Vom Reden und Schweigen des Anstaltsarztes: Eine strafrechtliche und strafprozessuale Betrachtung [1 ed.] 3428189906, 9783428189908

Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob Anstaltsärzte den Strafverfolgungsbehörden Tatsachen, welche sie im Rahmen

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German Pages 425 [426] Year 2023

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Vom Reden und Schweigen des Anstaltsarztes: Eine strafrechtliche und strafprozessuale Betrachtung [1 ed.]
 3428189906, 9783428189908

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 315

Vom Reden und Schweigen des Anstaltsarztes Eine strafrechtliche und strafprozessuale Betrachtung

Von

Hannah Birte Ofterdinger

Duncker & Humblot · Berlin

HANNAH BIRTE OFTERDINGER

Vom Reden und Schweigen des Anstaltsarztes

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 315

Vom Reden und Schweigen des Anstaltsarztes Eine strafrechtliche und strafprozessuale Betrachtung

Von

Hannah Birte Ofterdinger

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Ludwig Sievers Stiftung, Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. Milan Kuhli, Hamburg Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18990-8 (Print) ISBN 978-3-428-58990-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meinen Vater

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation. Diese wurde im Wintersemester 2022/23 von der Uni­ versität Hamburg unter dem Titel „Strafprozessuale Offenbarungspflichten von Anstaltsärzten – Unter besonderer Berücksichtigung des § 114e StPO“ angenommen. Unter ebendiesem Titel wurde die Arbeit mit dem Promotions­ preis der Fakultät für Rechtswissenschaft ausgezeichnet. Für die Arbeit konnten Gesetzesänderungen bis Juni 2022 berücksichtigt werden. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli, der mich auf herausragende Weise unterstützt und gefördert hat. Die vielen konstruktiven Gespräche mit ihm haben maßgeblich zum Gelin­ gen dieser Arbeit beigetragen und er stand mir stets mit Rat zur Seite. Herrn Prof. Dr. Kai Cornelius danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutach­ tens und seine wertvollen Hinweise zu meiner Arbeit. Mein Dank gilt außer­ dem der Ludwig Sievers Stiftung/Stiftung zur Förderung der wissenschaft­ lichen Forschung über Wesen und Bedeutung der freien Berufe für die Ge­ währung eines Druckkostenzuschusses. Diese Arbeit wäre ohne den Austausch mit und die Unterstützung von ei­ ner Reihe von Kolleg:innen und Freund:innen nicht gelungen. Alle diese Personen aufzuzählen, ist ein nahezu unmögliches Unterfangen, ich möchte aber dennoch einige namentlich hervorheben. Zunächst danke ich Aylin ­Aslan und Judith Papenfuß, mit denen ich nicht nur eine wunderbare Zeit am Lehrstuhl verbringen durfte, sondern die auch immer die Geduld hatten, meine vielen kleinen Fragen zu beantworten. Ich danke Jon Menzel und Marie Landscheidt, die mir durch ihre ärztliche Perspektive und Einblicke in die Praxis geholfen haben, diese besser nachvollziehen zu können. Ich danke Johanna Haspel und Caroline Weise, die als Freundinnen immer für mich da waren. Schließlich danke ich Niels Traupe, der mir während aller Krisen zur Seite stand und niemals daran gezweifelt hat, dass ich diese Arbeit gut ab­ schließen werde. Der größte Dank gebührt meiner Mutter, Susanne Ofterdinger. Sie hat mich nicht nur stets ermutigt und unterstützt, sondern auch das Korrektur­lesen des Manuskripts übernommen. Gewidmet ist diese Arbeit meinem Vater Uwe Ofterdinger, der ihre Fertigstellung leider nicht mehr miterleben konnte. Hamburg, im Juli 2023

Hannah Ofterdinger

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

23

I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Kapitel

Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens 

28

A. Schweigepflicht und Schweigerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Standesrechtliche Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Heutige Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Standesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Privatrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 29 30 31 33 33 36 37 38 38 39

B. Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgewählte gesetzliche Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Spezielle Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amtsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Musterungsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Truppenärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Betriebsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anstaltsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 41 41 43 44 45 46 49 51 52 57 67

C. Offenbarungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entbindung von der Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 4 Abs. 3 Kinderschutz-Kooperations-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 69 74 76

10 Inhaltsverzeichnis 1. Individualinteressen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeininteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interessen des Schweigepflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 81 86 88 91

D. Praktische Umsetzung in Ausbildung und Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Schweigepflicht in der ärztlichen Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Schweigepflicht in der ärztlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Kapitel

Umfang der ärztlichen Schweigepflicht 

96

A. Das Verhältnis von Berufsrecht und Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 B. Der berufsrechtliche Umfang: § 9 MBO-Ä . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Norminhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abs. 3 und 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abs. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100 101 102 102 104 104 105

C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . I. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individualschutzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsschutzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz beruflicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschluss des Schutzes beruflicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . b) Argumente der Gemeinschaftsschutzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Argumente der Individualschutzlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die „Privatheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Individualsphäre des Einzelnen, Viktimodogmatik . . . . . . cc) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung  . . . . . d) Eigene Schutzgutbestimmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fremd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. In bestimmter Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden . . . . . . 4. Offenbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unbefugt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Besonderheiten bei Drittgeheimnissen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106 106 107 110 112 113 113 114 117 117 119 120 123 125 125 125 130 131 133 136 137

Inhaltsverzeichnis11 3. Kapitel

Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes 

139

A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestimmung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anzeigepflicht nach § 138 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anzeigepflicht nach § 139 Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139 140 142 143 148 153

B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze . . . . . . . . . . . . . . I. § 182 StVollzG (Bund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 182 Abs. 2 S. 2 2. Alt. StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Offenbarungsumfang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkung der Pflicht, § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG . . . . . . . . . . . . . 4. Sonstige Offenbarungsbefugnisse, § 182 Abs. 2 S. 4 StVollzG . . . . . . 5. Offenbarung externer Behandler, § 182 Abs. 4 StVollzG . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Landesgesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hamburg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Offenbarungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abwehr von Gefahren für Leben, Körper und Gesundheit . . . bb) Abwehr von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörden  . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Controllingzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Einwilligung der Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Erforderlichkeit der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Offenbarungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Offenbarung zu vollzuglichen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Hessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153 158 158 159 159 163 165 169 173 174 176 176 178 180 185 188 188 189 189 190 191 191 192 193 193 193 194 195

C. § 114e StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Regelungsadressat § 114e S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

12 Inhaltsverzeichnis 2. Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Systematischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) „Vollzugsanstalt“ im Sinne der Strafvollzugsgesetze und Unter­ suchungshaftvollzugsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) „Vollzugsanstalt“ im Sinne der Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . 207 aa) § 148a Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 dd) § 454 Abs. 1 S. 2, S. 4 Nr. 1, Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2 2. HS StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 ee) § 119 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 ff) § 114d StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 gg) Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Föderalismusfreundliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Subjektiv-teleologische Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 c) Vereinigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 d) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 e) Stellungnahme und konkrete teleologische Auslegung . . . . . . . . . . 246 6. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Regelungsadressat § 114e S. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Bestimmung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Erlangte Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Informationsübermittlung durch Bedienstete . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Informationsübermittlung durch Anstaltsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2. Bedeutung für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger aus Sicht der Vollzugsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Keine anderweitige Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 4. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 IV. Offenbarungspflichten und -befugnisse des Anstaltsarztes unter Berück­ sichtigung des § 114e StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Offenbarung geplanter Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Offenbarungspflichten aus den Landesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Offenbarung zur Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Aufgaben der Vollzugsanstalt im Rahmen des Untersu­ chungshaftvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (2) Erforderlichkeit der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Abwehr bestimmmter Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 cc) Weitere Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Offenbarungsbefugnisse aus den Landesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . 291

Inhaltsverzeichnis13 aa) Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt im Rahmen des Un­ tersuchungshaftvollzugs und vollzugliche Zwecke . . . . . . . . . bb) Privilegierung von Anstaltsärzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abwägung im Rahmen der Offenbarungsbefugnis . . . . . . . . . dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offenbarung begangener Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . I. Gemeinsame Eigenschaften und Anwendungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die einzelnen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweifelsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Prinzip der Einzelfallbetrachtung der widerstreitenden Interes­ sen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Prinzip der Ermittlung des Offenbarungsumfanges . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anforderungen an die Kommunikation und Auflösung von Anwen­ dungsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 293 293 295 296 299 302 302 303 307 307 309 312 312 313 313 316

4. Kapitel

§ 114e StPO als Rechtfertigungsgrund 

317

A. Fallgestaltungen anstaltsärztlicher Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art der Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bezug der Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweggründe der Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beispielfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317 318 320 321 321

B. Grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundprinzipien der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pluralistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Struktur von Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

322 322 324 324 326 327 328

C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO . . . . . I. Die Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interessen Betroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kollision der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen von § 114e S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331 331 332 333 340 340

14 Inhaltsverzeichnis 1. Objektive Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigungswürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lösung der Beispielfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfüllung der Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtum über eine Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

341 342 345 348 349 349 354 358

5. Kapitel

Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen 

360

A. Vorbemerkungen zu Beweisverwertungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbständige und unselbständige Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . 1. Selbständige Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unselbständige Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

360 360 362 362 365

B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess . . . . . . . . I. Ärztliche Zeugenaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzzweck des § 53 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vernehmung von Ärzten und Verwertbarkeit ihrer Aussagen . . . . . . . . II. Aussage von ärztlichen Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aussagen Dritter nach ärztlichen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übertragung der Feststellungen auf anstaltsärztliche Mitteilungen . . . . . .

367 368 369 370 375 383 386

C. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 6. Kapitel

Zusammenfassung der wichtigsten Thesen 

393



Anhang: Tabelle der Strafvollzugsgesetze, Untersuchungshaftvollzugsgesetze und Justizvollzugsdatenschutzgesetze der Bundesländer 

397

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort ÄApprO Approbationsordnung für Ärzte abl. ablehnend Abs. Absatz Abschn. Abschnitt a. F. alte Fassung ähnl. ähnlich AK-StVollzG Kommentar zum Strafvollzugsgesetz Alt. Alternative a. M. am Main Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Union Anm. Anmerkung AnwK-StPO AnwaltKommentar StPO AnwK-UHaft AnwaltKommentar Untersuchungshaft ArbMedVV Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge ArbRAktuell Arbeitsrecht Aktuell ArbSchG Arbeitsschutzgesetz Art. Artikel ASiG Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage ÄVBl. Ärztliches Vereinsblatt für Deutschland BÄK Bundesärztekammer BÄO Bundesärzteordnung BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayStVollzG Bayerisches Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstra­ fe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung BayUVollzG Bayerisches Gesetz über den Vollzug der Untersu­ chungshaft BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BBG Bundesbeamtengesetz

16 Abkürzungsverzeichnis BbgJVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugend­ strafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg

BbgPJMDSG

Brandenburgisches Polizei-, Justizvollzugs- und Maß­ regelvollzugsdatenschutzgesetz

Bd. Band BDH Bundesdisziplinarhof BDSG Bundesdatenschutzgesetz BeamtStG Beamtenstatusgesetz BeckOK Beamtenrecht

Beck’scher Online Kommentar Beamtenrecht Bund

BeckOK Datenschutzrecht Beck’scher Online Kommentar Datenschutzrecht BeckOK-StGB

Beck’scher Online Kommentar Strafgesetzbuch

BeckOK-StPO

Beck’scher Online Kommentar Strafprozessordnung

BeckOK Strafvollzug

Beck’scher Online Kommentar Strafvollzugsrecht

BeckRS Beck-Rechtsprechung BFH Bundesfinanzhof BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BKiSchG

Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kin­ dern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz)

BlnHKG

Berliner Heilberufekammergesetz

BlnLT-Drs.

Drucksachen des Abgeordnetenhauses Berlin

BlnVerfGH

Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

Brem

Freie Hansestadt Bremen

BremJVollzDSG

Bremisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Da­ ten im Justizvollzug

BremStVollzG

Bremisches Strafvollzugsgesetz

BremUVollzG

Bremisches Gesetz über den Vollzug der Untersu­ chungshaft

BT-Drs.

Drucksachen des Deutschen Bundestages

BtMG

Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäu­ bungsmittelgesetz)

BtMVV

Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln

B. v.

Beschluss vom

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGK

Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Abkürzungsverzeichnis17 BVerwG Bundesverwaltungsgericht BWJVollzGB

Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württem­ berg

BWLT-Drs.

Drucksachen des Landtages von Baden-Württemberg

bzw. beziehungsweise DÄ

Deutsches Ärzteblatt

ders. derselbe DMW

Deutsche Medizinische Wochenschrift

DSGVO Datenschutzgrundverordnung DSVollz

Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug

ebd. ebenda EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EPR

Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006 (European Prison Rules)

ErfK

Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht

f. für/folgende FeV Fahrerlaubnisverordnung ff. fortfolgende Fn. 

Fußnote

FS Festschrift GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

GG Grundgesetz gem. gemäß GesR Gesundheitsrecht HeilBerG NRW

Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen

HeilBG RP

Heilberufsgesetz Rheinland-Pfalz

HK-StPO

Strafprozessordnung Heidelberger Kommentar

HmbBürgerschafts-Drs.

Drucksache der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg

HmbHKG

Hamburgisches Kammergesetz für die Heilberufe

HmbJVollzDSG

Hamburgisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug

HmbStVollzG

Hamburgisches Gesetz über den Vollzug der Freiheits­ strafe

HmbUVollzG

Hamburgisches Gesetz über den Vollzug der Untersu­ chungshaft

HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht

18 Abkürzungsverzeichnis Hrsg. Herausgeber HS Halbsatz HStVollzG

Hessisches Strafvollzugsgesetz

HUVollzG

Hessisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz

i. Br.

im Breisgau

i. d. F. v.

in der Fassung vom

i. d. S.

in diesem Sinne

i. Erg.

im Ergebnis

IfSG

Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektions­ krankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz)

IPbürgR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

i. S. d.

im Sinne der/des

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung

JVollzDSG Bln

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justiz­ vollzug und bei den Sozialen Diensten der Justiz des Landes Berlin

JVollzDSG M-V

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justiz­ vollzug des Landes Mecklenburg-Vorpommern

JVollzDSG NRW

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justiz­ vollzug in Nordrhein-Westfalen

JVollzDSG SH

Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personen­ bezogener Daten im Justizvollzug

JVollzDSG SL

Saarländisches Justizvollzugsdatenschutzgesetz

JVollzGB LSA

Justizvollzugsgesetzbuch Sachsen-Anhalt

JZ Juristenzeitung KBV

Kassenärztliche Bundesvereinigung

KG Kammergericht KKG

Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinder­ schutz (Kinderschutz-Kooperations-Gesetz)

KK-OWiG

Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswid­ rigkeiten

KK-StPO

Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung

KMR-StPO

KMR Kommentar zur Strafprozessordnung

krit. kritisch

Abkürzungsverzeichnis19 LG Landgericht LJVollzDSG RP

Landesjustizvollzugsdatenschutzgesetz Rheinland-Pfalz

LJVollzG RP

Landesjustizvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz

LK-StGB

Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar

LK-StPO

Strafprozessordnung Leipziger Kommentar

LNNV

Strafvollzugsgesetze Kommentar

LSALT-Drs.

Drucksache des Landtages von Sachsen-Anhalt

LSG Landessozialgericht LStVollzG SH

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Schles­ wig-Holstein

m. mit MAH MedR

Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht

MAH Strafverteidigung

Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung

MBO-Ä

(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MedR

Medizinrecht (Zeitschrift)

MedR-Komm

Medizinrecht Kommentar

MHdB-ArbR

Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht

MMR

Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung

MRK

s. EMRK

MüKo-BGB

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

MüKo-StGB

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch

MüKo-StPO

Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung

m. V. a.

mit Verweis auf

MVLT-Drs.

Drucksache des Landtages Mecklenburg-Vorpommern

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

n. F.

neue Fassung

NJOZ

Neue Juristische Online-Zeitschrift

NJVollzG

Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report NK-GS

Nomos Kommentar Gesamtes Strafrecht

NK-MedR

Nomos Kommentar Gesamtes Medizinrecht

NK-StGB

Nomos Kommentar Strafgesetzbuch

Nr. Nummer NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht, Rechtsprechungs-Report

20 Abkürzungsverzeichnis NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

OLG Oberlandesgericht OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

R&P

Recht & Psychiatrie (Zeitschrift)

RGBl. Reichsgesetzblatt Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung RStGB Reichsstrafgesetzbuch S. Satz/Seite s. a.

siehe auch

SächsHKaG

Sächsisches Heilberufekammergesetz

SächsJVollzDSG

Sächsisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug

SächsStVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrests im Freistaat Sachsen

SächsUHaftVollzG

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Freistaat Sachsen

SBJL

Strafvollzugsgesetz – Bund und Länder Kommentar

SchKG

Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwan­ gerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz)

SG Soldatengesetz SGB V

Sozialgesetzbuch V: Gesetzliche Krankenversicherung

SGB VII

Sozialgesetzbuch VII: Gesetzliche Unfallversicherung

SK-StGB

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

SK-StPO

Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung

SLStVollzG

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe im Saarland

s. o.

siehe oben

SSW-StGB

Strafgesetzbuch Kommentar

SSW-StPO

Strafprozessordnung Kommentar

StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StrlSchV

Strahlenschutzverordnung

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

StVollzG Bln

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Berlin

StVollzG M-V

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklen­ burg-Vorpommern

Abkürzungsverzeichnis21 StVollzG NRW

Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen

SUVollzG

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Saarland

SVVollzG Bln

Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Berlin

SVVollzG NRW

Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsver­ wahrung in Nordrhein-Westfalen

ThürDSG

Thüringer Datenschutzgesetz

ThürJVollzGB

Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch

TPG Transplantationsgesetz u. a.

und andere

U. v.

Urteil vom

UVollzG Bln

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Ber­ lin

UVollzG M-V

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Mecklenburg-Vorpommern

UVollzG NRW

Gesetz zur Regelung des Vollzugs der Untersuchungs­ haft in Nordrhein-Westfalen

UVollzG SH

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein

UVollzO

Untersuchungshaftvollzugsordnung (Bund)

v. von/vom Var. Variante VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche Vorbem. Vorbemerkungen VV StVollzG

Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz

VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WPflG Wehrpflichtgesetz z. B.

zum Beispiel

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht

ZfPW

Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft

ZfStrVo

Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (jetzt Forum Strafvollzug)

ZIS

Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik

ZJS

Zeitschrift für das Juristische Studium

ZPO Zivilprozessordnung ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung I. Problemstellung Die erste Idee zu dieser Arbeit entstand im Jahr 2017 während der An­ waltsstation meines juristischen Referendariats, welche ich bei einem Ham­ burger Strafverteidiger absolvierte. In einem der Verfahren betreuten wir ei­ nen Mandanten, der während seiner Festnahme schwer verletzt worden war. Der Mandant wurde zunächst in einem allgemeinen Krankenhaus versorgt und nach Anordnung der Untersuchungshaft in das Hamburger Vollzugskran­ kenhaus (Zentralkrankenhaus) verlegt. Aufgrund der Schwere seiner Verlet­ zungen wurde er dort mehrere Wochen ärztlich behandelt. Unter anderem wurde er im Zentralkrankenhaus auch durch eine dort angestellte Psycholo­ gin untersucht und betreut. Die betreuende Psychologin übersandte sodann ohne vorherige gerichtliche Aufforderung oder gerichtlichen Auftrag eine Art Stellungnahme an das Gericht und die Staatsanwaltschaft. In dieser Stellung­ nahme äußerte sie sich zu der aktuellen psychischen Verfassung des Mandan­ ten, gab ihre fachliche Einschätzung und empfahl die nach ihrer Ansicht notwenigen rechtlichen Schritte. Insbesondere zweifelte sie an der Schuldfä­ higkeit des Mandanten, welche zuvor zu keinem Zeitpunkt in Frage gestan­ den hatte. Aus der Perspektive der Verteidigung war in diesem Zusammenhang zu­ nächst zu überprüfen, ob die betreffende Psychologin wegen ihrer Mitteilun­ gen nach § 203 StGB angezeigt werden konnte und ob die von ihr getätigten Aussagen im gerichtlichen Verfahren verwertet werden dürften. Nachdem seitens der Verteidigung einer Verwertung der Angaben zunächst unter Hin­ weis auf § 203 StGB widersprochen wurde, entgegnete die Staatsanwalt­ schaft, dass bereits kein Verstoß gegen § 203 StGB vorgelegen hätte, und verwies auf § 114e StPO1. Die Staatsanwaltschaft war sogar der Ansicht,

1  § 114e

Übermittlung von Erkenntnissen durch die Vollzugsanstalt Die Vollzugsanstalt übermittelt dem Gericht und der Staatsanwaltschaft von Amts wegen beim Vollzug der Untersuchungshaft erlangte Erkenntnisse, soweit diese aus Sicht der Vollzugsanstalt für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Bedeu­ tung sind und diesen nicht bereits anderweitig bekannt geworden sind. 2Sonstige Be­ fugnisse der Vollzugsanstalt, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Erkenntnisse mitzuteilen, bleiben unberührt. 1

24 Einleitung

dass die betreffende Psychologin aufgrund ihrer Tätigkeit im Untersuchungs­ haftvollzug nach § 114e StPO zu derartigen Mitteilungen verpflichtet sei.2 Im Rahmen meiner Referendarstätigkeit sollte ich die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft prüfen, insbesondere, ob § 114e StPO für die betref­ fende Psychologin überhaupt gelten konnte, da diese Norm nur eine generelle Verpflichtung der Vollzugsanstalt zu Mitteilungen normiert. Insbesondere sollte ich begutachten, ob schweigepflichtige Personen, welche in der Voll­ zugsanstalt tätig sind, durch diese Norm zu einer Offenbarung der ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt gewordenen Tatsachen berechtigt oder sogar verpflichtet sein könnten. Die Ergebnisse meiner Recherchen waren insgesamt wenig zufriedenstel­ lend, da zum damaligen Zeitpunkt kaum Literatur zu § 114e StPO vorhanden war. Die Frage, wer genau in § 114e S. 1 StPO mit dem Begriff „Vollzugsan­ stalt“ gemeint, wer demnach Adressat der Regelung sein kann, wurde in der Literatur zwar behandelt, allerdings vorwiegend im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm.3 Die weitergehende Problemstel­ lung, ob die Norm auch für Berufsgeheimnisträger anwendbar ist oder nicht, wurde zu diesem Zeitpunkt an keiner Stelle eindeutig erwähnt. Die vorliegende Arbeit soll einen Betrag dazu leisten, die eingangs be­ schriebene Fallkonstellation und entsprechende Fälle lösbarer zu machen. Die sich zunächst aufdrängende Forschungsfrage ist diejenige, ob die in § 114e S. 1 StPO normierte Mitteilungspflicht für alle in der Vollzugsanstalt tätigen Personen gelten kann. Insbesondere stellt sich die Frage, ob auch Ärzte, Psychotherapeuten sowie die Mitarbeitenden der weiteren Fach­ dienste4, vornehmlich also Personen, die beruflich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, in dieser Konstellation einer Pflicht zur Mitteilung unter­ worfen sind. Zu untersuchen ist in diesem Zusammenhang, ob diese Personen durch eine Norm der Strafprozessordnung zum Reden verpflichtet werden können.

2  Im Rahmen meiner Tätigkeit konnte Einsicht in die entsprechenden Akten ge­ nommen und an der Verhandlung teilgenommen werden. Aus Gründen des Daten­ schutzes wird an dieser Stelle jedoch von einem quellenmäßigen Beleg abgesehen. 3  S. hierzu ausführlich 3. Kapitel C. vor I. 4  Die Fachdienste umfassen neben dem ärztlichen und psychologischen Dienst auch die Seelsorge sowie den pädagogischen und sozialen Dienst, vgl. § 155 Abs. 2 StVollzG.

Einleitung25

II. Gang der Untersuchung Die Forschungsfrage dieser Arbeit wurde auf eine möglicherweise beste­ hende Verpflichtung von Anstaltsärzten5 beschränkt. Die Eingrenzung ist unter anderem deswegen sinnvoll und zielführend, da die Schweigepflicht von Ärzten im Strafvollzug bereits umfassend in der Literatur behandelt und somit grundsätzliche Fragen bereits untersucht wurden.6 Zudem bestehen ausführliche Sonderbestimmungen in Bezug auf die ärztliche Versorgung in­ nerhalb des Vollzugs.7 Die Offenbarung von Anstaltsärzten im Vollzug ist darüber hinaus besonderen Voraussetzungen und Privilegien unterworfen, welche für die übrigen schweigepflichtigen Mitarbeitenden der Fachdienste nicht gelten. Um die aufgeworfene Forschungsfrage beantworten zu können, beschäftigt sich diese Arbeit zu Beginn mit den rechtlichen Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens sowie dem Umfang der ärztlichen Schweigepflicht. Im ersten Kapitel wird zunächst ein kurzer Blick auf die Historie der ärztli­ chen Schweigepflicht geworfen und sodann die Rechtsquellen der Schweige­ pflicht aufgezeigt. Die Darlegung der Historie und der Rechtsquellen sollen die grundlegende Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht für die Berufs­ ausübung von Ärzten und die Entstehung einer vertrauensvollen Arzt-Patien­ ten-Beziehung vermitteln. Im Anschluss werden ausgewählte gesetzlich normierte Offenbarungs­ pflichten dargestellt. Dabei wird jeweils der Umfang der zu offenbarenden Tatsachen sowie der Grund für die Offenbarung eingehend beschrieben. An­ schließend werden besondere Offenbarungspflichten von Ärzten in bestimm­ ten Tätigkeitsbereichen untersucht. So unterliegen einige Ärzte, aufgrund ihres besonderen Anstellungsverhältnisses, auch besonderen Offenbarungs­ pflichten. Hierzu werden beispielhaft die besonderen Pflichten von Amtsärz­ ten, Musterungs- und Truppenärzten, Betriebsärzten sowie Anstaltsärzten aufgezeigt. Darauffolgend werden einige, für alle Ärzte geltende, Offenbarungsbefug­ nisse behandelt. In diesem Zusammenhang wird unter anderem die Entbin­ dung von der Schweigepflicht wie auch der rechtfertigende Notstand gemäß 5  Der Begriff der Anstaltsärzte beschreibt die für die medizinische Versorgung zuständigen hauptamtlichen Ärzte innerhalb der Justizvollzugsanstalt; s. hierzu aus­ führlich 1. Kapitel B.II.5. 6  Vgl. hierzu unter anderem Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, 2003; Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S.  41 f.; Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (90); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 11. 7  S. hierzu ausführlich 1. Kapitel B.II.5. sowie 3. Kapitel B.

26 Einleitung

§ 34 StGB genauer betrachtet. Dabei wird jeweils auf bestehende Streitigkei­ ten und einzelne Problemstellungen eingegangen. Ferner wird der wesentli­ che Unterschied zwischen Offenbarungspflichten und -befugnissen herausge­ stellt. Abschließend wird die praktische Umsetzung der Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht in Ausbildung und Beruf besprochen. Hierbei werden so­ wohl die Vermittlung des Umfanges und der Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen der ärztlichen Ausbildung, als auch die Aufklä­ rung praktizierender Ärzte über den Umfang und die aktuelle Ausgestaltung der ärztlichen Schweigepflicht aufgezeigt. Im zweiten Kapitel werden § 9 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutsch­ land tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie § 203 Strafgesetzbuch ausführlich betrachtet. Eingangs wird das Verhältnis von Berufsrecht und Strafrecht erör­ tert. In Bezug auf § 9 MBO-Ä wird dessen Normzweck sowie dessen Norminhalt dargestellt. Da die Frage, welches Rechtsgut von § 203 StGB geschützt wird, umstritten ist, wird dieses zunächst unter Darlegung der un­ terschiedlichen Ansichten herausgearbeitet. Die Frage der Rechtsgutbestim­ mung hat Auswirkungen auf den Schutzumfang und die Grenzen der Schwei­ gepflicht. Daneben beeinflusst das Rechtsgut auch, welche Anforderungen an gesetzliche Offenbarungspflichten und -befugnisse zu stellen sind und unter welchen Umständen der Bruch der Schweigepflicht gerechtfertigt sein kann. Abschließend wird der Tatbestand des § 203 StGB betrachtet, wobei jeweils auf bestehende Streitigkeiten hinsichtlich der Auslegung einzelner Tatbe­ standsmerkmale eingegangen wird. Das dritte Kapitel widmet sich ausführlich den zentralen, speziell für An­ staltsärzte geltenden, Offenbarungspflichten und -befugnissen. Hierbei wird jeweils der Regelungsadressat der einzelnen Normen sowie die von ihm zu erfüllende Pflicht genau bestimmt. In diesem Zusammenhang wird zunächst die Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB besprochen, da diese Normen einen Bruch der Schweigepflicht zur Anzeige einer Straftat normieren. In einem weiteren Schritt werden die besonderen Bestimmungen der Straf­ vollzugs- und Untersuchungshaftvollzugsgesetze detailliert dargelegt und systematisiert. Zur Einführung erfolgt eine Darstellung der Offenbarungs­ pflichten und -befugnisse nach dem früher geltenden Bundesrecht. Anschlie­ ßend werden die Landesgesetze zum Strafvollzug, Untersuchungshaftvollzug sowie zum Datenschutz während des Vollzugs anhand des jeweiligen Norm­ textes gruppiert und analysiert. Die einzelnen gesetzlichen Regelungen wer­ den an geeigneter Stelle unter dem Gesichtspunkt der jeweils normierten Pflichten und Befugnisse miteinander verglichen.

Einleitung27

Daran anschließend wird die Regelung des § 114e StPO genau in den Blick genommen. Hierzu wird zunächst der Regelungsadressat der Vorschrift durch Auslegung ermittelt. Das Ziel dieser Auslegung ist es, zu bestimmen, wer genau mit dem Wort „Vollzugsanstalt“ in § 114e StPO gemeint ist. So­ dann wird die von § 114e StPO normierte Pflicht herausgearbeitet. Es wird untersucht, ob § 114e StPO Einfluss auf den Umfang und die Grenzen der anderen, für den Anstaltsarzt geltenden, Offenbarungspflichten und -befug­ nisse nehmen kann. Abschließend werden die in diesem Kapitel untersuchten Offenbarungs­ pflichten miteinander verglichen, wobei gemeinsame Eigenschaften und eventuell auftretende Anwendungsprobleme herausgestellt werden. Dabei wird versucht, aus den betrachteten Normen allgemeine Prinzipien abzulei­ ten, welche für alle Offenbarungspflichten Geltung entfalten. Das vierte Kapitel befasst sich mit der Frage, ob § 114e StPO einen Recht­ fertigungsgrund für den Bruch der Schweigepflicht darstellen kann. Hierzu werden zunächst Fallgestaltungen aufgezeigt, in welchen ein strafbarer Bruch der Schweigepflicht durch einen Anstaltsarzt vorliegen kann. Anschließend wird versucht, das Wesen von Rechtfertigungsgründen, zumindest in Teilen, zu ermitteln. Diese Darstellung soll die Grundlage für die Beantwortung der Frage bilden, ob § 114e StPO seinem Wesen nach überhaupt einen Rechtfer­ tigungsgrund darstellen kann. Nach einer Betrachtung der Voraussetzungen, welche bei einer Rechtfertigung nach § 114e StPO vorliegen müssten, wer­ den die eingangs gebildeten Fallgestaltungen entsprechend gelöst. Im fünften Kapitel wird erörtert, wie mit den durch einen Anstaltsarzt rechtswidrig offenbarten Tatsachen umgegangen werden darf. Die zentrale Frage ist hierbei, ob diese Tatsachen einem Verwertungsverbot unterliegen. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik der Beweisverwertungsver­ bote im Strafverfahren wird ein Vergleich zu anderen ärztlichen Mitteilungen im Strafverfahren gezogen. Beispielhaft wird hier die Verwertbarkeit von ärztlichen Zeugenaussagen, der Aussage von ärztlichen Sachverständigen und der Aussagen Dritter nach ärztlichen Untersuchungen erörtert. Abschlie­ ßend werden die hierzu gefundenen Ergebnisse auf ihre Übertragbarkeit auf anstaltsärztliche Mitteilungen untersucht und eigene Überlegungen zur Ver­ wertbarkeit dieser angestellt.

1. Kapitel

Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens A. Schweigepflicht und Schweigerecht Die ärztliche Schweigepflicht spielt eine zentrale Rolle in der Berufsaus­ übung und für das Selbstverständnis der Ärzte, aber auch für die Wahrneh­ mung und den Umgang der Öffentlichkeit bzw. allgemeinen Bevölkerung mit Ärzten.1 Sie ist elementare Grundlage für ein vertrauensvolles Arzt-Patien­ ten-Verhältnis und zählt zum Kernbereich der ärztlichen Berufsethik.2 Das Schweigen des Arztes bildet eine wichtige Grundvoraussetzung für eine wirksame Behandlung und effektive ärztliche Tätigkeit.3 Der Arzt wird einen Patienten in der Regel nur dann gut behandeln können, wenn dieser ihm Vertrauen entgegenbringt und sich vollständig offenbart. Dieses Vertrauen wird der Patient dem Arzt in der Regel aber nur dann entgegenbringen, wenn er sich sicher sein kann, dass der Arzt über alles, was er in seiner Funktion als solcher erfährt, schweigen wird.4 Die ärztliche Schweigepflicht gilt dem Grundsatz nach zunächst einmal gegenüber jedermann, der nicht in das jeweilige Arzt-Patienten-Verhältnis mit einbezogen ist.5 Sie beginnt ab der ersten Kontaktaufnahme mit dem Arzt bis über den Tod des Patienten hinaus und umspannt somit das gesamte Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Patienten.6 1  Vgl. Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 309, 313; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 165 f. 2  BÄK/KBV, „Hinweise und Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Daten­ schutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis“, DÄ 09.03.2018, A-1 (A-2), DOI: 10.3238/arztebl.2018.ds01; s.  a. MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 151; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Kap.  XVII Rn.  934; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 1. 3  Vgl. Spickhoff/Deutsch/Spickhoff, Einleitung Rn. 16; Quaas, in: Quaas/Zuck/ Clemens/Gokel, MedR, § 13 Rn. 61. 4  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 224; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Hand­buch Medizinstrafrecht Rn. 1071; Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 1. 5  Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, MedR, § 13 Rn. 64; zu den Ausnahmen s. unten unter B. und C.



A. Schweigepflicht und Schweigerecht29

Die substanzielle Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht hat auch die Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits mehrfach betont und bestätigt.7 Dabei wird auch deren Relevanz für die Behandlung durch den Arzt ge­ nannt.8

I. Entstehungsgeschichte Stellt man eine Untersuchung zum geschichtlichen Hintergrund und zu der Normierung der ärztlichen Schweigepflicht an, fällt auf, dass die meisten Texte zunächst mit einem Verweis auf den Hippokratischen Eid beginnen.9 Dieser Eid, welcher auf Hippokrates von Kós (um 460 bis 370 v. Chr.) zu­ rückgeht, ist die eidliche Verpflichtung, die ein Neueintretender auf das Sta­ tut einer alten Ärzteschule zu leisten hatte.10 Der Eid enthält eine Reihe von Versprechen, darunter auch die Verschriftlichung der Pflicht eines Arztes über das, was er während der Behandlung erfährt, Schweigen zu bewahren. In der Eidesformel heißt es: „Was immer ich sehe und höre, bei der Behandlung oder außerhalb der Behand­ lung, im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches be­ trachte, das nicht ausgesprochen werden darf.“11

Wichtiger als der Text dieses Eides, ungeachtet seiner Relevanz oder Ak­ tualität, erscheint jedoch der Aspekt der grundlegenden Werte, welche durch den Eid ausgedrückt und vermittelt werden und welche bis heute in der ärzt­ lichen Ausbildung tradiert werden. Der Eid hat somit eine gewisse Leitbild­ funktion und bildet eine wichtige Grundlage für die Medizinethik.12 Die ärztliche Tätigkeit ist seit jeher stark geprägt von einer Standesethik, welche durch Heil- und Kammergesetze sowie Berufsordnung(en) in Rechts­ form gegossen wurde. Jedoch erscheint die Frage, welches Selbstbildnis 6  Vgl.

§ 203 Abs. 4 StGB, § 9 Abs. 1 MBO-Ä. BVerfGK 8, 183 (190 f.); BVerfG NJW 1972, 1123 (1124); BGH NJW 1983, 2627 (2628); NJW 1984, 2893 (2894). 8  BVerfGK 8, 183 (190 f.); BVerfG NJW 1979, 1925 (1930). 9  So u. a. Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 224; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 1; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1071; Hilgendorf, Einführung in das Medizinstrafrecht, 1. Kapitel Rn. 4, 8; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 1; Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 1; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 139 Rn. 1. 10  Deichgräber, Der hippokratische Eid, S. 7. 11  Deichgräber, Der hippokratische Eid, S. 15. 12  Grömig, NJW 1970, 1209 (1210); Hilgendorf, Handbuch des Medizinstraf­ rechts, 1. Kapitel Rn. 8; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 4. 7  U. a.

30

1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Ärzte von sich und ihrer Tätigkeit haben, auch heute noch mehr Gewicht zu haben als jede gesetzliche Normierung.13 1. Gesetzliche Kodifikation Bereits vor Ende des 16. Jahrhunderts wurden von Kaisern, Fürsten oder Städten Medizinalordnungen erlassen.14 Diese waren dadurch gekennzeich­ net, dass sie das gesamte Gebiet des Heilwesens zu regeln versuchten.15 Die Medizinalordnungen, welche vor dem 16. Jahrhundert erlassen wurde, trafen teilweise sehr dezidierte Regelungen in Bezug auf das Verhalten von Ärzten. Obrigkeitliche Normen über den Schutz des Arztgeheimnisses lassen sich jedoch erst ab dem 16. Jahrhundert nachweisen.16 So findet sich jeweils etwa in der Medizinalordnung der Stadt Worms auf dem Jahre 1582 und derjeni­ gen der Stadt Passau aus dem Jahre 1586 eine Regelung, mit welcher die Schweigepflicht für Ärzte und Apotheker eingeführt wurde.17 Ein Beispiel einer Schweigepflichtregelung aus dem 17. Jahrhundert findet sich in einer Medizinalordnung von 1685, welche den Titel „Kgl. Preußische und churfürstliche brandenburgische Medizinal-Edikt und Ordnung“ trug.18 Hier ist ein Passus enthalten, welcher es den Ärzten gebietet, die von ihnen „entdeckte[n] heimliche[n] Mängel und Gebrechen“ niemandem zu offenba­ ren.19 Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 präzisierte diese Pflicht. So bestimmte der im Zwanzigsten Titel des Zweiten Teils aufgeführte § 505 „Aerzte, Wundärzte, und Hebammen, sollen die ihnen bekannt gewor­ denen Gebrechen und Familiengeheimnisse […] niemandem offenbaren.“20 Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 gebrauchte in seinem § 155 so­ dann das Tatbestandsmerkmal der „Privatgeheimnisse“. Dort hieß es „Medi­ zinalpersonen und deren Gehilfen, sowie alle Personen, die unbefugterweise Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen Kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, werden […] bestraft“.21 Der Gesetzgeber strebte hier einen engen, auf die Offenbarung anvertrauter Privatgeheimnisse gerich­ 13  S.

hierzu auch unter II.1. Geschichte des Deutschen Gesundheitswesens, Bd. 1, S. 161. 15  A. Fischer, ebenda. 16  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 166 m. w. N. 17  A. Fischer, Geschichte des Deutschen Gesundheitswesens, Bd. 1, S. 187. 18  A. Fischer, Geschichte des Deutschen Gesundheitswesens, Bd. 1, S. 331; sowie ebd. Anlage Nr. 7, Das Medizinaledikt des Großen Kurfüsten, S. 340. 19  A. Fischer, Geschichte des Deutschen Gesundheitswesens, Anlage Nr. 7, Das Medizinaledikt des Großen Kurfüsten, S. 341. 20  Hattenauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 693. 21  Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche, Band 2, S. 327. 14  A. Fischer,



A. Schweigepflicht und Schweigerecht31

teten Schutz an. Es sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass nur von sol­ chen Geheimnissen die Rede sei, an deren Bewahrung Privatpersonen Inte­ ressen hätten.22 Durch den Zusatz „unbefugterweise offenbaren“ sollte zudem angedeutet werden, dass die Fälle von einer Strafbarkeit ausgeschlossen seien, in welchen eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung anvertrauter Geheimnisse eintrat.23 Ferner sollte das „unbefugterweise“24 auch erkennt­ lich machen, dass die Vorschrift nicht anwendbar sei, wenn eine Genehmi­ gung oder Gestattung zur Offenbarung von Seiten des Anvertrauenden hinzu­ trat.25 Mit Inkrafttreten des Rechtsstrafgesetzbuches im Jahre 1871 wurde die strafrechtlich geschützte Schweigepflicht des Arztes in dessen § 300 geregelt, welcher neben den Angehörigen der Heilberufe nun auch weitere schweige­ pflichtige Berufsgruppen namentlich aufzählte.26 Die Schweigepflicht des Arztes erreichte in dieser Zeit eine besonders herausgehobene Stellung und das Geheimhaltungsinteresse des Patienten galt geradezu als absoluter Wert.27 § 300 (R)StGB wurde in der Folgezeit mehrfach verändert, wobei im We­ sentlichen der Kreis der Schweigepflichtigen ergänzt und erweitert wurde. Mit der Strafrechtsreform von 1974 wurde der Gesetzestatbestand in den neuen § 203 StGB überführt und fand somit seine heutige Stellung und Überschrift „Verletzung von Privatgeheimnissen“.28 Ebenfalls wurde mit der genannten Reform der Zusatz „namentlich ein zum persönlichen Lebensbe­ reich gehörendes Geheimnis“ in den Gesetzestext eingefügt.29 2. Standesrechtliche Kodifikation Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, zählt die ärztliche Schwei­ gepflicht zum Kernbereich der ärztlichen Berufsethik.30 Allerdings wurde die 22  Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche, Band 2, S. 327; Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, S. 201. 23  Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche, Band 2, S. 327. 24  Krit. zu diesem Merkmal schon Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, S. 328. 25  Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche, Band 2, S. 328; Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, S. 201. 26  RGBl. 1871, S. 184 f. 27  Vgl. Eb. Schmidt, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 22 m. w. N. 28  Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974, BGBl. I 1974, S. 487. 29  BGBl. I 1974, S. 487. 30  BÄK/KBV, „Hinweise und Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Da­ tenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis“, DÄ 09.03.2018, A-1 (A-2), DOI: 10.3238/arztebl.2018.ds01.

32

1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Schweigepflicht in den im 19. Jahrhundert entstehenden Formen modernen Standesrechts oftmals nicht ausdrücklich angesprochen.31 Dies könnte sich dadurch erklären lassen, dass § 300 (R)StGB ab 1871 auf strafrechtlicher Ebene Verletzungen der ärztlichen Schweigepflicht sanktionierte.32 Eine erst­ malig 1889 vom Deutschen Ärztetag verabschiedete Standesordnung wies zwar noch kaum einen ethischen Pflichtenkatalog für die Ärzteschaft auf,33 stellte jedoch den ersten Versuch eines überregionalen Leitbildes für die Ärz­ teschaft dar.34 Im Jahr 1948, auf dem ersten Deutschen Ärztetag nach dem Zweiten Welt­ krieg, wurde ein Beschluss gefasst, wonach die Ärzteschaft beanspruchte „sich selbst eine vom Staate zu genehmigende Berufsordnung zu geben und unter Mitwirkung aller Berufsangehörigen die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben sicherzustellen, die der ärztliche Dienst erfordert“.35 Diesem Wunsch wurde von Seiten des Parlamentarischen Rates jedoch nicht entspro­ chen, sondern die Gesetzgebungszuständigkeit weitgehend in die Hände der Länder gelegt.36 Die schließlich 1950 beschlossene Berufs- und Fachärzteordnung betonte das Gebot der Schweigepflicht und versuchte bindende Vorschriften diesbe­ züglich zu bilden.37 Im Jahre 1956 wurde schließlich vom Deutschen Ärzte­ tag eine „Berufsordnung für die deutschen Ärzte“ erarbeitet,38 welche im Jahre 1997 grundlegend überarbeitet wurde.39 Aktuell gilt die (Muster-)Be­ rufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung des Beschlusses des 124. Deutschen Ärztetages vom 5. Mai 2021 in Berlin.40 Diese (Muster-)Berufsordnung gilt nicht verbindlich für die einzelnen Ärzte, sondern stellt eine Empfehlung und ein Vorbild für die von den Landesärztekammern zu erlassenden Berufsordnungen dar.41

Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 168 m. w. N. Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 168. 33  Vgl. ÄVBl. 1889, Sp. 237. 34  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 282. 35  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 295 m.  w. N. (Hervor­ hebung im Original). 36  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 295. 37  Bundesärztekammer, Stenografische Niederschrift des 53. Deutschen Ärzte­ tages, S.  41 ff. 38  Bundesärztekammer, Wortbericht des 59. Deutschen Ärztetages, S. 2 ff., 94 ff. 39  DÄ 1997, 94 (37), A-2354 ff. 40  DÄ 2021, 118 (23), A-1 ff. 41  S. Bundesärztekammer, https://www.bundesaerztekammer.de/recht/berufsrecht/ muster-berufsordnung-aerzte/ (zuletzt abgerufen am 23.05.2022). 31  Taupitz, 32  Taupitz,



A. Schweigepflicht und Schweigerecht33

Der Präambel der Berufsordnung vorangestellt ist die Genfer Deklaration des Weltärztebundes von 1948 in der Fassung vom Oktober 2017.42 Die De­ klaration des Weltärztebundes wurde von der deutschen Bundesärztekammer übernommen und gilt als Teil der ärztlichen Berufsordnung.43 In der Dekla­ ration heißt es: „Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus wahren“.44

Inhaltlich stimmt das Gelöbnis in großen Teilen mit dem Hippokratischen Eid überein. Es handelt sich im Wesentlichen um eine moderne, säkulare Form des Hippokratischen Eides.45

II. Heutige Rechtsquellen Der Arzt und seine Berufsausübung unterstehen einer Vielzahl an Normen, ohne dass diese allein einem einzigen der klassischen Rechtsgebiete zugeord­ net werden können.46 So finden sich Regelungen, welche die ärztliche Schweigepflicht betreffen, heute unter anderem im Verfassungs-, Zivil-, Straf-, Prozess- und Datenschutzrecht. Das für die Ärzteschaft wohl wich­ tigste rechtliche Fundament bilden jedoch die standesrechtlichen Vorschrif­ ten. 1. Standesrecht Die Regelung der ärztlichen Berufsausübung unterfällt gemäß Art. 70 Abs. 1 GG der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder, da der Bund gemäß Art. 74 Nr. 19 GG nur für die Zulassung zum ärztlichen Heilbe­ ruf zuständig ist.47 Dem folgend haben die einzelnen Länder Heil- und Kam­ merberufsgesetze erlassen.48 In diesen Gesetzen finden sich Generalklauseln, welche den Arztberuf regeln; darüber hinaus sind teilweise aber auch genaue Vorgaben darüber enthalten, ob und wie bestimmte Gebiete durch die von 42  DÄ

2021, 118 (23), A-2. Einführung in das Medizinstrafrecht, 1. Kapitel Rn. 15. 44  DÄ 2021, 118 (23), A-2 in Form der offiziellen deutschen Übersetzung der De­ klaration von Genf, autorisiert durch den Weltärztebund. 45  Hilgendorf, Einführung in das Medizinstrafrecht, 1. Kapitel Rn. 17. 46  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 5 Rn. 3. 47  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 265; Spickhoff/Steiner, Art. 74 GG Rn. 6. 48  Z.  B. Hamburgisches Kammergesetz für die Heilberufe v. 14.12.2005; Heil­ berufsgesetz Nordrhein-Westfalen v. 9.5.2000; Heilberufsgesetz Rheinland-Pfalz v. 19.12.2014. 43  Hilgendorf,

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

den Kammern zu erlassenden Berufsordnungen zu regeln sind.49 Die Kam­ mer- und Heilberufsgesetze stellen eine ausreichende Ermächtigungsgrund­ lage für den Erlass von Berufsordnungen durch die Ärztekammern dar.50 Die berufsständische Selbstverwaltung der Ärzte erfolgt durch die Landes­ ärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts.51 Die Landes­ ärztekammern sind berufsständische Selbstverwaltungskörperschaften und Träger mittelbarer Staatsverwaltung.52 Ein wesentliches Organisationsprinzip der Landesärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts ist die Pflicht- oder Zwangsmitgliedschaft aller bei ihr gemeldeten Ärzte.53 Hierun­ ter fallen alle Ärzte, auch solche, die im öffentlichen Gesundheitswesen, in Forschung und Lehre, als beamtete Ärzte oder als Sanitätsoffiziere der Bun­ deswehr tätig sind.54 Das Rechtsverhältnis zwischen der Kammer und ihren Mitgliedern ist ein öffentlich-rechtliches Verhältnis.55 Als Körperschaften des öffentlichen Rechts regeln die Landesärztekam­ mern die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder und den Vollzug ihrer Auf­ gaben durch Satzungen.56 Der Begriff der Satzungen beschreibt Rechtsvor­ schriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öf­ fentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen erlassen werden.57 Die einzelnen Landesberufsordnungen der Ärzte sind von den Ärztekammern als Satzungen normiert.58 Sie sind für die jeweiligen Mitglie­ der unmittelbar geltendes Recht und enthalten die materiellen Regelungen für die gesamte berufliche Betätigung.59 Gleichzeitig erstreckt sich der per­ 49  So finden sich z. B. in § 28 Abs. 2 Nr. 1 HmbKGH, § 32 Nr. 1 HeilBerG NRW und § 24 Abs. 1 Nr. 1 HeilBG RP Vorgaben darüber, dass die Kammergesetze Bestim­ mungen über die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht enthalten sollen. 50  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 265. 51  Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, MedR, § 13 Rn. 98; MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 40. 52  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 14 Rn. 3; Lipp, in: Laufs/ Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel II. Rn. 7, 11; Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens/Go­ kel, MedR, § 13 Rn. 98. 53  Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, MedR, § 13 Rn. 99; vgl. a. Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 35. 54  S. hierzu Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB §  14 Rn. 6 m. w. N. 55  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 36; Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 14 Rn. 9. 56  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 14 Rn. 3. 57  BVerfG NJW 1959, 1531 (1533); NJW 1972, 1504 (1506). 58  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 266; vgl. a. BVerfG NJW 1972, 1504 (1505). 59  BVerfG NJW 1972, 1504 (1505).



A. Schweigepflicht und Schweigerecht35

sönliche Geltungsbereich von Standesordnungen aber auch nur auf die Mit­ glieder der jeweiligen Organisation.60 Die meisten Landesärztekammern haben sich für ihre jeweilige Berufsord­ nung an der von der Bundesärztekammer erarbeiteten (Muster-)Berufsord­ nung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä)61 orien­ tiert.62 Die Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärzte­ kammern) ist ein freiwilliger privatrechtlicher Zusammenschluss der Landes­ ärztekammern in der Form eines nichtrechtsfähigen Vereins.63 Nach ihrer Satzung obliegen ihr unter anderem die Aufgaben des Erfahrungsaustausches unter den Ärztekammern und die gegenseitige Abstimmung ihrer Ziele und Tätigkeiten. Ferner gehört es zu ihren Aufgaben, auf eine möglichst einheit­ liche Regelung der ärztlichen Berufspflichten und der Grundsätze für die ärztliche Tätigkeit auf allen Gebieten hinzuwirken.64 Die von der Bundesärztekammer erarbeitete (Muster-)Berufsordnung nor­ miert die Schweigepflicht in § 9. In dessen Absatz 1 Satz 1 heißt es: „Ärztin­ nen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen“.65 Wie bereits gesagt, binden die Berufsordnungen die Ärzte allein intern und enthalten kein vor staatlichen Stellen durchsetzbares Recht.66 Darüber hinaus findet sich auch in der Deklaration von Genf, welche der MBO-Ä vorangestellt ist, das Gelöbnis zur Verschwiegenheit. Auch wenn das Gelöbnis für den Arzt keine eigenständigen Pflichten begründet, so kommt ihm vor allem eine standesethische Bedeutung zu.67 Die Standesordnugen der freien Berufe, S. 1253. die meisten Landesärztekammern die (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä 1997) in der Fassung des Be­ schlusses des 121. Deutschen Ärztetages 2018 in Erfurt fast wortgleich übernommen haben, wird im Folgenden alleinig Bezug auf diese genommen. 62  S. z. B. Ärztekammer Berlin, https://www.aekb.de/aerzt-innen/recht/berufsrechtberufsordnung (zuletzt abgerufen am 23.05.2022). 63  Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, MedR, § 13 Rn. 102; MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 65, der aber Schutzrechte für Patienten in den Berufsordnungen enthalten sieht. 64  S.  § 2 Satzung der Bundesärztekammer, abrufbar unter https://www.bundes aerztekammer.de/baek/ueber-uns/satzungen-und-statuten (zuletzt aufgerufen am 06.08.2022). 65  S. ausführlich zu § 9 MBO-Ä unter 2. Kapitel A. 66  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 312; MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 75. 67  Vgl. BayVerfGH, Enscheidung vom 24.08.1979 – Vf. 12-VII-78, BeckRS 2014, 54085. 60  Taupitz, 61  Da

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

2. Verfassungsrecht Rechtsfragen um die ärztliche Schweigepflicht sind nicht allein solche des einfachen Rechts, sondern sie unterliegen immer einer gewissen verfassungs­ rechtlichen „Einstrahlung“.68 Das Arztgeheimnis wurzelt in der verfassungs­ rechtlich geschützten Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), welche die Respektierung der Privat- und Intimsphäre fordern.69 Bereits im Jahr 1972 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass derje­ nige, der sich in ärztliche Behandlung begibt, erwarten muss und darf, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung erführe, geheim blie­ be.70 Dem Einzelnen stehe ein verfassungsrechtlich gesichertes Recht auf Achtung seiner Geheimnissphäre im Rahmen seines Grundrechts auf infor­ mationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu.71 Ungeachtet dessen, ob man Informationen über den gesundheitlichen Zu­ stand oder andere Geheimnisse des Patienten der Privatsphäre72 oder der In­ timsphäre73 zuordnet oder es als unerheblich betrachtet, welchem Lebensbe­ reich das Geheimnis angehört74, nehmen sie Teil an dem durch die Grund­ rechte gewährten Schutz. Die vollständige Offenbarung gegenüber einem Arzt soll gewährleistet werden, ohne dass der Patient das Gefühl haben soll, nicht selbst darüber bestimmen zu dürfen, was mit seinen persönlichen Infor­ mationen geschieht, oder befürchten zu müssen, dass der ihm durch das Grundgesetz gewährte Schutz ausgehöhlt wird. Das Verfassungsrecht bestimmt darüber hinaus mit seinen Vorgaben zu einem effektiven Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung den Umfang der zivilrechtlichen Pflichten und Rechte, den Beginn straf­ rechtlich zu sanktionierenden Verhaltens und die Auslegung von standes­ rechtlichen Vorschriften.75

GesR 2017, 409. in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 139 Rn. 8. 70  BVerfG, NJW 1972, 1123 (1124). 71  BVerfG, ebenda; BVerfGK 8, 183 (190 f.). 72  So BVerfGK 8, 183 (190 f.). 73  So wohl BayObLG MDR 1992, 993 (994); Braun, in: Roxin/Schroth, Medizin­ strafrecht, S. 225. 74  So Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä § 9 Rn. 53; Schönke/Schröder/ Eisele, § 203 Rn. 9. 75  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 13. 68  Rehborn,

69  Ulsenheimer,



A. Schweigepflicht und Schweigerecht37

3. Privatrecht Auch wenn die ärztliche Schweigepflicht in den §§ 630a ff. BGB keine Erwähnung findet, ist sie vertragliche Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB.76 Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis „nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Inte­ ressen des anderen Teils verpflichten“. Damit sind alle über die Leistung hi­ nausgehenden weiteren Schutz- und Verhaltenspflichten des Schuldners, in diesem Falle also des Arztes, gemeint.77 Die als Nebenpflicht vermittelte vertragliche Schweigepflicht überdauert die vertraglichen Hauptleistungs­ pflichten.78 Dies bedeutet, dass sie auch nach dem Ende der Vertragsbezie­ hung zwischen dem Arzt und seinem Patienten fortwirkt und der Arzt weiter­ hin durch sie verpflichtet wird. Auch nach dem Ende des Behandlungsge­ schehens und dem Behandlungsvertrag bleibt eine Beeinträchtigung der dem Arzt zugänglich gemachten Rechtsgüter durch diesen möglich.79 Eine Verlet­ zung der ärztlichen Schweigepflicht in Form des Geheimnisbruches kann zivilrechtlich Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche begründen. Zunächst kann dem Patienten ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zustehen, wenn die Verletzung der Schweigepflicht als Ne­ benpflichtverletzung einzuordnen ist.80 Darüber hinaus kann auch eine Haf­ tung und folglich Ersatzansprüche nach einem rein informatorischen Kontakt gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB bestehen, also auch bereits dann, wenn zwischen dem Arzt und dem Patienten überhaupt kein Behand­ lungsvertrag geschlossen wurde.81 Schließlich kann sich ein Anspruch auf Schadensersatz auch aus § 823 BGB ergeben. Zum einen kann sich ein An­ spruch direkt aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben, da das allgemeine Persönlich­ keitsrecht ein „sonstiges Recht“ im Sinne der Norm darstellt.82 Bricht der Arzt seine Schweigepflicht und verletzt damit schuldhaft das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten, kann dieser unter Umständen, wegen des erlittenen immateriellen Schadens, Ersatz verlangen. Bei Wiederholungsge­ fahr kann der Patient darüber hinaus auch Unterlassung analog § 1004 BGB

76  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 6; NK-MedR/ Sobotta, § 9 MBOÄ Rn. 1; Spickhoff/ders., § 630a BGB Rn. 46; MüKo-BGB/Wagner, § 630a Rn. 86. 77  MüKo-BGB/Bachmann, § 241 Rn. 58; Jauernig/Mansel, BGB § 241 Rn. 9. 78  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 8: vgl. MüKoBGB/Bachmann, § 241 Rn. 165. 79  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 8. 80  Vgl. MüKo-BGB/Bachmann, § 241 Rn. 74. 81  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 7. 82  BGH NJW 1954, 1404.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

verlangen.83 Schließlich kann dem Patienten auch ein Schadensersatzan­ spruch aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 203 StGB zustehen, da die strafrechtliche Norm ein Schutzgesetz ist.84 4. Strafrecht Das Strafrecht sanktioniert den Bruch der ärztlichen Schweigepflicht. § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines Ge­ heimnisses durch einen Arzt unter Strafe. Somit lässt sich argumentieren, dass das Strafrecht keine Pflicht zur Verschwiegenheit normiert, sondern die Folgen eines Bruches derselben durch den Arzt bestimmt.85 Die Pflicht zur Verschwiegenheit würde also von der Strafrechtsnorm vorausgesetzt.86 Die dem § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB zugrunde liegende Verhaltensnorm ist in § 9 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä zu sehen, der bestimmt: „Ärztinnen und Ärzte haben […] zu schweigen.“ Der verhaltensnormierende Inhalt des § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB ist somit identisch mit § 9 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä.87 5. Prozessrecht Die Normen § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO und § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ent­ halten Zeugnisverweigerungsrechte für den Arzt, welche die Bedeutung der Schweigepflicht unterstreichen und dem Arzt die Möglichkeit geben, im gericht­ lichen Verfahren vollumfänglich zu schweigen. Hier korrespondiert die materielle Schweigepflicht in gewisser Weise mit dem prozessualen Zeugnisverweigerungsrecht. Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO geht allerdings sehr weit, da es auch anvertraute oder be­ kannt gewordene Tatsachen betrifft, ohne dass diese ein Geheimnis darstellen müssen. Das Zeugnisverweigerungsrecht ist damit nicht auf den Umfang des strafrecht­lichen Schutzes beschränkt.88 Auch hat das strafprozessuale Zeug­ nisverweigerungsrecht eine andere persönliche Reichweite, da die zeugnis­ verweigerungsberechtigten Personen nicht mit denjenigen übereinstimmen, welche in § 203 StGB genannt werden.89

Medizinrecht, Kapitel XVII Rn. 934 m. w. N. NJW 1968, 2288; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kapitel XVII Rn. 934; NK-MedR/Bergmann, § 823 BGB Rn. 4. 85  Vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX Rn. 10. 86  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX Rn. 10. 87  Zum Inhalt der beiden Normen s. 2. Kapitel. 88  Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 139 Rn. 13. 89  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 139 Rn. 13. 83  Deutsch/Spickhoff, 84  BGH



A. Schweigepflicht und Schweigerecht39

Insbesondere in der Strafprozessordnung finden sich an unterschiedlicher Stelle Sonderregelungen für den Arzt. So sind nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO schriftliche Mitteilungen von der Beschlagnahme ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere für die Krankenakten und Aufzeichnungen des Arztes. Ferner sind nach § 100d Abs. 5 StPO jegliche Überwachungsmaßnahmen, welche das Arzt-Patienten-Verhältnis betreffen, unzulässig. Im Zivilprozess besteht für den Arzt nach § 142 Abs. 2 ZPO keine Urkun­ denvorlagepflicht. Nach § 142 Abs. 1 ZPO kann das Gericht anordnen, dass „eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt“. Auf Grundlage dieser Vorschrift können Krankenunterlagen bei am Rechtsstreit nicht beteiligten Ärzten oder Kliniken förmlich angefordert wer­ den.90 Nach dem Abs. 2 der Norm können Dritte hierzu jedoch nicht ver­ pflichtet werden, wenn ihnen ein Weigerungsrecht zusteht. Somit kann ein Arzt nicht dazu verpflichtet werden Unterlagen vorzulegen, wenn durch die Urkundenvorlage eine Verletzung der Schweigepflicht droht.91 6. Datenschutzrecht Schließlich finden sich auch im Datenschutzrecht Sonderregelungen im Zusammenhang mit Patientendaten und den besonderen Geheimhaltungs­ pflichten in Bezug auf diese. Dem Datenschutz kommt in der ärztlichen Praxis ein hoher Stellenwert zu, da mit besonders sensiblen Patientendaten umgegangen wird.92 Generell ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten nach Art. 4 Nr. 15 DSGVO erlaubt, wenn deren Geheimhaltung gewährleistet ist. Nach § 1 Abs. 2 S. 3 BDSG bleibt die Verpflichtung des Arztes zur Wahrung seines Berufsge­ heimnisses dabei unberührt. Dies bedeutet, dass bei der Verarbeitung von Patientendaten immer auch zu prüfen ist, ob das ärztliche Berufsgeheimnis gewahrt bleibt.93 Nach § 42 Abs. 1 und 2 BDSG kann ein Verstoß gegen das Bundesdaten­ schutzgesetz strafrechtlich geahndet werden. Hier wird darauf abgestellt, dass der Arzt „wissentlich nicht allgemein zugängliche personenbezogene Daten einer großen Zahl von Personen“ an einen Dritten übermittelt oder sonst zugänglich macht. Die Handlung muss dabei gewerbsmäßig erfolgen.

90  NK-MedR/Simmler,

§ 142 ZPO Rn. 2. ZPO § 142 Rn. 8. 92  Schütz, in: Dochow u. a., Datenschutz in der ärztlichen Praxis, 1.4.1, S. 11. 93  Schütz, in: Dochow u. a., Datenschutz in der ärztlichen Praxis, 1.5, S. 13. 91  Musielak/Voit/Stadler,

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Diese Strafvorschrift schützt alle bei dem jeweiligen Arzt vorhandenen Da­ ten. Neben dem strafrechtlichen Schutz aus dem BDSG gewährt der Art. 82 Abs. 1 DS-GVO dem Patienten einen Schadensersatzanspruch, wenn der Arzt gegen die Verordnung verstoßen hat. Ferner sei an dieser Stelle kurz darauf hingewiesen, dass der Datenschutz im Strafvollzug zusätzlichen Bestimmungen unterworfen ist. Im Jahr 2016 wurde die Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlamentes und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezo­ gener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvoll­ streckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmen­ beschlusses 2008/977/JI des Rates erlassen.94 Nach Art. 10 dieser Richtlinie ist die „Verarbeitung personenbezogener Daten, […] sowie die Verarbeitung von […] Gesundheitsdaten […] nur dann erlaubt, wenn sie unbedingt erforderlich ist und vorbehaltlich geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person erfolgt und a) wenn sie nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mit­ gliedstaaten zulässig ist, b) der Wahrung lebenswichtiger Interessen der betroffenen oder einer anderen natürlichen Person dient oder c) wenn sie sich auf Daten be­ zieht, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat.“

In Umsetzung dieser Richtlinie haben die Bundesländer unter anderem ihre Gesetze zum Vollzug von Freiheitsstrafe und der Untersuchungshaft angepasst. Die besonderen Bestimmungen zum Datenschutz im Strafvollzug sind dabei jedoch recht unterschiedlich ausgestaltet.95

B. Offenbarungspflichten Generell ist zwischen Offenbarungspflichten und Offenbarungsbefugnissen zu unterscheiden, wobei letztere auch gelegentlich als Offenbarungsrechte96 bezeichnet werden. Offenbarungspflichten zeichnen sich dadurch aus, dass sie den ansonsten schweigepflichtigen Arzt zu einer Offenbarung der ihm bekannt gewordenen Informationen oder Geheimnisse verpflichten.

94  Die deutsche Version der Richtlinie ist abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016L0680&from=EN (zuletzt abgerufen am 18.08.2022). 95  S. hierzu umfassend 3. Kapitel B.II. 96  So NK-MedR/Gaidzig, §§ 203–205 StGB Rn. 9.



B. Offenbarungspflichten41

I. Allgemeine Offenbarungspflichten Gesetzlich normierte Offenbarungspflichten, welche generell für alle Ärzte gelten, finden sich in verschiedenen Gesetzen auf Bundes- sowie auf Landes­ ebene. 1. Ausgewählte gesetzliche Offenbarungspflichten In bestimmten Fällen ist der Arzt durch gesetzliche Bestimmungen zur Preisgabe von Patientengeheimnissen verpflichtet. Dabei bestimmen die ein­ zelnen Normen auch meist den Umfang der Offenbarung, indem sie die zu meldenden Tatsachen aufzählen. Die hier diskutierten Vorschriften können als zentrale Vorschriften angese­ hen werden, da es sich unter anderem um die in den „Hinweisen und Emp­ fehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht […]“ der Bundesärztekammer be­ nannten Offenbarungspflichten handelt.97 So verpflichtet etwa § 8 Infektionsschutzgesetz (IfSG) den feststellenden Arzt, das Auftreten oder den Verdacht einer der in § 6 IfSG genannten Er­ krankungen unverzüglich zu melden. Die §§ 9 und 10 IfSG bestimmen den Umfang der zu meldenden Tatsachen. Ebenso verpflichtet § 2 Hamburgisches Krebsregistergesetz (HmbKrebsRG)98 die zuständigen Ärzte, Krebserkran­ kungen zu melden. In anderen Bereichen sind Ärzte verpflichtet, bestimmte Behandlungen an die jeweils zuständigen Stellen zu melden. Nach § 18 i. V. m. § 15 Schwan­ gerschaftskonfliktgesetz (SchKG) ist Auskunft über die vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche an das statistische Bundesamt zu erteilen. Und nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) i. V. m. § 5b BetäubungsmittelVerschreibungsverordnung (BtMVV) ist die Verschreibung eines Substitu­ tionsmittels durch den Arzt an das Substitutionsregister zu melden. § 11 Abs. 4 Transplantationsgesetz (TPG) verpflichtet die Entnahmekran­ kenhäuser und somit im Einzelnen auch die handelnden Ärzte, die erforder­ 97  Zuletzt: Bekanntmachungen der Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundes­ vereinigung, 15.09.2021, abrufbar unter https://www.bundesaerztekammer.de/ fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Recht/Hinweise_und_Empfehlungen_ zur_aerztlichen_Schweigepflicht__Datenschutz_und_Datenverarbeitung_in_der_ Arztpraxis_15.09.2021.pdf (zuletzt abgerufen am 23.05.2022). 98  Das Hamburgische Krebsregistergesetz wurde an dieser Stelle als Beispiel eines Landesgesetzes gewählt. Ähnliche Normen, welche die Meldepflicht von Krebs­ erkrankungen betreffen, finden sich auch in den Krebsregistergesetzen anderer Bun­ desländer, z. B. Art. 4 Abs. 1 Bayerisches Krebsregistergesetz.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

lichen personenbezogenen Daten für die Durchführung der Organentnahme und Weitervermittlung an die gemeinsame Koordinierungsstelle zu übermit­ teln. Nach § 19 Personenstandsgesetz (PStG) sind diejenigen Personen, die bei der Geburt eines Kindes zugegen waren, zur Anzeige dieser verpflichtet, wenn die sorgeberechtigten Eltern an der Anzeige gehindert sind. Diese Pflicht trifft auch Ärzte, wenn sie bei der Geburt anwesend waren. Nach § 77 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) sind Personen, die beruf­ lich einer Strahlung exponierte sind, von einem Arzt zu untersuchen, und ihre Tauglichkeit für die jeweilige Tätigkeit ist ihnen durch den Arzt zu be­ scheinigen. Nach § 79 Abs. 2 StrlSchV hat der Arzt die Tauglichkeit der Person für die jeweilige Aufgabe, und im Falle einer bedingten Tauglichkeit die tätigkeitsbezogenen Beschränkungen, anzugeben. Diese ärztliche Be­ scheinigung hat der Arzt nach § 79 Abs. 4 StrlSchV unverzüglich an den Strahlenschutzverantwortlichen, die beruflich exponierte Person und, wenn gesundheitliche Bedenken bestehen, auch an die zuständigen Behörden zu übersenden. Ferner sind nach §§ 128, 130 StrlSchV ärztliche und zahnärzt­ liche Qualitätssicherungen bei der Anwendung ionisierender Strahlung durchzuführen. Die Ergebnisse der Prüfung sind durch den Arzt ohne eine Übermittlung der personenbezogenen Daten sodann der zuständigen Behörde mitzuteilen. Ferner enthält das Sozialgesetzbuch VII: Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Bestimmungen über die Erhebung, Speicherung und Übermittlung von Daten durch Ärzte. Nach § 201 SGB VII haben die an einer Heilbehand­ lung beteiligten Ärzte Daten über die Behandlung, den Zustand des Ver­ sicherten sowie „andere personenbezogene Daten“ an den Unfallversiche­ rungsträger zu übermitteln. Im Falle eines begründeten Verdachts, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht, ist dies gemäß § 202 SGB VII durch den Arzt bei dem Unfallversicherungsträger anzuzeigen. Ferner sind Ärzte, die nicht an der Heilbehandlung beteiligt sind, gemäß § 203 SGB VII verpflichtet, dem Unfallversicherungsträger auf Verlangen Auskunft über die Behandlung, den Zustand sowie über Erkrankungen und frühere Erkrankun­ gen des Versicherten zu erteilen, soweit dies für die Heilbehandlung und die Erbringung sonstiger Leistungen erforderlich ist. Schließlich finden sich in den Bestattungsgesetzen der einzelnen Bundes­ länder Vorschriften zu Meldepflichten. So sind Ärzte, welche den Verstorbe­ nen behandelt haben, gegenüber demjenigen Arzt, der die Leichenschau durchführt, zur Auskunft verpflichtet.99 Ferner hat der die Leichenschau 99  S.

§ 4 Abs. 1 Bestattungsgesetz FHH; § 23 BestattG BW.



B. Offenbarungspflichten43

durchführende Arzt bei Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen Tod un­ verzüglich die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu unterrichten.100 Speziell für Vertragsärzte101 ergeben sich zusätzlich noch zahlreiche Of­ fenbarungspflichten aus dem Sozialgesetzbuch V (SGB V).102 Diese regeln unter anderem die Zusammenarbeit und die Abrechnung mit der Kassenärzt­ lichen Vereinigung, den Krankenkassen oder dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Die Begründungen des Gesetzgebers für die verschiedenen Offenbarungs­ pflichten sind vielgestaltig, lassen sich jedoch schlagwortartig unter die Be­ griffe „Schutz Einzelner“, „Bevölkerungsschutz“, „Epidemiologie“ und „sta­ tistische Erhebung“ zusammenfassen, wobei die letzten beiden ebenfalls den ersten beiden dienlich sein können. Teilweise bezeichnen die Gesetze selbst die Schutzpflicht: So normiert etwa § 1 IfSG als Zweck „übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erken­ nen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern“, und benennt somit den Schutz der Bevölkerung als Ziel und Zweck des Gesetzes.103 § 1 TPG nennt als Ziel „die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern“, also das Potenzial für Organspenden größtmöglich auszuweiten.104 Dieses Ziel dient dem Erhalt des Lebens der Organspendeempfänger.105 Bei den Offen­ barungspflichten zur Ermöglichung der statistischen Erhebung stehen Beob­ achtungspflichten des Staates im Vordergrund.106 In Zusammenhang mit der Betäubungsmittelsubstitution soll die Offenbarungspflicht auch einer Verbes­ serung der Qualifikation der Ärzte dienen.107 2. Strafrecht Schließlich ist als eine allgemeingültige Offenbarungspflicht für alle Ärzte § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB108 zu nennen. § 138 StGB normiert für je­ 100  So z. B. § 2 Abs. 4 Bestattungsgesetz FHH; § 9 Abs. 5 Bestattungsgesetz NRW; § 6 Abs. 1 Bestattungsgesetz SH.  101  Vertragsärzte sind Ärzte, welche von der Kassenärztlichen Vereinigung die Zulassung erhalten haben, gesetzlich versicherte Patienten behandeln zu dürfen und ihre Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. 102  Eine Liste mit Beispielen der Offenbarungspflichten aus dem SGB V findet sich in den Empfehlungen der BÄK/KBV, DÄ 09.03.2018, A-1 (A-3), DOI: 10.3238/ arztebl.2018.ds01. 103  Vgl. BT-Drs. 14/2530, S. 38, 43. 104  Spickhoff/Scholz/Middel, § 11 TPG Rn. 1. 105  Vgl. BT-Drs. 19/6915, S. 14. 106  Vgl. BT-Drs. 13/285, S. 13. 107  Spickhoff/Malek, § 5b BtMVV Rn. 1. 108  S. hierzu ausführlich 3. Kapitel A.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

dermann eine Pflicht zur Anzeige drohender Verbrechen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine allgemeine Verpflichtung, den Strafverfolgungsbe­ hörden Hinweise auf geplante Straftaten zu übermitteln, sondern eine Nicht­ anzeige geplanter Straftaten ist nur in Bezug auf die in § 138 StGB genannten Taten strafbar.109 Die gesetzgeberische Zielsetzung ihm Rahmen des § 138 StGB liegt in der Verhütung eines verbrecherischen Erfolges.110 Somit besteht eine Anzeige­ pflicht auch nur, solange sich das anzuzeigende Verbrechen noch in einem Versuchsstadium befindet, in welchem der Erfolg eben durch die Anzeige verhindert werden kann.111 Die konkrete ärztliche Offenbarungspflicht ergibt sich unter Berücksich­ tigung der Privilegierung aus § 139 Abs. 3 StGB. Dieser statuiert eine Offen­ barungspflicht lediglich, wenn es sich bei der geplanten Straftat um einen Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB), bestimmte Verbrechen des Völkerstrafrechts112 oder erpresserischen Menschenraub (§  239a Abs.  1 StGB), eine Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) oder einen Angriff auf den Luft- und Seeverkehr durch eine terroristische Vereinigung (§ 316c Abs. 1 i. V. m. § 129a bzw. § 129b Abs. 1 StGB) handelt. Die Anzeigepflicht für den Arzt ist also bereits durch den Gesetzgeber erheblich beschränkt worden. 3. Zusammenfassende Betrachtung Zunächst ist festzuhalten, dass Ärzte durch eine Vielzahl von spezial­ gesetzlichen Normen zu einer Offenbarung der ihnen bekannten Tatsachen verpflichtet werden. Die gesetzlich normierten Offenbarungspflichten zeich­ nen sich dadurch aus, dass Informationen oder Geheimnisse durch den Arzt offengelegt werden müssen, ohne dass eine Abwägung widerstreitender Inte­ ressen, wie den Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen und den Interes­ sen Dritter an der Offenbarung, zu treffen ist. Der Arzt hat also nicht darüber zu entscheiden, ob eine Offenbarung aus einem bestimmten Grund geboten sein könnte, sondern der Gesetzgeber hat bestimmt, dass eine Offenbarung geboten ist. Dabei ergibt sich meist bereits aus dem Tatbestand der konkreten Norm, warum eine Offenbarung generell als erforderlich anzusehen ist. Der Gesetzgeber nimmt eine sonst eventuell zu treffende Güter- und Interessen­ 109  Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben,

§ 138 Rn. 1. § 138 Rn. 2. 111  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä § 9 Rn. 63. 112  § 139 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 nennt „Völkermord in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Fällen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder ein Kriegsverbrechen in den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches“. 110  Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben,



B. Offenbarungspflichten45

abwägung somit vorweg. In der Regel bezeichnen die Normen auch die konkreten schutzwürdigen Rechtsgüter, welche über das Geheimhaltungs­ interesse des Betroffenen gestellt wurden. In Bezug auf die allgemeingültigen Offenbarungspflichten lässt sich fest­ stellen, dass diese einem allgemeinen, in der Regel der Gesamtbevölkerung zuträglichen Zweck dienen. Vorherrschend ist vor allem der Gesundheits­ schutz der Bevölkerung. Schal bezeichnet diese Offenbarungspflichten daher zutreffend als „Anzeigepflichten aus gesundheitspolitischen Gründen.“113 Sie alle sind Ausfluss der staatlichen Schutzpflichten für das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Dieser Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wird der Staat insofern gerecht, als er durch den Erlass von Rechtsnor­ men eine Abwägung zwischen diesem Recht und anderen Grundrechten vornimmt.114 So wird in den bereits genannten Fällen der Schutz für Leben und körperliche Unversehrtheit über das Recht des Einzelnen auf informa­ tionelle Selbstbestimmung gestellt. Indem staatliche Hinweis-, Melde- und Informationssysteme installiert werden, wird zunächst die Grundlage dafür geschaffen, dass eventuell auftre­ tende Gefahren für die Gesundheit Einzelner oder der Gesamtbevölkerung staatlichen Akteuren überhaupt bekannt werden. Da die Kenntnis notwendige Grundvoraussetzung für adäquate staatliche Reaktionen ist, bedient sich der Gesetzgeber hier der Offenbarungspflicht als effektives Mittel der Kennt­ niserlangung. Trotz ihrer teilweise einschneidenden Wirkung in das allgemeine Persön­ lichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des be­ troffenen Patienten sind die Offenbarungspflichten als geboten zu betrachten. Auch führt die Verpflichtung ohne Ermessensspielraum für den Arzt dazu, dass dieser nicht in die schwierige Lage gebracht wird, selbst eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern zu treffen.

II. Spezielle Offenbarungspflichten Neben den allgemeingültigen Offenbarungspflichten unterliegen einige Ärzte aufgrund ihres besonderen Anstellungsverhältnisses besonderen Offen­ barungspflichten. Vorliegend sollen beispielhaft die besonderen Pflichten von Amtsärzten, Musterungs- und Truppenärzten, Betriebsärzten sowie Anstalts­ ärzten untersucht werden.

113  Schal,

Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, S. 52. Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 86.

114  Dürig/Herzog/Scholz/Di

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

In allen Fällen handelt es sich um Tätigkeiten, die nur von approbierten Ärzten ausgeführt werden können. Somit unterfallen diese besonderen Ärzte, wie alle anderen Ärzte auch, den Regelungen der Berufsordnung und den Kammergesetzen. Hinzu treten jedoch weitere Regelungen, welche aus­ schließlich in dem besonderen Tätigkeitsgebiet gelten. Diese können in spe­ ziellen Gesetzen normiert sein, finden sich aber auch in Verordnungen.115 In diesen besonderen Anstellungsverhältnissen sind die Ärzte nicht nur dem Patienten und dessen Wohlergehen verpflichtet, sondern auch einem Dritten gegenüber, dem sie Auskunft schulden. Im Rahmen all dieser Sonderformen der ärztlichen Tätigkeit ist fraglich, ob zwischen dem Arzt und seinen Patienten ein Vertrauensverhältnis besteht, welches den Arzt zum Schweigen über bestimmte Tatsachen verpflichtet. Dies ist insofern relevant, als einige Stimmen in der Literatur annehmen, dass der Patient durch Inanspruchnahme einer Behandlung durch einen der genannten Ärzte konkludent eine Schweigepflichtentbindung erteile.116 So­ mit würde dem Arzt, wenn auch keine Offenbarungspflicht auferlegt, zumin­ dest immer eine Offenbarungsbefugnis erteilt. Auf diese Frage soll an geeig­ neter Stelle eingegangen werden. 1. Amtsärzte Amtsärzte gehören zu den beamteten Ärzten, welche ihr Amt mit Rück­ sicht auf ihre Ausbildung als Arzt übertragen bekommen.117 Sie werden überwiegend nach landesrechtlichen Vorschriften bestellt118 und nach beam­ tenrechtlichen Regelungen und dem entsprechenden Landesrecht tätig.119 Für sie gelten einerseits die beamtenrechtlichen Vorschriften, andererseits die Regelungen des ärztlichen Berufsrechts.120 Dies bedeutet, dass Amtsärzte sowohl der berufsrechtlichen ärztlichen Schweigepflicht unterliegen wie auch der Amtsverschwiegenheit.121

115  S. im

Einzelnen unter 1. bis 5. in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 6 zur Einstel­ lungskontrolle durch den Betriebsarzt; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 14, hier allerdings zu den Berufspsychologen. 117  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 13 Rn. 47. 118  Z. B. § 2 Abs. 3 S. 2 Gesundheitsdienstgesetz SN. 119  Z. B. §§ 43 Abs. 2 S. 3, 53 Abs. 1 LBG BW; § 47 Abs. 1 LBG RP. 120  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 13 Rn. 47. 121  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 116. 116  Ulsenheimer,



B. Offenbarungspflichten47

In der Regel ist für die Bestellung zum Amtsarzt eine fachärztliche Weiter­ bildung für das öffentliche Gesundheitswesen erforderlich.122 Amtsärzte sind häufig bei Gesundheitsämtern tätig, leiten diese und übernehmen Aufgaben wie die Begutachtung der Dienst- und Arbeitsfähigkeit im Auftrag einer Be­ hörde oder die Ausstellung von Zeugnissen.123 Darüber hinaus sind auch im Bereich von Hochschul- bzw. Universitätskliniken viele der Chefärzte verbe­ amtet.124 Die Fälle der Untersuchung durch einen Amtsarzt sind gesetzlich vorge­ schrieben. So bestimmt beispielsweise § 48 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG)125, dass die Untersuchung zur Feststellung der Dienstunfähigkeit „nur einer Amtsärztin oder einem Amtsarzt […] oder einer Ärztin oder einem Arzt, die oder der als Gutachterin oder Gutachter zugelassen ist […]“ über­ tragen werden darf. Die Feststellungen und Gründe der ärztlichen Untersu­ chung sind in einem Gutachten festzuhalten, wie in § 48 Abs. 1 S. 2 BBG vorausgesetzt wird. Zudem bestimmt ebendiese Norm auch eine Offenbarungspflicht des Amtsarztes. Nach § 48 Abs. 2 BBG hat der Arzt der Behörde auf Anforde­ rung die „tragenden Gründe des Gutachtens“ mitzuteilen, jedoch nur „soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Ver­ hältnismäßigkeit für die von ihr zu treffende Entscheidung erforderlich ist“. Da die Anforderung des Gutachtens durch die Behörde einen schweren Ein­ griff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des untersuchten Beamten dar­ stellt, bestimmte der Gesetzgeber durch den Zusatz des Wortes „erforderlich“, dass die Anforderung nur im Einzelfall, nicht aber generell erfolgen darf.126 Bei der Anforderung durch die Behörde ist hinsichtlich des Umfangs immer auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.127 Ferner ist in Bezug auf mögliche Offenbarungspflichten von Amtsärzten stets ihre Doppelstellung als Verwaltungsbeamte und gleichzeitig Ärzte zu berücksichtigen. Hier ergibt sich insofern die Besonderheit, dass der Arzt als Verwaltungsbeamter den Weisungen seiner Vorgesetzten untersteht, in seiner ärztlichen Tätigkeit jedoch eigenverantwortlich und frei entscheidet.128 Aus 122  Vgl. § 4 S. 1 Gesundheitsdienstgesetz BW; § 2 Abs. 3 Gesundheitsdienstgesetz NI; § 3 S. 3 Gesundheitsdienstgesetz SL; § 2 Abs. 3 S. 2 Gesundheitsdienstgesetz SN. 123  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 13 Rn. 49, 50. 124  MAH MedR/Terbille/Feifel, § 1 Rn. 93. 125  Der Übersichtlichkeit halber wird vorliegend allein auf das BBG Bezug ge­ nommen. Vergleichbare Vorschriften finden sich auch in den Landesbeamtengesetzen. 126  Battis/Hebeler, BBG, § 48 Rn. 4. 127  Battis/Hebeler, BBG, § 48 Rn. 4; BeckOK Beamtenrecht Bund/Heid, § 48 BBG Rn. 5. 128  Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 13 Rn. 49.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

der Doppelstellung des Amtsarztes ergeben sich die weitergehenden Fragen, ob der verbeamtete Arzt in seiner Stellung als Verwaltungsbeamter auch sei­ nem Vorgesetzten gegenüber vollumfänglich schweigepflichtig ist oder ob eine Weisung des Vorgesetzten zur Offenbarung eine Offenbarungspflicht für den Arzt begründen kann. Und zudem, ob die Schweigepflicht auch im Rah­ men der Rechts- oder Amtshilfegesuche Bestand hat. Diese Fragen können aus zweierlei Gründen verneint werden: Das Bun­ desverfassungsgericht hat anerkannt, dass die dem Arzt offenbarten Geheim­ nisse an dem durch die Grundrechte gewährten Schutz teilnehmen.129 Somit bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in dieses Recht, welche zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspre­ chen muss.130 Erteilt der Dienstherr dem Amtsarzt die Weisung, Geheimnisse eines von ihm behandelten Beamten zu offenbaren, so stellt sich dies für den Behandelten als eine Art hoheitlichen Eingriff dar. Weder in der beamten­ rechtlichen Folgepflicht aus § 62 BBG noch in der damit zusammenhängen­ den Weisungsbefugnis des Dienstherren kann eine gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff gesehen werden. Auch in diesem Fall fehlt es an einem spe­ zifischen Regelungsgehalt in Bezug auf eine Geheimnisoffenbarung. Zudem ist ein Bruch der Schweigepflicht für den verbeamteten Arzt so­ wohl nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB wie auch nach § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit Strafe bedroht. Die berufliche Doppelstellung darf jedoch nicht zu einer Schmälerung des Schutzes des Geheimnisträgers führen.131 Es besteht grund­ sätzlich eine behördeninterne persönliche Schweigepflicht des Amtsarztes.132 Zur Durchbrechung dieser Schweigepflicht bedarf es einer speziellen gesetz­ lichen Regelung in Form eines Rechtfertigungsgrundes.133 Generelle Grund­ sätze der Amts- und Rechtshilfe oder der Weisungsgebundenheit erfüllen diese Anforderungen jedoch nicht, da sie lediglich einen generellen Charakter haben.134 Die gesetzlichen Befugnisnormen müssen solche sein, die die Of­ fenbarung gerade von Geheimnissen zulassen oder gebieten.135 Da die beam­ tenrechtlichen Regelungen keine Rechtfertigungen für den Bruch der Schweigepflicht darstellen, ist der Amtsarzt schließlich auch nicht an Wei­ sungen gebunden, die ihn zu einer Offenbarung führen würden. Die Gehor­ samspflicht von Beamten besteht nämlich gerade nicht, wenn das aufgetra­

129  BVerfG

NJW 1972, 1123 (1124), s. o. unter A.II.2. NJW 1988, 2031. 131  MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, 2. Aufl., § 203 Rn. 116. 132  MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, 2. Aufl., § 203 Rn. 116. 133  Vgl. Rogall, NStZ 1983, 1 (6 f.). 134  VG Berlin NJW 1960, 1410 (1411); Rogall, NStZ 1983, 1 (7). 135  Rogall, NStZ 1983, 1 (7). 130  BVerfG



B. Offenbarungspflichten49

gene Verhalten strafbar ist.136 Somit kann der Amtsarzt nicht allein durch eine Weisung zu einer Offenbarung verpflichtet werden. Nach alledem ist eine allgemeine Offenbarungspflicht allein aufgrund der Beamtenstellung des Arztes abzulehnen, wenn nicht eine explizite gesetzli­ che Offenbarungspflicht hinzutritt.137 Nach dieser Ansicht besteht auch Ein­ heit mit § 30 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), welcher einen Geheim­ haltungsanspruch mit Offenbarungsvorbehalt im Verwaltungsverfahren nor­ miert. Für diesen Geheimhaltungsanspruch ist anerkannt, dass ein einfaches Amtshilfegesuchen nicht zum Geheimnisbruch berechtigt.138 Wird der Amtsarzt im Rahmen gesetzlich vorgesehener Untersuchungen, wie zur Beurteilung des Gesundheitszustandes im Rahmen der Einstellung oder Beförderung tätig, so entfällt die Schweigepflicht nach Maßgabe der Schweigepflichtentbindung durch den Betroffenen.139 Hier wird angenom­ men, dass eine Schweigepflichtentbindung bereits dadurch konkludent erklärt wird, dass sich der Betroffene der Untersuchung stellt.140 2. Musterungsärzte Musterungsärzte sind die für die Musterungsuntersuchung, also die Fest­ stellung der Wehrfähigkeit, zuständigen Ärzte. Sie sind entweder verbeamtete Ärzte der Bundeswehrverwaltung oder für die Musterung angestellte Ärz­ te.141 Als solche sind sie Teil der Musterungskommission und unterstehen den Weisungen der zuständigen militärischen Dienststellen.142 Im Falle der Beamtenstellung sind sie gemäß § 62 Abs. 1 S. 2 BBG wie alle anderen Be­ amten weisungsabhängig.143

136  BeckOK

Beamtenrecht Bund/Werres, § 62 BBG Rn. 11. Lackner/Kühl/Heger, §  203 Rn.  20; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, 2. Aufl., § 203 Rn. 99, 111. 138  Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff/Mayen, VwVfG, § 30 Rn. 1, 14a m. w. N. 139  Vgl. MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 83. 140  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 83; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/ Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 2. 141  BFH, U. v. 13.12.1962 – V 270/60 U, BeckRS 1962, 21005214; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 21; Steinlechner/Walz, WPflG § 17 Rn. 24. 142  BFH, U. v. 13.12.1962 – V 270/60 U, BeckRS 1962, 21005214; Rieger, Lexi­ kon des Arztrechts Rn. 1228. 143  Vgl. Steinlechner/Walz, WPlG § 17 Rn. 24. 137  Ebenso

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Die Relevanz der ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Wehrfähig­ keit ist seit der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 2012144 wesentlich gesunken. Der Vollständigkeit halber und weil dies die einzige Untersuchung ist, die von Beginn an auf Offenbarung gerichtet ist, sei sie hier dennoch erwähnt. Die Aufgabe der Musterungsärzte ist nach § 17 Abs. 4 S. 1 1. HS Wehr­ pflichtgesetz (WPflG) die Untersuchung des Wehrpflichtigen auf seine geis­ tige und körperliche Tauglichkeit für den Wehrdienst. Die Ärzte übernehmen hier gegenüber den Musterungsbeamten die Funktion von Sachverständigen und fungieren als Berater.145 Das Ergebnis der Musterungsuntersuchung ist nach § 17 Abs. 5 WPflG schriftlich niederzulegen und dem Musterungsbe­ amten zuzuleiten. Dabei ist nicht nur der Tauglichkeitsgrad mitzuteilen, sondern das gesamte Untersuchungsergebnis. Das Untersuchungsergebnis fällt nicht unter die ärztliche Schweigepflicht.146 Gegenüber den Musterungs­ beamten besteht nur insoweit eine ärztliche Schweigepflicht, als es sich um Informationen handelt, welche für die Musterungsentscheidung nicht relevant sind.147 Eine Weigerung des Musterungsarztes, die Untersuchungsergebnisse mitzuteilen, stellt eine Dienstpflichtverletzung dar.148 Die Besonderheit der Tätigkeit des Musterungsarztes liegt darin, dass seine ärztliche Tätigkeit von Beginn an auf Offenbarung gerichtet ist, da seine Untersuchungsergebnisse aufgrund gesetzlicher Vorschriften mitzuteilen sind. Die Offenbarungspflicht gründet hier vor allem in dem Untersuchungs­ zweck. Nach § 16 Abs. 2 WPflG dient die Musterung dem Zweck festzustel­ len, welche Wehrpflichtigen für den Wehrdienst zur Verfügung stehen. Die Musterungsuntersuchung wird also allein zur Feststellung der Wehrfähigkeit des Anwärters durchgeführt und das Ergebnis der Untersuchung ist maßge­ bend für die Entscheidung, ob der Wehrdienst aufgenommen werden kann, ob er in eingeschränktem Maße aufgenommen werden kann oder ob der Anwärter nicht wehrfähig ist.149 Im Verhältnis zwischen dem Musterungsarzt und dem Wehrpflichtigen ist das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses abzulehnen. Der Musterungsarzt tritt dem Wehrpflichtigen schon nicht in einem Arzt-Patienten-Verhältnis ge­ 144  Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften vom 28. April 2011, BGBl. I 2011 S. 678. 145  Steinlechner/Walz, WPflG § 17 Rn. 26. 146  Chasklowicz, in: Chasklowicz et al., Ärztliche Schweigepflicht, S. 102; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 22. 147  Steinlechner/Walz, WPflG § 17 Rn. 27. 148  Steinlechner/Walz, WPflG § 17 Rn. 27. 149  Steinlechner/Walz, WPflG § 16 Rn. 24, § 17 Rn. 30.



B. Offenbarungspflichten51

genüber, sondern fungiert allein in der Stellung eines Sachverständigen.150 Es erscheint auch äußerst zweifelhaft, ob der Wehrpflichtige, welcher sich der Musterungsuntersuchung stellt, dem Musterungsarzt gegenüber dasselbe Ver­ trauen entgegenbringt wie anderen Ärzten. 3. Truppenärzte Der Truppenarzt ist zuständig für die medizinische Behandlung und Ver­ sorgung der Truppen. Er ist einerseits Arzt und zudem in der Regel ein Sani­ tätsoffizier. Somit ist er als Mitglied der Bundeswehr, neben seiner reinen Stellung als Arzt und der daraus resultierenden Verpflichtung zur Heilbe­ handlung, bei seiner Tätigkeit zugleich im öffentlichen Auftrag tätig.151 Er handelt bei der Versorgung der Soldaten in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes und insoweit hoheitlich.152 Diese Doppelstellung eines Truppenarztes führt dazu, dass er parallel zu seinen Pflichten als Arzt, einschließlich der ärztlichen Schweigepflicht, den Pflichten gegenüber seinem Dienstherrn, insbesondere medizinisch zu behan­ deln sowie gegebenenfalls Auskunft zu erteilen, unterliegt. Soldaten haben nach § 30 Abs. 1 S. 2 Soldatengesetz (SG) Anspruch auf unentgeltliche trup­ penärztliche Versorgung. Der Truppenarzt unterliegt im Rahmen dieser Ver­ sorgung als behandelnder Arzt grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht in vollem Umfang.153 Aus der dienstlichen Funktion des Truppenarztes resul­ tiert jedoch dann eine Offenbarungspflicht, wenn die Erhaltung der Dienst­ pflicht eines von ihm behandelten Soldaten unmittelbar in Frage gestellt wird.154 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der behandelte Soldat aufgrund seiner physischen oder psychischen Verfassung eine Gefahr für sich oder die Truppe darstellt.155 Der betroffene Soldat habe in diesen Fällen auf­ grund seiner eigenen Dienstverpflichtung zur Gesundheitserhaltung einen Eingriff in seinen Persönlichkeitsbereich zu dulden.156 Ebenso wie bei Beamten erfolgt auch bei Soldaten die Feststellung der Dienstunfähigkeit auf Grund eines ärztlichen Gutachtens (§ 44 Abs. 4 SG). Dieses Gutachten ist von einem Arzt der Bundeswehr zu erstellen. Hier gilt 150  Vgl.

Steinlechner/Walz, WPflG § 17 Rn. 26, 27. NJW 1990, 760 (761); NJW 1993, 1529. 152  BGH NJW 1993, 1529; OLG Brandenburg NVwZ-RR 2000, 407 (408). 153  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 25; BDH NJW 1963, 409. 154  BDH NJW 1963, 409 (410); BVerwG, Beschluss vom 13.02.1968 – I WB 13/67, BeckRS 1968, 31328452. 155  S. BDH NJW 1963, 409 (410) mit weiteren Gründen. 156  BDH NJW 1963, 409 (410); Rieger, Lexikon des Arztrechts Rn. 1780. 151  BGH

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

das bereits oben157 zur Offenbarungspflicht von Amtsärzten Gesagte. Die Offenbarungspflicht in Form des Gutachtens erstreckt sich hier nur auf dieje­ nigen Geheimnisse, welche für die Versetzung in den Ruhestand von Rele­ vanz sind und gilt nur gegenüber denjenigen Personen, welche über die Versetzung in den Ruhestand zu entscheiden haben.158 Teilweise wird auch dann eine Offenbarungspflicht des Truppenarztes an­ genommen, wenn sich der Soldat durch Selbstverstümmelung für den Wehr­ dienst untauglich gemacht hat oder eine Erkrankung vortäuscht, um sich dem Wehrdienst zu entziehen.159 Die Inanspruchnahme des Truppenarztes durch die Soldaten geschieht nicht aufgrund einer freien Arztwahl, sondern weil der bestimmte Arzt für die Behandlung zuständig ist. Dennoch wird teilweise angenommen, dass zwischen Truppenarzt und behandelten Soldaten ein Vertrauensverhältnis entsteht.160 Da eine sachgemäße Behandlung des Soldaten durch den Trup­ penarzt die Entstehung eines Vertrauensverhältnisses voraussetze, weil sich der Soldat nur dann vollständig offenbaren werde, sei das Bestehen eines vor äußeren Eingriffen geschützten Vertrauensbereiches sogar notwendig.161 Für die allgemeine medizinische Versorgung der Soldaten kann so stets ein ArztPatienten-Verhältnis angenommen werden, welches auf Vertrauen beruht. Dies kann anders gelagert sein, wenn der Truppenarzt als Gutachter zur Be­ urteilung der Dienstfähigkeit tätig wird.162 4. Betriebsärzte Ein Betriebsarzt ist ein nach § 2 Abs. 1 Gesetz über Betriebsärzte, Sicher­ heitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) vom Ar­ beitgeber bestellter Arzt. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 ASiG bestehen die Aufgaben des Betriebsarztes darin, den Arbeitgeber bei Aufgaben des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unter­ stützen. Insbesondere bestehen die Aufgaben darin, die „Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten sowie die Un­

157  S. o.

unter B.II.1. auch BVerwG, Beschluss vom 13.02.1968 – I WB 13/67, BeckRS 1968, 31328452. 159  BDH NJW 1963, 409 (410); Chasklowicz, in: Chasklowicz u.  a., Ärztliche Schweigepflicht, S. 102; a. A. Rieger, Lexikon des Arztrechts Rn. 1780. 160  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 25; BDH NJW 1963, 409. 161  BDH NJW 1963, 409 (49 f.). 162  Vgl. OVG Magdeburg NVwZ-RR 2009, 382 (383). 158  S. dazu



B. Offenbarungspflichten53

tersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten“ (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ASiG). Betriebsärzte haben allerdings eine andere rechtliche Stellung als die be­ reits dargestellten Gruppen von Ärzten. Im Gegensatz zu diesen sind Be­ triebsärzte nicht verbeamtet, sondern privatrechtlich in den Betrieb einge­ gliedert. Für die Bestellung des Betriebsarztes stehen dem Arbeitgeber drei Möglichkeiten zur Verfügung: Haupt- und nebenberufliche Einstellung auf arbeitsvertraglicher Grundlage, Beschäftigung auf der Grundlage eines freien Dienstvertrages sowie Beauftragung eines überbetrieblichen Dienstes von Betriebsärzten.163 Auch wenn Betriebsärzte durch ihre Bestellung in den Betrieb des Arbeit­ gebers eingegliedert sind, so ist doch zu beachten ist, dass sie nach § 8 Abs. 1 S. 1 ASiG „im Rahmen der Anwendung ihrer arbeitsmedizinischen und si­ cherheitstechnischen Fachkunde weisungsfrei“ sind. § 8 Abs. 1 S. 3 ASiG verweist zudem darauf, dass sie nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind und benennt explizit eine Beachtung der Regeln der ärztlichen Schwei­ gepflicht. Demnach besteht die Schweigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber vollumfänglich und die Weitergabe von Einzelheiten der Behandlung, Unter­ suchung oder Beratung eines Arbeitnehmers an ersteren ist grundsätzlich unzulässig.164 Bei der Tätigkeit des Betriebsarztes ist nach Art und Zweck der jeweiligen Behandlung und Untersuchung zu unterscheiden, da sich je nachdem Offen­ barungspflichten ergeben können. Der Arbeitgeber kann zunächst von einem Bewerber verlangen, dass er sich einer Einstellungs- oder Eignungsuntersu­ chung unterzieht. Diese Untersuchungen dienen vor allem dazu, die psychi­ sche oder physische Eignung des Bewerbers für die (zukünftige) Arbeitsstelle festzustellen.165 In der Regel werden diese Untersuchungen durch den Be­ triebsarzt durchgeführt.166 Einstellungsuntersuchungen sind gesetzlich nicht geregelt.167 Sie sind Maßnahmen der Personalauswahl und als solche nur mit der Einwilligung

163  MHdB-ArbR/Nebe, Band 2, § 176 Rn. 48  ff.; Küttner/Poeche, Personalbuch 2022 Betriebsarzt Rn. 4. 164  Vgl. Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 192 (192 f.); Schal, Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, S. 84. 165  Kütter/Poeche, Personalbuch 2022 Einstellungsuntersuchung Rn. 1; ErfK/ Preis, BGB § 611a Rn. 292. 166  Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 192 (193); Kütter/Poeche, Personalbuch 2022 Einstellungsuntersuchung Rn. 7. 167  Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 192 (193); Weber/Wocken, NZA 2012, 191.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

des Bewerbers möglich.168 Aus diesem Einwilligungserfordernis wird gefol­ gert, dass derjenige, der sich der Einstellungsuntersuchung stellt, konkludent in die Weitergabe des Untersuchungsergebnisses an den Arbeitgeber einwil­ ligt.169 Hieraus kann keine Offenbarungspflicht des Betriebsarztes, wohl aber eine Offenbarungsbefugnis abgeleitet werden. Diese bezieht sich jedoch le­ diglich auf das Untersuchungsergebnis und die Geeignetheit des Bewerbers für die in Betracht kommende Arbeitsstelle, nicht jedoch auf einzelne Be­ funde oder Diagnosen.170 Eignungsuntersuchungen können zum einen vor dem Antritt eines Arbeits­ verhältnisses als auch während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses durch­ geführt werden. Eignungsuntersuchungen lassen sich in drei Gruppen unter­ teilen: gesetzlich vorgeschriebene Untersuchungen zum Schutz der Allge­ meinheit (z. B. § 11 FeV oder § 77 StrlSchV), gesetzlich vorgeschriebene Untersuchungen zum Schutz des Arbeitnehmers (z. B. § 32 JArbSchG) und gesetzlich nicht vorgeschriebene aber vom Arbeitgeber angeordnete Untersu­ chungen.171 Ferner können für Betriebsärzte Offenbarungspflichten nach gesetzlichen Vorschriften zum Zweck der Unfallverhütung bestehen, wenn dem Arbeit­ geber das Untersuchungsergebnis nach der jeweiligen Vorschrift mitzuteilen ist.172 Gemäß § 15 SGB VII können die Unfallversicherungsträger unter Mitwirkung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. als auto­ nomes Recht Unfallverhütungsvorschriften über Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheits­ gefahren oder für eine wirksame Erste Hilfe erlassen, soweit dies zur Prä­ vention geeignet und erforderlich ist und staatliche Arbeitsschutzvorschrif­ ten hierüber keine Regelung treffen. Der Spitzenverband der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat eine Reihe von MusterUnfallverhütungsvorschriften für unterschiedliche Tätigkeitsbereiche ausge­ arbeitet. Die DGUV Vorschrift 2 „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeits­ sicherheit“ bestimmt zunächst näher die Maßnahmen, die der Unternehmer zur Erfüllung der sich aus dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsinge­ nieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit ergebenden Pflichten zu 168  Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 192 (193); MHdB-ArbR/Bücker, Band 2, § 180 Rn. 55. 169  Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 192 (193); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Reh­ born, ArztR-HdB § 144 Rn. 6; a. A. Aligbe, ArbRAktuell 2015, 115 (118). 170  Fuhlrott/Hoppe, ArbRAktuell 2010, 183 (184); Katzenmeier, in: Laufs/Katzen­ meier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 40; Kütter/Poeche, Personalbuch 2022 Einstellungsuntersuchung Rn. 8; ErfK/Preis, BGB § 611a Rn. 292, 296. 171  Unterteilung nach Hülsemann, ArbRAktuell 2015, 192 (193). 172  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 38.



B. Offenbarungspflichten55

treffen hat.173 Darüber hinaus bestehen eine Reihe von Vorschriftensamm­ lungen für einzelne Arbeitsbereiche wie beispielsweise Elektrische Anlagen und Betriebe, Laserstrahlung und Abwassertechnische Anlagen.174 Ein Bei­ spiel für eine betriebsärztliche Offenbarungspflicht findet sich in § 24 Abs. 1 Nr. 2 DGUV Vorschrift 22 für Abwassertechnische Anlagen. Danach darf ein Unternehmer nur Versicherte mit Arbeiten in abwassertechnischen Anla­ gen beschäftigen, die gesundheitlich geeignet sind. Nach der Anmerkung zu § 24 kann die gesundheitliche Eignung von einem mit den Belangen des Abwasserwesens vertrauten Arzt, vorzugsweise einem Betriebsarzt, festge­ stellt werden.175 Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen ist zwischen den gesetzlich vorge­ schriebenen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen und den freiwilli­ gen Vorsorgeuntersuchungen zu differenzieren. Bestimmungen über Vorsorge­ untersuchungen finden sich im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und in der Arbeitsmedizinischen Vorsorge-Verordnung (ArbMedVV). Nach § 11 ArbSchG hat der Arbeitgeber den Beschäftigten auf ihren Wunsch, unbeschadet der Pflichten aus anderen Rechtsvorschriften, zu er­ möglichen, sich je nach den Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit regelmäßig arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Dies gilt dann nicht, wenn auf Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rech­ nen ist. Nach dieser Norm ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Untersuchun­ gen zu ermöglichen; für die Beschäftigten ergibt sich das Recht, sich arbeits­ medizinisch beraten und untersuchen zu lassen.176 Die Wunschvorsorge dient der individuellen Beratung der Arbeitnehmer, über welche sie frei entschei­ den können und muss folglich nicht zwingend durch einen Betriebsarzt durchgeführt werden.177 In der Arbeitsmedizinischen Vorsorge-Verordnung wird zwischen Pflicht­ vorsorge, Angebotsvorsorge und Wunschvorsorge unterschieden. Pflichtvor­ sorgen (§ 4 ArbMedVV) sind dabei diejenigen Untersuchungen, welche nur bei bestimmten besonders gefährdenden Tätigkeiten zu veranlassen sind.178 Seit 2013 wird die Teilnahme an einer Untersuchung vom Arbeitnehmer 173  S.  §  1 DGUV Vorschrift 2, abrufbar unter https://publikationen.dguv.de/ widgets/pdf/download/article/1195 (zuletzt abgerufen am 17.12.2021). 174  Die Vorschriftensammlung der DGUV ist abrufbar unter https://publikationen. dguv.de/regelwerk/dguv-vorschriften/?p=1 (zuletzt abgerufen am 17.12.2021). 175  S. § 24 DGUV Vorschrift 22, abrufbar unter https://publikationen.dguv.de/ widgets/pdf/download/article/1495 (zuletzt abgerufen am 17.12.2021). 176  MHdB-ArbR/Bücker, Band 2, § 180 Rn. 38; ErfK/Roloff, ArbSchG § 11 Rn. 1. 177  MHdB-ArbR/Bücker, Band 2, § 180 Rn. 38. 178  Kütter/Poeche, Personalbuch 2022 Betriebliche Gesundheitsförderung Rn. 3.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

nicht mehr verlangt. Weigert sich der Arbeitnehmer jedoch, an einem ärzt­ lichen Beratungsgespräch teilzunehmen, zieht dies ein Tätigkeitsverbot nach sich.179 Seit der Gesetzesänderung erhält der Arbeitgeber nicht mehr automa­ tisch das Ergebnis der Untersuchung.180 Der untersuchende Arzt hat den Ar­ beitgeber nach § 6 Abs. 3 S. 3 ArbMedVV lediglich über die Teilnahme des Arbeitnehmers an dem Vorsorgetermin zu informieren. Angebotsvorsorge (§ 5 ArbMedVV) und Wunschvorsorge (§ 5a Arb­ MedVV) sind Untersuchungen, die der Arbeitgeber anbieten muss bzw. kann. Die Teilnahme an diesen Untersuchungen ist für die Arbeitnehmer freiwillig. Diese freiwilligen Untersuchungen sind folglich nicht anders zu werten als ärztliche Untersuchungen, welche außerhalb des Betriebes stattfinden, mit der Folge, dass die ärztliche Schweigepflicht in vollem Umfang greift.181 Eine Offenbarungspflicht, welche auch mit diesen Untersuchungen in ­Zusammenhang steht, findet sich in § 6 Abs. 4 ArbMedVV: Hiernach hat der Arzt die Erkenntnisse der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen auszuwerten. Ergeben sich sodann Anhaltspunkte dafür, dass bisher durch den Arbeitgeber getroffene Schutzmaßnahmen nicht ausreichen, so hat er dem Arbeitgeber dies mitzuteilen. In diesem Zusammenhang ist auch die bereits oben benannte Offenba­ rungspflicht aus § 202 SGB VII für den Betriebsarzt besonders relevant. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen besteht regelmäßig die Möglichkeit, dass der Betriebsarzt eine Berufskrankheit feststellt oder den Verdacht einer solchen hegt. Diese Information hat er sodann der gesetzlichen Unfallversi­ cherung anzuzeigen. In Ausnahmefällen wird für Betriebsärzte auch eine Weiterleitung von In­ formationen an den Arbeitgeber befürwortet, wenn die Voraussetzung des rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB vorliegen182 Hier besteht jedoch der Unterschied, dass eine Offenbarung nach § 34 StGB gerechtfertigt sein kann und somit lediglich eine Offenbarungsbefugnis, nicht jedoch eine Of­ fenbarungspflicht normiert.183 Die Entscheidung über die Weitergabe der In­ formationen ist in diesen Fällen dem Betriebsarzt überlassen und er ist nicht an Anweisungen des Arbeitgebers gebunden.184

179  MHdB-ArbR/Bücker,

Band 2, § 180 Rn. 50. noch § 4 Abs. 2 ArbMedVV a. F. 181  Aligbe, ArbRAktuell 2016, 261 (264); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 7. 182  Klöcker, MedR 2001, 183 (186). 183  Herzog, ZRP 2015, 121 (122). 184  Schal, Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, S. 123. 180  So



B. Offenbarungspflichten57

5. Anstaltsärzte Anstaltsärzte sind die für die medizinische Versorgung zuständigen haupt­ amtlichen Ärzte innerhalb der Justizvollzugsanstalt.185 Im Zuge der Föderalismusreform I vom 28.08.2006 wurde das Strafvoll­ zugsrecht und das Recht der Untersuchungshaft grundlegend umstrukturiert. Die bisher bestehende konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug einschließlich des Untersuchungshaftvollzugs wurde auf die Län­ der übertragen.186 Von dieser Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG i. V. m. Art. 70 Abs. 1 GG haben inzwischen alle Länder Gebrauch gemacht.187 Das Strafvollzugsgesetz des Bundes gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 GG als partikulares Bundesrecht fort, sofern es nicht durch Landesrecht er­ 185  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 31; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 637. 186  S. BGBl. I 2006, 2034. 187  In alphabetischer Reihenfolge: Baden-Württemberg „Gesetzbuch über den Jus­ tizvollzug in Baden-Württemberg“ v. 10.11.2009 (BWJVollzGB); Bayern „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung“ v. 10.12.2007 (BayStVollzG) und „Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft“ v. 20.12.2011 (BayUVollzG); Berlin „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Berlin“ v. 4.4.2016 (StVollzG Bln) und „Gesetz über den Vollzug der Untersuchungs­ haft in Berlin“ v. 3.12.2009 (UVollzG Bln); Brandenburg „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Branden­ burg“ v. 24.4.2013 (BbgJVollzG); Bremen „Bremisches Strafvollzugsgesetz“ v. 25.11.2014, (BremStVollzG) und „Bremisches Gesetz über den Vollzug der Untersu­ chungshaft“ v. 2.3.2010 (BremUVollzG); Hamburg „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe“ v. 14.7.2009 (HmbStVollzG) und „Gesetz über den Vollzug der Un­ tersuchungshaft“ v. 15.12.2009 (HmbUVollzG); Hessen „Hessisches Strafvollzugsge­ setz“ v. 28.6.2010 (HStVollzG) und „Hessisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz“ v. 28.6.2010 (HUVollzG); Mecklenburg-Vorpommern „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklenburg-Vorpommern“ v. 7.5.2013 (StVollzG M-V) und „Ge­ setz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Mecklenburg-Vorpommern“ v. 17.12.2009 (UVollzG M-V); Niedersachsen „Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz“ v. 14.12.2007 (NJVollzG); Nordrhein-Westfalen „Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheitsstrafe in Nordrhein-Westfalen“ v. 13.1.2015 (StVollzG NRW) und „Ge­ setz zur Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen“ v. 27.10.2009 (UVollzG NRW); Rheinland-Pfalz „Landesjustizvollzugsgesetz“ v. 8.5.2013 (LJVollzG RP); Saarland „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe im Saarland“ v. 24.4.2013, (SLStVollzG) und „Gesetz über den Vollzug der Untersu­ chungshaft im Saarland“ v. 1.7.2009 (SUVollzG); Sachsen „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrests im Freistaat Sachsen“ v. 16.5.2013 (SächsSt­ VollzG) und „Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Freistaat Sachsen“ v. 14.12.2010 (SächsUHaftVollzG); Sachsen-Anhalt „Erstes Buch Justizvollzugsge­ setzbuch Sachsen-Anhalt – Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe, der Untersu­ chungshaft und des Strafarrestes –“ v. 18.12.2015 (JVollzGB I LSA); SchleswigHolstein „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Schleswig-Holstein“ v. 21.7.2016 (LStVollzG SH) und „Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

setzt worden ist. Zur vereinfachten Darstellung wird im Folgenden vorrangig auf das Strafvollzugsgesetz des Bundes, in geeigneten Fällen auch auf ausge­ wählte landesrechtliche Vorschriften verwiesen. Nach § 56 Abs. 1 StVollzG ist für die geistige und körperliche Gesundheit des Gefangenen zu sorgen. Darüber hinaus besagen die Europäischen Straf­ vollzugsgrundsätze (EPR), dass die Vollzugsbehörden die Gesundheit der ihnen anvertrauten Gefangenen zu schützen haben.188 Auch innerhalb des Strafvollzugs muss also die medizinische Versorgung und ärztliche Betreu­ ung sichergestellt werden. Grundsätzlich gilt im Strafvollzug das aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) abgeleitete Äquivalenzprinzip für die Gesundheitsfürsorge.189 Dies bedeutet, dass der Gefangene einen Anspruch auf staatliche Gewährung von Gesundheitsfürsorge einschließlich ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen hat, die an diejenigen der gesetzlichen Kran­ kenversicherung angeglichen sind, soweit nicht Besonderheiten des Vollzugs eine andere Regelung erfordern.190 Im Gegensatz zur gesetzlichen Kranken­ versicherung steht den Gefangenen jedoch innerhalb des Vollzugs keine freie Arztwahl zu, denn der Anstaltsarzt ist ihr einziger bzw. Zwangs-Ansprech­ partner.191 Das ärztliche Handeln während des Vollzugs hat sich immer an geltenden Standards und Leitlinien zu orientieren und muss auf die Gesund­ heit und das Wohlergehen der Gefangenen ausgerichtet sein.192 Nach § 158 Abs. 1 StVollzG ist die ärztliche Versorgung durch hauptamtli­ che Ärzte sicherzustellen; nur aus besonderen Gründen soll sie nebenamtli­ chen oder vertraglich verpflichteten Ärzten übertragen werden. Allerdings ist die Form der ärztlichen Versorgung durch hauptamtliche Ärzte in der Voll­ zugsanstalt ein Auslaufmodell.193 Inzwischen findet ein großer Teil der medi­ zinischen Versorgung im Strafvollzug durch nebenamtliche Vertragsärzte statt.194 So lässt sich vielleicht auch erklären, warum sich heute lediglich in vier Landessgesetzen eine mit dem Bundesrecht vergleichbare Regelung fin­ Schleswig-Holstein“ (UVollzG SH) v. 23.9.2021; Thüringen „Thüringer Justizvoll­ zugsgesetzbuch“ v. 27.2.2014 (ThürJVollzGB); s. ferner die Tabelle im Anhang. 188  Europäische Vollzugsgrundsätze, Teil III, Empfehlung Nr. 39. 189  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 30; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 2; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 636. 190  OLG Hamburg StV 2012, 163; Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztRHdB § 13 Rn. 51; AK-Lesting, Teil II, Vor § 62 LandesR Rn. 3; vgl. a. Europäische Vollzugsgrundsätze, Teil III, Empfehlung Nr. 40.2. 191  Keppler, Besonderheiten der Anstaltsmedizin, S. 167; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, Vor § 62 LandesR Rn. 3. 192  Lesting, MedR 2018, 69. 193  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 98 LandesR Rn. 2. 194  Laubenthal, Strafvollzug Rn. 281; AK-Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 27.



B. Offenbarungspflichten59

det.195 Die anderen Bundesländer haben gänzlich darauf verzichtet, eine Verpflichtung zur Bestellung hauptamtlicher Ärzte zu normieren. Ein hauptamtlicher Anstaltsarzt muss ein approbierter Arzt sein.196 Er ist verbeamtet und untersteht der Dienstaufsicht des Anstaltsleiters sowie der Fachaufsicht der Aufsichtsbehörde.197 Während er bei Aufgaben, welche seine Rolle als behandelnder Arzt nicht betreffen, die Weisungen des An­ staltsleiters befolgen muss, ist er in seiner medizinisch-fachlichen Tätigkeit frei.198 Die von ihm als Arzt vorgenommenen Maßnahmen können nur inso­ weit überprüft werden, als in Frage gestellt werden kann, ob sie überhaupt in seinen Kompetenzbereich als Anstaltsarzt fallen.199 Die Doppelstellung des Anstaltsarztes, zum einen als weisungsfreier Arzt und zum anderen als weisungsgebundener Beamter, hat Auswirkungen auf die ärztliche Schweigepflicht. In der Literatur war die Frage der Grenzen der anstaltsärztlichen Verschwiegenheitspflicht, insbesondere deren Geltung ge­ genüber der Anstaltsleitung und der Vollzugsbehörde, lange stark umstrit­ ten.200 Diese Diskussion hat sich jedoch mit dem 4. StVollzÄndG und der Einführung des § 182 StVollzG weitestgehend beruhigt. So hat der Gesetzge­ ber in § 182 Abs. 2 S. 1 StVollzG bestimmt, dass personenbezogene Daten, die einem Arzt als Geheimnis anvertraut oder sonst bekannt geworden sind, auch gegenüber der Vollzugsbehörde der Schweigepflicht unterliegen. Diese Bestimmung wurde auch von allen Landesgesetzgebern in den entsprechen­ den Gesetzen übernommen.201 Inzwischen ist auch in der Literatur anerkannt, dass die berufliche Schweigepflicht des Anstaltsarztes innerhalb des Straf­ vollzugsapparates vollumfänglich gilt.202 Sie besteht insbesondere auch ge­ 195  So Art. 179 Abs. 1 BayStVollzG, § 180 Abs. 1 NJVollzG, § 111 Abs. 1 JVollz­GB I LSA, § 136 Abs. 1 LStVollzG SH. 196  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 98 LandesR Rn. 5. 197  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 31; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 277; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 64. 198  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 31; Keppler, Grundlagen der Anstaltsmedizin, S. 112; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 64. 199  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 64. 200  S. zum Streitstand Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozi­ alarbeiter im Strafvollzug, S. 67 ff. 201  § 51 Abs. 2 S. 1 JVollzGB I BW; Art. 201 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG; § 60 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG Bln; § 133 Abs. 1 BbgJVollzG; § 45 Abs. 1 S. 1 BremJVollzDSG; § 26 Abs. 2 HmbJVollzDSG; § 61 Abs. 2 S. 1 HStVollzG; § 40 Abs. 1 S. 1 JVollzDSG M-V; § 195 Abs. 1 S. 1 NJVollzG; § 33 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG NRW; § 42 Abs. 1 S. 1 LJVollzDSG RP; § 45 Abs. 1 S. 1 JVollzDSG SL; § 46 Abs. 1 S. 1 SächsJVollz­ DSG; § 57 Abs. 1 S. 1 JVollzGB IV LSA; § 45 Abs. 1 S. 1 JVollzDSG SH; § 133 Abs. 1 ThürJVollzGB. 202  Vgl. AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 86; AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 181; Chasklowicz, in: Chasklowicz et al., Ärztliche Schweige­

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

genüber der Anstaltsleitung.203 Dies entspricht auch den Europäischen Voll­ zugsgrundsätzen, wonach die berufliche Verschwiegenheit im Strafvollzug grundsätzlich gewahrt werden soll.204 Die berufliche Schweigepflicht des Anstaltsarztes besteht auch unabhängig von seiner eventuell bestehenden amtlichen Verschwiegenheitspflicht.205 Die primäre Aufgabe des Anstaltsarztes ist es, die medizinische Versor­ gung der Gefangenen sicherzustellen.206 Darüber hinaus dient seine Tätigkeit jedoch auch allgemeinen Vollzugsaufgaben, wie im Folgenden noch darge­ stellt wird.207 Aus diesem Grund wird in der Literatur auch von der „Bifunk­ tionalität“ des Anstaltsarztes gesprochen.208 Er ist nicht nur seinem Heilauf­ trag verpflichtet, sondern auch in die hierarchische Struktur der Vollzugsan­ stalt eingegliedert und nimmt Vollzugsaufgaben wahr.209 In diesem Span­ nungsverhältnis gelte jedoch das Primat der Medizin210: der Arzt habe primär die medizinische Versorgung zu gewährleisten und nur sekundär Vollzugs­ aufgaben zu erfüllen.211 Mit Ausnahme des Art. 179 Abs. 3 BayStVollzG fehlen gesetzliche Rege­ lungen zur genauen Bestimmung der Aufgaben des Anstaltsarztes.212 Aller­ dings finden sich in den Strafvollzugsgesetzen an unterschiedlichen Stellen Verweise auf notwendige ärztliche Untersuchungen, ärztliche Mitwirkung oder Mitbestimmung. Im Einzelnen sind folgende Fälle geregelt: § 56 Abs. 1 S. 1 StVollzG gewährt den Gefangenen einen Anspruch auf die notwendigen medizinischen Leistungen. Diese allgemeine medizinische Be­ treuung obliegt allein dem Anstaltsarzt.213 Hier wird der Anstaltsarzt weitest­ pflicht, S. 102; Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 41 f.; Tag, in: Hillen­ kamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (90); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 11. 203  Vgl. hierzu die landesrechtlichen Bestimmungen (Fn. 201); ferner OLG Karls­ ruhe NStZ 1993, 406; Kern/Rehborn, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 13 Rn. 51; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 12. 204  Europäische Vollzugsgrundsätze, Teil III, Empfehlung Nr. 43.2 lit. a). 205  AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 181. 206  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 30; Hillenkamp, in: Hillen­ kamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 11 (20). 207  Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89. 208  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 98 LandesR Rn. 7; Hillenkamp, FS Laufs, S. 885. 209  Hillenkamp, FS Laufs, S. 891; Lesting, MedR 2018, 69 (71). 210  Begriff geprägt durch Keppler, Grundlagen der Anstaltsmedizin, S. 126. 211  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S.  30; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 98 LandesR Rn. 7. 212  Vgl. AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 63. 213  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn. 3.



B. Offenbarungspflichten61

gehend in seiner normalen Berufsrolle tätig.214 Zwischen dem Anstaltsarzt und seinen Patienten wird allerdings kein Behandlungsvertrag geschlossen, es besteht vielmehr ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis.215 Die Rechte und Pflichten der Beteiligten ergeben sich daher nicht aus einem Vertrag, sondern auf der Seite des Patienten aus dem Gefangenenstatus und auf der Seite des Arztes aus der staatlichen Fürsorgepflicht.216 Den Gefangenen ist im Vollzug grundsätzlich ungehinderter Zugang zum Arzt zu gewähren.217 Ein Gefangener muss sich dabei stets bei dem Anstaltsarzt vorstellen können, ohne seinen Gesundheitszustand vorher einem anderen Bediensteten der An­ stalt offenbaren zu müssen.218 Insbesondere im Rahmen der allgemeinen Vorsorge hat der Anstaltsarzt die Schweigepflicht vollumfänglich zu beachten.219 Hier wird er regelmäßig mit Informationen in Berührung kommen, die in den intimen oder privaten Bereich eines Gefangenen fallen und somit besonderen Schutzes bedürfen. Die Schweigepflicht erstreckt sich auf alle Tatsachen, also sowohl auf objek­ tive personenbezogene Angaben wie auch auf Werturteile oder Beurteilun­ gen.220 Neben der allgemeinen Behandlung zur Gesundheitserhaltung sollen ärzt­ liche Behandlungen nach § 63 StVollzG auch die soziale Eingliederung des Gefangenen fördern. So sollen namentlich Operationen oder prothetische Maßnahmen durchgeführt werden. Mit Ausnahme von Hessen haben alle Bundesländer eine entsprechende Regelung in ihre Strafvollzugsgesetze übernommen.221 Diese Regelung erstreckt den Umfang der medizinischen Maßnahmen über den Anspruch auf Gesundheitsfürsorge hinaus, sofern die weitergehenden Behandlungen unmittelbar der Resozialisierung des Gefan­ genen dienen.222 Hier stehen die Behandlungen körperlicher Mängel im in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 33. StVollzG, § 56 Rn. 4; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 637; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 64. 216  Hillenkamp, FS Laufs, S. 900. 217  Pont, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 25. 218  OLG Frankfurt NStZ 2011, 709. 219  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 56 Rn. 7, § 182 Rn. 4; Schöch, in: Kaiser/ Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 192. 220  AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 191; a.  A. Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 4; s. hierzu ferner 3. Kapitel B.I.2.c). 221  § 36 JVollzGB III BW; Art. 65 BayStVollzG; § 72 JVollzG Bln; § 76 Bbg­ JVollzG; § 65 BremStVollzG; § 61 HmbStVollzG; § 64 StVollzG M-V; § 61 ­NJVollzG; § 48 StVollzG NRW; § 74 LJVollzG RP; § 64 SLStVollzG; § 65 SächsStVollzG; § 75 JVollzGB I LSA; § 82 LStVollzG SH; § 75 ThürJVollzGB. 222  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 63 Rn. 1; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 64 LandesR Rn. 2. 214  Feest,

215  Calliess/Müller-Dietz,

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Vordergrund, die Norm greift jedoch auch bei psychischen Einschränkun­ gen.223 Ob eine solche Behandlung erforderlich ist, wird häufig nicht allein durch den Anstaltsarzt beurteilt.224 In schwierig gelagerten Fällen kann eine schlichte Stellungnahme des Anstaltsarztes unzureichend sein, da auch Fak­ toren außerhalb der rein medizinischen Indikation ausschlaggebend sein können.225 Eine solche Behandlung darf nur mit Zustimmung des Gefange­ nen durchgeführt werden.226 Mit der Zustimmung zur Behandlung kann hier auch eine Entbindung von der Schweigepflicht für den Anstaltsarzt eingeholt werden. Die hierfür erforderliche rechtlich wirksame Einwilligung liegt dann vor, wenn von dem Gefangenen eine freiwillige, hinreichend bestimmte und widerrufbare Erklärung abgegeben wird.227 Liegt diese vor, darf der Anstalts­ arzt im Rahmen seiner Stellungnahme zur medizinischen Indikation der Be­ handlung die dafür notwendigen Patienteninformationen offenlegen. Liegt diese nicht vor, so muss nach dem Einzelfall beurteilt werden, ob der An­ staltsarzt im Rahmen seiner Gutachterfunktion zur Beurteilung der Notwen­ digkeit einer Maßnahme Informationen offenbaren darf. Zusätzlich besteht die Aufgabe des Anstaltsarztes darin, die Verpflegung der Gefangenen zu überwachen, § 21 StVollzG. Dabei sollen nach § 21 S. 1 StVollzG vor allem die „Zusammensetzung und die Nährwerte“ der Verpfle­ gung überwacht werden. Hier wird der Anstaltsarzt in verschiedenen Funk­ tionen tätig. So soll er einerseits besondere Verpflegung für einzelne Gefan­ gene anordnen, welche diese etwa aufgrund besonderer Erkrankungen benö­ tigen, andererseits muss er aber auch die gesamte Verpflegung innerhalb der Anstalt überwachen.228 Erstes betrifft seine Stellung als behandelnder Arzt eines einzelnen Patienten, Zweites seine Funktion als medizinischer Berater der Anstaltsleitung.229 Neben den genannten allgemeinen Aufgaben ist eine Beteiligung des An­ staltsarztes gesetzlich bei besonderen Sicherungs- und Disziplinarmaßnah­ men vorgesehen, da diese die Gesundheit der Gefangenen gefährden kön­ nen.230 Dies gilt insbesondere für die Unterbringung in einem besonders ge­ sicherten Haftraum (§ 88 Abs. 2 Nr. 5 StVollzG), die Fesselung (§ 88 Abs. 2 223  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 63 Rn. 1; Keppler, Grundlagen der Anstalts­ medizin, S. 116. 224  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 64 LandesR Rn. 4. 225  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 64 LandesR Rn. 4. 226  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 63 Rn. 2; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 64 LandesR Rn. 5. 227  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 90. 228  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 21 Rn. 2. 229  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 31, 37 f. 230  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 38.



B. Offenbarungspflichten63

Nr. 6 StVollzG) und den Arrest (§ 103 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG). Auch bei der Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme ist der Anstaltsarzt nach § 91 Abs. 2 StVollzG immer zu hören, wenn sich der entsprechende Gefan­ gene in ärztlicher Behandlung oder unter ärztlicher Beobachtung befindet. Wird der Gefangene in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht oder gefesselt, so muss ihn der Arzt nach § 92 Abs. 1 S. 1 StVollzG unver­ züglich und in der Folge möglichst täglich aufsuchen. Diese Norm soll eine ärztliche Überwachung sicherstellen, da hier eine Gefährdung der Gesundheit durch die besondere Unterbringung möglich ist.231 Jeder dieser Besuche des Anstaltsarztes sowie die jeweiligen Befunde sind zu vermerken.232 Ein besonderes (Problem-)Feld im Rahmen der ärztlichen Behandlung im Strafvollzug bilden medizinische Zwangsuntersuchungen, -behandlungen und -maßnahmen. Unter einer Zwangsbehandlung versteht man im Allgemeinen alle therapeutischen und/oder diagnostischen Maßnahmen des Arztes, die ohne oder gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden.233 In be­ stimmten Fällen können sie einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechte der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) darstellen; regelmäßig sind sie zumindest Eingriffe in die freie Selbstbestimmung und des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und bedürfen somit einer Rechtsgrundlage.234 Im Wesentlichen werden in allen Landesgesetzen zwischen den zwangsweisen Maßnahmen der medizinischen Untersuchung, der Behandlung und der Zwangsernährung von Gefangenen unterschieden.235 Dabei meint der Begriff der Zwangsmaßnahme nicht nur Maßnahmen, die gegen den Willen des Gefangenen mithilfe unmittelbaren Zwanges durchge­ führt werden, sondern eine Zwangsmaßnahme liegt bereits dann vor, wenn sie gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt.236 Eine Zwangs­ maßnahme ist auch bei einer heimlichen Behandlung, etwa einer heimlichen Medikamentengabe, gegeben, da sie den freien Willen und damit das Selbst­ bestimmungsrecht des Gefangenen unterläuft.237

231  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 38; AK-StVollzG/Goerdeler, Teil II, § 80 LandesR Rn. 2. 232  S. VV StVollzG zu § 92 Abs. 3. 233  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 165 Rn. 1; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 724. 234  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 165 Rn. 2; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 724. 235  Vgl. Aufteilung bei AK-StVollzG/Lesting, 7. Aufl., Teil II, § 67 LandesR; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 165 Rn. 4. 236  Vgl. BVerfG NJW 2011, 2113 (2114); NJW 2011, 3571; BGH NJW 2012, 2967 (2968). 237  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 67 Rn. 13.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Das teilweise sehr weite Problemfeld von Zwangsuntersuchungen und Zwangsbehandlungen kann an dieser Stelle nicht umfassend erörtert werden. Nachfolgend werden lediglich einige ausgewählte Punkte dargestellt, um die besonderen Aufgaben von Anstaltsärzten in diesem Bereich besser einordnen zu können. Eine durch das Gesetz benannte Zwangsuntersuchung ist die Eingangsun­ tersuchung. Nach der Aufnahme eines Gefangenen in die Vollzugsanstalt ist dieser „alsbald“ ärztlich zu untersuchen, § 5 Abs. 3 StVollzG. Die Untersu­ chung ist gemäß § 101 Abs. 2 StVollzG von den Gefangenen zu dulden, so­ fern sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Ziel der Unter­ suchung ist es, die Fragen der Vollzugstauglichkeit und eventuell bestehende Behandlungsbedürftigkeit, etwa aufgrund von (Vor-)Erkrankungen, durch ei­ nen Anstaltsarzt überprüfen zu lassen.238 Zudem sollen auch die Arbeits­ fähigkeit, die Sporttauglichkeit sowie die gesundheitliche Eignung für die Einzelunterbringung des Gefangenen von ihm beurteilt werden.239 Da die Aufgabe des Anstaltsarztes in erster Linie darin besteht, den Gesundheitszu­ stand des Gefangenen zu beurteilen, handelt er hier in der Funktion eines Gutachters.240 Die Feststellung der Vollzugstauglichkeit unterliegt hier ge­ genüber der Anstaltsleitung nicht der Schweigepflicht.241 Eine Offenbarungspflicht ergibt sich in jedem Fall, wenn durch den An­ staltsarzt im Rahmen einer Zwangsuntersuchung eine meldepflichtige Krank­ heit nach dem Infektionsschutzgesetz festgestellt wird.242 Diese richtet sich jedoch allein nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes und berührt nicht die besondere Stellung des Anstaltsarztes als solche.243 Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass die Entlassungsuntersu­ chung im Gegensatz zur Eingangsuntersuchung gesetzlich nicht gesondert geregelt ist. Allerdings wird in den Europäischen Vollzugsgrundsätzen darauf verwiesen, dass „die Gefangenen auf Verlangen bei der Entlassung“ durch das ärztliche oder pflegerische Personal zu untersuchen sind.244 Bei dieser Untersuchung kann es sich jedoch nur um eine freiwillige handeln, welche 238  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S.  37; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 6 LandesR Rn. 20. 239  Laubenthal, Strafvollzug Rn. 313. 240  Hillenkamp, FS Laufs, S.  906; ähnl. AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 ­LandesR Rn. 78, wonach die Beurteilung der Haftfähigkeit durch eine Stellungnahme oder ein „Gutachten“ des Anstaltsarztes beurteilt werden soll. 241  Hillenkamp, FS Laufs, S. 905. 242  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 165 Rn. 46 mit Verweis auf VV StVollzG. 243  S. o. unter B.I.1. 244  Europäische Vollzugsgrundsätze, Teil III, Empfehlung Nr. 42.2.



B. Offenbarungspflichten65

auf Wunsch der jeweiligen Person durchgeführt werden kann. Diese fällt in den Bereich der allgemeinen medizinischen Versorgung und bezüglich der Schweigepflicht gelten die oben genannten Grundsätze. Die Sonderfälle der ärztlichen Zwangsmaßnahmen sind in § 101 StVollzG abschließend geregelt.245 § 101 Abs. 1 StVollzG benennt alle möglichen ­medizinischen Zwangsmaßnahmen, die im Falle einer Lebensgefahr, einer schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig sind. § 101 Abs. 2 StVollzG lässt zwangsweise körperliche Untersuchungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu, wenn sie nicht mit körperlichen Eingriffen verbunden sind. § 101 Abs. 3 S. 1 StVollzG sieht für alle Zwangsmaßnahmen die Anord­ nung und Leitung durch einen Arzt vor. Dabei muss es sich jedoch nicht zwangsläufig um den Anstaltsarzt handeln.246 Die bundesgesetzliche Rege­ lung war in der Vergangenheit vermehrt auf Kritik gestoßen, da sie nicht eindeutig klarstellt, ob die Anordnungskompetenz in einem Konfliktfall aus­ schließlich dem Arzt oder auch der Anstaltsleitung zusteht.247 Die Landesge­ setze versuchen vielfach diesen Konflikt zu vermeiden, indem Regelungen über Anordnungskompetenzen genauer beschrieben werden. Einige Landes­ gesetze bestimmen eine ärztliche Anordnung mit Zustimmung der Anstalts­ leitung.248 Teilweise wird zusätzlich auch die Zustimmung eines Arztes, welcher nicht in der Anstalt tätig ist249 oder die Zustimmung der medizini­ schen Fachaufsicht250 gefordert. Andere bestimmen eine Anordnung durch die Anstaltsleitung auf Grundlage einer ärztlichen Stellungnahme oder Emp­ fehlung.251 In Schleswig-Holstein bedarf es einer Anordnung durch die An­ staltsleitung im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt.252 In allen Bun­ desländern unterliegt die Durchführung und Überwachung der Zwangsmaß­ nahmen jedoch allein dem Arzt.253 Die Landesgesetze sehen weitestgehend übereinstimmend eine Dokumentationspflicht bei der Durchführung von 245  Laubenthal, 246  Laubenthal,

Strafvollzug Rn. 724. Strafvollzug Rn. 727; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 67 LandesR

Rn. 38. 247  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 101 Rn. 7. 248  Z. B. Art. 108 Abs. 3 BayStVollzG; § 68 Abs. 4 S. 1, 2 SächsStVollzG. 249  § 84 Abs. 3 S. 1, 2 HmbStVollzG. 250  § 79 Abs. 4 S. 2 BbgJVollzG. 251  Z. B. § 79 Abs. 4 S. 1 BbgJVollzG. 252  § 86 Abs. 3 S. 3 LStVollzG SH. 253  § 80 Abs. 3 S. 1 JVollzGB III BW; Art. 108 Abs. 3 S. 1 BayStVollzG; § 75 Abs. 4 S. 1 StVollzG Bln; § 79 Abs. 4 S. 3 BbgJVollzG; § 68 Abs. 4 S. 1 Brem­ StVollzG; § 84 Abs. 3 S. 1 HmbStVollzG; § 25 Abs. 4 S. 1 HStVollzG; § 67 Abs. 3 S. 1 StVollzG M-V; § 93 Abs. 4 S. 1 NJVollzG; § 78 Abs. 2 S. 1 StVollzG NRW; § 77 Abs. 4 S. 1 LJVollzG RP; § 67 Abs. 3 S. 2 SLStVollzG; § 68 Abs. 4 S. 1 Sächs­

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Zwangsmaßnahmen vor. Dabei sind die Gründe für die Anordnung, die Un­ tersuchungen und der Behandlungsverlauf zu dokumentieren.254 Die Beurteilung der Grenzen der Schweigepflicht des Anstaltsarztes im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen fällt in der Literatur sehr unter­ schiedlich aus. So wird einerseits davon ausgegangen, dass es für die ärzt­ liche Schweigepflicht unerheblich sei, ob die Kenntniserlangung bestimmter Tatsachen aufgrund einer freiwilligen oder aufgrund einer zwangsweisen Untersuchung erfolge.255 Andererseits wird angeführt, dass der Anstaltsarzt bei einer Zwangsuntersuchung überhaupt nicht „als Arzt“ sondern „als Amts­ träger“ agiere mit der Folge, dass eine Weitergabe der Informationen in die­ sen Fällen kein „Offenbaren“ eines Geheimnisses darstelle.256 Der zweiten Ansicht kann hier nicht gefolgt werden. Zwar ist es richtig, dass bei der Aufgabenwahrnehmung des Anstaltsarztes zwischen seinen ori­ ginär medizinischen Aufgaben und denjenigen im Auftrage der Anstaltslei­ tung zu unterscheiden ist, jedoch kann letzteres nicht zu einer Aufhebung der Schweigepflicht gegenüber der Anstaltsleitung führen. Vielmehr kann hier ein Vergleich zum Umfang der Schweigepflicht der anderen verbeamteten Ärzte gezogen werden.257 Wie auch für Amts- und Truppenärzte erstreckt sich die Offenbarungsbefugnis des Anstaltsarztes hier auf die zur Anordnung und Durchführung der Maßnahme notwendigen Tatsachen bzw. umfasst die durch die Anstaltsleitung angeforderten Befunde. Keppler beschreibt es zu­ treffend, indem er feststellt, dass der Anstaltsarzt sämtliche Erkenntnisse, die er als behandelnder Arzt gewonnen habe, nun als Gutachter „vergessen“ müsse, da diese Informationen weiterhin der Schweigepflicht unterlägen.258 Schließlich ergeben sich für den Anstaltsarzt besondere Offenbarungs­ pflichten und -befugnisse aus § 182 Abs. 2 StVollzG.259 Abs. 2 S. 2 bestimmt, dass sich der Anstaltsarzt „gegenüber dem Anstaltsleiter zu offenbaren [hat], soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist“. Diese Offenbarungspflicht gilt jedoch nur für diejenigen Informationen, die dem Anstaltsarzt nicht im Rahmen der allgemeinen Ge­ sundheitsfürsorge bekannt geworden sind. Denn Abs. 2 S. 3 StVollzG statu­ StVollzG; § 78 Abs. 2 S. 1 JVollzGB I LSA; § 86 Abs. 3 S. 2 LStVollzG SH; § 78 Abs. 4 S. 1 ThürJStVollzG. 254  Z. B. § 75 Abs. 4 S. 5, 6 StVollzG Bln; § 84 Abs. 3 S. 3, 4 HmbStVollzG; § 86 Abs. 3 S. 4 LStVollzG SH. 255  AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 191. 256  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 45. 257  S. o. unter B.II.1. und 3. 258  Keppler, Grundlagen der Anstaltsmedizin, S. 125. 259  S. ausführlich 3. Kapitel B.I.



B. Offenbarungspflichten67

iert für den Arzt eine Offenbarungsbefugnis für die „im Rahmen der allge­ meinen Gesundheitsfürsorge bekanntgewordene Geheimnisse“, jedoch keine Pflicht zur Offenbarung.260 Zudem stellt § 182 Abs. 2 S. 4 StVollzG klar, dass sonstige Offenbarungsbefugnisse unberührt bleiben. Der Schutz der besonderen Kategorien personenbezogener Daten, die Ver­ schwiegenheitsverpflichtung der Anstaltsärzte und die Offenbarungspflichten und -befugnisse der Anstaltsärzte sind in den Landesgesetzen sehr unter­ schiedlich ausgestaltet. So enthalten nicht alle Landesgesetze eine mit § 182 StVollzG vergleichbare Reglung.261 Schließlich steht auch in Bezug auf den Anstaltsarzt die Frage im Raum, ob zwischen ihm und seinen Patienten ein Vertrauensverhältnis besteht, wel­ ches ihn in einem besonderen Rahmen zum Schweigen verpflichtet. Auch wenn zwischen dem Anstaltsarzt und den Gefangenen eine „Zwangsbezie­ hung“ im Rahmen der Gesundheitsfürsorge besteht, ist dennoch nicht ausge­ schlossen, dass diese vertrauensvoll sein kann, denn auch hier kann sich ein Vertrauensverhältnis bilden.262 6. Zusammenfassende Betrachtung Insbesondere im Zusammenhang mit den oben genannten besonderen An­ stellungsverhältnissen wird immer wieder diskutiert, ob zwischen dem Arzt und seinen Patienten überhaupt ein Vertrauensverhältnis besteht und – falls ja – welche Auswirkungen dies auf die Schweigepflicht hat.263 Die Ansicht, welche die ärztliche Schweigepflicht von dem Bestehen eines Vertrauensverhältnisses abhängig macht, überzeugt nicht. Die Argumenta­ tion, das Vertrauensverhältnis begründe die Schweigepflicht, ist schon des­ wegen nicht haltbar, da die ärztliche Schweigepflicht auf Normen beruht, primär auf § 9 MBO-Ä und nicht in der besonderen Beziehung zwischen Arzt und Patient. Diese Normen gelten für alle Ärzte und zwar unabhängig von dem Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zu der von ihnen behandel­ ten Person.

260  Vgl.

Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (98 f.). den einzelnen Offenbarungspflichten und -befugnissen in den Landesgeset­ zen ausführlich 3. Kapitel B.II. 262  AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 181, 194; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 23. 263  Überblick bei Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144; zum Amtsarzt Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 14; zum Betriebsarzt Schal, Die Schweigepflicht des Betriebsarztes, S. 88 ff. 261  Zu

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Die ärztliche Schweigepflicht ist vielmehr Voraussetzung für die Entste­ hung eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Arzt und seinem Patienten. Das Vertrauensverhältnis selbst stellt jedoch nicht die Grundlage für das Bestehen der Schweigepflicht dar. Wie bereits oben264 erwähnt, ist das Ver­ trauensverhältnis wichtig für eine adäquate Behandlung des Patienten. Dieser wird dem Arzt insbesondere dann vertrauen, wenn er sicher sein kann, dass der Arzt Schweigen bewahren wird. Dies bedeutet aber auch, dass die Schweigepflicht dem Vertrauen vorausgeht und nicht anders herum. Auch die Ansicht, der Arzt sei nur dann schweigepflichtig, wenn ein ArztPatienten-Verhältnis bestehe265, kann nicht überzeugen. Auch diese Auffas­ sung steht im Widerspruch zur Gesetzeslage; denn nach § 9 MBO-Ä „hat“ der Arzt über alles, was ihm in dieser Funktion anvertraut oder bekannt wird zu schweigen. Die Schweigepflicht wird dabei weder von einer vertraglichen noch von einer faktischen Beziehung abhängig gemacht. Sie gilt über das Ende des Behandlungsverhältnisses hinaus fort. Es handelt sich um eine all­ gemeingültige Norm des Berufsrechtes, der alle approbierten Ärzte unterfal­ len. Folglich beansprucht sie Geltung für alle Formen ärztlicher Tätigkeit und ist unabhängig von einer besonderen Stellung der betreffenden Ärzte. Die Schweigepflicht eines Arztes kann nicht mit dem Argument aufgehoben werden, dass er aufgrund eines fehlenden Vertrauensverhältnisses oder man­ gels einer Arzt-Patienten-Beziehung nicht zum Schweigen verpflichtet sei. Die Folge wäre nämlich, dass die Berufsordnung und deren Normen von zwischenmenschlichen Beziehungen abhinge. Die Berufsordnung gilt jedoch gerade unabhängig und generell für alle in Deutschland approbierten Ärzte, ohne dass es auf andere Umstände ankommt. In diesem Sinne formuliert Keppler richtig, wenn er feststellt: „Für die Begründung der Schweigepflicht ist es unerheblich, ob die PatientenArzt-Beziehung freiwillig zustande gekommen ist und/oder ob zwischen Patient und Arzt ein Vertrauensverhältnis besteht.“266

C. Offenbarungsbefugnisse Von den Offenbarungspflichten zu unterscheiden sind Offenbarungsbefug­ nisse, diese werden teilweise auch als Offenbarungsrechte267 bezeichnet. Sie räumen dem Arzt eine Möglichkeit der Geheimnisoffenbarung ein, verpflich­ 264  S. o.

unter A. Schlund, JR 1977, 267 f. 266  Keppler, Besonderheiten der Anstaltsmedizin, S. 187. 267  So NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 9. 265  So



C. Offenbarungsbefugnisse69

ten ihn jedoch nicht sich zu offenbaren.268 Eine Offenbarungsbefugnis kann sich zum einen daraus ergeben, dass der Patient dem Arzt die Offenbarung gestattet und zum anderen kann der Arzt aufgrund gesetzlich Befugnisse zur Offenbarung berechtigt sein. Kennzeichnend für Offenbarungsbefugnisse ist in der Regel eine Interes­ senabwägung zwischen dem Patientengeheimnis und einem anderen Rechts­ gut, welche durch eine Wertung in ein Verhältnis zu setzen sind. In Fällen der Offenbarungsbefugnisse wird dem Arzt selbst ein Ermessensspielraum eingeräumt, wonach er frei über eine Offenbarung und deren Umfang ent­ scheiden kann.

I. Entbindung von der Schweigepflicht Grundsätzlich ist ein Arzt immer dann befugt Geheimnisse zu offenbaren, wenn er hierzu von seinem Patienten ermächtigt wurde. § 9 Abs. 2 S. 1 MBO-Ä benennt ausdrücklich die Befugnis zur Offenbarung für Ärztinnen und Ärzte, soweit sie „von der Schweigepflicht entbunden worden sind“. Der verfügungsberechtigte Patient kann den Arzt insgesamt oder auch in Bezug auf einzelne Angaben von der Schweigepflicht entbinden.269 Rechtlich wird die Schweigepflichtentbindung in der Literatur entweder als (tatbestandsausschließendes) Einverständnis270 oder als Einwilligung271 klassifiziert. Diese Streitfrage erlangt vor allem bei Irrtumsfragen Bedeutung, welche an dieser Stelle jedoch nicht ausgeführt werden sollen. Zudem kommt es auf die Frage an dieser Stelle nicht an, da die (Wirksamkeits-)Vorausset­ zungen für Einverständnis und Einwilligung im Wesentlichen gleich sind. Problematisch ist im Zusammenhang mit der Schweigepflichtentbindung vor allem die Bestimmung des Erklärungsberechtigten.272 Auf diese soll hier kurz eingegangen werden. Hier können drei verschiedene Rollen zu unter­ scheiden sein. So können die Person des Geheimnisträgers, in dessen Privat­ sphäre die Information gehört, die Person des Anvertrauenden, der die Infor­ 268  Schönke/Schröder/Eisele,

§ 203 Rn. 45. in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 18. 270  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 62; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 30; Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (98); BeckOK-StGB/ Weidemann, § 203 Rn. 38. 271  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 32; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 942; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 18; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 1; NKStGB/Kargl, § 203 Rn. 50; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapi­ tel IX. Rn. 18; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 34; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 93; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 10. 272  Vgl. MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 64. 269  Katzenmeier,

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

mation weitergibt und die Person des Patienten auseinanderfallen.273 Im Falle eines solchen Auseinanderfallens ist fraglich, welche dieser Personen die Schweigepflichtentbindungserklärung gegenüber dem Arzt erteilen darf. Grundsätzlich kann der Geheimnisträger frei über die Offenbarung seiner eigenen Geheimnisse im Rahmen der Einwilligung disponieren.274 Dies än­ dert sich auch dann nicht, wenn Dritte ein Interesse an dem Geheimnis ha­ ben.275 Handelt es sich jedoch um ein so genanntes Drittgeheimnis, also eines welches nicht den Patienten selber betrifft, ist umstritten, wem die Verfü­ gungsbefugnis über die Offenbarung zuzusprechen ist. Nach einer Ansicht soll die Verfügungsbefugnis allein demjenigen zustehen, in dessen Privat­ sphäre das Geheimnis fällt.276 Nach anderer Ansicht soll die Verfügungsbe­ fugnis in diesem Fall allein277 oder auch dem sich anvertrauenden Patienten zufallen.278 Dabei erscheint die letztgenannte Ansicht, welche sowohl dem sich anvertrauenden Patienten, wie auch dem Geheimnisträger selbst eine Dispositionsbefugnis einräumt, vorzugswürdig. Diese Ansicht lässt sich da­ mit begründen, dass der sich anvertrauende Patient nicht zur Geheimhaltung verpflichtet ist und das Geheimnis offenbaren kann, ohne dass der Geheim­ nisträger dabei strafrechtlich geschützt wäre.279 Anders als der Berufsge­ heimnisträger macht sich der Anvertrauende durch die Geheimnisoffenbarung nämlich nicht strafbar. Infolgedessen kann auch der anvertrauende Patient frei über eine weitere Offenbarung von Geheimnissen verfügen. Daneben kann auch der Geheimnisträger selbst über die Offenbarung seines Geheim­ nisses disponieren.280 Voraussetzung für eine Schweigepflichtentbindung ist stets das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des Patienten in die Offenlegung und/oder Weitergabe seiner Daten.281 Diese kann sowohl ausdrücklich wie auch kon­ kludent erklärt werden.282 Die ausdrückliche Entbindung von der Schweige­ 273  LK-StGB/Schünemann,

§ 203 Rn. 96. § 203 Rn. 31; Fischer, § 203 StGB Rn. 70; NKStGB/Kargl, § 203 Rn. 54; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 97. 275  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 54. 276  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 55. 277  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 33; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztRHdB § 141 Rn. 12. 278  OLG Köln NStZ 1983, 412; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 31; Fischer, § 203 StGB Rn. 70; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 99. 279  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 31; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 99. 280  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 99. 281  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 34. 282  NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 11; Katzenmeier, in: Laufs/Katzen­ meier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 18; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 34. 274  Schönke/Schröder/Eisele,



C. Offenbarungsbefugnisse71

pflicht ist dabei grundsätzlich auch formlos wirksam und jederzeit frei wider­ ruflich.283 Die Wirksamkeit der Einwilligung hängt von der Einwilligungsfähigkeit des Patienten ab.284 Dabei sind maßgebend die natürliche Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Einwilligenden zu beachten.285 Diese hängen jedoch nicht von der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit ab.286 Insofern kön­ nen auch minderjährige oder geschäftsunfähige Patienten selbst darüber ent­ scheiden, ob sie ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Bezüglich der Beurteilung ihrer Einwilligungsfähigkeit ist jeweils auf die eigenständige Urteilsfähigkeit abzustellen.287 Die Wirksamkeit hängt also allein davon ab, ob der Patient, auch wenn er minderjährig oder geschäftsun­ fähig ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung erfassen und beur­ teilen kann.288 Der konkludenten oder stillschweigenden Einwilligung sind durch die Rechtsprechung enge Grenzen gezogen.289 Nach der Rechtsprechung soll diese im Regelfall ausscheiden, da die Rechtfertigung der Informationswei­ tergabe hier allein aus der objektiven Interessenlage des Betroffenen beurteilt wird und dies der besonderen Schutzwürdigkeit der Daten nicht gerecht wird.290 Insbesondere der Schutz der ärztlichen Behandlungsunterlagen sei nicht ausreichend gewährleistet, wenn die Beurteilung der objektiven Interes­ senlage an die Stelle der freien Entscheidung des Patienten tritt.291 Auch betonte der Bundesgerichtshof, dass es generell dem Arzt obliege, die Zu­ stimmung des Patienten in eindeutiger und unmissverständlicher Weise ein­ zuholen, denn es sei grundsätzlich nicht Aufgabe des Patienten der Weiter­ gabe seiner Daten zu widersprechen, um den Eindruck des stillschweigenden Einverständnisses zu vermeiden.292

283  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1060; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 18; Lippert, in: Ratzel/ Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 57. 284  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 34. 285  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 55; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 18. 286  Lackner/Kühl/Heger, Vorbem. vor § 32 Rn. 16; Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prüt­ ting, MBO-Ä, § 9 Rn. 55; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 94. 287  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 55; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 20. 288  Vgl. BVerfG NJW 1982, 1375 (1378). 289  S. BGH NJW 1991, 2955 (2956 f.); NJW 1992, 737 (739). 290  BGH NJW 1992, 737 (739). 291  BGH NJW 1992, 737 (739). 292  BGH NJW 1991, 2955 (2957); NJW 1992, 2348 (2349).

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Dennoch wird eine stillschweigende Schweigepflichtentbindung des Arz­ tes in einigen Fällen durchaus anzunehmen sein. Zu nennen sind hier insbe­ sondere die Behandlung durch mehrere Ärzte innerhalb einer Klinik oder Praxis und die Überweisung von einem Arzt zu einem anderen. In der Regel wird der Patient ein Interesse daran haben, die bestmögliche Behandlung zu erhalten, so kann in vielen Fällen davon ausgegangen werden, dass dies auch die Hinzuziehung von Kollegen einbezieht.293 Wurde der Patient von seinem Hausarzt an einen Spezialisten überwiesen, so kann eine stillschweigende Einwilligung zu dessen Offenbarung angenommen werden, wenn der Haus­ arzt auf die Befunde des Spezialisten angewiesen ist, um seinen Patienten angemessen behandeln zu können.294 Dies gilt insbesondere, wenn die Über­ weisung mit der Einwilligung oder auf Wunsch des Patienten stattgefunden hat.295 Ebenso liegt es im Interesse des Patienten, dass weiter- oder nachbe­ handelnde Ärzte Kenntnis der hierfür erforderlichen Informationen und Da­ ten erhalten.296 Schließlich kann eine konkludente Schweigepflichtentbindung auch dann angenommen werden, wenn der Patient seinen behandelnden Arzt als Zeugen in einem Prozess benennt.297 Allerdings hat das Gericht im Zweifel durch Nachfragen zu klären, ob die Schweigepflichtentbindung auch dem Willen der Partei entspricht.298 Wenn sich der Patient nicht oder nicht mehr äußern kann, kann auf die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung299 zurückgegriffen werden.300 Eine mutmaßliche Einwilligung setzt voraus, dass der Geheimnisträger zwei­ felsfrei und erkennbar kein Interesse an der Wahrung des Geheimnisses hat oder dass er nicht rechtzeitig befragt werden kann.301 Die mutmaßliche Ein­ willigung kommt dabei immer nur subsidiär in Betracht.302 Als gängigster 293  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1061; Spick­ hoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 34. 294  BGH NJW 1983, 350 (351); Spickhoff/Knauer/Brose, §§  203–205 StGB Rn. 34; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 34. 295  BGH NJW 1983, 350 (351); SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 34. 296  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1062. 297  LG Karlsruhe, BeckRS 2019, 5584 Rn. 21, 22; Deutsch/Spickhoff, Medizin­ recht, Kap. XVII Rn. 942. 298  LG Karlsruhe, BeckRS 2019, 5584 Rn. 21. 299  Auch die Vertreter die im Rahmen der Schweigepflichtentbindung von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis ausgehen nehmen an, dass eine mutmaß­ liche Einwilligung möglich ist, vgl. MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 91; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 40. 300  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 19; Spick­ hoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 35. 301  BGH NJW 1991, 2955 (2956). 302  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1071.



C. Offenbarungsbefugnisse73

Beispielfall wird hier die Benachrichtigung der Angehörigen eines bewusst­ losen Patienten genannt.303 Über die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung ist auch die postmor­ tale Schweigepflichtentbindung zu lösen.304 Weder die Erben noch die nächs­ ten Angehörigen können den Arzt von der Schweigepflicht entbinden, da die Verfügungsbefugnis über höchstpersönliche Geheimnisse nicht mit dem Erbfall auf diese übergeht.305 Liegt eine Offenbarung jedoch im Interesse des Erblassers, kann von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen wer­ den.306 Das mutmaßliche Interesse kann unter anderem dann anzunehmen sein, wenn die Geheimnisoffenbarung zur Verfolgung von Rechtsansprüchen wegen Behandlungsfehlern oder Versicherungsansprüchen notwendig ist.307 Eine Schweigepflichtentbindung kann nur freiwillig von dem Betroffenen erteilt werden. Jegliche Weisungen eines Dritten, die den Betroffenen ver­ pflichten, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht ganz oder teilweise zu entbinden, verletzen ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeits­ recht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.308 Dies gilt insbesondere wenn eine versicherungsvertragliche Obliegenheit den Versicherungsnehmer verpflichtet eine Schweigepflichtentbindung zu erteilen, ohne dass diese dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit lässt, den Umfang der Datenpreisgabe selbst zu bestimmen.309 Aber dies betrifft auch Weisungen eines Gerichts gegenüber einem Strafgefangenen oder einem unter Führungsaufsicht stehen­ den Verurteilten, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.310 Die Freiwilligkeit spielt insbesondere eine wichtige Rolle bei der Schwei­ gepflichtentbindung durch einen Strafgefangenen. Grundsätzlich steht es auch einem Strafgefangenen frei, den Anstaltsarzt von der Schweigepflicht zu entbinden und ihm somit eine Offenbarung der ihm bekannt gewordenen Geheimnisse zu gestatten. Eine rechtlich wirksame Einwilligung liegt aber nur vor, wenn der informierte Strafgefangene eine freiwillige, hinreichend bestimmte und widerrufliche Erklärung abgegeben hat.311 Das zwischen dem in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1071. §§ 203–205 StGB Rn. 36; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 108; a. A. SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 84, der eine mutmaßliche Einwilli­ gung nach dem Tod des Betroffenen generell ablehnt. 305  Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 27. 306  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 36. 307  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 108; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 27; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 36. 308  BVerfGK 8, 183 (190). 309  BVerfG MMR 2007, 93; NJW 2013, 3086. 310  BVerfGK 8, 183 (190); KG NStZ-RR 2007, 169. 311  AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 90. 303  Ulsenheimer/Gaede,

304  Spickhoff/Knauer/Brose,

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Anstaltsarzt und den Strafgefangenen bestehende Abhängigkeitsverhältnis kann dabei gegen eine Freiwilligkeit sprechen.312 Wurde die Erklärung je­ doch allein auf Initiative des Strafgefangenen abgegeben, so spricht dies für die Freiwilligkeit.313

II. § 4 Abs. 3 Kinderschutz-Kooperations-Gesetz Eine wichtige gesetzliche Offenbarungsbefugnis findet sich in § 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (Kinder­ schutz-Kooperations-Gesetz – KKG) und den entsprechenden Landesgeset­ zen zum Kinder- und Jugendschutz.314 Das KKG wurde 2011 durch das Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schut­ zes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG) eingeführt.315 In der Gesetzesbegründung wird als allgemeines Ziel die Ver­ besserung und Stärkung des Kinderschutzes betont.316 Darüber hinaus wird auch explizit die Berücksichtigung eines wirksamen Schutzauftrages „im Bereich der Schnittstelle zum Gesundheitssystem unter Klarstellung der ärzt­ lichen Schweigepflicht“ genannt.317 In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass der Arzt, welcher von seiner Offenbarungsbefugnis nach § 4 Abs. 3 KKG Gebrauch mache, nicht mehr „unbefugt“ im Sinne des § 203 Abs. 1 StGB handele.318 Die Notwendigkeit einer Klarstellung lässt sich rückblickend unter ande­ rem damit erklären, dass vor der Einführung des Gesetzes vielfach das Feh­ len einer klaren Regelung bezüglich einer ärztlichen Offenbarungsbefugnis bemängelt wurde.319 Insbesondere in der Ärzteschaft war unklar wann und ob bestimmte Informationen von minderjährigen Patienten weitergegeben werden durften.320 Vor der Einführung des KKG wurden Fälle mutmaßlicher Kindesmisshandlung über § 34 StGB gelöst, der § 4 Abs. 3 KKG ist demge­ genüber heute lex specialis.321 312  AK-StVollzG/Lesting,

Teil II, § 62 LandesR Rn. 90. Teil II, § 62 LandesR Rn. 90. 314  S. z. B. § 11 Abs. 4 Berliner Kinderschutzgesetz, § 12 S. 2 Landeskinderschutz­ gesetz Rheinland-Pfalz. 315  BGBl. I 2011, 2975. 316  BT-Drs. 17/6256, S. 15. 317  BT-Drs. 17/6256, S. 15. 318  BT-Drs. 17/6256, S. 20. 319  Wiesner/Wapler/Walther, KKG § 4 Rn. 2. 320  Wiesner/Wapler/Walther, KKG § 4 Rn. 2. 321  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 16; Weber/Duttge/ Höger, MedR 2014, 777 (784). 313  AK-StVollzG/Lesting,



C. Offenbarungsbefugnisse75

§ 4 Abs. 3 KKG regelt die Voraussetzungen der Weitergabe von Informa­ tionen an das Jugendamt zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung. Da­ bei handelt es sich ausdrücklich um eine Befugnisnorm, welche die Voraus­ setzungen der Beratung und Übermittlung von Informationen durch Berufs­ geheimnisträger im Falle einer Kindeswohlgefährdung regelt. Der Gesetzgeber entschied sich dabei für ein abgestuftes Verfahren, nach welchem eine Offenbarungsbefugnis erst dann vorliegt, wenn die in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Maßnahmen (Information der Eltern bzw. Hinzuzie­ hung von Fachkräften) nicht zu einer Abwendung der Kindeswohlgefährdung führen.322 Der § 4 Abs. 3 KKG soll vor allem größere Handlungssicherheit schaffen, indem eine Weitergabe von Informationen nicht mehr allein unter den Vor­ aussetzungen des § 34 StGB vorgenommen werden muss und den dabei auftretenden Anwendungsschwierigkeiten323 entgegengewirkt wird.324 Tat­ sächlich verbleibt die Entscheidung zwischen der Einhaltung der Schweige­ pflicht und der Verteidigung des Kindeswohls jedoch genauso beim Arzt.325 Insbesondere das Merkmal „für erforderlich“ halten räumt dem Arzt einen nicht überprüfbaren Handlungsspielraum ein, wenn er über die Informierung des Jugendamtes zu entscheiden hat.326 Dies bedeutet jedoch, dass der Arzt allein zu beurteilen hat, wann er eine Offenbarung für erforderlich hält und wann nicht. Schließlich wird im Zusammenhang mit der Offenbarungsbefugnis nach § 4 Abs. 3 KKG bemängelt, dass die Norm lediglich eine Information des Jungendamtes durch den Arzt gestattet. Eine Mitteilung an weitere Dritte, wie der Polizei und der Staatsanwaltschaft, ist jedoch weder vorgesehen noch gestattet.327 Demnach bleibt § 34 StGB weiterhin anwendbar, wenn ein Arzt die Strafverfolgungsbehörden über einen möglichen Kindesmissbrauch unter­ richten will.328 In diesem Zusammenhang wird der Arzt jedoch wiederum eine Güterabwägung vornehmen müssen.329 322  BT-Drs.

17/6256, S. 19. den auftretenden Problemen im Rahmen der Abwägung bei § 34 StGB s. unter C.III.1.– 4. 324  BT-Drs. 17/6256, S. 20. 325  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1083. 326  S. hierzu ausführlich Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht am Beispiel von Kindesmisshandlungen, S. 88 ff. 327  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1083; Weber/Duttge/Höger, MedR 2014, 777 (784). 328  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 27; Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1083; Weber/Duttge/Höger, MedR 2014, 777 (784). 329  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 145 Rn. 65. 323  Zu

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

III. § 34 StGB Die Grenze der ärztlichen Schweigepflicht findet sich zudem immer im rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB. Dies bedeutet, dass ein rechts­ widriges Offenbaren nicht vorliegt, wenn der Arzt seine Schweigepflicht zum Schutz anderer, wesentlich höherrangiger Rechtsgüter bricht.330 Ebenso ist nach § 9 Abs. 2 MBO-Ä eine Offenbarung „zum Schutze eines höherwerti­ gen Rechtsgutes“ gestattet. Nach § 34 StGB handelt derjenige gerechtfertigt, der eine Tat begeht um eine gegenwärtige nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, nament­ lich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefah­ ren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Insbesondere bei einem Aufeinandertreffen einer Handlungspflicht und einer Unterlassungspflicht ist nach den Grundsätzen des § 34 StGB zu ent­ scheiden.331 Für einen Arzt kann eine solche Situation beispielsweise dann entstehen, wenn er einerseits als Garant für die körperliche Gesundheit seiner Patienten zu sorgen und diese zu bewahren, andererseits aber auch seine Schweigepflicht einzuhalten hat.332 Jedenfalls kann der § 34 StGB, soweit seine Voraussetzungen erfüllt sind, angewendet werden, wenn die Notstands­ lage nicht anders als durch die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht abwendbar ist.333 Nach einer Abwägung der Interessen des Patienten an der Geheimhaltung gegenüber den durch § 34 StGB geschützten Rechtsgütern kann ein Arzt also ein Geheimnis offenbaren, ohne strafrechtliche Sanktionen zu befürchten. Dabei sind durch den Arzt immer die gleichen Voraussetzun­ gen zu beachten: Die Schweigepflicht darf nur angesichts eines konkreten Interessenkonflikts gebrochen werden, die Interessenabwägung muss von dem Arzt selbst vorgenommen werden und allein der Arzt hat darüber zu entscheiden, in welchem Umfang er Geheimnisse offenbart.334

330  Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1107; NK-MedR/ Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 13; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 42. 331  Roxin/Greco, AT I, § 16 Rn. 117; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 71/72; vgl. a. Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 15. 332  S. hierzu auch unter III.1. 333  Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 15; Schönke/Schröder/Perron, § 34 Rn. 4. 334  Zu den drei Kriterien: Kreuzer, NJW 1975, 2232 (2236).



C. Offenbarungsbefugnisse77

Als höherwertige Rechtsgüter kommen Individualinteressen und Gemein­ interessen, aber auch eigene berechtigte Eigeninteressen des offenbarenden Arztes selbst in Betracht.335 1. Individualinteressen Dritter Eine Offenbarung kann zum Schutz von Individualrechtsgütern Dritter gerechtfertigt sein. Hier kommt vor allem die Offenbarung schwerer über­ tragbarer Krankheiten gegenüber den Angehörigen oder anderen Kontaktper­ sonen in Betracht.336 Ein besonderes Fallbeispiel dieser Offenbarungsbefugnis bietet ein zivil­ rechtliches Urteil des OLG Frankfurt zur Aids-Infektion des Sexualpartners.337 Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war die Lebensgefährtin eines an Aids erkrankten Mannes. Der Beklagte war Hausarzt der beiden. Nachdem bei dem Partner der Kläge­ rin die Aids-Erkrankung diagnostiziert wurde, informierte er den Beklagten hierüber, verbot ihm jedoch zugleich jegliche Auskunftserteilung über die Aids-Infektion. Als die Klägerin daraufhin die Praxis des Beklagten zur eige­ nen Behandlung aufsuchte, verschwieg dieser ihr die Erkrankung ihres Part­ ners. Nachdem der Lebensgefährte der Klägerin an seiner Aids-Erkrankung verstarb, informierte sie der Beklagte über die Todesursache. Bei der Kläge­ rin wurde daraufhin ein Aids-Test durgeführt, welcher positiv ausfiel. Die Klägerin verklagte den Hausarzt daraufhin auf Zahlung eines Schmerzens­ geldes in Höhe von 100.000 DM. Sie begründete dies damit, der Beklagte habe eine grobe Pflichtverletzung begangen, indem er sie nicht über die Aids-Infektion ihres Lebensgefährten aufgeklärt habe. Die Klage wurde zu­ nächst durch das LG Wiesbaden abgewiesen.338 Die daraufhin eingelegte Berufung der Klägerin wurde durch das OLG Frankfurt zurückgewiesen, da die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass der Arztfehler zu einem schlech­ teren Gesundheitszustand geführt hatte.339 Das OLG Frankfurt stellte darüber hinaus aber fest, dass der Beklagte die Klägerin rechtswidrig und schuldhaft nicht über die Aids-Erkrankung ihres 335  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 56 ff.; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Hand­ buch Medizinstrafrecht Rn. 1108 ff.; Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä § 9 Rn. 65; Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1078, 1085 ff. 336  Spickhoff/Knauer/Brose, §§  203–205 StGB Rn. 43; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 139. 337  OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.1999, Az. 8 U 67/99. 338  LG Wiesbaden, Urt. v. 24.2.1999, Az. 5 O 474/96. 339  OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.1999, Az. 8 U 67/99, juris-Rn. 34–36.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Partners informiert hatte.340 Dabei nahm der Senat an, dass die strafbare Verletzung der Schweigepflicht gemäß § 203 StGB in diesem Fall eine Ein­ schränkung durch § 34 StGB erführe. Das Gericht ging in diesem Fall sogar davon aus, dass die Offenbarungsbefugnis des Arztes in eine Offenbarungs­ pflicht umschlug, da der beklagte Arzt eine Garantenstellung gegenüber der Klägerin innehatte.341 Auch wenn die Entscheidung in der Literatur vielfach Zustimmung er­ fuhr342 weist sie erhebliche Unstimmigkeiten auf. So ist die Umwandlung der Befugnisnorm des § 34 StGB in eine Verpflichtungsnorm unzulässig.343 Zudem zeichnet es gerade die Unterscheidung zwischen Pflicht und Befugnis aus, dass der Arzt nach seinem Wissen und Gewissen entscheiden kann, ob er sich offenbart, wenn er hierzu befugt ist, oder nicht. Es ließe sich allerdings diskutieren, ob in Fällen wie dem hier vorliegen­ den, nicht dennoch Handlungspflichten für Ärzte entstehen, welche zu einem Bruch der Schweigepflicht zwingen. Insbesondere in einem bereits bestehen­ den Arzt-Patienten-Verhältnis kann sich für den Arzt eine Handlungspflicht aus seiner Stellung als Garant ergeben.344 Die Garantenstellung des Arztes entsteht grundsätzlich mit der tatsächlichen Übernahme der ärztlichen Behandlung,345 der Abschluss eines Behandlungsvertrages ist nicht erforder­ lich.346 Durch die Nichtvornahme einer (bestimmten) Behandlung kann sich der Arzt folglich nach §§ 223, 13 StGB oder sogar nach §§ 212, 13 StGB strafbar machen.347 Sofern sich ein Arzt dafür entscheidet, seine Schweigepflicht nicht zu bre­ chen, und sich ein Geschlechtspartner, welcher zugleich ebenfalls sein Pa­ tient ist, infiziert, könnte er sich nach §§ 223, 13 StGB strafbar machen. In dieser Konstellation würde der Arzt folglich vor der Wahl stehen, eine Straf­ barkeit nach §§ 223, 13 StGB zu riskieren oder tatbestandlich den § 203 340  OLG

Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.1999, Az. 8 U 67/99, juris-Rn. 20. Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.1999, Az. 8 U 67/99, juris-Rn. 33; vgl. a. den Beschluss des OLG Frankfurt a. M. NJW 2000, 875 (876 f.). 342  Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1108; Spickhoff/ Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 43; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 19; Spickhoff, NJW 2000, 848. 343  NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 13; grundsätzlich ebenso LK-StGB/ Schünemann, § 203 Rn. 144. 344  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 151 Rn. 3; Spickhoff/ Knauer/Brose, § 212 StGB Rn. 7, 8. 345  BeckOK-StGB/Eschelbach, § 212 Rn. 18.1; MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 173; Spickhoff/Knauer/Brose, § 212 StGB Rn. 7; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 28a. 346  Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IV. Rn. 4; MAH MedR/Sommer/Tsambikakis, § 3 Rn. 65. 347  Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IV. Rn. 2. 341  OLG



C. Offenbarungsbefugnisse79

Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB zu erfüllen. Der Bruch der Schweigepflicht wäre in dieser Konstallation aber nach § 34 StGB gerechtfertigt, da das Interesse des Patienten am Schweigen des Arztes hinter den Schutz der Gesundheit des Geschlechtspartners zurücktreten muss.348 Hierbei bleibt aber dennoch zu bedenken, dass sich die Handlungspflich­ ten des Arztes aus seiner Garantenstellung und den damit im Zusammenhang stehenden Schutzpflichten, nicht jedoch aus § 34 StGB ergeben. Somit ergibt sich auch nach diesen Überlegungen keine Offenbarungspflicht aus § 34 StGB, da diese Norm lediglich die Befugnis zum Bruch der Schweigepflicht darstellen, nicht aber die Pflicht zu einer bestimmten Handlung begründen kann. Aus ebendiesen Gründen ist auch die Entscheidung des Bundesgerichts­ hofs in dem so genannten Eileiterschwangerschaftsfall349 bedenklich. Gegen­ stand der Entscheidung war die Frage, ob der behandelnde Arzt seine Schweigepflicht gegenüber der Mutter seiner 21-jährigen Patientin hätte brechen müssen, um sie über deren Zustand zu informieren. Der Arzt hatte die Patientin selbst zuvor darüber aufgeklärt, dass er das Vorliegen einer Ei­ leiterschwangerschaft bei ihr vermute, welche tödlich sein könne und sie deswegen umgehend eine Klinik aufsuchen solle. Dies lehnte die Patientin jedoch ab und bat den Arzt ihre vor der Praxis wartende Mutter nicht über ihre Schwangerschaft zu informieren. Der Arzt entsprach dem Wunsch der Patientin, welche sich sodann nach Hause begab und in der Folge eine Rup­ tur des Eileiters erlitt, an welcher sie verstarb.350 Der Arzt wurde darauffol­ gend durch das Landgericht Rottweil wegen unterlassener Hilfeleistung ver­ urteilt.351 Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Verurteilung und entschied, dass die Schweigepflicht im Verhältnis zur Mutter der Patientin zurücktrat, da ihre Unterrichtung ein erforderliches und angemessenes Mittel zur Ret­ tung der Patientin war.352 Begründeterweise wurde diese Entscheidung in der Literatur kritisiert.353 So steht sie zum einen im Widerspruch zur bisher durch den Bundesgerichts­ 348  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 947; Katzenmeier, in: Laufs/ Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 29; krit. hierzu Wolfslast, welcher in der vorliegenden Konstellation das Vorliegen der Garantenstellung ablehnt, NStZ 2001, 150 (151 f.). 349  BGH NStZ 1983, 313. 350  BGH NStZ 1983, 313. 351  BGH NStZ 1983, 313 unter Verweis auf LG Rottweil, Urt. v. 1. April 1982, KLs 21/81, welches jedoch nicht öffentlich einsehbar ist. 352  BGH NStZ 1983, 313 (314). 353  Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1093; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1110.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

hof vertretenen Ansicht, der volljährige einsichts- und urteilsfähige Patient dürfe eine Behandlung ablehnen und der Arzt sei hieran gebunden.354 Auch erscheint sie nicht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährt jedem Menschen das Recht über Eingriffe in seine körperliche Inte­ grität und den Umgang mit seiner Gesundheit selbständig zu entscheiden.355 Die Entscheidung, ob und wie eine Krankheit diagnostiziert und behandelt wird, muss sich dabei auch nicht an einem objektiven Vernunftsmaßstab ausrichten.356 Demnach kann sich der Arzt auch nicht über den Wunsch des Patienten hinwegsetzen eine Behandlung nicht wahrzunehmen. Ebenso hat der Arzt dem Wunsch des Patienten eine, möglicherweise lebensbedrohliche, Erkrankung geheim zu halten, zu entsprechen.357 Zudem wird auch in diesem Fall eine Befugnisnorm durch die Rechtsprechung in eine Verpflichtungs­ norm umgewandelt. Unabhängig von diesen Fallgestaltungen kann eine Offenbarung zum Schutz von Rechtsgütern des Betroffenen selbst nach § 34 StGB gerechtfer­ tigt sein. So kann der Arzt etwa bei der konkreten Gefahr eines erweiterten Suizids berechtigt sein, die zuständigen Behörden zu informieren.358 Aber auch, wenn der Arzt bei einer konkreten Suizidgefahr vertrauliche Informa­ tionen aus Patientengesprächen offenbart.359 Dabei bleiben jedoch stets die oben benannten Grundsätze der Selbstbestimmung zu beachten. Ferner darf die Gefahr nicht anders abwendbar sein, als durch die Offenbarung des Ge­ heimnisses.360 Ein besonderes Problem der Offenbarungsbefugnis ergibt sich für den Arzt im Strafvollzug. In diesem Bereich ist umstritten, ob die Schweigepflicht des Anstaltsarztes hinter die Gesundheitsfürsorgeflicht der Vollzugsbehörde zu­ rücktritt.361 Hier kann jedoch eine Offenbarungsbefugnis angenommen wer­ den, wenn der Arzt, welchem die medizinische Fürsorgepflicht obliegt, eine angemessene medizinische Versorgung nur dadurch erreichen kann, dass er 354  BGH

NJW 1958, 267 (268). NJW 2017, 53 (56); im Ergebnis ebenso BVerfG NJW 2011, 2113

355  BVerfG

(2114). 356  BVerfG NJW 2017, 53 (56). 357  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 59; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 67; LKStGB/Schünemann, § 203 Rn. 143. 358  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 42. 359  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 93; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1110; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztRHdB § 141 Rn. 16. 360  Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1110. 361  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 23.



C. Offenbarungsbefugnisse81

die Anstaltsleitung über den Zustand des betroffenen Strafgefangenen unter­ richtet.362 Darüber hinaus kann jedoch auch die Beurteilung der „gegenwär­ tigen“ Gefahr des § 34 StGB im Strafvollzug anders zu vollziehen sein als in Freiheit. So kann die Offenbarung einer ansteckenden Krankheit gerechtfer­ tigt sein, da dieser Gefahr durch entsprechende Gestaltung des Vollzugs nur eingeschränkt Rechnung getragen werden kann und die anderen Gefangenen den Gefahren nicht ohne Weiteres ausweichen können.363 Umstritten ist schließlich, ob der Arzt seine Schweigepflicht brechen darf, um einen Unschuldigen vor Verurteilung zu retten.364 Nach wohl überwie­ gender Auffassung kann sich der Schweigepflichtige hier im Rahmen der Notstandshilfe offenbaren, wenn sonst keine Möglichkeit besteht die unge­ rechtfertigte Verurteilung abzuwenden.365 2. Gemeininteressen Eine viel genannte Fallkonstellation für die Offenbarung zum Schutz von Gemeinschaftsgütern bzw. der Allgemeinheit ist die Information der Straßen­ verkehrsbehörde über die Fahruntüchtigkeit eines Patienten.366 Dabei ist es unerheblich, ob die Fahruntüchtigkeit krankheitsbedingt oder durch die Ein­ nahme bestimmter Medikamente hervorgerufen ist.367 Diese Offenbarung ist dann gerechtfertigt, wenn der Patient trotz ärztlicher Warnung weiterhin sei­ nen Pkw führt und so eine Bedrohung für Leib und Leben anderer Verkehrs­ teilnehmer darstellt.368 Voraussetzung ist, dass der Arzt den Patienten sowohl über seinen Gesundheitszustand aufgeklärt, wie auch auf die Gefahren, wel­ 362  Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1993, 406 welches in diesem Fall sogar eine Offen­ barungspflicht annahm; s. ferner zu den spezifischen Offenbarungspflichten und -be­ fugnissen im Vollzug 3. Kapitel B. 363  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 38; ähnl. LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 139. 364  Zust. Henssler, NJW 1994, 1817 (1823) für den Rechtsanwalt; MüKo-StGB/ Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 95; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 57; Lackner/ Kühl/Heger, § 203 Rn. 25; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 89; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66; abl. SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 38; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 142. 365  Flor, JR 1953, 368 (370); SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 89; diff. Michalowski, ZStW 109, 519 (535 f.). 366  BGH NJW 1968, 2288; Rehborn, GesR 2017, 409 (413 f.); SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 38; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 95; Fischer, § 203 StGB Rn. 90; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 13; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 25; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 42; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 140; Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil  8 Rn. 1087. 367  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 140; wohl auch Ulsenheimer/Gaede, in: Ul­ senheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1087. 368  NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 13.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

che sich daraus beim Führen eines Pkw ergeben, aufmerksam gemacht hat.369 Bleibt das Zureden des Arztes jedoch folgenlos oder erweist es sich wegen der Uneinsichtigkeit des Patienten als zwecklos, so kann der Arzt zur Verhin­ derung einer akuten Gefährdung der Allgemeinheit die Verkehrsbehörde in­ formieren.370 Ebenso ist eine Offenbarung zur Verhinderung konkret bevorstehender, nicht schon von § 138 StGB erfasster, Straftaten nicht unerheblichen Ge­ wichts von § 34 StGB gedeckt.371 Mit Blick auf die Privilegierung der ärzt­ lichen Anzeigepflicht nach § 139 Abs. 3 S. 2 StGB sind der Offenbarungsbe­ fugnis hier jedoch enge Grenzen zu ziehen. Voraussetzung ist auch hier eine gegenwärtige Gefahr, welche nicht mit milderen Mitteln als dem Bruch der Schweigepflicht abgewendet werden kann.372 Bei der Beurteilung der gegen­ wärtigen Gefahr darf hier nicht auf allgemeine Gefährlichkeitsprognosen oder jede abstrakte Gefahr abgestellt werden.373 Vielmehr muss der Patient dem Arzt gegenüber eine gewisse Konkretisierung seiner Absicht, eine be­ stimmte Straftat zu begehen, formuliert haben.374 Die Offenbarungsbefugnis greift zudem erst dann ein, wenn der Arzt zunächst versucht den Täter von der Tat abzuhalten, dies jedoch erfolglos bleibt.375 Folglich ist hier besonders genau zu prüfen, ob das Offenbaren erforderlich und bei Abwägung der wi­ derstreitenden Interessen auch verhältnismäßig ist.376 Demgegenüber kann das staatliche Strafverfolgungsinteresse in Bezug auf bereits begangene Straftaten eine Offenbarung nicht rechtfertigen.377 Eine einschränkende Ansicht, welche eine Offenbarung zur Strafverfolgung unter Beschränkung auf besonders schwere Verbrechen, welche den Rechtsfrieden 369  BGH

NJW 1968, 2288. NJW 1968, 2288 (2290). 371  Michalowski, ZStW 109, 519 (532 ff.); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 95; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 58; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66; LKStGB/Schünemann, § 203 Rn. 141; Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1082. 372  Michalowski, ZStW 109, 519 (532); LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 141. 373  Herzog, ZRP 2015, 121 (123); Rehborn, GesR 2017, 409 (414). 374  Herzog, ZRP 2015, 121 (122); Michalowski, ZStW 109, 519 (532); i. Erg. auch SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 90. 375  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 95; Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1082. 376  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66. 377  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 949; Fischer, § 203 StGB Rn. 90; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 25; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66; LK-StGB/ Schünemann, § 203 Rn. 141; a.  A. MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 95; Schönke/Schröder/Eisele, § 2003 Rn. 58; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 17. 370  BGH



C. Offenbarungsbefugnisse83

nachhaltig stören oder bei Wiederholungsgefahr massiver strafrechtlicher Delikte bzw. anhaltender Gefährlichkeit des Täters dennoch bejaht,378 ist in dieser Form abzulehnen. Zunächst einmal besteht für die Offenbarung im Rahmen der Wiederholungsgefahr eine Offenbarungsbefugnis nach § 34 StGB unter den oben genannten Grundsätzen zur Mitteilung konkret bevor­ stehender Straftaten. Daher bedarf es diesbezüglich keiner zusätzlichen Aus­ weitung der Offenbarungsbefugnis auf vergangene Taten. Im Übrigen fehlt es aber an den Voraussetzungen des § 34 StGB, denn eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut eines Einzelnen besteht gerade nicht mehr, wenn die Straftat bereits beendet ist.379 Ob das staatliche Straf­ verfolgungsinteresse überhaupt ein notstandsfähiges Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB sein kann, erscheint außerdem höchst fraglich.380 Es ist zwar all­ gemein anerkannt, dass auch kollektive Interessen notstandsfähige Rechts­ güter sein können,381 jedoch ist § 34 StGB in erster Linie auf den Schutz individueller Rechtsgüter zugeschnitten.382 Würde man nun das staatliche Strafverfolgungsinteresse als notstandsfähiges Rechtsgut annehmen, so würde § 34 StGB zu einer Ermächtigungsnorm uminterpretiert, ohne Rück­ sicht auf spezialgesetzlich geordnete Zuständigkeiten, Verfahrensvorschriften und Eingriffsvoraussetzungen.383 § 34 StGB steht jedoch als strafrechtliche Rechtfertigungsnorm in einem vollkommen anderen Regelungszusammen­ hang als öffentlich-rechtliche Ermächtigungsnomen.384 Demnach dürfen Grundrechtseingriffe zu Strafverfolgungszwecken nicht auf § 34 StGB ge­ stützt werden, da für diese Maßnahmen die Instrumentarien der Strafprozess­ ordnung vorgesehen sind.385 Zudem würde die Annahme einer Offenbarungs­ befugnis den Schweigepflichtigen zum Instrument der Strafverfolgungsbe­ hörden machen. Somit würden ansonsten nicht bestehende Eingriffsbefug­ nisse umgangen und dem Bürger primäre Staatsaufgaben übertragen.386 Selbst wenn man nun aber das staatliche Strafverfolgungsinteresse als notstandsfähiges Rechtsgut ansehen würde und auch eine gegenwärtige Ge­ 378  So MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, §  203 Rn. 95; Schönke/Schröder/Eisele, § 2003 Rn. 58; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 17. 379  Michalowski, ZStW 109, 519 (530). 380  Befürwortend Schönke/Schröder/Perron, § 34 Rn. 11; ablehnend SK-StGB/ Hoyer, § 34 Rn. 10; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 31. 381  MüKo-StGB/Erb, §  34 Rn. 72; Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 4; Schönke/ Schröder/Perron, § 34 Rn. 10. 382  NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 22. 383  SK-StGB/Hoyer, § 34 Rn. 7. 384  MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 52. 385  MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 56. 386  Michalowski, ZStW 109, 519 (531).

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

fahr in Form der Dauergefahr annehmen würde, wird eine Rechtfertigung nach § 34 im Rahmen der Interessenabwägung scheitern müssen.387 Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine Strafverfolgung „um jeden Preis“ entschieden, sondern diese auf die Instrumentarien der Strafprozess­ ordnung beschränkt.388 Dabei zeigt ein Blick auf das Zeugnisverweigerungs­ recht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO, dass er eine Abwägung zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse und der Schweigepflicht bestimmter Personen getroffen hat.389 Bei der Ausgestaltung des § 53 StPO wurde keine Differenzierung nach der Schwere des Tatvorwurfes vorgenommen, sondern das Zeugnisverweigerungsrecht umfassend gewährt.390 Auf dieses Zeugnis­ verweigerungsrecht darf sich der Arzt auch immer und umfassend berufen.391 Somit muss im Ergebnis bei einer umfassenden Interessenabwägung das Strafverfolgungsinteresse immer hinter das Geheimhaltungsinteresse des Be­ troffenen zurücktreten. Die Interessenabwägung im Rahmen des § 34 StGB hat sich immer an der Werteordnung des Grundgesetzes zu orientieren. Indem der Gesetzgeber den einzelnen Bürger und dessen persönliche Rechte an die Spitze stellt und sich der Schutz seiner Privatsphäre aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG speist, dürfen diese Rechte nicht leichtfertig allgemeinen Interessen „ge­ opfert“ werden.392 Schließlich würde die Annahme einer Offenbarungspflicht zu Strafverfol­ gungszwecken auch erhebliche praktische Probleme mit sich bringen. Die Abwägung über eine Offenbarung ist stets durch den Arzt zu treffen. Nimmt man jedoch eine Ausnahme für besondere Delikte an, so wird damit auch von dem Arzt verlangt, dass er zu beurteilen hat, ob ein bestimmtes Verbre­ chen den Rechtsfrieden nachhaltig stört oder ob es massiv ist. Dies ist jedoch eine juristische Beurteilung, welche von einem Arzt nicht verlangt werden kann. Schließlich bleibt noch anzumerken, dass auch die Ansicht,393 wonach eine Offenbarung nach § 34 StGB gerechtfertigt sein soll, wenn es sich um einen hochgradig gefährlichen Täter handelt, welcher sich gerade zur Be­ handlung seiner gefährlichen Neigung an den Arzt gewendet hat, abzulehnen ist. Bereits die Pauschalisierung dieser Aussage lässt sich nicht mit dem ZStW 109, 519 (530). § 34 Rn. 56. 389  Michalowski, ZStW 109, 519 (531); SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 13. 390  Michalowski, ZStW 109, 519 (531). 391  LG Karlsruhe StV 1983, 144 m. Anm. Kreuzer. 392  Ostendorf, JR 1981, 444 (447). 393  So Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 17. 387  Michalowski,

388  MüKo-StGB/Erb,



C. Offenbarungsbefugnisse85

Abwägungsgedanken des § 34 StGB in Einklang bringen. Da eine Offenba­ rung nur gerechtfertigt ist, wenn eine gegenwärtige Gefahr für ein anderes Rechtsgut besteht, bedarf es hier jedoch auch keiner zusätzlichen Ausweitung in Bezug auf besonders gefährliche Straftäter. Ist der Arzt nämlich der An­ sicht, dass der von ihm behandelte Patient eine gegenwärtige Gefahr für an­ dere oder die Gemeinschaft darstellt, so wird eine Offenbarung immer ge­ rechtfertigt werden können. Für den Strafvollzug kann sich neben der Offenbarungsbefugnis aus § 182 Abs. 2 StVollzG auch eine Rechtfertigung der Offenbarung aus § 34 StGB ergeben, wenn Gefahren für andere Strafgefangene oder deren Gemeinschaft entstehen.394 Hier kann die Anforderung der konkreten Gefahr herabzusetzen sein, wenn ein Strafgefangener an einer infektiösen Krankheit leidet und andere potentiell anstecken könnte.395 Den Staat trifft im Strafvollzug eine Garantenpflicht zur Gesundheitsfürsorge und zum Schutz von Leib und Le­ ben der anderen, infektionsgefährdeten Strafgefangenen.396 Kann die Gefahr nicht durch eine entsprechende Gestaltung des Vollzugs generell gebannt werden, ist eine Offenbarung gerechtfertigt, auch wenn keine gegenwärtige Gefahr einer Ansteckung besteht.397 Der Anstaltsarzt muss dann durch eine Offenbarung seinen Pflichten als Amtsträger innerhalb der Vollzugsanstalt nachkommen. Einen anderen Unterfall einer gerechtfertigten Offenbarung bilden Zeugen­ aussagen des Schweigepflichtigen in gerichtlichen Verfahren Dritter.398 Ge­ nerell kann eine Offenbarung dabei nicht allein aus der allgemeinen Zeugnis­ pflicht gerechtfertigt sein.399 Wie bereits oben400 genannt, steht dem Arzt nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Ist der Arzt nicht von der Schweigepflicht entbunden, sagt aber dennoch vor Gericht aus, verstößt er nicht gegen seine Schweigepflicht, wenn er nach § 34 StGB gerechtfertigt ist.401 Dabei kommt die Wahrnehmung eigener schützenswerter Interessen in Betracht oder der Fall, dass das Geheimhaltungsinteresse gerin­ ger ist als das Interesse an ihrer Offenbarung.402 Die Abwägungsentscheidung 394  S.

zu den speziellen Vorschriften der Landesgesetze aber 3. Kapitel B.II. § 203 Rn. 38; Fischer, § 203 StGB Rn. 89; einschr. LKStGB/Schünemann, § 203 Rn. 139. 396  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 38; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 139. 397  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 38; i. Erg. AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 224. 398  S. hierzu ausführlich 5. Kapitel B. 399  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 40. 400  S. o. unter A.II.5. 401  SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 89. 402  KMR-StPO/Neubeck, § 53 Rn. 6. 395  SSW-StGB/Bosch,

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

ist dabei allein diejenige des Zeugen und nicht des Gerichts, welches auch nicht auf seine Willensbildung einwirken darf.403 So darf der Arzt, auch wenn er nach materiellem Recht zu einer Offenbarung befugt ist, selbst ent­ scheiden, sein Zeugnis trotzdem zu verweigern.404 3. Interessen des Schweigepflichtigen Der Arzt kann auch dann zur Offenbarung eines Geheimnisses befugt sein, wenn dies zur Wahrnehmung berechtigter Eigeninteressen erforderlich ist.405 Auch in diesem Zusammenhang wird die Grundlage der Offenbarungsbefug­ nis überwiegend in § 34 StGB gesehen.406 Teilweise wird zudem, unter Auf­ weichung des Maßstabes für die Güter- und Interessenabwägung, eine ana­ loge Anwendung des § 193 StGB befürwortet.407 Die Befürworter einer Analogie verkennen dabei jedoch, dass es dieser schlicht nicht bedarf, da dieselben Ergebnisse auch unter Heranziehung des § 34 StGB adäquat zu erzielen sind.408 Somit fehlt es bereits an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke.409 Zudem spricht gegen eine Analogie vor allem die unge­ rechtfertigte Verallgemeinerung der Offenbarungsbefugnis, wenn diese be­ reits dann vorliegen soll, wenn ein berechtigtes Interesse besteht.410 Darüber hinaus wird auch angeführt, dass § 193 StGB als echte Sonderregelung nicht auf andere Delikte analog angewendet werden könne.411 Somit kann eine Offenbarung zur Wahrnehmung eigener Interessen des Schweigepflichtigen ebenfalls nur nach § 34 StGB gerechtfertigt werden. 403  Flor, JR 1953, 368 (371); SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 89; KMR-StPO/Neubeck, § 53 Rn. 6; a. A. Michalowski, ZStW 109, 519 (537 f.). 404  SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 19. 405  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 43a; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1109. 406  Müller-Dietz, in: Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, S. 39 (49 f.); LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 133 ff. 407  Mankowski, JZ 1994, 48 (49); Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 43a; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 27; auch ­Rogall, NStZ 1983, 1 (6), der allein in § 193 StGB eine Rechtfertigung sieht; erwä­ gend OLG München GesR 2013, 471 (475); krit. hierzu Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 26 ff. 408  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 92; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 131. 409  Bohnert, NStZ 2004, 301 (305). 410  Bohnert, NStZ 2004, 301 (305); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 946; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 37. 411  Roxin/Greco, Strafrecht AT, § 18 Rn. 39; Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 33; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 79; wohl auch MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 92.



C. Offenbarungsbefugnisse87

Als Fallgruppen der Wahrnehmung von Eigeninteressen des Schweige­ pflichtigen sind vor allem die Verteidigung in einem gegen ihn geführten strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Prozess und die Durchsetzung von Ho­ noraransprüchen anerkannt.412 Dabei kann § 34 StGB unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung auch in einem Zivilprozess zur Rechtfertigung einer Offenbarung angewendet werden.413 In einem Strafverfahren darf sich der Schweigepflichtige soweit offenbaren, wie es zur Einleitung des Verfahrens oder zu seiner effektiven Verteidigung erforderlich ist.414 Auch in einem Zivilprozess, etwa wegen Arzthaftung, darf sich der Schweigepflichtige im Rahmen der Erforderlichkeit offenbaren.415 Eine angemessene Verteidigung kann zudem nach oder durch die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verteidigungsrechte gerechtfertigt sein.416 Hier müssen die Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen mit dem Recht des beschuldigten Arztes (oder dessen Stellung als Partei) auf eine effektive Verteidigung abgewogen werden.417 Im Rahmen einer durch den Patienten provozierten Honorarklage des Schweigepflichtigen muss dieser seinen Anspruch substantiiert vortragen. Dies macht es erforderlich, dass eine Offenlegung der hierfür erforderlichen Informationen rechtmäßig ist.418 In diesem Fall muss die Güter- und Interes­ senabwägung im Rahmen des § 34 StGB sowohl wegen des Gedankens des § 228 BGB, wie auch aus Gesichtspunkten des effektiven Rechtsschutzes zugunsten des Schweigepflichtigen ausfallen.419 Soweit die offenbarten Ge­ heimnisse im Rahmen des gerichtlichen Prozesses an die Öffentlichkeit ge­ langen, ist dies hinzunehmen, da der Schweigepflichtige rechtslos stünde, wenn ihm die Offenbarung verwehrt würde.420 Jedoch ist auch hier eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen und des Umfangs der Offenbarung durch den Schweigepflichtigen erforderlich.421 412  Fischer, § 203 StGB Rn. 87; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 15; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 43a. 413  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 945. 414  BGH NJW 1952, 151 (zur Offenbarung des Rechtsanwaltes); MüKo-StGB/ Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 94; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 60; Lackner/ Kühl/Heger, § 203 Rn. 25; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 68; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 134; krit. Fischer, § 203 StGB Rn. 91. 415  OLG München GesR 2013, 471 (475); LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 134. 416  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 39. 417  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 39. 418  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 94; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 88; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 133 (für die Honorarklage des Rechtsanwaltes). 419  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 133. 420  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 94. 421  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 94.

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1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Für den Anstaltsarzt ergibt sich zudem eine Offenbarungsbefugnis aus § 34 StGB zur Abwendung eines gegen ihn gerichteten Beschwerdeverfah­ rens.422 Im Rahmen des Beschwerderechts nach § 108 StVollzG423 können Strafgefangene sich beim Anstaltsleiter mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder einer Fachaufsichtsbeschwerde gegen den Anstaltsarzt oder von ihm durchgeführte Maßnahmen wenden.424 In diesen Fällen muss der Anstaltsarzt jedoch eine Möglichkeit haben, der Beschwerde entgegenzutreten und gege­ benenfalls auch Argumente vorzutragen. 4. Zusammenfassende Betrachtung Das Notstandsrecht des § 34 StGB begründet eine wichtige und zugleich auch weitreichende Offenbarungsbefugnis für Ärzte. Dessen Anwendung bedarf trotz allen Fokus auf die Güter- und Interessenabwägung immer auch der Merkmale einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr. Die Gefahr in Form eines Zustandes, welcher nach den konkreten Umständen den Eintritt eines Schadens nahelegt, ist nach möglichst objektiven Kriterien zu beurteilen.425 Sie ist gegenwärtig, wenn sie nach menschlicher Erfahrung bei natürlicher Weiterentwicklung jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, wenn also der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahr­ scheinlich ist.426 Für die Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr kommt es darauf an, dass nach bestimmten objektiven Kriterien der Anschein einer Gefahr für einen Dritten besteht, was der Arzt nach seinem Wissen und sei­ nen Fähigkeiten zu beurteilen hat.427 Der Arzt muss also aus den ihm be­ kannten Patienteninformationen nachvollziehbar auf eine gegenwärtige Ge­ fahr schließen.428 Nur wenn die Gefahr auch so real gegeben ist, kann sie einen Bruch der ärztlichen Schweigepflicht rechtfertigen.429 Die vom Arzt schließlich vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem bedrohten Rechtsgut und dem Interesse des Geheimnisträgers an der Wahrung seines Geheimnisses hat sich immer an den strengen Voraussetzun­ gen des § 34 StGB zu orientieren. Das betroffene Rechtsgut und die diesem Grundlagen der Anstaltsmedizin, S. 125. Vorschriften finden sich z. B. in § 92 JVollzGB III BW; Art. 115 BayStVollzG und § 91 StVollzG M-V. 424  Vgl. AK-StVollzG/Spaniol, Teil II, § 91 LandesR Rn. 1; LNNV-Laubenthal, Abschn. H Rn. 26. 425  Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 2; NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 45. 426  BGH NJW 1989, 176; NJW 2016, 2818; Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 2. 427  Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu/Wiese, MedR 2017, 199 (201); NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 45. 428  Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu/Wiese, MedR 2017, 199 (201). 429  Rehborn, GesR 2017, 409 (414). 422  Keppler,

423  Gleichlautende



C. Offenbarungsbefugnisse89

drohende Gefahr müssen das Geheimhaltungsinteresse wesentlich überwie­ gen.430 Abzulehnen ist daher die Anwendung einer allgemeine Güter- und Interessenabwägung, welche ein einfaches Überwiegen zur Rechtfertigung ausreichen lässt, wie sie von der Rechtsprechung vorgenommen wird.431 Angesichts der Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht führt die Ansicht der Rechtsprechung zu unbilligen Ergebnissen. Auch gibt es, wie aufgezeigt, keinen Grund, die Offenbarungsbefugnisse des Arztes über den Rahmen des § 34 StGB hinaus auszuweiten. Wie bereits einleitend beschrieben verlangt die Entscheidung zwischen dem Schweigen oder dem Offenbaren immer eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen. Diese kann im Einzelfall äußerst schwierig sein.432 Ansichten, welche Sonder- oder Unterfälle zur vermeintlichen Ver­ einfachung dieser Abwägung bieten, schaffen jedoch im Ergebnis oft ver­ komplizierende Hürden für ebendiese. Es darf nicht vergessen werden, dass die Abwägung immer allein durch den Arzt zu treffen ist. Dieser ist jedoch kein Jurist und wird somit bei seiner Entscheidung auch keine juristischen Erwägungsgründe heranziehen können. So kann von ihm auch nicht verlangt werden, dass er die eventuell berührten Grundrechte der Betroffenen gegen­ einander abwägt.433 Zuletzt bleibt festzuhalten, dass § 34 StGB lediglich eine Offenbarungsbe­ fugnis, nicht aber eine Offenbarungspflicht begründen kann.434 Notwehr ist ein Rechtfertigungsgrund und somit ein Eingriffsrecht.435 Es würde, wie be­ reits gesagt, dem Normzweck zuwiderlaufen, aus einem Recht eine Pflicht zu konstruieren.436 Die bestehenden Offenbarungsbefugnisse schaffen einen ausreichenden Kompromiss zwischen der ärztlichen Schweigepflicht und gegebenenfalls bedrohten Rechtsgütern.437 Die Konstruktion einer Offenba­ rungspflicht wäre auch nicht mit den Interessen des Betroffenen vereinbar.438 430  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 37; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 42; Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1082. 431  BGH NJW 1952, 151; NJW 1968, 2288 (2290); OLG Köln NJW 2000, 3656 (3657). 432  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 21. 433  Eine solche Abwägung verlangt etwa Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 21. 434  Herzog, ZRP 2015, 121 (122); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 92; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 13; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/ Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 27. 435  Vgl. MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger, § 34 Rn. 1; Schönke/ Schröder/Perron, § 34 Rn. 1. 436  NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 13. 437  Rehborn, GesR 2017, 409 (414). 438  Rehborn, GesR 2017, 409 (414).

90

1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

Demnach ist die Lösung des OLG Frankfurt a. M. systematisch verfehlt, wenn aufgrund der Pflichtenkollision eine Offenbarungspflicht für den Arzt konstruiert wird.439 Dies steht im Widerspruch des gesetzgeberischen Wil­ lens, wonach die Offenbarungspflichten bewusst (spezialgesetzlich) be­ schränkt sind.440 Zwar ist HIV inzwischen in den Katalog der meldepflichti­ gen Krankheiten aufgenommen worden, jedoch hat sich der Gesetzgeber explizit gegen eine namentliche Meldepflicht für den Nachweis von HIV entschieden.441 Hinsichtlich der zu erwartenden Gefahren für Rechtsgüter anderer Personen in Form von Straftaten begründen allein §§ 138, 139 Abs. 3 S. 1, 2 StGB Offenbarungspflichten für den Arzt.442 Insofern verbliebe hier eine Anzeigepflicht nach §§ 138, 139 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 StGB in Form der Anzeige eines geplanten Modes oder Totschlages. Hier ist sodann aber zu beachten, dass der BGH in seiner Grundsatzentscheidung zur Frage der Strafbarkeit einer bewussten Ansteckung eines anderen mit dem HI-Virus lediglich eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung annahm.443 Ein (auch nur versuchtes) Tötungsdelikt wurde dagegen abgelehnt.444 Somit besteht für den Arzt hier keine Anzeigepflicht aufgrund einer geplanten Straftat. Auch die Argumentation, den Arzt würde eine Offenbarungspflicht treffen sofern er eine Garantenpflicht gegenüber einem Dritten hätte,445 schafft mehr Verunsicherung als Klarheit. Mit der Annahme einer Offenbarungspflicht werden die Garantenpflichten zu Lasten des Arztes überdehnt. Die prakti­ schen Konsequenzen des Urteils und der darauf basierenden Ansicht wäre die Konstruktion weitreichender Offenbarungspflichten in Bezug auf eine Vielzahl ansteckender Krankheiten, welche der Arzt offenlegen müsste.446 Die Entscheidung über Melde- bzw. Offenbarungspflichten ansteckender Krankheiten sind aber durch den Gesetzgeber zu treffen und auch in Form des Infektionsschutzgesetzes getroffen worden. Diese Aufgabe ist nicht die­ jenige des einzelnen Arztes. Die praktischen Probleme, welche dem Arzt durch das Urteil des OLG Frankfurt a. M. aufgebürdet werden, sind immens. Der Arzt, als juristischer Laie, müsste demnach beurteilen, ob er nun zu einer Offenbarung verpflichtet oder lediglich befugt ist. Er müsste feststellen, ob MedR 2017, 199 (203). unter B.I. und II. 441  § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 IfSG. 442  Im Erg. ebenso Herzog, ZRP 2015, 121 (122); Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu/ Wiese, MedR 2017, 199 (203). 443  BGH NJW 1989, 781. 444  BGH NJW 1989, 781 (785). 445  OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.1999, Az. 8 U 67/99, juris-Rn. 33; NJW 2000, 875 (876 f.); SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 86. 446  Vgl. im Einzelnen Parzeller/Bratzke, DÄ 2000, 97 (37), A-2364 (A-2368). 439  Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu/Wiese, 440  S. o.



D. Praktische Umsetzung in Ausbildung und Beruf91

er eine Garantenstellung innehat und wie weit ihn diese verpflichtet sich zu offenbaren. Wie bereits aufgezeigt steht der Arzt aber ohnehin schon vor er­ heblichen Abwägungsproblemen, wobei die Aufbürdung eines weiten Pro­ blems die Entscheidung für oder gegen eine Offenbarung zusätzlich verkom­ pliziert.

IV. Zusammenfassende Betrachtung Bezüglich der genannten spezialgesetzlichen Offenbarungsbefugnisse las­ sen sich dieselben Tendenzen erkennen, wie bei den oben447 genannten allge­ meinen Offenbarungspflichten. Auch hier wurden vom Gesetzgeber Rechts­ güter der Allgemeinheit oder bestimmter Einzelpersonen als besonders schützenswert eingestuft und infolge dessen eine Ausnahme von der Schwei­ gepflicht gestattet. Im Gegensatz zu den Offenbarungspflichten wurde die finale Abwägungsentscheidung jedoch nicht vorweggenommen. Diese ist im jeweiligen Einzelfall durch den Arzt zu treffen. Die Offenbarungsbefugnisse sind von subjektiven Komponenten geprägt. Zum einen von der Verfügungsberechtigung des Geheimnisträgers, wenn dieser über eine Schweigepflichtentbindung bestimmt, zum anderen auch von dem Beurteilungsspielraum des Arztes, wenn er über das Für und Wider einer Offenbarung zu befinden hat. Eben dieses Merkmal der Entscheidungs­ freiheit unterscheidet Pflichten und Befugnisse voneinander.

D. Praktische Umsetzung in Ausbildung und Beruf Die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht durch Ärzte hängt grund­ sätzlich davon ab, dass ihr Bestehen im Rahmen der ärztlichen Ausbildung angemessen vermittelt wird. Ferner müssen auch praktizierende Ärzte darü­ ber informiert sein, wie die ärztliche Schweigepflicht im Einzelfall ausgestal­ tet und einzuhalten ist.

I. Schweigepflicht in der ärztlichen Ausbildung Das Ziel der ärztlichen Ausbildung ist nach § 1 Abs. 1 Approbationsord­ nung für Ärzte (ÄApprO 2002) „der wissenschaftlich und praktisch in der Medizin ausgebildete Arzt, der zur eigenverantwortlichen und selbständigen ärztlichen Berufsausübung, zur Weiterbildung und zu ständiger Fortbildung befähigt ist“. Dabei werden die Rechtsgrundlagen des ärztlichen Berufes nicht namentlich genannt, jedoch gehört zur ärztlichen Ausbildung auch „die 447  S. o.

unter B.I.

92

1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

geistigen, historischen und ethischen Grundlagen ärztlichen Verhaltens“ zu vermitteln. Die von einem Arzt nach der universitären Ausbildung grundsätzlich er­ warteten Kompetenzen finden sich im Nationalen Kompetenzbasierten Lern­ zielkatalog Medizin (NKLM).448 Der NKLM formuliert Lernziele und soll den medizinischen Fakultäten als Orientierung dienen.449 Im Rahmen der von Ärzten erwarteten Fähigkeiten wird zwischen Faktenwissen, Handlungsund Begründungswissen und Handlungskompetenzen unterschieden.450 Zu­ dem werden die einzeln erwarteten Kompetenzen in Grundlagenkompeten­ zen, Basiskompetenzen, Kompetenzen im Praktischen Jahr, Weiterbildungs­ kompetenzen und Wissenschaftskompetenzen unterteilt.451 Die Schweige­ pflicht findet dabei in allen Kompetenzbereichen Erwähnung. Im Einzelnen sollen Ärzte als professionell Handelnde das Gebot der Schweigepflicht und Vertraulichkeit beachten, sowie die relevanten rechtlichen Vorschriften in Bezug auf die Schweigepflicht erläutern und berücksichtigen können.452 Den Medizinstudierenden sollen im Rahmen ihres Studiums ethische und recht­ liche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt werden.453 Als Ab­ solventen sollen sie wichtige berufsethische und -rechtliche Vorgaben und deren praktische Bedeutung einschätzen können.454 Zudem sollen Sie in den Beziehungen zu Patienten, Angehörigen, Kollegen, Pflegenden und anderen Berufsgruppen die ethischen und rechtlichen Anforderungen zur Schweige­ pflicht umsetzen können.455 Auch wenn der NKLM keine strikt umzusetzenden Vorgaben für die medi­ zinische Ausbildung formuliert so dient er doch als wichtige Leitlinie für die medizinischen Fakultäten in Deutschland. Ähnlich formulierte Ziele finden sich auch in den jeweiligen Lernzielkatalogen einzelner Universitäten.456 448  MFT Medizinischer Fakultätentag der Bundesrepublik Deutschland e. V., NKLM 2015; sowie NKLM 2.0 abrufbar unter https://nklm.de/zend/menu (zuletzt abgerufen am 25.05.2022). 449  MFT, NKLM 2015, S. 7. 450  MFT, NKLM 2015, S. 19. 451  MFT, NKLM 2015, S. 20 ff. 452  MFT, NKLM 2015, S. 60 f.; sowie NKLM 2.0 abrufbar unter https://nklm.de/ zend/objective/list/orderBy/@objectivePosition/lve/216 (zuletzt abgerufen am 25.05. 2022). 453  MFT, NKLM 2015, S. 234. 454  MFT, NKLM 2015, S. 235. 455  MFT, NKLM 2015, S. 239. 456  Vgl. etwa Medizinische Fakultät der Universität Hamburg, Hamburger Lern­ zielkatalog, 2009, S. 106, 133, abrufbar unter https://www.uke.de/studium-lehre/­ modellstudiengang-medizin-imed/rechtsgrundlagen-formulare/index.html; Lernziel­ katalog der Medizinischen Fakultät Heidelberg, abrufbar unter http://lernzielkatalog.



D. Praktische Umsetzung in Ausbildung und Beruf93

Allerdings sei hier darauf hingewiesen, dass eine Vorlesung über Recht für Ärzte in der Ausbildung nicht vorgesehen ist.457 Rechtliche Problematiken werden zwar im Rahmen anderer Themenbehandlung angesprochen, aber Medizinstudierende und Ärzte in der Ausbildung werden nicht im Besonde­ ren für rechtliche Problematiken sensibilisiert.458 Die ärztliche Schweigepflicht ist in der ärztlichen Ausbildung insbeson­ dere ab dem Zeitpunkt zu beachten, ab dem Unterricht am Krankenbett stattfindet.459 Ab diesem Moment erhalten die Studierenden einen Einblick in die Krankengeschichte und somit auch in den persönlichen Lebensbereich des jeweiligen Patienten und sind vom jeweiligen Lehrenden auf ihre Schweigepflicht hinzuweisen.460 Aber auch bereits während der theoretischen Lehre ist, zur Einhaltung der Schweigepflicht, bei der Verwendung anonymi­ sierter Krankengeschichten darauf zu achten, dass kein Rückschluss auf die Identität des Patienten zu ziehen ist.461 Die vollumfängliche Patientenvorstel­ lung im studentischen Unterricht bedarf der ausdrücklichen Einwilligung des vorgestellten Patienten.462

II. Schweigepflicht in der ärztlichen Praxis Für die bereits praktisch tätigen Ärzte werden regelmäßig „Hinweise und Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverar­ beitung in der Arztpraxis“ von der Bundesärztekammer zur Verfügung ge­ stellt.463 Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die ärztliche Schweige­ pflicht allumfassend ist. Sie ist von praktizierenden Ärzten im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit einzuhalten. Ferner gilt sie auch anderen schweigepflich­ tigen Personen, wie anderen Ärzten, gegenüber.464 Es gelten jedoch die oben dmed.uni-heidelberg.de/ Stichwort „Schweigepflicht“ (beide zuletzt abgerufen am 25.05.2022). 457  Frank/Schmidt, Recht für Ärzte von A–Z, S. 5. 458  Vgl. Frank/Schmidt, Recht für Ärzte von A–Z, S. 5. 459  Lippert, DMW 1981, 217 (218). 460  Lippert, DMW 1981, 217 (218). 461  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 936; vgl. a. Ulsenheimer/­ Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1079. 462  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 39. 463  Zuletzt: Bekanntmachungen der Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundes­ vereinigung, DÄ 15.09.2021, DOI: 10.3238/arztebl.2021.ds02, abrufbar unter https:// www.bundesaerztekammer.de/recht/publikationen/ (zuletzt abgerufen am 25.05.2022). 464  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 936; Schlund, JR 1977, 365 (267).

94

1. Kap.: Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Schweigens und Redens

ausgeführten Offenbarungspflichten und -befugnisse im entsprechenden Ein­ zelfall. In der Praxis ist die Schweigepflicht zudem eng mit dem jeweiligen Patientenwillen verbunden. Nach dem ärztlichen Berufsrecht bildet der Pa­ tientenwille die Behandlungsgrenze für alle den Patienten behandelnden Ärzte. Ärzte sind nur daher im Rahmen des an sie erteilten Behandlungsauf­ trages befugt, Daten zu erheben und diese weiterzugeben.465 Daneben gebie­ tet es jedoch die ärztliche Sorgfaltspflicht, weiter- oder nachbehandelnde Ärzte über zuvor getroffene Maßnahmen zu informieren.466 Ein oft diskutiertes praktisches Problemfeld bildet die ärztliche Behand­ lung bzw. Visite im Mehrbettzimmer.467 Hier stehen Ärzte oft vor dem rein praktischen Problem, dass ein Einzelgespräch mit dem von ihnen behandel­ ten Patienten räumlich oder personell nicht möglich ist.468 Allerdings gilt auch hier die ärztliche Schweigepflicht vollumfänglich.469 Teilweise wird hier auf die stillschweigende Einwilligung des Patienten als Rechtfertigungs­ grund zurückgegriffen,470 teils von einer sozialadäquaten Einschränkung der Schweigepflicht gesprochen.471 Im Rahmen der Offenbarung wird hier von unterschiedlichen Stimmen zwischen sensiblen und weniger sensiblen Infor­ mationen unterschieden.472 Hierzu wird angeführt, dass bei der Besprechung wenig sensibler Daten eher von einer Einwilligung oder einer sozialadäqua­ ten Offenbarung ausgegangen werden könne, als bei sensiblen Informatio­ nen.473 Der behandelnde Arzt habe hier in jedem Einzelfall zu prüfen, wie sensibel die Daten sind und nach welchen Maßstäben diese im Mehrbettzim­ mer offenbart werden können.474 Ein rechtlich sicherer und praktisch an­ wendbarer Umgang mit diesem Problem lässt sich derzeit jedoch nicht fest­ stellen.475 in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 28. in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 29; teilweise wird hier auch die stillschweigende Einwilligung des Behandelten angenommen, Ulsenheimer/ Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1062. 467  Vgl. etwa Monin, medstra 2019, 149; Franck, NStZ 2015, 322; Langkeit, NStZ 1994, 6 (8). 468  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 15. 469  Langkeit, NStZ 1994, 6 (8); Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, ArztStrR, Teil 8 Rn. 1064. 470  Langkeit, NStZ 1994, 6 (8); oder als konkludent erteiltes Einverständnis BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 39.1. 471  Franck, NStZ 2015, 322 (323 f.). 472  Franck, NStZ 2015, 322 (324); Monin, medstra 2019, 149 (154). 473  Franck, NStZ 2015, 322 (324); Ulsenheimer/Gaede, in: Ulsenheimer/Gaede, Arzt-StrR, Teil 8 Rn. 1064. 474  Franck, NStZ 2015, 322, 324; zust. Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 15. 475  Konstruktiv hierzu aber Monin, medstra 2019, 149 (156). 465  Lippert, 466  Lippert,



D. Praktische Umsetzung in Ausbildung und Beruf95

Schließlich ist auch bei ärztlichen Veröffentlichungen die Einhaltung der Schweigepflicht zu beachten.476 Wie auch im Rahmen der Lehre in medizini­ schen Fakultäten sind die Informationen entweder so zu anonymisieren, dass ein Rückschluss auf die Identität des Patienten nicht möglich ist, oder die Einwilligung des Patienten in die Veröffentlichung ist einzuholen.477

Medizinrecht, Kap. XVII Rn. 935. in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 39, 40.

476  Deutsch/Spickhoff, 477  Lippert,

2. Kapitel

Umfang der ärztlichen Schweigepflicht Im Anschluss an das erste Kapitel, in dem die Rechtsquellen der ärztlichen Schweigepflicht kurz dargelegt wurden,1 soll an dieser Stelle vertiefend auf die rechtliche Normierung der ärztlichen Schweigepflicht in § 9 MBO-Ä und § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB eingegangen werden. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf den jeweils normierten Umfang der Schweigepflicht gelegt werden.

A. Das Verhältnis von Berufsrecht und Strafrecht Zunächst ist an dieser Stelle zu betonen, dass das Berufs- bzw. Standes­ recht der Ärzte unabhängig vom Strafrecht besteht.2 Das Standesrecht re­ gelt inhaltlich diejenigen Fragen, die sich aus dem Status des Arztes als Mitglied eines freien Berufes ergeben.3 Es ist ein vom Gesetzgeber legiti­ miertes Sonderrecht, in dem sich die Selbstverwaltung der Ärzteschaft mani­ festiert.4 Selbstverwaltung und Selbstgesetzgebung fördern hier die eigen­ verantwortliche Berufsausübung der freien Berufe.5 In diesem Zusammenhang soll zunächst kurz auf die Rechtsqualität des Standesrechts eingegangen und sodann untersucht werden, welche Funktion das Standesrecht in Bezug auf das Strafrecht einnehmen kann. Die Gesetzge­ bungszuständigkeiten im Rahmen des Berufsrechts wurden bereits oben erör­ tert.6 Nachfolgend wird daher allein auf die Frage eingegangen, welche Qualität dem Standesrecht, konkret den Berufsordnungen der Landesärzte­ kammern, beizumessen ist.

1  S. o.

1. Kapitel A.II. JR 1981, 444. 3  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. I Rn. 11; vgl. Kern/Rehborn, in: Laufs/ Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 5 Rn. 15. 4  Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Kap. I Rn. 11. 5  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 476; vgl. a. Spickhoff/ Scholz, Präambel MBO-Ä Rn. 1, der die Präambel der MBO-Ä als „ein berufspoliti­ sches Bekenntnis zur funktionalen Selbstverwaltung“ bezeichnet. 6  S. hierzu 1. Kapitel A.II.1. 2  Ostendorf,



A. Das Verhältnis von Berufsrecht und Strafrecht97

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen grund­ sätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Berufsausübungsrege­ lungen in Gestalt von Satzungen öffentlichrechtlicher Berufsverbände.7 Stan­ desordnungen in Gestalt öffentlichrechtlicher Satzungen, welche als solche Teil der staatlichen Rechtsordnung sind, bedürfen allerdings einer gesetzli­ chen Grundlage.8 Diese muss deutlich erkennen lassen, dass die entsprechende Organisation Rechtsnormen zur Berufsausübung schaffen darf.9 Die Ärzte­ kammern verfügen grundsätzlich über die Kompetenz zum Erlass von Satzun­ gen, welche sich aus den Kammergesetzen der Länder ableitet.10 Das Bundes­ verfassungsgericht stellte in diesem Zusammenhang unter anderem fest, dass Berufsordnungen als Satzungen autonomer Berufsverbände, der Ärztekam­ mern, als solche unmittelbar geltendes Recht seien.11 Insofern kann den durch die einzelnen Landesärztekammern erlassenen Berufsordnungen Rechtsnorm­ qualität zugesprochen werden. Standesordnungen dienen der Herausbildung bestimmter Verhaltenserwar­ tungen und Werte.12 Sie schaffen Verhaltensnormen, welche in besonderer Weise dazu geeignet sind, die von einem Kollektivbewusstsein getragene Grundauffassung der ordnungsgemäßen Berufserfüllung zu gewährleisten.13 Das Selbstverständnis des ärztlichen Berufsstandes wird in § 1 MBO-Ä zum Ausdruck gebracht.14 Standesordnungen dienen zudem der „Imagepflege“ nach außen hin.15 Die ärztlichen Berufsordnungen, als Teil des ärztlichen Berufs- und Stan­ desrechts, sollen vor allem dem Ziel dienen, das Verhalten der Ärzte gegen­ über Patienten, Kollegen, anderen Organisationen im Gesundheitswesen und in der Öffentlichkeit so zu bestimmen, dass das Vertrauen des Patienten zum Arzt, das Ansehen des Arztberufes sowie die Qualität der ärztlichen Arbeit sichergestellt werden.16 So unterstreicht auch die Präambel der Muster-Be­ rufsordnung deren Zwecke und die Verbindlichkeit der ärztlichen Ethik.17 7  BVerfG

NJW 1996, 3067 (3068); NJW 2000, 347. Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 759. 9  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 759. 10  S. z. B. § 28 BlnHKG; § 28 Abs. 1 HmbKHG; § 16 Abs. 3 SächsHKaG; s. a. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kap. II Rn. 6. 11  BVerfG NJW 1972, 1504 (1505). 12  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 475. 13  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 477; vgl. a. MedR-Komm/ Rehborn, Präambel MBOÄ Rn. 4. 14  Spickhoff/Scholz, Präambel MBO-Ä Rn. 1. 15  Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 546. 16  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, 267; Deutsch/Spickhoff, Me­ dizinrecht, Kap. I Rn. 11. 17  Spickhoff/Scholz, § 1 MBO-Ä Rn. 1. 8  Taupitz,

98

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

Zudem können die Regelungen der Musterberufsordnungen Anhaltspunkte für die Auslegung von Generalklauseln unterschiedlichster Gesetze bieten, da sie darlegen, was innerhalb der Ärzteschaft als angemessen anzusehen ist.18 Nach der Rechtsprechung können Regelungen der Berufsordnung ferner ein Gesetz im Sinne des § 134 BGB darstellen und Verträge, welche mit der Berufsordnung unvereinbar sind mithin nichtig sein.19 Das Beispiel der ärztlichen Schweigepflicht zeigt schließlich, dass es Fälle gibt, in denen eine ursprünglich rein standesrechtliche Pflicht aufgrund ihrer besonderen Bedeutung in staatlichem Recht normiert wurde.20 Auch wenn § 9 MBO-Ä nicht älter als § 203 StGB ist, wurde die ärztliche Schweige­ pflicht, als eine der ältesten Standespflichten, standesrechtlich bereits früh kodifiziert.21 Die Schweigepflicht war mithin zunächst als ethisches Gebot formuliert, bevor sie in staatlichem Recht kodifiziert wurde.22 Die staatliche Regel ist als solche der Verfügungsgewalt des Berufsstandes entzogen, je­ doch ist der Berufsstand nicht daran gehindert, weiterhin an eigenen Rege­ lungen festzuhalten.23 In Bezug auf den Geheimnisschutz finden strafrechtliche und berufsrecht­ liche Regelungen nebeneinander Anwendung.24 Hierbei gilt die Besonderheit zu beachten, dass beide Regelungsarten nicht immer parallel zur Anwendung kommen. Liegen etwa die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 203 StGB nicht vor, so kann dennoch ein Verstoß gegen das Berufsrecht gegeben sein.25 Eine Berufsrechtswidrigkeit führt also nicht zwingend auch zu einer Strafbarkeit,26 während ein berufsrechtlich erlaubtes Verhalten nie im Sinne des § 203 StGB tatbestandsmäßig sein kann.27 Darüber hinaus erfordert die Strafverfolgung eines Schweigepflichtbruches stets einen Strafantrag,28 wo­ gegen ein berufsrechtlicher Verstoß auch ohne einen solchen geahndet wer­

in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, Einleitung Rn. 9. NJW 1986, 2360 (2361); GesR 2012, 621; s. a. MedR-Komm/Rehborn, Einl. MBOÄ Rn. 5. 20  Vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 165; zur historischen Entwicklung s. 1. Kapitel A.I. 21  S. z.  B. in Bezug auf den Hippokratischen Eid Grömig, NJW 1970, 1209 (1210); Hilgendorf, Handbuch des Medizinstrafrechts, 1. Kapitel Rn. 8; vgl. ferner die Ausführungen bei Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 165 ff. 22  S. hierzu bereits 1. Kapitel A.I. 23  Vgl. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 169. 24  S. a. BT-Drs. 18/12940, S. 9. 25  Vgl. Ärztliches Berufsgericht Niedersachsen, GesR 2006, 37 (38). 26  S. a. BT-Drs. 18/12940, S. 9. 27  BT-Drs. 18/12940, S. 9. 28  Vgl. § 205 StGB. 18  Lippert, 19  BGH



A. Das Verhältnis von Berufsrecht und Strafrecht99

den kann.29 Ferner ist zu beachten, dass § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB allein ein vorsätzliches Verhalten unter Strafe stellt,30 während § 9 MBO-Ä auch einen fahrlässigen Verstoß erfasst.31 Dies bedeutet, dass insbesondere eine fahrlässige Geheimnisoffenbarung nur nach der Berufsordnung geahndet werden kann. In Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht geht die standesrechtliche Pflicht also über den Rahmen der strafrechtlichen Pflicht hinaus. Das Stan­ desrecht ist jedoch nicht geeignet, strafbarkeitsbegründendes Recht zu setzen, da den Kammern hierfür bereits die Kompetenz fehlt.32 Auch sind berufs­ rechtliche Sonderverantwortlichkeiten nicht dazu geeignet, strafrechtliche Jedermannspflichten zu modifizieren.33 § 9 MBO-Ä, in der Fassung der je­ weiligen Landesärztekammern, baut durch den erweiterten subjektiven An­ wendungsbereich einen höheren Sanktionsdruck auf, ohne dass dadurch aber in objektiver Hinsicht weiterreichende Verbote aufgestellt werden.34 In die­ sem Zusammenhang lässt sich somit von einer gesetzesergänzenden Funktion des Standesrechts sprechen,35 welche jedoch keinen Einfluss auf die Anwen­ dung des Strafrechts hat. Die berufsrechtlichen Regelungen, insbesondere die Schweigepflicht, kön­ nen zudem strafprozessual relevant werden. Berufsgeheimnisträgern ist nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt.36 Eine Zeugenaussage eines solchen Berufsgeheimnisträgers, die unter Verletzung von berufs- und standesrechtlichen Regelungen erstattet wurde, ist materiell rechtswidrig.37 In der Folge können sich Beweiserhebungs- und Beweisverwertungspro­ bleme ergeben.38 Entgegen des vielfach erweckten Anscheins ist Rechtsgrundlage der ärzt­ lichen Schweigepflicht nicht § 203 StGB, sondern § 9 MBO-Ä in der Fas­ sung der Landesberufsordnung der jeweiligen Landesärztekammern.39 Es

29  Spickhoff/Scholz,

§ 9 MBO-Ä Rn. 2. § 203 Rn. 109; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 89; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 53. 31  NK-MedR/Sobotta, § 9 MBO-Ä Rn. 2; Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 2. 32  Hillenkamp, MedR 2018, 379 (382). 33  Hoven, NStZ 2018, 283 (284); vgl. a. Hillenkamp, MedR 2018, 379 (382). 34  Krekeler, Berufsordnungen im Rahmen der Verfassung, S. 73. 35  Krekeler, Berufsordnungen im Rahmen der Verfassung, S. 73. 36  Vgl. hierzu 1. Kapitel A.II.5. 37  SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 20. 38  Vgl. SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 20; s. hierzu ausführlich 5. Kapitel. 39  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 3; Quaas, in: Quaas/ Zuck/Clemens/Gokel, MedR, § 13 Rn. 63. 30  Schönke/Schröder/Eisele,

100

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

handelt sich dabei um eine originär berufsrechtliche Pflicht.40 Sie besteht eigenständig, kann sich jedoch als weitere Rechtsquellen auf die straf- und zivilrechtlichen Vorschriften sowie auf die Bestimmungen des Sozialdaten­ schutzes stützen.41 Im Gegensatz zum § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, welcher eine Strafbarkeit des Bruchs der Schweigepflicht für unterschiedliche Berufsgruppen normiert, ist der § 9 MBO-Ä eine sich ausschließlich an Ärzte richtende Verhaltensnorm.42 Somit liegt auch die primäre Rechtspflicht zur Verschwiegenheit für die Ärzte allein in der berufsrechtlichen Norm. Das Strafrecht sanktioniert dage­ gen die Verletzung von Privatgeheimnissen.43 Das strafrechtliche Verbot ist dabei unabhängig von der berufsrechtlichen Kodifikation. Allerdings kann das Berufsrecht bei der Bestimmung der Bedeutung des strafrechtlichen Ver­ bots zu berücksichtigen sein.44

B. Der berufsrechtliche Umfang: § 9 MBO-Ä Jeder approbierte Arzt unterliegt den Regelungen der Berufsordnung, wel­ che von seiner zugehörigen Landesärztekammer erlassen wurde, da er mit der Approbation Mitglied der jeweiligen Landesärztekammer wird und sich somit auch dem geltenden Satzungsrecht unterwirft.45 Somit gilt für ihn auch § 9 MBO-Ä in der jeweiligen landesrechtlichen Fassung. Um eine ein­ heitliche Darstellung zu ermöglichen, wird vorliegend die Vorschrift des § 9 MBO-Ä46 erörtert, wobei sich die hier diskutierten Ansätze auf die jeweili­ in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 15 Rn. 18. § 9 MBO-Ä Rn. 1. 42  Vgl. a. Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 477; 1. Kapitel A.II.4. 43  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 3. 44  Vgl. a. Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu/Wiese, MedR 2017, 199 (200). 45  Vgl. Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä § 1 Rn. 2; Spickhoff/Scholz, Vorbem. MBO-Ä Rn. 1. 46  §  9 Schweigepflicht (1) Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilun­ gen der Patientin oder des Patienten, Aufzeichnungen über Patientinnen und Patien­ ten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde. (2) Ärztinnen und Ärzte sind zur Offenbarung befugt, soweit sie von der Schwei­ gepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflich­ ten bleiben unberührt. Soweit gesetzliche Vorschriften die Schweigepflicht der Ärztin oder des Arztes einschränken, soll die Ärztin oder der Arzt die Patientin oder den Patienten darüber unterrichten. 40  Kern/Rehborn,

41  Spickhoff/Scholz,



B. Der berufsrechtliche Umfang: § 9 MBO-Ä101

gen Landesnormen übertragen lassen, soweit sie einen gleichlautenden Inhalt haben.

I. Normzweck § 9 MBO-Ä stellt eine der zentralen Normen des ärztlichen Berufsrechts dar.47 Sie richtet sich an die Ärzte und verpflichtet sie dazu zu schweigen. Die Regelungen der Berufsordnung haben keine Drittwirkung zugunsten der Patienten, sondern sind auf die Ärzte als Kammermitglieder beschränkt.48 Die MBO-Ä enthält kein vor staatlichen Gerichten durchsetzbares Recht.49 In Bezug auf Außenstehende greifen allgemeine Gesetze, wie etwa § 203 StGB. So bleibt hier festzuhalten, dass § 9 MBO-Ä kein individuell durch­ setzbares Recht auf Wahrung von Privatgeheimnissen vermittelt. Für den Arzt bildet die Norm jedoch neben der berufsrechtlichen Verpflichtung auch eine Art „Schutzrecht“. So kann er Auskunftsbegehren Dritter unter Berufung auf § 9 MBO-Ä abwehren.50 § 9 MBO-Ä ist aber notwendiger Bestandteil eines auf allgemeinem und individuellem Vertrauen basierenden Arzt-Patienten-Verhältnisses.51 Die be­ rufsrechtliche Regelung dient sowohl dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Gesundheitspflege52 als auch der Wahrung der Privat(3) Ärztinnen und Ärzte dürfen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Per­ sonen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, Informationen über Patienten zugänglich zu machen. Über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit haben sie diese zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. (4) Gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Dienstleistungsunterneh­ men sowie sonstigen Personen, die an der beruflichen Tätigkeit mitwirken, sind Ärz­ tinnen und Ärzte zur Offenbarung befugt, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der mitwirkenden Personen erforderlich ist. Ärztinnen und Ärzte haben da­ für zu sorgen, dass die mitwirkenden Personen schriftlich zur Geheimhaltung ver­ pflichtet werden. Diese Verpflichtung zur Geheimhaltung haben Ärztinnen und Ärzte vorzunehmen oder auf das von ihnen beauftragte Dienstleistungsunternehmen zu übertragen. (5) Wenn mehrere Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig oder nacheinander dieselbe Patientin oder denselben Patienten untersuchen oder behandeln, so sind sie unterein­ ander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als das Einverständnis der Patientin oder des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist. 47  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 1; Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 1. 48  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 268. 49  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 312. 50  Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 1. 51  Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 1. 52  Lippert bezeichnet dies als (alleinige) Intention des § 9 MBO-Ä, in: Ratzel/ Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 6.

102

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

und Intimsphäre der einzelnen Patienten.53 Allerdings ist der § 9 MBO-Ä auch in besonderem Maße geeignet, Vertrauen der Allgemeinheit und des Einzelnen in die ärztliche Tätigkeit und den Arztberuf als solchen zu bil­ den.54 Somit dient diese Norm, zumindest mittelbar, auch der Wahrung der beruflichen Interessen der Ärzteschaft (insbesondere auf Erhaltung des Ver­ trauens in den ärztlichen Beruf).

II. Norminhalt 1. Abs. 1 Das ärztliche Berufsrecht ist in Bezug auf die Schweigepflicht besonders stringent.55 Sie gilt dem Grundsatz her uneingeschränkt gegenüber jeder­ mann, der nicht in das jeweilige Arzt-Patienten-Verhältnis einbezogen ist. Dies schließt auch andere schweigepflichtige Personen wie Ärzte, welche nicht an der konkreten Behandlung beteiligt sind, mit ein.56 Auch bei min­ derjährigen Patienten unterliegt das gesamte Behandlungsgeschehen der Schweigepflicht.57 Allerdings kann es nach einer Abwägung im Einzelfall geboten sein die Eltern des Minderjährigen zu informieren oder ihnen zumin­ dest Auskunft zu erteilen.58 In zeitlicher Hinsicht gilt die ärztliche Schweigepflicht unbegrenzt ab dem Beginn der Kenntniserlangung von Tatsachen von der oder über die durch den Arzt behandelte Person. Sowohl das der Muster-Berufsordnung vorange­ stellte Gelöbnis wie auch § 9 Abs. 1 MBO-Ä bestimmen die Geltung explizit über den Zeitpunkt des Todes des Patienten hinaus. Bei höchstpersönlichen Informationen, welche in der Regel im Arzt-Patienten-Verhältnis bestehen, ist ein rechtlicher Übergang auf die Erben nach dem Tod des betroffenen Patienten regelmäßig ausgeschlossen.59 Dennoch kann sich unter Umstän­ den aus § 630g BGB eine Pflicht ergeben, den Erben oder Angehörigen Einsicht in die Patientenakte zu gewähren.

53  Spickhoff/Scholz,

§ 9 MBO-Ä Rn. 1; a. A. Rehborn, GesR 2017, 409 (412). unter A. 55  Ostendorf, JR 1981, 444. 56  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 23; MedR-Komm/Rehborn, § 9 MBOÄ Rn. 8; NK-MedR/Sobotta, § 9 MBO-Ä Rn. 4. 57  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 9; MedR-Komm/Rehborn, § 9 MBOÄ Rn. 2b. 58  MedR-Komm/Rehborn, § 9 MBOÄ Rn. 2b. 59  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 24. 54  S. o.



B. Der berufsrechtliche Umfang: § 9 MBO-Ä103

Die in § 9 Abs. 1 MBO-Ä normierte Schweigepflicht bezieht sich auf alle Tatsachen, welche Ärzten in ihrer Eigenschaft als solche anvertraut oder be­ kannt geworden sind. Die Norm verwendet den Begriff des Geheimnisses nicht, insofern kommt es auch nicht darauf an, ob die Tatsachen geheim sind oder nicht.60 Die berufsrechtliche Schweigepflicht ist somit insgesamt all­ umfassend.61 Geschützt werden die Gesamtheit der Angaben des Patienten über seine persönliche, familiäre, wirtschaftliche, berufliche, finanzielle, kulturelle und sonstige soziale Situation sowie seine darüber preisgegebenen Ansichten und Reflexionen.62 Allerdings wird der Normtext insofern ein­ schränkend ausgelegt, als sich die Schweigepflicht auf alle nicht allgemein bekannten Tatsachen beziehen soll.63 Die Tatsachen müssen dem Arzt „in seiner Eigenschaft“ als solcher anver­ traut oder, gegebenenfalls auch schriftlich,64 bekannt geworden sein. Dies schließt ein Bekanntwerden über andere Ärzte (als Gutachter oder in beraten­ der Tätigkeit) mit ein.65 Insbesondere ist es auch nicht erforderlich, dass die Kenntniserlangung im Rahmen eines Behandlungsvertrages erfolgt.66 Ledig­ lich Informationen, welche der Arzt im Privaten oder im Rahmen einer be­ rufsfremden Nebentätigkeit erfährt, sind nicht erfasst.67 Ein Verstoß gegen die berufsrechtliche Schweigepflicht liegt dann vor, wenn Tatsachen aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis an Dritte gelangen. Dabei erfasst § 9 MBO-Ä sowohl den vorsätzlichen Bruch der Schweigepflicht wie auch einen fahrlässigen Verstoß.68

in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 4. § 9 MBO-Ä Rn. 2; s. a. Ärztliches Berufsgericht Niedersach­ sen, GesR 2006, 37 (38). 62  BVerfG NJW 2016, 700 (703); Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 12. 63  Ärztliches Berufsgericht Niedersachsen, GesR 2006, 37 (38); Lippert, in: Ratzel/ Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 4; Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 2; NK-MedR/ Sobotta, § 9 MBO-Ä Rn. 2. 64  S. § 9 MBO-Ä Abs. 1 S. 2. 65  BVerfG NJW 2016, 700 (703); Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 2. 66  MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 152. 67  BVerfG NJW 2016, 700 (703); Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 12. 68  Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 2; MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 153; NK-MedR/Sobotta, § 9 MBO-Ä Rn. 2. 60  Lippert,

61  Spickhoff/Scholz,

104

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

2. Abs. 2 Die umfassende Schweigepflicht des § 9 Abs. 1 MBO-Ä wird durch des­ sen Absätze 2 bis 5 eingeschränkt. In § 9 Abs. 2 S. 1 MBO-Ä werden zu­ nächst zwei selbständige Offenbarungsbefugnisse benannt. So darf sich der Arzt berechtigterweise offenbaren, wenn er von der Schweigepflicht entbun­ den wurde oder „soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist“. Für die Schweigepflichtentbindung gelten hier die im 1. Kapitel benannten Voraussetzungen.69 Die Offenbarung zum Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes setzt eine umfassende Güterabwägung vor­ aus.70 Dabei bleibt § 9 Abs. 2 S. 1 MBO-Ä jedoch undifferenzierter als § 34 StGB.71 In der Regel wird allerdings auf die zu § 34 StGB entwickelten Fallgestaltungen im Rahmen der Güterabwägung zurückgegriffen.72 § 9 Abs. 2 S. 2 MBO-Ä verweist auf die Offenbarungsbefugnis aufgrund gesetzlicher Aussage- und Anzeigepflichten. Dies meint nicht nur Aussageund Anzeigepflichten der MBO-Ä, sondern sämtliche gesetzliche Aussageund Anzeigepflichten.73 Insoweit gelten für den Arzt hier die bereits oben genannten Offenbarungspflichten.74 Ist die ärztliche Schweigepflicht auf­ grund einer gesetzlichen Vorschrift eingeschränkt, so soll der Arzt seinen Patienten nach § 9 Abs. 2 S. 3 MBO-Ä hierüber informieren. Dies setzt damit zugleich voraus, dass der Arzt über die gesetzlichen Aussage- und Anzeige­ pflichten informiert ist. Somit beinhaltet § 9 Abs. 2 S. 3 MBO-Ä auch die berufsrechtliche Pflicht, sich über die insoweit einschlägigen Vorschriften zu informieren.75 3. Abs. 3 und 5 § 9 Abs. 3 S. 1 MBO-Ä gestattet Ärzten, ihren Mitarbeitern sowie Perso­ nen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilneh­ men, Informationen über Patienten zugänglich zu machen. Allerdings be­ gründet Abs. 3 S. 2 MBO-Ä zugleich die Pflicht, ebendiese Personen über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. Dies ist insoweit erforderlich, als diese Personen keine appro­ 69  S. o.

1. Kapitel C. I.

70  NK-MedR/Sobotta,

§ 9 MBO-Ä Rn. 3. § 9 MBO-Ä Rn. 3. 72  Vgl. Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 66  ff.; NK-MedR/ Sobotta, § 9 MBO-Ä Rn. 3. 73  MedR-Komm/Rehborn, § 9 MBOÄ Rn. 5. 74  S. unter 1. Kapitel B. 75  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 70. 71  Spickhoff/Scholz,



B. Der berufsrechtliche Umfang: § 9 MBO-Ä105

bierten Ärzte sind und nicht durch die Regelungen der Berufsordnung ver­ pflichtet werden. § 9 Abs. 576 MBO-Ä regelt die Offenbarungsbefugnisse von Ärzten unter­ einander. Wie eingangs beschrieben, besteht die Schweigepflicht grundsätz­ lich auch gegenüber anderen Ärzten. Abs. 5 regelt die Schweigepflicht für den spezifischen Fall, dass mehrere Ärzte gleichzeitig oder nacheinander denselben Patienten untersuchen oder behandeln. Sie sind untereinander dann von der Schweigepflicht insofern befreit, als das Einverständnis des behan­ delten Patienten vorliegt oder anzunehmen ist. Liegt ein ausdrückliches Ein­ verständnis also nicht vor, so kann nach der Norm auch auf ein mutmaßliches Einverständnis zurückgegriffen werden.77 Informationspflichten von Ärzten untereinander können sich darüber hi­ naus auch aus Sorgfaltspflichten ergeben. So sei es im Falle einer Überwei­ sung eines Patienten zur Weiterbehandlung durch einen anderen Arzt bereits geboten, diesen über zuvor getroffene Maßnahmen oder gestellte Diagnosen zu informieren. Der mit- oder nachbehandelnde Arzt habe seinerseits den zuvor behandelnden Arzt über Ergebnisse seiner Untersuchungen in Kenntnis zu setzen.78 4. Abs. 4 In der Vergangenheit wurde in Bezug auf § 9 MBO-Ä das Fehlen einer berechtigten Datenweitergabe an sogenannte Externe kritisiert.79 Nach der bis zum 13.12.2018 geltenden Fassung des § 9 MBO-Ä war die Datenweiter­ gabe an externe Dienstleister (etwa die Weitergabe zur Wartung der EDV) unzulässig.80 Damit war die Berufsordnung in diesem Fall strenger als das Strafrecht, denn hier ist die notwendige Hinzuziehung Dritter gestattet.81 Die Bundesärztekammer hat auf diese Kritik jedoch noch im Nachgang zum 121. Ärztetag reagiert und § 9 MBO-Ä geändert.82 Durch Beschluss vom 14.12.2018 wurden der Abs. 4 neu eingefügt, welcher Ärzten nun die Befugnis einräumt, sich gegenüber Dienstleistungsunternehmen zu offenba­ ren, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der mitwirkenden 76  Nach

Beschluss der BÄK v. 14.12.2018 wurde Abs. 4 a. F. zu Abs. 5 n. F. § 9 MBO-Ä Rn. 4; vgl. a. 1. Kapitel C.I. 78  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 28 f. 79  Spickhoff/Scholz, § 9 MBO-Ä Rn. 5; NK-MedR/Sobotta, § 9 MBO-Ä Rn. 4; MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 154. 80  MAH MedR/Wollersheim, § 6 Rn. 154. 81  BT-Drs. 18/11936, S. 7, 17 f. 82  S. Bekanntmachung der Bundesärztekammer, DÄ 2019, 116 (5), A-230. 77  Spickhoff/Scholz,

106

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

Personen erforderlich ist. Ärzte haben dabei jedoch dafür zu sorgen, dass die mitwirkenden Personen schriftlich zur Geheimhaltung verpflichtet werden.

C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB Aus strafrechtlicher Sicht stellt § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB die zentrale und grundlegende Norm zur ärztlichen Schweigepflicht dar. Bevor auf des­ sen Voraussetzungen in Form der Tatbestandsmerkmale eingegangen wird, soll zunächst dessen Schutzgut genauer bestimmt werden.

I. Schutzgut Welches Rechtsgut von § 203 StGB und dessen Vorgängervorschriften geschützt wird, ist umstritten.83 Der Meinungsstreit um das (vorrangige) Schutzgut des § 203 Abs. 1 StGB erlangt immer dann besondere praktische Bedeutung, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, ob eine Offenba­ rung des Berufsgeheimnisses zulässig ist oder nicht.84 Diese Frage tauchte bislang unter anderem im Zusammenhang mit dem postmortalen Geheim­ nisschutz,85 dem Schutz von Drittgeheimnissen,86 bei der Ausübung des prozessualen Schweigerechts87 und der Interessenabwägung im Rahmen des § 34 StGB88 auf. Die Antwort auf diese Frage, in wessen Interesse die Ge­ heimnisse geschützt sind, hat somit große Bedeutung für den Schutzumfang und die Grenzen der Schweigepflicht.89 Im derzeitigen Meinungsstand lassen sich heute im Wesentlichen zwei vorherrschende Ansichten ausmachen: Nach einer Ansicht werden durch § 203 StGB Individualinteressen geschützt (Individualschutzlehre), nach der anderen Ansicht wird das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit ein­ 83  Vgl. nur die umfangreichen Fußnoten und Verweise, etwa bei LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 14; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 3; eine systematische Darstellung und Aufarbeitung der vertretenen Ansichten bietet Schumann, Prozes­ suale Verteidigung durch Geheimnisverrat, S. 144 ff. 84  Müller-Dietz, in: Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, S. 39 (41). 85  Kern, MedR 2006, 205; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (59 ff.). 86  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (57 ff.); Dittrich, Drittgeheimnisse im Rah­ men der Verletzung von Privatgeheimnissen, S. 47 ff.; Stucke, Berufliche Schweige­ pflicht bei Drittgeheimnissen als Vertrauensschutz, S. 65 ff. 87  Michalowski, ZStW 109 (1997), 519. 88  Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (37). 89  So auch NK-GS/Tag, § 203 StGB Rn. 3.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 107

zelner Berufsgruppen geschützt (Gemeinschaftsschutzlehre). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich diese Ansichten keineswegs unvereinbar gegenüber­ stehen, vielmehr wird überwiegend darüber diskutiert, welches der beiden Interessen im Vordergrund steht und welches das primäre Schutzgut des § 203 StGB darstellt. Schließlich wird von einigen Vertretern der einen oder anderen Ansicht zusätzlich der Schutz beruflicher Interessen der in § 203 StGB genannten Berufsgruppen als Schutzgut angenommen. Die Frage der Rechtsgutbestimmung beeinflusst neben den oben genann­ ten Problemfeldern auch die Anforderungen, welche an gesetzliche Offenba­ rungspflichten zu stellen sind. Da sich diese Arbeit in ihrem Schwerpunkt der Frage widmet, wann ein Anstaltsarzt ein Geheimnis offenbaren darf oder muss und welche Anforderungen an die ihn zu einer Offenbarung verpflich­ tenden Normen zu stellen sind, soll an dieser Stelle das Schutzgut des § 203 StGB herausgearbeitet werden. 1. Individualschutzlehre Die Vertreter der Individualschutzlehre sehen als alleiniges90 oder vorran­ giges91 Rechtsgut des § 203 StGB Individualinteressen des Einzelnen. Dabei finden sich innerhalb dieser Ansicht auch einige Stimmen, welche von einem Nebeneinander des Individualschutzes und des Gemeinschaftsschutzes aus­ gehen.92

90  BGH NJW 1990, 510 f.; OLG Hamburg NJW 1962, 689 (691); LSG Celle NJW 1980, 1352; Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, S.  60 f.; Dittrich, Drittgeheimnisse im Rahmen der Verletzung von Privat­ geheimnissen, S. 56; Häger, Der formalisierte Schutz des allgemeinen Persönlichkeits­ rechts durch das Strafrecht, S. 232; Losert, Der Bruch der Schweigepflicht und seine Rechtfertigung, S. 12; Bock/Wilms, JuS 2011, 24; Gallas, ZStW 75 (1963), 16 (22); Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (63 f.); Kreuzer, NJW 1975, 2232 (2233); Rogall, NStZ 1983, 1 (4); Schmitz, JA 1996, 772; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (55 ff.); Matt/ Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 1; Fischer, § 203 StGB Rn. 3; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 1; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 4; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 1; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 2; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 2; Zuck/Gokel, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, MedR § 72 Rn. 12. 91  BGH NJW 1993, 1638; OLG Oldenburg NJW 1992, 758 (759); Bosch, Jura 2013, 780 (781); Cornelius, StV 2016, 380, (382); Michalowski, ZStW 109 (1997), 519 (522); Kern, MedR 2006, 205; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 225; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 11; Schönke/ Schröder/Eisele, § 203 Rn. 3; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 1; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 139 Rn. 16; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 1. 92  Cramer, Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten aus anderen Ver­ fahren, S.  43 f.; Wichmann, Das Berufsgeheimnis als Grenze des Zeugenbeweises, S. 181; MüKo-StGB/Cierniak/Polith, 2. Aufl., § 203 Rn. 5.

108

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

Die Liste der innerhalb dieser Ansicht jeweils genannten geschützten Indi­ vidualinteressen ist lang und umfasst unter anderem den persönlichen Le­ bens- und Geheimnisbereich,93 die Individualsphäre des Einzelnen,94 das Vertrauensverhältnis zur Berufsperson,95 das Verfügungsrecht des Betroffe­ nen über das Geheimnis,96 die Unverletzlichkeit der Eigensphäre in ihrer speziellen Ausformung als informationelle Dispositionsbefugnis,97 die „Privatheit“,98 den Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung99 sowie das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, in der Ausprägung des Rechts auf informa­ tionelle Selbstbestimmung,100 primär das Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner Privat- und Intimsphäre101. Ferner wird teilweise zwischen den Absätzen 1 und 2 des § 203 StGB differenziert. Hierzu wird angeführt, im Rahmen des Absatzes 1 gehe es nicht um das besondere Vertrauen in die Verschwiegenheit der Träger be­ stimmter Berufe oder um die besondere soziale Bedeutung bestimmter Be­ rufsgruppen, demgegenüber spreche manches dafür, in Absatz 2 neben Indi­ vidualinteressen auch das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit von Amtsträgern und das Vertrauen der Bevölkerung in diese Verschwiegenheit als geschützt anzusehen.102 Als Argument für den Individualschutz wird oftmals die systematische Stellung des § 203 StGB im 15. Abschnitt angeführt, welcher die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs ahnde.103 Wäre das Schutz­ gut des § 203 StGB ein Gemeinschaftsinteresse, so wäre die Norm im 93  LSG

Celle NJW 1980, 1352; Fischer, § 203 StGB Rn. 3. § 203 Rn. 14. 95  NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 1. 96  Bock/Wilms, JuS 2011, 24; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 1; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 1; NK-StGB/Kargl, Vor § 201 Rn. 5. 97  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 4. 98  Rogall, NStZ 1983, 1 (4); in diesem Sinne auch Gallas, ZStW75 (1963), 16 (21 f.). 99  Kreuzer, NJW 1975, 2232 (2233). 100  BVerfG NJW 1972, 1123 (1124); BGH NJW 1991, 2955 (2956); Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozial­arbeiter im Strafvollzug, S. 64; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519 (520); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 7; Fischer, § 203 StGB Rn. 3; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 1; NKGS/Tag, § 203 StGB Rn. 4; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 225; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 11; Zuck/Gokel, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, § 72 Rn. 12. 101  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 225. 102  OLG Köln NStZ 412 (413); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 8 f. 103  Cornelius, StV 2016, 380, (382); Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (46); Michalowski, ZStW 109 (1997), 519 (520); Rogall, NStZ 1983, 1 (4); Ostendorf, JR 1981, 94  LK-StGB/Schünemann,



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 109

30. Abschnitt bei den Amtsdelikten einzuordnen gewesen.104 Zusätzlich kor­ respondiere die Überschrift des § 203 StGB „Verletzung von Privatgeheim­ nissen“ mit der Überschrift des 15. Abschnitts.105 Darüber hinaus wird auch der geringe Strafrahmen als Argument dafür angeführt, dass § 203 StGB die privaten Interessen der Betroffenen schützen sollte.106 Ebenso spreche das absolute Antragserfordernis des § 205 Abs. 1 StGB gegen einen Schutz von Allgemeininteressen.107 Würde man einen Gemein­ schaftsschutz bejahen, läge es in der Hand des Einzelnen, die öffentlichen Interessen zu vertreten und über die Strafverfolgung im Interesse der Ge­ meinschaft zu disponieren.108 Im Zusammenhang mit dem Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung wird zusätzlich auf dessen Dispositionsbefugnis über „sein“ Geheimnis ver­ wiesen.109 Allein der Betroffene könne den Arzt durch Einverständnis oder Einwilligung von der Schweigepflicht entbinden, welches ein eindeutiges Argument für einen individualschützenden Charakter der Norm sei.110 Habe der Betroffene dagegen keinen Geheimhaltungswillen, könne dieses Rechts­ gut auch nicht verletzt werden und dies sei demgemäß auch nicht strafverfol­ gungswürdig.111 Auch der § 53 Abs. 2 StPO verdeutliche diesen Individualschutz, indem er den genannten Berufsgruppen kein Zeugnisverweigerungsrecht zuspreche, wenn sie von der Schweigepflicht entbunden wurden. Dies zeige einmal mehr, dass allein dem Betroffenen die Dispositionsbefugnis über das Ge­ heimnis zustehe und somit auch deutlich individualrechtliche Interessen ge­ schützt würden.112 Die Beschränkung des Täterkreises allein auf die in § 203 StGB genannten Berufsgruppen lasse sich damit begründen, dass diese bei ihrer Berufsaus­ 444 (445); Schmitz, JA 1996, 772; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 4; SKStGB/Hoyer, § 203 Rn. 3; NK-GS/Tag, § 203 StGB Rn. 4. 104  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S 59; Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (46); Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (56). 105  Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (47); Ostendorf, JR 1981, 444 (445). 106  OLG Hamburg NJW 1962, 689 (691); SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 3. 107  Cornelius, StV 2016, 380, (382); Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (47); Michalowski, ZStW 109 (1997), 519 (520); Ostendorf, JR 1981, 444 (445); Schönke/Schrö­ der/Eisele, § 203 Rn. 3; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203–205 StGB Rn. 1; NK-StGB/ Kargl, § 203 Rn. 3; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 1. 108  Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (47). 109  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 3; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 4. 110  Schmitz, JA 1996, 772. 111  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 3. 112  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 3.

110

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

übung wesentlich mehr mit intimen Geheimnissen in Berührung kommen als Angehörige anderer Berufsgruppen.113 Entscheidend sei vielmehr, dass der Geheimnisträger mit dem Anvertrauen von Geheimnissen den Angehörigen solcher Berufsgruppen, die bei ihrer Tätigkeit typischerweise mit Geheimnis­ sen in Berührung kommen und in die Privatsphäre eindrängen, besonderes Vertrauen entgegenbringe.114 Schließlich habe auch der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung den Individualschutz als Schutzgut des § 203 StGB bzw. dessen individualschüt­ zende Funktion betont.115 Demgegenüber würde eine gemeinschaftsschüt­ zende Dimension mit keinem Wort erwähnt.116 Vertreter dieser Ansicht, welche einen Gemeinschaftsschutz vollkommen ablehnen und den Individualschutz als alleiniges Schutzgut des § 203 StGB ansehen, führen zudem an, dass es keines strafrechtlichen Schutzes des All­ gemeininteresses bedürfe. So sei eine sachgerechte Auslegung der Norm im Zusammenhang mit der Frage nach einer gerechtfertigten Offenbarung auch möglich, wenn allein Individualinteressen geschützt würden.117 Zudem wird ein mittelbarer Schutz von Allgemeininteressen an der Verschwiegenheit der genannten Berufsgruppen auch mit dem Argument abgelehnt, dass mittelbare Zweckformulierungen zu einer konturlosen Normauslegung führen wür­ den.118 Dies würde der Strafrechtsdogmatik widersprechen, welche einen detaillierten Rechtsgüterschutz anstrebe.119 2. Gemeinschaftsschutzlehre Die Vertreter der Gemeinschaftsschutzlehre sehen das öffentliche Interesse an der Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen als vorrangiges120 Schutzgut des § 203 StGB an.121 Nach dieser Ansicht diene § 203 StGB in erster Linie einem bedeutenden Sozialinteresse.122 Der strafrechtliche Schutz ZStW 90 (1978), 11 (54 f.). § 203 Rn. 3. 115  BT-Drs. 6/3250 S. 225 und 7/550 S. 235 ff.; Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (44 f.); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 7. 116  Jäschke, ZStW 131 (2019), 36 (44). 117  Rogall, NStZ 1983, 1 (4). 118  Ostendorf, JR 1981, 444 (447). 119  Ostendorf, JR 1981, 444 (447). 120  Heute wird so gut wie nicht mehr vertreten, dass der Gemeinschaftsschutz das alleinige Schutzgut des § 203 StGB sei; allerdings kann dies vermutet werden bei Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 6. 121  OLG Köln NStZ 1983, 412 (413); Schlund, JR 1977, 265 (269); Arloth, MedR 1986, 295 (296). 122  Eb. Schmidt, NJW 1962, 1745 (1747). 113  Schünemann,

114  Schönke/Schröder/Eisele,



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 111

des Berufsgeheimnisses solle das vertrauensvolle Zusammenwirken von Ge­ heimnisträgern und Berufspersonen ermöglichen. Nur wenn der Arzt die Schweigepflicht wahre, könne sich ihm der Patient vollumfänglich anver­ trauen und nur dann könne eine allgemeine Gesundheitspflege garantiert und wirksam werden.123 Im Einzelnen differenzieren die unterschiedlichen Vertreter der Gemein­ schaftsschutzlehre die Volksgesundheit,124 das Interesse der Allgemeinheit an einer erfolgreichen ärztlichen Tätigkeit125 sowie das Interesse der Allgemein­ heit an die Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen126 als Schutzgüter des § 203 StGB. Begründet wird diese Ansicht damit, dass bereits die Beschränkung des Täterkreises im § 203 StGB beweise, dass es sich um eine berufsspezifische Pflicht handele und somit die vorrangig sozialrechtliche Funktion heraus­ gehoben werde.127 Sollten vorrangig Individualinteressen geschützt werden, hätte der Täterkreis nicht eingeschränkt werden dürfen, da ein Interesse an Geheimniswahrung auch im Verhältnis von Privatpersonen untereinander bestehe.128 Ärzte würden, wenn sie einzelne Personen behandeln, zugleich auch für die Allgemeinheit tätig, da sie einen wichtigen Dienst für den Bestand der Gemeinschaft ausübten. Somit hätten sie zugleich eine öffentlich-rechtliche Funktion.129 Sie hätten dabei, auch wenn sie dem Einzelnen dienten, immer auch das Gemeinwohl, welchem sie verpflichtet seien, zu beachten.130 Ferner würde auch das Argument, dass der jeweilige Geheimnisbetroffene den Arzt von der Schweigepflicht entbinden könne, eine Einbeziehung von Allgemeininteressen an der Schweigepflicht nicht ausschließen. Denn auch das allgemeine Interesse richte sich darauf, dass die Geheimnisse des Ge­ heimnisträgers nicht ohne oder gegen seinen Willen offenbart würden. Ent­ 123  Schönke/Schröder/Lenckner,

124  Bockelmann,

27. Aufl., § 203 Rn. 3. Strafrecht des Arztes, S. 34; Eb. Schmidt, NJW 1962, 1745

(1747). 125  Kern, MedR 2006, 205; Mankowski, JZ 1994, 48 (49); Deutsch/Spickhoff, Me­ dizinrecht, Kap. XVII Rn. 934; Schönke/Schröder/Lenckner, 27. Aufl., § 203 Rn. 3. 126  OLG Köln NStZ 1983, 412 (413); Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S.  29 ff.; ders., NJW 1962, 1745 (1747); Becker, MDR 1974, 888 (891); Grömig, NJW 1970, 1209 (1210); Schlund, JR 1977, 265 (269); Lippert, in: Ratzel/Lippert/ Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 6; Schönke/Schröder/Lenckner, 27. Aufl., § 203 Rn. 3. 127  OLG Köln NStZ 1983, 412 (413); Schlund, JR 1977, 265 (269); Schönke/ Schröder/Lenckner, 27. Aufl., § 203 Rn. 3. 128  MüKo-StGB/Cierniak, 1. Aufl. 2003, § 203 Rn. 4. 129  Flor, JR 1953, 368 f. 130  Flor, JR 1953, 368 f.

112

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

scheide der Geheimnisträger also selbst über die Offenbarung seiner Ge­ heimnisse, so liege dies auch im Interesse der Allgemeinheit.131 Die Vertreter der Gemeinschaftsschutzlehre verweisen zur Begründung ihrer Ansicht ebenfalls auf den § 53 StPO, allerdings auf dessen Abs. 1 Nr. 3 und das darin eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht. Dass dem Arzt ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt sei, lasse sich nur damit erklären, dass die Gemeinschaft die Gewissheit haben müsse, dass ein Arzt nicht zu einer Preisgabe der ihm anvertrauten Geheimnisse gezwungen werden dür­ fe.132 Nach Eb. Schmidt sei hier außerdem hervorzuheben, dass der Gesetz­ geber dem Arzt, welcher von einer strafbaren Handlung eines Patienten er­ fährt, ausdrücklich keine Offenbarungspflicht zum Zwecke der Verbrechens­ aufklärung auferlegt hätte. Somit sei der Schutz des Sozialinteresses am Be­ stehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient deutlich herausgehoben.133 3. Schutz beruflicher Interessen Schließlich wird von einigen Vertretern eines oder beide der bereits oben genannten Schutzgüter anerkannt und sodann um das Schutzgut des beruf­ lichen Interesses der in § 203 Abs. 1 StGB genannten Personengruppen er­ gänzt.134 Das geschützte Rechtsgut sei also ebenfalls das berufliche Interesse der Ärzteschaft selbst an der Existenz des Berufsgeheimnisses, da es eine ge­ wisse Privilegierung bedeute. Um ihren Beruf erfolgreich auszuüben seien die genannten Berufsgruppen auf das Vertrauen ihrer Patienten, Mandanten, o. ä. angewiesen und hätten somit ein persönliches Interesse an der Wahrung ihres Berufsgeheimnisses, da sie nur dann davon ausgehen könnten, dass ih­ nen das nötige Vertrauen entgegengebracht würde.135 Die Norm solle zudem das Vertrauen sichern, welches bestimmten Berufsgruppen von der Allge­ meinheit entgegengebracht wird, und somit würde auch das Funktionieren der durch die Geheimnisträger ausgeübten Berufe gesichert.136

131  Vgl.

Lenckner, NJW 1965, 321 (323). NJW 1965, 321 (322, 327); ähnl. OLG Schleswig NJW 1981, 294. 133  Eb. Schmidt, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 27 f. 134  Blass, Die Berufsgeheimhaltungspflicht der Ärzte, Apotheker und Rechtsan­ wälte, S.  31 f.; Müller-Dietz, Die Beschlagnahme von Krankenblättern im Strafverfah­ ren, S.  87 ff.; Gallas, ZStW 75 (1963), 16 (22 f.). 135  Blass, Die Berufsgeheimhaltungspflicht der Ärzte, Apotheker und Rechtsan­ wälte, S.  31 f. 136  Gallas, ZStW 75 (1963), 16 (22 f.). 132  Lenkner,



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 113

4. Stellungnahme a) Ausschluss des Schutzes beruflicher Interessen Die Ansicht, welche den Schutz beruflicher Interessen in den Schutzbe­ reich einschließen will, überzeugt im Ergebnis nicht. Zunächst bedürfen die beruflichen Interessen der Ärzteschaft keines strafrechtlichen Schutzes. Der Schutz der beruflichen Interessen wird Ärzten durch § 9 MBO-Ä gewährt. Diese Norm dient, wie bereits dargestellt, auch dem Zweck, das Ansehen des Arztberufes sowie die Qualität der ärztlichen Arbeit sicherzustellen.137 Den Ärzten wird somit eine konkrete Berufspflicht auferlegt, deren Missachtung auch berufsrechtlich sanktioniert werden kann. Vor allem die berufsrecht­ lichen, bis hin zu berufsgerichtlichen Verfahren dienen hier der Einhaltung der Norm und der Aufrechterhaltung berufstreuen Verhaltens. Da sich Ärzte zudem auf § 9 MBO-Ä berufen können, um sich nicht offenbaren zu müssen, sind ihre beruflichen Interessen auch vor Eingriffen von außen ausreichend geschützt. Schließlich erscheint es widersinnig, die Interessen eines möglichen Tä­ ters, hier konkret diejenigen eines Arztes, zugleich in den Schutzbereich ei­ ner Norm einzubeziehen, welche allein er verletzen kann. Auch wenn die Ansicht, welche den Schutz beruflicher Interessen im Schutzbereich des § 203 StGB erkennen will, natürlich nicht behaupten würde, der Täter selbst sei geschützt, so würde ebendies im Ergebnis aber erzielt werden. Der Schutz beruflicher Interessen der Ärzteschaft als Ganzes schließt dabei auch immer die Interessen des Arztes mit ein, welcher die Schweigepflicht bricht und somit Täter im Sinne des § 203 StGB ist. § 203 Abs. 1 StGB würde somit zu einem Selbstschädigungsdelikt, was sich jedoch nicht begründen lässt, da weder die gesetzgeberischen Motive noch die allgemeine Historie des Ge­ heimnisschutzes auf einen solchen Schutz hindeuten.138 So verbleiben nach den oben dargestellten Ansichten als mögliche Schutz­ güter des § 203 StGB auf der einen Seite die Individualinteressen des Einzel­ nen (Individualschutzlehre) und auf der anderen Seite das öffentliche Inte­ resse an der Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen (Gemeinschafts­ schutzlehre).

137  S. o.

unter A. diesem Sinne auch Schumann, Prozessuale Verteidigung durch Geheimnis­ verrat, S. 159. 138  In

114

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

b) Argumente der Gemeinschaftsschutzlehre Zunächst ist hier noch einmal zu betonen, dass die Vertreter der Gemein­ schaftsschutzlehre nicht davon ausgehen, dass das Vertrauen der Allgemein­ heit in die Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen das alleinige Schutz­ gut des § 203 StGB ist. Die Vertreter der Gemeinschaftsschutzlehre sehen lediglich zusätzlich zu den Individualinteressen auch Gemeinschaftsinteres­ sen vom Schutzbereich des § 203 StGB erfasst. Im Rahmen dieser Ansicht werden, wie bereits genannt, unter anderem die Volksgesundheit,139 das Interesse der Allgemeinheit an einer erfolgreichen ärztlichen Tätigkeit140 beziehungsweise einer funktionierenden Gesundheits­ pflege141 sowie das Interesse der Allgemeinheit an der Verschwiegenheit be­ stimmter Berufsgruppen142 und die Verschwiegenheitspflicht als „Grundlage für eine sinnvoller Berufsausübung“143 als Schutzgüter des § 203 StGB ge­ nannt. Die verschiedenen Argumente lassen sich grob in zwei Gruppen untertei­ len, wobei die erste Gruppe vorwiegend den Gesundheitsschutz und dessen Pflege in den Mittelpunkt stellt, die zweite Gruppe das Vertrauen auf die Berufsschweigepflicht begründend heranzieht. Hinsichtlich der ersten Gruppe ist vor allem zu bemängeln, dass die Funk­ tionsfähigkeit der Gesundheitspflege und die ärztliche Betreuung den § 203 StGB zu einem Gemeinschädigungsdelikt werden ließe. Eine Verletzung des § 203 Abs. 1 StGB würde damit zugleich eine Verletzung des Systems der Gesundheitspflege bedeuten, also eines Kollektivrechtsgutes, welches sich so nicht in dessen Wortlaut wiederfindet. An dieser Stelle soll grundsätzlich nicht in Abrede gestellt werden, dass eine Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patienten förderlich für die Behandlung und Betreuung und somit auch für die Funktionsfähigkeit der Gesundheitspflege insgesamt wichtig ist. Allerdings führt dieser Umstand nicht bereits dazu, dass die Gesundheitspflege insgesamt auch zu einem schutzwürdigen Gut im Rahmen des § 203 StGB wird.

Strafrecht des Arztes, S. 34. 27. Aufl., § 203 Rn. 3; Kern, MedR 2006, 205; Mankowski, JZ 1994, 48 (49). 141  Hilgendorf, Einführung in das Medizinstrafrecht, 9. Kapitel Rn. 4. 142  Lippert, in: Ratzel/Lippert/Prütting, MBO-Ä, § 9 Rn. 6; Schönke/Schröder/ Lenckner, 27. Aufl., § 203 Rn. 3; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 29 ff.; Becker, MDR 1974, 888 (891); Grömig, NJW 1970, 1209 (1210); Schlund, JR 1977, 265 (269); OLG Köln NStZ 1983, 412 (413). 143  Arloth, MedR 1986, 295 (296). 139  Bockelmann,

140  Schönke/Schröder/Lenckner,



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 115

Insofern ist die Argumentation mit der Systematik des Gesetzes, also der Stellung des § 203 StGB sowie seiner Überschrift überzeugend. Ferner wäre § 203 Abs. 2 StGB, welcher einen Geheimnisverrat von Amtsträgern umfasst, bei einem solchen Verständnis der Norm in den 30. Abschnitt bei den Amts­ delikten einzuordnen, wo er jedoch mit § 353b StGB kollidieren würde.144 § 353b StGB stellt den Geheimnisverrat durch einen Amtsträger unter Strafe, wenn dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Würde § 203 Abs. 2 StGB nun aber den Schutz derselben Güter bezwecken, wäre die Norm überflüssig.145 Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber bei § 203 StGB systematische Gesichtspunkte vollkommen vernachlässigt haben sollte.146 Es wäre ferner auch nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber den Absät­ zen 1 und 2 des § 203 StGB unterschiedliche Schutzrichtungen beimessen würde, wobei der erste Absatz Kollektivrechtsgüter schützen würde, der zweite Absatz jedoch, im Gegensatz zu § 353b StGB Individualrechtsgüter zum Gegenstand haben würde. Vielmehr erscheint es sinnvoller nach einem gemeinsamen Schutzgut zu suchen, welches zumindest dem Grunde nach von beiden Absätzen umfasst werden würde. Ein erster Anhaltspunkt bietet sich hier zumindest in der Überschrift des § 203 StGB, welche die „Verlet­ zung von Privatgeheimnissen“ benennt. Daraus lässt sich zumindest schlie­ ßen, dass beide Absätze des § 203 StGB eben gerade eine Verletzung von privaten Gütern zum Gegenstand haben. Ein solches Verständnis der Norm würde sodann auch ihre systematische Stellung erklären und eine Kollision mit den Amtsdelikten vermeiden. Darüber hinaus ist aber auch die zweite Gruppe mit ihrer Begründung ei­ nes Gemeinschaftsinteresses mittels des allgemeinen Vertrauens nicht über­ zeugend. Zunächst soll auch in diesem Zusammenhang nicht in Abrede ge­ stellt werden, dass ein Vertrauen in die Verschwiegenheit der von § 203 Abs. 1 StGB genannten Berufsgruppen bestehen und dies sicherlich auch förderlich für die Beziehung zu den jeweiligen Berufsträgern und deren Be­ rufsausübung sein kann. Das von den Vertretern dieser Ansicht ausgemachte Vertrauen kann aber bereits nicht generell für die Allgemeinheit festgestellt werden. Es bedürfte diesbezüglich zunächst einer empirischen Untersuchung, welche dazu geeig­ net sein müsste herauszufinden, ob die Allgemeinheit überhaupt ein Vertrauen in die Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen hat. Sofern ein solches allgemeines Vertrauen festgestellt werden könnte, bliebe sodann aber immer 144  So

auch LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 15. auch LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 15. 146  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 15. 145  So

116

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

noch die Problematik, dass ein solches Vertrauen einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen sein kann. Somit würde sich das Schutzgut des § 203 StGB zugleich auch einem gesellschaftlichen Wandel unterwerfen müssen. Das Schutzgut des § 203 StGB wäre somit immer der Unsicherheit unter­ worfen, ob zu einem gewissen Zeitpunkt ein allgemeines Vertrauen in die Verschwiegenheit bestimmter Berufe besteht oder nicht. Schließlich kann auch ein allgemeines Vertrauen in die Verschwiegenheit einzelner, von § 203 Abs. 1 StGB genannter Berufsgruppen bestehen und für andere fehlen. Auch dieser Umstand könnte zu Unsicherheiten bei der Bestimmung des Schutz­ gutes und zugleich bei der Anwendung der Norm führen. Ferner ließe sich das soziologisch als gesellschaftliches Phänomen erfasste Vertrauen nicht ohne weiteres justiziabel machen.147 Selbst wenn man ein Systemvertrauen begründen könne, gestalte sich die Umsetzung für die juris­ tische Lebenswelt doch ausgesprochen schwierig.148 Die einzelnen konkret vertypten Vertrauensschutztatbestände würden lediglich als Gradmesser des jeweils enttäuschten Vertrauens der Allgemeinheit herhalten können. Warum dann aber die Enttäuschung des Vertrauens der Allgemeinheit beim Verrat von Geheimnissen, als Vergehen mit geringer Strafdrohung, vom Gesetz als minderes Unrecht markiert würde als beispielsweise die Fälschung von Zah­ lungskarten mit Garantiefunktion nach § 152b StGB, wäre kaum erklärbar.149 Schließlich eigne sich das Vertrauen der Allgemeinheit auch deshalb nicht als Schutzgut des § 203 StGB, da es das eingrenzbare Angriffsobjekt des „privaten Geheimnisses“ mit einem kollektiven Schutzinteresse überfrach­ te.150 Das allgemeine Vertrauen stünde in keinerlei Beziehung mehr zu den Dispositionsbefugnissen des Betroffenen.151 Die Argumente der Gemeinschaftsschutzlehre können somit nicht überzeu­ gen und das Schutzgut des § 203 StGB wird sich wohl im Individualschutz suchen lassen.

Prozessuale Verteidigung durch Geheimnisverrat, S. 191. Prozessuale Verteidigung durch Geheimnisverrat, S. 192 f. 149  Schumann, Prozessuale Verteidigung durch Geheimnisverrat, S. 193 (Hervor­ hebung im Original). 150  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 4. 151  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 4. 147  Schumann, 148  Schumann,



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 117

c) Argumente der Individualschutzlehre Die Vertreter der Individualschutzlehre untermauern ihre Ansicht mit einer Vielzahl unterschiedlicher Begründungen und Argumente.152 Bei der Be­ trachtung der Argumente der Vertreter der Individualschutzlehre fällt vor al­ lem auf, dass diese in der Regel darauf abzielen die Ansicht der Gemein­ schaftsschutzlehre zu widerlegen, ohne jedoch wirklich stichhaltig die eigene Ansicht zu begründen.153 Die hier aufgeführten Begründungsansätze wurden unter anderem auch deshalb ausgewählt, da sie jeweils ausführlichere Argu­ mentationen für die eigene Ansicht liefern, welche tatsächlich auf ihre Stich­ haltigkeit überprüft werden können. Die nachfolgenden Ausführungen setzen sich daher nur mit den ausführli­ chen Bestimmungen und deren Begründungen auseinander, welche als Schutzgut des § 203 StGB die „Privatheit“,154 die Individualsphäre des Ein­ zelnen155 sowie das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlich­ keitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung156 ansehen. aa) Die „Privatheit“ Der Begriff der „Privatheit“ findet sich zunächst bei Gallas, welcher zwi­ schen der materiellen und der formellen Privatheit unterschied.157 Seine Ausführungen beziehen sich auf den Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahr 1962 (E 1962), in welchem die Verletzung des persönlichen Lebens und Geheimnisbereichs in den §§ 182 ff. (7. Abschnitt) neu gefasst wurde.158 Gallas stellte zunächst fest, dass sämtliche Tatbestände des 7. Abschnitts des E 1962 Anwendungsfälle des Persönlichkeitsschutzes darstellten, wobei

152  Vgl.

hierzu bereits oben unter C.I.1. in diesem Sinne ebenso Schumann, Prozessuale Verteidigung durch Geheimnisverrat, S.  168 f. 154  Rogall, NStZ 1983, 1 (4); in diesem Sinne auch Gallas, ZStW75 (1963), 16 (21 f.). 155  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 14. 156  BVerfG NJW 1972, 1123 (1124); BGH NJW 1991, 2955 (2956); Michalowski, ZStW 109 (1997), 519 (520); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 7; SSWStGB/Bosch, § 203 Rn. 1; Fischer, § 203 StGB Rn. 3; NK-MedR/Gaidzik, §§ 203– 205 StGB Rn. 1; NK-GS/Tag, § 203 StGB Rn. 4; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizin­ strafrecht, S. 225; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, ArztR, Kapitel IX. Rn. 11; Zuck/Gokel, in: Quaas/Zuck/Clemens/Gokel, § 72 Rn. 12. 157  Gallas, ZStW75 (1963), 16 (21 f.). 158  S. BT-Drs. IV/650 vom 04.10.1962, S. 41 ff. 153  Kritisch

118

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

das Schutzgut jedoch in zweifacher Hinsicht in Erscheinung trete.159 Auf der einen Seite werde das Interesse geschützt, das der Einzelne daran habe, dass gewisse Sachverhalte, die einen „intimen“ Charakter hätten, nicht Dritten bekannt oder an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt würden. Dies meine die Privatheit in einem inhaltlichen (materiellen) Sinn.160 Auf der anderen Seite bedeute privat ein zugunsten der Eigenständigkeit des individuellen Lebens­ bereichs errichtetes formelles Tabu, wobei es vielmehr darum gehe, den Le­ bensbereich des Einzelnen vor bestimmten Eingriffen Dritter schlechthin zu schützen, ohne Rücksicht darauf, welche Inhalte dieses Bereichs dadurch betroffen würden.161 Strafwürdig sei demnach nicht, wer ein materielles Inte­ resse des anderen an Geheimhaltung verletze, sondern vielmehr, wer den Anspruch des anderen darauf verletze, „dass die zum Schutz seiner Eigen­ sphäre errichteten Schranken und insoweit sein alleiniges Verfügungsrecht über diese Sphäre respektiert werden“.162 Nach Einordnung der Verschiedenen Tatbestände des E 1962 kommt Gallas mithin zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Bruch und der Verwertung fremder Privatgeheimnisse durch bestimmte Vertrauenspersonen um eigenar­ tige Mischgebilde handele. Sie schützten, soweit das dem Arzt, Rechtsanwalt usw. anvertraute Geheimnis einen Sachverhalt intimen Charakters betreffe, die Privatsphäre im materiellen Sinn, griffen aber, da auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erfasst würden, über diesen Bereich hinaus. Man werde aber sagen müssen, dass in jedem Fall, also auch dann, wenn es sich nicht um ein Geheimnis aus der Intimsphäre handele, der Verrat des Geheim­ nisses eine Verletzung der Privatsphäre im formellen Sinn darstelle. Denn die dem Geheimnisträger auferlegte Schweigepflicht bedeute einen in seiner Person errichteten Schutzwall, der die ihm anvertrauten Tatsachen vor der Kenntnisnahme durch Dritte bewahren solle.163 Der Begriff der Privatheit findet sich darüber hinaus bei Rogall, welcher aber zugleich zu bedenken gibt, dass der Versuch, das Rechtsgut Privatheit näher zu bestimmen, angesichts der Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten fast der „Quadratur des Kreises“ gleichkomme.164 Neben der Ehre und dem Recht auf Identität sei Privatheit ein (weiteres) Teilrechtsgut des umfassen­ den allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches sich inzwischen zu einem relativ fest umgrenzten besonderen Persönlichkeitsrecht entwickelt habe.165

159  Gallas, 160  Gallas, 161  Gallas, 162  Gallas, 163  Gallas, 164  Rogall,

ZStW75 (1963), 16 ZStW75 (1963), 16 ZStW75 (1963), 16 ZStW75 (1963), 16 ZStW75 (1963), 16 NStZ 1983, 1 (4).

(21). (21) (Hervorhebung im Original). (21 f.) (Hervorhebung im Original). (22) (Hervorhebung im Original). (22).



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 119

Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der Interessen- und Willens­ theorie kommt Rogall sodann zu dem Schluss, dass sich die Privatheit kenn­ zeichnen lasse als werthafter Zustand der informationellen Kontrolle bzw. als Recht auf informationelle Kontrolle über solche (persönlichkeitsnahen) Tat­ sachen und Lebensäußerungen, die im Falle ihres Bekanntwerdens der sozi­ alen Geltung des Betroffenen abträglich wären und sein Leben in der Ge­ meinschaft erschwerten.166 Zur eigenen Rechtsgutsbestimmung arbeitet Rogall sodann jedoch heraus, dass Rechtsgut und Handlungsobjekt zwar zu trennen seien, dass das in § 203 StGB erwähnte Geheimnis aber nur als Handlungsobjekt angesehen werden könne. § 203 StGB diene nach dem Willen des Gesetzgebers und der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Lehre in individualrechtlicher Beziehung dem Schutz der Privatheit (Privatsphäre/Geheimsphäre) des Ein­ zelnen, wobei eindeutig der Gesichtspunkt materieller Privatheit im Vorder­ grund stehe.167 Weitergehend kommt Rogall zu der Folgerung, dass nicht jede Geheimnisverletzung zu einer Beeinträchtigung von Privatheit führen würde, was bei Geheimnissen, die nicht zum persönlichen Lebensbereich gehören, einmal regelmäßig der Fall sei. Die Konsequenz dieser Feststellung könne deshalb nur lauten, dass § 203 StGB gar kein Verletzungsdelikt, son­ dern ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstelle. Er hält dieses Ergebnis so­ dann jedoch selbst unter Strafbedürftigkeitsaspekten für zu weitgehend, weshalb eine dem ultima-ratio-Gedanken verpflichtete Auslegung wenigstens zur Annahme eines abstrakt-konkreten oder potentiellen Gefährdungsdelikts gelangen und nur diejenigen Geheimnisse als tatbestandsmäßig anzusehen seien, die geeignet seien materielle Privatheit oder das Vermögen zu beein­ trächtigen.168 bb) Die Individualsphäre des Einzelnen, Viktimodogmatik Eine umfassende Auseinandersetzung bietet auch Schünemann, welcher das Schutzgut in der Individualsphäre des Einzelnen sieht.169 In einem Bei­ trag aus dem Jahr 1978 hatte sich Schünemann zunächst differenziert mit der Bestimmung der Privatheit anhand der Sphärentheorie auseinandergesetzt.170 165  Rogall, NStZ 1983, 1 (4) – Anmerkung: Der Text Rogalls entstand vor dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in welchem dieses das Recht auf informationelle Selbstbestimmung genauer umschrieb. 166  Rogall, NStZ 1983, 1 (4). 167  Rogall, NStZ 1983, 1 (5). 168  Rogall, NStZ 1983, 1 (5). 169  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 14. 170  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (13 ff.).

120

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

Für die Bestimmung des Schutzgutes des § 203 StGB hält er das Persönlich­ keitsrecht und die damit verbundene Sphärentheorie jedoch für ungeeignet, da sie keine subsumtionsfähigen Regeln zur Konstitution des Schutzberei­ ches böte und man somit nur sehr unpräzise Auskünfte erhalte.171 Darüber hinaus sieht Schünemann auch die Identifizierung der Privatsphäre mit der faktischen Geheimsphäre, also dem tatsächlich nicht allgemeinkundi­ gen Lebensbereich als ungeeignet an. Die Lösung der Wertungsprobleme bei der Tatbestandseingrenzung oder im Rahmen der Rechtswidrigkeit würde durch die schlichte Anknüpfung an die Faktizität nicht gefördert, weil sie keine Ansatzpunkte für eine normative Quantifizierung der Geheimhaltungs­ interessen biete. Erst recht sei sie für die vorzunehmende Bestimmung des strafschutzwürdigen und -bedürftigen privaten Lebensbereiches gänzlich un­ geeignet.172 Dies führt ihn zu einer funktionalen Betrachtung des Privaten, welche er unter Rückgriff auf Westin vornimmt: Der Intimsphäre seien vier miteinander zusammenhängende Funktionen zugeschrieben, die nach einem jahrhunderte­ alten Konsens als wertvoll anerkannt und in den Art. l und 2 GG normativ abgesichert seien. Die vier Elemente seien „die geistige Distanzierung (man braucht nur beschränkt mit anderen zu kommunizieren), dadurch die Mög­ lichkeit der Selbsteinschätzung (man kann in Ruhe über sich nachdenken), die Gefühlsentspannung (man kann sich zurückziehen und alle gesellschaft­ lichen Rollen ablegen) und die persönliche Autonomie (man kann selbst da­ rüber entscheiden, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellen will).“173 Diese vier Funktionen seien nach Schünemann aber selbst nur Mittel zum eigentlichen Zweck, nämlich der höchstmöglichen individuellen Freiheit zur Selbstverwirklichung.174 Die wichtigste Funktion des privaten Geheimbe­ reichs sei somit die „Informationsblockade“ als „wichtigste[s] Mittel zur Begrenzung der staatlichen oder gesellschaftlichen Kontrolle“.175 Die Privat­ sphäre sei das Primäre, welches tief in dem Bereich der individuellen Freiheit verankert sei.176 cc) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Die beiden voranstehenden Ansichten entstanden vor dem Volkszählungs­ urteil des Bundesverfassungsgerichts, in welchem das Recht auf informatio­ 171  Schünemann, 172  Schünemann, 173  Schünemann, 174  Schünemann, 175  Schünemann, 176  Schünemann,

ZStW ZStW ZStW ZStW ZStW ZStW

90 90 90 90 90 90

(1978), (1978), (1978), (1978), (1978), (1978),

11 11 11 11 11 11

(17). (22). (28) m. w. N. (28) m. w. N. (28 f.). (29).



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 121

nelle Selbstbestimmung herausgearbeitet wurde. Nach diesem Urteil wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwen­ dung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Per­ sönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu be­ stimmen.177 Seit diesem Urteil wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in verschiedenen Bereichen konkretisiert und unter anderem festgestellt, dass Angaben eines Arztes über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maß­ nahmen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten betreffen. Damit nähmen sie teil an dem Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewähre. Dabei komme es nicht darauf an, ob derartige Feststellungen Krankheiten, Leiden oder Beschwerden bein­ halten, deren Offenbarung den Betroffenen mit dem Verdacht einer Straftat belasteten, ihm in anderer Hinsicht peinlich oder seiner sozialen Geltung abträglich seien. Vielmehr verdiene der Wille des Einzelnen Achtung, die ärztliche Beurteilung seines Gesundheitszustandes vor fremdem Einblick zu bewahren.178 Die hier zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt somit erkennen, dass zumindest das Verhältnis zwischen Arzt und Patient und die daraus hervortretenden Daten und Erkenntnisse dem Grundrecht auf informa­ tionelle Selbstbestimmung unterfallen. So verwundert es nicht, wenn einige Stimmen das Schutzgut des § 203 StGB, in Anlehnung an die Sphärentheo­ rie, in der Geheimnissphäre des Einzelnen179 oder in dem Rechts auf infor­ mationelle Selbstbestimmung180 sehen. Mit dieser Feststellung ist jedoch noch nicht belegt, dass eine einheitliche Rückführung auf dieses Grundrecht, beziehungsweise dessen Sphären, für alle der in § 203 StGB genannten Be­ rufsgeheimnisträger und den jeweiligen Beziehungen zu diesen möglich ist. Ähnlich schwierig sieht dies auch Schünemann in seiner Kommentierung zu § 203 StGB. Zwar diene die Strafbestimmung in weiten Teilen der Ver­ wirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Persön­ lichkeit. Für die strafrechtliche Beurteilung seien die Systematisierungsver­ suche nach den Sphären aber nur begrenzt hilfreich, da es nur um die Ge­ heimnissphäre gehe. § 203 StGB sei deshalb im Kern konkretisiertes Verfas­ 177  BVerfG

NJW 1984, 419. BeckRS 2006, 18039 Rn. 32. 179  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 1. 180  Fischer, § 203 StGB Rn. 3. 178  BVerfG

122

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

sungsrecht in dem Sinne, dass die Strafandrohung durch das Grundgesetz geboten sei.181 Schumann unterzieht die Frage, ob das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung das Schutzgut des § 203 StGB darstellen kann, einer umfassenden Betrachtung. Seiner Ansicht nach könne das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bereits deshalb nicht als unmittelbare Basis des strafrecht­ lichen Geheimnisschutzes dienen, da es als Abwehrrecht zuvorderst der Ver­ hinderung einer allumfassenden Registrierung und Katalogisierung als auch der Abrufbarkeit eines umfassenden Persönlichkeitsprofils der Person durch staatliche Stellen diene.182 Mittlerweile sei anerkannt, dass dieses Recht über seinen ursprünglichen Schwerpunkt hinaus jede Form der Erhebung, schlich­ ter Kenntnisnahme, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffent­ lichung von persönlichen Informationen zum Gegenstand habe, dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass es als Abwehrrecht zunächst nur vor staatlicher Einflussnahme schütze.183 Schumann bemängelt ferner, dass vier Punkte Anlass zum Zweifel an einer Rückführung der Norm auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ­gäben: 1. die nur ausschnitthafte Erfassung des Schutzbereichs durch die Einschrän­ kung im Adressatenkreis, 2. die Unsicherheit bei der Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG bei Geheimnis­ sen juristischer Personen, 3. die Unvereinbarkeit dieses besonderen Persönlichkeitsrechts auf den post­ mortalen Geheimnisschutz nach § 203 Abs. 4 StGB sowie 4. die reine Beispielhaftigkeit der zum persönlichen Lebensbereich gehören­ den Geheimnisse bei gleichzeitiger Aufnahme von Betriebs- und Ge­ schäftsgeheimnissen.184 Insbesondere der zweite und vierte Kritikpunkt Schumanns verdienen hier eine kurze Besprechung. Grundsätzlich könnten sich Schwierigkeiten bei der Anwendung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auf ju­ ristische Personen als Geheimnisträger im Sinne des § 203 StGB ergeben.185 Dies seien aber letztlich keine anderen als die grundsätzlichen Schwierigkei­ ten, die sich verfassungsrechtlich bei der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG stellten.186 Schumann hebt jedoch hervor, dass der freiheitliche Aspekt klar 181  LK-StGB/Schünemann, 182  Schumann, 183  Schumann, 184  Schumann, 185  Schumann, 186  Schumann,

Prozessuale Prozessuale Prozessuale Prozessuale Prozessuale

§ 203 Rn. 4. Verteidigung Verteidigung Verteidigung Verteidigung Verteidigung

durch durch durch durch durch

Geheimnisverrat, Geheimnisverrat, Geheimnisverrat, Geheimnisverrat, Geheimnisverrat,

S. 149. S. 150. S. 151 m. w. N. S. 152. S. 152.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 123

im Vordergrund stehe, wenn der Einsatz von Informationen des und durch den Einzelnen betroffen sei. Gerade diese Autonomie beim Umgang mit In­ formationen über sich selbst gehöre zum Kern der freien Selbstbestim­ mung.187 Dementsprechend sei es nur konsequent, wenn die verfassungs­ rechtliche Rechtsprechung sowie ein Teil der Verfassungslehre das Recht auf den selbstbestimmten Umgang mit Daten auch juristischen Personen zuer­ kenne.188 Schließlich würden aber Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach Mei­ nung Einiger in der Rechtsprechung und der Literatur nicht unter das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fallen, sondern vielmehr von den inso­ weit durch Art. 14 GG (und Art. 12 GG) gewährleisteten spezielleren Grund­ rechte abgedeckt werden.189 Auch unter verschiedenen Betrachtungen ergäbe sich schließlich, dass der Geheimnisträger in seinem Recht auf informatio­ nelle Selbstbestimmung beim Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnis­ sen nicht betroffen sei.190 Die Ausführungen von Schünemann und Schumann zeigen somit, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die mit diesem Recht ver­ bundene Sphärentheorie nicht problemlos zur Bestimmung des Schutzgutes des § 203 StGB herangezogen werden können. Es ist somit nach einem ei­ genständigen, konkreten Gut zu suchen, welches von § 203 StGB geschützt wird. Ein Bezug zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist mit dieser Suche jedoch nicht verwehrt. d) Eigene Schutzgutbestimmung Eine einheitliche Bestimmung des Schutzgutes des § 203 StGB, welches alle der genannten Berufsgeheimnisträger umfasst, ist möglich, wenn man das abstrakte und konkrete Interesse an der Privatheit bestimmter Tatsachen als das Schutzgut ansieht. Das konkrete Interesse besteht immer dann, wenn durch den Geheimnis­ träger selbst ein Geheimnis unmittelbar oder mittelbar an einen der in § 203 StGB genannten Berufsgeheimnisträger mitgeteilt wird. Das abstrakte Inte­ resse besteht grundsätzlich in Bezug auf alle als privat empfundenen Tat­ sachen. Dieses abstrakte Interesse kann beispielsweise berührt sein, wenn der Geheimnisträger bewusstlos ist und folglich nicht weiß, dass Geheimnisse von einem ihn behandelnden Arzt in Erfahrung gebracht werden oder wenn Prozessuale Prozessuale 189  Schumann, Prozessuale 190  Schumann, Prozessuale 187  Schumann, 188  Schumann,

Verteidigung Verteidigung Verteidigung Verteidigung

durch durch durch durch

Geheimnisverrat, Geheimnisverrat, Geheimnisverrat, Geheimnisverrat,

S. 152. S. 153 m. w. N. S. 155 m. w. N. S. 155 f.

124

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

das Geheimnis dem Berufsgeheimnisträger von einer anderen Person mitge­ teilt wurde. Das hier bezeichnete Interesse muss immer konkretisierbar sein. Es wird gerade nicht abstrakt vorausgesetzt, wie bei der Gemeinschaftslehre, sondern muss bereits in einer bestimmten Person, nämlich dem Geheimnis­ träger, angelegt sein. Das abstrakte und konkrete Interesse natürlicher Personen kann auch gleichlaufend mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung sein, wenn es um eine Geheimnisoffenbarung gegenüber einer staatlichen Stelle geht. Allerdings sind nicht der persönliche Lebens- und Geheimnisbereich geschützt, sondern das abstrakte und konkrete Interesse an der „Privatheit“ dieses Bereiches. Die „Privatheit“ meint hier das konkrete Privatsein und Privatbleiben bestimmter Informationen, insbesondere das rein individuelle Wissen um eine bestimmte Information oder das Wissen eines beschränkten und eingrenzbaren Personenkreises bezüglich der betreffenden Informatio­ nen. Somit wird das geschützte Gut konkretisiert und fällt nicht unter den weiten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern findet sich in einer individualisierbaren Ausformung desselben. Bezogen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wird ebenfalls das abs­ trakte und konkrete Interesse an der Privatheit geschützt. In diesen Fällen muss sich kein Bezug zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung herleiten lassen, sondern das Interesse an der Privatheit ist entscheidend. Die Beschränkung des Täterkreises lässt sich mithin auch nach der hier vertretenen Ansicht durch eine viktimodogmatische Betrachtung erklären.191 Wird die Gemeinschaftsschutzlehre abgelehnt, so ist die Ausgestaltung des § 203 StGB als Sonderdelikt, also die Einschränkung des Tatbestandes auf den Schutz der Geheimnisse in den Händen nur bestimmter Vertrauensperso­ nen, nur dann überzeugend, wenn sie durch ein anderes normatives Prinzip zu erklären ist.192 Dies kann mithilfe der Viktimodogmatik erfolgen, deren These im Kern darin besteht, dass die Verhängung von Strafe als ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht am Platz ist, wenn das Opfer kei­ nen Schutz verdient und keines Schutzes bedarf.193 Daraus ließe sich die Auslegungsmaxime ableiten, diejenigen Verhaltensweisen aus dem Strafbar­ keitsbereich zu eliminieren, gegenüber denen sich das Opfer in anderer Weise selbst schützen könnte.194 So bleibe für § 203 StGB festzuhalten, dass die 191  Dies folgt den Überlegungen Schünemanns, s. LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn.  16 f. 192  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 16. 193  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 16. 194  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 16.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 125

vom Gesetzgeber hier normierte Strafbarkeit gerade nicht durch eine bloße Rechtsgutsbetrachtung, sondern nur viktimodogmatisch erklärt werden kön­ ne.195 Nachvollziehbar ist die Argumentation Schünemanns, wonach der histori­ sche Gesetzgeber nur bei bestimmten Berufen einen „faktische[n] Zwang, die eigenen Geheimnisse fremden Personen anzuvertrauen“, gesehen habe. So ergebe eben nur dort, wo der Selbstschutz des Opfers in dieser Weise versagen müsse, weil das Opfer gerade zur Öffnung seiner Geheimnissphäre „gezwungen“ sei, ein Eingreifen des Strafschutzes Sinn. Die Anpassung des § 203 StGB und die Ausdehnung des Täterkreises sei dementsprechend nichts anderes als die Anpassung des Rechts an die durch soziale Verände­ rungen eingetretenen Offenbarungszwänge.196 Die viktimodogmatische Betrachtungsweise liefert insofern die Erklärung des beschränkten Täterkreises. Dies gilt auch, wenn das Schutzgut des § 203 StGB als abstraktes und konkretes Interesse an der Privatheit bestimmter Tatsachen definiert wird und diese Betrachtungsweise kann somit auch die hier vertretene Ansicht stützen. 5. Zusammenfassende Betrachtung Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Schutzgut des § 203 StGB das abstrakte und konkrete Interesse an der Privatheit bestimmter Tatsachen ist. Dieses ist als Individualschutzgut ausgestaltet und nicht in einem kollektiven Sinne zu verstehen. Es besteht auch gerade in Bezug auf die von § 203 StGB genannten Berufsgeheimnisträger, da sich der Geheimnisträger regelmäßig einem faktischen Zwang zur Offenbarung gegenübersieht, wenn er die Hilfe des jeweiligen Berufsgeheimnisträger in Anspruch nehmen will.

II. Tatbestand Der § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB sanktioniert die unbefugte Geheim­ nisoffenbarung durch einen Arzt. Dabei muss ihm das Geheimnis gerade in seiner Eigenschaft als solcher anvertraut oder bekannt worden sein. 1. Geheimnis Zur Definition des Merkmals „Geheimnis“ werden in der Regel drei Teil­ elemente herangezogen: das faktische Element des Geheimseins, das volun­ 195  LK-StGB/Schünemann, 196  LK-StGB/Schünemann,

§ 203 Rn. 16. § 203 Rn. 16.

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2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

tative Element des Geheimhaltungswillens und das normative Element des Geheimhaltungsinteresses.197 Weitgehend unstrittig ist dabei das faktische Element, wonach Geheim­ nisse zunächst wahre Tatsachen sind.198 Gegenstand des Geheimnisses kön­ nen nur Tatsachen sein, die sich auf die betroffene Person und/oder deren Lebensumstände beziehen.199 Welchem Lebensbereich das Geheimnis ent­ springt ist unbeachtlich, da das Gesetz nur beispielhaft, „namentlich“, ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebsoder Geschäftsgeheimnis benennt.200 Umfasst sind insbesondere nicht nur solche Tatsachen, die dem beruflichen Bereich des Schweigepflichtigen zu­ zuordnen sind.201 Im Arzt-Patienten-Verhältnis fallen nicht nur Informationen aus Anamnese, Diagnose und Therapie, sondern auch alle familiären, persön­ lichen und finanziellen Umstände des Patienten unter den Geheimnisbe­ griff.202 Auch die Tatsache, dass der Patient überhaupt einen Arzt aufgesucht hat, sei es zu einem einmaligen Gespräch oder einer länger andauernden Behandlung, stellt ein Geheimnis dar.203 Die Tatsachen müssen einer bestimmten Person zuzuordnen sein, der Ge­ heimnisträger muss also erkennbar sein.204 Dabei reicht es aus, dass aufgrund der erhaltenen Informationen eine Identifizierung der Person des Geheimnis­

197  Vgl. OLG Hamm NJW 2001, 1957; Bosch, Jura 2013, 780 (781); SSW-StGB/ Bosch, § 203 Rn. 2; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 230; MüKoStGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 13; Fischer, § 203 StGB Rn. 8 f.; Lackner/Kühl/ Heger, § 203 Rn. 14; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 2; LK-StGB/ Schünemann, § 203 Rn. 19; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 28; a. A. SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 11; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6 ff. 198  Bock/Wilms, JuS 2011, 24 (25); Bosch, Jura 2013, 780 (781); Braun, in: Roxin/ Schroth, Medizinstrafrecht, S. 230; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 16; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 5; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 14; SK-StGB/ Hoyer, § 203 Rn. 12; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203– 205 StGB Rn. 2. 199  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 12 f.; Fischer, § 203 StGB Rn. 7. 200  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 3; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 230; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 14; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 9; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 14; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 20; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 6. 201  Müller-Dietz, in: Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, S. 39 (41). 202  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 231; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 2. 203  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 15; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203– 205 StGB Rn. 2. 204  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 2; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 20.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 127

trägers ermöglicht wird.205 Die Tatsache muss schließlich nicht besonders heikel und auch nicht rechtlich oder moralisch missbilligt sein, um ein Ge­ heimnis darzustellen.206 Meinungen und Werturteile sind hingegen keine Tatsachen, allerdings kann der Umstand, dass jemand eine bestimmte Meinung oder ein Werturteil geäu­ ßert hat oder vertritt, ein Geheimnis darstellen und somit unter den Tatbe­ stand fallen.207 Bei genauer Betrachtung ist zudem zwischen Werturteilen und Wertungen im Sinne von Schlussfolgerungen zu differenzieren. So stel­ len Werturteile selbst keine Tatsachen dar und unterfallen somit auch nicht dem Geheimnisbegriff.208 Wertungen und Schlussfolgerungen können hinge­ gen Geheimnisse darstellen, die kraft besonderer Sachkunde vorgenommen werden.209 Somit können auch ärztliche Schlussfolgerungen Geheimnisse sein, da in diesem Falle die Tatsachen und die Wertungen untrennbar mitein­ ander verbunden sind.210 Geheim ist eine Tatsache dann, wenn sie lediglich einem beschränkten Personenkreis bekannt ist.211 Auch Tatsachen, die Dritten bekannt sind, kön­ nen demnach noch Geheimnisse darstellen.212 Erforderlich ist jedoch, dass der Personenkreis der „Wissenden“ nach bestimmten Merkmalen abgegrenzt ist.213 Der Personenkreis der Eingeweihten muss überschaubar sein, dies liegt insbesondere vor, wenn seine Mitglieder bestimmt oder bestimmbar bezie­

205  SSW-StGB/Bosch,

Rn. 2.

§ 203 Rn. 2; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB

206  Matt/Renzikowski/Altenhain,

§ 203 Rn. 12. § 203 Rn. 12; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 14; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 5; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 12; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 20. 208  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 12; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 14; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6; LKStGB/Schünemann, § 203 Rn. 20. 209  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 14; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6. 210  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 20. 211  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 15; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 4; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 231; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 17; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 6; Fischer, § 203 StGB Rn. 8; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 14; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 12; MedR-Komm/ Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 30. 212  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 6; Fischer, § 203 StGB Rn. 8. 213  Bosch, Jura 2013, 780 (781); Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 231. 207  Matt/Renzikowski/Altenhain,

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2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

hungsweise noch kontrollierbar sind.214 Wann die Anzahl der Mitwissenden eine Tatsache aus dem Geheimsein heraushebt, ist bei Würdigung der Um­ stände des Einzelfalles zu ermitteln.215 Nicht geheim sind Tatsachen, die je­ dermann kennt oder offenkundig wahrnehmen kann.216 Nach der wohl überwiegenden Ansicht217 ist zudem ein Geheimhaltungs­ wille des Betroffenen erforderlich. Der Geheimhaltungswille wird dabei teilweise zum Bestandteil des Geheimnisbegriffs selbst gemacht.218 Er brau­ che nicht ausdrücklich erklärt oder sonst kundgetan zu werden, sondern es genüge, wenn er vorhanden sei.219 Ebenso reiche das Vorliegen eines mut­ maßlichen Geheimhaltungswillens aus.220 Der Geheimhaltungswille folge regelmäßig aus der Natur der mitgeteilten Tatsachen.221 Somit fehlt es von vorneherein an einem Geheimnis, wenn die Tatsachen zur Weitergabe an beliebige Dritte mitgeteilt werden, also kein Wille zu deren Geheimhaltung bestehe.222 Auch Unmündige oder psychisch beeinträchtigte Personen könnten einen Geheimhaltungswillen haben, wobei zunächst der natürliche Wille des Be­ troffenen maßgeblich sei. Habe ein solcher Geheimnisträger einen gesetzli­ chen Vertreter, dem die Verfügung über das Geheimnis zustehe, so sei dessen Willen maßgeblich.223 Die Kritiker bemängeln in diesem Zusammenhang unter anderem, dass bereits der konkludente Geheimhaltungswille ausreichen solle oder sogar 214  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 15; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 4; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 231; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 6; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 12; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 22. 215  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 232. 216  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 232; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 3; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 30. 217  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 5; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 232; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 19; Fischer, § 203 StGB Rn. 9; LKStGB/Schünemann, § 203 Rn. 24; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 28; a. A. Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 18; Bock/Wilms, JuS 2011, 24 (25); Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 5; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 5. 218  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 19; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 24. 219  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 233; MüKo-StGB/Cierniak/ Niehaus, § 203 Rn. 19; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 24. 220  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 5; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 19; Fischer, § 203 StGB Rn. 9; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 5. 221  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 24. 222  LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 25. 223  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 233; MüKo-StGB/Cierniak/ Niehaus, § 203 Rn. 21; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 26.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 129

eine Willensvermutung genügen würde.224 Dies würde dazu führen, dass Unterstellungen zur Grundlage für strafrechtliche Sanktionen würden. For­ dere man hingegen das Vorliegen eines konkreten Geheimhaltungswillens, würde dies zu erheblichen Einschränkungen des Geheimnisschutzes füh­ ren.225 Ferner seien auch Konstellationen denkbar, in denen die betreffende Per­ son von der geheimhaltungsbedürftigen Tatsache gar keine Kenntnis habe, etwa weil sie bewusstlos war und sich folglich auch keinen Geheimhaltungs­ willen bilden konnte.226 Dem wird entgegnet, dass in solchen Fällen auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen abgestellt werden könne, auf welchen aus dem erkennbaren Interesse an der Geheimhaltung der Tatsache geschlos­ sen werden könne.227 Der Streit um das Vorliegen eines Geheimhaltungswillens erlangt vor al­ lem dann Bedeutung, wenn es um den Ausschluss bestimmter Tatsachen aus dem Geheimnisbegriff geht. Wird ein Geheimhaltungswillen vorausgesetzt, so werden Lappalien oder Bedeutungslosigkeiten immer dann nicht unter den Begriff des Geheimnisses zu fassen sein, wenn sie nicht von einem Geheim­ haltungswillen getragen werden. Im Übrigen kann dieser Ausschluss jedoch unter dem Geheimhaltungsinteresse vorgenommen werden. So wird in die­ sem Zusammenhang angenommen, dass in Bezug auf Bagatellen ein Ge­ heimhaltungsbedürfnis zu verneinen sein dürfte.228 Das Geheimhaltungsinte­ resse diene somit an dieser Stelle als Korrektiv dafür, Lappalien oder Be­ langlosigkeiten aus dem Tatbestand auszuschließen.229 Schließlich muss der Geheimnisträger ein schützenswertes objektives Ge­ heimhaltungsinteresse haben.230 Dieses Merkmal erlangt regelmäßig dann besondere Bedeutung, wenn das Vorliegen eines Geheimhaltungswillens ab­ gelehnt wird. Es wird aber von fast allen Stimmen im Schrifttum verlangt.231 224  Matt/Renzikowski/Altenhain,

§ 203 Rn. 18. § 203 Rn. 18. 226  Bock/Wilms, JuS 2011, 24 (25); SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 11. 227  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 233; MüKo-StGB/Cierniak/ Niehaus, § 203 Rn. 19. 228  Bock/Wilms, JuS 2011, 24 (25); Bosch, Jura 2013, 780 (781); Matt/Renzikow­ ski/Altenhain, § 203 Rn. 16; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 233; Fischer, § 203 StGB Rn. 9; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 27. 229  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 233. 230  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 16; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2, 5; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 23; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 27; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 28; Fischer, § 203 StGB Rn. 9; a. A. NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 7 f. 231  Die Ausnahme bildet hier Kargl, welcher allein einen Geheimhaltungswillen für erforderlich hält, s. NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 8. 225  Matt/Renzikowski/Altenhain,

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2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

Das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung der Tatsachen muss sachlich begründet und verständlich sein.232 Dies ist jedoch nicht an objekti­ ven Kriterien, sondern allein nach subjektiv-individuellen Maßstäben zu be­ stimmen.233 Grundsätzlich besteht kein allgemeiner Maßstab, nach welchem das Geheimhaltungsinteresse zu bestimmen ist.234 Es kommt dabei auch nicht auf eine rechtliche Billigung oder sittliche Anerkennung der jeweiligen Tatsachen an, da auch ein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung von Verfehlungen und Straftaten bestehen kann.235 Die Geheimhaltungsbedürftigkeit endet nicht mit dem Tod des Geheim­ nisträgers, sondern besteht postmortal fort.236 Gemäß § 203 Abs. 5 StGB genügt es, dass das Geheimnis zum Todeszeitpunkt für den Täter fremd war.237 Unter den Geheimnisschutz fallen schließlich auch solche Wahrneh­ mungen, die erst nach dem Tod des Patienten, etwa vom Pathologen, ge­ macht werden.238 2. Fremd Ferner muss das Geheimnis für den Täter fremd sein. Es muss sich also auf eine andere Person beziehen und in deren Geheimnissphäre fallen.239 Das Geheimnis muss nicht notwendigerweise einem Einzelnen gehören, sondern kann auch ein Gemeinschaftsgeheimnis sein.240 Auch nach dem Tod einer Person bildet das zuvor ihr gehörende Geheimnis weiterhin ein taugliches 232  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 16; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 5; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 23; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 7. 233  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 5; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 234; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 27; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 5. 234  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 16. 235  Bosch, Jura 2013, 780 (781); Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 234; Fischer, § 203 StGB Rn. 9; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 23, 24; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 7; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztRHdB § 140 Rn. 5. 236  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 5. 237  SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 15. 238  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 235; Müller-Dietz, Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, S. 39 (S. 43). 239  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 234; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 4; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 8; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 14; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 9; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 30; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 31. 240  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 235; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 30.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 131

Tatobjekt.241 Zwar sind zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheim­ nisse einer Person ab ihrem Todeseintritt herrenlos, nach § 203 Ab. 4 StGB genügt es aber, dass sie zum Todeszeitpunkt fremd waren.242 Darüber hinaus sollen auch die Wahrnehmungen, welche ein Pathologe an der Leiche macht, unter den Schutz des § 203 StGB fallen.243 3. In bestimmter Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden Tauglicher Täter kann nur sein, wer im Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Geheimnisses einer der in § 203 Abs. 1 StGB genannten Berufsgruppen angehört.244 Der § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB nennt ausdrücklich den Arzt als tauglichen Täter. Die Zugehörigkeit zu der Berufsgruppe der Ärzte richtet sich nach § 2 Abs. 5 BÄO, wonach die „Ausübung des ärztlichen Berufs […] die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung ‚Arzt‘ oder ‚Ärz­ tin‘ “ ist. Hier ist auf § 2a BÄO zurückzugreifen. Demnach ist die Führung der Berufsbezeichnung als Arzt oder Ärztin denjenigen Personen vorbehal­ ten, welche als Arzt approbiert oder nach § 2 Abs. 2, 3 oder 4 BÄO zur Ausübung des ärztlichen Berufs befugt sind. Der Arzt ist dabei nicht nur derjenige, der den Patienten direkt behandelt, sondern auch der Laborarzt, welcher im Rahmen der Behandlung tätig wird oder ein Pathologe.245 Auch sämtliche Sonderformen der ärztlichen Berufs­ ausübung wie zum Beispiel der Amtsarzt, Musterungsarzt, Truppenarzt, Be­ triebsarzt und Anstaltsarzt fallen hierunter.246 Ferner soll es nach einigen Stimmen sogar unerheblich sein, ob der Arzt zur Zeit der Tat überhaupt noch Berufsträger ist oder ob ihm die Approbation bereits entzogen wurde.247 Es komme vielmehr auf die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen an, wel­ cher sein Gegenüber für einen Arzt halte.248 Durch die gesetzliche Formulierung „anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist“ soll ein umfassender Schutz gewährleitet werden, indem es 241  SK-StGB/Hoyer,

§ 203 Rn. 14; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 30. § 203 Rn. 15; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 10. 243  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 235. 244  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 7. 245  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 227; Hilgendorf, Einführung in das Medizinstrafrecht, 9. Kapitel Rn. 8. 246  Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 16; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 11; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 154. 247  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S.  227; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 16; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 8. 248  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 227; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 8. 242  SK-StGB/Hoyer,

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2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

nicht darauf ankommt, ob sich der Patient dem Arzt direkt offenbart oder der Arzt auf andere Weise von dem Geheimnis Kenntnis erlangt hat.249 Ein Geheimnis ist dem Arzt anvertraut, wenn es ihm unter Umständen mitgeteilt wird, aus denen sich eine Pflicht zur Verschwiegenheit ergibt.250 In Bezug auf das Anvertrauen ergibt sich die Pflicht zur Geheimhaltung aus den Umständen, unter denen der Berufsschweigepflichtige von dem Betroffenen oder einem Dritten eingeweiht wurde, sofern nicht ausdrücklich um Ver­ schwiegenheit gebeten wurde.251 Das Geheimnis ist „sonst bekannt geworden“, wenn der Arzt durch eigene oder fremde Handlungen von diesem Kenntnis erlangt.252 Entscheidend ist hierbei, dass die Kenntniserlangung kraft der Berufsausübung stattfindet.253 Das Bekanntwerden muss allerdings nicht im Rahmen einer Vertrauensbezie­ hung oder einer Sonderbeziehung geschehen.254 Daher ist auch das Bekannt­ werden im Rahmen „unfreiwilliger Sonderbeziehungen“, wie im Verhältnis zwischen Arzt und Patient im Strafvollzug, geschützt.255 Aber auch die Kenntnisnahme durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen.256 Das Geheimnis muss dem Arzt gerade in seiner Eigenschaft als solcher anvertraut oder bekannt geworden sein.257 Ein Geheimnis wird dem Arzt „als“ solchem anvertraut, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem Mitteilen oder der Kenntnisnahme und der Ausübung seines Berufes be­ 249  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 238; Müller-Dietz, in: Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, S. 39 (42); SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 7. 250  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 20; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 51; Fischer, § 203 StGB Rn. 11; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 35. 251  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 6. 252  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 7; Fischer, § 203 StGB Rn. 12; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 10. 253  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 20 f.; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 7; Fischer, § 203 StGB Rn. 12; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 15. 254  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 20; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 7; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 238; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 52; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 16; a. A. Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 15, der aber für alle der benannten Berufsgruppen eine Sonderbeziehung bejaht. 255  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 20; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 7; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 52; Fischer, § 203 StGB Rn. 12. 256  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 238; MüKo-StGB/Cierniak/ Niehaus, § 203 Rn. 52; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 16; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 9. 257  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 21; Fischer, §  203 StGB Rn. 10; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 45; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 13; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 21; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 34; MedR-Komm/ Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 37.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 133

steht.258 Der innere Zusammenhang bedeutet nicht, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Arztes bestehen muss.259 So ist auch der Patient, der dem Arzt „sein Herz ausschüttet“ vor dem Geheim­ nisverrat geschützt.260 Die Kenntnisnahme des Geheimnisses muss ihm ge­ währt oder möglich geworden sein, weil er Arzt ist.261 Dabei ist es gleichgül­ tig, ob die Wahrnehmungsmöglichkeit auf einem besonderen Vertrauensakt beruht oder nicht.262 Somit werden auch Informationen, welche der Arzt im Rahmen seiner Tätigkeit als (gerichtlicher bestellter) Sachverständiger er­ langt, ihm in seiner Eigenschaft „als“ Arzt anvertraut oder bekannt gewor­ den.263 Ferner kommt es nicht darauf an, ob dem Arzt das Geheimnis in seiner Praxis mitgeteilt wird oder er es zufällig, etwa bei einem Hausbesuch aufschnappt,264 ob er im Dienst ist oder nicht.265 Auch das bei einem gesell­ schaftlichen Anlass mitgeteilte Geheimnis wird erfasst, wenn ein beruflicher Zusammenhang besteht.266 Der innere Zusammenhang kann gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und des Normzwecks ermittelt werden.267 4. Offenbaren Offenbaren ist jegliche Form der Mitteilung des Geheimnisses an einen Dritten, welcher von diesem noch keine oder keine sichere Kenntnis hat.268 258  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 6; Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 236; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 46; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 15; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 13; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 24 f.; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 38. 259  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 46; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 14. 260  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 46; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 14; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 14. 261  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 46; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 38. 262  BGH NJW 1993, 803 (804); a. A. LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 38. 263  Bosch, Jura 2013, 780 (783); LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 125; MedRKomm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 38. 264  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 237; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 14; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 37. 265  Matt/Renzikowski/Altenhain, §  203 Rn.  21; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 46. 266  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 21; Braun, in: Roxin/Schroth, Medi­ zinstrafrecht, S. 237; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 46; Schönke/Schrö­ der/Eisele, § 203 Rn. 14. 267  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 238. 268  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 23; Fischer, § 203 StGB Rn. 33; Lack­ ner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 17; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 54; Schönke/

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2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

Das Geheimnis darf dem Dritten gänzlich, teilweise oder in der mitgeteilten Form noch nicht bekannt sein.269 Ob der Empfänger das Geheimnis noch nicht kennt, ist stets nach objektiven Kriterien zu beurteilen und nicht aus der Sicht des sich offenbarenden Berufsgeheimnisträger.270 Ein Offenbaren ist auch durch Unterlassen möglich, sofern der Täter eine Garantenstellung innehat. Die im Tatbestand benannten besonderen Tätereigenschaften be­ gründen eine besondere Pflichtenstellung.271 Die Offenbarung in Form der Mitteilung kann mündlich oder schriftlich erfolgen.272 Auch eine Gewährung von Akteneinsicht, die Übergabe einer Patientenkartei oder die Übermittlung von Behandlungsunterlagen sind Of­ fenbarungen.273 Bei gesprochenen Geheimnissen ist ein Offenbaren dann er­ füllt, wenn der Dritte dieses hört und zur Kenntnisnahme nimmt.274 In Bezug auf verkörperte Geheimnisse ist strittig, ob für das Offenbaren bereits die Möglichkeit der Kenntnisnahme für den Dritten ausreichend sein soll,275 ob der Dritte diese Möglichkeit zusätzlich auch erkannt haben muss276 oder ob der Dritte sogar den Gewahrsam an der Verkörperung erlangt haben muss.277 Würde man bereits die Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreichen lassen, führte dies jedoch zu einer Vorverlagerung der Strafbarkeit, welche mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar sei. Der Wortlaut stelle auf ein „Of­ fenbaren“ ab, was in der Regel eine Handlung meine, mit der etwas für einen anderen zur Kenntnis gemacht wird, was dieser bisher nicht wusste oder et­ was für jemanden offenkundig gemacht würde.278 Gegen eine Erweiterung Schröder/Eisele, § 203 Rn. 21; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 19; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 31; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 28; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 12. 269  Fischer, § 203 StGB Rn. 34; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 33. 270  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 54; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 41. 271  Matt/Renzikowski/Altenhain, §  203 Rn.  25; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 58; Fischer, § 203 StGB Rn. 35; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 31; NKStGB/Kargl, § 203 Rn. 19a. 272  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 20; Fischer, § 203 StGB Rn. 33. 273  Matt/Renzikowski/Altenhain, §  203 Rn.  24; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 58; Fischer, § 203 StGB Rn. 33. 274  Matt/Renzikowski/Altenhain, §  203 Rn.  26; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 58; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 20; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 31. 275  Cornelius, StV 2016, 380 (383); Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 239; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 20; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 29; Langkeit, NStZ 1994, 6. 276  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 31. 277  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 58; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 31; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 20; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 41. 278  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 27.



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 135

sprächen zudem systematische Gründe, da der Gesetzgeber in anderen Vor­ schriften den Begriff des „zugänglich machen“ verwende, um das bloße Verschaffen einer Möglichkeit zur Kenntnisnahme zu erfassen.279 Somit wird zumindest zu verlangen sein, dass der Dritte, sei es auch nur für einen kurzen Moment, den Gewahrsam an dem verkörperten Geheimnis erlangt haben muss. Dafür wird es ausreichend sein, dass der Dritte ein Schriftstück für einen Moment an sich nimmt, um die darin enthaltenen Tatsachen zu lesen. Die Offenbarung muss die geheime Tatsache und in der Regel auch die Person des Geheimnisträgers umfassen.280 Bei einem aus dem persönlichen Lebensbereich stammenden Geheimnis muss zumindest eine Identifikation des Geheimnisträgers für mindestens einen Dritten möglich sein.281 Für die Beurteilung der Mitteilung als ein Offenbaren ist es unerheblich, ob der Dritte seinerseits schweigepflichtig ist.282 Bei restriktiver Auslegung fehlt es jedoch dann an einem Offenbaren, wenn die Adressaten als Ärzte bei arbeitsteiliger Betreuung in die Behandlung eingebunden sind und ihnen das Wissen in dieser Position übermittelt wird.283 Auch gegenüber Familienange­ hörigen des Berufsgeheimnisträgers und des Geheimnisträgers selbst oder anderen nahestehenden Personen liegt ein Offenbaren vor, wenn der Empfän­ ger das Geheimnis noch nicht kennt.284 Gegenüber dem Personal des Schweigepflichtigen scheidet ein Offenbaren aus.285 Dies wird bereits durch § 203 Abs. 3 S. 1 StGB verdeutlicht, wonach ein Offenbaren nicht vorliegt, wenn der Arzt ein Geheimnis den bei ihm „berufsmäßig tätigen Gehilfen“ oder „zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen“ zugänglich macht.

279  Matt/Renzikowski/Altenhain,

§ 203 Rn. 27. § 203 Rn. 25; Bosch, Jura 2013, 780 (786); Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 239; Fischer, § 203 StGB Rn. 33; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 42. 281  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 28; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 54; Fischer, § 203 StGB Rn. 33. 282  Matt/Renzikowski/Altenhain, §  203 Rn.  28; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 55; Fischer, § 203 StGB Rn. 35; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 29; SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 28; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 12. 283  Braun, in: Roxin/Schroth, Medizinstrafrecht, S. 239 f.; MüKo-StGB/Cierniak/ Niehaus, § 203 Rn. 55; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 29; i. Erg. auch Fischer, § 203 StGB Rn. 35. 284  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 54; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 32. 285  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 56; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 43a. 280  Matt/Renzikowski/Altenhain,

136

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

5. Unbefugt Die dogmatische Einordnung des Merkmals „unbefugt“ ist umstritten. Nach einer Ansicht solle es sich um die Abkürzung für die Worte „ohne Einwilligung des Betroffenen“ handeln und somit ein Tatbestandsmerkmal darstellen.286 Die herrschende Meinung sieht in dem Merkmal „unbefugt“ einen Hinweis auf Rechtfertigungsmöglichkeiten.287 Schließlich wird auch vertreten, es handele sich um einen Blankettbegriff,288 welcher sowohl auf das Fehlen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses als auch auf die Rechtswidrigkeit verweise.289 Für die erste Ansicht spricht, dass das Geheimnis nicht vom Willen des Berechtigten getrennt werden kann. Gegen dieses Argument spreche jedoch, dass dies nur zutreffe, wenn der Betroffene mit der Einwilligung auf die Geheimhaltung insgesamt verzichte; anderenfalls hebe die Einwilligung nicht die allgemeine tatbestandliche Schranke der Geheimnis-Qualität auf.290 Fer­ ner wird kritisiert, dass die erste Ansicht Fragen der Auslegung des Geheim­ nisbegriffs und einer Rechtfertigung durch Einwilligung vermengen würde.291 Sofern als konstituierendes Element des Geheimnisbegriffs ein Geheimhal­ tungswillen vorausgesetzt wird, wäre bei Fehlen dieses Willens bereits kein Geheimnis vorhanden und der Tatbestand aus diesem Grunde ausgeschlossen. Insofern muss das Merkmal „unbefugt“ als Hinweis auf Rechtfertigungsmög­ lichkeiten verstanden werden, wenn ein Geheimhaltungswille gefordert wird. Die einzelnen Rechtfertigungsmöglichkeiten wurden bereits im voranste­ henden Kapitel ausführlich diskutiert.292

286  OLG

Köln NJW 1962, 686 (687 f.) m. Anm. Bindokat. JuS 2011, 24 (27); SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 32; Fischer, § 203 StGB Rn. 61; SK-StGB/Hoyer, Vorbem. Vor § 201 Rn. 13; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 71; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 50; Rogall, NStZ 1983, 1 (6); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 141 Rn. 1; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 119. 288  BVerfG NJW 1981, 329 (335 f.); Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 32. 289  Matt/Renzikowski/Altenhain, §  203 Rn.  34; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 62; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 32; Schönke/Schröder/ Eisele, § 203 Rn. 29; MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 43; Beck­ OK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 38; insoweit offen gelassen Braun, in: Roxin/ Schroth, Medizinstrafrecht, S. 241. 290  Fischer, § 203 StGB Rn. 62. 291  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 32; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 97. 292  S. oben 1. Kapitel B. und C. 287  Bock/Wilms,



C. Der strafrechtliche Umfang: § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 137

6. Besonderheiten bei Drittgeheimnissen Abschließend sollen an dieser Stelle kurz die Drittgeheimnisse unter ver­ schiedenen Aspekten diskutiert werden. Drittgeheimnisse sind all diejenigen Geheimnisse, welche nicht oder nicht ausschließlich den Patienten selbst betreffen, sondern (auch) einen Dritten.293 Grundsätzlich stellt auch ein Dritt­ geheimnis begrifflich ein für den Arzt fremdes Geheimnis dar.294 Für die Kenntnisnahme des Arztes ist es ferner unerheblich, ob der sich Anvertrau­ ende selbst oder ein Dritter der Geheimnisträger ist.295 Sofern man für den Geheimnisbegriff auch einen Geheimhaltungswillen und ein Geheimhal­ tungsinteresse fordert, muss dieses in der Person des Dritten vorliegen.296 Die Behandlung von Drittgeheimnissen und deren Teilnahme am Schutz des § 203 StGB ist jedoch im Einzelnen umstritten.297 Zunächst ist strittig, ob Drittgeheimnisse überhaupt dem Geheimnisbegriff des § 203 StGB unter­ fallen oder generell aus dessen Schutzbereich auszuklammern sind. Unpro­ blematisch sind diejenigen Tatsachen, welche notwendigerweise oder zwangsweise miterhoben werden müssen, wie etwa Vorerkrankungen inner­ halb der Familie, als Geheimnisse im Sinne des § 203 StGB anzusehen.298 Daneben wird teilweise auch bei weiteren Zusammenhängen zum Mitteilen­ den und der beruflichen Tätigkeit eine Einbeziehung befürwortet,299 teilweise wird aber auch gar keine Einschränkung vorgenommen.300 Nach der ersten Ansicht sind also nur diejenigen Drittgeheimnisse unter den Tatbestand zu fassen, welche dem Berufsgeheimnisträger gerade mit Blick auf seine Geheimhaltungspflicht mitgeteilt werden oder nur deshalb zur Kenntnis gelangt sind, weil der Dritte hierauf mit Blick auf die Geheim­

293  Fischer, § 203 StGB Rn. 13; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 39; MedRKomm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 32a. 294  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 8; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 27; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 33. 295  Müller-Dietz, Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, S. 39 (S. 42); NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 17; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 8; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 1. 296  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 27. 297  S. zu einzelnen Fallgruppen auch Stucke, Berufliche Schweigepflicht bei Dritt­ geheimnissen als Vertrauensschutz, S. 134 ff. 298  Bosch, Jura 2013, 780 (782); Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 14; SSWStGB/Bosch, § 203 Rn. 8; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 17. 299  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 14; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 23; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 18; wohl auch Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 14; Spick­ hoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 27; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 39. 300  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 27 f.

138

2. Kap.: Umfang der ärztlichen Schweigepflicht

haltungspflicht hat vertrauen müssen.301 Der Berufsgeheimnisträger dürfe von dem Geheimnis also gerade nicht wie ein beliebiger Dritter erfahren haben, sondern es müsse zumindest noch ein Bezug zu der tatbestandlichen voraus­ gesetzten Situation des Anvertrauens bestehen.302 Insbesondere das ärztliche Beratungsgespräch könne bei ganzheitlicher Betrachtung nicht auf die Mit­ teilung der behandlungsrelevanten Tatsachen beschränkt werden.303 Nach der zweiten Ansicht wird auch vertreten, dass Drittgeheimnisse ge­ nerell als Geheimnisse im Sinne der Norm anzusehen sind, ohne dass es ei­ ner Einschränkung bedürfte.304 Für die Einschränkungen gebe der Wortlaut, nach dem das Erlangen eines Geheimnisses in beruflicher Eigenschaft ge­ nügt, keine Stütze.305 Für die erste Ansicht spricht vor allem die Ausgestaltung des § 203 StGB als Sonderdelikt, welcher gerade in einer bestimmten Beziehung zwischen Berufsschweigepflichtigem und Mitteilendem Anwendung findet.306 Es ist daher grundsätzlich zu fordern, dass der Berufsschweigepflichtige das Dritt­ geheimnis aufgrund seiner besonderen Stellung oder zumindest im Zusam­ menhang mit dieser erfährt. Anderenfalls würde die Strafbarkeit unverhält­ nismäßig ausgedehnt. Berufsschweigepflichtige würden sich dann immer strafbar machen, wenn sie Geheimnisse, welche sie rein privat erfahren, an Dritte weitererzählen würden.

301  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 14; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 23; wohl auch MedR-Komm/Tsambikakis/Kessler, § 203 StGB Rn. 32a. 302  Bosch, Jura 2013, 780 (782); SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 8. 303  Bosch, Jura 2013, 780 (782). 304  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 27 f. 305  MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 28. 306  Matt/Renzikowski/Altenhain, § 203 Rn. 14.

3. Kapitel

Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes Im folgenden Kapitel sollen zentrale Anzeige- und Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes aus §§ 138 i. V. m. 139 Abs. 3 StGB, § 182 Abs. 2 StVollzG bzw. den Landesstrafvollzugsgesetzen und § 114e StPO untersucht werden. Die genannten Rechtsnormen richten sich nicht ausschließlich an Anstalts­ ärzte, daher soll zunächst der jeweilige Regelungsadressat der Norm und die Geltung der Norm für den Anstaltsarzt herausgearbeitet werden. Die untersuchten Rechtsnormen bestimmen unterschiedliche Offenba­ rungspflichten bzw. einen unterschiedlichen Umfang der Offenbarung. Die von den Normen jeweils bestimmte Pflicht wird zunächst dargelegt. Abschließend soll in Bezug auf § 114e StPO untersucht werden, ob sich aus den gefundenen Ergebnissen besondere Offenbarungspflichten in Bezug auf begangene oder geplante Straftaten für einen in der Untersuchungshaft tätigen Anstaltsarzt ergeben. Diese Frage ist besonders relevant, da gegebe­ nenfalls bestehende Pflichten und die daraufhin offenbarten Tatsachen Ein­ fluss auf das jeweilige Verfahren nehmen können. Zu Beginn sei hier erwähnt, dass die nachfolgend untersuchten Normen unanhängig voneinander Offenbarungspflichten und -befugnisse begründen. Dies ergibt sich bereits aus den teilweise unterschiedlichen Geltungsberei­ chen sowie den unterschiedlichen Voraussetzungen, unter welchen die einzel­ nen Normen eine Offenbarungspflicht bestimmen. In einigen Konstellationen kann der Anwendungsbereich mehrerer Normen eröffnet sein, womit diese sodann parallel zur Anwendung kommen können.1

A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB § 138 StGB stellt zunächst die Nichtanzeige trotz Kenntnis von einem Vorhaben oder der Ausführung einer der in Nr. 1 bis 8 bezeichneten Katalog­ taten unter Strafe. § 139 StGB regelt Konstellationen, in denen die Nichtan­ zeige eine Bestrafung aus § 138 StGB nicht bzw. nur unter weiteren Voraus­

1  S.

hierzu bei den einzelnen Normen.

140

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

setzungen nach sich zieht.2 Die §§ 138 und 139 StGB sind stets einheitlich zu betrachten.3 So ergänzt der § 139 den § 138 StGB um verschiedene Strafbarkeitseinschränkungen.4 Als Schutzgut der §§ 138, 139 StGB werden heute überwiegend die durch die benannten Katalogtaten geschützten Rechtsgüter angesehen.5 Die darü­ ber hinausgehende These, die Normen schützen auch die Rechtspflege als Organ der Verbrechensverhütung,6 bezeichnet hingegen keine zusätzliche Funktion der Norm und somit auch kein zusätzliches Schutzgut.7 Zum ei­ nen besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Rechtspflegedelikten darin, dass § 138 StGB nicht die Behinderung oder garantenpflichtswidrige Nicht­ unterstützung der Rechtspflegeorgane erfasst, sondern die allgemeine Nicht­ unterstützung durch jedermann.8 Zum anderen ließe sich mit dieser These auch nicht erklären, warum in § 138 Abs. 1 StGB eine Anzeige an den Be­ drohten als vorzunehmende Handlung ausreicht, eine Information staatlicher Stellen aber nicht zwingend erforderlich ist.9

I. Regelungsadressat Nach § 138 StGB ist zunächst einmal grundsätzlich jedermann zur An­ zeige einer Katalogtat verpflichtet. Von Rechtsprechung und Literatur werden jedoch Ausnahmen von dem Grundsatz der Jedermannspflicht gemacht. Zu­ nächst wird eine Anzeigepflicht des durch die Katalogtat Bedrohten nach überwiegender Auffassung abgelehnt.10 Diese Ausnahme gelte jedoch nur 2  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 205. 3  In der Regel wird hier darauf verwiesen, dass die Aufteilung auf zwei Paragra­ fen lediglich aus redaktionellen Gründen erfolgte, vgl. MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 1; SSW-StGB/Geneuss, § 139 Rn. 1; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Vor Rn. 1; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 139 Rn. 1. 4  SSW-StGB/Geneuss, § 139 Rn. 1; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 139 Rn. 1. 5  BGH NJW 2010, 2291 (2292); Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 59; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 139 Rn. 1; LK-StGB/ Krauß, § 138 Rn. 1; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 1; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 4; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 4. 6  Tag, JR 1995, 133 (134); wohl auch Rojas, GA 2017, 147 (158). 7  SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 4. 8  SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 4. 9  LK-StGB/Hanack, §  138 Rn. 2; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 1; SSWStGB/Geneuss, § 138 Rn. 4; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 139 Rn. 1; NK-StGB/ Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1. 10  Fischer, § 138 StGB Rn. 17; LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 40; MüKo-StGB/ Hohmann, § 138 Rn. 22; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 21; Lackner/Kühl/Heger,



A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB141

dann, wenn sich die Tat ausschließlich gegen seine Rechtsgüter richtet, also darüber hinaus keine Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Individualrechtsgü­ ter anderer Personen betroffen seien.11 Im Rahmen dieser Ansicht wird selbst dann keine Anzeigepflicht des Bedrohten angenommen, wenn die Ge­ fährdung unverzichtbarer Individualrechtsgüter in Betracht kommt.12 Dies ergebe sich für Abs. 1 bereits daraus, dass die Mitteilung an den Bedrohten selbst ausreichend sei.13 Zur Begründung wird ferner angeführt, dass der Rechtsordnung eine Verpflichtung zum aktiven Schutz ausschließlich eigener Rechtsgüter fremd sei.14 Ferner soll nach überwiegender Auffassung auch der an der Katalogtat Beteiligte nicht als möglicher Täter in Betracht kom­ men.15 Auf die Diskussion um die Strafbarkeit der Katalogtatbeteiligten soll vorliegend jedoch nicht eingegangen werden.16 Grundsätzlich erstreckt sich die Jedermannspflicht zur Anzeige einer ge­ planten Straftat somit zuerst einmal auch auf Ärzte, solange sie nicht selbst Bedrohte oder Beteiligte an der Katalogtat sind. Dies ergibt sich im Umkehr­ schluss aus § 139 Abs. 3 S. 2 StGB, welcher ausdrücklich eine Befreiung von der Anzeigepflicht für Ärzte normiert.17 Da das Strafgesetzbuch auf eine Begriffsbestimmung des Arztes verzichtet hat, ist hier auf § 2a BÄO zurückzugreifen.18 Demnach ist die Führung der Berufsbezeichnung als Arzt denjenigen Personen vorbehalten, welche als Arzt approbiert oder nach §§ 2 Abs. 2, 3 oder 4 BÄO zur Ausübung des ärztlichen Berufs befugt sind. Die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation als Arzt finden sich in § 3 BÄO. Nach § 10 BÄO sind den ap­ probierten Ärzten die zur vorläufigen Ausübung des Arztberufes zugelasse­ § 138 Rn. 6; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 6; Schönke/Schröder/SternbergLieben, § 138 Rn. 19; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 139 Rn. 13. 11  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 43; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 10. 12  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 43; a. A. Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 129 f. 13  Fischer, § 138 StGB Rn. 17; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 21; SK-StGB/ Stein, § 138 Rn. 10. 14  SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 10; wohl auch SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 21. 15  BGH NJW 1989, 2760; NJW 1993, 1871 (1872); LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 44; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 6; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 22; NKStGB/Ostendorf, §§  138, 139 Rn.  6; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 20/21; a. A. SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 14; differenzierend Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 152. 16  Zu diesem Streit ausführlich Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplan­ ter Straftaten durch Anzeige, S. 130 ff.; LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 43 ff. 17  Zander, Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 146. 18  In der Literatur wird für die Begriffsbestimmung des Wortes „Arzt“ überwie­ gend auf § 3 BÄO verwiesen. Allerdings regelt § 3 BÄO nicht die Berufsbezeich­ nung, sondern die Voraussetzungen der Erteilung der Approbation.

142

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

nen Humanmediziner gleichgestellt, insofern sind auch diese unter den Arztbegriff zu fassen.19 Da es sich bei einem Anstaltsarzt um einen appro­ bierten Arzt handeln muss20 unterfällt dieser den §§ 138, 139 Abs. 3 StGB als Regelungsadressat.

II. Bestimmung der Pflicht Grundsätzlich kennt das Strafrecht keine allgemeine Verpflichtung, dro­ hende Straftaten anzuzeigen, § 138 StGB stellt diesbezüglich einen abge­ schlossenen Katalog der anzeigepflichtigen Taten auf.21 Der Gesetzgeber hat auch mit der tatbestandlichen Ausgestaltung des § 138 StGB den restriktiven Ausnahmecharakter der Anzeigepflicht zum Ausdruck gebracht, welcher eine extensive Handhabung dieser verbietet.22 Die Nichtanzeige geplanter Straftaten ist ein echtes Unterlassungsdelikt.23 Auf den darüber hinausgehenden Streit, ob es sich bei der Norm zudem um ein konkretes Gefährdungsdelikt24 oder ein Erfolgsdelikt25 handelt, kann an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen werden. Zur Bestimmung des ­Inhalts der Anzeigepflicht ist jedoch die durch § 138 StGB auferlegte Ver­ pflichtung zu untersuchen. Folgt man der Ansicht, dass § 138 StGB den Schutz der durch die Katalogtaten benannten Rechtsgüter bezweckt,26 so hat sich dies mit dem Inhalt der Anzeigepflicht zu decken. Die der Norm zu­ grundeliegende Verhaltensnorm verlangt also, Rechtsgutsverletzungen zu verhindern, die durch die anzuzeigenden Taten bewirkt werden könnten.27 Die Verhaltensnorm bestimmt hier für Jedermann ein Vermeidenmüssen ei­ ner Schädigungsmöglichkeit.28 Demnach liegen die geforderte Verhaltens­ 19  LK-StGB/Hanack,

12. Aufl., § 139 Rn. 28; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 8. unter 1. Kapitel B.II.5. 21  MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 7; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1; Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 138 Rn. 3. 22  Zander, Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 147 m. V. a. LK-StGB/Hanack, 12. Aufl., § 138 Rn. 5. 23  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 3; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 3; Lackner/ Kühl/Heger, § 138 Rn. 1; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 2; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 3; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 8. 24  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 127; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 2; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1. 25  SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 8. 26  MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 1; NKStGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 4. 27  SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 4. 28  MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 21. 20  S. o.



A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB143

weise und der Inhalt der Anzeigepflicht darin, die durch die geplante Kata­ logtat drohende oder weitere Rechtsgutsverletzung durch das Mittel der An­ zeige abzuwenden.29 1. Die Anzeigepflicht nach § 138 StGB Der Tatbestand des § 138 Abs. 1 StGB erfasst das Unterlassen einer recht­ zeitigen Anzeige durch eine zur Anzeige verpflichtete Person.30 Die Anzeige­ pflicht besteht dabei nur bezüglich der in Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 8 genannten Straftaten.31 Voraussetzung für das Bestehen einer Anzeigepflicht ist zunächst, dass der Betroffene glaubhaft von einem Vorhaben oder der Ausführung einer der genannten Katalogtaten erfährt. Ein Vorhaben ist die ernsthafte Planung der Begehung einer Katalogtat.32 Die ernsthafte Planung liegt vor, wenn der Tä­ ter seine Absicht auf bestimmte Personen oder Ziele konkretisiert und die Art seines Vorgehens wenigstens in Grundzügen festgelegt hat.33 Die Ausführung erfasst die Tat von der Versuchsphase bis zu deren Vollendung, sofern zu diesem Zeitpunkt noch weiterer Schaden droht bzw. der rechtswidrige Zu­ stand noch andauert.34 Das glaubhafte Erfahren erfordert Kenntnis des Vorhabens bzw. der Aus­ führung.35 Das Merkmal „glaubhaft“ wird überwiegend nach der subjektiven Theorie bestimmt. So besteht ein glaubhaftes Erfahren zumindest dann, wenn der Pflichtige aufgrund von Informationen und Überlegungen zu dem Schluss gekommen ist, dass es ernsthaft möglich sei, dass jemand die Tat tatsächlich vorhabe, ausführe oder ausgeführt habe.36 Die durch die Norm bestimmte Anzeigepflicht bezieht sich nur auf die Tat, eine namentliche Anzeige des 29  LK-StGB/Hanack, 30  SK-StGB/Stein,

12. Aufl., § 138 Rn. 4; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 4. §  138 Rn.  26; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138

Rn. 10. 31  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 138 Rn. 3; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 9. 32  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 7; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 2; SSW-StGB/ Geneuss, § 138 Rn. 8. 33  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 7; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 10; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 4; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 18. 34  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 138 Rn. 4; LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 11; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 2; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 19. 35  SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 11; LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 18. 36  Mit unterschiedlicher Formulierung, aber im Ergebnis wohl übereinstimmend MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 12; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 3; SK-StGB/ Stein, § 138 Rn. 21; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 8.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Täters ist nur dann erforderlich, wenn die Tat nicht anders verhütet werden kann.37 Die Kenntniserlangung muss zudem zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, zu dem die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann. Aus dieser Formulierung, sowie aus dem Erfordernis der „rechtzeiti­ gen“ Anzeige, folgt, dass eine Anzeigepflicht nur besteht, wenn die Ausfüh­ rung der Katalogtat oder der Eintritt des Erfolges tatsächlich noch verhindert werden kann.38 Dem entsprechend entfällt eine Anzeigepflicht, wenn der Erfolg bereits eingetreten ist.39 Nach § 138 Abs. 1 StGB kann der Pflichtige die Anzeige bei „der Be­ hörde“ oder bei „dem Bedrohten“ erstatten. In der Regel wird es sich bei der Behörde um diejenigen staatlichen Dienststellen handeln, die für die Gefah­ renabwehr der durch die Katalogtat drohenden Gefahr zuständig ist.40 Dies ist insbesondere die Polizei, aber auch die Feuerwehr, etwa im Rahmen der Brandstiftungsdelikte.41 Darüber hinaus kommen jedoch auch weitere Be­ hörden in Betracht, sofern von ihnen die Verhinderung der Tat oder die Infor­ mation der zuständigen Behörde zu erwarten ist.42 Der Bedrohte ist diejenige Person, gegen die sich der Angriff richten soll, deren individuelle Rechts­ güter also gefährdet sind.43 Sind mehrere Personen von der Tat bedroht, so ist die Anzeige jedem gegenüber zu erstatten, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Benachrichtigung einer Person zur Gefahrenabwehr ausreicht.44 Richtet sich die Tat hingegen nicht oder nicht nur gegen Indivi­ dualrechtsgüter, so fehlt es an einem „Bedrohten“, so dass sich die Anzeige­ pflicht auf die Erstattung der Anzeige bei einer Behörde reduziert.45

37  Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 5; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 10. 38  BGH NStZ 1996, 595 (596); SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 13; Lackner/Kühl/ Heger, § 138 Rn. 5. 39  SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 15. 40  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 31; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 17; SSWStGB/Geneuss, § 138 Rn. 16; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 31; Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 13. 41  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 31; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 31. 42  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 31; SSW-StGB/Geneuss, § 138 Rn. 16; a. A. Wes­ tendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 111; SKStGB/Stein, § 138 Rn. 31. 43  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 34; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 17; SSWStGB/Geneuss, § 138 Rn. 16; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 32; Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 13. 44  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 34; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 138 Rn. 10. 45  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 34.



A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB145

Grundsätzlich steht es dem Pflichtigen frei, ob er die Anzeige gegenüber dem Bedrohten oder der Behörde erstatten will.46 Sind jedoch ausschließlich Allgemeinrechtsgüter von der Tat bedroht, so muss die Anzeige gegenüber einer Behörde erstattet werden.47 Ebenso ist der Pflichtige nach überwiegen­ der Ansicht auf die Anzeige an eine Behörde beschränkt, wenn der Bedrohte nicht einsichts- oder verteidigungsfähig ist und auch ein gesetzlicher Vertre­ ter nicht für ihn handeln kann.48 Ferner muss der Adressat der Anzeige in der Lage sein, die drohende Gefahr oder den Erfolg abwenden zu können.49 So ist der Pflichtige angehalten den Adressaten zu benachrichtigen, der (noch) wirksam eingreifen kann.50 Im Gegensatz zu der allgemeinen Bestimmung des Anzeigeadressaten er­ geben sich für die Anzeigepflicht des Anstaltsarztes einige Besonderheiten. So ist insbesondere der Begriff der „Behörde“ differenzierter zu betrachten. Dabei ist vor allem maßgeblich, welche bzw. wessen Rechtsgüter von der geplanten Tat bedroht sind. So können zum einen Rechtsgüter von Privatper­ sonen und Allgemeinrechtsgüter außerhalb der Vollzugsanstalt, zum anderen aber auch Rechtsgüter innerhalb der Vollzugsanstalt bedroht sein. In beiden Fällen ergeben sich mehrere Fallkonstellationen, die zu unterschiedlichen Zuständigkeiten im Rahmen der Gefahrenabwehr führen können. Nachfol­ gend soll jeweils herausgearbeitet werden, wie der Begriff „Behörde“ in den jeweiligen Konstellationen auszulegen ist. Bei dieser Bestimmung wird in allen nachstehenden Fallkonstellationen zunächst unterstellt, dass den An­ staltsarzt die volle Anzeigepflicht aus § 138 Abs. 1 StGB treffen würde. Fallkonstellation 1: Der Anstaltsarzt erfährt von einem Gefangenen, dass ein Dritter, welcher sich au­ ßerhalb der Vollzugsanstalt befindet, eine Tat plant, welche sich gegen Individual­ rechtsgüter oder Allgemeinrechtsgüter richtet. Die Tat soll dabei ebenfalls außer­ halb der Vollzugsanstalt stattfinden. Fallkonstellation 2: Der Anstaltsarzt erfährt von einem Gefangenen, dass er selbst oder ein anderer Gefangener eine Tat plant, die sich gegen Rechtsgüter dritter Gefangener richtet. Eine Anzeige gegenüber dem oder den Bedrohten ist jedoch nicht möglich. 46  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 35; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 17; SSWStGB/Geneuss, § 138 Rn. 16; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 5; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 34; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 13. 47  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 34; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 17; SSWStGB/Geneuss, § 138 Rn. 16; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 13. 48  LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 35. 49  LK-StGB/Krauß, §  138 Rn. 35; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 17; SKStGB/Stein, § 138 Rn. 34. 50  LK-StGB/Krauß, §  138 Rn.  35; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 13.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Fallkonstellation 3: Der Anstaltsarzt erfährt von einem Gefangenen, dass ein Dritter, welcher sich au­ ßerhalb der Vollzugsanstalt befindet, eine Tat gegen einen Gefangenen der Voll­ zugsanstalt plant. Eine Anzeige gegenüber dem Bedrohten ist jedoch nicht möglich. Fallkonstellation 4: Der Anstaltsarzt erfährt von einem Gefangenen, dass er selbst oder ein anderer Gefangener eine Tat plant, die sich gegen Allgemeinrechtsgüter außerhalb der Voll­ zugsanstalt richtet.

Die Fallkonstellation 1 unterscheidet sich nur insoweit von derselben Fall­ konstellation außerhalb einer Vollzugsanstalt, als die Kenntniserlangung über die geplante Tat innerhalb der Vollzugsanstalt stattfindet. Daraus ergeben sich zunächst keine Besonderheiten für die Adressaten der Anzeige. In der Fallkonstellation 2 befinden sich sowohl der Täter wie auch die gefährdeten Rechtsgüter innerhalb der Vollzugsanstalt. Insofern bestehen Besonderheiten hinsichtlich der Zuständigkeit staatlicher Dienststellen für die Gefahrenabwehr. Zuständig für den Vollzug der Freiheitsstrafe sind allein die Vollzugsbehörden, namentlich die Justizvollzugsanstalten und die Auf­ sichtsbehörden.51 Die organisatorische Struktur der Vollzugsanstalten ist hierar­chisch ausgerichtet.52 Die Aufgabenwahrnehmung innerhalb der An­ stalten erfolgt durch die Vollzugsbeamten, an ihrer Spitze steht die Anstalts­ leitung.53 Nach §§ 81ff. StVollzG54 liegt der staatliche Auftrag für die Gewährleis­ tung von Sicherheit und Ordnung grundsätzlich innerhalb der Vollzugsanstalt. Die Sicherheit umfasst dabei die äußere Sicherheit als Gewährleistung des Anstaltsaufenthaltes der Gefangenen, aber auch die innere Sicherheit in Form der Verhinderung und Abwehr von Angriffen auf die Anstalt von außen.55 Die innere Sicherheit beinhaltet die Beherrschung der Schadensgefahr für Personen und Sachen innerhalb des Strafvollzugs und zwar sowohl von Schäden für den einzelnen Gefangenen selbst als auch für andere Gefangene und das Anstaltspersonal oder Sachen.56 Die Aufgabenerfüllung innerhalb der Vollzugsanstalt zur Wahrung der Sicherheit obliegt somit allein den Voll­ 51  LNNV-Laubenthal,

Abschn. N Rn. 2. Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 12. 53  AK-StVollzG/Goerdeler, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 12, 15; LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 3. 54  In allen Landesgesetzen finden sich vergleichbare Normen zur Ausgestaltung von Sicherheit und Ordnung, wenn auch mit unterschiedlichem Fokus, vgl. LNNVLaubenthal, Abschn. M Rn. 6. 55  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG Bund, § 81 Rn. 2. 56  AK-StVollzG/Goerdeler, Teil II, Vor § 72 LandesR Rn. 9. 52  AK-StVollzG/Goerdeler,



A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB147

zugsbeamten und nicht Polizeibeamten.57 Allein der Anstaltsleiter und die Vollzugsbeamten sind im Rahmen ihres Sicherungsauftrages für die Verhin­ derung von Straftaten innerhalb der Vollzugsanstalt verantwortlich.58 In diesem Fall sind die staatlichen Dienststellen, die für die Gefahrenab­ wehr der durch die Katalogtat drohende Gefahr zuständig sind, allein die Vollzugsbehörden. Der Begriff der Behörde aus § 138 StGB ist hier also auf die Vollzugsbehörden auszuweiten. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist bei der Auswahl zwischen der Justizvollzugsanstalt und der Aufsichtsbehörde diejenige Behörde zu wählen, die am wirksamsten in der Lage ist, die dro­ hende Gefahr oder den Erfolg abzuwenden. Da sich die Fallkonstellation 2 innerhalb der Vollzugsanstalt abspielt, ist hier davon auszugehen, dass eine Anzeige gegenüber einem Vollzugsbeamten oder der Anstaltsleitung ausrei­ chen wird, um die Pflicht vollumfänglich zu erfüllen. Dies steht auch im Einklang mit § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG, wonach eine Offenbarung in Form einer Anzeige gegenüber der Anstaltsleitung gefordert wird.59 Die Fallkonstellation 3 unterscheidet sich von der Fallkonstellation 2 in­ soweit, als der Täter sich außerhalb der Vollzugsanstalt befindet, die Rechts­ gutsverletzung jedoch innerhalb der Vollzugsanstalt stattfinden soll. In die­ sem Fall könnte somit eine doppelte Anzeigepflicht gegenüber mehreren Behörden entstehen. Da sich der Täter außerhalb der Vollzugsanstalt befindet, ist die Polizei für Maßnahmen, welche gegenüber diesem zu treffen sind, zuständig. Für den Schutz der gefährdeten Rechtsgüter innerhalb der Voll­ zugsanstalt ist jedoch allein diese zuständig. Insofern ist fraglich, ob aus dieser Konstellation eine doppelte Anzeigepflicht resultiert, also ob der An­ staltsarzt die Tat sowohl gegenüber der Polizei wie auch der Vollzugsanstalt anzeigen muss. Zunächst spricht das Gesetz in § 138 StGB nur von „der Behörde“, was gegen eine doppelte Anzeigepflicht sprechen würde. Ferner spricht das Gesetz von einem Zeitpunkt, zu dem „die Ausführung oder der Erfolg“ noch abgewendet werden können. Die Abwendung der Ausführung (hier ausgehend von dem Außenstehenden) und der mögliche Erfolg (eine Rechtsgutsverletzung innerhalb der Vollzugsanstalt) sowie die jeweilige Ab­ wendungszuständigkeit fallen hier also auseinander. Der Ausführung kann von der Polizei oder anderen zuständigen Stellen außerhalb der Vollzugsan­ stalt begegnet werden. Der Schutz der bedrohten Rechtsgüter und die Verhin­ derung des Erfolgseintritts können hingegen nur durch die Vollzugsanstalt vorgenommen werden. In Anbetracht dessen, dass das Gesetz eine Abwen­ dung entweder hinsichtlich der Ausführung oder des Erfolges verlangt, ist 57  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG Bund, §  155 Rn.  2; LNNV-Laubenthal, ­Abschn. N Rn. 26. 58  LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 42. 59  S. hierzu ausführlich unten unter B.I.2.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

eine doppelte Anzeigepflicht abzulehnen. Jedoch hat der Anstaltsarzt auch in dieser Konstellation nach dem konkreten Einzelfall abzuwägen, welche der beiden Behörden am wirksamsten eingreifen kann. Bei der Abwägung ist jedoch wiederum § 182 Abs. 2 S. 2 StVollG zu berücksichtigen, sofern es sich bei den bedrohten Rechtsgütern um Leib oder Leben handelt. Eine An­ zeige hat also auch in diesem Fall vorrangig gegenüber einem Vollzugsbe­ diensteten oder der Anstaltsleitung zu erfolgen. Entsprechend den zu der Fallkonstellation 3 entwickelten Grundsätzen ist auch die Fallkonstellation 4 zu lösen. Auch in diesem Fall kommen sowohl die Polizei oder andere staatliche Stellen außerhalb der Vollzugsanstalt wie auch die Vollzugsanstalt als Adressaten der Anzeige in Betracht. Der Unter­ schied zu Fallkonstellation 3 liegt allein darin, dass die Vollzugsanstalt nur die Ausführung, die Polizei hingegen nur den Erfolg abwenden kann. Der Anstaltsarzt hat die geplante Tat auch in diesem Fall vorrangig einem Voll­ zugsbediensteten oder der Anstaltsleitung anzuzeigen. Für den Anstaltsarzt wird die Anstaltsleitung, als Vertretung der Vollzugs­ anstalt, in der Regel die erste und auch vorzugswürdige „Behörde“ im Sinne des § 138 StGB darstellen. Der Anstaltsarzt darf auch davon ausgehen, dass die Anstaltsleitung die Anzeige im Einzelfall an andere Behörden weiterlei­ ten wird, sofern deren Eingreifen notwendig erscheint. 2. Die Anzeigepflicht nach § 139 Abs. 3 StGB § 139 Abs. 2 und Abs. 3 StGB normieren Privilegierungen bestimmter Berufsgruppen und Funktionsträger in Bezug auf die Anzeigepflicht nach § 138 StGB.60 Die Norm bestimmt zunächst keine eigene Verhaltenspflicht, sondern benennt diejenigen Fälle und Voraussetzungen, in denen die Nicht­ erfüllung der Anzeigepflicht nicht zu einer Strafbarkeit nach § 138 StGB führt. Die Norm regelt also eine „Freistellung“ von der grundsätzlichen Pflicht nach § 138 StGB.61 Im Umkehrschluss ergibt sich aus § 139 Abs. 3 S. 2 StGB jedoch, dass die Pflicht zur Anzeige geplanter Straftaten und somit die Pflicht zu einer Geheimnisoffenbarung ausdrücklich auch für Ärzte gilt.62 Würde die ärztliche Verschwiegenheitspflicht nämlich stets der Anzeige­ pflicht aus § 138 StGB vorgehen, so bräuchte es die Sonderregelung des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB nicht.63

60  SK-StGB/Stein,

§ 139 Rn. 4. § 139 Rn. 27. 62  Vgl. Zander, Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 146. 63  Zander, Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 146. 61  LK-StGB/Krauß,



A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB149

Nach § 139 Abs. 3 S. 2 StGB sind Ärzte „nicht verpflichtet“, geplante Straftaten, mit Ausnahme der in Abs. 3 S. 1 genannten Taten, anzuzeigen, wenn ihnen diese in ihrer besonderen Eigenschaft anvertraut worden sind und sie sich ernsthaft bemüht haben, die Tat anderweitig zu verhindern. Die Dimension des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB ist vor allem in Bezug auf dessen Rechtsnatur stark umstritten.64 So wird er teilweise als Tatbestandsaus­ schluss,65 teilweise als Rechtfertigungsgrund66 und teilweise als Schuldaus­ schließungsgrund67 klassifiziert. Dieser Streit bezieht sich dabei im Wesent­ lichen auf die Frage der Strafbarkeit eines schweigenden Arztes. Also auf die Frage, wann ein Arzt nach § 138 StGB wegen der Nichtanzeige belangt werden kann. Für die Frage nach einer Offenbarungspflicht eines Arztes bleibt hingegen zu klären, ob diese dem Arzt in den in allen von § 138 StGB aufgezählten Konstellationen obliegen kann oder nur in denen von § 139 Abs. 3 S. 2 StGB.68 Zur Annäherung an diese Frage ist das Verhältnis der Schweigepflicht und der Anzeigepflicht zueinander zu betrachten. Ein guter Ansatz, wenn auch mit weniger überzeugender Schlussfolgerung, findet sich bei Westendorf. Sie stellt für die Bestimmung der Rechtsnatur des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB auf die Bedeutung des § 203 Abs. 1 StGB ab.69 Dabei untersucht sie das Verhältnis der Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 StGB zur Anzeigepflicht des § 138 StGB. Ihr kann insofern zugestimmt werden, als dass der § 203 StGB nicht als Rechtfertigungsgrund für die Nichtanzeige einer geplanten Straftat heran­ gezogen werden kann.70 Wägt man nämlich die betroffenen Rechtsgüter des § 203 StGB einerseits und die durch die Katalogtaten des § 138 StGB ge­ schützen Rechtsgüter andererseits gegeneinander ab, so wird letzteren durch­ weg der Vorrang einzuräumen sein.71 Diese Feststellung führt Westendorf sodann zu den Schluss, der § 139 Abs. 3 S. 2 StGB könne nicht die Ebene 64  Ausführlich zum Streit s. Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 205 ff. 65  Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 139 Rn. 5; SSW-StGB/Geneuss, § 139 Rn. 6; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 139 Rn. 5. 66  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 139 Rn. 5; LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 33; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 15; Lackner/Kühl/Heger, § 139 Rn. 2; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 4. 67  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 244. 68  So auch Zander, Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 148. 69  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S.  241 f. 70  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S.  243 f. 71  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 243.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

der Rechtswidrigkeit betreffen, sondern regele Fälle typisierter Unzumutbar­ keit.72 Betrachtet man die §§ 138 und 139 Abs. 3 S. 2 StGB jedoch aus dem Blickwinkel der Offenbarungspflichten, so kann diese Schlussfolgerung nicht überzeugen. Wie im ersten Kapitel beschrieben,73 liegen den Offenbarungs­ pflichten gesetzgeberische Wertungen zugrunde, welche das Interesse an ei­ ner Offenbarung über das Interesse der Geheimniswahrung stellen. Dieser Prämisse folgend sind auch die §§ 138 und 139 Abs. 3 S. 2 StGB zu bewer­ ten. Die bestehende Gesetzeslage zeigt zunächst, dass der Gesetzgeber es für nötig hielt, die Privilegierung von Ärzten in § 139 Abs. 3 S. 2 StGB explizit zu normieren. Die Befreiung von der Anzeigepflicht in § 139 Abs. 3 S. 2 StGB beruht hier auf Diskretionsgesichtspunkten und berücksichtigt die be­ sondere Bedeutung des Berufsgeheimnisses bei den aufgezählten Personen.74 So besteht nach der Wertung des Gesetzgebers ein überwiegendes schutzwür­ diges Interesse an der Ermöglichung von Diskretion, da Tätigkeiten, welche auf diese angewiesen sind, nicht mehr ausführbar wären.75 Mit der Be­ schränkung des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB hat sich der Gesetzgeber also ent­ schieden, das Rangverhältnis der Pflichten zugunsten der Schweigepflicht umzugestalten. Aus diesen Überlegungen ergibt sich somit die Schlussfolge­ rung, dass der Gesetzgeber den Arzt eben gerade nur in den Fällen des § 139 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 StGB zu einer Offenbarung verpflichten wollte. Aus ebendiesen Gründen sprechen die besseren Argumente dafür, den § 139 Abs. 3 S. 2 StGB als Tatbestandsausschluss zu klassifizieren. Die Schaffung und Ausgestaltung der Norm legt nahe, dass der Gesetzgeber da­ von ausging, dass die Nichtanzeige einer geplanten Straftat durch einen Arzt gerade nicht durch § 203 StGB gerechtfertigt sein könne. Anderenfalls wäre eine explizite Regelung betreffend die ärztlichen Anzeigepflichten nicht nö­ tig gewesen. Zur Auflösung des Konflikts zwischen dem Geheimhaltungs­ interesse und dem Anzeigeinteresse ist der Tatbestand der Nichtanzeige ge­ planter Straftaten nach § 138 StGB nur in den von § 139 Abs. 3 S. 2 StGB genannten Fällen erfüllt. Zur Begründung der Anzeigepflicht nach § 139 Abs. 3 S. 2 StGB müssen zunächst dieselben Voraussetzungen wie bei einer Anzeigepflicht nach § 138 StGB vorliegen. Sodann sind die Voraussetzungen der Freistellung zunächst dieselben wie bei § 139 Abs. 3 S. 1 StGB.76 So entfällt die Anzeigepflicht 72  Westendorf, Die Pflicht zur Verhinderung geplanter Straftaten durch Anzeige, S. 244. 73  S. o. 1. Kapitel B.I. 74  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 21; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 4. 75  SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 4. 76  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 29.



A. § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 StGB151

grundsätzlich nicht, wenn es sich bei der Tat um einen Mord oder Totschlag (Nr. 1), einen Völkermord oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen in den jeweils genannten Fällen (Nr. 2) oder einen erpresserischen Menschenraub, eine Geiselnahme oder einen Angriff auf den Luft- und Seeverkehr durch eine terroristische Vereinigung (Nr. 3) handelt. Liegt keine anzeigepflichtige Straftat nach Nr. 1 bis Nr. 3 vor, verlangt § 139 Abs. 3 S. 1 StGB ein ernsthaftes Bemühen, den Täter von der Tat ab­ zuhalten oder den Erfolg abzuwenden. Unerheblich ist dabei, ob das Bemü­ hen erfolgreich ist oder nicht.77 Hat sich der Arzt ernsthaft bemüht die Tat zu verhindern, so tritt eine Straflosigkeit auch dann ein, wenn das Bemühen misslingt.78 Was genau als ernstliches Bemühen anzusehen ist, wird weitest­ gehend nach dem Einzelfall beurteilt.79 Der Pflichtige muss jedenfalls dieje­ nigen Maßnahmen ergreifen, die geboten und ihm zumutbar sind.80 Ein er­ kennbar aussichtsloses Bemühen wird jedoch nicht verlangt.81 Dabei muss er das nach seiner Vorstellung wirksamste Mittel ergreifen, um den Täter von seiner Tat abzubringen.82 Er muss allerdings nicht mit einer Strafanzeige drohen, denn Sinn dieser Bestimmung ist es gerade, einen Schweigepflichti­ gen nicht zu einem Vertrauensbruch in Form einer Anzeige zu zwingen.83 Die beiden Möglichkeiten des Abhaltens und des Abwendens des Erfolges stehen gleichberechtigt nebeneinander.84 Zu beachten ist allerdings, dass der Pflichtige stets die Maßnahmen vornehmen muss, die die meiste Aussicht auf Erfolg haben, die Rechtsgutsverletzung zu verhindern.85 Im Einzelfall kann dies auch dazu führen, dass der Pflichtige beide Möglichkeiten nebeneinan­ der ausnutzen muss.86 77  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, §  139 Rn. 4; LK-StGB/ Krauß, § 139 Rn. 16; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 13; SSW-StGB/Geneuss, § 139 Rn. 5; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 9; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 139 Rn. 3/4. 78  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 28. 79  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 17; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 19; SSWStGB/Geneuss, § 139 Rn. 5; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 18; Fischer, § 139 StGB Rn. 9. 80  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 139 Rn. 4; LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 17. 81  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 139 Rn. 4; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 9; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 139 Rn. 3/4. 82  SSW-StGB/Geneuss, § 139 Rn. 5; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 9. 83  NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 18; a. A. LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 16; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 13. 84  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 18; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 14. 85  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 18; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 14; SK-StGB/ Stein, § 139 Rn. 9. 86  LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 18.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Weitere Voraussetzung des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB ist, dass die Informa­ tion dem Arzt in seiner Eigenschaft als solchem anvertraut wurde.87 Die Mitteilung muss also speziell im Zusammenhang mit der beruflichen Tätig­ keit erfolgen.88 Bezüglich des Merkmals „anvertraut“ kann, trotz der Unter­ schiedlichkeit der Gesetzeszwecke, auf die Auslegungsergebnisse der ent­ sprechenden Formulierung in § 203 StGB zurückgegriffen werden.89 Anver­ trauen ist hier das Mitteilen mit dem Verlangen oder zumindest der Erwartung der Geheimhaltung der betreffenden Information.90 Ein Anvertrauen kann insbesondere auch in so genannten „unfreiwilligen Sonderbeziehungen“, wie im Verhältnis zwischen Arzt und Patient im Strafvollzug geschehen.91 Die Kenntniserlangung muss hier, im Gegensatz zu § 203 StGB, welcher auch das „sonst bekannt“ werden erfasst, auf einer persönlichen Offenbarung be­ ruhen, eigenständige Entdeckungen des Arztes sind hingegen anzeigepflich­ tig.92 Das Anvertrauen kann sowohl durch den die Straftat Planenden, als auch durch Dritte erfolgen.93 Dies bedeutet, dass, sobald die Voraussetzun­ gen eines Anvertrauens vorliegen, auch Mitteilungen über Dritte erfasst sind.94 Eine Information kann einem Anstaltsarzt in sämtlichen Bereichen seiner Tätigkeit anvertraut werden. So kommt es für das Anvertrauen nicht darauf an, ob es sich um die allgemeine Gesundheitsfürsorge oder Zwangsmaßnah­ men handelt. Wie bereits oben95 beschrieben, steht der Arzt in allen Tätig­ keitsfeldern vollumfänglich unter Schweigepflicht. Insofern kann sich auch in jeder dieser Situationen ein Anvertrauen ergeben, wenn sich der Gefan­ gene mit dem Verlangen oder zumindest der Erwartung der Geheimhaltung aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht mitteilt.

87  SK-StGB/Stein,

§ 139 Rn. 8. § 139 Rn. 20; LK-StGB/Krauß, § 139 Rn. 27; SKStGB/Stein, § 139 Rn. 6. 89  LK-StGB/Krauß, §  139 Rn. 27; zum Merkmal „anvertraut“ s.  o. 2. Kapitel C.II.3. 90  MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 9, 20; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 6. 91  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 7. 92  Lackner/Kühl/Heger, § 139 Rn. 2; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 17; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 6. 93  MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 20; Fischer, § 139 StGB Rn. 9; SSW-StGB/ Geneuss, § 139 Rn. 6; SK-StGB/Stein, § 139 Rn. 6; a. A. NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 17. 94  Graf v. Schlieffen, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, § 139 Rn. 5; MüKo-StGB/ Hohmann, § 139 Rn. 20; a. A. NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 17. 95  S. o. unter 1. Kapitel B.II.5. 88  MüKo-StGB/Hohmann,



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 153

III. Zusammenfassende Betrachtung Nach der hier vertretenen Sichtweise trifft den Anstaltsarzt eine Offenba­ rungspflicht nur aus § 139 Abs. 3 S. 2 StGB und nur in den von dieser Norm genannten Fällen. § 139 Abs. 3 S. 2 StGB stellt einen Tatbestandsausschluss in Bezug auf § 138 StGB dar. Neben der Pflicht zur Anzeige der genannten Straftaten beinhaltet § 139 Abs. 3 S. 2 StGB auch die Pflicht sich ernsthaft zu bemühen, den Täter von seiner Tat abzubringen. Diese Pflicht kann den Anstaltsarzt jedoch nicht zu einer Offenbarung verpflichten, da die Norm den Arzt gerade nicht zu einem Vertrauensbruch zwingen soll. Ergibt sich aus § 139 Abs. 3 S. 2 StGB eine Anzeigepflicht, so kann der Anstaltsarzt diese bereits dadurch erfüllen, dass er die geplante Tat innerhalb der Vollzugsanstalt anzeigt. In der Regel wird die Anstaltsleitung die vor­ zugswürde Stelle für die Entgegennahme der Anzeige sein. Der Anstaltsarzt darf auch davon ausgehen, dass seine Anzeige durch die Anstaltsleitung an zuständige Behörden außerhalb der Vollzugsanstalt weitergeleitet wird. Da­ rüber hinaus steht es dem Arzt allerdings auch frei eine Anzeige gegenüber der Polizei zu erstatten, sofern diese im Einzelfall für die Verhinderung der Ausführung der Tat oder des Taterfolges zuständig ist. Abschließend sei hier zudem noch darauf hingewiesen, dass die Offenba­ rungspflicht nach § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 S. 2 StGB unabhängig von an­ deren Offenbarungspflichten besteht. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Anstaltsarzt im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs oder des Strafvollzugs von der geplanten Straftat erfährt, da die Norm allein daran anknüpft, dass die Information dem Arzt in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist.

B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze Bei der Betrachtung anstaltsärztlicher Offenbarungspflichten und -befug­ nisse, welche sich direkt aus dem Strafvollzugsgesetz des Bundes bzw. aus den Landesgesetzen zum Strafvollzug ergeben, ist eine kurze historische Rückschau auf deren Entwicklung erforderlich. Dies ist unter anderem zur zeitlichen Einordnung der Rechtsprechung sowie der von Seiten der Literatur geäußerten Kritik sinnvoll. So ist insbesondere zwischen dem Meinungsstand vor der gesetzlichen Normierung des Bestehens der ärztlichen Schweige­ pflicht im Strafvollzug und nach der Einführung der betreffenden Regelun­ gen zu differenzieren.

154

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Vor der Einführung des § 182 StVollzG96 fehlte es an einer expliziten Re­ gelung betreffend des Bestehens und des Umfanges der Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern im Strafvollzug. Schöch ging sogar so weit zu sagen, der Gesetzgeber habe mit Einführung der Norm ein „Jahrhundertproblem im Spannungsfeld zwischen Therapie, Patient und Strafvollzug“ geregelt.97 Die Frage nach der ärztlichen Schweigepflicht im Strafvollzug rückte zu Beginn des Jahres 1981 in das Interesse der (Fach-)Öffentlichkeit anlässlich eines bundesweiten Hungerstreiks Gefangener aus dem Bereich der terroris­ tischen Gewaltkriminalität.98 Umstritten war neben der Problematik der me­ dizinischen Zwangsbehandlung insbesondere die Frage, ob die behandelnden Ärzte ihre gewonnenen Kenntnisse der Vollzugsbehörde oder dem Haftrichter mitzuteilen hätten.99 In den darauffolgenden Jahren wurden der Umfang und die Geltung der ärztlichen Schweigepflicht im Strafvollzug in einigen Publi­ kationen behandelt.100 Grundsätzlich bestand dabei in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass auch Anstaltsärzte innerhalb der Strafvollzugsanstalt der Schweigepflicht unterlagen.101 Auch bestand weitestgehend Einigkeit darü­ ber, dass beamten- oder dienstrechtliche Gehorsamspflichten des Anstalts­ arztes keine Offenbarungspflichten begründen könnten.102 Eine befugte Of­ fenbarung wurde jedoch bei Vorliegen einer wirksamen Einwilligung, spezi­ algesetzlichen Meldepflichten103 und unter den engen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB angenommen.104 In Bezug auf den rechtfertigenden Notstand wurde jedoch zugleich angemerkt, dass dessen Voraussetzungen zu eng gezogen seien, um dem gegebenenfalls bestehenden

96  BGBl. I

1998, S. 2461 (2466 f.). ZfStrVo 1999, 259. 98  Vgl. Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 6  f.; Zieger, StV 1981, 559. 99  Vgl. Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 6; Zieger, StV 1981, 559; s. a. Weichbrodt, NJW 1983, 311. 100  Zunächst durch Zieger, StV 1981, 559; darauf folgten Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 1 ff.; Marx, GA 1983, 160 ff.; Weichbrodt, NJW 1983, 311 (314). 101  OLG Karlsruhe NStZ 1993, 405 f.; Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S.  23 f.; Marx, GA 1983, 160 (169, 172); Zieger, StV 1981, 559 (563). 102  Marx, GA 1983, 160 (171); Rogall, NStZ 1983, 1 (8); Zieger, StV 1981, 559 (563). 103  Damals nach dem Bundesseuchengesetz, vgl. Geppert, Die ärztliche Schweige­ pflicht im Strafvollzug, S. 25. 104  Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 24 ff.; Zieger, StV 1981, 559 (563). 97  Schöch,



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 155

Informationsinteresse der Vollzugsbehörde gerecht zu werden.105 Deshalb wurde befürwortet, schon bei dem Vorliegen berechtigter Informationsinte­ ressen der Anstaltsleitung eine Offenbarungsbefugnis des Anstaltsarztes an­ zunehmen.106 Als Argument wurde vor allem auf die Gesundheitsfürsorge­ pflicht und die Gesamtverantwortung der Anstaltsleitung für die Gefangenen verwiesen.107 Die Diskussion fand dabei vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der Grundrechte von Strafgefangenen und zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung statt. Mit der so ge­ nannten Strafgefangenenentscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1972 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass auch den Ge­ fangenen im Strafvollzug Grundrechte zustünden.108 Im Jahre 1983 prokla­ mierte das Bundesverfassungsgericht sodann erstmals das Recht auf informa­ tionelle Selbstbestimmung.109 Dieses Recht steht entsprechend der vorange­ gangenen Entscheidung auch den Gefangenen im Strafvollzug zu. Als Grundrechtsträger brauchen Strafgefangene Beschränkungen ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung prinzipiell nur aufgrund eines Gesetzes hinzunehmen, das den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit und Normen­ klarheit entspricht.110 Der Gesetzgeber behandelte die Problematik schließlich im Jahre 1998 mit dem 4. StVollÄndG.111 Mit der Einführung des fünften Teils des fünften Ab­ schnitts des Strafvollzugsgesetzes verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, be­ reichsspezifische Regelungen über den Schutz und die Verwendung perso­ nenbezogener Daten im Strafvollzug zu schaffen.112 Die Grundlagen der Regelungen bildete die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung.113 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass der ursprüngliche Regierungsentwurf lediglich eine Offenba­ rungsbefugnis der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter in § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG vorsah und diese nur bestehen sollte, soweit sie für die Aufgaben­

Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 26. Karlsruhe NStZ 1983, 405 f.; Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S.  26 ff.; Zieger, StV 1981, 559 (563). 107  OLG Karlsruhe NStZ 1983, 405 (406); Geppert, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug, S. 31 ff. 108  BVerfGE 33, 1 (11) = NJW 1972, 811. 109  BVerfGE 65, 1 ff. = NJW 1984, 419. 110  SBJL-Schmid, 6. Aufl., Vor §§ 179 ff. Rn. 3 m. V. a. BVerfGE 65, 1 (44). 111  BT-Drs. 13/10245. 112  BT-Drs. 13/10245, S. 1. 113  BT-Drs. 13/10245, S. 1, 13. 105  Geppert, 106  OLG

156

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

erfüllung der Vollzugsbehörde unerlässlich sei.114 Eine abgegebene Stellung­ nahme des Bundesrates und ein Berichterstattergespräch führten sodann zur endgültigen Fassung des § 182 Abs. 2 StVollzG.115 Nach der Einführung des 4. StVollÄndG geriet § 182 StVollzG, insbeson­ dere im Hinblick auf dessen Auswirkung auf die Arbeit der Psychotherapeu­ ten im Strafvollzug, in den Mittelpunkt der Diskussion zur Gesetzesände­ rung.116 Insbesondere im Kreis der Psychotherapeuten wurde teils heftige Kritik an der Vorschrift geübt.117 Aber auch in der juristischen Fachliteratur wurde und wird § 182 StVollzG immer wieder thematisiert.118 Hinsichtlich der Offenbarungspflicht aus § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG wird in der Regel eine verfassungskonforme Auslegung der Norm gefordert,119 teilweise sogar deren Verfassungsmäßigkeit angezweifelt.120 Auf die in diesem Zusammen­ hang aufgeworfenen Kritikpunkte soll im Folgenden konkret anhand der Vorschrift eingegangen werden.121 Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesver­ fassungsgericht, welcher die Offenbarungspflicht von Anstaltspsychologen und die Offenbarungsbefugnis von Anstaltsärzten zum Gegenstand hatte, wurde abgelehnt.122 Jedoch kann aus dem Beschluss kein Rückschluss auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 182 Abs. 2 StVollzG gezogen werden, da das Bundesverfassungsgericht von einer Unzulässigkeit einer unmittelbar gegen die Norm gerichtete Verfassungsbeschwerde ausging.123 Inhaltlich verwies das Bundesverfassungsgericht lediglich darauf, dass die

114  BT-Drs.

13/10245, S. 10. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 179 Rn. 4. 116  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, 2003; Busch, ZfStrVo 2000, 344; Preusker/Rosenmeier, ZfStrVo 1998, 323; Schöch, ZfStrVo 1999, 259; Volckart, R&P 1998, 192. 117  Eine übersichtliche Zusammenfassung der Kritikpunkte findet sich bei Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (261 f.). 118  Vgl. etwa Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, 2003; Hildebrandt, Schweigepflicht im Behandlungsvollzug, 2004; Arloth, JuS 2003, 1041 (1047); Busch, ZfStrVo 2000, 344. 119  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 20; LNNV-Ko­ ranyi, Abschn. O Rn. 118; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 165 Rn. 61. 120  AK-StVollzG/Weichert, 4. Aufl., § 182 Rn. 41; Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intra­ murale Medizin, S. 89 (101). 121  S. hierzu unter B.I.2. 122  BVerfG NStZ 2000, 55. 123  BVerfG NStZ 2000, 55. 115  Vgl.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 157

Regelung hinreichend Raum biete, um gegebenenfalls den Grundrechten des Antragstellers gerecht zu werden.124 Mit dem Übergang der Gesetzgebungsbefugnis zur Regelung des Straf­ vollzugs auf die Bundesländer haben alle Länder eigene Strafvollzugsgesetze erlassen.125 Während sich die ursprünglichen Gesetzesfassungen weitestge­ hend an den Regelungen des Strafvollzugsgesetzes des Bundes orientierten, sind mit der Zeit eigene, zum Teil erheblich abweichende Gesetze ent­ standen.126 Insbesondere im Bereich des Datenschutzes haben sich differen­ zierte Regelungen herausgebildet. In den Ländern Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein bestehen inzwischen eigene Gesetze zum Datenschutz im Justizvollzug.127 Dabei wurden in vielen Ländern zuletzt wesentliche Änderungen vorgenommen, um den Datenschutz im Strafvollzug mit den Regelungen der Datenschutzgrundverordnung in Einklang zu brin­ gen.128 Um den vorgenommenen Änderungen und dem Auseinanderfallen zwi­ schen der bundesgesetzlichen Regelung und den landesgesetzlichen Reglun­ gen gerecht zu werden, erfolgt in diesem Abschnitt eine Trennung zwischen den unterschiedlichen Gesetzen. So wird zunächst die bundesgesetzliche Rechtslage betrachtet. Dabei wird umfassend auf die bestehenden Regelun­ gen und die diesbezüglich geäußerten Kritiken eingegangen. Sodann werden landesgesetzliche Regelungen betrachtet. Dabei soll auch untersucht werden, ob die Kritiken, welche an der Fassung des Bundesgesetzes verübt wurden, durch die differenzierteren Landesregelungen behoben werden konnten.

124  BVerfG

NStZ 2000, 55. 1. Kapitel B.II.5. 126  Näher hierzu unten unter B.II. 127  Berlin: Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug und bei den sozialen Diensten der Justiz des Landes Berlin (JVollzDSG Bln); Bremen: Bremi­ sches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (BremJ­ VollzDSG); Hamburg: Hamburgisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (HmbJVollzDSG); Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug des Landes Mecklenburg-Vorpommern (JVollzDSG M-V); Nordrhein-Westfalen: Gesetz zum Schutz personenbezogener Da­ ten im Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen (JVollzDSG NRW); Rheinland-Pfalz: Landesjustizvollzugsdatenschutzgesetz (LJVollzDSG RP); Saarland: Saarländisches Justizvollzugsdatenschutzgesetz (JVollzDSG SL); Sachsen: Sächsisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (SächsJVollzDSG); SchleswigHolstein: Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (JVollzDSG SH). 128  Vgl. etwa Baden-Württemberg GBl. 2019, S. 189; Nordrhein-Westfalen GV. NRW. 2018 S. 555. 125  S. o.

158

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

I. § 182 StVollzG (Bund) § 182 StVollzG befindet sich im fünften Teil des fünften Abschnitts des Strafvollzugsgesetzes, welcher den Datenschutz im Strafvollzug regelt. Die §§ 179–187 StVollzG bilden bereichsspezifische Regelungen für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des einzelnen Gefange­ nen.129 Die Vorschrift des § 182 StVollzG regelt konkret den Schutz beson­ ders sensibler personenbezogener Daten.130 § 182 Abs. 2 S. 1 StVollzG be­ stimmt dabei, dass personenbezogene Daten, die den in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 StGB genannten Personen von einem Gefangenen als Geheimnis an­ vertraut oder über einen Gefangenen sonst bekanntgeworden sind, auch ge­ genüber der Vollzugsbehörde der Schweigepflicht unterliegen. Somit wird bestimmt, dass unter anderem die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter auch innerhalb des Strafvollzugs besteht. Die Sätze 2, 3 und 4 des § 182 Abs. 2 StVollzG regeln sodann Offenbarungspflichten und -befugnisse einzelner Berufsgeheimnisträger. 1. Regelungsadressat § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG richtet sich an die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 StGB genannten Personen. Nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 sind dies unter ande­ rem Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe. In Bezug auf die Berufsstellung als Arzt gilt das bereits oben zu § 2a BÄO gesagte.131 Ärzte, wie auch die übrigen aufgeführten Berufsträger, sind Angehörige besonderer Fachdienste der Justizvollzugsanstalt.132 § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG benennt noch einmal ausdrücklich Ärzte, wel­ che im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge tätig sind, als Rege­ lungsadressaten. Diese Beschränkung gilt jedoch nicht in personeller Hinsicht in Bezug auf die Stellung als Arzt, sondern in sachlicher Hinsicht nur für die Tätigkeit im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge innerhalb des Vollzugs.133 § 182 Abs. 4 StVollzG enthält eine spezielle Regelung für Ärzte und Psy­ chologen, welche außerhalb des Vollzugs mit der Untersuchung und Behand­ 129  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, Vor §  179  ff. Rn. 1; SBJL-Schmid, Vor §§ 179 ff. Rn. 4. 130  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 1; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 106. 131  S. o. unter A.I. 132  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 5. 133  Näher hierzu unter B.I.3.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 159

lung eines Gefangenen beauftragt werden.134 Ärztliche und psychologische Sachverständige, welche im Auftrag der Strafvollzugsbehörde oder des Ge­ richts Gutachten erstatten, fallen nicht unter diese Regelung.135 2. Bestimmung der Pflicht § 182 Abs. 2 StVollzG regelt zunächst die innerbehördliche Schweige­ pflicht und enthält dann Offenbarungspflichten bzw. Offenbarungsbefugnisse. Bei der Bestimmung der im Einzelfall bestehenden Offenbarungspflicht ist für den Anstaltsarzt zwischen § 182 Abs. 2 S. 2 und S. 3 StVollzG sowie ei­ ner möglichen abgeleiteten Offenbarungspflicht aus § 182 Abs. 4 StVollzG zu unterscheiden. Zunächst verpflichtet § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG die benannten der Schweigepflicht unterliegenden Personen, sich gegenüber dem Anstaltsleiter zu offenbaren, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefan­ genen oder Dritter erforderlich ist. Der Adressat der Offenbarung ist aus­ schließlich der Anstaltsleiter selbst und nicht die Vollzugsbehörde.136 Diese Offenbarungspflicht gegenüber dem Anstaltsleiter wird unter anderem als notwendige Folge der Verantwortung des Anstaltsleiters für seine Anstalt abgeleitet.137 Wird der Gefangene in eine andere Vollzugsanstalt verlegt, kann auch der neue Anstaltsleiter zusätzlich der richtige Adressat sein.138 a) § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG begründet eine Offenbarungspflicht, wenn die Offenbarung für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde erforderlich ist. Der Begriff der Vollzugsbehörde umfasst die Justizvollzugsanstalten und die Aufsichtsbehörden des Strafvollzugs.139 Das Gesetz bleibt an dieser Stelle aber insofern unbestimmt, da es lediglich von „Aufgabenerfüllung der Voll­ zugsbehörde“ spricht, ohne auf Aufgaben oder die entsprechenden Normen zu verweisen. Eine annähernde Beschreibung der Aufgaben­erfüllung findet sich in § 2 StVollzG, welcher Resozialisierung und Schutz der Allgemeinheit als 134  Näher

hierzu unter B.I.5. in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 11; BeckOK Strafvollzug Bund/ Beck, StVollzG § 182 Rn. 40. 136  Laubenthal, Strafvollzug Rn.  1036; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 16. 137  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 5; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 112. 138  BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 16. 139  SBJL-Schmid, 6. Aufl., Vor §§ 179 ff. Rn. 4. 135  Arloth,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Aufgaben des Vollzugs nennt.140 Zudem gehört es nach § 81 StVollzG zu den Aufgaben des Vollzugs, das Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen für ein geordnetes Zusammenleben zu wecken und zu fördern sowie die Sicher­ heit und Ordnung in der Vollzugsanstalt aufrechtzuerhalten.141 In den Kommentierungen zu § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG wird zur Bestimmung der „Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde“ weitestgehend auf diejenigen Vollzugsaufgaben abgestellt, an denen die in der Norm ge­ nannten Berufsgeheimnisträger beteiligt sind.142 Dabei lassen die Kommen­ tierungen jedoch eine Begründung dafür vermissen, warum genau nur auf diese Vollzugsaufgaben abgestellt wird.143 Auch in dem Regierungsentwurf wird auf die Fälle der vollzuglich bedingten Mitwirkung und Anhörung des Arztes abgestellt, soweit diese für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbe­ hörde erforderlich sind.144 Hier heißt es zur Begründung: „Da in diesen Fällen die Mitwirkung oder Anhörung des Arztes sich als Teil der dem Vollzug gegenüber dem Gefangenen obliegenden Fürsorgepflicht oder als ein zur Erreichung des Vollzugszieles wesentliches Element darstellt, wäre es sinnwidrig und verfehlt dem Arzt nicht zu ermöglichen, gewonnene Erkenntnisse der Vollzugsbehörde mitzuteilen.“145 Auch wenn die Begründung des Regierungsentwurfes insofern nachvoll­ ziehbar ist, dass eine Offenbarung des Arztes zur effektiven Wahrnehmung seiner Vollzugsaufgaben notwendig ist, begründet dies nicht die Beschrän­ kung der „Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde“ allein auf diejenigen Aufgaben, an welchen der Arzt in irgendeiner Form beteiligt ist. Vielmehr findet sich im Gesetzeswortlaut keine Grundlage für diese Beschränkung, da dort allgemein von Aufgabenerfüllung gesprochen wird. So legt der Geset­ zeswortlaut vielmehr nahe, dass jede Aufgabenerfüllung eine Preisgabe der hierfür erforderlichen Geheimnisse rechtfertige.146 Dieses Verständnis des Gesetzes, wonach jede Aufgabenerfüllung die Preisgabe hierfür erforder­ licher Geheimnisse rechtfertige, würde das Schutzniveau in Bezug auf die personenbezogenen Daten aber zu niedrig ansetzen.147 Die in § 182 Abs. 2 140  SBJL-Schmid,

6. Aufl., § 182 Rn. 11. SBJL-Schmid, 6. Aufl., § 182 Rn. 11. 142  Vgl. Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn.  5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 5; AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 104; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 17; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 115; SBJL-Schmid, 6. Aufl., § 182 Rn. 11. 143  Eine teilweise Begründung findet sich zumindest bei AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 112. 144  BT-Drs. 13/10245, S. 25. 145  BT-Drs. 13/10245, S. 25. 146  Vgl. AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 112. 147  Vgl. AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 112. 141  Vgl.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 161

S. 1 StVollzG kodifizierte Schweigepflicht der Berufsgeheimnisträger könnte bei einer so weiten Interpretation des Satz 2 ausgehöhlt werden.148 Folglich ist eine restriktive bzw. verfassungskonforme Auslegung des § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG geboten, um einen adäquaten Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Gefangenen zu gewährleisten.149 Gleichzeitig zwingt eine solche Auslegung aber nicht dazu, die Norm ledig­ lich auf die Fälle anzuwenden, welche den Aufgabenbereich der Berufsge­ heimnisträger berühren. Vielmehr kommt es auf die Beschränkung der Auf­ gaben im Ergebnis nicht an, wenn eine verfassungskonforme Auslegung ausreichend Möglichkeiten für einen Ausgleich zwischen den kollidierenden Interessen, namentlich dem Interesse an der Geheimhaltung des betroffenen Gefangenen und der Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde, bieten kann. Eine verfassungskonforme Auslegung der Norm wird im Schrifttum unter zweierlei Aspekten vorgenommen. Nach einer Ansicht soll eine Offenbarung zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde erst dann erfolgen, wenn auf­ grund der erlangten Informationen eine sofortige Änderung des Vollzugsplans notwendig wird, weil sie Gefahren für die Resozialisierung oder die Bege­ hung aktueller Straftaten während des Vollzugs indizieren.150 Der Vollzugs­ plan (§ 7 StVollzG) wird auf Grundlage der Behandlungsuntersuchung für den betroffenen Gefangenen erstellt. Er dient dem Gefangenen und den Vollzugsbediensteten als Orientierung für den Ablauf des Vollzugs und der gegebenenfalls erforderlichen Behandlungsmaßnahmen.151 Die Orientierung am Vollzugsplan bietet somit ein objektivierbares Kriterium für die Bestim­ mung der Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde.152 Ferner wird von den Vertretern dieser Ansicht auf das Merkmal der erheblichen Gefahren der zweiten Alternative des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG zu­ rückgegriffen und eine Offenbarungspflicht erst angenommen, wenn die hinter den Vollzugsaufgaben stehenden Rechtsgüter das Interesse an der Ge­ heimhaltung deutlich überwiegen.153 Als Argument wird hier eine systemati­ sche Auslegung der ersten Alternative anhand der zweiten Alternative, wel­ 148  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 121. 149  So auch Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 6; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 118. 150  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263); Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 22; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 118. 151  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 7 Rn. 1. 152  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263). 153  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263); Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 5; AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 105; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 118.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

che auf erhebliche Gefahren abstellt, angeführt.154 So könne es im Einzelfall nur um solche Aufgaben gehen, deren Erfüllung eine ähnliche Gewichtung zukomme wie der Abwendung einer erheblichen Gefahr für Leib und Le­ ben.155 Im Ergebnis besteht nach dieser Auffassung eine Offenbarungspflicht für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde also nur für solche Informatio­ nen, die zu einer sofortigen Änderung des Vollzugsplans führen müssen, weil sie erhebliche Gefahren für die Resozialisierung des Gefangenen oder die Begehung von Straftaten während des Vollzugs indizieren.156 Nach anderer Ansicht wird im Rahmen einer verfassungskonformen Aus­ legung auf den Verwendungszweck der Informationen und die Erforderlich­ keit der Offenbarung abgestellt.157 Eine Offenbarungspflicht soll erst dann begründet sein, wenn eine vorzunehmende Güterabwägung im Einzelfall zu einer Höherbewertung der vollzuglichen Interessen gegenüber dem Persön­ lichkeitsrecht des Betroffenen führt.158 Die erste Ansicht kann weder nach ihrer Begründung noch inhaltlich über­ zeugen. Zunächst spricht bereits der Gesetzeswortlaut gegen eine Anwen­ dung der „Erheblichkeit“ im Sinne der zweiten Alternative auch für die erste Alternative. So hat sich der Gesetzgeber gerade zu einer Unterscheidung der beiden Alternativen entschieden, indem er einerseits lediglich die „Aufga­ benerfüllung“ und andererseits aber „erheblichen Gefahren“ zur Begründung einer Offenbarungspflicht benannte. Eine Erheblichkeit ist somit bei der ersten Alternative nicht vorgesehen. Es ist auch nicht zwingend geboten, die Erheblichkeitsschwelle bei den Vollzugsaufgaben über den Gesetzeswortlaut hinaus anzuheben.159 Vielmehr sollen nach § 154 StVollzG alle im Vollzug Tätigen, also auch Ärzte und die Mitglieder anderer Fachdienste, vertrauensvoll und eng zusammenarbeiten, um die Aufgaben des Vollzugs zu erfüllen. Eine zu eng gefasste Offenba­ rungspflicht würde dieser Intention jedoch zuwiderlaufen.160 Zudem führt die erste Ansicht für den Anstaltsarzt zu nicht vertretbaren Ergebnissen. Wären allein diejenigen Informationen zu offenbaren, die zu ZfStrVo 1999, 259 (263). 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 105. 156  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263); zust. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 6. 157  SBJL-Schmid, § 182 Rn. 12. 158  Busch, ZfStrVo 2000, 344 (347); SBJL-Schmid, § 182 Rn. 12; wohl auch Laubenthal, Strafvollzug Rn. 1037. 159  SBJL-Schmid, § 182 Rn. 12. 160  Vgl. a. SBJL-Schmid, § 182 Rn. 12. 154  Schöch,

155  AK-StVollzG/Goerdeler,



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 163

einer sofortigen Änderung des Vollzugsplanes führen müssen, würde dies zu viele Informationen ausschließen. Würde der Anstaltsarzt bei einer Untersu­ chung etwa die Notwendigkeit einer besonderen Diät oder die Arbeitsunfä­ higkeit für bestimmte Tätigkeiten feststellen, würde dies nicht den Vollzugs­ plan berühren. Es wäre jedoch sinnwidrig, wenn er sich insoweit nicht der Anstaltsleitung offenbaren müsste, da den besonderen Bedürfnissen des be­ troffenen Gefangenen nur nach einer Offenbarung entsprochen werden kann. Die vorausgesetzte Beteiligung des Anstaltsarztes in unterschiedlichen Berei­ chen des Vollzugs wäre zudem wirkungslos, wenn er sich in diesen nicht offenbaren müsse oder dürfte.161 Schließlich lässt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch dadurch wahren, dass die nach der zweiten Ansicht vorzunehmende Abwägung den widerstreitenden Interessen angemessen Rechnung trägt. Nach der hier ver­ tretenen Ansicht besteht eine Offenbarungspflicht nach § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG somit dann, wenn die vollzuglichen Interessen im Einzelfall höher zu bewerten sind als die Geheimhaltungsinteressen des betroffenen Gefangenen. b) § 182 Abs. 2 S. 2 2. Alt. StVollzG Die zweite Alternative begründet eine Offenbarungspflicht, soweit dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. In der Literatur wird zumeist angeführt, diese Alter­ native konkretisiere allgemeine Grundsätze des Notstandes und der Nothilfe (§§ 32, 34 StGB).162 Ein Vergleich zu den gesetzlichen Regelungen des Notstandes und der Nothilfe ist insofern zu befürworten, als auf die insoweit vorliegenden Krite­ rien zur ärztlichen Offenbarung zurückgegriffen werden kann. Dabei ist je­ doch zu beachten, dass den Arzt außerhalb des Vollzugs im Rahmen von § 34 StGB lediglich eine Offenbarungsbefugnis, nicht aber eine Offenbarungs­

161  So auch BT-Drs. 13/10245, S. 25, wobei dort noch von einer Offenbarungsbe­ fugnis des Anstaltsarztes gegenüber dem Anstaltsleiter ausgegangen wird. Zugleich wird auf S. 25 angemerkt: „Der Entwurf sieht zwar in den hier in Betracht kommenden Fällen aufgrund ihrer möglichen Vielgestaltigkeit und ihrer unterschiedlich ­hohen Gefahrenintensität davon ab, den zur Offenbarung Befugten eine Pflicht zur Offenbarung aufzuerlegen, doch wird sich gerade angesichts der hohen Bedeutung der Rechtsgüter, deren Schutz die Offenbarungsbefugnis dient, die vorzunehmende Ermessensausübung in ihrem Ergebnis häufig darauf reduzieren, daß eine Unterrichtung des Anstaltsleiters erfolgen muß.“. 162  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bund/ Beck, StVollzG § 182 Rn. 24; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 13.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

pflicht trifft.163 § 182 Abs. 2 S. 2 2. Alt. StVollzG begründet für den Anstalts­ arzt unter denselben Voraussetzungen aber eine Offenbarungspflicht. In jedem Fall muss die Gefahr für die benannten Rechtsgüter konkret und von einigem Gewicht sein.164 Allgemeine Befürchtungen, welche nicht auf bestimmte oder bestimmbare Personen oder Modalitäten präzisiert sind, ge­ nügen nicht.165 Sie ist in der Regel zu verneinen bei länger zurückliegenden Straftaten ohne einen aktuellen Bezug oder einer Rückfallindizierung.166 Zur Feststellung der Erheblichkeit der Gefahr bedarf es auch hier einer Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des betroffenen Geheim­ nisträgers und dem Schutz von Leib und Leben andererseits.167 Hier sind zahlreiche Sachverhaltsgestaltungen denkbar, in welchen die Rechtsgüter Leib und Leben betroffen sein können.168 Eine relevante Gefahr liegt etwa vor, wenn ein Gefangener erhebliche Verletzungen aufweist, die den Ver­ dacht körperlicher Übergriffe durch Mitgefangene begründen.169 Ebenso kann eine ansteckende Erkrankung eines Gefangenen eine Offenbarung er­ forderlich machen, um ausreichende Vorkehrungen zum Schutz der Mitge­ fangenen, der Bediensteten oder weiterer Personen treffen zu können.170 In Bezug auf ansteckende Krankheiten kann zudem auch die erste Alternative des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG erfüllt sein, wenn die Krankheit für den Ar­ beitseinsatz oder die Unterbringung des Gefangenen von Bedeutung ist.171 Nach der zweiten Alternative muss jedenfalls eine konkrete Ansteckungsge­ fahr für weitere Personen bestehen.172 An dieser Stelle sei zudem angemerkt, dass eine Offenbarungspflicht in Bezug auf eine HIV-Infektion in der Litera­ tur überwiegend abgelehnt wird.173 Dabei wird vor allem auf die sehr einge­ schränkte Übertragbarkeit des Virus abgestellt.174 163  Vgl.

oben 1. Kapitel C.III. 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 103; SBJL-Schmid, § 182

164  AK-StVollzG/Goerdeler,

Rn. 13. 165  AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 103. 166  BeckOK Strafvollzugrecht Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 24; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 13. 167  AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 103. 168  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 24; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 120. 169  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6; AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 103. 170  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 7; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 13. 171  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6. 172  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6. 173  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 13; a. A. AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 203. 174  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 13.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 165

c) Offenbarungsumfang Hinsichtlich des Offenbarungsumfangs ist zunächst zu betonen, dass eine Offenbarung nur dann vorliegt, wenn es sich bei der mitgeteilten Tatsache um ein Geheimnis im Sinne des § 203 StGB handelt. Denn ein Offenbaren ist jegliche Form der Mitteilung eines Geheimnisses an einen Dritten, wel­ cher von diesem noch keine oder keine sichere Kenntnis hat.175 Bezüglich einer Mitteilung durch Anstaltsärzte und -psychologen ist aller­ dings streitig, ob nur Tatsachen oder auch geäußerte Werturteile dem Ge­ heimnisbegriff des § 203 StGB unterfallen. Teilweise wird auch bezüglich geäußerter Werturteile angenommen, dass es sich bei diesen um Geheimnisse handele.176 So seien Schlussfolgerungen, welche ein Berufsgeheimnisträger aufgrund besonderer Sachkenntnis vornehme, als Geheimnisse anzusehen, da in diesen Fällen Befundtatsachen und Wertung untrennbar verbunden sei­ en.177 Nach dieser Ansicht läge auch in der Äußerung eines Werturteils ein Offenbaren vor. Nach der Gegenansicht seien Werturteile und persönliche Einschätzungen gerade nicht von dem Geheimnisschutz erfasst.178 Diese Ansicht hat zur Folge, dass persönliche Einschätzungen der Mitglieder der Fachdienste über einzelne Gefangene, welche diese etwa im Rahmen der Vollzugskonferenz äußern, nicht als Offenbarung gelten.179 Vor der Beantwortung der Frage, ob Werturteile Geheimnisse darstellen können, bietet es sich an, zunächst kurz zu untersuchen, welche Elemente ein Werturteil bzw. eine Wertung in der Regel beinhaltet. Wertungen lassen sich zunächst umschreiben als Akte, mit welchen ein Wertungssubjekt mittels ei­ nes Wertungsprädikat einem Wertungsobjekt einen Wert beimisst oder ab­ spricht.180 Diese Umschreibung erlaubt eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Elementen des Wertungsaktes, des Wertungssubjektes, des

175  Lackner/Kühl/Heger, §  203 Rn.  17; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 54; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 19; SK-StGB/Hoyer, § 203 Rn. 31; SSW-StGB/ Bosch, § 203 Rn. 28. 176  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 91; AK-StVollzG/Goerdeler, Teil III, G. Rn. 191. 177  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 14; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6. 178  OLG Frankfurt, B. v. 18.8.2009 – 3 Ws 661/09, BeckRS 2012, 17807; Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 12; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 109; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 7; diffe­ renziert Preusker/Rosenmeier, ZfStrVo 1998, 323 (326). 179  Vgl. SBJL-Schmid, § 182 Rn. 7. 180  Kuhli, Normative Tatbestandsmerkmale in der strafrichterlichen Rechtsanwen­ dung, S.  126 m. w. N.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Wertungsobjektes sowie schließlich des Wertes.181 Der Begriff des Wertungs­ aktes wird oft gleichbedeutend mit den Begriffen des Werturteils oder schlicht der Wertung verwendet.182 Bei den hier untersuchten Fällen wird durch den Anstaltsarzt (Wertungssubjekt) ein Werturteil über einen Gefangenen, dessen Verhalten oder ihn betreffende Umstände (Wertungsobjekt) abgegeben. Es sprechen einige Gründe dafür, Werturteile und persönliche Einschät­ zungen der Mitglieder der Fachdienste nicht als Geheimnisse anzusehen. Schließlich entspringt ein Werturteil der persönlichen Sphäre des Mitteilen­ den, nicht derjenigen des Patienten. Das Werturteil stellt also keine Tatsache dar, welche den Geheimnisträger betrifft, sondern bezieht sich lediglich auf den Wertenden, welcher es äußert. Ferner lässt sich beispielsweise aus der Äußerung eines Anstaltsarztes ein Gefangener sei „unangenehm im Umgang“ kein konkreter Rückschluss auf eine Tatsache ziehen. Die rein subjektive Bewertung als „unangenehm“ kann auf einer Reihe von Erkenntnissen beru­ hen, die dem Anstaltsarzt vorliegen. Ferner kann sie sogar objektiv unbe­ gründet sein, wenn andere Personen aufgrund derselben Tatsachenkenntnis den Gefangenen nicht als „unangenehm“ beschreiben würden. Auf der anderen Seite sprechen auch Gründe dafür, Werturteile, welche auf besonderen Kenntnissen beruhen, unter den Geheimnisbegriff zu fassen. So kann ein Werturteil, welches auf der Kenntnis von Geheimnissen beruht, zwar geäußert werden, ohne dass die Geheimnisse selbst preisgegeben wer­ den, dennoch basiert das Werturteil aber eben gerade auf dieser besonderen Kenntnis, welche der Berufsgeheimnisträger nur aufgrund seiner Stellung als solcher erlangt hat. Manche Werturteile können auch die Äußerung der zu­ grundliegenden Tatsache implizieren und somit das Geheimnis selbst preis­ geben. Wie bereits im Rahmen von § 203 StGB erörtert,183 ist jedoch auch hier zwischen einem Werturteil und einer Wertung in Form einer Schlussfolge­ rung zu differenzieren. Sagt der Anstaltsarzt, wie oben beschrieben, dass ein Gefangener „unangenehm im Umgang“ sei, so liegt lediglich ein Werturteil vor. Sagt er hingegen, dass der Gefangener „dissozial im Umgang“ sei, so stellt dies eine (medizinische) Schlussfolgerung aufgrund des gezeigten Ver­ haltens und die Offenbarung der zugrundeliegenden Erkenntnisse aus der Behandlung dar.

181  Kuhli, Normative Tatbestandsmerkmale in der strafrichterlichen Rechtsanwen­ dung, S. 127. 182  Kuhli, Normative Tatbestandsmerkmale in der strafrichterlichen Rechtsanwen­ dung, S.  126 m. w. N. 183  S. o. 2. Kapitel C.II.1.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 167

Eine Offenbarung eines Geheimnisses liegt somit nur dann vor, wenn das Werturteil konkrete Rückschlüsse auf Geheimnisse beinhaltet oder diese zu­ lässt. Die Äußerung, der Gefangene sei „kooperativ“, beinhaltet als solche keine Geheimnisse. Beurteilt der Anstaltsarzt einen Gefangenen hingegen als „labil“, lässt sich dieser Aussage entnehmen, dass der Gefangene psychische Probleme habe, und stellt somit zugleich ein Geheimnis dar. Ferner liegt eine Geheimnisoffenbarung auch immer dann vor, wenn der Berufsgeheimnisträ­ ger zusätzlich zu seiner Einschätzung die Gründe, auf welchen sein Wert­ urteil basiert, mitteilt. Als Ausnahme der Regel liegt eine Offenbarung auch dann vor, wenn der Gefangene ein begründetes Interesse daran hat, dass sich der Anstaltsarzt oder der Psychologe nicht zu seinen Umständen äußet und auch keine Werturteile abgibt.184 Ein solches Interesse kann etwa gegeben sein, wenn der Gefangene befürchtet, dass die Offenbarung des Geheimnis­ ses seine Wahrnehmung durch die Vollzugsangestellten negativ beeinflussen wird. Auch in diesem Fall wird bereits die Äußerung einer persönlichen Einschätzung bzw. eines Werturteils eine Offenbarung darstellen, da Geheim­ nisse preisgegeben werden. Schließlich bleibt an dieser Stelle noch anzumerken, dass die Berufsge­ heimnisträger unter den Voraussetzungen des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG zur Offenbarung von Werturteilen, auch wenn diese Geheimnisse darstellen, verpflichtet sein können. Nach dieser Vorschrift hat eine Offenbarung zu er­ folgen, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist. Sofern eine dieser Voraussetzungen gegeben ist, muss also auch ein Werturteil und das mit diesem verbundene Geheimnis offenbart werden. Im Übrigen besteht die Offenbarungspflicht aus § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG nur „soweit“ die Offenbarung zu einem der oben genannten Zwecke erfor­ derlich ist. Daraus folgt, dass personenbezogene Daten nicht umfassend weitergegeben werden dürfen.185 Vielmehr muss die konkrete Gefahrenlage für die Vollzugsaufgaben, Leib oder Leben nur dadurch bewältigt werden können, dass der Anstaltsleiter von den personenbezogenen Daten eines Ge­ fangenen Kenntnis erlangt.186 Bereits in der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Regierungsentwurf wurde betont, dass sich der Umfang der Informa­ tionspflicht nach den Umständen im Einzelfall zu richten habe.187 In beiden Fällen der Offenbarungspflicht nach § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG muss die ZfStrVo 1998, 323 (326). ZfStrVo 2000, 344 (346). 186  Busch, ZfStrVo 2000, 344 (346). 187  BT-Drs. 13/10245, S. 35. 184  Preusker/Rosenmeier, 185  Busch,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Weitergabe der Informationen zudem auf das unerlässliche Maß beschränkt werden.188 Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Mitteilung der Diagnose entbehrlich wird.189 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bleibt dabei jedoch zu berücksichtigen, dass die Offenbarung eines Befundes das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Gefangenen regelmäßig weniger stark berührt als die Offenbarung der dem Befund zugrundeliegen­ den Tatsachen.190 Insbesondere für die erste Alternative sollten die Tatsachen nur in der „jeweils schonendsten Form“ offenbart werden.191 So muss etwa in Einzelfall auf detaillierte Informationen verzichtet werden, wenn diese nicht unbedingt für Gefahrenabwehr von Relevanz sind.192 Liegen die Voraussetzungen des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG vor, so haben sich die Berufsgeheimnisträger zu offenbaren. Ihnen steht insoweit weder ein Beurteilungs- noch ein Ermessensspielraum zu, da das Gesetz nach seinem eindeutigen Wortlaut zu einer Offenbarung verpflichtet, ohne Ermessen zu­ zulassen.193 Auch ist die Entscheidung über eine (Nicht-)Offenbarung ge­ richtlich voll überprüfbar.194 Verstöße gegen die Offenbarungspflicht können sowohl als Fahrlässigkeitsdelikte geahndet werden, wie auch disziplinar­ rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, da die Nichtoffenbarung die Verletzung einer Dienstpflicht darstellt.195 Den Berufsgeheimnisträgern kann jedoch eine Einschätzungsprärogative zugestanden werden.196 Dies bedeutet, dass sie bei der Beurteilung eines Sachverhaltes eigenständig prüfen können, ob dieser Sachverhalt die Voraus­ setzungen des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG erfüllt oder nicht.197 Der Sachver­ halt muss also nicht erst dem Anstaltsleiter zur Prüfung vorgelegt werden, sondern sie können diesen selbständig beurteilen.198 Es wäre auch widersin­ 188  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG §  182 Rn.  7; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 117, 120. 189  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG §  182 Rn.  7; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 120. 190  Preusker/Rosenmeier, ZfStrVo 1998, 323 (326). 191  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263); BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 21, 25. 192  I. Erg. Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263). 193  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 7; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 116. 194  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263); LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 116. 195  Schöch, ZfStrVo 1999, 259 (263); Volckart, R&P 1998, 192 (193). 196  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 7; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 116; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 10. 197  SBJL-Schmid, § 182 Rn. 10. 198  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 7; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 116; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 10.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 169

nig, wenn sich der Berufsgeheimnisträger stets offenbaren müsste, um fest­ stellen zu lassen, ober er überhaupt zu dieser Offenbarung verpflichtet ist.199 Im Zweifel ist jedoch durch den Berufsgeheimnisträger ein Rechtsrat einzu­ holen.200 Auch eine (allgemeine) dienstliche Weisung der Vollzugsbehörden, sich zu offenbaren, kann die Berufsgeheimnisträger aber nicht davon entbin­ den, die Grenzen und den Umfang ihrer Schweigepflicht vorab eigenverant­ wortlich zu überprüfen.201 Im Falle von solchen Weisungen kann der Berufs­ geheimnisträger die Entscheidung der Aufsichtsbehörde, betreffend die Wei­ sung, einholen, welcher er dann aber zu folgen hat.202 3. Beschränkung der Pflicht, § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG Nach § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG ist der Arzt zur Offenbarung der ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekanntgewordenen Geheim­ nisse befugt, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt uner­ lässlich oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder eines Dritten erforderlich ist. In der Literatur wird teilweise von einer Offenbarungspflicht für den Arzt aus § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG gesprochen.203 Nach dem Wortlaut wird man den § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG jedoch nicht als eine Verpflichtung verstehen können. Vielmehr normiert S. 3 eine Beschränkung der Offenbarungspflicht des Arztes aus § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG bezüglich solcher Erkenntnisse, die im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt geworden sind. Während § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG dem Anstaltsarzt grundsätzlich eine Offenbarungspflicht auferlegt, befreit § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG ihn gerade von eben dieser Pflicht, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorlie­ gen. Es handelt sich folglich bei § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG um eine Befug­ nis- bzw. Erlaubnisnorm.204 Sie berechtigt den Arzt zu einem straffreien Bruch seiner Schweigepflicht, der Arzt bleibt jedoch frei in seiner Entschei­ dung, seine Schweigepflicht zu brechen oder nicht.205 Der Arzt wird im Rahmen seiner Tätigkeit der allgemeinen Gesundheits­ fürsorge gegenüber den übrigen Fachdienstmitarbeitern in zweifacher Hin­ 199  Ähnl.

LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 116. in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 7; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 10. 201  Preusker/Rosenmeier, ZfStrVo 1998, 323 (325). 202  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 7; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 10. 203  Vgl. Laubenthal, Strafvollzug Rn. 637, sodann aber als Befugnis bezeichnet in Rn. 1037; AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 110. 204  Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (99). 205  Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (99). 200  Arloth,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

sicht privilegiert.206 So besteht für ihn einerseits keine Offenbarungspflicht, sondern lediglich eine Befugnis, zudem wird mit der Unerlässlichkeit eine höhere Eingriffsschwelle für eine Offenbarung zugunsten der Vollzugsauf­ gaben geschaffen.207 Diese Privilegierung des Arztes gegenüber den anderen Fachdiensten wurde in der Vergangenheit kritisiert208 und teilweise als ein Verstoß gegen Art. 3 GG angesehen.209 Die Privilegierung des Arztes ist je­ doch mit seiner besonderen Stellung und dem besonderen Verhältnis zu den Gefangenen zu begründen. So kann sich der Gefangene seinen Arzt nicht frei auswählen, aber zur Wahrung und Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht der Gesundheit der Gefangenen soll dessen Öffnung gegenüber dem Arzt ge­ währleistet werden.210 Denn, wie bereits im ersten Kapitel beschrieben, ist eine Öffnung des Patienten gegenüber dem Arzt die Grundvoraussetzung für eine gute ärztliche Behandlung und Versorgung.211 Eine ebenso umfassende und adäquate ärztliche Behandlung wie außerhalb des Vollzugs ist nach dem Äquivalenzprinzip auch innerhalb der Vollzugsanstalten zu gewährleisten.212 Schließlich sucht der Gefangene den Arzt im Rahmen der allgemeinen Ge­ sundheitsfürsorge zumindest teilweise aus autonomen Motiven auf, wodurch ein mit dem in Freiheit vergleichbares Arzt-Patienten-Verhältnis entsteht, welches besonders schutzwürdig ist.213 Die Befreiung von der Offenbarungspflicht gilt für den Arzt allerdings nur im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge. Die allgemeine Gesund­ heitsfürsorge ist in den §§ 56–66 StVollzG geregelt. Somit fallen zumindest alle in diesen Normen aufgezählten Tätigkeiten und Behandlungen des An­ staltsarztes unter den Begriff der allgemeinen Gesundheitsfürsorge. Zunächst ist festzustellen, dass der Begriff „allgemeine Gesundheitsfür­ sorge“ weiter zu verstehen ist als allein diejenigen Behandlungen, die ein Gefangener aus eigenem Antrieb sucht. In Abweichung von dem ursprüng­ lichen Regierungsentwurf handelt es sich also gerade nicht allein um solche Daten, welche „nicht aus spezieller vollzuglicher Veranlassung erhoben wer­ den, sondern die aufgrund von Untersuchungen oder Gesprächen gewonnen werden, um die der Gefangene selbst aus eigenem Antrieb nachgesucht 206  Vgl. Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, S. 135. 207  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 135. 208  Vgl. AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 113. 209  AK-StVollzG/Weichert, 4. Aufl., § 182 Rn. 40. 210  Laubenthal, Strafvollzug Rn. 1039. 211  S. o. 1. Kapitel A. 212  Vgl. zum Äquivalenzprinzip 1. Kapitel B.II.5. 213  Busch, ZStrVo 2000, 344 (348).



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 171

hat“214. So greift Satz 3 etwa auch dann ein, wenn der Anstaltsarzt einen bewusstlosen Gefangenen behandelt.215 Entscheidend ist allein, dass die Untersuchung und Behandlung nicht im Rahmen einer Tätigkeit des An­ staltsarztes als vollzugliche Maßnahme stattfindet.216 Darüber hinaus ist nicht nur die allgemeine Gesundheitsfürsorge ab dem Beginn der Tätigkeit des Anstaltsarztes, sondern auch bereits deren Vorbereitung von der Privile­ gierung umfasst. So ist auch die Bitte eines Gefangenen um einen Termin bei dem Anstaltsarzt als Teil der allgemeinen Gesundheitsfürsorge anzusehen.217 Erlangt der Anstaltsarzt jedoch durch die Einbindung in vollzugliche Ent­ scheidungsabläufe oder durch Gespräche mit Gefangenen, welche nicht zur allgemeinen Gesundheitsfürsorge gehören, Kenntnis von Geheimnissen, so gilt für ihn die Offenbarungspflicht nach § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG.218 Der Wortlaut des § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG spricht nur von dem Arzt im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewordenen Geheim­ nissen. Dies ist jedoch nicht so auszulegen, dass die dem Arzt anvertrauten Geheimnisse nicht erfasst sind.219 Die Schweigepflicht des Arztes ist bereits grundsätzlich nicht davon abhängig, ob ihm ein Geheimnis anvertraut oder auf andere Weise bekannt wird.220 Entscheidend ist, dass die Kenntnisnahme des Arztes in einem inneren Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit steht.221 Zudem ist Bekanntwerden weiter gefasst als anvertraut, woraus sich der Umkehrschluss ziehen lässt, dass die dem Arzt anvertrauten Geheimnisse erst recht von der Norm einbezogen sein müssen.222 Voraussetzung für die Offenbarungsbefugnis des Arztes ist in der ersten Alternative die Unerlässlichkeit der Offenbarung für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt. Unerlässlichkeit bedeutet ein gesteigertes Maß an Erfor­ derlichkeit in dem konkreten Einzelfall.223 So müssen zunächst alle in Be­ 214  BT-Drs.

13/10245, S. 25. Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 137. 216  Vgl. Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, S. 137. 217  OLG Frankfurt, B. v. 28.04.2011 – 3 Ws 24/11, juris-Rn. 12; AK-StVollzG/ Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 97. 218  Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 194. 219  So auch Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, S. 138 m. V. a. Busch, ZStrVo 2000, 344 (347). 220  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 138; Busch, ZStrVo 2000, 344 (347); s. a. 2. Kapitel B. und C. 221  S. hierzu ausführlich 2. Kapitel B.II.1. und C.II.3. 222  I. Erg. auch Busch, ZStrVo 2000, 344 (347). 223  Laubenthal, Strafvollzug Rn. 1037; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 121; SBJLSchmid, § 182 Rn. 15. 215  Bast,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

tracht kommenden Maßnahmen ausgeschöpft werden, welche die Aufgaben­ erfüllung gewährleisten könnten.224 Die Offenbarung ist nur als ultima ratio, also als letzte Eingriffsmöglichkeit, zulässig.225 Das Merkmal der Unerläss­ lichkeit beeinflusst die Abwägung zwischen den Vollzugsaufgaben und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Gefangenen, indem sie letztem mehr Gewicht beimisst.226 So muss ein gewisses Maß an Störung der Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt hingenommen werden.227 Die Voraussetzungen einer Offenbarung zur Abwendung von Gefahr für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter entsprechen im Wesentlichen denjenigen des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG.228 In Anbetracht der hohen Be­ deutung der Schutzgüter Leib und Leben kann sich die Ermessensentschei­ dung des Arztes zur Offenbarung in extrem gelagerten Fällen auf Null redu­ zieren.229 Die Offenbarungsbefugnis aus § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG verdich­ tet sich in diesen Fällen zu einer Offenbarungspflicht.230 Eine solche Pflicht trifft den Anstaltsarzt etwa, wenn er bei einem Gefangenen eine Hepatitis B Erkrankung feststellt, da diese die Gesundheit Dritter erheblich gefährdet.231 Bei dieser Krankheit, welche auch nach dem Infektionsschutzgesetz anzeige­ pflichtig ist, wie auch bei den anderen nach dem Infektionsschutzgesetz an­ zeigepflichtige Krankheiten, scheidet ein Ermessensspielraum des Arztes in Bezug auf eine Offenbarung aus.232 Zudem wurde in der Literatur diskutiert, ob eine Offenbarungspflicht als Folge einer Ermessensreduktion auf Null auch bei der Kenntniserlangung über eine HIV-Infektion bestehe.233 Unter Betrachtung des Urteils des OLG Frankfurt234 und den in diesem Urteil aufgestellten Grundsätzen zur Offenba­

224  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 139. 225  Busch, ZStrVo 2000, 344 (347 f.); Preusker/Rosenmeier, ZfStrVo 1998, 323 (325). 226  AK-StVollzG/Goerdeler, 7. Aufl., Teil III, I. Rn. 110. 227  AK-StVollzG/Weichert, 4. Aufl., § 182 Rn. 39. 228  Busch, ZStrVo 2000, 344 (348). 229  Busch, ZStrVo 2000, 344 (348); LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 121; SBJLSchmid, § 182 Rn. 15. 230  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S. 141; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 15. 231  Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 202. 232  Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 202. 233  Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Straf­ vollzug, S.  143 ff. 234  OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.1999, Az. 8 U 67/99, s. 1. Kapitel C.III.1.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 173

rungspflicht des Arztes aus § 34 StGB235 würde für den Anstaltsarzt in be­ stimmten Fällen eine Offenbarungspflicht bestehen. Der Anstaltsarzt hat, so­ fern er der einzige innerhalb der Vollzugsanstalt tätige Arzt ist, eine Garan­ tenstellung gegenüber allen Gefangenen inne. Unter anderem diese Garan­ tenstellung verpflichtet ihn, alle Gefangenen vor möglichen Gefahren zu schützen, welche von einem einzelnen anderen Gefangenen ausgeht. Erfährt er nun im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge von der HIV-Infek­ tion eines Gefangenen und hat er Grund zu der Annahme, dass sich dieser Gefangene nicht an die Maßnahmen zur Verhütung der Verbreitung der Infek­tion hält, so muss er sich diesbezüglich offenbaren. Hierbei stellt die Nichteinhaltung der Schutzmaßnahmen durch den infizierten Gefangenen jedoch das wesentliche Kriterium für die Offenbarungspflicht dar. Es besteht aber ausdrücklich keine allgemeine Offenbarungspflicht bezüglich einer HIV-Infektion, da die Übertragungsgefahr in der Regel sehr gering ist.236 Auch bei der Offenbarung nach § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG darf die Weiter­ gabe der Informationen nur im unbedingt erforderlichen Umfang erfolgen.237 Kann der Schutz der bedrohten Rechtsgüter bzw. die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt auf andere Weise als durch die Offenbarung gewährleistet werden, so müssen diese alternativen Möglichkeiten ergriffen werden.238 Die Möglichkeit der Offenbarung wird bei § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG im Gegensatz zu der Pflicht aus S. 2 immer in das pflichtgemäße Ermessen des Arztes gestellt.239 Der Arzt hat die für und gegen einen Geheimnisbruch sprechenden Aspekte gegeneinander abzuwägen, wobei auch der Umstand, dass Ärzte grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, Berücksich­ tigung finden darf.240 4. Sonstige Offenbarungsbefugnisse, § 182 Abs. 2 S. 4 StVollzG Nach § 182 Abs. 2 S. 4 StVollzG bleiben sonstige Offenbarungsbefugnisse unberührt. Dies betrifft jedoch nicht nur Befugnisse zur Offenbarung, son­ dern auch Pflichten. Denkbar sind hier vor allem Offenbarungspflichten aus dem Infektionsschutzgesetz oder dem Betäubungsmittelrecht.241 Aber auch 235  S. 1. Kapitel

C.III.1. in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 6; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 13; differenziert hierzu Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 13 ff. 237  LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 121; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 15. 238  LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 121. 239  LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 121. 240  Laubenthal, Strafvollzug Rn. 1037. 241  S. hierzu 1. Kapitel B.I.1. 236  Arloth,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

aus Gründen der Arbeitssicherheit oder §§ 138, 139 StGB kann eine Offen­ barungspflicht oder -befugnis bestehen.242 Zudem können auch Offenba­ rungsbefugnisse aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis oder den verwal­ tungsrechtlichen Vorschriften bestehen.243 Im Einzelfall kann eine Offenbarung auch nach § 34 StGB gerechtfertigt sein.244 Diese kann nicht nur in Bezug auf eine Gefahr für Leib oder Leben bestehen, sondern auch dann, wenn andere Rechtsgüter von besonderem Ge­ wicht betroffen sind.245 Schließlich ist eine Offenbarung auch bei einer entsprechenden Einwilli­ gung des Gefangenen zulässig.246 Eine solche Einwilligung kann jedoch nicht bereits in einer Beschwerde über die medizinische Behandlung durch den Anstaltsarzt gesehen werden.247 Sofern für die Beurteilung der Begrün­ detheit der Beschwerde eine Einsichtnahme in die Krankenakte unerlässlich ist und dies für den Betroffenen auch ersichtlich ist, kann eine konkludente Einwilligung angenommen werden.248 5. Offenbarung externer Behandler, § 182 Abs. 4 StVollzG Die Offenbarungspflichten und -befugnisse aus § 182 Abs. 2 StVollzG werden durch § 182 Abs. 4 StVollzG ergänzt. So bestimmt Abs. 4, dass der Abs. 2 auch für Ärzte und Psychologen gelte, welche außerhalb des Vollzugs mit der Untersuchung und Betreuung eines Gefangenen betraut werden. Da­ bei sind die beauftragten Ärzte und Psychologen neben der Unterrichtung des Anstaltsleiters auch zur Unterrichtung des Anstaltsarztes oder dem mit der Behandlung des Gefangenen betrauten Psychologen befugt. Eine Offen­ barungsbefugnis gegenüber dem Anstaltsarzt oder Anstaltspsychologen und nicht nur dem Anstaltsleiter besteht aus Gründen einer aufeinander abge­ stimmten, durchgehenden und umfassenden Behandlung.249 242  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 8a; BeckOK Strafvollzug Bund/ Beck, StVollzG § 182 Rn. 29; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 124; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 17. 243  SBJL-Schmid, § 182 Rn. 17. 244  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 8a; BeckOK Strafvollzug Bund/ Beck, StVollzG § 182 Rn. 29; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 17; vgl. hierzu 1. Kapitel C.III. 245  SBJL-Schmid, § 182 Rn. 17. 246  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 8a; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 124. 247  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 8a; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 124. 248  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 8a.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 175

In Bezug auf den Absatz 4 ist streitig, ob dieser eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Anstaltsleiter im Sinne des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG be­ gründen kann.250 Für die Annahme einer Offenbarungspflicht lassen sich mehrere Gründe anführen. Zunächst sprächen der Wortlaut und Zweck des Abs. 4 für eine Einbeziehung der externen Behandler als potenzielle Adres­ saten der Offenbarungspflicht aus Abs. 2.251 Auch ändere die Aufgaben­ wahrnehmung externer Behandler nichts an der Gesamtverantwortung des Anstaltsleiters für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt, auf welcher die Offenbarungspflicht des Abs. 2 gründe.252 Schließlich solle es nicht es nicht vom Belieben des Behandlers abhängen, ob notwendige Schutzmaßnahmen innerhalb des Vollzugs getroffen würden.253 Im Ergebnis ist hier auch für externe Behandler eine Offenbarungspflicht zu bejahen, wenn die Vorausset­ zungen des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG gegeben sind. Eine Offenbarung eines externen Behandlers gegenüber dem Anstaltsarzt kann sodann zu einer eigenen Offenbarungspflicht des Anstaltsarztes führen. Die Informationen, welcher der Anstaltsarzt von dem externen Behandler erfährt, können nämlich für ihn eine eigene Offenbarungspflicht aus § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG auslösen. § 182 Abs. 2 S. 1 StVollzG spricht von perso­ nenbezogenen Daten, welche den Schweigepflichtigen „von einem Gefange­ nen […] anvertraut oder über einen Gefangenen sonst bekannt geworden sind“. Informationen, welche der Anstaltsarzt durch einen externen Behandler über einen Gefangenen erhält, stellen genau die von der Norm genannten sonst bekannt gewordenen Daten dar. Unterfällt die Information dann den Voraussetzungen des § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG so hat der Anstaltsarzt sich gegenüber dem Anstaltsleiter zu offenbaren. Somit besteht für den Anstalts­ arzt eine eigene Offenbarungspflicht.

249  Arloth, GA 2003, 693 (697); ders., in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 11; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 12; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 131; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 23. 250  Befürwortend Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 11; Calliess/MüllerDietz, StVollzG § 182 Rn. 12; BeckOK Strafvollzug Bund/Beck, StVollzG § 182 Rn. 39; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 131; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 23; ablehnend Laubenthal, Strafvollzug Rn. 1041; AK-StVollzG/Goerdeler, 7.  Aufl. Teil III, I. Rn. 118. 251  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 182 Rn. 11; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG § 182 Rn. 12; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 131. 252  Calliess/Müller-Dietz, StVollzG §  182 Rn. 12; LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 131; SBJL-Schmid, § 182 Rn. 23. 253  SBJL-Schmid, § 182 Rn. 23.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

6. Zusammenfassende Betrachtung Im Kern des § 182 Abs. 2 StVollzG stehen die Offenbarungspflichten und -befugnisse als Ausnahmen von der Schweigepflicht.254 Zugleich verdeutlicht § 182 Abs. 2 StVollzG aber auch die zwiespältige Situation des Anstaltsarz­ tes innerhalb des Strafvollzugs. So ist der Anstaltsarzt als Arzt seinen Patien­ ten, hier den Gefangenen, gegenüber tätig und im Rahmen des staatlichen Schutzauftrages auch zu deren Gesundheitsfürsorge verpflichtet. Auf der an­ deren Seite ist der Anstaltsarzt jedoch auch Mitglied der besonderen Fach­ dienste und als solcher Teil des Vollzugsstabes. Dieses Konfliktverhältnis versucht § 182 Abs. 2 StVollzG aufzulösen, indem es eine Reihe von Pflich­ ten und Befugnissen aufstellt, in welchen die vollzugliche Tätigkeit der ärztlichen Tätigkeit übergeordnet wird. Wie auch andere Offenbarungspflichten gründet § 182 Abs. 2 StVollzG auf einer konkreten Gefahr für Rechtsgüter, welche nach der Wertung des Ge­ setzgebers nur durch eine Offenbarung verhütet werden kann. Im Gegensatz zu der Offenbarungspflicht aus § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 S. 2 StGB bestehen die Pflichten nach § 182 Abs. 2 S. 2 und S. 3 StVollzG in einem wesentlich größeren Umfang. Zudem kann davon ausgegangen wer­ den, dass die Pflichten auch immer parallel bestehen werden. Sofern der Anstaltsarzt nämlich von einer geplanten Straftat nach § 139 Abs. 3 S. 1 Nr. 1–3 StGB erfährt und sich nach dieser Norm offenbaren müsste, wird in der Regel auch eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben eines Gefange­ nen oder eines Dritten bestehen. Somit besteht dann auch eine uneinge­ schränkte Offenbarungspflicht nach § 182 Abs. 2 S. 2 und S. 3 StVollzG.

II. Landesgesetzliche Regelungen Die in § 182 StVollzG enthaltenen Bestimmungen zum Schutz besonderer Daten und die Offenbarungspflichten bzw. -befugnisse wurden in den Lan­ desgesetzen nur teilweise übernommen.255 Auch wenn die landesgesetzlichen Regelungen teilweise erheblich voneinander abweichen, lassen sich doch Übereinstimmungen in den verschiedenen Bundesländern ausmachen. Nach­ folgend werden die jeweils vergleichbaren Regelungen in Gruppen zusam­ mengefasst. Die Ausgestaltung der Offenbarungspflichten und -befugnisse wird jeweils innerhalb einer Gruppe von Landesregelungen erörtert. Dabei wird auch spezifisch auf die innerhalb einer Gruppe bestehenden Unter­ schiede eingegangen. Diejenigen Regelungen, welche besondere Kriterien 254  Vgl. 255  Vgl.

Volckart, R&P 1998, 192 (193). LNNV-Koranyi, Abschn. O Rn. 106.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 177

aufweisen und somit keiner Gruppe zuzuordnen sind, werden gesondert erör­ tert. Die landesgesetzlichen Regelungen beziehen sich vielfach auf „personen­ bezogene Daten besonderer Kategorien“. Diese werden in § 46 Nr. 14 BSDG und Art. 9 Abs. 1 DSGVO bzw. den Landesgesetzen zum Datenschutz256 oder direkt im entsprechenden Gesetz zum Strafvollzug257 legaldefiniert. Personenbezogene Daten besonderer Kategorien sind demnach solche „per­ sonenbezogenen Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, po­ litische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie genetische Daten, biometri­ sche Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesund­ heitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person“. Insbesondere der Anstaltsarzt wird vorwiegend mit Ge­ sundheitsdaten in Berührung kommen. Gesundheitsdaten umfassen nicht nur rein medizinische Daten, sondern alle personenbezogenen Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person einschließ­ lich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen.258 Auch diejeni­ gen Informationen, welche nur mittelbar gesundheitsbezogene sind, wie etwa der Arztbesuch, zählen bereits zu den Gesundheitsdaten.259 Schließlich sei an dieser Stelle noch auf das Inkrafttreten der verschiede­ nen Gesetze hingewiesen. Die im Folgenden erörterten Landesgesetze traten zwischen 2011 und 2021 in Kraft, wobei einige der hier besprochenen Nor­ men seit mehreren Jahren nicht mehr geändert wurden.260 Dies führt dazu, dass Verweise der Landesgesetze auf Bundesgesetze sich teilweise auf eine alte Rechtslage beziehen. Insbesondere bei Verweisen auf § 203 StGB ist vielfach die Rechtslage aus bzw. vor dem Jahr 2017 zugrunde zu legen. Die inzwischen vorgenommenen Gesetzesänderungen betreffen für die hier be­ sprochenen Probleme ausschließlich die Nummerierung des § 203 Abs. 1 StGB.261 Die Kenntlichmachung der jeweils zitierten alten Fassung des § 203 256  Verweise auf die landesgesetzlichen Regelungen finden sich teilweise in den Gesetzesbegründungen der Länder, vgl. etwa BlnLT-Drs. 16/3705 S. 48. 257  Z. B. § 2 Nr. 18 HmbJVollzDSG, welcher dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 DS­ GVO nachempfunden ist. 258  BeckOK Datenschutzrecht/Schild, BDSG §  46 Rn.  54; Gola/Heckmann/ Schulz, BDSG § 46 Rn. 67. 259  Gola/Heckmann/Schulz, BDSG § 46 Rn. 68. 260  Vgl. hierzu die Tabelle im Anhang. 261  § 203 StGB a. F. (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Le­ bensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, of­ fenbart, das ihm als

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

StGB dient im Folgenden der Verdeutlichung der Nummernverschiebung und dem möglicherweise vorkommenden Auseinanderfallen der verschiedenen Nummern. 1. Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Thüringen Die Regelungen in Bayern, Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen stimmen in Bezug auf die Offenbarungspflichten und -befugnisse von An­ staltsärzten inhaltlich weitestgehend mit der Regelung des § 182 Abs. 2 S. 2 und S. 3 StVollzG überein.262 Im Folgenden werden vor allem die Abweichun­ gen von § 182 Abs. S. 2 und S. 3 StVollzG besprochen, in Bezug auf die Über­ einstimmungen sei auf die obigen Ausführungen zu § 182 StVollzG verwiesen. Die Normadressaten werden in § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG durch einen Verweis auf § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 StGB benannt, Art. 201 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG, § 133 BbgJVollzG und § 133 Abs. 1 ThürJVollzG übernehmen anstelle einer Verweisung teilweise dessen Wortlaut.263 In § 133 Abs. 1 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, […] 2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprü­ fung, […] 4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädago­ gen oder 6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebens­ versicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Ver­ rechnungsstelle anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird […] bestraft. § 203 StGB n. F. (1) […] 5. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 6. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädago­ gen oder 7. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebens­ versicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Ver­ rechnungsstelle […] Änderungen hervorgehoben. 262  Vgl. für Bayern und Niedersachsen: BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, BayStVollzG Art. 201 Rn. 1, welcher sich auf die Kommentierung zur Bundesrege­ lung bezieht; BeckOK Strafvollzug Nds/Weiner, NJVollzG § 195 Rn. 1. 263  BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, BayStVollzG Art. 201 Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Bbg/Graf, BbgJVollzG § 133 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Thüringen/ Graf, ThürJVollzGB § 133 Rn. 3.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 179

ThürJVollzG werden zudem weitere Berufsgeheimnisträger mit aufgenom­ men. § 195 Abs. 2 S. 2 NJVollzG bedient sich, wie auch § 182 Abs. 2 StVollzG a. F., eines Verweises auf § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StGB a. F. Der Adressat der mitzuteilenden Tatsachen der Berufsgeheimnisträger wird in § 195 Abs. 2 S. 2 NJVollzG abweichend von § 182 Abs. 2 StVollzG zusätz­ lich zum Anstaltsleiter auch auf einen vom Anstaltsleiter „beauftragten Jus­ tizvollzugsbediensteten“ erweitert. Während § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG in der ersten Alternative der Offen­ barungspflicht für Anstaltsärzte allgemein auf die „Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde“ verweist, folgt nur § 195 Abs. 2 S. 2, 3 NJVollzG dem Wortlaut des Bundesgesetzes. § 133 Abs. 2, 3 BbgJVollzG und § 133 Abs. 2, 3 ThürJVollzGB benennen hingegen namentlich die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt und die Aufgabenerfüllung der Aufsichtsbehörde, welches im Ergebnis dasselbe meint wie Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde.264 Art. 201 Abs. 1 S. 1, 2 BayStVollzG benennt hingegen nur die Aufgaben­ erfüllung der Anstalt, nimmt jedoch keinen Bezug auf die Aufgabenerfüllung der Aufsichtsbehörde. Während Arloth diesen Unterschied in seiner Kom­ mentierung zu übersehen scheint,265 stellt sich dennoch die Frage, ob dies einen Unterschied für die Offenbarungspflicht ausmachen kann. Den Aufsichtsbehörden obliegt zunächst die Dienst- und Fachaufsicht über die Vollzugsanstalten.266 Dies umfasst auch die Fachaufsicht über den An­ staltsarzt und seine Tätigkeit.267 Allerdings treffen die Aufsichtsbehörden in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen auch Einzelfallentscheidungen und ihnen steht unter besonderen Voraussetzungen ein Selbsteintrittsrecht zu.268 Eine gesetzliche Ermächtigung zum Treffen einer Einzelfallentscheidung durch die Aufsichtsbehörde findet sich in § 153 StVollzG, welche die Lan­ desjustizverwaltung dazu ermächtigt, sich Entscheidungen über die Verle­ gung von Gefangenen vorzubehalten. Die Ermächtigung konnte in den Lan­ destrafvollzugsgesetzen umgesetzt werden, wovon in Bayern jedoch kein Gebrauch gemacht wurde.269 Somit werden Informationen, welche die Be­ rufsgeheimnisträger in Bayern erlangen, zumindest in diesem Bereich keine Einzelfallentscheidungen der Aufsichtsbehörden berühren. Allerdings sind 264  Vgl.

dazu oben unter B.I.2.a). BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, BayStVollzG Art. 201 Rn. 6, in wel­ cher er von der „Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde“ spricht, welche sich in der Norm jedoch nicht wiederfindet. 266  Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 11 Rn. 5. 267  LNNV-Laubenthal, Abschn. H Rn. 18. 268  LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 13; Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvoll­ zug, § 11 Rn. 5. 269  SBJL-Koepsel, § 153 Rn. 5. 265  Vgl.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

auch in Bayern Fälle denkbar, in welchen eine Offenbarung von Berufsge­ heimnisträgern die Ausübung der Dienst- und Fachaufsicht der Aufsichtsbe­ hörden beeinflussen könnte. Beispielhaft sei hier die Überprüfung der Tätig­ keit der Berufsgeheimnisträger zu Zwecken der Abrechnung270 oder der Aufstellung von Finanzplänen für die Vollzugsanstalten durch die Aufsichts­ behörde genannt. In der Praxis werden Informationen, welche die Berufsge­ heimnisträger erlangen, jedoch eher selten die Aufgabenerfüllung der Auf­ sichtsbehörde berühren, so dass das Fehlen einer Offenbarungspflicht zum Schutz der Aufgabenerfüllung der Aufsichtsbehörde diesbezüglich kaum Auswirkungen haben wird. In Bezug auf die zweite Alternative der Offenbarungspflicht zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leib oder Leben eines Gefangenen oder Dritter stimmen alle landesgesetzlichen Normen mit § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG überein. Ebenso enthalten alle landesgesetzlichen Regelungen eine einge­ schränkte Offenbarungspflicht für Ärzte. Ihnen wird für Geheimnisse, welche ihnen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt geworden sind, eine Offenbarungsbefugnis entsprechend § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG eingeräumt; eine Pflicht zur Offenbarung besteht in diesen Fällen nicht. 2. Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern Die Regelungen in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern stimmen ebenfalls weitestgehend mit § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG überein. Allerdings fehlt in den landesgesetzlichen Regelungen eine Privilegierung in Form einer Offenbarungsbefugnis der Anstaltsärzte im Rahmen der allgemei­ nen Gesundheitsfürsorge. Zunächst sehen § 51 Abs. 2 S. 2 JVollzGB I BW und § 40 Abs. 2 JVollz­ DSG M-V271 grundsätzlich eine Offenbarungspflicht für Berufsgeheimnis­ träger vor, wie sie auch in § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG normiert wird. Aller­ dings enthalten beide Normen auch unterschiedliche Abweichungen von dieser Regelung. § 51 Abs. 2 S. 2 JVollzGB I BW weicht insofern von der Bundesregelung ab, als eine Offenbarungspflicht zusätzlich auch dann begründet wird, wenn dies zur „Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt“ 270  Vgl. hierzu unter 3. die Regelung in Hamburg, welche sich ausdrücklich auf diese Überprüfungen bezieht. 271  Da zu § 40 JVollzDSG zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Kommentierung vorhanden ist, wird nachfolgend teilweise auf die Kommentierung zu § 114 StVollzG M-V verwiesen, welcher bis zum 02.12.2020 die Offenbarungspflichten der Berufs­ gehimnisträger regelte. § 40 JVollzDSG M-V übernimmt im Wesentlichen die Vorga­ ben des § 114 StVollzG M-V, s. MVLT-Drs. 7/4801 (neu), S. 148.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 181

erforderlich ist. Das hier genannte Merkmal der Sicherheit der Justizvoll­ zugsanstalt stellt jedoch lediglich eine Konkretisierung der „Aufgabenerfül­ lung“ dar.272 Da die Sicherheit der Anstalt zu den Kernaufgaben der Justiz­ vollzugsbehörden gehört, hat dieses Merkmal allein klarstellende Funk­tion.273 § 40 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG M-V sieht zudem vor, dass die Berufsgeheim­ nisträger „ihnen bekannte personenbezogene Daten von sich aus oder auf Befragen“ zu offenbaren haben, „soweit dies auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gefangenen an der Geheimhaltung der personenebezoge­ nen Daten“ erforderlich ist. Die Regelung enthält somit, im Vergleich zu § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG, ein explizites Kriterium, welches bei der Abwä­ gung der berührten Interessen zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus weicht die Reglung auch insofern von § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG ab, als eine Offenbarungpflicht auch dann besteht, wenn dies für die Aufgabenerfüllung „des für den Justizvollzug zuständigen Ministeriums […] oder zur Abwehr der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten erfor­ derlich ist“. Bezüglich der Offenbarung zur Abwehr der Gefahr der Bege­ hung erheblicher Straftaten wird auf die untenstehenden Ausführungen ver­ wiesen.274 Die Verwendung der Formulierung „für den Justizvollzug zustän­ dige Ministerium“ stellt lediglich eine andere Wortwahl für den Begriff der Aufsichtsbehörde dar.275 Denn in § 101 Abs. 1 StVollzG M-V ist die Auf­ sichtsbehörde legaldefiniert als „das für Justiz zuständige Ministerium“. Folglich besteht die Offenbarungspflicht, wenn dies zur Aufgabenerfüllung der Aufsichtsbehörde erforderlich ist. Die Besonderheit der Regelungen in Baden-Württemberg und Mecklen­ burg-Vorpommern liegt darin, dass die Landesgesetze keine Beschränkung der Offenbarungspflicht auf eine Offenbarungsbefugnis für Ärzte im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge enthalten. In beiden Gesetzen ist ledig­ lich der Maßstab der Erforderlichkeit der Offenbarung für Ärzte angehoben. So sind Ärzte nach § 40 Abs. 3 S. 1 JVollzDSG M-V zur Offenbarung der ihnen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewordenen Informationen verpflichtet, wenn dies zur Aufgabenerfüllung unerlässlich ist. Nach § 51 Abs. 2 S. 3 JVollzGB I BW haben sich Ärzte in Bezug auf perso­ nenbezogene Daten besonderer Kategorien nur dann zu offenbaren, wenn dies unbedingt erforderlich ist.

272  BWLT-Drs.

14/1241, S. 49. 14/1241, S. 49. 274  S. hierzu unten unter B.II.4.a)bb). 275  S. hierzu auch MVLT-Drs. 7/4801 (neu), S. 148, wo durchweg der Begriff „Aufsichtsbehörde“ genutzt wird, obwohl dieser in der Norm nicht zu finden ist. 273  BWLT-Drs.

182

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Zur Begründung einer fehlenden Differenzierung zwischen Ärzten und den Mitgliedern der übrigen Fachdienste wird unter anderem auf die besonderen Umstände der Freiheitsentziehung verwiesen. So sei das Fehlen der freien Arztwahl eine direkte Folge der Freiheitsentziehung, welche jedoch keiner ausgleichenden datenschutzrechtlichen Regelung bedürfe, weder aus Grün­ den des Persönlichkeitsrechtes noch vor dem Hintergrund ärztlicher Standes­ regelungen.276 Die Offenbarungspflicht anstelle einer Offenbarungsbefugnis für Ärzte harmoniere zudem mit der Neuregelung der Führungsaufsicht (§ 68a Abs. 8 StGB), da auch dort eine Offenbarungspflicht für Ärzte statu­ iert werde.277 Die Begründung, welche sich auf eine Harmonisierung mit § 68a Abs. 8 StGB stützt, kann nicht überzeugen. Zunächst erscheint es bereits so, dass bei der Gesetzesbegründung der Wortlaut des § 68a Abs. 8 StGB278 nicht ange­ messen interpretiert wurde. So heißt es in den Gesetzesbegründungen des Baden-Württembergischen und des Mecklenburg-Vorpommerschen Land­ tages, § 68a Abs. 8 StGB statuiere „eine Offenbarungspflicht für die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StGB [a. F.] genannten Berufsgruppen sowie für Mitar­

276  BWLT-Drs. 14/1241, S. 49; zust. BeckOK Strafvollzug BW/Sterz, JVollzGB I § 51 Rn. 13; MVLT-Drs. 06/1337, S. 143 zu § 114 StVollzG a. F. 277  BWLT-Drs. 14/1241, S. 50; zust. BeckOK Strafvollzug BW/Preisser, JVollz­GB I § 51 Rn. 13; MVLT-Drs. 06/1337, S. 144; zust. BeckOK Strafvollzug MV/Graf, StVollzG M-V § 114 Rn. 11. 278  (1) Die verurteilte Person untersteht einer Aufsichtsstelle; das Gericht bestellt ihr für die Dauer der Führungsaufsicht eine Bewährungshelferin oder einen Bewäh­ rungshelfer. […] (8) 1Die in Absatz 1 Genannten und die in § 203 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 6 genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der forensischen Ambulanz haben fremde Geheimnisse, die ihnen im Rahmen des durch § 203 geschützten Verhältnisses anver­ traut oder sonst bekannt geworden sind, einander zu offenbaren, soweit dies notwen­ dig ist, um der verurteilten Person zu helfen, nicht wieder straffällig zu werden. 2 Darüber hinaus haben die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der forensischen Ambulanz solche Geheimnisse gegenüber der Auf­ sichtsstelle und dem Gericht zu offenbaren, soweit aus ihrer Sicht 1. dies notwendig ist, um zu überwachen, ob die verurteilte Person einer Vorstel­ lungsweisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 nachkommt oder im Rahmen einer Weisung nach § 68b Abs. 2 Satz 2 und 3 an einer Behandlung teilnimmt, 2. das Verhalten oder der Zustand der verurteilten Person Maßnahmen nach § 67g, § 67h oder § 68c Abs. 2 oder Abs. 3 erforderlich erscheinen lässt oder 3. dies zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestim­ mung Dritter erforderlich ist. 3 In den Fällen der Sätze 1 und 2 Nr. 2 und 3 dürfen Tatsachen im Sinne von § 203 Abs. 1, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der forensischen Ambulanz offen­ bart wurden, nur zu den dort genannten Zwecken verwendet werden.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 183

beiter der forensischen Ambulanz“.279 Diese Interpretation gibt der Wortlaut des § 68a Abs. 8 StGB jedoch nicht her. Dort heißt es „die in § 203 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 6 [StGB] genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der forensischen Ambulanz“ haben sich „einander zu offenbaren“. Es handelt sich somit um eine Offenbarungspflicht der Mitarbeiter der Forensischen Ambu­ lanzen welche zugleich Berufsgeheimnisträger nach § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 StGB sind.280 Der Wortlaut ist dagegen nicht so zu verstehen, dass die Mit­ arbeiter der Forensischen Ambulanzen und alle anderen in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 StGB genannten Personen zur Offenbarung verpflichtet sind. Zudem kann die Begründung mit dem Verweis auf § 68a Abs. 8 StGB auch deswegen nicht überzeugen, da die Ausgangssituationen der betroffenen Person innerhalb des Vollzugs und während der Führungsaufsicht grundsätz­ lich unterschiedlich sind. Eine Harmonisierung der beiden Situationen ist weder notwendig noch angebracht. Während der Führungsaufsicht werden keine freiheitsentziehenden Sank­ tionen mehr vollzogen. Die Freiheitsentziehung ist entweder vollständig vollstreckt worden (§ 68f StGB), die weitere Vollstreckung ist zur Bewäh­ rung ausgesetzt (§ 67d Abs. 2 StGB) oder erledigt (§ 67d Abs. 4 StGB). Dies bedeutet, dass sich die betroffene Person ab ihrer Haftentlassung gar nicht mehr an den Anstaltsarzt wenden kann. Oder um diesen Umstand positiver auszudrücken: die betroffene Person hat ab ihrer Entlassung wieder das Pri­ vileg der freien Arztwahl zur allgemeinen Gesundheitsfürsorge und ist nicht an einen einzigen Arzt, namentlich den Anstaltsarzt, gebunden. Die forensi­ sche Ambulanz ist hier nicht für die allgemeine Gesundheitsfürsorge zustän­ dig, sondern erfüllt im Einvernehmen mit dem Bewährungshelfer und der Aufsichtsbehörde eine Hilfs- und Betreuungsfunktion.281 Die forensische Ambulanz ist allein für die qualifizierte forensische Nachsorge nach einer Unterbringung im Maßregelvollzug oder der Behandlung im Strafvollzug zuständig.282 Zudem unterstützt sie die Aufsichtsstelle in deren Kontroll- und Überwachungstätigkeit.283 279  BWLT-Drs. 14/1241, S. 50; MVLT-Drs. 06/1337, S. 144 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 280  Vgl. hierzu auch Schönke/Schröder/Kinzig, § 68a Rn. 15 f., in welchen er aus­ drücklich von den bestimmten Mitarbeitern der forensischen Ambulanz spricht, denen Geheimnisse im Rahmen des durch § 203 StGB geschützten Verhältnisses anvertraut oder sonst bekannt werden und NK-StGB/Ostendorf, § 68a Rn. 24, 27, welcher ver­ deutlicht, dass sich der Verweis auf § 203 explizit auf die in der forensischen Ambu­ lanz tätigen Personen bezieht. 281  Lackner/Kühl/Heger, § 68a Rn. 8a; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf, § 68a Rn. 7; SK-StGB/Sinn, § 68a Rn. 7. 282  NK-StGB/Ostendorf, § 68 Rn. 25; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf, § 68a Rn. 7. 283  Schönke/Schröder/Kinzig, § 68a Rn. 10b.

184

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Wie bereits mehrfach angesprochen, besteht für einen Gefangenen aber gerade keine freie Arztwahl. Während eine Person, die unter Führungsauf­ sicht steht, bei einer Erkrankung oder aus sonstigen, allein von ihr zu bestim­ menden Motiven, ihren Hausarzt oder irgendeinen anderen Arzt aufsuchen kann, fehlt bereits diese grundsätzliche Möglichkeit in der Haft. Zudem weiß eine unter Führungsaufsicht stehende Person, dass der sie behandelnde Arzt unter Schweigepflicht steht und sie sich ihm öffnen kann, ohne davon ausge­ hen zu müssen, dass Informationen von dem Arzt offenbart werden müssen. Hingegen besteht auch diese Gewissheit für einen Gefangenen nicht. Dieser Unterschied zwischen einem Gefangen und einer unter Führungsaufsicht stehende Person ist wesentlich für das jeweilige Arzt-Patienten-Verhältnis und zeigt, dass die von den Landtagen angestrebte Harmonisierung bereits dem Grunde nach verfehlt ist. Weitergehend sind auch die jeweiligen Offenbarungspflichten in § 68a Abs. 8 StGB und den Landesgesetzen grundsätzlich unterschiedlich ausge­ staltet. § 68a Abs. 8 S. 1 StGB sieht zunächst eine Offenbarungspflicht der Aufsichtsstelle, Bewährungshilfe und den Mitarbeitern der forensischen Am­ bulanz untereinander vor. Diese besteht nur, soweit eine Offenbarung not­ wendig ist, um der verurteilten Person zu helfen, nicht wieder straffällig zu werden. Darüber hinaus sieht § 68a Abs. 8 S. 2 Nr. 3 StGB eine Offenba­ rungspflicht der Mitarbeitenden der forensischen Ambulanz gegenüber der Aufsichtsstelle und dem Gericht vor, soweit dies aus ihrer Sicht zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Un­ versehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung Dritter erforderlich ist. Die in S. 1 genannten gegenseitigen Offenbarungs­ pflichten dienen der effektiven Betreuung und Hilfe der verurteilten Person, die in S. 2 Nr. 3 genannte Offenbarungspflicht dient der Überwachung und Gefahrenabwehr.284 Dabei kommt es zur Bestimmung der Notwendigkeit einer Offenbarung nach S. 2 Nr. 3 auf die Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der forensischen Ambulanz an, das heißt ihre Einschätzung ist für diese Offenbarungspflicht maßgebend.285 Weder beschränken die Offenbarungspflichten der Anstaltsärzte aus § 51 Abs. 2 S. 3 BWJVollzGB und § 40 Abs. 3 JVollzDSG M-V sich jedoch auf die spezifischen Bedürfnisse des betroffenen Gefangenen, ihn vor Taten oder Handlungen zu bewahren, noch kommt es zur Begründung der Pflicht auf die Sicht des Anstaltsarztes286 an. Auch insofern kann also nicht von einer Harmonisierung mit § 68a Abs. 8 StGB gesprochen werden. 284  U. Schneider, NStZ 2007, 441 (446); Schönke/Schröder/Kinzig, § 68a Rn. 14; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf, § 68a Rn. 9, 10. 285  NK-StGB/Ostendorf, § 68a Rn. 27. 286  Vgl. hierzu die Ausführungen unter B.I.2.c).



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 185

Schließlich nennt § 68a Abs. 8 S. 2 Nr. 3 StGB zur Begründung der Offen­ barungspflicht eine „Gegenwärtigkeit“ der Gefahr. Auf dieses Merkmal wurde jedoch in den Strafvollzugsgesetzen verzichtet.287 Das hierzu ange­ führte Argument, die von einem Gefangenen ausgehende Gefahr konkreti­ siere sich teilweise erst bei vollzugsöffnenden Maßnahmen,288 kann nicht überzeugen. Das Abstellen auf eine potenzielle Gefahr in unbestimmter Zu­ kunft widerspricht nicht nur dem Bestimmtheitsgrundsatz, sondern ist auch bereits nicht erforderlich. Eine Offenbarungspflicht, welche wie vorliegend in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht der Gefangenen eingreift, ohne dass konkrete Gründe dafür ersichtlich sind, kann nicht erforderlich sein. Die derzeit statuierte Offenbarungspflicht in § 51 Abs. 2 S. 3 BW­ JVollzGB und § 40 Abs. 3 JVollzDSG M-V beruht auf einer Annahme antizi­ pierter Gefahren, welche möglicherweise niemals eintreten. Der mit dieser Pflicht einhergehende Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestim­ mung des betroffenen Gefangenen ist in dieser Form nicht zu rechtfertigen. Insgesamt zeigt sich in der fehlenden Privilegierung von Anstaltsärzten und in der konkreten Ausgestaltung der für die Anstaltsärzte geltenden Of­ fenbarungspflicht ein unvertretbar niedriges Schutzniveau von personenbezo­ genen Daten besonderer Kategorien. Dieses kann auch nicht durch die Anhe­ bung des Erforderlichkeitsmaßstabes auf unbedingt erforderlich ausgeglichen werden. Besonders schwer wiegt aber, dass bei den Gesetzesbegründungen nicht dazu Stellung genommen wurde, dass den Gefangenen keinerlei ge­ schützter Raum zur allgemeinen Gesundheitsfürsorge und somit kein ge­ schütztes Arzt-Patienten-Verhältnis verbleibt. Die den Landesgesetzgebern eröffnete Möglichkeit, den Schutz des Arzt-Patienten-Verhältnisses unter Beachtung der an § 182 Abs. 2 StVollzG geübten Kritik angemessen auszu­ gestalten, wurde hier schlicht nicht wahrgenommen. 3. Hamburg § 26 HmbJVollzDSG wird an dieser Stelle gesondert behandelt, da die Regelung eine besondere Offenbarungspflicht für Anstaltsärzte und -zahn­ ärzte zu Controllingzwecken enthält. § 26 Abs. 3 HmbJVollzDSG trifft hinsichtlich der allgemeinen Offenba­ rungspflicht von Berufsgeheimnisträgern zunächst eine Differenzierung zwi­ schen allgemeinen Daten und personenbezogenen Daten besonderer Katego­ rien. So besteht nach § 26 Abs. 3 S. 1 HmbJVollzDSG für die in § 26 Abs. 2 HmbJVollzDSG genannten Berufsgeheimnisträger eine Offenbarungspflicht 287  Vgl.

hierzu BWLT-Drs. 14/1241, S. 50; MVLT-Drs. 06/1337, S. 144. 14/1241, S. 50.

288  BWLT-Drs.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

gegenüber der Anstaltsleitung, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörden oder zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leib oder Le­ ben der Gefangenen oder Dritten erforderlich ist. Die Regelung entspricht im Wesentlichen § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG.289 Nach § 26 Abs. 3 S. 2 Hmb­ JVollzDSG sind personenbezogene Daten besonderer Kategorien jedoch nur dann zu offenbaren, soweit dies zur Erreichung der in Satz 1 genannten Zwecke unbedingt erforderlich ist. Dieser angehobene Maßstab der Erforder­ lichkeit findet sich in § 7 Abs. 2 HmbJVollzDSG wieder und ist grundsätzlich immer bei der Verarbeitung personenbezogener Daten besonderer Kategorien zu beachten. Insoweit hat § 26 Abs. 3 S. 2 HmbJVollzDSG lediglich deklara­ torischen Charakter, da der Maßstab „unbedingt erforderlich“ bereits durch § 7 Abs. 2 HmbJVollzDSG bestimmt wird.290 § 26 Abs. 4 HmbJVollzDSG sieht zusätzlich eine besondere Offenbarungs­ pflicht für Ärzte und Zahnärzte zu Controllingzwecken gegenüber den Justiz­ vollzugsbehörden vor. Demnach sind Ärzte und Zahnärzte zur Offenbarung verpflichtet, soweit dies für die vorzunehmende Überprüfung ihrer Tätigkeit bezüglich Abrechnung, Wirtschaftlichkeit und Qualität sowie zu Zwecken der Prüfung der Kostenbeteiligung der Gefangenen unbedingt erforderlich ist. Die Regelung stellt zudem klar, dass vor allem die erbrachten Leistun­ gen, die Behandlungsdauer und die allgemeinen Angaben über die Gefange­ nen und ihre Erkrankung von der Offenbarungspflicht betroffen sind. Die Offenbarungspflicht wird hier an eine unbedingte Erforderlichkeit geknüpft, da es sich ausnahmslos um Gesundheitsdaten und somit um personenbezo­ gene Daten besonderer Kategorien handelt.291 Nach der Gesetzesbegründung sei die Offenbarungspflicht zu Controlling­ zwecken mit dem Persönlichkeitsschutz und den ärztlichen Standesregelun­ gen in Einklang zu bringen.292 Die Offenbarung zu Controllingzwecken sei im Interesse der Allgemeinheit an einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwaltung angemessen.293 Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des be­ troffenen Gefangenen würde zudem durch den Stichprobencharakter der Überprüfungen relativiert.294 Schließlich wird auch darauf verwiesen, dass nur eine eingeschränkte Durchbrechung des Geheimnisschutzes erfolge, da 289  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Ogiermann/Nühlen, HmbJVollzDSG Rn. 21. 290  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Ogiermann/Nühlen, HmbJVollzDSG Rn. 23. 291  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Ogiermann/Nühlen, HmbJVollzDSG Rn. 24. 292  HmbBürgerschafts-Drs.  18/6490, S. 52 zum ehemaligen § 124 Abs. 2 HmbJVollzG, welcher fast wortgleich mit § 26 Abs. 4 HambJVollzDSG ist. 293  HmbBürgerschafts-Drs. 18/6490, S. 52. 294  HmbBürgerschafts-Drs. 18/6490, S. 52.

§  26 §  26 §  26 S. 3



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 187

die im Rahmen der Prüfung erlangten Daten nach § 26 Abs. 7 HmbJVollz­ DSG nur zweckgebunden verwendet werden dürften und die überprüfenden Personen selbst schweigepflichtig seien.295 Hinsichtlich der Begründung, dass auch der Prüfer selbst schweigepflich­ tig sei, sei hier nur kurz angemerkt, dass die ärztliche Schweigepflicht grund­ sätzlich auch gegenüber anderen schweigepflichtigen Personen gilt.296 Die­ ses Argument kann also nur begrenzt überzeugen. Grundsätzlich bestehen aber keine ernsthaften Bedenken gegen eine Of­ fenbarungspflicht zu Controllingzwecken, soweit die betroffenen Interessen der Gefangenen angemessen berücksichtigt werden. Hier ist zunächst zu be­ rücksichtigen, dass ein hauptamtlicher, also verbeamteter Anstaltsarzt ohne­ hin unter der Fachaufsicht der Aufsichtsbehörde steht.297 Insoweit kann seine gesamte nicht-behandelnde Tätigkeit von der Aufsichtsbehörde über­ prüft werden; er ist nur in seiner fachlich-medizinischen Tätigkeit frei.298 Eine Überprüfung der Abrechnung, Wirtschaftlichkeit und Prüfung der Kos­ tenbeteiligung ist in vollem Umfang von der Fachaufsicht umfasst. Die Überprüfung der Qualität der ärztlichen Tätigkeit ist hingegen von der Dienstaufsicht umfasst, welche dem Anstaltsleiter zusteht. Durch die Offen­ barungspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde werden im Grunde nur Teile der Dienstaufsicht vom Anstaltsleiter auf die Aufsichtsbehörde übertragen. Die Regelung wird sich somit vornehmlich an diejenigen nebenamtlichen Ärzte und Zahnärzte richten, welche nicht der Dienst- oder Fachaufsicht unterstehen. Für diese Ärzte schafft sie mittels einer Offenbarungspflicht dieselben Überprüfungsmöglichkeiten wie für die hauptamtlichen Ärzte. Soweit von der Offenbarung spezifische Angaben zu den erbrachten Leis­ tungen, der Behandlungsdauer und allgemeine Angaben über die Gefangenen und ihre Erkrankungen betroffen sind, liegt ein wesentlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des jeweiligen Gefangenen vor. Hier wird genauer abzu­ wägen sein, welche Daten unbedingt offenbart werden müssen bzw. in wel­ chem Umfang eine Offenbarung wirklich erforderlich ist.299 Gegebenenfalls müssen auch pauschale Angaben bzw. der Verzicht auf Details der Behand­ lung oder Erkrankung ausreichen, um die Tätigkeit überprüfen zu können. Ebenso wie im Rahmen der Offenbarung nach § 182 Abs. 2 StVollzG wird 295  HmbBürgerschafts-Drs. 18/6490,

S. 52. hierzu 1. Kapitel A. und D.II. sowie 2. Kapitel B.II.3. 297  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 31; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 277; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 64. 298  Feest, in: Keppler/Stöver, Gefängnismedizin, S. 31; Laubenthal, Strafvollzug Rn. 277; AK-StVollzG/Lesting, Teil II, § 62 LandesR Rn. 64. 299  Auch BeckOK Strafvollzug Hamburg/Ogiermann/Nühlen, HmbJVollzDSG § 26 Rn. 25 stellen auf erforderlichen Umfang ab. 296  Vgl.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

die Offenbarung hier auf das unerlässliche Maß beschränkt werden müs­ sen.300 § 26 Abs. 5 HmbJVollzDSG enthält eine Offenbarungsbefugnis für Ärzte und Zahnärzte im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge, welche sich an der Offenbarungsbefugnis des § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG orientiert. Aller­ dings wurde hier sowohl für die Offenbarung zur Aufgabenerfüllung der Justizvollzugsbehörden wie auch zur Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben der Gefangenen oder Dritter der einheitliche Maßstab der unbedingten Erforderlichkeit gewählt. 4. Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein Die Regelungen in Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zeichnen sich alle durch ihre sehr ausdifferenzierten Regelungen in der Aufzählung der Offenbarungsgründe und der expliziten Benennung der Berücksichtigung der Interessen der Gefangenen aus. Bis auf § 33 Abs. 2 JVollzDSG NRW haben sich alle Länder in dieser Gruppe für eine enumerative Aufzählung der Gründe für eine Offenbarungspflicht entschieden. a) Offenbarungspflichten Übereinstimmend enthalten § 61 Abs. 1 Nr. 2 JVollzDSG Bln, § 46 Abs. 1 BremJVollzDSG, § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW, § 43 Abs. 1 JVollzDSG RP, § 46 Abs. 1 JVollzDSG SL, § 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG, § 58 Abs. 1 Nr. 2 JVollzGB IV LSA und § 46 Abs. 1 JVollzDSG SH eine Offenbarungs­ pflicht für Berufsgeheimnisträger gegenüber dem Anstaltsleiter oder der An­ staltsleiterin nur, soweit eine Offenbarung auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gefangenen an der Geheimhaltung der Tatsachen bzw. perso­ nenbezogenen Daten erforderlich ist. In § 61 Abs. 1 JVollzDSG Bln, § 46 Abs. 1 BremJVollzDSG § 43 Abs. 1 JVollzDSG RP, § 46 Abs. 1 JVollzDSG SL, § 58 Abs. 1 JVollzGB IV LSA, § 46 Abs. 1 JVollzDSG SH wird zudem klargestellt, dass die Pflicht zur Offenbarung die Berufsgeheimnisträger so­ wohl von sich aus oder auf Befragen trifft. In § 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG wird statt des Wortes Befragen, das Wort „Verlangen“ benutzt.

300  Vgl.

hierzu B.I.2.c).



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 189

aa) Abwehr von Gefahren für Leben, Körper und Gesundheit Zunächst wird als erster Offenbarungsgrund die Abwehr einer Gefahr für das Leben eines Menschen, insbesondere zur Verhütung von Selbsttötungen genannt. Bemerkenswert ist hier, dass in § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW lediglich die Verhinderung von Selbstverletzungen benannt wird. Allerdings sollte dies keine Auswirkung auf die Offenbarungspflicht eines Anstaltsarztes in Nordrhein-Westfalen haben, wenn er bei einem Gefangenen eine Suizidge­ fahr feststellt. Die Regelung in § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW setzt ledig­ lich an einem früheren Zeitpunkt an, indem jeder Verdacht auf Selbstverlet­ zungen zu einer Offenbarungspflicht führt, ungeachtet dessen, ob die Verlet­ zungen geeignet sind eine Selbsttötung herbeizuführen oder nicht. Im Kern wollen also alle Landesnormen mit der Offenbarungspflicht eine Verhinde­ rung von Selbsttötungen bewirken. Übereinstimmend benennen alle Normen die Abwehr erheblicher Gefahren für Leib oder Leben eines (anderen) Menschen. Insoweit lassen sich die Aus­ führungen zu § 182 Abs. 2 S. 2 2. Alt. StVollzG auf die Landesnormen über­ tragen.301 § 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG benennt zudem die Abwehr einer Gefahr für die Freiheit eines Menschen. bb) Abwehr von Straftaten Bis auf § 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG benennen zudem alle Landesnormen die Abwehr von Straftaten als Offenbarungsgrund. §§ 46 Abs. 1 Nr. 3 Brem­ JVollzDSG, § 43 Abs. 1 Nr. 3 JVollzDSG RP, § 46 Abs. 1 Nr. 3 JVollzDSG SL, § 58 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) JVollzGB IV LSA und § 46 Abs. 1 Nr. 3 JVollz­ DSG SH beziehen sich dabei jeweils auf Straftaten von erheblicher Bedeu­ tung. Hier kann ein Vergleich mit dem in § 81g Abs. 1 S. 1, § 98a Abs. 1, § 100g Abs. 1 Nr. 1, § 100h Abs. 1, § 100i Abs. 1, § 110a Abs.1, § 131 Abs. 3, § 131a Abs. 3, § 131b Abs. 1, 2, § 160a Abs. 2, § 163e Abs. 1, § 163f Abs. 1 und § 453c Abs. 1 StPO verwendeten Begriff von Straftaten erheb­ licher Bedeutung gezogen werden.302 Nach der Rechtsprechung des BVerfG zu dem in der StPO verwendeten Begriff liegt eine Straftat von erheblicher Bedeutung vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.303 Ob diese 301  Vgl.

hierzu unter B.I.2.b). Strafvollzug RhPf/Geilhorn/Malskies, LJVollzDSG §  43 Rn.  14; BeckOK Strafvollzug LSA/Höft, JVollzGB IV § 58 Rn. 21. 303  BVerfG NJW 2009, 2431 (2435) m. w. N.; ebenso BeckOK Strafvollzug LSA/Höft, JVollzGB IV § 58 Rn. 21; BeckOK Strafvollzug SH/Anders, JVollzDSG § 34 a. F. Rn. 7. 302  BeckOK

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

abstrakten Kriterien gegeben sind, muss im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden.304 § 61 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) JVollzDSG Bln und § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW sprechen hingegen von der Abwehr einer schwerwiegenden respektive erheblichen Straftat im Einzelfall. Wobei dies im JVollzDSG Bln spezifiziert wird auf „insbesondere [Straftaten] infolge Befreiung, Entweichung oder Nichtrückkehr von Gefangenen“. Der Begriff der erheblichen Straftaten fin­ det sich unter anderem in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB im Bereich der Sicherungs­ verwahrung. Daran anschließend wird der Begriff auch in § 1 SVVollzG NRW genutzt. Nach ständiger Rechtsprechung sind erhebliche Straftaten solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören.305 Die Beurteilung, ob eine Straftat erheblich ist, wird dabei nicht nach generellen Maßstäben, son­ dern nach einer Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall vorgenom­ men.306 Nach der Neufassung des § 66 StGB wird zur Bestimmung einer Tat als erhebliche Straftat unter anderem auf eine schwere Opferschädigung ab­ gestellt.307 Im Zuge einheitlicher Gesetzesauslegung können die zu § 66 StGB gebildeten Grundsätze auch auf die Strafvollzugsgesetze der Länder angewendet werden. Der Begriff der schwerwiegenden Straftat findet sich unter anderem in § 100f StPO, welcher auf die in § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten, auch im Einzelfall schwerwiegende Straftat verweist. Im Rahmen dieser Norm wird teilweise angenommen, dass es sich mindestens um eine Straftat aus dem Bereich der mittleren Kriminalität handeln müsse308 oder dass sie im Be­ reich zwischen der besonders schweren Straftat und denen von erheblicher Bedeutung anzusiedeln sei.309 cc) Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörden Innerhalb dieser Gruppe findet sich allein in § 46 Abs. 1 Nr. 4 BremJVollz­ DSG und § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW eine Offenbarungspflicht zur Aufgabenerfüllung der Justizvollzugsbehörden. Insoweit wird auf die Aus­ führungen zu § 182 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StVollzG verwiesen.310 304  BeckOK Strafvollzug LSA/Höft, JVollzGB IV § 58 Rn. 21; AK-StVollzG/ Goer­deler, Teil III, G. Rn. 204. 305  BGH NJW 1971, 1322 (1323); NStZ-RR 2003, 73; NStZ 2020, 84. 306  BGH NJW 1971, 1322 (1323); NStZ 2020, 84. 307  NK-StGB/Dessecker, § 66 Rn. 73; MüKo-StGB/Drenkhahn/Morgenstern, § 66 Rn.  103 ff.; Schönke/Schröder/Kinzig, § 66 Rn. 33. 308  SSW-StPO/Eschelbach, § 100f Rn. 6; BeckOK-StPO/Hegmann, § 100f Rn. 9. 309  MüKo-StPO/Günther, § 100f Rn. 23. 310  S. oben unter B.I.2.a).



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 191

dd) Controllingzwecke Ebenso wie in der Hamburgischen Regelung findet sich in § 43 Abs. 2 JVollzDSG RP und § 58 Abs. 2 JVollzGB IV LSA jeweils eine Offenba­ rungspflicht zu Controllingzwecken, soweit dies unbedingt erforderlich ist. Da die Regelung in Rheinland-Pfalz fast Wortgleich mit § 26 Abs. 4 Hmb­ JVollzDSG ist, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.311 In § 58 Abs. 2 S. 1 JVollzGB IV LSA wird hingegen nicht nur eine Offen­ barungspflicht zur Überprüfung der Tätigkeit normiert, sondern diese gilt auch zu „dem Sicherstellen und Einleiten von strafvollstreckungsrechtlichen Maßnahmen, auch im Fall des Unterbrechens der Haft“. Zur Erreichung die­ ser Zwecke muss die Offenbarung lediglich erforderlich sein, nicht hingegen unbedingt erforderlich, wie in den Normen in Hamburg und Rheinland-Pfalz. § 58 Abs. 2 S. 2 LVollzGB IV konkretisiert die Angaben, welche nach Satz 1 zu offenbaren sind, wobei die Aufzählung abschließend ist.312 Nach der Gesetzesbegründung schließe der Absatz 2 eine Gesetzeslücke, welche beispielsweise bestanden habe, wenn Gefangene zur medizinischen Behand­ lung und Betreuung in eine medizinische Einrichtung außerhalb des Justiz­ vollzugs verbracht worden seien und weder die Justizvollzugsbehörden noch die Strafvollstreckungsbehörden hierüber informiert worden seien. Infolge­ dessen hätten zunächst keine Maßnahmen zum (Fortführen) der Strafvollstre­ ckung getroffen werden können.313 Zudem hätte weder durch die Justizvollzugsbehörden noch durch die Strafvollstreckungsbehörden sichergestellt werden können, dass die Gefange­ nen ohne jegliches Kontrollieren und Überwachen keine weiteren Straftaten während der Abwesenheit von den Anstalten begehen würden. Mit der Neu­ regelung werde diesen, den Schutz der Allgemeinheit gefährdenden Zustän­ den, wirksam begegnet.314 ee) Einwilligung der Gefangenen Eine weitere besondere Offenbarungspflicht findet sich in § 61 Abs. 1 Nr. 1 JVollzDSG Bln und § 58 Abs. 1 Nr. 1 JVollzGB IV LSA. Demnach sind die Berufsgeheimnisträger auch zu einer Offenbarung verpflichtet, wenn der Gefangene bzw. der Betroffene einwilligt. Nach § 61 Abs. 3 S. 1 JVollz­ DSG Bln sind die Berufsgeheimnisträger dabei berechtigt, die Offenbarung 311  S.

oben unter B.II.3. Strafvollzug LSA/Höft, JVollzGB IV § 58 Rn. 25 f. 313  LSALT-Drs. 7/3858, S. 166, (Klammerzusatz aus dem Original). 314  LSALT-Drs. 7/3858, S. 166. 312  BeckOK

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

zu verweigern, bis die Einwilligung ihnen gegenüber in einem persönlichen Gespräch erklärt wurde. Die Regelung, welche eine Offenbarungspflicht aufgrund einer Einwilli­ gung vorsieht, erscheint ungewöhnlich, da in der Regel aus einer Einwilli­ gung eine Offenbarungsbefugnis abgeleitet wird.315 Warum sich in diesen beiden Ländern nicht auch für eine Offenbarungsbefugnis entschieden wurde, wird auch aus den Gesetzesbegründungen nicht deutlich. So heißt es in der Gesetzesbegründung in Berlin lediglich, dass Abs. 1 die Fälle regele, in de­ nen eine Offenbarung geboten sei.316 Da eine Einwilligung zu einer Offenba­ rung jedoch in der Regel den Willen erkennen lässt, dass die Tatsachen nicht besonders geschützt werden sollen, ergeben sich in diesem Zusammenhang keine Bedenken gegen die Regelungen. Es kann im Einzelfall auch ange­ nommen werden, dass die Einwilligung von dem Gefangenen gerade zum Zweck der Weitergabe der Tatsachen an die Anstaltsleitung erteilt wird. Inso­ fern stellt die Offenbarungspflicht hier sicher, dass die Tatsachen auch bei der Anstaltsleitung bekannt werden. ff) Erforderlichkeit der Offenbarung Die bisher benannten Offenbarungspflichten bestehen nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 JVollzDSG Bln, § 46 Abs. 1 BremJVollzDSG, § 33 Abs. 2 S. 2 JVollz­ DSG NRW, § 43 Abs. 1 JVollzDSG RP, § 46 Abs. 1 JVollzDSG SL, § 58 Abs. 1 Nr. 2 JVollzGB IV LSA und § 46 Abs. 1 JVollzDSG SH, soweit dies für die Erreichung der genannten Zwecke erforderlich ist. § 46 Abs. 1 Brem­ JVollzDSG und § 46 Abs. 1 S. 2 JVollzDSG SH sehen allerdings eine Ein­ schränkung in Bezug auf besondere Kategorien personenbezogener Daten vor, welche nur offenbart werden müssen, soweit dies unbedingt erforderlich ist. Nach § 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG besteht die Offenbarungspflicht gene­ rell nur, soweit sie zur Erreichung der genannten Zwecke unbedingt erforder­ lich ist. Hinsichtlich der jeweils genannten Erforderlichkeitsmaßstäbe wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.317 Die Offenbarungspflicht für die Aufgabenerfüllung der Vollzugebehörde nach § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDS NRW besteht hingegen nur, soweit dies un­ erlässlich ist. Bezüglich der Voraussetzungen der Unerlässlichkeit wird eben­ falls auf die obigen Ausführungen verwiesen.318 315  Vgl. hierzu die Regelungen der anderen Landesgesetze unter B.II.4.b)aa) sowie 1. Kapitel C.I. 316  BlnLT-Drs. 18/4032, S. 118. 317  S. oben unter B.II.2. und 3. 318  S. oben unter B.I.3.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 193

b) Offenbarungsbefugnisse Innerhalb der Gruppe der hier erörterten Gesetze folgt allein § 33 Abs. 2 S. 3 JVollzDSG NRW dem Beispiel von § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG, indem Ärztinnen und Ärzten eine Offenbarungsbefugnis bezüglich der ihnen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewordenen Geheim­ nisse eingeräumt wird. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG verwiesen.319 Die Regelungen in den übrigen Bundesländern beschränken sich nicht auf Ärzte, sondern räumen allen jeweils benannten Berufsgeheimnisträgern eine Offenbarungsbefugnis für die ihnen im Rahmen des beruflichen Vertrauens­ verhältnisses anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen personenbezoge­ nen Daten ein. Hierbei unterscheiden sich die jeweiligen Normen insofern, dass entweder nur auf die Einwilligung, nur auf vollzugliche Zwecke oder auf die Einwilligung und auf vollzugliche Zwecke abgestellt wird. aa) Einwilligung Nach § 47 Abs. 1 S. 1 BremJVollzDSG besteht die Offenbarungsbefugnis ausschließlich, soweit die Gefangenen einwilligen. Allerdings bleiben nach Satz 2 sonstige Offenbarungsbefugnisse unberührt.320 Ebenso sehen auch § 44 Abs. 1 Nr. 1 JVollzDSG RP, § 47 Abs. 1 Nr. 1 JVollzDSG SL, § 48 Abs. 1 Nr. 1 SächsJVollzDSG und § 47 Abs. 1 Nr. 1 JVollzDSG SH eine Offenbarungsbefugnis vor, soweit die Gefangenen ein­ willigen. bb) Offenbarung zu vollzuglichen Zwecken Nach § 61 Abs. 1 JVollzDSG Bln, § 44 Abs. 1 Nr. 2 JVollzDSG RP, § 47 Abs. 1 Nr. 2 JVollzDSG SL, § 48 Abs. 1 Nr. 2 SächsJVollzDSG, § 59 JVollz­GB IV LSA und § 47 Abs. 1 Nr. 2 JVollzDSG SH besteht jeweils eine Offenbarungsbefugnis zu vollzuglichen Zwecken, wobei die Interessen der Gefangenen an der Geheimhaltung nicht überwiegen dürfen. Die Formulie­ rungen der genannten Normen unterstreichen somit die vor einer Offenba­ rung vorzunehmende Güterabwägung zwischen den vollzuglichen Interessen und den Interessen der Gefangenen. Die Offenbarung zu vollzuglichen Zwecken wird dabei überwiegend da­ von abhängig gemacht, dass diese aus Sicht der Berufsgeheimnisträger zu 319  S.

oben unter B.I.3. den allgemeingültigen Offenbarungsbefugnissen 1. Kapitel C.

320  S. zu

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

den vollzuglichen Zwecken unbedingt erforderlich sei. In § 59 JVollzGB IV LSA wird hingegen der Begriff unerlässlich genutzt. Der Begriff der Uner­ lässlichkeit wird jedoch wie jener der unbedingten Erforderlichkeit auzulegen sein.321 Im Ergebnis müssen beide Begriffe dazu führen, dass vor einer Of­ fenbarung ein besonders strenger Maßstab bei der Verhältnismäßigkeitsprü­ fung bzw. bei der vorzunehmenden Interessenabwägung angelegt wird.322 5. Hessen Die derzeitigen Regelungen in Hessen sind weder mit der Bundesregelung noch mit einer der anderen Landesregelungen vergleichbar. Dies liegt vor allem daran, dass in § 61 Abs. 2 S. 2 HStVollzG und in § 57 Abs. 2 S. 2 HUVollzG323 keine eindeutige Regelung zu einer Offenbarungspflicht oder zu einer Offenbarungsbefugnis getroffen wird. § 61 Abs. 2 S. 2 1. HS HStVollzG besagt, dass die in der Norm genannten Berufsgeheimnisträger befugt und verpflichtet sind, Daten gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren, soweit dies für die Sicherheit der Anstalt, zur Planung vollzuglicher Maßnahmen oder zur Abwehr von erheblichen Gefah­ ren für Leben oder Gesundheit von Gefangenen oder Dritten unbedingt erfor­ derlich sei. Die hessische Regelung trifft somit keine eindeutige Unterschei­ dung zwischen einer Offenbarungspflicht und einer Offenbarungsbefugnis. Die Unterscheidung ist jedoch insbesondere für die Berufsgeheimnisträger von einiger Bedeutung, da sie wissen müssen, ob eine Pflicht oder lediglich eine Befugnis zur Offenbarung besteht. Wenn nämlich eine Pflicht zur Offen­ barung besteht, muss der Berufsgeheimnisträger gerade keine Interessenab­ wägung vornehmen, bevor er sich offenbart. Genau diese Interessenabwä­ gung ist aber im Rahmen einer Befugnis vorzunehmen. Die Pflicht über­ trumpft also in jedem Falle die Befugnis und stellt die Offenbarung gerade nicht zur Disposition. Da eine Pflicht zudem immer auch eine Befugnis be­ inhaltet, ist die zusätzliche Bennennung der Befugnis überflüssig. Die Befug­ nis könnte somit ersatzlos aus der Norm gestrichen werden, ohne dass dies praktische Konsequenzen hätte. Somit lässt sich abschließend festhalten, dass in § 61 Abs. 1 S. 2 HStVollzG eine Offenbarungspflicht normiert wird. Nach dem zweiten Halbsatz gilt diese Pflicht insbesondere dann, wenn eine gemeinsame Unterbringung, eine besondere Sicherungsmaßnahme oder eine Zwangsmaßnahme auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge angeordnet oder beantragt werden soll oder ein meldepflichtiger Fall nach § 6 Abs. 1 des 321  BeckOK

Strafvollzug LSA/Höft, JVollzGB IV § 59 Rn. 8. BeckOK Strafvollzug LSA/Höft, JVollzGB IV § 59 Rn. 8. 323  Da die beiden Vorschriften Wortgleich sind, wird im Folgenden lediglich auf das Hessische Strafvollzugsgesetz Bezug genommen. 322  Vgl.



B. Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze 195

Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen vorliegt. In der Regelung fehlt allerdings eine Privilegierung des Arztes für Erkenntnisse, welche er im Rahmen der allgemeinen Gesundheits­ fürsorge erlangt hat. Dieser zweite Halbsatz konkretisiert einzelne Übermitt­ lungsbefugnisse durch nicht abschließende Regelbeispiele.324 Die Anstalts­ leitung stehe in den genannten Fällen vor dem Problem, dass sie ohne eine Offenlegung durch den ärztlichen Dienst über diese notwendigen Maßnah­ men nicht entscheiden könne, eine Entscheidung allerdings getroffen werden müsse.325 Die Offenbarungspflicht (und Offenbarungsbefugnis) bestehen nach der Norm nur dann, wenn dies für die benannten Zwecke „unbedingt erforder­ lich“ ist. Dies deutet auf ein gesteigertes Maß der Erforderlichkeit hin und dürfte dem zuvor gebräuchlichen Merkmal „unerlässlich“ entsprechen.326 Aus dem Merkmal „unbedingt erforderlich“ sowie aus § 61 Abs. 5 HStVollzG ergibt sich, dass die Tatsachen nur in der jeweils schonendsten Form offen­ bart werden dürfen.327 Das bedeutet auch, dass es in aller Regel nicht not­ wendig sein wird, die konkrete Diagnose des Gefangenen mitzuteilen.328 Bezüglich der genannten Zwecke wird auf die Ausführungen zu diesen in den voranstehenden Teilen verwiesen. 6. Zusammenfassende Betrachtung Der Blick auf die landesgesetzlichen Regelungen zum Schutz personenbe­ zogener Daten besonderer Kategorien und den Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes im Strafvollzug zeigt eine Heterogenität an Normen. Insbesondere seit der Reform des Datenschutzrechtes im Zusammenhang mit der Datenschutzgrundverordnung und der Europäischen Richtlinie zum Schutz personenbezogener Daten im Vollzug wurde der Datenschutz im Strafvollzug in einigen Bundesländern nicht unbedingt verbessert. Die Rege­ lungen in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern bleiben zudem hinter dem teilweise geforderten Maß an Schutz zurück. So heißt es unter anderem in Erwägung 37 der EU-RL 2016/680, dass personenbezogene Daten, die ihrem Wesen nach hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreihei­ ten besonders sensibel sind, einen besonderen Schutz verdienen, da im Zu­ sammenhang mit ihrer Verarbeitung erhebliche Risiken für die Grundrechte 324  BeckOK

Strafvollzug Strafvollzug 326  BeckOK Strafvollzug 327  BeckOK Strafvollzug 328  BeckOK Strafvollzug 325  BeckOK

Hessen/Graf/Kunze, Hessen/Graf/Kunze, Hessen/Graf/Kunze, Hessen/Graf/Kunze, Hessen/Graf/Kunze,

HStVollzG HStVollzG HStVollzG HStVollzG HStVollzG

§ 61 § 61 § 61 § 61 § 61

Rn. 15. Rn. 15. Rn. 14. Rn. 18. Rn. 18.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

und Grundfreiheiten entstehen können.329 Solche personenbezogenen Daten sollten nur dann verarbeitet werden, wenn die Verarbeitung vorbehaltlich geeigneter Garantien für die durch Rechtsvorschriften festgelegten Rechte und Freiheiten der betroffenen Person erfolge und in durch Rechtsvorschrif­ ten geregelten Fällen erlaubt sei oder anderenfalls zur Wahrung lebenswich­ tiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen Person erforderlich sei oder aber sich auf Daten beziehe, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht habe.330 In Erwägung 51 heißt es darüber hinaus, dass Risiken für die Rechte und Freiheiten der natürlichen Personen aus einer Datenverarbeitung hervorgehen können, die zu einem physischen, materiellen oder immateriellen Schaden führen könnte, insbesondere wenn die Verarbeitung zu einem Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden Daten, oder Daten über die Gesundheit verarbeitet werden.331 Auch wenn die Erwägungen keine Bindungswirkung entfalten und nicht umgesetzt werden müssen, stellt sich dennoch die Frage, ob sie von den Landesgesetzgebern beachtet werden sollten. Zumindest wäre es aber wün­ schenswert, wenn die Landesgesetzgeber ein einheitlicheres Schutzniveau der personenbezogenen Daten im Strafvollzug unter Beachtung der europa­ rechtlichen Erwägungen anstreben würden. Und auch, wenn es den Födera­ lismus gerade auszeichnet, dass die Gesetzgebung in den unterschiedlichen Ländern voneinander abweicht, lässt sich hier die Frage stellen, ob dies zu angemessenen Ergebnissen führen kann. So zeigt sich in der Vielzahl der unterschiedlichen Regelungen gerade auch ein Problem des Föderalismus. Mag die Übertragung der Gesetzge­ bungsbefugnis zur Regelung des Strafvollzugs auf die Länder ihre Gründe gehabt haben, zeigt die Umsetzung im Bereich der Offenbarungspflichten von Anstaltsärzten in den hier behandelten Regelungen, dass der Schutz des ärztlichen Vertrauensverhältnisses höchst unterschiedlich ausgestaltet ist. Es kann in diesem Zusammenhang bemängelt werden, dass die Geheimhaltung bestimmter Tatsachen davon abhängen wird, in welchem Bundesland er in­ haftiert wird. Sofern aber eine Stärkung des Datenschutzes angestrebt werden soll, bleibt zu hoffen, dass diese Unterschiede in Zukunft noch behoben werden. Auch im Lichte des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann bezweifelt werden, ob die teils stark unterschiedlichen Schutzniveaus bezüglich des ärztlichen Vertrauensverhältnisses vertretbar sind.

329  Amtsblatt

L 119 vom 4.5.2016, S. 94 f. L 119 vom 4.5.2016, S. 95. 331  Amtsblatt L 119 vom 4.5.2016, S. 96 f. 330  Amtsblatt



C. § 114e StPO197

Ferner sollte, im Rahmen der Bestrebungen zum Schutz der personenbezo­ genen Daten besonderer Kategorien und der Berücksichtigung der Interessen der Gefangenen, die Praxis der Normanwendung Berücksichtigung finden. Insbesondere da die Normadressaten der hier behandelten Normen Anstalts­ ärzte sind, sollten die von ihnen zu beachtenden Normen für sie klar und verständlich formuliert sein. Einige der derzeitigen Offenbarungspflichten und -befugnisse sind für sie als Nicht-Juristen nur schwer durchdringbar.

C. § 114e StPO § 114e StPO wurde im Jahr 2010 in die Strafprozessordnung eingefügt.332 Er regelt die Übermittlung von Erkenntnissen an die Staatsanwaltschaft und an das Gericht durch die Vollzugsanstalt. Nach dem Wortlaut des Satzes 1 übermittelt die Vollzugsanstalt von Amts wegen beim Vollzug der Untersu­ chungshaft erlangte Erkenntnisse, soweit diese aus der Sicht der Vollzugsan­ stalt für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Bedeutung sind und diesen nicht anderweitig bekannt geworden sind. Nach Satz 2 bleiben die sonstigen Befugnisse der Vollzugsanstalt, dem Gericht und der Staatsanwalt­ schaft Erkenntnisse mitzuteilen, unberührt. Die Vorschrift soll zusammen mit § 114d StPO gewährleisten, dass Staatsanwaltschaft, Gericht und Vollzugsan­ stalt Kenntnis der ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen perso­ nenbezogenen Daten haben, dementsprechend werden in den beiden Normen wechselseitige Informationspflichten festgelegt.333 Im Rahmen der Erörterung des § 114e StPO ist zu beachten, dass die Vor­ schrift erst eingeführt wurde, nachdem der Bund die ausschließliche Gesetz­ gebungskompetenz zur Regelung des Rechts des Strafvollzugs und des Un­ tersuchungshaftvollzugs bereits verloren hatte. Im Zuge der Föderalismusre­ form im Jahr 2006 wurde die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG insofern neu gefasst, als sich diese Kompetenz nunmehr auf „das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungs­ haftvollzugs)“ erstreckt.334 So ist es nicht verwunderlich, dass in Bezug auf § 114e StPO die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zumindest angezwei­ felt wird.335

332  Artikel 1 Nummer 2 des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 mit Wirkung zum 01.01.2010, BGBl. I 2009, 2274. 333  BT-Drs. 16/11644, S. 2. 334  BGBl. I 2006, 2034 (2035). 335  NK-GS/Laue, § 114e StPO Rn. 1; SSW-StPO/Herrmann, § 114e Rn. 5; für Ver­ fassungswidrigkeit SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 4; für Verfassungsmäßigkeit BTDrs. 16/11644, S. 20; KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 2.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Kritiker bemängeln im Zusammenhang mit § 114e StPO vor allem den Umstand, dass der Bundesgesetzgeber mit dieser Norm Organe der Bundes­ länder mit Amtshilfepflichten belege.336 Die Norm richte sich nämlich an Amtswalter, deren Tätigkeit allerdings der ausschließlichen Gesetzgebungs­ kompetenz der Bundesländer unterstehe.337 In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt, die mittzuteilenden Erkenntnisse seien jedenfalls auch dem gerichtlichen Verfahren zuzurechnen.338 Der Bundesgesetzgeber könne daher insbesondere regeln, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Perso­ nen oder Stellen verpflichtet sein sollten, die für die Frage der strafrecht­ lichen Schuld einer Person bedeutsamen Umstände mitzuteilen.339 Soweit Mitteilungspflichten nicht für die Schuldfrage bedeutsame Umstände erfass­ ten, sondern für andere zu treffende Entscheidungen von Bedeutung seien, dienten auch diese Informationen der Durchführung des in die Kompetenz des Bundes fallenden Ermittlungs- und Strafverfahrens, in welchem die Voll­ zugsanstalt die Strafverfolgungsbehörden zu unterstützen habe.340 Diese Be­ gründung wird auch in der Literatur teilweise als überzeugend angesehen.341 Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm soll an dieser Stelle zunächst nicht eingegangen werden. Wie beschrieben hängt die Verfassungs­ mäßigkeit nach Ansicht der Kritiker vor allem davon ab, ob durch die Norm tatsächlich (jeder einzelne) Justizvollzugsbedienstete verpflichtet werden kann, Erkenntnisse zu übermitteln. Nur wenn diese gesetzgeberische Inten­ tion überhaupt in der Norm enthalten ist, kann sich die Frage stellen, ob der Bundesgesetzgeber Amtswalter der Länder mit Pflichten belegen kann.

I. Regelungsadressat § 114e S. 1 StPO § 114e StPO lehnt sich an die frühere Regelung in Nr. 8 UVollzO an.342 Nach Nr. 8 UVollzO war der Anstaltsleiter verpflichtet, den zuständigen Richter oder Staatsanwalt von allen für die Durchführung des Strafverfahrens bedeutsamen Maßnahmen, Wahrnehmungen und anderen wichtigen Um­ ständen, die den Gefangenen betreffen, zu verständigen. Während in Nr. 8 336  NK-GS/Laue, § 114e StPO Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 1; SSWStPO/Herrmann, § 114e Rn. 5; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 2 ff.; Schlothauer/Weider/Nobis, Untersuchungshaft Rn. 1170; KMR-StPO/Wankel/Schuster, § 114e Rn. 1. 337  SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 2. 338  BT-Drs. 16/11644, S. 20. 339  BT-Drs. 16/11644, S. 20. 340  BT-Drs. 16/11644, S. 20; zust. KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 2; BeckOK Straf­ vollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 2. 341  MüKo-StPO/Böhm/Werner, §  114e Rn. 1; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 2; KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 2. 342  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 4; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 2.



C. § 114e StPO199

UVollzO jedoch allein der Anstaltsleiter zu der Mitteilung verpflichtet wurde, spricht der heutige § 114e StPO allgemein von einer Mitteilungspflicht der „Vollzugsanstalt“. Die Frage, wer genau in § 114e StPO mit dem Begriff „Vollzugsanstalt“ gemeint, wer also der Adressat der Regelung ist, wird in der Literatur kaum behandelt. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, die Justizvoll­ zugsbediensteten seien die Adressaten der Vorschrift.343 Allein Graf nimmt dies auf und schreibt ausdrücklich, die Justizvollzugsbediensteten seien Adres­saten der Bestimmung.344 Im Übrigen werden spezifische Personen nur benannt, wenn es um die Beurteilung der Bedeutung der Informationen geht.345 So findet sich etwa die Aussage, die Bedeutung der Informationen für die Aufgabenerfüllung der Empfänger sei durch die Justizbediensteten zu beurteilen.346 Auch aus dieser Aussage ließe sich ableiten, dass die Justiz­ vollzugsbediensteten die Adressaten der Vorschrift sind. Eine Beurteilung der Bedeutung der Informationen durch die Justizvollzugsbediensteten wäre nicht nötig, wenn die Justizvollzugsbediensteten selbst nicht zu Übermittlung der Daten verpflichtet wären. Angesichts der Unbestimmtheit des Begriffs der „Vollzugsanstalt“ er­ scheint die geringe Auseinandersetzung mit der Bestimmung des Normadres­ saten unbefriedigend. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Justizvollzugsbediensteten die Regelungsadressaten sind, blieben dennoch neben der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm eine Reihe von Punkten ungeklärt. So bleibt zu ermitteln, ob alle Justizvollzugsbediensteten, also auch die Mitarbeiter der Fachdienste, in die Pflicht eingeschlossen sind. Zu­ dem ist zu klären, ob allein verbeamtete Mitarbeiter der Vollzugsanstalt ver­ pflichtet werden können oder auch die angestellten Mitarbeiter der Vollzugs­ anstalt von der Norm erfasst sein sollen. Schließlich erscheint es auch fraglich, ob die Intention des Gesetzgebers, jeden einzelnen Justizvollzugsbediensteten dazu zu verpflichten, seine Er­ kenntnisse direkt an die Staatsanwaltschaft und das Gericht zu übermitteln, überhaupt praktikabel sein kann. Würde man eine Verpflichtung jedes einzel­ nen Justizvollzugsbediensteten annehmen, so würde dies zu einer erheblichen Mehrarbeit für die Justizvollzugsbediensteten führen. In diesem Fall müssten sie nämlich jede neu gewonnene Erkenntnis an die Staatsanwaltschaft und das Gericht übersenden und dabei auch noch jeweils prüfen, ob die Erkennt­ nisse den Empfängern nicht bereits anderweitig bekannt geworden sind. 343  BT-Drs.

16/11644, S. 21. § 114e Rn. 4. 345  S. hierzu unter II. 346  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 5; SSW-StPO/Hermann, § 114e Rn. 2. 344  KK-StPO/Graf,

200

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Im Folgenden soll daher im Rahmen einer Auslegung herausgearbeitet werden, wie der Begriff „Vollzugsanstalt“ im Sinne des § 114e StPO zu ver­ stehen ist. 1. Vorüberlegungen Das Ziel einer Auslegung ist die Feststellung des Inhalts einer Norm, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hinein­gestellt ist.347 Zur Erfassung des Inhalts einer Norm dienen die aner­ kannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen.348 Eine eindeutige Rangfolge der Auslegungsmethoden kann, jedenfalls im Strafprozessrecht, nicht benannt werden.349 Die unterschiedlichen Auslegungsmethoden können jeweils nicht losgelöst voneinander betrachtet werden, sondern vermengen sich unter verschiedenen Gesichtspunkten miteinander. Auch wenn im Folgenden die Auslegung je­ weils im Rahmen der einzelnen Methoden durchgeführt wird, ist eine strikte Abgrenzung zu anderen Methoden oft nicht möglich. Die folgende Auslegung soll den Regelungsadressaten von § 114e StPO unter Berücksichtigung des Norminhalts genauer bestimmen. Zunächst soll ein kurzer Blick auf die Verwendung des Wortes „Vollzugsanstalt“ in gram­ matischer Hinsicht geworfen werden. Sodann wird in einem systematischen Vergleich die Verwendung des Begriffs „Vollzugsanstalt“ in den Strafvoll­ zugs- und Untersuchungshaftvollzugsgesetzen der Länder betrachtet. In die­ sem Zusammenhang bietet sich auch ein kurzer historischer Blick auf das Strafvollzugsgesetz des Bundes an. Bei dieser systematischen Auslegung werden wiederum spezifische grammatische Aspekte im Rahmen der jeweili­ gen Gesetze berücksichtigt, sofern sie relevant werden. Unter ähnlichen Gesichtspunkten wird weitergehend ermittelt, wer oder was genau mit dem Begriff der „Vollzugsanstalt“ bei dessen Nennung in unterschiedlichen Normen der Strafprozessordnung gemeint sein kann. Bei der Verwendung des Begriffs in der Strafprozessordnung werden die Ausfüh­ rungen aus den Strafvollzugsgesetzen und Untersuchungshaftvollzugsgeset­ 347  BVerfG

NJW 1973, 1491 (1494) m. V. a. BVerfGE 11, 126 (130 f.); 24, 1 (15). NJW 1973, 1491 (1494); NJW 2002, 1779 (1781); NJW 2013, 1058 (1062); st. Rspr. 349  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  592; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 36; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 90. 348  BVerfG



C. § 114e StPO201

zen insoweit berücksichtigt werden, als sie in einem Bezug zu den jeweils untersuchten Normen stehen, insbesondere wenn die untersuchten Normen auf Untersuchungs- oder Strafgefangene Anwendung finden. Anschließend soll aus den insoweit erlangten Erkenntnissen abgeleitet werden, wie der Begriff „Vollzugsanstalt“ konkret bei dessen Nennung in § 114e StPO zu verstehen ist. Dabei wird im Rahmen einer föderalismus­ freundlichen Auslegung vor allem diejenige Interpretation zu bevorzugen sein, welche sich am besten in das Gesamtgefüge der Gesetzesaufteilung zwischen Bund und Ländern bezüglich der Untersuchungshaft einordnen lässt. Hierbei können verfassungskonforme und verfassungsfreundliche Kri­ terien der Auslegung eine Rolle spielen. Zuletzt bietet die Frage nach dem Sinn und Zweck des § 114e StPO die Möglichkeit einer Folgenkontrolle der vorangegangenen Auslegung. Auch wenn die Strafprozessordnung in vieler Hinsicht ein sehr detailreiches Gesetz ist, gelten auch für die Auslegung ihrer Normen zunächst die allgemeinen Auslegungsregeln.350 Im Rahmen dieser Folgenkontrolle sollen zudem aber auch die Besonderheiten des Strafprozesses beachtet werden. Die besondere strukturelle Situation des Strafprozesses und seine teilweise erhebliche Ein­ griffsintensität sind dabei zu berücksichtigen.351 Die Frage der Eingriffe in die Rechte von Untersuchungsgefangenen kann herbei einen Einfluss auf die finale Auslegung von § 114e StPO entfalten. 2. Grammatische Auslegung Die grammatische Auslegung bedient sich verschiedener Kriterien zur Er­ mittlung der Wortbedeutung. Unter anderem erschließt sie den Kontext der Alltagssprache und des Sprachgebrauchs des Gesetzes.352 Der Wortlaut zieht im Strafprozessrecht jedoch keine starre Auslegungsgrenze.353 Dies ergibt sich auch bereits daraus, dass eine semantische Interpretation in der Regel keine zwingende Antwort darauf zulässt, wie die in Frage stehende Norm konkret zu verstehen ist.354 Allerdings sei es den Gerichten verwehrt, im Wege der Auslegung einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn zu geben oder den normativen Gehalt einer Vorschrift 350  MüKo-StPO/Kudlich,

Einleitung Rn. 577. Einleitung Rn. 577. 352  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  585; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 39. 353  BVerfG NJW 2007, 2977 (2982); BGH BeckRS 2020, 13670 Rn. 29. 354  SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 92; vgl. a. MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 585. 351  MüKo-StPO/Kudlich,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

grundlegend neu zu bestimmen.355 Zugleich ist aber umstritten, ob das in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB kodifizierte strafrechtliche Analogieverbot auch für das Strafprozessrecht gelten kann.356 Während einige Stimmen von einer Geltung des Analogieverbots ausgehen,357 soll dieses nach der wohl herrschenden Ansicht im Strafprozessrecht grundsätzlich keine Geltung ha­ ben358. Der im Wortlaut einer Norm zum Ausdruck kommende Wille des Gesetz­ gebers darf somit nicht so weit uminterpretiert werden, dass er der eigent­ lichen Wortbedeutung nicht mehr entspricht und vom ursprünglichen Willen des Gesetzes nicht mehr getragen werden kann. Hinter der Auslegung nach dem Wortlaut des Gesetzes steht zudem der Gedanke, dass der Gesetzgeber einen Begriff im Zweifel so verwenden wird, wie er allgemein oder in Fachkreisen der geregelten Materie verwendet wird oder wie er ihn selbst an anderer Stelle im Gesetz verwendet.359 Begriffsver­ wendungen gehen jedoch denkbar weit, weswegen das grammatische Argu­ ment im Regelfall zu einer Erweiterung der potenziellen Verständnismöglich­ keiten eines Normtexts herangezogen wird.360 In der Rechtsprechung wird bei der Frage nach der Bedeutung eines Wor­ tes unter anderem – aber durchaus selten361 – auf die Erläuterung desselben in Wörterbüchern zurückgegriffen. Der Gebrauch von Wörterbüchern ist je­ doch nicht die Grenze der Auslegung eines Wortes, sondern vielmehr der Einstieg in eine Debatte.362 Die Bedeutung eines Wortes, wie er durch ein Wörterbuch bestimmt wird, kann somit eine erste Annäherung an dessen genaue Bedeutung im Rahmen einer Vorschrift darstellen. So soll die gram­ matische Auslegung auch hier keine finale Interpretation vorgeben, sondern als eine Art „Ideensammlung“ des allgemeinen Verständnisses des Wortes „Vollzuganstalt“ dienen. 355  BGH NJW 2007, 2977 (2980); Sondervotum zu BGH NJW 2009, 1469 (1477). 356  SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 95; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 92. 357  Pfordte, StV 2008, 243 (244); Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 57 ff. 358  BVerfG NJW 1969, 1059 (1061); NJW 2005, 352 (353); BGH NStZ 2014, 392 (394); MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 95; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, Einleitung Rn. 198; SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 29. 359  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  585; vgl. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/ Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 39; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 93. 360  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 585. 361  Vgl. BGH NJW 2015, 2053; BVerwG NVwZ 2012, 1250 (1251); OLG Ham­ burg NJW 2010, 1893 (1895); OLG Nürnberg NJW 2010, 2071 (2072). 362  Kudlich/Christensen, JR 2011, 146 (150).



C. § 114e StPO203

Im Duden findet sich unter dem Begriff „Vollzugsanstalt“ zunächst der Hinweis, dass dieses Wort die Abkürzung für das Wort „Justizvollzugsan­ stalt“ sei.363 In anderen gängigen Wörterbüchern findet sich unter der Stich­ wortsuche „Vollzugsanstalt“ kein Eintrag. Es sind jedoch Einträge zur „Jus­ tizvollzugsanstalt“ zu finden. So findet sich im Brockhaus unter dem Stich­ wort der „Justizvollzugsanstalt“ die Definition derselben als „Einrichtungen der Landesjustizverwaltungen zur Durchführung des Strafvollzugs“.364 Als Synonyme für den Begriff der Justizvollzugsanstalt finden sich neben dem Wort „Vollzugsanstalt“ auch Wörter wie Haftanstalt, JVA und Vollzug.365 Diese erste grammatische Annäherung zeigt, dass das Wort in der Regel zur Bezeichnung einer Einrichtung bzw. einer Institution genutzt wird. Je­ denfalls findet sich, auch unter den Synonymen, keine Verwendung des Be­ griffes zur Bezeichnung der in der Vollzugsanstalt tätigen Personen. Die Verwendung des Begriffes „Vollzugsanstalt“ zur Bezeichnung der in ihr täti­ gen Personen erscheint auch bei dessen Verwendung im allgemeinen Sprach­ gebrauch eher fremd. Im juristischen Sprachgebrauch ist es dagegen üblicher, unter den Oberbe­ griff einer Institution auch die in ihr bzw. für sie tätigen Personen zu fassen, insbesondere dann, wenn diese Stellen mit Aufgaben belegt oder Kompeten­ zen ausgestattet werden. Unter anderem im Verwaltungsrecht wird dies deut­ lich, wenn vom Handeln „einer Behörde“ oder „der Polizei“ gesprochen wird. Hier können die jeweiligen Institutionen nur durch die für sie tätigen Personen handeln, obwohl vom Handeln der Institution gesprochen wird. Die grammatische Auslegung führt nach dem hier Gesagten zu einem er­ weiterten Verständnis des Wortes „Vollzugsanstalt“. Der Begriff erfasst als Bezeichnung einer Institution auch ihre Aufgaben im Rahmen des Straf- und Untersuchungshaftvollzugs. Jedoch geht diese Erweiterung nicht so weit, dass sie ausdrücklich die innerhalb der Vollzugsanstalt tätigen Personen di­ rekt erfasst. Vielmehr fallen diese als wesentliche Teile der Institution zwar unter den Begriff, sind jedoch nicht selbständig mit dem Wort „Vollzugsan­ stalt“ bezeichnet.

363  Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Vollzugsanstalt (zuletzt abgeru­ fen am 01.07.2022). 364  Brockhaus, http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/justizvollzugsanstalten (zuletzt abgerufen am 01.07.2022). 365  Duden, https://www.duden.de/synonyme/Vollzugsanstalt (zuletzt abgerufen am 01.07.2022).

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

3. Systematischer Vergleich Die systematische Auslegung erschließt den Regelungszusammenhang und damit die Bedeutung und Reichweite einer Norm über ihren Kontext.366 Ins­ besondere wird hier der Kontext der Verwendung des Begriffs in anderen Vorschriften beleuchtet.367 Hierbei wird von der Prämisse ausgegangen, dass der Gesetzgeber eine widerspruchsfreie Regelung treffen wollte.368 Bei der Interpretation eines bestimmten Begriffes kann dies bedeuten, dass er in dem gesamten Gesetz einer möglichst einheitlichen Bedeutung zuzuführen ist. Allerdings ist von dieser Annahme auch die Rückausnahme zu machen, dass ein und demselben Begriff unter bestimmten Umständen auch unterschied­ liche Bedeutungen beigemessen werden können, wenn sich hierfür berech­ tigte Gründe ergeben. Abweichende Formulierungen oder Begriffe können zudem auch einen abweichenden Inhalt zum Ausdruck bringen. Im Folgenden wird daher untersucht, in welchen Gesetzen der Begriff „Vollzugsanstalt“ vom Gesetzgeber genutzt wurde und wie dieser Begriff je­ weils zu interpretieren ist. Sodann werden einige Normen der Strafprozessord­ nung, in welchen der Begriff der „Vollzugsanstalt“ auftaucht, genauer be­ leuchtet. Hierbei wird die Wortbedeutung jeweils im spezifischen Normkon­ text interpretiert sowie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. a) „Vollzugsanstalt“ im Sinne der Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvollzugsgesetze § 139 StVollzG liefert die Legaldefinition für den Begriff „Justizvollzugs­ anstalten“.369 Nach dessen Wortlaut werden die Freiheitsstrafe sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Anstalten der Landesjustiz­ verwaltung (Justizvollzugsanstalten) vollzogen. Justizvollzugsanstalten sind zunächst organisatorische Einheiten, die unter hauptamtlicher Leitung perso­ nelle und sachliche Mittel zur Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe bereit­ stellen.370 Die Bewirtschaftung dient dabei dem Zweck, für eine zu bestim­ mende Zahl von Personen Haftplätze zum Vollzug von Freiheitsstrafe, Siche­ rungsverwahrung und anderen Haftformen bereitzustellen.371 Die Anstalt als 366  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  586; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 44. 367  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 581. 368  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 44. 369  AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 5. 370  SBJL-Dee, Kap. 13, Buchst. A Rn. 2; AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 7. 371  AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 7.



C. § 114e StPO205

Einrichtung der Strafvollstreckung ist vor allem eine eigenständige (Landes-) Behörde und nicht nur ein Gebäude(-komplex).372 Mit dem Anstaltsbegriff ist nämlich keine bestimmte räumliche oder bauliche Dimension verbun­ den.373 Schließlich beinhaltet § 139 StVollzG nicht nur eine Zuständigkeits­ regel für den Vollzug der Freiheitsstrafe in Anstalten der Landesjustizverwal­ tung, sondern gibt auch eine Bestandsgarantie für den Justizvollzug als ho­ heitliche Einrichtung der Länder.374 Die Landesgesetze zum Strafvollzug beziehen sich in ihren Texten über­ wiegend auf den Begriff der „Anstalt“. Eine Legaldefinition dieses Begriffes findet sich vor allem im Rahmen der Anwendungsbereiche der Strafvollzugs­ gesetze.375 So heißt es in vielen Strafvollzugsgesetzen, sie regelten den Voll­ zug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten (Anstalten).376 Oder die Freiheitsstrafe werde in Justizvollzugsanstalten (Anstalten) vollzogen.377 In § 3 Abs. 1 JVollzGB I BW, Art. 1 BayStVollzG, § 1 NJVollzG und § 93 Abs. 1 StVollzG NRW finden sich ähnliche Formulierungen, jedoch wurde in diesen Normen auf die Legaldefinition des Begriffs der Anstalt verzichtet. Einige Landesgesetze unterstreichen zudem die Eigenschaft der Anstalten als Vollzugsbehörden. So ist etwa Teil 5 des Hamburger Strafvollzugsgeset­ zes, welcher unter anderem die Arten und Einrichtung der Justizvollzugsan­ stalten regelt, explizit mit dem Titel „Vollzugsbehörden“ überschrieben. In § 175 Abs. 1 NJVollzG heißt es „die Anstalt ist als Vollzugsbehörde für die Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen nach diesem Gesetz zuständig, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist“. Und § 107 JVollzGB I LSA stellt im Rahmen der Außenvertretung der Anstalt auf die „ihr als Vollzugsbehörde obliegenden Angelegenheiten“ ab. Wie die Strafvollzugsgesetze der Länder enthalten auch einige der Unter­ suchungshaftvollzugsgesetze Legaldefinitionen des Anstaltsbegriffes. So fin­ det sich wiederum im Rahmen der Zuständigkeit die Bestimmung, Entschei­ dungen nach dem jeweiligen Gesetz treffe „die Justizvollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird (Anstalt)“.378 372  LNNV-Laubenthal,

Abschn. N Rn. 2. 13. Kapitel, Buchst. A. Rn. 2. 374  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 139 Rn. 1. 375  Zur Legaldefinition vgl. AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 19. 376  So in § 1 StVollzG Bln; § 1 Abs. 1 BbgJVollzG; § 1 BremStVollzG; § 1 Hmb­ StVollzG; § 1 StVollzG M-V; § 1 Abs. 1 LJVollzG RP; § 1 SLStVollzG; § 1 Sächs­ StVollzG; § 1 Abs. 1 JVollzGB I LSA; § 1 LStVollzG SH; § 1 Abs. 1 ThürJVollzGB. 377  § 70 Abs. 1 HStVollzG. 378  § 3 Abs. 1 S. 1 UVollzG Bln; § 3 Abs. 1 S. 1 BremUVollzG; § 3 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG; § 3 Abs. 1 S. 1 HUVollzG; § 3 Abs. 1 S. 1 UVollzG M-V; § 3 Abs. 1 S. 1 SUVollzG; § 2 Abs. 1 SächUHaftVollzG; § 3 Abs. 1 S. 1 UVollzG SH. 373  SBJL-Dee,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

In den Ländern Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, SachsenAnhalt und Thüringen existieren keine gesonderten Gesetze zum Vollzug der Untersuchungshaft. Die für diese Länder bereits genannten Gesetze regeln jeweils den Vollzug aller Haftformen gemeinsam.379 Insofern gelten die obigen Ausführungen zur Begriffsbestimmung der Justizvollzugsanstalt im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs hier entsprechend. Im JVollzGB II BW, welches spezielle Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft trifft, enthält § 3 den Hinweis, die Justizvollzugsanstalt treffe die notwendigen Entscheidungen nach diesem Gesetz, ohne dass der Begriff erneut erläutert wird. Im Übrigen gilt § 1 Abs. 2 JVollzGB I BW, wonach die Untersuchungs­ haft in besonderen Justizvollzugsanstalten, in Teilanstalten, Außenstellen oder Abteilungen von Justizvollzugsanstalten vollzogen wird. Eine Legalde­ finition der verwendeten Begriffe findet sich jedoch jeweils nicht. Ähnlich verhält es sich in Bayern, wo die Untersuchungshaft nach Art. 1 Abs. 2 Bay­ UVollzG in Justizvollzugsanstalten nach Art. 165 BayStVollzG, vorrangig in einer besonderen Abteilung, vollzogen wird. Auch hier wurde wieder auf eine Legaldefinition verzichtet. Auch in Nordrhein-Westfalen fehlt im Unter­ suchungshaftvollzugsgesetz eine Legaldefinition oder besondere Bestimmung des Anstaltsbegriffs. Bei der Betrachtung der Strafvollzugsgesetze und Untersuchungshaftvoll­ zugsgesetze fällt zunächst auf, dass der Begriff „Vollzugsanstalt“ in diesen Gesetzen nicht auftaucht. Die Gesetze sprechen entweder von der „Justiz­ vollzugsanstalt“ oder der „Anstalt“, jedoch nicht von einer „Vollzugsanstalt“. Dabei werden die Begriffe der Justizvollzugsanstalt und der Anstalt synonym verwendet.380 Nach Dee legt die Bezeichnung einer Anstalt als Justizvoll­ zugsanstalt die Ressortzuordnung des Strafvollzugs zur Justiz fest.381 Diese Zuordnung sei unter historischen Gesichtspunkten zu betrachten.382 Nach diesen Ausführungen sind die Begriffe der „Justizvollzugsanstalt“, der „Anstalt“ und der „Vollzugsanstalt“, zumindest im Rahmen der Strafvoll­ streckung und des Vollzugs der Untersuchungshaft, synonym zu verstehen. Die Begriffe Justizvollzugsanstalt, Vollzugsanstalt und Anstalt im Sinne der Strafvollzugs- und Untersuchungshaftvollzugsgesetze bezeichnen alle eine Behörde, also eine Einrichtung im Sinne einer staatlichen Institution.

379  § 1 BbgJVollzG; § 1 NJVollzG; § 1 LVollzGB RP; § 1 JVollzGB I LSA; § 1 ThürJVollzGB. 380  AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 19. 381  SBJL-Dee, 13. Kapitel, Buchst. A Rn. 1 (Hervorhebung im Original). 382  SBJL-Dee, 13. Kapitel, Buchst. A Rn. 3 etwa in Bezug auf die Strafvollstre­ ckung in der DDR, welche dort dem Ministerium des Inneren zugeordnet war; ebenso Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 139 Rn. 1.



C. § 114e StPO207

b) „Vollzugsanstalt“ im Sinne der Strafprozessordnung In der Strafprozessordnung wird der Begriff „Vollzugsanstalt“ an mehreren Stellen und in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Im Folgenden sollen einige der Normen, in welchen der Begriff der „Vollzugsanstalt“ genannt wird, genauer untersucht werden. Dabei soll jeweils herausgearbeitet werden, wie der Begriff in der jeweiligen Norm auszulegen ist. Soweit die Normen eine Verpflichtung zu einem Handeln an die Justizvollzugsanstalt richten, soll zudem untersucht werden, wer jeweils von dieser Verpflichtung betrof­ fen ist oder betroffen sein kann. aa) § 148a Abs. 1 S. 1 StPO Der Begriff „Vollzugsanstalt“ findet sich zunächst in § 148a Abs. 1 S. 1 StPO, welcher die Zuständigkeit für die Durchführung von Überwachungs­ maßnahmen bestimmt. § 148a StPO befindet sich im elften Abschnitt des ersten Buches der Strafprozessordnung, welcher Regelungen über die Vertei­ digung des Beschuldigten enthält. Nach § 148 Abs. 1 StPO ist dem Beschul­ digten grundsätzlich, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit seinem Verteidiger zu gestatten. § 148 Abs. 2 StPO regelt Möglichkeiten der Beschränkung dieses Rechtes. Das Verfahren der Anordnung und die Durchführung der Beschränkungen, insbesondere der Überwachungsmaßnahmen, regelt § 148a StPO. Darin heißt es, zuständig für die Durchführung der Maßnahmen sei „der Richter bei dem Amtsgericht […], in dessen Bezirk die Vollzugsanstalt liegt.“ Der Begriff der Vollzugsanstalt wird hier zur Bestimmung eines Ortes und daran anschließend zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeiten eines Ge­ richts, bzw. des Richters, benutzt. Die Norm bezieht sich dabei allein auf die örtliche Lage der Vollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft tatsächlich vollzogen wird.383 Befindet sich der betroffene Gefangene in einer von der Vollzugsanstalt unterhaltenen Außenstelle, so ist zur Bestimmung der Zu­ ständigkeit die örtliche Lage dieser Außenstelle maßgeblich.384 Der Begriff der „Vollzugsanstalt“ steht in dieser Norm zwar im Zusam­ menhang mit dem tatsächlichen Ort, an welchem vollzogen wird; allerdings ist entscheidend, dass gegenüber einer Person überhaupt Untersuchungshaft vollzogen wird. Der wesentliche Anknüpfungspunkt ist hier der Umstand, dass sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet, sondern in Unter­ 383  MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 148a Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Jahn, § 148a Rn. 2; KMR-StPO/Staudinger, § 148a Rn. 1; BeckOK-StPO/Wessing, § 148a Rn. 1; SK-StPO/Wohlers, § 148a Rn. 3. 384  Löwe/Rosenberg/Jahn, § 148a Rn. 2.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

suchungshaft, also einer Vollzugsanstalt. Folglich ist der Begriff „Vollzugs­ anstalt“ hier als Beschreibung einer Institution, welche zum Vollzug frei­ heitsentziehender Maßnahmen berechtigt und verpflichtet ist, zu verstehen. Die Untersuchungs- oder Strafhaft wird innerhalb der Institution „Vollzugs­ anstalt“ vollzogen, ohne dass es darauf ankommt, in welchem Gebäude oder welchem Haftraum sich die betroffene Person konkret befindet. Folglich ist die Verwendung des Begriffs „Vollzugsanstalt“ hier im Sinne einer Institu­ tion zu verstehen. Nach dieser Interpretation können auch mögliche Außen­ stellen einer Vollzugsanstalt mit einbezogen werden, da diese als selbständige (Unter-)Institutionen angesehen werden können. bb) § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO § 138a StPO benennt die Gründe, nach welchen ein Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren ausgeschlossen werden kann. Diese Norm befindet sich ebenfalls im Abschnitt über die Verteidigung. Nach § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO kann der Verteidiger ausgeschlossen werden, wenn er verdächtig ist, dass er „den Verkehr mit dem nicht auf freiem Fuß befind­ lichen Beschuldigten dazu missbraucht, […] die Sicherheit einer Vollzugsan­ stalt erheblich zu gefährden […]“. In diesem Fall beschreibt der Begriff „Vollzugsanstalt“ alle Anstalten, in denen die Sanktionen vollzogen bzw. der Beschuldigte während des laufenden Strafverfahrens untergebracht ist.385 Die Norm gilt im gesamten Verfahren, vom Ermittlungsverfahren bis zur Straf­ vollstreckung.386 Als Vollzugsanstalten sind von dieser Vorschrift auch Kran­ kenhäuser erfasst, sofern der Verhaftete oder Verurteilte dort unter Sicher­ heitsvorkehrungen untergebracht ist, ohne dass der betreffende Haft- bzw. Unterbringungsbefehl aufgehoben ist.387 Der Begriff der „Vollzugsanstalt“ wird in dieser Norm im Zusammenhang mit deren Sicherheit verwendet und kann hier nicht isoliert von dieser be­ trachtet werden. Die Sicherheit der Vollzugsanstalt beinhaltet die Unversehrt­ heit von Gebäuden und Einrichtungen sowie die Gesundheit der Anstaltsin­ sassen und des Anstaltspersonals.388 Zudem beinhaltet der Begriff auch die Erhaltung eines Zustandes, der die Anstalt in die Lage versetzt, ihren Zweck zu erfüllen.389 Schließlich umfasst er auch den durch den Freiheitsentzug 385  SK-StPO/Wohlers, § 138a Rn. 17; s. zu den einzelnen Anstalten Löwe/Rosen­ berg/Lüderssen, 25. Aufl., § 138a Rn. 100. 386  KMR-StPO/Staudinger, § 138a Rn. 2. 387  SK-StPO/Wohlers, § 138a Rn. 17; Löwe/Rosenberg/Jahn, § 138a Rn. 67. 388  SSW-StPO/Beulke, §  138a Rn.  28; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 138a Rn. 10; KK-StPO/Willnow, § 138a Rn. 11; SK-StPO/Wohlers, § 138a Rn. 18. 389  SSW-StPO/Beulke, § 138a Rn. 28; HK-StPO/Julius/Schiemann, § 138a Rn. 4; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 138a Rn. 10; KK-StPO/Willnow, § 138a Rn. 11.



C. § 114e StPO209

begründeten Gewahrsam des betroffenen Gefangenen.390 Die konkrete Ge­ fahr für die Sicherheit der Vollzugsanstalt muss zudem ein erhebliches Ge­ wicht haben, kleinere Störungen reichen nicht aus.391 Die Ausführungen zum Begriff der Sicherheit zeigen, dass der Begriff „Vollzugsanstalt“ auch in § 138a StPO zur Beschreibung der Institution, wel­ che mit dem Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen betraut ist, dient. Eine solche Interpretation erlaubt es, alle Aufgaben und Bereiche der Anstalt sowie die sich in ihr befindlichen Personen und Sachen miteinzubeziehen, da dies wesentliche Teile der Institution selbst sind. Diese Interpretation schließt auch nicht aus, dass eine erhebliche Gefahr lediglich für einen Teil der Institution bestehen kann, um die Folgen des § 138a StPO auszulösen. Betrachtet man nämlich die einzelnen Aufgaben, Personen und Sachen der Vollzugsanstalt in einem institutionellen Sinne, so können Gefahren für jeden einzelnen Teil zugleich auch die Funktionsfähig­ keit der Institution selbst gefährden. cc) § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO § 455 Abs. 4 StPO regelt die Unterbrechung der Vollstreckung einer Frei­ heitsstrafe wegen Vollzugsuntauglichkeit. Nach Absatz 4 Nr. 3 kann die Vollstreckung unterbrochen werden, wenn „der Verurteilte sonst schwer er­ krankt und die Krankheit in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskran­ kenhaus nicht erkannt oder behandelt werden kann“. Bei dieser Norm ist zunächst zu beachten, dass sie sich ausschließlich auf Gefangene bezieht, welche eine Freiheitsstrafe in einer Vollzugsanstalt ver­ büßen. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung der Norm im Ersten Abschnitt des siebten Buches der Strafprozessordnung, welcher Regelungen zur Strafvollstreckung trifft. Von dieser Norm sind somit nicht diejenigen Gefangen erfasst, welche sich zum Vollzug der Untersuchungshaft oder an­ derer Maßnahmen in einer Vollzugsanstalt befinden. In Bezug auf Regelungen zur Strafvollstreckung sind neben den Bestim­ mungen der Strafprozessordnung auch immer die Landesgesetze über den Vollzug der Freiheitsstrafe zu beachten.392 Infolgedessen wird auf die bereits oben getätigten Ausführungen verwiesen, wonach eine Vollzugsanstalt vor allem eine Behörde ist und eine staatliche Institution zur Strafvollstreckung 390  KMR-StPO/Staudinger,

§ 138a Rn. 13; BeckOK-StPO/Wessing, § 138a Rn. 6. § 138a Rn. 29; KMR-StPO/Staudinger, § 138a Rn. 13; SK-StPO/Wohlers, § 138a Rn. 18; Löwe/Rosenberg/Jahn, § 138a Rn. 69. 392  S. o. unter B. 391  SSW-StPO/Beulke,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

darstellt. Das Verständnis der Vollzugsanstalt als Institution wird im Folgen­ den zugrunde gelegt und auf seine Übertragbarkeit überprüft. Der Begriff der „Vollzugsanstalt“ wird in § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO im Zu­ sammenhang mit der Erkennung und Behandlung einer Krankheit genannt. Wie bereits erörtert, ist die medizinische Betreuung innerhalb einer Vollzugs­ anstalt während der Strafvollstreckung sicherzustellen.393 Dies beinhaltet nach § 65 Abs. 1 StVollzG bzw. den entsprechenden Vorschriften der Landes­ gesetze394 zum Strafvollzug zunächst die Möglichkeit einer Verlegung des Gefangenen in ein Anstaltskrankenhaus oder eine zur Behandlung besser geeigneten Vollzugsanstalt. Sofern die Krankheiten in einer Anstalt nicht er­ kannt oder behandelt werden können oder es nicht möglich ist, den Gefange­ nen rechtzeitig in ein Anstaltskrankenhaus zu verlegen, ist dieser nach § 65 Abs. 2 StVollzG bzw. den Vorschriften der Landesgesetze395 in ein Kranken­ haus außerhalb des Vollzugs zu bringen. Gerade an die Voraussetzungen der Verlegung nach § 65 Abs. 2 StVollzG knüpft § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO an.396 Der Blick auf § 65 StVollzG zeigt, dass es vorrangig die Aufgabe der Voll­ zugsanstalt oder anderer Einrichtungen des Vollzugs ist, Krankheiten zu er­ kennen und zu behandeln. Die Aufgabe der Vollzugsanstalt besteht konkret darin, die sachlichen und personellen Mittel bereit zu stellen, um diese Auf­ gabe zu erfüllen. Eine Vollstreckungsunterbrechung im Sinne des § 455 Abs. 4 S. 3 StPO kommt also nur als ultima ratio in Betracht, wenn weder die Vollzugsanstalt noch die anderen benannten Einrichtungen in der Lage sind, den staatlichen Auftrag der Gesundheitsfürsorge zu erfüllen und die Unterbrechung im Einzelfall geboten erscheint. Zur Interpretation des Begriffs „Vollzugsanstalt“ ist hier also darauf abzu­ stellen, ob die Vollzugsanstalt in ihrer Gesamtheit dazu fähig ist, die medizi­ nische Behandlung auszuführen oder nicht. Nach dem Sinn und Zweck der Norm kann nur die Gesamtheit der Institution gemeint sein, wenn auf die 393  S.

hierzu 1. Kapitel B.II.5. Abs. 1 JVollzGB III BW; Art. 67 Abs. 1 BayStVollzG; § 76 Abs. 1 StVollzG Bln; § 75 Abs. 1 S. 1 BbgJVollzG; § 64 Abs. 1 BremStVollzG; § 63 Abs. 1 HmbStVollzG; § 24 Abs. 4 S. 1 HStVollzG: § 63 Abs. 1 StVollzG M-V; § 63 Abs. 1 NJVollzG; § 46 Abs. 1 StVollzG NRW; § 63 Abs. 1 SLStVollzG; § 64 Abs. 1 Sächs­ StVollzG; § 74 Abs. 1 S. 2 JVollzGB I LSA; § 80 Abs. 1 S. 1 LStVollzG SH; § 74 Abs. 1 S. 1 ThürJVollzGB. 395  § 34 Abs. 1 S. 2 JVollzGB III BW; Art. 67 Abs. 2 BayStVollzG; § 76 Abs. 2 StVollzG Bln; § 75 Abs. 1 S. 1 BbgJVollzG; § 64 Abs. 1 BremStVollzG; § 63 Abs. 2 HmbStVollzG; § 24 Abs. 4 S. 2 HStVollzG; § 63 Abs. 1 StVollzG M-V; § 63 Abs. 2 NJVollzG; § 46 Abs. 2 StVollzG NRW; § 63 Abs. 1 SLStVollzG; § 64 Abs. 1 Sächs­ StVollzG; § 74 Abs. 1 S. 2 JVollzGB I LSA; § 80 Abs. 1 S. 2 LStVollzG SH; § 74 Abs. 1 S. 1 ThürJVollzGB. 396  Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, § 455 Rn. 19. 394  § 34



C. § 114e StPO211

Fähigkeit und Möglichkeit der Krankenbehandlung abgestellt wird. Der Be­ griff meint hingegen nicht einzelnes Personal oder einzelne sachliche Mittel. Die Vorschrift kann sich also ebenfalls nur auf die Vollzugsanstalt im Sinne einer Institution beziehen. Diese Auslegung steht schließlich auch im Ein­ klang mit dem Verständnis des Begriffs „Vollzugsanstalt“ im Sinne der Lan­ desgesetze. dd) § 454 Abs. 1 S. 2, S. 4 Nr. 1, Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2 2. HS StPO Der Begriff der Vollzugsanstalt findet sich gleich mehrfach in § 454 StPO, in welchem die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung geregelt ist. Auch bei dieser Regelung ist wieder zu beachten, dass sie sich auf die Vollstreckung von Freiheitsstrafen bezieht. Somit sind auch in Bezug auf diese Norm die Regelungen der Landesgesetze zum Strafvollzug zu be­ achten. In § 454 Abs. 1 S. 2 StPO heißt es zunächst, „die Vollzugsanstalt“ sei vor der Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung zu hören. Daran anschließend entbindet § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 StPO von der Pflicht zu einer mündlichen Anhörung des Verurteilten, wenn „die Vollzugsanstalt“ die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürwor­ tet. In Bezug auf die in Frage stehende Stellungnahme der Vollzugsanstalt besteht weitestgehend Einigkeit über die örtliche Zuständigkeit und deren erforderlichen Inhalt. Örtlich zuständig für die Abgabe der geforderten Stel­ lungnahme ist diejenige Vollzugsanstalt, in welcher sich der Verurteilte zum Zeitpunkt des Verfahrens befindet.397 Hat erst kürzlich vor dem Verfahren ein Wechsel der Vollzugsanstalt stattgefunden, so ist gegebenenfalls eine Stellungnahme der Vollzugsanstalt einzuholen, in welcher sich der Verurteilte länger aufgehalten hat und die ihn folglich besser beurteilen kann.398 Die Vollzugsanstalt soll in der Lage sein, eine fundierte Stellungnahme aufgrund der im Vollzug gewonnen Erkenntnisse abgeben.399 Inhaltlich hat sich die Vollzugsanstalt zu dem Vollzugsverhalten des Verur­ teilten, zu seinen in Freiheit zu erwartenden persönlichen, familiären, sozia­ 397  KK-StPO/Appl, §  454 Rn. 11; BeckOK-StPO/Coen, § 454 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bund/Ganter, StPO § 454 Rn. 27; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 18; SSW-StPO/Hanft, § 454 Rn. 9; SK-StPO/Paeffgen/Greco, § 454 Rn. 30; KMR-StPO/Stöckel, § 454 Rn. 41. 398  KK-StPO/Appl, §  454 Rn. 11; BeckOK-StPO/Coen, § 454 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bund/Ganter, StPO § 454 Rn. 28; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 18; SSW-StPO/Hanft, § 454 Rn. 9. 399  Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 18.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

len und beruflichen Verhältnissen sowie seiner künftigen Legalbewährung zu äußern.400 Als Grundlage für die Stellungnahme der Vollzugsanstalt dienen die Beobachtungen und Feststellungen aller am Behandlungsvollzug mitwir­ kenden Justizvollzugsbediensteten, einschließlich der Mitarbeitenden der Fachdienste.401 Die Stellungnahme ist mit einem eindeutigen Votum abzu­ schließen, in welchem sich die Vollzugsanstalt für oder gegen die Vollstre­ ckungsaussetzung ausspricht.402 Nicht abschließend geklärt scheint die Frage, durch wen die Stellungnahme zu verfassen und mit einem abschließenden Votum zu versehen ist. Als Kan­ didaten werden der Anstaltsleiter,403 darüber hinaus aber auch sein Stellver­ treter404 oder der zuständige Vollzugsabteilungsleiter405 genannt. Nach eini­ gen Stimmen soll auch eine Delegierung der Abgabe bzw. des Verfassens der Stellungnahme an einen anderen Beamten der Vollzugsanstalt möglich sein, welcher sich in Vertretung des Anstaltsleiters äußern dürfe.406 Schließlich fehlen in anderen Kommentierungen jegliche Angaben zu einer Person, wel­ che die Stellungnahme abzugeben hat.407 Die divergierenden Meinungen verdeutlichen hier ein Problem, welches bereits zu Beginn angesprochen wurde: Wen meint das Gesetz, wenn es von der „Vollzugsanstalt“ spricht? Diese Frage wird im Rahmen von § 454 StPO besonders interessant, da die Norm eine bestimmte Handlung bzw. ein Tätigwerden der „Vollzugsan­ stalt“ fordert. Im Vergleich mit den zuvor behandelten Vorschriften enthält § 454 Abs. 1 S. 2 StPO eine (konkrete) Anweisung zur Abgabe einer Stel­ lungnahme. Dem sprachlichen Verständnis nach werden Handlungen primär von Personen vorgenommen. Daneben können Handlungen aber auch von 400  SK-StPO/Paeffgen/Greco,

§ 454 Rn. 30; KMR-StPO/Stöckel, § 454 Rn. 42. § 454 Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 454 Rn. 10; KMR-StPO/Stöckel, § 454 Rn. 41. 402  KK-StPO/Appl, §  454 Rn. 11; BeckOK-StPO/Coen, § 454 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bund/Ganter, StPO § 454 Rn. 26; SK-StPO/Paeffgen/Greco, § 454 Rn. 30; KMR-StPO/Stöckel, § 454 Rn. 42. 403  KK-StPO/Appl, § 454 Rn. 11; BeckOK-StPO/Coen, § 454 Rn. 4; Löwe/Ro­ senberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 18; MüKo-StPO/Nestler, § 454 Rn. 42; SKStPO/Paeffgen/Greco, § 454 Rn. 30; KMR-StPO/Stöckel, § 454 Rn. 41. 404  MüKo-StPO/Nestler, § 454 Rn. 42; nach Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 18 und KMR-StPO/Stöckel, § 454 Rn. 41 der Vertreter nur bei Verhin­ derung des Anstaltsleiters. 405  MüKo-StPO/Nestler, § 454 Rn. 42; nach Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 18 nur bei größeren Vollzugsanstalten. 406  BeckOK Strafvollzug Bund/Ganter, StPO § 454 Rn. 29; SK-StPO/Paeffgen/ Greco, § 454 Rn. 30; NK-GS/Pflieger/Meier, § 454 StPO Rn. 5; Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, § 454 Rn. 12. 407  So bei SSW-StPO/Hanft, § 454 Rn. 9. 401  KK-StPO/Appl,



C. § 114e StPO213

Institutionen durchgeführt werden, welche sich im Einzelfall durch hierzu befugte Personen vertreten lassen. So besagt etwa § 62 Abs. 3 VwGO aus­ drücklich, dass für Vereinigungen sowie Behörden deren gesetzliche Vertreter handeln. Und auch § 12 Abs. 1 VwVfG besagt, dass Behörden durch ihre Leiter, deren Vertreter oder Beauftragte fähig zur Vornahme von Verfahrens­ handlungen sind. In Bezug auf § 454 Abs. 1 S. 2 StPO bleibt also zu klären, ob die Hand­ lungsanweisung an die „Vollzugsanstalt“ eine Anweisung an eine individua­ lisierbare Person meint, bzw. meinen kann oder ob sich die Anweisung an die Institution richtet. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass eine Vollzugsanstalt eine Behörde ist und als solche durch ihre gesetzlichen Ver­ treter handelt. Zur näheren Bestimmung des Begriffs „Vollzugsanstalt“ im Rahmen der Strafvollstreckung wurde oben bereits auf das Strafvollzugsgesetz (Bund) sowie die Landesgesetze zum Strafvollzug verwiesen.408 Das insoweit Ge­ sagte gilt auch bei der Auslegung im Rahmen des § 454 StPO. Daneben er­ fordert die Auslegung an dieser Stelle einen Blick auf die Regelungen zur Vertretung der Vollzugsanstalt nach außen. In den Strafvollzugsgesetzen von Bund und Ländern finden sich gesetz­ liche Regelungen zur Vertretung der Anstalt. Nach § 156 Abs. 2 S. 1 StVollzG bzw. den entsprechenden Regelungen der Landesgesetze409 obliegt es grund­ sätzlich dem Anstaltsleiter, die Vollzugsanstalt nach außen zu vertreten. Zu­ dem trägt er die Verantwortung für sämtliche Vollzugsbelange, § 156 Abs. 2 S. 2 StVollzG. Er kann jedoch nach § 156 Abs. 2 S. 2 StVollzG die Verant­ wortung für bestimmte Aufgabenbereiche (im Innenverhältnis) auf andere Vollzugsbedienstete übertragen, wobei sich entsprechende Regelungen auch in den Landesgesetzen finden.410 Nach den VV StVollzG (2) zu § 156 StVollzG hat der Anstaltsleiter schriftlich festzulegen, welche Vollzugsbe­ diensteten in seinem Auftrag Entscheidungen treffen können. Die Strafvollzugsgesetze gehen auch heute noch von einem monokratischhierarchisch orientierten Leitungsmodell mit dem Anstaltsleiter an der Spitze 408  S. o.

unter C.I.3.a). Abs. 2 JVollzGB I BW; Art. 177 Abs. 2 S. 1 BayStVollzG; § 103 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG Bln; § 109 Abs. 1 S. 1 BbgJVollzG; § 96 Abs. 2 S. 1 BremStVollzG; § 104 Abs. 2 HambStVollzG; § 75 Abs. 1 S. 1 HStVollzG; § 95 Abs. 1 S. 1 StVollzG M-V; § 176 Abs. 1 S. 1 NJVollzG; § 97 Abs. 2 S. 1 StVollzG NRW; § 106 Abs. 1 S. 1 LJVollzG RP; § 95 Abs. 1 S. 1 SLStVollzG; § 99 Abs. 1 S. 1 SächsStVollzG; § 107 Abs. 1 JVollzGB I LSA; § 134 Abs. 2 S. 1 LStVollzG SH; § 107 Abs. 1 ThürJVollz­GB. 410  Z. B. Art. 177 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG; § 104 Abs. 2 HambStVollzG; § 95 Abs. 1 S. 2 StVollzG M-V; § 97 Abs. 2 S. 2 StVollzG NRW. 409  § 13

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

der Vollzugsanstalt aus.411 Neben den in Einzelvorschriften ausdrücklich zu­ gewiesenen Kompetenzen des Anstaltsleiters steht ihm nach erstem Verständ­ nis eine Allzuständigkeit zu.412 Ihm obliegen alle Funktionen, die mit der Führung einer Vollzugsanstalt verbunden sind.413 Als Leiter der Behörde „Vollzugsanstalt“ ist er für die Regelung aller Angelegenheiten in der Anstalt zuständig.414 Der Anstaltsleiter wird in der Kommentierung daher auch als Herr der Institution bezeichnet.415 Dieses Modell der Alleinzuständigkeit und Alleinverantwortlichkeit er­ scheint bereits aus praktischen Gesichtspunkten schwer zu verwirklichen.416 So ist es nicht verwunderlich, dass die Strafvollzugsgesetze den Anstalts­ leitern auch Möglichkeiten zur Schaffung kooperativer Kommunikationsund Entscheidungsstrukturen geben.417 So ist etwa die Durchführung von Vollzugskonferenzen zur Vorbereitung wichtiger Entscheidungen mit den an der Behandlung der Gefangenen Beteiligten in § 159 StVollzG und den Lan­ desgesetzen418 ausdrücklich vorgesehen.419 Ferner ist im Innenverhältnis eine Alleinverantwortung nicht zwingend vorgeschrieben.420 Schon aus rein praktischen und zeitlichen Gründen sowie aufgrund der Unüberschaubarkeit des Vollzugsgeschehens wird der Anstaltsleiter nicht immer allein über alle Belange Entscheidungen treffen können.421 Zudem kann nicht vom Anstaltsleiter erwartet werden, dass er alles kann und alles 411  AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 12, 14; Schöch, in: Kai­ ser/Schöch, Strafvollzug, § 11 Rn. 9; Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 139 Rn. 2. 412  Laubenthal, Strafvollzug Rn. 263; AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 8; Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 11 Rn. 8. 413  Laubenthal, Strafvollzug 8. Aufl. Rn. 263; AK-StVollzG/Pollähne, Teil II, Vor § 93 LandesR Rn. 12. 414  AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 12. 415  SBJL-Wydra/Pfalzer, 6. Aufl., § 156 Rn. 2. 416  Schöch, in: Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 11 Rn. 9; ähnl. auch AK-StVollzG/ Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 4. 417  Laubenthal, Strafvollzug 8.  Aufl. Rn.  264; LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 39. 418  So z. B. in § 17 JVollzGB I BW; Art. 183 BayStVollzG; § 9 Abs. 5 StVollzG Bln; § 14 Abs. 5 BbgJVollzG; § 8 Abs. 4 BremStVollzG; §§ 8 Abs. 6, 108 HambSt­ VollzG; § 75 Abs. 3 HStVollzG; § 8 Abs. 5 StVollzG M-V; § 9 Abs. 4 NJVollzG; §§ 10 Abs. 3, 100 StVollzG NRW; § 14 Abs. 5 LJVollzG RP; § 8 Abs. 5 SLStVollzG; § 8 Abs. 6 SächsStVollzG; § 14 Abs. 5 JVollzGB I LSA; §§ 9 Abs. 6, 138 LStVollzG SH; § 14 Abs. 5 ThürJVollzGB. 419  Vgl. a. Laubenthal, Strafvollzug Rn. 264; LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 3. 420  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 156 Rn. 3; LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 39. 421  LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 39; AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 Lan­ desR Rn. 11.



C. § 114e StPO215

weiß, zumal in den Vollzugsanstalten immer mehr Fachkräfte tätig sind, mit deren Fachaufsicht der Anstaltsleiter überfordert wäre.422 Für den Bereich der Gesundheitsfürsorge ist es sogar unbestritten, dass die Verantwortung des Anstaltsleiters dort ihre Grenzen findet und sie allein dem Anstaltsarzt ob­ liegt.423 In Bezug auf die Vertretung der Anstalt nach außen wird hingegen über­ wiegend angenommen, dass diese allein dem Anstaltsleiter obliegt und nicht delegiert werden kann.424 Dies hat zur Folge, dass alle Erklärungen der Anstalt im Außenverhältnis durch den Anstaltsleiter in Vertretung der Anstalt bewirkt werden müssen.425 Und damit einhergehend hat er die Pflicht, jedes Schreiben, welches von der Anstalt nach außen gerichtet ist, zu unterschrei­ ben.426 Mit seiner Zustimmung können Erklärungen der Anstalt nach außen auch rechtswirksam von anderen Vollzugsbediensteten abgegeben werden.427 Er kann sich allerdings auch weigern, sich die Erklärungen anderer, z. B. der Fachdienste, zu eigen zu machen, womit diese Erklärungen dann nicht mehr für die Anstalt abgegeben werden können.428 Die Regelung der alleinigen Außenvertretung des Anstaltsleiters entspricht dem praktischen Bedürfnis, dass sich der Außenstehende ohne Schwierigkei­ ten an ihn als Repräsentanten der Anstalt wenden können muss.429 Er bleibt eindeutiger Ansprechpartner und seine Erklärungen können allgemein als rechtswirksame Erklärungen der Vollzugsanstalt angesehen werden. Dennoch ist zwischen dem Anstaltsleiter als Person und der Vollzugsanstalt als Institu­ tion zu unterscheiden. Der Anstaltsleiter verkörpert die Vollzugsanstalt nach außen, aber er ist nicht „die Vollzugsanstalt“. Somit wird er auch nicht als Person durch eine Norm verpflichtet, welche sich an „die Vollzugsanstalt“ richtet. Dies wird auch in § 175 Abs. 1 S. 1 NJVollzG und § 107 Abs. 1 JVollzGB I LSA aufgegriffen, welche ausdrücklich aussagen, der Anstalts­ leiter vertrete die Anstalt in den ihr als Vollzugsbehörde obliegenden Angele­ genheiten nach außen. Handelnde bleibt somit immer die Institution „Voll­ 422  AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 5, 11; vgl. a. BeckOK Strafvoll­ zug Bund/Engelstätter, StVollzG § 156 Rn. 4. 423  OLG Frankfurt ZfStrVO 1979, 125 (127); AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 5. 424  LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 39; AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 Lan­ desR Rn. 11; a. A. SBJL-Pfalzer, Kap. 13, Buchst. K Rn. 6 welcher eine Delegation im Rahmen eines Mandats für möglich hält. 425  AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 10. 426  Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, § 156 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Bund/ Engelstätter, StVollzG § 156 Rn. 3. 427  AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 10. 428  Vgl. AK-StVollzG/Galli, Teil II, § 95 LandesR Rn. 10. 429  LNNV-Laubenthal, Abschn. N Rn. 39.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

zugsanstalt“, der Anstaltsleiter erfüllt nur die ihm gesetzlich auferlegte Pflicht, die Institution bei ihrer Handlung zu vertreten. Im Innenverhältnis ist sodann wiederum zwischen unterschiedlichen Handlungsebenen zu trennen. Die Pflicht, jedes von der Anstalt nach Außen gerichtete Schreiben zu unterzeichnen, umfasst nicht auch automatisch die Pflicht, diese Schreiben zu verfassen. Diese Aufgabe kann nach oben Gesag­ tem auch auf eine von ihm beauftragte Person übertragen werden, da sie keine direkte Außenwirkung hat. Somit lässt sich hier festhalten, dass der Begriff der „Vollzugsanstalt“ in § 454 Abs. 1 S. 2, S. 4 StPO dieselbe als Institution zur Abgabe einer Stel­ lungnahme verpflichtet. Diese Stellungnahme ist vom Anstaltsleiter in Ver­ tretung der Vollzugsanstalt zu unterzeichnen und für diese abzugeben. Diese Pflicht beinhaltet jedoch nicht das eigenständige Verfassen der Stellungnahme durch den Anstaltsleiter persönlich. Eine weitere Nennung der „Vollzugsanstalt“ findet sich in § 454 Abs. 2 StPO. Dieser regelt die Einholung eines Sachverständigengutachtens in den benannten Fällen der Vollstreckungsaussetzung. Nach Abs. 2 S. 3 ist der Sachverständige mündlich zu hören, wobei „der Vollzugsanstalt“ Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Die Formulierung „Gelegenheit zur Mitwirkung“ findet sich auch in § 255a Abs. 2 S. 1 StPO. Die insoweit zu dieser Norm entwickelten Grund­ sätze können entsprechend auf § 454 Abs. 2 S. 3 StPO angewendet wer­ den.430 Im Rahmen von § 255a Abs. 2 S. 1 StPO geht der Mitwirkungsvor­ behalt auf den Grundsatz zurück, dass gerichtliche Entscheidungen nur auf Grund von Tatsachen und Beweisergebnissen ergehen dürfen, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten.431 Der Mitwirkungsvorbehalt dient hier vor allem der Sicherung des Fragerechts des Beschuldigten.432 Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Vollzugsanstalt und den weiteren Beteiligten also im Rahmen der Anhörung des Sachverständigen nach § 454 Abs. 2 StPO die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen und Erklärungen abzugeben.433 Die Vollzugsanstalt ist hier zur Teilnahme an der mündlichen Anhörung des Sachverständigen berechtigt, aber nicht verpflichtet.434

430  Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer,

§ 454 Rn. 65. § 255a Rn. 10. 432  KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 10. 433  KK-StPO/Appl, § 454 Rn. 19a, 29a; MüKo-StPO/Nestler, § 454 Rn. 61; SKStPO/Paeffgen/Greco, § 454 Rn. 1. 434  KK-StPO/Appl, § 454 Rn. 19a; MüKo-StPO/Nestler, § 454 Rn. 59; Löwe/Ro­ senberg/Graalmann-Scheerer, § 454 Rn. 66. 431  KK-StPO/Diemer,



C. § 114e StPO217

Auch in diesem Fall wird die Vollzugsanstalt als Institution zur Mitwir­ kung berechtigt. Bei der Vornahme konkreter Handlungen wird sie wiederum durch den Anstaltsleiter im Rahmen der gesetzlichen Vertretung vertreten, da es sich um eine Tätigkeit mit Außenwirkung handelt. Schließlich findet sich in § 454 Abs. 4 S. 2 StPO der Hinweis, dass die Belehrung über die Strafrestaussetzung mündlich erteilt wird. Nach dem 2. HS kann diese Belehrung „der Vollzugsanstalt“ übertragen werden. Im Rahmen der Übertragung der Belehrungsbefugnis ist zu beachten, dass dies eine Handlung darstellt, welche innerhalb der Vollzugsanstalt stattfindet. So berührt dieses Recht nicht das Außenverhältnis, sondern allein das Innen­ verhältnis zwischen der Vollzugsanstalt und dem betroffenen Gefangenen. Zwischen diesen beiden Verhältnissen ist strikt zu trennen. Die Regelung der inneren Organisation der Vollzugsanstalten folgt allein den Landesgesetzen zum Strafvollzug. Der Bundesgesetzgeber hat auch keine Kompetenzen, in diese Bereiche einzugreifen.435 Insofern kann durch eine Bundesnorm nur die „Vollzugsanstalt“ als Institution mit der Aufgabe der Belehrung betraut werden. Dabei handelt es sich auch nicht um eine Handlung der Vollzugsanstalt mit Außenwirkung, wonach sie der Anstalts­ leiter auszuführen hätte. Wie genau die Belehrung im Innenverhältnis ausge­ führt wird, richtet sich nach den jeweiligen Regelungen des entsprechenden Landesgesetzes. Soweit dieses also die Möglichkeit vorsieht, bestimmte Aufgaben zu übertragen, ist dies im Innenverhältnis möglich. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit, einen Vollzugsbediensteten mit der Belehrung eines Gefangenen zu beauftragen. Im Ergebnis lässt sich somit in Bezug auf § 454 StPO festhalten, dass sich der Begriff der „Vollzugsanstalt“ bei allen Nennungen auf dieselbe als Insti­ tution bezieht. ee) § 119 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 2 StPO Der Begriff der Vollzugsanstalt findet sich zudem in § 119 StPO, welcher die Anordnung und Ausführung haftgrundbezogener Beschränkungen wäh­ rend des Vollzugs der Untersuchungshaft regelt. So sieht § 119 Abs. 1 S. 4 StPO eine Eilkompetenz durch „die Vollzugsanstalt“ für die Anordnung von Beschränkungen vor und in § 119 Abs. 2 S. 2 StPO heißt es, die Staatsan­ waltschaft könne sich bei der Ausführung von Beschränkungen der Hilfe „der Vollzugsanstalt“ bedienen. 435  Vgl. oben unter C. sowie BT-Drs. 16/813, S. 9 in Bezug auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, womit die Gesetzgebungskompetenz ausdrücklich auf die Länder übertragen wurde.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Vor der Neufassung des § 119 StPO waren die Möglichkeiten der Be­ schränkungen während des Vollzugs der Untersuchungshaft in der Untersu­ chungshaftvollzugsordnung (UVollzO) näher ausgestaltet.436 Die Untersu­ chungshaftvollzugsordnung war eine von den Landesjustizverwaltungen ein­ heitlich erlassene allgemeine Verwaltungsanordnung und somit mangels Rechtssatzqualität nicht bindend für die Gerichte.437 Im Rahmen der Neure­ gelung des Untersuchungshaftrechts wurde der ehemalige § 119 StPO grund­ legend verändert, durch eine einheitliche Regelung der Beschränkungen in der Strafprozessordnung sollte dem bis dahin bestehenden grundlegenden Regelungsdefizit Rechnung getragen werden.438 § 119 StPO wurde ebenfalls durch das Gesetz zur Änderung des Untersu­ chungshaftrechts vom 29.07.2009 mit Wirkung zum 01.01.2010 vollständig neu gefasst.439 Wie schon besprochen hatte der Bund zu diesem Zeitpunkt die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Rechts des Untersuchungs­ haftvollzugs bereits verloren.440 Entsprechend der neuen Gesetzgebungskom­ petenzen nach der Änderung der Verfassung sind die Anordnung und der Vollzug der Untersuchungshaft nunmehr teilweise getrennt geregelt.441 Diese Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen und der jeweiligen Ausge­ staltungskompetenz wird sowohl von der Praxis wie auch in der Literatur bemängelt. Im Zusammenhang mit der Anwendung der Norm wurde nach der Neuregelung der Beschränkungsmöglichkeiten vor allem bemängelt, dass die Regelung der Zuständigkeiten und deren Aufteilung zwischen §§ 119, 119a StPO und den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen (der Länder) unprak­ tikabel sei.442 In der Literatur wurde hingegen vor allem eine Diskussion über die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Rahmen der Neugestal­ tung des § 119 StPO geführt.443 Diese Debatte in der Literatur wirkt sich zumindest mittelbar auch auf die Frage aus, wer in § 119 StPO mit dem Begriff der „Vollzugsanstalt“ gemeint ist. So wird auch in diesem Rahmen zu klären sein, inwiefern der Bund in die Organisation der Untersuchungshaft eingreifen kann und ob Landesbeamte durch Bundesgesetze berechtigt oder verpflichtet werden können. 436  BeckOK-StPO/Krauß,

§ 119 Rn. 5; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 1. § 119 Rn. 5; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 1. 438  KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 1. 439  BGBl. I 2009, S. 2274 (2275). 440  S. o. unter C. vor I. 441  SSW-StPO/Herrmann, § 119 Rn. 1. 442  Zur Situation in NRW OLG Hamm BeckRS 2014, 8981 Rn. 24. 443  Bittmann, NStZ 2010, 13 (14); Michalke, NJW 2010, 17; König, NStZ 2010, 185 f.; Paeffgen, StV 2009, 46 (47 f.); MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 4 ff.; Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 4 ff.; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 1 f.; SKStPO/Paeffgen, § 119 Rn. 2; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 1. 437  SSW-StPO/Herrmann,



C. § 114e StPO219

Nach einer Ansicht umfasst die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch nach der Verfassungsänderung nicht nur die Bestimmungen, welche die Anordnung der Untersuchungshaft betreffen, sondern auch all diejenigen Regelungen, welche das Erreichen des Zwecks der Untersuchungshaft si­ cherstellen sollen.444 Dies umfasst insbesondere die Auferlegung von Be­ schränkungen zu Lasten des Untersuchungsgefangenen, welche der Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr dienen, wie sie in § 119 StPO geregelt sind.445 Für diese Sichtweise spreche der enge Sachzu­ sammenhang zwischen der Anordnung der Untersuchungshaft und solchen Beschränkungen, welche sich unmittelbar aus dem Gebot der Wahrung der Haftzwecke ergäben.446 Die Regelung des § 119 StPO bilde somit eine Rechtsgrundlage für alle die Haftzwecke betreffenden Entscheidungen.447 Nach anderer Ansicht sollen hingegen ausschließlich die Länder für die Entscheidungen und Maßnahmen während des Untersuchungshaftvollzugs zuständig sein und diese allein durch Landesgesetze regeln können.448 Das Recht des Untersuchungshaftvollzugs, welches in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG genannt wird, umfasse all diejenigen Rechtseingriffe oder Rechtsgewährun­ gen, welche den Untersuchungsgefangenen nur wegen oder während seiner strafprozessualen Freiheitsentziehung treffen oder treffen könnten.449 Insbe­ sondere in Niedersachsen wurde dieses Problem vor unterschiedlichen Ge­ richten thematisiert, da das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) auch Eingriffsbefugnisse regelt, welche den Zweck der Untersuchungshaft berühren.450 So sollte der § 119 StPO nach Ansicht des OLG Celle in Nie­ dersachsen überhaupt keine Anwendung finden und sich die Ausgestaltung der Untersuchungshaft allein nach dem NJVollzG richten.451 Der BGH hat sich zu dieser Problematik bisher insoweit geäußert, als er eine ausschließ­ liche Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des BGH für die Anordnung von Beschränkungen angenommen hat, sofern der Beschuldigte aufgrund eines Haftbefehls dieses Ermittlungsrichters in Untersuchungshaft sitzt.452 Das OLG Celle verneinte jedoch auch nach dieser Entscheidung – und mit aus­ drücklichem Verweis auf diese – die Anwendbarkeit des § 119 StPO in Nie­ 444  BT-Drs.

16/11644, S. 12, 23; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 2. 16/11644, S. 12, 23; MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 4; BeckOKStPO/Krauß, § 119 Rn. 2; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 2. 446  HK-StPO/Posthoff, § 119 Rn. 1. 447  KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 2. 448  Seebode, HRRS 2008, 236 (239). 449  OLG Celle StV 2010, 194 (195 ff.); OLG Celle StV 2012, 417; R. Schneider, Forum Strafvollzug 2008, 24 (25); Seebode, HRRS 2008, 236 (239). 450  § 140 NJVollzG, bezüglich einer Verdunkelungsgefahr. 451  OLG Celle StV 2010, 194 (195 ff.); OLG Celle StV 2012, 417. 452  BGH NJW 2012, 1158. 445  BT-Drs.

220

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

dersachsen.453 Eine Vorlage des OLG Oldenburg zur Prüfung der Verfas­ sungsmäßigkeit einiger Normen des NJVollzG wurde vom BVerfG mangels Entscheidungserheblichkeit für unzulässig erklärt.454 Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf Beschränkungen während der Untersuchungshaft steht somit noch aus. Nach der hier vertretenen Ansicht455 ist im Rahmen der Gesetzgebungs­ kompetenz strikt zwischen denjenigen Bestimmungen zu unterscheiden, welche sich auf den Grund der Untersuchungshaft beziehen, und denjenigen, welche die konkrete Ausführung der Untersuchungshaft betreffen. So steht dem Bund weiterhin die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der An­ ordnung der Untersuchungshaft sowie deren Voraussetzungen und Dauer zu;456 den Landesgesetzgebern kommt hingegen die Gesetzgebungskompe­ tenz für die allgemeine Ausgestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft sowie die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung innerhalb der Voll­ zugsanstalt zu.457 Zunächst muss also zwischen dem Untersuchungshaftrecht und dem Untersuchungshaftvollzugsrecht unterschieden werden.458 Die Ge­ setzgebungskompetenz zur Regelung des Untersuchungshaftrechts des Bun­ des umfasst dabei auch den Erlass von Bestimmungen, welche sich auf die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens beziehen, und schließt dementsprechend auch Bereiche des Untersuchungshaftvollzugs mit ein, so­ weit der Zweck der Untersuchungshaft betroffen ist.459 Konkret fallen in diese Kompetenz Regelungen über Maßnahmen, welche der Zweck der Un­ tersuchungshaft erfordert, also der Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr dienen.460 Die Regelungskompetenz der Landesgesetzgeber beschränken sich hinge­ gen allein auf Bestimmungen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung der Vollzugsanstalt oder die Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs im Allgemeinen.461 Auch soll hier noch einmal betont werden, dass dem Bund keine (Eingriffs-)Befugnisse in Bezug auf die Regelung der internen An­ staltsorganisation zustehen. Die interne Anstaltsorganisation und die Rege­ 453  OLG

Celle StV 2012, 417. StV 2008, 426. 455  So schon oben unter C. vor I. 456  BeckOK Strafvollzug/Gerhold, §  119 StPO Rn.  4; SSW-StPO/Herrmann, § 119 Rn. 2; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 1, 2. 457  Tsambikakis, ZIS 2009, 503; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 119 Rn. 7; SSW-StPO/Herrmann, § 119 Rn. 2; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 6. 458  Unterscheidung nach BRAK-Stellungnahme-Nr. 37/2008, S. 4. 459  So auch Bittmann, NStZ 2010, 13 (14); MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 5. 460  KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 2. 461  HK-StPO/Posthoff, § 119 Rn. 2; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 2. 454  BVerfG



C. § 114e StPO221

lung von Zuständigkeiten innerhalb einer Vollzugsanstalt unterliegen allein der Gesetzgebungskompetenz desjenigen Landes, in welchem sich die je­ weilige Vollzugsanstalt befindet. Die Landesgesetzgeber haben in ihren je­ weiligen Untersuchungshaftvollzugsgesetzen auch ebensolche Regelungen über die Anstaltsorganisation und Zuständigkeiten innerhalb der Anstalten geschaffen. Anordnungen, welche anstaltsinterne Zuständigkeiten, Organisa­ tionsabläufe und Informationspflichten betreffen, stellen grundsätzlich auch keine Beschränkungen im Sinne des § 119 Abs. 1 StPO dar und fallen auch nicht unter die Regelungskompetenz des Haftrichters.462 In die innere Orga­ nisation der Vollzugsanstalt darf das Gericht auch nicht eingreifen.463 Auch wenn die Gesetzgebungsbefugnis nach dieser Ansicht für den Bund gegeben ist, so ergeben sich doch eine Reihe von Problemen aus der Kom­ petenzaufspaltung für die Untersuchungshaft und deren Vollzug zwischen Bund und Ländern. Einige dieser Probleme werden im Rahmen des § 119 StPO deutlich, da dieser direkt in die Art und Weise des Vollzugs der Unter­ suchungshaft eingreift, wenn dem betroffenen Untersuchungsgefangenen Beschränkungen auferlegt werden. Bereits in der Gesetzesbegründung zur Änderung der Strafprozessordnung wurde diesbezüglich von einer „Über­ schneidung der Kompetenzen von Bund und Ländern“ gesprochen.464 Diese ist insbesondere dann unausweichlich, wenn eine Beschränkung sowohl den Zwecken der Untersuchungshaft wie auch der Sicherheit und Ordnung der Anstalt dient.465 Im Einzelfall können somit Probleme bei der Auswahl der einschlägigen Rechtsgrundlage und der daraus folgenden Anordnungskompe­ tenz für eine Maßnahme entstehen.466 Zudem kann im Einzelfall auch oft nicht genau bestimmt werden, welchem Zweck eine Beschränkung dient, da jede Beschränkung sowohl Gegenstand der Strafprozessordnung wie auch der Untersuchungshaftvollzugsgesetze sein kann.467 Vorliegend soll nicht ausführlich auf die von § 119 Abs. 1 S. 2 StPO be­ nannten einzelnen Fälle der Beschränkungen und deren materielle Vorausset­ zungen eingegangen werden. Insoweit sei auf die einschlägige Kommentie­ rung oder Handbücher zu dieser Thematik verwiesen. Für die Auslegung des Begriffs „Vollzugsanstalt“ im Rahmen dieser Norm ist vielmehr die Anord­ nungskompetenz für Beschränkungen und die Übertragung der Ausführung einer Beschränkung genauer zu betrachten. 462  SSW-StPO/Herrmann,

§ 119 Rn. 10. § 119 Rn. 27. 464  BT-Drs. 16/11644, S. 12. 465  BeckOK Strafvollzug/Gerhold, § 119 StPO Rn. 5; SK-StPO/Paeffgen, § 119 Rn. 3i; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 3. 466  BeckOK Strafvollzug/Gerhold, § 119 StPO Rn. 5. 467  SK-StPO/Paeffgen, § 119 Rn. 3h. 463  KMR-StPO/Wankel,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

§ 119 Abs. 1 Satz 3 StPO bestimmt, dass die Anordnung einer Beschrän­ kung durch das nach § 126 StPO im jeweiligen Verfahrensabschnitt zustän­ dige Gericht zu treffen ist.468 § 119 Abs. 1 S. 4 StPO sieht zudem eine Eil­ kompetenz der Staatsanwaltschaft und der Vollzugsanstalt zur Anordnung von Beschränkungen vor.469 Diese Befugnis besteht nur in den Fällen, in welchen eine Entscheidung des Gerichts nicht so zeitnah herbeigeführt wer­ den kann, dass eine drohende Gefährdung des Haftzwecks mit ihr abgewen­ det werden könnte.470 In jedem Fall bleibt die Einholung einer richterlichen Entscheidung, notfalls auch fernmündlich, vorrangig vor dieser Eilkom­ petenz.471 Die Eilanordnung der Staatsanwaltschaft und der Vollzugsanstalt unterliegen dabei einem Genehmigungserfordernis des zuständigen Ge­ richts.472 Sie sind nach § 119 Abs. 1 Satz 5 StPO binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, wenn sie sich nicht in der Zwischenzeit erledigt haben. Der Richtervorbehalt bei der Anordnung von Beschränkungen trägt deren Grundrechtsrelevanz Rechnung.473 Unter diesem Aspekt wird die vom Ge­ setz vorgesehene Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und der Vollzugs­ anstalt kritisch betrachtet. Insbesondere die Bundesrechtsanwaltskammer ­äußerte erhebliche Bedenken bezüglich dieser Eilkompetenzen. Nach einer Stellungnahme derselben bilden die Auferlegung von Beschränkungen Grundrechtseingriffe, für welche allein ein Richter, im Einzelfall vielleicht auch ein Staatsanwalt, nicht aber ein Beamter der Vollzugsanstalt zuständig sei.474 Es sei bereits die Notwendigkeit für die vom Gesetz vorgesehene Eilkompetenz fraglich, da überwiegend richterliche Bereitschaftsdienste ein­ gerichtet seien.475 Schließlich sei insbesondere die Eilzuständigkeit der Vollzugsanstalt auch in Anbetracht zusätzlich bestehender staatsanwaltschaft­ licher Bereitschaftsdienste nicht notwendig.476 468  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 61; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 51; SSW-StPO/Herrmann, § 119 Rn. 80. 469  Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 87; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 119 Rn. 36; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 55; SSW-StPO/Herrmann, § 119 Rn. 81. 470  MüKo-StPO/Böhm/Werner, §  119 Rn.  65; Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 87; SK-StPO/Paeffgen, § 119 Rn. 59a. 471  König, NStZ 2010, 185 (189); SK-StPO/Paeffgen, § 119 Rn. 59a. 472  Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 88. 473  König, NStZ 2010, 185 (189); Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 84; SKStPO/Paeffgen, § 119 Rn. 59. 474  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 10 f. 475  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 10 f.; wohl auch MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 119 Rn. 65. 476  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 11.



C. § 114e StPO223

Auch wenn diese Kritik durchaus berechtigt erscheint, so sieht das Gesetz in der derzeitigen Fassung dennoch eine Eilkompetenz für die Anordnung von Beschränkungen durch die Vollzugsanstalt vor. Unterstellt man dem Bundesgesetzgeber, dass er sich der Grenzen seiner Gesetzgebungskompe­ tenzen bewusst ist, also § 119 StPO allein Bestimmungen zur Sicherung der Untersuchungshaft als solche enthält, ohne in die interne Anstaltsorganisation einzugreifen, könnte man die Ansicht vertreten, dass der Begriff „Vollzugs­ anstalt“ keine spezifische Person bezeichnet, sondern die Vollzugsanstalt als Institution mit Kompetenzen ausstattet. Die Kompetenz zur Anordnung von Beschränkungen ist dabei jedoch wesentlich weitreichender als die Befugnis zur Belehrung nach § 454 Abs. 4 S. 2 StPO, da die Anordnung oder Ausfüh­ rung von Beschränkungen einen konkreten Eingriff in die Art der Untersu­ chungshaftausführung und im Einzelfall auch in Grundrechte darstellen. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob der Bundesgesetzgeber auch befugt ist, diese Kompetenzen zu regeln. Ferner ist ungeklärt, ob der Bund diese Kompetenz auf die Vollzugsanstalt im Allgemeinen übertragen kann, sodass von einem beliebigen Vollzugsbediensteten Beschränkungen angeordnet und ausgeführt werden dürfen, oder ob hierzu nur bestimmte Vollzugsbedienstete berechtigt werden können. Schließlich ist dabei auch zu beachten, dass diese Befugnis nicht in einem Widerspruch zu den Befugnissen aus den Untersu­ chungshaftvollzugsgesetzen der Länder stehen sollte. Könnte der Bund näm­ lich durch § 119 StPO Personen mit Kompetenzen ausstatten, ohne dass dies nach den Landesgesetzen vorgesehen ist, so bestünde die Gefahr eines Miss­ brauchs dieser Kompetenzen. Wenn etwa verfahrenssichernde Beschränkun­ gen nach § 119 StPO im Eilfall von einem beliebigen Vollzugsbediensteten angeordnet werden könnten, dieselben Beschränkungen nach dem Landes­ recht aber nur durch die Anstaltsleitung angeordnet werden dürften, könnten Beschränkungen als verfahrenssichernd deklariert werden, um eine Kompe­ tenzüberschreitung einzelner Vollzugsbediensteter zu rechtfertigen. Ferner würden widersprüchliche Kompetenzen auch zu Unklarheiten bei den Betei­ ligten und Problemen bei einer gerichtlichen Überprüfung führen. Wenn sich bereits die Auswahl der richtigen Rechtsgrundlage als schwierig gestaltet, würde dies weiterhin verkompliziert, wenn die unterschiedlichen Rechts­ grundlagen zusätzlich unterschiedliche Personen berechtigten. Ein Blick in die landesgesetzlichen Regelungen zeigt, dass dort überwie­ gend von einer Befugnis der Anstaltsleitung zur Anordnung von Beschrän­ kungen ausgegangen wird. So sehen beispielhaft alle Landesgesetze477 die 477  § 16 Abs. 2 JVollzGB II BW; Art. 18 Abs. 1 S. 2 BayUVollzG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 Nr. 1 BayStVollzG; § 36 Abs. 2 UVollzG Bln; § 40 Nr. 1 BbgJVollzG; § 36 Abs. 2 UVollzG M-V; § 29 Abs. 2 Nr. 1 NJVollzG; § 21 Nr. 1 UVollzG NRW; § 39 Nr. 1 LJVollzG RP; § 36 Abs. 2 SUVollzG; § 37 Abs. 3 SächUHaftVollzG; § 39 Nr. 1 JVollzGB I LSA; § 31 Abs. 1 Nr. 1 UVollzG SH; § 40 Nr. 1 ThürJVollzGB.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Möglichkeit einer Untersagung des Schriftwechsels bzw. der Kontakte durch die Anstaltsleitung vor, wenn ansonsten die Sicherheit oder Ordnung der Vollzugsanstalt gefährdet würde. Nach den Landesgesetzen besitzt somit zu­ nächst nur die Anstaltsleitung die Anordnungskompetenz für Beschränkun­ gen betreffend die Ausführung der Untersuchungshaft. Innerhalb des Vollzugs können die dem Anstaltsleiter durch die Untersu­ chungshaftvollzugsgesetze gewährten Kompetenzen allerdings auf andere Vollzugsbedienstete delegiert werden, soweit dies nicht gesetzlich untersagt ist. Ein Ausschluss, eine Begrenzung oder ein Zustimmungserfordernis sei­ tens der Aufsichtsbehörde bei der Delegierung auf andere Vollzugsbediens­ tete ist teilweise für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen vorgese­ hen.478 Im Übrigen kann sich die Aufsichtsbehörde auch die Zustimmung für die Übertragung bestimmter Befugnisse generell vorbehalten.479 Grundsätz­ lich bleibt eine Delegierung der Anordnung von Beschränkungen auf andere Vollzugsbedienstete damit aber möglich. Unter Beachtung der Anordnungskompetenzen für Beschränkungen nach den Landesgesetzen bleibt somit zunächst Folgendes festzustellen: § 119 StPO kann nicht dazu führen, dass beliebige Vollzugsbedienstete dazu er­ mächtigt werden, einem Untersuchungsgefangenen Beschränkungen aufzuer­ legen. Diese Kompetenz muss unter Beachtung der Grundrechtsrelevanz einzelner Beschränkungen und der Unschuldsvermutung vielmehr restriktiv ausgelegt werden. Gleichzeitig spricht das Gesetz diese Kompetenz aber auch nicht direkt der Anstaltsleitung zu. Somit bleibt zunächst festzuhalten, dass § 119 StPO so zu verstehen ist, dass nur die Vollzugsanstalt im Allge­ meinen und als Institution berechtigt werden soll, einem Untersuchungs­ gefangenen Beschränkungen aufzuerlegen. Damit ist zunächst weder die Anstaltsleitung direkt berechtigt noch sind einzelne Vollzugsbedienstete von dieser Norm erfasst. Eine historische Betrachtung zeigt jedoch, dass der Gesetzgeber im Rah­ men der Eilkompetenz zur Anordnung von Beschränkungen in den vergange­ nen Fassungen des § 119 StPO von einer Anordnungskompetenz des An­ staltsleiters sowie anderer Beamter ausging. In § 119 Abs. 6 S. 2 StPO a. F.480 hieß es noch „in dringenden Fällen kann der Staatsanwalt, der Anstaltsleiter oder ein anderer Beamter, unter dessen Aufsicht der Verhaftete steht, vorläu­ fige Maßnahmen treffen.“ Das Gesetz bezeichnete damals konkrete bzw. 478  Z. B. § 77 Abs. 2 UVollzG Bln; § 90 Abs. 3 HmbUVollzG; § 176 Abs. 1 S. 2 NJVollzG. 479  Z. B. § 109 Abs. 1 S. 3 BbgJVollzG; § 79 BremUVollzG; § 106 Abs. 1 S. 3 LJVollzG RP; § 79 Abs. 1 S. 3 SächsUHaftVollzG. 480  I. d. F. v. 07.04.1987 BGBl. I 1987, S. 1074 (1095).



C. § 114e StPO225

konkretisierbare Einzelpersonen. In der heute gültigen Fassung ist diese Be­ fugnis hingegen allgemein der Vollzugsanstalt zugesprochen. Nach der Ge­ setzesbegründung handelt es sich bei der Veränderung der Personenbezeich­ nungen um eine sprachliche Angleichung an die bei strafprozessualen Unter­ suchungshandlungen bereits bisher gewählte Bezeichnung.481 Zudem diene diese Änderung dem Ziel einer geschlechtsneutralen Gesetzessprache.482 Nach der Ansicht von Gärtner sei mit der Neubezeichnung keine inhaltliche Änderung verbunden.483 In der übrigen Literatur wird die Veränderung der Bezeichnung wenig untersucht. Der Sichtweise Gärtners kann in ihrer Betrachtung nicht zugestimmt wer­ den. Auch die Begründung des Gesetzgebers kann nicht überzeugen. Zu­ nächst einmal wären im Rahmen einer geschlechterneutralen Sprache eine Reihe anderer Begrifflichkeiten möglich gewesen, welche die Leitung der Anstalt ohne Bezugnahme auf das Geschlecht beschreiben könnten. So zeigt etwa ein Blick in die Strafvollzugs- und Untersuchungshaftvollzugsgesetze der Länder, dass auch bei der Verwendung geschlechterneutraler Sprache eine klare Abgrenzung zwischen den Begriffen Anstaltsleiter und Vollzugs­ anstalt möglich ist. In den Landesgesetzen wird vielfach anstelle des Be­ griffs „Anstaltsleiter“ von „Anstaltsleiter oder Anstaltsleiterin“ gesprochen.484 Diese Formulierung berücksichtigt beide Geschlechter. In anderen Landes­ gesetzen wird schlicht von der „Anstaltsleitung“ gesprochen,485 welches ein geschlechtsneutraler Begriff ist. Teilweise dient dessen Verwendung als Le­ galdefinition für die Begriffe „Anstaltsleiterin oder Anstaltsleiter“.486 Diese Beispiele zeigen, dass der Begriff der „Anstaltsleitung“ einen neutralen Be­ griff darstellt und dieser ebenso in der Strafprozessordnung hätte verwendet werden können. Dem Bundesgesetzgeber hätte dies auch bekannt sein müs­ sen, da einige der Landesgesetze, welche diesen Wortlaut verwenden, bereits vor der Änderung der Strafprozessordnung in Kraft waren.487 Des Weiteren zeigen auch die in diesem Teil bisher getätigten Erwägun­ gen, dass der Begriff „Vollzugsanstalt“ in der Strafprozessordnung gerade nicht mit dem Begriff des Anstaltsleiters gleichzusetzen ist. Es wurde zwar bereits dargestellt, dass der Anstaltsleiter als Vertreter der Vollzugsanstalt das Bindeglied zwischen der äußeren Umwelt und der inneren Anstaltswelt dar­ 481  Löwe/Rosenberg/Gärtner,

§ 119 Rn. 3 m. V. a. BT-Drs. 16/11644, S. 33. 16/11644, S. 2, 14, 15. 483  Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 3. 484  Z. B. Art. 16 Abs. 1, 28, 177 BayStVollzG; §§ 35, 52, 109 Abs. 1 BbgJVollzG. 485  Z. B. §§ 15 Abs. 2, 55 Abs. 1, 90 Abs. 1, 2 HmbUVollzG; §§ 50 Abs. 4, 104, 108 UVollzG SH. 486  Z. B. § 66 HUVollzG. 487  So etwa in § 79 SUVollzG, welcher seit dem 01.07.2009 in Kraft ist. 482  BT-Drs.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

stellt, jedoch führt dies gerade nicht dazu, dass er in jedem Fall die Vollzugs­ anstalt verkörpert. Unter Beachtung der hierarchischen Organisation der Vollzugsanstalten und den dem Anstaltsleiter durch die Untersuchungshaftvollzugsgesetze ein­ geräumten Befugnisse kann hier aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Eilkompetenz keinerlei personelle Bezüge aufweist. So bleibt an dieser Stelle zunächst festzustellen, dass der Begriff „Vollzugsanstalt“ im Rahmen der Anordnungskompetenzen von Beschränkungen zwar dem Grunde nach als Bezeichnung der Institution zu verstehen ist; konkret wird die Anordnungskompetenz unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft­ vollzugsgesetze wohl aber der Anstaltsleitung zugesprochen werden können. Diese Kompetenz kann bei einer Delegierung, etwa im Rahmen von Vertre­ tungsbefugnissen, aber auch von durch die Anstaltsleitung berechtigte Per­ sonen wahrgenommen werden. So etwa in Fällen, in welchen eine Entschei­ dung schnellstmöglich zu treffen ist, die Anstaltsleitung aber nicht vor Ort und auch nicht anderweitig erreichbar ist. § 119 Abs. 2 StPO regelt schließlich die Ausführung der nach Abs. 1 ange­ ordneten Beschränkungen. Grundsätzlich obliegt die Ausführung der Be­ schränkung der anordnenden Stelle.488 Somit ist regelmäßig das zuständige Gericht für die Ausführung der Anordnung zuständig.489 Hinsichtlich der in Eilfällen getroffenen vorläufigen Anordnungen ist dagegen die Staatsanwalt­ schaft oder die Vollzugsanstalt originär für deren Ausführung zuständig.490 Nach § 119 Abs. 2 S. 2 kann das Gericht die Ausführung der Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, welche sich bei der Aus­ führung wiederum der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und der Voll­ zugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung der Ausführung auf andere als die genannten Stellen ist unzulässig.491 Hat das Gericht die Ausführung nicht auf die Staatsanwaltschaft übertragen, so sieht die Strafprozessordnung keine Möglichkeit vor, dass sich das Gericht bei der Ausführung der Anordnung direkt der Hilfe der Vollzugsanstalt bedienen kann.492 Wie in einem Fall zu verfahren ist, in dem das Gericht eine Anordnung direkt von der Vollzugsan­ stalt umsetzen lassen will, ist strittig. Nach einer Ansicht sei es dem Gericht grundsätzlich verwehrt die Ausführung der Beschränkungen direkt auf die

488  MAH Strafverteidigung/König, Teil B. § 4 Rn. 237; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 60. 489  Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 105. 490  Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 105. 491  KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 61. 492  BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 59.



C. § 114e StPO227

Vollzugsanstalt zu übertragen.493 Nach anderer Ansicht sei jedoch davon auszugehen, dass die Vollzugsanstalt Anordnungen des Gerichts auch ohne gesetzliche Regelung auszuführen habe.494 Für die Ausführung einer beschränkenden Anordnung gelten die gleichen Maßstäbe wie für die Anordnung selbst.495 Dies schließt auch das Bestehen einer gesetzlichen Grundlage für die Übertragung der Ausführung mit ein. Somit bedarf die direkte Übertragung der Ausführung von dem Gericht auf die Vollzugsanstalt nach der hier vertretenen Ansicht immer einer gesetz­ lichen Grundlage. Eine solche ist insbesondere deswegen zu fordern, da so­ wohl in der Anordnung wie aber auch in der Ausführung Grundrechte des Betroffenen berührt sein können. Solche gesetzlichen Grundlagen, betreffend die Ausführung gerichtlich angeordneter Beschränkungen, finden sich jedoch in fast allen Landesgeset­ zen. So sieht etwa Art. 7 Abs. 1 BayUVollzG vor, dass der Anstaltsleiter verfahrenssichernde Anordnungen zu beachten und umzusetzen hat. Dabei wird nicht danach unterschieden, ob die Ausführung der Anordnung im kon­ kreten Einzelfall auf die Staatsanwaltschaft übertragen wurde oder nicht. Auch in fast allen übrigen Bundesländern ist nach den Untersuchungshaft­ vollzugsgesetzen eine Beachtung und Umsetzung der nach § 119 StPO er­ gangenen Maßnahmen durch die Vollzugsanstalt vorgesehen, wobei nicht nach der mit der Ausführung betrauten Stelle unterschieden wird.496 Sofern die Landesgesetze also eine gesetzliche Grundlage vorsehen, ist eine direkte Übertragung der Ausführung von dem Gericht auf die Vollzugsanstalt mög­ lich. In denjenigen Bundesländern, in denen eine solche Regelung nicht existiert, kann sich das Gericht im Rahmen der Ausführung nicht direkt an die Vollzugsanstalt wenden, es bleibt hier bei der Übertragung der Ausfüh­ rung auf die Staatsanwaltschaft. Ob eine Übertragung der Ausführung von der Staatsanwaltschaft auf die Polizei oder die Vollzugsanstalt generell möglich ist, richtet sich nach der jeweilig angeordneten Maßnahme. Nach dem Regierungsentwurf sollte die Staatsanwaltschaft vor der Übertragung der Ausführung eine gründliche Prü­ fung dahingehend vornehmen, ob die beauftragte Stelle ihrer Aufgabe auch 493  KMR-StPO/Wankel,

S. 27.

§ 119 Rn. 32 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 11/11644

494  BeckOK-StPO/Krauß, 495  MAH

§ 119 Rn. 57. Strafverteidigung/König, Teil B. §  4 Rn.  239; KK-StPO/Schultheis,

§ 119 Rn. 63. 496  § 3 Abs. 2 UVollzG Bln; § 3 Abs. 3 BbgJVollzG; § 3 Abs. 2 BremUVollzG; § 3 Abs. 2 HmbUVollzG; § 3 Abs. 2 HUVollzG; § 3 Abs. 2 UVollzG M-V; § 4 Abs. 1 UVollzG NRW; § 3 Abs. 3 LJVollzG RP; § 3 Abs. 2 SUVollzG; § 3 Abs. 3 JVollzGB I LSA; § 3 Abs. 2 UVollzG SH; § 3 Abs. 3 ThürJVollzGB.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

im erforderlichen Maß nachkommen könne.497 Grundsätzlich sind nach dem Regierungsentwurf jedoch keine Maßnahmen von der Übertragung ausge­ schlossen.498 Vielmehr wurde es den Landesjustizverwaltungen überlassen, den Umfang der Heranziehung der Vollzugsanstalten durch die Staatsanwalt­ schaft gegebenenfalls durch allgemeine Richtlinien zu begrenzen.499 Dieser Ansicht folgend wird vertreten, für die Möglichkeit der Übertra­ gung sei allein maßgebend, ob die beauftragte Stelle in der Lage sei, ihrer Aufgabe im erforderlichen Maß nachzukommen.500 Dabei hänge es auch von der Komplexität des Verfahrens ab, ob eine Übertragung auf die Voll­ zugsanstalt sinnvoll bzw. zulässig sei.501 Nach anderer Ansicht sei hingegen nach dem jeweiligen Grundrechtseingriff der konkreten Maßnahme zu ent­ scheiden. So sei etwa eine Übertragung der Ausübung der Briefkontrolle auf die Polizei oder Vollzugsanstalt nicht möglich, da die Kenntnisnahme von Briefinhalten ein Eingriff in Art. 10 GG darstelle.502 Beide Ansichten stimmen jedoch insoweit überein, dass die Frage der Übertragung der Ausführung maßgeblich von deren Natur abhängt. Denn auch nach der zweiten Ansicht könne die Vollzugsanstalt in den Fällen, in denen sich die Ausführung aus der Natur der Sache ergibt, mit dem Vollzug derselben beauftragt werden.503 Dies wird unter anderem bei der Ausfüh­ rung der Anordnung von Einzelhaft der Fall sein.504 Aber auch wenn Be­ schränkungen wegen Flucht- oder Wiederholungsgefahr angeordnet wurden, solle eine Übertragung der Ausführung in Form der Überwachung auf die Vollzugsanstalt sinnvoll möglich sein.505 Schließlich lassen sich die beiden Ansichten auch dahingehend vereinen, dass die Frage, ob die beauftragte Stelle in der Lage ist, der Aufgabe im erforderlichen Maß nachzukommen, auch der Schwere des Grundrechteingriffs Rechnung tragen kann. Versteht man unter dem erforderlichen Maß nämlich auch die Berücksichtigung der Rechte des Betroffenen, so fließen diese nach beiden Ansichten in die Abwä­ gung einer Übertragung mit ein. Je schwerer der Grundrechtseingriff für den Betroffenen sein wird, desto weniger wird ein Polizei- oder Justizvollzugsbe­ 497  BT-Drs.

11/11644, S. 27. 11/11644, S. 27. 499  BT-Drs. 11/11644, S. 27. 500  Löwe/Rosenberg/Gärtner, §  119 Rn. 112; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 119 Rn. 40; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 58; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 61. 501  BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 58; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 61. 502  KMR-StPO/Wankel, § 119 Rn. 32. 503  KMR-StPO/Wankel, § 119 Rn. 32. 504  KMR-StPO/Wankel, § 119 Rn. 32. 505  Löwe/Rosenberg/Gärtner, § 119 Rn. 112; BeckOK-StPO/Krauß, § 119 Rn. 58; KK-StPO/Schultheis, § 119 Rn. 61. 498  BT-Drs.



C. § 114e StPO229

amter in der Lage sein, den Rechten des Betroffenen Rechnung zu tragen und desto weniger ist folglich die „Stelle“ in der Lage, der Aufgabe im erfor­ derlichen Maß nachzukommen. Folglich sind bei der Übertragung der Aus­ führung sowohl praktische Erwägungen, wie die tatsächliche Durchführbar­ keit der Maßnahme von bestimmten Stellen, wie auch deren Schwere für den Betroffenen zu berücksichtigen. Schließlich bleibt auch an dieser Stelle zu ermitteln, wen das Gesetz meint, wenn in § 119 Abs. 2 S. 2 StPO von einer Zuhilfenahme der „Vollzugsan­ stalt“ gesprochen wird. Die Staatsanwaltschaft wird sich bei der Zuhilfe­ nahme der Vollzugsanstalt nicht auf einzelne bestimmbare Vollzugsbediens­ tete beziehen können, da dies einen direkten Eingriff in die innere Organisa­ tion der Vollzugsanstalt bedeuten würde. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Staatsanwaltschaft Namen und zugeordnete Aufgabenberei­ che einzelner Justizvollzugsbeamter überhaupt kennt und eine Übertragung der Ausführung nach deren Zuständigkeiten innerhalb der Vollzugsanstalt vornehmen könnte. Rein aus logischen Erwägungen wird die Staatsanwalt­ schaft demnach nur ein allgemeines Hilfegesuch an die Vollzugsanstalt rich­ ten können. Die Ausführung im Einzelfall wird von der Anstaltsleitung so­ dann an bestimmte Vollzugsbedienstete übertragen werden können. Somit bleibt hier festzuhalten, dass sich der Begriff der „Vollzugsanstalt“ in § 119 Abs. 2 S. 2 StPO ebenfalls nur auf die Vollzugsanstalt als Institution bezieht. Insgesamt lässt sich der Begriff der „Vollzugsanstalt“ bei dessen Verwen­ dung in § 119 StPO somit als Bezeichnung der Institution verstehen. ff) § 114d StPO § 114d StPO regelt die Übermittlung von Daten an die für den Beschuldig­ ten zuständige Vollzugsanstalt. Die Norm differenziert dabei zwischen Mit­ teilungspflichten des Gerichts (Abs. 1) und solchen, die der Staatsanwalt­ schaft obliegen (Abs. 2). Nach Abs. 1 S. 1 ist der für den Beschuldigten zu­ ständigen Vollzugsanstalt zunächst das Aufnahmeersuchen und eine Abschrift des Haftbefehls zu übermitteln. Abs. 1 S. 2 zählt sodann eine Reihe von In­ formationen auf, welche das Gericht der Vollzugsanstalt ebenfalls mitzuteilen hat. Nach § 114d Abs. 2 S. 1 StPO unterstützt die Staatsanwaltschaft das Ge­ richt bei der Erfüllung seiner Aufgaben nach Absatz 1. Der Vollzugsanstalt sind durch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen insbesondere Daten zur Person des Beschuldigten, die für die Erfüllung der Aufgaben der Vollzugs­ anstalt erforderlich sind, zu übermitteln, „insbesondere solche über seine Persönlichkeit und weitere relevante Strafverfahren“ (Abs. 1 S. 2 Nr. 7). Ferner sind auch die von der Staatsanwaltschaft getroffenen Entscheidungen

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

und sonstige Maßnahmen nach § 119 Abs. 1 und 2 StPO von Amts wegen mitzuteilen. § 114d StPO umfasst eine Reihe von Mitteilungspflichten, welche früher in der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) geregelt waren, soweit sie das gerichtliche Verfahren (vgl. Art. 74 Abs. 1 S. 1 GG) betreffen.506 Dies umfasst unter anderem Mitteilungspflichten welche ursprünglich in den Nrn. 7 Abs. 1 und Abs. 2, 15 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 UVollzO benannt waren. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den ursprünglichen Regelun­ gen der Untersuchungshaftvollzugsordnung und den Neuregelungen in der Strafprozessordnung liegt in der Veränderung des Mitteilungsempfängers. So waren nach der Untersuchungshaftvollzugsordnung alle zu übermittelnden Informationen allein dem Anstaltsleiter mitzuteilen, wohingegen die Mittei­ lung nach § 114d StPO an die Vollzugsanstalt zu richten ist, ohne dass ein spezifischer Empfänger benannt wird. Ebenso wie bereits bei § 114e StPO507 und § 119 StPO508 besprochen, wird auch in Bezug auf § 114d StPO die Gesetzgebungskompetenz des Bun­ des in Zweifel gezogen.509 Ebenfalls wird teilweise bemängelt, dass § 114d StPO nicht den datenschutzrechtlichen Mindeststandards genüge.510 Da sich die Fragen der Gesetzgebungskompetenz sowie des datenschutzrechtlichen Mindeststandards nicht direkt auf die Auslegung des Begriffs „Vollzugsan­ stalt“ auswirken, sei an dieser Stelle auf die insoweit einschlägige Literatur verwiesen. Jedoch soll an dieser Stelle kurz auf einen Kritikpunkt in Bezug auf die Begründung des Gesetzgebers zu § 114d StPO eingegangen werden, da diese in direkter Verbindung zu § 114e StPO steht. Der Gesetzgeber stützt die in § 114d Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO normierten Mitteilungspflichten unter anderem auf folgende Erwägung: Da die Vollzugsanstalt ihrerseits nach § 114e StPO Mitteilungen an die benannten Stellen machen müsse, müsse sie jederzeit Kenntnis der für das Verfahren zuständigen Staatsanwaltschaft und des zu­ ständigen Gerichts haben.511 Solche Mitteilungen der Vollzugsanstalt wür­ 506  BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114d Rn. 1; Löwe/Rosenberg/ Lind, § 114d Rn. 1. 507  S. o. unter C. vor I. 508  S. o. unter C.I.3.b)ee). 509  Tsambikakis, ZIS 2009, 503 (509); SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 20; SKStPO/Paeffgen, § 114d Rn. 2a; a. A. MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114d Rn. 2; KKStPO/Graf, § 114d Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 2; HK-StPO/Posthoff, § 114d Rn. 1. 510  Tsambikakis, ZIS 2009, 503 (508); SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 21; SKStPO/Paeffgen, § 114d Rn. 4, 12 f. 511  BT-Drs. 16/11644, S. 18; zust. HK-StPO/Posthoff, § 114d Rn. 3.



C. § 114e StPO231

den unter Umständen kurzfristig zu treffende Entscheidungen nach sich zie­ hen, daher solle durch § 114d Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO gewährleistet werden, dass die Vollzugsanstalt jederzeit Kenntnis von den zuständigen Stellen ha­ be.512 Diese Begründung des Gesetzgebers liefert jedoch kein überzeugendes Argument für alle der in § 114d Abs. 1 S. 2 StPO genannten Mitteilungs­ pflichten.513 Dies betrifft insbesondere diejenigen Mitteilungspflichten, welche geeignet sind erheblich in die Rechte der betroffenen Gefangenen einzugreifen. Es ist grundsätzlich richtig, dass der Vollzugsanstalt bekannt sein muss, welchem Gericht und welcher Staatsanwaltschaft sie gegebenen­ falls erlangte Informationen nach § 114e StPO mitzuteilen hat. Ebenfalls ist es sicherlich richtig, dass der Vollzugsanstalt andere Daten bekannt sein müssen, welche sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Allerdings er­ scheint es fraglich, eine Mitteilungspflicht lediglich mit einer anderen Mittei­ lungspflicht zu begründen, ohne auf die Unterschiede der betroffenen Inte­ ressen einzugehen. Vielmehr wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber in beiden Normen konkrete Gründe für die jeweiligen Mittei­ lungspflichten genannt hätte, welche sich aus ihrem Sinn und Zweck heraus ergeben. Ebensolche Gründe lassen sich in Bezug auf § 114d StPO zum Teil auch sehr leicht finden, wenn man die jeweils nach § 114d Abs. 1 S. 2 StPO mit­ zuteilenden Tatsachen genauer untersucht. So ist etwa eine Mitteilung der nach § 119 StPO angeordneten Beschränkungen (Abs. 1 S. 2 Nr. 3) unbedingt notwendig, soweit diese von der Vollzugsanstalt umzusetzen sind. Schließ­ lich darf sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen der ihr übertragenen Aus­ führung von Beschränkungen der Hilfe der Vollzugsanstalt bedienen,514 folglich muss die Vollzugsanstalt von der Übertragung auf die in diesem Fall zuständige Staatsanwaltschaft sowie von den Beschränkungen selbst wissen, um sie auszuführen zu können.515 Zudem erscheint es auch sinnvoll, wenn der Vollzugsanstalt das zuständige Gericht sowie die von diesem gegebenen­ falls angeordneten Beschränkungen mitgeteilt werden. Durch diese Mittei­ lung können doppelte Beschränkungen nach der Strafprozessordnung und den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen vermieden werden und die Vollzugs­ anstalt kann nur nach einer solchen Mitteilung überprüfen, ob neben den gerichtlich angeordneten Beschränkungen weitere Beschränkungen auf 512  BT-Drs. 16/11644, S. 18; zust. Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 4; KMRStPO/Wankel/Schuster, § 114d Rn. 3. 513  Sehr kritisch hierzu SK-StPO/Paeffgen, § 114d Rn. 2a, welcher in Bezug auf die Begründung von einem petitio principii spricht. 514  Vgl. oben unter C.I.3.b)ee). 515  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 6; SK-StPO/Paeffgen, § 114d Rn. 8.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Grundlage des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes des Landes erforderlich sind.516 Ebenfalls ist die Mitteilung der Hauptverhandlungstermine (Abs. 1 S. 2 Nr. 5 1. Alt.) bereits deswegen erforderlich, weil die Vollzugsanstalt die Vorführung des Beschuldigten zu ebendiesen Terminen einplanen und orga­ nisieren muss.517 Auch muss der Vollzugsanstalt bekannt sein, bei welchem Gericht sie den Beschuldigten vorführen soll, also muss ihr das zuständige Gericht mitgeteilt werden. Bereits die in diesen Punkten genannten Gründe begründen die Verpflichtung zur Mitteilung der zuständigen Staatsanwalt­ schaft und des zuständigen Gerichts an die Vollzugsanstalt, ohne dass auf § 114e StPO zurückgegriffen werden müsste. Im Folgenden soll der Begriff der „Vollzugsanstalt“ in § 114d StPO ge­ nauer betrachtet werden. § 114d StPO bestimmt, dass die „für den Beschul­ digten zuständige Vollzugsanstalt“ der Empfänger der benannten Informatio­ nen ist. Wer genau hier mit dem Begriff „Vollzugsanstalt“ gemeint ist, wird in den Kommentierungen weitestgehend nicht untersucht. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass sich die sachlich und örtlich zuständige Vollzugsan­ stalt aus den Bestimmungen des betreffenden Bundeslandes, insbesondere dessen Vollstreckungsplan und Einweisungsplänen ergäbe.518 Soweit auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit verwiesen wird, könnte der Begriff der Vollzugsanstalt hier im Sinne der Institution verstanden werden.519 So könnte der Wortlaut dahingehend interpretiert werden, dass die Vollzugsanstalt der Empfänger der Informationen sein soll, ohne dass eine bestimmte oder be­ stimmbare Person von der Norm gemeint wird. So wäre auch hier zunächst davon auszugehen, dass der Begriff „Vollzugsanstalt“ im Sinne des § 114d StPO die Institution „Vollzugsanstalt“ im Ganzen meint. Diese Auslegung könnte indes mit Blick auf den Wortlaut von § 114d Abs. 1 S. 2 StPO und unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der ge­ nannten Mitteilungspflichten anzuzweifeln sein. Unter anderem sind der Vollzugsanstalt nach § 114d Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO die Personen, die nach § 114c StPO benachrichtigt wurden, mitzuteilen. Die Vollzugsanstalt soll also Kenntnis von benachrichtigten Angehörigen oder von Vertrauensperso­ nen des Beschuldigten erhalten. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, diese Kenntnis sei notwendig, damit der Vollzugsanstalt insbesondere in Notfällen ein Angehöriger oder eine Vertrauensperson des Beschuldigten 516  SSW-StPO/Herrmann, §  114d Rn. 9; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 6; HK-StPO/Posthoff, § 114d Rn. 5; KMR-StPO/Wankel/Schuster, § 114d Rn. 5. 517  Vgl. MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114d Rn. 10; SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 11; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 9; HK-StPO/Posthoff, § 114d Rn. 7; SKStPO/Paeffgen, § 114d Rn. 10; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 114d Rn. 7. 518  KK-StPO/Graf, § 114d Rn. 3. 519  Vgl. hierzu oben unter C.I.3.b)aa).



C. § 114e StPO233

bekannt sei und auch deswegen, damit sie die Erforderlichkeit eventueller vom Beschuldigten gewünschter weiterer Benachrichtigungen prüfen kön­ ne.520 Nimmt man also an, dass die „Vollzugsanstalt“ in einem Notfall einen Angehörigen benachrichtigen können muss, schließt sich daran die Frage an, ob die „Vollzugsanstalt“ hier nicht doch individualisierbare Personen meint. Würden die Informationen den jeweils diensthabenden Beamten nämlich nicht bekannt sein, so könnten sie auch keine Benachrichtigungen tätigen. Einem allgemeinen Bekanntmachen oder Zugänglichmachen der Angehöri­ gen und deren Kontaktdaten dürfte zudem der Datenschutz entgegenstehen, was ebenfalls für eine Mitteilung an bestimmte Personen sprechen könnte. Den soeben aufgeworfenen Erwägungen lässt sich jedoch mit praxisbezo­ genen Argumenten begegnen. Zunächst kann nicht von den Gerichten und Staatsanwaltschaften erwartet werden, dass sie die jeweils für einen Beschul­ digten zuständigen Personen innerhalb der Vollzugsanstalt kennen und somit direkt an diese Informationen senden könnten. Auch würde es einen erheb­ lichen Mehraufwand darstellen, wenn die zuständige Person zunächst von Gerichten und Staatsanwaltschaften ermittelt und dann direkt angeschrieben werden müsste. Sinnvoller erscheint somit, dass die Gerichte und Staatsan­ waltschaften ihre Informationen an die Vollzugsanstalt insgesamt übermitteln und erst innerhalb der Vollzugsanstalt der im Einzelfall zuständige Empfän­ ger der Informationen ermittelt oder festgelegt wird. Diese Lösung erkennt zudem die innere Organisation der Vollzugsanstalt als einen Bereich an, in welchen Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht eingreifen können. Die Fragen der Weitergabe der Informationen an die zuständigen Personen inner­ halb der Anstalt oder die Zugänglichmachung dieser Daten für die im Notfall handelnden Personen ist also allein Aufgabe der Vollzugsanstalt selbst. Da­ tenschutzrechtliche Anforderungen, welche sich in Bezug auf die Geheimhal­ tung der betreffenden Informationen ergeben, sind ebenso allein von der Vollzugsanstalt zu erfüllen. Somit ergibt sich aus den genannten Gründen keine andere Interpretation des Begriffs „Vollzugsanstalt“ als diejenige der Institution. Eine weitere Annäherung an die Begriffsbestimmung der „Vollzugsanstalt“ könnte sich zuletzt daraus ergeben, dass in § 114d StPO teilweise konkret die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt genannt wird. So sind der Vollzugsan­ stalt nach § 114d Abs. 1 S. 2 StPO weitere im Verfahren ergehende Entschei­ dungen (Nr. 4), Hauptverhandlungstermine und sich aus ihnen ergebende Erkenntnisse (Nr. 5) und andere Daten zur Person des Beschuldigten, insbe­ sondere solche über seine Persönlichkeit und weitere relevante Strafverfahren (Nr. 7) mitzuteilen, soweit dies jeweils „für die Erfüllung der Aufgaben der Vollzugsanstalt erforderlich ist“. In diesen Fällen könnte sich die Norm inso­ 520  BT-Drs.

16/11644, S. 18 f.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

fern auf konkrete Personen beziehen, wenn diese für die Erfüllung der Auf­ gaben im Einzelfall zuständig sind und sie ihre Aufgaben im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs nur dann erfüllen könnten, wenn sie die erforder­ lichen Informationen hierfür direkt erlangten. Die Aufgabe der Vollzugsanstalt im Rahmen der Untersuchungshaft ist zunächst die Erfüllung des Zwecks der Untersuchungshaft. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Bestimmung deren Zwecks. So dient die Untersuchungs­ haft dazu, durch eine sichere Unterbringung der Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten, den in den gesetzlichen Haftgründen zum Ausdruck kommenden Gefahren zu be­ gegnen und eine spätere Strafvollstreckung sicherzustellen.521 Aus der Hauptverhandlung hervorgehende Erkenntnisse (§ 114d Abs. 1 S. 2 Nr. 5 2. Alt. StPO) können dann relevant für die Erfüllung der Aufgaben der Vollzugsanstalt werden, wenn sie auf eine besondere Fluchtgefahr, auf die Gefahr gewalttätigen Verhaltens oder auf Suizidgefahren hindeuten.522 Auch die in oder nach einem Hauptverhandlungstermin zutage tretende kör­ perliche oder geistige Verfassung des Angeklagten kann eine besondere vollzugliche Behandlung notwendig machen.523 In diesen Fällen können be­ sondere Maßnahmen zum Schutz des Angeklagten erforderlich werden oder die Hilfe bestimmter Personen, wie etwa von Ärzten oder Psychologen, not­ wendig sein. Ein ähnlicher Handlungsbedarf kann sich auch aus den Daten zur Person des Beschuldigten (§ 114d Abs. 1 S. 2 Nr. 7 StPO) ergeben. So kann es etwa für die sichere Unterbringung des Gefangenen relevant sein, ob ihm von anderen Personen Gefahren in Form von Racheakten oder Erpressung dro­ hen.524 Auch können die grundsätzliche oder gegenwärtige körperliche oder mentale Verfassung eines Gefangenen besondere Fürsorgemaßnahmen erfor­ derlich machen. Diese Informationen sind folglich notwendig für die Auf­ 521  § 2 Abs. 2 JVollzGB I BW; Art. 2 BayUVollzG; § 2 UVollzG Bln; § 3 Abs. 1 BbgJVollzG; § 2 BremUVollzG; § 2 HmbUVollzG; § 2 HUVollzG; § 2 UVollzG M-V; § 133 NJVollzG; § 1 Abs. 1 S. 2 UVollzG NRW; § 3 Abs. 1 LJVollzG RP; § 2 SU­ VollzG; § 3 Abs. 1 SächsUHaftVollzG; § 3 Abs. 1 JVollzGB I LSA; § 2 UVollzG SH; § 3 Abs. 1 ThürJVollzGB. 522  MüKo-StPO/Böhm/Werner, §  114d Rn.  10; KK-StPO/Graf, § 114d Rn. 9; SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 11; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 9; BeckOKStPO/Krauß, § 114d Rn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 114d Rn. 7; KMRStPO/Wankel/Schuster, § 114d Rn. 7. 523  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114d Rn. 9. 524  MüKo-StPO/Böhm/Werner, §  114d Rn. 12; KK-StPO/Graf, § 114d Rn. 12; SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 13; BeckOK-StPO/Krauß, § 114d Rn. 8; HK-StPO/ Posthoff, § 114d Rn. 9; KMR-StPO/Wankel/Schuster, § 114d Rn. 9.



C. § 114e StPO235

gabenerfüllung der Vollzugsanstalt, da sie nur anhand dieser die notwendigen Maßnahmen treffen und Hilfen durch die Fachdienste ermöglichen kann. Die konkrete Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Vollzugsanstalten rich­ tet sich jedoch nach den Landesgesetzen zum Untersuchungshaftvollzug. Grundsätzlich bestimmen die meisten Landesgesetze, dass die Aufgaben von beamteten Bediensteten wahrgenommen werden sollen.525 Die Anstalten sind mit dem entsprechend ihrer Aufgabenerfüllung notwendigen (weiteren) Per­ sonal auszustatten.526 Die konkrete Aufgabenverteilung und deren Wahrneh­ mung durch spezifische Justizvollzugsbedienstete oder Mitarbeiter der Fach­ dienste werden in jeder Anstalt entsprechend des jeweiligen Bedarfs und der vorhandenen Bediensteten festzulegen sein. Die konkrete Aufgabenwahrneh­ mung unterfällt somit den inneren Organisationsangelegenheiten der Voll­ zugsanstalt, in welche der Bundesgesetzgeber nicht eingreifen kann und darf. Die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt, wie sie von § 114d StPO be­ nannt wird, ist demnach auf die gesamte Vollzugsanstalt zu beziehen. Es ist die Aufgabe der Institution „Vollzugsanstalt“, die ihr übertragenen Aufgaben mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und dem ihr zur Verfügung stehenden Personal zu erfüllen. Schließlich ist diese Interpretation wiederum praxisorientiert, da auch in diesen Fällen nicht von Gerichten und Staatsan­ waltschaften verlangt werden kann, dass sie die konkret mit den Aufgaben betrauten Personen in Erfahrung bringen und explizit an diese Mitteilung machen müssten. So bleibt auch in Bezug auf § 114d StPO festzustellen, dass sich der Begriff „Vollzugsanstalt“ auf diese im Sinne einer Institution bezieht. gg) Zusammenfassende Betrachtung Das Ziel der voranstehenden Analyse war es, die genannten Normen auf eine Systematik bzw. Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu untersuchen, soweit sich die jeweilige Norm auf die „Vollzugsanstalt“ bezieht. Die Aus­ führungen zeigen zunächst, dass der Begriff der „Vollzugsanstalt“ in der 525  § 12 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I BW; Art. 37 S. 1 BayUVollzG i. V. m. Art. 176 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG; § 78 S. 2 UVollzG Bln; § 110 Abs. 1 S. 1 BbgJVollzG; § 91 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG; § 67 Abs. 1 S. 1 HUVollzG; § 177 Abs. 1 S. 1 NJVollzG; § 43 Abs. 1 S. 1 UVollzG NRW; § 80 Abs. 1 S. 1 SächsUHaftVollzG; § 108 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I LSA; § 102 Abs. 1 S. 1 UVollzG SH; § 108 Abs. 1 S. 1 ThürJVollz­GB. 526  § 12 Abs. 4 JVollzGB I BW; Art. 37 BayUVollzG i. V. m. Art. 176 Abs. 2 BayStVollzG; § 78 S. 1 UVollzG Bln; § 110 Abs. 1 S. 1 BbgJVollzG; § 80 S. 1 Brem­ UVollzG; § 91 Abs. 2 S. 1 HmbUVollzG; § 67 Abs. 2. S. 1 HUVollzG; § 80 S. 1 UVollzG M-V; § 43 Abs. 2 UVollzG NRW; § 107 Abs. 1 S. 1 LJVollzG RP; § 80 S. 1 SUVollzG; § 80 Abs. 2 S. 1 SächsUHaftVollzG; § 108 Abs. 4 UVollzG SH.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Strafprozessordnung nicht gänzlich einheitlich verwendet wird. Sie zeigen aber auch, dass eine einheitliche Interpretation des Begriffs durchaus mög­ lich ist und sich so eine gewisse Systematik herausbilden lässt. Die Begriffsbestimmung des Wortes „Vollzugsanstalt“ zur Bezeichnung einer „Institution“ ist in gewisser Weise der „kleinste gemeinsame Nenner“, der für alle genannten Normen festgestellt werden kann. Diese Bestimmung lässt sich auch auf alle Normen übertragen, da sie sowohl die Institution als Einrichtung der Landesverwaltungen bezeichnet, als auch alle zu dieser In­ stitution gehörigen Personen und Sachen mitumfasst. Zudem zeigt sich in diesem systematischen Vergleich, dass die Auslegung des Wortes „Vollzugsanstalt“ als Bezeichnung einer Institution eine gewisse Harmonisierung zwischen Bundes- und Landesgesetzen herstellen kann. Diese Interpretation eignet sich über alle Gesetze hinweg zu einer einheit­ lichen Bestimmung des Wortes „Vollzugsanstalt“ und schließt auch nicht aus, dass einige Gesetze ihn in spezifischerer Weise verwenden als andere. Somit bleibt hier festzustellen, dass nach einem systematischen Vergleich mit dem Wort „Vollzugsanstalt“ zunächst immer dieselbe als Institution gemeint ist. 4. Föderalismusfreundliche Auslegung Soweit Kritiker im Rahmen des § 114e StPO anführen, die Norm sei ver­ fassungswidrig, da sie Landesbeamte mit Pflichten belege, was dem Bundes­ gesetzgeber jedoch nicht zustünde,527 kann dieser Ansicht im Rahmen einer föderalismusfreundlichen Auslegung begegnet werden. Zunächst sollen hierfür einige Begrifflichkeiten erläutert und der hier ver­ wendete Begriff der föderalismusfreundlichen Auslegung genauer erklärt werden. In der Regel versteht man unter einer verfassungskonformen Ausle­ gung, eine Norm im Kontext der Verfassung und der grundrechtlich ge­ schützten Positionen möglichst innerhalb der Wortlautgrenze dahingehend zu deuten, dass ihr Regelungsgehalt soweit bewahrt wird, wie eine grundgesetz­ konforme Interpretation gerade noch möglich ist.528 Eine Norm ist demnach nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist.529 Unter mehreren möglichen Auslegungsvarianten ist im Zweifel derjenigen Vorrang zu gewähren, die nicht gegen die Verfas­ sung verstößt.530 527  S.

oben unter C. vor I.

528  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn,

Einleitung Abschn. M Rn. 48. NJW 1993, 2861 (2863); NVwZ 2007, 1396 (1401). 530  BVerfG NJW 1972, 1123 (1125); MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 595; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 48. 529  BVerfG



C. § 114e StPO237

Von der verfassungskonformen Auslegung ist die verfassungsorientierte Auslegung insoweit zu unterscheiden, als sich letztere auf eine grundrechts­ orientierte Auslegung bezieht.531 Sie verlangt die Verfassung zu berücksich­ tigen und in die Abwägung miteinzubeziehen.532 Nach der verfassungsorien­ tierten Auslegung können verschiedene Auslegungsvarianten aus grundge­ setzlicher Sicht positiver oder negativer zu bewerten sein.533 Der hier gewählte Begriff der föderalismusfreundlichen Auslegung bezieht sich auf eine verfassungsorientierte Auslegung rein unter Gesichtspunkten des Föderalismus. Es wird insbesondere untersucht, welche Auslegungsvari­ ante mit den Prinzipien der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen, wie sie durch das Grundgesetz vorgesehen werden, vereinbar sind. Ferner wird betrachtet, inwiefern die Bundesgesetze im Einklang mit den Landesgesetzen interpretiert werden können und müssen, um eine widerspruchsfreie Gesamt­ lösung zu erreichen. Die Reglungen der Strafprozessordnung werden durch eine Reihe unter­ schiedlicher einfacher Gesetze auf Bundes- und Landesebene ergänzt, welche teilweise auf das Strafverfahrensrecht zurückwirken.534 Dieser Umstand zeigt zunächst, dass andere Gesetze bei der Auslegung des Strafprozessrechts generell nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Soweit bestimmte Regelun­ gen der Strafprozessordnung den Vollzug der Untersuchungshaft betreffen, ist dies insofern unübersehbar, weil dieser inzwischen ausschließlich auf landesrechtlicher Ebene geregelt ist. Die Landesgesetze wirken hier direkt auf das Strafverfahrensrecht des Bundes zurück, sofern dieses einen Bezug zur Untersuchungshaft aufweist. Ferner können die Landesgesetze auch bei der Auslegung von strafprozessualen Normen in diesem Bereich nicht unbe­ rücksichtigt bleiben. Aus der verfassungskonformen Auslegung folgt, dass eine Norm im Zwei­ fel nicht so ausgelegt werden sollte, dass sie der Verfassung oder verfas­ sungsrechtlichen Prinzipien widerspricht. Betrachtet man die föderalistische Teilung der Gesetzgebungskompetenzen und der Ausführung der jeweiligen Gesetze in diesem Zusammenhang, so führt eine föderalismusfreundliche Auslegung dazu, dass eine Bundesnorm nicht in föderalismusfeindlicher Weise entgegen Landesnormen interpretiert werden kann.

531  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  598; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 49. 532  Möllers, Juristische Methodenlehre, § 11 Rn. 40. 533  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  598; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 49. 534  Löwe/Rosenberg/Kühne, Einleitung Abschn. C. Rn. 2.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

In die Kompetenz der Länder gehört neben der Landesgesetzgebung auch die Ausführung dieser Gesetze in eigener Verantwortung. Nach dem Tren­ nungsprinzip führen Bund und Länder ihre Gesetze jeweils mit einer eigenen Verwaltungsorganisation durch, der Bund kann sich zur Vollziehung seiner Gesetze nur seiner eigenen Bundesbehörden bedienen.535 In Deutschland sind im Grundgesetz aber derzeit fünf Varianten des Gesetzesvollzugs vorge­ sehen: Zunächst sei hier der Vollzug von Bundesgesetzen durch die Bundes­ verwaltung (Art. 86 ff. GG) und die Durchführung von Landesgesetzen durch die Landesverwaltung (Art. 30 GG) genannt. Ferner sind als Modelle das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei Gemeinschaftsaufgaben in un­ terschiedlicher Einzelausprägung (Art. 91a bis 91e GG) sowie die Ausfüh­ rung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit der Länder (Art. 84 GG) oder im Auftrage des Bundes (Art. 85 GG) genannt. Den Regelfall bei der Ausführung von Bundesgesetzen benennt Art. 83 GG, wonach die Ausfüh­ rung grundsätzlich eigene Angelegenheit der Länder ist.536 Art. 84 GG greift den vorgesehenen Regelfall auf und trifft nähere Bestimmungen über die Ausgestaltung der Organisationsgewalt der Länder.537 Die Ausführung als eigene Angelegenheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Länder die entsprechenden Normen mit eigenen sächlichen, personellen und finan­ ziellen Mitteln, also mit ihrer eigenen Organisation, erfüllen und dass Inge­ renzrechte des Bundes allein nach Maßgabe des Art. 84 GG bestehen.538 Die Länder können also selbständig über den Einsatz ihrer materiellen und perso­ nellen Ressourcen bei der Ausführung der entsprechenden Bundesgesetze bestimmen. Der Bund hat hingegen kein Recht, die Ausführung einer Norm durch bestimmte Ressourcen vorzuschreiben.539 Im Rahmen von § 114e StPO führen die Landesbehörden, namentlich die Untersuchungshaftvollzugsanstalten, Bundesrecht als eigene Angelegenhei­ ten aus. Folglich müssen sie in diesem Zusammenhang auch frei über die konkrete Ausführung mittels ihrer eigenen personellen Ressourcen entschei­ den können. Der Bund kann in diesem Fall also nicht vorschreiben, dass die Norm durch bestimmte Personen ausgeführt wird. Folglich kann das Wort „Vollzugsanstalt“ in § 114e StPO nicht zur Benennung konkreter Personen gebraucht werden. Der Bund würde in diesem Fall seine Kompetenzen über­ schreiten und in unzulässiger Weise in die Gesetzesausführung der Länder als eigene Angelegenheit eingreifen. Im Sinne einer föderalismusfreundlichen 535  Dürig/Herzog/Scholz/Kirchhof,

Art. 85 Rn. 8. Art. 84 Rn. 4; Sachs/Winkler, Art. 83 Rn. 3; Kment, in: Jarass/Pieroth, Art. 83 Rn. 12. 537  Sachs/Winkler, Art. 84 Rn. 1. 538  Dürig/Herzog/Scholz/Kirchhof, Art. 84 Rn. 54; Sachs/Winkler, Art. 83 Rn. 8. 539  Sachs/Winkler, Art. 83 Rn. 7. 536  Dürig/Herzog/Scholz/Kirchhof,



C. § 114e StPO239

Auslegung ist das Wort „Vollzugsanstalt“ folglich nur als Bezeichnung der ausführenden Stelle als solche zu interpretieren. So kann die Norm nur die Vollzugsanstalt als Ganzes bezeichnen, nicht aber konkrete Landesbeamte bestimmen. Somit bleibt auch nach der föderalismusfreundlichen Auslegung festzuhalten, dass das Wort „Vollzugsanstalt“ als Bezeichnung einer Institu­ tion zu verstehen ist. Diese Auslegung unterstreicht folglich das bisher be­ nannte Auslegungsergebnis. 5. Teleologische Auslegung Die teleologische Auslegung fragt nach dem Sinn und Zweck einer Norm,540 bzw. danach, welches Ziel mit einer bestimmten Rechtsnorm ver­ folgt wird oder verfolgt werden soll.541 Der teleologischen Auslegung wohnt darüber hinaus auch der Gedanke inne, dass der Gesetzgeber eine Norm so gestalten bzw. angewendet wissen möchte, dass der mit der Norm verfolgte Zweck möglichst gut erreicht wird.542 Ob die teleologische Auslegung heute noch als „Krone der Auslegungsverfahren“543 angesehen kann, soll hier nicht erörtert werden. Jedoch bildet sie regelmäßig den Schlusspunkt einer Aus­ legung und knüpft an diejenigen Ergebnisse an, welche mittels der anderen Auslegungsmethoden generiert wurden.544 Dies erscheint auch sinnvoll, da es zwischen teleologischen Erwägungen und anderen Auslegungsmethoden teilweise zu Überschneidungen kommt.545 So können etwa die historische Auslegung oder die Systematik auf einen bestimmten Sinn hindeuten, wel­ cher dann als Argument für oder gegen eine Lesart einer bestimmten Norm herangezogen werden kann.546 Angesichts der Entwicklungsgeschichte der juristischen Auslegungsmetho­ dik und der Vielzahl an Abhandlungen und Ansichten hinsichtlich der teleo­ logischen Auslegung kann an dieser Stelle keine ausführliche und umfas­ sende Darstellung derselben geboten werden. Diesbezüglich wird auf die entsprechende Literatur verwiesen.547 Es sollen jedoch in der gebotenen Kürze einige Begrifflichkeiten geklärt und die hier zugrundeliegenden Me­ thoden der Auslegung erörtert werden. 540  SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 26; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Ein­ leitung Abschn. M Rn. 41. 541  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 589. 542  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 589. 543  Jescheck/Weigend, § 5 IV. S. 156. 544  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 42. 545  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 590. 546  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 590. 547  Eine Übersicht bietet Walz, ZJS 2010, 482 (484 f.).

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Soweit im Rahmen der teleologischen Auslegung neben den Begriffen „Sinn und Zweck“ weitere Begriffe wie „Grundgedanke“, „ratio legis“ oder „Rechtsgut“ einer Norm auftauchen, sollen diese hier ebenfalls nicht vertie­ fend erörtert werden. Es sei aber angemerkt, dass die Begriffe Grundgedanke einer Norm, ratio legis oder auch Gesetzessinn als tragende Gedanken einer Vorschrift, der Idee, die hinter der Norm stehe oder der Grund, weshalb sie existiere, verstanden werden können.548 Zunächst kann im Zusammenhang mit der teleologischen Auslegung, wie im Übrigen auch bei anderen Auslegungsmethoden,549 zwischen einer sub­ jektiven und einer objektiven Theorie unterschieden werden.550 a) Subjektiv-teleologische Auslegung Die subjektiv-teleologische Auslegung fragt, bei der Suche des Sinns und Zwecks eines Gesetzes oder einer Norm, vor allem nach dem Willen des Gesetzgebers. Sie fokussiert sich auf den zeitgeschichtlichen Zusammenhang der Entstehung einer Norm und leitet daraus den Regelungswillen des (histo­ rischen) Gesetzgebers ab.551 Die Interpretation eines Gesetzes habe sich da­ nach zu richten, wie der Gesetzgeber es zum Zeitpunkt seines Erlasses ver­ standen habe552 und zur Ermittlung des Zweckes einer Norm komme es auf diejenigen Zwecke an, die der Gesetzgeber mit dem Gesetz verfolgte.553 Dies schließe auch eine Interpretation nach dem mutmaßlichen Willen des Gesetz­ gebers mit ein, um eine größtmögliche Gesetzesbindung zu erreichen.554 Walter präzisiert dies so weit, dass er die Ermittlung des Willens des gegen­ wärtigen Gesetzgebers als „höchstes Auslegungsziel“ sieht.555 Vertreter dieser Ansicht berufen sich unter anderem darauf, dass eine sub­ jektiv-teleologische Auslegung dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprin­ zip entspreche.556 Im Hinblick auf die Gewaltenteilung sei es unerlässlich, Gesetzesanwendung und richterliche Normsetzung möglichst strikt zu unter­ Gesetzesauslegung im Strafrecht, S. 472. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 124. 550  Vgl. hierzu vertiefend Engisch, Einführung in das juristische Denken, S.  132 ff.; Simon, Gesetzesauslegung im Strafrecht, S. 209 ff. 551  Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts Rn. 187. 552  So schon Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, S. 213; LK-StGB/ Dannecker/Schuhr, § 1 Rn. 317. 553  LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1 Rn. 317; KK-OWiG/Rogall, § 3 Rn. 80. 554  LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1 Rn. 318. 555  Walter, ZIS 2016, 746 (747). 556  LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1 Rn. 296; i. d. S. auch Rüthers, JZ 2006, 53 (60). 548  Simon, 549  Vgl.



C. § 114e StPO241

scheiden.557 Die rechtsprechende Gewalt habe zwar unbestritten die Aufgabe, die Rechtsordnung bei der Ausfüllung wirklicher Lücken zu ergänzen. Sie sei aber, anders als die Gesetzgebung, nicht frei von der Bindung an die vorhan­ denen gesetzlichen Wertungen.558 Es sei nicht Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt, das Recht zu schaffen. Stelle man aber auf die Entstehungsbedin­ gungen der legislatorischen Willenserklärung oder auf die Problemstellung und -lösung bei Erlass des Gesetzes ab, könne man der Gesetzesbindung der rechtsprechenden Gewalt entsprechen.559 Die Schwächen dieser Methode zeigen sich jedoch zum einen dort, wo der „Wille des Gesetzgebers“ nicht zu ermitteln ist, weil keine anderen Quellen als das Gesetz selbst vorliegen, welche einen solchen Willen belegen könn­ ten. Aber auch, wenn für eine subjektiv-teleologische Auslegung auf Begrün­ dungen in Gesetzesentwürfen zurückgegriffen werden kann, sind diese oft nicht zweifelsfrei zu verstehen. Auch vermeintlich eindeutige Begründungen können sich bei genauerer Untersuchung als mehrdeutig und unklar heraus­ stellen, sodass ein eindeutiger „Wille des Gesetzgebers“ nicht ermittelt wer­ den kann.560 Auch Savigny als historischer Vertreter der subjektiv-teleologi­ schen Auslegungstheorie merkte hierzu bereits an „Ungleich bedenklicher, und nur mit großer Vorsicht zulässig, ist der Gebrauch des Gesetzesgrundes zur Auslegung der Gesetze.“561 Zum anderen kann aus einem historischen Gesetzgebungswillen nicht pro­ blemlos auf einen Regelungswillen für die Zukunft geschlossen werden. So ist der Wille des Gesetzgebers für die Zukunft vielfach nicht feststellbar, vor allem, wenn es um gesellschaftliche Veränderungen geht, welche im Zeit­ punkt des Gesetzerlasses noch überhaupt nicht absehbar waren.562 Soweit dagegen argumentiert wird, es sei nicht die Aufgabe des Rechtsan­ wenders, das Recht auf neue gesellschaftlich Bedürfnisse anzupassen, son­ dern diejenige des Gesetzgebers,563 kann dies nur bedingt überzeugen. Si­ cherlich ist es nicht die Aufgabe des Rechtsanwenders, neues Recht zu schaffen. In der Regel wird der Rechtsanwender jedoch schneller auf gesell­ schaftliche Veränderungen reagieren können als der Gesetzgeber. Durch eine rein subjektive Auslegung nach dem vermeintlichen Willen des historischen Gesetzgebers kann es, zumindest in einem Übergangszeitraum, zu unbilligen Ergebnissen kommen, welche weder der aktuellen gesellschaftlichen Lage JZ 2006, 53 (59). JZ 2006, 53 (59). 559  LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1 Rn. 296. 560  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 42. 561  Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, S. 220. 562  SK-StGB/Jäger, § 1 Rn. 70. 563  LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1 Rn. 318. 557  Rüthers, 558  Rüthers,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

noch einem aktuellen gesellschaftlichen oder rechtlichen Verständnis einer Norm entsprechen. Eine rein subjektive Auslegung kann diesen Umstand nicht ausgleichen, wohingegen objektive Auslegungsmethoden diesen Um­ ständen – zumindest zum Teil – Rechnung tragen können. b) Objektiv-teleologische Auslegung Die heute wohl564 überwiegend565 vertretene Ansicht bedient sich der objektiv-teleologischen Auslegung und fragt nicht nach dem Willen des (his­ torischen) Gesetzgebers, sondern nach dem „Willen des Gesetzes“566 oder dem „objektiven Sinn einer Norm in der Gegenwart“567. Diese Ansicht be­ rücksichtigt den objektiven und sich gegebenenfalls auch im Wandel der Zeit verändernden Sinn eines Gesetzes.568 Mit ihrer Inkraftsetzung sei eine Norm dem Einwirkungsbereich und der Motive des Gesetzgebers entzogen und sei aus ihrer gegenwärtigen Funktion heraus zu beurteilen.569 Zudem müsse der subjektiv-historischen Interpretation weniger Gewicht beigemessen werden, je länger die gesetzliche Kodifizierung zurückliege und eine objektive Be­ trachtungsweise in den Vordergrund trete.570 Vertreter dieser Ansicht verfolgen heute nur noch in wenigen Fällen eine strikt objektive Auslegungsweise. So wird heute anerkannt, dass der Recht­ anwender bei der Auslegung an die Wortlautgrenze und die grundlegenden rechtspolitischen Wertentscheidungen des historischen Gesetzgebers gebun­ den bleibe.571 Jedenfalls könne auch eine objektive Auslegung die Entste­ hungsgeschichte eines Gesetzes und die Intentionen des historischen Gesetz­ gebers nicht vollständig ignorieren.572 So werden der Regelungszweck, wie 564  Welche Theorie tatsächlich vorherrschend ist, bleibt wohl auch heute nicht zweifelsfrei feststellbar; vgl. hierzu Walz, ZJS 2010, 482 (483). 565  U. a. Jakobs, Strafrecht AT, 1. Buch, 2. Kap., Abschn. 4 Rn. 21; Maurach/Zipf, AT I, § 9 Rn. 21 f.; SK-StGB/Jäger, § 1 Rn. 70; Lackner/Kühl/Heger, § 1 Rn. 6; Löwe/ Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 42; BeckOK-StGB/HeintschelHeinegg, § 1 Rn. 26; SSW-StGB/Satzger, § 1 Rn. 49; MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 95. 566  Die Frage, ob es überhaupt einen „Willen des Gesetzes“ geben kann, kann und soll vorliegend nicht erörtert werden. Weiterführend hierzu Simon, Gesetzesaus­ legung im Strafrecht, S. 215 m. w. N. 567  MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 95. 568  BVerfG NJW 1973, 1221 (1225); Roxin/Greco, AT I, § 5 Rn. 32; Honsell, ZfPW 2016, 106 (121); SK-StGB/Jäger, § 1 Rn. 70. 569  Maurach/Zipf, AT I, § 9 Rn. 22. 570  MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 96. 571  SSW-StGB/Satzger, § 1 Rn. 50; MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 96; NK-StGB/ Hassemer/Kargl, § 1 StGB Rn. 109d. 572  Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 43.



C. § 114e StPO243

ihn der Gesetzgeber bei Erlass der Norm verfolgte, und die ursprünglichen Ziele als Faktoren von den Vertretern der objektiv-teleologischen Auslegung heute berücksichtigt, vorrangig aber der objektive Regelungszweck im Zeit­ punkt der Rechtsanwendung in den Blick genommen, so dass gesellschaft­ licher Wandel berücksichtigt werden könne und müsse.573 Die Vertreter der objektiv-teleologischen Ansicht sehen vor allem in der Offenheit derselben für zeitlichen Wandel deren wesentlichen Vorteil, vor allem da der gesetzgeberische Wille für die Zukunft oft nicht feststellbar sei und gesellschaftliche Veränderungen bei Gesetzeserlass nicht vorhersehbar seien.574 Diesem Umstand könne nur eine objektive Auslegung angemessen gerecht werden, indem sie eine Norm im Lichte der gegebenen Verhältnisse und Interessen interpretiere.575 Die Schwachstellen der objektiv-teleologischen Auslegung und häufig auch Kritikpunkte derselben liegen vor allem in deren Öffnung für eine rein subjektive Interpretation einer Norm. Während sie einerseits größtmögliche Freiheiten bei der Interpretation einer Norm bietet, führt dies dazu, dass sie besonders anfällig für subjektive Erwägungen des Normauslegers wird.576 In keinem Fall sollte etwa eine richterliche Rechtsfortbildung so weit gehen, dass an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers die eigene In­ terpretation des Gerichts tritt.577 Schließlich besteht hier auch die Gefahr, dass die subjektive Perspektive des jeweiligen Rechtsanwenders überbewer­ tet und über den Wortlaut des Gesetzes gestellt wird.578 c) Vereinigungslehre Schließlich wird auch eine Synthese zwischen subjektiv- und objektiv-­ teleologischer Auslegung angewandt, um den historischen Willen des Gesetz­ gebers und die Entstehungsbedingungen eines Gesetzes, wie aber auch objek­ tive Kriterien bei der Auslegung entsprechend berücksichtigen zu können.579 573  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn,

Einleitung Abschn. M Rn. 42. § 1 Rn. 70; MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 96. 575  SK-StGB/Jäger, § 1 Rn. 70. 576  MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn.  590; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 109d. 577  Voßkuhle/Osterloh/Di Fabio, Abweichende Meinung zu BVerfG B. v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, NJW 2009, 1476 (1477). 578  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Einleitung Abschn. M Rn. 42; SSW-StGB/ Satzger, § 1 Rn. 50. 579  Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts Rn. 189; Jescheck/Weigend, § 5 IV. S. 157; Roxin/Greco, AT I, § 5 Rn. 32; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 44; wohl auch SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 23. 574  SK-StGB/Jäger,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Im Rahmen der Synthese wird das überwiegende Gewicht allerdings meist ebenfalls auf die objektiven Auslegungskriterien gelegt.580 Darüber hinaus sollen aber auch die Gesetzesentstehung und die Motivation des historischen Gesetzgebers bei der Auslegung als Aspekte berücksichtigt werden, denn ins­ besondere neuere Gesetze würden sich dabei eher aus den Gesetzesmaterialien auslegen lassen als ältere.581 Der Vereinigungslehre ist zugutezuhalten, dass sie keine ausschließliche Geltung der einen oder anderen Ansicht für sich beansprucht und somit keine Kriterien der teleologischen Auslegung explizit ausschließt. Ein Ausschluss sämtlicher subjektiver Auslegungskriterien verschließt den Blick auch vor wesentlichen Zwecken und Zielen, welche mit einer Norm erreicht werden sollen. Ein Ausschluss objektiver Kriterien führt zu einer Spaltung zwischen Recht und realen Umständen. Dieser Vorteil zeigt sich insbesondere dann, wenn das auszulegende Ge­ setz relativ „jung“ ist. Liegen die zu einem Gesetzerlass angestellten Erwä­ gungen des Gesetzgebers noch nicht zu weit zurück, so werden sich darauf in der Regel Rückschlüsse auf eine bestimmte Interpretation ziehen lassen, da sich die Gesellschaft oder Interessenlage nicht zu sehr verändert haben wird. Ferner ermöglicht die Vereinigungslehre es auch den unterschiedlichen Erkenntnisquellen jeweils entsprechendes Gewicht beizumessen. So bestim­ men etwa die Gesetzesbegründung und die darin eventuell zum Ausdruck gekommene Intention des Gesetzgebers den Inhalt eines Gesetzes nicht final und unumstößlich. Vielmehr kann im Rahmen einer Auslegung auch festge­ stellt werden, dass die Intention des Gesetzgebers gerade keinen Ausdruck in der Norm gefunden hat, weil die von ihm gewählte Formulierung seinen Willen nicht zweifelsfrei darlegt. Diesem Umstand kann die Vereinigungs­ lehre mit einer Berücksichtigung subjektiver Quellen und einer objektiven Betrachtung des Normtextes gerecht werden. d) Rechtsprechung In der Rechtsprechung lässt sich keine einheitliche Linie in Bezug auf die bevorzugte Methode der teleologischen Auslegung erkennen. Zwar scheint die objektiv-teleologische Auslegung häufiger angewandt zu werden,582 teil­ 580  Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts Rn. 189; Schönke/Schröder/Hecker, § 1 Rn. 44. 581  Jescheck/Weigend, § 5 IV. S. 157; SSW-StGB/Satzger, § 1 Rn. 50. 582  BVerfG NJW 1960, 1563 (1564); NJW 2002, 1779 (1781); NJW 2013, 1058 (1062); BGHSt 1, 1 (3); 1, 74 (76); 29, 196 (198); BGH NJW 1957, 718 (719); NJW 1975, 1844; NJW 1981, 2422 (2423).



C. § 114e StPO245

weise wird jedoch auch die subjektive Theorie583 oder die Vereinigungs­ lehre584 bei der Normauslegung zugrunde gelegt. Soweit die Vertreter der objektiv-teleologischen Auslegung meinen, sie hätten (zumindest) das Bundesverfassungsgericht auf ihrer Seite, zeigt sich bei einer näheren Analyse, dass auch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr an einer strikt objektiven Theorie festzuhalten scheint. Das Bundesverfassungsgericht prägte in seiner Rechtsprechung zunächst den Begriff des „objektivierten Willen des Gesetzgebers“.585 Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen sei „der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vor­ schrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist“.586 Auch betonte es immer wieder, dass der Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung eines Gesetzes nur insoweit berücksichtigt werden könne, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden ha­ be.587 Die Vorarbeiten eines Gesetzes und die Vorstellungen der gesetzge­ benden Instanzen seien auch nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleich­ zusetzen.588 Und schließlich sei es nicht maßgeblich, was der Gesetzgeber zu regeln meinte, sondern was er geregelt habe.589 Gleichzeitig zog das Bundesverfassungsgericht aber auch schon in der Vergangenheit die Geset­ zesmaterialen bei der Auslegung heran, wenn auch nur unterstützend und nur insofern, als sich aus ihnen auf einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lasse.590 In einer neueren Entscheidung lässt das Bundesverfassungsgericht jedoch durchaus subjektive Tendenzen bei der Auslegung von Normen erkennen. Dort heißt es „Die Gerichte dürfen sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.

583  BGH NJW 1973, 528; NJW 1977, 205 (206); NJW 1977, 305; NJW 1979, 726 (727 f.). 584  BGH NJW 1954, 1049; NJW 1960, 829 f.; NJW 1971, 439 f. 585  BVerfG NJW 1960, 1563; NJW 2002, 1779; NJW 2013, 1058 (1062). 586  BVerfG NJW 2013, 1058 (1062) m. w. N. 587  BVerfG NJW 1960, 1563 (1564). 588  BVerfG NJW 1960, 1563 (1564). 589  BVerfG NVwZ-RR 2002, 117 (118). 590  BVerfG NVwZ-RR 2002, 117 (118).

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmateria­ lien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfs, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat (Art. 76 II 2 GG) und Bundesregierung (Art. 76 III 2 GG) und die Stellungnahmen, Beschluss­ empfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien finden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen. Die Beachtung des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers ist Aus­ druck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit. Dies trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 II 2 GG) Rechnung. Das Gesetz bezieht seine Gel­ tungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mitbestimmt. Jedenfalls darf der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht übergangen oder verfälscht werden. So verwirklicht sich auch die in Art. 20 III und Art. 97 I GG vorge­ gebene Bindung der Gerichte an das ‚Gesetz‘, denn dies ist eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Erwägungen zumindest teilweise in den Materialien dokumentiert sind.“591 In dieser Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht zunächst das Wesen der Gewaltenteilung und greift somit einen der wesentlichen Kritik­ punkte an der objektiv-teleologischen Auslegung auf. Zudem legt es die Gesetzesbegründung und weitere Gesetzesmaterialien als Erkenntnisquellen der Auslegung fest. Subjektive Erwägungen des Gesetzgebers werden somit in die Interpretation eines Normtextes stärker miteinbezogen, auch wenn weiterhin der „klar erkennbare Wille des Gesetzgebers“ herausgestellt wird. e) Stellungnahme und konkrete teleologische Auslegung Zunächst sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass viele der oben ge­ nannten Ansichten und Argumente aus dem Bereich des materiellen Straf­ rechts stammen. Auch wenn die Methodenlehren der Auslegung im Strafpro­ zessrecht durchaus behandelt werden, sind die Ausführungen spärlicher gesät und oft nicht so vertieft.592 Einige der für das materielle Strafrecht entwi­ ckelten Grundsätze der teleologischen Auslegung lassen sich auch nicht vollständig auf das Strafprozessrecht übertragen. 591  BVerfG

NJW 2018, 2542 (2548). hierzu die oben in den Fußnoten genannte Literatur mit Bezug auf das Strafprozessrecht. 592  Vgl.



C. § 114e StPO247

So zieht etwa der aus Art. 103 Abs. 2 GG resultierende Bestimmtheits­ grundsatz im Strafprozessrecht keine starre Auslegungsgrenze, weshalb eine teleologische Auslegung des Strafprozessrechts mehr Raum einnehmen kann.593 Gleichwohl muss im Einzelfall geprüft werden, ob Art. 103 Abs. 2 GG auch bei einer Interpretation des Strafprozessrechts nicht vollständige oder teilweise Geltung beanspruchen kann.594 Im Rahmen einer teleologi­ schen Auslegung strafprozessualer Normen sind zudem die Zwecke des Strafverfahrens und die Wahrung der grundlegenden Prozessmaximen zu beachten und zu berücksichtigen.595 Auch kann die Eingriffsintensität einer strafprozessualen Norm Grenzen der Auslegung aufzeigen. Die Lösung des oben besprochenen Streits zwischen subjektiver und ob­ jektiver teleologischer Auslegung liegt in der Mitte.596 Wertentscheidungen des Gesetzgebers können nicht vollkommen ignoriert werden, zugleich kann es aber auch nicht allein auf diese ankommen. Im Folgenden soll daher in mehreren Schritten unter Berücksichtigung sowohl subjektiver wie auch ob­ jektiver Kriterien der Sinn und Zweck den § 114e StPO ermittelt werden. Angeknüpft wird dabei auch an diejenigen Interpretationsergebnisse, welche zuvor mit den weiteren Auslegungsmethoden gewonnen wurden. Zu Beginn soll versucht werden, eine objektive Zweckbestimmung aus dem Wortlaut des § 114e S. 1 StPO abzuleiten. Der Sinn und Zweck von § 114e S. 1 StPO ist es, wie bereits oben beschrieben, den Informationsfluss zwischen der Vollzugsanstalt auf der einen Seite und der Staatsanwaltschaft und dem Gericht auf der anderen Seite zu gewährleisten. Es sollen diejeni­ gen Erkenntnisse übermittelt werden, die der Staatsanwaltschaft und dem Gericht bisher noch nicht bekannt und zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Auf­ gaben von Bedeutung sind. Weitergehend soll nach dem gesetzgeberischen Willen gefragt werden. Denn wie Simon es sehr anschaulich formuliert hat, kann die Feststellung des gesetzgeberischen „Willens“ nicht das Ergebnis der Auslegung sein, sondern allenfalls Etappenziel oder leitender Gesichtspunkt, da insoweit eine fallent­ scheidende Konkretisierung des Gesetzes noch nicht geleistet sei.597 Nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers sollen vor allem diejenigen Erkenntnisse übermittelt wer­ den, welche für die Schuldfrage und andere in einem anhängigen strafrecht­

593  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn,

Einleitung Abschn. M Rn. 57. Einleitung Abschn. M Rn. 59. 595  SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 26. 596  So auch Roxin/Greco, AT I, § 5 Rn. 32. 597  Simon, Gesetzesauslegung im Strafrecht, S. 209. 594  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

lichen Verfahren zu treffenden Entscheidungen bedeutsam sind.598 In Abkehr von der Formulierung der Nr. 8 UVollzO solle die Regelung nicht nur für den Anstaltsleiter, sondern auch für die Justizvollzugsbediensteten verbind­ lich gelten.599 Daraus lässt sich der Zweck ableiten, dass „die Vollzugsanstalt“ all dieje­ nigen Daten zu übermitteln hat, welche dem Eingriffsbereich der Staatsan­ waltschaft und dem Gericht der Natur der Sache nach entzogen sind, weil sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet. In diesem Fall solle auch nicht zwischen „wesentlichen“ Erkenntnissen, welche dem Anstaltslei­ ter vorliegen und „alltäglichen“ Erkenntnissen, wie sie vielleicht den Justiz­ vollzugsbediensteten bekannt sind, unterschieden werden. Vielmehr sollen schlicht alle relevanten Erkenntnisse übermittelt werden. Schließlich erklärt die Gesetzesbegründung aber auch, dass vermeidbare Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und überflüssiger Aufwand vermieden werden sollen, indem dem Gericht und der Staatsan­ waltschaft nur die bisher nicht bekannten Erkenntnisse mitzuteilen sind.600 Diese Begründung lässt jedoch die Frage aufkommen, ob der Gesetzgeber die Zweckbestimmung insoweit einschränken oder lediglich legitimieren wollte. Ob überflüssiger Aufwand der Justizvollzugsbediensteten tatsächlich durch die Formulierung vermieden wird, wurde oben bereits in Frage ge­ stellt601 und soll unten noch einmal kurz besprochen werden. Es scheint je­ denfalls zunächst so, als wäre Mehrarbeit der Justizvollzugsangestellten nicht der Wille des Gesetzgebers und auch nicht Zweck der Vorschrift. Des Weiteren soll § 114e S. 1 StPO nach der Gesetzesbegründung auch vermeidbare Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen verhindern. Inwiefern dieser Zweck in der Norm überhaupt Niederschlag gefunden hat, oder ob dieser Zweck nicht eine andere Ausle­ gung des Wortes „Vollzugsanstalt“ gebietet, soll ebenfalls weiter unten erör­ tert werden. Die übrigen Auslegungsmethoden haben bereits gezeigt, dass das Wort „Vollzugsanstalt“ als Bezeichnung einer Institution anzusehen ist. Im Folgen­ den soll daher ermittelt werden, ob diese Auslegung dem Zweck des § 114e S. 1 StPO widerspricht. Zunächst sei hier einmal angemerkt, dass der subjektiv-historische Wille des Gesetzgebers in der Regel kein Argument gegen einen in der Norm ge­ 598  BT-Drs.

16/11644, S. 20. 16/11644, S. 21. 600  BT-Drs. 16/11644, S. 21. 601  S. unter C.I. 599  BT-Drs.



C. § 114e StPO249

genteilig zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen darstellt.602 Der Gesetzgeber hat in § 114e S. 1 StPO das Wort „Vollzugsanstalt“ und nicht Wörter wie „Anstaltsleiter“ oder „Justizvollzugsangestellte“ verwendet, folglich kommt in der Norm nicht der Wille zum Ausdruck, letztgenannte konkret zu verpflichten. Versteht man den Begriff „Vollzugsanstalt“ aber nun auf die hier dargelegte Weise, als Bezeichnung einer Institution, so umfasst diese Interpretation den genannten Regelungszweck. Eine Verpflichtung der Vollzugsanstalt als Institution zur Übermittlung der von ihr erlangten Er­ kenntnissen schließt nämlich mit ein, dass die Erkenntnisse unabhängig von der Person, von der sie erlangt wurden, zu übermitteln sind. Somit werden alle erlangten Erkenntnisse erfasst, was dem Zweck der Regelung entspricht. Der einzige Unterschied besteht darin, wer die Erkenntnisse konkret und im Einzelfall zu übermitteln hat. Die Übermittlungspflicht richtet sich aus den oben genannten Gründen nach der inneren Organisationsstruktur der Voll­ zugsanstalt und nicht nach der Vorstellung des Gesetzgebers. Folglich wäre allein der Anstaltsleiter als Vertreter der Anstalt nach außen zur Übermittlung verpflichtet. Dieses Ergebnis wird insbesondere von der föderalismusfreundlichen Aus­ legung untermauert. Würde man nämlich den Zweck annehmen, jeden ein­ zelnen Justizvollzugsangestellten zu verpflichten, würde die Norm eine ver­ fassungswidrige Lage schaffen. Es kann jedoch nicht Zweck einer Vorschrift sein, eine verfassungswidrige Lage zu schaffen. Auch würde eine Verpflich­ tung jedes einzelnen Vollzugsangestellten diesen zusätzliche Aufgaben auf­ bürden. Die Norm würde nämlich, trotz der Formulierung „nicht bereits an­ derweitig bekannt geworden sind“ dazu verpflichten, Erkenntnisse weiterzu­ leiten, also Mehrarbeit im Vergleich zu den normalen Arbeitsaufgaben der Vollzugsangestellten fordern. Die „normalen“ Arbeitsaufgaben von Justiz­ vollzugsangestellten umfassen keine Übermittlungspflichten an die Staatsan­ waltschaft und das Gericht. Die Befugnis, eine solche Mehrarbeit zu normie­ ren, steht dem Bundesgesetzgeber jedoch nicht zu und kann auch nicht der Zweck der Vorschrift sein. Schließlich bleibt noch die Frage zu beantworten, ob die Auslegung des Wortes „Vollzugsanstalt“ als Institution den Zweck des § 114e S. 1 StPO er­ heblich beeinträchtigen würde. Soweit die Förderung des mit dem Gesetz zu erreichenden Ziels andere schützenswerte Interessen beeinträchtigt, kann es im Rahmen der teleologischen Auslegung auch Anhaltspunkte dafür geben, wie restriktiv eine Norm ausgelegt werden darf, ohne dass ihr Regelungs­ zweck gefährdet wird.603 602  Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, 603  MüKo-StPO/Kudlich,

Einleitung Abschn. M Rn. 42. Einleitung Rn. 589.

250

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

In Bezug auf § 114e StPO ist insbesondere zu beachten, dass die von der Vollzugsanstalt erlangten Erkenntnisse in besonders geschützte private Berei­ che fallen können. Darüber hinaus könnte auch das Schweigerecht des Be­ schuldigten relativiert werden. Die persönlichen Bereiche eines Beschuldig­ ten sind dem Zugriff der Staatsanwaltschaft und des Gerichts insbesondere dann entzogen, wenn er sich auf freiem Fuß befindet. Bereits dieser Umstand muss im Rahmen einer restriktiven Auslegung des § 114e S. 1 StPO inklu­ sive ihres Normadressaten Berücksichtigung finden. So kann § 114e S. 1 StPO nicht dazu führen, dass es zu einer „Totalüberwachung“ des Beschul­ digten kommt, nur weil sich dieser in Untersuchungshaft befindet.604 Viel­ mehr müssen die widerstreitenden Interessen der effektiven Strafverfolgung und der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten durch die Ausle­ gung in Einklang gebracht werden. Der Zweck der Vorschrift kann es auch nicht sein, Aufklärung um jeden Preis und Ausforschung aller für das Verfah­ ren eventuell relevanten Einzelheiten zu erreichen. Der Gesetzgeber hat mit seiner Formulierung von § 114e StPO jedoch nicht dazu beigetragen, dass solche Tendenzen vermieden werden. Somit ist dies durch eine Auslegung zu erreichen. Der Einklang zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten und den Aufklärungsinteressen der Strafrechtspflege lässt sich darüber finden, dass die einzelnen Justizvollzugsangestellten nicht dazu verpflichtet werden, Erkenntnisse explizit zu sammeln und direkt zu übermit­ teln, sondern eine Verpflichtung des Anstaltsleiters als Vertreter der Organi­ sation zur Übermittlung einzelner Erkenntnisse angenommen wird. Die ein­ zelnen Justizvollzugsangestellten werden somit nicht dazu angehalten, Infor­ mationen zu sammeln und zu übermitteln, sondern es bleibt dabei, dass sie die im Vollzugsalltag üblicherweise als mitteilenswert einzustufenden Er­ kenntnisse an die entsprechenden Stellen weiterleiten. Es wird sodann Auf­ gabe der Anstaltsleitung sein, diese Informationen auf ihre Relevanz für das Verfahren zu beurteilen und im Namen der Vollzugsanstalt gegebenenfalls an die entsprechenden Stellen zu übermitteln. Indem die Justizvollzugsange­ stellten jedoch nicht direkt verpflichtet werden, wird einem Prozess von „Sammeln und Übermitteln“ und möglichen Eingriffen in die Rechte des Beschuldigten entgegengewirkt und das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung des Beschuldigten besser geschützt. Somit trägt die Auslegung des Begriffs „Vollzugsanstalt“ als Institution den schützenswerten Interessen der Beschuldigten, welche sich in Untersuchungshaft befinden, Rechnung. Folglich stehen auch teleologische Gesichtspunkte einer Auslegung des Begriffes „Vollzugsanstalt“ als Bezeichnung einer Institution nicht entgegen. 604  Vgl. BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 7; Tsambikakis, ZIS 2209, 503 (509); SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 5.



C. § 114e StPO251

6. Zusammenfassende Betrachtung Bereits die grammatische Auslegung des Wortes „Vollzugsanstalt“ legte nahe, dass sich der Begriff nicht auf Einzelpersonen beziehen könne. Weiter zeigte der systematische Vergleich, dass das Wort „Vollzugsanstalt“ nicht mit den Wörtern „Anstaltsleiter“ oder „Justizvollzugsangestellte“ gleichzusetzen ist. Es wurde für keine der verglichenen Normen festgestellt, dass der Begriff der Vollzugsanstalt dort Einzelpersonen meint. In der Regel bringen auch nur abweichende Formulierungen einen abweichenden Inhalt zum Ausdruck. Eine solche abweichende Formulierung liegt hier aber nicht vor, vielmehr benutzen alle der genannten Normen den Begriff „Vollzugsan­ stalt“ in einem anderen Kontext. Die Abweichung muss sich daher allein aus der übrigen Formulierung der Norm ergeben, nicht jedoch kann der Begriff „Vollzugsanstalt“ unterschiedlich ausgelegt werden. Somit lässt sich das Wort „Vollzugsanstalt“ auch nach dem systematischen Vergleich als Bezeich­ nung der Institution verstehen. Ebenso kann eine föderalismusfreundliche Auslegung die Intention des Gesetzgebers, einzelne Vollzugsangestellte zu verpflichten, nicht stützen. Der Streit zur Frage der Kompetenzverteilung zwischen dem Bundesgesetz­ geber und den Landesgesetzgebern, welcher sich auch im Rahmen des § 114d StPO auftut, zeigt, dass es eine gewisse Abgrenzung zwischen den jeweiligen Befugnissen geben muss. Eine erste Abgrenzung gibt das Grund­ gesetz vor, indem es die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug den Landesgesetzgebern zuordnet. Im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs ist diese Abgrenzung nicht immer so leicht zu sehen. So können Maßnah­ men sowohl das gerichtliche Verfahren wie auch den Untersuchungshaftvoll­ zug als solchen betreffen. In diesen Fällen ist eine pauschale Zuordnung der Kompetenzen schlicht nicht möglich. Vielmehr muss für jede einzelne Norm der Bundesgesetzgebung eine Grenze gezogen werden. Also muss hier für jede einzelne Norm der Strafprozessordnung bestimmt werden, wie weit der Bundesgesetzgeber in den Untersuchungshaftvollzug eingreifen darf und ab welchem Punkt seine Kompetenzen enden und allein die Landesgesetzgeber Regelungen treffen können. Es steht dem Bundesgesetzgeber in jedem Fall nicht zu, in den internen Anstaltsablauf einzugreifen, und er verfügt somit auch nicht über die Kompetenz, einzelne Personen innerhalb der Vollzugs­ anstalt mit Pflichten zu belegen. Dies würde der Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern widersprechen. Folglich kann eine Verpflichtung der „Vollzugsanstalt“ nichts anderes bedeuten als eine Verpflichtung derselben als Institution. Die Auslegung des Wortes „Vollzugsanstalt“ als Institution läuft dem Zweck des § 114e S. 1 StPO schließlich auch nicht zuwider. Somit lässt sich

252

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

als Ergebnis festhalten, dass allein die Vollzugsanstalt als Institution der Re­ gelungsadressat von § 114e StPO ist. Die Norm schließt zwar nicht aus, dass Justizvollzugsangestellte, die im Rahmen ihrer Tätigkeit erlangten Erkenntnisse direkt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft übermitteln, sie verpflichtet jedoch nicht jeden einzelnen Justizvollzugsangestellten zu dieser Übermittlung. Zur Beantwortung der Ausgangsfrage lässt sich also feststellen, dass Anstaltsärzte als Einzelperso­ nen nicht die Regelungsadressaten des § 114e S. 1 StPO sind.

II. Regelungsadressat § 114e S. 2 StPO Nach § 114e Abs. 2 StPO bleiben sonstige Befugnisse der Vollzugsanstalt, dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft Erkenntnisse mitzuteilen, unberührt. § 114e S. 2 StPO bestimmt somit keinen eigenen Regelungsadressaten, son­ dern verweist vielmehr auf sonstige Normen, welche Offenbarungspflichten für bestimmte Regelungsadressaten bestimmen. In den Kommentierungen wird in diesem Zusammenhang überwiegend auf die Mitteilungspflichten der Vollzugsanstalt nach den Landesgesetzen ver­ wiesen.605 Allerdings sehen nur die wenigsten Landesgesetze eigene Mittei­ lungspflichten der Vollzugsanstalt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft vor. So bestimmen Art. 7 Abs. 2 S. 1 BayUVollzG, § 134b NJVollzG, § 4 Abs. 2 S. 2 UVollzG NRW und § 3 Abs. 1 S. 3 UVollzG M-V eigene Offen­ barungspflichten. In Art. 7 Abs. 2 S. 1 BayUVollzG wird konkret eine Pflicht der Anstaltsleitung zur Unterrichtung des Gerichts oder der Staatsanwalt­ schaft über Erkenntnisse oder Maßnahmen, die aus Sicht der Anstalt für das Verfahren von Bedeutung sein können, normiert. In den übrigen Normen wird eine allgemeine Unterrichtungspflicht der Anstalt über Erkenntnisse oder Umstände, die während des Vollzugs gewonnen werden, normiert. In den Landesgesetzen wird der Begriff der „Anstalt“ jeweils im Sinne der Le­ galdefinitionen verwendet.606 Die Landesgesetze beziehen sich also auf die Anstalt im Sinne der mit dem Vollzug beauftragten Institution. Im Übrigen lassen sich jedoch auch die Offenbarungspflichten aus § 138 StGB bzw. §§ 138, 139 StGB607 unter diese Pflicht fassen, sofern eine Mit­ teilung an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft erforderlich wird. Sofern die Vollzugsanstalt oder einzelne in der Vollzugsanstalt tätige Personen von geplanten Straftaten im Sinne des § 138 StGB erfahren, kann eine Mitteilung 605  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 7; KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 6; Beck­ OK-StPO/Krauß, § 114e Rn. 3. 606  S. hierzu oben unter C.I.3.a). 607  S. hierzu auch oben unter A.



C. § 114e StPO253

an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft notwendig werden. Denkbar wäre etwa die Konstellation, dass die Begehung einer Tat gegen eine Person ge­ plant wird, welche auch in demjenigen Verfahren beteiligt ist, wegen dessen sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet. Insoweit träfe den An­ staltsarzt eine Offenbarungspflicht aber nur nach den oben bereits erörterten Maßstäben.608

III. Bestimmung der Pflicht Wie bereits oben genannt, verpflichtet § 114e S. 1 StPO die Vollzugsan­ stalt, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft von Amts wegen beim Vollzug der Untersuchungshaft erlangte Erkenntnisse zu übermitteln, soweit diese aus Sicht der Vollzugsanstalt für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Bedeutung sind und diesen nicht bereits anderweitig bekannt geworden sind. Unproblematisch sind in diesem Zusammenhang die Empfänger der Er­ kenntnisse zu erkennen, welche klar von der Norm genannt werden. Die Norm bestimmt, dass sowohl das Gericht wie auch die Staatsanwaltschaft von der Vollzugsanstalt informiert werden sollen, um sicherzugehen, dass die jeweiligen Informationen ohne zeitliche Verzögerung und mit großer Sicher­ heit an die Stelle gelangen, wo sie benötigt werden.609 Zudem wird es aus Sicht der Vollzuganstalt nicht immer sicher zu beurteilen sein, für welche der genannten Stellen die Informationen von Bedeutung sein können.610 Die doppelte Übermittlungspflicht stellt somit sicher, dass die Informationen bei dem Empfänger ankommen, bei dem sie benötigt werden. Der insoweit entstehende spezifische Inhalt der Pflicht soll nachfolgend anhand der einzelnen Merkmale der Norm bestimmt werden. So ist zunächst zu erörtern, was genau erlangte Erkenntnisse im Sinne der Norm sind, also welche Informationen oder Daten hiervon überhaupt umfasst sind. Sodann bleibt noch zu beantworten, wann genau diese Erkenntnisse für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Belang sind, nach welchen Kriterien die Vollzugsanstalt die Bedeutung zu beurteilen hat und ob somit auch eine Pflicht zur Prüfung der Bedeutung entsteht. Schließlich ist zu diskutieren, wie die vorherige Unkenntnis des Gerichts und der Staatsanwaltschaft bezüg­ lich der entsprechenden Erkenntnisse zu ermitteln ist und welche Funktion dieser Zusatz in der Norm erfüllt.

608  S. o.

unter A.II.

609  MüKo-StPO/Böhm/Werner,

Rn. 2.

610  BeckOK-StPO/Krauß,

§ 114e Rn. 4; KMR-StPO/Wankel/Schuster, § 114e

§ 114e Rn. 2.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Soweit oben festgestellt wurde, dass nicht die einzelnen Justizvollzugsan­ gestellten die Adressaten der Vorschrift sind, sondern die Vollzugsanstalt als Ganzes zur Weitergabe der erlangten Erkenntnisse verpflichtet wird, ergeben sich in Bezug auf die Bestimmung der Pflicht weitere Fragen, welchen nach­ zugehen ist. Soweit nämlich nicht die einzelnen Justizvollzugsbediensteten durch die Norm verpflichtet sind, würde die Vorschrift ins Leere laufen, wenn diese im Rahmen des Vollzugs der Untersuchungshaft Erkenntnisse erlangen, diese aber sodann nicht an die Anstaltsleitung übermitteln oder weitergeben müssen. Denn dann könnte die Anstaltsleitung ihrer Pflicht zur Übermittlung der Erkenntnisse nicht nachkommen, da sie schlicht keine Er­ kenntnisse erlangen würde. Somit schließt sich die Frage an, wie der Infor­ mationsfluss innerhalb der Anstalt geregelt sein muss, damit der Sinn und Zweck von § 114e S. 1 StPO gewahrt bleibt, und ob entsprechende Regelun­ gen existieren. In Bezug auf die Bewertung der Bedeutung der Informationen für die Empfänger ist zudem zu beantworten, ob diese auch durch einzelne Justiz­ vollzugsangestellten vorgenommen werden muss, oder ob diese durch die Anstaltsleitung in Vertretung der Vollzugsanstalt vorzunehmen ist. Weiterhin ist zu ergründen, wie und durch wen die Unkenntnis der Staatsanwaltschaft und des Gerichts in Bezug auf die Erkenntnisse zu ermitteln oder festzustel­ len ist. Insofern könnte auch hier auf die Anstaltsleitung als Vertretung der Vollzugsanstalt abzustellen sein, welche die fehlende Kenntnis zu überprüfen hätte. Denkbar wäre es zudem auch, dass das Fehlen der Kenntnis überhaupt nicht explizit überprüft werden muss oder kann, und sich aus diesem Merk­ mal folglich auch keine Prüfungsobliegenheit für die Vollzugsanstalt ergibt. 1. Erlangte Erkenntnisse In Nr. 8 UVollzO bezog sich die Mitteilungspflicht des Anstaltsleiters auf alle „für die Durchführung des Strafverfahrens bedeutsamen Maßnahmen, Wahrnehmungen und anderen wichtigen Umständen, die den Gefangenen betreffen.“ Der Begriff der Erkenntnisse, wie er von § 114e S. 1 StPO ge­ braucht wird, ist hingegen allgemeiner und weiter gefasst als in der Vorgän­ gerregelung und soll alle der in Nr. 8 UVollzO genannten Merkmale umfas­ sen.611 Die Formulierung „erlangte Erkenntnisse“ zeugt zunächst davon, dass die Norm keine Befugnis zur Datenerhebung beinhaltet.612 Dies entspricht auch 611  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 5; NK-GS/Christian/Laue, § 114e StPO Rn. 2; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 3; HK-StPO/Posthoff, § 114e Rn. 2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 114e Rn. 1; KMR-StPO/Wankel/Schuster, § 114e Rn. 3. 612  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 6; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 6 f.



C. § 114e StPO255

der Aufgabenerfüllung, welche der Vollzugsanstalt im Rahmen des Vollzugs der Untersuchungshaft zukommt.613 Die Vollzugsanstalt ist weder Polizeibe­ hörde noch sonstiges Strafverfolgungsorgan, welches zur Ermittlung von Sachverhalten berufen ist.614 Ihre Aufgabe im Rahmen des Untersuchungs­ haftvollzugs ist allein, durch die sichere Unterbringung des Beschuldigten die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens zu sichern und die Gefahr weiterer Straftaten zu verhindern, nicht jedoch die Staatsanwaltschaft und das Gericht mit Kenntnissen über den Untersuchungsgefangenen zu ver­ sorgen.615 Kritiker wenden gegen die Vorschrift dennoch ein, dass sie zu einer „To­ talüberwachung“ des Beschuldigten führen oder diese legitimieren würde.616 Einige Stimmen befürchten sogar, die Justizvollzugsbediensteten würden durch die Vorschrift „in die Rolle von Spitzeln gedrängt“.617 Eine Totalüber­ wachung oder Bespitzelung eines Beschuldigten zur Erlangung von Erkennt­ nissen verstieße sodann gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Schweigerecht des Beschuldigten sowie gegen § 136a StPO.618 Inwiefern diese Kritik berechtigt erscheint und ob ihr durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 114e S. 1 StPO begegnet werden muss und kann, soll wei­ ter unten genauer erörtert werden. Auch ohne eine Befugnis zur Datenerhebung aus § 114e S. 1 StPO werden von der Vollzugsanstalt bereits zum Zweck ihrer eigenen Aufgabenerfüllung eine ganze Reihe an Daten erhoben, welche dann als erlangte Erkenntnisse im Sinne des § 114e S. 1 StPO gelten könnten. Im Folgenden sollen nur ei­ nige Beispiele für solche Datenerhebungen genannt werden. Viele Untersuchungshaftvollzugsgesetze sehen ein Zugangsgespräch bei der Aufnahme eines Beschuldigten in die Vollzugsanstalt vor.619 Bereits in einem solchen Gespräch werden Informationen durch die Vollzugsanstalt er­ 613  Löwe/Rosenberg/Lind, 614  Löwe/Rosenberg/Lind,

§ 114e Rn. 6. § 114e Rn. 6; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 6; HK-

StPO/Posthoff, § 114e Rn. 3. 615  Tsambikakis, ZIS 2009, 503 (508); vgl. überdies oben unter C.I.3.b)ee). 616  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 7; Tsambikakis, ZIS 2009, 503 (509); Weider, StV 2010, 102 (108); Schlothauer/Weider/Nobis, Untersuchungshaft Rn. 1170; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 5. 617  SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 21; AnwK-UHaft/König, § 114e StPO Rn. 1. 618  BVerfG NJW 2002, 283 (284); Weider, StV 2010, 102 (109); SSW-StPO/ Herrmann, § 114d Rn. 21; aus diesem Grund für eine enge Auslegung auch BeckOKStPO/Krauß, § 114e Rn. 1. 619  Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayUVollzG; § 7 Abs. 1 S. 1 UVollzG Bln; § 12 Abs. 1 S. 1 BbgJVollzG; § 7 Abs. 1 S. 1 BremUVollzG; § 7 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG; § 6 Abs. 1 S. 1 HUVollzG; § 7 Abs. 1 S. 1 UVollzG M-V; § 136 i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 2 NJVollzG; § 6 Abs. 2 S. 1 UVollzG NRW; § 12 Abs. 1 S. 1 LJVollzG RP; § 7 Abs. 1 S. 1 SU­

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

langt, wobei den beteiligten Vollzugsbediensteten auch zahlreiche persön­ liche Aspekte über den Beschuldigten bekannt werden können.620 Diese In­ formationen könnten sodann als „erlangte Erkenntnisse“ gelten. Ferner sehen alle Untersuchungshaftvollzugsgesetze eine ärztliche Untersuchung im Rah­ men des Aufnahmeverfahrens vor.621 Die insoweit durch den Arzt erlangten Daten könnten ebenfalls erlangte Erkenntnisse im Sinne des § 114e StPO darstellen. Auch im weiteren Verlauf der Untersuchungshaft können Daten und Infor­ mationen in Bezug auf einen Beschuldigten dadurch erlangt werden, dass dies von den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen explizit vorgesehen ist, die Datenerhebung als ein Nebeneffekt des Vollzugs geschieht, oder die Daten freiwillig von dem Beschuldigten gegenüber Vollzugspersonal offenbart wer­ den. Ein Beispiel für eine vorgesehene Datenerhebung ist die Öffnung von Paketen in Gegenwart des Beschuldigten.622 Bei diesem Vorgang soll der Inhalt eines an den Beschuldigten adressierten Pakets gesichtet und auf ver­ botene Gegenstände untersucht werden.623 Notwendigerweise wird hierbei der Inhalt eines Pakets insgesamt gesichtet und Informationen darüber er­ langt, welche Gegenstände ein Beschuldigter erhalten hat und gegebenenfalls auch von wem diese stammen. Diese Erkenntnisse könnten also ebenfalls als von der Vollzugsanstalt erlangt gelten. Als Beispiel für eine Datenerhebung im Nebeneffekt kann hier der Besuch genannt werden. So wird in der Regel in der Vollzugsanstalt festgehalten, wann und von wem ein Beschuldigter Besuch erhält. In diesem Zusammen­ hang entstehen Informationen darüber, mit wem der Beschuldigte Kontakt pflegt. Zudem entstehen aber auch in Bezug auf die Besucher Informationen, unter anderem, dass sie Kontakt zu dem Beschuldigten pflegen. Sofern der VollzG; § 7 Abs. 1 S. 1 SächsUHaftVollzG; § 12 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I LSA; § 7 Abs. 1 S. 2 UVollzG SH; § 12 Abs. 1 S. 1 ThürJVollzGB. 620  Vgl. a. Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 7. 621  § 4 S. 2 JVollzGB II BW; Art. 8 Abs. 2 S. 3 BayUVollzG; § 7 Abs. 3 UVollzG Bln; § 12 Abs. 3 BbgJVollzG; § 7 Abs. 3 BremUVollzG; § 7 Abs. 1 S. 2 Hmb­UVollzG; § 6 Abs. 2 HUVollzG; § 7 Abs. 3 UVollzG M-V; § 136 i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 3 ­NJVollzG; § 6 Abs. 3 UVollzG NRW; § 12 Abs. 3 LJVollzG RP; § 7 Abs. 3 SUVollzG; § 7 Abs. 3 SächsUHaftVollzG; § 12 Abs. 3 JVollzGB I LSA; § 7 Abs. 3 UVollzG SH; § 12 Abs. 3 ThürJVollzGB. 622  § 21 Abs. 2 JVollzGB II BW; Art. 23 Abs. 3 S. 2 BayUVollzG i. V. m. Art. 36 Abs. 2 BayStVollzG; § 41 Abs. 2 UVollzG Bln; § 45 Abs. 3 BbgJVollzG; § 41 Abs. 2 BremUVollzG; § 28 Abs. 2 HmbUVollzG; § 29 Abs. 2 HUVollzG; § 41 Abs. 2 UVollzG M-V; § 150 Abs. 2 S. 3, 4 NJVollzG; § 20 UVollzG NRW i. V. m. § 28 Abs. 2 StVollzG NRW; § 44 Abs. 3 LJVollzG RP; § 41 Abs. 2 SUVollzG; § 41 Abs. 2 SächsUHaftVollzG; § 44 Abs. 3 JVollzGB I LSA; § 36 Abs. 3 UVollzG SH; § 45 Abs. 3 ThürJVollzGB. 623  S. Normen in der voranstehenden Fußnote.



C. § 114e StPO257

Besuch optisch oder auch akustisch überwacht wird, können die Vollzugsbe­ diensteten weitere, gegebenenfalls sogar intime, Informationen über den Be­ schuldigten sowie über die Besuchspersonen erlangen. Auch diese Informa­ tionen könnten sodann als von der Vollzugsanstalt erlangte Erkenntnisse zu klassifizieren sein. Als Beispiele freiwilliger Mitteilungen von Informationen können Offen­ barungen des Beschuldigten gegenüber dem Anstaltsarzt oder den Mitarbei­ tern anderer Fachdienste genannt werden. Erkrankt ein Beschuldigter, so hat er Anspruch auf medizinische Versorgung im Rahmen der Untersuchungs­ haft.624 Im Rahmen der ärztlichen Behandlung werden regelmäßig Informa­ tionen offenbart und erhoben. Die insoweit durch den Arzt bei der Untersu­ chung und Behandlung erlangten Informationen könnten hier ebenfalls als von der Vollzugsanstalt erlangte Erkenntnisse gelten. Nimmt ein Beschuldig­ ter Angebote psychologischer oder sozialer Hilfe an oder nimmt er die an­ staltliche Seelsorge in Anspruch, werden in allen diesen Verhältnissen regel­ mäßig freiwillig Daten von ihm offenbart. Alle diese Informationen könnten ebenfalls als von der Vollzugsanstalt erlangte Erkenntnisse gelten. Zusätzlich zu den bisher genannten Fällen möglicher Erkenntniserlangung können auch noch wertende Beobachtungen durch Vollzugsbedienstete als erlangte Erkenntnisse gelten. Da der Begriff der wertenden Beobachtungen in einer Kommentierung zwar auftaucht, jedoch nicht weiter erläutert wird,625 soll hier zunächst versucht werden, diesen zu definieren. Als wertende Beob­ achtungen können all diejenigen Beobachtungen zu klassifizieren sein, wel­ che von der subjektiven Einschätzung der Justizvollzugsbeamten geprägt sind. So kann ein Vorkommnis, eine Beobachtung oder eine Tatsache zu­ nächst objektiv neutral oder irrelevant sein, aber durch die subjektive Bewer­ tung desselben als eine relevante Erkenntnis eingestuft werden. Die subjektive Bewertung einer Beobachtung kann sich etwa bei der Beur­ teilung des Verhaltens eines Beschuldigten zeigen. So kann das Verhalten von unterschiedlichen Justizvollzugsbediensteten als angemessen oder unan­ gemessen beurteilt werden, je nachdem, welchen subjektiven Maßstab sie an die Angemessenheit des Verhaltens anlegen. Ferner kann auch die Einschät­ zung der Persönlichkeit oder der Intelligenz eines Beschuldigten von subjek­ 624  § 26 JVollzGB II BW; Art. 25 BayUVollzG i. V. m. Art. 60 BayStVollzG; § 22 UVollzG Bln; § 74 BbgJVollzG; § 22 BremUVollzG; § 42 HmbUVollzG; § 17 ­HUVollzG; § 22 UVollzG M-V; § 57 NJVollzG; § 24 UVollzG NRW i. V. m. § 45 StVollzG NRW; § 72 LJVollzG RP; § 22 SUVollzG; § 22 SächsUHaftVollzG; § 73 JVollzGB I LSA; § 50 UVollzG SH; § 73 ThürJVollzGB. S. zur allgemeinen Gesundheitsfürsorge ferner oben unter B.I.3. 625  Der Begriff der „wertenden Beobachtungen“ taucht bei Lammer auf, jedoch ohne dass dieser ihn weiter erläutert, s. AnwK-StPO/Lammer, § 114e Rn. 3.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

tiven Wertungen geprägt sein. In all diesen Fällen wird die subjektive Ein­ schätzung von der Erfahrung und der Persönlichkeit der jeweiligen Justiz­ vollzugsbediensteten beeinflusst werden. Als Beispiel für eine wertende Beobachtung kann hier die Beziehung eines Beschuldigten zu seinem Partner, seiner Partnerin oder seiner Familie ge­ nannt werden. In der Literatur wird der Fall genannt, in dem ein Justizvoll­ zugsbediensteter mitbekommen haben will, dass die Ehe eines Beschuldigten vor dem Scheitern stehe.626 Die Frage, ob eine Ehe vor dem Scheitern steht, kann durchaus stark von der subjektiven Einschätzung des Beobachters ge­ prägt sein. Zu Recht merkt Paeffgen hierzu an, dass bezweifelt werden könne, ob ein Beobachter aus erregten Gesichtern und ein paar Wortfetzen zutreffende Schlüsse ziehen könne.627 Doch auch ungeachtet der Kritik, könnte diese wertende Beobachtung eine erlangte Erkenntnis darstellen. Im Bereich der medizinisch-psychologischen Betreuung der Beschuldigten können wertende Beobachtungen besonderes Gewicht erhalten oder auch besonders einschneidend für die Beschuldigten sein. So kann etwa die Wer­ tung, dass ein Beschuldigter psychisch auffällig ist oder möglicherweise an einer psychischen Erkrankung leidet, wesentlich für dessen Schuldfähigkeit im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens sein. Dies gilt auch zunächst unab­ hängig davon, ob diese Bewertung fachlich korrekt und begründet ist. Die Überprüfung der Begründetheit der wertenden Beobachtung wird in der Re­ gel erst durch weitere Untersuchungen bewertet werden können, sodass zu­ nächst davon auszugehen ist, dass auch eine fachlich unbegründete Einschät­ zung als erlangte Erkenntnis gelten könnte. Bisher wurden Fälle möglicher Informations- und Datengewinnung ge­ nannt, ohne diese konkret als erlangte Erkenntnisse im Sinne des § 114e S. 1 StPO einzuordnen. Wie bereits eingangs beschrieben, differenziert § 114e S. 1 StPO gerade nicht nach Maßnahmen, Wahrnehmungen oder Umständen, welche mitzuteilen wären, sondern nutzt den Begriff der Erkenntnis als all­ umfassende Beschreibung. Hierbei wird auch nicht nach der Art der Erlan­ gung derselben unterschieden. Folglich sind alle der oben genannten Bei­ spiele der gewonnenen Informationen unter den Begriff der erlangten Er­ kenntnisse zu fassen. Die Ausführungen verdeutlichen somit auch, dass beim Vollzug der Untersuchungshaft eine Vielzahl an Erkenntnissen erlangt werden können, ohne dass § 114e S. 1 StPO eine Befugnis zur Datenerhebung erhält. Soweit die Begriffe „erlangte Erkenntnisse“ nun bestimmt wurden, bleibt weiter zu ermitteln, wie der Informationsaustausch bezüglich dieser Erkennt­ nisse innerhalb der Vollzugsanstalt geregelt sein muss, damit die Vollzugsan­ 626  AnwK-StPO/Lammer, 627  SK-StPO/Paeffgen,

§ 114e Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 11. § 114e Rn. 8 Fn. 16.



C. § 114e StPO259

stalt ihrer Verpflichtung sinnvoll nachkommen kann. Im Regelfall werden Erkenntnisse von Einzelpersonen erlangt und zunächst nicht allgemein inner­ halb der Vollzugsanstalt bekannt sein. Nach der hier vertretenen Ansicht richtet sich die in § 114e S. 1 StPO enthaltene Pflicht zur Übermittlung der Erkenntnisse aber gerade nicht an die in der Vollzugsanstalt tätigen Einzel­ personen selbst, sondern an die Vollzugsanstalt als Institution. Da § 114e StPO jedoch nicht verlangt, dass die Erkenntnisse durch die Vollzugsanstalt erlangt werden, sondern nur, dass sie beim Vollzug der Untersuchungshaft erlangt werden, müssen lediglich Mechanismen gegeben sein, durch welche die Anstaltsleitung die erlangten Erkenntnisse erfährt, um diese sodann wei­ tergeben zu können. a) Informationsübermittlung durch Bedienstete Der Informationsaustausch innerhalb der Vollzugsanstalt wird durch eine Reihe von gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Bestimmungen geregelt, wobei sich teilweise Unterschiede zwischen den verbeamteten Bediensteten und den nicht-verbeamteten Bediensteten ergeben können. Soweit Erkenntnisse von verbeamteten Justizvollzugsbediensteten erlangt werden, ergibt sich die Pflicht zur Weitergabe dieser Erkenntnisse an die Vorgesetzten zunächst aus besonderen beamtenrechtlichen Pflichten. Viele der Landesgesetze sehen vor, dass die Aufgaben der Justizvollzugsanstalten von Beamten der Länder wahrgenommen werden sollen.628 Die Aufgaben sollten nur aus besonderen Gründen auch anderen Bediensteten sowie neben­ amtlichen oder vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden.629 In Bezug auf die im Justizvollzug tätigen Beamten gelten folglich die Bestim­ mungen des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG). Zunächst haben Beamte das „Leitbild vertrauensvoller Zusammenarbeit“ zu beachten, welches in § 34 S. 3 BeamtStG vorausgesetzt wird.630 Es wird somit zunächst das abstrakte Gebot des Zusammenwirkens zwischen den einzelnen Beamten statuiert. In Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Vor­ 628  § 12 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I BW; Art. 37 S. 1 BayUVollzG i. V. m. Art. 176 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG; § 78 S. 2 UVollzG Bln; § 91 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG; § 67 Abs. 1 S. 1 HUVollzG; § 177 Abs. 1 S. 1 NJVollzG; § 43 Abs. 1 S. 1 UVollzG NRW; § 80 Abs. 1 S. 1 SächUHaftVollzG; § 108 Abs. 1 S. 1 JVollzGB I LSA; § 108 Abs. 1 S. 1 ThürJVollzGB. 629  § 12 Abs. 1 S. 2 JVollzGB I BW; Art. 37 S. 1 BayUVollzG i. V. m. Art. 176 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG; § 78 S. 3 UVollzG Bln; § 91 Abs. 1 S. 2 HmbUVollzG; § 67 Abs. 1 S. 2 HUVollzG; § 177 Abs. 1 S. 2 NJVollzG; § 43 Abs. 1 S. 2 UVollzG NRW; § 80 Abs. 1 S. 2 SächUHaftVollzG; § 108 Abs. 1 S. 2 JVollzGB I LSA; § 108 Abs. 1 S. 2 Thür JVollzGB. 630  Vgl. a. Steiner, ZBR 2014, 109.

260

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

gesetzen wird dieses Gebot in § 35 BeamtStG weiter konkretisiert. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 BeamtStG haben Beamte ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. § 35 BeamtStG ist dabei auf Verwaltungsabläufe zugeschnit­ ten, welche nach einem Hierarchieprinzip organisiert sind.631 Wie bereits oben632 beschrieben sind Vollzugsanstalten hierarchisch organisiert, die Norm ist also auf den inneren Aufbau einer Vollzugsanstalt anwendbar. Mit der Beratungs- und Unterstützungspflicht aus § 35 Abs. 1 S. 1 Be­ amtStG soll unter anderem erreicht werden, dass die Beamten unabhängig von einer Aufforderung durch ihre Vorgesetzten aktiv werden.633 Konkret wird aus der Beratungspflicht eine Pflicht zur Information des Vorgesetzen abgeleitet, welche auch als Unterrichtungspflicht bezeichnet wird.634 Die Pflicht wird hierbei vielfach auf Unterrichtungen der Vorgesetzten über mög­ liche Fehlentwicklungen und Missstände sowie Kritik an Entscheidungsab­ sichten der Vorgesetzen bezogen,635 erschöpft sich jedoch nicht in diesen Merkmalen. Die Beamten sind vielmehr verpflichtet, die Vorgesetzen über alle für die Wahrnehmung des Aufgabenbereichs relevanten Tatsachen und wesentlichen Vorgänge zu unterrichten.636 Die untergeordneten Beamten ha­ ben die aufgrund ihrer Sach- und Fachkenntnis in ihrem Aufgabengebiet ge­ wonnenen Erkenntnisse weiterzugeben, da die Vorgesetzen nicht über die entsprechenden Detailkenntnisse verfügen können.637 Das Ziel der Unterrichtungspflicht ist es dabei auch, den Vorgesetzten mögliche Entscheidungen zur weiteren dienstlichen Aufgabenerledigung zu erleichtern oder gar erst zu ermöglichen.638 Daraus folgt, dass die verbeam­ teten Bediensteten ihren Vorgesetzen alle Informationen zu übermitteln ha­ ben, welche diese zu ihrer eigenen Aufgabenerfüllung benötigen. Besonderer Teil der Unterstützungspflicht gegenüber den Vorgesetzen ist es auch, dass den einzelnen Beamten übertragene Aufgaben ausgeführt werden oder ange­

631  Plog/Wiedow/Günther, BeamtStG § 35 Rn. 2; v. Roetteken, in: v. Roetteken/ Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 53, 82. 632  Vgl. oben C.I.3.b)cc). 633  Steiner, ZBR 2014, 109 (112); Schachel, in: Schütz/Maiwald, § 35 BeamtStG Rn. 4. 634  Steiner, ZBR 2014, 109 (113); BeckOK Beamtenrecht Bund/Werres, § 35 Beamt­StG Rn.  6. 635  v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 89; Schachel, in: Schütz/Maiwald, § 35 BeamtStG Rn. 4. 636  Steiner, ZBR 2014, 109 (113); BeckOK Beamtenrecht Bund/Werres, § 62 BBG Rn. 7. 637  Steiner, ZBR 2014, 109 (113). 638  Steiner, ZBR 2014, 109 (112); v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, Be­ amtenstatusgesetz, § 35 Rn. 97.



C. § 114e StPO261

forderte Zuarbeit geleistet wird.639 Das insofern begründete Handlungsgebot der nachgeordneten Beamten erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Umset­ zung dienstlicher Anordnungen und die Vorbereitung dienstlicher Handlun­ gen, sondern auf die gesamte dienstliche Tätigkeit in allen Aufgabengebie­ ten.640 In Bezug auf den Untersuchungshaftvollzug sind die verbeamteten Justiz­ vollzugsbeamten also bereits aus ihrer Beamtenstellung verpflichtet, der An­ staltsleitung die für den Vollzug der Untersuchungshaft relevanten Erkennt­ nisse mitzuteilen. Ohne diese Mitteilung könnte die Anstaltsleitung die ihnen obliegenden Aufgaben gar nicht oder nicht vollumfänglich erfüllen. Insofern verfügen allein die Justizvollzugsbediensteten über die entsprechenden De­ tailkenntnisse, um die Aufgabenerfüllung zu gewährleisten. An dieser Stelle sei kurz darauf hingewiesen, dass die Beratungs- und Unterstützungspflicht keine vollständige Auskunftspflicht begründet. Soweit der betroffene Beamte einer Geheimhaltungspflicht unterliegt oder die Of­ fenbarung von der Zustimmung einer dritten Person abhängt, kann der Vor­ gesetze keine Auskunft verlangen.641 Die Geheimhaltungspflicht gilt insbe­ sondere für Ärzte, welche im öffentlichen Dienst tätig sind642 und kann auch auf die im Vollzug tätigen Ärzte übertragen werden, soweit diese in amtlicher Stellung angestellt sind. Die Beratungs- und Mitteilungspflicht der verbeam­ teten Ärzte ist also durch ihre Schweigepflicht auf bestimmte Erkenntnisse beschränkt. Darüber hinaus finden sich in den Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) Mitteilungspflichten der Vollzugsbediensteten, einschließlich Regelungen zur internen Kommunikation in den Vollzugsan­ stalten. Die Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug wurden von den Landesjustizverwaltungen in bundeseinheitlicher Fassung vereinbart und, mit Ausnahme von Bremen, durch Erlasse als Landesvorschriften aufge­ nommen.643 Auch nach dem Übergang der Gesetzgebungsbefugnis für den in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 96. ZBR 2014, 109 (112). 641  v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 108. 642  v. Roetteken, in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 108. 643  Baden-Württemberg: AV v. 1.7.1976 (Die Justiz S. 357), zuletzt geänd. durch AV v. 19.4.2010 (Die Justiz S. 209); Bayern: Bek. v. 1.7.1976 (JMBl. S. 325), zuletzt geänd. durch Bek. v. 20.10.2005 (JMBl. S. 148); Berlin: AV v. 2.12.2013 (ABl. S. 2557); Brandenburg: AV v. 1.3.1991 (JMBl. S. 5), zuletzt geänd. durch AV v. 6.11.2005 (JMBl. S. 128); Hamburg: AV v. 1.12.1993, v. 28.6.1994 (JVBl. S. 45); Hessen: RdErl. v. 1.7.1976 (JMBl. S. 289), v. 29.10.1986 (JMBl. S. 979; Fortgel­ tungsneuerlass), v. 20.7.1994 (JMBl. S. 327), v. 14.2.1997 (JMBl. S. 253); Mecklenburg-Vorpommern: AV v. 26.2.1991 (ABl. S. 146), zuletzt geänd. durch VwV v. 9.5.2006 (ABl. S. 410); Niedersachsen: AV v. 1.7.1976 (Nds. RPfl. S. 168), zuletzt 639  v. Roetteken, 640  Steiner,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Straf- und Untersuchungshaftvollzug auf die Bundesländer scheinen die Dienst- und Sicherheitsvorschriften in den meisten Bundesländern fortzugel­ ten. So finden sich zumindest in Gerichtsentscheidungen vieler Bundeslän­ der, welche in den letzten Jahren ergangen sind, Verweise auf die Dienst- und Sicherheitsvorschriften im Strafvollzug.644 In Sachsen wurde zudem in einem Verfahren, in welchem eine Justizvollzugsbedienstete im Vollzug der Unter­ suchungshaft tätig war, auf die Vorschriften der DSVollz verwiesen.645 In Baden-Württemberg und Bayern wurden die Verwaltungsvorschriften nach dem Jahr 2010 ausdrücklich übernommen und auch für den Untersuchungs­ haftvollzug für anwendbar erklärt.646 Nr. 9 DSVollz trägt die Überschrift „Meldepflicht“ und legt fest: „Die Bediensteten haben dem Anstaltsleiter oder den von ihm beauftragten Be­ diensteten alle wichtigen Vorgänge unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Ferner sind alle Beobachtungen zu melden, die bedeutsam sind für die Beur­ teilung und die Behandlung der Gefangenen, für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt sowie für die Bearbeitung von Eingaben und Beschwerden. Er­ geänd. durch AV v. 2.2.2006 (Nds. RPfl. S. 82); Nordrhein-Westfalen: AV v. 1.7.1976 (JMBl. S. 189), zuletzt geänd. durch AV v. 19.2.2008 (JMBl. S. 62); Rheinland-Pfalz: VV v. 1.7.1976 (JBl. S. 180), zuletzt geänd. durch VV v. 14.11.2005 (JBl. S. 231); Saarland: AV v. 1.7.1976 (GMBl. S. 596); Sachsen: AnO v. 4.10.1990 (nicht veröf­ fentlicht), VV v. 20.7.1994 (JMBl. S. 83); Sachsen-Anhalt: AO v. 02.10.1990 (ABl. LSA 1990, S. 7), zuletzt geändert durch AV vom 8.12.2005 (JMBl. LSA 2006, S. 17); Schleswig-Holstein: AV v. 1.7.1976 (SchlHA S. 122), v. 7.7.1983 (SchlHA S. 151), v. 16.10.2001 (SchlHA S. 251); Thüringen: VV v. 11.10.1990 (JMBl. S. 9), v. 1.8.1994 (JMBl. S. 119), v. 11.4.2002 (JMBl. S. 27). 644  Berlin: VG Berlin, Beschluss vom 15. Mai 2020 – 28 L 388.19 –, juris Rn. 74, 76; Hamburg: Hamburgisches Verfassungsgericht, Beschluss vom 23. März 2015 – 2/14 –, juris Rn. 63 f.; Hessen: VG Magdeburg, Urteil vom 01. Oktober 2019 – 15 A 15/18 –, juris Rn. 25, 27; Niedersachsen: OVG Lüneburg, Beschluss vom 08. August 2017 – 5 LA 193/16 –, juris Rn. 17; Nordrhein-Westfalen: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05. Dezember 2018 – 3d A 931/14.O –, juris Rn.  49 ff.; Rheinland-Pfalz: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Juni 2020 – 3 A 11024/19 –, juris Rn. 67 ff.; Saarland: Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 15. Dezember 2017 – 7 K 753/17 –, juris Rn. 3 f.; Sachsen: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 07. Februar 2020 – 12 A 549/18.D –, juris Rn. 43 ff.; Sachsen-Anhalt: VG Magdeburg, Urteil vom 01. Oktober 2019 – 15 A 15/18 –, juris Rn. 25, 27. 645  Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 07. Februar 2020 – 12 A 549/18.D. 646  Baden-Württemberg: Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums zur Ände­ rung der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) vom 19. April 2010, 4430/0169 (Die Justiz 2010, S. 209); Bayern: Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz über Ergänzende Bestimmungen für die Anwendung der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (Ergänzende Anwendungsbestimmungen DSVollz – ErgAnwBestDSVollz) vom 30. November 2020 (BayMBl. Nr. 808).



C. § 114e StPO263

krankungen von Gefangenen sind dem Anstaltsarzt anzuzeigen.“ Somit ergibt sich auch aus den DSVollz eine Verpflichtung der Bediensteten zur Mittei­ lung von bestimmten Erkenntnissen an die Anstaltsleitung. Diese Mittei­ lungspflicht ist jedoch nicht ausschließlich auf die Beamten bezogen, da die Vorschrift allgemein von Bediensteten spricht. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Mitteilungspflicht nach Nr. 9 DSVollz, nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs, ausschließlich der Gewährleistung eines funktionsfähigen und ordnungsgemäßen Strafvollzugs dient.647 Diese Aussage bezog sich allerdings vorrangig auf die Frage, ob Strafvollzugsbeamte aus Dienst- und Verwaltungsvorschriften verpflichtet seien, strafbare Handlungen, die andere Bedienstete der Anstalt an Gefange­ nen verübt haben, bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen.648 Die Strafvollzugsbeamten seien aus Nr. 9 DSVollz zwar verpflichtet, entspre­ chende Mitteilungen an die Anstaltsleitung zu machen, nicht jedoch Anzei­ gen zu erstatten.649 Die Aussage des Bundesgerichtshofs hinsichtlich des Funktionszweckes von Nr. 9 DSVollz bezieht sich folglich auf die Frage dessen Geltungsbereiches. Die Vorschrift gilt innerhalb der Vollzugsanstalt folglich uneingeschränkt, verpflichtet die Beamten jedoch nicht, Mitteilun­ gen an andere Stellen als die Anstaltsleitung zu tätigen. Abschließend bleibt hier festzuhalten, dass Nr. 9 DSVollz, soweit diese von den Ländern umgesetzt wurden, alle in der Vollzugsanstalt tätigen Be­ diensteten verpflichtet „alle wichtigen Vorgänge zur Kenntnis zu bringen [und] alle Beobachtungen zu melden, die bedeutsam sind für die Beurteilung und die Behandlung der Gefangenen [sowie] für die Sicherheit oder Ord­ nung der Anstalt.“ Somit ergibt sich hieraus eine Mitteilungspflicht gegen­ über der Anstaltsleitung bezüglich der beim Vollzug der Untersuchungshaft erlangten Erkenntnisse im Sinne des § 114e S. 1 StPO. Die erlangten Er­ kenntnisse können nämlich sowohl wichtige Vorgänge wie auch Beobach­ tungen sein. b) Informationsübermittlung durch Anstaltsärzte In Bezug auf die Mitteilungspflichten des Anstaltsarztes gegenüber der Anstaltsleitung sind zudem weitere Differenzierungen vorzunehmen. Weiter oben wurde bereits besprochen, welchen Offenbarungspflichten der Anstalts­ arzt im Rahmen des Strafvollzugs unterworfen ist.650 Neben den Strafvoll­ 647  BGH,

Urteil vom 30. April 1997 – 2 StR 670/96 –, juris Rn. 17. ebenda. 649  BGH, ebenda. 650  S. o. unter B.II. 648  BGH,

264

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

zugsgesetzen der Länder enthalten auch die Untersuchungshaftvollzugsge­ setze der Länder Bestimmungen, welche den Anstaltsarzt verpflichten, be­ stimmte Informationen der Anstaltsleitung gegenüber zu offenbaren. Soweit die Bundesländer eigene Gesetze zum Datenschutz im Justizvoll­ zug erlassen haben, gelten die oben in Bezug auf den Strafvollzug getätigten Ausführungen ebenso für den Untersuchungshaftvollzug.651 Der Anstaltsarzt hat also nur die oben genannten Informationen gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren. Ebenso gelten die obigen Ausführungen652 zu den Offenba­ rungspflichten in den Landesgesetzen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen entsprechend im Untersuchungshaftvollzug. Die genannten Bundesländer haben jeweils einheitliche Gesetze zur Rege­ lung des Straf- und Untersuchungshaftvollzugs erlassen, folglich gelten die­ selben Pflichten in beiden Arten des Vollzugs. In Bayern finden die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes zu den Offen­ barungspflichten und -befugnissen des Anstaltsarztes über Art. 36 Bay­ UVollzG entsprechende Anwendung im Untersuchungshaftvollzug. Die Re­ gelung des § 57 HUVollzG ist wortgleich mit der Regelung des § 61 HSt­ VollzG, folglich wir hier ebenfalls auf die obigen Ausführungen verwiesen.653 Der Anstaltsarzt ist folglich auch im Rahmen des Untersuchungshaftvoll­ zugs nicht verpflichtet, sich vollumfänglich gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren. Seine Mitteilungspflicht ist auf die oben654 genannten Tatsachen beschränkt. Darüber hinaus trifft ihn keine weitere Mitteilungspflicht, auch wenn er beim Vollzug der Untersuchungshaft Erkenntnisse erlangt. c) Zwischenfazit Abschließend bleibt festzuhalten, dass § 114e S. 1 StPO keine Befugnis zur Datenerhebung enthält, beim Vollzug der Untersuchungshaft aber eine Viel­ zahl an Informationen erlangt werden. Der Begriff der Erkenntnisse ist weit zu verstehen und umfasst sämtliche Informationen, welche beim Vollzug der Un­ tersuchungshaft in Bezug auf einen Beschuldigten bekannt werden. Die Ausführungen zeigen zudem, dass es keiner direkten Verpflichtung der Justizvollzugsbediensteten zur Informationsübermittlung aus § 114e S. 1 StPO bedarf, da der Informationsfluss innerhalb der Vollzuganstalt anderwei­ 651  Dies betrifft die Bundesländer Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vor­ pommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. 652  S. o. unter B.II. bei den entsprechenden Bundesländern. 653  S. o. unter B.II.5. 654  S. o. unter B.II.



C. § 114e StPO265

tig sichergestellt ist. Zwar enthält § 114e S. 1 StPO keine Vorgaben für die Kommunikation innerhalb der Vollzugsanstalt, der Informationsfluss inner­ halb der Anstalt wird jedoch durch andere Vorschriften sichergestellt. Inso­ fern wird auch nach der hier vertretenen Ansicht sichergestellt, dass die Pflicht des § 114e S. 1 StPO nicht ins Leere läuft. Wie die voranstehenden Ausführungen zeigen, ist gewährleistet, dass die Anstaltsleitung die erlangten Erkenntnisse erfährt und diese folglich auch an die Empfänger weiterleiten kann. 2. Bedeutung für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger aus Sicht der Vollzugsanstalt Anders als in der Regelung des § 114d StPO655 normiert, müssen die er­ langten Erkenntnisse nicht für die Erfüllung der Aufgaben erforderlich, son­ dern nur von Bedeutung sein.656 In dem ursprünglichen Regierungsentwurf war noch eine Regelung entsprechend § 114d Abs. 1 S. 2 Nr. 7 StPO vorge­ sehen, wonach die Vollzugsanstalt „Daten, deren Kenntnis für das gegen den Beschuldigten anhängige Verfahren erforderlich ist“ zu übermitteln habe.657 Dieser Empfehlung folgte der Gesetzgeber jedoch nicht und begründete dies damit, dass „eine solche Regelung nicht verständlich sei und die Bedienste­ ten der Vollzugsanstalten zudem nicht wissen könnten, welche ‚Daten‘ im Einzelfall ‚erforderlich‘ seien und welche nicht.“658 Ob die jetzige Formulierung zu der Verständlichkeit der Norm und der Beurteilung der Bedeutung der Erkenntnisse durch die Vollzugsanstalt beige­ tragen hat, mag bezweifelt werden.659 So stellt sich auch weiterhin die Frage, nach welchen Kriterien die Bedeutung bzw. die Verfahrensrelevanz der ein­ zelnen Erkenntnisse beurteilt werden soll.660 Die Vollzugsanstalt verfügt über keinerlei konkrete Grundlagen für die Prüfung der Frage, was verfahrensre­ levant ist und was nicht.661 Auch sind die Begriffe erforderlich und Bedeutung beide gleichsam unbestimmt, sodass auch nach der jetzigen Formulie­ rung keine Klarheit geschaffen wurde, sondern die Relevanz der Erkenntnisse weiterhin nach dem Wissen und der subjektiven Einschätzung der Vollzugs­ anstalt bewertet werden muss. 655  Vgl.

hierzu auch oben unter C.I.3.b)ff). § 114e Rn. 2. 657  Vgl. BT-Drs. 16/11644, S. 21. 658  BT-Drs. 16/11644, S. 21; zust. KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 4. 659  Vgl. a. SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 6b. 660  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 5. 661  Weider, StV 2010, 102 (109). 656  SSW-StPO/Herrmann,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Bereits während der Beratungen zu dem Gesetzesentwurf ist, mit Recht, darauf hingewiesen worden, dass letztlich jede Art von Informationen über einen Untersuchungsgefangenen für das Strafverfahren bedeutsam sein kön­ nen.662 Insbesondere der Hinweis der Gesetzesbegründung, dass solche Er­ kenntnisse von Belang sein sollen, welche für „die strafrechtliche Schuld“ einer Person bedeutsam sein können, stellt hier keine Annäherung oder Einschränkung, sondern eine eher konturenarme Erweiterung der Relevanz dar. So können nahezu alle Informationen zur Person und zu der Persönlich­ keit eines Beschuldigten für seine strafrechtliche Schuld relevant sein. Bei­ spielhaft seien hier nur folgende Informationen genannt: das Verhalten ge­ genüber den Bediensteten und Mitgefangenen kann potenziell aggressives oder zurückhaltendes Verhalten kennzeichnen, die Religionsausübung kann auf eine religiöse Motivation der Tat schließen lassen, der Schriftverkehr oder die Lesegewohnheiten können auf eine politische Motivation hindeuten und eine psychische Auffälligkeit kann die Schuldfähigkeitsbeurteilung be­ rühren.663 Würde die Norm verlangen, dass alle diese Erkenntnisse von der Vollzugs­ anstalt mitgeteilt werden müssten, würde dies den Vollzug der Untersu­ chungshaft sowohl für die Vollzugsbediensteten wie auch für den Beschul­ digten schwierig gestalten.664 Für die Vollzugsbediensteten würde dies be­ deuten, dass sie sich zunächst einmal alle Informationen, welche in irgendei­ ner Weise bedeutsam sein könnten, notieren oder merken müssten. Im normalen Vollzugsalltag haben die Bediensteten oft mit vielen Beschuldigten Kontakt und können auch viele Informationen erhalten. In einem ersten Schritt müssten also zunächst alle Informationen über die jeweiligen Perso­ nen festgehalten werden. In einem zweiten Schritt müssten die Informationen dann nach deren Bedeutung geordnet werden. § 114e S. 1 StPO knüpft zwar allein an die subjektive Einschätzung der Vollzugsanstalt bezüglich der Be­ deutsamkeit der Erkenntnisse an.665 Ihr steht also ein Ermessensspielraum dahingehend zu, ob sie die Informationen als bedeutsam einordnet oder nicht.666 Dies bedeutet aber auch, dass die Informationen zunächst durch die Justizvollzugsangestellten auf ihre Bedeutung überprüft werden müssten, da sie danach entscheiden müssen, ob die Informationen an die Anstaltsleitung weitergeleitet werden müssen. Sollten Informationen von den Justizvoll­ zugsangestellten nicht weitergeleitet werden, kann diese Entscheidung über­ prüft und gegebenenfalls auch disziplinarrechtlich geahndet werden. Somit 662  Löwe/Rosenberg/Lind,

§ 114e Rn. 7. StV 2010, 102 (109); Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 7. 664  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 8. 665  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 6; SSW-StPO/Herrmann, § 114e Rn. 2. 666  SSW-StPO/Herrmann, § 114e Rn. 2. 663  Weider,



C. § 114e StPO267

besteht auch die Gefahr, dass im Zweifel alle Informationen weitergeleitet werden, welche irgendwie belangreich erscheinen, um sich später nicht dem Vorwurf auszusetzen, bedeutsame Informationen nicht weitergeleitet zu ha­ ben.667 Für die Justizvollzugsangestellten könnte dies mehr Arbeit und somit eine zusätzliche Belastung darstellen. Daneben könnte eine weite Auslegung der „Bedeutung für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger“ auch in Bezug auf die Beschuldigten Prob­ leme mit sich bringen. So könnte es sich für den Beschuldigten so darstellen, als würde sein gesamtes Verhalten beobachtet und die hierbei gewonnenen Informationen würden zur Bewertung seiner Schuld an das Gericht und die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden.668 Dies könnte einen Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit des Beschuldigten darstellen.669 Zudem könnte ein Gefühl des Überwachtwer­ dens das Verhalten und die Lebensweise des Beschuldigten maßgeblich be­ einflussen.670 In der Folge könnte sich das Verhalten des Beschuldigten auch an diese Situation anpassen oder grundlegend verändern, sodass bereits fraglich wird, ob die beobachteten Informationen überhaupt noch für das gerichtliche Verfahren relevant sein können. Sicherlich kann das Verhalten eines Beschuldigten während des Vollzugs der Untersuchungshaft im gericht­ lichen Verfahren relevant sein. Wenn sich dieses Verhalten jedoch vollkom­ men anders darstellt als das Verhalten des Beschuldigten zur Tatzeit, kann dies die Beurteilung der Schuld des Beschuldigten eher erschweren als er­ leichtern. Angesichts der Schwierigkeiten, welche sich aus diesen Umständen erge­ ben, und einer möglichen Verfassungswidrigkeit der Vorschrift, wird von vielen Seiten eine enge Auslegung der Merkmale des § 114e S. 1 StPO ge­ fordert.671 Eine solche enge Auslegung wird unter unterschiedlichen Ge­ sichtspunkten vorgenommen. Zum einen wird hier auf das Recht auf infor­ mationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten abgestellt. So seien die Mitteilungen auf das offensichtlich unbedingt notwendige zu beschränken672 oder auf solche Erkenntnisse zu beschränken, deren Kenntnis für das anhän­ gige Strafverfahren „unerlässlich“ sei.673 Diese Einschränkungen können 667  BRAK-Stellungnahme

37/2008, S. 7; Weider, StV 2010, 102 (109). 37/2008, S. 7; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 8. 669  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 7 f. 670  Weider, StV 2010, 102 (109); Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 8. 671  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S.  8; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 6; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 9; AnwK-UHaft/König, § 114e Rn. 1; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 8. 672  AnwK-UHaft/König, § 114e Rn. 1. 673  BRAK-Stellungnahme 37/2008, S. 8. 668  BRAK-Stellungnahme

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung insofern Rechnung tragen, indem sie den Umfang der zu übermittelnden Informationen verringern. Zum anderen wird auf die von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht zu erfüllenden Aufgaben im Rahmen der Untersuchungshaft abgestellt.674 Von Bedeutung für die Aufgabenerfüllung der genannten Stellen seien nur dieje­ nigen Erkenntnisse, welche für den Haftgrund oder die Haftgründe erheblich oder bedeutsam sein könnten.675 Zudem solle es statthaft sein, neben den allgemeinen Übermittlungspflichten, wie sie sich etwa aus §§ 138 f. StGB ergeben, diejenigen Informationen zu übermitteln, die den engen Bereich der anstaltsbezogenen Gefahrenabwehr beträfen.676 Die Bedeutsamkeit der haft­ grundbezogenen Informationen könne die Vollzugsanstalt auch zuverlässig bewerten, wohingegen eine Bewertung der Bedeutsamkeit für die strafrecht­ liche Schuld weniger zuverlässig gewährleistet werden könnte.677 Die Voll­ zugsanstalt wird in der Regel über die Kenntnisse und Erfahrung verfügen, um einschätzen zu können, ob von einem Beschuldigten besondere Gefahren ausgehen oder ob eine akute Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht. Folglich wird sie in Bezug auf diese Umstände auch begründete Einschät­ zungen treffen können. Soweit Erkenntnisse die „strafrechtliche Schuld“ be­ träfen, seien diese jedoch nicht vollkommen von der Mitteilungspflicht aus­ zunehmen.678 Diejenigen Umstände, welche die Rechtsfolgenentscheidung beträfen, könnten ebenfalls mitzuteilen sein, da etwa die konkrete Strafer­ wartung die Beurteilung der Fluchtgefahr mitbestimmen könne.679 Es be­ stehe hingegen keine Mitteilungspflicht in Bezug auf Erkenntnisse, welche allein den Tatvorwurf oder die Sicherheit und Ordnung der Anstalt beträ­ fen.680 Die Einschränkung der Bedeutsamkeit der Erkenntnisse unter Berücksich­ tigung der Aufgabenerfüllung der Empfänger erscheint zielführend, soweit auf den Haftgrund oder die Haftgründe abgestellt wird. Legt man diese enge Auslegung der Vorschrift unter Berufung auf die Aufgabenerfüllung der Empfänger zugrunde, so erleichtert dies auch die Frage, auf welcher Grund­ lage die Bedeutung der Erkenntnisse durch die Vollzugsanstalt zu bewerten ist. Die einzelnen Justizvollzugsangestellten werden aufgrund ihrer Erfahrun­ gen im Untersuchungshaftvollzug begründete Bewertungen hinsichtlich Flucht- oder Verdunkelungsgefahren vornehmen können. Zudem können da­ 674  Löwe/Rosenberg/Lind,

§ 114e Rn. 10 ff. § 114e Rn. 11; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 8. 676  SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 8. 677  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 11. 678  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 11. 679  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 11; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 8. 680  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 12. 675  Löwe/Rosenberg/Lind,



C. § 114e StPO269

neben Vorkommnisse im Bereich der anstaltsbezogenen Gefahrenabwehr angemessen auf ihre Bedeutsamkeit überprüft werden. Auch in diesem Be­ reich werden die Justizvollzugsbediensteten in der Regel über entsprechende Erfahrung verfügen, um solche Vorkommnisse zu beurteilen. Das Abstellen auf die hier genannten bedeutsamen Erkenntnisse vermeidet zudem eine mögliche Totalüberwachung oder Bespitzelung der Beschuldigten, da die Justizvollzugsbediensteten eben gerade nicht jedwede Erkenntnisse festhalten und auf ihre mögliche Bedeutsamkeit untersuchen müssen. Die Prüfung der Bedeutung der Erkenntnisse für die Aufgabenerfüllung der Empfänger kann schließlich auf zwei Ebenen erfolgen. Zum einen kön­ nen die direkten Empfänger der Erkenntnisse, also die Justizvollzugsbe­ diensteten oder die Mitarbeitenden der Fachdienste, selbst beurteilen, ob sie die Erkenntnisse rein subjektiv als bedeutsam empfinden. Diese Pflicht zur Beurteilung der Bedeutung der Informationen durch die Erkenntnisempfän­ ger selbst ergibt sich nicht nur aus § 114e S. 1 StPO. Für die verbeamteten Mitarbeitenden der Vollzugsanstalt folgt sie auch aus den beamtenrechtli­ chen Pflichten. So normiert § 35 Abs. 1 S. 1 BeamtStG, wie bereits oben genannt, die Pflicht, die Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Dabei sollen auch mögliche Entscheidungen des Vorgesetzten erleichtert oder er­ möglicht werden.681 Die vorgelagerte Prüfung der Bedeutung der Erkennt­ nisse durch einzelne Justizvollzugbedienstete dient sowohl der Ermöglichung wie auch der Erleichterung der weiteren Handlung der Anstaltsleitung. So wird sich erst aus der Bedeutsamkeit der Erkenntnisse ableiten lassen, ob eine weitere Entscheidung der Anstaltsleitung, nämlich die Entscheidung zur Übermittlung an die Staatsanwaltschaft und das Gericht, erforderlich wird. Die Beratungspflicht beinhaltet zudem auch eine Prüfungspflicht von Ent­ scheidungen, Entscheidungsabsichten oder -vorschlägen der Vorgesetzten, sowohl in rechtlicher Hinsicht wie auch nach Zweckmäßigkeitserwägun­ gen.682 Auch diesem Kriterium der Beratungspflicht kann durch eine vorge­ zogene Bewertung der Bedeutung der Erkenntnisse Rechnung getragen werden. Auf einer zweiten Ebene kann die Anstaltsleitung die Erkenntnisse eben­ falls auf ihre Bedeutsamkeit überprüfen, nachdem sie alle hierfür erforder­ lichen Informationen von den entsprechenden Justizvollzugsbediensteten er­ fahren hat. Somit kann sichergestellt werden, dass keine bedeutungslosen Erkenntnisse übermittelt werden. Die erneute Prüfung der Bedeutung durch die Anstaltsleitung kann hier ein Korrektiv in Bezug auf die vorherige sub­ jektive Einschätzung des mitteilenden Justizvollzugsbediensteten darstellen. Auch in Fällen, in welchen keine vorherige Prüfung stattgefunden hat, wird 681  v. Roetteken, 682  v. Roetteken,

in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 97. in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 35 Rn. 89.

270

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

somit sichergestellt, dass zumindest durch die Anstaltsleitung die Bedeutung der Erkenntnisse überprüft wird. Durch diese zweistufige Prüfung kann zu­ dem sichergestellt werden, dass nicht unnötig in das Recht auf informatio­ nelle Selbstbestimmung des Beschuldigten eingegriffen wird. Durch die An­ legung eines zweiten Maßstabs kann die Anstaltsleitung zu starke Eingriffe oder verletzende Erkenntnisübermittlungen verhindern. 3. Keine anderweitige Kenntnis Die Pflicht zur Übermittlung der als von Bedeutung befundenen Informa­ tionen wird schließlich unter den Vorbehalt gestellt, dass diese den Empfän­ gern noch nicht anderweitig bekannt geworden sind. Nach der Gesetzesbe­ gründung sollen durch diese Einschränkung „vermeidbare Eingriffe“ in das informationelle Selbstbestimmungsrecht und überflüssiger Aufwand „vermie­ den werden“.683 Inwiefern durch das Kriterium „nicht anderweitig bekannt“ das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt werden soll, erschließt sich je­ doch nicht. Dies soll das nachstehende Gedankenspiel verdeutlichen, in welchem angenommen wird, dass Informationen über einen Beschuldigten vorliegen oder bekannt werden, welche in den Kernbereich des Persönlich­ keitsrechts fallen. Nimmt man an, dass innerhalb der Vollzugsanstalt Infor­ mationen bekannt werden, welche der Staatsanwaltschaft und dem Gericht bereits bekannt sind, so stellt das Bekanntwerden innerhalb der Vollzugsan­ stalt unter Umständen einen eigenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten dar. Hierbei kommt es auch nicht da­ rauf an, dass der Staatsanwaltschaft und dem Gericht die Informationen be­ reits bekannt waren. Werden innerhalb der Vollzugsanstalt nun aber Informa­ tionen bekannt, welche für die Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft und dem Gericht von Bedeutung und diesen noch nicht bekannt sind, so müssen diese ohnehin nach § 114e S. 1 StPO übermittelt werde. In diesem Falle stellt die Einschränkung der fehlenden Kenntnis gerade auch kein Korrektiv dar. In das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird auch in diesem Fall eingegriffen, daran ändert auch der Vorbehalt der fehlenden Kenntnis nichts. Der Sinn und Zweck des Vorbehalts kann es also nur sein, einen erneuten Eingriff in das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung zu verhindern, wenn bereits bekannt Informationen wiederholt übermittelt werden. Die insoweit vom Gesetzgeber gewählte Formulierung des Vorbehalts führt auch in der Literatur zu weiterer Kritik an der Konturenarmut der

683  BT-Drs.

11/11644, S. 21.



C. § 114e StPO271

Norm.684 So wird bemängelt, dass die Norm wenig praktikabel sei, soweit die Vollzugsanstalt einschätzen solle, ob bestimmte Informationen dem ­Gericht oder der Staatsanwaltschaft bereits anderweitig bekannt geworden seien.685 Schließlich enthalten weder die Norm noch die Gesetzesbegründung Kriterien oder Methoden, nach denen die Unkenntnis ermittelt werden kann. Auch wenn dem Wissensdefizit durch Nachfragen abgeholfen werden könne, würde dies nur unter unnötigem Aufwand geschehen können.686 Der Vorbe­ halt führt, sofern er von der Vollzugsanstalt vollumfänglich beachtet würde, sodann zu mehr Aufwand für die Vollzugsanstalt und vermeidet diesen nicht. Auf der anderen Seite wird behauptet, dass die Einschränkung in der Pra­ xis ohnehin häufig ins Leere laufen würde, da der Vollzugsanstalt der Kennt­ nisstand des Gerichts und der Staatsanwaltschaft häufig nicht bekannt sein werde.687 Diese Erwägung zeigt, dass der Vorbehalt für die Übermittlung von Erkenntnissen wohl unpraktikabel sein dürfte. Soweit man mit der hier vertretenen Ansicht darauf abstellt, dass die An­ staltsleitung die Erkenntnisse im Namen der Vollzugsanstalt zu übermitteln hat, kann die fehlende Kenntnis der Empfänger zumindest sinnvoller über­ prüft werden, als wenn die einzelnen Justizvollzugsbediensteten dies tun müssten. Der Anstaltsleitung werden die den Beschuldigten betreffenden Akten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts in der Regel vorliegen. Folg­ lich wird die Anstaltsleitung durch Sichtung der Akten zumindest in Grund­ zügen feststellen können, welche Informationen bereits aktenkundig, also bekannt, sind und welche nicht. Kann von der Anstaltsleitung aus der Aktenlage nicht festgestellt werden, ob die Erkenntnisse den Empfängern bereits bekannt sind, werden die Er­ kenntnisse zumindest zu einem gewissen Teil übermittelt werden müssen. Bei einer Nachfrage, ob eine Erkenntnis bereits bekannt ist, wird ein Teil des Inhalts der Erkenntnis notwendigerweise offenbart werden müssen. Anderen­ falls kann nämlich gar nicht festgestellt werden, ob die spezifische Kenntnis besteht. In diesem Zusammenhang bietet sich jedoch etwa eine schrittweise Offenbarung des Inhaltes der Erkenntnis an. So kann etwa durch Übermitt­ lung eines Datums oder des groben Zusammenhanges zunächst überprüft werden, ob die Erkenntnis vielleicht bereits vorhanden ist. Mit einer solchen schrittweisen Offenbarung von Teilinformationen kann zumindest verhindert

684  NK-GS/Laue, § 114e StPO Rn. 2; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 4; SKStPO/Paeffgen, § 114e Rn. 5. 685  NK-GS/Laue, § 114e StPO Rn. 2; Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 4; SKStPO/Paeffgen, § 114e Rn. 5. 686  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 4. 687  HK-StPO/Posthoff, § 114e Rn. 2.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

werden, dass unverhältnismäßig viele Informationen offenbart werden, nur um die bisherige Unkenntnis der Empfänger festzustellen. 4. Zusammenfassende Betrachtung § 114e StPO begründet eine Pflicht zur Übermittlung von Erkenntnissen, welche aus Sicht der Vollzugsanstalt für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Bedeutung und diesen nicht anderweitig bekannt sind. Der Begriff der Erkenntnisse ist hierbei weit zu verstehen und umfasst jegliche in der Vollzugsanstalt bekannt gewordenen Informationen. Aufgrund der Weite dieses Merkmals ist eine enge Auslegung der Vorschrift geboten. Diese enge Auslegung hat am Merkmal der Bedeutung für die Aufgabenerfüllung der Empfänger zu erfolgen. So sind allein diejenigen Erkenntnisse als bedeutsam einzustufen, welche den Haftgrund oder die Haftgründe berühren. Dies schließt auch Umstände ein, welche die Rechtsfolgenentscheidung betreffen, sofern diese auf die Haftgründe zurückwirken. Im Einzelfall können zudem Erkenntnisse der anstaltsbezogenen Gefahrenabwehr für die Empfänger von Bedeutung sein. Die Bedeutung der Erkenntnisse sollte zunächst durch die einzelnen Jus­ tizvollzugsbediensteten und darauffolgend durch die Anstaltsleitung ermittelt werden. Diese zweistufige Prüfung kann verhindern, dass unnötigerweise durch eine Erkenntnisübermittlung in das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung des Beschuldigten eingegriffen wird. Zudem kann durch die An­ staltsleitung überprüft werden, ob die Erkenntnisse in rechtmäßiger Weise erlangt wurden und weitergegeben werden dürfen. Bereits die Übermittlung nicht in gesetzeskonformer Weise erhobener Daten ist rechtswidrig.688 Folg­ lich wäre erst recht die Weitergabe solcher Daten rechtswidrig. Bei verfassungskonformer Auslegung enthält § 114e S. 1 StPO eine Regel­ verpflichtung zur Datenübermittlung; in Fällen der persönlichkeitsverletzen­ den Kenntniserlangung und in Fällen der gesetzeswidrigen Kenntniserlan­ gung ist von einer Datenübermittlung abzusehen.689 Der Vollzugsanstalt steht folglich kein freies Ermessen in Bezug auf die Übermittlung zu, wenn die Kriterien der Norm erfüllt sind, es sei denn die Erkenntnis wurde in rechtwidriger Weise erlangt.

688  SK-StPO/Paeffgen,

§ 114e Rn. 7. Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 6; AnwK-StPO/Lammer, § 114e Rn. 1. 689  BeckOK



C. § 114e StPO273

IV. Offenbarungspflichten und -befugnisse des Anstaltsarztes unter Berücksichtigung des § 114e StPO Wie zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, bezieht sich dieser Teil der Un­ tersuchung auf die zentralen Anzeige- und Offenbarungspflichten des An­ staltsarztes aus §§ 138 i. V. m. 139 Abs. 3 StGB, § 182 Abs. 2 StVollzG bzw. den Landesstrafvollzugsgesetzen und § 114e StPO. Nach einer Analyse des § 114e S. 1 StPO begründet diese Vorschrift nach der hier vertretenen An­ sicht jedoch keine Offenbarungspflicht des Anstaltsarztes. Die Norm richtet sich nämlich gerade nicht an den Anstaltsarzt selbst, sondern vielmehr an die Vollzugsanstalt in ihrer Gesamtheit. Obwohl § 114e S. 1 StPO also keine Offenbarungspflicht des Anstaltsarz­ tes selbst begründet, sind in diesem Zusammenhang weitergehende Fragen in Bezug auf spezifische Offenbarungspflichten von Anstaltsärzten im Rahmen der Untersuchungshaft zu beantworten. So wurde oben690 bereits darauf verwiesen, dass den Anstaltsarzt auch im Rahmen der Untersuchungshaft Offenbarungspflichten und -befugnisse aus den Landesgesetzen treffen. Dar­ über hinaus könnte sich für den Anstaltsarzt aber eine besondere, aus § 114e S. 1 StPO abgeleitete, Offenbarungspflicht in Bezug auf geplante oder be­ gangene Straftaten im Rahmen der Untersuchungshaft ergeben. Die Ver­ pflichtung der Vollzugsanstalt, erlangte Erkenntnisse zu übermitteln, könnte Anstaltsärzte indirekt dazu anhalten, gegenüber der Anstaltsleitung mehr In­ formationen in Bezug auf geplante oder begangene Straftaten preiszugeben, als dies eigentlich nach den landesgesetzlichen Bestimmungen vorgesehen ist. Diese Fragen sind im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs besonders relevant, da sich sowohl die Offenbarung geplanter Straftaten wie auch die Offenbarung begangener Straftaten auf die Vollstreckung der Untersuchungs­ haft und gegebenenfalls auch auf das zu erwartende Strafmaß auswirken können. Schließlich wird die Untersuchungshaft auch gerade wegen einer oder mehrerer begangener Straftaten vollstreckt, weswegen auf Seiten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts ein gesteigertes Interesse daran bestehen könnte, möglichst viele Informationen zu erlangen, welche in Zusammen­ hang mit der konkreten Straftat, weiteren Straftaten oder dem betroffenen Gefangenen selbst stehen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu untersuchen, ob die Mittei­ lungspflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e StPO zu ihrer Aufgabenerfüllung im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs zählt bzw. ob die Mitteilungs­ pflicht ein vollzuglicher Zweck ist. Diese Frage wird insbesondere dann re­ 690  S. o.

unter C.III.1.b).

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

levant, wenn die landesgesetzlichen Regelungen für den Anstaltsarzt eine Offenbarung zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt oder zu vollzuglichen Zwecken vorsehen. Darüber hinaus könnte die Pflicht der Vollzugsanstalt zur Mitteilung aus § 114e S. 1 StPO dazu führen, dass die Abwägungsentscheidung im Rahmen der Offenbarungsbefugnis des Anstaltsarztes in Richtung einer Offenbarung gelenkt wird. Auch hier bleibt zu erörtern, inwiefern die Pflicht der Vollzugs­ anstalt zur Mitteilung Auswirkungen auf die Offenbarungsbefugnisse des Anstaltsarztes haben kann. 1. Offenbarung geplanter Straftaten Zunächst gelten im Untersuchungshaftvollzug dieselben allgemeinen Of­ fenbarungspflichten, in Bezug auf geplante Straftaten, wie außerhalb des Vollzugs. Soweit dem Anstaltsarzt also im Rahmen des Untersuchungshaft­ vollzugs bekannt wird, dass eine Straftat geplant wird, welche in den Anwen­ dungsbereich der §§ 138, 139 Abs. 3 StGB fällt, hat er dies zu offenbaren. Insoweit gelten für diese Offenbarungspflicht die bereits oben erläuterten Voraussetzungen.691 Sofern der Anstaltsarzt die geplante Straftat der Anstaltsleitung gegenüber offenbart, hat er seine Verpflichtung vollumfänglich erfüllt.692 Es ist sodann die Aufgabe der Anstaltsleitung, diese Informationen an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten oder gegebenenfalls die erforderlichen Schritte einzu­ leiten. Die Pflicht zur Weiterleitung der erlangten Informationen aus § 114e S. 1 StPO verändert die Anzeigepflichten nach §§ 138, 139 Abs. 3 StGB für den Anstaltsarzt selbst nicht. Vielmehr wird die Pflicht aus § 114e S. 1 StPO von der Anzeigepflicht aus §§ 138, 139 Abs. 3 StGB ergänzt. Die Erfüllung der Anzeigepflicht aus §§ 138, 139 Abs. 3 StGB durch den Anstaltsarzt kann eine Pflicht zur Weiterleitung der Informationen aus § 114e S. 1 StPO seitens der Anstaltsleitung nach sich ziehen; andersherum beeinflusst die Pflicht aus § 114e S. 1 StPO jedoch nicht, welche Straftaten der Anstaltsarzt anzuzeigen hat, da die §§ 138, 139 Abs. 3 StGB hier abschließende Bestimmungen tref­ fen. Wird dem Arzt hingegen bekannt, dass eine Straftat geplant wird, welche nicht in den Anwendungsbereich der §§ 138, 139 Abs. 3 StGB fällt, ist eine differenziertere Betrachtung, unter Berücksichtigung der Art und Umstände der konkret geplanten Straftat, notwendig. Die jeweils möglichen Auswir­ kungen der geplanten Straftat bzw. die Gefährdung, welche von der geplan­ 691  Vgl. 692  Vgl.

ausführlich oben unter A. hierzu oben unter A.II.



C. § 114e StPO275

ten Straftat ausgehen kann, können Offenbarungspflichten oder -befugnisse aus unterschiedlichen Normen nach sich ziehen. Diese variieren zusätzlich nach den jeweiligen Bestimmungen in den unterschiedlichen Landesgeset­ zen. a) Offenbarungspflichten aus den Landesgesetzen Zu Beginn sollen hier kurz die Offenbarungspflichten der Anstaltsärzte im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs dargestellt werden. Hierzu sei ange­ merkt, dass einzig in Hessen unterschiedliche Normen betreffend die Offen­ barungspflichten und -befugnisse während des Vollzugs der Freiheitstrafe und des Vollzugs der Untersuchungshaft bestehen, wobei die beiden Normen jedoch fast wortgleich sind.693 In allen anderen Bundesländern gelten die bereits oben694 erörterten Normen für alle Arten des Vollzugs. Allerdings können sich Unterschiede in Bezug auf die Voraussetzungen der Offenbarung und die zu offenbarenden Tatsachen ergeben, je nachdem, um welche Art des Vollzugs es sich handelt. Nachfolgend soll insbesondere auf diese Unter­ schiede eingegangen werden. aa) Offenbarung zur Aufgabenerfüllung In einigen Landesgesetzen finden sich Offenbarungspflichten für die im Vollzug tätigen Ärzte, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugs­ anstalt erforderlich ist.695 Es bestehen jedoch Unterschiede in der Verpflich­ tung in Bezug auf die Art der personenbezogenen Daten und in den jeweili­ gen Maßstäben der Erforderlichkeit. Die Regelungen in Bayern, Branden­ burg, Niedersachsen und Thüringen sehen vor, dass sich der Anstaltsarzt ­gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren hat, soweit dies für die Aufga­ benerfüllung der Anstalt, bzw. der Vollzugsbehörde, erforderlich ist.696 In Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Hamburg be­ stehen ebensolche Regelungen, wobei in diesen Ländern im Rahmen der Erforderlichkeit zwischen personenbezogenen Daten und personenbezogenen Daten besonderer Kategorien unterschieden wird. So besteht in diesen Län­ 693  § 61

HStVollzG und § 57 HUVollzG. unter B.II. 695  Art. 36 BayUVollzG i. V. m. Art. 201 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG; § 133 Abs. 2 BbgJVollzG; § 195 Abs. 2 S. 2 NJVollzG; § 133 Abs. 2 ThürJVollzGB; § 51 Abs. 2 S. 2 JVollzGB I BW; § 46 Abs. 1 Nr. 4 BremJVollzDSG; § 26 Abs. 3 S. 1 HmbJVollz­ DSG. 696  Art. 36 BayUVollzG i. V. m. Art. 201 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG; § 133 Abs. 2 BbgJVollzG; § 195 Abs. 2 S. 2 NJVollzG; § 133 Abs. 2 ThürJVollzGB. 694  S. o.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

dern eine Offenbarungspflicht in Bezug auf personenbezogene Daten beson­ derer Kategorien nur dann, wenn die Offenbarung zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt oder der Aufsichtsbehörde unbedingt erforderlich ist.697 In Baden-Württemberg haben sich die Anstaltsärzte zudem zu offenbaren, so­ weit dies für die Sicherheit der Vollzugsanstalt erforderlich ist.698 In Hessen sind Anstaltsärzte befugt und verpflichtet, sich gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren, soweit dies für die Sicherheit der Anstalt unbedingt erforder­ lich ist.699 Eine Offenbarungspflicht zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsan­ stalt besteht in Hessen jedoch nicht. Soweit die benannten Landesgesetze vorsehen, dass Anstaltsärzte hinsicht­ lich der ihnen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt ge­ wordenen Erkenntnisse zu einer Offenbarung derselben lediglich befugt, nicht aber verpflichtet sind, wird dies weiter unten im Rahmen der Offen­ barungsbefugnisse erörtert.700 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich allein auf diejenigen Erkenntnisse, zu deren Offenbarung die Anstalts­ ärzte verpflichtet sind. (1) A  ufgaben der Vollzugsanstalt im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs Sofern sich die Landesgesetze auf die Aufgabenerfüllung der Vollzugsan­ stalt beziehen, soll zunächst herausgearbeitet werden, was unter diesem Be­ griff im Rahmen der Untersuchungshaft zu verstehen ist. Die Aufgabenerfül­ lung der Aufsichtsbehörden wird hier ausgelassen, da sich § 114e S. 1 StPO allein an die Vollzugsanstalt richtet und somit keine Aufgaben für die Auf­ sichtsbehörde normieren kann. Oben701 wurde bereits diskutiert, was genau unter dem Begriff der Auf­ gabenerfüllung der Vollzugsanstalt im Strafvollzug zu verstehen ist. Die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt während des Strafvollzugs umfassen die Resozialisierung der Gefangenen und den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 StVollzG)702, aber auch das Wecken und Fördern des Verantwortungsbewusstseins der Gefangenen für ein geordnetes Zusam­ 697  § 51 Abs. 2 S. 3 JVollzGB I BW; § 40 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG M-V; § 46 Abs. 1 Nr. 4 BremJVollzDSG; § 26 Abs. 3 S. 2 HmbJVollzDSG. 698  § 51 Abs. 2 S. 2 JVollzGB I BW. 699  § 57 Abs. 2 S. 2 HUVollzG. 700  S. unten unter b). 701  S. oben unter B.I.2.a). 702  Die entsprechenden Regelungen in den Landesgesetzen finden sich in § 1 JVollzGB III BW; Art. 2 BayStVollzG; § 2 StVollzG Bln; § 2 BbgJVollzG; § 2 BremStVollzG; § 2 HmbStVollzG; § 2 HStVollzG; § 2 StVollzG M-V; § 5 NJVollzG;



C. § 114e StPO277

menleben (§ 81 Abs. 1 StVollzG)703. Schließlich ist es auch Aufgabe der Vollzugsanstalt, die Sicherheit und Ordnung innerhalb der Anstalt zu ge­ währleisten und aufrechtzuerhalten.704 Die Aufgaben der Vollzugsanstalten im Rahmen des Strafvollzugs sind jedoch grundlegend von ihren Aufgaben im Rahmen des Untersuchungshaft­ vollzugs zu unterscheiden. Dies liegt bereits daran, dass die Zwecke der Vollstreckung beider Haftformen grundverschieden sind. Während die Voll­ streckung der Freiheitsstrafe zunächst der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dient, und weitergehende Zwecke wie die Resozialisierung umfasst, bezweckt die Vollstreckung der Untersuchungshaft primär, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten.705 So be­ tonte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1966, dass der vor­ nehmliche Zweck und der eigentliche Rechtfertigungsgrund der Untersu­ chungshaft darin liege, „die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafverfolgung sicherzustellen“.706 In ei­ ner weiteren Entscheidung führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Eingriff in die Freiheit in Form der Untersuchungshaft nur hinzunehmen sei, „wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht an­ ders gesichert werden kann als durch die vorläufige Inhaftierung eines Verdächtigen.“707 Diese vom Bundesverfassungsgericht genannten Zwecke greifen auch die Untersuchungshaftvollzugsgesetze der Länder auf, in welchen jeweils nor­ miert wird, die Vollstreckung der Untersuchungshaft diene dazu, durch si­ chere Unterbringung der Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten.708 Die Landesgesetze sprechen § 1 StVollzG NRW; § 2 LJVollzG RP; § 2 SLStVollzG; § 2 SächStVollzG; § 2 Abs. 1 JVollzGB I LSA; § 2 LStVollzG SH; § 2 Abs. 1 ThürJVollzGB. 703  Entsprechende Regelungen in den Landesgesetzen finden sich in § 61 Abs. 1 JVollzGB III BW; Art. 87 Abs. 1 BayStVollzG; § 82 Abs. 1 StVollzG Bln; § 85 Abs. 1 BbgJVollzG; § 74 Abs. 1 BremStVollzG; § 45 Abs. 1 HStVollzG; § 73 Abs. 1 StVollzG M-V; § 83 Abs. 1 LJVollzG RP; § 73 Abs. 1 SLStVollzG; § 74 Abs. 1 SächStVollzG; § 84 Abs. 1 JVollzGB I LSA; § 101 Abs. 1 LStVollzG SH; § 84 Abs. 1 ThürJVollzGB. 704  SBJL-Harrendorf/Ullenbruch, Kap. 11, Buchst. A Rn. 6. 705  BVerfGE 19, 342 (347 f.). 706  BVerfG, ebenda. 707  BVerfG NJW 1966, 1259. 708  Vgl. § 2 Abs. 2 JVollzGB I BW; Art. 2 BayUVollzG; § 2 UVollzG Bln; § 3 Abs. 1 BbgJVollzG; § 2 BremUVollzG; § 2 HmbUVollzG; § 2 HUVollzG; § 2 UVollzG M-V; § 1 Abs. 1 S. 2 UVollzG NRW; § 3 Abs. 1 LJVollzG RP; § 2 SU­ VollzG; § 3 Abs. 1 SächsUHaftVollzG; § 3 Abs. 1 JVollzGB I LSA; § 2 UVollzG SH; § 3 Abs. 1 ThürJVollzGB.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

dabei überwiegend von den Aufgaben709 des Untersuchungshaftvollzugs.710 Allein in Niedersachsen fehlt eine eigenständige Zweckbestimmung, da § 133 NJVollzG den Zweck der Untersuchungshaft allein darin sieht, dass sie den in den gesetzlichen Haftgründen zum Ausdruck kommenden Gefahren zu begegnen habe. Weiteren Zwecken dient der Vollzug der Untersuchungshaft nicht.711 Ihm kommt – im Gegensatz zum Strafvollzug – insbesondere keine Behandlungsbzw. Resozialisierungsaufgabe zu.712 Dies ergibt sich bereits aus der Un­ schuldsvermutung, sodass während des Vollzugs der Untersuchungshaft noch gar nicht feststehen kann, ob eine Resozialisierung erforderlich sein wird.713 Ferner steht die Unschuldsvermutung auch dem Ziel des Schuldausgleichs entgegen.714 Indem die Landesgesetze die Aufgaben der sicheren Unterbringung und der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens als Zweck der Untersu­ chungshaft nennen, stehen sie in engem Zusammenhang mit den Haftgründen des § 112 StPO.715 Soweit die Verhinderung weiterer Straftaten als Aufgabe benannt wird,716 weisen sie auf den Haftgrund aus § 112a StPO hin.717 Hie­ ran zeigt sich auch, dass dem Haftbefehl und dem jeweiligen Haftgrund eine Konkretisierungsfunktion zukommt, welche unmittelbare Auswirkung auf die Vollzugsgestaltung hat.718 Der Vollzug soll somit die Realisierung der mit 709  Die Verwendung des Begriffes „Zwecke“ in einigen der Gesetze ist jedoch gleichbedeutend mit dem Begriff der Aufgaben. 710  Ostendorf, in: ders., Untersuchungshaft und Abschiebehaft, § 1 Rn. 6. 711  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG §  2 Rn. 1; BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 1. 712  BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 5; BeckOK Strafvoll­ zug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 12; BeckOK Strafvollzug Thüringen/ Goers, ThürJVollzGB § 3 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, Bay­ UVollzG Art. 2 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 1; BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 1; BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 3. 713  BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 5; BeckOK Straf­ vollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 1. 714  BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 3; BeckOK Strafvoll­ zug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 12. 715  Ostendorf, in: ders., Untersuchungshaft und Abschiebehaft, § 1 Rn. 8. 716  So in § 2 UVollzG Bln; § 3 Abs. 1 BbgJVollzG; § 2 BremUVollzG; § 2 HU­ VollzG; § 2 UVollzG M-V; § 3 Abs. 1 LJVollzG RP; § 2 SUVollzG; § 3 Abs. 1 JVollz­GB I LSA; § 2 UVollzG SH; § 3 Abs. 1 ThürJVollzGB. 717  Ostendorf, in: ders., Untersuchungshaft und Abschiebehaft, § 1 Rn. 8; BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug SchlH/ Hingst, UVollzG § 2 Rn. 1. 718  Ostendorf, in: ders., Untersuchungshaft und Abschiebehaft, § 1 Rn. 8; BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 4.



C. § 114e StPO279

der richterlich getroffenen Untersuchungshaftanordnung verbundenen Zwe­ cke gewährleisten und sich bei der Vollzugsgestaltung zugleich an den ge­ setzlichen Haftgründen und den in ihnen vertypten Gefahren orientieren.719 Der Zusammenhang zwischen dem Untersuchungshaftvollzug und den je­ weiligen Haftgründen wird in Art. 2 BayUVollzG, § 2 2. HS HmbUVollzG, § 133 NJVollzG und § 1 Abs. 1 S. 2 UVollzG NRW ausdrücklich benannt, da diese Normen die Aufgabe bestimmen, dass die Untersuchungshaft den in den gesetzlichen Haftgründen zum Ausdruck kommenden Gefahren zu be­ gegnen habe. In § 2 Abs. 2 JVollzGB I BW wird zudem der Zweck genannt, eine spätere Strafvollstreckung sicherzustellen. Dies entspricht der Zweckbe­ stimmung, welche das Bundesverfassungsgericht festgelegt hatte.720 Der allgemeine Zweck der Untersuchungshaft besteht jedoch nicht darin, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen,721 auch wenn dies in einigen Untersuchungshaftvollzugsgesetzen als Ziel der Untersuchungshaft genannt wird. Die Verhinderung weiterer Straftaten ist nur dann als Aufgabe der Untersuchungshaft anzusehen, soweit ein Haftgrund nach § 112a StPO be­ steht.722 Diese Aufgabe hat hier einen rein präventiven, nicht jedoch einen repressiven Zweck.723 Andernfalls würden die festgelegten Aufgaben des Un­ tersuchungshaftvollzugs und die Unschuldsvermutung untergraben werden. Ferner wird teilweise angenommen, dass der Zweck bzw. die Ausgestal­ tung der Untersuchungshaft nicht ausschließlich nach dem im jeweiligen Fall in Bezug genommenen Haftgrund zu bestimmen ist. Vielmehr könne, insbe­ sondere bei der Auferlegung von Beschränkungen, auch auf weitere Haft­ gründe zurückgegriffen werden, die nicht im konkreten Haftbefehl aufgeführt seien.724 Ergeben sich während des Vollzugs der Untersuchungshaft weitere Erkenntnisse, so kann sich die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs somit als Reaktion auf diese Umstände verändern oder erweitern. Die Untersuchungshaftvollzugsgesetze selbst statuieren keinen eigenstän­ digen Handlungsauftrag und keine eigenständigen Eingriffsbefugnisse der Vollzugsanstalten.725 Vielmehr kommt der Vollzugsanstalt im Rahmen des 719  BeckOK

Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 3. 19, 342 (347 f.). 721  BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 5. 722  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG §  2 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 5. 723  BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Saarland/Heuchemer, SUVollzG § 2 Rn. 1. 724  OLG Karlsruhe StV 2010, 198; OLG Hamm BeckRS 2015, 8482 Rn. 13; BeckOK Strafvollzug Hessen/Kunze, HUVollzG § 2 Rn. 2; BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 2; a. A. König, NStZ 2010, 185 (187). 725  BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 3. 720  BVerfGE

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Untersuchungshaftvollzugs eine dienende Funktion zu,726 was bei der Ausle­ gung der einzelnen Eingriffsbefugnisse zu berücksichtigen ist.727 Die Fest­ legung der Ziele des Vollzugs der Untersuchungshaft in den entsprechenden Normen statuiert aber zugleich Auslegungskriterien für die weiteren Normen der Gesetze und Orientierungshilfen für die Gesetzesanwender.728 Die Aufgabe der Vollzugsanstalt besteht darin, die in den Gesetzen ge­ nannten Aufgaben bzw. Ziele des Untersuchungshaftvollzugs zu erfüllen. Die Aufgabenbestimmung des Untersuchungshaftvollzugs bestimmt somit zu­ gleich die von den Vollzugsanstalten zu erfüllenden Aufgaben. Konkret soll also durch die sichere Unterbringung die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens gewährleistet werden. Die sichere Unterbringung und die Durchführung des Strafverfahrens bestimmen dabei jeweils eigene Aufgaben, überschneiden sich jedoch in vielen Bereichen. Die Aufgabe der Vollzugsanstalt besteht demnach an erster Stelle darin, die Untersuchungsgefangenen sicher unterzubringen. Die sichere Unterbrin­ gung beinhaltet dabei verschiedene Komponenten der Sicherung. Die Kom­ mentierungen der Landesgesetze zum Untersuchungshaftvollzug orientieren sich hier vorwiegend an einem dreigeteilten Sicherheitsbegriff: Dieser bein­ haltet die instrumentelle Sicherheit, die administrative Sicherheit und die soziale Sicherheit.729 Eine sichere Unterbringung im Sinne der instrumentellen Sicherheit bedeu­ tet zunächst, die Untersuchungsgefangenen so unterzubringen, dass sowohl ein Entweichen730 wie auch eine Beweismitteltrübung731 und eine Wieder­ holung von Straftaten732 verhindert wird. Es müssen also die notwendigen 726  BeckOK Strafvollzug Thüringen/Goers, ThürJVollzGB § 3 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug Berlin/ Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 5. 727  BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 3. 728  BeckOK Strafvollzug NRW/Goers, UVollzG NRW § 1 Rn. 17a; BeckOK Straf­ vollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 1; BeckOK Strafvollzug Bremen/Peglau, BremUVollzG § 2 Rn. 2. 729  BeckOK Strafvollzug Hessen/Kunze, HUVollzG § 2 Rn. 4; BeckOK Strafvoll­ zug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 4 ff.; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, Hmb­UVollzG § 2 Rn. 5. 730  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 16; BeckOK Strafvoll­ zug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 6. 731  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG §  2 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 6. 732  BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 5; BeckOK Straf­ vollzug Saarland/Heuchemer, SUVollzG § 2 Rn. 9; BeckOK Strafvollzug SchlH/ Hingst, UVollzG § 2 Rn. 9.



C. § 114e StPO281

Vorkehrungen getroffen werden, um den Haftgründen der Flucht, Verdunke­ lungs- oder Wiederholungsgefahr vorzubeugen.733 Dies beinhaltet im Rahmen der instrumentellen Sicherheit vor allem die Bereitstellung baulicher und tech­ nischer Maßnahmen.734 Dabei sind die jeweiligen Haftgründe im Einzelfall zu berücksichtigen; bei Fluchtgefahr kann die sichere Unterbringung etwa anders ausfallen als bei Verdunkelungsgefahr.735 Zudem muss eine sichere Unterbrin­ gung auch alters- und geschlechterspezifisch definiert werden.736 Der Unter­ suchungshaftvollzug für junge Untersuchungsgefangene kann daher andere Sicherheitsstufen aufweisen als sie in Untersuchungshaftanstalten mit Unter­ suchungsgefangenen aus organisierter Kriminalität nötig sind.737 Die administrative Sicherheit bedeutet, dass klare Organisations- und Ab­ laufstrukturen innerhalb des Untersuchungshaftvollzugs geschaffen wer­ den.738 Diese müssen in Gestalt von Dienstanweisungen für die entsprechen­ den Mitarbeitenden jederzeit abrufbar sein.739 Die sicheren Strukturen müs­ sen jedoch nicht nur für die Bediensteten, sondern auch für die Insassen ge­ schaffen werden und ebenso für diese gelten.740 Der Aufgabenbereich der sozialen Sicherheit, welcher auch den Begriff der personalen Sicherheit umfasst,741 bezeichnet einen Sicherungsauftrag in Bezug auf alle Gefangenen und alle in der Vollzugsanstalt tätigen Perso­ nen.742 Die sichere Unterbringung der Gefangenen bezieht sich also nicht nur auf eine Sicherung des Strafverfahrens, sondern auch auf die Sicherheit der Gefangenen selbst.743 Aus dieser Aufgabe wird eine Verpflichtung der Voll­ 733  BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 5; BeckOK Straf­ vollzug Saarland/Heuchemer, SUVollzG § 2 Rn. 9. 734  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I BW § 2 Rn. 16; BeckOK Straf­ vollzug Hessen/Kunze, HUVollzG § 2 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 5; BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 10. 735  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 16; a. A. wohl BeckOK Strafvollzug MV/Straßer, UVollzG M-V § 2 Rn. 6, wonach stets ein Höchstmaß an Sicherheit und Bewachung organisiert sein muss. 736  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 16; BeckOK Strafvoll­ zug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 9. 737  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 16. 738  BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 9; BeckOK Strafvoll­ zug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 5. 739  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 5. 740  BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 5. 741  BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 5. 742  Vgl.  a. BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 5; BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 5. 743  BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 2; BeckOK Straf­ vollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 6.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

zugsanstalt zum Schutz der Gefangenen hergeleitet.744 So gebieten die Vor­ schriften auch den Schutz der Untersuchungsgefangenen vor Gefahren, wel­ che von anderen Gefangenen745, Bediensteten der Vollzugsanstalt oder Sa­ chen ausgehen können.746 Diese Aufgabe des Schutzes wird in § 1 Abs. 3 S. 2 JVollzGB II BW ausdrücklich formuliert, welcher bestimmt, dass die Untersuchungsgefangenen vor Übergriffen zu schützen sind. Die Norm diffe­ renziert hier auch nicht zwischen dem Ursprung der Übergriffe, sodass so­ wohl vor Übergriffen durch andere Gefangene als auch vor Übergriffen durch Bedienstete zu schützen ist. Nach allgemeiner Ansicht beinhaltet der Begriff der sozialen Sicherheit einen umfassenden Schutzauftrag. So soll auch den von den Gefangenen selbst ausgehenden Gefahren begegnet werden.747 Die Vollzugsanstalt soll insbesondere Selbstverletzungen oder Suizide verhin­ dern.748 Ebenfalls soll schädlichen Folgen der Haft entgegengewirkt wer­ den.749 Der Schutz der Anstaltsbediensteten, als Teil der sozialen Sicherheit, ge­ bietet zudem, ein Klima der respektvollen gegenseitigen Kommunikation zu schaffen.750 Der Begriff der sozialen Sicherheit umfasst somit auch die wechselseitigen Bedingungen der Kommunikation und des Handelns.751 Die Bediensteten der Vollzugsanstalt müssen für die Gefangenen erreichbar und ansprechbar sein.752 Zusätzlich müssen die Bediensteten den Gefangenen gegenüber transparent und konsequent auftreten.753 Eine Teilkonkretisierung der sicheren Unterbringung findet sich in der Aufgabe, die Sicherheit und Ordnung innerhalb der Vollzugsanstalt zu garan­ 744  Ostendorf, in: ders., Untersuchungshaft und Abschiebehaft, §  1 Rn.  12; BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 6; BeckOK Strafvoll­ zug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 6. 745  BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 2; BeckOK Strafvollzug SchlH/ Hingst, UVollzG § 2 Rn. 6. 746  BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 2; BeckOK Straf­ vollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 7. 747  BeckOK Strafvollzug Berlin/Pruin, UVollzG Bln § 2 Rn. 2. 748  BeckOK Strafvollzug LSA/Gerhold, JVollzGB LSA § 3 Rn. 6; BeckOK Straf­ vollzug Hessen/Kunze, HUVollzG § 2 Rn. 2. 749  BeckOK Strafvollzug Hessen/Kunze, HUVollzG § 2 Rn. 2. 750  BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 8. 751  BeckOK Strafvollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 9. 752  BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 8; BeckOK Straf­ vollzug SchlH/Hingst, UVollzG § 2 Rn. 9; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 5. 753  BeckOK Strafvollzug RhPf/Heuchemer, LJVollzG RP § 3 Rn. 8; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 5.



C. § 114e StPO283

tieren. Dieser Auftrag kommt der Vollzugsanstalt auch beim Vollzug der Untersuchungshaft zu.754 Die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung ist eine zentrale Aufgabe, welche alle Bereiche des Vollzugslebens und der Vollzugsorganisation umfasst.755 Gleichwohl sind die Begriffe der Sicherheit und Ordnung im Untersu­ chungshaftvollzug teilweise anders zu verstehen als im Strafvollzug. Grund dafür ist unter anderem, dass die Sicherheit und Ordnung im Strafvollzug vorrangig am Vollzugsziel der Resozialisierung orientiert sind, im Untersu­ chungshaftvollzug jedoch gerade kein Zweck der Resozialisierung vorliegt.756 Folglich entfällt auch eine Mitwirkungspflicht der Gefangenen in Bezug auf die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung.757 Dennoch ist die För­ derung eines Mindestmaßes an Rücksichtnahme unter den Beteiligten auch im Untersuchungshaftvollzug von Bedeutung.758 Der Begriff der Sicherheit ist in den entsprechenden Landesgesetzen auf die konkrete Anstalt bezogen und deckt sich nur teilweise mit der Aufgabe der sicheren Unterbringung.759 Dennoch zeigen sich Paralellen zwischen der Sicherheit der Anstalt und der sicheren Unterbringung der Gefangenen in Bezug auf deren Inhalt und Definition. Grundsätzlich umfasst die Sicherheit zunächst die äußere Sicherheit in Form der sicheren Unterbringung, aber darüber hinaus auch in Form der Verhinderung und Abwehr von Gefahren, welche der Anstalt von außen drohen.760 Die innere Sicherheit schließt den Schutz von Personen und Sachen innerhalb der Anstalt761 sowie die Abwen­ 754  §§ 43  ff. JVollzGB II BW; Art. 37 S. 1 BayUVollzG i.  V.  m. Art. 87 Bay­ StVollzG; §§ 42  ff. UVollzG Bln; §§ 84  ff. BbgJVollzG; §§ 42  ff. BremUVollzG; §§ 48 ff. HmbUVollzG; §§ 30 ff. HUVollzG; §§ 42 ff. UVollzG M-V; §§ 74 ff. i. V. m. § 3 NJVollzG; §§ 26 ff. UVollzG NRW; §§ 82 ff. LJVollzG RP; §§ 42 ff. SUVollzG; §§ 42 ff. SächsUHaftVollzG; §§ 83 ff. JVollzGB I LSA; §§ 63 ff. UVollzG SH; §§ 83 ff. ThürJVollzGB. 755  Hadeler, in: Ostendorf, Untersuchungshaft und Abschiebehaft, §  7 Rn. 8 m. w. N. 756  BeckOK Strafvollzug SchlH/Bunge, UVollzG § 42 a. F. Rn. 1; BeckOK Straf­ vollzug Saarland/Heuchemer, SUVollzG § 42 Rn. 1. 757  Ostendorf, in: ders., Untersuchungshaft und Abschiebehaft, § 1 Rn. 9. 758  BeckOK Strafvollzug BW/Maurer, JVollzGB II § 43 Rn. 4; BeckOK Straf­ vollzug Bremen/Peglau, BremUVollzG § 42 Rn. 4. 759  BeckOK Strafvollzug BW/Maurer, JVollzGB II § 43 Rn. 4. 760  BeckOK Strafvollzug MV/Conrad-Graf/Höft, UVollzG M-V §  42 Rn.  4; BeckOK Strafvollzug SchlH/Bunge, UVollzG § 42 a. F. Rn. 2; BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, UVollzG Bln § 42 Rn. 8; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, Hmb­ UVollzG § 48 Rn. 2; BeckOK Strafvollzug Bremen/Schäfersküpper, BremUVollzG § 42 Rn. 4. 761  BeckOK Strafvollzug SchlH/Bunge, UVollzG § 42 a. F. Rn. 2; BeckOK Straf­ vollzug Berlin/Goers, UVollzG Bln § 42 Rn. 8; BeckOK Strafvollzug Hamburg/

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

dung von Gefahren für die Gefangenen, zum Beispiel in Form von Selbst­ schädigung oder Brandgefahr762 ein. Der Begriff der Ordnung beinhaltet ein sozialadäquates Zusammenleben innerhalb der Anstalt unter Anerkennung der Rechte anderer.763 Hierbei sind die spezifischen vollzuglichen Verhält­ nisse zu berücksichtigen, sodass nicht jedes unerwünschte Verhalten als Störung der Ordnung zu verstehen ist.764 Die bisher genannten Aufgaben der sicheren Unterbringung dienen alle der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens. Dies wird deutlich, da die Gesetze jeweils bestimmen, dass durch die sichere Unterbringung die Ver­ fahrensdurchführung ermöglicht werden soll. Darüber hinaus beinhaltet die Aufgabe der Sicherung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens jedoch auch eigene Aufgabenzuweisungen an die Vollzugsanstalt. Die Verfahrenssicherung beinhaltet zumindest die Sicherstellung der An­ wesenheit des Beschuldigten während des Hauptverfahrens.765 Junck fasst zudem die Sicherung einer möglichst vollständigen Tataufklärung unter die­ sen Begriff.766 Gleichzeitig sollen auch andere Störungen des Strafverfahrens verhindert werden, so soll etwa durch die medizinische Betreuung der Unter­ suchungsgefangenen auch der Fortbestand der Verhandlungsfähigkeit ge­ sichert werden.767 Der jeweilige Untersuchungsgefangene soll sich in einem solchen körperlichen und psychischen Zustand befinden, dass die Hauptver­ handlung überhaupt gegen ihn durchgeführt werden kann.768 Die Vollzugsan­ stalt wird somit auch zu schützenden und fürsorglichen Maßnahmen ver­ pflichtet.769 Nachdem die allgemeinen Aufgaben der Vollzugsanstalt während des Un­ tersuchungshaftvollzugs dargestellt wurden, bleibt an dieser Stelle zu klären, Junck, HmbUVollzG § 48 Rn. 2; BeckOK Strafvollzug Bremen/Schäfersküpper, Brem­UVollzG § 42 Rn. 4. 762  BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, UVollzG Bln § 42 Rn. 8; BeckOK Straf­ vollzug MV/Conrad-Graf/Höft, UVollzG M-V § 42 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug SchlH/Bunge, UVollzG § 42 a. F. Rn. 2. 763  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG §  48 Rn. 3; BeckOK Strafvollzug BW/Maurer, JVollzGB II § 43 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bremen/ Schäfersküpper, BremUVollzG § 42 Rn. 6. 764  BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, UVollzG Bln § 42 Rn. 12; BeckOK Straf­ vollzug Bremen/Schäfersküpper, BremUVollzG § 42 Rn. 6. 765  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 17; BeckOK Strafvoll­ zug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 3. 766  BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 3. 767  BeckOK Strafvollzug Bayern/Öhrlein/Krä, BayUVollzG Art. 2 Rn. 6; BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 17. 768  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 17. 769  BeckOK Strafvollzug BW/Müller, JVollzGB I § 2 Rn. 17.



C. § 114e StPO285

ob die Mitteilungspflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO als eine zusätzliche Aufgabe anzusehen ist, welche im Rahmen des Untersuchungs­ haftvollzugs erfüllt werden muss. Nach der hier vertretenen Ansicht richtet sich die Mitteilungspflicht aus § 114e S. 1 StPO an die Vollzugsanstalt. Die Norm reiht sich auch in die übrigen Aufgaben der Vollzugsanstalt ein, als sie zunächst ebenfalls die dienende Funktion der Vollzugsanstalt betrifft. Im Rahmen der Mitteilungspflicht nach § 114e S. 1 StPO wird die Vollzugsan­ stalt beauftragt, das Gericht und die Staatsanwaltschaft zu unterstützen. So­ mit ist die Mitteilungspflicht nach § 114e S. 1 StPO als eine eigene Aufgabe der Vollzugsanstalt im Rahmen des Vollzugs der Untersuchungshaft anzuse­ hen. Allerdings ist zu beachten, dass der Erfüllung der Aufgabe aus § 114e S. 1 StPO nicht dasselbe Gewicht zukommt, wie der Erfüllung der anderen Aufgaben. Im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs ist der sicheren Un­ terbringung und der Gewährleistung der Durchfürung eines geordneten Straf­ verfahrens ein höherer Stellenwert beizumessen als der Mitteilungspflicht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die ersten beiden Aufgaben direkt den Vollzug der Untersuchungshaft als solche betreffen, die Mitteilungspflicht jedoch die Erfüllung der Aufgaben von Gericht und Staatsanwaltschaft ge­ währleisten soll. Somit berührt die Mitteilungspflicht nur mittelbar den Zweck der Untersuchungshaft und die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt bei dessen Vollzug. Sofern unter den Begriff der Verfahrenssicherung auch die Sicherung einer möglichst vollständigen Tataufklärung gefasst wird,770 sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass der Vollzugsanstalt nicht die Aufgabe einer Ermitt­ lungsbehörde zukommt.771 Die Vollzugsanstalt hat das Gericht und die Staatsanwaltschaft nur insofern zu unterstützen, dass die Unterbringung des Gefangenen die Ermittlung erleichtert oder den Gefahren der Flucht oder der Verdunkelung bzw. Beweismittelvernichtung entgegengewirkt wird. Die Vollzugsanstalt ist jedoch nicht dazu berufen, eigene Ermittlungen von Sach­ verhalten anzustellen. Die Mitteilungspflicht aus § 114e S. 1 StPO bezieht sich auch nur auf Erkenntnisse, welche der Vollzugsanstalt bei ihrer eigenen Aufgabenerfüllung bekannt werden oder bekannt geworden sind. Die Norm bestimmt nur, dass diese erlangten Erkenntnisse weiterzugeben sind, daraus entsteht jedoch nicht die Aufgabe, Erkenntnisse zu generieren. Somit ist die Aufgabe, die der Vollzugsanstalt durch § 114e S. 1 StPO auferlegt wird, ein­ zig die Mitteilungspflicht. Die Norm begründet jedoch keine weiteren zu erfüllenden Aufgaben.

770  BeckOK 771  Vgl.

Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 2 Rn. 3. oben unter C.II.1.

286

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

(2) Erforderlichkeit der Offenbarung Die Landesgesetze orientieren sich im Rahmen der Offenbarungspflicht daran, dass die Offenbarung für die Aufgabenerfüllung erforderlich bzw. unbedingt erforderlich sein muss. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Offenbarung der Anstaltsärzte in Bezug auf die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt im Rahmen des Strafvollzugs nur dann erforderlich, wenn eine Güterabwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, dass die vollzu­ glichen Interessen im konkreten Einzelfall höher zu werten sind als die per­ sönlichen Interessen des betroffenen Gefangenen.772 Entsprechendes muss folglich auch für die Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs gelten. Dementsprechend besteht eine Offen­ barungspflicht nur dann, wenn die konkrete Aufgabenerfüllung der Vollzugs­ anstalt im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs die Interessen des Gefan­ genen an der Geheimhaltung der Tatsachen überwiegt. Für den Anstaltsarzt besteht somit immer dann eine Offenbarungspflicht, wenn die konkret geplante Straftat geeignet ist, die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt zu gefährden und diesem nur durch die Offenbarung von Tatsachen entgegengewirkt werden kann. Die Offenbarung der Tatsachen muss also selbst direkt zur Aufrechterhaltung der Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt erforderlich sein. Hier ist ferner zu klären, welches Gewicht der Aufgabe der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO, namentlich der Mitteilungspflicht, zukommen kann. Die Frage, ob die Offenbarung einer geplanten Straftat für die Erfüllung der Mitteilungspflicht erforderlich bzw. unbedingt erforderlich ist, kann je nach Fallgestaltung unterschiedlich zu beurteilen sein. Zunächst kann der Anstaltsarzt von einer geplanten Straftat Kenntnis er­ langen, welche die Aufgaben der sicheren Unterbringung und/oder der Durchführung des Strafverfahrens berühren und zugleich für die Aufgabener­ füllung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft von Bedeutung ist. Der An­ staltsarzt hat sich in einem solchen Fall bereits dann gegenüber der Anstalts­ leitung zu offenbaren, wenn die Erfüllung der Aufgaben der Vollzugsanstalt das Interesse des Gefangenen an der Geheimhaltung überwiegt. Die Pflicht zur Weitergabe der Informationen durch die Anstaltsleitung aus § 114e StPO berührt die Offenbarungspflicht hier nicht, da der Anstaltsarzt sich ohnehin nach den Vorschiften der Landesgesetze zu offenbaren hat. Daneben ist es auch möglich, dass der Anstaltsarzt von einer geplanten Straftat Kenntnis erlangt, welche allein für die sichere Unterbringung und/ oder die Durchführung des Strafverfahrens von Bedeutung ist, ohne dass 772  Vgl.

oben unter B.I.2.a).



C. § 114e StPO287

diese für das Gericht oder die Staatsanwaltschaft von Bedeutung ist. In ei­ nem solchen Fall hat sich der Anstaltsarzt nach den landesgesetzlichen Rege­ lungen gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren, soweit die Aufgaben­ erfüllung der Vollzugsanstalt die Interessen des Gefangenen an der Geheim­ haltung der Informationen überwiegt. Schließlich verbleibt noch eine Fallkonstellation, in welcher der Anstalts­ arzt Kenntnis von einer geplanten Straftat erlangt, welche sich nicht auf die sichere Unterbringung und die Durchführung des Strafverfahrens auswirken, aber für die Aufgabenerfüllung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft von Bedeutung sind. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Vollzugsanstalt, die Informationen gemäß § 114e S. 1 StPO an die entsprechenden Stellen zu übermitteln. Fraglich ist hier, ob und ab wann die Erfüllung der Aufgabe der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO einen solchen Stellenwert erlangt, dass der Anstaltsarzt eine Offenbarung für erforderlich bzw. unerlässlich halten muss. Hier ist wiederum auf die dienende Funktion der Vollzugsanstalt im Rah­ men des Untersuchungshaftvollzugs und die genaue Pflicht aus § 114e S. 1 StPO abzustellen. So wurde oben bereits ausgeführt, dass die Pflicht zur Mitteilung nach § 114e S. 1 StPO nur dann besteht, wenn die Informationen haftgrundbezogen sind.773 Dasselbe muss folglich auch für eine Offenba­ rungspflicht des Anstaltsarztes gegenüber der Anstaltsleitung gelten, wenn die Informationen ihm gegenüber bekannt werden. Der Bezug zu den Haft­ gründen führt schließlich auch dazu, dass nur ein sehr kleiner Bereich ver­ bleibt, in welchem die Erkenntnisse allein den Anwendungsbereich des § 114e S. 1 StPO, nicht jedoch die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt, berühren. Sobald ein Bezug zu den Haftgründen besteht, werden die Infor­ mationen oftmals zugleich die sichere Unterbringung und die Durchführung des Strafverfahrens betreffen und ohnehin nach den allgemeinen Vorschriften zu offenbaren sein. Im Rahmen der Ermittlung der Erforderlichkeit einer Offenbarung muss zudem die besondere Stellung der Untersuchungsgefangenen und die Un­ schuldsvermutung spezifische Beachtung finden. Namentlich das Schweige­ recht des einzelnen Untersuchungsgefangenen darf nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt oder sonstige voll­ zugliche Interessen einen höheren Stellenwert erlangen als die Interessen des Gefangenen an der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen. Hier bleibt speziell zu beachten, dass der einzelne Gefangene oftmals ge­ zwungen ist, dem Anstaltsarzt bestimmte Tatsachen zu offenbaren.774 Dies 773  Vgl. 774  Vgl.

oben unter C.III.2. hierzu oben unter C.III.1.

288

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

gilt nicht nur für den Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchun­ gen, sondern auch für die freiwillige Inanspruchnahme der ärztlichen Versor­ gung während des Untersuchungshaftvollzugs. Eine umfassende und zielfüh­ rende medizinische Betreuung und Behandlung werden immer voraussetzen, dass bestimmte Tatsachen, nicht nur über den Gesundheitszustand, gegenüber dem Anstaltsarzt zu offenbaren sind. Darüber hinaus wird der Anstaltsarzt auch aufgrund seiner medizinischen Fachkenntnis bestimmte Tatsachen er­ fahren, ohne dass diese freiwillig preisgegeben werden. Der Anstaltsarzt muss im Rahmen seiner Offenbarungspflicht also immer sorgfältig abwägen, ob die Weitergabe der Informationen tatsächlich erforderlich ist, und das Schweigerecht des Gefangenen in besonderem Umfang beachten. bb) Abwehr bestimmmter Straftaten Einige der Landesgesetze sehen explizit eine Offenbarungspflicht zur Ab­ wehr bestimmter Straftaten vor.775 Die Landesgesetze unterscheiden hierbei die Art der Straftat nach einer schweren Straftat776, einer erheblichen Straf­ tat777 oder einer Straftat von erheblicher Bedeutung778. Die unterschiedli­ chen Begrifflichkeiten wurden bereits oben erläutert.779 Jedenfalls muss eine Straftat geplant sein, welche geeignet ist, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören, wobei dies nach einer Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall zu beurteilen ist.780 Unbeachtlich ist hierbei, gegen welche Rechtsgüter sich die geplante Straftat richtet, soweit sie die Schwelle der Erheblichkeit über­ schreitet. Die genannten Normen regeln die Offenbarungspflicht aber eben gerade nur für die jeweils genannten Straftaten und enthalten keine generel­ len Bestimmungen zur Anzeigepflicht in Bezug auf andere geplante Straf­ taten. cc) Weitere Offenbarungspflichten Es bleibt schließlich zu untersuchen, ob sich aus weiteren landesgesetz­ lichen Offenbarungspflichten in Verbindung mit § 114e S. 1 StPO besondere 775  Vgl.

hierzu oben unter B.II.2. und 3. Abs. 1 Nr. 2 c) JVollzDSG Bln. 777  § 40 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG M-V; § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW. 778  § 46 Abs. 1 Nr. 3 BremJVollzDSG; § 43 Abs. 1 Nr. 3 JVollzDSG RP; § 46 Abs. 1 Nr. 3 JVollzDSG SL; § 58 Abs. 1 Nr. 2 c) JVollzGB IV LSA; § 34 Abs. 1 Nr. 3 JVollzDSG SH. 779  Vgl. oben unter B.II.4. 780  BVerfG NJW 2009, 2431 (2435); BGH NJW 1971, 1322 (1323); NStZ 2020, 84. 776  § 61



C. § 114e StPO289

Verpflichtungen zur Anzeige geplanter Straftaten innerhalb des Untersu­ chungshaftvollzugs ergeben können. Die folgenden Ausführungen beziehen sich dabei allein auf Straftaten, die innerhalb der Vollzugsanstalt begangen werden sollen. Straftaten außerhalb der Vollzugsanstalt, an deren Planung oder Organisation ein Gefangener beteiligt ist, werden hier ausgelassen. In Bezug auf Straftaten, welche innerhalb der Vollzugsanstalt und während des Untersuchungshaftvollzugs geplant werden, lassen sich in Anlehnung an die Bestimmungen der Landesgesetze drei Fallgruppen unterschieden: Zu­ nächst kann eine geplante Straftat die Sicherheit und Ordnung der Vollzugs­ anstalt gefährden. Ferner kann eine geplante Straftat Leib oder Leben von Gefangenen oder Dritten innerhalb der Vollzugsanstalt gefährden. Und schließlich kann eine geplante Straftat die Aufgabenerfüllung der Vollzugs­ anstalt gefährden, behindern oder erschweren. In Baden-Württemberg und Hessen ist jeweils ausdrücklich eine Offenba­ rungspflicht des Anstaltsarztes normiert, soweit die Offenbarung der jeweili­ gen Tatsachen für die Sicherheit der Anstalt erforderlich ist.781 Die übrigen Landesgesetze sehen jeweils keine spezifische Offenbarungspflicht im Zu­ sammenhang mit der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Vollzugs­ anstalt vor. Die Sicherheit und Ordnung der Vollzugsanstalt können jedoch, wie bereits oben beschreiben, als Teilbereiche der Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt betrachtet werden.782 Die Aufrechterhaltung und Gewährleis­ tung von Sicherheit und Ordnung innerhalb der Vollzugsanstalt sind Teilauf­ gaben im Bereich der generellen Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt.783 Insoweit kann eine Offenbarungspflicht auch dann entstehen, wenn die Si­ cherheit und Ordnung in den Landesgesetzen selbst nicht als Grund für eine Offenbarung genannt sind, ihre Aufrechterhaltung jedoch zur Aufgabenerfül­ lung der Vollzugsanstalt erforderlich ist. In die zweite Fallgruppe sind diejenigen geplanten Straftaten einzuordnen, die eine Gefahr für Leib oder Leben der Gefangenen oder Dritten beinhalten. In diesen Fällen kommt es auch nicht darauf an, ob allein Leib oder Leben von Personen gefährdet sind oder zusätzlich noch weitere Rechtsgüter inner­ halb der Vollzugsanstalt von der geplanten Straftat betroffen sein könnten. Bereits eine Gefahr für Leib oder Leben von Personen ist ausreichend, um eine Offenbarungspflicht zu begründen. Alle Landesgesetze sehen überein­ stimmend eine Pflicht des Anstaltsarztes zur Offenbarung von Tatsachen vor, soweit dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben von

781  § 51

Abs. 2 S. 2 JVollzGB I BW; § 57 Abs. 2 S. 2 HUVollzG. hierzu oben unter C.IV.1.a)aa)(1). 783  Vgl. hierzu oben unter C.IV.1.a)aa)(1). 782  Vgl.

290

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Menschen erforderlich ist.784 Auch an dieser Stelle wird auf die obigen Aus­ führungen verwiesen.785 Es sei nur kurz daran erinnert, dass sich die Landes­ gesetze in Bezug auf die Erforderlichkeit der Offenbarung unterscheiden. In den Ländern Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern wird hier danach differenziert, welche Art von personenbezogenen Daten durch den Anstaltsarzt zu offenbaren sind. In diesen Ländern sind die personenbezoge­ nen Daten besonderer Kategorien nur dann zur Abwehr der Gefahren zu of­ fenbaren, soweit dies unbedingt erforderlich ist.786 In Sachsen gilt generell, dass die Daten nur dann zu offenbaren sind, soweit dies unbedingt erforder­ lich ist.787 Die Landesgesetze unterscheiden sich also im Wesentlichen nur nach dem Maßstab der Erforderlichkeit und folglich dem Gewicht, das dem Interesse des betroffenen Gefangenen an der Geheimhaltung der Informatio­ nen bzw. der geplanten Straftat gegeben wird. Besteht eine konkrete Gefahr in Form einer geplanten Straftat, welche Leib oder Leben erheblich gefährden würde, so wird eine Offenbarung be­ reits deswegen unbedingt erforderlich sein, weil die Vollzugsanstalt und auch der Anstaltsarzt selbst einen besonderen Schutzauftrag für die Gefangenen und andere in der Anstalt befindlichen Personen haben.788 Diesem Schutz­ auftrag kann nur dann sinnvoll nachgekommen werden, wenn die Informa­ tionen, welche zur Verhinderung der geplanten Straftat preisgegeben werden müssen, auch tatsächlich preisgegeben werden. In diesen Fällen ist es schließlich jedoch ausschlaggebend, dass Leib oder Leben gefährdet werden und nicht, dass eine Straftat geplant wird. Es steht also gerade nicht der Um­ stand, dass die Begehung einer Straftat bevorsteht, im Mittelpunkt der Offen­ barungspflichten, sondern der Schutz von Personen ist der zentrale Zweck der Regelungen. Der Anstaltsarzt selbst wird sich hier, entsprechend den Vorgaben der lan­ desgesetzlichen Regelungen, nur der Anstaltsleitung gegenüber offenbaren müssen. Ob und in welchem Umfang der offenbarte Sachverhalt sodann nach § 114e S. 1 StPO an das Gericht und die Staatsanwaltschaft weitergeleitet 784  § 51 Abs. 2 S. 2 JVollzGB I BW; Art. 36 BayUVollzG i. V. m. Art. 201 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG; § 61 Abs. 1 Nr. 2 a), b) JVollzDSG Bln; § 133 Abs. 3 BbgJVollzG; § 46 Abs. 1 Nr. 1, 2 BremJVollzDSG; § 26 Abs. 3 S. 1 HmbJVollzDSG; § 57 Abs. 2 S. 2 HUVollzG; § 40 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG M-V; § 195 Abs. 2 S. 2 NJVollzG; § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW; § 43 Abs. 1 Nr. 1, 2 JVollzDSG RP; § 46 Abs. 1 Nr. 1, 2 JVollzDSG SL; § 47 Abs. 1 Nr. 1, 2 SächsJVollzDSG; § 58 Abs. 1 Nr. 2 a), b) JVollz­GB IV LSA; § 46 Abs. 1 Nr. 1, 2 JVollzDSG SH; § 133 Abs. 2 ThürJVollzGB. 785  Vgl. hierzu oben unter B.II. 786  § 46 Abs. 1 aE BremJVollzDSG; § 26 Abs. 3 S. 2 HmbJVollzDSG; § 40 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG M-V. 787  Vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 1, 2 SächsJVollzDSG. 788  Vgl. hierzu oben unter C.IV.1.a)aa)(1).



C. § 114e StPO291

wird, wird von der Anstaltsleitung zu beurteilen sein. Die Pflicht zur Mittei­ lung aus § 114e S. 1 StPO hat hier somit ebenfalls keinen Einfluss auf die Offenbarungspflichten nach den Landesgesetzen. Die Weiterleitung der of­ fenbarten Informationen ist hier vielmehr eine mögliche Folge, jedoch kein Grund, eine Veränderung der bestehenden Offenbarungspflichten anzuneh­ men. dd) Zwischenfazit Die Pflicht der Vollzugsanstalt zur Mitteilung bestimmter Erkenntnisse aus § 114e S. 1 StPO führt nicht dazu, dass sich die Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes gegenüber der Anstaltsleitung verändern, auch wenn die Mit­ teilungspflicht nach § 114e S. 1 StPO als Aufgabe der Vollzugsanstalt anzu­ sehen ist. Es gelten die allgemeinen Grundsätze der Offenbarung, wenn diese zur Erfüllung der Aufgaben der Vollzugsanstalt oder zu anderen Zwecken erforderlich oder unbedingt erforderlich ist. In jedem Fall ist, bei der Frage der Erforderlichkeit der Offenbarung der Erkenntnisse, der Unschuldsvermu­ tung und dem Schweigerecht des betroffenen Gefangenen besondere Achtung entgegenzubringen. b) Offenbarungsbefugnisse aus den Landesgesetzen Zusätzlich zu den Offenbarungspflichten normieren fast alle Landesgesetze Offenbarungsbefugnisse des Anstaltsarztes gegenüber der Anstaltsleitung. Auch in diesen Normen wird teilweise auf die Aufgabenerfüllung der Voll­ zugsanstalt verwiesen. In einigen Normen wird bestimmt, dass der Anstalts­ arzt zur Offenbarung der ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheits­ fürsorge bekannt gewordenen Geheimnisse befugt ist, soweit dies zur Aufga­ benerfüllung der Vollzugsanstalt unerlässlich ist.789 Die Regelung in Ham­ burg gewährt eine Offenbarungsbefugnis für die im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewordenen Geheimnisse, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Justizvollzugsbehörden unbedingt erforderlich ist.790 In Berlin besteht eine Offenbarungsbefugnis, wenn den Ärzten die Tatsa­ chen im Rahmen des beruflichen Vertrauensverhältnisses anvertraut wurden oder sonst bekannt geworden sind, soweit dies für die Erfüllung der Aufga­ ben des Justizvollzugs auch unter Berücksichtigung der Interessen der Ge­ 789  Art. 36 BayUVollzG i.  V. m. Art. 201 Abs. 1 S. 3 BayStVollzG; § 133 Bbg­ JVollzG; § 195 Abs. 2 S. 3 NJVollzG; § 133 ThürJVollzGB; § 33 Abs. 2 S. 3 JVollz­ DSG NRW. 790  § 26 Abs. 5 HmbJVollzDSG.

292

3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

fangenen an der Geheimhaltung der Tatsachen unerlässlich ist.791 Es kommt hier also nicht darauf an, in welchem Zusammenhang dem Arzt die Daten bekannt geworden sind, da die Norm alleine auf das berufliche Vertrauens­ verhältnis abstellt. Die Regelungen in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Sachsen sehen eine Offenbarungsbefugnis der Anstaltsärzte für die ihnen im Rahmen des beruf­ lichen Vertrauensverhältnisses anvertrauten oder sonst bekannt gewordenen personenbezogenen Daten vor, soweit dies „aus ihrer Sicht zu vollzuglichen Zwecken unbedingt erforderlich ist und das Interesse der Gefangenen an der Geheimhaltung nicht überwiegt“.792 Schließlich ist auch in Bezug auf die Offenbarungsbefugnisse zu erörtern, ob die Pflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO die jeweiligen Befug­ nisse berührt oder verändert. Hierbei ist zu beachten, dass die Befugnis zur Offenbarung von einer Abwägungsentscheidung zwischen den widerstreiten­ den Interessen geprägt ist. Insofern ist genau zu betrachten, ob § 114e S. 1 StPO in diese Abwägungsentscheidung hineinwirken kann. aa) Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs und vollzugliche Zwecke Soweit die genannten Normen eine Offenbarungsbefugnis zur Aufgaben­ erfüllung der Vollzugsanstalt vorsehen, gilt in Bezug auf die Aufgabenerfül­ lung das bereits oben gesagte.793 Die Regelung in Hamburg stellt zwar auf die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörden ab, dies schließt jedoch die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalten mit ein.794 Soweit die Gesetze in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Sachsen auf vollzugliche Zwecke abstellen, ist dieser Begriff kurz zu erörtern. Die ent­ sprechenden Landesgesetze enthalten jeweils eine Legaldefinition, wonach vollzugliche Zwecke unter anderem die Mitwirkung des Justizvollzugs an den ihm durch Gesetz übertragenen sonstigen Aufgaben, und für den Vollzug der Untersuchungshaft der Zweck, durch die sichere Unterbringung der Ge­ fangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleis­ ten, sind.795 Die vollzuglichen Zwecke stimmen somit mit den Aufgaben des Untersuchungshaftvollzugs überein. Zudem schließt der Verweis auf die 791  § 62

Abs. 1 JVollzDSG Bln. Abs. 1 JVollzDSG RP; § 47 Abs. 1 JVollzDSG SL; § 48 Abs. 1 Sächs­ JVollzDSG. 793  Vgl. hierzu unter C.IV.1.a)aa)(1). 794  Vgl. hierzu bereits oben unter B.II.3. 795  § 2 JVollzDSG RP; § 2 JVollzDSG SL; § 2 SächsJVollzDSG. 792  § 44



C. § 114e StPO293

sonstigen Aufgaben des Vollzugs auch die Mitteilungspflicht nach § 114e S. 1 StPO in die vollzuglichen Aufgaben ein. bb) Privilegierung von Anstaltsärzten Wie eingangs beschrieben sehen einige Landesgesetze in Bezug auf die Offenbarungspflichten eine Privilegierung für Anstaltsärzte vor, soweit ihnen Tatsachen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewor­ den sind.796 In anderen Landesgesetzen wird darauf abgestellt, ob die Tatsa­ chen den Anstaltsärzten im Rahmen des beruflichen Vertrauensverhältnisses anvertraut oder bekannt geworden sind.797 In beiden Fällen sehen die Lan­ desgesetze für die Anstaltsärzte keine Offenbarungspflicht bezüglich der er­ fahrenen Tatsachen, sondern lediglich eine Offenbarungsbefugnis vor. Somit wäre eine geplante Straftat, von welcher ein Anstaltsarzt im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge oder des beruflichen Vertrauensverhältnis­ ses erfährt, nicht zwingend zu offenbaren. Dem Anstaltsarzt würde vielmehr freigestellt, nach seinem Ermessen zu entscheiden, ob eine Offenbarung notwendig wäre oder nicht. cc) Abwägung im Rahmen der Offenbarungsbefugnis Im Rahmen der Offenbarungsbefugnisse ist besonders zu beachten, dass eine Offenbarung nur dann zu erfolgen hat, wenn nach einer Abwägung zwi­ schen den Interessen der Vollzugsanstalt an einer Offenbarung und den Inte­ ressen des Gefangenen an der Geheimhaltung der Tatsachen die besseren Gründe für eine Offenbarung sprechen. Im Rahmen der Offenbarungsbefug­ nisse ist der Maßstab der Erforderlichkeit der Offenbarung jedoch angeho­ ben. So sind die Informationen nur dann zu offenbaren, wenn dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt unerlässlich ist. § 26 Abs. 5 Hmb­ JVollzDSG benutzt hier die Formulierung „unbedingt erforderlich“, diese Formulierung bedeutet jedoch nichts anderes als „unerlässlich“.798 Eine Offenbarung ist erst dann unerlässlich, wenn alle weiteren in Betracht kommenden Maßnahmen ausgeschöpft wurden, welche die Aufgabenerfül­ lung gewährleisten könnten.799 Unerlässlichkeit bedeutet zudem, dass dem 796  Art. 36 BayUVollzG i. V. m. Art. 201 Abs. 1 S. 3 BayStVollzG; § 133 Abs. 3 BbgJVollzG; § 26 Abs. 5 HmbJVollzDSG; § 195 Abs. 2 S. 3 NJVollzG; § 33 Abs. 2 S. 3 JVollzDSG NRW; § 133 Abs. 3 ThürJVollzGB. 797  § 44 Abs. 1 JVollzDSG RP; § 47Abs. 1 JVollzDSG SL; § 48 Abs. 1 Sächs­ JVollzDSG; § 59 JVollzGB IV LSA; § 47 Abs. 1 JVollzDSG SH. 798  HmbBürgerschafts-Drs. 21/11636, S. 30. 799  Vgl. hierzu oben unter B.I.3.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Interesse des betroffenen Gefangenen an der Geheimhaltung der Tatsachen ein höherer Wert beigemessen wird als der Aufgabenerfüllung der Vollzugs­ anstalt.800 Die Offenbarung ist nur als ultima ratio, also als letzte Eingriffs­ möglichkeit, zulässig.801 So muss ein gewisses Maß an Störung der Auf­ gabenerfüllung hingenommen werde, um den Interessen des betroffenen Gefangenen an der Geheimhaltung der Tatsachen gerecht zu werden.802 In Bezug auf die Mitteilungspflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO wurde oben festgestellt, dass es sich bei dieser um eine Aufgabe der Vollzugsanstalt im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs handelt.803 Dies führt dazu, dass ein Anstaltsarzt immer dann dazu befugt ist, sich gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren, wenn er der Ansicht ist, dass die Offenba­ rung unbedingt erforderlich ist, um die Mitteilungspflicht nach § 114e S. 1 StPO zu erfüllen. Auch hier ist zunächst darauf abzustellen, ob die Informa­ tionen einen Bezug zu den Haftgründen aufweisen und dementsprechend überhaupt von der Vollzugsanstalt mitgeteilt werden müssten.804 Allerdings ist auch in solchen Fällen eine umfassende Abwägung der wi­ derstreitenden Interessen durch den Anstaltsarzt vorzunehmen. So ist im Einzelfall festzustellen, ob die Offenbarung auch unter Berücksichtigung der Interessen des betroffenen Gefangenen unerlässlich bzw. unbedingt erforder­ lich ist. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der Mitteilungspflicht der Vollzugsanstalt nicht dieselbe Bedeutung zukommt, wie den übrigen Aufga­ ben der Vollzugsanstalt.805 Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen darf zudem nicht be­ rücksichtigt werden, welches Gewicht die erlangten Erkenntnisse für das Gericht und die Staatsanwaltschaft haben. Die Offenbarungsbefugnisse aus den Landesgesetzenn stellen nämlich gerade nur darauf ab, ob die Offen­ barung zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt oder Vollzugsbehörden unbedingt erforderlich ist. Auf die Erforderlichkeit für die Aufgabenerfüllung Dritter kommt es hingegen nicht an. An diesem Umstand kann auch die Pflicht aus § 114e StPO nichts ändern, da bereits festgestellt wurde, dass diese Norm gerade nur die Vollzugsanstalt als Institution verpflichtet.806

800  Vgl.

oben unter B.I.3. ZfStrVo 2000, 344 (347 f.); Preusker/Rosenmeier, ZfStrVo 1998, 323

801  Busch,

(325).

802  Vgl.

hierzu AK-StVollzG/Weichert, 4. Aufl., § 182 Rn. 39. unter C.IV.1.a)aa)(1). 804  Vgl. hierzu oben unter C.III.2. sowie C.IV.1.a)aa)(2). 805  Vgl. hierzu schon oben unter C.IV.1.a)aa)(1) und (2). 806  S. o. unter C.I. 803  S. o.



C. § 114e StPO295

Abschließend ist hier auch noch einmal zu betonen, dass weder die Voll­ zugsanstalt noch der Anstaltsarzt oder andere Vollzugsangestellte als Ermitt­ lungspersonen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft fungieren.807 Im Rahmen der Offenbarungsbefugnisse ist dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen ein hohes Gewicht beizumessen. Die Unschuldsvermutung und das Schweigerecht des betroffenen Gefangenen führen zudem dazu, dass sich das Interesse der Gefangenen an der Geheimhaltung zusätzlich erhöht. Erfährt ein Anstaltsarzt also von einer geplanten Straftat, welche er der Anstaltsleitung nicht bereits nach anderen Vorschriften mitzuteilen hat, und hält er es für unbedingt erforderlich, dass die Vollzugsanstalt hiervon erfährt, um ihrer Mitteilungspflicht nach § 114e StPO nachzukommen, so ist er be­ fugt sich gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren. Es kann aber hinzu­ nehmen sein, dass die Mitteilung einer geplanten Straftat nicht erfüllt werden kann, weil die Interessen des betreffenden Gefangenen an der Geheimhaltung einer geplanten Straftat wesentlich höher wiegen. Allerdings wird dieser Fall in der Praxis wohl eher selten auftreten, da geplante Straftaten in der Regel nach den bereits erläuterten Normen zu offenbaren sind oder zumindest of­ fenbart werden dürfen. § 114e S. 1 StPO berührt die Offenbarungsbefugnisse aus den Landesge­ setzen insofern, dass Anstaltsärzte zu einer Offenbarung befugt sind, wenn sie diese für unbedingt erforderlich halten, damit die Vollzugsanstalt ihre Mitteilungspflicht erfüllen kann. In den übrigen Fällen bleibt die Offenba­ rungsbefugnis zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt jedoch in den je­ weils gesetzlich bestimmten Fällen bestehen. dd) Zwischenfazit Die Pflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e StPO führt nicht dazu, dass sich die Offenbarungsbefugnisse nach den Landesgesetzen verändern. Allerdings stellt die Mitteilungspflicht eine Aufgabe der Vollzugsanstalt dar, welche sie im Rahmen der Untersuchungshaft zu erfüllen hat. Der Anstaltsarzt ist somit befugt, sich gegenüber der Anstaltsleitung zu offenbaren, sofern er dies, auch unter Berücksichtigung Interessen des Gefangenen an der Geheimhaltung, für unbedingt erforderlich hält, damit die Vollzugsanstalt ihre Mitteilungs­ pflicht nach § 114e S. 1 StPO erfüllen kann.

807  Vgl.

SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 6.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

2. Offenbarung begangener Straftaten Die Frage der Offenbarung begangener Straftaten eines Gefangenen er­ langt während des Vollzugs der Untersuchungshaft besonderes Gewicht, da sich die Vollstreckung derselben auf eine oder mehrere begangene Straftaten bezieht. Während des Untersuchungshaftvollzugs können auch gerade eine Reihe von Informationen bekannt werden, welche in Bezug zu den konkret begangenen Straftaten stehen. Diese Informationen können sowohl den Voll­ zug der Untersuchungshaft selbst wie auch das in diesem Fall durchzufüh­ rende gerichtliche Verfahren berühren. Zudem können auch Informationen bekannt werden, welche eine oder mehrere begangene Straftaten betreffen, welche weder dem Gericht noch der Staatsanwaltschaft bisher bekannt sind. Auch solche Informationen können Auswirkungen auf ein gegenwärtiges oder auch ein zukünftiges Strafverfahren oder einen Einfluss auf das zu er­ wartende Strafmaß in dem anhängigen Strafverfahren haben. Grundsätzlich lassen sich hier zunächst dieselben Erwägungen anstellen, wie bei der Offenbarung geplanter Straftaten. Insbesondere in Fällen von Wiederholungsgefahr und einer möglicherweise konkret bevorstehenden Tat­ begehung können auch hier zunächst Offenbarungspflichten zum Schutz von Leib und Leben von Gefangenen oder Dritten bestehen.808 Insoweit sind die landesgesetzlichen Regelungen in dem bereits erörterten Umfang anzuwen­ den. Soweit keine konkrete Wiederholungsgefahr besteht, muss im Einzelfall genau untersucht werden, ob eine Gefahr für die geschützten Rechtsgüter besteht. Die Offenbarungspflichten und -befugnisse zum Schutz von Leib und Leben greifen jedoch dann nicht, wenn die Offenbarung der begangenen Straftat keinem anderen Zweck als der Anzeige der begangenen Tat dient. Der Anstaltsarzt muss sich zudem dann nicht in Bezug auf die begangene Straftat offenbaren, wenn zwar eine Wiederholungsgefahr besteht, diese je­ doch keinerlei Gefahren für die Rechtsgüter Leib und Leben innerhalb der Vollzugsanstalt darstellt. Die allgemeinen Offenbarungsbefugnisse809 in Be­ zug auf Wiederholungsgefahren, insbesondere aus § 34 StGB, bleiben hier­ von jedoch unberührt. Es verbleiben somit zwei Fallgruppen, in welchen sich die Mitteilungs­ pflicht aus § 114e S. 1 StPO auf die Offenbarungspflichten und -befugnisse von Anstaltsärzten auswirken könnte: diejenigen Fälle, in denen die Offenba­ rung der begangenen Straftat (auch) einem vollzuglichen Zweck dient bzw. die Aufgabenerfüllung der Vollzugsanstalt berührt und diejenigen Fälle, in welchen die Offenbarung der begangenen Straftat allein der Tataufklärung 808  Vgl. 809  Vgl.

hierzu die genannten Regelungen der Landesgesetze unter B.II. hierzu 1. Kapitel C.II. und III.



C. § 114e StPO297

selbst dient. Bei dieser Unterteilung ergibt sich auch kein Unterschied dahin­ gehend, ob es sich bei der bekannt gewordenen Straftat um diejenige handelt, wegen derer sich der Gefangene in Untersuchungshaft befindet oder um eine bisher unbekannte Straftat. Die hier folgenden Erwägungen gelten für beide Arten von begangenen Straftaten gleichermaßen. Soweit die Offenbarung einem vollzuglichen Zweck dient, gelten die be­ reits benannten Offenbarungspflichten und -befugnisse des Anstaltsarztes ausnahmslos auch in Bezug auf begangene Straftaten.810 Da sich der An­ staltsarzt gegenüber der Anstaltsleitung nur dann offenbaren muss, wenn dieses zur Erfüllung der Aufgaben der Vollzugsanstalt erforderlich oder un­ bedingt erforderlich ist, muss dies auch in Bezug auf Informationen über eine begangene Straftat gelten. Soweit die bereits genannten Voraussetzungen für eine Offenbarung gegeben sind,811 ergeben sich hier keinerlei Besonder­ heiten unter Berücksichtigung des § 114e S. 1 StPO. Liegen die Vorausset­ zungen für eine Offenbarungspflicht nach den Landesgesetzen vor, so muss sich der Anstaltsarzt offenbaren. Liegen die Voraussetzungen für eine Offen­ barungsbefugnis vor, so kann der Anstaltsarzt unter Abwägung der wider­ streitenden Interessen entscheiden, ob er sich offenbart oder nicht. Ergänzend sei hier noch angemerkt, dass Kenntnisse, welche auf eine Wie­ derholungsgefahr schließen lassen, erweiterte Prüfungspflichten des Anstalts­ arztes nach sich ziehen können. Wird dem Arzt bekannt, dass der betreffende Gefangene in der Vergangenheit Straftaten gleicher Art begangen hat und ist zu befürchten, dass eine Wiederholungsgefahr auch in Zukunft besteht, hat der Anstaltsarzt insbesondere den Hilfsbedarf des betreffenden Gefangenen zu überprüfen. Unter Umständen kann die in dem konkreten Einzelfall not­ wendige ärztliche oder therapeutische Betreuung innerhalb und außerhalb der Vollzugsanstalt nur durch eine Offenbarung erreicht werden. Eine Offenba­ rung in einem solchen Fall birgt zugleich aber die Gefahr, dass die Kennt­ nisse in Bezug auf die Straftaten und die Wiederholungsgefahr sodann auch im gerichtlichen Verfahren verwendet werden. Der Anstaltsarzt hat hier ge­ wissenhaft die widerstreitenden Interessen abzuwägen und nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. In derjenigen Konstellation, in der die Offenbarung der begangenen Tat allein der Tataufklärung selbst dient, kann hingegen keinerlei Offenbarungs­ pflicht des Anstaltsarztes konstruiert werden. Dies muss auch unter Berück­ sichtigung des § 114e S. 1 StPO und der darin enthaltenen Pflicht zur Weiter­ gabe von Informationen durch die Vollzugsanstalt Bestand haben. Für dieses Ergebnis lassen sich folgende Begründungen anführen: 810  Vgl. 811  S.

hierzu auch oben unter C.IV.1.a) und b). oben unter C.IV.1.a) und b).

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Der Anstaltsarzt würde sich in einer schwierigen Situation wiederfinden, wenn er explizit Informationen in Bezug auf eine oder mehrere begangene Straftaten zu offenbaren hätte, um die Tataufklärung voranzutreiben. Er müsste sich permanent damit auseinandersetzen, dass jegliche Informationen für die Tataufklärung relevant sein könnten und von ihm mitgeteilt werden müssen. Im Rahmen der Offenbarungsbefugnisse müsste er zudem stetig zwischen dem staatlichen Aufklärungsinteresse und dem Interesse des Gefan­ genen an der Geheimhaltung der spezifischen Straftat oder deren Umstände abwägen. Hier ist eine klare Grenzziehung in Bezug auf die Offenbarungs­ pflichten und -befugnisse notwendig, damit der Anstaltsarzt seine ärztliche Tätigkeit innerhalb der Vollzugsanstalt noch sinnvoll ausüben kann. Die ei­ gentliche Aufgabe des Anstaltsarztes ist und bleibt die ärztliche Versorgung der Gefangenen innerhalb der Vollzugsanstalt. Diese Aufgabe darf nicht da­ durch in den Hintergrund gerückt werden, dass der Anstaltsarzt sich zusätz­ lich damit befassen muss, ob, was und wann er an Informationen zur Tatauf­ klärung beitragen kann. Die ärztliche Schweigepflicht darf auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Anstaltsarzt zu einem Informanten im Strafverfahren gemacht wird. Vielmehr hat der Anstaltsarzt während seiner Tätigkeit und auch im Rahmen einer Offenbarung der Erkenntnisse besonderes Gewicht auf die Unschulds­ vermutung und das Schweigerecht des betroffenen Gefangenen zu legen.812 § 114e S. 1 StPO kann hier nicht dazu führen, dass die Abwägungsentschei­ dung dauerhaft zugunsten der Aufklärung einer Straftat ausfallen muss. Es würde zudem eine ungerechtfertigte Ausdehnung der, ohnehin schon weitreichenden, Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes bedeuten, wenn zusätzlich verlangt würde, dass Anstaltsärzte jegliche Informationen über begangene Straftat offenbarten. Diese Betrachtung würde einen zusätzlichen, erheblichen Nachteil für die in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldig­ ten und Angeklagten bedeuten. Durch die Ausdehnung der Offenbarungs­ pflichten würden sie gegenüber in Freiheit befindlichen Beschuldigten und Angeklagten zusätzlich schlechter gestellt. Untersuchungsgefangene wären einerseits auf die ärztliche Betreuung durch den Anstaltsarzt angewiesen, andererseits aber auch dessen Beobachtungen und möglichem Erkenntnis­ gewinn ausgeliefert. Es bestünde für die Betroffenen dabei die Gefahr, dass jegliche Informationen, welche mit der von ihnen begangenen Straftat in Verbindung stehen könnten, an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wei­ tergeleitet würden. Unter diesen Umständen verbliebe auch keinerlei Raum für eine effektive medizinische Betreuung im Rahmen der Untersuchungs­ haft, da eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung gar nicht erst entste­ hen könnte. Untersuchungsgefangene würden so unter mehreren Gesichts­ 812  Vgl.

hierzu schon unter C.IV.1.a) und b).



C. § 114e StPO299

punkten erheblich schlechter gestellt als auf freiem Fuß befindliche Beschul­ digte und Angeklagte. An dieser Stelle sei schließlich noch darauf hingewiesen, dass für außer­ halb des Untersuchungshaftvollzugs tätige Ärzte keine allgemeine Pflicht zur Anzeige begangener Straftaten besteht.813 Es entspricht vielmehr der über­ wiegenden Ansicht, dass eine Offenbarung einer begangenen Straftat durch einen Arzt die Begehung einer Straftat nach § 203 StGB darstellt.814 Die Anzeige bereits begangener Straftaten und allgemeine Interessen der Straf­ verfolgung sollen gerade nicht ausreichen, um den Bruch der Schweigepflicht rechtfertigen zu können.815 Wie bereits oben beschrieben, enthält § 114e S. 1 StPO gerade keine spe­ zifische Verpflichtung des Anstaltsarztes zu einer Offenbarung.816 In Erman­ gelung einer expliziten Pflicht zur Offenbarung begangener Straftaten müssen die allgemeinen Regelungen also auch für Anstaltsärzte gelten. Es würde somit der überwiegenden Ansicht widersprechen, wenn der Anstaltsarzt be­ gangene Straftaten allein um deren Tataufklärung willen offenbaren müsste. Die insoweit noch zu beantwortende Frage ist also nicht, ob sich aus § 114e S. 1 StPO in Verbindung mit den Landesgesetzen eine Pflicht zur Offenba­ rung begangener Straftaten ableiten lässt. Vielmehr bleibt die Frage zu beant­ worten, ob § 114e S. 1 StPO einen Rechtfertigungsgrund für den Bruch der ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs dar­ stellen kann. Diese Frage soll im nächsten Kapitel eingehend untersucht werden. 3. Zusammenfassende Betrachtung In diesem Anschnitt wurden Offenbarungspflichten und Offenbarungsbe­ fugnisse des Anstaltsarztes aus den Landesgesetzen unter Berücksichtigung des § 114e S. 1 StPO dargestellt. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die Landesgesetze eine andere Ausrichtung in Bezug auf die Offenbarungen von Tatsachen haben als § 114e StPO. Die Landesgesetze regeln vorwiegend die Informationsübermittlung innerhalb der Anstalt. Dabei berücksichtigen sie die Aufgaben der Vollzugsanstalt und deren unterstützende Funktionen im Strafverfahren. Die Untersuchungshaft dient gerade nur der Verwirklichung 813  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 38; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 58. 814  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 58; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 25; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66. 815  NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 66. 816  S. unter C.I.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

der mit den genannten Vorschriften verfolgten Haftzwecke.817 Sie soll ledig­ lich gewisse Störungen des Prozesses verhindern, nicht aber Ermittlungen fördern.818 Da die Aufgabe der Vollzugsanstalt also gerade nicht in der Auf­ klärung von Sachverhalten und der Ermittlung im Rahmen der jeweiligen Straftat liegt, definieren die Landesgesetze die Offenbarungspflichten und -befugnisse für Anstaltsärzte auch nicht unter Berücksichtigung dieser Auf­ gabe. An dieser Stelle bleibt zudem festzustellen, dass sich unter Berücksich­ tigung des § 114e S. 1 StPO keine besonderen Offenbarungspflichten und -befugnisse in Bezug auf geplante oder begangene Straftaten ergeben. Die Mitteilungspflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO ist eine Aufgabe, welche sie im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs zu erfüllen hat. Dies führt jedoch nicht dazu, dass sich der Inhalt der Offenbarungspflichten und -befugnisse für Anstaltsärzte ändert. Die Landesgesetze statuieren hier diffe­ renzierte, zugleich aber auch abschließende Normen. Die Bestimmungen sind auch grundsätzlich geeignet, den Gefahren geplanter und den eventuell bestehenden Folgen begangener Straftaten entgegenzuwirken. Gleichzeitig versuchen die landesgesetzlichen Regelungen auch, den Interessen der Ge­ fangenen an der Geheimhaltung bestimmter Informationen, den Persönlich­ keitsrechten der Gefangenen sowie datenschutzrechtlichen Standards gerecht zu werden. Eine allgemein gehaltene Bundesnorm kann hier nicht dazu füh­ ren, dass bestimmtere Regelungen der Landesgesetze außer Kraft gesetzt werden. Die Diskussion der landesgesetzlichen Regelungen zeigte zudem, dass die Offenbarungspflichten und -befugnisse der Anstaltsärzte in den Landesgeset­ zen sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Aus dieser Rechtslage folgt auch, dass die Mitteilungspflichten der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO in differenziertem Maße erfüllt werden können. Die Vollzugsanstalt muss im Rahmen des § 114e S. 1 StPO nur diejenigen Informationen mitteilen, wel­ che ihr bekannt geworden sind. Der Umfang des Bekanntwerdens von Infor­ mationen wird jedoch wesentlich durch die Landesgesetze bestimmt. In Sachsen-Anhalt besteht weder eine Offenbarungspflicht noch eine Of­ fenbarungsbefugnis der Ärzte in Bezug auf die Aufgabenerfüllung der Voll­ zugsanstalt. Hier gelten für den Arzt also allein die allgemeinen Vorgaben zur Informationsübermittlung für Beamte oder Bedienstete.819 Aufgrund die­ ser Rechtslage ist davon auszugehen, dass den Anstaltsleitungen weniger Informationen bekannt werden, da sie schlicht nicht über alle im Zusammen­ 817  Löwe/Rosenberg/Lind,

Vor § 112 Rn. 79. HRRS 2008, 236 (239). 819  Vgl. hierzu oben unter C.III.1.a) bis c). 818  Seebode,



C. § 114e StPO301

hang mit der Aufgabenerfüllung stehenden Tatsachen informiert werden müssen. Im direkten Gegensatz dazu bestehen in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern sehr weitreichende und vor allem allgemein ge­ haltene Offenbarungspflichten für Anstaltsärzte. Auch fehlt es in diesen Ländern an einer Privilegierung des Anstaltsarztes im Rahmen der allgemei­ nen Gesundheitsfürsorge. Anstaltsärzte sind in diesen Ländern also verpflich­ tet, sehr viel zu offenbaren. Folglich werden die Anstaltsleitungen in diesen Bundesländern auch über mehr Informationen verfügen, welche sie an das Gericht und die Staatsanwaltschaft weiterleiten können. Die Mitteilungs­ pflicht der Vollzugsanstalt aus § 114e S. 1 StPO wird hier vermutlich öfter zur Anwendung kommen als in anderen Bundesländern. Die in diesem Anschnitt behandelten Fragen zeigen somit auch, welche Probleme sich aus einer Aufspaltung der Gesetzgebungskompetenzen erge­ ben können. Die landesgesetzlichen Regelungen der Vollstreckung der Unter­ suchungshaft und die bundesgesetzlichen Regelungen, insbesondere § 114e StPO, haben einen sehr unterschiedlichen Regelungsgehalt. Auch differieren die landesgesetzlichen Regelungen untereinander in erheblichem Maße. Den­ noch lassen sich einige Feststellungen treffen, welche für das Zusammenspiel zwischen § 114e S. 1 StPO und allen landesrechtlichen Regelungen gelten. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Regelung des § 114e S. 1 StPO die Offenbarungspflichten und -befugnisse von Anstaltsärzten aus den Landesge­ setzen nicht erweitert. Insofern werden die datenschutzrechtlichen Bemühun­ gen der Landesgesetzgeber bei der Gesetzgebung der Landesjustizdaten­ schutzgesetze auch nicht außer Acht lassen oder durch ein Bundesgesetz umgangen. In Bezug auf §§ 114d und 114e StPO wird der mangelnde Schutz der personenbezogenen Daten und die Missachtung datenschutzrechtlicher Mindeststandards kritisiert.820 Zudem wird angeführt, die Normen beträfen den unantastbaren Kernbereich des Persönlichkeitsrechts und griffen unge­ rechtfertigt in diesen ein.821 Obwohl diese Befürchtungen bereits vor Inkraft­ treten der Datenschutzgrundverordnung geäußert wurden, sind sie spätestens seit diesem Zeitpunkt deutlicher geworden. Während die Strafprozessordnung im Bereich der §§ 114d und 114e keine Anpassung im Hinblick auf Daten­ schutzrecht erfahren hat, haben die Landesgesetzgeber jedoch auf diese Ver­ änderungen reagiert. Insbesondere die Landesvollzugsdatenschutzgesetze re­ geln spezifisch, wie die Vorgaben des Datenschutzes innerhalb von den Vollzugsanstalten zu erfüllen sind. Diese Regelungen werden auch nicht durch § 114e S. 1 StPO umgangen, da die Norm nicht direkt in die Datener­ hebung und -weitergabe innerhalb der Vollzuganstalt hineinwirkt. 820  SSW-StPO/Herrmann, 821  SSW-StPO/Herrmann,

§ 114d Rn. 21; SK-StPO/Paeffgen, § 114d Rn. 4. § 114d Rn. 21; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 6.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Die landesrechtlichen Regelungen zeigen überwiegend einen adäquaten Schutz in Bezug auf die Geheimhaltungsinteressen der Gefangenen, welcher nicht durch die Inbezugnahme des § 114e StPO konterkariert werden sollte. Zudem berücksichtigen die landesrechtlichen Regelungen die besonderen Umstände der medizinischen Versorgung im Rahmen der Untersuchungshaft. Sie beziehen dabei auch den besonderen staatlichen Schutzauftrag in Bezug auf das Leben und die Gesundheit der Untersuchungsgefangenen mit ein. Die Regelungen schaffen die Grundlage für das Entstehen eines vertrauens­ vollen Arzt-Patienten-Verhältnisses, indem sie anerkennen, dass ein Bereich bestehen muss, in dem der Anstaltsarzt schweigen darf. Es bleibt hier also festzuhalten, dass § 114e StPO weder für Anstaltsärzte gilt noch direkte Aus­ wirkungen auf die durch die Landesgesetze festgeschriebenen Offenbarungs­ befugnisse und Offenbarungspflichten der Anstaltsärzte hat.

D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten Die in diesem Kapitel untersuchten Offenbarungspflichten von Anstalts­ ärzten wurden bisher teilweise isoliert voneinander betrachtet. Abschließend sollen sie miteinander verglichen werden. Dieser Vergleich dient zunächst der Darstellung der Umstände, unter welchen sich Anstaltsärzte jeweils of­ fenbaren müssen, die Normen also gleichlaufende Pflichten normieren. In diesem Zusammenhang können die Beschreibung der Gemeinsamkeiten und die Ableitung allgemeiner Prinzipien dazu beitragen, die für Anstaltsärzte geltende Rechtslage herauszustellen. Ferner soll deutlich gemacht werden, in welchen Punkten sich die Normen unterscheiden, und darüber hinaus sollen die gegebenenfalls bestehenden Probleme aus diesen Unterschieden verdeut­ licht werden. Zudem legen die untersuchten Normen jeweils in ihrem entsprechenden Anwendungsbereich Kriterien für die Kommunikation innerhalb der Anstalt fest. Abschließend soll dennoch versucht werden, allgemeine Prinzipien zur Regelung der Kommunikation und Offenbarung innerhalb von Vollzugsan­ stalten de lege ferenda zu formulieren. Aus der Formulierung der Anforde­ rungen an die Kommunikation innerhalb der Anstalt können sich sodann Lösungsansätze für die zuvor formulierten Anwendungsprobleme im Bereich der jeweiligen Normen ergeben.

I. Gemeinsame Eigenschaften und Anwendungsprobleme In Bezug auf die Gemeinsamkeiten der untersuchten Normen lässt sich grob zwischen deren Eigenschaften und den jeweils auftretenden Anwen­



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 303

dungsproblemen unterteilen. Unter Berücksichtigung der Eigenschaften und Anwendungsprobleme lassen sich sodann übergreifende Prinzipien formulie­ ren. 1. Eigenschaften Die zunächst mehr oder weniger deutliche Gemeinsamkeit der untersuch­ ten Normen besteht darin, dass sie zu einer Offenbarung von Geheimnissen verpflichten. Auch wenn sich die Normen nicht alle konkret auf Geheimnisse als Offenbarungsgegenstand beziehen, lässt sich der Bezug zu einer Offen­ barung von Geheimnissen teilweise direkt im Normtext erkennen, teilweise aber auch aus den Umständen bzw. dem Sinn der Verpflichtung ableiten. Soweit im Folgenden von Geheimnissen gesprochen wird, wird der Begriff so verwendet, wie er im Rahmen des § 203 StGB definiert wurde.822 Ge­ heimnisse sind demnach zumindest all diejenigen wahren Tatsachen, welche nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind.823 Die Tatsachen müs­ sen überdies einer bestimmten Person, nämlich dem Geheimnisträger, zuzu­ ordnen sein.824 Zudem muss der Geheimnisträger selbst die weitere Ge­ heimhaltung der Tatsachen wollen und ein Interesse an der weiteren Geheim­ haltung der Tatsachen haben.825 Der Begriff des Geheimnisses umfasst also das faktische Element des Geheimseins, das voluntative Element des Ge­ heimhaltungswillens und das normative Element des Geheimhaltungsinteres­ ses.826 § 138 StGB verpflichtet zunächst nur zu einer Anzeige einer geplanten Straftat, ohne dass Bezug darauf genommen wird, ob die Planung der Straftat geheim ist oder nicht. Die Vorschrift dient jedoch gerade dazu, die Planung einer der genannten Katalogtaten, welche vorher noch nicht allgemein be­ kannt ist, den entsprechenden Stellen bekannt zu machen. Somit besteht der Sinn und Zweck der Vorschrift zumindest auch darin, Geheimnisse aufzude­ cken. Diese Interpretation lässt sich zudem mit der Definition des Geheimnisbe­ griffes stützen. Wer eine Straftat plant, insbesondere eine der in § 138 StGB 822  Vgl.

hierzu 2. Kapitel C.II.1. Jura 2013, 780 (781); MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 13; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 5; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 14; SK-StGB/ Hoyer, § 203 Rn. 12; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 6; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203– 205 StGB Rn. 2. 824  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 2; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 14. 825  Bosch, Jura 2013, 780 (781). 826  OLG Hamm NJW 2001, 1957; Bosch, Jura 2013, 780 (781); MüKo-StGB/ Cierniak/Niehaus, § 203 Rn. 12; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 2. 823  Bosch,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

genannten Taten, wird dies in aller Regel verheimlichen und wird dies auch nicht allgemein bekannt machen. Somit wird die Planung einer Straftat in der Regel ein Geheimnis darstellen. Darüber hinaus lässt sich der Bezug zu Geheimnissen auch aus § 138 i. V. m. § 139 Abs. 3 S. 2 StGB ableiten. Vorliegend wurden explizit die Of­ fenbarungspflichten von Anstaltsärzten untersucht, folglich ist bei den ge­ meinsamen Eigenschaften der behandelten Normen auch gerade darauf abzu­ stellen, ob Anstaltsärzte nach den jeweiligen Normen Geheimnisse offenba­ ren müssen. Der in § 139 Abs. 3 S. 2 StGB formulierte Tatbestandsausschluss setzt explizit voraus, dass die betreffenden Tatsachen einem Arzt „in dieser Eigenschaft anvertraut worden“ sind. Zwar sind weder die Berufsgeheimnis­ trägereigenschaft noch das Merkmal des Anvertrauens direkte Voraussetzun­ gen für die Einordnung einer Tatsache als Geheimnis, ihre Kombination deutet jedoch darauf hin, dass dem Berufsgeheimnisträger eine Tatsache un­ ter anderem gerade deswegen anvertraut worden sein kann, weil er zum Schweigen verpflichtet ist. Die Merkmale schließen also zumindest ein, dass durch den Geheimnisträger Geheimnisse anvertraut werden. Sofern sich der Geheimnisträger einem Arzt anvertraut, wird jener unter Umständen darauf vertrauen, dass die seinerseits offenbarten Tatsachen aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht vor einem weiteren Bekanntwerden geschützt sind. Damit sind Tatsachen, wie etwa die Planung einer Katalogtat, eher vor einem Be­ kanntwerden geschützt, wenn sie einem Berufsgeheimnisträger anvertraut werden, als wenn sie einer anderen Person anvertraut werden. Somit bleibt abschließend festzuhalten, dass die §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB auch zu einer Offenbarung von Geheimnissen verpflichten. In den Landesgesetzen ergibt sich die Verpflichtung zu einer Offenbarung von Geheimnissen überwiegend direkt aus dem jeweiligen Normtext. So se­ hen die meisten Normen vor, dass die zu offenbarenden Tatsachen dem Arzt als Geheimnis anvertraut wurden oder es sich um ein Geheimnis handelt, welches dem Arzt bekannt geworden ist.827 In § 60 Abs. 2 JVollzDSG Bln wird sogar ausdrücklich auf „Geheimnisse im Sinne von § 203 Abs. 1 StGB“ verwiesen, weshalb hier davon auszugehen ist, dass die Norm denselben Geheimnisbegriff zugrunde legt wie § 203 StGB.

827  Art. 201 Abs. 1 BayStVollzG; §§ 60 Abs. 2, 61 JVollzDSG Bln; § 133 Abs. 1 BbgJVollzG; §§ 45 Abs. 1 S. 1, 46 Abs. 1 BremJVollzDSG; § 26 Abs. 2 HmbJVollz­ DSG; § 61 Abs. 2 S. 1 HStVollzG; § 40 Abs. 3 S. 1 JVollzDSG M-V; § 195 Abs. 2 S. 1 NJVollzG; § 33 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG NRW; §§ 42 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1 LJ­ VollzDSG RP; §§ 45 Abs. 1 S. 1, 46 Abs. 1 JVollzDSG SL; §§ 46 Abs. 1 S. 1, 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG; §§ 57 Abs. 1, 58 Abs. 1 JVollzGB IV LSA; §§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 JVollzDSG SH; § 133 Abs. 1 ThürJVollzGB.



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 305

Einzig in § 51 JVollzGB I BW findet sich der Begriff des „Geheimnisses“ nicht wieder. Allerdings verweist diese Norm in Abs. 2 auf die „personenbe­ zogenen Daten, die durch die in § 203 Absatz 1 Nummer 1 […] StGB ge­ nannten Personen […] erhoben oder diesen sonst bekannt geworden sind“. Soweit die Norm auf die Berufsgeheimnisträger des § 203 StGB abstellt, lässt sich zumindest vermuten, dass auch die von diesen Personen als Ge­ heimnisse erfahrenen Tatsachen von der Norm erfasst sind. Zumindest schließt es die Norm nicht aus, dass es sich bei den erhobenen oder bekannt gewordenen personenbezogenen Daten um Geheimnisse handeln kann. So­ mit lässt sich für alle landesgesetzlichen Normen feststellen, dass sie zu einer Offenbarung von Geheimnissen verpflichten. Obwohl § 114e S. 1 StPO nach der hier vertretenen Ansicht Anstaltsärzte nicht direkt zu einer Offenbarung verpflichtet, bezieht er sich dennoch auch auf die Offenbarung von Geheimnissen. Zunächst bezieht sich § 114e S. 1 StPO auf Erkenntnisse, die den Empfängern „nicht bereits anderweitig be­ kannt geworden sind“. Die fehlende Kenntnis in Bezug auf bestimmte Um­ stände oder Tatsachen ist gerade einer der Bestandteile der Definition des Geheimnisses. Gleichwohl können den Empfängern, also dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, Erkenntnisse unbekannt sein, welche innerhalb der Vollzugsanstalt allgemein bekannt sind. Es sind also nicht ausschließlich Geheimnisse von der Mitteilungspflicht erfasst. Es können aber auch Tatsa­ chen innerhalb der Vollzugsanstalt bekannt werden, welche vorher nur einem beschränkten Personenkreis bekannt waren. Somit können auch Geheimnisse bekannt werden. Diese Geheimnisse sind sodann nach § 114e S. 1 StPO durch die Vollzugsanstalt an das Gericht und die Staatsanwaltschaft weiter­ zuleiten, sofern die Voraussetzungen der Norm vorliegen. Die Norm schließt also auch die Offenbarung von Geheimnissen durch die Vollzugsanstalt in ihren Regelungsbereich mit ein. Ferner kann die Vollzugsanstalt auch explizit zu einer Mitteilung von Ge­ heimnissen verpflichtet werden, welche einem Anstaltsarzt gegenüber offen­ bart wurden. Hierbei bleibt wiederum zu beachten, dass Geheimnisse nicht allein deswegen als solche zu bewerten sind, weil sie gegenüber Berufsge­ heimnisträgern geäußert wurden. Auch im Falle einer Kenntniserlangung durch einen Anstaltsarzt ist zwischen Geheimnissen und nicht geheimen Tatsachen zu unterscheiden, welche beide den Gegenstand der Mitteilungs­ pflicht der Vollzugsanstalt darstellen können. Dass sich die Mitteilungspflicht aus § 114e S. 1 StPO auch auf eine Offenbarung von solchen Geheimnissen, die einem Anstaltsarzt offenbart wurden, bezieht, ergibt sich aus dem Zusam­ menwirken der landesgesetzlichen Regelungen und § 114e S. 1 StPO. Wie bereits oben dargestellt wurde, beziehen sich die landesgesetzlichen Offen­ barungspflichten und -befugnisse auf eine Offenbarung von Geheimnissen,

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

welche Anstaltsärzten anvertraut oder sonst bekannt geworden sind. Wenn sich der Anstaltsarzt nun aufgrund der landesgesetzlichen Regelungen gegen­ über der Anstaltsleitung offenbaren muss, betrifft dies in der Regel Geheim­ nisse. Die Anstaltsleitung kann in der Folge verpflichtet sein, ebendiese Ge­ heimnisse aufgrund ihrer Pflicht aus § 114e S. 1 StPO an das Gericht und die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Die Kenntnis der Anstaltsleitung über den Inhalt der Geheimnisse führt schließlich auch nicht dazu, dass diese nicht mehr als Geheimnisse zu bewerten sind. Die Tatsachen sind auch nach einer Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung nur einem beschränkten Perso­ nenkreis bekannt und bleiben folglich ein Geheimnis. Somit umfasst § 114e S. 1 StPO zumindest auch die Mitteilung von Geheimnissen gegenüber den in der Norm genannten Empfängern. Eine weitere gemeinsame Eigenschaft der untersuchten Normen liegt in der besonderen Form der Kenntniserlangung der Geheimnisse. So beziehen sich alle Offenbarungspflichten auf eine Kenntniserlangung von Geheimnis­ sen aufgrund besonderer Verhältnisse oder Umstände. Einerseits können die Geheimnisse Anstaltsärzten aufgrund ihrer besonderen Stellung als solche bekannt werden. Andererseits können die Geheimnisse Anstaltsärzten auch durch die Gefangenen anvertraut werden. Die Kenntnis der Anstaltsärzte von den Geheimnissen beruht also vorwiegend auf ihrer ärztlichen Tätigkeit in­ nerhalb der Vollzugsanstalt. Die Kenntnis entspringt also der Arzt-PatientenBeziehung in Form eines besonderen Verhältnisses. Auch die Vollzugsanstalt erlangt ihre Kenntnis aufgrund eines besonderen Verhältnisses. Die Kenntnis der Geheimnisse wird hier allein dadurch be­ dingt, dass sich die betreffende Person in Strafhaft oder Untersuchungshaft befindet. Wäre die Person auf freiem Fuß, würden die Geheimnisse nicht von einem erweiterten Personenkreis wahrgenommen. Die Kenntnis der Voll­ zugsanstalt beruht also auf den besonderen Verhältnissen innerhalb der Voll­ zugsanstalt oder auf den besonderen Umständen des Vollzugs. Schließlich sehen alle in diesem Kapitel untersuchten Offenbarungspflich­ ten gleichermaßen vor, dass der Umfang der Offenbarung durch den oder die Normadressaten selbst zu bestimmen ist. Der Normadressat kann und muss im Detail jeweils selbst festlegen, was und in welchem Umfang er offenbart, ohne dass hierzu konkrete gesetzliche Vorgaben gemacht werden. Die Offen­ barung muss allein dazu geeignet sein, den von der jeweiligen Norm be­ stimmten Zweck zu erfüllen. Darüber hinaus gebieten die Normen jedoch nicht konkret, welche Tatsachen genau zu offenbaren sind.



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 307

2. Anwendungsprobleme Eine weitere Gemeinsamkeit der untersuchten Normen liegt in den poten­ ziell auftretenden Anwendungsproblemen im jeweiligen Regelungsbereich. Die untersuchten Normen regeln zunächst alle eine Kollision widerstreiten­ der Interessen. Auf der einen Seite steht jeweils das Interesse der Betroffenen an der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen und auf der anderen Seite befin­ den sich die Interessen bestimmter Personen, die jeweiligen Geheimnisse zu erfahren. Daneben stehen dem Geheimhaltungsinteresse in bestimmten Kon­ stellationen auch ein staatliches Interesse an der Offenbarung und ein staat­ licher Schutzauftrag zugunsten bestimmter Personen oder Personengruppen gegenüber. a) Die einzelnen Interessen In Bezug auf § 138 StGB besteht ein staatliches Interesse darin, die von der Norm genannten Rechtsgüter der Katalogtaten zu schützen. Nicht von § 138 StGB geschützt sind die Rechtsgüter der Strafrechtspflege oder die Rechtspflege als Organ der Verbrechensverhütung.828 § 138 StGB schützt vielmehr mittelbar die von den genannten Katalogstraftaten bedrohten Rechts­güter, und zwar bereits im Vorfeld einer Verletzung.829 Der Grund für die Anzeigepflicht liegt unter anderem darin, dass den Gefahren für die von den Katalogtaten genannten Rechtsgüter von staatlicher Seite möglicherweise nicht rechtzeitig begegnet werden kann.830 Der Staat ist also an einer Mitwir­ kung seiner Bürger interessiert. § 138 StGB begründet demnach bestimmte Bürgerpflichten, ohne den Bürgern direkt den Schutz von Individualinteres­ sen aufzubürden.831 Somit werden durch die Norm auch grundlegende Soli­ daritätspflichten begründet,832 wobei die mitmenschliche Solidarität jedoch nicht zu dem geschützten Rechtsgut wird.833 Die mitmenschliche Solidarität ist nicht das Rechtsgut der Vorschrift, sondern lediglich die Legitimation der

828  BeckOK-StGB/Heuchemer, § 138 Rn. 3; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1; a. A. Tag, JR 1995, 133 (134). 829  BGHSt 42, 86 (88); BGH NStZ 2010, 449; Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 138 Rn. 1; Fischer, § 138 StGB Rn. 3; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 1; BeckOK-StGB/ Heuchemer, § 138 Rn. 2; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 1; NK-StGB/Os­tendorf, §§ 138, 139 Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 138 Rn. 1. 830  NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 1. 831  OLG Karlsruhe NJW-RR 2013, 1180 (1182). 832  Fischer, § 138 StGB Rn. 3; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 1. 833  Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 138 Rn. 1; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 1; a. A. Otto, Grundkurs Strafrecht, BT, § 67 III.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Anzeigepflichten zum Schutz der Rechtsgüter der Katalogtaten.834 Die Vor­ schrift beruht auf dem Gedanken, dass der Einzelne infolge seiner sozialen Verbundenheit zu seinen Mitmenschen und der staatlichen Gemeinschaft da­ für mitverantwortlich ist, dass bestimmte Rechtsgüter von Individuen und der Gemeinschaft vor Verletzungen bewahrt bleiben.835 Ein „nicht-Handeln“ und somit unsolidarisches Verhalten soll aber gerade nur in den Fällen sank­ tioniert werden, in welchen eine Gefahr für die von den Katalogtaten ge­ nannten Rechtsgüter besteht. § 138 StGB bestraft also nicht eine sozialfeind­ liche Gesinnung, welche in der Nichtanzeige der geplanten Straftat zutage tritt, sondern bezweckt die Verhinderung der Begehung besonders schwerer Delikte.836 Schließlich liegt § 138 StGB zudem der Gedanke des Opferschut­ zes zugrunde.837 Der Schutz von Rechtsgütern vor Angriffen von Dritten kann als ein Teil des staatlichen Schutzauftrages zugunsten seiner Bürger betrachtet wer­ den. Somit regelt § 138 StGB die Kollision zwischen dem Geheimhaltungs­ interesse des die Katalogtat Planenden einerseits und den bedrohten Indivi­ dualrechtsgütern sowie dem Schutzinteresse des Staates andererseits. § 139 Abs. 3 S. 2 StGB bestimmt, dass dem Geheimhaltungsinteresse dann der Vorrang einzuräumen ist, wenn die Tat gegenüber einem Arzt offenbart wurde und keine der in § 139 Abs. 3 S. 1 StGB genannten Taten vorliegen. Die Normen der Landesgesetze benennen teilweise ausdrücklich die indi­ viduellen Rechtsgüter einzelner Personen oder Personengruppen, welche durch die Offenbarung vor einem Schaden bewahrt werden sollen.838 In den Fällen, in welchen auf den Schutz von Leib und Leben Bezug genommen wird, stehen ebendiese Rechtsgüter des Betroffenen dem Interesse des Ge­ heimnisträgers an der Geheimhaltung gegenüber. Hierbei können sich auch auf beiden Seiten Interessen des Geheimnisträgers gegenüberstehen. So kann er sein eigenes Leben oder seine eigene Gesundheit gefährden, zugleich aber ein Interesse an der Geheimhaltung dieser Gefährdung haben. Diese genann­ ten Regelungen der Landesgesetze beinhalten zudem den staatlichen Schutz­ auftrag gegenüber den Gefangenen und anderen in der Vollzugsanstalt be­ findlichen Personen, welchem durch die Offenbarung Rechnung getragen werden soll. Somit stehen sich auch in Bezug auf die Landesgesetze das Geheimhaltungsinteresse und das Interesse am Schutz der Individualrechts­ güter gegenüber.

834  LK-StGB/Krauß,

§ 138 Rn. 1; SK-StGB/Stein, § 138 Rn. 4, 6. § 138 Rn. 1. 836  Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 138 Rn. 1; LK-StGB/Krauß, § 138 Rn. 1. 837  BGH NStZ 1996, 595 (596). 838  Vgl. hierzu auch oben unter B.II. 835  LK-StGB/Krauß,



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 309

Ferner dienen die Normen auch den staatlichen Interessen der effektiven Strafvollstreckung, der Sicherung des Strafverfahrens, der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung innerhalb der Vollzugsanstalten sowie der Ab­ wehr oder Vorbeugung von Straftaten.839 Zwar können sich in bestimmten Konstellationen Überschneidungen zwischen dem Schutz von Individual­ rechtsgütern und rein staatlichen Interessen ergeben, es ist jedoch auch mög­ lich, dass allein staatliche Interessen betroffen sind. Grundsätzlich können sowohl das Strafverfahren wie auch die Sicherheit und Ordnung der Voll­ zugsanstalt gefährdet werden, ohne dass hierbei auch individuelle Rechts­ güter bedroht sind. Das Geheimhaltungsinteresse steht also in bestimmten Konstellationen allein staatlichen Interessen gegenüber. Im Rahmen des § 114e S. 1 StPO soll die effektive Durchführung des Strafverfahrens gewährleistet werden. Daneben dient die Regelung der Erfül­ lung der Aufgaben des Gerichts und der Staatsanwaltschaft.840 Diese beiden Elemente stellen staatliche Interessen an der Aufklärung und Ahndung von Straftaten dar. Zudem beinhaltet die Norm aber auch ein Interesse an der Kenntniserlangung über die Persönlichkeit und die Schuld des Betroffe­ nen.841 Somit stehen sich in Bezug auf § 114e S. 1 StPO das Geheimhal­ tungsinteresse des Betroffenen und das staatliche Interesse an Verbrechens­ aufklärung und effektiver Strafverfolgung gegenüber. b) Zweifelsfragen Im Bereich der widerstreitenden Interessen können sich auf unterschiedli­ chen Ebenen Anwendungsprobleme entwickeln. Zunächst können sich insbe­ sondere dann Probleme ergeben, wenn bei einer Abwägung nicht dem „rich­ tigen“ Interesse der Vorrang eingeräumt wird. Wie bereits oben erwähnt, wird die endgültige Entscheidung über eine Offenbarung durch den Norm­ adressaten selbst getroffen, woraus dann auch eine Fehlbewertung des vor­ rangigen Interesses resultieren kann. Es ist somit denkbar, dass Tatsachen offenbart werden, ohne dass die Voraussetzungen der jeweiligen Norm tat­ sächlich vorlagen, da die Interessen des Betroffenen an der Geheimhaltung bei der Abwägung überwogen hätten. 839  Vgl. hierzu ausführlich oben unter B.II. in Bezug auf die jeweiligen Normen der Landesgesetze. 840  Vgl. hierzu BT-Drs. 16/11644, S. 20 f. 841  Dieses Interesse kann zumindest aus der Gesetzesbegründung abgeleitet wer­ den, wo es heißt die „für die Frage der strafrechtlichen Schuld einer Person bedeut­ same Umstände“ seien mitzuteilen und darüber hinaus seien auch „bedeutsame[n] Umstände“ mitzuteilen, welche „für andere in einem anhängigen strafrechtlichen Verfahren zu treffende Entscheidungen […] von Bedeutung“ sein könnten. Vgl. BTDrs. 16/11644, S. 20.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Besonders in Bezug auf Drittgeheimnisse kann die Abwägung zwischen dem abstrakten Geheimhaltungsinteresse des Dritten und den von der jewei­ ligen Norm verfolgten Interessen Probleme bereiten. Diese können unter anderem dann auftreten, wenn sich der Dritte außerhalb des Vollzugs befin­ det, also selbst nicht inhaftiert ist. In diesen Fällen ist es möglich, dass die Beurteilung der Interessen des Geheimnisträgers an der Geheimhaltung der Tatsachen nicht oder nicht eindeutig zu ermitteln ist, da der Offenbarende keinerlei Kontakt zu dem Geheimnisträger hatte. Fehlen also bestimmte In­ formationen in Bezug auf das Geheimhaltungsinteresse des Dritten, können diese auch nicht in ausreichender Weise gegenüber den Offenbarungsgründen abgewogen werden. Neben den Anwendungsproblemen im Bereich der widerstreitenden Inter­ essen können sich auch in anderen Bereichen Zweifelsfragen stellen. So sind Fälle denkbar, in denen nicht geklärt werden kann, ob tatsächlich eine kon­ krete Gefahr für ein von der jeweiligen Norm genanntes Rechtsgut besteht. Gleichermaßen kann aber auch zweifelhaft sein, ob andere Voraussetzungen der jeweiligen Normen erfüllt sind oder ob der jeweils normierte Zweck überhaupt mit einer Offenbarung von Tatsachen erreicht werden kann. Ferner können auch Missverständnisse bei der Offenbarung der jeweiligen Tatsachen entstehen. Derartige Fehlvorstellungen sind hierbei auf drei Ebe­ nen möglich: Auf der ersten Ebene kann der Anstaltsarzt einen Gefangenen missverstehen und hieraus auf eine Offenbarungspflicht schließen, welche jedoch gar nicht besteht. Ebenso kann der Anstaltsarzt bestimmte Tatsachen, welche ihm anvertraut oder im Rahmen der Behandlung bekannt werden, falsch interpretieren oder falsche Schlüsse hieraus ziehen und daraus auf eine Offenbarungspflicht schließen, welche gar nicht besteht. Auf der zweiten Ebene kann der Anstaltsarzt im Rahmen seiner Offenba­ rung gegenüber der Anstaltsleitung falsch verstanden werden. Hier ist es möglich, dass der Anstaltsarzt die ihm anvertrauten oder bekannt geworde­ nen Tatsachen richtig verstanden oder interpretiert hat und diese auch richtig weitergibt, diese Informationen aber von der Anstaltsleitung als Informati­ onsempfänger falsch verstanden oder interpretiert werden. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass der Anstaltsarzt die von ihm falsch verstandenen oder interpretierten Tatsachen in entsprechender Weise an die Anstaltsleitung wei­ terträgt, sodass die Unrichtigkeit der Tatsachen fortbesteht. Ferner kann hier aber auch eine falsche rechtliche Bewertung der offenbarten Tatsachen sei­ tens der Anstaltsleitung vorgenommen werden. Tatsachen können fälsch­ licherweise als verfahrensrelevant eingestuft werden und in der Folge kann fälschlicherweise auf eine Weiterleitungspflicht geschlossen werden. Auf der dritten Ebene können schließlich die Informationen durch die Anstaltsleitung falsch weitergegeben werden oder durch die Informations­



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 311

empfänger, wie das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, falsch verstanden oder fehlinterpretiert werden. Auch in dieser Beziehung können zudem Miss­ verständnisse fortbestehen, wenn Tatsachen bereits zu Beginn durch den Anstaltsarzt falsch aufgenommen wurden oder durch die Anstaltsleitung falsch verstanden wurden. Somit kann sich eine Art Kette der Missverständ­ nisse bilden, welche sich über mehrere Ebenen erstrecken kann. In Bezug auf die landesgesetzlichen Regelungen ist hier zu beachten, dass diese nicht zwangsläufig die Weitergabe der Informationen auf der dritten Ebene vorsehen. Es wird zwar nicht ausgeschlossen, dass Tatsachen, welche nach den landesgesetzlichen Regelungen offenbart wurden, auch an Informa­ tionsempfänger außerhalb der Vollzugsanstalt weitergegeben werden, jedoch ist dies nicht zwingend nötig. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ob die Tatsachen aufgrund des Gebots der Zusammenarbeit842 weitergegeben werden müssen oder ob ein Tätigwerden des Gerichts oder der Staatsanwalt­ schaft nötig ist bzw. die Tatsachen Auswirkungen auf deren Tätigkeiten ha­ ben können.843 In Bezug auf den Vollzug der Untersuchungshaft kann dies unter anderem die Auferlegung von Beschränkungen sein, bei der Vollstre­ ckung der Freiheitsstrafe können dies Entscheidungen über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zu Bewährung sein. In beiden Fällen können Tatsachen, welche innerhalb der Vollzugsanstalt bekannt geworden sind, Ein­ fluss auf die Entscheidungsfindung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft haben. Bei der Informationsweitergabe vom Anstaltsarzt an die Anstaltsleitung, sowie der Weitergabe von der Anstaltsleitung an das Gericht und die Staats­ anwaltschaft, ist es zudem möglich, dass zu wenige oder zu viele Informa­ tionen offenbart werden. Der Offenbarungsumfang kann also entweder nicht ausreichen, um den von der Norm vorgesehenen Zweck zu erfüllen, oder der Offenbarungsumfang kann nicht mehr von der Norm gedeckt sein. Besonders in Fällen, in denen die vom Anstaltsarzt offenbarten Informationen nicht mehr von der jeweiligen Norm gedeckt sind, können erhebliche Probleme auftreten. In diesen Fällen stellt sich nämlich die Frage, ob sich der Anstalts­ arzt in Bezug auf die zu viel offenbarten Tatsachen nach § 203 Abs. 1 StGB strafbar machen kann. 842  Vgl. hierzu unter B.I.2.a); ferner § 16 JVollzGB I BW; Art. 175 BayStVollzG; Art. 7 II BayUVollzG; § 3 Abs. 1 S. 2 UVollzG Bln; § 3 BbgJVollzG; § 3 Abs. 1 S. 2 BremUVollzG; § 107 HmbStVollzG; § 3 Abs. 1 S. 2 HmbUVollzG; § 7 HUVollzG; § 3 Abs. 1 S. 2 UVollzG M-V; §§ 134b S. 1, 181 NJVollzG; § 5 StVollzG NRW; § 4 Abs. 2 UVollzG NRW; § 3 Abs. 2 LJVollzG RP; § 3 Abs. 1 S. 2 SUVollzG; § 2 Abs. 2 S. 1 SächsUHaftVollzG; §§ 3 Abs. 2 S. 2, 7 Abs. 4 JVollzGB I LSA; § 131 LStVollzG SH; § 3 Abs. 1 S. 2 UVollzG SH; § 3 Abs. 2 ThürJVollzGB. 843  Z. B. §§ 119a, 454, 455 StPO.

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Die genannten Anwendungsprobleme können bei allen der untersuchten Normen auftreten und sind jeweils einzeln oder auch in Kombination denk­ bar. So können in einem einzelnen Fall mehrere der Probleme auftreten und sich auch über mehrere der Kommunikationsebenen erstrecken. 3. Das Prinzip der Einzelfallbetrachtung der widerstreitenden Interessen Die Relevanz der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen im Einzelfall wird in allen Normen als Prinzip festgeschrieben. Die Normen stellen keine starren Regelungen in Bezug auf eine Offenbarung auf, sondern unterstreichen die Betrachtung der Umstände des Einzelfalles. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die jeweiligen Normen besondere Anforde­ rungen an die Offenbarungspflicht im Einzelfall stellen. Die §§ 138, 139 Abs. 2 S. 3 StGB setzen voraus, dass eine Katalogtat ernsthaft und konkret geplant wird.844 Ferner muss der Arzt sich ernsthaft bemühen, den Planen­ den von der Tat abzuhalten oder ihren Erfolg abzuwenden, wobei jeweils die Umstände des Einzelfalles entscheidend sind.845 Die Landesgesetze stellen teilweise ausdrücklich darauf ab, dass die Interessen der Gefangenen an der Geheimhaltung Berücksichtigung finden müssen.846 Auch im Übrigen ist die Bewertung der konkreten Offenbarungslage eine Einzelfallbewertung. Schließlich stellt auch § 114e S. 1 StPO auf eine Einzelfallbewertung ab, da die Informationen nur dann mitzuteilen sind, wenn sie für die Aufgabenerfül­ lung der Empfänger von Bedeutung sind. Die Bedeutsamkeit von Informa­ tionen wird überwiegend nach dem vorliegenden Einzelfall und den konkre­ ten Informationen zu bewerten sein. 4. Das Prinzip der Ermittlung des Offenbarungsumfanges Schließlich lässt sich als allgemeines Prinzip ableiten, dass die jeweiligen Normadressaten selbst zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für eine Offenbarung gegeben sind und in welchem Umfang sie sich zu offenbaren haben. Die Normen geben insbesondere nicht selbst vor, welche Tatsachen und in welchem Umfang diese offenbart werden müssen. Allerdings muss die 844  BeckOK-StGB/Heuchemer, § 138 Rn. 8; MüKo-StGB/Hohmann, § 138 Rn. 10; Lackner/Kühl/Heger, § 138 Rn. 2; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 13. 845  BeckOK-StGB/Heuchemer, § 139 Rn. 11; MüKo-StGB/Hohmann, § 139 Rn. 19; NK-GS/Koch, § 139 StGB Rn. 6; NK-StGB/Ostendorf, §§ 138, 139 Rn. 18. 846  § 61 Abs. 1 JVollzDSG Bln; § 46 Abs. 1 BremJVollzDSG; § 33 Abs. 2 S. 2 JVollzDSG NRW; § 43 Abs. 1 LJVollzDSG RP; § 46 Abs. 1 JVollzDSG SL; § 47 Abs. 1 SächsJVollzDSG; § 58 Abs. 1 JVollzGB IV LSA; § 46 Abs. 1 JVollzDSG SH.



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 313

Offenbarung jeweils geeignet sein, den Zweck der Norm zu erreichen. Die jeweiligen Normadressaten haben insbesondere die Interessenabwägung selbst vorzunehmen. Hierbei werden sie in der Regel aufgrund ihres persön­ lichen Wissens und ihrer persönlichen Stellung beurteilen können, wie die jeweiligen Interessenlagen zu bewerten sind und nach bestem Wissen und Gewissen eine Abwägung vornehmen. 5. Zwischenfazit Abschließend lassen sich somit zumindest zwei allgemeine Prinzipien aus den untersuchten Normen ableiten: 1.  Die Entscheidung über eine Offenbarung ist immer eine Einzelfallent­ scheidung unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Interessen. 2. Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für eine Offenba­ rung vorliegen und deren Umfang müssen von den Normadressaten selbst ermittelt werden. Bei dieser Prüfung sind die widerstreitenden Interessen im Einzelfall durch die Normadressaten gegeneinander abzuwägen. Dabei muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen Beachtung finden.

II. Anforderungen an die Kommunikation und Auflösung von Anwendungsproblemen Einige der grundsätzlichen Regelungen in Bezug auf die Kommunikation innerhalb von Vollzugsanstalten wurden bereits dargelegt.847 Im Rahmen der Beratungs- und Unterstützungspflicht sind die verbeamteten Vollzugsbe­ diensteten verpflichtet, der Anstaltsleitung die für den Vollzug relevanten Erkenntnisse mitzuteilen. Ferner legt Nr. 9 der Dienst- und Sicherheitsvor­ schriften für den Strafvollzug (DSVollz) ebenfalls umfangreiche Mitteilungs­ pflichten fest, wobei explizit wichtige Vorgänge und bestimmte Beobachtun­ gen als mitzuteilende Tatsachen genannt sind. Ferner sind Erkrankungen von Gefangenen dem Anstaltsarzt anzuzeigen.848 Klärungsbedürftig bleibt jedoch, ob die §§ 138, 139 Abs. 3 StGB, die Lan­ desgesetze und § 114e S. 1 StPO über die allgemeinen Regelungen hinaus weitere objektive Maßstäbe dafür schaffen, was innerhalb der Vollzugsanstalt kommuniziert werden muss und wie in Fällen von Zweifelsfragen und Miss­ verständnissen zu verfahren ist. 847  S. 848  S.

hierzu oben unter C.III.1.a) und b). hierzu ausführlich oben unter C.III.1.a).

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

Den Landesgesetzen zum Untersuchungshaftvollzug und Strafvollzug liegt überwiegend die Idee zugrunde, dass die am Vollzug beteiligten Personen vertrauensvoll zusammenarbeiten. Gleichermaßen scheint vorausgesetzt zu sein, dass die Beteiligten ihre jeweiligen Pflichten kennen und aufgrund die­ ser handeln. Anderenfalls würden die Offenbarungspflichten und -befugnisse aus den Landesgesetzen ins Leere laufen. Die Regelungen treffen hingegen keine konkreten Vorgaben in Bezug auf Zweifelsfragen oder Missverständ­ nisse. Somit lässt sich nur aus den oben erarbeiteten Prinzipien und einer lebensnahen Betrachtung darauf schließen, wie mit den jeweiligen Anwen­ dungsproblemen umzugehen ist. Die Verschwiegenheit von Anstaltsärzten bleibt zunächst so weit fortbeste­ hen, wie sie nicht ausdrücklich zu einer Offenbarung verpflichtet oder befugt sind. Diese Einschränkung in der anstaltsinternen Kommunikation ist von den übrigen Beteiligten hinzunehmen. Sollte der Anstaltsarzt nach seiner eigenen Einschätzung zu dem Ergebnis kommen, dass er sich gegenüber der Anstaltsleitung offenbaren muss oder darf, ist diese Entscheidung zunächst nicht anzuzweifeln. Nach den hier aus­ gearbeiteten Prinzipien legen die Normen die Abwägung der widerstreiten­ den Interessen nämlich gerade in die Hände der Normadressaten. Erst wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Abwägung unter grober Missach­ tung der Umstände des Einzelfalles vorgenommen wurde, kann die Entschei­ dung zu überprüfen sein. So kann es geboten sein, die Offenbarungsentschei­ dung im Rahmen der ausgeübten Dienstaufsicht849 zu kontrollieren. Ebenso kann die Entscheidung auf grobe Fehler bei der Ermittlung des Offenba­ rungsumfanges überprüft werden. In Bezug auf die Weiterleitung der Infor­ mationen an das Gericht und die Staatsanwaltschaft kann eine fehlerhafte Abwägung der widerstreitenden Interessen gegebenenfalls gerichtlich zu überprüfen sein. Ebenso ist im Bereich der Zweifelsfragen zu verfahren, da diese ebenfalls auf einer subjektiven Entscheidung im Einzelfall beruhen. Missverständnisse in der Kommunikation sind hingegen hinzunehmen, sofern sie nicht grob fahrlässig verursacht oder aufrechterhalten wurden. Bei lebensnaher Betrachtung werden sich Missverständnisse schlicht nicht ver­ meiden lassen, unabhängig von den jeweils kommunizierenden Personen oder Stellen. Die Entstehung von Missverständnissen in Bezug auf bestimmte Informationen gehört zu einem allgemeinen Lebensrisiko und lässt sich we­ der im Vollzug noch im Ermittlungsverfahren oder Gerichtsverfahren ver­ meiden. Missverständnisse sind somit nicht zu Lasten des Anstaltsarztes oder der Anstaltsleitung zu behandeln. Soweit der Anstaltsarzt aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hat, um seiner Anzeigepflicht nachzukommen, kann 849  S.

hierzu 1. Kapitel B.II.5.



D. Systematischer Vergleich der normierten Offenbarungspflichten 315

es ihm nicht angelastet werden, wenn seine Offenbarung nicht richtig ver­ standen wird. Ebenso kann es der Anstaltsleitung nicht angelastet werden, wenn die von ihr weitergeleiteten Informationen falsch verstanden oder inter­ pretiert werden. Erst wenn sich zeigt, dass das Missverständnis grob fahrläs­ sig verursacht oder aufrechterhalten wurde, kann eine Aufklärung und gege­ benenfalls gerichtliche Entscheidung im Einzelfall erforderlich werden. Schließlich ist noch zu klären, wie mit solchen Fällen umzugehen ist, in denen Anstaltsärzte zu viel oder zu wenig offenbaren. De lege lata setzen die untersuchten Normen voraus, dass die Offenbarung dazu geeignet sein muss, den von der jeweiligen Norm bestimmten Zweck zu erfüllen. Sollte dies nicht gewährleistet sein, weil der Anstaltsarzt zu wenig Informationen offen­ bart hat, um den jeweiligen Normzweck zu erfüllen, kann dies strafrechtliche oder dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. In beiden Fällen wer­ den jedoch die subjektiven Beweggründe bzw. die Absichten hinter der kon­ kreten Offenbarung zu berücksichtigen sein. Erst wenn festgestellt werden kann, dass sich der Anstaltsarzt wissentlich und willentlich nicht in dem Umfang offenbart hat, wie es zur Erreichung des Normzweckes erforderlich gewesen wäre, können sich hieraus Konsequenzen ergeben. Abschließend verbleibt noch zu erörtern, ob es ein „zuviel Erzählen“ ge­ ben kann. Dies würde Fälle betreffen, in denen Anstaltsärzte mehr Informa­ tionen offenbaren, als zur Erreichung des Normzweckes nötig gewesen wäre. Die Normen geben den jeweiligen Adressaten auf, den Umfang der zu offen­ barenden Tatsachen zu bestimmen. Es wird dabei zunächst eine Untergrenze der zu offenbarenden Tatsachen, nämlich die Erreichung des Zwecks, festge­ legt. Die Obergrenze für eine Offenbarung wird ebenfalls durch die jeweili­ gen Normen bestimmt, da die jeweilige Pflicht bzw. Befugnis gerade nur in dem zur Zielerreichung nötigen Umfang besteht. Die Obergrenze der Offen­ barung kann sich zudem aus den allgemeinen Regelungen in Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht ergeben. Maßgeblich sind hier demnach die berufs­ rechtlichen Pflichten und der § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Soweit die Vorausset­ zungen für einen berufsrechtswidrigen oder strafbaren Bruch der Schweige­ pflicht in Bezug auf die zu viel offenbarten Informationen vorliegen, kann dieser entsprechend geahndet werden. Dabei ist jedoch genau zu erforschen, welche Informationen tatsächlich nötig gewesen wären und welche Informa­ tionen nicht hätten offenbart werden müssen und dürfen. Auch in diesen Fällen ist jedoch zwischen fahrlässigem und vorsätzlichem Handeln zu unter­ scheiden. Erst wenn festgestellt werden kann, dass der Anstaltsarzt vorsätz­ lich mehr Informationen offenbart hat, als nötig gewesen wären, kann dies zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. In Bezug auf eine Weitergabe zu vieler Informationen durch die Anstalts­ leitung wird es hingegen maßgeblich sein, ob der Geheimnisträger dadurch

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3. Kap.: Offenbarungspflichten des Anstaltsarztes

in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wurde. Zu­ dem können auch Vorgaben des Datenschutzrechtes verletzt sein.

III. Zusammenfassende Betrachtung Abschließend lässt sich hier festhalten, dass die untersuchten Offenba­ rungspflichten und -befugnisse trotz ihrer scheinbar großen Unterschiede auf einen gemeinsamen Kern rückführbar sind. Die Normen bezwecken keine Informationsgewinnung oder Mitteilung um jeden Preis, sondern fordern eine Offenbarung nur zu bestimmten Zwecken. Die Prinzipien, welche sich in allen Normen wiederfinden, sind die Ermittlung der Offenbarungsvoraus­ setzungen und des Offenbarungsumfanges durch die Normadressaten unter einer Einzelfallbetrachtung der widerstreitenden Interessen sowie unter Be­ achtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

4. Kapitel

§ 114e StPO als Rechtfertigungsgrund In den voranstehenden Kapiteln wurden die unterschiedlichen Offenba­ rungspflichten und Offenbarungsbefugnisse von Anstaltsärzten dargestellt. Hierbei wurde im letzten Kapitel herausgearbeitet, dass § 114e S. 1 StPO ge­ rade keine Verpflichtungen zur Mitteilung von Tatsachen für Anstaltsärzte normiert. Abschließend soll in diesem Kapitel nun untersucht werden, ob § 114e S. 1 StPO einen Rechtfertigungsgrund für eine Offenbarung durch ei­ nen Anstaltsarzt darstellen kann. Diese Frage ist für die betroffenen Anstalts­ ärzte relevant. Sofern ein Anstaltsarzt Informationen, welche ihm im Rahmen seiner Tätigkeit bekannt geworden sind, direkt an das Gericht oder die Staats­ anwaltschaft übermittelt, könnte er sich nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen. Eine Strafbarkeit kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn die Of­ fenbarung unbefugt war, weil beispielsweise kein Rechtfer­tigungsgrund für die Offenbarung vorlag.1 Sofern § 114e S. 1 StPO als Rechtfertigungsgrund fungieren kann und die Voraussetzungen einer solchen Rechtfertigung vor­ liegen, wäre die Offenbarung nicht unbefugt und der sich offenbarende An­ staltsarzt würde sich somit nicht strafbar machen. Ferner kann die Bewertung des § 114e S. 1 StPO als Rechtfertigungsgrund Auswirkungen auf die Verwertung der offenbarten Tatsachen im gericht­ lichen Verfahren haben. Für den Fall, dass eine Rechtfertigung nach § 114e S. 1 StPO in Betracht kommt, stünden einer Verwertung der Tatsachen vo­ raussichtlich keine Gründe entgegen. Liegt hingegen eine rechtswidrige Of­ fenbarung aufgrund des Fehlens einer Rechtfertigung vor, wäre zu diskutie­ ren, ob und welche Voraussetzungen für eine Verwertbarkeit der Tatsachen gegeben sein müssten oder ob eine Verwertung der jeweiligen Tatsachen ausgeschlossen werden müsste.

A. Fallgestaltungen anstaltsärztlicher Offenbarung In der Einleitung dieser Arbeit wurde ein Fall geschildert, in welchem eine Anstaltspsychologin ohne vorherigen Auftrag Informationen über den psy­ chischen Zustand des Angeklagten und die, ihrer Ansicht nach, daraus resul­ 1  Vgl.

zum Tatbestandsmerkmal „unbefugt“ 2. Kapitel C.II.5.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

tierenden notwendigen rechtlichen Schritte, an das Gericht und die Staats­ anwaltschaft übermittelte.2 Zwar werden in dieser Arbeit nicht die Offen­ barungen von Anstaltspsychologen behandelt,3 es ist jedoch nicht ausge­ schlossen, dass sich ein Anstaltsarzt zur psychischen Verfassung eines Gefangenen äußert und die nach seiner fachlichen Einschätzung notwendigen Maßnahmen mitteilt. Eine solche Fallgestaltung, wie sie in der Einleitung beschrieben wurde, ist mithin auch in Bezug auf einen Anstaltsarzt denkbar. Im Folgenden sollen die oben geschilderte Konstellation sowie weitere in Betracht kommende Konstellationen einer Offenbarung durch Anstaltsärzte dargestellt und systematisiert werden.

I. Art der Tatsachen Bevor die einzelnen Fallkonstellationen genauer beschrieben werden, sind die verschiedenen Arten von Tatsachen, welche offenbart werden können, zu klassifizieren. Grundsätzlich lassen sich drei Kategorien von Tatsachen aus­ machen, welche einem Anstaltsarzt bekannt oder anvertraut werden können. Dem Anstaltsarzt kann zuerst die physiologische Konstitution, also die kör­ perliche Verfassung, einschließlich aller aktueller oder vergangener Erkran­ kungen, Verletzungen oder sonstiger körperlicher Beeinträchtigungen bekannt werden. Überdies können auch Informationen über die psychologische Kon­ stitution, insbesondere die aktuelle Stimmungslage, psychische Erkrankun­ gen, einschließlich Suchterkrankungen sowie Motivationen und Neigungen bekannt werden. Schließlich kann der Anstaltsarzt die bekannt gewordenen Informationen aufgrund seiner Fachkenntnis einer Bewertung unterziehen und gegebenenfalls Schlussfolgerungen hieraus ziehen. Auch die Bewertun­ gen und Schlussfolgerungen des Anstaltsarztes selbst können Geheimnisse darstellen, welche unbefugt offenbart werden können.4 Neben einem Bekanntwerden von Tatsachen ist es auch möglich, dass ei­ nem Anstaltsarzt bestimmte Informationen durch den Geheimnisträger anver­ traut werden. Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass der Geheimnis­ träger eine Art „Geständnis“ gegenüber dem Anstaltsarzt ablegt, ist es nicht ausgeschlossen, dass dem Anstaltsarzt freiwillig bestimmte Tatsachen offen­ bart werden, welche sich auf eine Straftat beziehen. Eine Offenbarung be­ stimmter Tatsachen kann etwa eine Behandlung notwendig machen, zum Beispiel weil das verwendete Tatmittel bei dem Geheimnisträger selbst Ver­ letzungen oder andere Folgen hervorgerufen hat. Ferner kann auch der Kon­ 2  Vgl.

hierzu Einleitung. hierzu Einleitung. 4  Vgl. hierzu die Offenbarung von Werturteilen im Rahmen des § 203 StGB unter 2. Kapitel C.II.1. sowie 3. Kapitel B.I.2.c). 3  Vgl.



A. Fallgestaltungen anstaltsärztlicher Offenbarung319

sum bestimmter Betäubungsmittel freiwillig offenbart werden, um eine Sub­ stitutionstherapie in der Untersuchungshaft zu erhalten. In diesen Fällen kann sich auch ergeben, dass die begangene Straftat im Zusammenhang mit dem Konsum oder der Beschaffung von Betäubungsmitteln steht. Überdies kann einem Anstaltsarzt auch eine bestimmte Stimmungslage oder Neigungen an­ vertraut werden, um eine psychologische Unterstützung in der Untersu­ chungshaft zu erhalten. Schließlich kann auch freiwillig offenbart werden, dass durch Dritte Druck auf den Geheimnisträger ausgeübt wird oder dass Verletzungen von Dritten innerhalb der Haftanstalt zugefügt wurden, da diese Dritte ebenfalls in Taten verwickelt waren und es sich bei den Verletzungen um Vergeltungsaktionen handelt. Die Offenbarung dieser anvertrauten Tatsa­ chen durch den Anstaltsarzt gegenüber dem Gericht und der Staatsanwalt­ schaft unterfällt ebenso dem Straftatbestand des § 203 Abs. 1 StGB wie die Offenbarung bekannt gewordener Tatsachen. Die Art der offenbarten Tatsachen selbst hat schließlich auch keinen Ein­ fluss auf eine mögliche Rechtfertigung. Solange es sich bei den Tatsachen um ein Geheimnis handelt, können diese grundsätzlich in strafbarer Weise offenbart werden.5 Offensichtlich äußerlich erkennbare physiologische Merkmale stellen allerdings keine Geheimnisse dar und können folglich als solche auch nicht unbefugt offenbart werden. Bisher unbekannte physiologi­ sche und psychologische Konstitutionen oder die ärztliche Bewertung von Merkmalen können hingegen Geheimnisse darstellen und folglich auch in strafbarer Weise offenbart werden. Auch die dem Anstaltsarzt anvertrauten Tatsachen können Geheimnisse darstellen, sofern diese bisher nicht oder nur einem sehr begrenzten Personenkreis bekannt waren.6 Die Frage, ob eine Offenbarung im Einzelfall überhaupt vorliegt und dem­ nach überhaupt eine Rechtfertigung in Betracht kommen kann, hängt nicht von der Art der Tatsachen ab, sondern vielmehr von deren Geheimnischarak­ ter. In der nachfolgenden Darstellung beziehen sich die Wörter „Tatsachen“ und „Erkenntnisse“ somit ausschließlich auf Geheimnisse jedweder Art. Ferner hat auch der Umfang der offenbarten Tatsachen keinen Einfluss auf eine mögliche Rechtfertigung. § 203 Abs. 1 StGB unterscheidet nicht danach, wie viel offenbart wird, sondern knüpft allein daran an, dass ein Geheimnis offenbart wird. Eine Offenbarung liegt auch bereits dann vor, wenn nur Teile der mitgeteilten Tatsachen ein Geheimnis darstellen oder die Tatsachen in der mitgeteilten Form bisher noch nicht bekannt waren.7 Somit spielt es keine Rolle, ob ein Anstaltsarzt viel oder wenig mitteilt. Es spielt insbesondere 5  Vgl.

zum Geheimnisbegriff 2. Kapitel C.II.1. zum Geheimnisbegriff 2. Kapitel C.II.1. 7  BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 StGB Rn. 33; vgl. hierzu auch 2. Kapitel C.II.1. und 4. 6  Vgl.

320

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

keine Rolle, ob ein Anstaltsarzt „zu viel“ oder „zu wenig“ offenbart, um den Mitteilungsanforderungen des § 114e S. 1 StPO gerecht zu werden, da jed­ wede Geheimnisoffenbarung zunächst dem Tatbestand des § 203 Abs. 1StGB unterfällt.

II. Bezug der Tatsachen Im Falle einer Offenbarung von Tatsachen ist allerding deren Bezug zu dem jeweiligen Gefangenen als Geheimnisträger und der begangenen Tat sowie einer anderen Tat und gegebenenfalls zu Dritten zu unterscheiden. Die offenarten Tatsachen können zunächst die objektiven Umstände der begangenen Tat betreffen, wegen welcher sich der Betroffene in Untersu­ chungshaft befindet. Diese Tat wird im Nachfolgenden als „aktuelle Tat“ bezeichnet. In Bezug auf die aktuelle Tat können Tatsachen bekannt werden, welche die konkrete Tatbegehung, Tatmittel oder Taterfolge wie auch weitere objektive Tatumstände betreffen. Darüber hinaus können auch Tatsachen be­ kannt werden, welche die subjektive Tatseite der aktuellen Tat betreffen. Es können sowohl subjektive Motive oder Beweggründe wie auch Umstände, welche die Schuld des Täters betreffen, bekannt werden. Ebenso können die bereits genannten Arten von Tatsachen in Bezug auf eine andere Tat bekannt werden. Die Tatsachen beziehen sich in diesem Fall gerade nicht auf die aktuelle Tat, sondern auf eine oder auch mehrere vergan­ gene Straftaten. Dabei kann es sich um eine vergangene Tat handeln, welche mit der aktuellen Tat in Verbindung steht, beispielsweise eine die aktuelle Tat bedingende oder ermöglichende Vortat. Nachfolgend werden diese als „Vor­ taten“ bezeichnet. Ferner kann es sich auch um eine Tat aus demselben De­ liktsbereich oder sogar eine vorherige Verwirklichung desselben Straftatbe­ standes handeln. Diese Fälle werden nachfolgend als „Tat gleicher Art“ be­ zeichnet. Sofern jedoch keinerlei Verbindung oder Bezug zu der aktuellen Tat besteht, wird nachfolgend von einer „Tat anderer Art“ gesprochen. Schließlich können auch Tatsachen bekannt werden, welche die Tatbeteili­ gung Dritter oder einen Tatbeitrag Dritter betreffen. Auch in diesen Fällen können sich die Tatsache auf die aktuelle Tat, eine Vortat, eine vergangene Tat gleicher Art oder eine vergangene Tat anderer Art beziehen. Die Tatbetei­ ligung Dritter ist hierbei weit zu verstehen und kann zunächst jegliches Mitwirken Dritter an den jeweiligen Taten, wie auch die Einflussnahme Drit­ ter auf den Geheimnisträger bei der Tatbegehung umfassen.



A. Fallgestaltungen anstaltsärztlicher Offenbarung321

III. Beweggründe der Offenbarung Abschließend ist kurz auf die Beweggründe, also die subjektiven Merk­ male, einer Offenbarung durch einen Anstaltsarzt einzugehen. An dieser Stelle wird unterstellt, dass der offenbarende Anstaltsarzt subjektiv der Über­ zeugung ist, dass er aufgrund einer Offenbarungspflicht oder einer Offenba­ rungsbefugnis Mitteilungen an das Gericht und/oder die Staatsanwaltschaft zu machen hat oder machen darf. Es erscheint verfehlt, eine Fallkonstellation anzunehmen, in welcher sich der Anstaltsarzt keinerlei Gedanken über die Grundlage der konkreten Offen­ barung macht. So erschließt sich nicht, warum ein Arzt, welcher von Berufs wegen zum Schweigen verpflichtet ist, sich über diese Verpflichtung hinweg­ setzen würde, ohne dass er der Ansicht ist, hierzu zumindest durch eine Norm oder aufgrund eines besonderen Umstandes befugt zu sein. In diesem Zusammenhang ist es zunächst auch irrelevant, ob der Anstalts­ arzt in Kenntnis und aufgrund von § 114e S. 1 StPO handelt. Für eine mög­ liche Rechtfertigung muss es nicht unbedingt darauf ankommen, ob der An­ staltsarzt gerade aufgrund und in Kenntnis der rechtfertigenden Norm han­ delt. Ebenso könnte eine Offenbarung, welche ein Anstaltsarzt aufgrund sei­ ner Tätigkeit im Vollzug tätigt, ohne sich konkrete Vorstellungen über die „richtige“ Rechtsgrundlage zu machen, nach § 114e S. 1 StPO gerechtfertigt sein.

IV. Beispielfälle Nach den vorherigen Darstellungen ergeben sich folgende Fallgestaltun­ gen: Fallkonstellation 1: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, welche die aktuelle Tat betreffen. Diese Tat­ sachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter Fallkonstellation 2: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, die eine Vortat betreffen. Diese Tatsachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter Fallkonstellation 3: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, welche eine Tat gleicher Art betreffen. Diese Tatsachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Fallkonstellation 4: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, welche eine Tat anderer Art betreffen. Diese Tatsachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter

B. Grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Frage, ob § 114e S. 1 StPO einen Rechtfertigungsgrund darstellt, soll zunächst versucht werden, das ­Wesen von Rechtfertigungsgründen zumindest in Teilen zu ermitteln. Diese Darstellung soll die Grundlage für die mögliche Zuordnung des § 114e S. 1 StPO als Rechtfertigungsgrund bilden. Sofern Rechtfertigungsgründe beson­ dere Voraussetzungen oder Anforderungen erfüllen müssen, wären ebendiese in § 114e S. 1 StPO zu suchen. Bereits der Geltungsbereich von Rechtfertigungsgründen, deren Rückfüh­ rung auf allgemeine Prinzipien sowie die Anforderungen an Rechtfertigungs­ gründe sind umstritten. An dieser Stelle kann nicht ausführlich auf alle be­ stehenden Streitigkeiten eingegangen werden, es sollen jedoch in gebotener Kürze einige Punkte dargestellt werden.

I. Einheit der Rechtsordnung Nach dem Strafgesetzbuch wird für die Strafe eine rechtswidrige und schuldhafte Tat vorausgesetzt. In Bezug auf die Rechtswidrigkeit bestimmt § 11 Abs. 2 Nr. 5 StGB, dass eine rechtswidrige Tat „nur eine solche, [ist] die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht“. In diesem Zusammenhang wird unter anderem diskutiert, ob die Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit eines Verhaltens für alle Rechtsgebiete einheitlich bestimmt werden soll, oder ob zwischen Rechtswidrigkeit und Strafrechtswidrigkeit unterschieden werden muss.8 Diese Unterscheidung betrifft zum einen die Frage, ob ein strafrechtlich erlaubtes Verhalten gleichwohl von Verbotsnormen anderer Rechtsgebiete erfasst sein kann.9 Ebenso steht dies aber auch im Zusam­ menhang mit der Frage, ob ein strafrechtlich als rechtswidrig zu bewertendes Verhalten außerhalb des Strafrechts rechtmäßig sein könne. Da die Beant­ wortung dieser Frage keinen Einfluss auf die mögliche Einordnung des § 114e S. 1 StPO als einen Rechtfertigungsgrund hat, wird dieser Streit nicht 8  Für eine Trennung zwischen Rechtswidrigkeit und Strafrechtswidrigkeit schon Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 83  ff.; ferner NKStGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 41; MüKo-StGB/Schlehofer, Vor § 32 Rn. 2. 9  Vgl. LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 22.



B. Grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen323

vertiefend erörtert. Es wird diesbezüglich auf die einschlägige Literatur ver­ wiesen.10 Nach der wohl herrschenden Meinung ist die Rechtswidrigkeit als Wider­ spruch zur Gesamtrechtsordnung zu verstehen, es ist insoweit von einer „Einheit der Rechtsordnung“ auszugehen.11 Dies bedeutet, dass sich Recht­ fertigungsgründe für die Verwirklichung des Tatbestandes eines Strafgesetzes nicht ausschließlich im Strafrecht wiederfinden, sondern in allen Rechtsge­ bieten.12 Neben den Rechtfertigungsgründen der Notwehr und des Notstan­ des, welche das Strafgesetzbuch selbst normiert, müssen somit unter anderem auch die zivilrechtlichen Notstands- und Selbsthilferechte sowie die straf­ prozessualen Eingriffsbefugnisse als Rechtfertigungsgründe im Strafrecht beachtet werden. Schließlich kann eine Maßnahme, welche nach Strafpro­ zessrecht oder Strafvollzugsrecht rechtmäßig ist, im materiellen Strafrecht kein Unrecht sein.13 In der Strafprozessordnung finden sich Rechtfertigungs­ gründe unter anderem in § 127 StPO sowie §§ 81a und 81c StPO. Diese Normen sind sowohl prozessuale Ermächtigungsgrundlagen wie auch Recht­ fertigungsgründe im materiellen Strafrecht.14 Rechtfertigungsgründe können sich darüber hinaus auch aus ungeschriebenem Recht ergeben, insbesondere kommt hier Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle in Betracht.15 Schließlich gibt es auch keinen numerus clausus der Rechtfertigungsgrün­ de.16 Es ist mithin nicht ausgeschlossen, dass sich neue und auch ihrer Her­ kunft nach außergesetzliche Rechtfertigungsgründe entwickeln.17 10  Zunächst Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 106 ff.; Überblicke finden sich bei NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 41 ff.; LKStGB/Rönnau, Vor §§  32 ff. Rn.  22 ff. 11  BGH NJW 1958, 799; E. Kern, ZStW 64 (1952), 255 (262); NK-GS/Duttge, Vorbem. zu §§ 32 ff. StGB Rn. 4; Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 2; Fischer, Vor § 32 StGB Rn. 2; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 20, 59, 26; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 10; Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT § 8 Rn. 400. 12  NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 56. 13  Fincke, GA 1971, 41 (45); Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Straf­ recht AT, § 15 Rn. 167. 14  Wölfl, Jura 2000, 231 f.; vgl. a. Fincke, GA 1971, 41 (45) zu § 127 StPO. 15  NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 56; LK-StGB/Rönnau, Vor §§  32 ff. Rn. 59; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 27; Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT § 8 Rn. 402. 16  Zimmermann, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, § 37 Rn. 3; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 56; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 59; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 28. 17  Zimmermann, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, § 37 Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 28.

324

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

II. Grundprinzipien der Rechtfertigung In der Vergangenheit wurde immer wieder von unterschiedlicher Seite ver­ sucht, allgemeine Prinzipien in Bezug auf bestehende Rechtfertigungsgründe zu finden und ein System der Rechtfertigungsgründe zu entwickeln.18 Die Ziele bestanden dabei unter anderem darin, durch Herausarbeitung allgemei­ ner Prinzipien die bestehenden Rechtfertigungsgründe zu systematisieren und den Weg zum Erkennen und Formulieren neuer Rechtfertigungsgründe aufzu­ zeigen.19 Die Frage, ob sich Rechtfertigungsgründe auf ein oder mehrere einheit­ liche Leitprinzipien zurückführen lassen, bzw. ob es solche Prinzipien über­ haupt geben kann, ist umstritten.20 Nachfolgend sollen einige der vorge­ brachten Theorien kurz dargestellt werden. Es lassen sich hier maßgeblich zwei unterschiedliche Ansätze ausmachen, wobei auch innerhalb der jeweili­ gen Ansätze unterschiedliche Prinzipien formuliert werden. 1. Monistische Theorien Nach den monistischen Theorien sollen alle Rechtfertigungsgründe auf ein einheitliches Grundprinzip zurückzuführen sein. Als Grundlage dieses Prin­ zips wird der Vorrang des gerechtfertigten Verhaltens gegenüber der Tatbe­ standsverwirklichung gesehen. Für die Vertreter dieser Ansicht stellt sich einzig die Frage, nach welchem einen Prinzip sich die Legitimationswirkung von Rechtfertigungsgründen zu richten habe. Zwischen den Vertretern dieser Ansicht besteht dennoch Uneinigkeit darüber, welches eine Prinzip den Rechtfertigungsgründen zugrunde liege. Innerhalb der monistischen Theorien werden die Zwecktheorie21, die „Wahrnehmung des überwiegenden Interesses“22 sowie das „Mehr-Nutzenals-Schaden“-Prinzip23, die „Beachtung des vorgehenden Gutsanspruchs“24, 18  Vgl.

LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 79. Vor §§ 32 ff. Rn. 79. 20  Übersichten zu diesem Streit finden sich bei NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§  32 ff. Rn.  44 ff.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 6 f., jeweils mit ausführlichen Nachweisen. 21  Dohna, Die Rechtswidrigkeit, S. 48; v. Liszt/Eb. Schmidt, Lehrbuch des Deut­ schen Strafrechts, S. 187. 22  Freund/Rostalski, Strafrecht AT, § 3 Rn. 5; Otto, Grundkurs Strafrecht, AT, § 8 I. 3.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor § 32 ff. Rn. 46; MüKo-StGB/Schlehofer, Vorbem. zu § 32 Rn. 58 f.; wohl auch BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 32 Rn. 7 f. 23  Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 56. 24  Schmidthäuser, Strafrecht AT, S. 132 f. 19  LK-StGB/Rönnau,



B. Grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen325

die „sozial richtige[n] Regulierung von Interessen und Gegeninteressen“25 oder das „Prinzip des überwiegenden Gegeninteresses“26 und die durch Wer­ teabwägung zu lösende Wertekollision27 vorgebracht. Nach der Zwecktheorie ist eine Tat nicht rechtswidrig, wenn sie sich als angemessenes Mittel zur Erreichung eines von der Rechtsordnung anerkann­ ten Zwecks darstellt.28 So seien überall dort, wo das Gesetz die Verfolgung eines bestimmten Zwecks als berechtigt ansehe, die zur Erreichung dieses Zwecks erforderlichen Handlungen rechtmäßig, auch wenn sie den Tatbe­ stand eines Strafgesetzes erfüllten.29 Ferner wird die Wahrung des höherwertigen (überwiegenden) Interesses als allgemeines Rechtfertigungsprinzip benannt.30 Das Prinzip des überwie­ genden Interesses habe seinen gesetzlichen Ausdruck in § 34 StGB gefun­ den.31 Die weiteren Rechtfertigungsgründe gingen in der praktischen Rechts­ anwendung zwar dem allgemeinen Prinzip vor, jedoch seien sie gleichsam im Lichte des allgemeinen Prinzips zusehen.32 Im Rahmen dieser Theorie wird das mangelnde Interesse des vom Verhalten Betroffenen teilweise als Unterfall des Rechtfertigungsprinzips der Wahrung des höherrangigen Inte­ resses angesehen.33 Nach einer anderen Theorie sei es die Aufgabe der Rechtfertigungsgründe, die sozial richtige Regulierung der widerstreitenden Interessen vorzuneh­ men.34 Die Rechtfertigung verlange aber nicht notwendigerweise ein über­ wiegendes Interesse, da die Pflichtenkollision zeige, dass auch schon die Wahrnehmung eines gleichwertigen Interesses zur Rechtfertigung führen kön­ne.35

JuS 1988, 425 (426). in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 14 Rn. 40. 27  Noll, ZStW 77 (1965), 1 (9). 28  Dohna, Die Rechtswidrigkeit, S. 48; v. Liszt/Eb. Schmidt, Lehrbuch des Deut­ schen Strafrechts, S. 187; Eb. Schmidt, ZStW 49 (1929), 350 (370 f.). 29  Vgl. v. Liszt/Eb. Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 187. 30  Freund/Rostalski, Strafrecht AT, § 3 Rn. 5; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 8 I. 3.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor § 32 ff. Rn. 46; MüKo-StGB/Schlehofer, Vorbem. zu § 32 Rn. 58 f.; wohl auch BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 32 Rn. 7 f. 31  Freund/Rostalski, Strafrecht AT, § 3 Rn. 5; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 8 I. 3.; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor § 32 ff. Rn. 46. 32  Freund/Rostalski, Strafrecht AT, § 3 Rn. 5. 33  Freund/Rostalski, Strafrecht AT, § 3 Rn. 6. 34  Roxin, JuS 1988, 425 (426); so auch Roxin/Greco, AT I, § 14 Rn. 41 m. V. a. Roxin, AT 2. Aufl. 1973, 15; Lenckner, GA 1985, 295. 35  Roxin, Jus 1988, 425 (426). 25  Roxin,

26  Mitsch,

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Nach Noll sei schließlich das Verhältnis von Straftatbestand und Rechtfer­ tigungsgrund materiell gesehen eine Wertekollision, die Werteabwägung sei das allgemeine Rechtfertigungsprinzip.36 Dabei sei jedoch von der verschie­ denartigen Struktur der rechtlichen Werte und Unwerte sowie von ihrem Pluralismus auszugehen, um nicht zu falschen Ergebnissen zu kommen.37 Gegen die monistischen Ansätze werden insbesondere in Bezug auf die Ein­ ordnung der Einwilligung Einwände erhoben.38 So sei es fraglich, inwiefern von einem überwiegenden Interesse gesprochen werden könne, wenn der Inte­ ressenträger auf die Wahrung seines Interesses gar keinen Wert lege.39 2. Pluralistische Theorien Demgegenüber versucht die pluralistische Theorie, Rechtfertigungsgründe auf zwei oder mehrere, aber dennoch allgemein gültige, Prinzipien zurückzu­ führen. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Vertreter der pluralisti­ schen Theorie die Prinzipien des überwiegenden Interesses und des mangeln­ den Interesses getrennt voneinander betrachten.40 Gefolgt wird dabei viel­ fach dem dualistischen Ansatz Mezgers, welcher das Prinzip des mangelnden Interesses und des überwiegenden Interesses zugrunde legte.41 Entweder entfalle aus irgendeinem Grund das sonst im Unrecht verletzte Interesse (Prinzip des mangelnden Interesses) oder es stehe diesem Interesse ein hö­ herbewertetes anderes Interesse gegenüber, das das Unrecht zum Recht wer­ den lasse (Prinzip des überwiegenden Interesses).42 Daneben werden von einigen Vertretern pluralistischer Theorien drei Prin­ zipien als führend angesehen: das Prinzip der Verantwortung des Eingriffs­ opfers, das Prinzip der Wahrnehmung von Opferinteressen und das Prinzip der Mindestsolidarität.43 Roxin und Duttge formulieren schließlich eine ZStW 77 (1965), 1 (9). ZStW 77 (1965), 1 (9). 38  Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 30. 39  Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 30. 40  Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 7. 41  Mezger, Strafrecht, S.  205; zust. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S.  134 f.; Eser, in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 49; Frister, Strafrecht AT, 13.Kapitel Rn. 1; SSW-StGB/Rosenau, Vor §§ 32 ff. Rn. 8; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 7; aber auch MüKo-StGB/ Freund, Vorbem. zu § 13 Rn. 223 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 8 Rn. 409. 42  Mezger, Strafrecht, S. 205. 43  Jakobs, Strafrecht AT, 2. Buch, 2. Kap., Abschn. 11 Rn. 3; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 4. 36  Noll, 37  Noll,



B. Grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen327

Vielzahl von leitenden „Ordnungsprinzipien“, unter anderem ein Schutzprin­ zip, ein Rechtsbewahrungsprinzip, ein Prinzip des wesentlich überwiegenden Interesses, ein Autonomieprinzip sowie ein Güterabwägungsprinzip.44 3. Stellungnahme Die unterschiedlichen Theorien und deren Ideen von Rechtfertigungsprin­ zipien vermögen Strukturen zu beschreiben, jedoch sind aus ihnen keine konkreten Ergebnisse abzuleiten.45 Auch erscheint eine abschließende Sys­ tembildung aller Rechtfertigungsgründe kaum möglich.46 Die Kritik, es han­ dele sich bei der Suche und Beschreibung von Prinzipien um „derartig weite und vage Weltformel[n]“,47 erscheint in diesem Zusammenhang durchaus gerechtfertigt. Bereits die Vielfalt der bestehenden Rechtfertigungsgründe und der sie prägenden Merkmale macht es schwer, ein aussagekräftiges, übergreifendes Prinzip oder eine Systematisierung zu formulieren.48 Es lässt sich mithin kein einzig richtiges Prinzip ausmachen, sondern es lassen sich mehrere all­ gemeine Grundsätze feststellen, welche bei einer skizzenartigen Systemati­ sierung von Rechtfertigungsgründen förderlich sein können. Vielfach wird in der Literatur abschließend auch gar nicht mehr von Prinzipien, sondern von Grundsituationen49, Gedanken50, Rechtfertigungsstrukturen51 oder einer Leitidee52 gesprochen. Nach Kühl sei der gesamte Diskurs für die Anwen­ dung von Rechtfertigungsgründen „ohne praktische Bedeutung“.53 In Bezug auf die Einordnung des § 114e S. 1 StPO als Rechtfertigungs­ grund können dem Diskurs jedoch hilfreiche Denkanstöße und Ideen ent­ nommen werden. Die unterschiedlichen Ansätze lassen sich jedenfalls inso­ weit auf einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ bringen, wie sie an kollidie­ rende oder widerstreitende Interessen anknüpfen. Die Gegenüberstellung der 44  Roxin/Greco, Strafrecht AT, § 14 Rn. 42; NK-GS/Duttge, Vorbem. zu §§ 32 ff. StGB Rn. 8. 45  So auch Roxin/Greco, AT I, § 14 Rn. 41. 46  SSW-StGB/Rosenau, Vor §§ 32 ff. Rn. 8; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 80. 47  SK-StGB/Hoyer, Vor § 32 ff. Rn. 28. 48  Roxin/Greco, AT I, § 14 Rn. 38; vgl. a. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Ei­ sele, Strafrecht AT, § 14 Rn. 39. 49  Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 7. 50  Roxin/Greco, AT I, § 14 Rn. 41; Wessels/Beulke/Satzger, § 8 Rn. 409. 51  Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 34. 52  NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 Rn. 47. 53  Lackner/Kühl/Heger, Vorbem. vor § 32 Rn. 3; ähnl. Zimmermann, in: Hilgen­ dorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, § 37 Rn. 73.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Zulässigkeit eines Handelns aus überwiegendem bzw. mangelndem Interesse trifft in vielen Fällen am ehesten die praktischen Gegebenheiten.54 Behan­ delt man die Grundgedanken55 des überwiegenden oder fehlenden Interes­ ses als generelle Regel der Rechtfertigung, gibt dies zumindest einen An­ knüpfungspunkt.56 Dieser Anknüpfungspunkt kann bei der Suche bzw. Einordnung neuer Rechtfertigungsgründe hilfreich sein. Zudem zeigte sich bei den bisher untersuchten Normen, insbesondere den Offenbarungspflichten und -befugnissen der Landesgesetze, dass sie vielfach der Auflösung einer Interessenkollision dienen. In den Landesgesetzen wer­ den in diesem Zusammenhang teilweise sogar die jeweils betroffenen und kollidierenden Interessen namentlich benannt. Unter anderem sehen die landesgesetzlichen Regelungen in Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, ­ Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein eine Offenbarungspflicht für Berufsgeheimnisträger nur dann vor, soweit eine Offenbarung auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gefange­ nen an der Geheimhaltung der Tatsachen erforderlich ist.57 Die Normen benennen also ausdrücklich das Geheimhaltungsinteresse der Gefangenen, das mit dem Offenbarungsinteresse der Vollzugsanstalt in Konflikt tritt. Da­ ran anknüpfend könnten ähnliche Erwägungen auch bei der Einordnung des § 114e S. 1 StPO als Rechtfertigungsgrund sachdienlich sein, ohne dass die Norm in ein bestimmtes Schema oder System eingeordnet werden kann und muss.

III. Die Struktur von Rechtfertigungsgründen Der Verzicht auf eine Systembildung schließt jedoch nicht aus, dass sich in der Rechtfertigungslehre allgemeine Erfordernisse herausarbeiten lassen.58 Rechtfertigungsgründe sind zunächst allgemein geschriebene oder unge­ schriebene Erlaubnissätze.59 Sie sind Normen, welche die Verwirklichung eines Deliktstatbestandes unter den von ihnen genannten Voraussetzungen gestatten.60 54  Vgl.

SSW-StGB/Rosenau, Vor §§ 32 ff. Rn. 8. benutzt das englische Wort „rationale“, welches zwar mit den Begriffen „Grundprinzip“, aber eben auch „Grundgedanke“ oder „Grundüberlegung“ übersetzt werden kann. 56  Eser, in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 49. 57  Vgl. hierzu ausführlich 3. Kapitel B.II.4. 58  LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 80. 59  Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 2; Lackner/Kühl/Heger, Vorbem. vor § 32 Rn. 2; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 4; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 1. 60  Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 1. 55  Eser



B. Grundsätzliche Prinzipien und Anforderungen329

Ähnlich wie der Deliktstatbestand setzt sich auch der Rechtfertigungstat­ bestand nach überwiegender Ansicht aus einem objektiven und einem sub­ jektiven Teil zusammen.61 Der objektive Rechtfertigungstatbestand benennt die äußeren Umstände, die gegeben sein müssen, damit ein tatbestandliches Handeln kein Unrecht darstellt.62 Die objektiven Rechtfertigungsvorausset­ zungen müssen nach überwiegender Ansicht tatsächlich vorliegen, die Vor­ stellung des Täters über deren Vorliegen reicht hier nicht aus.63 Bei den ob­ jektiven Rechtfertigungselementen lassen sich zumeist die Beschreibungen einer Rechtfertigungslage und einer Rechtfertigungshandlung ausmachen.64 Neben dem Bestehen der objektiven Rechtfertigungslage ist nach der herr­ schenden Ansicht auch ein subjektives Rechtfertigungselement erforderlich.65 Geht man, im Sinne einer personalen Unrechtslehre, davon aus, dass die objektiven Rechtfertigungselemente sich lediglich auf den Erfolgsunwert auswirken, müssen als deren Gegenstück auch subjektive Rechtfertigungsele­ mente vorliegen, welche den Handlungsunwert der Tat ausräumen.66 Zudem spricht auch der Wortlaut derjenigen Rechtfertigungsnormen, welche ein Fi­ nalitätserfordernis andeuten,67 für die Existenz eines subjektiven Rechtferti­ gungselementes.68 Der Inhalt und die Grenzen dieses subjektiven Rechtferti­ gungselementes sind innerhalb der überwiegenden Ansicht noch nicht ab­ schließend geklärt und werden unterschiedlich begründet.69 Insbesondere 61  Frister, Strafrecht AT, 14. Kapitel Rn. 7; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 7; Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 9; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 8 Rn. 410; NK-GS/Duttge, Vor § 32 ff. Rn. 11; Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 5; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 82; Zimmermann, in: Hilgendorf/ Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, § 37 Rn. 54. 62  Frister, Strafrecht AT, 14. Kapitel Rn. 8; Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 5. 63  Frister, Strafrecht AT, 14. Kapitel Rn. 9, 11; Kindhäuser/Zimmermann, Straf­ recht AT, § 15 Rn. 8; Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 5; LK-StGB/Rönnau, Vor §§  32 ff. Rn.  84 f. 64  Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 10; NK-GS/Duttge, Vorbem. zu §§ 32 ff. StGB Rn. 11; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 14 Rn. 44. 65  Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 47; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 9; NK-GS/Duttge, Vorbem. zu §§ 32 ff. StGB Rn. 11; Matt/Renzikowski/ Engländer, Vor § 32 Rn. 6; Lackner/Kühl/Heger, Vorbem. vor § 32 Rn. 6; NK-StGB/ Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 85; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 82; SSWStGB/Rosenau, Vor §§ 32 ff. Rn. 13. 66  Kühl, Strafrecht AT, §  6 Rn. 12; LK-StGB/Rönnau, Vor §§ 32 ff. Rn. 82; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 13; Rengier, Straf­ recht AT, § 17 Rn. 9. 67  Z. B. § 34 StGB „begeht, um …“; § 228 BGB „um … abzuwenden“. 68  NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 88; Zimmermann, in: Hilgendorf/ Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, § 37 Rn. 59. 69  Vgl. Lackner/Kühl/Heger, Vorbem. vor § 32 Rn. 6 m. w. N.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

dessen genauer Inhalt sowohl in kognitiver als auch in voluntativer Hinsicht ist umstritten.70 Ferner sind auch die Folgen des Fehlens eines oder, sofern diese als erforderlich angesehen werden, mehrerer subjektiver Rechtferti­ gungselemente strittig. In Bezug auf die Voraussetzungen des subjektiven Rechtfertigungselemen­ tes besteht weitestgehend Einigkeit darin, dass zumindest ein Handeln in Kenntnis der Rechtfertigungslage vorauszusetzen ist.71 Der Handelnde muss also im Bewusstsein der rechtfertigenden Sachlage dasjenige tun, was ihm objektiv erlaubt ist.72 Nicht erforderlich ist, dass der Handelnde sichere Kenntnis der Rechtfertigungslage besitzt, vielmehr soll es ausreichen, dass er das Vorliegen der rechtfertigenden Umstände für möglich hält.73 Problemati­ siert wird in diesem Zusammenhang auch die Situation, in welcher der Han­ delnde in Unkenntnis einer objektiv gegebenen Rechtfertigungssituation agiert.74 Darüber hinaus wird diskutiert, ob neben der Kenntnis der Rechtfertigungs­ lage auch ein Handeln mit einem besonderen Rechtfertigungswillen erforder­ lich ist. Nach einer Ansicht bedarf es eines voluntativen Elements, der Han­ delnde müsse also aus einem motivierenden Zweck, im Sinne eines zielge­ richteten Rechtfertigungswillens, heraus gehandelt haben.75 Nach anderer Ansicht sei jedoch die bloße Kenntnis der Rechtfertigungslage ausreichend, da eine Rechtfertigung nicht vom Willen des Handelnden abhängen könne.76 Die genannten Diskussionen und Streitigkeiten können an dieser Stelle nicht ausführlich behandelt werden. Zudem sind die dargestellten Fragestel­ lungen für die weiteren Ausführungen auch nicht von Relevanz. In diesem 70  Matt/Renzikowski/Engländer,

Vor § 32 Rn. 6. Vor § 32 Rn. 6; Kühl, Strafrecht AT, § 6 Rn. 11a; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, § 15 Rn. 9; Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 11. 72  Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 14. 73  Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 6; MüKo-StGB/Schlehofer, Vor § 32 Rn. 99; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 14; a. A. LK-StGB/Rönnau, Vor. §§  32 ff. Rn.  84 f. 74  Matt/Renzikowski/Engländer, Vor §  32 Rn. 8; Schönke/Schröder/SternbergLieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 15; Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 13 ff. 75  BGH NJW 1988, 1739 (1741); NStZ 2000, 365 (366); NStZ 2005, 332 (334); NStZ 2007, 325; Fischer, § 32 StGB Rn. 25; BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 32 Rn. 46; NK-StGB/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 100; Rengier, Strafrecht AT, § 17 Rn. 12. 76  Frister, Strafrecht AT, 14. Kapitel Rn. 24; Kindhäuser/Zimmermann, Straf­ recht AT, § 15 Rn. 9; Matt/Renzikowski/Engländer, Vor § 32 Rn. 7; MüKo-StGB/ Schlehofer, Vorbem. zu § 32 Rn. 104 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. zu den §§ 32 ff. Rn. 14. 71  Matt/Renzikowski/Engländer,



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 331

Kapitel werden allein diejenigen Fälle besprochen, in welchen der betroffene Anstaltsarzt in Kenntnis der objektiven Umstände und sogar mit einem sub­ jektiven Rechtfertigungswillen handelt. Somit liegen in den besprochenen Fällen auch nach den strengeren Ansichten die subjektiven Rechtfertigungs­ voraussetzungen vor.

C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO Eine Rechtfertigung des Bruches der ärztlichen Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO kommt zunächst deshalb in Betracht, weil die Norm grund­ sätzlich dazu geeignet ist, ein bestimmtes Verhalten für erlaubt zu erklären. Die Norm verlangt von ihren Adressaten eine bestimmte Handlung77 und erklärt diese unter den von ihr genannten Voraussetzungen für rechtmäßig. Auch wenn von Anstaltsärzten keine konkrete Handlung verlangt wird, ist nicht ausgeschlossen, dass die im Einzelfall vorgenommene Handlung den­ noch rechtmäßig sein kann, soweit die Voraussetzungen des § 114e S. 1 StPO erfüllt sind. Grundsätzlich ist in Bezug auf § 114e S. 1 StPO zwischen der Pflicht, welche die Norm an die Vollzugsanstalt richtet, und dem Recht, welche die Norm dem Anstaltsarzt einräumen könnte, zu unterscheiden. Die Vorausset­ zungen der Mitteilungspflicht für die Vollzugsanstalt müssen nicht zwingend dieselben sein, wie die Voraussetzung einer Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht. Die Pflicht, welche für die Vollzugsanstalt formuliert wird, kann insbesondere strengeren Voraussetzungen unterliegen als das Recht, welches dem Anstaltsarzt eingeräumt werden könnte. Nachfolgend werden explizit die Voraussetzungen des möglicherweise bestehenden Offenbarungs­ rechtes, also eines möglicherweise bestehenden Rechtsfertigungsgrundes, für den Anstaltsarzt herausgearbeitet.

I. Die Interessen Sofern man eine der Grundideen von Rechtfertigungsgründen darin sieht, dass sie zur Regulierung widerstreitender Interessen beitragen, soll an dieser Stelle noch einmal genau dargelegt werden, an welchen Stellen die im Rah­ men des § 114e S. 1 StPO potenziell betroffenen Interessen miteinander kollidieren können. Es wurde bereits dargelegt, dass hinter der Mitteilungs­ pflicht aus § 114e S. 1 StPO staatliche Interessen an der Aufklärung und Ahndung von Straftaten sowie ein Interesse an der Kenntniserlangung über 77  S. o.

unter 3. Kapitel C.III.

332

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

die Persönlichkeit und die Schuld des Betroffenen stehen.78 Diesen Interes­ sen stehen die Interessen der betroffenen Gefangenen als Geheimnisträger, möglicherweise aber auch Geheimhaltungsinteressen von betroffenen Drit­ ten, gegenüber. Eigene Interessen des Anstaltsarztes stehen hier nicht im Konflikt mit anderen Interessen, da bereits festgestellt wurde, dass das Inter­ esse an der eigenen Verschwiegenheit der benannten Berufsgruppen nicht in den Schutzbereich des § 203 Abs. 1 StGB fällt.79 1. Staatliche Interessen Grundsätzlich stehen sich im Rahmen des Vollzugs der Untersuchungshaft zunächst das staatliche Interesse an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens bzw. einer wirksamen Strafverfolgung und das in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 GG gewährleistete Recht des Betroffenen auf persönliche Freiheit gegenüber.80 Die Untersuchungshaft selbst darf bereits nur dann angeordnet werden, wenn überwiegende Interessen des Gemein­ wohls, wie die Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege, dies zwingend gebieten.81 Auch bei den übrigen Vorschriften, wie § 114e StPO, welche während der Dauer der Untersuchungshaft Anwendung finden, ist dieses grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen staatlichen Strafverfolgungs­ interessen und den Rechten des Betroffenen mitzudenken. In Bezug auf § 114e S. 1 StPO liegen neben diesen allgemeinen Interessen auch noch spezielle Interessen der jeweils an den Verfahren Beteiligten vor. Auf Seiten der Mitteilungsempfänger, also des Gerichts und der Staatsan­ waltschaft, stehen zunächst deren allgemeine Interessen an der Erfüllung ih­ rer Aufgaben. Dies beinhaltet in erster Linie das Interesse an der ordnungs­ gemäßen Durchführung des jeweils anhängigen Strafverfahrens.82 Sofern in dem anhängigen Strafverfahren Untersuchungshaft gegen eine Person voll­ zogen wird, besteht auch ein konkretes Interesse daran, über die für die Aufgabenerfüllung notwendigen Informationen zu verfügen, also entspre­ chende Mitteilungen von der Vollzugsanstalt zu erhalten. Dieses Interesse besteht insbesondere deswegen, weil die inneren Vorgänge in der Vollzugsan­ stalt dem Erkenntnis- und Eingriffsbereich des Gerichts und der Staatsan­ waltschaft entzogen sind. In diesem Zusammenhang besteht insbesondere ein 78  S.

3. Kapitel D.I.2.a). C.I.4.a). 80  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 112 Rn. 1; KK-StPO/Graf, Vorbem. zu §§ 112 Rn. 1, 6; BeckOK-StPO/Krauß, § 112 Rn. 1. 81  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 112 Rn. 1. 82  BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 4; BeckOK-StPO/Krauß, § 114e Rn. 1. 79  S. 2. Kapitel



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 333

staatliches Interesse daran, die Kommunikation zwischen Gericht und Staats­ anwaltschaft auf der einen und Vollzugsanstalt auf der anderen Seite zu ver­ bessern. Dies ergibt sich bereits aus den miteinander in Verbindung stehenden Vorschriften von § 114d StPO und § 114e StPO, welche die wechselseitigen Mitteilungspflichten festlegen.83 Zudem beinhaltet § 114e S. 1 StPO in gewisser Hinsicht auch ein staatli­ ches Aufklärungsinteresse in Bezug auf eine oder mehrere begangene Straf­ taten, welche in dem jeweils anhängigen Strafverfahren abgeurteilt werden sollen. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 114e StPO unter ande­ rem, dass die mitzuteilenden Erkenntnisse unmittelbar in einem strafrecht­ lichen Verfahren Verwendung finden sollen.84 Aus dieser Begründung lässt sich schließen, dass zumindest von Seiten des Gesetzgebers davon ausgegan­ gen wird, dass die jeweiligen Informationen eine Relevanz für das anhängige Strafverfahren haben und folglich in diesem Verwendung finden würden. Teilweise wird in der Literatur hierauf Bezug genommen und angeführt, die zu übermittelnden Informationen seien wichtige Erkenntnisquellen im Hin­ blick auf das anhängige Strafverfahren.85 Ein der Norm innewohnendes staatliches Aufklärungsinteresse kann auch deshalb nicht gänzlich geleugnet werden, da in der Gesetzesbegründung die Gesetzgebungskompetenz des Bundes unter anderem damit begründet wird, dass bedeutsame Umstände für die Frage der strafrechtlichen Schuld einer Person mitgeteilt werden sol­ len.86 Die Frage der Feststellung der Schuld ist grundsätzlich Teil des staatlichen Aufklärungsinteresses insgesamt, überdies kann das insoweit be­ stehende Feststellungsinteresse im Rahmen einer Offenbarung von Geheim­ nissen auch als eigenständiges Interesse bestehen. 2. Interessen Betroffener Auf Seiten der betroffenen Gefangenen stehen zunächst allgemein deren Interessen an der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen. Sofern eine Offen­ barung durch einen Anstaltsarzt stattgefunden hat, ist das betroffene Interesse des Gefangenen hier deckungsgleich mit den vom § 203 Abs. 1 StGB ge­ schützten Interessen.87 In diesem Zusammenhang ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG der Gefange­ 83  SSW-StPO/Herrmann, § 114d Rn. 1; MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 1; KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 1. 84  BT-Drs. 16/11644, S. 20. 85  KK-StPO/Graf, § 114e Rn. 2. 86  BT-Drs. 16/11644, S. 20; zust. BeckOK-StPO/Krauß, § 114e Rn. 1; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 4. 87  Vgl. hierzu die Ausführungen im 2. Kapitel C.I.4.

334

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

nen berührt.88 Insbesondere die Inhalte von Krankenakten und sonstige Er­ kenntnisse, die Ärzte durch ihre berufliche Tätigkeit gewinnen und niederle­ gen, nehmen teil an dem Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt.89 Neben diesem grundsätzlichen Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen und dem Schutz des Persönlichkeitsrechtes des Betrof­ fenen können im Einzelfall aber auch übergeordnete Interessen bzw. Rechte betroffen sein. Zunächst kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, als be­ sondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, des Gefangenen betroffen sein. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ge­ währleistet die Befugnisse des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwen­ dung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen.90 Der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfasst generell die staatliche Erhebung und Verarbeitung personenbezogener, auch manuell re­ gistrierter, Daten.91 Die Erhebung und Verarbeitung von Daten durch einen Anstaltsarzt im Auftrag der Vollzugsanstalt stellt im Allgemeinen staatliches Handeln dar. Die gesetzlichen Grundlagen seines Handelns finden sich in den Landesgesetzen zum Untersuchungshaftvollzug, welche die Datenerhe­ bung, Speicherung und Verwendung der medizinischen Daten, also personen­ bezogenen Daten besonderer Kategorien, gestatten.92 Die Befugnis zur Er­ hebung und Speicherung der Daten schließt allerdings nicht aus, dass der betroffene Gefangene alle oder einzelne Daten geheim halten will, sie aber notwendigerweise von einem Arzt im Rahmen der Untersuchung und Be­ handlung mit oder ohne das Wissen des Betroffenen bekannt werden. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann zwar auf­ grund der oben genannten gesetzlichen Bestimmungen gerechtfertigt sein, es liegt aber dennoch ein Eingriff vor, folglich sind auch die Interessen des Betroffenen regelmäßig berührt. Im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist in der ständigen Rechtsprechung unter anderem anerkannt, dass auch Ge­ 88  Vgl.

hierzu bereits 1. Kapitel A.II.2. NJW 1972, 1123 (1124). 90  BVerfG NJW 1984, 419 (422); NJW 2001, 879 (880); NStZ 2018, 162; st. Rspr.; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 175. 91  Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 176. 92  §§ 29, 34 ff. JVollzGB I BW; Art. 36 BayUVollzG i. V. m. Art. 196, 201 Bay­ StVollzG; §§ 9, 16 JVollzDSG Bln; §§ 6, 9 BbgPJMDSG; §§ 6, 10 BremJVollzDSG; §§ 7, 8 HmbJVollzDSG; § 54 HUVollzG; §§ 7, 11 JVollzDSG M-V; §§ 190, 191 ­NJVollzG; §§ 8, 12 JVollzDSG NRW; §§ 6, 10 LJVollzDSG RP; §§ 6, 10 JVollzDSG SL; §§ 7, 10 SächsJVollzDSG; §§ 18, 29 JVollzGB IV LSA; §§ 6, 10 JVollzDSG SH; § 119 ThürJVollzGB i. V. m. §§ 16, 37 ThürDSG. 89  BVerfG



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 335

fangene im Straf- und Maßregelvollzug ein Recht auf Einsicht in ihre Kran­ kenunterlagen zu gewährleisten ist.93 Die ärztlichen Krankenunterlagen beträfen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre.94 Aus diesem Grund und wegen einer möglichen erheblichen Bedeutung der in solchen Unterlagen enthaltenen Informationen für selbstbestimmte Entscheidungen des Betroffenen habe dieser ein geschütztes Interesse daran, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen worden sei, welche Daten sich dabei er­ geben haben und wie man die weitere Entwicklung einschätze.95 Die Ge­ heimhaltung dieser Informationen kann ferner ein wesentlicher Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen sein. Darüber hinaus können auch die Offenbarung und Weiterleitung dieser Informationen den Betroffenen in seiner Privatsphäre und seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung berühren. Ferner können auch verfahrensrechtliche Garantien des jeweiligen Gefan­ genen, wie die Aussagefreiheit, Mitwirkungsfreiheit und die Selbst­ belastungsfreiheit, betroffen sein. Die Aussagefreiheit und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung.96 Dieses Prinzip ist sowohl als Teil des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren als auch als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt.97 Die Gewähr­ leistung der Selbstbelastungsfreiheit soll den Beschuldigten gegen unzulässi­ gen Zwang schützen.98 So solle der Beschuldigte frei von Zwängen eigenver­ antwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirke.99 Die Aussagefreiheit wird nicht nur gegen unmit­ telbare Einwirkungen geschützt, sondern der Beschuldigte soll auch nicht durch mittelbaren Druck zu einer Aussage genötigt werden.100 Auch der Eu­ ropäische Gerichtshof für Menschenrechte befürwortet ein umfassendes Ver­ 93  BVerfG 94  BVerfG

Rspr.

95  BVerfG

NJW 2006, 1116 (1117 f.); NStZ 2018, 162. NJW 1972, 1123 (1124); NJW 2006, 1116 (1118); NStZ 2018, 162, st.

NJW 2006, 1116 (1118); NStZ 2018, 162. NJW 1981, 1431; BGH NJW 1992, 1463 (1464 f.); NJOZ 2016, 1879 (1882); NStZ 2019, 36 f. 97  BVerfG NJW 2013, 1058 (1060); NJOZ 2016, 1879 (1882); Epik, ZStW 131 (2019), 131 (137); MüKo-StPO/Schuhr, Vorbem zu den §§ 133 ff. Rn. 74; Löwe/Ro­ senberg/Gieß, § 136 Rn. 27; vgl. a. BGH NJW 1992, 1463 (1464 f.); NJW 2007, 3138 (3139 f.); EGMR NJW 2006, 3117 (3124 f.). 98  BVerfG NJW 2004, 999 (1005); NJW 2013, 1058 (1061); NJOZ 2016, 1879 (1883); ferner auch EGMR BeckRS 2008, 12844 Rn. 94; SSW-StPO/Eschelbach, § 136 Rn. 46; KK-StPO/Lohse/Jakobs, Art. 6 MRK Rn. 50. 99  BVerfG NJW 2013, 1058 (1061); NJOZ 2016, 1879 (1883). 100  Epik, ZStW 131 (2019), 131 (135). 96  BVerfG

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

bot, eine willentliche Mitwirkung des Beschuldigten an seiner Überführung zu erzwingen.101 Die Selbstbelastungsfreiheit gilt insbesondere unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfs, die Strafprozessordnung zwingt zudem auch nicht zur Wahrheitserforschung um jeden Preis.102 Den Beschuldigten trifft also grundsätzlich keine Pflicht, an der Tataufklärung gegen sich selbst mitzuwirken, egal in welcher Form. Allerdings sieht die Strafprozessordnung gewisse Ausnahmen von diesen Grundsätzen vor, unter anderem im Zusam­ menhang mit ärztlichen Untersuchungen und/oder Maßnahmen. So müssen unter bestimmten Umständen etwa eine körperliche Untersuchung oder eine Blutprobenentnahme nach § 81a Abs. 1 S. 2 StPO von Seiten des Beschul­ digten geduldet werden.103 Ebenso sehen die Untersuchungshaftvollzugsge­ setze der Länder vor, dass die Gefangenen nach der Aufnahme in die Anstalt ärztlich untersucht werden.104 Die Gefangenen haben zum einen ein Recht auf die Durchführung dieser ärztlichen Untersuchung, sie haben aber auch eine Pflicht, diese zu dulden, soweit sie nicht mit körperlichen Eingriffen verbunden ist.105 Eine zwangsweise Durchführung der Eingangsuntersuchung ist jedoch nur nach den besonderen Vorschriften der Landesgesetze zu Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge oder sonstigen gesetzlichen Untersuchungsbefugnissen, wie nach dem Infektionsschutzge­ setz, zulässig.106 Gerade in Bezug auf diese gesetzlich vorgeschriebenen Tatsachenerhebun­ gen sollte die Selbstbelastungsfreiheit aber besondere Beachtung finden, da der betroffene Gefangene in bestimmten Situationen, wie im Rahmen der Eingangsuntersuchung, keinen Einfluss auf das Bekanntwerden von Informa­ tionen hat. In diesen Fällen werden auch ohne oder sogar gegen den Willen der Gefangenen Tatsachen erhoben, welche geeignet sein können, zu den 101  EGMR NJW 2002, 499 (501 f.); EGMR, 25.02.1993 – 10828/84 Funke vs. France Rn.  41 ff. 102  BGH NJW 1960, 1580 (1582); NJW 2007, 3138 (3140). 103  Vgl. BeckOK-StPO/Goers, § 81a Rn. 6; KK-StPO/Hadamitzky, § 81a Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 81a Rn. 10; krit. hierzu MüKo-StPO/Trück, § 81a Rn. 22. 104  § 4 S. 2 JVollzGB II BW; Art. 8 Abs. 2 S. 3 BayUVollzG; § 7 Abs. 3 UVollzG Bln; § 12 Abs. 3 BbgJVollzG; § 7 Abs. 3 BremUVollzG; § 7 Abs. 1 S. 2 HmbU­ VollzG; § 6 Abs. 2 HUVollzG; § 7 Abs. 3 UVollzG M-V; § 136 i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 3 NJVollzG; § 6 Abs. 3 UVollzG NRW; § 12 Abs. 3 LJVollzG RP; § 7 Abs. 3 SUVollzG; § 7 Abs. 4 SächsUHaftVollzG; § 12 Abs. 3 JVollzGB I LSA; § 7 Abs. 3 UVollzG SH; § 12 Abs. 3 ThürJVollzGB. 105  BeckOK Strafvollzug NRW/Hettenbach, UVollzG NRW § 6 Rn. 9; BeckOK Strafvollzug Sachsen/Brockhaus, SächsUHaftVollzG § 7 Rn. 13. 106  BayObLG BeckRS 2019, 33099 Rn. 15; BeckOK Strafvollzug Sachsen/Brockhaus, SächsUHaftVollzG § 7 Rn. 16 ff.; BeckOK Strafvollzug Berlin/Goers, UVollzG Bln § 7 Rn. 9; BeckOK Strafvollzug Hamburg/Junck, HmbUVollzG § 7 Rn. 7.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 337

Beschuldigungen oder zur Sache „Aussagen“ zu machen. Die Selbstbelas­ tungs- uns Aussagefreiheit muss auch für ärztliche Untersuchungen gelten, welche geeignet sind, Tatsachen oder Umstände aufzudecken, welche mit der konkreten Tat in Verbindung stehen.107 Der Betroffene kann sich im Rah­ men von ärztlichen Untersuchungen auch nicht geeignet vor einer Tatsachen­ erhebung schützen. Bestimmte Tatsachen können bereits aufgrund ärztlichen Sachverstandes offengelegt werden, während sie anderen Personen verborgen bleiben. Eine ärztliche Untersuchung ist zwar nicht unmittelbar mit einer Vernehmungssituation vergleichbar und dient auch nicht in erster Linie dazu, die Tataufklärung zu fördern, sie kann jedoch im Einzelfall denselben Effekt haben. So können Tatsachen aufgedeckt werden, welche zum einen mit dem Körper und der Gesundheit des Betroffenen in Verbindung stehen, zum ande­ ren aber auch einen Bezug zu der konkreten Tat aufweisen. Diese Tatsachen würde der Betroffene sonst nicht nur niemandem mitteilen müssen, sondern er hätte sie vielleicht auch nicht freiwillig mitgeteilt. In diesem Zusammen­ hang sei zudem darauf verwiesen, dass auch belastende Aussagen außerhalb des Strafverfahrens und von Vernehmungen nach § 136 StPO im Strafprozess unverwertbar sein können.108 Insbesondere können Angaben, welche in An­ wesenheit einer Polizeibeamtin gegenüber einem Arzt gemacht wurden, die Selbstbelastungsfreiheit verletzen und einem Verwertungsverbot unterlie­ gen.109 Ferner ist zu beachten, dass die Möglichkeiten des Betroffenen, sich eines Beistandes durch einen Verteidiger zu bedienen, bei einer ärztlichen Untersu­ chung generell, aber insbesondere im Rahmen der Untersuchungshaft, stark eingeschränkt ist. Nach § 137 StPO kann sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes durch einen Verteidiger bedienen. In unter­ schiedlichen Verfahrensabschnitten und bei unterschiedlichen Verfahrens­ handlungen sind auch explizit Anwesenheitsrechte für die Verteidigung nor­ miert.110 Gesetzlich ist es jedoch nicht vorgesehen, dass der Verteidiger bei der Aufnahme in die Vollzugsanstalt und der ärztlichen Untersuchung anwe­ send sein kann. Lediglich in § 81d Abs. 1 S. 3 StPO ist normiert, dass bei körperlichen Untersuchungen, die das Schamgefühl verletzen können, eine Person des Vertrauens zugelassen werden soll. Als Vertrauensperson kommt 107  P. Schmitt stellt im Rahmen der Schutzzwecke des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 bis 3b StPO folgendes fest: „Der Schutz der Beziehung zwischen Hilfsperson und beschul­ digtem Klienten kann daher durchaus als ‚Ausstrahlungswirkung‘ des nemo-teneturGrundsatzes verstanden werden.“, in: Die Berücksichtigung der Zeugnisverweige­ rungsrechte, S. 126. 108  BVerfG NJW 1981, 1431; i. Erg. auch BGH NStZ 2019, 36; KK-StPO/Diemer, § 136 Rn. 10; Löwe/Rosenberg/Gleß, Vor § 133 Rn. 10. 109  BGH NStZ 2019, 36. 110  U. a. §§ 163a Abs. 4 S. 3; 168c Abs. 1 StPO.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

grundsätzlich jede von dem Beschuldigten selbst für geeignet befundene Person in Betracht.111 Somit kann in diesen Fällen auch die Anwesenheit ei­ nes Verteidigers gewünscht werden. Allerdings besteht keine Verpflichtung, jedwede Person der Untersuchung beiwohnen zu lassen.112 An dieser Stelle sei im Übrigen nur kurz darauf verwiesen, dass die Recht­ sprechung ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers oder auch anderer Begleit­ personen bei einer Exploration eines Beschuldigten durch einen Sachverstän­ digen explizit verneint.113 Eine Anwesenheit der Verteidigung sei bereits nicht geregelt und darüber hinaus auch nicht erforderlich, um sicherzustellen, dass die Begutachtung den medizinischen Standards und der Strafprozessord­ nung entspreche.114 Eine Teilnahme Dritter an einer Exploration scheint je­ doch dann möglich zu sein, wenn der Sachverständige der Anwesenheit Dritter zustimmt.115 Selbst wenn man aber ein Anwesenheitsrecht oder zu­ mindest eine Anwesenheitsmöglichkeit der Verteidigung beim Zugangsge­ spräch und der Eingangsuntersuchung in der Vollzugsanstalt bejahen würde, wäre die Wahrnehmung dessen durch die Verteidigung in der Praxis bereits aus zeitlichen Gründen wohl nur schwer umzusetzen. Die Eingangsuntersu­ chung soll nach den Vorschriften der Landesgesetze „alsbald“ bzw. „unver­ züglich“ stattfinden.116 Zwar haben die Gesetzgeber bewusst keine Frist zur ärztlichen Untersuchung vorgegeben, jedoch könnte die Teilnahmemöglich­ keit der Verteidigung an der Eingangsuntersuchung deren rasche Durchfüh­ rung zusätzlich verzögern, was in der Regel weder im Interesse der Vollzugs­ anstalt noch im Interesse des betroffenen Gefangenen liegen würde. Zudem wären auch die tatsächliche Durchführbarkeit und der Nutzen eines solchen Anwesenheitsrechtes fraglich, da ein solches für die Verteidigung einen er­ heblichen Mehraufwand bedeuten würde. Es wäre diesbezüglich zu befürch­ ten, dass die übrigen Aufgaben der Verteidigung unter diesem Mehraufwand leiden und die Verteidigung insgesamt weniger effektiv würde. Mit diesen Ausführungen soll nicht ausgeschlossen werden, dass es Fälle geben kann, in 111  MüKo-StPO/Trück,

§ 81d Rn. 9. § 81d Rn. 10; MüKo-StPO/Trück, § 81d Rn. 9. 113  BGH NStZ 2003, 101; NStZ 2008, 229; OLG Karlsruhe BeckRS 2018, 5142 Rn. 22; OLG Hamm BeckRS 2017, 149918. 114  OLG Hamm BeckRS 2017, 149918 Rn. 1 m. V. a. BGH NStZ 2003, 101. 115  LG Offenburg NStZ-RR 2006, 358, wo der Verteidiger an der Exploration teilnahm und diese auch nach RVG abrechnen durfte. 116  § 4 S. 2 JVollzGB II BW; Art. 8 Abs. 2 S. 3 BayUVollzG; § 7 Abs. 3 UVollzG Bln; § 12 Abs. 3 BbgJVollzG; § 7 Abs. 3 S. 1 BremUVollzG; § 7 Abs. 1 S. 2 Hmb­ UVollzG; § 6 Abs. 2 HUVollzG; § 7 Abs. 3 UVollzG M-V; § 136 i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 3 NJVollzG; § 6 Abs. 3 UVollzG NRW; § 12 Abs. 3 LJVollzG RP; § 7 Abs. 3 ­SUVollzG; § 7 Abs. 4 SächsUHaftVollzG; § 12 Abs. 3 JVollzGB I LSA; § 7 Abs. 3 UVollzG SH; § 12 Abs. 3 ThürJVollzGB. 112  SK-StPO/Rogall,



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 339

welchen alle Beteiligten mit einer Anwesenheit der Verteidigung bei der Ein­ gangsuntersuchung einverstanden sind und diese auch tatsächlich zeitnah unter Anwesenheit der Verteidigung durchgeführt wird. Es wird lediglich der tatsächliche Mehrwert einer Anwesenheit der Verteidigung bei der Eignungs­ untersuchung in Frage gestellt. Grundsätzlich bleibt an dieser Stelle fest­ zuhalten, dass der Beschuldigte im Rahmen der Eingangsuntersuchung mit großer Wahrscheinlichkeit schutzloser ist als bei einer Vernehmung, bei welcher ein Verteidiger anwesend sein kann. Neben den Interessen des direkt betroffenen Gefangenen können auch die Interessen von Dritten durch Mitteilungen des Anstaltsarztes berührt sein und mit den oben beschriebenen staatlichen Interessen in Konflikt treten. Nach der hier vertretenen Ansicht können grundsätzlich auch Drittgeheimnisse vom Schutzbereich des § 203 Abs. 1 StGB erfasst sein.117 Ebenso wie in Bezug auf den betroffenen Gefangenen ist das von Dritten betroffene Inte­ resse hier deckungsgleich mit dem von § 203 Abs. 1 StGB geschützten Inte­ resse. Ferner besteht die Aussage- und Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten nicht nur zu seinen eigenen Gunsten, sondern auch zu Gunsten Mitbeschul­ digter oder Dritter.118 Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine persönliche Verbindung zwischen den Beteiligten besteht, die Verfahren in einer Verbin­ dung zueinander stehen oder es sich um Taten von Dritten handelt, an wel­ chen der Beschuldigte vollkommen unbeteiligt war.119 Die Selbstbelastungs­ freiheit ist insbesondere deswegen weit zu verstehen, da zwischen Mitange­ klagten diverse, für den Ausgang des Prozesses erhebliche, Abhängigkeiten bestehen.120 Konkret können Dritte ein eigenes Interesse daran haben, dass die Aussage- und Mitwirkungsfreiheiten nicht insofern umgangen werden, dass Erkenntnisse aus einer notwendigerweise durchzuführenden ärztlichen Untersuchung an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft mitgeteilt werden. Tatsachen, die einen Bezug zu Dritten haben und bei einer solchen Untersu­ chung bekannt werden können, sind beispielsweise Tätowierungen, welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung bedeuten oder auch be­ stimmte Verletzungen, welche von Dritten zugefügt wurden. Ferner können sich auch Anzeichen psychischen Zwanges durch Dritte bei einer Eingangs­ untersuchung zeigen. In all diesen Konstellationen bestehen möglicherweise eigene Interessen Dritter daran, dass diese Tatsachen nicht in dem anhängigen 117  S. 2. Kapitel

C.II.6.

118  MüKo-StPO/Schuhr,

Vorbem. zu den §§ 133 ff. Rn. 94. NJW 1957, 230 (231); NJW 1964, 1034; MüKo-StPO/Schuhr, Vorbem. zu den §§ 133 ff. Rn. 94. 120  MüKo-StPO/Schuhr, Vorbem. zu den §§ 133 ff. Rn. 94. 119  BGH

340

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Strafverfahren bekannt werden oder auch überhaupt nicht bei dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft bekannt werden. 3. Kollision der Interessen Die beschriebenen Interessen zeigen zugleich, dass eine Reihe von Kolli­ sionen derselben möglich ist, wenn ein Anstaltsarzt Erkenntnisse an das Ge­ richt und die Staatsanwaltschaft mitteilt. In allen der oben beschriebenen Fälle können die mitgeteilten Informationen grundsätzlich von Bedeutung für die Erfüllung der Aufgaben des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sein. Hierbei kommt es zunächst insbesondere nicht darauf an, für welche Verfah­ ren oder welche Beschuldigten die Informationen bedeutsam sind, da in je­ dem Fall ein Aufklärungsinteresse gegeben sein kann. Zugleich berührt be­ reits die Offenbarung selbst das Geheimhaltungsinteresse des Gefangenen oder eines Dritten. Somit steht dieses Interesse in einem direkten Konflikt mit den staatlichen Interessen. § 114e S. 1 StPO versucht diesen Widerstreit in der Gestalt zu berücksich­ tigen, dass die Interessen und Rechte der Gefangenen bei jeder Mitteilung beachtet werden müssen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Normtext eine Mitteilungspflicht nur für diejenigen Erkenntnisse bestimmt, welche den Empfängern nicht bereits anderweitig bekannt geworden sind.121 Dieser Zusatz wurde nach der Gesetzbegründung unter anderem deswegen einge­ fügt, um vermeidbare Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung zu vermeiden.122 Daraus lässt sich schließen, dass zumindest er­ kannt wurde, dass die Rechte der Betroffenen mit den Mitteilungspflichten in Widerstreit treten können.

II. Voraussetzungen von § 114e S. 1 StPO Betrachtet man § 114e S. 1 StPO, so lassen sich die unterschiedlichen Merkmale der Norm zunächst in objektive und subjektive Kriterien untertei­ len. Darüber hinaus lassen sich aus den jeweiligen Kriterien auch die grund­ sätzlichen Voraussetzungen für eine Rechtfertigung einer Offenbarung durch einen Anstaltsarzt ableiten.

121  Vgl.

hierzu ausführlich 3. Kapitel C.III.3. 16/11644, S. 21.

122  BT-Drs.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 341

1. Objektive Kriterien Als objektives Kriterium setzt die Norm zunächst den Vollzug der Unter­ suchungshaft gegen eine Person voraus. Ferner müssen während dieses Voll­ zugs Erkenntnisse durch die Vollzugsanstalt erlangt worden sein. Diese ob­ jektiven Kriterien bilden zusammengenommen die Rechtfertigungslage, die mindestens gegeben sein muss, um einen Bruch der ärztlichen Schweige­ pflicht zu rechtfertigen. Ferner dürfen die Erkenntnisse dem Gericht und der Staatsanwaltschaft bisher noch nicht bekannt sein. In Bezug auf das Merkmal der fehlenden Kenntnis ist allerdings zu diskutieren, ob dieses überhaupt ein objektives Rechtfertigungskriterium darstellen kann. Nach einer ersten Betrachtung ist die fehlende Kenntnis von Tatsachen als objektives Kriterium einzuordnen. Diesbezüglich wurde aber bereits diskutiert, dass die Formulierung der Norm hier wenig praktikabel ist.123 So enthält weder die Norm selbst, noch die Gesetzesbegründung Kriterien oder Methoden, nach denen die Unkenntnis der Erklärungsempfänger ermittelt werden kann oder sollte. Es ist zwar grundsätzlich möglich objektiv festzustellen, über welche Kenntnisse das Gericht und die Staatsanwaltschaft verfügen und welche noch unbekannt sind. Dazu müsste aber der gesamte Kenntnisstand abgefragt und geprüft werden, da nur so herausgefunden werden kann, was noch unbekannt ist, ohne die betreffenden Tatsachen zu offenbaren. Während das Merkmal „nicht anderweitig bekannt“ allerdings eine objek­ tive Voraussetzung für die Pflicht der Vollzugsanstalt zur Übermittlung von Erkenntnissen nach § 114e S. 1 StPO darstellt, ist dieses Merkmal im Rah­ men der Rechtfertigung für den sich offenbarenden Anstaltsarzt insofern ohne Bedeutung, als es immer vorliegen wird. Übermittelt ein Anstaltsarzt Tatschen an das Gericht und die Staatsanwaltschaft, bestehen nur zwei Mög­ lichkeiten: entweder die Tatsachen waren zumindest einem der beiden Emp­ fänger bereits bekannt oder die Tatsachen waren bisher noch gänzlich unbe­ kannt. Im ersten Fall liegt bereits keine strafbare Geheimnisoffenbarung durch den Anstaltsarzt vor. Sind die Tatsachen nämlich bereits bei dem Ge­ richt oder der Staatsanwaltschaft bekannt, so handelt es sich nicht mehr um Geheimnisse im Sinne der bereits genannten Definition.124 Folglich ist be­ reits der Tatbestand des § 203 Abs. 1 StGB nicht erfüllt und es bedarf somit auch keiner Rechtfertigung. Waren die Tatsachen hingegen bisher unbekannt, kann ein Verstoß gegen § 203 Abs. 1 StGB vorliegen. In diesem Fall wird aber auch in jedem Fall das objektive Kriterium „nicht anderweitig bekannt“ erfüllt sein. Es bleibt somit festzuhalten, dass die fehlende Kenntnis zwar ein 123  S. 124  S.

hierzu 3. Kapitel C.III.3. hierzu 2. Kapitel C.II.1.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

objektives Kriterium darstellt, dieses für die hier diskutierten Fälle immer gegeben ist, sobald eine Rechtfertigung für den sich offenbarenden Anstalts­ arzt in Betracht kommt. Die Rechtfertigungslage, welche gegeben sein muss, besteht somit aus dem Vollzug der Untersuchungshaft gegen eine Person und der Erlangung von Erkenntnissen während des Vollzugs, welche dem Gericht und der Staatsanwaltschaft bisher noch nicht bekannt sind. Die für den Anstaltsarzt mögliche Handlung besteht in der Übermittlung der erlangten Erkenntnisse an die benannten Empfänger. Hierbei ist zu be­ achten, dass § 114e S. 1 StPO die Vollzugsanstalt zu einer Übermittlung an Gericht und Staatsanwaltschaft verpflichtet. Im Rahmen der Rechtfertigung stellt sich allerdings die Frage, ob eine gerechtfertigte Handlung nur dann vorliegen kann, wenn der Anstaltsarzt die Tatsachen ebenfalls an das Gericht und die Staatsanwaltschaft übermittelt. Insoweit kann dem Anstaltsarzt je­ doch nicht zugemutet werden, dass er wissen muss, dass die Vollzugsanstalt als Adressat der Norm die erlangten Erkenntnisse immer gleichzeitig an beide Stellen übermitteln muss. Es ist folglich als ausreichend anzusehen, wenn der Anstaltsarzt die Informationen an das Gericht oder die Staatsan­ waltschaft übermittelt. 2. Subjektive Kriterien Als weiteres Kriterium setzt § 114e S. 1 StPO voraus, dass die Erkennt­ nisse „aus Sicht der Vollzugsanstalt für die Erfüllung der Aufgaben […] von Bedeutung“ sind. Die Erkenntnisse müssen also gerade nicht objektiv für die Erfüllung der Aufgaben von Bedeutung sein, sondern es kommt allein auf die subjektive Beurteilung der jeweiligen Bedeutsamkeit durch die im kon­ kreten Fall Handelnden an. Problematisch ist in diesem Zusammenhang je­ doch zunächst die Frage, nach welchen Kriterien ein Anstaltsarzt subjektiv die Bedeutung der Informationen für das Gericht oder die Staatsanwaltschaft bewerten soll bzw. ob diesbezüglich überhaupt bestimmte Kriterien gelten können. Nach der hier vertretenen Ansicht hat die Vollzugsanstalt als Adressat der Norm bei der subjektiven Bewertung der Bedeutsamkeit der Erkenntnisse grundsätzlich auf den Haftgrund bzw. die Haftgründe abzustellen. Darüber hinaus können auch Erkenntnisse, welche im Zusammenhang mit der an­ staltsbezogenen Gefahrenabwehr stehen, nach subjektiver Bewertung der Handelnden für das Gericht und die Staatsanwaltschaft von Bedeutung sein.125 Von Bedeutung für die Aufgabenerfüllung der genannten Stellen 125  S.

hierzu 3. Kapitel C.III.2. und 4.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 343

sind somit zunächst nur diejenigen Erkenntnisse, welche im konkreten Ein­ zelfall für den Haftgrund oder die Haftgründe erheblich oder bedeutsam sein könnten.126 Diese Einschränkung schließt auch Umstände mit ein, welche die Rechtsfolgenentscheidung betreffen, sofern diese auf die Haftgründe zu­ rückwirken können.127 Ebendiese Bedeutsamkeit kann die Vollzugsanstalt, bzw. die jeweiligen Mitarbeitenden und die Anstaltsleitung in einer zweistu­ figen Prüfung auch zuverlässig bewerten.128 Zudem ist es statthaft, diejenigen Informationen zu übermitteln, welche die anstaltsbezogene Gefahren­abwehr betreffen, sofern diese Einfluss auf die Aufgabenerfüllung der Empfänger haben können.129 Bei der Bewertung der Bedeutsamkeit der mitzuteilenden Tatsachen steht der Vollzugsanstalt somit nur ein sehr begrenzter Beurtei­ lungsspielraum, aufgrund der jeweils bestehenden Kenntnisse und Erfahrun­ gen, zu. Diese für die Vollzugsanstalt geltenden Maßstäbe sind jedoch nicht ohne weiteres auf eine subjektive Bewertung durch den Anstaltsarzt übertragbar. Zunächst kann nicht vorausgesetzt werden, dass ein Anstaltsarzt allein auf­ grund seiner Tätigkeit im Untersuchungshaftvollzug über Kenntnisse im Strafverfahrensrecht oder Strafvollstreckungsrecht verfügt. Insbesondere kann hier nicht verlangt werden, dass er Kenntnisse über mögliche Haftgründe be­ sitzt oder erlangte Erkenntnisse mit diesen in Verbindung bringen kann. Fer­ ner wird der Anstaltsarzt die im konkreten Einzelfall jeweils in Betracht kommenden oder vorliegenden Haftgründe auch nicht unbedingt kennen. ­ Schließlich ist außerdem fraglich, ob ein Anstaltsarzt wissen kann, was die Aufgabenerfüllung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren beinhaltet und inwiefern bestimmte Erkenntnisse für ebendiese Aufgabener­ füllung von Bedeutung sein können. Es kann allerdings vorausgesetzt werden, dass ein Anstaltsarzt mit der anstaltsinternen Gefahrenabwehr vertraut ist. In Bezug auf eine Mitteilung von Tatsachen, welche die anstaltsinterne Gefahrenabwehr betreffen, kann von einem Anstaltsarzt verlangt werden, dass er über dieselben Kenntnisse und dieselben Einschätzungsmöglichkeiten verfügt wie andere Vollzugsange­ stellte. Schließlich wird von ihm auch in allen Landesgesetzen verlangt, dass er sich gegenüber der Anstaltsleitung offenbart, wenn eine Gefahr für be­ stimmte Rechtsgüter innerhalb der Anstalt besteht.130 Sofern es sich um ei­ nen verbeamteten Arzt handelt, welcher konkret als Anstaltsarzt tätig ist, 126  S. hierzu 3. Kapitel C.III.2. und 4; vgl. a. Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 11; SK-StPO/Paeffgen, § 114e Rn. 8. 127  S. hierzu 3. Kapitel C.III.4. 128  Löwe/Rosenberg/Lind, § 114e Rn. 11. 129  Vgl. ausführlich 3. Kapitel C.III.2. und 4. 130  Vgl. ausführlich 3. Kapitel B.II.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

sollte er sowohl mit den Rechtsgrundlagen, wie auch mit den tatsächlichen Umständen und Gepflogenheiten innerhalb einer Vollzugsanstalt vertraut sein. Zudem sollten aber auch die Vertragsärzte mit den jeweiligen Mittei­ lungspflichten innerhalb der Vollzugsanstalt vertraut sein, insbesondere sol­ chen, welche die Sicherheit und Ordnung, bzw. die Gefahrenabwehr inner­ halb der Vollzugsanstalt betreffen. Insofern ist in Bezug auf die Mitteilungen von Erkenntnissen an das Gericht und die Staatsanwaltschaft derselbe Beur­ teilungsspielraum anzulegen wie für die übrigen Mitarbeitenden der Voll­ zugsanstalt, sofern die Erkenntnisse die anstaltsinterne Gefahrenabwehr be­ treffen. Abschließend verbleibt also nur zu klären, wie Anstaltsärzte die Bedeut­ samkeit derjenigen Erkenntnisse zu beurteilen haben, welche nicht mit der anstaltsinternen Gefahrenabwehr in Verbindung stehen. Sofern aufgrund des individuellen Wissensstandes nicht dieselben Kriterien für den Anstaltsarzt gelten können wie für andere Mitarbeitende der Vollzugsanstalt, ist fraglich, an welche Kriterien die Bedeutsamkeit der Tatsachen in diesem Fall ange­ knüpft werden könnte. Es wäre zumindest widersinnig, hier vollkommen neue und andere Kriterien aufzustellen, welche allein für den Anstaltsarzt gelten würden. Hierdurch würde eine unsichere Rechtslage für den Anstalts­ arzt wie auch für andere Mitarbeitende in der Vollzugsanstalt geschaffen werden, welcher der Bezug zu § 114e S. 1 StPO fehlen könnte. Sinnvoll ist es vielmehr, die für die Vollzugsanstalt geltenden Kriterien so zu modifizie­ ren, dass eine sichere subjektive Beurteilung der Bedeutsamkeit der Erkennt­ nisse unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Fähigkeiten von Anstalts­ ärzten ermöglicht wird. Allgemein kann hier daran angeknüpft werden, dass die Mitteilungspflicht der Vollzugsanstalt nach § 114e S. 1 StPO nur für solche Informationen gilt, welche für das anhängige Strafverfahren von Bedeutung sind.131 Ebendieser Anknüpfungspunkt muss auch für eine Rechtfertigung einer Mitteilung durch einen Anstaltsarzt gegeben sein. Der Anstaltsarzt muss die Erkenntnisse also zumindest mit dem jeweils anhängigen Strafverfahren in Verbindung bringen und für ebendieses Verfahren als bedeutsam erachten. Darüber hinaus darf auch bei dieser weiten Auslegung der Bedeutsamkeit der Bezug zur Aufga­ benerfüllung der Empfänger nicht vernachlässigt werden. Auch wenn von einem Anstaltsarzt nicht verlangt werden kann, dass er mit der konkreten Aufgabenerfüllung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft vertraut ist, kann verlangt werden, dass er sich grundlegende Gedanken über die Verwendung der übermittelten Erkenntnisse durch die Erklärungsempfänger macht. In 131  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 114e Rn. 5; BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, StPO § 114e Rn. 4; BeckOK-StPO/Krauß, § 114e Rn. 1; KMR-StPO/Wankel, § 114e Rn. 3.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 345

subjektiver Hinsicht muss es zumindest für möglich gehalten werden, dass die übermittelten Erkenntnisse im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Mittei­ lungsempfänger Verwendung finden könnten und aus diesem Grund bedeut­ sam sein könnten. Es muss dem Anstaltsarzt nicht darum gehen, die Erkennt­ nisse für eine bestimmte Aufgabenerfüllung zu übermitteln, jedoch muss er zumindest glauben, dass sie für irgendeine Aufgabe der Erklärungsempfänger im anhängigen Strafverfahren bedeutsam sein könnten. Insofern kann der Beurteilungsspielraum hier so weit ausgedehnt werden, dass eine Mitteilung von Informationen nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Informationen aus Sicht des Anstaltsarztes bei einer Aufgabenerfül­ lung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft Verwendung finden könnten und daher im anhängigen Strafverfahren von Bedeutung sein können. Darüber hinaus verlangt die Norm in Bezug auf die subjektive Bewertung der Bedeutsamkeit nicht, dass es dem Anstaltsarzt darauf ankommen muss, die Aufgabenerfüllung der Erklärungsempfänger tatsächlich zu fördern. Es muss ihm lediglich darauf ankommen, bisher unbekannte Erkenntnisse, wel­ che aus seiner Sicht von Bedeutung sind, mitzuteilen. Die Bedeutsamkeit der Informationen für die Aufgabenerfüllung der Empfänger beinhaltet nicht die Voraussetzung, dass die Aufgabenerfüllung tatsächlich in irgendeiner Form ermöglicht, erleichtert oder gefördert wird. 3. Rechtfertigungswürdigkeit Soweit festgestellt wurde, dass eine Rechtfertigung des Bruchs der Schwei­ gepflicht zumindest nach den Voraussetzungen des § 114e S. 1 StPO möglich wäre, bleibt zu ermitteln, ob das Verhalten des Anstaltsarztes überhaupt recht­ fertigungswürdig ist. Grundsätzlich muss und soll nicht jedes normenwidrige Verhalten mit Strafe sanktioniert werden, zugleich kann ein Verhalten aber auch nicht als rechtfertigungswürdig angesehen werden, wenn dieses nicht im Einklang mit der Gesamtrechtsordnung steht. Der Begriff der Rechtfertigungswürdigkeit meint an dieser Stelle vor allem die Frage, ob eine bestimmte Handlung noch als gerechtfertigt angesehen werden kann, wenn sie im Widerspruch zu anderen Normen steht. Konkret bezieht sich dies darauf, ob § 114e S. 1 StPO, welcher nicht als Rechtferti­ gungsgrund geschaffen wurde, einen Bruch der ärztlichen Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 StGB rechtfertigen können soll, wenn ebendies im Wider­ spruch zu Bestimmungen der Landesgesetze in Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht im Strafvollzug steht. Zunächst sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die ärztliche Schweige­ pflicht nach dem Berufsrecht vollumfänglich für jedwede ärztliche Tätigkeit

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

gilt.132 Dieser Umfang der ärztlichen Schweigepflicht findet sich auch in den Landesgesetzen zum Vollzug, welche ausdrücklich bestimmen, dass Ärzte auch im Rahmen des Vollzugs vollumfänglich der Schweigepflicht unterlie­ gen.133 Offenbarungspflichten und Offenbarungsbefugnisse, also Recht­ fertigungsgründe für den Bruch der Schweigepflicht, sind jeweils ausdrück­ lich in den Landesgesetzen normiert.134 Darüber hinaus finden sich auch in weiteren Gesetzen Rechtfertigungsgründe für den Bruch der Schweigepflicht, welche für Anstaltsärzte gelten.135 Das in den Fallgestaltungen beschriebene Verhalten des Anstaltsarztes ist gesetzlich nicht vorgesehen, weder nach der Strafprozessordnung noch nach den Bestimmungen der Landesgesetze. Somit handelt es sich auch nicht per se um eine prozessual erlaubte Handlung, welche materiell rechtlich als ge­ rechtfertigt anzusehen wäre. Dass eine Rechtfertigung nach dem Wortlaut des § 114e S. 1 StPO möglich wäre, wenn man die Voraussetzungen der Norm entsprechend interpretiert, heißt jedoch nicht zugleich, dass eine sol­ che Rechtfertigung auch geboten ist. In diesem Zusammenhang ist wiederum an die Unterschiede zwischen den Bereichen des anstaltsinternen Handelns und des Handelns der Vollzugsan­ stalt nach außen zu erinnern.136 Diese beiden Handlungsbereiche werden in unterschiedlichen Rechtsgebieten geregelt. Während das anstaltsinterne Han­ deln allein von den Landesgesetzen zum Strafvollzug bestimmt wird, finden sich Regelungen, welche das Handeln der Vollzugsanstalt nach außen betref­ fen, sowohl in Landesgesetzen wie auch in Bundesgesetzen. Im voranstehen­ den Kapitel wurde diesbezüglich bereits erörtert, dass der Begriff der „Voll­ zugsanstalt“ in der Strafprozessordnung stets die Vollzugsanstalt als Institu­ tion meint, insbesondere soweit Handlungen von der Vollzugsanstalt vorge­ nommen werden sollen, welche nach außen gerichtet sind.137 Nach den Gesetzgebungsbefugnissen fällt es auch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundesgesetzgebers, die interne Anstaltsorganisation zu regeln. Aller­ dings kann der Bundesgesetzgeber Bestimmungen treffen, welche den Hand­ 132  Vgl.

hierzu 1. Kapitel A.II.1. und 2. Kapitel B. Abs. 2 S. 1 JVollzGB I BW; Art. 201 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG; § 60 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG Bln; § 133 Abs. 1 BbgJVollzG; § 45 Abs. 1 S. 1 BremJVollz­ DSG; § 26 Abs. 2 HmbJVollzDSG; § 61 Abs. 2 S. 1 HStVollzG und § 57 Abs. 2 S. 1 HUVollzG; § 40 Abs. 1 S. 1 JVollzDSG M-V; § 195 Abs. 1 S. 1 NJVollzG; § 33 Abs. 2 S. 1 JVollzDSG NRW; § 42 Abs. 1 S. 1 LJVollzDSG RP; § 45 Abs. 1 S. 1 JVollzDSG SL; § 46 Abs. 1 S. 1 SächsJVollzDSG; § 57 Abs. 1 S. 1 JVollzGB IV LSA; § 45 Abs. 1 S. 1 JVollzDSG SH; § 133 Abs. 1 ThürJVollzGB. 134  Vgl. hierzu 3. Kapitel B.II. 135  Vgl. hierzu ausführlich 1. Kapitel B. und C. sowie 3. Kapitel A. und B. 136  S. hierzu bereits 3. Kapitel C.I.3.b)ee) und 5.e). 137  Vgl. hierzu 3. Kapitel C.I.3.b)dd). 133  § 51



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 347

lungsbereich der Vollzugsanstalt nach außen, und die Kommunikation oder Zusammenarbeit mit weiteren Stellen, betreffen. Die Bundesgesetzgebung kann sich mithin nur auf die Vollzugsanstalten als Institutionen zur Strafvoll­ streckung und deren Handlungsbefugnisse und -pflichten nach außen bezie­ hen. Die Regelung der internen Anstaltsorganisation einschließlich aller Handlungsmöglichkeiten, -befugnisse und -pflichten obliegt allein den Lan­ desgesetzgebern. Die Landesgesetzgeber haben diesbezüglich auch umfas­ sende Regelungen getroffen, insbesondere solche, welche die anstaltsinterne Kommunikation und den Schutz personenbezogener Daten innerhalb der Vollzugsanstalt betreffen. Im voranstehenden Kapitel wurden zudem die Voraussetzungen der Mittei­ lungspflicht der Vollzugsanstalt nach § 114e S. 1 StPO herausgearbeitet.138 Dabei wurde insbesondere hervorgehoben, dass die Beurteilung der Bedeut­ samkeit der mitzuteilenden Informationen einer doppelten Kontrolle unterlie­ gen sollte. So muss zunächst durch den konkreten Informationsempfänger und darauffolgend durch die Anstaltsleitung die Bedeutsamkeit der Infor­ mationen für die Mitteilungsempfänger bewertet werden. Diese zweistufige Prüfung verhindert auch, dass über die Maße in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, datenschutzrechtliche Bestimmungen verletzt werden und nicht alle Informationen über einen Betroffenen weiter­ gereicht werden. Dieser Kontrollmechanismus ist jedoch ausgehebelt, wenn sich ein Anstaltsarzt direkt an das Gericht und die Staatsanwaltschaft wendet. In diesem Fall werden die Informationen unkontrolliert weitergereicht und Rechtsverletzungen bei dem Betroffenen können nicht durch eine vorherige Überprüfung der Anstaltsleitung verhindert werden. Die Landesgesetzgeber haben die Fälle und Kriterien rechtmäßiger Ge­ heimnisoffenbarung durch den Anstaltsarzt relativ klar geregelt. Darüber hi­ naus ist es weder notwendig noch sachgerecht, ein Verhalten eines Anstalts­ arztes, welches sich außerhalb der geregelten Befugnisse bewegt, als gerecht­ fertigt anzusehen. Indem der Anstaltsarzt Erkenntnisse direkt mitteilt, setzt er sich auch bewusst über die Anstaltsleitung hinweg, welche für die Kommu­ nikation der Anstalt nach außen zuständig ist. Er überscheitet somit auch seine Kompetenzen, welche ihm innerhalb der Vollzugsanstalt zugewiesen sind. Ein solches Verhalten widerspricht somit einer Reihe von gesetzlichen Bestimmungen und ist nicht als rechtfertigungswürdig zu betrachten. Eine direkte Mitteilung des Anstaltsarztes an das Gericht oder die Staatsanwalt­ schaft ist somit nicht zu rechtfertigen und die Geheimnisoffenbarung bleibt rechtswidrig.

138  Vgl.

hierzu 3. Kapitel C.III.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Die Rechtswidrigkeit einer Geheimnisoffenbarung durch einen Anstaltsarzt kann allerdings in denjenigen Fällen entfallen, in welchen der Anstaltsarzt sich bei der Anstaltsleitung darüber informiert, ob er Erkenntnisse direkt an das Gericht und die Staatsanwaltschaft weiterleiten darf und die Auskunft bejahend ausfällt. Hier setzt sich der Anstaltsarzt nicht konkret über Kommu­ nikationsstrukturen hinweg und sein Verhalten sollte nicht zu einer Strafbar­ keit führen. Zudem kann die Auskunft der Anstaltsleitung, der Anstaltsarzt dürfe Informationen direkt an das Gericht und die Staatsanwaltschaft mittei­ len, auch als eine Delegierung der Mitteilungspflicht der Vollzugsanstalt an­ gesehen werden. In diesem Fall würde die Mitteilung des Anstaltsarztes also lediglich die Mitteilung der Anstaltsleitung ersetzen. 4. Zusammenfassende Betrachtung Eine Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach Erfüllung des Tatbestandes des § 203 Abs. 1 StGB ist mithin möglich, wenn Untersu­ chungshaft gegen eine Person vollzogen wird und im Rahmen des Vollzugs Erkenntnisse bekannt werden, welche dem Gericht und der Staatsanwalt­ schaft bisher noch nicht bekannt waren. Diese Erkenntnisse dürfen sodann durch den Anstaltsarzt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft übermittelt werden, sofern der Anstaltsarzt diese Erkenntnisse für das anhängige Straf­ verfahren subjektiv als bedeutsam beurteilt und eine Verwendung dieser Er­ kenntnisse bei der Aufgabenerfüllung der Mitteilungsempfänger für möglich hält. Allerdings ist eine solche Mitteilung dennoch nicht als gerechtfertigt ein­ zustufen, da sie im Widerspruch zu anderen Regelungen steht. So ist der Bundesgesetzgeber schon gar nicht befugt, die anstaltsinternen Organisations­ strukturen zu regeln. Die Kompetenz zur Festlegung von Pflichten und Be­ fugnissen von Anstaltsärzten bei ihrer Tätigkeit innerhalb der Vollzugsanstalt unterliegt allein der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Zudem würde eine Mitteilung des Anstaltsarztes an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die zweistufige Prüfung der Bedeutsamkeit der betreffenden Informationen und somit den Schutz der Rechte des Betroffenen aushebeln. Da auch nach § 114e S. 1 StPO nicht in unverhältnismäßiger Weise in das Recht auf in­ formationelle Selbstbestimmung eingegriffen werden soll,139 soll die zwei­ stufige Prüfung der Bedeutsamkeit unter Berücksichtigung des Haftgrundes bzw. der Haftgründe sicherstellen, dass die Rechte des Betroffenen ausrei­ chend beachtet werden. Eine Umgehung dieser Prüfung kann somit zu einem unverhältnismäßigen Eingriff führen und das Verhalten des Anstaltsarztes 139  S.

hierzu 3. Kap. C.III.3.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 349

kann nicht als rechtfertigungswürdig erachtet werden. Eine grundsätzliche Rechtfertigung einer Offenbarung nach § 114e S. 1 StPO scheidet mithin aus.

III. Lösung der Beispielfälle Auch wenn festgestellt wurde, dass eine Rechtfertigung einer Offenbarung nach § 114e S. 1 StPO mangels Rechtfertigungswürdigkeit ausscheidet, soll nachfolgend dennoch geprüft werden, ob eine Rechtfertigung in einigen Bei­ spielfällen nicht bereits aus anderen Gründen ausscheidet. Eine Rechtferti­ gung des Bruchs der Schweigepflicht kommt in Bezug auf die einzelnen Fallgestaltungen überhaupt nur dann in Betracht, wenn die oben dargelegten Voraussetzungen jeweils erfüllt sind. In diesem Zusammenhang ist allerdings für alle Fallgestaltungen vorwiegend das subjektive Rechtfertigungselement fraglich, da oben bereits festgestellt wurde, dass die herausgearbeiteten ob­ jektiven Voraussetzungen in den meisten Fällen gegeben sein werden. 1. Erfüllung der Voraussetzungen Nach Darlegung der für eine Rechtfertigung nach § 114e StPO erforderli­ chen subjektiven Voraussetzungen ergeben sich in Bezug auf die beschriebe­ nen Fallgestaltungen die nachfolgenden Lösungen: Fallkonstellation 1: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, welche die aktuelle Tat betreffen. Diese Tat­ sachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter

In der Fallkonstellation 1 liegen für alle der drei genannten Varianten die subjektiven Voraussetzungen für eine Rechtfertigung vor. Da sich die offen­ barten Tatsachen auf die aktuelle Tat beziehen, kann davon ausgegangen werden, dass der sich offenbarende Anstaltsarzt subjektiv auch davon ausge­ hen wird, dass die Erkenntnisse für das anhängige Strafverfahren gegen den Geheimnisträger von Bedeutung sind und in diesem auch Verwendung finden werden. In dieser Fallkonstellation ist auch keine Unterscheidung zwischen objek­ tiven oder subjektiven Tatumständen oder der Tatbeteiligung Dritter notwen­ dig. Sowohl objektive wie auch subjektive Tatumstände der aktuellen Tat weisen ohne Zweifel einen Bezug zu dem konkret anhängigen Strafverfahren auf. Zudem kann ein Anstaltsarzt auch davon ausgehen, dass diese Erkennt­ nisse mit großer Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Erklärungsempfänger Verwendung finden werden.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Daneben kann auch eine Tatbeteiligung Dritter aus Sicht des Anstaltsarztes als bedeutsam im anhängigen Strafverfahren eingestuft werden. Auch hier kann davon ausgegangen werden, dass diese Erkenntnis mit großer Wahr­ scheinlichkeit im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Empfänger Verwen­ dung finden wird. Der Anstaltsarzt kann in Bezug auf eine Tatbeteiligung Dritter sowohl Tatsachen erfahren, die den betroffenen Geheimnisträger ent­ lasten, wie auch solche, die ihn belasten. So können etwa Tatsachen bekannt werden, die eine psychische Einflussnahme durch Dritte auf den Geheimnis­ träger betreffen und diesen in eine Zwangssituation gebracht haben. Anderer­ seits kann die Tatbeteiligung Dritter auch die im anhängigen Strafverfahren verhandelte Tat selbst verändern, weil die Tatbeteiligung Dritter zum Beispiel auf eine bandenmäßige Begehung hindeutet, welche bisher noch nicht be­ kannt war. Folglich liegen auch bezüglich von Erkenntnissen der Tatbeteili­ gung Dritter an der aktuellen Tat die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung vor. Fallkonstellation 2: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, die eine Vortat betreffen. Diese Tatsachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter

In der Fallkonstellation 2 liegen die Voraussetzungen für eine Rechtferti­ gung hingegen nur dann vor, wenn die betreffende Vortat auch aus Sicht des Anstaltsarztes einen direkten Bezug zu dem anhängigen Strafverfahren auf­ weist. In diesen Fallgestaltungen lässt sich der konkrete Bezug getrennt nach der Art der Vortat und nach den jeweiligen Fallvarianten ermitteln. Die bekannt gewordene Vortat oder die sie betreffenden Tatumstände kön­ nen zunächst selbst Einfluss auf die Strafbarkeit der aktuellen Tat haben. Insbesondere wenn es sich bei der aktuellen Tat um ein Anschlussdelikt han­ delt, kann die Offenbarung von Tatsachen, welche die Vortat betreffen, er­ heblichen Einfluss auf das anhängige Strafverfahren haben. Als Beispiele sind hier vor allem die Taten nach dem 21. Abschnitt des Strafgesetzbuches zu nennen, welche, mit Ausnahme der Geldwäsche, eine von einem anderen, dem Vortäter, begangene rechtswidrige Vortat voraussetzen.140 In diesem Zu­ sammenhang kann insbesondere die Tatbeteiligung eines Dritten an einer Vortat wesentlichen Einfluss auf das anhängige Strafverfahren haben. Sofern es sich um eine solche Vortat handelt, welche bei einer Straftat nach dem 21. Abschnitt des Strafgesetzbuches von einem Dritten begangen worden sein muss, führt die Offenbarung der Tatbeteiligung eines Dritten eventuell zu einer anderen Bewertung des Tatgeschehens. In diesem Zusammenhang

140  Schönke/Schröder/Hecker,

Vorbem. zu den §§ 257 ff. Rn. 2.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 351

kann unter Umständen auch eine Wahlfeststellung zwischen der Vortat und der Anschlusstat in Betracht kommen.141 Auch wenn nicht vorausgesetzt werden kann, dass ein Anstaltsarzt über fundierte Kenntnisse über Anschlussdelikte im Sinne des materiellen Straf­ rechts verfügt, kann angenommen werden, dass er einen Bezug zwischen Vortat und Anschlusstat herstellen kann. Sofern er davon ausgeht, dass ein solcher Bezug besteht und die Erkenntnisse aufgrund dieses Bezuges für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Bedeutung sind und im anhängi­ gen Strafverfahren Verwendung finden werden, liegen die Voraussetzungen einer Rechtfertigung vor. Sofern es sich bei der Vortat jedoch nicht um eine für ein Anschlussdelikt relevante Tat handelt, ist der Bezug zu dem anhängigen Strafverfahren nach dem jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. Objektive Tatumstände einer Vortat können aus Sicht des Anstaltsarztes unter anderem dann für die Aufgaben­ erfüllung von Bedeutung sein und im anhängigen Strafverfahren Verwendung finde, wenn es sich um eine die aktuelle Tat ermöglichende oder fördernde Vortat handelt. In Bezug auf die objektiven Tatumstände betrifft dies zum Beispiel die Beschaffung von Tatmitteln, wie beispielsweise den Diebstahl der Waffe, welche bei der aktuellen Tat verwendet wurde. Subjektive Tatumstände, die eine Vortat betreffen, können insofern für die aktuelle Tat relevant sein, als sie auf eine einheitliche, beiden Taten umfas­ sende, Motivation des Geheimnisträgers schließen lassen. Bestimmte Er­ kenntnisse können etwa auf einen größeren Tatplan oder eine bestimmte Gesinnung schließen lassen, welche bei der Strafzumessung Berücksichti­ gung finden kann. Die Rechtfertigung der Geheimnisoffenbarung subjektiver Tatumstände ist jedoch nach dem jeweiligen Einzelfall zu ermitteln, wobei die subjektiven Rechtfertigungserwägungen des betreffenden Anstaltsarztes genau zu prüfen sind. Abgesehen von der bereits genannten Tatbeteiligung Dritter an einer Vortat ist es jedoch höchst fraglich, ob weitere Konstellationen der Fallgruppe 2 c) von einer Rechtfertigung erfasst sein können. Grundsätzlich werden auch in dieser Konstellation die subjektiven Beweggründe des sich offenbarenden Anstaltsarztes maßgeblich sein, allerdings erscheint es zweifelhaft, ob diese Tatsachen subjektiv überhaupt als bedeutsam im anhängigen Strafverfahren angesehen werden können. Sofern die betreffende Vortat selbst nicht bereits im anhängigen Strafverfahren bekannt ist, fehlt es an einem Bezugspunkt, an welchem die Bedeutsamkeit der Erkenntnisse festgemacht werden könnte. In diesen Fällen muss eine Rechtfertigung also verneint werden, da der An­ staltsarzt nicht willkürlich jede möglicherweise bedeutsame Tatsache offen­ 141  Schönke/Schröder/Hecker,

Vorbem. zu den §§ 257 ff. Rn. 2.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

baren darf, sondern gewissenhaft zu prüfen hat, ob eine Bedeutsamkeit für die Aufgabenerfüllung in dem anhängigen Strafverfahren gegeben sein könn­te. Fallkonstellation 3: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, welche eine Tat gleicher Art betreffen. Diese Tatsachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter

In der Fallkonstellation 3 ist vor allem die Bedeutsamkeit der Tat gleicher Art für das anhängige Strafverfahren genauer zu untersuchen. So liegen be­ reits die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung in den Varianten a) und b) jeweils nur dann vor, wenn die Tat gleicher Art eine eigenständige Bedeutung für das anhängige Strafverfahren aufweist. In Bezug auf die objektiven Tat­ umstände kann dies gegeben sein, wenn es um die Tatbegehung der Tat gleicher Art geht. Unter anderem können die Verwendung desselben Tatmit­ tels oder die jeweils erzielten Taterfolge hier relevant werden. Allerdings hat der Anstaltsarzt auch in diesen Fällen gewissenhaft zu prüfen, ob eine Be­ deutsamkeit der Tatsachen für das anhängige Strafverfahren seiner Ansicht nach gegeben ist. Es reicht mithin nicht aus, dass die Mitteilung der Erkennt­ nisse zur Einleitung eines neuen Strafverfahrens gegen den Geheimnisträger führt, vielmehr müssen die offenbarten Tatsachen in dem bereits anhängigen Strafverfahren direkte Verwendung finden. In Bezug auf die subjektiven Umstände ist die Bewertung der Bedeutsam­ keit der Tatsachen insofern schwieriger, da diesbezüglich vor allem festge­ stellt werden muss, wann subjektive Umstände einen Bezug zu anderen Taten aufweisen können. Sicherlich können tatübergreifende Neigungen, Motivati­ onen oder Gesinnungen auch in dem anhängigen Strafverfahren für das Ge­ richt und die Staatsanwaltschaft von Bedeutung sein. Betreffen die offenbar­ ten subjektiven Tatumstände jedoch eine einmalige Motivation zu einer ver­ gangenen Tat gleicher Art, muss dies nicht auf eine generelle Motivation schließen lassen. Insofern ist hier nach der jeweiligen Motivation oder den konkreten Beweggründen zu differenzieren. Der Anstaltsarzt hat bei der Be­ wertung der Bedeutsamkeit also insbesondere zu prüfen, ob es sich um ein­ malige oder übergreifende subjektive Tatumstände handelt. In Bezug auf die subjektiven Tatumstände kann ein Bezug der Tatsachen zum anhängigen Strafverfahren insbesondere dann hergestellt werden, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht. In Bezug auf eine Wiederholungsgefahr kann von einem Anstaltsarzt auch verlangt werden, dass er diese subjektiv nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten richtig einschätzen kann. Die Wiederholungsgefahr weist schließlich sogar auch einen Bezug zu den Haftgründen auf, da § 112a StPO explizit den besonderen Haftgrund der Wiederholungsgefahr benennt. In denjenigen Fällen, in welchen die Voraus­



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 353

setzungen von § 112a StPO vorliegen, liegen mithin auch die Voraussetzun­ gen für eine Rechtfertigung nach § 114e S. 1 StPO vor. Eine Rechtfertigung in Bezug auf eine Offenbarung einer Tatbeteiligung Dritter an einer Tat gleicher Art nach der Fallkonstellation 3 c) kommt hin­ gegen nur dann in Betracht, wenn die konkreten Tatsachen für das anhängige Strafverfahren gegen den Geheimnisträger von Bedeutung sind. Ein solcher Bezug kann etwa dann hergestellt werden, wenn eine gemeinschaftliche oder bandenmäßige Begehung der beiden Taten, also sowohl der aktuellen wie auch der vergangenen Tat, in Betracht kommt. Ferner kann dieser Bezug auch hergestellt werden, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Geheimnisträger und dem Dritten besteht, in welchem der Dritte den Ge­ heimnisträger zur Begehung von Straftaten verleitet oder anstiftet. Eine sol­ che Einflussnahme Dritter auf den Geheimnisträger kann explizit in dem anhängigen Strafverfahren Verwendung finden und somit folglich auch als bedeutsam erachtet werden. Darüber hinaus kann eine Offenbarung einer Tatbeteiligung Dritter auch dann gerechtfertigt sein, wenn für den Dritten selbst eine Wiederholungsge­ fahr besteht. Insbesondere wenn es sich bei dem Dritten ebenfalls um einen Untersuchungsgefangenen handelt, kann gegebenenfalls auch ein Bezug zu den den Dritten betreffenden Haftgründen hergestellt werden. Sofern der Dritte nicht selbst in Untersuchungshaft ist, aber eine Wiederholungsgefahr besteht, scheidet eine Rechtfertigung einer Offenbarung nach § 114e S. 1 StPO hingegen aus. In diesen Fällen fehlt der Bezug zur Aufgabenerfüllung der Erklärungsempfänger im anhängigen Strafverfahren gegen den Geheim­ nisträger. Fallkonstellation 4: Ein Anstaltsarzt offenbart Tatsachen, welche eine Tat anderer Art betreffen. Diese Tatsachen beziehen sich auf a) objektive Tatumstände, b) subjektive Tatumstände, c) eine Tatbeteiligung Dritter

Eine Rechtfertigung einer Offenbarung einer vergangenen Tat anderer Art ist insbesondere deswegen fraglich, da der Bezug zum anhängigen Strafver­ fahren fehlt. Die Begehung einer vergangenen Tat anderer Art könnte sich zwar im Rahmen der Strafzumessung auswirken. Sofern diese Tat jedoch bisher noch nicht bekannt war, müsste sie erst ausermittelt, angeklagt und abgeurteilt werden, bevor sie bei der Strafzumessung tatsächlich berücksich­ tigt werden könnte. Folglich kann diese Offenbarung nur einen zukünftigen Prozess gegen den Betroffenen oder einen Dritten bewirken und ist nicht als „für das anhängige Strafverfahren bedeutsam“ anzusehen. Möglich wäre allerdings, dass bei der vergangenen Tat gleiche oder ähn­ liche Tatmittel eingesetzt wurden, wodurch nach subjektiver Bewertung des Anstaltsarztes ein Bezug zum anhängigen Strafverfahren hergestellt werden

354

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

könnte. Ferner könnten auch in diesen Fällen generelle Motivationen oder Neigungen des Geheimnisträgers bekannt werden, welche Einfluss auf das anhängige Strafverfahren haben könnten. Auch in diesen Fällen hat der An­ staltsarzt jedoch gewissenhaft zu prüfen, ob die bekannt gewordenen Tat­ sachen tatsächlich in dem anhängigen Strafverfahren Verwendung finden könnten. Die Tatbeteiligung eines Dritten an einer Tat anderer Art bildet hingegen in der Regel die Grundlage für ein eigenes Strafverfahren gegen diesen Drit­ ten und steht somit nicht in einem direkten Bezug zu dem anhängigen Straf­ verfahren gegen den Geheimnisträger. In diesen Fällen kann der Anstaltsarzt auch nicht davon ausgehen, dass die Offenbarung solcher Tatsachen für die Aufgabenerfüllung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft im anhängigen Strafverfahren von Bedeutung sind. Die Lösungen der Beispielfälle zeigen, dass eine Rechtfertigung in einigen Fällen bereits mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus ist die Mitteilung des Anstaltsarztes in allen Fällen nicht als gerechtfertigt anzusehen, da ein solches Verhalten nicht als rechtfer­ tigungswürdig einzustufen ist. Somit scheidet eine Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO in allen der genannten Fälle aus. 2. Irrtum über eine Rechtfertigung Abschließend bleibt noch zu erörtern, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen der Anstaltsarzt sich infolge eines Irrtums direkt gegenüber dem Ge­ richt oder der Staatsanwaltschaft offenbart. Hierbei ist zunächst danach zu differenzieren, worüber der betreffende Anstaltsarzt im Einzelfall irrt und wie diese Irrtümer jeweils einzuordnen ist. Zunächst kann der Anstaltsarzt glauben, dass sich das Wort „Vollzugsan­ stalt“ in § 114e S. 1 StPO auf alle Mitarbeitenden der Vollzugsanstalt direkt beziehe und folglich auch er als Arzt nach dieser Norm direkte Mitteilungen an das Gericht und die Staatsanwaltschaft machen solle. In diesem Fall würde der Anstaltsarzt davon ausgehen, dass die Norm eine Offenbarungs­ pflicht darstellen würde. Ferner kann der Anstaltsarzt denken, dass er nach § 114e S. 1 StPO zumindest befugt sei, eine Mitteilung an die betreffenden Empfänger zu machen. In diesem Fall würde der Anstaltsarzt nicht von einer Pflicht, sondern von einer Offenbarungsberechtigung ausgehen. Schließlich kann der Anstaltsarzt wissen, dass weder eine Offenbarungsbefugnis noch eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Gericht und der Staatsanwaltschaft besteht, gleichwohl aber dennoch davon ausgehen, dass § 114e S. 1 StPO einen Rechtfertigungsgrund für Mitteilungen darstellt, sofern er die übermit­ telten Tatsachen für bedeutsam hält.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 355

Auch wenn die genannten Fallkonstellationen zunächst unterschiedlich wirken, liegt in allen dreien ein Irrtum über das Vorliegen eines rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrundes vor. Gesetzliche Offenbarungspflichten und -rechte lassen die Rechtswidrigkeit der Tatbestandsverwirklichung des § 203 Abs. 1 StGB entfallen, sie stellen also alle gleichermaßen Rechtfer­ tigungsgründe dar.142 Nimmt der Anstaltsarzt also irrig an, § 114e S. 1 StPO würde eine Offenbarungspflicht oder eine Offenbarungsbefugnis darstellen, so irrt er in beiden Fällen über das Bestehen eines Rechtfertigungsgrundes. In der dritten Fallkonstellation ist dies schließlich insofern eindeutig, als der Anstaltsarzt in diesem Fall konkret von einem bestehenden Rechtfertigungs­ grund ausgeht. Im Voranstehenden wurde bereits festgestellt, dass § 114e S. 1 StPO gerade keinen Rechtfertigungsgrund für einen Bruch der Schwei­ gepflicht darstellen kann. Folglich irrt der betreffende Anstaltsarzt also über das Bestehen eines rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrundes. In all denjenigen Fällen, in denen ein Anstaltsarzt über die Grenzen seiner Offenbarungspflicht irrt oder irrig die Voraussetzungen eines rechtlich nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes für gegeben hält, ist dieser Irrtum als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu beurteilen.143 Dieser liegt insbesondere dann vor, wenn der Anstaltsarzt aus der richtigen Kenntnis der Umstände den falschen Schluss zieht, dass er zum Offenbaren befugt sei.144 Darüber ­hinaus ist auch der Irrtum über den Umfang einer Mitteilungspflicht als ein Verbots­ irrtum nach § 17 StGB einzuordnen.145 In den hier beschriebenen Fallkon­ stellationen hat der Anstaltsarzt gerade explizit Kenntnis von § 114e S. 1 StPO, bewertet den Inhalt der Norm jedoch falsch und zieht sodann daraus den falschen Schluss, dass die Norm eine Offenbarung rechtfertigen könne. Mithin liegt in allen Fällen ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB vor. Nach § 17 StGB handelt eine Person ohne Schuld, wenn ihr bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun und dieser Irrtum nicht vermeid­ bar war. Konnte der Irrtum hingegen vermieden werden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Im Rahmen der vorliegenden Fälle ist insbesondere zu diskutieren, ob und wann der beschriebene Irrtum für einen Anstaltsarzt vermeidbar wäre. Sowohl die Voraussetzungen, welche an eine Vermeidbarkeit zu stellen sind, wie auch deren jeweilige Kriterien sind teilweise umstritten. Grundlegend ist es jedoch erforderlich, dass der Täter 142  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 29, 39, 43 ff.; Fischer, § 203 StGB Rn. 61; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 32 f. 143  Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 109; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Reh­ born, ArztR-HdB § 155 Rn. 8. 144  Fischer, § 203 StGB Rn. 92; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 58. 145  Vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18615 Rn. 17; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 53; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 58.

356

4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

Anlass hatte, die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zu prüfen und/oder sich zu erkundigen, und es ihm möglich war, im Wege dieser Prüfung die Einsicht in die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu gewinnen.146 Die Rechtsprechung hält den Maßstab für die Vermeidbarkeit eher streng. So komme es darauf an, ob der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten bei Einsatz all seiner Erkenntniskräfte und unter Umständen auch durch Er­ kundigungen zu einer Unrechtseinsicht hätte kommen können.147 Vermeidbar sei ein Irrtum mithin nur dann, wenn der Täter trotz der ihm nach den Um­ ständen des Falls, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskrei­ ses zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrecht­ mäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte.148 Insgesamt lässt sich der in der gerichtlichen Praxis angelegte Maßstab der Vermeidbarkeit in folgendem Zitat aus der Rechtsprechung zusammenfassen: „Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Aus­ kunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsper­ son ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen ver­ schließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbeson­ dere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berück­ sichtigen.“149 In der Literatur wird vielfach kritisiert, dass die Rechtsprechung bei der Prüfung der Vermeidbarkeit insgesamt zu hohe Anforderungen stelle.150 146  Matt/Renzikowski/Gaede, §  17 Rn. 20; MüKo-StGB/Joecks/Kulhanek, § 17 Rn. 39; NK-StGB/Neumann, § 17 Rn. 62. 147  BGH NJW 1953, 1151; NJW 2017, 1487 (1489). 148  BGH NJW 1952, 593 (594); NJW 1953, 351; NJW 1953, 1151; NJW 2015, 96 (99); st. Rspr. 149  BGH NJW 2017, 1487 (1489). 150  Matt/Renzikowski/Gaede, § 17 Rn. 20; Lackner/Kühl/Heger, § 17 Rn. 7; ­ NKStGB/Neumann, §  17 Rn.  60; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 15.



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 357

Auch wenn diese Kritik insgesamt berechtigt sein mag, hat sie auf die hier diskutierten Irrtümer von Anstaltsärzten keine nennenswerten Auswirkungen. Bereits aus der besonderen Stellung des Anstaltsarztes wie auch der Verlet­ zung des berufsspezifischen Verbotes nach § 203 Abs. 1 StGB ergeben sich erhöhte Prüfungsanforderungen für Anstaltsärzte, welche auch den strengeren Anforderungen der Rechtsprechung entsprechen. Schließlich soll die Ver­ meidbarkeit des Verbotsirrtums auch nach weit überwiegender Auffassung in der Literatur individualisiert nach den Kenntnissen und Fähigkeiten des je­ weiligen Täters und für die konkrete Verbotsnorm zu bestimmen sein.151 In diesem Zusammenhang ist in der Literatur zudem anerkannt, dass eine be­ sondere berufliche Stellung des Täters bei den oben genannten Anforderun­ gen zu berücksichtigen sein kann.152 Insbesondere bei Delikten, welche für einen bestimmten Berufskreis bedeutsam sind, bestünden besondere Erkundi­ gungspflichten.153 Je nach Lage des Falles könne verlangt werden, dass der Täter die Auskunft einer Behörde einhole oder sich von einem Rechtsanwalt oder einer fachkundigen Person beraten ließe.154 Folglich ergeben sich hier keine nennenswerten Unterschiede in der Bewertung der eingangs beschrie­ benen Irrtumskonstellationen. Für einen Anstaltsarzt ergeben sich gleich in mehrfachen Hinsichten be­ sondere Anforderungen, nach welchen eine Vermeidbarkeit des Verbotsirr­ tums zu bewerten ist. Zunächst gehört ein Anstaltsarzt aufgrund seiner Dop­ pelfunktion zu zwei besonderen Berufskreisen, nämlich einerseits in seinem Beruf als Arzt, andererseits auch als Mitarbeitender der Fachdienste der Vollzugsanstalt. Sofern es sich um einen verbeamteten Anstaltsarzt handelt, kommt zusätzlich noch dessen besondere Berufsstellung als Beamter hinzu. Es kann von einem Anstaltsarzt bereits aus dieser besonderen Stellung heraus erwartet werden, dass er über Grundkenntnisse der einschlägigen Rechtsnor­ men verfügt. Die besondere Tätigkeit innerhalb einer Vollzugsanstalt verlangt in der Regel zumindest rudimentäre Kenntnisse der einschlägigen Regelun­ gen, welche für diese Tätigkeit und den gesamten Vollzugsablauf gelten. Dies ergibt sich bereits aus der Regelungsdichte der Landesgesetze, die den Straf- und Untersuchungshaftvollzug regeln. Es wäre widersinnig, wenn die Landesgesetzgeber umfangreiche und spezialisierte Regelungen treffen wür­ den, ohne davon auszugehen, dass diese den Normadressaten auch bekannt gemacht werden. Ferner wäre es unpraktikabel, wenn die jeweiligen Norm­ 151  Matt/Renzikowski/Gaede, §  17 Rn. 26; MüKo-StGB/Joecks/Kulhanek, § 17 Rn. 52; NK-StGB/Neumann, § 17 Rn. 58; SK-StGB/Vogel/Bülte, § 17 Rn. 40. 152  Fischer, § 17 StGB Rn. 8; Matt/Renzikowski/Gaede, § 17 Rn. 25; MüKoStGB/Joecks/Kulhanek, § 17 Rn. 54; NK-StGB/Neumann, § 17 Rn. 59; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, § 17 Rn. 17. 153  Fischer, § 17 StGB Rn. 12; SSW-StGB/Momsen, § 17 Rn. 52 f. 154  Fischer, § 17 StGB Rn. 13.

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4. Kap.: § 114e StPO als Rechtfertigungsgrund

adressaten innerhalb der Vollzugsanstalten die sie betreffenden Normen nicht kennen müssten und jeweils im Bedarfsfalle mit den Normen vertraut ge­ macht werden müssten. Der Sinn und Zweck der jeweiligen Normen liegt jedenfalls auch darin, die Zusammenarbeit einschließlich aller Rechte und Pflichten innerhalb der Vollzugsanstalt zu regeln, was jedoch nur sinnvoll gelingen kann, wenn den jeweils Beteiligten die Normen auch bekannt sind. Zugleich ist der betroffene Anstaltsarzt aber auch in einer Position, in wel­ cher er sich ohne unnötigen Aufwand einen Rechtsrat durch die Vollzugsbe­ hörden oder die Anstaltsleitung einholen kann. Die Befragung der Anstalts­ leitung zur rechtlichen Einschätzung bestimmter Situationen oder Informa­ tionen entspricht mithin auch den anstaltsinternen Kommunikationsregelun­ gen. Der Anstaltsarzt darf die Auskunft der Anstaltsleitung schließlich auch als verlässliche Auskunft bewerten und nach dieser handeln. Die beschriebe­ nen Irrtümer sind also ohne besonderen Aufwand vermeidbar und es liegt jeweils kein schuldloses Handeln vor. Soweit ein Anstaltsarzt von der Anstaltsleitung die Auskunft erhält, er dürfe sich direkt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wenden, ist der Verbotsirrtum als unvermeidbar anzusehen. Allerdings wird es in diesen Fäl­ len gar nicht zu einer Prüfung des Verbotsirrtums kommen, da eine solche Offenbarung entsprechend der obigen Ausführungen gerade als rechtferti­ gungswürdig einzustufen ist. In dieser Konstellation setzt sich der Anstalts­ arzt nämlich gerade nicht über Landesnormen hinweg und übergeht die ­Anstaltsleitung, sondern befragt die Anstaltsleitung dahingehend, ob er sich offenbaren könne. Die Auskunft, er dürfe sich direkt gegenüber dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft offenbaren, kann hier als Erlaubnis bzw. als Auftrag zur Mitteilung angesehen werden.

IV. Zusammenfassende Betrachtung Abschließend bleibt hier zunächst festzuhalten, dass eine Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO zwar möglich, aber rechtlich nicht geboten ist. Eine Mitteilung des Anstaltsarztes an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft ließe sich unter bestimmten Umständen zwar unter die Voraussetzungen des § 114e S. 1 StPO subsumieren, zugleich würde diese Mitteilung aber gegen andere Normen verstoßen, welche die anstaltsin­ ternen Befugnisse regeln. Unter Betrachtung des Normgefüges der Landes­ gesetze und der bundesgesetzlichen Regelung des § 114e S. 1 StPO ist das in den Fallgestaltungen beschriebene Verhalten des Anstaltsarztes nicht als rechtfertigungswürdig einzustufen. Von diesem Ergebnis ist lediglich dann eine Ausnahme zu machen, wenn sich der Arzt vorher bei der Anstaltsleitung erkundigt, ob er sich direkt an



C. Rechtfertigung des Bruchs der Schweigepflicht nach § 114e S. 1 StPO 359

das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wenden darf. In diesem Fall ist die, auf eine positive Auskunft der Anstaltsleitung folgende, Geheimnisoffenba­ rung durch den Anstaltsarzt als gerechtfertigt anzusehen. Diesbezüglich setzt sich der Anstaltsarzt gerade nicht über Normen der Landesgesetze hinweg, sondern handelt vielmehr nach diesen Bestimmungen, indem er sich zunächst an die Anstaltsleitung wendet. Darüber hinaus kann eine Strafbarkeit auch dann entfallen, wenn der An­ staltsarzt einem Irrtum über seine Offenbarungspflichten und -befugnisse unterliegt. Irrtümer des Anstaltsarztes über das Vorliegen eines Rechtferti­ gungsgrundes sind als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu behandeln. Solche Irrtümer werden aber in aller Regel vermeidbar sein und führen folglich ebenfalls nicht zu einer Straflosigkeit des Anstaltsarztes. Teilt ein Anstaltsarzt dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft Tatsachen mit, welche ihm im Rahmen des Untersuchungshaftvollzugs anvertraut oder bekannt geworden sind, stellt dies eine Straftat nach § 203 Abs. 1 StGB dar. Eine Rechtfertigung nach § 114e S. 1 StPO kommt in keinem Fall in Be­ tracht. Die Tat kann lediglich durch andere Normen155 gerechtfertigt sein.

155  S.

1. Kapitel B. und C.

5. Kapitel

Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen Abschließend bleibt somit noch zu erörtern, wie mit den durch den An­ staltsarzt rechtwidrig offenbarten Tatsachen umgegangen werden darf. Im Hinblick auf deren Verwendung im Strafverfahren könnten Verwertungsver­ bote in Bezug auf die Tatsachen oder zumindest Teile der offenbarten Tatsa­ chen bestehen.

A. Vorbemerkungen zu Beweisverwertungsverboten Bevor die Verwertung und Verwertbarkeit genauer erörtert wird, sollen zunächst kurz einige Grundbegriffe und Fragestellungen dargestellt werden. Die folgende Darstellung kann lediglich einen groben Überblick über die einzelnen Thematiken geben. Für vertiefende Auseinandersetzungen wird auf die einschlägige Literatur verweisen.

I. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote Eines der Ziele des Strafverfahrens ist es, die Wahrheit der Tatbegehung einer Straftat zu ermitteln und den Täter einer gesetzlichen Rechtsfolge zu­ zuführen.1 Das Strafverfahrensrecht stellt das Instrumentarium dar, mit wel­ chem die Erforschung und Aufarbeitung der historischen Wahrheit zu er­folgen hat.2 Ferner dient das Strafverfahren der Wiederherstellung des Rechtsfrie­ dens.3 Unter anderem gebietet § 160 Abs. 1 StPO, dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt zu erforschen hat, § 244 Abs. 2 StPO gebietet, dass das Ge­ richt zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

1  KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn.  3; Löwe/Rosenberg/Kühne, Einleitung ­Abschn. B Rn. 13; hierzu krit. MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 7. 2  Löwe/Rosenberg/Kühne, Einleitung Abschn. B Rn. 13. 3  KMR-StPO/Eschelbach, Einleitung Rn. 5; SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 4; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 6.



A. Vorbemerkungen zu Beweisverwertungsverboten361

Zugleich muss das staatliche Ermittlungsinteresse in einem vernünftigen Verhältnis zum verbleibenden Schutz der Bürger vor staatlichen Eingriffen stehen.4 So betont der Bundesgerichtshof „Es ist kein Grundsatz der StPO, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste.“5 Sowohl der Untersuchungsgrundsatz wie auch der Grundsatz der umfassenden Beweis­ würdigung werden bei Erreichen der verfassungsrechtlich vorgesehenen Schranken zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter und Interessen mittels Beweisverboten durchbrochen.6 Nach der herrschenden Ansicht treten Beweisverbote dabei in Form von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten auf.7 Im Rahmen der Beweiserhebungsverbote wird nochmals zwischen Be­ weisthema-, Beweismittel- und Beweismethodenverboten unterschieden.8 Beweisthemenverbote verwehren es, über bestimmte Tatsachen einen Beweis zu erheben.9 Beweismittelverbote verbieten hingegen, sich eines bestimm­ ten Beweismittels zu bedienen.10 Beweismethodenverbote untersagen eine bestimmte Art und Weise der Beweiserhebung.11 Anders als Beweiserhebungsverbote schließen die Beweisverwertungsver­ bote die Verwertbarkeit der zur Verfügung stehenden Beweise im weiteren Verfahren aus.12 Die Beweisverwertungsverbote sind der Ort, an welchem die Abwägung zwischen dem Ermittlungsinteresse und den Rechten des ­Einzelnen besonders deutlich zutage tritt.13 Der Grund für das Verbot der 4  Löwe/Rosenberg/Kühne,

Einleitung Abschn. B Rn. 35. NJW 1960, 1580 (1582). 6  SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn.  260; vgl. a. SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 193; vgl. a. Löwe/Rosenberg/Gössel, Einleitung Abschn. L Rn. 9. 7  Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 21; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 194; SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 261. 8  Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 21; KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn. 314; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 51 ff.; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 440. 9  Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 21 mit dem Beispiel des § 51 BZRG in Bezug auf aus dem Bundeszentralregister gelöschte Vorstrafen, s. dazu BGH NStZ 2006, 587. 10  Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 21; KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn. 314, jeweils mit dem Beispiel der §§ 52 ff. StPO in Bezug auf Zeugen, welche von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben. 11  Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 21; KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn. 314, jeweils mit dem Beispiel des § 136a StPO in Bezug auf verbotene Vernehmungsmetho­ den. 12  Ambos, Beweisverwertungsverbote, S.  21; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 449; KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn. 315; MAH Strafverteidigung/Trüg, § 24 Rn. 3. 13  Vgl. Löwe/Rosenberg/Kühne, Einleitung Abschn. B Rn. 36. 5  BGH

362

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Verwertung der jeweiligen Beweismittel ist regelmäßig der Schutz der Rechte des Beschuldigten bzw. der von der Beweiserhebung betroffenen Personen.14 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt ein Beweis­ verwertungsverbot von Verfassung wegen eine begründungsbedürftige Aus­ nahme dar.15 Die Vorschriften der §§ 244 Abs. 2 und 261 StPO berechtigten und verpflichteten das Gericht dazu, die Beweisaufnahme auf alle zur Verfü­ gung stehenden zulässigen Beweismittel zu erstrecken. Damit trage das Ge­ setz den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der Wahrheitserforschung im Strafprozess und der funktionstüchtigen Strafrechtspflege Rechnung.16 Ein Verwertungsverbot könne sich nach der ständigen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden, Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch im Ein­ zelfall nach Abwägung der betroffenen Belange dann ergeben, wenn der Be­ weis unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften erhoben worden sei.17

II. Selbständige und unselbständige Beweisverwertungsverbote Die Lehre von den Beweisverwertungsverboten stellt eines der umstrit­ tensten Felder im Strafprozessrecht dar.18 Über alle Differenzen hinweg be­ steht jedoch grundsätzlich Einigkeit über die Einteilung in selbständige und unselbständige Beweisverwertungsverbote.19 1. Selbständige Beweisverwertungsverbote Selbständige Beweisverwertungsverbote bestehen unabhängig von einem Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot.20 So setzt etwa § 252 StPO ge­ 14  MüKo-StPO/Kudlich,

Einleitung Rn. 449. NJW 2010, 287; NJW 2010, 2937 (2938); 2011, 2417 (2419); ebenso die st. Rspr. des BGH, vgl. BGH NJW 2009, 2448 (3453); NJW 2011, 1827 (1828); krit. hierzu Knebel, Unselbständige Beweisverwertungsverbote. 16  BVerfG NJW 2010, 2937 (2938). 17  BVerfG NJW 2010, 2937 (2938); ferner BVerfG NJW 2009, 3225 m. w. N. 18  Dies zeigt sich unter anderem in der vielfältigen Literatur, die zu diesem The­ menbereich veröffentlicht wird. Beispielhaft seien hier nur die folgenden Erscheinun­ gen aus den letzten Jahren genannt: Knebel, Unselbständige Beweisverwertungsver­ bote; Weil, Verwendungsregelungen und Verwertungsverbote im Strafprozessrecht; Zong, Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren; Neuber, Beweisverwertungsver­ bote im Strafprozess. 19  Rogall, ZStW 91 (1979), 1 (3); MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 450; MAH Strafverteidigung/Trüg, § 24 Rn. 7; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 50; hierzu ausführlich Knebel, Unselbständige Beweisverwertungsverbote, S. 62 ff. 20  BGH NJW 1979, 990 (991); Rogall, ZStW 91 (1979), 1 (3); SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 264; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 208. 15  BVerfG



A. Vorbemerkungen zu Beweisverwertungsverboten363

rade keinen Fehler bei der früheren Vernehmung eines Zeugen voraus.21 Darüber hinaus gründen selbständige Beweisverwertungsverbote regelmäßig auf höherrangigem Recht und werden insbesondere aus den Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet.22 So ist weithin anerkannt, dass ein Beweisverwer­ tungsverbot bestehen kann, wenn der Kernbereich der privaten Lebensgestal­ tung und somit die Intimsphäre des Einzelnen verletzt ist.23 Der Bundesgerichtshof24 und das Bundesverfassungsgericht25 haben ein solches Verwertungsverbot unter anderem im Zusammenhang mit der Ver­ wertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen diskutiert. Angenommen wurde ein Verwertungsverbot in anderen Entscheidungen in der Vergangenheit bei Ein­ griffen in die Intimsphäre der Betroffenen.26 Auch überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in den absolut geschützten Kern­ bereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen, hier findet eine Abwä­ gung nach Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insoweit nicht statt.27 In diesem Zusammenhang ist zunächst zu problematisieren, ob die Bezie­ hung zwischen Arzt und Patient sowie die in diesem Verhältnis geführten Gespräche, Aufzeichnungen und Erkenntnisse dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und somit der Intimsphäre zuzuordnen sind. Sollte dies der Fall sein, würde bereits aus diesem Grund ein selbständiges Beweisverwer­ tungsverbot in Bezug auf die durch einen Anstaltsarzt offenbarten Tatsachen vorliegen. Ein Arzt-Patienten-Gespräch wird überwiegend nicht dem Kernbereich der Persönlichkeit zugeordnet, allerdings wurde bisher auch nicht ausgeschlos­ sen, dass bestimmte Inhalte eines Arztgespräches diesem Kernbereich ange­ hören können.28 Soweit dies der Fall sei, unterlägen diese Inhalte auch nach 21  Knebel, Unselbständige Beweisverwertungsverbote, S. 62; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 473. 22  BGH NJW 2012, 945; BayObLG MDR 1992, 993; MüKo-StPO/Kudlich, Ein­ leitung Rn. 474; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 261 f.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, Einl. Rn. 56. 23  BVerfG 2004, 999 (1005 ff.); BGH NJW 2012, 945; KK-StPO/Fischer, Einlei­ tung Rn. 319; Löwe/Rosenberg/Gössel, Einleitung Abschn. L Rn. 118; SSW-StPO/ Beulke, Einleitung Rn. 264; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 474; SK-StPO/ Wohlers, Einleitung Rn. 261; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 56. 24  BGH NJW 1988, 1037. 25  BVerfG NJW 1990, 563. 26  BVerfG NJW 2004, 999 (1005 ff.); BGH NJW 1964, 1139; NJW 2005, 3295; NJW 2012, 945. 27  BVerfG NJW 1973, 891 (892); NJW 2004, 999; NJW 2012, 907 (908). 28  BVerfG NJW 2012, 833 (843); BGH NJW 2018, 1986 (1988); SSW-StPO/ Eschelbach, § 53 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 1; offen gelassen BGH NStZ 2019, 36 (37).

364

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

dem Willen des Gesetzgebers nicht dem Zugriff der öffentlichen Gewalt, weil dann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Überwiegen der schutzwürdigen Individualinteressen anzunehmen und die Ermittlungsmaß­ nahme deshalb unzulässig sei.29 In der in diesem Zusammenhang vom Bun­ desverfassungsgericht zitierten Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Ermittlungsmaßahmen ein Überwiegen der schutzwürdigen Individualinteressen anzunehmen ist, wel­ ches zur Unzulässigkeit der einer Ermittlungsmahnahme führe, wenn es um Informationen aus dem Kernbereich der Lebensgestaltung oder zumindest um kernbereichsnahe besonders sensible Informationen gehe, die in einem Arzt-Patienten-Gespräch ausgetauscht würden.30 In Bezug auf schriftliche Unterlagen eines Arztes hat das Bundesverfas­ sungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass diese mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen zwar nicht die unan­ tastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten beträ­ fen.31 Eine ärztliche Karteikarte sei dem Zugriff der öffentlichen Gewalt grundsätzlich entzogen, allerdings müssten selbst insoweit schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen zurücktreten, wo überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend geböten. Ein solcher Eingriff lasse sich jedoch nicht generell mit dem Interesse an der Aufklärung von Straf­ taten rechtfertigen, die allein dem Patienten zur Last gelegt würden. Würden bei einem Arzt die Karteikarte des Beschuldigten ohne oder gegen dessen Willen beschlagnahmt, so liege darin in aller Regel eine Verletzung des dem Einzelnen zustehenden Grundrechts auf Achtung seines privaten Bereichs.32 Strenger sah dies das Bayerische Oberlandesgericht in Bezug auf einen noch nicht abgesandten Brief eines Angeklagten an einen Arzt, von dem er sich ärztliche Hilfe erhofft und dem er sein Leiden schildert. Ein solcher Brief dürfe, jedenfalls in Fällen nicht schwerer Kriminalität nicht gegen den Willen des Angeklagten verlesen werden, weil er einem Beweisverbot unter­ liege, das sich unmittelbar aus dem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebe.33 Der betreffende Brief war im Rahmen einer richterlich angeordneten Durchsuchung gefunden und beschlagnahmt worden. Im Urteil wurden zwei Sätze aus dem Brief sodann wörtlich zitiert.34 Zur Begründung des Beweisverwertungsverbotes führte das Bayerische Oberlandesgericht aus, der Brief sei nicht für Außenstehende, 29  BVerfG

NJW 2012, 833 (843) m. V. a. BT-Drs. 16/5846, S. 36 f. 16/5846, S. 36 f. 31  BVerfG NJW 1972, 1123 (1124). 32  BVerfG NJW 1972, 1123 (1124). 33  BayObLG MDR 1992, 993. 34  BayObLG MDR 1992, 993 (994). 30  BT-Drs.



A. Vorbemerkungen zu Beweisverwertungsverboten365

sondern für einen Arzt bestimmt gewesen. Da der Angeklagte in diesem dem Arzt sein Leiden schilderte, betreffe der Brief die Intimsphäre des Angeklag­ ten. Was ein Patient seinem Arzt über sein Leiden anvertraue, habe höchst­ persönlichen Charakter und gehöre dem unantastbaren Bereich privater Le­ bensgestaltung an.35 Überträgt man die formulierten Grundsätze des Bundesverfassungsgerich­ tes auf die Inhalte von Arzt-Patienten-Gesprächen, so sind die Inhalte dieser Gespräche ebenfalls regelmäßig dem Zugriff der öffentlichen Gewalt entzo­ gen. Offenbart sich ein Anstaltsarzt freiwillig gegenüber dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft, liegt zwar kein direkter Eingriff in die Privatsphäre, wohl aber ein mittelbarer Eingriff in diese vor. Allerdings verletzen auch die in dieser Konstellation offenbarten Tatsachen in der Regel nicht den Kernbe­ reich der Persönlichkeit, sondern lediglich die Privatsphäre des Betroffenen. Eine solche Verletzung führt somit nicht zu einem absoluten Verwertungsver­ bot. Unter Berücksichtigung des Urteils des Bayerischen Oberlandesgerichtes zeigt sich jedoch, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass im Einzelfall der Kernbereich der Persönlichkeit verletzt worden sein kann. Zwar können auch Tatsachen, die die den absolut geschützten Kernbereich persönlicher Lebens­ gestaltung betreffen, verwertbar sein. Allerdings kommt dies nur in Fällen schwerer Kriminalität in Betracht.36 Ob jeweils ein Eingriff in den Kernbe­ reich der Persönlichkeit vorliegt und ob ein Fall der schweren Kriminalität gegeben ist, kann jedoch nur durch eine umfassende Prüfung im Einzelfall festgestellt werden. Die unbefugte Offenbarung von Tatsachen durch einen Anstaltsarzt unter­ liegt somit nicht bereits einem absoluten Verwertungsverbot. Die Verwertbar­ keit oder das Vorliegen eines Verwertungsverbotes sind vielmehr nach ande­ ren Gesichtspunkten zu ermitteln. 2. Unselbständige Beweisverwertungsverbote Unselbständigen Beweisverwertungsverboten muss nach der wohl über­ wiegenden Ansicht ein Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot voran­ gegangen sein.37 Die Strafprozessordnung normiert selbst einige Beweisver­ wertungsverbote, darüber hinaus ist jedoch allgemein anerkannt, dass ein 35  BayObLG

MDR 1992, 993 (994). MDR 1992, 993 (994) m. V. a. BGHSt 19, 325, 332 = NJW 1964, 1139 (1143); ebenso BVerfG NJW 1990, 563 (565); NJW 2004, 999 (108); BGH NJW 1988, 1037 (1038). 37  Rogall, ZStW 91 (1979), 1 (3); Paul, NStZ 2013, 489 (490); SSW-StPO/ Beulke, Einleitung Rn. 264; SK-StPO/Wohlers, Einleitung Rn. 208. 36  BayObLG

366

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Beweisverwertungsverbot nicht von einer ausdrücklichen Normierung ab­ hängt.38 Insbesondere in den Fällen der nicht normierten Beweisverwertungs­ verbote hängt die Ermittlung des konkreten Verwertungsverbotes von einer Einzelfallbetrachtung ab und bedarf einer differenzierten Prüfung.39 Allge­ mein-verbindliche Regeln, nach welchen Voraussetzungen ein Beweisver­ wertungsverbot besteht oder bestehen kann, existieren weder in der Recht­ sprechung noch in der Literatur. Die nicht normierten, unselbständigen Be­ weisverwertungsverbote werden mit unterschiedlichen Konzeptionen begrün­ det, unter anderem die Rechtskreistheorie, die Schutzzwecktheorie und die Abwägungslehre. Die Theorien können an dieser Stelle nicht umfassend erörtert werden. Diesbezüglich wird auf die insoweit einschlägige Literatur verwiesen.40 Es sollen nachfolgend nur einige ausgewählte Problemfelder umrissen werden, soweit sie für die in diesem Kapitel bearbeiteten Fragestellungen relevant werden können. Nach der früher in der Rechtsprechung vorherrschenden Rechtskreistheo­ rie war bei jedem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift zunächst zu prü­ fen, „ob ihre Verletzung den Rechtskreis des Beschwerdeführers wesentlich berührt oder ob sie für ihn nur von untergeordneter oder von keiner Bedeu­ tung ist.“41 Nach der überwiegend in der Literatur vertretenen Schutzzweck­ theorie soll auf den jeweiligen Schutzzweck der verletzten Beweiserhebungs­ norm abzustellen sein.42 Die heute sowohl von der Rechtsprechung wie auch einzelnen Vertretern in der Literatur angewandte Abwägungslehre wiegt schließlich die verschiedenen Interessen von Staat und Bürger im Einzelfall gegeneinander ab.43 Dabei seien namentlich folgenden Aspekte gegeneinan­ der abzuwägen: das Gewicht des Verfahrensverstoßes, die Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen, die Schwere des Deliktes und

38  Löwe/Rosenberg/Gössel, Einleitung Abschn. L Rn. 13, 17; MAH Strafvertei­ digung/Trüg, § 24 Rn. 5, 7. 39  KK-StPO/Fischer, Einleitung Rn. 315; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 456; Löwe/Rosenberg/Gössel, Einleitung Abschn. L Rn. 23; MAH Strafverteidigung/Trüg, § 24 Rn. 8. 40  Ausführlich hierzu Knebel, Unselbständige Beweisverwertungsverbote, S. 65 ff.; ferner Paul, NStZ 2013, 489; MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 456 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 364 ff. 41  BGHSt GS 11, 213; BGH NJW 1951, 368; NJW 1958, 557 (558). 42  Rudolphi, MDR 1970, 93 (97  ff.); MüKo-StPO/Kudlich, Einleitung Rn. 463; KMR-StPO/Paulus, § 244 Rn. 516. 43  BVerfG NJW 2012, 907 (910); BGH NJW, 1962, 1139; NJW 1992, 1563 (1464); NStZ 2016, 111 (113); NStZ 2016, 551; st. Rspr.; Rogall, ZStW 91 (1979), 1 (31); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 55a.



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 367

eine funktionierende Strafrechtspflege.44 Nach der Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts ist bei der Abwägung im Einzelfall einerseits zu be­ rücksichtigen, wie tief die beabsichtigte Verwertung in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Betroffenen eingreifen würde. Andererseits ist der so ermittelten Schwere des Eingriffs gegen berechtigte Erfordernisse der Strafrechtspflege nicht lediglich auf den in einem Straftatbestand abstrakt umschriebenen Deliktsvorwurf abzuheben, sondern auf das im Einzelfall in Betracht kommende konkrete Tatunrecht. Anders wäre bei der Vielzahl mög­ licher Tatbegehungen im Rahmen vieler Straftatbestände eine sachgemäße und gerechte Abwägung nicht möglich.45 Schließlich wird in der Literatur auch ein differenzierter Ansatz im Hin­ blick auf eine saubere Abgrenzung zwischen Schutzzweck- und Abwägungs­ lehre vertreten.46 Würde gegen ausdrückliche Regelungen des Strafverfah­ rensrechtes verstoßen, sei die Abwägungslehre nicht geeignet, ein hierauf beruhendes unselbständiges Beweisverwertungsverbot zu begründen.47 Die grundlegende Abwägung sei hier bereits vom Gesetzgeber getroffen wor­ den.48 In solchen Fällen sei ein Verwertungsverbot dann anzunehmen, wenn dies der Schutzzweck der betreffenden Norm verbiete.49 Sei hingegen keine grundlegende gesetzgeberische Abwägung vorgenommen worden, sei eine umfassende Abwägung aller betroffenen Interessen vorzunehmen.50

B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess An dieser Stelle bieten sich zunächst Vergleiche zu anderen Konstellatio­ nen ärztlicher Mittelungen im Strafprozess an. Zu diesem Zweck wurden beispielhaft die gerichtliche Verwertbarkeit ärztlicher Zeugenaussagen und der Aussagen ärztlicher Sachverständiger in Strafprozessen ausgewählt. Eine Verwertbarkeit solcher Aussagen ist bereits umfassend in der Rechtsprechung 44  BVerfG NJW 1973, 891 (893); NJW 2012, 907 (910); BGH NJW 1992, 1563 (1464); NStZ 2016, 111 (113); NStZ 2016, 551. 45  BVerfG NJW 1973, 891 (893). 46  Sternberg-Lieben, JZ 1995, 844 (848); SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 274; Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 370. 47  SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn.  274; Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 370. 48  Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, § 23 Rn. 705; SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 274. 49  Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, § 23 Rn. 705; SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 274. 50  SSW-StPO/Beulke, Einleitung Rn. 274.

368

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

und der Literatur diskutiert worden, weshalb ein Blick auf diese Fälle sinn­ voll erscheint. Ferner wird ein Urteil des Bundesgerichtshofs zum Umgang mit von Dritten mitgeteilten Erkenntnissen, welche im Rahmen von ärzt­ lichen Untersuchungen erlangt wurden, betrachtet. In diesem Fall sind vor allem die Reichweite des Geheimnisschutzes und die Verletzung subjektiver Rechte der Betroffenen interessant.

I. Ärztliche Zeugenaussage Grundsätzlich sind Ärzte nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO zur Verweige­ rung des Zeugnisses berechtigt. Das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht sich auf alles, was ihnen in der Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt ge­ worden ist. Auch zufällig erlangtes Wissen ist von dem Zeugnisverweige­ rungsrecht erfasst, sofern ein innerer Zusammenhang mit der Berufsausübung besteht.51 Insbesondere betrifft das Zeugnisverweigerungsrecht Tatsachen unabhängig davon, ob es sich bei diesen um ein Geheimnis handelt oder nicht.52 Ärzten steht dieses Zeugnisverweigerungsrecht insbesondere auch dann zu, wenn sie ihr Wissen nicht freiwillig von dem Betroffenen, sondern aufgrund einer gesetzlichen Duldungspflicht zwangsweise erlangt haben.53 Daher unterfallen auch Truppenärzte, Amtsärzte und Ärzte im Strafvollzug dem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53 StPO.54 Ärzte dürfen ihr Zeugnis nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO jedoch dann nicht verweigern, wenn sie von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Das Zeugnisverweigerungsrecht eines Arztes lässt sich zudem bei mehre­ ren Angeklagten nur einheitlich entscheiden.55 Das berufsbezogene Zeug­ nisverweigerungsrecht lasse keine Relativierung in dem Sinne zu, dass es – für ein und dasselbe Beweisthema – im Blick auf den einen Angeklagten bejaht und bezüglich eines anderen verneint werden könne.56 Somit könne auch ein Angeklagter, welcher selbst nicht zu den durch das ärztliche Zeug­

51  LG Karlsruhe StV 1983, 144; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizin­ strafrecht, Rn. 1552; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 9; SSW-StPO/ Eschelbach, § 53 Rn. 9. 52  KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 3; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 4; Löwe/Rosen­ berg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 8; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 6. 53  BGH NJW 1994, 449; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 17; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 23; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 19. 54  SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 23; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 17; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 23; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 19. 55  BGH NJW 1985, 2203 (2204). 56  BGH NJW 1985, 2203 (2204).



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 369

nisverweigerungsrecht unmittelbar geschützten Personen gehört, eine Verlet­ zung dieses Rechts mit der Revision rügen.57 Zusätzlich sei hier nur kurz erwähnt, dass für Mitarbeitende des öffentli­ chen Dienstes, also auch für hauptamtliche Anstaltsärzte, der § 54 StPO zu beachten ist. Für eine gerichtliche Vernehmung eines Anstaltsarztes ist somit zunächst die Genehmigung der Dienstvorgesetzten erforderlich.58 1. Schutzzweck des § 53 StPO Der Schutzzweck des § 53 StPO ist umstritten, wobei teilweise sogar meh­ rere Zwecke angenommen werden.59 Zunächst wird als Zweck der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und den Perso­ nen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen, genannt.60 Ferner wird das öffentliche Interesse daran, dass sich der Hilfesuchende bei seiner Offenbarung gegenüber dem Berufsgeheimnisträger nicht dadurch behindert fühle, dass das ihm Anvertraute im Prozess preisgegeben werden müsse,61 als Zweck der Regelung thematisiert. Schließlich solle die Vorschrift auch bewirken, dass der Berufsgeheimnisträger aus der Zwangslage des Pflichten­ widerstreits zwischen Wahrung des Berufsgeheimnisses und dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung von Straftaten befreit werde.62 Auf diesen Streit der Zweckbestimmung des § 53 StPO kann hier nicht umfassend eingegangen werden, da er über den im Folgenden diskutierten Aspekt der Verwertbarkeit hinausgeht. Auch wenn die Frage nach dem von § 53 StPO bezweckten Schutz eng mit Fragen der Verwertbarkeit gerichtli­ 57  BGH

NJW 1985, 2203. in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (102). 59  Umfassende Überblicke und Darstellungen der Schutzzwecke finden sich un­ ter anderem bei Neumann, Zeugnisverweigerungsrechte und strafprozessuale Ermitt­ lungsmaßnahmen, S.  111 ff.; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, S. 13 ff.; Wichmann, Das Berufsgeheimnis als Grenze des Zeugenbeweises, S. 182 ff. und Winkler, Das Vertrauensverhältnis zwi­ schen Anwalt und Mandant, S. 58 ff. 60  BGH NJW 1956, 599 (600); NJW 1963, 723; NStZ-RR 2014, 149 (150); KKStPO/Bader, § 53 Rn. 1; SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 1; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 1; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 1. 61  BVerfG NJW 1975, 588 (589); Cramer, NStZ 1996, 209 (212); KK-StPO/ Bader, § 53 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 1; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 1. 62  BGH NJW 1956, 599 (600); NStZ 2012, 281; KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 1; SSWStPO/Eschelbach, § 53 Rn. 1; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 1; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 1. 58  Tag,

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

cher Aussagen zusammenhängt, spielt dies vorliegend nur eine untergeord­ nete Rolle. Dies liegt vor allem daran, dass die Verwertbarkeit der ärztlichen Zeugenaussage hier lediglich als ein vergleichendes Beispiel zur Verwertbar­ keit ärztlicher Mitteilungen herangezogen wird. Die vorliegend untersuchten Mitteilungen eines Anstaltsarztes sind jedoch bereits nicht Teil einer gericht­ lichen Zeugenaussage und unterfallen daher auch nicht der Regelung des § 53 StPO, somit kommt es auch nicht auf den Schutzzweck dieser Norm an. 2. Vernehmung von Ärzten und Verwertbarkeit ihrer Aussagen Nach herrschender Ansicht stellt § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO keinen Recht­ fertigungsgrund für einen Bruch der Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 StGB dar, da der Zeugniszwang für den betroffenen Arzt gerade aufgehoben ist.63 Dies bedeutet also, dass sich ein Arzt grundsätzlich strafbar machen kann, wenn er als Zeuge vor Gericht aussagt und kein anderer Rechtfertigungsgrund vorliegt. In diesem Zusammenhang wird zunächst diskutiert, ob die Verneh­ mung eines Zeugen überhaupt zulässig sei, wenn sich dieser bei seiner Aus­ sage nach § 203 Abs. 1 StGB strafbar mache oder ob in diesem Falle ein Vernehmungsverbot für den betreffenden Zeugen bestehe. Sofern kein Ver­ nehmungsverbot bestehe, wird diskutiert, ob die Aussage, welche unter Ver­ letzung von § 203 Abs. 1 StGB getätigt wurde, einem Verwertungsverbot unterliegt. Sowohl in der Rechtsprechung wie auch in der Literatur werden diese Fragen unterschiedlich und auch nicht immer einheitlich beurteilt. Der weit überwiegende Teil der Rechtsprechung und der Literatur sieht eine materiell rechtswidrig getätigte Aussage als prozessual verwertbar an.64 Bereits die Vernehmung eines solchen Zeugen sei zulässig, da kein Verneh­ mungsverbot für die Berufsgeheimnisträger bestehe.65 Ein Zeugnisverweige­ rungsrecht bedeute nicht eine Zeugnisverweigerungspflicht, so könne der je­ weilige Zeuge selbst entscheiden, ob er aussagen und sich dabei gegebenen­

63  Lenckner, NJW 1965, 321 (324 f.); BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 4; SSWStPO/Eschelbach, § 53 Rn. 4; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 5. 64  BGH NJW 1956, 599; NJW 1961, 279; NJW 2000, 2406 (2410); MedR 2018, 968; Otto, FS Kleinknecht, S. 319 (339); Paeffgen, FS Rieß, S. 420 Fn. 30; KK-StPO/ Bader, § 53 Rn. 9; SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 6; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 5; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 12; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 7; SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 6. 65  BGH NJW 1956, 599; NJW 1961, 279; MAH Strafverteidigung/Bosbach, § 54 Rn. 19; SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 6.



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 371

falls nach § 203 StGB strafbar machen wolle.66 Demgemäß habe auch der betroffene Patient, sei er Angeklagter oder sei er ein in seinen Geheimhal­ tungsinteressen berührter Zeuge, keinen Anspruch darauf, dass der Arzt die Aussage verweigere.67 Die erforderliche Abwägung zwischen Schweigen und Aussage habe der Zeuge selbst vorzunehmen, das Gericht müsste ihm diese Abwägung ermög­ lichen und dürfe nicht auf die Willensbildung des Zeugen einwirken.68 Folg­ lich müsse das Gericht den Zeugen auch ohne Rücksicht auf § 203 Abs. 1 StGB vernehmen, wenn dieser auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verzich­ te.69 Da das Prozessrecht den in § 53 StPO genannten Zeugen lediglich ein Zeugnisverweigerungsrecht einräume, berühre der Verstoß gegen materielles Recht also nicht die Prozessordnungsgemäßheit der Zeugenaussage.70 Habe das Gericht den Geheimnisträger auf die Folgen seines Verhaltens hingewie­ sen, so sei die Aussage auch deswegen verwertbar, da ein dem § 383 Abs. 3 ZPO entsprechendes Verwertungsverbot in der Strafprozessordnung nicht existiere und das Gericht seiner Fürsorgepflicht durch seinen Hinweis auf die Strafbarkeit Genüge getan habe.71 Ferner wird ausgeführt, es bestehe sogar eine Pflicht des Gerichtes, den betreffenden Zeugen die Möglichkeit zu geben auszusagen, indem die Zeu­ gen gefragt würden, ob sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollten oder nicht.72 Diese Frage stelle eine wesentliche Förmlich­ keit des Verfahrens dar, über welche die Sitzungsniederschrift Auskunft ge­ ben müsse, weil sie für den Umfang der gerichtlichen Beweiserhebungs­ pflicht maßgeblich sei. Ein solcher Verfahrensverstoß könne das Beweis­ ergebnis mithin zuungunsten der Angeklagten beeinflussen.73 Von dem Grundsatz der generellen Verwertbarkeit werden jedoch unter­ schiedliche Ausnahmen gemacht. So solle ein Verwertungsverbot dann beste­ hen, wenn sich der Weigerungsberechtigte über das Vorliegen oder den Um­

66  SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 6; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 5; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 7; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 6. 67  BGH NJW 1963, 723; NJW 1996, 2435 (2436); NStZ 2012, 281; MedR 2018, 968 m. Anm. Ruppert. 68  KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 4; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 5; Löwe/Rosen­ berg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 7; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 6. 69  MAH Strafverteidigung/Bosbach, § 54 Rn. 19; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, § 53 Rn. 6. 70  Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 12. 71  Otto, FS Kleinknecht, S. 319 (339); SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 25. 72  BGH NJW 1961, 279. 73  BGH NJW 1961, 279.

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

fang eines Zeugnisverweigerungsrechtes nicht im Klaren sei oder irre.74 Zwar sieht § 53 StPO grundsätzlich keine Belehrungspflicht über das Zeug­ nisverweigerungsrecht vor, allerdings könne die gerichtliche Fürsorgepflicht in den genannten Fällen eine Belehrung gebieten.75 Das Gericht habe ent­ sprechend die Rechtslage zu klären und den Zeugen zu belehren. Die Aus­ nutzung eines solchen Rechtsirrtums oder einer Rechtsunsicherheit des Zeu­ gen begründe nach dem Rechtsgedanken des § 136a StPO ein Verwertungs­ verbot der auf diese Weise zustande gekommenen Aussage.76 Allerdings bestehe ein Verwertungsverbot in diesen Fällen auch nur dann, wenn das Gericht dem Zeugen objektiv unrichtig mitgeteilt habe, er sei von seiner Schweigepflicht entbunden worden.77 Teilweise wird dies auch noch zusätzlich eingeschränkt, indem vorausgesetzt wird, ein Verwertungsverbot könne aber auch nur in denjenigen Fällen angenommen werden, in denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Zeuge ohne diesen Hinweis des Gerichts von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte.78 Grundsätzlich müsse der betroffene Angeklagte im jeweiligen Verfahren die Entscheidung des Arztes auszusagen auch dann hinnehmen, wenn diese von einem in den Verantwortungsbereich des Arztes fallenden Irrtum beein­ flusst wurde. Dies gelte jedoch dann nicht, wenn der Irrtum durch das Ge­ richt hervorgerufen wurde.79 Die insofern unzulässige Einflussnahme des Gerichts verletze die Rechte des Angeklagten. Diese Rechtsverletzung könne der Angeklagte rügen, auch wenn er nicht zu dem durch das Zeugnisverwei­ gerungsrecht unmittelbar geschützten Personenkreis gehöre. Die aus der Rechtskreistheorie beim Verstoß gegen andere Verfahrensnormen, namentlich des § 55 StPO, hergeleiteten Erwägungen für eine Einschränkung der prozes­ sualen Befugnisse des Angeklagten seien auf den Regelungsbereich der §§ 53, 53a StPO nicht übertragbar.80 Schließlich wird ein Verwertungsverbot teilweise dann angenommen, wenn eine Verletzung der engeren Persönlichkeitssphäre anzunehmen sei.81 74  KK-StPO/Bader, §  53 Rn. 6; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 13; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 52. 75  BGH NJW 1996, 2435 (2436); Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 1238a; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 52; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 38. 76  Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 13. 77  BGH NJW 1996, 2435 (2436); KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 9; Löwe/Rosenberg/ Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 13; i. Erg. auch SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 219. 78  KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 9. 79  BGH NJW 1996, 2435 (2436). 80  BGH NJW 1996, 2435 (2436); vgl. a. BGH NStZ 1985, 372 (374) m. Anm. Rogall. 81  SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 5; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 13; a. A. SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 222.



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 373

Die kann im Einzelfall bei Arztgesprächen gegeben sein.82 Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Insgesamt sind sich Rechtsprechung und Literatur innerhalb dieser Ansicht jedoch nicht immer einig, wann ein Verwertungsverbot für bestimmte ärzt­ liche Aussagen anzunehmen ist. Insbesondere soweit das Zusammenspiel von § 53 StPO und § 252 StPO betroffen ist, also darüber zu entscheiden war, ob eine außergerichtliche Aussage eines Arztes in das Verfahren einge­ führt und verwertet durfte, existieren entgegenstehende Meinungen. So entschied der Bundesgerichtshof bereits mehrfach, dass die Aussage eines Untersuchungsrichters oder eines polizeilichen Vernehmungsbeamten über Schilderungen eines seinerseits von der Schweigepflicht entbundenen Arztes strafprozessual selbst dann verwertbar seien, wenn der Arzt in der Hauptverhandlung die Aussage verweigere oder in der Hauptverhandlung die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht widerrufen wurde.83 Sofern der Berufsgeheimnisträger zum Zeitpunkt seiner Aussage von der Schweige­ pflicht befreit war, habe er sich nicht in einem Pflichtenwiderstreit zwischen Wahrheitspflicht und Schweigepflicht befunden. Die Verwertbarkeit der An­ gaben ergebe sich bereits daraus, dass die Vorschrift des § 252 StPO mangels der von ihr vorausgesetzten Pflichtenkollision des bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren von seiner Schweigepflicht entbundenen Berufsge­ heimnisträgers von vornherein nicht anwendbar sei.84 In der Literatur wird dies teilweise mit dem Argument abgelehnt, dass der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung der Reichweite des § 252 StPO ohne nähere Begründung lediglich einen möglichen Schutzzweck des § 53 StPO zugrunde legte.85 § 53 StPO beinhalte neben der Pflichtenkollisionen aber auch den mit ihr untrennbar verbundenen Schutz von berufsbezogenen Ver­ trauensverhältnissen. Der Vertrauensschutz eines Patienten zu seinem Arzt könne sich sowohl abstrakt wie individuell nur dann entwickeln, wenn schon die bloße Gefahr ausgeschlossen würde, dass sich Informationen aus dem Behandlungsverhältnis entgegen dem Willen des Zeugnisverweigerungsbe­ rechtigen als Gegenstand der richterlichen Beweiswürdigung wiederfinden würden.86 82  Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau,

§ 53 Rn. 13. NJW 1963, 723, NStZ 2012, 281; Eisenberg, Beweisrecht der StPO Rn. 1282; KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 10; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 54; SK-StPO/ Rogall, § 53 Rn. 216; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 49; a. A. OLG Hamburg NJW 1962, 689 (691); Geppert, NStZ 2012, 282 f.; Zöller, ZJS 2012, 558 (561 f.). 84  BGH NStZ 2012, 281. 85  Geppert, NStZ 2012, 282 (283); Zöller, ZJS 2012, 558 (561). 86  Geppert, NStZ 2012, 282 (283); Zöller, ZJS 2012, 558 (561). 83  BGH

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Auf der anderen Seite des übergeordneten Meinungsstreits über die gene­ relle Verwertbarkeit ärztlicher Zeugenaussagen finden sich auch einige Stim­ men, welche bereits ein Vernehmungsverbot bei einer drohenden Verletzung des § 203 Abs. 1 StGB durch die jeweilige Aussage und in unterschiedlicher Reichweite auch ein Verwertungsverbot für eine insoweit getätigte Aussage annehmen.87 Wenn der Staat zu erkennen gebe, dass er eine Geheimnisoffenbarung in einem bestimmten Kontext als unbefugt ansehe, dürfe er dasselbe Verhalten nicht selbst – noch dazu in einem Strafverfahren – initiieren oder auch nur dulden, wenn er es ohne weiteres unterbinden könne.88 Die Annahme, dass das Prozessrecht dem Zeugen die freie Entscheidung über seine Aussage einräume, sei daher unzutreffend, denn die Prozessordnung könne dies nicht tun, ohne mit dem materiellen Recht in Widerspruch zu geraten.89 Die Aus­ sage des Berufsgeheimnisträgers könne ihre Aufgabe, ein Mittel im Dienste der Wiederherstellung des verletzten Rechts zu sein, nicht mehr erfüllen, wenn sie ihrerseits neues Unrecht darstelle.90 Es sei daher notwendig, ma­ terielles und prozessuales Recht zu harmonisieren: liege materiellrechtlich kein Rechtfertigungsgrund vor, so bestehe ein Aussageverbot, welchem das Gericht mit einem Vernehmungsverbot entsprechen müsse.91 So müsse § 383 Abs. 3 ZPO entsprechend ihrem kategorischen Wortlaut als eine den Richter absolut verpflichtende Norm verstanden werden und analoge Anwen­ dung im Strafverfahren finden.92

87  Freund, GA 1993, 49 (55); Lenckner, NJW 1965, 321 (326); Neumann, Zeug­ nisverweigerungsrechte und strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, S. 128; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 334; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S.  145 ff.; Wichmann, Das Berufsgeheimnis als Grenze des Zeugenbeweises, S. 197 ff.; Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (104); Haffke, GA 1973, 65 (72); für den Verteidiger auch Welp, FS Gallas, S. 391 (406 f.). 88  Freund, GA 1993, 49 (55); P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisver­ weigerungsrechte, S. 148; Haffke, GA 1973, 65 (72); i. Erg. ebenso Tag, in: Hillen­ kamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (104). 89  Lenckner, NJW 1965, 321 (326); P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeug­ nisverweigerungsrechte, S. 147; Wichmann, Das Berufsgeheimnis als Grenze des Zeugenbeweises, S.  213 ff. 90  Lenckner, NJW 1965, 321 (326); Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 331; Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (104). 91  Lenckner, NJW 1965, 321 (326); ähnl. Freund, GA 1993, 49 (63); Kühne, JZ 1981, 647 (652). 92  Lenckner, NJW 1965, 321 (326); Kühne, JZ 1981, 647 (652).



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 375

Aus dem Vernehmungsverbot folge sodann ein Verwertungsverbot hin­ sichtlich der materiell rechtswidrig getätigten Aussage.93 Ein im Rahmen einer Zeugenaussage unbefugt offenbartes Geheimnis sei ein „makelbehafte­ tes“ und somit kein taugliches Beweismittel, welches nicht zur Verurteilung herangezogen werden dürfe.94 Dem Interesse des Angeklagten an entspre­ chendem Schutz seiner „Binnensphäre“ sei hier eindeutig der Vorrang einzu­ räumen.95 Die gegenteilige Ansicht würde die Schutzbelange der Betroffe­ nen nicht genügend berücksichtigen.96 Für ein Beweisverwertungsverbot spreche auch der Zweck der gesetzlichen Schweigepflichten, welche verhin­ dern sollten, dass Dritte von den fraglichen Tatsachen erführen, weil diese in irgendeiner Weise gegen den Betreffenden verwendet werden könnten.97

II. Aussage von ärztlichen Sachverständigen Der ärztliche Sachverständige nimmt eine besondere Rolle im Strafprozess ein. Der Begriff des Sachverständigen, ebenso wie die Art und der Umfang seiner Tätigkeit, sind gesetzlich nicht definiert.98 Die Rechtsprechung nimmt die Bestimmung vor allem nach dem Wesen des Sachverständigenbe­ weises vor.99 Ein Sachverständiger im weiteren Sinne ist demnach, wer in einem bestimmten Tätigkeitsgebiet infolge seiner Ausbildung oder aber sei­ ner praktischen Erfahrung über besondere Kenntnisse verfügt.100 Die recht­ liche und sachliche Grundlage der Tätigkeit eines Sachverständigen ist der an ihn erteilte Auftrag des Gerichts.101 Der Sachverständige hat sich auf die konkrete Einzelfrage zu beschränken, es ist weder seine Aufgabe zu ermit­ teln, noch sind von seiner Seite aus Fragen aufzuwerfen und zu beantworten, die nicht gestellt wurden.102 93  Freund, GA 1993, 49 (63); Lenckner, NJW 1965, 321 (326); Beulke, Der Ver­ teidiger im Strafverfahren, S. 209; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 334. 94  Freund, GA 1993, 49 (63); Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (105). 95  Freund, GA 1993, 49 (63). 96  Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 45, 209 (in Bezug auf den Straf­ verteidiger); i. Erg. wohl auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweige­ rungsrechte, S. 147; Tag, in: Hillenkamp/Tag, Intramurale Medizin, S. 89 (105). 97  Lenckner, NJW 1965, 321 (327). 98  Schmidt-Recla, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 117 Rn. 1; MüKo-StPO/ Trück, § 72 Rn. 2. 99  BGH NJW 1952, 899. 100  BGH NJW 1952, 899; BeckOK-StPO/Monka, § 72 Rn. 1; Schmidt-Recla, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 117 Rn. 1; MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 2. 101  Schmidt-Recla, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 117 Rn. 10. 102  Schmidt-Recla, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 117 Rn. 10.

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Insbesondere für ärztliche Sachverständige entstehen vielfach Kollisionen zwischen ihrer materiellen Schweigepflicht und ihren verfahrensrechtlichen Pflichten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass ein Berufsgeheim­ nisträger, wenn er Arzt ist, immer Arzt und Sachverständiger zugleich ist.103 Er wird gerade zum Sachverständigen ernannt, weil er Arzt ist und unterliegt in dieser Funktion auch seiner Berufsverschwiegenheit.104 Die Aufgaben des Sachverständigen sind es vor allem, dem Gericht die Kenntnis von Erfahrungssätzen zu vermitteln, Tatsachen selbst festzustellen sowie Bewertungen vorzunehmen und Schlussfolgerungen zu ziehen.105 Die Tätigkeit medizinischer Sachverständiger im Strafprozess erstreckt sich unter anderem auf die psychiatrische Begutachtung von Beschuldigten oder Ange­ klagten, auf die rechtsmedizinische Begutachtung und auf die serologische, toxikologische oder genetische Begutachtung.106 Eine der wohl wichtigsten Aufgaben von Sachverständigen ist die Erstattung von Gutachten unter An­ wendung ihres Erfahrungswissens.107 Die Gutachtenpflicht eines gerichtli­ chen Sachverständigen ist in der Regel im Rahmen seiner Vernehmung mündlich zu erfüllen.108 Die Tatsachen, von welchen der Sachverständige bei der Erstattung seines Gutachtens auszugehen hat, sind die so genannten Anknüpfungstatsachen.109 Die Anknüpfungstatsachen werden dem Sachverständigen regelmäßig vom Gericht mitgeteilt. Darüber hinaus kann er unter den Voraussetzungen des § 80 StPO aber auch durch eigene Ermittlungen weitere Tatsachen feststel­ len, insbesondere wenn es sich um Tatsachen handelt, welche nur aufgrund einer besonderen Sachkunde festgestellt werden können.110

ZStW 97 (1985), 81 (84); SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 120. Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 266; Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (92 f.); SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 120. 105  KK-StPO/Hadamitzky, Vor § 72 Rn. 2  f.; Löwe/Rosenberg/Krause, Vor § 72 Rn. 10; BeckOK-StPO/Monka, § 72 Rn. 1; Schmidt-Recla, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 117 Rn. 6 ff.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 72 Rn. 3 ff.; MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 3. 106  Schmidt-Recla, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 117 Rn. 4. 107  KK-StPO/Hadamitzky, Vor §  72 Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Krause, Vor § 72 Rn. 10; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 72 Rn. 7; MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 6. 108  SK-StPO/Rogall, Vor § 72 Rn. 36. 109  KK-StPO/Hadamitzky, Vor §  72 Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Krause, Vor § 72 Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 72 Rn. 7. 110  KK-StPO/Hadamitzky, Vor §  72 Rn. 3; Löwe/Rosenberg/Krause, Vor § 72 Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 72 Rn. 7; MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 8. 103  Krauß,

104  Rengier,



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 377

Neben den Anknüpfungstatsachen, auf welchen das zu erstattende Gutach­ ten gründet, sind die Befundtatsachen, die Zusatztatsachen sowie Zufallsbe­ obachtungen zu unterscheiden. Befundtatsachen sind diejenigen Feststellun­ gen, die der Sachverständige bei Ausführung seines gerichtlichen Auftrages nur aufgrund besonderer Sachkunde treffen kann.111 Hierzu gehören unter anderem Wahrnehmungen an Körper und Verhalten einer Person, der fachli­ che Inhalt von Krankengeschichten und ärztlichen Gutachten sowie Schlüsse auf das Verhalten einer Person aus ihrer körperlich-seelischen Beschaffen­ heit.112 Tatsachen, welche ein Sachverständiger feststellt, ohne dass hierzu eine besondere Sachkunde erforderlich ist, werden als Zusatztatsachen be­ zeichnet.113 Einen Unterfall der Zusatztatsachen bilden die so genannten Zufallsbeobachtungen.114 Zufallsbeobachtungen stehen inhaltlich nicht in ei­ ner unmittelbaren Beziehung zu dem Gegenstand des Gutachtens.115 In die Kategorie der Zusatztatsachen oder Zufallsbeobachtungen können auch die­ jenigen Erkenntnisse fallen, welche der Sachverständige aufgrund seiner früheren Tätigkeit als behandelnder Arzt hatte, oder wenn er Tatsachenkennt­ nisse aus anderen Verfahren hatte.116 Die gerichtliche Vernehmung des Sachverständigen und die Einführung der von ihm festgestellten Tatsachen bestimmen sich vor allem nach der Art der jeweiligen Tatsachen. Für ärztliche Sachverständige gelten insoweit Ausnah­ men und Einschränkungen von der ärztlichen Schweigepflicht. Heute ist über­ wiegend anerkannt, dass § 203 StGB auch auf berufsschweigepflichtige Sach­ verständige und Gutachter anwendbar ist.117 Die Offenbarung der Befundtat­ sachen sei nach überwiegender Ansicht zwar tatbestandsmäßig, aber im Um­ fang des Untersuchungsauftrages durch die Pflicht zur Gutachten­erstattung und gegebenenfalls durch eine Einwilligung des Probanden gerechtfertigt.118 111  BGH NJW 1963, 401; KK-StPO/Hadamitzky, Vor § 72 Rn. 4; SK-StPO/Rogall, Vor § 72 Rn. 117; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 72 Rn. 7; MüKoStPO/Trück, § 72 Rn. 9. 112  MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 9. 113  BGH NJW 1963, 401; SK-StPO/Rogall, Vor § 72 Rn. 118; Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, Vor § 72 Rn. 7; MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 10. 114  MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 11. 115  MüKo-StPO/Trück, § 72 Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  79 Rn. 12. 116  So wohl Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 23. 117  BGH NStZ 1993, 142; NJW 2016, 2263 (2264); Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (92); SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 41; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 16; Fischer, § 203 StGB Rn. 78; Lackner/Kühl/Heger, § 203 Rn. 23; Spickhoff/Knauer/ Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 46; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 125; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 140 Rn. 9. 118  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 41; Fischer, § 203 StGB Rn. 78; Lackner/Kühl/ Heger, § 203 Rn. 23.

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Ein Arzt, welcher vom Gericht zum Sachverständigen bestellt worden ist, ist zur Gutachtenerstattung verpflichtet119 und kann sich im Rahmen seines Auf­ trages nicht auf die ärztliche Schweigepflicht berufen.120 Im Rahmen der mündlichen Vernehmung über den Untersuchungsauftrag und die daraus re­ sultierenden Feststellungen, also über die Befundtatsachen, steht dem Arzt kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO zu.121 Darüber hinaus wird weit überwiegend angenommen, dass Zusatztatsachen nicht Bestandteil des Gutachtens sind und daher auch nicht durch die gutachterliche Vernehmung des Sachverständigen in das Verfahren eingeführt werden können, vielmehr müsse der Sachverständige insofern als Zeuge vernommen werden.122 In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob dem ärztlichen Sachverstän­ digen bezüglich der Zusatztatsachen ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen kann oder ob er auch diese mitzuteilen habe. Weiterhin wird diskutiert, in welchen Fällen Mitteilungen eines ärztlichen Sachverständigen den Straftat­ bestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB verletzen können, wenn die Mitteilung als unbefugt, also rechtswidrig anzusehen ist. Sofern in einzelnen Fällen eine rechtwidrige Offenbarung der Tatsachen angenommen wird, ist zudem umstritten, ob diese Tatsachen im gerichtlichen Verfahren verwendet werden dürfen. Einerseits wird vertreten, dass ein zum Sachverständigen bestellter Arzt auch hinsichtlich der Zusatztatsachen kein Zeugnisverweigerungsrecht ha­ be.123 Dies gelte insbesondere, wenn der Betroffene die Untersuchung oder den Eingriff kraft Gesetzes dulden musste oder hätte verweigern können, aber nicht verweigert habe.124 In diesen Fällen werde die sonst erforderliche 119  Vgl.

§ 75 StPO. in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 145 Rn. 47. 121  KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 19; SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 24; BeckOKStPO/Huber, § 53 Rn. 18; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 38; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 25. 122  BGH NJW 1963, 401; NStZ-RR 2009, 15; Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (103, 110); KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 19; Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 17; Gercke/ Leimenstoll/Striner, Handbuch Medizinstrafrecht Rn. 1112; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 51; Löwe/Rosenberg/Krause, Vor § 72 Rn. 11; SK-StPO/Rogall, Vor § 72 Rn. 118; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 126; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 54. 123  KK-StPO/Bader, §  53 Rn. 19; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 18; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 20; diff. SKStPO/Rogall, § 53 Rn. 122, der auf eine konkludente Entbindung von der Schweige­ pflicht abstellt. 124  BGH NStZ 2002, 214 (215); für das Zivilrecht ebenso BGH NJW 1964, 449 (451); Cramer, Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten, S. 63 f.; KKStPO/Bader, § 53 Rn. 19; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 18; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 20. 120  Ulsenheimer,



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 379

Zustimmung zur Preisgabe der Geheimnisse auf Grund einer gesetzlichen Duldungspflicht ersetzt, weil hier das staatliche Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts vorgehe.125 Schließlich wisse der Proband auch, dass das Untersuchungsergebnis zur Mitteilung an das Gericht bestimmt sei.126 Ferner wird angeführt, dass das ärztliche Zeugnisverweigerungsrecht bei einer ärztlichen Zwangsuntersuchung von vornherein nicht anwendbar sei.127 Der Staat sei in dieser Beziehung nicht auf die Zustimmung des Probanden angewiesen. Das Ziel der Zeugnisverweigerungsrechte, durch die Schaffung verfahrensrechtlicher Sicherungen die nur begrenzte Möglichkeit zur Aus­ übung von Zwang durch eine freiwillige Mitwirkungsbereitschaft des Pro­ banden zu überwinden, habe sich in diesen Fällen nicht verwirklicht, mit der Folge, dass dem Sachverständigen unter Schutzzweckgesichtspunkten des ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechts kein Weigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO zur Seite stehe.128 Begründend wird zudem angeführt, dass Sachverständigen die Zusatztatsa­ chen nicht im Sinne des § 53 StPO anvertraut seien, also nicht mit dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Verlangen nach Geheimhaltung mit­ geteilt wurden.129 Dieses Argument verkennt jedoch, dass § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO sowohl das Anvertrauen wie auch das Bekanntwerden erfasst. Selbst wenn ein Anvertrauen hier abzulehnen wäre, sind die Tatsachen dem ärztlichen Sachverständigen jedenfalls auch als Arzt bekannt geworden.130 Das Bekanntwerden umfasst jegliche Kenntnisnahme des Berufsgeheimnis­ trägers von dem Betroffenen oder Dritten, ohne dass sie ihm anvertraut sind.131 Der Begriff ist weit auszulegen, so dass es gleichgültig ist, aus wel­ chem Grund oder zu welchem Zweck die Tatsachen bekannt geworden sind, solange die Tatsachen dem Berufsgeheimnisträger in funktionalem Zusam­ menhang mit seiner Berufsausübung zur Kenntnis gelangt sind.132 Der Sach­ verständige hätte keine Kenntnis der Tatsachen erlangt, wenn er nicht auf­ grund seines Berufes als Arzt zum Sachverständigen bestellt worden wäre. Somit kann eine Anwendung des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO mit dem oben genannten Argument nicht generell verneint werden. 125  BGH

NStZ 2002, 214 (215). § 53 Rn. 19; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 25. 127  Cramer, Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten, S. 64. 128  Cramer, Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten, S. 64. 129  KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 19; MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 25. 130  Ebenso SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 122. 131  SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 9; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 17; SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 63; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 9. 132  SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 9; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 17; SK-StPO/Rogall, § 53 Rn. 63; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 9. 126  KK-StPO/Bader,

380

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

In diesem Zusammenhang wird teilweise auf eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht abgestellt. Der Sachverständige, welcher als Zeuge über Zusatztatsachen vernommen wird, darf das Zeugnis nämlich dann nicht verweigern, wenn er nach § 53 Abs. 2 von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden wurde. Sofern eine ausdrückliche Erklärung des Probanden nicht vorliege, komme eine konkludente Entbindung von der Schweigepflicht in Betracht. Diese könne auch daraus geschlossen werden, dass sich der Proband zu einer Einlassung zum Tatgeschehen oder zur Mit­ wirkung an der Exploration bereitgefunden habe, obwohl er über die Bedeu­ tung seiner freiwilligen Mitwirkung und die Verwendung der von ihm bereit­ gestellten Informationen nicht im Unklaren gewesen sei.133 Nichtsdestoweniger werden auch innerhalb der Ansicht, welche ein Zeug­ nisverweigerungsrecht für ärztliche Sachverständige ablehnt, Grenzen für die Aussagepflichten gezogen. So gelte die Beschränkung des Zeugnisverweige­ rungsrechtes nur innerhalb des jeweiligen Verfahrens oder Auftrags des Sachverständigen, was dazu führe, dass Erkenntnisse aus einer früheren Be­ handlung oder Tatsachen, die ihm ohne Zusammenhang mit der Gutachtener­ stellung mitgeteilt worden seien, nicht offenbart werden müssten.134 Teil­ weise wird auch vertreten, dass das Zeugnisverweigerungsrecht ohne Ein­ schränkungen für Zufallsbeobachtungen gelte.135 Ebenso sei ein Zeugnisver­ weigerungsrecht anzunehmen, wenn Angaben gegenüber dem Arzt gemacht wurden, von denen nach den Umständen davon auszugehen ist, dass sie der Arzt für sich behalten solle.136 Tatsachen, welche dem Sachverständigen ohne Zusammenhang mit seinem Gutachten mitgeteilt worden seien sowie sein Wissen aus früheren Behandlungen brauche der Sachverständige eben­ falls nicht zu offenbaren.137 Nach der Gegenansicht stehe dem ärztlichen Sachverständigen bei seiner Vernehmung als Zeuge über die Zusatztatsachen wiederum das Zeugnisver­ weigerungsrecht aus § 53 StPO zu.138 Die Beschränkung des Zeugnisverwei­ gerungsrechtes des zum Sachverständigen bestellten Arztes gelte nur im 133  SK-StPO/Rogall,

S. 38.

§ 53 Rn. 120, 122; vgl. a. Bockelmann, Strafrecht des Arztes,

134  KK-StPO/Bader, §  53 Rn. 19; BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 18; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 20. 135  BeckOK-StPO/Huber, § 53 Rn. 18; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 20. 136  KK-StPO/Bader, § 53 Rn. 19. 137  MüKo-StPO/Percic, § 53 Rn. 25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 53 Rn. 20; BeckOK-StGB/Weidemann, § 203 Rn. 54. 138  Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (112); Schönke/Schröder/Eisele, § 203 Rn. 17; SSW-StPO/Eschelbach, § 53 Rn. 24; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 38; NK-StGB/Kargl, § 203 Rn. 73; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 51;



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 381

Rahmen des jeweiligen Gutachtenauftrages.139 Dies bedeute, dass alles, was nicht von dem gerichtlichen Auftrag erfasst war, der Verschwiegenheit unter­ liege.140 Ebenso sollten alle diejenigen Angaben, die der beschuldigte Pro­ band dem Sachverständigen ersichtlich nicht im Hinblick auf die Gutach­ tenerstattung, sondern ausschließlich wegen seiner Stellung als Arzt gemacht habe, § 53 StPO unterfallen.141 Der Sachverständige habe kein Recht und auch keine Pflicht, Zusatztat­ sachen ohne Einwilligung des Betroffenen preiszugeben, jedenfalls nicht unter Berufung auf seinen Status des Sachverständigen.142 Die Offenbarungs­ befugnis im Hinblick auf ein bestimmtes Verfahren könne nicht weiter rei­ chen als die Möglichkeit des Staates, das Offenbarte prozessordnungsgemäß zu verwerten; daher existiere keine Offenbarungsbefugnis als Sachverständi­ ger kraft amtlichen Auftrags, sobald dieser als Zeuge vernommen würde.143 Die Gegenansicht würde zudem die Grenzen des Sachverständigenbeweises auflösen, da sie darauf hinausliefe, den Sachverständigen auf eine umfas­ sende Aufgabe anzusetzen, dabei zu selbständigen Ermittlungen anzuhalten und schließlich unter Zeugendruck zu nötigen, sein gesamtes Wissen preiszu­ geben.144 Im Übrigen wird auch innerhalb dieser Ansicht diskutiert, ob die Freiwil­ ligkeit der Angaben gegenüber dem Sachverständigen als Einwilligung im Sinne des § 53 Abs. 2 StPO angesehen werden kann.145 Dabei wird überwie­ gend vorausgesetzt, dass der Sachverständige den Probanden vor der Unter­ suchung oder Exploration umfassend aufklären oder belehren müsse.146 Da mit Ärzten generell ein besonderes Vertrauensverhältnis verbunden werde, müsse der Sachverständige oder die ihn bestellende Behörde den Probanden darüber aufklären, dass eine Schweigepflicht und ein Zeugnisverweigerungs­ recht nicht bestünden und alle Erkenntnisse, die der Gutachter im Rahmen SK-StPO/Rogall, Vor § 72 Rn. 118; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 126; BeckOKStGB/Weidemann, § 203 Rn. 54. 139  SSW-StPO/Eschelbach, §  53 Rn. 24; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 38. 140  Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB § 144 Rn. 31. 141  Spickhoff/Knauer/Brose, §§  203–205 StGB Rn. 52; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 126. 142  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 51. 143  Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 51. 144  Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (112). 145  Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 38; abl. Fischer, § 203 StGB Rn. 79; Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 52. 146  Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (114); Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau, § 53 Rn. 39.

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

der Ausführung seines Auftrages gewinne, der beauftragenden Behörde über­ mittelt würden.147 Zum Teil wird auch innerhalb dieser Ansicht vertreten, das Zeugnisver­ weigerungsrecht entfalle jedoch dann, wenn der Proband die Angaben nach einer Belehrung durch den ärztlichen Sachverständigen freiwillig gemacht habe.148 Teilweise wird sogar eine Belehrung des Sachverständigen analog § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (bzw. analog §§ 163a IV 2, 136 I 2, 136a V StPO) über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung gefordert.149 Diesem Interesse müsse da­ durch Rechnung getragen werden, dass der Sachverständige den beschuldig­ ten Probanden entsprechend belehre.150 Noch strenger sieht dies Bosch, welcher ein selbständiges Beweisverwer­ tungsverbot hinsichtlich der Zusatztatsachen statuiert.151 Da der Proband bei einer Begutachtung durch einen Sachverständigen zur Mitteilung auch zu­ sätzlicher Tatsachen neigen könne, würde dies in Konflikt mit dem nemotenetur-Grundsatz des Beschuldigten treten.152 Er bemängelt, dass der Sach­ verständige den beschuldigten Probanden gerade nicht nach § 136 StPO be­ lehren könne, die Mitteilungen der Zusatztatsachen unfreiwillig erfolgten und diese aufgrund eines selbständigen unmittelbar aus dem nemo-teneturGrundsatz abzuleitenden Beweisverwertungsverbot nicht berücksichtigt wer­ den dürften.153 Krauß versucht dieses Problem hingegen allein auf der Ebene der Verwert­ barkeit der Mitteilungen zu lösen. Er statuiert, dass § 136a StPO für den gesamten Bereich des Strafverfahrens gelte, also auch für das Verhältnis zwischen Sachverständigem und Probanden.154 Der Sachverständige müsse den Probanden jedoch nicht nach § 136 StPO über die Folgen der Freiwillig­ keit seiner Mitwirkung belehren, sondern darüber aufklären, welche Folgen eine solche Freiwilligkeit und Entbindung von der Schweigepflicht haben 147  Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau,

§ 53 Rn. 39. § 203 Rn. 126. 149  Schmidt-Recla, NJW 1998, 800 (801); Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 52; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 126; ähnl. LG Oldenburg StV 1994, 646. 150  Schmidt-Recla, NJW 1998, 800 (801); Spickhoff/Knauer/Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 52; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 126. 151  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 41. 152  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 41; diesen Konflikt sehen auch Spickhoff/Knauer/ Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 52, ohne sich dabei jedoch konkret für ein Beweisver­ wertungsverbot auszusprechen. 153  SSW-StGB/Bosch, § 203 Rn. 41. 154  Krauß, ZStW 97 (1985), 81 (106). 148  LK-StGB/Schünemann,



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 383

können.155 Fehle es an der konkreten Einsicht des Probanden oder sei er ei­ nem Motivirrtum unterlegen, folge ein Vernehmungsverbot (für den Sachver­ ständigen) erst aus einem der in § 136a StPO bezeichneten Verfahrensver­ stöße, der dann gemäß § 136a Abs. 3 StPO absolut wirke.156 Sofern davon ausgegangen wird, dass der ärztliche Sachverständige in Bezug auf Zusatztatsachen als Zeuge vernommen wurde, müssten die obigen Ausführungen zur Verwertbarkeit ärztlicher Zeugenaussagen entsprechend gelten. Während zwar überwiegend ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sach­ verständige nach § 53 StPO bejaht wird, solle die Verwertung der durch Zeugenbeweis erlangten Zusatztatsachen im Ergebnis zulässig sein.157 Im Übrigen wird auf die Ausführung zur Verwertbarkeit ärztlicher Zeugenaussa­ gen verwiesen.

III. Aussagen Dritter nach ärztlichen Untersuchungen Abschließend bietet sich ein Vergleich zur Verwertbarkeit von Erkenntnis­ sen an, welche im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung erlangt wurden. Die nachfolgende Gerichtsentscheidung betrifft die Kenntniserlangung Drit­ ter, welche bei der ärztlichen Untersuchung anwesend waren und nachfol­ gend als Zeugen in Betracht kamen. In diesen Fällen liegt zwar gerade keine Mitteilung der Erkenntnisse durch den Arzt selbst vor, jedoch können sich aus der Verwertbarkeit dieser Erkenntnisse Rückschlüsse auf die Verwertbar­ keit ärztlicher Mitteilungen ziehen lassen. Insbesondere stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen zur Reichweite der Aussage- und Selbstbelastungs­ freiheit, welche für die Frage der Verwertbarkeit ärztlicher Mitteilungen vergleichend herangezogen werden können. Der 1. Senat des Bundesgerichtshofs entschied im Jahr 2018, dass die Aussagefreiheit durch die Verwertung von Angaben, welche bei einer ärzt­ lichen Untersuchung gemacht wurden, verletzt werden könne und dies zu einem Beweisverwertungsverbot führe.158 In dem betreffenden Fall waren die Angeklagte und ihre mitangeklagte Tochter in ein Krankenhaus verbracht worden, um mögliche gesundheitliche Folgen der Tat abklären zu lassen. Bereits vor der Fahrt war die Angeklagte über ihre Rechte belehrt worden und hatte geäußert, sich nicht zur Sache einlassen zu wollen. Im Kranken­ haus begleitete eine Polizeibeamtin die Angeklagte zu dem Arzt in das Be­ handlungszimmer. Als die Angeklagte sich teilweise entkleidete, fragte die ZStW 97 (1985), 81 (114). ZStW 97 (1985), 81 (114). 157  So zumindest BGH NJW 1959, 828 (829); NJW 1969, 196 (197). 158  BGH NJW 2018, 1986 = NStZ 2019, 36 m. Anm. Vogler. 155  Krauß, 156  Krauß,

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Polizeibeamtin, ob sie hinausgehen solle. Nachdem sie weder von dem Arzt noch von der Angeklagten eine Antwort erhielt, verblieb sie während der gesamten Untersuchung im Raum. Während der Untersuchung machte die Angeklagte umfassende Angaben zu der Tat und den begleitenden Umstän­ den gegenüber dem sie behandelnden Arzt. Nachdem sich die Angeklagte in der Hauptverhandlung auf ihr Schweigerecht berufen hatte, stützte die Straf­ kammer ihre Überzeugung insbesondere auf die Aussage der bei der Unter­ suchung anwesenden Polizeibeamtin. Hinsichtlich der Verwertung der Anga­ ben im Behandlungszimmer hatte die Strafkammer keine Bedenken, da der Angeklagten bewusst gewesen sei, dass die Polizeibeamtin den Untersu­ chungsraum nicht verlassen habe.159 In der Begründung der Entscheidung wird ausgeführt, dass die Angeklagte keine eigenverantwortliche Entscheidung über ihre Aussagefreiheit treffen konnte. Dabei sei entscheidend, dass sich die Angeklagte nach der ersten Belehrung im ununterbrochenen polizeilichen Gewahrsam befand, in dem zu keinem Zeitpunkt auf ihr Recht zu Schweigen Rücksicht genommen wurde. Letztlich sei sie auf diese Weise einer dauerhaften Befragung ausgesetzt ge­ wesen. Die Angeklagte hatte zuvor ausdrücklich von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Sie wäre zudem in einer gesundheitlich sehr angeschla­ genen Verfassung gewesen und schon diese prekäre gesundheitliche Verfas­ sung der dezidiert nicht aussagebereiten Angeklagten hätte weitere Fragen verboten.160 Weiterhin hätten die Gesamtumstände der ärztlichen Untersuchung die Angeklagte in ihrer Aussagefreiheit beeinträchtigt. Die Angeklagte wäre dringend behandlungsbedürftig gewesen. Um einen korrekten ärztlichen Be­ fund zu erhalten, wäre die Angeklagte gezwungen gewesen, möglichst ge­ naue Angaben zu den Tatumständen zu machen, auch wenn dies mit einer Selbstbelastung einherginge. Diese Zwangssituation habe die Polizeibeamtin mit ihrer Anwesenheit bewusst ausgenutzt, um die entsprechenden Erkennt­ nisse zu erheben, gerade weil sie genau gewusst habe, dass die Angeklagte erklärt habe, keine Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden machen zu wollen.161 Dabei sei es auch unerheblich, dass die Polizeibeamtin im Behandlungs­ zimmer die Frage gestellt habe, ob sie hinausgehen solle, ohne irgendeine Antwort zu erhalten. Dies habe sie nicht automatisch als Zustimmung werten können, weil auch die Möglichkeit bestand, dass die Frage weder vom Arzt noch der Angeklagten gehört worden war, zumal die Polizeibeamtin aus dem 159  BGH

NStZ 2019, 36. NStZ 2019, 36 (Rn. 25). 161  BGH NStZ 2019, 36 (Rn. 26). 160  BGH



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 385

Vorgeschehen entnehmen musste, dass die Angeklagte in ihrer Orientierung offensichtlich beeinträchtigt war. Jedenfalls hätte die Zeugin bei dieser Sach­ lage sicherstellen müssen, dass ihre Frage trotz Ausbleibens einer Antwort Gehör gefunden habe, was aber nicht erfolgt sei.162 Der Bundesgerichtshof kam aus den genannten Gründen zu dem Ergebnis, dass eine eigenverantwortliche Entscheidung der Angeklagten über die Aus­ sagefreiheit unter Berücksichtigung einer Gesamtbewertung der Vorgänge nicht gegeben war. Diese Verletzung führte auch zu einem Beweisverwer­ tungsverbot in Bezug auf die von der Polizeibeamtin getätigte Aussage in der Hauptverhandlung. Allerdings ließ der Bundesgerichtshof auch in diesem Urteil die Frage offen, ob ein Arzt-Pateinten-Gespräch nicht ohnehin einem absoluten Verwertungsverbot wegen einer Verletzung des Kernbereichsschut­ zes unterliege.163 Vogler kritisiert die Entscheidung des 1. Senats des Bundesgerichtshofs und hält die inhaltliche Ausdehnung des Beweisverwertungsverbotes auf den zu entscheidenden Sachverhalt für fragwürdig.164 Außerhalb von §§ 136, 136a StPO könnten sich Beweisverwertungsverbote wegen eines Verstoßes gegen die durch Art. 14 Abs. 3 lit. g IPbürgR und das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK verbürgte Selbstbelastungsfreiheit oder aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG wegen Verletzung des sogenannten Kernbereichs ergeben. Es erscheine zwei­ felhaft, ein Arzt-Patienten-Gespräch unabhängig von der Art der Untersu­ chung und Inhalt der Gespräche dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen. Soweit der Senat aufgrund einer Gesamtwertung von Umstän­ den eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit und ein aus ihr abgeleitetes Verwertungsverbot angenommen habe, überzeuge dies in Ergebnis und Be­ gründung nicht.165 Vogler zieht zunächst einen Vergleich zur Problematik der verdeckten Be­ fragungen, etwa wenn einem Beschuldigten ein Mitgefangener in die Zelle gelegt wird, um ihn gezielt auszuhorchen.166 Das vorstehende Urteil sei je­ doch nicht mit solchen Situationen vergleichbar und es sei zweifelhaft, ob überhaupt eine relevante Zwangslage vorgelegen habe. Interessenkonflikte, die nicht zwischen den Belangen des Beschuldigten und denjenigen Dritter, sondern einzig in der Person des Auskunft Erteilenden selbst bestehen, sind aber grundsätzlich nicht geeignet, die Annahme strafprozessualer Verwer­ 162  BGH

NStZ 2019, 36 (Rn. 28). NStZ 2019, 36 (Rn. 29). 164  Vogler, NStZ 2019, 36 (38). 165  Vogler, NStZ 2019, 36 (38). 166  Vogler, NStZ 2019, 36 (38). 163  BGH

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

tungsverbote zu rechtfertigen. Der Interessenkonflikt der Angeklagten sei im Hinblick auf die faktische Zwangslage vergleichbar mit der Lage eines Asyl­ bewerbers, welcher sich gezwungen sehe, selbstbelastende Angaben zu ma­ chen, um seinen Antrag erfolgsversprechend zu begründen.167

IV. Übertragung der Feststellungen auf anstaltsärztliche Mitteilungen Auch wenn die oben beschriebenen Fälle ärztlicher Zeugenaussagen und der Aussagen von Sachverständigen im Strafprozess einen ersten Anhalts­ punkt zur Verwertbarkeit geben können, sind sie nur teilweise mit den Mit­ teilungen von Anstaltsärzten vergleichbar. Hierzu sei zunächst daran erinnert, dass es sich bei den in diesem Kapitel beschriebenen Fällen um freiwillige Mitteilungen eines Anstaltsarztes außerhalb eines Strafprozesses handelt. Es liegen also gerade keine Aussagen oder ähnliche Prozesshandlungen vor. Zudem kann die Mitteilung auch an die Staatsanwaltschaft gerichtet sein und nicht an das Gericht. Dennoch lassen sich aus den dargelegten Konstellationen gewisse Schlüsse hinsichtlich der Verwertbarkeit anstaltsärztlicher Mitteilungen ziehen. Zu­ nächst ist zu beachten, dass der Bruch der ärztlichen Schweigepflicht nicht grundsätzlich zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Darüber hinaus wird jeweils genau zu untersuchen sein, ob die Mitteilung des Anstaltsarztes über­ haupt einen Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift begründet oder der Be­ troffene in seinen subjektiven Rechten oder Garantien verletzt sein könnte. In diesem Zusammenhang kann unter anderem diskutiert werden, ob eine ärzt­ liche Untersuchung eine vernehmungsähnliche Situation darstellen kann, ob besondere Belehrungspflichten des Anstaltsarztes bestehen können und ob die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen verletzt sein kann. Insbesondere aus der Vernehmung von Sachverständigen und der Verwert­ barkeit ihrer Aussagen lassen sich einige Vergleiche zu anstaltsärztlichen Mitteilungen ziehen. Unter anderem wird sich auch ein Anstaltsarzt oftmals in einer Kollisionslage zwischen seinen ärztlichen Pflichten und seiner Stel­ lung innerhalb der Vollzugsanstalt wiederfinden. Insbesondere stellt die Ein­ gangsuntersuchung eine ärztliche Untersuchung dar, welche der Betroffene kraft Gesetzes dulden muss. Allerdings besteht hier – im Gegensatz zu einer Begutachtung durch einen Sachverständigen – die Besonderheit, dass der Betroffene gerade nicht davon ausgehen muss, dass Erkenntnisse aus dieser Untersuchung an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft mitgeteilt werden sollen. 167  Vogler,

NStZ 2019, 36 (39) m. V. a. BGHSt 36, 328.



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 387

Soweit einige Stimmen eine Belehrung des Sachverständigen fordern,168 kann dies in gewisser Hinsicht auf Anstaltsärzte übertragen werden. So zeigt ein Blick in die Landesgesetze, dass der Anstaltsarzt oder die Anstalt die Gefangenen vor der Erhebung ihrer personenbezogenen Daten über die nach den Gesetzen bestehenden Offenbarungspflichten und -befugnisse zu unter­ richten haben.169 Diese Unterrichtung bezieht sich jedoch nur auf die nach den jeweiligen Gesetzen bestehenden Offenbarungspflichten und -befugnis­ sen und umfasst gerade nicht jegliche Mitteilungen außerhalb dieser Gesetze. Insofern kann hier diskutiert werden, ob eine anstaltsärztliche Mitteilung gerade deswegen unverwertbar sein kann, da der Anstaltsarzt den betroffenen Gefangenen gerade nicht darüber zu unterrichten hat, dass er sich freiwillig gegenüber dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft offenbaren wird. Schließlich lässt das oben genannte Urteil jedenfalls den Schluss zu, dass Inhalte eines Arzt-Patienten-Gespräches auch unter den Schutz der Selbstbe­ lastungsfreiheit fallen können. Darüber könnten sich auch die Erwägungen des 1. Senats im Hinblick auf die Reichweite der Aussagefreiheit für verneh­ mungsähnliche Situationen in einigen Teilen auf Mitteilungen des Anstalts­ arztes übertragen lassen. Ferner verdeutlicht der 1. Senat in diesem Urteil den Zwiespalt, in welchem sich Beschuldigte bei ärztlichen Untersuchungen befinden können. So wurde unterstrichen, dass der Angeklagten keine andere Möglichkeit blieb, als sich gegenüber dem sie behandelnden Arzt auch zur Tat zu äußern, um eine angemessene Behandlung zu erhalten. Ebendiese Si­ tuation ist mit einer (Eingangs-)Untersuchung durch einen Anstaltsarzt ver­ gleichbar. In diesen Fällen bleibt den Gefangenen unter Umständen ebenfalls keine andere Wahl, als sich zur Tat zu äußern, sofern dies für die medizini­ sche Betreuung notwendig wird. Die Angaben gegenüber dem Anstaltsarzt können durchaus allein aufgrund der Zwangslage gemacht werden. Soweit Vogler das Bestehen einer Zwangslage für nicht gegeben hält,170 mag dies in Bezug auf das konkrete Urteil vielleicht zutreffen. Betrachtet man allerdings die Lage, welcher sich Untersuchungsgefangene bei einer Untersuchung durch den Anstaltsarzt gegenübersehen, kann diese sehr wohl eine Zwangslage darstellen. Zunächst ist die Eingangsuntersuchung eine 168  S. oben unter B.II.; Schmidt-Recla, NJW 1998, 800 (801); Spickhoff/Knauer/ Brose, §§ 203–205 StGB Rn. 52; LK-StGB/Schünemann, § 203 Rn. 126. 169  § 51 Abs. 2 S. 5 JVollzGB I BW; Art. 36 BayUVollzG i. V. m. Art. 201 Abs. 1 S. 5 BayStVollzG; § 66 Abs. 1 JVollzDSG Bln; § 133 Abs. 4 BbgJVollzG; § 48 Abs. 1 BremJVollzDSG; § 26 Abs. 6 S. 2 HmbJVollzDSG; § 57 Abs. 4 HUVollzG; § 40 Abs. 7 JVollzDSG M-V; § 195 Abs. 2 S. 5 NJVollzG; § 33 Abs. 2 S. 5 JVollzDSG NRW; § 45 Abs. 1 LJVollzDSG RP; § 48 Abs. 1 JVollzDSG SL; § 49 Abs. 1 Sächs JVollzDSG; § 60 Abs. 1 JVollzGB IV LSA; § 48 Abs. 1 JVollzDSG SH; § 133 Abs. 4 ThürJVollzGB. 170  S. oben unter B.III.

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5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

Zwangsuntersuchung, welche nicht verweigert werden kann. Aber auch im Hinblick auf freiwillige Untersuchungen steht den Gefangenen nur der An­ staltsarzt als Ansprechperson zur Verfügung. Der Anstaltsarzt handelt in diesen Untersuchungen zwar primär als Arzt, er ist jedoch zugleich auch immer Teil einer staatlichen Institution, für die er handelt oder im Einzelfall sogar Beamter. Wie bereits oben beschrieben,171 muss den unselbständigen Beweisver­ wertungsverboten nach der herrschenden Ansicht ein Verstoß gegen ein Be­ weiserhebungsverbot vorausgegangen sein. Die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht durch eine Mitteilung eines Anstaltsarztes ist zwar nicht die Verletzung einer strafprozessualen, sondern die Verletzung einer materiell­ rechtlichen Norm. Dennoch könnte sich hieraus ein ungeschriebenes Beweis­ verwertungsverbot ergeben. In diesem Zusammenhang wird zu berücksichti­ gen sein, dass sich der Anstaltsarzt nach Abwägung der für ihn relevanten Umstände dafür entschieden hat, sich in strafbarer Weise zu offenbaren. Dieser Umstand könnte für eine Verwertbarkeit sprechen, da der „Fehler“ hier nicht in einem Verfahrensfehler liegt, sondern bei dem betreffenden An­ staltsarzt. Gegen eine solche allgemeine Ablehnung eines Verwertungsverbotes spre­ chen jedoch die Umstände der im vorausgegangenen Kapitel untersuchten Fallgestaltungen.172 Es handelt sich bei den untersuchten Fällen anstaltsärzt­ licher Mitteilungen um solche, welche Untersuchungsgefangene betreffen. Dies bedeutet zugleich, dass die besondere Stellung der Untersuchungsgefan­ genen angemessen zu berücksichtigen ist. Sofern man eine anstaltsärztliche Mitteilung in jedem Fall als Beweismittel im Strafverfahren zulassen würde, wären Untersuchungsgefangene wesentlich schlechter gestellt als Beschul­ digte oder Angeklagte, welche sich auf freiem Fuß befinden. Letztere können sich bei Bedarf an einen Arzt ihres Vertrauens wenden, ohne dass sie Gefahr laufen, dass Erkenntnisse aus diesem Behandlungsverhältnis an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft mitgeteilt werden. Insbesondere selbstbelastende Tatsachen, welche in einem Arzt-Pateinten-Gespräch mitgeteilt werden, wür­ den dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft bereits nicht zur Kenntnis ge­ langen. Untersuchungsgefangenen steht hingegen nur der Anstaltsarzt als An­ sprechperson zur Verfügung. Würde man nun zulassen, dass jegliche Er­ kenntnisse aus dieser Arzt-Patienten-Beziehung, welche unter Bruch der Schweigepflicht mitgeteilt wurden, auch gerichtlich verwertbar seien, würde dies nicht nur das Behandlungsverhältnis selbst beeinträchtigen, sondern 171  S.

oben A.II.2. A.IV.; C.III.

172  S. 4. Kapitel



B. Verwertung ärztlicher Aussagen und Mitteilungen im Strafprozess 389

auch zu einer potenziellen Ungleichbehandlung führen. Untersuchungsgefan­ gene würden unter Umständen gehemmt werden, sich bei Bedarf an den Anstaltsarzt zu wenden, da sie Angst haben müssten, dass alle Erkenntnisse aus der Behandlung in einem Verfahren als Beweismittel dienen können. Folglich würden sie unter Umständen die erforderliche ärztliche Unterstüt­ zung und Behandlung nicht in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang kann sich für Untersuchungsgefangene ferner der Zwang zu einer Selbstbelastung ergeben. Sofern man auf die bei der Aufnahme in der Vollzugsanstalt erfolgende Zwangsuntersuchung abstellt, besteht während dieser zumindest eine gewisse Zwangslage, da der Betrof­ fene diese Untersuchung nicht verweigern kann. Die Erkenntnisse, welche bei solchen Untersuchungen zu Tage treten können, können für den Betroffe­ nen in gewissen Fällen belastend sein. Wenn diese Erkenntnisse sodann durch einen Anstaltsarzt unter Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht mitgeteilt werden, können sie die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen zumindest mittelbar verletzen. Aber auch bei anderen ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen im Rahmen der Untersuchungshaft können erhebliche Interessenkonflikte in der Person des Gefangenen entstehen. So kann es auch im Rahmen der allgemei­ nen Gesundheitsfürsorge notwendig sein, dass ein Gefangener Tatsachen, welche die Tat betreffen, offenbart, um eine angemessene medizinische Be­ handlung und Betreuung zu erhalten. Hier sei wiederum auf die Konstellation verwiesen, dass der Gefangene sich bei der Tat besondere Verletzungen zu­ gezogen hat. In diesem Fall muss er gegebenenfalls Umstände der Tat offen­ baren, um eine angemessene medizinische Betreuung zu erhalten. Diese Äußerungen zur Tat können allerdings Selbstbelastungen darstellen, welche er sonst nicht mitgeteilt hätte. Auch eine Mitteilung dieser Tatsachen kann eine, zumindest mittelbare, Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit des Be­ troffenen darstellen. Die Mitteilungen eines Anstaltsarztes können somit unter bestimmten Voraus­setzungen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Zunächst liegt es in der Natur der Sache, dass die staatlichen Strafverfolgungsbehörden nicht über jegliche Begehung von Straftaten Kenntnis haben werden. Insbe­ sondere werden auch nicht alle Einzelheiten begangener Straftaten aufge­ deckt werden können. Diese restlose Aufklärung des wahren Sachverhalts ist in den meisten Fällen auch nicht notwendig für die Strafverfolgung und eine Verurteilung. Es kann allerdings nicht der Sinn der Strafverfolgung sein, eine restlose Aufklärung von Straftaten unter Missachtung der Selbstbelastungs­ freiheit und durch intensive Überwachung und Inanspruchnahme jeglicher Informationsquellen zu erreichen. Auch im Rahmen des Vollzugs der Unter­ suchungshaft muss akzeptiert werden, dass bestimmte Bereiche oder Infor­

390

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

mationen dem staatlichen Zugriff entzogen bleiben. Sofern sich ein Anstalts­ arzt freiwillig, aber vor allem rechtswidrig, gegenüber staatlichen Strafver­ folgungsorganen offenbart, kann dies nicht dazu führen, dass das staatliche Strafverfolgungsinteresse in jedem Fall überwiegt. Vielmehr wird eine Ab­ wägung im Einzelfall über die Verwertbarkeit entscheiden müssen. Die Frage, ob die durch einen Anstaltsarzt mitgeteilten Tatsachen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, wird sich im Ergebnis also nach einer Abwägung der Umstände im Einzelfall feststellen lassen. Im Rahmen dieser Abwägung sind unter anderem die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: der Zusammenhang, in welchem die Tatsachen von dem Gefangenen offen­ bart wurden, die Art der Tatsachen und die Bedeutung derselben für den Betroffenen. Insbesondere wenn es sich bei den Tatsachen um Selbstbelas­ tungen handelt, ist diesem Umstand besonderes Gewicht beizumessen. Zunächst wird zu berücksichtigen sein, unter welchen Umständen der An­ staltsarzt einzelne Tatsachen erfahren hat. Bei Erkenntnissen, welche auf­ grund einer Zwangsuntersuchung erlangt worden sind, wird vor allem zu berücksichtigen sein, ob das Gericht oder die Staatsanwaltschaft ohne die Mitteilung des Anstaltsarztes einen Anlass und die strafprozessualen Mittel gehabt hätte, diese Tatsachen zu ermitteln. Handelt es sich um Tatsachen, deren Inhalt bereits aufgrund anderer Erkenntnisse zu vermuten war und de­ ren Erhebung mit den zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln zulässig gewesen wäre, so kann dies für eine Verwertbarkeit sprechen. Handelt es sich jedoch um Tatsachen, welche noch gänzlich unbekannt waren und wel­ che sonst auch nicht so hätten ermittelt werden können, werden diese nicht verwertet werden können, wenn dadurch die Rechte des Betroffenen verletzt werden. Im Rahmen einer freiwilligen Offenbarung durch den Betroffenen wird dieser in der Regel besonders schutzwürdig sein, sofern er sich dem Anstalts­ arzt im Vertrauen auf dessen Verschwiegenheitspflicht offenbart hat. Zudem wird bei der Abwägung im Einzelfall auch immer der Umstand zu prüfen sein, ob die Offenbarung notwendig war, um innerhalb der Vollzugsanstalt eine angemessene medizinische Betreuung zu erhalten. Gefangene in einer Vollzugsanstalt sind in diesen Fällen schutzloser gestellt als Beschuldigte oder Angeklagte, welche sich auf freiem Fuß befinden, da sie keine Möglich­ keit haben, sich an einen Arzt ihres Vertrauens zu wenden, sondern auf die ärztliche Betreuung innerhalb der Vollzuganstalt angewiesen sind. Folglich können sie sich der staatlichen Kenntniserlangung in diesem Bereich nicht entziehen. Sie haben also keine andere Möglichkeit, als sich dem Anstaltsarzt als Teil der Vollzugsanstalt zu offenbaren, und riskieren somit auch die Kenntniserlangung anderer Stellen der Strafverfolgung.



C. Zusammenfassende Betrachtung391

Darüber hinaus wird in beiden Konstellationen zu berücksichtigen sein, ob es sich um selbstbelastende Tatsachen handelt. Sofern dies der Fall ist, wird zu überprüfen sein, ob diese Tatsachen aufgrund einer Zwangssituation of­ fenbart werden mussten. Diese Zwangssituation kann sowohl dann bestehen, wenn es sich um eine Zwangsuntersuchung handelt, als auch, wenn die Of­ fenbarung die einzige Möglichkeit ist, um angemessene ärztliche Betreuung zu erhalten. Im ersten Fall ist das Selbstbelastungsrisiko bereits durch die Landesgesetzgeber geschaffen worden, da die Untersuchungshaftvollzugsge­ setze eine Eingangsuntersuchung vorsehen. Im zweiten Fall ist das Selbst­ belastungsrisiko zumindest mittelbar vom Staat geschaffen worden, da die medizinische Betreuung innerhalb der Vollzugsanstalten allein den Anstalts­ ärzten obliegt. Die jeweilige Schaffung bzw. Erhöhung des Selbstbelastungs­ risikos muss bei der Abwägungsentscheidung über die Verwertbarkeit der jeweiligen Tatsachen ebenfalls Berücksichtigung finden. Sofern man die Selbstbelastungsfreiheit auch als Schutz des Zwanges zur Selbstbelastung versteht, muss sich dieses Verständnis auch auf Untersu­ chungen und Behandlungen durch einen Anstaltsarzt erstrecken. Ein Unter­ suchungsgefangener darf nicht vor die Entscheidung gestellt werden, sich selbst belasten zu müssen oder sich nicht ärztlich behandeln zu lassen. Diese Zwangssituation wäre für die Gefangenen unzumutbar und ferner auch nicht mit den Fürsorgepflichten des Staates für die Gefangenen vereinbar. Der Staat kann zudem nicht verlangen, dass die Inanspruchnahme ärztlicher Be­ treuung im Untersuchungshaftvollzug und die Selbstbelastungsfreiheit der Betroffenen in einen Widerstreit zueinander treten. Er hat vielmehr den Rah­ men dafür zu schaffen, dass die Inanspruchnahme ärztlicher Betreuung im Untersuchungshaftvollzug gewährleistet wird, ohne dass hieraus Nachteile für die Gefangenen entstehen. Folglich müssen die durch einen Anstaltsarzt offenbarten Tatsachen dann einem Bewertungsverbot unterliegen, wenn es sich um selbstbelastende Tatsachen handelt, welche dem Arzt offenbart wer­ den mussten, weil eine angemessene ärztliche Betreuung ohne diese Offen­ barung nicht hätte erreicht werden können.

C. Zusammenfassende Betrachtung Die von einem Anstaltsarzt im Rahmen einer freiwilligen Mitteilung offen­ barten Tatsachen können im Einzelfall einem Beweisverwertungsverbot un­ terliegen. Die Verwertbarkeit kann weder pauschal angenommen noch abge­ lehnt werden. Es wird vielmehr nach einer Abwägung im Einzelfall zu ent­ scheiden sein, ob die Tatsachen verwertet werden können oder nicht. Im Rahmen der Abwägungsentscheidung sind die besondere Situation von Untersuchungsgefangenen und die besondere Stellung des Anstaltsarztes in­

392

5. Kap.: Die Verwertung unbefugt offenbarter Tatsachen

nerhalb der Vollzugsanstalt zu berücksichtigen. Insbesondere der Umstand, dass der Anstaltsarzt in der Regel die einzige ärztliche Ansprechperson für die Untersuchungsgefangenen ist, muss in die Abwägung mit einfließen. Darüber hinaus ist der Rahmen, in welchem die Tatsachen offenbart wurden, zu untersuchen. Insbesondere wenn es sich um selbstbelastende Tatsachen handelt, ist zu berücksichtigen, ob sie bei einer Zwangsuntersuchung bekannt geworden sind oder offenbart werden mussten, um eine angemessene ärzt­ liche Betreuung innerhalb der Vollzugsanstalt zu erhalten. In beiden Fällen spricht vor allem die Garantie der Selbstbelastungsfreiheit für ein Beweisver­ wertungsverbot.

6. Kapitel

Zusammenfassung der wichtigsten Thesen Im Rahmen des Straf- und des Untersuchungshaftvollzugs kann die ärzt­ liche Schweigepflicht eine besondere Bedeutung erlangen. Den Gefangenen steht während des Vollzugs meist nur der Anstaltsarzt als medizinische An­ sprechperson zur Verfügung. Dies kann dazu führen, dass dem Anstaltsarzt bestimmte Informationen mitgeteilt werden müssen, um eine angemessene Behandlung und Betreuung zu erhalten. Nicht selten findet sich der Anstalts­ arzt daraufhin in einer Art Dreiecksbeziehung zwischen Anstaltsleitung, Vollzugsdienst und Gefangenem. In dieser Beziehung muss er darüber befin­ den, wie weit seine Schweigepflicht reicht und wann er bestimmte Erkennt­ nisse zu offenbaren hat oder offenbaren sollte. Der Anstaltsarzt sollte insbe­ sondere im Rahmen der Untersuchungshaft die besondere Stellung der Un­ tersuchungsgefangenen bedenken. So sollte er sich bewusst machen, dass es nicht seine originäre Aufgabe ist, die Strafverfolgungsbehörden bei der Er­ mittlung von Straftaten zu unterstützen. Auch zählt es nicht zu seinen Aufga­ ben, den Gerichten die für ihre Entscheidungsfindung notwendigen Tatsachen mitzuteilen. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, die Grenzen straf­ prozessualer Offenbarungspflichten von Anstaltsärzten aufzuzeigen. Die Er­ gebnisse dieser Arbeit können in den folgenden zentralen Thesen zusammen­ gefasst werden: 1. Die ärztliche Schweigepflicht spielt eine zentrale Rolle für eine vertrau­ ensvolle Arzt-Patienten-Beziehung. So bildet das Schweigen des Arztes eine wichtige Grundvoraussetzung für eine effektive Behandlung und ärztliche Tätigkeit. 2. Die ärztliche Schweigepflicht ist nicht davon abhängig, ob zwischen Arzt und Patient ein Vertrauensverhältnis besteht. Sie ist aber Vorausset­ zung dafür, dass eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung entsteht. Dies bedeutet, dass die Schweigepflicht dem Vertrauen vorausgeht und nicht anders herum. 3. Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht finden sich in Form von Offenbarungspflichten und -befugnissen in unterschiedlichen Rechtsge­ bieten. Die Begründungen für gesetzliche Offenbarungspflichten lassen sich schlagwortartig mit den Worten „Schutz Einzelner“, „Bevölkerungs­

394

6. Kap.: Zusammenfassung der wichtigsten Thesen

schutz“, „Epidemiologie“ und „statistische Erhebung“ zusammenfassen. Wird ein Arzt durch einzelne Normen zu einer Offenbarung verpflichtet, bestimmen diese in der Regel auch den Umfang der Offenbarung, indem sie die mitzuteilenden Tatsachen aufzählen. 4. Offenbarungsbefugnisse sind von subjektiven Komponenten geprägt. Zunächst von der Freiheit des Geheimnisträgers, wenn dieser über eine Schweigepflichtentbindung bestimmt, zum anderen auch von der Freiheit des Arztes, wenn er über das Für und Wider einer Offenbarung zu befin­ den hat. Eben dieses Merkmal der Entscheidungsfreiheit unterscheidet die Offenbarungsbefugnisse von den Offenbarungspflichten. 5. Rechtsgrundlage der ärztlichen Schweigepflicht ist nicht § 203 StGB, sondern § 9 MBO-Ä in der Fassung der Landesberufsordnung der jewei­ ligen Landesärztekammern. Es handelt sich dabei um eine originär be­ rufsrechtliche Pflicht. Das Strafrecht sanktioniert in § 203 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB den Bruch der ärztlichen Schweigepflicht. Das strafrecht­ liche Verbot ist dabei unabhängig von der berufsrechtlichen Kodifikation. Allerdings kann das Berufsrecht bei der Bestimmung der Bedeutung des strafrechtlichen Verbots zu berücksichtigen sein. 6. Das von § 203 StGB geschützte Rechtsgut ist das abstrakte und konkrete Interesse an der Privatheit bestimmter Tatsachen. Dieses ist als Individu­ alschutzgut ausgestaltet und nicht in einem kollektiven Sinne zu verste­ hen. Das konkrete Interesse besteht immer dann, wenn durch den Ge­ heimnisträger selbst ein Geheimnis unmittelbar oder mittelbar an einen der in § 203 StGB genannten Berufsgeheimnisträger mitgeteilt wird. Das abstrakte Interesse besteht grundsätzlich in Bezug auf alle als privat empfundenen Tatsachen. 7. Das abstrakte und konkrete Interesse an der Privatheit bestimmter Tatsa­ chen besteht gerade in Bezug auf die von § 203 StGB genannten Berufs­ geheimnisträger, da sich der Geheimnisträger regelmäßig einem fakti­ schen Zwang zur Offenbarung gegenübersieht, wenn er die Hilfe des ­jeweiligen Berufsgeheimnisträger in Anspruch nehmen will. Eine ein­ heitliche Bestimmung des Schutzgutes des § 203 StGB, welches alle der genannten Berufsgeheimnisträger umfasst, ist mithin möglich, wenn man das abstrakte und konkrete Interesse an der Privatheit bestimmter Tatsa­ chen als das Schutzgut ansieht. 8. Auch Drittgeheimnisse sind als Geheimnisse i. S. d. § 203 StGB anzuse­ hen. Allerdings ist grundsätzlich zu fordern, dass der Berufsschweige­ pflichtige das Drittgeheimnis aufgrund seiner besonderen Stellung oder zumindest im Zusammenhang mit dieser erfährt.



6. Kap.: Zusammenfassung der wichtigsten Thesen395

9. Die für Anstaltsärzte geltenden Offenbarungspflichten und -befugnisse stellen Ausnahmen von der grundsätzlich geltenden ärztlichen Schweige­ pflicht im Strafvollzug dar. Die Landesgesetze beinhalten hier teilweise sehr ausdifferenzierte Regelungen, um dem Spannungsverhältnis zwi­ schen Datenschutz und notwendigen Offenbarungen im Vollzug gerecht zu werden. 10. Das Wort „Vollzugsanstalt“ in § 114e StPO ist als Bezeichnung der Ins­ titution zu verstehen. Somit ist allein die Institution Regelungsadressat dieser Norm. Bereits die grammatische Auslegung legte nahe, dass sich der Begriff nicht auf konkretisierbare Einzelpersonen beziehen kann. Zudem zeigt ein systematischer Vergleich, dass der Begriff „Vollzugsan­ stalt“ innerhalb der Strafprozessordnung zwar nicht gänzlich einheitlich verwendet wird, jedoch in keinem Fall Einzelpersonen meint. Ebenso muss eine föderalismusfreundliche Auslegung zu dem Ergebnis kommen, dass der Gesetzgeber im Zweifel keine verfassungswidrige Norm schaf­ fen wollte, indem er Landesbeamte mit konkreten Pflichten belegt. Folg­ lich kann eine bundesgesetzliche Norm, welche die „Vollzugsanstalt“ verpflichtet, nichts anderes bezwecken, als diese als Institution mit Pflichten zu belegen. Schließlich steht die Auslegung des Wortes „Voll­ zugsanstalt“ als Institution dem Zweck des § 114e S. 1 StPO auch nicht entgegen. 11. § 114e StPO enthält eine Pflicht zur Übermittlung von Erkenntnissen, welche aus Sicht der Vollzugsanstalt für die Erfüllung der Aufgaben der Empfänger von Bedeutung und diesen nicht anderweitig bekannt sind. Auch wenn der Begriff der Erkenntnisse in diesem Zusammenhang weit zu verstehen ist, muss die Vorschrift insgesamt eng ausgelegt werden. Diese enge Auslegung hat am Merkmal der Bedeutung für die Aufgaben­ erfüllung der Empfänger zu erfolgen. Bedeutsam für die Aufgabenerfül­ lung der Empfänger sind nur diejenigen Erkenntnisse, welche den Haft­ grund oder die Haftgründe berühren. 12. Die für Anstaltsärzte geltenden Offenbarungspflichten und -befugnisse bezwecken keine Informationsgewinnung um jeden Preis. Sie fordern eine Offenbarung vielmehr nur zu den jeweils normierten Zwecken. Da­ bei stellen die ausdrückliche Normierung von Offenbarungspflichten und -befugnissen für Anstaltsärzte, die Einzelfallbetrachtung der widerstrei­ tenden Interessen und die eigenständige Ermittlung des Offenbarungs­ umfanges durch den Normadressaten die leitenden Prinzipien der Nor­ men dar. 13. § 114e StPO stellt keinen Rechtfertigungsgrund für den Bruch der Schweigepflicht durch einen Anstaltsarzt dar. Zwar erfüllt die Norm die Voraussetzungen, welche an Rechtfertigungsgründe zu stellen sind, aller­

396

6. Kap.: Zusammenfassung der wichtigsten Thesen

dings ist eine direkte Mitteilung des Anstaltsarztes an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft nicht als rechtfertigungswürdig einzustufen. Hier­ von ist allein dann eine Ausnahme zu machen, wenn sich der Arzt vor einer Offenbarung bei der Anstaltsleitung erkundigt, ob er sich direkt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft wenden darf und diese Auskunft bejahend ausfällt. 14. Die von einem Anstaltsarzt im Rahmen einer rechtswidrigen Mitteilung offenbarten Tatsachen, betreffend einen Untersuchungsgefangenen, kön­ nen im Einzelfall einem ungeschriebenen unselbständigen Beweisver­ wertungsverbot unterliegen. Die Verwertbarkeit der offenbarten Tatsa­ chen kann jedoch weder pauschal angenommen noch abgelehnt werden. Es wird vielmehr nach einer Abwägung im Einzelfall zu entscheiden sein, ob die Tatsachen verwertet werden können oder nicht. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Stellung der Untersuchungsgefangenen, deren Selbstbelastungsfreiheit, und die Umstände der medizinischen Be­ treuung und Behandlung im Untersuchungshaftvollzug zu berücksichti­ gen. 15. Anstaltsärzte sollten sich immer über die Schwierigkeiten der medizini­ schen Betreuung in der Haft und Untersuchungshaft bewusst sein. So ist das Verhältnis zwischen Arzt und Gefangenem angespannter als bei ärzt­ licher Betreuung außerhalb der Haft. Um dieses Verhältnis nicht durch Misstrauen und der Angst vor Offenbarung schlechter zu gestalten als nötig, sollten die Offenbarungspflichten und -befugnisse restriktiv ausge­ legt und angewandt werden. Auch innerhalb der Haft muss eine ange­ messene medizinische Betreuung und ein Mindestmaß an Vertrauen zum Arzt bewahrt werden.

Anhang: Tabelle der Strafvollzugsgesetze, Untersuchungshaftvollzugsgesetze und Justizvollzugsdatenschutzgesetze der Bundesländer Bundesland

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

BadenWürttemberg

Gesetzbuch über den Justizvollzug in BadenWürttemberg (Justizvoll­ zugsgesetzbuch – ­JVollzGB)

10. November 2009 (GBl. S. 545)

Art. 7–11 G zur Änd. des Landes­ richter- und -staatsanwaltsG und weiterer G vom 17. Dezember 2020 (GBl. 2021 S. 1)

Bayern

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayeri­ sches Strafvollzugsge­ setz – ­BayStVollzG)

10. Dezember 2007 (GVBl. S. 866)

§ 6 des Gesetzes vom 8. Juli 2020 (GVBl. S. 330)

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft (Bayerisches Untersu­ chungshaftvollzugsge­ setz – BayUVollzG)

20. Dezember 2011 (GVBl. S. 678)

§ 7 des Gesetzes vom 8. Juli 2020 (GVBl. S. 330)

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Berlin (Berliner Straf­ vollzugsgesetz – StVollzG Bln)

4. April 2016 (GVBl. S. 152)

Art. 2 G zur Umsetzung der RL (EU) 2016/680 im bereichsspezifi­ schen Datenschutz­ recht des Berliner Justizvollzugs, der Sozialen Dienste der Justiz des Landes Berlin und der Führungsauf­ sichtsstelle beim Landgericht Berlin vom 27. September 2021 (GVBl. S. 1145)

Berlin

398 Bundesland

Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Berlin (Berliner Untersu­ chungshaftvollzugsge­ setz – UVollzG Bln)

3. Dezember 2009 (GVBl. S. 686)

Art. 4 G zur Änd. von Berliner Justizvollzugsge­ setzen vom 14. September 2021 (GVBl. S. 1079)

Gesetz zum Schutz 27. September personenbezogener Daten 2021 im Justizvollzug und bei (GVBl. S. 1145) den Sozialen Diensten der Justiz des Landes Berlin (Justizvollzugsda­ tenschutzgesetz Berlin – JVollzDSG Bln) Brandenburg

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg (Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz – BbgJVollzG)

24. April 2013 Art. 4 G zur (GVBl. I Nr. 14) Umsetzung der RL (EU) 2016/680 für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Polizei sowie den Justiz- und Maßregelvollzug des Landes Brandenburg und zur Änd. weiterer Gesetze vom 19. Juni 2019 (GVBl. I Nr. 43)

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 für die Verarbeitung personenbe­ zogener Daten durch die Polizei sowie den Justiz- und Maßregel­ vollzug des Landes Brandenburg (Branden­ burgisches Polizei-, Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsdaten­ schutzgesetz – ­BbgPJMDSG)

19. Juni 2019 (GVBl. I Nr. 43)



Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer399 Bundesland

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

Bremen

Bremisches Strafvoll­ zugsgesetz (­BremStVollzG)

25. November 2014 (Brem.GBl. S. 639)

Art. 6 Nr. 3 G zur Änd. des Bremi­ schen PolizeiG und weiterer Gesetze vom 24. November 2020 (Brem.GBl. S. 1486)

Bremisches Gesetz über den Vollzug der Untersu­ chungshaft (Bremisches Untersuchungshaftvoll­ zugsgesetz – ­BremUVollzG)

2. März 2010 (Brem.GBl. S. 191)

Art. 4 G zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 zum Datenschutz in Strafsachen vom 14.7.2020 (Brem. GBl. S. 721, geänd. m. w. V. 8. Oktober 2020 durch G v. 22.9.2020 [Brem. GBl. S. 967])

Bremisches Gesetz zum Schutz personenbezoge­ ner Daten im Justizvoll­ zug (Bremisches Justizvollzugsdaten­ schutzgesetz – ­BremJVollzDSG)

14. Juli 2020 (Brem.GBl. S. 721, 722)

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe (Hamburgisches Straf­ vollzugsgesetz – ­HmbStVollzG)

14. Juli 2009 (HmbGVBl. S. 257)

Art. 2 G zur Regelung des Vollzugs von Strafarrest und zur Änd. vollzugs­ rechtl. Vorschriften vom 5. April 2022 (HmbGVBl. S. 250)

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft (Hamburgisches Untersu­ chungshaftvollzugsge­ setz – HmbUVollzG)

15. Dezember 2009 (HmbGVBl. S. 473)

Art. 4 G zur Regelung des Vollzugs von Strafarrest und zur Änd. vollzugs­ rechtl. Vorschriften vom 5. April 2022 (HmbGVBl. S. 250)

Hamburg

400

Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer

Bundesland

Hessen

MecklenburgVor­pommern

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

Hamburgisches Gesetz zum Schutz personenbe­ zogener Daten im Justizvollzug (Hamburgi­ sches Justizvollzugs­ datenschutzgesetz – HmbJVollzDSG)

18. Mai 2018 (HmbGVBl. S. 158)

Art. 1 G zur Regelung des Vollzugs von Strafarrest und zur Änd. vollzugs­ rechtl. Vorschriften vom 5. April 2022 (HmbGVBl. S. 250)

Hessisches Strafvollzugs­ gesetz (HStVollzG)

28. Juni 2010 (GVBl. I S.  185) i. d. F. v. 1.6.2013

Art. 2 Zweites G zur Änd. hessischer VollzugsG vom 12. November 2020 (GVBl. S. 778)

Hessisches Untersu­ chungshaftvollzugsgesetz (HUVollzG)

28. Juni 2010 Art. 3 Zweites G (GVBl. I S. 185, zur Änd. hessischer 208) VollzugsG vom 12. November 2020 (GVBl. S. 778)

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Mecklenburg-Vorpom­ mern (Strafvollzugsge­ setz MecklenburgVorpommern – StVollzG M-V)

7. Mai 2013 (GVOBl. M-V S. 322)

Art. 2 G über den Justizvollzugsda­ tenschutz in MecklenburgVorpommern und zur Änd. weiterer G des Justizvollzu­ ges vom 21. No­ vember 2020 (GVOBl. M-V S. 1254)

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Mecklenburg-Vorpom­ mern (Untersuchungs­ haftvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpom­ mern – UVollzG M-V)

17. Dezember 2009 (GVOBl. M-V S. 763)

Art. 4 G über den Justizvollzugsda­ tenschutz in MecklenburgVorpommern und zur Änd. weiterer G des Justizvollzu­ ges vom 21. No­ vember 2020 (GVOBl. M-V S. 1254)



Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer401 Bundesland

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug des Landes MecklenburgVorpommern (Justizvollzugsdaten­ schutzgesetz Mecklen­ burg-Vorpommern – JVollzDSG M-V)

21. November 2020 (GVOBl. M-V S. 1254)

Nieder­ sachsen

Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz (NJVollzG)

8. April 2014 (Nds. GVBl. S. 106)

Art. 3 § 7 G zur Änd. des Nieder­ sächsischen G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und anderer Gesetze vom 20. Mai 2019 (Nds. GVBl. S. 88)

NordrheinWestfalen

Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Freiheits­ strafe in NordrheinWestfalen (Strafvollzugs­ gesetz NordrheinWestfalen – StVollzG NRW)

13. Januar 2015 (GV. NRW. S. 76)

Art. 1 G zur Novellierung der nordrhein-westfäli­ schen Landesjustiz­ vollzugsgesetze vom 13. April 2022 (GV. NRW. S. 543)

Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersu­ chungshaft in NordrheinWestfalen (Untersu­ chungshaftvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – UVollzG NRW)

27. Oktober 2009 (GV. NRW. S. 540)

Art. 5 G zur Novellierung der nordrhein-westfäli­ schen Landesjustiz­ vollzugsgesetze vom 13. April 2022 (GV. NRW. S. 543)

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen (Justizvollzugsdaten­ schutzgesetz NordrheinWestfalen – JVollzDSG NRW)

12. Oktober 2018 (GV. NRW. S. 555)

Art. 6 G zur Novellierung der nordrhein-westfäli­ schen Landesjustiz­ vollzugsgesetze vom 13. April 2022 (GV. NRW. S. 543)

402

Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer

Bundesland

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

RheinlandPfalz

Landesjustizvollzugsge­ setz (LJVollzG RP)

8. Mai 2013 (GVBl. S. 79)

Art. 1 G zur Änd. des LJVollzG, des LSVVollzG, des LJAVollzG, des LJVollzDSG und der SchiedsamtsO vom 15. Oktober 2020 (GVBl. S. 571)

Landesjustizvollzugs­ datenschutzgesetz (LJVollzDSG RP)

3. Juni 2020 (GVBl. S. 218)

Artikel 4 des Gesetzes vom 15. Oktober 2020 (GVBl. S. 571)

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe im Saarland (Saarländisches Strafvollzugsgesetz – SLStVollzG)

24. April 2013 (Amtsbl. I S. 116)

Art. 1 G zur Ergän­ zung der saarländi­ schen Justizvoll­ zugsgesetze im Hinblick auf die aktuelle CoronaPandemie vom 16. Juni 2021 (Amtsbl. I S. 1822)

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Saarland (Unter­ suchungshaftvollzugs­ gesetz – SUVollzG)

1. Juli 2009 (Amtsbl. I S. 1219)

Art. 4 G zur Ergän­ zung der saarländi­ schen Justizvoll­ zugsgesetze im Hinblick auf die aktuelle CoronaPandemie vom 16. Juni 2021 (Amtsbl. I S. 1822)

Saarland

Saarländisches Justizvoll­ 4. Dezember zugsdatenschutzgesetz 2019 (JVollzDSG SL) (Amtsbl. I S. 79)



Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer403 Bundesland

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

Sachsen

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und des Strafarrests im Freistaat Sachsen (Sächsisches Strafvoll­ zugsgesetz – SächsStVollzG)

16. Mai 2013 (SächsGVBl. S. 250)

Art. 2 G zum Schutz personenbe­ zogener Daten im Justiz- und Maßregelvollzug, zur Gewährleistung der verfassungs­ rechtl. Anforderun­ gen an Fixierungen und zur Änd. des Sächsischen Ge­ denkstättenstif­ tungsG vom 22. August 2019 (SächsGVBl. S. 663)

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Freistaat Sachsen (Sächsisches Untersu­ chungshaftvollzugsge­ setz – SächsUHaftVollzG)

14. Dezember 2010 (SächsGVBl. S. 414)

Art. 5 G zum Schutz personenbe­ zogener Daten im Justiz- und Maßregelvollzug, zur Gewährleistung der verfassungs­ rechtl. Anforderun­ gen an Fixierungen und zur Änd. des Sächsischen Gedenkstätten­ stiftungsG vom 22. August 2019 (SächsGVBl. S. 663)

Gesetz zum Schutz 22. August 2019 personenbezogener Daten (SächsGVBl. im Justizvollzug S. 663) (Sächsisches Justizvoll­ zugsdatenschutzgesetz – SächsJVollzDSG)

404

Anhang: Tabelle der Vollzugsgesetze der Bundesländer

Bundesland

Gesetz

vom

zuletzt geändert durch

SachsenAnhalt

Erstes Buch Justizvoll­ zugsgesetzbuch SachsenAnhalt – Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe, der Untersuchungshaft und des Strafarrestes – (JVollzGB I LSA)

18. Dezember 2015 (GVBl. LSA S. 666)

Art. 2 G zur Durchführung von Zwangsbehandlun­ gen und Fixierun­ gen im Zusammen­ hang mit dem Vollzug freiheits­ entziehender Maßnahmen im LSA vom 25. März 2021 (GVBl. LSA S. 120)

Viertes Buch Justizvoll­ zugsgesetzbuch SachsenAnhalt – Datenschutz – (Viertes Buch Justizvoll­ zugsgesetzbuch SachsenAnhalt – JVollzGB IV LSA)

16. September 2020 (GVBl. LSA S. 444)

Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Schleswig-Holstein (Landesstrafvollzugsge­ setz Schleswig-Hol­ stein – LStVollzG SH)

21. Juli 2016 (GVOBl. Schl.-H. S. 618)

Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein (Untersuchungshaftvoll­ zugsgesetz – UVollzG SH)

23. September 2021 (GVOBl. Schl.-H. S. 1170, 1209)

Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (Justizvollzugsdaten­ schutzgesetz SchleswigHolstein – JVollzDSG SH)

23. September 2021 (GVOBl. Schl.-H. S. 1170, 1250)

Thüringer Justizvollzugs­ gesetzbuch (ThürJVollzGB)

27. Februar 2014 (GVBl. S. 13)

SchleswigHolstein

Thüringen

Art. 1 Justizvoll­ zugsmodernisie­ rungsgesetz vom 23. September 2021 (GVOBl. Schl.-H. S. 1170)

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Stichwortverzeichnis Abwägung  44 f., 76, 82, 84 f., 89, 148, 163 f., 172, 228, 293 ff., 309 f., 312 ff., 361 ff., 371, 390 f. Aids siehe HIV Allgemeines Persönlichkeitsrecht  37, 80, 120 ff., 185 ff., 255, 270, 333 ff., 364 Allgemeinheit  91, 141, 279 –– Interesse der  101, 111 f., 114, 186 –– Schutz der  54, 81 f., 159, 191, 276, 279 –– Vertrauen der  102, 112, 114 ff. Amtsarzt  46 ff., 131 Anstaltsarzt  57 ff., 140 ff., 263 ff., 273 ff. Anstaltsleiter  59, 159, 174 f., 198 f., 212 ff., 224 ff., 248 ff., 262 Anstaltsleitung  65 f., 146 ff., 223 ff., 263 f., 269 ff., 310 f., 313 ff., 347 f., 358 Anvertrauen/anvertrauen  70, 110 f., 138, 152, 304, 379 Anwendungsproblem  302 ff., 309 f., 312 ff. Approbation  91, 100, 131, 141 Arbeitssicherheit  52, 54, 174 Ärztekammer –– Bundesärztekammer  33, 35, 41, 93, 105 –– Landesärztekammer  32, 34 f., 97 ff. Arzt-Patienten-Beziehung siehe Arzt-Patienten-Verhältnis Arzt-Patienten-Gespräch  363 ff., 385, 387 Arzt-Patienten-Verhältnis  29, 39, 50, 52, 68, 78, 101 ff., 126, 170, 184 ff., 298, 302, 306, 388 Aufgabenerfüllung

–– der Vollzugsanstalt  169, 171 ff., 233, 235, 274 f., 291, 300 –– im Untersuchungshaftvollzug  276 ff., 285 ff., 292 ff. Aufsicht –– Dienstaufsicht  59, 179 f., 187, 314 –– Fachaufsicht  59, 65, 179 f., 187, 215 Aufsichtsbehörde  59, 146 f., 159, 169, 179 ff., 187, 224, 276 Ausbildung (ärztliche)  29, 46, 91 ff. Auslegung  36, 98, 110, 119, 135 f., 190, 200 ff., 267 f., 280, 344 –– föderalismusfreundliche  236 ff. –– grammatische  201 ff –– systematische  161 –– teleologische  239 ff. –– verfassungskonforme  156, 161 f., 236 f., 272 Aussage siehe Zeugenaussage Baden-Württemberg  180 ff., 195, 262, 264, 275 f., 289, 301 Bayern  178 ff., 206, 262, 264, 275 Beamte  47 ff., 50 f. 59, 212, 218, 222, 224, 233, 236, 239, 259 ff., 263, 300, 357, 388 Bedeutsamkeit  266, 268 f., 312, 342 ff., 347 f., 351 f. Beobachtung  63, 212, 257 f., 263, 298, 313 Berlin  157, 188 ff., 192, 291, 328 Berufsausübung  28, 33, 36, 91, 96 f., 114 f., 131 f. 368, 379 Berufsgeheimnisträger  123 ff., 137 f., 160 f., 165 ff., 369 ff. Berufsrecht  46, 68, 94, 96 ff., 345 Betäubungsmittel  41, 43, 173, 319

422 Stichwortverzeichnis Betriebsarzt  45, 52 ff., 131 Beweggründe  315, 320, 321, 351 f. Beweiserhebungsverbot  360 ff., 365, 388 Beweisverwertungsverbot  360 ff., 375, 382 f., 385 f., 388 ff. BGH siehe Bundesgerichtshof Brandenburg  178 ff., 206, 264, 275 Bremen  157, 188 ff., 261, 275, 290, 328 Bundesgerichtshof  71, 79, 263, 361 ff., 368, 373, 383, 385 Bundesverfassungsgericht  36, 48, 97, 121, 155 f., 245 f., 277, 279, 362 ff. Datenschutz  39 f., 93, 100, 157 f., 177, 195 f., 233, 264 Datenschutzrecht  33, 39 f., 195, 230, 233, 300 f., 316 Dienstaufsicht siehe Aufsicht Dispositionsbefugnis  70, 108 f., 116 Disziplinarmaßnahmen  62, 224 Doppelstellung  47 f., 51, 59 Drittgeheimnisse  106, 137 f., 310, 339 Eingangsuntersuchung  64, 336, 338 f., 386 f., 391 Eingriff –– in Rechte  47 f., 51 f., 63 ff., 158, 201, 228, 248, 270, 334, 363 ff. –– körperlicher  336 Eingriffsbefugnis  83, 219 f., 279 f., 323 Einverständnis  69, 71, 105, 109, 136 Einwilligung  53 f., 62, 69 ff., 93 ff., 109, 136, 154, 174, 191 ff., 326, 377, 381 Einzelfallbetrachtung  312, 316, 366 Entlassungsuntersuchung  64 Erkrankung  41 f., 52, 62, 64, 77, 80, 137, 164, 172, 184, 186 f., 258, 263, 313, 318 Ermessen  168, 172 f., 272, 293 Ermessensspielraum  45, 69, 168, 172, 266

Fachaufsicht siehe Aufsicht Fachdienste  158, 162, 165 f., 169 f., 182, 199, 212, 215, 235, 257, 269, 357 Fahruntüchtigkeit  81 Fluchtgefahr  219 f., 228, 234, 268 f., 281, 285 Freiheitsstrafe  40, 146, 204 f., 209, 211, 277, 311 Führungsaufsicht  73, 182 ff. Gefahrenabwehr  144 ff., 168, 184, 268 ff., 272, 342 ff. Geheimhaltungsinteresse  31, 44 f., 84 f., 87, 89, 120, 126, 129 f., 137, 150, 163 f., 295, 302 f., 307 ff., 328, 332, 340, 364, 371 Geheimhaltungswille  109, 126, 128 f., 136 f., 303 Geheimnis  36, 70, 108 ff., 125 ff., 165 ff., 303 ff., 318 ff. Geheimnisträger  69 f., 110 ff., 123 ff., 126, 303 f., 318 ff., 349 ff. Gemeinschaftsschutzlehre  107, 110 ff., 114, 116 f., 124 Gesundheitsfürsorge  51 Haft  184, 191, 282 Haftbefehl  208, 219, 229 Haftform  204, 206, 277 Haftgrund  234, 268, 272, 278 f., 281, 287, 294, 342 f., 348, 352 f. Hamburg  157, 185 ff., 205, 275, 290 ff. Hauptverhandlung  234, 284, 373, 384 f. Hessen  61, 194 ff., 275 f., 289 Hippokratischer Eid  29, 33 HIV (Aids)  77, 90, 164, 172 f. Individualschutzlehre  107 ff., 113, 117 ff. Individualsphäre  108, 117, 119 f. Informationelle Selbstbestimmung siehe Recht auf Institution  203

Stichwortverzeichnis423 –– Vollzugsanstalt als  203, 207 ff., 248 ff., 346 f. Interessen  123 ff., 286 ff., 307 ff., 324 ff., 331 ff. –– Betroffener  161, 307, 333 –– des Schweigepflichtigen  85, 86 ff., 112 Interessenkollision  340, 385 f. –– staatliche  332 –– widerstreitende  76, 307, 309 f., 312 f. Interessenabwägung  69, 84, 86 ff., 313 Intimsphäre  36, 102, 108, 118, 120 f., 363 ff. Justizvollzugsangestellte  248 ff., 266 ff. Justizvollzugsanstalt  57, 146 f., 158, 159, 180 f., 203 ff. Kenntnis  129, 142 f., 166 f., 230 ff., 254, 270 ff., 306, 341, 375 f. Kenntniserlangung  102 f., 131 f., 144, 305 f., 383 Kinderschutz-Kooperations-Gesetz  74 f. Kommunikation  214, 261, 265, 282, 302, 313 f., 347 f. Landesgesetze  65, 176 ff., 205, 209 ff., 223 ff., 236 ff., 252, 275 ff., 288 ff., 291 ff., 304, 308, 313 ff., 345 ff. Mecklenburg-Vorpommern  257, 180 ff., 275, 290, 301 Meldepflicht  42, 90, 154, 262 Musterungsarzt  49 ff., 131 Niedersachsen  178 ff., 206, 219, 264, 275, 278 Nordrhein-Westfalen  157, 188 ff., 328 Nothilfe  81, 163 Notstand, rechtfertigender  56, 76 ff., 154, 163, 323 Notwehr  89, 323

Offenbarungsbefugnis  68 ff., 104 f., 155 f., 173 f., 291 ff., 321, 346, 354 f. Offenbarungspflicht  40 ff., 78 f., 89 f., 139 ff., 273 ff., 302 ff., 321, 346, 354 f. Offenbarungsumfang  165 ff., 311, 312 ff. Pathologe  130 ff. Patient  28, 36 ff., 69 ff., 81 f., 101 ff., 126, 131 ff., 166, 335, 364 ff. Persönlichkeitsrecht siehe allgemeines Persönlichkeitsrecht Privatheit  108, 117 ff., 123 ff. Privatsphäre  36, 69 f., 84, 110, 118 ff., 335, 365 Psychologe  155, 158, 167, 174, 234 Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung  36, 45, 108, 120 ff., 155, 161, 185, 248, 250, 270, 334 f. Rechtfertigung  84, 136, 324 ff., 349 ff., 354 Rechtfertigungsgrund  48, 89, 94, 149, 277, 317 ff., 324 ff., 370 Rechtfertigungswürdigkeit  345 ff. Rechtsordnung  97, 141, 241 –– Einheit der  87, 322 ff. Rechtswidrigkeit  120, 136, 322 f., 348, 355 f. Resozialisierung  61, 159, 161 f., 276 ff., 283 Rheinland-Pfalz  157, 188 ff., 206, 292, 328 Saarland  157, 188 ff., 292, 328 Sachsen  157, 188 ff., 262, 290, 292, 328 Sachsen-Anhalt  188 ff., 206, 262, 300, 328 Sachverständiger  133, 367, 375 ff., 381 Schleswig-Holstein  65, 157, 188 ff., 328 Schutz –– der Allgemeinheit  54, 81, 159, 191, 276

424 Stichwortverzeichnis –– der Bevölkerung  43 –– der Gefangenen  164, 282 –– des Geheimnisträgers  48 –– personenbezogener Daten  195, 347 –– von Leib und Leben  85, 164, 172, 296, 308 Schutzauftrag  282, 290, 302 –– staatlicher  176, 307, 308 Schutzgut  106 ff., 140 Schutzpflicht  45, 79, 170 Schutzumfang  106 Schweigepflicht  28 ff., 46 ff., 96 ff., 149, 153 ff., 298 f., 315, 331, 345 ff., 354 f., 370, 372 f., 386 Schweigepflichtentbindung/Entbindung von der  46, 49, 69 ff., 104, 380, 382 Sicherheit  55, 146, 180 f., 194, 208 f., 276, 280 ff. Sicherheit und Ordnung  146, 160, 220 f., 263, 268, 277, 282 f., 289, 309, 344 Sicherung des Strafverfahrens  281, 284, 309 Sicherungs- und Disziplinarmaßnahmen  62, 194 Sicherungsauftrag  147, 281 Sicherungsverwahrung  190, 204 Sinn und Zweck  201, 210, 231 f., 239 ff., 247 ff., 270, 303, 358 Soldat  51 f. Sonderbeziehung  132, 152 Standesrecht  31 f., 33 ff., 96 ff. Straftaten –– Abwehr von  189 f., 309 –– Aufklärung von  364, 369, 389 –– begangene  82, 273, 296 ff., 333 –– geplante  44, 142 ff., 252, 273 ff., 303 Strafverfahren  87, 198, 296, 309 –– anhängiges  332 f., 344 f., 349 ff. –– Durchführung des  254 f., 277 f., 280, 284 ff., 309, 332 Strafvollzug  57 ff., 85, 153 ff., 176 ff., 261 ff., 283, 313 f. Suchterkrankung  318

Tatsachen  41, 102 f., 123, 126 ff., 165, 287 ff., 303 ff., 309 ff., 318 ff., 336 f., 341, 349 ff., 360 ff. Thüringen  178 ff., 206, 264, 275 Tod des Patienten  28, 102, 130 Truppenarzt  51 f., 66, 131, 368 ultima ratio  119, 124, 172, 210, 294 unbefugt  38, 74, 136, 317 ff., 360 ff. Unschuldsvermutung  224, 278 f., 287, 295, 298 Unterbringung  62 f., 164, 183, 204, 234 –– sichere  255, 277 f., 280 ff., 292 Unterlassen  134, 143, 217 ff. Untersuchungshaft  57, 207, 273 ff., 332 Untersuchungshaftvollzug  197 ff., 217 ff., 254 ff., 275 ff., 292 ff. Untersuchungshaftvollzugsgesetze  153 ff., 204 ff., 276 f. Verdunkelungsgefahr  219 f., 268 f., 281 Verfassungsrecht  36 Verfassungswidrigkeit  267 Vergleich, systematischer  204 ff., 302 ff. Verhandlungsfähigkeit  284 Versorgung –– ärztliche  25, 51 f., 58, 170, 288, 298 –– medizinische  57 f., 60, 65, 80, 257, 302 Verteidiger  207 f., 337 ff. Verteidigung  87, 207 f., 337 ff. Vertrauensverhältnis  46, 50, 52, 67 f., 108, 112, 193, 196, 291 ff., 369, 373, 381 Verwertbarkeit  317, 361, 363, 365, 367, 369 ff., 382, 383 ff., 386, 390 f. Verwertung  360 ff., 367 ff., 383 f. Verwertungsverbot  360 ff., 370 ff., 385 Viktimodogmatik  119 f. Vollzugsbeamte  146 f., 229, 257 Wahrheit  360 f.

Stichwortverzeichnis425 Wertung  69, 127, 150, 165 f., 176, 241, 258 Wiederholungsgefahr  37, 83, 219 f., 228, 281, 296 f., 352 f. Zeuge  72, 363, 370 ff., 378, 380 f., 383 Zeugenaussage  85, 99, 367 ff., 374 f., 383, 386 Zeugnisverweigerungsrecht  38, 84 f., 368, 371 f., 378 ff. Zufallsbeobachtung  377, 380 Zusammenarbeit  43, 259, 311, 347, 358

Zwang  125, 335, 339 Zwangsbehandlung  63 f., 154 Zwangslage  385 f., 387, 389 Zwangsmaßnahme  63, 65 f., 152, 195, 336 Zwangsuntersuchung  63 f., 379, 388 ff. Zweck  43, 45, 50, 53 f., 97, 113, 167, 200, 204, 208, 255 –– der Untersuchungshaft  219 ff., 234, 273 f., 277 ff., 285 –– vollzuglicher  193 f., 292 ff., 296 f.