbestand neben der gesetzlichen Rechtsfolge noch eine andere Rechtsfolge zugeordnet wird, wird durchaus für zulässig gehalten297. Dafür lassen sich Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen des Rechts anführen: So wird etwa im Versammlungsrecht per argumentum a maiore ad minus begründet, daß die Behörde entgegen dem Wortlaut des § 15 II VersG eine Versammlung nicht nur auflösen kann, sondern auch die Möglichkeit hat auf sogenannte „Minusmaßnahmen“ zurückzugreifen298. Es handelt sich dabei um Auflagen, durch die bloß eine Beschränkung der Versammlung erfolgt, die gegenüber einer Auflösung das Grundrecht der Versammlungsfreiheit also in geringerem Maße beeinträchtigen. Im Zivilrecht wird als Beispiel für diese Schlußform auf der Rechtsfolgenseite angeführt, daß derjenige, dem nach dem Gesetz das Recht zu einer fristlosen Kündigung zukommt, die Kündigung erst recht unter Setzung einer Frist aussprechen darf299. Im Strafrecht könnte man in diesen Zusammenhang durchaus die sogenannten Rechtsfolgenlösungen300 einordnen, die der Vermeidung der in § 211 I StGB vorgesehenen lebenslangen Freiheitsstrafe dienen, wenn deren Verhängung trotz Verwirklichung eines Mordmerkmals unverhältnismäßig wäre. Dies entspräche der Argumentation hinsichtlich § 15 II VersG. In beiden Fällen scheidet eine verfassungskonforme Auslegung der Rechtsfolgenseite aufgrund des eindeutigen Wortlautes aus. Im vorliegenden Zusammenhang wird der Hinweis wohl als eine „Minusmaßnahme“ gegenüber der nach dem Wortlaut vorgesehenen Aussetzung eingestuft, weil er auf das Strafverfahren weniger intensive Auswirkungen hat als die Aussetzung der Hauptverhandlung. Das Gericht wird in einem geringeren Umfang verpflichtet, da ein Hinweis allenfalls dazu führen kann, daß noch einmal in die bereits abgeschlossene Beweisaufnahme eingetreten werden muß, während die Aussetzung zur Wiederholung der gesamten Hauptverhandlung führt. Es werden also staatliche Ressourcen geschont, und öffentliche Interessen, die einer Aussetzung entgegenstehen könnten, bleiben unbeeinträchtigt. 297 Zippelius Juristische Methodenlehre, S. 64; Bydlinski Juristische Methodenlehre, S. 480; Looschelders / W. Roth Juristische Methodik, S. 106. 298 BVerwGE 64, 55 (57); BVerfGE 69, 315 (353); Werner Versammlungsrechtswidrigkeit, S. 72; Dietel / Gintzel / Kniesel VersG, § 15 Rn. 66; Deger NVwZ 1999, 265 (266); Götz NVwZ 1990, 725 (730). 299 Zippelius Juristische Methodenlehre, S. 64; Looschelders / W. Roth Juristische Methodik, S. 106 f.; Bydlinski Juristische Methodenlehre, S. 480. 300 Vgl. dazu BGHSt – Großer Senat – 30, 105; LK-Jähnke § 211 Rn. 70 f.; Sch / Sch / Eser § 211 Rn. 10a f.

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Nun genügt dies aber noch nicht, um das argumentum a maiore ad minus zur Rechtsfortbildung heranziehen zu können. In dessen Rahmen kann die Einstufung als Minus nur die Folge einer wertenden Betrachtung sein. Die Voraussetzungen eines argumentum a maiore ad minus auf der Tatbestandsseite verdeutlichen, daß es sich um ein wertungsmäßiges Minus gegenüber der gesetzlichen Regelung handeln muß: Die ratio legis der Regelung muß auf den ungeregelten Sachverhalt sogar in einem noch höheren Maße zutreffen, damit die Rechtsfolge der Norm auch an ihn geknüpft werden kann301. Geregelter und ungeregelter Sachverhalt müssen also auf normativer Basis miteinander verglichen werden. Faktische Argumente sind damit für sich genommen irrelevant. Hinsichtlich des argumentum a maiore ad minus auf der Rechtsfolgenseite wird formuliert, es müsse sich bei der zu begründenden um eine geringere Rechtsfolge handeln, während die gesetzliche Rechtsfolge weitergehend sei302. Die hier in Frage stehende Rechtsfortbildung auf der Rechtsfolgenseite kommt daher nur in Betracht, wenn die beiden Rechtsfolgen in einem solchen Verhältnis zueinander stehen, welches nach dem Gesagten normativer Art sein muß. Welche Anforderungen daran zu stellen sind, verdeutlichen die genannten Beispiele: Die nicht vom Wortlaut umfaßte Rechtsfolge ist ein wertungsmäßiges Minus, wenn sie eine Teilmenge der gesetzlichen Rechtsfolge darstellt, den Zweck der Norm in bestimmten Fällen aber in einem höheren Maße verwirklicht. Es handelt sich um Rechtsfolgen, denen normativ – im Hinblick auf den Zweck der Norm – eine identische Qualität zukommt. Der Wortlaut der Norm sieht aber eben auch eine bestimmte Intensität bzw. Quantität der Rechtsfolge vor, die bei einigen Fällen, die unter den Tatbestand der Norm fallen, über den Zweck der Vorschrift hinausgeht. So kann die Auflösung einer Versammlung als deren intensivste Beschränkung angesehen werden, obwohl den Normzwecken – Ausgleich zwischen den öffentlichen Interessen im Hinblick auf Sicherheit und Ordnung und der Versammlungsfreiheit – mitunter eine teilweise Beschränkung besser gerecht wird. § 211 I StGB ordnet die intensivste Form der Freiheitsstrafe an, obwohl in bestimmten Fällen des Mordes – es sei denn, man interpretiert bereits die Mordmerkmale restriktiv – ein geringeres Strafmaß den Strafzwecken entspricht. Es wird deutlich, daß ein solcher normativer Vergleich der Rechtsfolgen – genau wie bei einem argumentum a maiore ad minus auf der Tatbestandsseite – nur möglich ist, wenn die beiden Vergleichsgrößen wertungsmäßig überhaupt vergleichbar sind. Die normative Gleichartigkeit, die identische Qualität, die die Einstufung einer Rechtsfolge als Minus ermöglicht, scheidet dann aber jedenfalls aus, wenn beide Rechtsfolgen im Hinblick auf den Normzweck unanhängig voneinander ihre Wirkung entfalten, das heißt: wenn sich bei der Verwirklichung des Tatbestandes potentiell die Frage stellt, ob daran die Rechtsfolgen A und B geLarenz Methodenlehre, S. 389. Bydlinski Juristische Methodenlehre, S. 480; Looschelders / W. Roth Juristische Methodik, S. 106; Zippelius Juristische Methodenlehre, S. 64. 301 302

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knüpft werden sollen. Dann dienen die unterschiedlichen Rechtsfolgen dem Normzweck in verschiedener Weise und stehen unabhängig von ihrer unterschiedlichen Intensität in einem aliud-Verhältnis zueinander. Es geht dann nicht darum, auf eine „Minusmaßnahme“ zurückzugreifen, sondern den Normzweck noch weitergehend zu verwirklichen, als dies im Wortlaut der Vorschrift vorgesehen ist. Anders stellt sich dies in den Beispielen dar: Dort führen die neu zu begründenden, weniger intensiven Maßnahmen zu einer Ersetzung der vorgesehenen Rechtsfolgen. Hinweis- und Aussetzungspflicht sind vorliegend hingegen Rechtsfolgen, die den Normzweck „Sicherung einer sachgerechten Verteidigung“ in unterschiedlicher Weise unabhängig voneinander verfolgen303. Während es zum einen um die Gewährleistung der Verteidigungsmöglichkeiten durch einen ausreichenden Kenntnisstand des Angeklagten geht, soll diesem Ziel zum anderen die Gewährung von ausreichend Vorbereitungszeit dienen. Grundsätzlich sind beide Rechtsfolgen nebeneinander denkbar, weil sie nur gemeinsam eine optimale Verteidigungschance gewährleisten können. Entfällt das Erfordernis einer Rechtsfolge (der Angeklagte benötigt keine Information oder keine Vorbereitungszeit), so ist dies völlig unabhängig von der anderen. Hinweis und Aussetzung sichern die Verteidigung daher parallel, sie stehen somit in einem aliud-Verhältnis. Anders stellt sich dies etwa für das Verhältnis von Aussetzung und Unterbrechung der Hauptverhandlung dar304. Mangels normativer Vergleichbarkeit von Hinweis- und Aussetzungspflicht scheidet die Herleitung einer Hinweispflicht aus § 265 IV StPO im Wege eines argumentum a maiore ad minus also selbst dann aus, wenn man – entgegen dem hier vertretenen Standpunkt – in Fällen fehlgeschlagener Absprachen die Verwirklichung des Tatbestandes dieser Norm bejaht. Eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung kommt damit nur im Hinblick auf Vorschriften in Betracht, die eine Hinweispflicht als Rechtsfolge enthalten. Ist auch dies nicht möglich, läßt sich eine solche Pflicht ohne Rückgriff auf Verfassungsrecht nicht begründen.

bb) § 265 I, II StPO Eine Rechtsfortbildung im Wege der Analogie ist aber im Hinblick auf § 265 I und II StPO in Betracht zu ziehen. Beide Absätze ordnen eine Pflicht zum Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes an, so daß sich die hier in Frage stehende Rechtsfolge – ein Hinweis auf die Abweichung von der Strafmaßprognose – diesen Normen zuordnen läßt. Bei der auf der Tatbestandsseite erforderlichen Rechtsfortbildung liegt insbesondere der Rückgriff auf § 265 II StPO nahe305, der die Hinweispflicht an Veränderungen im Rechtsfolgenbereich knüpft. 303 304 305

Vgl. auch Niemöller Hinweispflicht, S. 36 f. Siehe dazu aber schon oben Fn. 296. Zur fehlenden Möglichkeit einer direkten Anwendung vgl. I. 2. c) vor aa).

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

245

Die entsprechende Anwendung der Regelung setzt voraus, daß sie eine Lücke enthält, die im Wege der Analogie ausgefüllt werden kann. (1) Anforderungen an eine Gesetzeslücke Jegliche gesetzesimmanente richterliche Rechtsfortbildung setzt zunächst eine Gesetzeslücke voraus306. Darunter ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes zu verstehen307. Die Vollständigkeit einer Regelung beurteilt sich dabei nach einem in ihr selbst angelegten Maßstab, nämlich nach denjenigen Regelungszwekken, die in ihr Ausdruck gefunden haben308. Ein Gesetz ist lückenhaft, wenn es eine bestimmte Frage nicht regelt, die es nach seiner Teleologie aber regeln sollte, eine bestimmte, nach dem hinter der Norm stehenden Regelungsplan zu erwartende Regelung also fehlt. Diese „immanente Teleologie“ des Gesetzes wird sowohl durch subjektive Absichten des Gesetzgebers als auch durch die objektiven Zwecke der Norm bestimmt309. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, daß jedem Gesetz das Prinzip der Gleichbehandlung von Gleichartigem innewohnt, welches ein Gebot der Gerechtigkeit ist und die Rechtfertigung des Analogieschlusses darstellt310. Somit ist schon bei der Lückenfeststellung – auf der Tatbestandsseite – entscheidend, ob der gesetzliche Tatbestand und der von ihm nicht erfaßte Fall im Hinblick auf die mit der Norm verfolgten Zwecke als wertungsgleich angesehen werden können. Daher fällt dieser Vorgang in der Regel mit der Lückenausfüllung im Wege der Analogie zusammen311, da auch die Lückenausfüllung die auf der Ähnlichkeit der Sachverhalte beruhende wertungsmäßige Gleichheit voraussetzt312. Kennzeichnend für die lückenausfüllende, gesetzesimmanente Rechtsforbildung ist also, daß eine Regelung im Gesetz unterblieben ist, obwohl dies nach der Teleologie des Gesetzes der Fall sein müßte. (2) Wertungsmäßige Vergleichbarkeit als Voraussetzung einer Lückenfüllung durch Analogie In subjektiv-teleologischer Hinsicht könnte man vorliegend zunächst vermuten, daß mit der Regelung des § 265 II StPO weitere Hinweispflichten bei einer Veränderung im Bereich des Rechtsfolgenausspruches ausgeschlossen werden sollten. 306 307 308 309 310 311 312

Larenz Methodenlehre, S. 370 ff. Canaris Lücken im Gesetz, S. 16; Larenz Methodenlehre, S. 373. Larenz Methodenlehre, S. 373 ff. Larenz Methodenlehre, S. 374. Larenz Methodenlehre, S. 374 f. und 390. Canaris Lücken im Gesetz, S. 71 f. Larenz Methodenlehre, S. 401.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Es erscheint aber sehr zweifelhaft, daß die vorliegend interessierende Konstellation einer mit der Änderung der rechtlichen Ansicht des Gerichts einhergehenden „Überraschung“ des Angeklagten vom Gesetzgeber bewußt einer Nicht-Regelung unterzogen wurde. Mit der Hinweispflicht in den Absätzen 1 und 2 knüpfte der Gesetzgeber nämlich an den Inhalt der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses an, die durch den Hinweis ergänzt bzw. umgestaltet werden313. Dabei dürfte er aber nicht im Blick gehabt haben, daß das Gericht den Angeklagten auch noch in anderer und vom Gesetz nicht vorgesehener Weise über die maßgeblichen rechtlichen Bewertungen informieren könnte. Wenn insofern von vornherein eine entsprechende Kenntnis des Angeklagten hinsichtlich der gerichtlichen Auffassung nicht geplant war, dann wird dem Gesetzgeber das Informationsbedürfnis des Angeklagten bei Veränderungen in diesem Bereich nicht bewußt gewesen sein. Es ist daher nicht davon auszugehen, daß die Nicht-Regelung solcher vom Gesetzgeber nicht einkalkulierten „Überraschungen“ des Angeklagten einem dem Gesetz zugrundeliegenden subjektiven Plan des Gesetzgebers entspricht. Angesichts der relativ späten „Entdeckung“ solcher Verständigungen rückt diese Konstellation vielmehr in die Nähe einer möglichen nachträglichen Lücke314. Nun setzt eine Regelungslücke desweiteren aber voraus, daß der dem Wortlaut nicht entsprechende Sachverhalt dem objektiven Sinn und Zweck der Norm unterfällt und daher deren Regelungsbereich zuzuordnen ist. Es müßte sich also eine Ähnlichkeit bzw. Vergleichbarkeit des in Frage stehenden und des geregelten Sachverhalts im Hinblick auf den Normzweck feststellen lassen315. Unter der Erhöhung der Strafbarkeit i. S. d. § 265 II StPO wird allgemein nur eine Verschärfung der Hauptstrafe verstanden. Auf vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ist die Erhöhung insbesondere zurückzuführen, wenn in der Hauptverhandlung neu hervorgetretene Tatsachen zur Anwendbarkeit eines Qualifikationstatbestandes führen316. Im Gesetz besonders vorgesehen sind die Umstände aber auch bei einer möglichen Verurteilung wegen eines besonders schweren Falles aufgrund eines Regelbeispieles317, nicht jedoch bei unbenannten Strafschärfungsgründen318. Analog wird § 265 II StPO bei Nebenstrafen und -folgen angewendet, wenn deren Verhängung besondere Umstände voraussetzt, die zum Tatbestand hinzutreten müssen319, wie etwa bei der Verhängung eines Fahrverbots gemäß § 25 II StVG320. Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 6; BGHSt 29, 124 (127). Vgl. dazu Larenz Methodenlehre, S. 379. 315 Bydlinski Juristische Methodenlehre, S. 475 f. 316 Fezer StrafprozeßR, 17 / 12; LR-Gollwitzer § 265 Rn. 42; Pfeiffer StPO, § 265 Rn. 6. 317 Roxin StrafverfahrensR, § 42 Rn. 27; Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 29; Pfeiffer StPO, § 265 Rn. 6. 318 BGHSt 29, 274 (279 f.); HK-Julius § 265 Rn. 7; Fezer StrafprozeßR, 17 / 12. 319 Meyer-Goßner StPO, § 265 Rn. 24; KK-Engelhardt § 265 Rn. 15; HK-Julius § 265 Rn. 7; Pfeiffer StPO § 265 Rn. 5; vgl. auch Schlothauer StV 1986, 213 (220), der auch bei Nebenstrafen und -folgen die Vorschrift direkt anwendet. 320 BGHSt 29, 274 (278 ff.). 313 314

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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Der Grund für diese differenzierende Betrachtung bei Veränderungen im Rechtsfolgenbereich liegt darin, daß nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur dann ein Hinweis erteilt werden muß, wenn dies der Ermöglichung einer veränderten Verteidigung dient321. Das wird schon im Wortlaut des § 265 I StPO deutlich, der anordnet, daß dem Angeklagten nach dem Hinweis Gelegenheit zur Verteidigung zu geben ist. Eine Hinweispflicht scheidet deshalb immer dann aus, wenn der Angeklagte sich auch bei einem Hinweis auf die rechtliche Abweichung nicht anders verteidigen könnte als zuvor322. Dies trifft auf unbenannte Strafschärfungsgründe zu, weil der Angeklagte die Strafzumessungsgesichtspunkte ohnehin bei seiner Verteidigung im Hinblick auf die Strafzumessung gemäß § 46 StGB berücksichtigen muß323. Bei Nebenstrafen und -folgen, deren Verhängung vom Gesetz allein an die Verurteilung geknüpft wird, sind die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten ebenfalls nicht von der Kenntnis dieser weiteren Rechtsfolgen abhängig324. Nun ist es zwar nicht so, daß sich der Angeklagte, wenn die Rechtsfolge eigenständige Voraussetzungen aufweist, nicht theoretisch trotzdem verteidigen könnte, ohne Informationen von dem Gericht zu erhalten. Dies gilt genauso für die Information gemäß § 265 I StPO über diejenige Normen, die für den Schuldspruch maßgeblich sind. Indes würde dem Angeklagten, der nicht die gerichtliche Einschätzung der Rechtslage kennt, eine unzumutbare „Rundumverteidigung“325 aufgenötigt werden. Der Angeklagte will auf die Entscheidung des Gerichts einwirken, so daß ihm eine effektive Verteidigung nur möglich ist, wenn er Kenntnis von dessen Auffassung hat326. Die Möglichkeit zu einer sachgerechten Verteidigung wird durch den Hinweis in den Fällen einer direkten oder analogen Anwendung des § 265 I, II StPO also erheblich verbessert327. Bei dem Scheitern einer Absprache stellt sich die Situation des Angeklagten demgegenüber anders dar. Die Kenntnis von der gerichtlichen Einschätzung hin321 Schlothauer StV 1986, 213 (220); BGHSt 29, 274 (278 f.): Eine analoge Anwendung von § 265 II StPO komme nur in Betracht, wenn der Angeklagte wie bei den in der Norm geregelten Veränderungen zu einer Neuordnung seiner Verteidigung gezwungen wird. 322 Schlothauer StV 1986, 213 (220). 323 Schlothauer StV 1986, 213 (221); HK-Julius § 265 Rn. 7. 324 Zweifelhaft ist dies allerdings bei fakultativen Rechtsfolgen wie dem Fahrverbot gemäß § 44 StGB, da hier eine besondere Verteidigung gegenüber der Ermessensentscheidung in Betracht kommt, Schlothauer StV 1986, 213 (221). 325 Vgl. Gillmeister StraFo 1997, 8. 326 Vgl. Schlothauer StV 1986, 213 (223); Schurig Beratung und Belehrung, S. 191, jeweils zu Veränderungen der Sachlage. 327 Vgl. aber auch den von Scheffler JR 1989, 232, geschilderten Fall, in dem der Angeklagte sich nach zahlreichen Hinweisen gegen eine ganze Reihe von in Betracht kommenden Vorschriften aus dem Bereich der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte verteidigen mußte, was ebenfalls mit den Erfordernissen einer sachgerechten Verteidigung kaum zu vereinbaren ist. Grundsätzlich ist deshalb ein Hinweis erforderlich, wenn das Gericht zu einer früheren Auffassung zurückkehren möchte, a. a. O. S. 233; vgl. aber demgegenüber die h.M., LRGollwitzer § 265 Rn. 72; KK-Engelhardt § 265 Rn. 20; Schlüchter in: SK-StPO, § 265 Rn. 24.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

sichtlich des Strafmaßes ist nicht erforderlich, um mittels der Ausübung von Beweisantrags- und Erklärungsrechten Einfluß auf die gerichtliche Überzeugung im Rahmen der Strafzumessung nehmen zu können. Deshalb muß die insofern vorhandene Auffassung des Gerichts auch nicht stets, etwa im Eröffnungsbeschluß, mitgeteilt werden. Soweit es um Vorschriften mit eigenständigen Voraussetzungen geht, die für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch relevant sind, ist der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigung gegen die gerichtliche Einschätzung zu richten. Geht es nur um die Strafhöhe, ist es ausreichend, wenn er seine Verteidigung an dem von ihm selbst angepeilten Strafmaß ausrichtet und z. B. begründet, warum er die Verhängung einer höheren Strafe für unzulässig hält. Den Hinweis auf eine Abweichung von der Verständigung benötigt der Angeklagte dafür nicht. Durch einen solchen Hinweis wird zwar der Informationsstand des Angeklagten verbessert. Auch kann er anders als in den oben genannten Fällen, in denen § 265 II StPO nicht angewendet wird, durchaus zu einer Umstellung der Verteidigung führen. Diese Umstellung beruht dann aber nicht darauf, daß es bei einer nicht erfolgten Information über das Scheitern der Absprache an einem Können des Angeklagten hinsichtlich der sachgerechten Verteidigung fehlen würde. Er kann z. B. in Erklärungen für die Verhängung des von ihm angestrebten, im Rahmen der Absprache vereinbarten Strafmaßes eintreten oder dieses Begehren durch Beweisanträge verfolgen, so daß ihm durch einen Hinweis auf das Fehlschlagen der Absprache gerade nicht eine bisher nicht mögliche Verteidigung ermöglicht wird. Vielmehr ist das Unterbleiben solcher Verteidigungsbemühungen auf den fehlenden Willen des Angeklagten zurückzuführen, sich in der ihm möglichen Weise zu verteidigen. Grund dafür ist das Vertrauen auf die Verhängung des angekündigten Strafmaßes, das seinem Verteidigungsziel entspricht. Nur der Wille, von allen möglichen Verteidigungsbemühungen Gebrauch zu machen, wird von einem mangelnden Informationsstand hinsichtlich der beabsichtigten Abweichung berührt, nicht das in den von § 265 I, II StPO normierten Fällen beeinträchtigte Können328. Zwar wird der Angeklagte also durch die gerichtliche Prognose im Rahmen der Absprache beeinflußt. Dies ändert aber nichts daran, daß sich der hier in Frage stehende Sachverhalt von dem geregelten Tatbestand in einem für den Normzweck wesentlichen Aspekt unterscheidet. Der Angeklagte wird gerade nicht zu einer „Rundumverteidigung“ genötigt, er kann auch bei Kenntnis von der Änderung der gerichtlichen Auffassung keine anderen Verteidigungsanstrengungen unternehmen als ohne diese Information. Ob nicht die Tatsache, daß der Angeklagte durch die Information im Rahmen der Verständigung von der ihm möglichen Verteidigung abgehalten wird, doch zu 328 Anders stellt es sich nur hinsichtlich der Information über die Sachlage dar, wenn das Scheitern der Verständigung auf neuen tatsächlichen Umständen beruht. Dies dürfte im Zusammenhang mit Absprachen aber nicht problematisch sein, weil er der Angeklagte insofern schon durch den Gang der Hauptverhandlung hinreichend informiert werden dürfte, z. B. wenn bisher noch nicht bekannte Vorstrafen bekannt werden. Siehe allgemein zur Frage einer Hinweispflicht bei veränderter Sachlage Niemöller Hinweispflicht, passim.

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

249

einer Hinweispflicht führt, muß im Zusammenhang mit anderen Normen untersucht werden. Dieser Umstand vermag nicht die erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte im Hinblick auf die objektiven Zwecke des § 265 II StPO zu begründen. Er verdeutlicht vielmehr die Unterschiede der jeweiligen Gefährdungslage für die Verteidigung des Angeklagten.

d) Hinweis durch das Gericht zur Beseitigung eines in der Vornahme der Absprache liegenden Verfahrensfehlers Ist es im Zusammenhang mit der Vornahme der Urteilsabsprache zu einem Verfahrensfehler gekommen, handelt es sich also um eine unzulässige Verständigung, muß das Gericht diesen Fehler wieder beseitigen. Eine entsprechende Pflicht zum Tätigwerden ergibt sich aus der gerichtlichen Pflicht zu justizförmigen Prozedieren329. Kommt das Gericht dem nicht nach, kann das Urteil i. S. v. § 337 I StPO auf der erfolgten Verletzung des Gesetzes beruhen und deshalb eine Revision begründet sein330. Das an einer prozeßordnungswidrigen Urteilsabsprache beteiligte Gericht hat also den Verfahrensverstoß zu heilen und dessen Kausalität für das spätere Urteil entgegenzuwirken331. Diese Beseitigung kann auch durch einen Hinweis auf die Rechtswidrigkeit der Absprache erfolgen, wenn so der Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Urteil unterbrochen wird332. Dies ist immer dann der Fall, wenn die mögliche Kausalität auf einer durch den Verfahrensverstoß hervorgerufenen falschen Vorstellung des Angeklagten von der Absprache beruht. Voraussetzung dafür ist wiederum, daß der Angeklagte als Folge der unzulässigen Verständigung von Prozeßhandlungen – Erklärungen, Beweisanträgen – abgesehen hat, die ihrerseits möglicherweise zu einem anderen Urteilsinhalt geführt hätten. Die Reichweite einer solchen Hinweispflicht des Gerichts bestimmt sich also danach, wann von einer Verletzung des Verfahrensrechts durch die Verständigung ausgegangen wird. Zieht man etwa wie hier den Anwendungsbereich des § 136a I 3 StPO enger, ergeben sich auch entsprechend weniger Fälle, in denen eine Ver329 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 124; Herdegen NStZ 1990, 513 (519); vgl. auch Alsberg / Nüse / Meyer Beweisantrag, S. 361. 330 Revisibel ist also nur der nicht geheilte Verfahrensverstoß, nicht aber die Pflicht zu dessen Heilung, BGH NJW 1986, 266 (267). 331 Herdegen NStZ 1990, 513 (519); LR-Hanack § 337 Rn. 261; Meyer-Goßner StPO, § 337 Rn. 39: Es handele sich um eine Heilung, zu der der Tatrichter nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sei. 332 Schünemann JZ 1989, 984 (988): offener Widerruf der rechtswidrigen Absprache; der Vertrauensschutz sei insofern keine von Rechts wegen eintretende Folge, sondern ein bloßer Reflex, ders. Gutachten 58. DJT, B 124. Vgl. auch BGHSt 30, 74 (76): Eine angemessene Erklärung des Vorsitzenden genüge zur Heilung eines Verfahrensfehlers, wenn die Wirkung eines prozessualen Verhaltens beseitigt werden soll.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

pflichtung zur Beseitigung eines Verfahrensfehlers besteht. Festzuhalten bleibt aber, daß das Gericht bei einem Verstoß gegen § 136a I 3 StPO – z. B. bei einer bindenden Zusage eines Strafmaßes – nicht allein die Verwertung des daraufhin abgelegten Geständnisses unterlassen muß. Hat der erweckte Anschein der Bindungswirkung der Verständigung auch das übrige Prozeßverhalten des Angeklagten beeinflußt, kann die Wirkung des Verfahrensfehlers nur durch einen diesbezüglichen Hinweis vollständig beseitigt werden. Allerdings stellt sich noch die Frage nach dem konkreten Inhalt dieses Hinweises. Zunächst einmal erscheint die Beseitigung der Wirkung des Verfahrensfehlers nämlich durch die bloße Korrektur der hervorgerufenen Vorstellung des Angeklagten möglich, z. B. durch die Mitteilung, entgegen dem erweckten Anschein sei die Prognose vorläufiger Art, und es könnten sich jederzeit Veränderungen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ergeben. Damit ist aber noch gar nicht geklärt, ob der Hinweis sich zusätzlich auf eine zu diesem Zeitpunkt eventuell schon vorhandene Änderung der Strafmaßeinschätzung beziehen muß. Der ursprüngliche Verfahrensfehler in Form einer bindenden Zusage eines Strafmaßes steht ja in keinem Zusammenhang mit der Abweichung aus strafzumessungsrechtlichen Gründen, deren Notwendigkeit sich auch unabhängig davon ergeben hätte. Es ist daher nicht selbstverständlich, daß das Gericht auch auf seine schon zu diesem Zeitpunkt vorhandene abweichende Beurteilung hinweisen muß. Vielmehr hat es den Anschein, daß durch die Mitteilung der Vorläufigkeit der Prognose die ursprünglich von Verfahrensrecht geforderte Situation hergestellt wird: Der Angeklagte hat nun Kenntnis von der mangelnden Bindungswirkung und kann auf dieser Grundlage über die Stellung von Beweisanträgen, Abgabe von Erklärungen etc. entscheiden. Unterläßt er dies, nachdem er von der fehlenden Bindung des Gerichts an die Absprache erfahren hat, könnte man der Ansicht sein, es lasse sich ein Ursachenzusammenhang zwischen Gesetzesverstoß und Urteil sicher ausschließen, weil der Angeklagte auch bei einer rechtlich einwandfreien Verständigung trotz der Vorläufigkeit der Prognose kein anderes Prozeßverhalten an den Tag gelegt hätte. Daß es kaum gerecht erscheinen mag, wenn das Gericht den Angeklagten auf die mangelnde Bindungswirkung der Prognose hinweisen muß, ihm aber zugleich das Fehlschlagen der Absprache verschweigen darf, führt zu keiner anderen Bewertung. Es handelt sich dabei nämlich allenfalls um einen weiteren Verfahrensfehler, der – mangels Anwendbarkeit von § 136a StPO auf dieses Prozeßverhalten des Angeklagten oder vergleichbaren einschlägigen Normen – nur in einer Nichtgewährung des verfassungsrechtlich erforderlichen Vertrauensschutzes bestehen kann333. Hingegen genügt dies nicht zur Begründung der Kausalität des ursprünglichen Verfahrensfehlers – Erwecken des Anscheins einer Bindungswirkung – für das Urteil. Dennoch wird der bloße Hinweis auf den Verfahrensfehler in der Regel nicht ausreichen, um dessen Zusammenhang mit dem Urteil zu beseitigen. Es muß dafür 333

Vgl. auch unten IV. 2.

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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bei der Kausalitätsbeurteilung entscheidend auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem der Angeklagte den Kenntnisstand erreicht, der eigentlich schon bei Vornahme der Absprache vorhanden sein sollte. Der Hinweis auf den Verfahrensfehler wird nämlich jedenfalls dann nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Absprache stehen, wenn das Gericht inzwischen sogar schon zu einer veränderten Einschätzung gelangt ist. Es kann dann grundsätzlich aber nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte nur deshalb von Beweisanträgen etc. absieht, weil er zum Zeitpunkt des Hinweises aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums das Risiko einer Veränderung der Strafmaßeinschätzung schon geringer als bei Vornahme der Absprache einstuft, vor allem wenn die Beweisaufnahme inzwischen abgeschlossen worden ist. Damit besteht aber durchaus die Möglichkeit, daß der Angeklagte bei einer prozeßordnungsgemäßen Verständigung zu einer anderen Abwägung gekommen wäre und die fraglichen Prozeßhandlungen aufgrund des Risikos, das mit der fehlenden Bindungswirkung verbunden ist, vorgenommen hätte. Wird der Angeklagte nicht über die veränderte Einschätzung informiert, besteht auf diese Weise die Wirkung des Verfahrensfehlers fort, der die Unzulässigkeit der Absprache begründete. Dies ist der Grund dafür, daß in diesen Fällen zusätzlich zur Korrektur des in der Absprache liegenden Verfahrensfehlers auch auf eine inzwischen veränderte Strafmaßeinschätzung hingewiesen werden muß, um den Verfahrensfehler bei Vornahme der Absprache zu heilen.

3. Zusammenfassung Der Schwerpunkt lag entsprechend dem Untersuchungsgegenstand auf der Betrachtung solcher Vorschriften, die bereits auf einfach-gesetzlicher Ebene – ohne Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Aspekte – in einer Vertrauensschutzkonstellation einen ausreichenden Schutz gewährleisten könnten. a) Dies gilt zum einen für § 136a StPO, der die Aussagefreiheit des Angeklagten gegen die Absprache als vertrauensschaffende Maßnahme schützen kann. Die Verletzung von § 136a StPO zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich, so daß das Bedürfnis nach einem weiteren Schutz gegen den staatlichen Umgang mit den preisgegebenen Informationen nicht besteht. Ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil i. S. d. § 136a I 3 2. Alt. StPO liegt insbesondere vor, wenn der Angeklagte die Absprache so verstehen muß, daß er schon für das Geständnis selbst eine Strafmilderung erhalten soll. Ein Geständnis darf über die „doppelspurige Indizkonstruktion“ nämlich nicht unmittelbar strafmildernd berücksichtigt werden, sondern nur die darin zum Ausdruck kommende Reue und Einsicht. In der vorliegenden Untersuchung wird die Basis der Urteilsabsprachen aber akzeptiert: Demnach ist in dubio pro reo von dem Vorliegen der für die Strafmilderung erforderlichen Geständnismotive auszugehen.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Unzulässig ist das in Aussicht gestellte Strafmaß, wenn das Gericht bei der Absprache einen bereits bekanntgewordenen tatsächlichen Umstand oder einen rechtlichen Aspekt übersieht. Ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil liegt in der Regel vor, wenn das Gericht später von der Absprache abweicht, diese also scheitert, ohne daß dafür neue tatsächliche Umstände ursächlich sind. Ein Abweichen ohne Veränderung der Sachlage indiziert nämlich die Unzulässigkeit des angekündigten Strafmaßes auch dann, wenn hinsichtlich der Ankündigung kein durch das Revisionsgericht nachprüfbarer Fehler bei der Strafzumessung festzustellen ist. Dem Tatgericht kommt kein Ermessen zu, so daß nicht mehrere richtige Strafen existieren. Daher kann eine Absprache auch nicht aufgrund einer abweichenden Ermessensausübung fehlschlagen. Bei der Strafzumessung handelt es sich vielmehr um einen Beurteilungsspielraum, der die Nachprüfbarkeit einschränkt. Subjektiv „bessere Einsicht“ in Form einer neuen Bewertung der Umstände hat also zur Folge, daß das angekündigte Strafmaß von dem Tatgericht selbst als unzulässig verworfen wird. Schließlich ist der bei einer Verständigung in Aussicht gestellte Vorteil in Form der Strafmilderung gesetzlich nicht vorgesehen, wenn das Gericht angesichts des Verfahrensstandes aus tatsächlichen Gründen noch gar nicht eine so genaue Strafe angeben konnte oder wenn der Angeklagte den Eindruck haben muß, das Gericht sehe sich an seine Erklärung gebunden. Auf einfach-gesetzlicher Ebene läßt sich eine Bindung an die Absprache nämlich nicht begründen, so daß es verständlich ist, daß der BGH insofern auf den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz abstellt. Die mit dem Strafverfahrensrecht zu vereinbarende Urteilsabsprache kann lediglich ein Rechtsgespräch der Verfahrensbeteiligten über die Strafmaßerwartung darstellen, insbesondere unter Antizipation des Geständnisses. Das Gericht kann auf der Grundlage einer Zwischenberatung das bei einem Geständnis zu erwartende Strafmaß mitteilen. Aufgrund der Entscheidungsoffenheit des Verfahrens kann und muß das Gericht aber z. B. von seiner Einschätzung abweichen, wenn neu hervorgetretene Umstände dies erfordern. Es ist auch jederzeit eine neue Bewertung der Sachlage möglich („bessere Einsicht“). Für § 136a I 3 2. Alt. StPO genügt es jedoch nicht, daß ein solcher gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil in Aussicht gestellt wird. Zwar erfordert das Versprechen nicht eine bindende Zusage. Zu dem Inaussichtstellen muß aber ein gesteigertes Handlungsunrecht des Vernehmenden hinzukommen, also Vorsatz oder mindestens grobe Fahrlässigkeit. Die objektiv-rechtsstaatliche Funktion von § 136a StPO hat zur Folge, daß nur ein besonderer Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze zu einer Verletzung dieser Norm führt, die das erlangte Beweismittel unabhängig vom Willen des Betroffenen dem Verfahren entzieht. Die Feststellung gesteigerten Handlungsunrechts ist bei Absprachen aufgrund der insofern bestehenden zahlreichen Unklarheiten oftmals problematisch. Sind die Voraussetzungen von § 136a StPO zu bejahen, greift das Beweisverwertungsverbot aber unabhängig von einer Vertrauensenttäuschung als Folge der unzulässigen Beweiserhebung ein. Jedenfalls ist das erforderliche Handlungsunrecht jedoch zu verneinen, wenn das Gericht auf-

I. Schutz des Angeklagten auf einfach-gesetzlicher Ebene

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grund „besserer Einsicht“ zu einem höheren Strafmaß gelangt, da sich dann ein typisches Prognoserisiko verwirklicht, die frühere Angabe also nicht einmal als fahrlässig einzustufen ist. Aber auch im Fall des Übersehens eines tatsächlichen oder rechtlichen Aspekts wird wohl grundsätzlich nicht von grob fahrlässigem Handeln des Gerichts gesprochen werden können. Insbesondere ist dabei zu bedenken, daß es sich bei der Strafmaßankündigung nicht um eine abschließende Entscheidung handelt und dies – wenn das Gericht bei der Absprache in zulässiger Weise vorgeht – dem Angeklagten auch klar ist. Insbesondere läßt sich damit festhalten, daß die Aussagefreiheit nicht gemäß § 136a I 3 2. Alt. StPO geschützt wird, wenn das Gericht unverbindlich seine aktuelle Einschätzung hinsichtlich des Strafmaßes mitteilt und davon später abweichen muß. Auch § 136a I 3 1. Alt. StPO vermittelt keinen weitergehenden Schutz. Die Täuschungsvariante gemäß § 136a I 1 StPO greift zusätzlich ein, wenn ein Irrtum über Zulässigkeitsvoraussetzungen der Absprache hervorgerufen wird, der mangels Strafzumessungsrelevanz nicht von § 136a I 3 StPO erfaßt wird, z. B. bei einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch die Verständigung. Dies ist kausal für das Geständnis, wenn der Angeklagte bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit des gerichtlichen Vorgehens von der Aussage abgesehen hätte. Die Aussagefreiheit erfährt also bei Absprachen, die die genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen beachten, und auch beim Fehlen eines gesteigerten Handlungsunrechts keinen Schutz auf einfach-gesetzlicher Ebene. Daher existiert möglicherweise eine Lücke im Schutz der prozessualen Subjektstellung. Zu prüfen ist nun, inwieweit verfassungsrechtliche Aspekte einen weitergehenden Schutz der Aussagefreiheit erfordern. Sollte sich das Bedürfnis nach einem erweiterten Schutz feststellen lassen, hätte dies aber keine verfassungskonforme Auslegung von § 136a StPO zur Folge. Dem steht der objektiv-rechtsstaatliche Zweck dieser Vorschrift entgegen334, der den über diese Norm vermittelten Schutz der Aussagefreiheit begrenzt. Vielmehr wäre dann ein unmittelbarer Rückgriff auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht angezeigt und damit auf einen grundrechtlichen Vertrauensschutz. b) § 265 StPO ist als Grundlage eines Schutzes des rechtlichen Gehörs in Betracht zu ziehen, da bei einem Hinweis auf das Scheitern der Absprache von der durch Art. 103 I GG gewährleisteten Freiheit ohne weiteres Gebrauch gemacht werden könnte. Der Angeklagte könnte so auf einfach-gesetzlicher Ebene gegen eine Vertrauensenttäuschung geschützt werden. § 265 IV StPO ist aber bei der fehlgeschlagenen Urteilsabsprache weder direkt noch im Wege der Rechtsfortbildung anzuwenden.

334 Vgl. Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 80: Eine verfassungskonforme Auslegung ist nicht gegen „Wortlaut und Sinn“ möglich.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Einer direkten Anwendung steht die Voraussetzung der Veränderung der Sachlage entgegen, soweit die Absprache aus rechtlichen Gründen scheitert. In allen Fällen fehlgeschlagener Absprachen wird es aber an der zweiten Voraussetzung mangeln: Es muß nämlich die Aussetzung des Verfahrens zur Vorbereitung der Verteidigung angemessen erscheinen, da dies der Tatbestandsseite der Norm zuzurechnen ist. Da weder Tatbestand noch Rechtsfolge der Norm (Aussetzung der Hauptverhandlung) auf die Situation der fehlgeschlagenen Absprache zutreffen, kommt auch eine analoge Anwendung der Norm nicht in Betracht. Zudem kann auf der Rechtsfolgenseite aber selbst dann nicht auf ein argumentum a maiore ad minus zurückgegriffen werden, wenn man die Voraussetzungen der Norm auf die Veränderung der Sachlage reduziert und dies für gegeben hält. Die fragliche Hinweispflicht ist nämlich gar kein wertungsmäßiges Minus gegenüber der Aussetzung, sondern steht in einem aliud-Verhältnis zu dieser Rechtsfolge. Einer analogen Anwendung von § 265 I, II StPO auf die fehlgeschlagene Urteilsabsprache steht die mangelnde Vergleichbarkeit der Sachverhalte entgegen. Anders als in den normierten Fällen wird dem Angeklagten mit der Verständigung nämlich keine unzumutbare „Rundumverteidigung“ aufgenötigt. Der Ausübung des rechtlichen Gehörs steht nicht fehlendes Können mangels unzureichender Information entgegen, sondern der Wille des Angeklagten, der eigene Verteidigungsbemühungen aufgrund der gerichtlichen Einschätzung für entbehrlich hält. Allerdings ergibt sich eine Hinweispflicht des Gerichts, wenn ein Verfahrensfehler im Rahmen der Absprache den Angeklagten von Beweisanträgen etc. abhält. Ist also etwa § 136a I 3 StPO aufgrund einer bindenden Selbstverpflichtung des Gerichts einschlägig, ist nicht nur das Geständnis unverwertbar, sondern muß der Angeklagte auch auf den Verfahrensfehler und eine eventuelle Veränderung bei der Strafmaßeinschätzung hingewiesen werden. Dies folgt aus der Pflicht des Gerichts, die Kausalität des Verfahrensfehlers für das Urteil zu verhindern, dessen Folgen also vollständig zu beseitigen. In allen anderen Fällen wird aber auch die durch Art. 103 I GG gewährleistete Freiheit nicht durch das einfache Recht geschützt. Einer etwaigen verfassungskonformen Auslegung des § 265 StPO stünden aus den genannten Gründen Wortlaut und Zweck der Norm entgegen. Folglich kommt aber der unmittelbare Rückgriff auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung in Betracht. c) Nach dem oben Gesagten335 ist dabei nun vorrangig zu prüfen, ob sich ein grundrechtlicher Vertrauensschutz im Bereich der Urteilsabsprache aus der Abwehrfunktion der Grundrechte ergibt. Insofern wird, wie bereits angekündigt, zwischen zwei verschiedenen Maßnahmen des Gerichts differenziert, die jeweils für 335

Siehe oben 3. Teil VI. vor 1.

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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sich genommen einen Abwehranspruch auslösen könnten336. Zunächst ist auf die vertrauensschaffende Maßnahme in Form der Strafmaßprognose einzugehen und damit auf die Frage, ob in diesem Zusammenhang schon das Hervorrufen von Vertrauen im Widerspruch zu den Grundrechten des Angeklagten steht (II.). Anschließend wird das von der Strafmaßankündigung abweichende Urteil betrachtet, welches eine Enttäuschung des geweckten Vertrauens darstellt (III.).

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches gegen die vertrauensschaffende Maßnahme Ein Abwehranspruch gegen die vertrauensschaffende Maßnahme im Rahmen der Urteilsabsprache setzt voraus, daß die Strafmaßprognose in Grundrechte des Angeklagten eingreift und ein solcher Eingriff nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.

1. Eingriff Die Strafmaßankündigung im Rahmen der Urteilsabsprache stellt jedenfalls keinen sogenannten klassischen Eingriff in Grundrechte des Angeklagten dar337. Insbesondere fehlt es an einem imperativen Charakter der Maßnahme, weil nicht in befehlsmäßiger Weise ein Ge- oder Verbot erteilt wird. Das Verhalten des Gerichts im Rahmen der Verständigung könnte aber dem erweiterten Eingriffsbegriff unterfallen. Dafür ist allein die Wirkung der staatlichen Maßnahme im Hinblick auf das jeweilige Grundrechtsgut von Bedeutung338. Die Einwirkung müßte zu einer Minderung oder Verkürzung des Schutzgegenstandes führen339. Durch die Absprache im Strafprozeß könnte die Freiheit des Angeklagten als ein Grundrechtsgut beeinträchtigt werden. Es gilt also festzustellen, ob das in den verschiedenen einschlägigen Grundrechten gewährleistete Maß an Freiheit durch eine Prognose bezüglich des Verfahrensergebnisses verringert wird. Dabei kommt eine Einwirkung auf die Zielsetzungs- bzw. Willensentschließungsfreiheit in Betracht, da der Angeklagte durch die Verständigung zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt wird, also sein „Wollen“ betroffen ist340. Untersucht werden muß folglich die Beschaffenheit der grundrechtlich gesicherten Wil336 337 338 339 340

Siehe 3. Teil VI. 1. a). Vgl. dazu 3. Teil VI. 1. a). Siehe 3. Teil VI. 1. a). Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 81; Dreier in: ders. GG, Vorb. Rn. 81 f. Vgl. 3. Teil VI. 1. a).

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

lensentschließungsfreiheit, damit das insofern gewährleistete Maß an Freiheit deutlich wird. Daraus ergibt sich dann, welche gerichtlichen Verhaltensweisen eine Verkürzung dieses Freiheitsmaßes nach sich ziehen. a) Die von den Grundrechten gewährleistete Willensentschließungsfreiheit Die in den einzelnen Grundrechten gewährleistete Willensentschließungsfreiheit zeichnet sich dadurch aus, daß der Grundrechtsträger zur Verfolgung eines von ihm zu bestimmenden Zieles selbst über die Vornahme oder Nichtvornahme einer konkreten Handlung entscheiden kann, die in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt341. Dies läßt sich auch als Verhaltensfreiheit342 im Sinne einer Beliebigkeit des Verhaltenkönnens bezeichnen343. Grundlage dieser Freiheit ist die Existenz von Verhaltensalternativen, zwischen denen sich der Grundrechtsträger entscheiden kann. Die Freiheit besteht daher jedenfalls dann nicht mehr, wenn eine grundrechtlich gewährleistete Möglichkeit zu einem Handeln oder Unterlassen durch ein Ge- oder Verbot rechtlich beseitigt wird. Dies gilt jenseits des klassischen Eingriffsbegriffs aber auch dann, wenn dem Grundrechtsträger faktisch die Vornahme bzw. Nichtvornahme einer Handlung unmöglich gemacht wird. Dieses mangelnde „Können“ wirkt dann auch auf das „Wollen“ zurück, da der Wegfall von Handlungsmöglichkeiten die Willensentschließung entsprechend einschränkt344. Die rechtliche und faktische Möglichkeit zur Auswahl zwischen Verhaltensalternativen ist aber nur die Basis der Willensentschließungsfreiheit 345. Würde der grundrechtliche Schutz hier enden, so wäre eine rein formale Freiheit die Folge346. Dabei wird nämlich noch nicht hinreichend berücksichtigt, wie die Entscheidung des Grundrechtsträgers für eine von zwei Verhaltensalternativen zustande gekommen ist. Sogar vis compulsiva läßt dem Betroffenen noch „Freiheit“ im Sinne zweier faktischer Verhaltensmöglichkeiten, sich dem Willen des anderen zu beugen oder ihm zu widerstehen. Dies gilt letztlich auch noch für extreme Einwirkungen wie die Folter. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 185. Vgl. aber auch Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 630: Nur wenn das Grundrecht die Verhaltensmöglichkeit und ihre Negation schützt, könne von Verhaltensfreiheit gesprochen werden. 343 Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 628; Bethge NJW 1982, 2145 (2148): Sphäre subjektiven Beliebens; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 13 f.: Vermögen, sein Verhalten selbst zu bestimmen. 344 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 161 f. 345 Vgl. Grimm KritV 1986, 38 (50): Das staatliche Verhalten müsse das geschützte Verhalten unmöglich machen; dafür genüge aber, daß das Verhalten faktisch erheblich erschwert wird; ähnlich BVerfGE 81, 108 (122): Freiheitsbeeinträchtigung, wenn das Verhalten unmöglich gemacht oder nennenswert behindert wird. 346 Siehe dazu auch Schünemann Gutachten 58. DJT, B 103 f. mit Fn. 287. 341 342

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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Mit dem Freiheitsverständnis des Grundgesetzes ist ein solches Vorgehen offensichtlich nicht zu vereinbaren. Die Handlungsziele werden dann nur noch von dem Einwirkenden gesetzt und der Bestimmung des Betroffenen völlig entzogen. Die Freiheit der Grundrechte dient aber gerade der Selbstbestimmung als unerläßlicher Voraussetzung der Würde des Menschen347. Die grundrechtliche Freiheitgewährleistung muß daher über die bloße Wahlmöglichkeit hinaus auch den Vorgang umfassen, der für die getroffene Entscheidung maßgeblich ist, um eine materiell freie Wahl garantieren zu können. Dem Entschluß über die Vornahme einer Handlung geht grundsätzlich eine Abwägung derjenigen Umstände voraus, denen aus Sicht des Betroffenen Bedeutung für diese Entscheidung zukommt348. Dazu muß der Grundrechtsträger die jeweiligen Vor- und Nachteile der vorhandenen Verhaltensalternativen erfassen und in seine Entscheidung miteinfließen lassen349. Das Abwägungsergebnis hängt vor allem von den Präferenzen des Sich-Entscheidenden ab. Das andere Extrem gegenüber der bloß formalen Wahlmöglichkeit wäre nun die Annahme, Freiheit setze voraus, daß der Grundrechtsträger über die Vornahme einer Handlung allein unter dem Gesichtspunkt entscheiden kann, ob er die Handlung für sich genommen als wünschenswert erachtet oder nicht. Erst dann könnte wohl von Freiheit im Sinne einer Abwesenheit jeglicher Hindernisse, Beschränkungen oder Widerstände gesprochen werden350. Dies wäre aber nur der Fall, wenn bei einer solchen Entscheidung nicht einmal gegenläufige Interessen des Freiheitsträgers selbst zu berücksichtigen wären. Da aber niemand alle Wünsche, die er hat, verwirklichen kann und daher schon die verschiedenen Interessen eines Individuums zwangsläufig kollidieren, ist eine „totale“ Freiheit praktisch nicht denkbar. Zudem würden dann selbst entfernteste staatliche Maßnahmen, die die Interessen des Bürgers in irgendeiner Weise berühren und formen, zu Freiheitsbeeinträchtigungen führen können, so daß letztlich doch allein die Kausalität für den Grundrechtseingriff entscheidend wäre351. Die Grundrechte setzen eine völlig unbeschränkte Freiheit angesichts ihrer Funktion auch gar nicht voraus. Vielmehr ist dem Recht auf Selbstbestimmung die Abwägung auch gegenläufiger entscheidungserheblicher Umstände immanent. Wer selbst über sein Schicksal bestimmen darf und daher auch muß, kann nicht allein nach dem „Lustprinzip“ leben. Ihm Siehe 3. Teil VI. 1. a). Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 161 und 185 f. 349 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 191; vgl. auch Peters Strafprozeß, S. 336: Zur Freiheit der Willensentschließung und –betätigung i. S. d. § 136a StPO gehöre, daß die Aussage unter Abwägen der die Aussage hemmenden und zu ihr drängenden Gründe erfolgt. 350 Vgl. Alexy Grundrechte, S. 196: Kern des Freiheitsbegriffes. 351 Liegt eine durch den Staat herbeigeführte Freiheitsverkürzung vor, ermöglicht nämlich auch das Kriterium der objektiven Zurechnung keine Einschränkung, da die Zurechnung zum Grundrechtsträger gerade dessen auf seiner Freiheit gründende Eigenverantwortlichkeit voraussetzt, siehe auch 3. Teil VI. 1. c) aa) (2) (a) (bb). 347 348

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

wird Eigenverantwortung zugemutet, was wiederum auch die Möglichkeit schwieriger Auswahlentscheidungen mit sich bringt. Grundrechtliche Freiheit ist also mehr als das bloße Vorhandensein von Verhaltensalternativen und weniger als eine Entscheidung ohne jedes Hindernis. Der Staat darf auf den Abwägungsvorgang, der der Verhaltensentscheidung eines Grundrechtsträgers vorausgeht, einwirken, weil dies selbstbestimmten Entscheidungen nicht von vornherein entgegensteht. Einer solchen Einwirkung sind aber auch Grenzen gezogen, da die Auswahl irgendwann nur noch formal vom Bürger vorgenommen, inhaltlich aber fremdbestimmt wird. Damit stellt sich also die Frage nach einem Maßstab für die Abgrenzung zwischen Einwirkungen auf den Abwägungsvorgang, die die gewährleistete Freiheit nicht verkürzen, und solchen, die die Willensentschließungsfreiheit beeinträchtigen. Die Grundrechtsfreiheit ist ein bestimmtes Maß an Entscheidungsfreiheit, das durch ein dem Staat zuzurechnendes Verhalten nicht unterschritten werden darf. Sonstige Beschränkungen dieser Freiheit werden jedenfalls von dem Abwehrgehalt der Grundrechte nicht erfaßt, was insbesondere auch für Beeinträchtigungen anderen Ursprungs, z. B. ökonomischer Art, gilt352.

b) Arten der Beeinträchtigung Bevor aber die Frage nach dem Maßstab zur Unterscheidung zwischen grundrechtsrelevanten und unbeachtlichen Freiheitsverkürzungen im weitesten Sinne beantwortet werden kann, muß zwischen mehreren Arten der Beeinträchtigung differenziert werden. Die Freiheit, sich auf der Grundlage einer Abwägung aller relevanten Umstände für ein Verhalten zu entscheiden, kann in dreifacher Hinsicht verkürzt werden353. Dies gilt stets, wenn eine Entscheidung Ausdruck von Freiheit sein bzw. freiwillig erfolgen muß, so etwa bei der Einwilligung in Rechtsgutsverletzungen im Strafrecht354. Erstens erfährt der beschriebene Vorgang der Willensentschließung eine Beeinträchtigung, wenn die geistig-seelische Fähigkeit des Grundrechtsträgers, die Tragweite seiner Entscheidung einzusehen oder sich nach dieser Einsicht zu verhalten, ausgeschlossen oder eingeschränkt wird355. Das Fehlen der natürlichen Einsichts352 Vgl. Alexy Grundrechte, S. 196 ff., der z. B. rechtliche, faktische und ökonomische Freiheit unterscheidet. 353 Vgl. auch die Einteilung freiwilligkeitseinschränkender Faktoren, die Gutmann Freiwilligkeit, S. 30 im Anschluß an Feinberg vornimmt: äußerlicher Zwang, innerlicher Zwang („Fähigkeit zu wollen“) und Irrtum. 354 Vgl. dazu Jescheck / Weigend AT, S. 382; Kühl AT, § 9 Rn. 33 ff.; Tröndle / Fischer StGB, Vor § 32 Rn. 3b; Roxin AT I, § 13 Rn. 51 ff. und 68 ff.; vgl. auch Roxin JZ 1997, 343 (345), der die Autonomie des Beschuldigten bei der Ausübung seines Verteidigerkonsultationsrecht anhand der Maßstäbe der Einwilligung und Selbstgefährdung im materiellen Strafrecht bestimmen will.

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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und Urteilsfähigkeit356 stellt gegenüber einer selbstbestimmten Entscheidung ein entscheidendes Hindernis dar. Im Rahmen der Grundrechte als Abwehrrechte kann diese Freiheitsbeeinträchtigung aber nur dann von Bedeutung sein, wenn sie gerade auf staatliche Maßnahmen zurückzuführen ist. Dies kann etwa bei Entscheidungen von Gefangenen der Fall sein, die auf haftpsychologischen Einflüssen beruhen357. Bei der Aussagefreiheit ist der Schutz gegenüber solchen Einwirkungen aber bereits einfach-gesetzlich in § 136a II StPO normiert, der ausdrücklich die Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit verbietet. Eine entsprechende Auslegung der Vorschrift sollte also den Rückgriff auf Verfassungsrecht überflüssig machen. Auch abgesehen davon kommt dieser Beeinträchtigungsform im Zusammenhang mit Absprachen (und den anderen Vertrauenskonstellationen) aber keine spezifische Bedeutung zu, so daß darauf im folgenden nicht mehr eingegangen wird. Zweitens kann die Freiheit bei dem der Entscheidung vorausgehenden Abwägungsvorgang verkürzt werden, indem die abwägungsrelevanten Umstände objektiv-tatsächlich verändert werden. Eine solche Veränderung der Umstände liegt insbesondere dann vor, wenn der Staat vor- oder nachteilige Folgen an ein bestimmtes Verhalten knüpft358. Dies kann zu einer zwangsmäßigen Auswirkung auf die Entscheidung des Grundrechtsträgers führen359. Bereits aus den obigen Ausführungen folgt aber, daß es auch Einwirkungen dieser Art gibt, die die grundrechtlich gebotene Autonomie unberührt lassen. Es muß also zunächst ein Abgrenzungsmaßstab gefunden werden, mit dem die Voraussetzungen einer beachtlichen Einwirkung dieser Art präzisiert werden können. Anschließend ist festzustellen, ob eine Verständigung hinsichtlich des Strafmaßes ein Umstand ist, der zu einer solchen Beeinträchtigung bei der Entscheidung führen kann, ob eine Handlung, welche durch die schon angesprochenen Grundrechte360 garantiert wird, vorgenommen werden soll. Drittens wird auf die Abwägungsentscheidung des Bürgers eingewirkt, wenn bei ihm eine Fehlvorstellung hinsichtlich abwägungsrelevanter Umstände hervorgerufen wird. Während bei der zweiten Art der Beeinträchtigung die voluntative Komponente freiwilligen Handelns betroffen ist, steht hier der kognitive Aspekt in Frage361. Das Idealbild von Willensentschließungsfreiheit setzt Kenntnis bezüglich 355 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 166 und 178, der zwischen Willensentschließungsfähigkeit und Willensentschließungsfreiheit unterscheidet. 356 So die Bezeichnung dieser Voraussetzung bei der strafrechtlichen Einwilligung, Amelung ZStW 104 (1992), 525 (542); Kühl AT § 9 Rn. 33; Jescheck / Weigend AT, S. 382. 357 Vgl. Amelung ZStW 95 (1983), 1 (20 ff.). 358 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 133 ff. 359 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 183: Zwangsmäßigkeit als das Wesen der Freiheitsbeeinträchtigung. 360 Siehe 3. Teil VI. 1. c) aa), bb) und cc). 361 Vgl. auch Gutmann Freiwilligkeit, S. 2.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

aller entscheidungserheblichen Umstände voraus. Irrtümer stellen Hindernisse bei der Entscheidung dar, da die Abwägungsmöglichkeit (anders als die Auswahlmöglichkeit) dann eingeschränkt ist. Zu klären sein wird, welche durch staatliches Verhalten kausal hervorgerufenen Fehlvorstellungen des Bürgers das Maß der gerade in den Grundrechten gewährleisteten Freiheit unterschreiten. Anschließend ist dann darauf einzugehen, ob die Urteilsabsprache als vertrauensschaffende Maßnahme zu solchen Irrtümern führen kann. Die beiden zuletzt beschriebenen Möglichkeiten einer Freiheitsbeeinträchtigung sind kennzeichnend für eine bestimmte Kategorie staatlichen Handelns, die sich in der Grundrechtsdiskussion findet. c) Motivationsbestimmendes staatliches Handeln Es handelt sich dabei um die sogenannte verhaltensbeeinflussende362 bzw. -steuernde363 oder motivationsbestimmende364 bzw. -lenkende365 Wirkung staatlicher Maßnahmen366. Für die Grundrechtsrelevanz dieser Maßnahmen kommt es nach dem Verständnis des erweiterten Eingriffsbegriffs auf die tatsächliche Wirkung der jeweiligen Maßnahme beim Grundrechtsträger an367. Angesichts der höchst unterschiedlichen Kriterien, die zur Bestimmung und Begrenzung des erweiterten Eingriffsbegriffs herangezogen werden, erfahren auch diese Fälle keine einheitliche Beurteilung. Tatsächlicher Hintergrund der Entstehung dieser Problematik ist der Wandel hin zu einem planenden und vorsorgenden Staat gewesen, der es mit sich gebracht hat, daß immer häufiger gesetzliche Ziele nicht mit Ver- oder Geboten verwirklicht werden, sondern die Rechtssubjekte mittels „innerer Koordination“ zu einem von dem Gesetz angestrebten Verhalten motiviert werden368. Insofern läßt sich etwa die staatliche Wirtschaftslenkung anführen369, z. B. durch eine bestimmte Steuer362 Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 267; Führ Eigen-Verantwortung, S. 303 f.; A. Roth Verwaltungshandeln, S. 224: Motivationsbeeinflussung; Ossenbühl Umweltpflege, S. 8: Willensbeeinflussung. 363 Spaeth Grundrechtseingriff, S. 81 f. 364 BVerfGE 13, 181 (186 f.); Kirchhof Mittelbares Einwirken, S. 164; v. Zezschwitz JA 1978, 497 (502 f.); Oldiges WiR 1973, 1 (25). 365 BVerfGE 16, 147 (162); 81, 108 (122); 85, 238 (247); Friauf DVBl. 1971, 674 (680). 366 Diese Bezeichnungen passen jedenfalls z.T. nur auf dem Staat zuzurechnendes finales Verhalten. Ein solches stellt auch die Urteilsabsprache dar, so daß die Begriffe hier ebenfalls mit Berechtigung verwendet werden können. Auch wenn die Strafmaßprognose in der unter I. ausgeführten Weise und nicht etwa in drängender Form erfolgt, zielt das Gericht mit der Verständigung subjektiv gerade auf eine bestimmte Grundrechtsausübung des Angeklagten, vor allem die Ablegung eines Geständnisses, ab. 367 Vgl. 3. Teil VI. 1. a). 368 Isay FS Schmidt-Rimpler, S. 403 (409). 369 v. Zezschwitz JA 1978, 497 ff.; Oldiges Grundlagen, S. 95 ff.

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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gesetzgebung370 oder durch Subventionen, die davon abhängig gemacht werden, daß der Unternehmer Auflagen nachkommt371. Einen anderen Bereich stellt die Informationstätigkeit des Staates dar, die vor allem in Warnungen, Empfehlungen und Aufklärung durch staatliche Organe Ausdruck findet372. Diese Informationen373 beziehen sich insbesondere auf Produkte, von denen Gefahren für die Umwelt374 oder die Verbraucher375 ausgehen, oder religiöse Gemeinschaften, denen ein Gefährdungspotential für ihre (potentiellen) Anhänger innewohnt376. In den Fällen staatlicher Informationstätigkeit kommt allerdings als Besonderheit hinzu, daß sich die Frage einer möglichen Freiheitsbeeinträchtigung in erster Linie nicht im Hinblick auf die Informationsempfänger, sondern bezüglich der betroffenen Unternehmer, Religionsgemeinschaften etc. stellt. Nur bei den Informationsempfängern muß der Maßstab, nach dem die Verkürzung grundrechtlicher Freiheit zu beurteilen ist, ersichtlich derselbe sein, wie in den ausschließlichen Zwei-Personen-Verhältnissen. Hinsichtlich der Drittbetroffenen kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Notwendigkeit ergibt, andere Maßstäbe heranzuziehen377. In den Zusammenhang staatlicher Informationstätigkeit lassen sich auch die „Impfmerkblatt-Fälle“ des BGH einordnen378. In diesen Fällen war Eltern durch behördliche Merkblätter die Tuberkulose-Schutzimpfung ihrer Kinder dringend empfohlen worden, wobei in eindringlicher Weise die Ungefährlichkeit der Impfung den anderenfalls drohenden Gefahren gegenübergestellt worden war. Der BGH hatte über das Bestehen eines Aufopferungsanspruches aufgrund erlittener Impfschäden zu entscheiden379. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, ob trotz fehlenden gesetzlichen Impfzwangs das Abfordern eines Sonderopfers an der Gesundheit bejaht werden konnte oder die Schädigung der Kinder allein der freien Entscheidung ihrer Eltern zuzurechnen war. In den letzten Jahren haben im Bereich motivationslenkender staatlicher Einwirkungen auf den Bürger vor allem die sogenannten Selbstverpflichtungen der Wirt370 BVerfGE 13, 181 (186 f.); 81, 108 (122); Selmer Steuerinterventionismus, S. 225 ff.; Weber / Crezelius GS Klein, S. 542 (547); Kluth DVBl. 1992, 1261 (1266 f.). 371 Klein Teilnahme des Staates, S. 263; Friauf DVBl. 1966, 729 (737); Rüfner DVBl. 1976, 689 (693); Papier FS Juristische Gesellschaft, S. 529 (546). 372 Zu den Inhalten dieser Begriffe Engel Staatliche Informationstätigkeit, S. 7 ff. 373 Überblick über Fälle aus der Praxis bei Engel Staatliche Informationstätigkeit, S. 1 ff. 374 Ossenbühl Umweltpflege, passim. 375 Ibler FS Maurer, S. 145 ff. 376 Discher JuS 1993, 463 ff.; Ibler FS Maurer, S. 145 ff. 377 Vgl. Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 192 ff. (Drittbeeinträchtigung) einerseits, S. 203 f. (Selbstbeeinträchtigung) andererseits; W. Roth Faktische Eingriffe, S. 312: Die Eigenverantwortlichkeit des Bürgers, der durch den Staat zu einem Handeln veranlaßt worden ist, für die Beeinträchtigung eines anderen schließe – im Unterschied zu der Situation der Selbstbeeinträchtigung – eine staatliche Verantwortlichkeit nicht von vornherein aus. 378 BGHZ 24, 45; BGHZ 31, 187; BGH DÖV 1964, 815. 379 Vgl. nunmehr aber die gesetzliche Regelung in § 51 I 1 Nr. 3 Bundes-Seuchengesetz.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

schaft an Bedeutung gewonnen, die eine gesetzliche Regelung des fraglichen Gegenstandes überflüssig machen sollen. Als ein Beispiel jüngeren Datums ist der „Ausbildungspakt“ zwischen Bundesregierung und Verbänden der Wirtschaft zu nennen, der eine Selbstverpflichtung zur Schaffung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen beinhaltet. Damit ist – vorerst – die gesetzliche Einführung einer Ausbildungsplatz-Abgabe verhindert worden. Die Zulässigkeit normersetzender / -vermeidender Kooperation zwischen Staat und Bürger wird u. a. auch an den Grundrechten derjenigen Privaten gemessen, die an solchen Absprachen beteiligt sind380. Die maßgeblichen Kriterien und das Ergebnis der Prüfung, ob durch ein solches staatliches Vorgehen Grundrechtsbeeinträchtigungen ausgelöst werden, sind aber auch hier umstritten381. Zu klären ist daher nun, wann staatliche Maßnahmen, die den Willen und die Motivation des Bürgers beeinflussen und damit letztlich für sein Verhalten maßgeblich sind, dessen grundrechtlich gewährleistete Freiheit verkürzen. Dabei wird zunächst auf die Möglichkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung durch die tatsächliche Einwirkung auf die entscheidungserheblichen Abwägungsumstände eingegangen (d), bevor das Hervorrufen einer Fehlvorstellung bezüglich solcher Umstände betrachtet wird (e).

d) Beeinträchtigung durch tatsächliche Einwirkung auf die entscheidungserheblichen Umstände Im folgenden werden die verschiedenen Kriterien betrachtet, auf die bei der Frage abgestellt wird, ob eine motivationsbestimmende Maßnahme des Staates die freie Willensentschließung des Bürgers in abwehrrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt. Bei der Darstellung der insofern genannten Kriterien wird auch jeweils auf entsprechende Ansätze im Zusammenhang mit strafprozessualen Absprachen eingegangen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Angeklagten in aller Regel entweder im Zusammenhang mit § 136a StPO oder dem nemo-tenetur-Grundsatz angesprochen wird. Bejaht man diesbezüglich eine relevante Beeinträchtigung, ergeben sich daraus aber unmittelbar eine Verletzung der Aussagefreiheit des Angeklagten und die Unverwertbarkeit des Geständnisses, während es vorliegend um eine Beeinträchtigung der Aussagefreiheit geht, die grundsätzlich rechtfertigungsfähig ist. Jedenfalls müßte die Antastung 380 Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 322 ff.; Frenz Selbstverpflichtungen, S. 176 ff. und 269 ff.; Köpp Normvermeidende Absprachen, S. 204 ff.; Helberg Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 186 ff.; Faber Selbstverpflichtungen, S. 288 ff.; Kautz Absprachen, S. 237 ff.; Körner Informelles Verwaltungshandeln, S. 48 ff.; Schulte Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 98 ff. 381 Vgl. Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 353, der die Notwendigkeit eines dogmatischen Neuansatzes in diesem Bereich betont.

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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des Kernbereichs des Grundrechts, und damit die Verletzung des nemo-teneturGrundsatzes, noch gesondert begründet werden. Demgegenüber wird bei ausschließlicher Prüfung dieses Grundsatzes bzw. § 136a StPO möglicherweise die Beeinträchtigung der Willensfreiheit schon mit Blick darauf enger interpretiert, welche Folgen ihr unmittelbar zukommen.

aa) Intensität des psychischen Drucks Eine Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen beachtlichen und unbeachtlichen Einwirkungen auf die Entscheidungssituation des Grundrechtsträgers stellt die Intensität des Drucks dar, den die Einwirkung bei dem betroffenen Bürger entfaltet. Der Staat schafft vor allem in Form von Vor- oder Nachteilen, die er an ein bestimmtes Verhalten knüpft, Umstände, die der Bürger bei seiner Entscheidung über die Vornahme einer Handlung berücksichtigen muß. Der Grundrechtsträger kann sich durch eine solche Maßnahme mehr oder weniger zu einem Verhalten gedrängt fühlen und dies u. U. subjektiv als Zwang empfinden, der einem gesetzlichen Ver- bzw. Gebot gleichkommt. So hat der BGH in einem „ImpfmerkblattFall“ hinsichtlich des Abverlangens des Verhaltens danach differenziert, ob sich das Merkblatt nur als Erteilung von Rat ausgewirkt oder zu einem Gewissenszwang für die Eltern geführt hat, ihre Kinder impfen zu lassen382. Es wird also auf eine besonders intensive hoheitlich-psychologische Einwirkung abgestellt383. Dieser Aspekt wird teilweise auch im Zusammenhang mit den angesprochenen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft herausgestellt. Durch die erklärte Absicht, eine Normierung zu erlassen, übe der Staat Druck aus, der die private Willensentschließung beeinträchtigen könne384. Insoweit komme es auf das Maß der angesichts des ausgeübten staatlichen Drucks tatsächlich bestehenden Freiwilligkeit an385. Das Vorhandensein einer Drucksituation ist auch für die Urteilsabsprachen charakteristisch. Darauf wird bei der Erörterung von § 136a StPO und dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare oftmals maßgeblich abgestellt. Die Möglichkeit der Strafmilderung, die dem Angeklagten eröffnet werde, habe angesichts der bei Ausübung des Schweigerechts drohenden höheren Strafe einen erheblichen Entscheidungsdruck zur Folge (Stichwort „Sanktionsschere“)386. Verwiesen wird in BGHZ 24, 45 (46 f.). H.P. Ipsen in: Kaiser Planung III, S. 273 (288) zu hoheitlicher Planung im Bereich der Berufsausbildung; v. Zezschwitz JA 1978, 497 (503); vgl. auch Krüger Mitwirkungsverhältnis, S. 32: „Druck“ stelle einen Eingriff dar, wenn er die von den Grundrechten verbürgte Freiheit „sozialinadäquat“ beschränkt. 384 Frenz Selbstverpflichtungen, S. 178; Michael Rechtsetzende Gewalt: keine Freiwilligkeit, da Einfluß staatlichen Drucks. 385 Frenz Selbstverpflichtungen, S. 270. 386 Hamm FS Meyer-Goßner, S. 33 (41); H. Wagner FS Gössel, S. 585 (587 und 589); Salditt StV 2001, 311 (313); Rönnau Absprache, S. 185 f.; Schurig Belehrung und Beratung, S. 162; Bosch nemo tenetur, S. 198 ff.; Verrel Selbstbelastungsfreiheit, S. 52; Kuckein FS 382 383

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

diesem Zusammenhang auch auf das Machtgefälle zwischen Gericht und Angeklagtem und dessen schwierige psychologische Situation bei den Verständigungsgesprächen387, 388. Nur ganz vereinzelt wird diese besondere psychologische Drucksituation des Angeklagten bei Verständigungen über das Verfahrensergebnis bestritten389. Die Existenz eines solchen Drucks bzw. dessen Intensität ist aber für sich genommen kein Kriterium, das eine sachgerechte Abgrenzung zwischen Grundrechtseingriffen und Freiheitsbeschränkungen, die sich nicht auf die gerade in den Grundrechten gewährleistete Freiheit auswirken, ermöglicht. Dabei ist zunächst einmal zu beachten, daß die grundrechtlich geschützte Freiheit ein normativer Begriff ist, dessen Inhalt auf normativem Wege zu bestimmen ist390. Deshalb kann bei der Frage nach der Verkürzung dieser Freiheit nicht einfach unbesehen ein psychologischer Maßstab angelegt werden. Dies wäre jedenfalls begründungsbedürftig. Für die Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit ergibt sich diese Begründung daraus, daß eine selbstbestimmte Entscheidung jedenfalls nur dann möglich ist, wenn der Betroffene geistig-seelisch in der Lage dazu ist, einen eigenen Willen zu bilden. Insofern muß also zwangsläufig auf die Auswirkungen einer Maßnahme auf die Psyche des Grundrechtsträgers abgestellt werden. Daß solchen Auswirkungen aber auch unterhalb dieser Schwelle Bedeutung für den Eingriffsbegriff zukommt, müßte nachgewiesen werden. Hinzu kommt jedoch, daß Druck nach dem oben Gesagten nicht von vornherein einen Gegensatz zu der von den Grundrechten gewährleisteten Selbstbestimmung bildet, sondern es vielmehr der Selbstbestimmung immanent ist, auch angesichts des stets vorhandenen Drucks der Umwelt für die eigenen Entscheidungen VerantMeyer-Goßner, S. 63 (69); Zuck MDR 1990, 18 (19 Fn. 23): psychologischer Zwang; vgl. auch Weider FS Lüderssen, S. 773 (781 f.): Die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts nach einer Urteilsabsprache richte sich danach, ob der Angeklagte bei einer darauf gerichteten Zusage in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt wurde. 387 Rönnau Absprache, S. 184 f.; Kuckein FS Meyer-Goßner, S. 63 (69); Weigend NStZ 1999, 57 (59); ders. ZStW 104 (1992), 486 (500); Nestler in: Prittwitz / Manoledakis Strafrechtsprobleme, S. 99 (107): „dominante Macht“ des Gerichts; vgl. auch Widmaier StV 1986, 357 (358): Der Beschuldigte sei Unterworfener im intensivsten Sinne. 388 Vgl. aber auch Steinhögl Deal, S. 60 f.: Der einer Absprache aufgrund der Strafmilderungsmöglichkeit immanente Zwang müsse keine erhebliche Beeinträchtigung zur Folge haben, wenn sich bei einem Deal aufgrund der Verhandlungsposition des Angeklagten eine Machtbalance einstelle. Dies sei oftmals der Fall, da Absprachen insbesondere bei statushohen und verteidigten Angeklagten stattfänden. 389 B. Schmitt GA 2001, 411 (414); vielmehr sei eine solche Drucksituation auf Seiten des Gerichts vorhanden, S. 419. Wagner FS Gössel, S. 585 (588) bezeichnet diese Behauptungen zu Recht als sehr undifferenziert; treffende Kritik auch bei Meyer-Goßner Gollwitzer-Kolloquium, S. 161 (168 f.). Viel zu einseitig auch Henrichs / B. Schmitt Kriminalistik 2003, 616 ff. 390 Vgl. Amelung Einwilligung, S. 83 zur Freiwilligkeit der Einwilligung in eine Grundrechtsgutsbeeinträchtigung; er verweist dabei auch darauf, daß der Begriff der Freiwilligkeit i. S. d. § 24 StGB erst durch eine normative Betrachtung handhabbar wurde, S. 82 f.

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wortung übernehmen zu müssen. Gerade im Strafverfahren wird der Beschuldigte zwangsläufig zahlreichen Einflüssen ausgesetzt, die sich auf seine Entscheidungen auswirken können391. Allein seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung stellt bereits eine psychische Belastung dar392. Dann erscheint es aber auch nicht möglich, anhand dieser Belastung das Vorliegen eines Grundrechtseingriffes zu bestimmen. Das Maß des psychischen Drucks ist keine genau bestimmbare Größe und würde abstrakt nichts darüber aussagen können, ob eine Entscheidung trotz vorhandenen Drucks noch freiwillig erfolgt ist oder der Betroffene dabei schon unfrei war393. Wann eine unbeachtliche Belastung in eine Verkürzung der grundrechtlichen Freiheit umschlägt, kann daher nicht allein mit einem Blick auf die Psyche des Betroffenen beantwortet werden. Dies verdeutlicht auch die Behauptung, der Satz, „ein Geständnis würden wir sicherlich strafmildernd berücksichtigen, vielleicht ließe sich dann auch an eine Aussetzung zur Bewährung denken“, unterscheide sich in der psychologischen Wirkung auf den Angeklagten deutlich von der gerichtlichen Aussage, ohne ein Geständnis müsse mit einer Freiheitsstrafe gerechnet werden, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden könne394. Die erste Aussage sei ein unbedenklicher Hinweis auf die strafmildernde Wirkung des Geständnisses, die zweite Aussage aber eine Drohung mit einer höheren Strafe, was nicht die automatische Kehrseite des Hinweises sei. Diese Fälle sind von vornherein nur vergleichbar, wenn jeweils nicht der Eindruck erweckt wird, die voraussichtliche Strafe werde in unzulässiger Weise auf der bloßen (Nicht-)Ablegung eines Geständnisses beruhen. Würde der „Hinweis“ auf die Möglichkeit der Verhängung einer aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe auf zutreffenden strafzumessungsrechtlichen Erwägungen basieren, die „Drohung“ aber auf dem Vorhaben des Gerichts, gegen den nichtgeständigen Angeklagten eine schuldunangemessene Strafe auszusprechen, könnte letzteres aus normativen Gründen nicht die Kehrseite des „Hinweises“ sein, womit der Verweis auf unterschiedliche psychologische Wirkungen überflüssig wäre. Fließen keine rechtswidrigen Erwägungen in die gerichtlichen Ankündigungen mit ein, so ist deren Inhalt trotz unterschiedlicher Formulierungen aber identisch. Dem Angeklagten wird jeweils für den Fall eines Geständnisses die Aussetzung zur Bewährung in Aussicht gestellt, anderenfalls die Verhängung einer nichtaussetzungsfähigen Freiheitsstrafe. Warum sich dies in verschiedener Weise auf die Psyche auswirken soll, ist nicht zu ersehen, der „Hinweis“ ist insofern sehr wohl die Kehrseite der „Drohung“. Schon gar nicht ist auf dieser Grundlage die Notwendigkeit einer unterschiedlichen rechtlichen Bewertung zu erkennen395. 391 Rönnau Absprache, S. 183; Ioakimidis Rechtsnatur der Absprache, S. 76 f.; Weßlau Konsensprinzip, S. 232: Der Beschuldigte stehe stets unter dem Druck einer drohenden Verurteilung und sei somit im psychologischen Sinne unfrei. 392 Küpper / Bode Jura 1999, 393 (400). 393 Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 147 f. und 149 m. N. aus dem Schrifttum zum Freiwilligkeitsbegriff i. S. d. § 24 StGB. 394 Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen, S. 54.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Die Tatsache einer psychischen Einwirkung auf einen Grundrechtsträger ist daher, wenn sie nicht zum Ausschluß der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, führt, für sich genommen ohne Bedeutung für die grundrechtliche Freiheit. Die Feststellung der Verkürzung dieser Freiheit kann nur mit Hilfe handhabbarer Kriterien erfolgen. bb) Ausschluß sinnvoller Verhaltensalternativen In der strafprozessualen Literatur wird z. T. genauer benannt, welcher Art die Auswirkungen des durch die Ankündigung einer Strafmilderung verursachten psychischen Drucks sein müssen, um von einer Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit des Angeklagten hinsichtlich seines Schweigerechts sprechen zu können. Eine Beeinträchtigung der Selbstbezichtigungsfreiheit setze voraus, daß sich die Verhaltensalternativen letztlich auf eine Entscheidungsmöglichkeit reduzieren396. Dies wird nicht in einem so engen Sinne verstanden, daß davon nur der gänzliche Ausschluß einer Wahlmöglichkeit erfaßt wird. Vielmehr soll genügen, daß die Situation des Angeklagten derart ausweglos erscheint, daß für ihn nur noch die Ablegung eines Geständnisses in Betracht kommt397. Damit wird über die bloße Wahlmöglichkeit hinaus auch die der Verhaltenswahl vorangehende Abwägung berücksichtigt. Die Autonomie komme angesichts notwendig existierender Zwänge in der Freiheit zur Bewertung dieser Zwänge zum Ausdruck398. Erst wenn nach der subjektiven Bewertung der Zwänge keine sinnvolle Alternative mehr verbleibe, werde die gewährleistete Freiheit beeinträchtigt 399. Eine ausreichende 395 Vgl. auch Kölbel NStZ 2003, 232 (235): Strafmilderungsofferte und Strafschärfungsdrohung motivierten über eine „Sanktionsschere“ in äquivalenter Intensität zu einer Informationspreisgabe. Kölbel geht daher in beiden Fällen von einem Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit aus. Daß es bei beiden Motivationsformen „dem Staat . . . gerade darum zu tun ist, den Angeklagten zur Aufgabe seines Schweigerechts zu drängen“ (S. 235), kann einen Grundrechtseingriff, der nicht von der Finalität staatlichen Handelns abhängt, allerdings nicht begründen. Dies gilt auch für die Annahme, der Angeklagte könne nicht sicher sein, ob ihm nicht für den Fall der Geständigkeit die Verhängung der ohnehin angemessenen Normalstrafe mitgeteilt worden ist (S. 235). Träfe dies zu, würde es sich um eine Täuschung durch das Gericht handeln. Anderenfalls könnte sich die Freiheitsbeschränkung nur aufgrund eines Irrtums ergeben, der in diesem Fall aber abwehrrechtlich gerade nicht beachtlich wäre, da ein verständiger Angeklagter ohne weitere Anhaltspunkte nicht mit einem unzulässigen gerichtlichen Vorgehen rechnen muß, vgl. auch unten II. 1. e) cc) (2). 396 Gerlach Absprachen, S. 69; Janke Verständigung, S. 159; Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 16 zur Willensbeeinträchtigung i. S. d. § 136a StPO. Ähnliche Formulierungen finden sich in verwaltungsrechtlichen Zusammenhängen etwa bei Spaeth Grundrechtseingriff, S. 81 f.; Oebbecke DVBl. 1986, 793 (798); Ossenbühl Umweltpflege, S. 29; Friauf DVBl. 1971, 674 (680). 397 Gerlach Absprachen, S. 69; Janke Verständigung, S. 159. 398 Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 16. 399 So auch Eppelt Grundrechtsverzicht, S. 49 ff.

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Wahlmöglichkeit sei aber noch vorhanden, solange andere Überlegungen einer Aussage des Angeklagten entgegenstehen400, dieser also überhaupt noch eine abwägende Entscheidung treffen kann401. Die gerichtliche Ankündigung der positiven Berücksichtigung eines Geständnisses bei der Strafzumessung soll dem Angeklagten diese Freiheit in der Regel belassen, da er sich ohne Ablegung eines Geständnisses die Möglichkeit eines Freispruches erhält402. Sein Verhalten stünde noch in seiner Willensmacht403. Eine Beeinträchtigung läge erst dann vor, wenn der Richter den Eindruck erweckt, die Verurteilung stehe bereits fest404 oder die Nichtablegung eines Geständnisses werde sich negativ für den Angeklagten auswirken405. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes würde ein Abwehranspruch des Angeklagten bei einer nach dem Strafprozeßrecht zulässigen Urteilsabsprache also ausscheiden. Auch bei den sogenannten Selbstverpflichtungen der Wirtschaft wird mitunter darauf abgestellt, daß deren staatliche Veranlassung keinen Grundrechtseingriff darstellt, solange der sich selbst Verpflichtende noch Verhaltensalternativen besitzt, ihm also ein Handlungsspielraum verbleibt406. In steuerrechtlichem Zusammenhang ist ein ähnlicher Maßstab mit der „Ermessensreduzierung auf Null“ verglichen worden: Eine Grundrechtsbeeinträchtigung sei gegeben, wenn die Entscheidungsmöglichkeiten des Bürgers sich auf eine Verhaltensmöglichkeit verdichten407. Jedoch erscheint es zu eng, die Aussagefreiheit schon dann als gewahrt anzusehen, wenn das Unterlassen einer Aussage nur noch nicht jeden Sinn verloren hat. Selbst wenn die Vernunft dem Angeklagten in dieser Situation die Ablegung eines Geständnisses nahelegt, soll seine Freiheit nicht beeinträchtigt sein408. Damit wird der der Willensentschließungsfreiheit immanente Abwägungsvorgang aber zu sehr auf die eine Aussage „hemmenden“ Gründe409 reduziert, während die zur Aussage „drängenden“ Umstände410 nicht ausreichend berücksichtigt werden. Über die Einwirkung auf die abwägungsrelevanten Umstände kann die Motivation des Betroffenen nicht nur „gelenkt“ werden, indem ihm jegliche Argumente für ein gegenteiGundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 17. Vgl. Gerlach Absprachen, S. 69. 402 Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 17. 403 Janke Verständigung, S. 159. 404 Gundlach in: AK-StPO, § 136a Rn. 17. 405 Janke Verständigung, S. 159. 406 Faber Selbstverpflichtungen, S. 309 f., die allerdings als Grund auch anführt, es handele sich in diesem Zusammenhang häufig um machtvolle Akteure mit erheblichen Eigeninteressen an der Regulierungsvermeidung. 407 Weber / Crezelius GS Klein, S. 542 (547). 408 Vgl. Janke Verständigung, S. 159. 409 Vgl. Peters Strafprozeß, S. 336. 410 Vgl. Peters Strafprozeß, S. 336. 400 401

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liges Verhalten genommen werden. Wenn ihm nur genügend „drängende“ Gründe geliefert werden, ist eine Fremdbestimmung des Abwägungsvorgangs auch unterhalb dieser Schwelle denkbar. Anderenfalls kann man etwa in dem Fall, daß eine Universität die Rückmeldung davon abhängig macht, daß die Studenten sich einer Röntgenuntersuchung unterziehen, einen Eingriff in Art. 2 II 1 GG ablehnen, wenn die Studenten der Untersuchung zustimmen411. Hier lassen sich nämlich noch gute – gesundheitliche – Gründe gegen eine Zustimmung anführen. Dennoch wird sich letztlich wohl kaum ein Student der Forderung entziehen, um nicht die Exmatrikulation zu riskieren. Und selbst wenn durch das Gericht im Strafprozeß eine Verurteilung – unzulässig – bereits als festehend hingestellt wird, könnte gegen ein Geständnis immer noch die Möglichkeit des Angeklagten sprechen, sich jedenfalls weiterhin selbst anders darzustellen. Die Aussage hat für ihn eben nicht nur eine prozessuale Funktion im Hinblick auf Schuldspruch und Strafzumessung, sondern auch eine materielle Bedeutung für seine Persönlichkeit und deren Darstellung in der Öffentlichkeit. Die Möglichkeit einer abwägenden Entscheidung aufgrund des Vorhandenseins von Argumenten, die gegen das Verhalten sprechen, in dessen Richtung der Bürger durch die Maßnahme „gelenkt“ wird, schließt daher für sich genommen eine Grundrechtsbeeinträchtigung nicht von vornherein aus. Auch in diesen Fällen kann der maßgebliche Einfluß auf die Entscheidung des Grundrechtsträgers dem Staat zukommen412, es sich also in einem gewissen Maße um fremdbestimmtes Verhalten handeln. Es müssen daher die durch die staatliche Maßnahme begründeten, für ein bestimmtes, potentiell selbstschädigendes Verhalten sprechenden Umstände bei der Bestimmung der Freiheitsverkürzung noch in stärkerem Maße berücksichtigt werden. cc) Irrationalität und Unzumutbarkeit des Anders-Handelns Dies spricht dafür, die Eingriffswertigkeit staatlicher Verhaltensbeeinflussung von einem bestimmten Verhältnis zwischen den abwägungsrelevanten Umständen abhängig zu machen, die sich für und gegen ein bestimmtes Verhalten anführen lassen. Zur Konkretisierung dieses Maßstabes müßten dann sowohl eine normative Begründung für die grundrechtliche Relevanz eines bestimmten Verhältnisses der Pro- und Contra-Argumente gefunden werden, als auch für die Sichtweise, die bei der Feststellung dieses Verhältnisses maßgeblich sein soll. (1) Ansätze In diese Richtung lassen sich bereits weitere „Impfmerkblatt-Entscheidungen“ deuten, in denen (wiederum im Rahmen eines Aufopferungsanspruches) nicht 411 412

Vgl. zu einem solchen Fall VGH Mannheim DÖV 1979, 338 (339). Vgl. Bleckmann / Eckhoff DVBl. 1988, 373 (378).

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mehr auf das ausschließlich psychologische Merkmal des Gewissenszwangs abgestellt wurde. Vielmehr wurde nun die Zurechnung der Impfschäden zum Staat damit begründet, daß die Eltern aufgrund der Merkblätter unter dem Eindruck stehen mußten, die Impfung gegen die Kinderlähmung liege im wohlverstandenen Interesse ihrer Kinder, da den erheblichen Gefahren der Krankheit die Impfung mit einem unschädlichen Mittel gegenüberstehe413. Für das Verständnis der Merkblätter sei auf den durchschnittlichen Erklärungsempfänger abzustellen414. Auch ist davon die Rede, daß sich der rechtschaffen gesonnene, gewissenhafte Bürger von der staatlichen Empfehlung leiten lassen werde415. Diese Formulierungen lassen sich dahingehend verstehen, daß staatliche Verantwortung für kausal herbeigeführtes Verhalten des Bürgers dann gegeben ist, wenn der Betroffene bei objektiver Betrachtung davon ausgehen muß, daß es sich dabei trotz einer damit verbundenen Selbstschädigung um die beste Lösung für ihn handelt416. In ähnlicher Weise wird in der Literatur der Ausschluß der Autonomie des Grundrechtsträgers durch psychologische Einflußnahme z. T. im Anschluß an die zivilrechtliche Rechtsprechung zu den „Verfolger- / Herausforderungs-Fällen“ bestimmt, in denen es um die Schadensersatzpflicht aufgrund der Veranlassung zu einem selbstschädigenden Verhalten geht417. Dabei wird in der grundrechtlichen Diskussion darauf abgestellt, ob ein vernünftiger Durchschnittsbürger sich zu einem bestimmten Verhalten als Reaktion auf staatliches Handeln veranlaßt sehen durfte418. Aus dem Strafprozeßrecht ist in diesem Zusammenhang eine Auffassung zu nennen, die einen beachtlichen Willensfehler des Angeklagten beim Rechtsmittelverzicht davon abhängig macht, daß angesichts einer staatlichen Drohung auch einem gewissenhaften Menschen in der Situation des Angeklagten ein Standhalten – und damit die Verweigerung eines Verzichts – nicht zuzumuten war419. Konkretisiert worden ist die Bestimmung eines Grundrechtseingriffes anhand eines Vernüftigkeitsprinzips von Wolfgang Roth: Eine für die grundrechtliche Freiheit relevante Gefahr werde nur durch psychische Einwirkungen geschaffen, die BGH DÖV 1964, 815. BGH DÖV 1964, 815 (816). 415 BGHZ 31, 187 (191). 416 Ähnlich Oldiges Grundlagen, S. 97 bezüglich Lenkungswirkungen im wirtschaftlichen Bereich: Zwang zur Anpassung, wenn Bürger angesichts vom Staat gesetzter Umstände sich auf die so geschaffene Situation einstellen muß, um ihr das Beste abgewinnen zu können. 417 Siehe dazu etwa BGHZ 63, 189; 132, 164. 418 A. Roth Verwaltungshandeln, S. 226; Engel Staatliche Informationstätigkeit, S. 198; auf diese Fälle verweist auch W. Roth Faktische Eingriffe, S. 194 f.; vgl. auch BVerwGE 18, 32 (33): bei vernünftiger Überlegung kann staatliche Maßnahme kein Anlaß zu einem bestimmten Verhalten sein; BVerfGE 80, 109 (121): Maßnahme ist nicht geeignet, Bürger zu einem bestimmten Verhalten zu bestimmen. 419 Peters Strafprozeß, S. 272; Volk StrafprozessR, § 15 Rn. 8. 413 414

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sich auf den Willensbildungsprozeß in einer Weise auswirken, daß die Entscheidung des Grundrechtsträgers von einer Freiheit in einer bestimmten Weise (nicht) Gebrauch zu machen vernünftig erscheint, obwohl dies einem sonst gehabten Wunsch widerspricht420. Unter einer vernünftigen Entscheidung wird dabei eine rationale Entscheidung verstanden, die auf eine Gewichtung der Vor- und Nachteile durch den Grundrechtsträger zurückzuführen ist. Vernünftig bzw. rational ist demnach eine Entscheidung für diejenige Verhaltensalternative, die mit den größten Vorteilen bzw. den kleinsten Nachteilen verbunden ist, die in dieser Situation zu erzielen sind421. Da das Vorhandensein von Vor- und Nachteilen sowie deren jeweiliges Gewicht situationsabhängig sei, müsse bei der Beurteilung der Vernünftigkeit eines Verhaltens auf die konkrete Situation des Grundrechtsträgers abgestellt werden422. Maßgeblich sei dann aber die Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen, also ein objektivierender Vernünftigkeitsmaßstab423. Begründet wird die Heranziehung dieses Maßstabes mit dem Prinzip der Selbstverantwortlichkeit des Menschen: Dem Bürger komme eine Eigenverantwortung zu, die die Aufgabe mit sich bringe, in erster Linie selbst seine Grundrechtsgüter zu wahren. Die Abwehrrechte vermittelten dem Grundrechtsträger ausschließlich Schutz vor dem Staat, nicht vor sich selbst424. Der Bürger dürfe daher nicht jeder Einwirkung nachgeben und hinsichtlich der nachteiligen Folgen dieses Handelns Schutz gegenüber dem Staat begehren. Abwehrrechtlichen Schutzes bedürfe er nur dort, wo er von seiner Freiheit bei rationaler Betrachtung nicht in der eigentlich gewünschten Weise Gebrauch machen, sich also nicht durch ein Widerstehen gegenüber der staatlichen Einwirkung selbst schützen könne. Nur dann handele es sich um eine zwangsmäßige Auswirkung, die die Verantwortlichkeit des Staates begründe425. In vergleichbarer Weise ist der aus dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip folgende Gedanke des Vorrangs des Selbstschutzes auch in das Strafprozeßrecht übertragen worden, um die Verantwortlichkeit des Beschuldigten für den Verzicht auf die Verteidigerkonsultation im Rahmen einer Vernehmung feststellen zu können, wenn dieser Verzicht auf eine Einflußnahme der Vernehmungsbeamten zurückzuführen ist426. Dem Bürger Verantwortung zuzugestehen, habe dessen Obliegenheit zur Folge, sich selbst zu schützen. Die Subsidiarität staatlichen Schutzes gegenüber der Möglichkeit des Selbstschutzes beanspruche daher in der gesamten Zusammenfassend W. Roth Faktische Eingriffe, S. 197 f. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 191. 422 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 191. 423 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 192. 424 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 190 f. 425 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 191. 426 Zur Beurteilung verschiedener Einwirkungen auf den Beschuldigten anhand des entwickelten Maßstabes Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 254 ff. Zum Charakter des Rechts auf den Beistand eines Verteidigers als einfach-gesetzliches subjektives Recht und Prozeßgrundrecht des Beschuldigten vgl. S. 45. 420 421

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Rechtsordnung Geltung427. Allerdings ende die Selbstverantwortung des Betroffenen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, von faktisch vorhandenen Möglichkeiten des Selbstschutzes auch tatsächlich Gebrauch zu machen428. Zur Beurteilung der Zumutbarkeit, der staatlichen Einwirkung zu widerstehen, wird wiederum auf den Maßstab des besonnenen Durchschnittsmenschen in der Situation des Betroffenen abgestellt429. Als Vorbild dient den letztgenannten Auffassungen eine parallele Problematik im Bereich des materiellen Strafrechts. Im Rahmen des § 240 I StGB wird die Empfindlichkeit des angedrohten Übels danach bestimmt, ob von dem Betroffenen in seiner Lage erwartet werden kann, der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standzuhalten430. Die darin zum Ausdruck kommende Selbstverantwortlichkeit des einzelnen für seine Rechtsgüter, die nicht durch jegliche Einflußnahme anderer beseitigt wird, bildet den Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der grundrechtlichen Relevanz staatlicher Einwirkungen auf den Entscheidungsprozeß des Grundrechtsträgers431. Im vorliegenden Zusammenhang müßte bei Heranziehung eines solchen Maßstabes beurteilt werden, ob es dem Angeklagten generell oder in bestimmten Fällen einer Urteilsabsprache zuzumuten ist, von dem sich später nachteilig für ihn auswirkenden Grundrechtsgebrauch abzusehen, oder ob sich sein „selbstschädigendes“ Verhalten mangels zumutbarer Alternativen als vernünftig darstellt. In diese Richtung deuten auch einige Stellungnahmen in der strafprozessualen Literatur, die sich auf die Möglichkeit einer Freiheitsbeeinträchtigung durch das Inaussichtstellen einer Strafmilderung beziehen. So soll für die Freiwilligkeit des Verhaltens des Angeklagten im Rahmen einer Verständigung maßgeblich sein, ob ihm der von der in Aussicht gestellten Strafmilderung ausgehende „motivatorische Druck“ noch zugemutet werden kann, was von den normativen Erwartungen an den Angeklagten abhängig sei432. Die Zumutbarkeit richte sich nach Faktoren wie der Verurteilungswahrscheinlichkeit und dem zu erwartenden Strafmaß433. Von anderer Seite wird darauf abgestellt, daß der Angeklagte sich angesichts der Möglichkeit einer Strafmilderung oder der Strafaussetzung zur Bewährung vernünftigerweise auf die Preisgabe eigener Rechtspositionen einlassen müsse, was im Hinblick auf das Schweigerecht verfassungsrechtliche Bedenken wecken könne434. 427 428 429 430

Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 245. Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 218 f., 246 f. Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 239 f. BGHSt 31, 195 (201); 32, 165 (174); Rengier BT II, § 23 Rn. 44; Sch / Sch / Eser § 240

Rn. 9. 431 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 189 f.; ausführlich Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 211 ff., die dieses Selbstbehauptungsprinzip allgemein bei Selbstschädigungsdelikten im Rahmen der objektiven Zurechnung heranziehen will. 432 Eser ZStW 104 (1992), 361 (393 f.). 433 Eser ZStW 104 (1992), 361 (394).

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(2) Grundlage: Subsidiarität staatlichen Schutzes gegenüber der Selbstverantwortung des Grundrechtsträgers Alle diese Auffassungen beruhen darauf bzw. lassen sich dahingehend interpretieren, daß die Selbstverantwortung des Grundrechtsträgers dann in eine staatliche Verantwortung übergeht, wenn der Staat eine Situation schafft, in der es dem Bürger bei normativ-wertender Betrachtung nicht zumutbar erscheint, von seiner Freiheit in der eigentlich von ihm gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Dabei wird insbesondere darauf abgestellt, ob die staatliche Einwirkung auf die abwägungsrelevanten Umstände dazu führt, daß das eigentlich nicht gewünschte Verhalten aus der Sicht eines besonnenen Dritten im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen liegt. Grundlage dieses Maßstabes ist der aus der Selbstverantwortung des Grundrechtsträgers folgende Vorrang des Selbstschutzes. Soweit von ihm erwartet werden kann, sein Grundrechtsgut selbst zu wahren, wird ihm diese Aufgabe mittels der ihm verliehenen Freiheit auch überantwortet. Die Richtigkeit dieses Ausgangspunktes kann nicht bestritten werden. Grundrechtliche Freiheit, die dem einzelnen Selbstbestimmung über sein Leben ermöglicht und damit letztlich seine menschliche Würde gewährleistet435, bedeutet nur eine Chance zur Verwirklichung selbstgesetzter Ziele436. Niemandem wird garantiert, daß er seine Ziele auch tatsächlich erreicht. Nur die staatliche Beeinträchtigung der Chance, diese zu verwirklichen, ist grundsätzlich ausgeschlossen. Der Ausübung von Freiheit ist daher das Risiko von Fehlentscheidungen immanent. Nur wer die Möglichkeit von Fehlern und die damit verbundenen Konsequenzen akzeptiert, nimmt folglich Freiheit und Selbstbestimmung ernst. Wer hingegen einem anderen jegliches Risiko bei dessen Entscheidungen abnehmen will, bevormundet ihn437, 438. Ein Grundrechtsträger muß sich daher selbst vor negativen Folgen seiner Entscheidungen schützen, indem er solche Entscheidungen vermeidet, 434 Siolek Verständigung, S. 138, der aber im Ergebnis jedenfalls einen Grundrechtsverzicht des Angeklagten annimmt (der gegen eine Beeinträchtigung angeführte Verweis auf § 240 StGB geht hier schon deshalb fehl, weil damit auf die Auslegung des Gewaltmerkmals Bezug genommen wird, die im Rahmen einer Absprache erfolgenden Einwirkungen auf den Angeklagten aber nur mit der Drohungsalternative verglichen werden können); ders. DRiZ 1989, 321 (327). 435 Siehe oben VI. 1. a). 436 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 69. 437 Beckemper Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts, S. 228. 438 Eine Bevormundung stellt es darüber hinaus auch dar, wenn man dem Grundrechtsträger nach einer Verletzung seiner Rechte die Möglichkeit entzieht, sich eigenverantwortlich im Wege des Rechtsschutzes gegen die staatliche Maßnahme zu behaupten. Die mit den materiellen Grundrechten verliehene Selbstbestimmungsmacht setzt sich daher in der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV 1 GG fort. Daraus folgt, daß entgegen dem BVerfG (vgl. E 49, 329, 340 f.; 96, 27, 39) die in der StPO vorgesehenen Richtervorbehalte das Rechtsschutzverfahren i. S. d. Art. 19 IV 1 GG nicht ersetzen können. Deshalb muß gegen richterlich angeordnete, erledigte Grundrechtseingriffe das Rechtsmittel der Beschwerde offen stehen (mit anderer Begründung jetzt auch BVerfGE 96, 27, 39 ff.).

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soweit er dazu in der Lage ist439. Tut er dies nicht, handelt es sich um eine Fehlentscheidung seinerseits, deren Folgen er nicht auch noch auf den Staat bzw. die Gemeinschaft abwälzen kann. Versucht er dies jedoch, spricht er sich gewissermaßen selbst die Mündigkeit ab, da er sein eigenes Vermögen zur Selbstbestimmung leugnet. Der Topos „Selbstverantwortung“ ist daher vorliegend wie überall in der Rechtsordnung das entscheidende Stichwort, wenn es um die Beurteilung der Mitwirkung des Betroffenen an einem ihn benachteiligenden Vorgang geht. Indes ist die Verantwortung einer Person „nichts einfach Fertiges . . . , sondern ein . . . zu formendes Substrat“440. Der Inhalt der Verantwortlichkeit muß im konkreten Zusammenhang mit Blick auf die jeweilige Funktion dieses Begriffes bestimmt werden441. Daraus folgt nicht nur, daß diese Inhaltsbestimmung etwa im materiellen Strafrecht, der ultima ratio des Rechtsgüterschutzes, oder im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht, bei dem es um die Verteilung von materiellen Haftungsrisiken im Verhältnis der Bürger untereinander geht, anders ausfallen kann als im Bereich der abwehrrechtlichen Grundrechtsgehalte. Vor allem stellt sich nun die Frage, ob zur Selbstverantwortung im Sinne der Grundrechte zählt, einer Einwirkung durch staatliche Organe zu widerstehen, wenn dies aus der Sicht eines objektiven, besonnenen Dritten in der Situation des Grundrechtsträgers geboten ist. Man wird angesichts des Gedankens der Selbstbestimmung nicht bestreiten können, daß der Grundrechtsträger es zu verantworten hat, wenn er eine staatliche Einflußnahme zum Anlaß nimmt, trotz anderer Verhaltensmöglichkeiten eine Entscheidung zu treffen, die aus seiner eigenen Sicht unter den gegebenen Umständen nicht die günstigste für ihn ist. Daß er jedoch auch dann die Verantwortung übernehmen soll, wenn ein Dritter in seiner Lage anders gehandelt hätte, ist begründungsbedürftig. (3) Maßstab des besonnenen und gewissenhaften Dritten Die Notwendigkeit einer Begründung dieses Maßstabes wird auch durch die normative Funktion verdeutlicht, die der Heranziehung eines objektiven Dritten zur Bewertung eines Verhaltens zukommt. Dieser Vorgang stellt ja nicht die deskriptive Feststellung dar, wie sich eine vom konkreten Betroffenen verschiedene Person in einer bestimmten Situation verhält, etwa die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung. Solche Beschreibungen des tatsächlichen Verhaltens anderer können zwar eine Indizfunktion haben442. Letztlich geht es aber um die Frage, wie sich der 439 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 196: Das Selbstverantwortlichkeitsprinzip schließt eine Freiheitsbeeinträchtigung aus bei rationaler Vermeidbarkeit einer Entscheidung zum Nachteil eines Grundrechtsgutes. 440 Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 167 f. 441 Vgl. Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 164. 442 Vgl. auch W. Roth Faktische Eingriffe, S. 194 und 196 Fn. 89.

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Bürger in dieser Situation verhalten soll. Dazu werden einer gedachten Durchschnittsperson für einzelne Situationen bestimmte Verhaltensweisen zugeschrieben. Der besonnene und gewissenhafte Dritte verhält sich so, wie die Rechtsordnung es von ihm erwartet443. Das Abstellen auf den fiktiven Dritten bedeutet also eine Personalisierung der Rechtsordnung444. Im vorliegenden Zusammenhang steht zwar nicht eine Verhaltenspflicht des Grundrechtsträgers in Frage, da eine Selbstschädigung Ausdruck grundrechtlicher Freiheit sein kann. Ermittelt wird aber eine Obliegenheit des Betroffenen, eine Sorgfaltspflicht gegenüber sich selbst. Legt man nun mit den dargestellten Ansichten den Maßstab eines Durchschnittsmenschen an und bestimmt, wie dieser sich zumutbarer Weise verhalten hätte, wird eine Aussage darüber getroffen, welches Verhalten die Rechtsordnung von dem Grundrechtsträger in dieser Situation erwartet hat. Nur wenn dessen tatsächliches Verhalten diesen Erwartungen entspricht, muß er die Last nachteiliger Folgen, da diese dann eingriffsveranlaßt sind, grundsätzlich nicht tragen. Voraussetzung für eine solche Personalisierung der Rechtsordnung ist aber zunächst stets, daß der Bürger sich überhaupt in einer objektiv-durchschnittlichen Weise verhalten soll, die Rechtsordnung in dem jeweiligen Zusammenhang ihre Erwartungen also nicht ausschließlich an den individuellen Umständen des konkret betroffenen Bürgers ausrichtet. Es müßte vorliegend also begründet werden können, daß die Grundrechte hinsichtlich der hier interessierenden Frage eine Verhaltenserwartung an den Grundrechtsträger normieren, die sich an dem Maßstab objektiver Vernünftigkeit orientiert. (a) Grundrechtlich geschützte Freiheit und Selbstbestimmung als Selbstzweck Unproblematisch wäre eine entsprechende Begründung aber, wenn die Grundrechte als Abwehrrechte von vornherein nur rationale Handlungen schützten, also eine Freiheit, die darin besteht, das Notwendige oder Vernünftige zu tun445. Grundrechtliche Freiheit meinte dann nicht die Beliebigkeit des Verhaltenkönnens446, sondern allein das in der jeweiligen Situation – normativ betrachtet – richtige Handeln447. Dann erschiene es nur konsequent, auch bei motivationsbestimmenden Einwirkungen auf den Grundrechtsträger, allein dessen aus Sicht eines Dritten ob443 Vgl. Kühl AT, § 17 Rn. 22 zur Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts. 444 Horn in: Ulsamer Lexikon des Rechts, S. 292. 445 Vgl. Alexy Grundrechte, S. 197 m. N. zu solchen „positiven Freiheitsbegriffen“ in der Philosophie. 446 Vgl. Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 14. 447 Alexy Grundrechte, S. 197 Fn. 120 m. N. zu entsprechenden Freiheitsbegriffen in der Grundrechtsdogmatik.

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jektiv-vernünftiges Verhalten unter den Schutz der Grundrechte zu stellen. Es wäre nicht einzusehen, warum der Bürger hinsichtlich der Folgen eines objektiv-unvernünftigen Handelns geschützt werden sollte, wenn das Verhalten schon als solches nicht von den Grundrechtsgewährleistungen erfaßt wird, der Bürger sich also außerhalb des ihm zukommenden Freiheitsbereiches bewegt. Nun ist Gegenstand der Freiheit als Grundrechtsgut im Sinne des Grundgesetzes aber gerade eine Handlungsalternative448. Die grundrechtlich gewährleistete Freiheit ist nämlich eine selbstzweckhafte449. Sie ist in ihrer Funktion ausschließlich auf die Selbstbestimmungsmöglichkeit des Grundrechtsträgers bezogen, welche mit der grundrechtlichen Gewährleistung von Freiheit untrennbar verbunden ist. Der Staat darf daher die Freiheit nicht inhaltlich definieren450, vielmehr darf der Bürger sich innerhalb eines garantierten Bereichs so verhalten, wie es seinen Wünschen entspricht451. Daraus folgt auch die Unzulässigkeit der Definition einer guten, wohlverstandenen Freiheit durch den Staat452. Mit der Freiheitsgewährleistung der Grundrechte sind deshalb bestimmte Verhaltenserwartungen in rechtlich relevanter Weise nicht verbunden453. „Was Freiheit ist, kann nämlich in letzter Instanz nur derjenige entscheiden, der frei sein soll. Sonst ist es nach allen menschlichen Erfahrungen mit der Freiheit schnell zu Ende“454. Der grundrechtliche Schutz eines Verhaltens ist daher von dessen Bewertung als rational durch den Staat nicht abhängig. Eine solche Wertung obliegt allein dem Grundrechtsträger455. Daraus folgt allerdings nicht zwangsläufig, daß bei der Feststellung eines Grundrechtseingriffs durch willensbeeinflussende Maßnahmen nicht maßgeblich auf die Sicht eines objektiven Dritten abgestellt werden kann. Vielmehr handelt es sich zunächst ja um zwei unterschiedliche Fragen, nämlich um die bloße Zuordnung eines Verhaltens zum Schutzbereich einerseits und die Voraussetzungen einer Beeinträchtigung desselben unter Mitwirkung des Grundrechtsträgers andererseits. Dies vermag der Blick auf eine mögliche Beeinträchtigung der Aussagefreiheit durch eine Verständigung verdeutlichen. Selbst wenn man einen Grundrechtseingriff im Einzelfall mit der Begründung ablehnt, die Aussage sei objektiv unverVgl. Alexy Grundrechte, S. 198; Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 41 f. Bethge DVBl. 1983, 369 (371). 450 Degen Pressefreiheit, S. 36; Klein Grundrechte, S. 68. 451 Klein Grundrechte, S. 38. 452 Bethge NJW 1982, 2145 (2148). 453 Forsthoff Verfassungsschutz, S. 15; Bethge DVBl. 1983, 369 (371).. 454 C. Schmitt Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 167. 455 Vgl. Gutmann Freiwilligkeit, S. 229: „Es ist vielmehr allein Sache des Grundrechtsträgers, darüber zu entscheiden, welche Interessen er verfolgen und zum Bestimmungsgrund seines Handelns innerhalb der geschützten Freiheitssphäre machen will“; vgl. auch S. 11 f.: Das System Recht müsse das irreduzibel subjektive Element personaler Autonomie anerkennen. 448 449

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nünftig, das Schweigen und der damit verbundene Selbstschutz dem Angeklagten also zuzumuten gewesen, wird nicht bestritten, daß die Ablegung des Geständnisses grundrechtlich geschützt ist. Statt dessen kann der Schutz dieses objektiv unvernünftigen Verhaltens durch die Aussagefreiheit gerade zum Anlaß genommen werden, die Verantwortung für nachteilige Folgen des Freiheitsgebrauchs dem Angeklagten zuzuweisen. Wer die Freiheit besitzt, auch unvernünftig zu handeln, dem obliegt insofern diejenige Eigenverantwortlichkeit, die Selbstbestimmung nach dem oben Gesagten mit sich bringt456. Man kann auch formulieren: Wer schon die (grund-)rechtlich geschützte Freiheit beansprucht, unvernünftig handeln zu dürfen, der muß jedenfalls die damit verbundenen nachteiligen Folgen selbst tragen. Das nachträgliche Begehren des Schutzes der Gemeinschaft könnte ein venire contra factum proprium darstellen. Indes: Hier geht es ja gerade um die staatliche Veranlassung eines Verhaltens, welches, selbst wenn es aus einer objektiven Sicht unvernünftig erscheint, vom Standpunkt des Grundrechtsträgers aus durchaus geboten gewesen sein mag. In dieser Situation bedeutet es kein widersprüchliches Verhalten, wenn der Betroffene Schutz gegenüber den Folgen einer Handlung begehrt, die er nur vornimmt, weil sie ihm angesichts der staatlich geschaffenen Umstände noch als die relativ günstigste erscheint, obwohl sie eigentlich nicht seinen Wünschen entspricht. Wenn sich auch dem Verbot der inhaltlichen Determination des Freiheitsgebrauchs durch den Staat nicht schon zwangsläufig eine Aussage darüber entnehmen läßt, ob die Grundrechte bei psychischen Einflußnahmen des Staates objektiv bestimmbare Verhaltenserwartungen an den Grundrechtsträger stellen, so ist ersteres doch ein Argument gegen eine solche Annahme. Daß die Grundrechtsgewährleistungen auf Beliebigkeit und individuelle Willkür des Grundrechtsträgers abzielen457, spricht dafür, daß Grundrechtsschutz auf der Verfassungsebene von einer inhaltlichen Bewertung einzelner Verhaltensmöglichkeiten bzw. der dahinterstehenden Motive gänzlich unabhängig ist. Eine solche – oftmals notwendige – normative Bewertung soll erst auf einfach-gesetzlicher Ebene erfolgen und ist daher als Freiheitsbeschränkung an den grundrechtlichen Gewährleistungen zu messen. Indem im Rahmen einer Obliegenheit des Grundrechtsträgers einzelne Verhaltensweisen als objektiv irrational verworfen werden, stellt der Staat aber ebenfalls eine Rangfolge von Entscheidungsoptionen her und gibt so bestimmten Motiven des Freiheitsgebrauchs den Vorzug – obwohl diese Wertung ureigenster Inhalt der Selbstbestimmung des Bürgers ist. Den Grundrechten ist daher eine Aussage über Rationalität und Vernünftigkeit des Verhaltens eines Grundrechtsträgers jedenfalls eher fremd458. 456 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 193: unvernünftige Entschließung fällt in die ureigenste Verantwortungssphäre des irrational Entscheidenden. 457 Vgl. Bleckmann Grundrechte, § 15 Rn. 5: Die Grundrechte begründeten eine Freiheit zur Beliebigkeit; Bethge NJW 1982, 2145 (2148); Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 628. 458 Daran ändert auch Art. 16a I GG nichts, vgl. aber W. Roth Faktische Eingriffe, S. 195 f. Im Rahmen dieses Grundrechts wird zwar zur Feststellung, ob der Asylsuchende politisch

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Das Vorhandensein normativer Verhaltenserwartungen, die auf objektiv vernünftiges bzw. objektiv zumutbares Handeln bei psychischen Einwirkungen des Staates bezogen sind, könnte daher nur auf eines gestützt werden: Der Grund für den Schutz des Bürgers gegenüber staatlichen Einwirkungen, die zur objektiven Unzumutbarkeit des Selbstschutzes führen, dürfte auf den Fall der subjektiven Unzumutbarkeit des Anders-Handelns nicht zutreffen. (b) Freiheit als Grundlage subjektiv-vernünftigen Verhaltens Das entscheidende Argument für den Grundrechtsschutz gegenüber psychischen Einwirkungen sind die Grenzen des aus der Eigenverantwortlichkeit folgenden Gebotes des Selbstschutzes. Die Vernunftbegabung des Menschen werde ernst genommen, wenn die Veranlassung vernünftiger „Selbstschädigungen“ als Freiheitsbeeinträchtigung in die Verantwortung des Staates fiele459. Derartige Entscheidungen des Betroffenen seien zwangsmäßige Auswirkungen der staatlichen Einwirkung460. Dabei wird davon ausgegangen, daß Rationalität bzw. Vernünftigkeit einer „Selbstschädigung“ die Zumutbarkeit des Anders-Handelns für einen vernunftbegabten Menschen ausschließen, dieser sich also in einer solchen Situation nicht mehr selbst schützen kann. Diese Argumentation bedingt aber nicht eine objektive Bestimmung des rationalen und damit unzumutbaren Verhaltens. Denn rationales Handeln ist zunächst nichts anderes als die optimale Verwirklichung der eigenen Präferenzen in einer Entscheidungssituation461. Was das jeverfolgt wird, auf die „begründete Furcht“ vor solcher Verfolgung und damit auf die verständige Würdigung aller Umstände abgestellt, BVerwGE 67, 184 (186); 89, 162 (169 f.); DVBl. 1994, 524 f. Mit dem Merkmal der politschen Verfolgung wird aber objektiv ein bestimmter Zweck des Grundrechtsschutzes normiert, der im Einzelfall erfüllt sein muß, um sich auf Art. 16a GG berufen zu können. Ob es angesichts der Situation des Betroffenen vernünftig wäre, sein Heimatland zu verlassen, um in der Bundesrepublik zu leben, ist irrelevant. Vielmehr wird der Grundrechtsschutz davon abhängig gemacht, daß dem Asylsuchenden aus einer objektiven Sicht eine bestimmte Gefahr droht und er sich dies nicht nur einbildet oder aus anderen Gründen in Deutschland Aufenthalt nehmen will. Nur bei Vorliegen politischer Verfolgung eröffnet sich dem Betroffenen überhaupt der Schutz des Art. 16a I GG mit den dort gewährleisteten Freiheiten (Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik). Es geht also gar nicht darum, daß hinsichtlich vorhandener Freiheiten eines Grundrechtsträgers der Grundrechtsschutz von einer positiven Bewertung des Gebrauchs abhängig gemacht wird. Nur dies stünde im Widerspruch zur Funktion der Grundrechtsfreiheiten, die auf die Verwirklichung von Selbstbestimmung bezogen sind. Hingegen gebietet der Gedanke der Selbstbestimmung nicht, allen Menschen das Recht einzuräumen, nach eigenen Maßstäben über die Begründung eines Aufenthaltes in der Bundesrepublik zu entscheiden. Eine Vergleichbarkeit des Merkmals der politschen Verfolgung mit der hier interessierenden Frage ist also nicht gegeben, da die Freiheitsrechte grundsätzlich neben ihrem Bezug zur Menschenwürde und Selbstbestimmung selbstzweckhaft sind, Art. 16a I GG die Ausübung der dort gewährleisteten Freiheiten aber unter einen ganz bestimmten Zweck stellt. 459 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 193. 460 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 191.

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weilige Optimum ist, hängt aber gerade von einer stark subjektiv geprägten Wertung ab, die aufgrund der verschiedenen Präferenzen der Individuen sehr unterschiedlich ausfallen kann, ohne daß bestimmte Entscheidungen zwangsläufig als irrational abgetan werden müßten462. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, daß oftmals Entscheidungen zwischen Optionen erforderlich sind, die objektiv kaum miteinander verglichen werden können, so daß dabei ein „irreduzibel subjektiv-voluntatives Moment“463 von großer Bedeutung ist. So lassen sich z. B. die Aussagefreiheit und das Interesse an einer möglichst geringen Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit nicht abstrakt in eine bestimmte Rangfolge bringen. Auch im jeweiligen Einzelfall wird man unter Berücksichtigung der konkreten Situation etwa dem geständigen Angeklagten kaum einmal vorwerfen können, er habe subjektiv unvernünftig gehandelt. Ein Beispiel: Während ein Angeklagter sich die auch noch so geringe Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs um jeden Preis erhalten will und daher kein Geständnis ablegt, macht ein anderer Angeklagter trotz realistischer Aussicht auf einen Freispruch eine selbstbelastende Aussage, um auf jeden Fall zu verhindern, daß eine nicht mehr aussetzungsfähige Freiheitsstrafe verhängt wird. In beiden Fällen kann man aus der subjektiven Sicht der Angeklagten nicht von einer irrationalen Entscheidung sprechen. Vielmehr indiziert die Entscheidung eines Individuums bereits in aller Regel dessen jeweilige Präferenzen464. Daran ändert sich auch angesichts der Tatsache nichts, daß man durchaus einen objektiv-durchschnittlichen Standpunkt für die jeweilige Situation festlegen könnte, der u. U. von den subjektiven Interessen abweicht. Die Frage ist nur, ob es normativ geboten erscheint, die subjektive Präferenzstruktur zu übergehen und an deren Stelle eine Durchschnittsbeurteilung zu setzen. Die angeführten Gründe sprechen aber gerade nicht für die Maßgeblickeit einer solchen objektiven Sicht. Wenn man den Menschen in seiner Vernunftbegabung tatsächlich ernstnehmen will (und das tun die Grundrechte zweifellos), muß bei der Frage, ob ihm ein Anders-Handeln zumutbar war, seine subjektiv-vernünftige Sicht ausschlaggebend sein. „Nur die vernünftigen Entscheidungen in einer vom Staat geschaffenen Situation sind als zwangsmäßige Auswirkungen der betreffenden Einwirkung anzusehen . . .“465, so daß der Staat die Verantwortung für die dadurch entstehenden Folgen trägt. Akzeptiert man diese Prämisse, spricht das bisher Gesagte nun aber dafür, eine solche Zwangswirkung bereits anzunehmen, wenn der Grundrechtsträger subjektiv nicht anders handeln „konnte“, weil er sich damit Vgl. Gutmann Freiwilligkeit, S. 14. So auch W. Roth Faktische Eingriffe, S. 192; vgl. auch Amelung Einwilligung, S. 109: Der Grundrechtsträger wisse am besten, welche Einbuße ihn am wenigsten trifft. 463 Gutmann Freiwilligkeit, S. 22 zur sog. Inkommensurabilitätsproblematik. 464 Es sei denn, es handelt sich um eine spontane und unüberlegte Entscheidung oder dem Grundrechtsträger fehlen für seine Entscheidung relevante Informationen (wobei sich dann die Frage nach der Verantwortlichkeit für diesen Irrtum stellt, siehe dazu unten II. 1. e). 465 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 191. 461 462

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aus seiner Sicht in noch stärkerem Maße geschädigt bzw. weniger Vorteile erlangt hätte. Eine solche, im Widerspruch zu den eigenen Interessen stehende Entscheidung wäre für das von den Grundrechten vorgesehene eigenverantwortliche Individuum unzumutbar. Die Eigenverantwortlichkeit, die ihm in den Grundrechten garantiert wird, befähigt den Grundrechtsträger nämlich zu einem selbstbestimmten Leben nach eigenen Maßstäben im Sinne subjektiver Rationalität. Die Anerkennung dieser Eigenverantwortlichkeit und der von ihr vorausgesetzten Vernunftbegabung des Menschen bedeutet daher Anlegung eines subjektiven Maßstabes, wenn es um die Frage der Vernünftigkeit einer Entscheidung geht. Rationalität und Vernünftigkeit im Sinne der Grundrechte können also nur anhand der subjektiven Präferenzstruktur des jeweiligen Grundrechtsträgers bestimmt werden. Daher müssen dessen subjektive Wertung und Abwägung der – subjektiv – entscheidungserheblichen Umstände bei dieser Bestimmung maßgeblich sein466. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Amelung im Zusammenhang mit der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund im materiellen Strafrecht467. Aus der rechtlich garantierten Selbstbestimmung folge die Befugnis, anhand des eigenen Wertsystems zu entscheiden, was gut ist. Muß die Vernünftigkeit einer Einwilligung geprüft werden, gehe es daher um eine subjektive Rationalität. Der Maßstab des vernünftigen Dritten führe zur Beseitigung der Autonomie. Ein objektiver Zumutbarkeitsmaßstab zur Bestimmung des Eingriffscharakters psychischer Einwirkungen des Staates läßt sich folglich nach allem nicht mit der Funktion der Grundrechte begründen. (c) Bedeutung des öffentlichen Interesses Für eine Differenzierung zwischen Situationen, in denen der Staat eine objektiv vernünftige „Selbstschädigung“ verursacht und Fällen bloß subjektiv, aus der Sicht des Grundrechtsträgers vorhandener Rationalität ließen sich allerdings öffentliche Interessen anführen, die einem Schutz des betroffenen Bürgers entgegenstehen. So könnte man argumentieren, der Staat werde in seiner Tätigkeit zu weit eingeschränkt, wenn er bei seinen Maßnahmen auch noch berücksichtigen müßte, daß einzelne aufgrund von der Durchschnittsbetrachtung abweichenden Präferenzstrukturen zu „Selbstschädigungen“ veranlaßt werden könnten, die der objektive, besonnene Bürger nicht vornehmen würde468. Insofern könnte man diese Differen466 Damit wird aber nicht behauptet, daß staatlichen Maßnahmen stets Eingriffscharakter zukommt, wenn sie den Grundrechtsträger in eine Situation bringen, in der eine Selbstschädigung subjektiv vernünftig ist. Denn zur Selbstbestimmung zählt ja gerade die Befähigung zu einem solchen rationalen Verhalten. Daher ist auf dieser Grundlage noch keine Abgrenzung zwischen der Ausübung und der Verkürzung grundrechtlicher Freiheit möglich, vgl. dazu nachstehend unter II. 1. d) cc) (4). 467 Amelung ZStW 104 (1992), 525 (546 f.).

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zierung als einen sachgerechten Ausgleich ansehen, der einerseits das Interesse des Bürgers berücksichtigt, nicht in eine Situation gebracht zu werden, in der eine Selbstschädigung die beste Lösung für ihn darstellt, andererseits aber auch das öffentliche Interesse miteinbezieht, die staatliche Tätigkeit nicht durch umfassende Rechtfertigungszwänge zu behindern. Die Folge wäre eine Abgrenzung zwischen Selbstverantwortung und Schutzbedürfnis, die auf der Angemessenheit der Verantwortungsverteilung angesichts divergierender Interessen basiert469. Anders als bei vergleichbaren Verantwortlichkeitsabgrenzungen in anderen Rechtsgebieten ist bei den Grundrechten aber zu berücksichtigen, daß hier der fragliche Interessenausgleich in den maßgeblichen Normen bis zu einem bestimmten Grad schon stattgefunden hat. Die Grundrechtsnormen sehen vor, daß Maßnahmen des Staates stets rechtfertigungsbedürftig sind, wenn sie grundrechtliche Freiheiten verkürzen. Dann greift der Gesetzesvorbehalt ein und ist das staatliche Handeln insbesondere an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Nur außerhalb dieses Bereiches wird das öffentliche Interesse an möglichst ungehinderter staatlicher Tätigkeit zur Verfolgung öffentlicher Zwecke von der Verfassung anerkannt. Bei Vorliegen einer Grundrechtsbeeinträchtigung können sich die öffentlichen Interessen, die hinter der jeweiligen Maßnahme stehen, hingegen nur im Rahmen der verfassungsrechtlich vorgesehenen Rechtfertigungsprüfung gegenüber dem Freiheitsinteresse des Bürgers durchsetzen. Auf der Ebene des Eingriffes in einen grundrechtlichen Schutzbereich hat das Grundgesetz sich für den generellen Vorrang des Interesses des Grundrechtsträgers entschieden. Entgegenstehende Interessen finden insofern allenfalls in ausdrücklichen Begrenzungen der Grundrechte470 oder in der einschränkenden Auslegung von Grundrechtsnormen, etwa im Hinblick auf deren Funktion, Ausdruck. Dieser Entscheidung widerspräche es, würde schon die Reichweite des Schutzbereiches oder des Eingriffsbegriffs unter Abwägung mit öffentlichen Interessen erfolgen. Diese Abwägung muß den Anforderungen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen entsprechen. Aus diesem Grund kann nicht unter Berufung auf das öffentliche Interesse mit dem Maßstab des objektiven Durchschnittsbürgers ein Kriterium eingeführt werden, das bereits den Grundrechtseingriff begrenzt, obwohl es sich nach den obigen 468 Vgl. W. Roth Faktische Eingriffe, S. 192: „. . . es müßte zu einer vollständigen Paralyse des Staates führen, sähe man auch die Veranlassung einer unvernünftigen Entscheidung als abwehrrechtlich relevant an“; vgl. auch Ibler FS Maurer, S. 145 (152) im Hinblick auf die Erweiterung des Eingriffsbegriffs: „Andererseits darf das Funktionieren des Staates nicht durch ein Zuviel an Abwehrwaffen der Bürger blockiert werden“. 469 Vgl. Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 164 und 167 zur Verantwortungsverteilung bei Selbstschädigungen im materiellen Strafrecht. 470 Solche Begrenzungen finden sich etwa in Art. 8 I GG mit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf friedliche Versammlungen ohne Waffen oder in Art. 16a II 1 GG mit der Beschränkung des Asylrechts auf politisch Verfolgte, die nicht aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften einreisen.

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Ausführungen mit der Funktion der Grundrechte nicht begründen läßt. Vielmehr ist das öffentliche Interesse, eine staatliche Maßnahme trotz der Möglichkeit vorzunehmen, daß Bürger dadurch zu subjektiv-rationalen Selbstschädigungen veranlaßt werden könnten, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zur Geltung zu bringen (vorausgesetzt, die Maßnahme stellt tatsächlich einen Eingriff dar, dazu nachstehend unter dd))471. (4) Zwischenergebnis: Weder objektive noch subjektive Unzumutbarkeit als Beeinträchtigungskriterium Im Bereich der Grundrechte kann die Verantwortung desjenigen, der sich durch eine staatlich verursachte Entscheidung selbst beeinträchtigt472, also nicht mit Hilfe eines Vergleiches mit dem Verhalten eines fiktiven Durchschnittsbürgers in dieser Situation bestimmt werden. Eine normative Erwartung des aus objektiver Sicht zumutbaren Verhaltens läßt sich den Grundrechten nicht entnehmen. Nun folgt aus der Ablehnung des Maßstabes der objektiven Rationalität bzw. Unzumutbarkeit aber nicht, daß bei ansonsten gleichen Voraussetzungen auf die subjektiv-individuelle Sicht des Grundrechtsträgers zurückgegriffen werden kann, um die Eingriffswertigkeit psychischer Einflußnahmen des Staates zu bestimmen. Auf dieser Grundlage käme man zur Bejahung eines Eingriffes, wenn der Staat eine Situation schafft, in der das Anders-Handeln dem Grundrechtsträger subjektiv nicht zuzumuten ist bzw. die Selbstschädigung nach seinen individuellen Maßstäben eine rationale, da die relativ günstigste, Entscheidung für ihn ist. Einer solchen Auffassung könnte allerdings nicht entgegengehalten werden, eine Beeinträchtigung werde allein davon abhängig gemacht, daß sich der Grundrechtsträger beeinträchtigt fühle473. Die grundrechtlich gewährleistete Selbstbestimmung gibt dem Bürger die Möglichkeit, die entscheidungserheblichen Umstände allein 471 Eine solche Rechtfertigung der Veranlassung objektiv unvernünftiger Entscheidungen ist auch nicht von vornherein ausgeschlossen; vgl. aber W. Roth Faktische Eingriffe, S. 192 f., der diese unvernünftigen Beeinträchtigung für unnötig und vermeidbar und daher nicht rechtfertigungsfähig hält. Der nach subjektiven Maßstäben vernünftig handelnde Bürger hat ein berechtigtes Interesse nicht in eine solche Entscheidungssituation gebracht zu werden. Wenn die Schaffung der Situation aber in einem überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, dann ist ein solches staatliches Vorgehen notwendig und in diesem Sinne gerade nicht zu vermeiden. 472 Dabei ist die „Beeinträchtigung“ hier in dem Sinne zu verstehen, daß dieses Verhalten Folge der staatlichen Einwirkung auf die Umstände ist, nicht aber dem eigentlichen Wunsch des Grundrechtsträgers entspricht. Ist dieser nämlich für sein Verhalten selbst verantwortlich fehlt es an einer Grundrechtsbeeinträchtigung, die Voraussetzung eines Abwehranspruches ist, da dann von einer Grundrechtsfreiheit Gebrauch gemacht wird, vgl. oben 3. Teil VI. 1. c) aa) (2) (a) (aa). 473 Vgl. zu der entsprechenden Begründung der Ablehnung eines rein subjektiven Maßstabes im Rahmen des Nötigungstatbestandes Maurach / Schroeder / Maiwald BT 1, § 13 Rn. 26.

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nach subjektiven Maßstäben zu gewichten und damit etwa seine divergierenden Interessen in eine ganz andere Reihenfolge zu bringen als andere Grundrechtsträger. Wenn Selbstbestimmung im Sinne der Grundrechte sich durch eine solche individuelle Beliebigkeit auszeichnet, dann ist es grundsätzlich denkbar, ihre Beeinträchtigung durch Einwirkung auf die Willensbildung des Grundrechtsträgers von dessen jeweiliger Präferenzstruktur abhängig zu machen. Bei Personen, deren Selbstbestimmung sich konkret in völlig unterschiedlicher Weise darstellt, kann dieselbe psychische Einflußnahme verschiedenste Auswirkungen haben. Daher ist diese Einwirkung aber nicht bloß als das Gefühl einer Beeinträchtigung anzusehen, sondern als objektiv-tatsächliche Beeinträchtigung von Personen, die bestimmte individuelle Merkmale aufweisen. Auch die mit einer Feststellung der subjektiven Sicht des Grundrechtsträgers verbundenen Schwierigkeiten sind kein Grund, diesen Maßstab als solchen abzulehnen. Insbesondere setzen die Grundrechte die Vernunftbegabung ihrer Träger im Grundsatz voraus, so daß bei fehlenden Anhaltspunkten für Gegenteiliges durch die Entscheidung eines Betroffenen deren Rationalität – gemessen an den individuellen Maßstäben – indiziert wird. Unbrauchbar ist der Maßstab des subjektiv zumutbaren Handelns vorliegend aber, weil er keine hinreichende Abgrenzung zwischen staatlicher Verkürzung der Freiheit und der Ausübung der Freiheit durch den Grundrechtsträger ermöglicht. Die Entscheidung darüber, welches Verhalten in einer Situation die eigenen Interessen am besten zur Geltung zu bringen vermag, ist ja gerade Inhalt grundrechtlicher Selbstbestimmung. Wenn ein Bürger also ein Interesse zur Verwirklichung eines aus seiner Sicht höherwertigen Interesses „aufopfert“, so ist dies noch nicht einmal ein Indiz für die Fremdbestimmung seiner Entscheidung474. Nun wird zwar vorausgesetzt, daß dieses Verhalten aus einer staatlich geschaffenen Situation resultiert. Damit geht jedoch der Bezug zu der staatlichen Maßnahme über das Kausalitätserfordernis im Sinne der Äquivalenztheorie noch nicht hinaus. Die bloße Beeinflussung der maßgeblichen Entscheidungsfaktoren ist noch keine Beeinträchtigung der Freiheit, diese Umstände abwägend zu gewichten. Diese Abwägung führt oftmals zu einer Entscheidung, die aus der Sicht des Grundrechtsträgers die relativ günstigste und damit einzig vernünftige ist. Dies ist grundsätzlich aber Ausdruck seiner Selbstbestimmung, da diese nicht voraussetzt und auch nicht voraussetzen kann, daß der Bürger als ein in einer Gesellschaft lebendes Individuum frei von jeglichen – und sei es staatlichen – Einflüssen bleibt475. Daß der Staat Umstände schafft, die den Bürger zu einem – ohne diese Umstände nicht gewünschten – Verhalten motivieren, ist für sich genommen also kein Grund, die Eigenverantwortlichkeit des Bürgers in Frage zu stellen. Dies trifft übrigens auch auf die vorstehend im Text abgelehnte Feststellung eines Grundrechtseingriffs anhand der objektiven Unzumutbarkeit des Anders-Handelns zu, womit sich dieser Maßstab auch als zu weit erweist476. 474 475

Vgl. bereits oben II. 1. a). Vgl. bereits oben II. 1. a).

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dd) Alternativität grundrechtlich gewährleisteter Rechtspositionen Entscheidend kann also nicht sein, daß die staatliche Schaffung einer bestimmten Entscheidungssituation dazu führt, daß sich eine bestimmte Verhaltensoption – subjektiv oder objektiv – als die relativ günstigste für den Grundrechtsträger und die Entscheidung folglich als rational erweist. Nicht die Intensität der staatlichen Einflußnahme und das daraus resultierende Verhältnis der abzuwägenden Umstände sind die maßgeblichen Kriterien. Der Blick wird vielmehr von diesem Verhältnis auf die Art der entscheidungserheblichen Umstände gelenkt, die durch die staatliche Einflußnahme eine Veränderung erfahren bzw. durch sie geschaffen werden. Die Qualität dieser Umstände könnte dazu dienen, eine Einwirkung als Grundrechtseingriff einzustufen, der die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen ausschließt – oder doch jedenfalls einschränkt – und sie so von den bloßen Beeinflussungen, welche die grundrechtliche Freiheit nicht verkürzen, abzugrenzen. (1) Vorhandene Ansätze Ein Anknüpfungspunkt für die genauere Bestimmung läßt sich verschiedenen Äußerungen im Zusammenhang mit motivationsbestimmenden Maßnahmen entnehmen. Grob kann dieser Aspekt zunächst dahingehend zusammengefaßt werden, daß der Betroffene nicht in Ausübung seiner Freiheit handelt, wenn er durch eine staatliche Maßnahme vor die Wahl zwischen zwei Übeln gestellt wird. Die Einwirkung begründet in diesen Fällen also ein Argument für ein bestimmtes Verhalten, da durch dieses Verhalten ein anderweitiger Nachteil abgewendet werden kann. So handele derjenige nicht freiwillig, dessen Alternative nur in diesem Verhalten oder dem Verzicht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte bzw. des Berufs bestand477. Dem von einem rechtlichen Gebot ausgehenden Zwang sei es vergleichbar, wenn der Staat Unternehmen vor die Wahl stelle, sich entweder einer Gesellschaft anzuschließen oder aber auf existenznotwendige Subventionen zu verzichten, so daß auch eine solche faktische Einwirkung an der Gewährleistung des Art. 9 I GG zu messen sei478. Auf Arbeit und Beruf bezogene Bewährungsweisungen 476 Es kann seine von der Eigenverantwortlichkeit vorausgesetzte Vernunftbegabung sein, die den Grundrechtsträger zu der objektiv-rationalen Entscheidung veranlaßt. Diese Vernunftbegabung ermöglicht überhaupt erst, daß der Betroffene die für ihn angesichts der vorhandenen Umstände günstigste Option erkennt und sich dementsprechend verhält. Warum eine kausale Einwirkung auf das rationale Entscheiden des Grundrechtsträgers eine Fremdbestimmung zur Folge haben soll, läßt sich also nicht allein mit der objektiven Vernünftigkeit von dessen Reaktion begründen, da darin gerade die gewährleistete Selbstbestimmung zum Ausdruck kommen kann. 477 Schick ZBR 1963, 67 (69); Sturm FS Geiger, S. 173 (179 f.). 478 Papier FS Juristische Gesellschaft, S. 529 (546 f.).

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würden von dem Verurteilten nicht freiwilig akzeptiert, da bei Nichterfüllung der Weisung mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gerechnet werden muß479. Die Erhebung personenbezogener Daten erfolge nicht nur bei Vorhandensein einer Auskunftspflicht unter „Zwang“, sondern auch wenn der Bürger persönliche Daten angeben muß, um eine Tätigkeit ausüben zu dürfen, die einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterfällt480. In der Rechtsprechung des BVerfG findet sich die Begründung des Eingriffscharakters einer Maßnahme mit der Wahl zwischen zwei Freiheiten, vor die der Bürger von einer Behörde gestellt wird. So greife die auf § 46 III i. V. m. § 11 III FeV gestützte Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein, wenn für den Fall der Weigerung die Entziehung der Fahrerlaubnis angekündigt wird481. Auch die Eingriffsqualität von Selbstverpflichtungen der Wirtschaft wird z. T. auf diese Weise begründet. Die Unternehmen oder Verbände gingen die Absprachen mit dem Staat zur Abwendung hoheitlicher Regelungen ein, welche wiederum einen Grundrechtseingriff zur Folge hätten. Diese Wahl zwischen ordnungsrechtlichem Zwang und „freiwilligen“ Sich-Fügen sei in Wahrheit keine Alternative482. Im Strafprozeßrecht wurde die Freiwilligkeit des Beschuldigtenverhaltens aufgrund eines Zwangs zur Wahl zwischen zwei Übeln insbesondere im Zusammenhang mit der Erfüllung von Auflagen und Weisungen i. S. d. § 153a StPO problematisiert. Die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten in Form der Zustimmung zu der Einstellung und Erteilung von Auflagen oder Weisungen ist wesentliche Voraussetzung dieser Art der Verfahrenserledigung483. Jedoch wurde schon früh geltend gemacht, die Zwangslage des Beschuldigten stehe einer Charakterisierung der Zustimmung als freiwillig entgegen484. Der Beschuldigte unterwerfe sich allein deshalb, weil ansonsten das Strafverfahren mit ungewissem Ausgang durchgeführt wird485. Es handele sich angesichts des geringen Entscheidungsspielraums lediglich um eine reduzierte Freiwilligkeit, die für sich genommen die Erteilung der Zöbeley FS Faller, S. 345 (346 und 349). Wilde BayVBl. 1986, 230 (232). 481 BVerfGE 89, 69 (84) zu der früheren Regelung des § 15b II StVZO: Daran ändere sich nichts dadurch, daß es dem Betroffenen freisteht, ob er der Anordnung folgt oder nicht. 482 Helberg Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 194; Köpp Normvermeidende Absprachen, S. 216 f.; vgl. auch Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 358 f.; Schulte Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 102. 483 Fezer ZStW 106 (1994), 1 (33). 484 Dencker JZ 1973, 144 (149 f.) 485 Schmidhäuser JZ 1973, 529 (534); Kunz Bagatellprinzip, S. 61; Grünwald StV 1987, 453 (455); Nelles in: Däubler-Gmelin / Mohr Recht schafft Zukunft, S. 226 (231): Angesichts der Wahl zwischen zwei Übeln handele es sich um ein „eher unfreiwilliges Einverständnis“. 479 480

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Auflagen und Weisungen nicht rechtfertigen könne486. Freiwilliges Handeln, das eine gesetzliche Eingriffsgrundlage für Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane entbehrlich macht, wird etwa auch dann abgelehnt, wenn der Betroffene Ermittlungsmaßnahmen zustimmt, um auf diese Weise zu verhindern, daß er sich dem Verdacht einer Straftat aussetzt487. Insofern wird etwa die aktive Mitwirkung bei dem Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten genannt488, insbesondere aber die von der Polizei veranlaßten sogenannten freiwilligen Massengentests489. Auch im Zusammenhang mit strafprozessualen Verständigungen klingt das Kriterium der Auswahl zwischen zwei Übeln an. So wird die Aussagefreiheit teilweise als faktisch beeinträchtigt angesehen, soweit dem Geständnis eine strafmildernde Bedeutung zukommt, weil mit dem Unterbleiben der Strafmilderung bei „nicht kooperativem“ Verteidigungsverhalten die Möglichkeit einer relativen strafrechtlichen Belastung vorhanden sei490. Mitwirkungslasten außerhalb des Strafverfahrens, die keine vollstreckbaren Pflichten, sondern Obliegenheiten sind, werden als Zwang zur Selbstbelastung eingestuft, sofern der Betroffene ihnen nachkommen muß, um staatliche Leistungen zu erhalten, auf die er einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat491. Im Zusammenhang mit der Zustimmung des Beschuldigten zu einer Verfahrenserledigung ohne Schuldspruch ist das Argument, der Beschuldigte könne sich nicht frei entscheiden, weil er anderenfalls die vollständige Durchführung des Strafverfahrens zu befürchten habe, allerdings kritisiert worden. Es handele sich dabei um einen rein psychologischen Begriff der Freiheit492. Ein solcher „Zwang“ sei bei einer Entscheidung kaum vermeidbar. Hinsichtlich des Schutzes der Willensentschließungsfreiheit im Strafverfahren ergebe sich die Unbrauchbarkeit einer psychologischen Begriffsbildung schon daraus, daß das Prozeßverhalten des Beschuldigten stets unter dem Druck einer drohenden Verurteilung erfolge und daher im psychologischen Sinne „unfrei“ sei. Eine rechtlich relevante Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit setze daher voraus, daß auf den Beschuldigten unzulässiger Druck ausgeübt werde, der sich nicht unvermeidlich aus der Verfahrensstellung des Beschuldigten und der konkreten Verfahrenssituation ergibt493. 486 Britz / Jung FS Meyer-Goßner, S. 307 (315); Weigend in: Jung Alternativen zur Strafjustiz, S. 149 (151 f.). 487 Amelung Einwilligung, S. 90. 488 Radtke FS Meyer-Goßner, S. 321 (345 f.). 489 Graalmann-Scheerer NStZ 2004, 297 (298); Jung MschrKrim 1989, 103 (105); Fahl Rechtsmißbrauch, S. 208. 490 Dencker ZStW 102 (1990), 51 (61) zum Geständnis als Nachttatverhalten i. S. d. § 46 II StGB, wenn dieses Opferinteressen dienlich ist. Aufgelöst werden müsse dann die Kollision dieser Opferinteressen mit der Beeinträchtigung der prozessualen Freiheit des Beschuldigten, die auf der Strafmilderungsmöglichkeit beruhe. 491 Wolff Selbstbelastung, S. 132 f. 492 Weßlau Konsensprinzip, S. 232; vgl. auch Lüderssen StV 1990, 415 (419). 493 Weßlau Konsensprinzip, S. 235; dies. KJ 1993, 461 (465 f.).

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

Tatsächlich kann es nicht von vornherein normativ beachtlich sein, wenn der Beschuldigte etwa bei der Zustimmung zu einer Einstellung gemäß § 153a StPO sich in einer „subjektiven Drucksituation“ befindet und „nach seinem subjektiven Erleben“ die Auflagen oder Weisungen nicht freiwillig erbringt494. Die grundsätzlich fehlende rechtliche Relevanz der – möglicherweise intensiven – psychologischen Beeinflussung durch die Umwelt wurde schon oben angesprochen495. Es fragt sich aber, ob der Gesichtspunkt der Auswahl zwischen zwei Übeln bei der Feststellung des Eingriffscharakters einer Maßnahme nicht auch unter normativen Erwägungen Bedeutung erlangt. So könnte nämlich – wenn die verschiedenen „Übel“ inhaltlich genauer beschrieben werden – eine bestimmte Art der entscheidungserheblichen Umstände, die durch die staatliche Einwirkung geschaffen werden, das entscheidende Abgrenzungskriterium bilden. (2) Abgrenzung zu den bedingten Verhaltensgeboten und -verboten Zu beachten ist zunächst aber, daß eine staatlich geschaffene Situation der „Nachteilsalternativität“496 auch im Zusammenhang mit imperativen Beeinträchtigungen des Grundrechtsträgers denkbar ist und dann ohne weiteres ein – „klassischer“ – Grundrechtseingriff vorliegt. Dies ist immer dann gegeben, wenn die Rechtspflicht zu einer bestimmten Handlung an die Bedingung geknüpft wird, daß der Grundrechtsträger ein bestimmtes, ihm frei stehendes Verhalten an den Tag legt. In diesen Fällen wird sowohl in die Freiheit zur Vornahme dieses vom Betroffenen gewünschten Verhaltens als auch in die Freiheit zur Unterlassung der abgeforderten Handlung eingegriffen497. Ein Beispiel bildet die Rechtspflicht zur Leistung eines Eides, die einem zum Kreisrat Gewählten auferlegt wird498. Will der Gewählte von seinem Recht auf Ausübung des Mandats Gebrauch machen, muß er diesem Handlungsgebot nachkommen. Es handelt sich daher um einen Eingriff in Art. 33 III 1 und Art. 4 I GG, wenn der Gewählte die Eidesleistung mit seiner religiösen Überzeugung nicht vereinbaren kann. Dieser imperativen Beeinträchtigung steht nicht entgegen, daß der Betroffene der Rechtspflicht durch Inkaufnahme des Mandatsverlusts ausweichen könnte499. Auch hier hat der Grundrechtsträger die Wahl zwischen zwei Übeln, weil der Eintritt der Bedingung von seiner Entscheidung abhängt. Die Tatsache der Eingriffsveranlassung der abgeforderten Handlung ergibt sich aber eben schon aus der Pflicht zu diesem Verhalten, wenn die Bedingung eintritt. 494 495 496 497 498 499

Vgl. Kunz Bagatellprinzip, S. 61; Schmidhäuser JZ 1973, 529 (534). Siehe II. 1. d) aa). Koch Grundrechtsschutz, S. 116. Koch Grundrechtsschutz, S. 116. BVerfGE 79, 69 ff. BVerfGE 79, 69 (76).

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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Vorliegend handelt es sich hingegen nicht um bedingte Verhaltenspflichten des Angeklagten. In der hier interessierenden Konstellation hat der Bürger vielmehr die Möglichkeit, mit seinem Verhalten eine künftige staatliche Maßnahme, die für ihn nachteilig wäre, zu beeinflussen. Er wird also nicht durch eine Anordnung zu einer bestimmten Handlung bewegt, sondern allein durch das Inaussichtstellen der staatlichen Maßnahme. Im Gegensatz zu den Fällen imperativer Beeinträchtigung muß deshalb die Eingriffsqualität eines solchen staatlichen Vorgehens gesondert begründet werden. (3) Kumulative Gewährleistung grundrechtlicher Positionen Grundrechtliche Freiheit setzt nicht voraus, daß der Grundrechtsträger frei von jeglichen Zwängen ist500. Zur Selbstbestimmung des Bürgers zählt gerade auch die Gewichtung der eigenen, oftmals divergierenden Interessen. Niemand kann alle Wünsche verwirklichen, so daß zwangsläufig einzelne Interessen zugunsten anderer Ziele „aufgeopfert“ werden müssen. Die Aufstellung von Präferenzen, die Auswahl und Verfolgung von Zielen angesichts dieser oft schwierigen Entscheidungssituationen machen die Möglichkeit des einzelnen aus, über sein Leben selbst zu bestimmen. Insofern kann die grundrechtliche Freiheit auch als eine Einheit aufgefaßt werden, als eine umfassende Freiheit, die durch die einzelnen Freiheiten lediglich in verschiedene Richtungen konkretisiert wird501. Ein Grundrechtsträger muß bei der Entscheidung über ein bestimmtes Verhalten immer auch seine anderen Grundrechtsgüter berücksichtigen und die Konsequenzen seiner Entscheidung für diese bedenken, so daß die einzelnen Freiheiten als Ausprägungen der umfassenden Freiheit wechselseitig voneinander abhängig sind502. Die Abhängigkeit der einzelnen Freiheiten voneinander beginnt dort, wo mehrere Freiheitsausübungen faktisch nicht miteinander zu vereinbaren sind, sich also widersprechen. Auch ökonomische Mangelsituationen können einen Zwang zur Auswahl zwischen Grundrechtsgütern begründen. Schließlich muß der Grundrechtsträger stets mit Folgewirkungen für andere Freiheiten rechnen, wenn er sein Leben in einer bestimmten Weise gestaltet. Wer etwa im Rahmen seiner Meinungsfreiheit politische Anschauungen äußert, wird künftig bei seiner Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit entsprechend eingeschränkt sein. Alle diese Auswahlzwänge sind der Selbstbestimmung immanent und berühren daher die grundrechtlich gewährleistete Freiheit nicht. Doch läßt sich der Verfassung eine Begrenzung dieses Bedingungszusammenhangs entnehmen, der zwischen den Freiheiten in einem großen Umfang besteht. Auch wenn die einzelnen Grundrechtsfreiheiten nur verschiedene Richtungen der Siehe oben II. 1. a). W. Roth Faktische Eingriffe, S. 69 und 186; vgl. auch Sachs in: Stern StaatsR III / 1, S. 632 f. 502 W. Roth Faktische Eingriffe, S. 186. 500 501

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

einen Freiheit, über das eigene Sein und Tun bestimmen zu können, darstellen, müssen die einzelnen Grundrechtsgüter im Zusammenhang mit staatlichen Maßnahmen als isolierte Gewährleistungen betrachtet werden. Die umfassende Freiheit zeichnet sich dadurch aus, daß die verschiedenen Rechtspositionen nicht alternativ, sondern kumulativ geschützt werden. Die Abwehrrechte richten sich daher nicht allein gegen die Einbuße einzelner Richtungen der Freiheitsausübung aufgrund eines Gebots oder Verbots. Der Grundrechtsträger wird vielmehr gegenüber dem Staat auch dagegen geschützt, einzelne seiner verfassungsrechtlich anerkannten Interessen zur Verwirklichung anderer aufgeben zu müssen503. In diesem Fall reduziert sich nämlich der Umfang verfassungsrechtlicher Positionen im Ergebnis ebenfalls, der Grundrechtsträger kann nur unter mehreren Möglichkeiten die wegfallende Gewährleistung selbst auswählen. Auch wenn aus zahlreichen Gründen tatsächlich nur in begrenzter Weise von den verschiedenen Freiheiten Gebrauch gemacht werden kann, sehen die Verfassungsgewährleistungen aber ebensowenig ein Abhängigkeitsverhältnis der einzelnen Positionen vor wie eine immanente Begrenzung durch staatliches Ge- oder Verbot. So hat der Bürger etwa die durch Art. 2 I GG gewährleistete Befugnis ein Kraftfahrzeug zu führen und das zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht zählende Recht, selbst über die Erhebung von Befunden über seinen gesundheitlichen und seelischen Zustand sowie seinen Charakter zu entscheiden504. Da die Grundrechte eine Alternativität dieser Schutzgegenstände nicht vorsehen, ist jede staatliche Maßnahme, durch die ein solches Verhältnis hergestellt wird – hier die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Vermeidung einer Entziehung der Fahrerlaubnis – als Verkürzung der grundrechtlichen Gewährleistungen ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff505. Dies gilt jedoch nicht nur für die abwehrrechtlichen Schutzgegenstände, sondern auch im Hinblick auf die leistungsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen. Besteht etwa ein grundrechtlicher Teilhabeanspruch auf Förderung der Freiheit durch den Staat und wird dieser durch die Verwaltung von einer bestimmten Ausübung einer anderen Grundrechtsfreiheit abhängig gemacht, so wird das Gesamtmaß an vorhandener Freiheit gegenüber der Gewährleistung auf grundrechtlicher Ebene verringert506. Entsprechendes muß auch für andere verfassungsrechtlich begründete subjektive Rechte des Bürgers gelten, etwa wenn ausnahmsweise aus dem Sozialstaatsprinzip Ansprüche hergeleitet werden. Entscheidend ist aber, daß tatsächlich ein Verhältnis kumulativer Gewährleistung zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Positionen bestehen muß, so 503 Amelung Einwilligung, S. 85: Habe der Bürger die Befugnis zur ungehinderten Ausübung von zwei Rechten, sei es den staatlichen Organen auch verboten, ihn vor die Wahl zu stellen, nur das eine oder das andere Recht zu verwirklichen. 504 Vgl. BVerfGE 89, 69 (82). 505 Vgl. BVerfGE 89, 69 (84). 506 Vgl. Amelung Einwilligung, S. 86 zur Einwilligung in eine Röntgenuntersuchung als Voraussetzung der Immatrikulation.

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daß die Schaffung einer Alternativität grundrechtlich nicht vorgesehen ist. Dies ist jedenfalls für das Verhältnis zwischen den materiellen Positionen zu bejahen. Etwa anderes gilt nur im Hinblick auf formelle Gewährleistungen, soweit diese dem Grundrechtsträger gerade zur Durchsetzung einer materiellen Position eingeräumt werden. So wird der Betroffene etwa nicht dadurch in seiner gemäß Art. 19 IV 1 GG gewährleisteten Freiheit, den Rechtsweg zu beschreiten, beeinträchtigt, weil dies erforderlich ist, um eine Freiheitsverletzung durch eine behördliche Maßnahme zu verhindern. Die Gewährleistung des Art. 19 IV 1 GG dient nämlich gerade diesem Zweck. Der Bedingungszusammenhang zwischen diesem formellen und dem bedrohten materiellen Schutzgut wird also von der Verfassung selbst hergestellt. Entsprechendes gilt aber auch für das formelle Grundrecht des Art. 103 I GG, soweit dessen Gewährleistungsgehalt gerade der Erhaltung und Durchsetzung materieller Schutzgüter dient. Daher läßt sich schon an dieser Stelle festhalten, daß die Strafmaßprognose des Gerichts im Rahmen der Urteilsabsprache nicht in die auch durch Art. 103 I GG gewährleistete Freiheit507 eingreift, sich nicht äußern zu müssen. Zwar wird dadurch ein Alternativitätsverhältnis zwischen einer Aussage und der Vermeidung einer höheren Freiheitsstrafe hergestellt508. Diese Alternativität ist Art. 103 I GG aber immanent, eine entsprechende Freiheit existiert also nicht. Das Recht, aktiv auf das Verfahren Einfluß nehmen zu können, dient nämlich gerade der Durchsetzung materieller Rechte. Wenn nur durch eigene aktive Teilnahme am Verfahren ein materielles Recht verwirklicht werden kann, steht dies also nicht der Gewährleistung des Art. 103 I GG entgegen, sondern entspricht gerade dessen Gewährleistungsgehalt. Entscheidend ist dafür vorliegend allerdings, daß das Geständnis nicht unmittelbar, sondern nur über die „doppelspurige Indizkonstruktion“ strafmildernd wirkt509. Die Strafmilderung erfolgt deshalb nämlich nicht aufgrund des Geständnisses, maßgeblich sind vielmehr Reue und Einsicht, die dem Geständnis als Motive zugrunde liegen. Mit dem Geständnis werden also die Gründe für die mildere Strafe – die eine größere Verwirklichung der davon betroffenen materiellen Freiheitsrechte zur Folge hat – nur zum Ausdruck gebracht. Das Geständnis ist allein die Voraussetzung dafür, daß das Gericht Reue und Einsicht feststellen kann. Damit unterscheidet sich die Situation nicht von dem Fall, daß der Angeklagte allein noch durch seine Einlassung eine Bestrafung verhindern kann, weil er als einziger weiß, daß deren Voraussetzungen nicht gegeben sind510. Ein Beispiel: Ein schweigender Angeklagter steht vor einer Verurteilung wegen Totschlags, obwohl er das Opfer tatsächlich in Notwehr getötet hat. Daß der Angeklagte mitunter von seinem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch machen muß, um dem Gericht zur Kenntnis zu bringen, daß er nicht oder 507 508 509 510

Siehe 3. Teil VI. 1. c) bb) (1). Dazu genauer unten ee). Siehe I. 1. a) aa) (1). Vgl. Schurig Belehrung und Beratung, S. 89 f.

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

milder zu bestrafen ist, wird von dem Sinn und Zweck dieses Prozeßgrundrechts erfaßt. Die gewährleistete Freiheit kann also dadurch nicht verkürzt werden, da die Alternativität grundrechtlich vorgesehen ist. Hier kann schon vorausgeschickt werden, daß es sich bei dem informationellen Selbstbestimmungsrecht anders darstellt. Dieses Grundrecht schützt teilweise dasselbe Verhalten wie Art. 103 I GG – die Preisgabe von Informationen – gewährleistet jedoch nicht dessen rechtliche Bedeutung im Prozeß, da nur das rechtliche Gehör eine Berücksichtigungspflicht normiert511. Das materielle Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung steht daher nicht von Verfassungs wegen im Verhältnis der Alternativität zu anderen materiellen Gütern, die durch eine Entscheidung beeinträchtigt werden könnten. Dem daraus resultierenden Schutz steht auch nicht etwa eine Spezialität des Art. 103 I GG entgegen512. Durch das zusätzlich vom formellen Grundrecht gewährleistete rechtliche Können wird der Schutz durch das materielle Grundrecht nicht gemindert. Anders müßte die Beurteilung aber auch für das rechtliche Gehör ausfallen, wenn der Gesetzgeber das Geständnis als einen eigenständigen Strafmilderungsgrund anerkennen würde. Denn nach Art. 103 I GG muß der Betroffene allein aktiv am Verfahren teilnehmen, soweit er auf die Feststellung der Voraussetzungen einer Beeinträchtigung seiner materiellen Rechte Einfluß nehmen will. Hingegen ist in dieser Norm nicht vorgesehen, daß der bestimmte (Nicht-)Gebrauch eines Verfahrensrechts für sich genommen zum (Nicht-)Erhalt des betroffenen materiellen Grundrechts führt. Eine solche Alternativität grundrechtlicher Interessen ist auch Art. 103 I GG fremd. Mit anderen Worten: Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet aktive Teilnahmerechte, um durch ihren Gebrauch bedrohte materielle Rechte zu „erkämpfen“, nicht um sie durch einen solchen Gebrauch zu „erkaufen“. (4) Zwischenergebnis: Beeinträchtigung bei Herstellung einer Alternativität durch die staatliche Maßnahme Das Vorhandensein kumulativ gewährleisteter subjektiver Rechte auf verfassungsrechtlicher Ebene hat für die Willensentschließungsfreiheit folgende Bedeutung: Der Grundrechtsträger muß bei seiner Entscheidung über die Vornahme einer bestimmten grundrechtlich gewährleisteten Handlung die anderen verfassungsrechtlichen Berechtigungen zwar im Hinblick auf faktische und ökonomische Folgen seines Handelns als Abwägungsfaktoren berücksichtigen. Die normativ ungeschmälerte Existenz und faktische Durchsetzbarkeit des Rechts gegenüber staatlichen Organen ist hingegen kein solcher Faktor, da dies angesichts der verfassungsrechtlichen Regelung nicht von seinem Verhalten abhängt und er somit sein Freiheitsinteresse dafür nicht preisgeben muß. 511 512

Siehe 3. Teil VI. 1. c) aa) (3) (b). Vgl. bereits 3. Teil VI. 1. c) aa) (3) (b).

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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Oder anders gewendet: Der Grundrechtsträger muß für den Schutz seines Freiheitsinteresses nicht den Verlust anderer Positionen in Kauf nehmen513. Ein solches Verhältnis ist erst die Folge einer staatlichen Maßnahme, die eine verfassungsrechtliche Gewährleistung von einem bestimmten Verhalten abhängig macht. Dadurch wird ein grundrechtlich nicht vorgesehener Abwägungsfaktor geschaffen, der von dem Grundrechtsträger als Argument gegen das eigentlich von ihm gewünschte Verhalten berücksichtigt werden muß514. Folglich wird durch die Herstellung dieser Alternativität ein grundrechtlich geschütztes Verhalten erschwert und auf diese Weise in das Grundrecht eingegriffen515. Eine solche Aussage über die Abwesenheit eines bei der Willensentschließung des Grundrechtsträgers potentiell entscheidungserheblichen Umstandes trifft das Grundgesetz aber nur hinsichtlich verfassungsrechtlicher Gewährleistungen, die von staatlichen Organen an ein bestimmtes Verhalten geknüpft werden. Nicht erfaßt werden also mit einer Freiheitsausübung verbundene Folgen, die verfassungsrechtliche Positionen nicht berühren. Insbesondere gilt dies für Vorteile, auf die allenfalls ein einfach-gesetzlicher Anspruch besteht. In diesen Fällen ist entscheidend, daß grundrechtliche Selbstbestimmung in der abwägenden Gewichtung sämtlicher Umstände besteht, so daß die Veränderung dieser Umstände für sich genommen zwar eine Beeinflussung der Entscheidung, nicht aber eine Verkürzung der insofern gewährleisteten Freiheit darstellt. Auch bei äußerst wirksamen Beeinflussungen, denen sich der Grundrechtsträger rational kaum entziehen kann, ist es gerade die aus der Freiheit fließende Verantwortlichkeit für sich selbst, die ihn dazu befähigt, die optimale Entscheidungsalternative zu erkennen und entsprechend zu handeln. Zwar kann der Staat auch auf diese Weise das Verhalten der Bürger gewissermaßen lenken, da es bei entsprechender Honorierung oftmals vorhersehbar ist. Dies allein kann aber nichts an dem Charakter als grundrechtlich nicht relevante Beeinflussung ändern, weil schließlich auch freiheitliches Handeln für andere vorhersehbar sein kann, so daß sie sich – auch und gerade in ihrem Ver513 Wolff Selbstbelastung, S. 133: „Der Schutz eines verfassungsrechtlichen Prinzips . . . kann nicht dadurch erfolgen, daß man den Bürger auf den faktischen Verzicht anderer verfassungsrechtlicher Positionen verweist“. Vgl. auch Amelung GA 1999, 182 (191 und 196 f.) zur Freiheit auf der Opferseite der Strafnorm: Rechtlich geschützte Freiheit entstehe auch, wenn ein subjektiver Wert ohne Rücksicht auf die Bewahrung rechtlich garantierter Güter verfolgt werden kann; eine Einschränkung der Freiheit ergebe sich, wenn die Bedrohung eines rechtlich garantierten Gutes den Rechtsgutsinhaber dazu zwingt, sich um dieses zu kümmern, statt andere Werte zu verfolgen. Vgl. auch Kölbel NStZ 2003, 232 (235), der die gerichtliche Strafmilderungszusage als Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit einstuft: Die „Sanktionsschere“ erschwere den Grundrechtsgebrauch, weil sich der Grundrechtsträger bei Nichtwahrnehmung seiner Rechte besser gestellt sieht. 514 Daß durch die Herstellung von Alternativität unter Umständen auch das rechtliche Können, und damit die Freiheit erweitert wird, steht aufgrund fehlender Identität der betroffenen Freiheiten der Annahme einer Freiheitsverringerung nicht entgegen, siehe nachstehend unter II. 1. d) dd) (5) (e). 515 Vgl. Ibler FS Maurer, S. 145 (154); Grimm KritV 1986, 38 (50).

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

halten dem anderen gegenüber – darauf einzustellen vermögen. Dies gilt also auch für den Staat. Und zur Freiheit, die eine Dispositionsbefugnis des Berechtigten mit sich bringt, zählt die Möglichkeit, sie zur Verwirklichung anderer Interessen einzusetzen, die der Grundrechtsträger in der konkreten Situation als höherwertig einstuft. So stellt das Angebot einer Subventionierung, das von einer bestimmten Freiheitsausübung abhängig gemacht wird, nur dann einen Grundrechtseingriff dar, wenn die Nichtgewährung der Subvention grundrechtlich relevant ist, insbesondere weil ein entsprechender Anspruch besteht oder aufgrund wettbewerbsverzerrender Förderung von Konkurrenten in Grundrechte des Betroffenen eingegriffen würde. Ansonsten stehen dem staatlichen Angebot jedenfalls die Grundrechte des Betroffenen nicht entgegen. Auf dieser Grundlage müssen nun noch genauere Aussagen über staatliche Maßnahmen getroffen werden, die sich nicht nur motivationsbestimmend, verhaltenslenkend etc. auswirken, sondern dabei auch die grundrechtliche Freiheit des Beeinflussten verkürzen. (5) Voraussetzungen der Beeinträchtigung (a) Erforderlichkeit und Eignung der Interessenpreisgabe zum Erhalt eines Grundrechtsgutes Aus dem soeben Gesagten ergibt sich zunächst, daß die staatliche Einwirkung den Grundrechtsträger vor die Wahl zwischen zwei kumulativ gewährleisteten Grundrechtsgütern stellen muß. Der Betroffene muß bei seiner abwägenden Entscheidung über sein Verhalten also berücksichtigen, daß er damit entweder selbst ein Grundrechtsgut in einer eigentlich nicht von ihm gewünschten Weise preisgibt oder aber den Verlust einer anderen grundrechtlichen Position in Kauf nimmt. Es wird daher eine Situation geschaffen, in der ein Grundrechtsträger allein durch einen bestimmten Freiheitsgebrauch eine derart gewährleistete Position erhalten oder wiederherstellen kann. Besteht jedoch noch eine andere, grundrechtlich nicht relevante Möglichkeit zur „Rettung“ des anderen Grundrechtsgutes, muß der Bürger dies nicht als Abwägungsfaktor berücksichtigen und wird in seiner Willensentschließungsfreiheit nicht beeinträchtigt. Letzteres gilt auch dann, wenn sich das Alternativverhalten auf das bedrohte Grundrechtsgut gar nicht auswirkt, weil der mögliche Verlust dieses Guts dann ebenfalls bei der abwägenden Entscheidung über das eigene Verhalten nicht berücksichtigt werden muß. Die Interessenpreisgabe muß also in diesem Sinne zur Abwendung der Bedrohung von der anderen grundrechtlichen Position erforderlich und geeignet sein516. 516 Unter „Erforderlichkeit“ der Interessenpreisgabe wird in diesem Zusammenhang also verstanden, daß die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes droht und – soll sie nicht hingenommen werden – abgewendet werden muß – im Gegensatz zur Situation, in der mangels Bedrohung beide Interessen gewahrt werden können.

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Diese Alternativität verschiedener grundrechtlicher Interessen muß zum Zeitpunkt der Entscheidung des Grundrechtsträgers über die Preisgabe des einen Interesses zugunsten des anderen festzustellen sein. Entscheidend ist das Maß der in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Willensentschließungsfreiheit. Daher kann eine in der Herbeiführung der Preisgabe liegende Grundrechtsbeeinträchtigung ebensowenig entfallen, weil die ursprünglich vorhandene Alternativität durch Veränderungen wieder beseitigt wird, wie durch eine nachträglich erfolgende Herstellung eines Zusammenhangs zwischen grundrechtlichen Interessen eine Beeinträchtigung begründet werden könnte. Ob eine Preisgabe zum Erhalt anderer grundrechtlich geschützter Interessen – in dem eben beschriebenen Sinne – erforderlich und geeignet ist, ist aus einer objektiven Sicht ex post zu bestimmen. Bei diesem Kriterium geht es nämlich in erster Linie nicht um die Auswirkungen der staatlichen Maßnahme, welche auf der Eingriffsebene, sobald Motive des Freiheitsgebrauchs relevant werden, nur aus der subjektiven Sicht des Betroffenen beurteilt werden können517, sondern um eine bestimmte objektiv-tatsächliche Beschaffenheit der Einwirkung (die dann wiederum eine entsprechende tatsächliche Auswirkung für den Grundrechtsträger nach sich zieht). Allein das tatsächliche Vorliegen einer Wahlsituation verkürzt ohne weiteres in der beschriebenen Weise die grundrechtliche Freiheit. Stellt der Grundrechtsträger sich die Alternativität grundrechtlicher Gewährleistungen nur vor, so bildet er sich eine solche Freiheitsbeeinträchtigung lediglich ein. Der tatsächlichen Beeinträchtigung steht das Nichtvorhandensein eines solchen Abwägungsfaktors entgegen. In dieser Situation muß die Grundrechtsrelevanz des Hervorrufens einer solchen Vorstellung gesondert beurteilt werden. Da es sich um eine Fehlvorstellung über Erforderlichkeit und / oder Eignung der Interessenpreisgabe handelt, liegt es nahe, daß insofern der Maßstab anzuwenden ist, der noch bei der allgemeinen Frage nach Beeinträchtigungen durch Irrtumserregung herauszuarbeiten ist518. Die Fälle, in denen ex post gar keine Alternativität vorlag, werden daher dem kognitiven Aspekt der Freiwilligkeit zugeordnet. (b) Eingriffscharakter der drohenden Beeinträchtigung des Grundrechtsgutes Desweiteren muß der bei Vornahme des eigentlich gewünschten Verhaltens drohende Verlust einer grundrechtlich gewährleisteten Position jedenfalls im Widerspruch zu dem prima-facie-Schutz stehen, den dieses Grundrecht seinem Träger gegenüber dem Staat vermittelt519, 520. Geht es um den Schutz dieser Position vor „Eignung“ der Interessenpreisgabe meint, daß durch diese Preisgabe der drohende Eingriff auch abgewendet werden kann – im Gegensatz zur Situation, in der er unabhängig davon erfolgt. 517 Siehe vorstehend II. 1. d) cc) (3). 518 Siehe dazu unten II. 1. e).

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einer drohenden Beeinträchtigung, muß daher zur Betroffenheit eines grundrechtlichen Schutzgutes hinzu kommen, daß diese Beeinträchtigung selbst einen Eingriff darstellen würde521. Der Grund dafür liegt darin, daß sich die kumulative Gewährleistung grundrechtlicher Positionen gegen staatliche Einschränkungen dieser Gesamtgewährleistung richtet522. Vor ökonomischen oder sonstigen faktischen Einschränkungen, die sich unabhängig von einer staatlichen Maßnahme für einen Grundrechtsträger ergeben, kann dieser in der Regel gegenüber dem Staat auch keinen Schutz begehren. Daß der Betroffene solche Hindernisse für seine Freiheitsausübung bei der Entscheidung über sein Verhalten berücksichtigen muß, ist also keine grundrechtlich relevante Freiheitsverkürzung. Folglich kann aber auch die bloße Information des Staates über solche nicht-eingriffsrelevanten Hindernisse keine Freiheitsbeeinträchtigung darstellen. Man kann vielmehr bei wahrheitsgemäßer Information von einer bloßen Erweiterung der Freiheit sprechen, weil die Freiheit hinsichtlich ihrer kognitiven Komponente einem Idealbild am nächsten kommt, wenn der Entscheidende über sämtliche entscheidungserheblichen Umstände möglichst umfassend informiert ist. So stellt in den „Impfmerkblatt-Fällen“ die Vornahme einer Schutzimpfung durch eine staatliche Stelle nicht etwa einen Eingriff in das Grundrecht der Betroffenen aus Art. 2 II 1 GG dar523, weil diese bzw. ihre Eltern in den Merkblättern vor die Wahl zwischen einer Impfung oder der Inkaufnahme einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung gestellt wurden. Diese Alternativität524 steht der Freiwilligkeit der Einwilligung in die Impfung nicht entgegen, da die anderenfalls drohende Beeinträchtigung des Grundrechtsgutes noch nicht einmal kausal auf ein dem Staat zuzurechnendes Verhalten zurückzuführen ist. Die Situation der Betroffenen wird durch die Kenntnis von diesen Gefahren sogar verbessert, weil so nicht aus Unwissenheit von einer Impfung abgesehen wird. Der angesichts der Umstände empfundene Zwang, sich impfen zu lassen, ist grundrechtlich irrelevant. Ein Grundrechtseingriff kann daher in diesen Fällen nur mit dem Hervorrufen einer Fehlvorstellung begründet werden525, 526. 519 Siehe zur Unterscheidung zwischen prima-facie- und definitiver Position bereits oben 3. Teil VI. 1. a). 520 Vgl. Alexy Grundrechte, S. 277: „Alle Maßnahmen, die Eingriffe in ein grundrechtliches Schutzgut sind, sind prima facie grundrechtlich verboten“. Vgl. auch von Arnauld Freiheitsrechte, S. 90; Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 24 f.; Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 25 f. 521 Vgl. Geiger NVwZ 1989, 35 (37): Eine abwehrrechtlich relevante Unfreiwilligkeit setze voraus, daß die Zwangslage des Betroffenen vom Staat verursacht worden ist. 522 Siehe schon vorstehend unter II. 1. d) dd) (3). 523 Ob das Abverlangen i. S. d. Aufopferungsanspruches ohnehin andere Voraussetzungen aufweist, kann hier dahingestellt bleiben. 524 Dazu, daß für das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs die Möglichkeit der alternativen Beeinträchtigung ausreichend ist, siehe nachstehend unter II. 1. d) ee) (1) (b). 525 Siehe dazu unten II. 1. e).

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(c) Problem: Rechtswidrigkeit der drohenden Beeinträchtigung? Fraglich ist nun, ob dem Grundrechtseingriff, der alternativ bei Nichtvornahme einer bestimmten Handlung droht, auch eine definitive Position des Grundrechtsträgers entgegenstehen muß. Der Schaffung der Alternativität zweier Grundrechtspositionen durch eine staatliche Maßnahme käme dann nur Eingriffsqualität zu, wenn der drohende Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden könnte527. Mit anderen Worten: Der Staat dürfte alles, was er tun darf, dem Bürger auch in Aussicht stellen528. Diese Beschränkung auf definitiv garantierte Positionen des Grundrechtsträgers findet sich auch in der Literatur im Zusammenhang mit der Frage der Freiwilligkeit einer Einwilligung in Grundrechtsbeeinträchtigungen 529. So wird von Weßlau im Hinblick auf die Zustimmung des Beschuldigten zu einer konsensualen Erledigung des Strafverfahrens angenommen, daß diejenigen Nachteile, die bei einer Verweigerung als Folge der vollständigen Durchführung des Strafverfahrens entstehen, die Freiwilligkeit der Zustimmung nicht ausschließen können530. Da das Freiwilligkeitskriterium normativ auszulegen sei, seien rechtlich vorgesehene Nachteile insofern unbeachtlich. Die Durchführung eines Strafverfahrens und eine Bestrafung sind bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen aber zulässig. Das Problem der Freiwilligkeit wird von diesem Standpunkt aus daher nicht bei dem in Aussicht gestellten – zulässigen – Nachteil verortet, sondern bei dem Angebotscharakter, den jede staatliche Maßnahme aufweist, die eine Situation der Entscheidungsnotwendigkeit zwischen zwei Grundrechtsgütern schafft und damit die Möglichkeit, eines im Interesse des anderen aufzuop526 Dies zeigt, daß bei der Beurteilung der Eingriffswertigkeit zwischen den in ihrem Verhalten beeinflußten Personen und den davon wiederum betroffenen Dritten unterschieden werden muß. Während erstere durch die Information etwa über Eigenschaften eines Produkts nicht in ihrer Willensentschließungsfreiheit beeinträchtigt werden, kann es sich trotz dieses freien Verhaltens der Konsumenten bei deren gezielter Lenkung durch den Staat um einen Eingriff in Grundrechte der betroffenen Unternehmen handeln, siehe oben II. 1. c) mit Fn. 377. 527 Vgl. zum Begriff Alexy Grundrechte, S. 277: „Alle Maßnahmen, die Eingriffe in ein grundrechtliches Schutzgut sind und nicht durch eine Schranke gerechtfertigt sind, sind definitiv grundrechtlich verboten“. 528 Vgl. Gutmann Freiwilligkeit, S. 274 zu einer normativen Theorie des Zwangs im Zusammenhang mit dem Nötigungstatbestand des § 240 StGB, wonach nur derjenige genötigt werden kann, der sich auf eine rechtlich geschützte Position berufen kann. 529 Nochmals sei darauf hingewiesen, daß es in den hier interessierenden Fällen um die vorrangig zu prüfende Frage geht, ob überhaupt ein Beeinträchtigungserfolg vorliegt, siehe dazu schon oben 3. Teil VI. 1. c) aa) (2) (a) (bb). Da aber auch eine Einwilligung in eine solche Beeinträchtigung – die auch als Grundrechtsverzicht bezeichnet werden kann, siehe oben VI. 1. c) aa) (2) (a) (aa) – Ausübung grundrechtlicher Freiheit darstellt, vgl. Amelung Einwilligung, S. 26 ff., ergeben sich bei der Feststellung, ob der Grundrechtsträger freiwillig bzw. in Freiheit gehandelt hat, keine Unterschiede. 530 Weßlau Konsensprinzip, S. 237.

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fern531. Die Verweigerung dieses Vorteils gegenüber dem nicht-zustimmungsbereiten Beschuldigten schließe die Freiwilligkeit der Zustimmung aus, wenn der Betroffene einen Anspruch auf diesen Vorteil habe. Dieser Anspruch könne sich insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgebot ergeben, so daß willkürliche Besserstellungen die Willensentschließungsfreiheit unzulässig beeinträchtigten 532. Wenn der Staat in Aussicht stellen darf, was seine Organe tun dürfen, dann muß eben nicht nur der angekündigte Nachteil zulässig sein, sondern auch die damit verbundene Ankündigung, unter einer bestimmten Bedingung von der Nachteilszufügung abzusehen. Zu einer Beschränkung des Eingriffsbegriffs auf das Inaussichtstellen gesetzlich nicht vorgesehener Nachteile bzw. Vorteilsverweigerungen führt letztlich auch die von Amelung entwickelte Differenzierung zwischen gesetzesvertretenden und eingriffsmildernden Einwilligungen in Grundrechtsbeeinträchtigungen 533. Wirksame gesetzesvertretende Einwilligungen führen demnach zur Erlaubnis von Rechtsgutsbeeinträchtigungen, wenn eine entsprechende gesetzliche Befugnis nicht vorhanden ist. Da der Staat deshalb nicht in Rechte des Bürgers eingreifen dürfe, sei die Einwilligung aber nur wirksam, wenn sie nicht ihrerseits durch einen Eingriff veranlaßt worden ist534. Daher werde eine Einwilligung etwa unfreiwillig erteilt, wenn der Staat den Bürger vor die Wahl zwischen zwei Rechten stellt, deren Ausübung nicht durch ein Gesetz eingeschränkt wird535. Bei der eingriffsmildernden („Hauptfolgen vermeidenden“536) Einwilligung hingegen habe der Grundrechtsträger die Möglichkeit, einen gesetzlich zugelassenen Eingriff in ein bestimmtes Grundrechtsgut durch die Preisgabe eines anderen Gutes abzuwenden537. Als Beispiel wird die Einwilligung eines wegen exhibitionistischer Handlungen Verurteilten in eine Heilbehandlung nach § 183 III StGB genannt, um der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu entgehen. In diesen Fällen existiere zwar aufgrund der drohenden Grundrechtsbeeinträchtigung eingreifender staatlicher Zwang, dies hindere die 531 Vgl. Weßlau Konsensprinzip, S. 237: Chance einer Besserstellung für den zustimmungsbereiten Beschuldigten. 532 Weßlau Konsensprinzip, S. 238, die (Fn. 835) auch darauf hinweist, daß die im Zusammenhang mit dem Drohungsmerkmal des § 240 StGB vertretene Differenzierung danach, ob eine Verpflichtung zur Verschaffung einer in Aussicht gestellten vorteilhaften Lage besteht oder nicht, nicht auf das Staat-Bürger-Verhältnis übertragen werden kann, weil der Staat Vorteile nicht willkürlich verteilen darf. 533 Grundlegend Amelung Einwilligung, S. 82 ff.; siehe auch ders. FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 1 ff.; StV 1985, 257 (261 f.); ZStW 95 (1983), 1 (10 ff.); auf diese Unterscheidung verweist auch Weßlau Konsensprinzip, S. 235 f. Zustimmung zur Differenzierung bei Rudolphi in: SK-StPO, Vor § 94 Rn. 61 ff.; Weigend in: Jung Alternativen zur Strafjustiz, S. 149 (152); Radtke FS Meyer-Goßner, S. 321 (344). 534 Amelung Einwilligung, S. 83. 535 Amelung Einwilligung, S. 85. 536 Zu der von ihm sog. „Nebenfolgen vermeidenden“ Einwilligung vgl. Amelung Einwilligung, S. 107 f. 537 Amelung Einwilligung, S. 109.

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Wirksamkeit der Einwilligung jedoch nicht538. Diese Einwilligung solle nämlich eine fehlende Eingriffsermächtigung gar nicht ersetzen, vielmehr stehe aufgrund des vorgesehenen Eingriffs fest, daß der Bürger eine Beeinträchtigung seiner Grundrechtssphäre erdulden müsse539. Die eingriffsmildernde Einwilligung sei auf das Erforderlichkeitsprinzip als Teil des Übermaßverbots zurückzuführen. Der Grundrechtsträger erhalte so die Möglichkeit, selbst über den schonendsten Umgang mit seinen Rechtsgütern zu entscheiden, also seine subjektiven Präferenzen in die Beurteilung der Erforderlichkeit eines Grundrechtseingriffes miteinfließen zu lassen540. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der eingriffsmildernden Einwilligung sei grundsätzlich nicht erforderlich. Der Gesetzesvorbehalt gelte nämlich nur hinsichtlich des Eingriffs, der durch die Einwilligung abgewendet werden soll. Der Eingriffsvorbehalt gewährleiste, daß es der Entscheidung des Gesetzgebers unterliegt, welche Grundrechte zur Disposition staatlicher Organe stehen sollen. Hinsichtlich derjenigen Grundrechtsgüter, mit deren Preisgabe die gesetzlich vorgesehene Beeinträchtigung verhindert werden kann, sei aber die Entscheidungsmacht des Grundrechtsträgers maßgeblich, eine Dispositionsbefugnis des Staates bestehe gerade nicht541. Die Regelung des § 183 III StGB sei daher auf den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes zurückzuführen, da mit der Heilbehandlung nicht alle Strafzwecke erreicht würden, so daß ein „Austausch“ ohne gesetzliche Grundlage einen Akt des Ungehorsams gegenüber dem demokratischen Gesetzgeber darstellen würde542. Diese Argumentation ist jedoch nur dann in sich schlüssig, wenn in den Fällen der eingriffsmildernden Einwilligung eine Freiheitsverkürzung – und damit ein Eingriff – hinsichtlich des „freiwillig“ preisgegebenen Grundrechtsgutes abgelehnt wird. Der eingeräumte Zwang infolge der drohenden – zulässigen – Grundrechtsbeeinträchtigung muß unter Zugrundelegung dieser Sichtweise als grundrechtlich irrelevant eingestuft werden können543. Diejenige Entscheidungsmacht des Grundrechtsträgers, die das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung für staatliches Handeln entfallen läßt, ist nämlich identisch mit der unbeeinträchtigten Grundrechtsfreiheit. Jede unterhalb dieser Freiheit verbleibende Entscheidungsmöglichkeit des Betroffenen stellt eine Verkürzung der grundrechtlich vorgesehenen Dispositionsbefugnis des Bürgers dar. Die Folge ist eine – wenn auch u. U. sehr beAmelung Einwilligung, S. 106. Amelung Einwilligung, S. 106. 540 Amelung Einwilligung, S. 109. 541 Amelung Einwilligung, S. 110. 542 Amelung Einwilligung, S. 110 – 112. 543 Daß Amelung Einwilligung, S. 106, den Zwang bei der eingriffsmildernden Einwilligung als „eingreifend“ bezeichnet, steht nur dann nicht im Widerspruch dazu, wenn er diesen „eingreifenden“ Zwang allein auf den drohenden Grundrechtseingriff bezieht, nicht auf die Preisgabe des Grundrechtsgutes; vgl. insofern auch Amelung NStZ 1982, 38 (39): Die „eingriffsmildernde Einwilligung“ habe ihren Ursprung in einer staatlichen Freiheitsbeschränkung. 538 539

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grenzte – nicht vorgesehene Dispositionsmöglichkeit des Staates, für die eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung notwendig ist. Wenn die Geltung des Eingriffsvorbehalts davon abhängig gemacht wird, wer über ein Grundrechtsgut disponieren kann, dann darf der Begriff der Disposition eben nicht allein auf das (Nicht-)Vorhandensein eines Ge- oder Verbots beschränkt werden. Dies hätte eine Begrenzung des Eingriffsbegriffs auf den „klassischen“ Eingriff zur Folge. Mit der Ablehnung des Gesetzesvorbehalts für die eingriffsmildernde Einwilligung – unter Verweis auf die Entscheidungsmacht des Bürgers544 – muß also konsequenterweise die Ablehnung auch eines „erweiterten“ Grundrechtseingriffes in diesen Fällen verbunden sein545. Damit kommt aber unter Zugrundelegung dieses Standpunktes in Wirklichkeit auch der eingriffsmildernden Einwilligung gesetzesvertretende Funktion zu546. Der Unterschied zwischen beiden Fallgruppen besteht allein darin, daß bei der eingriffsmildernden Einwilligung bei verweigerter Zustimmung ein Eingriff in ein Grundrechtsgut droht, der verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Aus dessen Rechtfertigung ergibt sich aber nicht etwa die Rechtfertigung eines etwaigen Eingriffes in das zur Abwendung preisgegebene Grundrechtsgut547. Lehnt man im Hinblick auf dieses Grundrecht die Geltung des Gesetzesvorbehalts ab, so verneint man vielmehr einen Eingriff und stuft die Einwilligung folglich der Sache nach als gesetzesvertretend ein. Daher muß von einem solchen Standpunkt aus die Eingriffsqualität von willensbeeinflussenden Maßnahmen bzw. die Wirksamkeit der gesetzesvertretenden Einwilligung davon abhängig gemacht werden, ob der in Aussicht gestellte Nachteil unzulässig ist oder nicht.

544 Dazu, daß in bestimmten Fällen einer unfreien Einwilligung eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung ohne gesetzliche Ermächtigung möglich ist, nachstehend unter II. 1. d) dd) (5) (g). Dies beruht aber nicht auf einer hinreichenden Entscheidungsautonomie, sondern dem beschränkenden Gegeninteresse. 545 Siehe allerdings Amelung Einwilligung, S. 65: „eine wirklich autonome Einwilligung“ schließe begrifflich das Vorliegen eines Eingriffs aus. Dies steht im Widerspruch zu der Auffassung, die eingriffsmildernde Einwilligung erfolge nicht wirklich autonom (vgl. S. 106), der Gesetzesvorbehalt gelte aber nicht, weil die ersatzweise Aufopferung der Rechtsgüter der Entscheidungsmacht des Bürgers unterliege (S. 110). 546 Ausdrücklich anders aber Amelung Einwilligung, S. 106: „Der tragende Gedanke solcher Regelungen [bezogen auf § 183 III StGB und vergleichbare Vorschriften, Ergänzung des Verf.] ist nicht die Erwägung, daß der Konsens des verfügungsbefugten Grundrechtsträgers eine fehlende Eingriffsermächtigung zu ersetzen vermag, . . .“. Wenn man die Geltung des Gesetzesvorbehalts für eine solche Einwilligung ablehnt, dann muß diese Erwägung jedoch maßgeblich sein. Allenfalls ist zu überlegen, ob das Erforderlichkeitsprinzip ein Argument für die Richtigkeit dieser Erwägung zu liefern vermag, siehe dazu aber nachstehend im Text. 547 Eine Rechtfertigung kommt natürlich dann in Betracht, wenn in dieser Norm die Möglichkeit des Grundrechtsträgers zur Abwendung durch Preisgabe des anderen Schutzguts vorgesehen ist. Nach der Ansicht von Amelung ist eine solche Regelung ja aber gerade nicht Ausdruck des Gesetzesvorbehalts.

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Es bleibt also bei der Frage: Stellt die Schaffung der Alternativität zwischen zwei Grundrechtsgütern nur dann einen Eingriff dar, wenn der in Aussicht gestellte Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann548? Diese Frage ist auch im Zusammenhang mit den sogenannten Selbstverpflichtungen und sonstigen Absprachen im Verwaltungsrecht umstritten. So wird teilweise die Freiwilligkeit des Bürgers in entsprechender Anwendung des § 123 I BGB bejaht, wenn der Staat mit einem rechtmäßigen Eingriff droht und den Bürger auf diese Weise zu einer Absprache mit der Verwaltung veranlaßt549. Auch ist die Geltung des Gesetzesvorbehalts bei einer Selbstverpflichtung, durch die ein rechtmäßiger Eingriff vermieden wird, mit einer Argumentation abgelehnt worden, die der Auffassung von Amelung ähnelt. Der sich selbst Verpflichtende werde dadurch in der Regel weniger belastet als bei Erlaß eines Gesetzes550. Dann liefe es aber dem Schutzzweck des Gesetzesvorbehalts, die Grundrechte zu sichern, zuwider, wenn man ihn trotz der geringeren Beeinträchtigung verlangte551. Dem ist aber widersprochen worden: Die Abmilderung der Folgen eines angedrohten Eingriffs lasse die Schutzfunktion des Gesetzesvorbehalts nicht entfallen552. Zudem wird ausgeführt, es spiele keine Rolle, ob die angedrohte Maßnahme rechtmäßig wäre553. Dies sei erst auf der Stufe der Rechtfertigung zu erörtern. Mit der letzten Bemerkung wird ein Aspekt angesprochen, dem für die Lösung des Problems entscheidende Bedeutung zukommen könnte: die Unterscheidung zwischen einer prima-facie- und einer definitiven Position des Grundrechtsträgers. (d) Unterscheidung zwischen prima-facie- und definitiver Grundrechtsposition Die Beschränkung der Eingriffsqualität motivationsbestimmender Maßnahmen auf unzulässigen Zwang554 erscheint zunächst im Hinblick auf die Grundstruktur der Grundrechte bemerkenswert. Da das Inaussichtstellen nicht gerechtfertigter Maßnahmen seinerseits keine Ermächtigung finden kann555, führt von diesem 548 Vgl. Rudolphi in: SK-StPO, Vor § 94 Rn. 62 f.: Eine unfreie Einwilligung liege vor bei der Drohung mit einem verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigtem Übel, Freiwilligkeit bei der Drohung mit einem Grundrechtseingriff, der von einer gesetzlichen Ermächtigung gedeckt ist. 549 Kautz Absprachen, S. 249 f. 550 Frenz Selbstverpflichtungen, S. 184. 551 Frenz Selbstverpflichtungen, S. 184 f. 552 Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 365. 553 Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 358. 554 Ausdrücklich Rudolphi in: SK-StPO, Vor § 94 Rn. 62: Die Einwilligung sei unfrei, wenn sie aufgrund unzulässigen Zwangs erteilt wird. 555 Jedenfalls was der Staat nicht tun darf, darf er auch nicht androhen.

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Standpunkt aus in dem Bereich staatlichen Handelns mit Lenkungswirkung jeder Eingriff in ein Grundrecht auch zu dessen Verletzung. Eine Differenzierung zwischen zulässigen, weil gerechtfertigten, und unzulässigen Grundrechtsbeeinträchtigungen wäre insofern hinfällig. Dies ist erstaunlich, weil „die Unterscheidung zwischen unbeschränktem und beschränktem Recht . . . oder die Unterscheidung zwischen prima facie-Position und definitiver Position . . . den fundamentalen Konstruktionsgrundsatz der Grundrechte“556 darstellt557. Nach der sogenannten Außentheorie wird Freiheit im Regelfall unbegrenzt gewährleistet, Begrenzungen bilden die gleichsam „von außen“ an sie herangetragene, rechtfertigungsbedürftige Ausnahme558. Nicht zuletzt der Wortlaut der Grundrechtsnormen spricht gegen die sogenannte Innentheorie, nach der Freiheit überhaupt nur als definitive Position gewährleistet wird, nämlich innerhalb desjenigen Rahmens, der die Folge ihrer Begrenzungen ist559. Angesichts dieses grundlegenden Verhältnisses zwischen Freiheit und Freiheitsbegrenzung erscheint es aber bedenklich, wenn die Willensentschließungsfreiheit doch lediglich als definitive Position gewährleistet werden soll560. Es fragt sich daher, ob eine entsprechende Begrenzung des Grundrechtsschutzes nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Dafür kommt es aber entscheidend auf den Grund für eine solche Begrenzung des Eingriffsbegriffs an. Ist die beschriebene Beschränkung der Eingriffsqualität motivationsbestimmender Maßnahmen letztlich auf eine Kollision zwischen dem Interesse des Grundrechtsträgers und anderen Interessen zurückzuführen, so handelt es sich um „von außen“ an die Freiheit herangetragene Begrenzungen. Diese können nach dem Konstruktionsgrundsatz der Grundrechte auf der Schutzbereichsund Eingriffsebene nicht berücksichtigt werden, so daß es unzulässig wäre, die Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit von dem Kriterium der Unzulässigkeit des Zwangs abhängig zu machen561. Vielmehr bliebe eine Berücksichtigung dieser Interessen der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung vorbehalten. Anders stellt es sich jedoch dar, wenn ein solcher Eingriffsbegriff seinen 556 557

Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 411. Vgl. zur Unterscheidung von prima-facie- und definitiver Position bereits 3. Teil VI. 1.

a). 558 Alexy Grundrechte, S. 249 ff.; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff.; Sachs in: Stern StaatsR III / 2, S. 12 f. 559 Ausführlich zu den beiden Modellen und der Vorzugswürdigkeit der Außentheorie von Arnauld Freiheitsrechte, S. 15 ff.; Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 183 ff. 560 Vgl. Lübbe-Wolff Eingriffsabwehrrechte, S. 278 f.: Der Schutz gegen lenkende Einwirkungen sei den Regeln der Eingriffsdogmatik entsprechend zu konzipieren, diese seien also prinzipiell rechtfertigungsfähig. 561 Hingegen muß angesichts der Tatsache, daß Interessen in der Realität kollidieren, aus der innentheoretischen Sicht einer Rechtsposition tatsächlich von vornherein ein vollständiger Festsetzungsgehalt bezüglich kollidierender Interessen zugeschrieben werden, Borowski Grundrechte als Prinzipien, S. 99.

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Ursprung in einer auch auf der Grundlage der Außentheorie beachtlichen „inneren“ Begrenzung dieser Freiheit findet. Läßt sich die Begrenzung des Eingriffsbegriffs auf das Inaussichtstellen unzulässiger Eingriffe von der Funktion und dem Begriff der Grundrechte her begründen562, steht sie nicht im Widerspruch zur Eingriffsdogmatik, sondern kann auf diese gestützt werden. (e) Freiheitserweiterung durch Schaffung einer Abwendungsmöglichkeit als Argument gegen eine Beeinträchtigung? Ein Argument für die Differenzierung nach der Zulässigkeit des Eingriffs, der im Hinblick auf ein anderes Grundrechtsgut droht, ist der Angebotscharakter, der motivationsbestimmenden Maßnahmen in einer solchen Situation zukommt. Das staatliche Organ könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt ein Schutzgut beeinträchtigen, eröffnet dem Betroffenen aber dennoch die Chance, diese zulässige Freiheitsverkürzung durch ein bestimmtes Verhalten abzuwenden. Der Grundrechtsträger kann also die vorzugswürdige Möglichkeit von seinen eigenen Prioritäten her beurteilen. Hält er die Verhaltensalternative für die geringere Belastung, wird er diese wählen. Verhält es sich umgekehrt, kann er es bei dem Eintritt des ursprünglich vorgesehenen Übels belassen. Folglich stellt dies zunächst einmal eine Besserstellung gegenüber demjenigen dar, der in dieser Situation diese Wahlmöglichkeit nicht erhält und damit die Grundrechtsbeeinträchtigung auch dann hinnehmen muß, wenn ihm die – ihm nicht angebotene – Alternative günstiger erscheint. Angesichts dieser Ausgangssituation könnte man davon ausgehen, daß allein durch den gesetzlich vorgesehenen Grundrechtseingriff ein grundrechtsrelevanter Nachteil droht, die willensbeeinflussende Maßnahme für sich betrachtet aber einen Vorteil – in Form der Verringerung des Nachteils – darstellt. Tatsächlich kann hinsichtlich des Grundrechtsguts der Freiheit von einer Erweiterung infolge einer Maßnahme gesprochen werden, durch die ein zulässiger Grundrechtseingriff mit einer Bedingung versehen wird, deren Eintritt von einer Entscheidung des Betroffenen abhängt. Dadurch wird dem Grundrechtsträger nämlich eine zuvor nicht vorhandene Handlungsmöglichkeit eröffnet563. So besitzt ein Grundrechtsträger zwar die natürliche Handlungsfähigkeit, sich etwa in eine Heilbehandlung zu begeben oder einer gemeinnützigen Organisation einen Geldbetrag zukommen zu lassen. Aber erst durch die Regelungen in §§ 183 III, 56c III Nr. 1 StGB und § 153a StPO erhält der Betroffene die Möglichkeit, diese Handlungen Vgl. Pieroth / Schlink Grundrechte, Rn. 230. Vgl. Kölbel NStZ 2003, 232 (234) zur im Rahmen einer Absprache in Aussicht gestellten Strafmilderung: Die Freiheitssphäre werde um eine zusätzliche Verhaltensoption erweitert, „man kann weiter reden oder schweigen, sich nun aber auch honoriert einlassen“. Vgl. im Zusammenhang mit § 240 StGB die Auffassung, das Androhen der Nicht-Gewährung eines Vorteils erweitere nur den Freiheitsraum des Betroffenen, wenn kein Anspruch auf die Vornahme der Handlung besteht, Horn / Wolters in: SK-StGB, § 240 Rn. 16; Gutmann Freiwilligkeit, S. 292: sich bietende, vermehrte Handlungsmöglichkeiten. 562 563

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mit einer ganz bestimmten rechtlichen Bedeutung vorzunehmen564. Der Grundrechtsträger erhält damit eine neue Handlungschance, vergleichbar mit der Situation, in der ein zuvor rechtlich irrelevantes Verhalten zur Gewährung einer Subvention führen kann, zu der das staatliche Organ nicht verpflichtet ist. Daß anders als in einem solchen Fall eines Vorteilsangebots in der hier interessierenden Konstellation eine Verschlechterung der Lage des Betroffenen durch einen Eingriff in Aussicht gestellt wird, ist insofern bei rechtlicher Betrachtung nicht relevant565. Da von der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses Eingriffs ausgegangen wird, steht nämlich auch hier keine definitive Position des Grundrechtsträgers in Frage. Eine rechtlich garantierte Handlungschance wird nicht bedroht, der mögliche Eingriff bezieht sich vielmehr gerade auf eine ungeschützte Sphäre566. Daher könnte man annehmen, der durch die Eröffnung einer Abwendungsmöglichkeit entstehende Entscheidungsdruck sei ebenfalls mit dem durch ein bloßes Vorteilsangebot verursachten Druck vergleichbar, der zwar psychologisch beachtlich sein mag, grundrechtliche Freiheit aber nicht verringert567. Daß durch die Eröffnung einer Abwendungsmöglichkeit grundrechtliche Freiheit erweitert wird, steht der Annahme einer gleichzeitigen Freiheitsverringerung allerdings nicht zwangsläufig entgegen. Mit der Abwendungsmöglichkeit wird nämlich nicht allein ein neues Motiv geschaffen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, etwa in eine Heilbehandlung einzuwilligen. Vielmehr hat dies ein neues rechtliches Können, eine neue Handlungschance und damit eine neue Freiheitsposition des Grundrechtsträgers zur Folge. Gerade die Tatsache der Erweiterung verdeutlicht, daß es sich dabei um eine bis zu diesem Zeitpunkt nicht geschützte Grundrechtsposition handelt. Diese kann also nicht mit derjenigen Position identisch sein, um deren mögliche Beeinträchtigung durch Schaffung des Verhaltensmotivs es hier geht. Es ist aber durchaus möglich, daß „Grundrechtsausgestaltung zu ungünstigen Rückwirkungen auf . . . Grundrechtsausübungen führen kann“568. Die beiden Freiheitspositionen können und müssen im Hinblick auf Erweiterung und Beeinträchtigung also getrennt beurteilt werden569. 564 Daß die Handlungen auch abgesehen davon z. B. in privatrechtlicher Hinsicht rechtliche Relevanz besitzen können, ist hier nicht von Bedeutung. Vgl. zur natürlichen und rechtlichen Handlungsfähigkeit W. Roth Faktische Eingriffe, S. 162 ff. 565 Vgl. demgegenüber die Auffassung, die bei der Frage, ob die Drohung mit einem zulässigen Unterlassen eine strafbare Nötigung darstellt, auf die Verschlechterung des status quo des Betroffenen abstellt, Roxin JR 1983, 333 (336); Rengier BT II, § 23 Rn. 49 ff.; Küpper BT 1, Teil I. § 3 Rn. 54; Sch / Sch / Eser § 240 Rn. 20. 566 Vgl. Gutmann Freiwilligkeit, S. 329 auf der Grundlage einer normativen Theorie des Zwangs. 567 Vgl. oben II. 1. d) dd) (4). Vgl. auch Kölbel NStZ 2003, 232 (234). 568 Jarass AöR 120 (1995), 345 (368); vgl. auch dens. AöR 110 (1985), 363 (390 ff.). 569 Vgl. Poscher Abwehrrechte, S. 356 f. zu dem Erfordernis der Differenzierung nach verschiedenen Freiheiten bei der Frage nach Freiheitsbegründung oder -beschränkung; vgl. insofern insbesondere auch Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 371 zu Grundrechtseingriffen bei Selbstverpflichtungen: Das Interesse der Absprachebeteiligten an der Selbstverpflichtung

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(f) Rechtmäßigkeit des drohenden Eingriffs als Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beeinträchtigung Zu beachten ist nun aber auch, daß sich die Möglichkeit der Eingriffsabwendung und das bloße Vorteilsangebot in einem wichtigen Punkt unterscheiden. Während die Grundrechte über Vorteile, auf die kein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht, von vornherein keine Aussage enthalten, muß der Grundrechtsträger die staatliche Beeinträchtigung von grundrechtlichen Positionen bei seiner Willensentschließung grundsätzlich nicht als Abwägungsfaktor, der seinem eigentlich gewünschten Verhalten entgegensteht, berücksichtigen570. Nur in letzterem Fall ist also mit der Freiheit von bestimmten, hinderlichen Abwägungsfaktoren überhaupt eine mögliche prima-facie-Position vorhanden, die zum Anknüpfungspunkt einer Einschränkung werden könnte571. Es fragt sich damit, ob diese Position auch durch das Inaussichtstellen von Eingriffen, die auf eine gesetzliche Ermächtigung gestützt werden können, begrenzt wird. Dann wäre ein solches Vorgehen eines staatlichen Organs rechtfertigungsbedürftig. Um einen Beeinträchtigungserfolg feststellen zu können, muß der Inhalt dieser möglichen prima-facie-Position genauer betrachtet werden. (aa) Grundlage der Freiheit, bei der Willensbildung die Bedrohung anderer Schutzgüter nicht berücksichtigen zu müssen, ist deren kumulative Gewährleistung. Sie werden von der Verfassung gegenüber staatlichen Einwirkungen geschützt, so daß den Grundrechtsträger insofern keine Obliegenheit trifft, sie durch sein eigenes Verhalten zu wahren572. Dieser Schutz ist nach dem Verständnis der Außentheorie auf der Ebene des Grundgesetzes aber umfassend, also nicht begrenzt durch staatliche Maßnahmen. Zwar erfahren die Grundrechtsgüter auch in der Verfassung selbst Begrenzungen, da ihre Gewährleistung eine Benennung erfordert, die stets auch eine Begrenzung mit sich bringt573. So können grundrechtliche Schutzbereiche enger oder weiter definiert werden. Außerdem finden sich im Grundgesetz auch noch andere Begrenzungen grundrechtlicher Freiheit, z. B. bei der Versammlungsfreiheit in Art. 8 I GG eine Begrenzung auf friedliche Versammlungen ohne Waffen574. Abgesehen von diesen grundrechtsimmanenten Grenzen enthalten die Grundrechte aber keine Beschränkungen der Freiheit. Insbesondere normieren die Gesetzesvorbehalte bloß die Beschränkbarkeit grundrechtlicher Schutzgegenstände, entsei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs zu berücksichtigen, der in der Herbeiführung der Selbstverpflichtung liege, vgl. auch S. 358. 570 Siehe oben II. 1. d) dd) (4). 571 Vgl. zum Begriff Alexy Grundrechte, S. 273: Gewährleistungsgehalt der Grundrechtsnormen ohne Berücksichtigung der Schranken. 572 Vgl. Wolff Selbstbelastung, S. 133. 573 von Arnauld Freiheitsrechte, S. 32. 574 Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 310 mit weiteren Beispielen.

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halten in der Regel aber keine Beschränkungen. Diese werden vielmehr erst auf der einfach-gesetzlichen Ebene vorgenommen575. Gegenstand dieser nachfolgenden Beschränkungen ist die durch die Grundrechte zunächst in einem weiteren Umfang gewährleistete und nur deshalb „beschränkungsfähige“ Freiheit576. Die durch einen Gesetzesvorbehalt ermöglichte Einschränkung stellt die „rechtstechnische Ausnahme“577 gegenüber der grundsätzlich unbeschränkten Freiheit dar578. Das „Ob“ der Freiheitsgewährleistung hängt nicht von gesetzgeberischen Maßnahmen ab – es sei denn die Verfassung sieht wie in Art. 14 I 2 GG eine solche Ausgestaltung ausdrücklich vor – sondern wird durch diese nur deklaratorisch benannt, erweitert oder aber verkürzt579. (bb) Aus diesem Grundsatz unbeschränkter Freiheit folgt aber auch die grundgesetzliche Aussage bezüglich der Reichweite der Freiheit, nicht zwischen verschieden Schutzgütern wählen zu müssen. Daß der Grundrechtsträger auf der Ebene des Grundgesetzes nicht in seiner Freiheit beschränkt wird, gewährleistet zugleich die Freiheit, solche Beschränkungen nicht bei der Entscheidung über das eigene Verhalten berücksichtigen zu müssen. Die Willensentschließungsfreiheit erstreckt sich deshalb darauf, daß der Grundrechtsträger sein grundrechtlich geschütztes Interesse zunächst einmal nicht zur Erhaltung eines anderen Schutzgutes preisgeben muß, welches erst in einem zweiten Schritt in seinem Umfang begrenzt werden kann – es sei denn die Verfassung selbst stellt eine solche Alternativität her580. Die hier in Frage stehende Position des Grundrechtsträgers zeichnet sich also nicht allein durch den Schutz dagegen aus, daß ein Bedingungszusammenhang zwischen einem Verhalten und einer – gemessen an den Schranken im einfachen Recht – definitiven Position hergestellt wird. Ein solcher geringerer Schutz der Willensentschließungsfreiheit wäre nur auf der Grundlage einer innentheoretischen Sicht konsequent, nach der ein Recht von vornherein nur im Rahmen seiner Begrenzungen existiert581. Wenn nämlich gesetzlich vorgesehene staatliche Maßnahmen bei einer wirksamen Ermächtigung grundrechtliche Freiheit unberührt ließen, Freiheit also akzessorisch zur Ausgestaltung des einfachen Rechts wäre, dann könnte mangels kumulativer Gewährleistungen die Herstellung von Alternativität ebensowenig einen Grundrechtseingriff darstellen wie angebotene Leistungen, auf die kein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht.

von Arnauld Freiheitsrechte, S. 32 mit Fn. 121; Alexy Grundrechte, S. 254 f. Vgl. von Arnauld Freiheitsrechte, S. 26 zu Art. 8 GG. 577 Schwabe Grundrechtsdomatik, S. 60. 578 Zum Regel-Ausnahme-Modell der Freiheitsgewähleistung als Grundlage einer jeden Rechtsordnung von Arnauld Freiheitsrechte, S. 16 f.; Schwabe Grundrechtsdogmatik, S. 60. 579 von Arnauld Freiheitsrechte, S. 36 f. 580 Siehe dazu vorstehend unter II. 1. d) dd) (3). 581 Vgl. zur Innentheorie Häberle Wesensgehaltgarantie, S. 179. 575 576

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Auf der Grundlage des außentheoretischen Regel-Ausnahme-Modells des Grundgesetzes ist der Freiheitsbereich, an dem staatliche Maßnahmen zu messen sind, aber schon verfassungsrechtlich vorgezeichnet. Auch der Gewährleistungsumfang der Möglichkeit des Grundrechtsträgers zu einer freien Willensbildung richtet sich nach dem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt in Form einer umfassenden Freiheit, die erst in einem nächsten Schritt einer Begrenzung durch den Gesetzgeber unterliegt. Werden nun solche Begrenzungen der grundgesetzlichen Aussage vorgenommen, so handelt es sich folglich auch hinsichtlich derjenigen Freiheit, die zur Erhaltung dieser Position eingesetzt werden müßte, nicht um eine bloße Inhaltsbestimmung, die für die Zukunft regelt, welche Drohungen mit Eingriffen den Schutzbereich beeinträchtigen. Vielmehr wird die als Regelfall gewährleistete Freiheit, drohende Grundrechtsbeeinträchtigungen bei der Entscheidung über das eigene Verhalten nicht berücksichtigen zu müssen, verkürzt, wenn es nunmehr zu einem solchen, den eigentlichen Wünschen hinderlichen „Berücksichtigenmüssen“ kommt. Diese Grundrechtsbeeinträchtigung liegt allerdings erst in der staatlichen Verknüpfung einer Eingriffsbefugnis mit der Abwendungsmöglichkeit für den Grundrechtsträger. Die Willensentschließungsfreiheit wird solange nicht beeinträchtigt, wie der Grundrechtsträger nicht die Möglichkeit hat, durch Einsatz eines anderen geschützten Interesses den Eingriff abzuwenden, diese Preisgabe insofern also nicht geeignet ist. Wenn er nämlich den staatlichen Zugriff durch sein Verhalten nicht verhindern kann, muß er dies auch nicht im Rahmen seiner abwägenden Entscheidung darüber berücksichtigen. Seinen insofern bestehenden Zielen steht der anderweitig mögliche Eingriff also in keiner Weise entgegen, allein das Grundrecht, zu dessen Beeinträchtigung das staatliche Organ ermächtigt wird, ist betroffen. Wird aber mit einer Eingriffsermächtigung eine solche Abwendungsmöglichkeit verbunden oder wird diese Möglichkeit später geschaffen, wird gleichzeitig ein verfassungsrechtlich nicht vorgesehenes Hindernis für diejenige Verhaltensfreiheit geschaffen, mit deren Preisgabe das andere Interesse erhalten werden kann. (cc) Festzuhalten bleibt damit, daß zwar im Verhältnis der Bürger untereinander eine Akzessorietät von Zwang, der von dem Inaussichtstellen eines Nachteils ausgeht, zu den rechtlich garantierten – also definitiven – Positionen des Betroffenen bestehen mag582. In diesem Bereich hinge dann die Reichweite der Freiwilligkeit bzw. des berechtigten Einwands, gezwungen zu werden, von der jeweiligen Ausgestaltung der Rechtsordnung ab, so daß sich das Zwangs- und Freiwilligkeitsproblem als eine Frage der Rechtspolitik einstufen ließe583. Im Verhältnis des Bürgers zum Staat steht dem aber entgegen, daß die Ausgestaltung der garantierten Rechtspositionen im grundrechtlichen Bereich nicht nur eine entsprechende Neuregelung für die Zukunft darstellt, sondern zugleich eine prima-facie-Position begrenzt. Von 582 583

Vgl. Gutmann Freiwilligkeit, S. 329. Gutmann Freiwilligkeit, S. 330.

20 Graumann

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4. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Vertrauensschutzes

dieser wiederum leitet sich das grundrechtliche Maß der Gewährleistung einer Freiheit von staatlichen Drohungen ab, so daß grundrechtliche Freiheit und der insofern relevante Zwang akzessorisch zu den prima-facie-Gewährleistungen des Betroffenen sind. Diese Freiheit, mit keinen Freiheitsbeeinträchtigungen bedroht zu werden, stellt ebenfalls eine prima-facie-Position dar. Ein entsprechendes Inaussichtstellen ist also an einer bestehenden, vorrangigen Gewährleistung zu messen. Die Folge ist, daß nicht nur die Eingriffsmöglichkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf, sondern auch ihre Verknüpfung mit einem Verhalten des Betroffenen, das zur Abwendung des Eingriffs führen soll. Maßstab ist das Grundrecht, von dem dieses Verhalten geschützt wird. Die Herstellung eines solchen Bedingungszusammenhangs kann also nicht auf die Rechtmäßigkeit des anderenfalls drohenden Eingriffs gestützt werden, da dieser nur an dem von ihm beeinträchtigten Grundrecht gemessen wird. Auch das Vorhandensein eines sachlichen Grundes für die Herstellung dieses Bedingungszusammenhangs584 kann eine solche Maßnahme nicht legitimieren. Dann würde nämlich einseitig auf das Interesse abgestellt, das hinter dieser Maßnahme steht. Die Existenz eines sachlichen Grundes ist nur der Ausgangspunkt für eine mögliche Rechtfertigung. Berücksichtigt werden muß auf der anderen Seite aber auch das Freiheitsinteresse des Betroffenen. (dd) Es ergibt sich also, daß Funktion und Begriff der Grundrechte eine Beschränkung des Eingriffsbegriffs auf das Inaussichtstellen unzulässiger Maßnahmen nicht stützen. Das Drohen mit einem zulässigen Eingriff ist ebenfalls ein Eingriff, der allerdings seinerseits gerechtfertigt sein kann585. Daß durchaus berechtigte Interessen an der Zulässigkeit solcher Drohungen bestehen, spricht ebenfalls nicht gegen einen weiten Eingriffsbegriff, da diese Gegeninteressen allenfalls zu äußeren Begrenzungen der Freiheit führen können. Dies kommt besonders deutlich zum Ausdruck, wenn das abverlangte Verhalten den drohenden Eingriff deshalb überflüssig macht, weil der den Eingriff legitimierende (oder jedenfalls ein gleichgelagerter) Zweck auf diese Weise schon erfüllt wird. Dann sind nämlich zumindest auch diese öffentlichen Interessen der Grund dafür, die prima facie gewährleistete Entscheidungsfreiheit des Betroffenen hinsichtlich seines Verhaltens einzuschränken. Als Beispiel lassen sich wieder die Möglichkeiten anführen, durch die Einwilligung in eine Heilbehandlung die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung zu erreichen. Hinter der dem Täter eröffneten Möglichkeit stehen erhebliche öffentliche Interessen in spezialpräventiver Hinsicht, denen in diesen Fällen auch der Vorzug gegenüber den anderen Strafzwecken gegeben wird586. Die Erschwerung der Entscheidung des GrundVgl. Weßlau Konsensprinzip, S. 238 ff.; dies. KJ 1993, 461 (466 f.). So auch Michael Rechtsetzende Gewalt, S. 358: Die Rechtmäßigkeit der angedrohten Maßnahme sei auf der Stufe der Rechtfertigung zu erörtern. 586 Vgl. Amelung Einwilligung, S. 112, der deshalb aufgrund des Vorrangs des Gesetzes eine gesetzliche Regelung der Einwilligung für erforderlich hält. 584 585

II. Voraussetzungen eines grundrechtlichen Abwehranspruches

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rechtsträgers über die Einwilligung in eine solche Behandlung liegt jedenfalls auch in diesem öffentlichen Interesse, welches aber nur die Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffes zur Folge haben kann. Die Normen, in denen diese Möglichkeit der Aussetzung zur Bewährung vorgesehen ist, sind daher auch Ausdruck des Vorbehalts des Gesetzes. (g) Kontrolle des Ergebnisses: Ausreichende Berücksichtigung des Abwendungsinteresses des Grundrechtsträgers? Allerdings ist selbstverständlich nicht zu übersehen, daß die Eröffnung einer Abwendungsmöglichkeit auch im Interesse des Grundrechtsträgers selbst liegt. Wie vorstehend im Text schon beschrieben wird dessen Handlungsspielraum erweitert, indem er die Möglichkeit erhält, sich für ein Alternativverhalten zu entscheiden, sofern ihm dieses vorzugswürdig erscheint. Es fragt sich, ob dieses Eigeninteresse des Betroffenen tatsächlich mit einem weiten Eingriffsbegriff, der auch das Inaussichtstellen zulässiger Maßnahmen erfaßt, zu vereinbaren ist. Insofern soll nun das gefundene Ergebnis daraufhin überprüft werden, ob es die Interessen des Grundrechtsträgers – dessen Schutz doch die Einstufung der staatlichen Maßnahme als Eingriff dienen soll – hinreichend berücksichtigt. (aa) Im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulässigkeit einer polygraphischen Untersuchung als Beweismittel im Strafprozeß hat der 1. Strafsenat des BGH ausgeführt, daß es einen „dem Willen und den Interessen des Beschuldigten widersprechenden, der Sache nach ungerechtfertigten >SchutzSchutz