Vertragsfreiheit und Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung: Die Regelung der privaten Krankenversicherung durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) im Lichte des Verfassungsrechts [1 ed.] 9783428529742, 9783428129744

Die Gesundheitsreform 2007 will auch die private Krankenversicherung grundlegend umgestalten: Die PKV muss einen Basista

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Vertragsfreiheit und Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung: Die Regelung der privaten Krankenversicherung durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) im Lichte des Verfassungsrechts [1 ed.]
 9783428529742, 9783428129744

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 12

Vertragsfreiheit und Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung Die Regelung der privaten Krankenversicherung durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) im Lichte des Verfassungsrechts

Von Gregor Thüsing und Andreas von Medem

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

GREGOR THÜSING / ANDREAS VON MEDEM

Vertragsfreiheit und Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 12 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR), Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Vertragsfreiheit und Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung Die Regelung der privaten Krankenversicherung durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) im Lichte des Verfassungsrechts

Von Gregor Thüsing und Andreas von Medem

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-12974-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Berthold Brecht berichtet wie Herr Keuner erschrak, als man ihm sagte, er habe sich in den vielen Jahren nicht verändert. In der Tat: Das ewig Gleiche ist oftmals nicht zeitlos, sondern schnell überholt. Auch das Recht bedarf immer wieder der kritischen Sichtung: Ist es noch der richtige Rahmen für die Herausforderungen, die jede Zeit neu an Staat und Gesellschaft stellt? So hat die Reform die Konnotation des Positiven. Sie will zur Seite legen, was sich nicht bewährt hat, und stärken, was künftige Aufgaben hilft zu meistern. Manche Materien bedürften dabei öfter und stärker des Aggiornamento als andere. Das Gesundheitswesen ist ein solches Gebiet. Die alternde Gesellschaft und der technische Fortschritt mit den damit verbundenen höheren Kosten stellen den überkommenen rechtlichen Bestand immer wieder in Frage. Die Reformgesetze lösen einander ab – fast so schnell wie die Jahreszeiten. Das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-WSG), auf das sich die Große Koalition nach über einjährigen Verhandlungen verständigt hat, ist am 1. April 2007 in Kraft getreten. Die darin enthaltenen Bestimmungen sind zum Teil schon umgesetzt, viele entfalten ihre volle Wirkung aber auch erst ab dem Jahr 2009. Das von der Bundesregierung selbst gesetzte Ziel der Gesundheitsreform 2007 war es, das Gesundheitssystem für die in Zukunft anstehenden gesundheitspolitischen Herausforderungen zu wappnen. Doch nicht nur die für die private Krankenversicherung und ihre Versicherten relevanten Änderungen werden mehr und mehr in Frage gestellt. Vieles erscheint als lauer Kompromiss, der nur deshalb gewählt wurde, weil damit weiterhin alles offen bleibt für weitere Reformen – weil das, was nun geschaffen wurde, letztlich keiner wollte. Der Richtungsstreit zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale hat zu einem Mischwesen geführt, dessen Lebensfähigkeit sich erst zeigen muss. „Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, . . . will ich dich aus meinem Mund ausspeien“ heißt es mahnend in der Apokalypse des Johannes (Off. 3,15). Nicht jeder Kompromiss ist tragfähig, nur weil er von allen getragen wurde. Die folgenden Seiten wollen deutlich machen, dass die in der Gesundheitsreform 2007 enthaltenen Neuregelungen zur PKV nicht nur zentrale Fragen an die zukunftstaugliche Gestaltung des Gesundheitswesens unbeantwortet lassen, sondern – mehr noch – in wesentlichen Punkten verfassungswidrig sind. Freilich: Nicht alles, was rechtspolitisch verfehlt ist, kann mit der Keule der Verfassungswidrigkeit erschlagen werden. Doch manchmal erweisen sich gesetzliche Regelungen dann eben doch als so sperrig, dass sie nicht nur die Grenze des politisch

6

Vorwort

Sinnvollen, sondern auch des rechtlich Möglichen überschreiten. Das GKV-WSG ist ein solches Gesetz. Die Ausführungen beruhen im Kern auf den Verfassungsbeschwerden, die ich für 24 Unternehmen der PKV-Branche und im Namen von 10 Privatversicherten im März dieses Jahres in Karlsruhe eingelegt habe. Die Antwort des Gerichts steht noch aus. Bonn, im Juli 2008

Gregor Thüsing

Inhaltsverzeichnis I. Die Neuregelungen des GKV-WSG im Hinblick auf das Recht der privaten Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung nach bisherigem Recht

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a) Organisation der Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

b) Abschlussfreiheit bei enger aufsichtsrechtlicher und vertragsrechtlicher Regulierung des Vertragsinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

c) Risikoäquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

d) Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch den Versicherer . . . . . . . . . . . . .

17

e) Alterungsrückstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

aa) Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

bb) Verbleiben der Alterungsrückstellung bei Ausscheiden aus dem Kollektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Konsequenzen der Vererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

dd) Wirtschaftstheoretische Erklärung der Vererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

f) Der (frühere) Standardtarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

2. Die Bedeutung der PKV im System der sozialen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

3. Die gesetzlichen Neuregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

a) Pflicht zur Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

b) Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

aa) Standardisierter Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

bb) Genereller Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

cc) Zeitlich beschränkter Kontrahierungszwang zugunsten von Altkunden . .

29

dd) Wechselmöglichkeit in den Basistarif innerhalb desselben Versicherungsunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

ee) Verbot von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen . . . . . . . . . . . . . . .

29

ff) Begrenzungen der Prämienhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

gg) Risikoausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

hh) Umlage der Mehraufwendungen des Basistarifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

ii) Versorgung der Versicherten und Vergütung der Ärzte und Zahnärzte . . .

31

8

Inhaltsverzeichnis c) Öffnung des Standardtarifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

d) Ausschluss jeder Kündigungsmöglichkeit bei Verträgen zur Erfüllung der Pflicht zur Versicherung – „Notversorgung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

e) Portabilität der Alterungsrückstellungen bei einem unternehmensinternen Tarifwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

f) Portabilität bei einem Unternehmenswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

aa) Neuverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

bb) Altverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

g) Anspruch auf Abschluss einer Zusatzversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

h) Zahlungen des Bundes an die gesetzliche Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . .

36

i) Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze

36

j) Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

a) Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

aa) Fehlende Kostendeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

bb) Massive Beeinträchtigung des Geschäftsmodells der PKV . . . . . . . . . . . . . .

39

(1) Der Basistarif bietet keine langfristige Perspektive für die Unternehmen der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Fremdbestimmtheit des Leistungsspektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Höhere Kosten bei gleichem Leistungsangebot wie die GKV . . . (c) Belastung der Normaltarife durch fehlende Kostendeckung . . . . (d) Unattraktivität des Basistarifs für durchschnittlich gesunde Neuzugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

(2) Unterschiede zum bisherigen Standardtarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

(3) Mittel- und langfristige Zerstörung des Geschäftsmodells der PKV

44

b) Modifizierter Standardtarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

c) Fehlende Kündigungsmöglichkeit / Notversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

d) Portabilität der Alterungsrückstellungen im Neukundenbereich . . . . . . . . . . . . .

49

aa) Beitragserhöhung aufgrund der Reduzierung der Stornoquote . . . . . . . . . .

49

bb) Verstärkte Risikoselektion als Folge der Portabilität der Alterungsrückstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(1) Modelle zur Portabilität der Alterungsrückstellungen . . . . . . . . . . . . . . (a) Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mitgabe einer individuellen Alterungsrückstellung . . . . . . . . . . . . .

50 51 52

(2) Risikoselektion als Folge des im GKV-WSG eingeschlagenen Weges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

40 40 40 42

Inhaltsverzeichnis

9

(3) Folgen der Risikoselektion für die Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

(4) Folgen der Risikoselektion für die Versicherungsunternehmen . . . . .

55

(5) Folgen für den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

(6) Folgen für den privaten Krankenversicherungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . .

57

(7) Prognosesicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

e) Portabilität der Alterungsrückstellungen im Altkundenbereich . . . . . . . . . . . . . .

58

aa) Risikoselektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

bb) Unberechenbare Umwälzungen des Versicherungsmarktes . . . . . . . . . . . . .

59

cc) Prämienmindernde Berücksichtigung der Stornowahrscheinlichkeit . . . .

60

dd) Faktische Unmöglichkeit der Berechnung des Übertragungswertes gemäß § 13a Abs. 2 KalV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

f) Zahlungen an die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

g) Dreimaliges Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

h) Wahltarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

aa) Das Angebot der PKV und die Konkurrenz durch die Wahltarife . . . . . . .

63

(1) Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

(2) Besondere Therapierichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

(3) Krankengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

bb) Einführung von Wahltarifen durch die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

cc) Wettbewerbsvorteile der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

(1) Geringere Regulierung der Beitragskalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einführung von Tarifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Folgen bei Unterkalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Anreizeffekte für die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66 67 68 69

(2) Geringere Regulierung der Beitragsanpassung und Kündigung . . . . .

70

(3) Bindung an die GKV durch Pflichtmitgliedschaft sowie Zugang zu Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

(4) Sonstige Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

dd) Entsolidarisierung in der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

II. Verfassungsrechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

1. Formelle Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

a) Die unmittelbar die PKV betreffenden Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

aa) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

(1) Pflicht zur Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

(2) Kontrahierungszwang zur Versicherung im Basistarif . . . . . . . . . . . . . .

79

10

Inhaltsverzeichnis (3) Verpflichtung zum Angebot eines Basistarifs / Fremdbestimmung der Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

(4) Verbot individueller Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse / Risikoausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(5) Leistungspflicht auch für bestehende Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

(6) Prämienbegrenzungen im Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

(7) Kündigungsausschluss / Notfallversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

(8) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Wahltarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Materielle Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

a) Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Grundrechte der Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(1) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Begünstigung freiwillig gesetzlich Versicherter . . . . . . . . . . . (bb) Generelle Höchstgrenze bei durchschnittlichem GKVHöchstsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Individuelle Höchstgrenze bei halbem GKV-Höchstsatz . . (dd) Unverhältnismäßige Indienstnahme Privater unter Ausschaltung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Insbesondere: Zwang zur Aufnahme von Personen, die wegen Täuschung, Drohung oder vorsätzlicher Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht ihren Versicherungsschutz verloren haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ff) Fremdbestimmung des Leistungsumfangs durch den Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 90 90 91 91 93 94 95

97 97

(2) Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Grundrechte der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (3) Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Modifizierter Standardtarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhaltsverzeichnis

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c) Kündigungsmöglichkeit / Notversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Vereinigungsfreiheit von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit . . . 107 (1) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (3) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Vereinigungsfreiheit der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 d) Portabilität im Neukundenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (2) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ungeeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fehlende Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Unangemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Schwerwiegende Beeinträchtigung der berufsbezogenen Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Schwerwiegende faktische Folgen für bestimmte Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Gefährdung der dauernden Erfüllbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Keine langfristige Absicherung des Krankheitsrisikos in den Normaltarifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Allenfalls minimale Förderung des Wettbewerbs im (Neu-) Bestandskundenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 109 111 112 112 114 114 114 115

bb) Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 cc) Grundrechte versicherungswilliger Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 e) Portabilität im Altkundenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Grundrechte der Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Kein Eigentum der Versicherungsnehmer an der Alterungsrückstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (α) Die Alterungsrückstellung als Bilanzposten ist kein Objekt des Eigentumsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (β) Die geschaffenen Vermögenswerte (Aktiva) als Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (γ) Fehlende Individualisierbarkeit der nach dem bisherigen System aufgebauten Alterungsrückstellung . . . . . . . (δ) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116 116 116 117 117 117 118 121

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Inhaltsverzeichnis (bb) Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (α) Eignung und Angemessenheit hinsichtlich der Ziele? (β) Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (γ) Änderung der Stornowahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . (δ) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121 122 122 124 124

(2) Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (3) Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (b) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (4) Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Verpflichtung zu der faktisch nicht durchführbaren Berechnung des Übertragungswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Grundrechte der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (3) Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 f) Zahlungen des Bundes an die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 1 GG hinsichtlich Privatversicherter mit Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (1) Die Finanzierung der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder als Zweck der Zahlungen an die GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (2) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (3) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Grundrechte der Versicherungsunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 i.V. m. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 cc) Hilfsweise: Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung auch bei anderer Zweckrichtung der Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 g) Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze . . 136 aa) Allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Beschäftigten . . . . . . . . . . . 136 bb) Berufsfreiheit der privaten Krankenversicherungsunternehmen . . . . . . . . . 140 h) Wahltarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Chancengleichheit im Wettbewerb, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vergleich Wahltarife – Zusatzversicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vergleich PKV-Vollversicherung – GKV-Versicherung inklusive Wahltarifen für freiwillig Versicherte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vergleich PKV-Vollversicherung – GKV-Versicherung inklusive Wahltarifen für Pflichtversicherte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142 142 143 143

(2) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (a) Betroffenheit von Freiheitsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Inhaltsverzeichnis

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(b) Personen- oder Verhaltensbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (c) Betroffenheit von natürlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (3) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Gründe zur unterschiedlichen Ausgestaltung von PKV und GKV in der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Gewichtungen in der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Schutz vor Wettbewerb der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Eingriffe in die Rechte der Leistungserbringer . . . . . . . . . . . . (c) Grenzen der Unterscheidungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Personelle Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Sachliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Beschränkung der Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Rechtfertigung der ungleichen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Überschreitung in personeller Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Überschreitung in sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Überschreitung hinsichtlich der Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 146 147 147 147 148 148 148 149 150 150 152 152 154

bb) Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (1) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (2) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 i) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

I. Die Neuregelungen des GKV-WSG im Hinblick auf das Recht der privaten Krankenversicherung Nach langem politischen Ringen wurde am 30. 3. 2007 das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) verkündet (BGBl. I S. 378). Anders als es der Titel vermuten lässt, enthält das umfangreiche Gesetzeswerk neben Änderungen, die allein die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) betreffen, Änderungen, die die private Krankenversicherung (PKV) in Deutschland grundlegend umgestalten (Art. 43, 44, 45 GKV-WSG). Daneben enthält es Vorschriften, die die privaten Krankenversicherungsunternehmen mittelbar, aber gleichwohl massiv und existentiell betreffen. Es kommt zu einer grundlegenden Änderung im System der privaten Krankenversicherung in Deutschland. Art. 43 GKV-WSG, der die Änderungen des VVG enthielt, wurde zwischenzeitlich durch Art. 10 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23. 11. 2007 (BGBl. I S. 2631) aufgehoben, da im Zuge der VVG-Reform das VVG mit neuer Paragraphenzählung neu verkündet wurde. Die Regelungen des aufgehobenen Art. 43 GKVWSG sind inhaltsgleich in Art. 11 Abs. 1 des VVG-ReformG enthalten.

Im Hinblick auf die PKV wird es an gesetzestechnisch wenig prominenter, aber gleichwohl bedeutsamer Stelle zu Änderungen kommen. Im Herbst 2008 wird die Kalkulationsverordnung (KalV) geändert werden.1 Die Änderungen haben teilweise erhebliche Auswirkungen: Wie unten erläutert wird [I. 4. e)], schränkt der Verordnungsgeber die Effektivität der vom Gesetzgeber beschlossenen Neuregelungen in Teilbereichen ein, was für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Im Folgenden sollen zunächst das Geschäftsmodell der PKV unter den Rahmenbedingungen des bisherigen Rechts (unter I. 1.) und die Bedeutung der PKV innerhalb des Systems der sozialen Sicherheit in Deutschland (unter I. 2.) dargestellt werden. Danach werden die verfassungsrechtlich fragwürdigen gesetzlichen Neuregelungen erläutert (unter I. 3.). Schließlich werden die für die verfassungsrechtliche Beurteilung bedeutsamen faktischen Auswirkungen der Neuregelungen dargestellt (unter I. 4.). Die Änderungen durch das GKV-WSG sind teilweise schon am 1. 4. 2007 und 1. 7. 2007 und rückwirkend zum 2. 2. 2007 in Kraft getreten, teilweise treten sie erst am 1. 1. 2009 in 1 Die Änderungsverordnung war bei Redaktionsschluss noch nicht verabschiedet, ihr geplanter Inhalt aber bekannt. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die Änderungsverordnung gemäß dem vorliegenden Entwurf in Kraft treten wird.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG Kraft. Zur Erhöhung der Lesbarkeit werden die Paragraphen in ihrer durch das GKV-WSG bzw. das VVG-ReformG geänderten Fassung zitiert; soweit auf die Rechtslage vor der Reform Bezug genommen wird, wird dies durch den Zusatz „a. F.“ gekennzeichnet, selbst wenn die Vorschriften zum Teil aktuell noch in Kraft sind.

1. Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung nach bisherigem Recht a) Organisation der Versicherung Die Unternehmen der PKV versichern ihre Versicherten gegen das Risiko der Krankheit. Wie bei jeder Privatversicherung stehen hierfür im Wesentlichen zwei Organisationsformen zur Verfügung:1a Die Versicherung kann auf schuldrechtlicher und auf mitgliedschaftlicher Basis erfolgen. Im ersten Fall schließt ein Versicherungsnehmer mit einem Versicherer einen Versicherungsvertrag. Es liegt dann eine Versicherung auf Prämien vor. Das Versicherungsunternehmen ist in diesem Fall eine Aktiengesellschaft (vgl. § 7 Abs. 1 VAG). Im zweiten Fall tun sich Rechtssubjekte in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit zusammen, um ihre Risiken zu teilen und Schadensfälle aus einer gemeinsamen Kasse zu decken. Die mitgliedschaftliche Konstruktion der Versicherung kombiniert Versicherung und Mitgliedschaft. Sie beruht auf dem Gedanken der genossenschaftlichen Selbsthilfe. Auch Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit können, sofern die Satzung dies zulässt, ein Nichtmitgliedergeschäft betreiben, bei dem zusätzlich zum Mitgliedergeschäft Versicherungsverträge auf rein schuldrechtlicher Basis abgeschlossen werden. Der rechtsdogmatische und theoretische Unterschied zwischen den Versicherungsformen relativiert sich allerdings in der Praxis, da die Versicherungsvereine a. G. und Aktiengesellschaften miteinander in Konkurrenz stehen und daher am Markt vergleichbare Konditionen für die Versicherten anbieten. b) Abschlussfreiheit bei enger aufsichtsrechtlicher und vertragsrechtlicher Regulierung des Vertragsinhalts Nach bisherigem Recht können private Krankenversicherungsunternehmen über den Abschluss eines Versicherungsvertrages frei entscheiden. Insbesondere können sie einen Vertragsschluss ablehnen, wenn das Krankheitsrisiko des Bewerbers unkalkulierbar hoch ist. Als gewissermaßen mildere Mittel zur gänzlichen Ablehnung des Vertragsschlusses können die Parteien nach § 178g Abs. 1 S. 2 VVG a. F. einen angemessenen Risikozuschlag oder einen Leistungsausschluss vereinbaren. Der Freiheit hinsichtlich des „Ob“ des Vertragsschlusses steht eine weitgehende aufsichtsrechtliche und vertragsrechtliche Regulierung hinsichtlich des Vertragsinhaltes gegenüber (vgl. §§ 178a ff. VVG a. F., § 12 VAG). Dies gilt insbesondere für die substitutive Krankenversicherung. 1a

Zu den Grundlagen siehe K. Schmidt, § 42.

1. Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung nach bisherigem Recht

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c) Risikoäquivalenz Tragendes Prinzip der PKV in der Beitragskalkulation ist das Äquivalenzprinzip.2 Es besagt, dass über die gesamte Vertragsdauer hinweg der Barwert aller Beitragszahlungen dem Barwert aller Leistungsausgaben entspricht, und zwar für jede Gruppe von Versicherten, die durch gemeinsame Risikomerkmale und Leistungsinhalte ein zusammengehöriges Kollektiv bilden.3 Das Risiko in der PKV wird im Wesentlichen bestimmt durch die Alters- und Geschlechtsabhängigkeit des Krankheitskostenwagnisses, die Lebenserwartung und das Niveau der abzusichernden Gesundheitsleistungen und -kosten. Normativ festgeschrieben wird das Äquivalenzprinzip durch § 12 Abs. 1 Nr. 1 VAG und § 10 Abs. 1 KalV. Bei vorhersehbar überdurchschnittlich hohen Risiken besteht zum Schutz des Kollektivs die Möglichkeit zur Vereinbarung von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen (§ 178g Abs. 1 S. 2 VVG a. F.). Hierdurch werden die im unterschiedlichen Gesundheitszustand zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen individuellen Risiken für alle Mitglieder des Kollektivs auf ein homogenes Risikoniveau normiert.4 Der PKV fremd ist eine Bemessung der Prämien nach dem Einkommen, wie sie in der GKV herrscht. Dies wäre mit dem Prinzip der Risikoäquivalenz nicht zu vereinbaren, da das Krankheitsrisiko nicht vom Einkommen abhängt.

d) Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch den Versicherer Gemäß § 178i Abs. 1 S. 1 VVG a. F. ist in der substitutiven Krankenversicherung die ordentliche Kündigung durch den Versicherer ausgeschlossen. Auch Prämienerhöhungen wegen nachträglicher Erhöhung des individuellen Krankheitsrisikos sind ausgeschlossen.5 Der Versicherer bzw. die Versichertengemeinschaft, nicht der Versicherte, trägt also das Risiko einer später eintretenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Damit wird dem Bedürfnis der Versicherten nach langfristiger, in der Regel lebenslanger Absicherung des existentiellen Krankheitsrisikos Rechnung getragen. Erst hierdurch wird die PKV zu einer der GKV in ihrer Bedeutung gleichwertigen Form der sozialen Absicherung.

2 Vgl. BVerfG v. 4. 2. 2004 – BvR 1103 / 03, VersR 2004, 898, 899; Beckmann / MatuscheBeckmann, § 44 Rn. 11; Prölss, VAG, § 12 Rn 3. 3 Abschlussbericht der VVG-Kommission v. 19. 4. 2004, S. 141; Boetius, VersR 2001, 661, 663; Meier / Baumann / Werding, S. 9. 4 Boetius, VersR 2001, 661, 668. 5 Prölss, VVG, § 178g Rn. 15.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

e) Alterungsrückstellungen Die Krankheitskosten steigen statistisch mit dem Lebensalter erheblich an.6 Dieser Umstand würde bei korrekter versicherungsmathematischer Prämienberechnung, die nach Alterskohorten getrennt vorgenommen wird, dazu führen, dass die Prämien im Alter massiv ansteigen. Schon seit langem bilden die privaten Versicherungsunternehmen daher sogenannte Alterungsrückstellungen. Sie sollen einen gleichmäßigen Prämiensatz über den gesamten Versicherungsverlauf hinweg dadurch sicherstellen, dass ein bestimmter Anteil der Prämie nicht für die Deckung der Krankheitskosten verwendet, sondern angespart und verzinst wird. Dieser Anteil wird im Alter dafür verwandt, die durch die altersbedingten Krankheitskosten entstehenden Mehrausgaben des Versicherers zu decken. Die Beiträge können deshalb grundsätzlich auch im Alter auf konstant gleichem Niveau gehalten werden, indem die Alterungsrückstellungen im Versicherungsverlauf abgeschmolzen werden.7 aa) Rechtliche Rahmenbedingungen Die Bildung von Alterungsrückstellungen ist in der substitutiven Krankenversicherung gesetzlich vorgeschrieben (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 VAG, § 341f Abs. 3 HGB). Bilanzierungstechnisch gehören die Alterungsrückstellungen als Unterform der versicherungstechnischen Rückstellungen (§§ 341e ff. HGB) zu den Passiva. Rückstellungen sind Bilanzposten für ungewisse Verbindlichkeiten, also wirtschaftliche Verpflichtungen, die dem Grunde nach, hinsichtlich des Auszahlungszeitpunktes oder der Höhe nach noch nicht bestimmt sind. Bei der Alterungsrückstellung, die eine spezielle Form der Deckungsrückstellung ist (§ 341f Abs. 3 HGB), geht es um die zukünftigen Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zur Tragung der Krankheitskosten. Weitere wichtige versicherungstechnische Rückstellungen sind die Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle (§ 341g HGB) und die Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB, § 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB). Nach §§ 66 ff. VAG müssen Versicherungen einen bestimmten Teil ihrer Aktiva zu Sicherungsvermögen erklären. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass Ansprüche der Versicherten durch ein hinreichend großes Vermögen gesichert sind, das besonderen Sicherungsvorschriften unterliegt. Der Mindestumfang des Sicherungsvermögens ist in § 66 Abs. 1a VAG geregelt. Es muss mindestens der Summe der in den Nr. 1 bis 6 aufgeführten Bilanzposten entsprechen. Zu diesen Bilanz6 Nach Boetius, VersR 2001, 661, 663 (mit Verweis auf Daten des Bundesversicherungsamtes [Fn. 14]), verursacht ein 90-Jähriger ca. neunmal so hohe Krankheitskosten wie ein Mensch in jungen Jahren. Detaillierte Kopfschadensstatistiken, die nach Geschlecht und Alter differenzieren, finden sich bei Meier / Baumann / Werding, Anh. A, S. 309 ff. 7 Vgl. zu den Alterungsrückstellungen generell etwa Boetius, VersR 2001, 661 ff.; Prölss, VAG, § 12 Rn 20 ff.

1. Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung nach bisherigem Recht

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posten gehört gemäß Nr. 2 auch die Deckungsrückstellung, in der Krankenversicherung also die Alterungsrückstellung. Für die Lebensversicherung, die private Pflegepflichtversicherung und die substitutive Krankenversicherung gelten nach § 79 VAG die besonders strengen Schutzvorschriften der §§ 70 bis 76 VAG. Danach ist zur Überwachung des Sicherungsvermögens ein Treuhänder zu bestellen, § 70 VAG. Nach § 72 VAG kann über Gegenstände des Sicherungsvermögens nur mit Zustimmung des Treuhänders verfügt werden. bb) Verbleiben der Alterungsrückstellung bei Ausscheiden aus dem Kollektiv Nach bisherigem Recht ist die Alterungsrückstellung unwiederbringlich dem Versichertenkollektiv zugeordnet. Scheidet der Versicherungsnehmer aus dem Kollektiv aus, bevor er in das Alter gekommen ist, in dem statistisch betrachtet die gesammelten Alterungsrückstellungen wegen höherer Krankheitskosten kontinuierlich aufgebraucht werden, erhält er nicht etwa die Teile der Prämie, die auf die Alterungsrückstellung entfallen, ausgezahlt; vielmehr verbleibt der Betrag dem Kollektiv – es kommt zur allgemein ungenau so genannten „Vererbung“. Der Begriff der „Vererbung“ ist zur Verdeutlichung der fehlenden Portabilität üblich, vgl. Bürger, VW 2004, 1253; Kalis, VersR 2001, 11, 13; Meier / Baumann / Werding, S. 10; Timmer, VW 1988, 197, 199. Dennoch ist er ungenau und juristisch unpräzise, ja fehlerhaft: Beim Erbfall im juristischen Sinne geht es um den Wechsel einer Vermögensposition von einem Rechtssubjekt zum anderen. Bei der hier sog. „Vererbung“ geht es gerade um den Verbleib der Alterungsrückstellungen beim Versicherer und den fehlenden Wechsel des Rechtssubjekts. Wegen seiner Üblichkeit wird der Begriff jedoch auch im Folgenden verwandt.

Dass der Versicherungsnehmer nach geltendem Recht keinen Anspruch auf Auszahlung der kalkulierten individuellen Alterungsrückstellung oder beim Versicherungswechsel auf Übertragung auf den neuen Versicherer hat, hat der BGH in einer Entscheidung 21. 4. 1999 mit ausführlicher Begründung anerkannt.8 Etwas anderes gilt gemäß ausdrücklicher gesetzgeberischer Entscheidung im Falle des Tarifwechsels innerhalb desselben Versicherungsunternehmens. Nach § 178f Abs. 1 S. 1 VVG a. F. kann der Versicherungsnehmer bei bestehendem Versicherungsverhältnis vom Versicherer verlangen, dass dieser Anträge auf Wechsel in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt. Die damit verbundene Individualisierung der Alterungsrückstellung ist hinnehmbar, weil die Alterungsrückstellung immerhin noch beim selben Versicherer bleibt und der Versicherer keine Risikoselektion vornehmen kann. § 178f VVG a. F. dient dazu, älteren Versicherten bei Schließung ihres Tarifs für Neukunden die Möglichkeit zu eröffnen, dadurch bedingten Kostensteigerungen zu entgehen.9 8

BGH v. 21. 4. 1999 – IV ZR 192 / 98, BGHZ 141, 214.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

cc) Konsequenzen der Vererbung Unmittelbare Konsequenz der Vererbung nach der bisherigen rechtlichen Gestaltung ist es, dass die Prämien insgesamt günstiger sind als bei einer Gestaltung, die eine Auszahlung der kalkulierten individuellen Alterungsrückstellung bei vorzeitigem Verlassen des Kollektivs verlangt. Die dem Kollektiv zugute kommenden Alterungsrückstellungen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Kollektiv ermöglichen niedrigere Prämien. Dass vorzeitiges Ausscheiden aus dem Kollektiv prämienmindernd zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 KalV i.V. m. § 5 KalV a. F.: Zu den Rechnungsgrundlagen gehört danach auch die Ausscheideordnung, die die Annahmen zur Sterbewahrscheinlichkeit und sonstigen Abgangswahrscheinlichkeit enthält. Zu den Abgangswahrscheinlichkeiten gehört auch die Stornowahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung durch den Versicherungsnehmer.10 Mittelbare Konsequenz der Vererbung ist eine stärkere Bindung des Versicherten an das Kollektiv.11 Nach der bisherigen rechtlichen Gestaltung ist der Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen ab einer gewissen Dauer der Versicherungszugehörigkeit nämlich mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden. Die Ursache liegt in Folgendem: Je höher das Eintrittsalter eines Versicherten ist, desto höher ist die Prämie. Grund dafür ist das steigende Krankheitsrisiko, das noch nicht durch Alterungsrückstellungen kompensiert wird, eben weil der Versicherte bislang noch keine Zahlungen auf die Alterungsrückstellungen geleistet hat. Wechselt ein Versicherter also in fortgeschrittenem Alter das Versicherungsunternehmen, kommt es zu einer erhöhten Belastung. In seinem alten Versicherungsverhältnis hatte er durch Zahlung des Rückstellungsteils seiner Prämie für das Alter vorgesorgt. Diese Vorsorge kommt ihm aufgrund der Beendigung des Vertrages nicht mehr zugute. In seinem neuen Versicherungsverhältnis konnte er noch keine Vorsorgeleistungen erbringen und muss daher höhere Prämien leisten. Mit zunehmender Dauer des Versicherungsverhältnisses und steigendem Alter wird der Wechsel des Versicherungsunternehmens daher wirtschaftlich immer unattraktiver. Faktisch führt dies dazu, dass Versicherungsnehmer von ihrem Recht zur ordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrags (§ 178h VVG a. F.) ab einem bestimmten Zeitpunkt nur sehr selten Gebrauch machen. Dieser Zusammenhang lässt sich empirisch bei den Unternehmen, die Verfassungsbeschwerde gegen das GKV-WSG eingelegt haben, nachweisen. Anschaulich zeigen dies die Daten eines großen deutschen Versicherungsunternehmens zum Storno in Abhängigkeit von der Laufzeit des Vertrages in den Jahren 2004 bis 2006, die in der folgenden Grafik dargestellt sind. 9 BT-Drucks. 12 / 6959 S. 105. Zu Kostensteigerungen kann es trotz Bildung der Alterungsrückstellung kommen, wenn sich etwa die Lebenserwartung oder die Gesundheitskosten stärker erhöhen als vorhergesehen. 10 Meier / Baumann / Werding, S. 10. 11 Vgl. nur Beutelmann in: Scholz / Meyer / Beutelmann, S. 88.

1. Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung nach bisherigem Recht

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20.000 18.000 16.000

Anzahl Personen

14.000 12.000 10.000

Storno

8.000 6.000 4.000 2.000 0 1

2

3

4

5

6

7

8

9

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16

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20

Laufzeit in Jahren

Storno in Abhängigkeit von der Laufzeit (2004 – 2008)

Dieser Effekt ist für die PKV in ihrer bisherigen Gestalt – aber, wie unten dargelegt werden wird [s. Abschnitt I. 4. c)], auch für die PKV nach dem GKV-WSG – von eminent wichtiger Bedeutung: Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts für Versicherer bietet dem Versicherungsnehmer die sozial notwendige Sicherheit vor dem individuell nicht zu handhabenden Krankheitsrisiko. Das Kollektiv muss die Krankheitskosten auch dann tragen, wenn aufgrund nachträglicher Entwicklungen feststeht, dass die Prämien die Krankheitskosten weit unterschreiten, der Versicherte also ein „schlechtes Risiko“ geworden ist. Das Kollektiv verkraftet diese Belastung nur, wenn und solange ihm genügend „gute Risiken“ angehören, deren Prämien die durchschnittlichen Krankheitskosten übersteigen. Verlassen zu viele gute Risiken das Kollektiv, steigt die Belastung der verbleibenden schlechten Risiken. Dieser Belastung kann das Kollektiv auch nicht durch Beendigung des Vertrages mit den schlechtesten Risiken entgehen, weil die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist.12 Unter Umständen bricht das Unternehmen zusammen, weil die Kosten nicht gedeckt werden können. Gute Risiken verlassen das Kollektiv, wenn sie bei einem anderen Unternehmen, das aufgrund welcher Umstände auch immer eine günstigere Risikostruktur aufweist und daher günstigere Prämien anbieten kann, einen für sie günstigeren Vertrag abschließen können. Schlechten Risiken steht diese Möglichkeit nicht offen, weil das andere Unternehmen einen Vertragsschluss entweder ganz ablehnen würde oder Risikozuschläge und / oder Leistungsausschlüsse zum Schutze des vorhandenen Kollektivs vereinbaren würde. Ist die Wechselmöglichkeit für den Versicherten weder rechtlich ausgeschlossen noch wirtschaftlich erschwert, kommt es zur sogenannten negativen Risikoselektion.13 Gute Risiken verlassen einen wegen schlechter Risikostruktur 12

Vgl. Meier / Baumann / Werding, S. 22.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

relativ teuren Tarif in Unternehmen A und wechseln in einen günstigeren Tarif in Unternehmen B. Hierdurch werden Prämienanpassungen in Unternehmen A notwendig, die noch mehr gute Risiken zu einem Wechsel zu Unternehmen B veranlassen. Diese Abwärtsspirale setzt sich fort, bis in Unternehmen A nur noch schlechte Risiken vorhanden sind, die dann sehr hohe Prämien zahlen müssen. Da Prämienanpassungen nur mit zeitlicher Verzögerung möglich sind, kann das betroffene Unternehmen in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Verbleiben dem Unternehmen nur noch schlechte Risiken mit extrem hohen Krankheitskosten, kann es zur Insolvenz kommen. dd) Wirtschaftstheoretische Erklärung der Vererbung Versteht man die Bildung der Alterungsrückstellung allein als einen Ansparprozess, durch den die mit dem Alter steigenden durchschnittlichen Krankheitskosten ausgeglichen werden, um einen Prämienanstieg zu verhindern, erscheint die Vererbung nicht gerechtfertigt: Statt den Ausgleich innerhalb der Krankenversicherung durch Bildung von Alterungsrückstellungen vorzunehmen, wäre es denkbar, die Krankenversicherungsprämien allein nach dem altersabhängigen Risiko zu kalkulieren, so dass die Prämien im Alter stark anstiegen. Der Versicherte könnte für diesen Fall vorsorgen, indem er neben dem Krankenversicherungsvertrag ein Sparguthaben aufbaut, in das er in jungen Jahren so viel einzahlt, dass er sich im Alter die höheren Prämien leisten kann. Bei dieser Betrachtungsweise erscheint es nicht nachvollziehbar, warum der Versicherte das aufgebaute Sparguthaben beim Verlassen des Kollektivs zurücklassen soll. In dieser Weise ist das Konzept der Alterungsrückstellungen nach bisherigem Recht aber nicht zu verstehen. Die Alterungsrückstellungen sind vielmehr als Versicherung gegen eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Alter anzusehen, nicht als Sparguthaben.14 Das Ansteigen der durchschnittlichen Krankheitskosten im Alter beruht auf zwei Ursachen: Zum einen verschlechtert sich der Gesundheitszustand aller Versicherten in einem gewissen Maße altersbedingt. Wäre der Anstieg der Krankheitskosten im Alter allein hierdurch bedingt, könnte durch einen einfachen Sparvertrag vorgesorgt werden. Das Ansteigen der Krankheitskosten im Alter ist aber keinesfalls gleichmäßig innerhalb des Versichertenbestandes verteilt. Vielmehr entwickeln einige Personen innerhalb ihres Lebens chronische Krankheiten oder werden durch Unfälle über einen langen Zeitraum heilbehandlungsbedürftig. Die Krankheitskosten dieser Personen liegen langfristig erheblich über dem Durchschnitt. Die Personen entwickeln sich von einem guten zu einem schlechten Risiko. Die Summe der von ihnen gezahlten Alterungsrückstellungen 13 Vgl. hierzu nur Bürger, VW 2004, 1253 ff.; Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission, BT-Drucks. 13 / 4945 S. 43; Kalis, VersR 2001, 11, 14; Meier / Baumann / Werding, S. 21; Prölss, VVG, § 178g Rn. 6; Zieschang, VW 2001, 1044, 1045. 14 Vgl. Meier, ifo Schnelldienst 16 / 2006, S. 22; Schoenfeldt, ZVersWiss 2002, 137, 151.

1. Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung nach bisherigem Recht

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genügt bei weitem nicht, um das Ansteigen ihrer individuellen Krankheitskosten zu decken. Juristisch sind die schlechten Risiken bei individueller Betrachtung davor geschützt, dass die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu höheren Prämien führt, weil der Versicherer das Versicherungsverhältnis nicht ordentlich kündigen und auch keine Anpassung der Prämien an ein individuell erhöhtes Risiko vornehmen darf. Tatsächlich sind sie aufgrund des oben dargestellten Selektionseffektes gegen Prämienerhöhungen nicht wirksam geschützt, sofern es entweder überhaupt keine Alterungsrückstellungen gibt oder diese als Sparguthaben dem einzelnen Versicherten individuell zugeordnet werden. Verlassen nämlich gute Risiken das Kollektiv und schließen sich einem anderen Kollektiv an, verändern sich die Rechnungsgrundlagen des zurückbleibenden Kollektivs, was den Versicherer zu einer Prämienanpassung berechtigt.15 Der Versicherte ist also vor einer Anpassung der Prämie an den individuellen Gesundheitszustand geschützt, nicht aber davor, dass er aufgrund von Risikoselektion in einem Kollektiv mit einem schlechten durchschnittlichen Gesundheitszustand zurückbleibt. Das Prämienrisiko, das juristisch auf individueller Ebene ausgeschlossen ist, kehrt auf kollektiver Ebene zurück.16 Das Gesagte soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Zwei 25-Jährige mit durchschnittlichem Gesundheitszustand schließen einen Krankenversicherungsvertrag ab. 20 Jahre später ist Versicherungsnehmer A immer noch durchschnittlich gesund; Versicherungsnehmer B hat einen Unfall erlitten, der Spätfolgen verursacht hat und dauerhaft zu hohen Krankheitskosten führt. A hat die Möglichkeit, sich einem neuen Kollektiv mit günstigerer Risikostruktur anzuschließen. B muss im alten Kollektiv verbleiben und höhere Prämien in Kauf nehmen. Hiergegen kann B sich durch Abschluss eines Sparvertrages nicht wirksam schützen. Die Sparprämien würden sich nämlich am durchschnittlichen Risiko eines gemischten Kollektivs orientieren, denn weder A noch B wissen im Alter von 25 Jahren, ob und wann sie zu einem schlechten Risiko werden. Die Prämiensteigerungen, die B hinnehmen muss, folgen aber gerade daraus, dass er in einem Kollektiv gefangen ist, dass überdurchschnittlich hohe Krankheitskosten aufweist. Sowohl A als auch B haben aber ein Interesse an langfristiger, in der Regel lebenslanger, bezahlbarer Absicherung gegen das Krankheitsrisiko. Realisieren ließe sich dies dadurch, dass auch der Versicherungsnehmer juristisch lebenslang an das einmal gewählte Kollektiv gebunden ist – eine Lösung, die das Recht nicht gewählt hat. Eine alternative Lösungsmöglichkeit bestünde darin, einen allgemeinen Kontrahierungszwang einzuführen. Jedes Kollektiv müsste dann auch schlechte Risiken aufnehmen, wodurch eine Risikoentmischung mit Auswirkungen auf die Prämien allenfalls kurzfristig Bestand haben könnte. Das bisherige System verzichtete auf solche weitgehenden Eingriffe in die Freiheit der Versicherungsunternehmer oder Versicherungsnehmer und war 15 Detailregelungen zur Prämienanpassung finden sich in den §§ 12b VAG, 14 KalV, 203 Abs. 2 VVG: Die Prämienanpassung setzt eine Abweichung der kalkulierten von den tatsächlichen Versicherungsleistungen voraus, die einen bestimmten Schwellenwert (auslösender Faktor) erreichen muss, der nach § 12b Abs. 2 S. 2 VAG 10 % nicht überschreiten, in den allgemeinen Versicherungsbedingungen aber niedriger angesetzt werden darf. Die Anpassung bedarf in formeller Hinsicht der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders. 16 Meier, ifo Schnelldienst 16 / 2006, S. 21.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG gleichwohl in der Lage, das Bedürfnis nach langfristiger Absicherung zu erfüllen. Das Instrument hierfür war das System der Alterungsrückstellung. Das System der Alterungsrückstellung hatte die Funktion einer Versicherung gegen das Risiko, zu einem schlechten Risiko zu werden.17 In der Krankenversicherung wurde also nicht nur das aktuelle Krankheitsrisiko auf das Kollektiv übertragen, sondern auch das Risiko einer langfristig wirksamen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Mit der Alterungsrückstellung wird also nicht ein individuelles Sparguthaben aufgebaut, sondern eine Versicherung gegen das Ansteigen des Krankheitsrisikos im Alter.18

Der Ansparprozess in der Krankenversicherung unterscheidet sich insofern grundlegend von demjenigen in der Lebensversicherung. In der Lebensversicherung führen individualisierte Sparprozesse über die gesamte Vertragslaufzeit zum kontinuierlichen Aufbau eines „Endguthabens“, das bei Tod oder Erleben zur Auszahlung kommt. In der Krankenversicherung werden dagegen durch den kollektiven Sparvorgang die künftigen, nach Grund und Höhe ungewissen Schäden vorfinanziert. „Sparziel“ ist in der Krankenversicherung nicht der individuelle Vermögensaufbau, sondern die gleichmäßige versicherungstechnische Verteilung des Krankheitskostenrisikos über die Lebensdauer des Versichertenkollektivs hinweg.19 Versteht man die Alterungsrückstellungen als Versicherung und nicht als individuelles Sparen, stellt die Vererbung keinesfalls eine sachlich nicht zu rechtfertigende Bereicherung des Kollektivs dar, sondern ist Ausdruck und Konsequenz des Versicherungscharakters der Alterungsrückstellung. Dass ein Versicherter, der in einem Jahr nicht krank geworden ist, nicht etwa seine Jahresprämie mit der Begründung zurückverlangen kann, er habe keine Kosten verursacht, leuchtet unmittelbar ein, da dies evident dem Wesen des Versicherungsvertrags widerspräche.20 Entsprechendes gilt bei den Alterungsrückstellungen: Der Versicherte hat sich mit dem Rückstellungsteil seiner Prämie gegen das künftige Risiko altersbedingt erhöhter Krankheitskosten versichert. Folglich kann er die Prämie auch nicht mit der Begründung zurückverlangen, dieses Risiko werde sich aufgrund vorzeitigen Ausscheidens nicht realisieren.21 Vgl. Meier, ifo Schnelldienst 16 / 2006, S. 21. Vgl. Schoenfeldt, ZVersWiss 2002, 137, 151: „Der Altersvorsorgeanteil des Beitrags zur Krankenversicherung ist mithin Risikoprämie zur Deckung eines aufgeschobenen Risikos.“ 19 Boetius, VersR 2001, 661, 668. Vgl. auch Zieschang, VW 2001, 1044, 1045: Einen Eigentumsansprüche begründenden individuellen Ansparvorgang wie in der Lebensversicherung gibt es in der Krankenversicherung nicht. Zieschang hält daher zu Recht den Begriff der „angesparten“ Alterungsrückstellung für irreführend. 20 Dass Vertragsgestaltungen existieren, die in begrenztem Maße Prämienerstattungen bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen zulassen, widerspricht dem nicht. Solche Vertragsgestaltungen sind nicht typisch für den Versicherungsvertrag, sondern widersprechen prinzipiell seinem Charakter und lassen sich durch andere Erwägungen rechtfertigen, etwa dem Ziel, Anreize zur Vermeidung der Inanspruchnahme von Leistungen zu setzen. 21 Vgl. Schoenfeldt, ZVersWiss 2002, 137, 151: „Niemand käme auf den Gedanken, bei einer Kündigung müsse der ,nicht verbrauchte Anteil an der Risikoprämie‘ erstattet werden! Aber ebenso wie die Gesamtheit aller Risikoprämien erst einen Risikoausgleich ermöglicht, 17 18

2. Die Bedeutung der PKV im System der sozialen Sicherheit

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f) Der (frühere) Standardtarif Nach § 257 Abs. 2a SGB Va. F. wurde der Beitragszuschuss für Beschäftigte nach § 257 Abs. 2 SGB V a. F. nur gezahlt, wenn das Versicherungsunternehmen einen brancheneinheitlichen Standardtarif anbot. Da von der Zuschussfähigkeit in erheblichem Maße die Attraktivität der Tarife abhängt, wurden die Krankenversicherungsunternehmen durch diese Regelung faktisch gezwungen, den Standardtarif anzubieten. Der Standardtarif zeichnet sich durch einen Leistungsumfang auf einem der GKV vergleichbaren Niveau sowie eine Begrenzung der Prämie auf den durchschnittlichen GKV-Höchstbetrag aus. Für Ehegatten galt eine Begrenzung von zusammen 150 % des durchschnittlichen GKV-Höchstbetrages. Der Zugang zum Standardtarif musste nur einem beschränkten Personenkreis, der in § 257 Abs. 2 Nr. 2, 2a, 2b und 2c SGB V genannt war, gewährt werden: Es handelte sich insbesondere um ältere Versicherte und bestimmte beihilfeberechtigte Personen mit Vorerkrankungen.

2. Die Bedeutung der PKV im System der sozialen Sicherheit In der privaten Krankheitskostenvollversicherung waren im Jahr 2005 8,373 Mio. Personen versichert. 17,088 Mio. Personen hatten eine private Zusatzversicherung. Die Beitragseinnahmen betrugen 27,35 Mrd. A; für Versicherungsleistungen wurden 17,30 Mrd. A ausgegeben, die Zuführungen zu den Alterungsrückstellungen betrugen ca. 9,56 Mrd. A. Insgesamt betrugen die Alterungsrückstellungen für den Bereich der Krankenversicherung im Jahr 2005 88,2 Mrd. A. Die PKV garantiert mithin für mehr als acht Millionen Einwohner Deutschlands die Absicherung im Krankheitsfall und erfüllt damit eine zentrale Funktion im System der sozialen Sicherheit Deutschlands. Die PKV versichert dabei keineswegs nur sogenannte „Besserverdienende“ – die es im Übrigen auch in der GKV gibt. Nur ein Achtel der Privatversicherten sind Angestellte, die in der GKV den Höchstbeitrag zu zahlen hätten. Die Hälfte der über 8,3 Millionen Vollversicherten sind Beamte und deren Familienangehörige – darunter der einfache und mittlere Dienst mit Durchschnittseinkommen von 2000 bis 2300 Euro brutto. Sehr heterogen ist die Lage bei den Selbständigen, deren Durchschnittseinkommen ebenfalls deutlich unter der Jahresarbeitsentgeltsgrenze liegt. Privatversicherte leisten einen überproportional hohen Finanzierungsbeitrag zum Gesundheitswesen. Der tatsächliche Umsatz, den Privatversicherte im Gesundheitswesen erzeugen, ist höher als derjenige, den sie bei hypothetischer Versicherung in der GKV erzeugen würden. Die Differenz, der sogenannte Mehrumsatz, resultiert zum einen daraus, dass Privatversicherte in vielen Bereichen, insbesondere in der ambulanten Versorgung, für die gleiche Leistung mehr zahlen sorgt die Gesamtheit aller in der Alterungsrückstellung angesammelten Altersvorsorgeanteile für eine gleichmäßige Entlastung.“

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

(Preiseffekt), zum anderen daraus, dass Privatversicherte in manchen Bereichen (z. B. stationäre Wahlleistungen) mehr Leistungen in Anspruch nehmen (Struktureffekt). Der Mehrumsatz lag im Jahr 2001 bei ca. 7,3 Mrd. A, 2002 bei ca. 8,1 Mrd. A, 2003 bei ca. 8,5 Mrd. A,22 2004 bei ca. 9,5 Mrd. A23, 2005 bei ca. 9,6 Mrd. A24 und 2006 bei ca. 9,7 Mrd. A.25 Beide Effekte des Mehrumsatzes kommen dem Gesundheitswesen insgesamt zugute. Viele Gesundheitsdienstleister könnten allein mit den Einnahmen aus dem Geschäft mit gesetzlich Versicherten keinen wirtschaftlichen Betrieb aufrechterhalten und sind auf die Einnahmen aus dem PKVBereich angewiesen. Viele kompetente Krankenhausärzte, die im Ausland über attraktive Beschäftigungsalternativen verfügen, können nur über die Möglichkeit zur Privatliquidation zum Verbleib an deutschen Kliniken bewegt werden. Die PKV ermöglicht damit nicht nur mittelbar ein niedrigeres Beitragsniveau in der GKV, sondern trägt auch erheblich zur Erhaltung eines fachlich hohen Niveaus in der medizinischen Versorgung bei. Über den Kreis ihrer Versicherten hinaus entfaltet die PKV somit Wirkung für das Sozialwesen der Bundesrepublik.

3. Die gesetzlichen Neuregelungen Im Folgenden sollen zunächst die die PKV betreffenden Regelungskomplexe dargestellt und in ihren einfachrechtlichen Kontext gestellt werden. a) Pflicht zur Versicherung Durch das GKV-WSG ist eine Pflicht zur Versicherung für den PKV-Bereich eingeführt worden, die in der vorliegenden Abhandlung nicht selbständig auf ihre Verfassungsmäßigkeit untersucht wird, aber Bedeutung für verschiedene andere Elemente der Neuregelung besitzt. § 193 Abs. 3 S. 1 VVG statuiert ab dem 1. 1. 2009 unter den dort genannten Bedingungen eine Pflicht zum Abschluss bzw. zur Aufrechterhaltung einer Krankheitskostenversicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen. Die Krankheitskostenversicherung muss mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfassen. Die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung müssen auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5000 A begrenzt sein. Das Gesetz begründet keine Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrages im Basistarif. Die Pflicht besteht gemäß § 193 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 – 4 VVG nicht für gesetzlich versicherte oder versicherungspflichtige Personen, beihilfeberechtigte Personen im 22 23 24 25

Niehaus / Weber, S. 139. Niehaus, WIP-Diskussionspapier 1 / 06, S. 15. Niehaus, WIP-Diskussionspapier 10 / 06, S. 15. Niehaus, WIP-Diskussionspapier 9 / 07, S. 16 f.

3. Die gesetzlichen Neuregelungen

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Umfang der jeweiligen Berechtigung, Personen mit Anspruch auf freie Heilfürsorge, Personen mit Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG und Personen, die schon vor dem 1. 1. 2009 bestimmte Leistungen nach dem SGB XII (Sozialhilfe) bezogen. Ein vor dem 1. 4. 2007 vereinbarter Krankheitskostenversicherungsvertrag genügt den Anforderungen an die Pflichtversicherung. Die Durchsetzung der Pflicht zur Versicherung erfolgt nicht durch öffentlich-rechtlichen Zwang, sondern mittelbar durch eine Verpflichtung zur Entrichtung von Prämienzuschlägen bei verspätetem Vertragsschluss (§ 193 Abs. 4 VVG). b) Basistarif Nach dem GKV-WSG muss ab dem 1. 1. 2009 in der privaten Krankenversicherung ein Basistarif auf dem Leistungsniveau der GKV angeboten werden, der sich durch einen Kontrahierungszwang bei gleichzeitigem Verbot von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen und einer Begrenzung der Prämienhöhe auszeichnet. Im Einzelnen gilt Folgendes: aa) Standardisierter Leistungsumfang § 12 Abs. 1a VAG verpflichtet Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welche die substitutive Krankenversicherung betreiben, zum Angebot eines branchenweit einheitlichen Basistarifs, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe den Pflichtleistungen der GKV jeweils vergleichbar ist. Die Konkretisierung des Leistungsumfangs obliegt dem durch § 12 Abs. 1d VAG beliehenen Verband der privaten Krankenversicherung. Die Fachaufsicht – nicht nur Rechtsaufsicht – übt das Bundesministerium der Finanzen aus. Dem Verband gehören aktuell 49 inländische Krankenversicherungsunternehmen an. Daneben gibt es noch ca. 35 kleine und kleinste private Krankenversicherungsvereine, die meist nur Zusatzleistungen anbieten. Ihr Anteil an den Beitragseinnahmen der gesamten Sparte Krankenversicherung beträgt unter 0,05 Prozent. Der Leistungsumfang der GKV, an dem sich die Leistungen im Basistarif zu orientieren haben, wird maßgeblich durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bestimmt. Der Gemeinsame Bundesausschuss konkretisiert über seine Richtlinien (§ 92 SGB V) die Leistungsverpflichtung der GKV gegenüber den Versicherten und den Leistungserbringern. Die Leistungsansprüche sind im Gesetz, §§ 27 ff. SGB V, nur sehr abstrakt beschrieben. Er setzt gemäß § 91 IX SGB V verbindliches Recht u. a. gegenüber den Versicherten, den Krankenkassen und den Leistungserbringern. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird als juristische Person des öffentlichen Rechts angesehen.26 Er steht unter der Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsminis26 Hess in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 91 SGB V Rn. 7; § 92 Rn. 4.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

teriums, § 91 X SGB V. Die Unternehmen der privaten Krankenversicherung oder der PKV-Verband sind im Gemeinsamen Bundesausschuss nicht vertreten. Der Basistarif muss Varianten für Kinder und Jugendliche (§ 12 Abs. 1a S. 2 Nr. 1 VAG) und beihilfeberechtigte Personen sowie deren berücksichtigungsfähige Angehörige (§ 12 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 VAG) enthalten. Dem Versicherten muss gemäß § 12 Abs. 1a S. 3 VAG die Möglichkeit eingeräumt werden, Selbstbehalte von 300, 600, 900 und 1200 A zu vereinbaren. Der Abschluss ergänzender Krankheitskostenversicherungen ist gemäß § 12 Abs. 1a S. 5 VAG zulässig. bb) Genereller Kontrahierungszwang § 12 Abs. 1b VAG statuiert aufsichtsrechtlich einen Kontrahierungszwang. Begünstigt sind folgende Personengruppen: 1. freiwillig gesetzlich Versicherte (§ 9 SGB V) innerhalb von sechs Monaten nach Einführung des Basistarifs, also bis zum 30. 6. 2009, oder innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der im SGB V vorgesehenen Wechselmöglichkeit (vgl. § 175 Abs. 4 SGB V), 2. alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die nicht gesetzlich versicherungspflichtig sind, deren Pflicht zur Versicherung nicht gemäß § 193 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 und 4 VVG ausgeschlossen ist und die ihre Pflicht zur Versicherung (§ 193 Abs. 3 VVG) nicht schon erfüllt haben, 3. beihilfeberechtigte Personen, soweit es zur Erfüllung ihrer Pflicht zur Versicherung notwendig ist, 4. alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die nach dem 31. 12. 2008 eine private Krankheitskostenversicherung mit einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen haben. Kurz gesprochen geht es also um freiwillig gesetzlich Versicherte, Personen, die ihrer Pflicht zur Versicherung noch nicht nachgekommen sind, und Privatversicherte, die ihren Vertrag nach dem 31. 12. 2008 abgeschlossen haben. Der Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrages darf vom Versicherer gemäß § 12 Abs. 1b S. 4 VAG nur abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Vertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hatte (Nr. 1) oder vom Vertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist (Nr. 2). Dem aufsichtsrechtlichen Kontrahierungszwang entspricht eine privatrechtliche Verpflichtung zugunsten der genannten Personen, die in § 193 Abs. 5 VVG festgelegt wird. Die Spiegelung aufsichtsrechtlicher Verpflichtungen in privatrechtlichen Normen, die Individualrechte verleihen, ist ein generelles Regelungsprinzip der die PKV betreffenden Normen des GKV-WSG bzw. des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts.

3. Die gesetzlichen Neuregelungen

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cc) Zeitlich beschränkter Kontrahierungszwang zugunsten von Altkunden Zugunsten von Altkunden der PKV sieht § 12 Abs. 1b S. 2 VVG ein zeitlich begrenztes Recht auf Wechsel in den Basistarif unter Mitnahme der Alterungsrückstellungen vor: Ist der private Krankheitskostenversicherungsvertrag vor dem 1. 1. 2009 abgeschlossen, kann bei Wechsel oder Kündigung des Vertrages der Abschluss eines Vertrages im Basistarif beim eigenen oder einem anderen Versicherungsunternehmen unter Mitnahme der Alterungsrückstellungen nach § 204 Abs. 1 VVG bis zum 30. 6. 2009 verlangt werden. Eine entsprechende privatrechtliche Regelung enthält § 193 Abs. 5 S. 2 VVG. Die Verpflichtung zur Mitgabe der Alterungsrückstellung folgt aus § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 b) VVG.

dd) Wechselmöglichkeit in den Basistarif innerhalb desselben Versicherungsunternehmens Gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG hat bei bestehendem Versicherungsverhältnis der Versicherte gegen die Versicherung einen Anspruch auf Wechsel in den Basistarif unter Mitnahme der Alterungsrückstellungen in drei Fällen: Neukunden können gemäß lit. a) immer wechseln. Altkunden können wechseln, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben oder vor dem 56. Geburtstag, wenn sie renten- oder ruhegehaltsberechtigt oder hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII sind [lit. b)]. Im Übrigen können Altkunden zwischen dem 1. 1. und dem 30. 6. 2009 wechseln [lit. c)].

ee) Verbot von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen Gemäß § 203 Abs. 1 S. 2 VVG darf im Basistarif mit Rücksicht auf ein erhöhtes Krankheitsrisiko weder ein Risikozuschlag noch ein Leistungsausschluss vereinbart werden. Nach S. 3 ist im Basistarif eine Risikoprüfung nur zulässig, soweit sie für Zwecke des Risikoausgleichs nach § 12g VAG oder für spätere Tarifwechsel im selben Unternehmen erforderlich ist.

ff) Begrenzungen der Prämienhöhe Die Prämienhöhe im Basistarif ist in zweifacher Weise begrenzt: Zum einen darf der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltstufen den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen, § 12 Abs. 1c S. 1 VAG. Der Höchstbeitrag errechnet sich aus dem allgemeinen Beitragssatz der Krankenkassen vom 1. Januar des Vorjahres und der Beitragsbemessungsgrenze. Im Jahr 2009 wird zur Berechnung des Höchstbei-

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

trages der allgemeine Beitragssatz der Krankenkassen vom 1. 1. 2009 zu Grunde gelegt. Der allgemeine Beitragssatz wird nach § 241 Abs. 1 SGB V in der ab dem 1. 1. 2009 geltenden Fassung durch die Bundesregierung nach Auswertung der Ergebnisse eines beim Bundesversicherungsamt zu bildenden Schätzerkreises durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates erstmalig bis zum 1. November 2008 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 in Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festgelegt. Eine Orientierung für den zu erwartenden Wert liefert die Bekanntmachung der vergangenen durchschnittlichen allgemeinen Beitragssätze der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 106 SGB VI. Nach der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 4. 4. 2007 liegt dieser vom 1. 7. 2007 bis 30. 6. 2008 bei 13,9 %. Rechnet man den Zusatzbeitrag gemäß § 241a SGB V (der ab 1. 1. 2009 aufgehoben wird) hinzu, kommt man auf einen Beitragssatz von 14,8 %. Die Beitragsbemessungsgrenze entspricht gemäß § 223 Abs. 3 SGB V der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V. Im Jahr 2008 liegt diese bei 43.200,00 A, monatlich also 3.600,00 A. Hieraus errechnet sich ein monatlicher Höchstbeitrag im Basistarif von 0,148  3.600 A = 532,80 A. Zum anderen vermindert sich gemäß § 12 Abs. 1c S. 4 VAG der Höchstbeitrag um die Hälfte, wenn allein durch die Zahlung des Beitrags nach § 12 Abs. 1c S. 1 oder 3 VAG Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII entsteht. Besteht auch bei einem verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit, beteiligt sich der zuständige Träger auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird, § 12 Abs. 1c S. 5 VAG. Besteht unabhängig von der Höhe des Beitrags Hilfebedürftigkeit, gilt gemäß § 12 Abs. 1c S. 6 VAG der Satz 4 entsprechend, der Höchstbeitrag vermindert sich also ebenfalls um die Hälfte. Der zuständige Träger zahlt den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der GKV zu tragen wäre. Dieser richtet sich nach § 232a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V (beitragspflichtige Einnahmen von Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen) i.V. m. § 246 SGB V (Beitragssatz für Bezieher von Arbeitslosengeld II). Der Beitragssatz nach § 246 SGB V beträgt für die Zeit vom 1. 1. 2007 bis zum 31. 12. 2007 gemäß der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 10. 11. 2006 13,3 %.27 Die beitragspflichtigen Einnahmen betragen den dreißigsten Teil des 0,3450-fachen der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV). Diese liegt in den alten Bundesländern ab dem 1. 1. 2007 bei 2.450 A.28 Daraus ergibt sich ein monatlicher Betrag von 2.450 A  0,345  0,133 = 112,42 A.

27 Abrufbar unter http: // www.bmg.bund.de / cln_041 / nn_769068 / DE / Themenschwerpunkte / Gesundheit / Gesetzliche-Krankenversicherung / Bekanntmachungen / Bktm246SGBV. html. 28 Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Übersicht Sozialversicherungswerte, Nr. 12 am Ende des 2. Bandes.

3. Die gesetzlichen Neuregelungen

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gg) Risikoausgleich Die Versicherungen, die einen Basistarif anbieten, müssen sich gemäß § 12g Abs. 1 VAG an einem von ihnen zu schaffenden Ausgleichssystem zum Ausgleich der Versicherungsrisiken im Basistarif beteiligen, das gemäß § 12g Abs. 2 VAG unter die Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gestellt wird. Die Risiken des Basistarifs werden also zumindest teilweise gepoolt [kein Ausgleich findet hinsichtlich des Ausfallrisikos bei Zahlungsverzug statt, siehe hierzu unten I. 5. c)]. Der Risikoausgleich erfasst nach dem Gesetzeswortlaut, der durch die Gesetzesbegründung gestützt wird, nur den Basistarif, da nur insoweit ein Kontrahierungszwang und ein standardisiertes Produktangebot bestehen.29 hh) Umlage der Mehraufwendungen des Basistarifs Die Mehraufwendungen des Basistarifs werden in unterschiedlicher Weise auf die Versichertengemeinschaft umgelegt. Mehraufwendungen, die im Basistarif auf Grund von Vorerkrankungen entstehen, werden auf alle im Basistarif Versicherten gleichmäßig verteilt (§ 12g Abs. 1 S. 3 Hs. 1 VAG; § 8 Abs. 1 Nr. 7 KalV). Mehraufwendungen, die durch die Begrenzung der Beitragshöhe gemäß § 12 Abs. 1c VAG entstehen, sind gemäß § 12g Abs. 1 S. 3 Hs. 2 VAG zunächst auf alle beteiligten Versicherungsunternehmen so zu verteilen, dass eine gleichmäßige Belastung dieser Unternehmen bewirkt wird. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV sind diese Belastungen auf alle in substitutiven Versicherungsverträgen Versicherten umzulegen. Kurz: Die Mehraufwendungen für Vorerkrankungen tragen nur die im Basistarif Versicherten, die Mehraufwendungen für Beitragsbegrenzungen tragen auch die Versicherten der anderen substitutiven Tarife. ii) Versorgung der Versicherten und Vergütung der Ärzte und Zahnärzte Gemäß § 75 Abs. 3a S. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die ärztliche Versorgung der im Basistarif Versicherten sicherzustellen. Über die Vergütung können gemäß § 75 Abs. 3b SGB V zwischen dem Verband der privaten Krankenversicherung und den Kassenärztlichen Vereinigungen oder Bundesvereinigungen Vereinbarungen mit Wirkung für alle privaten Krankenversicherer getroffen werden. In Ermangelung solcher Vereinbarungen können Vergütungen nach den Gebührenordnungen für Ärzte (GOÄ) und Zahnärzte (GOZ) verlangt werden, und zwar im Einzelnen für Leistungen nach Abschnitt M und Nr. 437 des Gebührenverzeichnisses der GOÄ (Laboratoriumsuntersuchungen) bis zum 1,16-fachen Satz, für Leistungen nach den Abschnitten A (Besondere Fälle), E (Physikalisch-medizinische Leistungen) und O (Strahlendiagnostik u. ä.) nach dem 1,38-fachen Satz und im Übrigen nach 29

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

dem 1,8-fachen Satz. Für zahnärztliche Leistungen kann der 2,0-fache GOZ-Satz verlangt werden. c) Öffnung des Standardtarifs Seit dem 1. 7. 2007 ist der schon bislang existierende Standardtarif nach § 257 Abs. 2a SGB V in modifizierter Form für bestimmte weitere Personengruppen geöffnet. § 315 Abs. 1 SGB V statuiert einen Kontrahierungszwang zugunsten von Personen, die weder gesetzlich versichert oder versicherungspflichtig sind, noch über eine private Krankheitskostenvollversicherung verfügen, noch beihilfeberechtigt sind, noch Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem SGB XII haben. Risikozuschläge dürfen nicht erhoben werden, § 315 Abs. 1 S. 3 SGB V. Der Beitrag darf gemäß § 315 Abs. 2 S. 1 SGB V den durchschnittlichen Höchstbetrag der GKV nicht überschreiten. Bei Hilfebedürftigkeit gelten die weiteren Beitragsbegrenzungen des Basistarifs entsprechend, § 315 Abs. 2 S. 2 SGB V. Nach § 315 Abs. 4 SGB V werden die Verträge ab dem 1. 1. 2009 auf den Basistarif umgestellt.

d) Ausschluss jeder Kündigungsmöglichkeit bei Verträgen zur Erfüllung der Pflicht zur Versicherung – „Notversorgung“ Gemäß § 206 Abs. 1 S. 1 VVG ist jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, durch die eine Pflicht zur Versicherung nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt wird, durch den Versicherer ausgeschlossen. Aus einem Gegenschluss aus § 206 Abs. 1 S. 2 VVG, in dem von der „ordentlichen“ Kündigung die Rede ist, ergibt sich, dass auch die außerordentliche Kündigung ausgeschlossen sein soll. Ist der Versicherungsnehmer mit der Zahlung von Prämien in Verzug, stellt das Versicherungsunternehmen gemäß § 193 Abs. 6 VVG unter den weiteren dort genannten Bedingungen das Ruhen des Versicherungsvertrages fest. Das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind oder wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII geworden ist. Während der Zeit des Ruhens haftet der Versicherer ausschließlich für Aufwendungen, die zur Behandlung akuter Krankheiten und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Nach der Gesetzesbegründung lehnt sich diese Regelung an das Asylbewerberleistungsgesetz an (vgl. § 4 AsylbLG).30

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Bericht des Gesundheitsausschusses, BT-Drucks. 16 / 4247 S. 68.

3. Die gesetzlichen Neuregelungen

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e) Portabilität der Alterungsrückstellungen bei einem unternehmensinternen Tarifwechsel Schon § 178 f. Abs. 1 VVG a. F. sah bei einem unternehmensinternen Tarifwechsel einen Kontrahierungszwang des Versicherers und die Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der (kalkulierten) Alterungsrückstellung aus dem alten Tarif vor. Die Alterungsrückstellungen waren insoweit also portabel. Der neue § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 1, 2, 3 VVG übernimmt diese Regelung; hinsichtlich der Mehrleistungen können Leistungsausschlüsse, Risikozuschläge und Wartezeiten vereinbart werden. Bei einem Wechsel aus dem Basistarif in einen anderen Tarif kann der Versicherer gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Hs. 4 VVG auch einen Risikozuschlag verlangen, der dem bei Vertragsschluss gemäß § 203 Abs. 1 S. 3 VVG ermittelten Risiko entspricht. Eine Obergrenze für einen solchen Zuschlag besteht nicht. Ein unternehmensinterner Wechsel aus einem anderen Tarif in den Basistarif unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellungen ist gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Hs. 5 VVG nur bei nach dem 1. 1. 2009 abgeschlossenen Neuverträgen (lit. a]), nach Vollendung des 55. Lebensjahres, bei Renten- oder Ruhegehaltsberechtigung, Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII oder bei Altverträgen zwischen dem 1. 1. und dem 30. 6. 2009 möglich.

f) Portabilität bei einem Unternehmenswechsel Bei einem Unternehmenswechsel waren die Alterungsrückstellungen bisher nicht portabel, sondern wurden an das Kollektiv vererbt. Durch das GKV-WSG werden die Alterungsrückstellungen portabel gemacht, soweit sie sich auf den Leistungsumfang des Basistarifs beziehen. Die Regelungen zur Portabilität sind gemäß § 204 Abs. 1 S. 3 VVG zwingend. Zu unterscheiden ist zwischen Neuverträgen (nach dem 1. 1. 2009) und Altverträgen. aa) Neuverträge Nach § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a) VVG kann bei einem nach dem 1. 1. 2009 abgeschlossenen Vertrag über substitutiven Krankenversicherungsschutz der Versicherungsnehmer vom Versicherer verlangen, dass dieser bei einer Kündigung des Vertrages und gleichzeitigem Abschluss eines Vertrages mit substitutivem Schutz bei einem anderen Versicherer die kalkulierte Alterungsrückstellung des Teils der Versicherung, dessen Leistungen dem Basistarif entsprechen (Basistarif-Alterungsrückstellung), an den neuen Versicherer überträgt. § 12 Abs. 1 Nr. 5 VAG unterstützt diese vertragsrechtliche Verpflichtung aufsichtsrechtlich: Die substitutive Krankenversicherung darf hinsichtlich des Neugeschäfts im Inland nur betrie-

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

ben werden, wenn in dem Versicherungsvertrag die Mitgabe des Übertragungswerts des Teils der Versicherung, dessen Leistungen dem Basistarif entsprechen, bei Wechsel des Versicherungsnehmers zu einem anderen privaten Krankenversicherungsunternehmen vorgesehen ist. Eine detaillierte Regelung zum Übertragungswert enthält § 13a Abs. 1 KalV, der nach Verabschiedung der Reform im Verordnungswege schon wieder geändert wurde. Der Übertragungswert errechnet sich danach aus der Summe der Alterungsrückstellung, die aus dem Beitragszuschlag nach § 12 Abs. 4a VAG entstanden ist, und der Alterungsrückstellung für die gekündigten Tarife, sofern diese insgesamt positiv ist, höchstens jedoch der Alterungsrückstellung, die sich ergeben hätte, wenn der Versicherte von Beginn an im Basistarif versichert gewesen wäre.31 Für Versicherte, die nicht im Basistarif versichert sind, ist der Höchstwert also ein fiktiver Wert. Bei Tarifen bzw. Tarifkombinationen mit einer niedrigeren Alterungsrückstellung stellt die tatsächliche kalkulatorische Alterungsrückstellung den Übertragungswert dar.32 Die Alterungsrückstellung als solche ist lediglich ein passivischer Bilanzposten. Die Angabe der Alterungsrückstellung in der Bilanz zeigt an, dass die Mittel, die für den Erwerb von Vermögenswerten (Aktiva) verwandt wurden, aus dem für die altersunabhängige Konstanz der Beiträge einkalkulierten Prämienanteil stammen und dass Vermögen in dieser Höhe zweckgebunden eben dieser Konstanz der Beiträge dient. Die Rede von der Übertragung „der Alterungsrückstellung“, die sich auch in § 204 VVG findet, ist daher verkürzt. Exakter ist die Formulierung „Übertragungswert“ (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 VAG, § 13a KalV): Dem neuen Versicherer wird vom alten Versicherer ein bestimmter Geldbetrag übertragen: Dies hat eine Vermögensminderung beim alten Versicherer und eine gleich hohe Minderung des Bilanzpostens „Alterungsrückstellung“ und entsprechende Erhöhungen beim neuen Versicherer zur Folge. Da die verkürzte Darstellung der Übertragung „der Alterungsrückstellung“ aber den Regelungsmechanismus und auch die dahinter stehenden wirtschaftlichen und versicherungstechnischen Vorgänge insgesamt im Wesentlichen zutreffend beschreibt, soll die Formulierung hier weiter verwendet werden, sofern es für die rechtliche Würdigung nicht gerade auf die exakte Wirkungsweise ankommt. Konsequenz der Portabilität in Neuverträgen ist, dass wegen der fehlenden Vererbung bei einem Wechsel innerhalb der PKV die Stornowahrscheinlichkeiten reduziert werden müssen. Für den Basistarif legt daher § 5 Abs. 2 KalV fest, dass außer den Sterbewahrscheinlichkeiten und dem Abgang zur GKV keine weiteren Abgangswahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden dürfen. In den anderen Ta31 § 13a Abs. 1 Nr. 2 S. 2 KalV, der in der Fassung durch das GKV-WSG nicht enthalten war, befasst sich mit der Finanzierung der Abschluss- und Vertriebskosten mittels der sogenannten Zillmerung. Die Zillmerung wirft im Zusammenhang mit der Portabilität der Alterungsrückstellungen besondere Probleme auf, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. 32 BT-Drucks. 16 / 3100 S. 209.

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rifen ist zwar auch das Storno bei einem Wechsel innerhalb der PKV zu berücksichtigen: Allerdings sind zum Ausgleich die Übertrittswahrscheinlichkeiten zur Berechnung des Übertragungswertes nach § 13a KalV zu berücksichtigen. Stornowahrscheinlichkeit und Übertrittswahrscheinlichkeit gleichen sich aus, soweit es um den Leistungsumfang des Basistarifs geht. Im Ergebnis wird also in den Normaltarifen im Umfang des Basistarifs die Stornowahrscheinlichkeit anders als nach bisherigem Recht nicht prämienmindernd berücksichtigt. bb) Altverträge Für Altverträge wird nur für einen Übergangszeitraum von sechs Monaten Portabilität der Basistarif-Alterungsrückstellungen hergestellt. Nach § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b) VVG haben Versicherte, deren Vertrag vor dem 1. 1. 2009 abgeschlossen wurde und die zwischen dem 1. 1. 2009 und dem 30. 6. 2009 ihren Vertrag zwecks Wechsels in den Basistarif eines anderen Versicherungsunternehmens kündigen, Anspruch darauf, dass ihr früherer Versicherer die kalkulierte Alterungsrückstellung des Teils der Versicherung, dessen Leistungen dem Basistarif entsprechen, an den neuen Versicherer überträgt. Für die Berechnung des Übertragungswertes gilt die Sonderregelung des § 13a Abs. 2 KalV. Unklar war, wie Verträge zu qualifizieren sein würden, die im ersten Halbjahr 2009 von Personen, die schon vor dem 1. 1. 2009 einen privaten Krankenversicherungsvertrag hatten, in Ausübung ihres zeitlich begrenzten Wechselrechts bei einem neuen Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden. Sind sie als Neuverträge mit portablen Alterungsrückstellungen oder als Altverträge anzusehen? Die gleiche Frage stellte sich bei einem unternehmensinternen Wechsel von einem Alttarif in einen Neutarif mit portablen Alterungsrückstellungen. Durch die Änderung der KalV sind diese Fragen nunmehr beantwortet: Die Verträge werden grundsätzlich wie Neuverträge behandelt. Nach Ausübung des zeitlich begrenzten Unternehmenswechselrechts ist ein erneuter Wechsel in den Basistarif eines dritten Unternehmens unter Mitnahme eines Übertragungswertes gemäß § 13a Abs. 5 KalV aber nur nach Ablauf von 18 Monaten möglich. § 13a Abs. 4 KalV bestimmt, dass nach einem unternehmensinternen Wechsel eines Altkunden in einen Tarif mit portablen Alterungsrückstellungen oder Neuabschluss eines solchen Tarifs bei einem anderen Unternehmen der Übertragungswert auf den Wert, der nach dem Wechsel in einen Tarif mit Übertragungswert aufgebaut wurde, beschränkt ist. Die Portabilität der Alterungsrückstellung im ersten Halbjahr 2009 gilt nur bei einem Wechsel in den Basistarif eines anderen Unternehmens. Aber kann der Wechsler nicht sofort ohne weiteres unter Anrechnung aller Vorteile, also einschließlich der mitgebrachten Alterungsrückstellung, unternehmensintern in einen Normaltarif wechseln? VVG und KalV machen hier zwei Einschränkungen: Zum einen kann der Versicherer bei einem Wechsel aus dem Basistarif in einen Normaltarif gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Hs. 4 VVG einen Risikozuschlag verlangen. Zum anderen – und diese Regelung wurde erst durch die jüngste Änderung der

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

KalV eingeführt – beschränkt sich die anzurechnende Alterungsrückstellung gemäß § 13 Abs. 1a KalV bei einem unternehmensinternen Wechsel aus dem Basistarif innerhalb der ersten 18 Monate auf die nach dem Wechsel in den Basistarif gebildete Alterungsrückstellung. Wer also im ersten Halbjahr 2009 als Altkunde von Unternehmen A von einem Normaltarif unter Mitnahme der Basistarif-Alterungsrückstellung in den Basistarif von Unternehmen B wechselt und gleich darauf unternehmensintern in einen Normaltarif von Unternehmen B wechselt, verliert die mitgebrachte Alterungsrückstellung.

g) Anspruch auf Abschluss einer Zusatzversicherung Wechselt ein Versicherungsnehmer aus einem Tarif, dessen Leistungen über die des Basistarifs hinausgehen, kann er gleichwohl nur die Übertragung des Teils der Alterungsrückstellungen verlangen, dessen Leistungen dem Basistarif entsprechen. Um zu vermeiden, dass dem Versicherungsnehmer der übrige Teil der Alterungsrückstellung verloren geht, legt § 204 Abs. 1 S. 2 VVG fest, dass der Versicherungsnehmer vom bisherigen Versicherer – nicht vom neuen Versicherer – die Vereinbarung eines Zusatztarifes verlangen kann, in dem die über den Basistarif hinausgehende Alterungsrückstellung anzurechnen ist.33

h) Zahlungen des Bundes an die gesetzliche Krankenversicherung Gemäß § 221 SGB V leistet der Bund an die GKV Geldzahlungen. Diese betragen in den Jahren 2007 und 2008 jährlich 2,5 Mrd. A. In den Folgejahren erhöhen sich die Zahlungen um jährlich 1,5 Mrd. A bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Mrd. A. Die Zahlungen dienen nach § 221 Abs. 1 S. 1 SGB V der „pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen“. Die Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen sollen nach § 221 Abs. 2 S. 2 SGB V auch Maßstab für die Verteilung der Leistungen innerhalb der GKV sein. Eine Definition des Begriffs der versicherungsfremden Leistungen findet sich in der Norm nicht. Subventionen an die PKV existieren nicht.

i) Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind Arbeitnehmer versicherungsfrei, wenn ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet und in drei aufeinander folgenden Kalenderjahren überstiegen hat. Die Versicherungs33 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der CDU / CSU- und der SPD-Fraktion, BTDrucks. 16 / 3100 S. 207.

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pflicht endet nach § 6 Abs. 4 S. 1 SGB V mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird. Vor diesem Zeitpunkt kommt für die betroffenen Personen eine Krankheitskostenvollversicherung in der PKV nicht in Betracht. Der Beurteilung wohnt ein Prognoseelement inne: Es genügt nicht die Überschreitung in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Das Entgelt muss auch die vom Beginn des nächsten Kalenderjahres an geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigen (§ 6 Abs. 4 S. 2 SGB V). Nach bisheriger Rechtslage bestand Versicherungsfreiheit ab dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Jahresarbeitsentgeltgrenze erstmalig überschritten wurde (§ 6 Abs. 4 SGB V a. F.). Nahm jemand erstmals eine Beschäftigung auf, in der er von vornherein die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritt, bestand von Anfang an keine Versicherungspflicht, sondern Versicherungsfreiheit.34 Arbeitnehmer, die am 2. 2. 2007 – dem Tag der zweiten Lesung des GKV-WSG im Bundestag – nach dem damals geltenden Recht wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei waren und eine private Krankheitskostenvollversicherung hatten oder zwecks Wechsel in die PKV ihre Mitgliedschaft bei einer gesetzlichen Krankenkasse gekündigt hatten, bleiben aus Vertrauensschutzgründen versicherungsfrei, auch wenn sie die Voraussetzungen der Neuregelung nicht erfüllen.

j) Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung § 53 SGB V sieht die verstärkte Einführung von Wahltarifen in der GKV vor. Dabei bestehen folgende Optionen: Vereinbarung eines Selbstbehalts (Abs. 1), Auszahlung einer Prämie bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen der Krankenkasse (Abs. 2), Sondertarife bei Teilnahme an bestimmten Versorgungsmodellen (Abs. 3 – z. B. Hausarztmodell), Tarife für Kostenerstattung (Abs. 4), Sondertarife für bisher nicht erstattete Arzneimittel (Abs. 5), Krankengeld (Abs. 6). Wahltarife nach Abs. 3 und 6 müssen die Kassen einführen, die übrigen können sie einführen. Die Mindestbindungsfrist für Wahltarife mit Ausnahme der Tarife für die Teilnahme an besonderen Versorgungsformen beträgt nach § 53 Abs. 8 SGB V grundsätzlich drei Jahre. § 53 Abs. 9 SGB V verlangt, dass die Aufwendungen für jeden Wahltarif aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen, die durch die Maßnahmen erzielt werden, finanziert werden. Die Krankenkassen haben regelmäßig, mindestens alle drei Jahre, über die Einsparungen gegenüber der Aufsichtsbehörde – dem Bundesversicherungsamt – Rechenschaft abzulegen. Gegenstand dieser Untersuchung sind die Wahltarife nach § 53 Abs. 4 bis 6 SGB V: Nach § 53 Abs. 4 SGB V können die gesetzlichen Krankenkassen in ihren Satzungen vorsehen, dass Mitglieder für sich und ihre mitversicherten Angehörigen Tarife für Kostenerstattung wählen. Die Krankenkassen können die Höhe der Kos34

Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 6 SGB V Rn. 13.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

tenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. In der Gesetzesbegründung wird als Beispiel hierfür die Kostenerstattung in Höhe des 2,3-fachen des Satzes nach GOÄ bzw. GOZ genannt.35 Nach § 53 Abs. 5 SGB V können die Kassen in ihrer Satzung die Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen regeln, die nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. Zu den besonderen Therapierichtungen gehören insbesondere die homöopathische, die phytotherapeutische und die anthroposophische Therapierichtung. 36 Nach § 53 Abs. 6 SGB V müssen die Krankenkassen Versicherten, die normalerweise keinen Anspruch auf Krankengeld haben, Tarife anbieten, die einen Anspruch auf Krankengeld entstehen lassen. Es geht also nach § 44 Abs. 2 SGB V um hauptberuflich selbstständig tätige Krankenkassenmitglieder, Arbeitnehmer, die nicht für mindestens sechs Wochen bei Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben, und Mitglieder nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz, also selbstständige Künstler und Publizisten. Diese Mitglieder zahlen ansonsten nur ermäßigte Beitragssätze nach § 243 Abs. 1 SGB V. Sie entscheiden also selbständig über ihre finanzielle Absicherung hinsichtlich entgangenen Arbeitsverdienstes und über den Zeitpunkt, wann diese eingreifen soll.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen Im Folgenden sollen die Auswirkungen der Neuregelungen auf das System der PKV im Zusammenhang dargestellt werden. Bei der rechtlichen Würdigung der einzelnen Regelungskomplexe (unter II.) wird dann auf die jeweilige Sachverhaltsdarstellung verwiesen. a) Basistarif aa) Fehlende Kostendeckung Der Basistarif wird unter keinen Umständen kostendeckend sein: Dies ergibt sich daraus, dass die Prämien für den Basistarif grundsätzlich kostendeckend gemäß den Vorschriften der KalV kalkuliert werden. Diese kostendeckenden Prämien unterliegen jedoch externen, gesetzlich vorgegebenen Begrenzungen, zum einen der allgemeinen Höchstgrenze, die unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten am Höchstbeitrag der GKV orientiert ist, zum anderen der individuellen Grenze, die bei Hilfebedürftigkeit besteht und die bei der Hälfte des Höchstbeitrages liegt. Sobald auch nur ein Versicherter, dessen Beitrag eigent35 36

BT-Drucks. 16 / 3100, S. 108. Wille / Koch, Rn. 388, in Anlehnung an das Arzneimittelgesetz.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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lich die Höchstgrenzen überschritte, die Kappung der allgemeinen Höchstgrenze oder der halbierten Höchstgrenze in Anspruch nimmt, ist der Basistarif nicht mehr kostendeckend, weil der Prämienausfall nicht innerhalb des Basistarifs ausgeglichen wird. Stattdessen erfolgt gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV eine Umlage auf alle Tarife der substitutiven Krankenversicherung. Die gesetzliche Neuregelung zwingt die privaten Krankenversicherungsunternehmen also zum Angebot eines nicht kostendeckenden Tarifs, sofern sie weiter überhaupt substitutiven Krankenversicherungsschutz anbieten wollen. Der dargestellte Effekt wird nicht etwa nur marginale Bedeutung haben, sondern einen erheblichen finanziellen Umfang erreichen und geradezu prägend für den Basistarif werden.37 Der Basistarif wird nämlich ausschließlich für sogenannte „schlechte Risiken“, also Personen mit einem hohen Krankheitsrisiko, attraktiv sein, da diese Personen in den übrigen Tarifen Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse hinnehmen müssten oder ein Vertragsschluss gänzlich abgelehnt würde.38 Die kostendeckend kalkulierten Prämien im Basistarif werden also hoch sein, was die Attraktivität des Basistarifs für gute Risiken weiter sinken lässt. Es kommt zu einer systembedingten Risikoselektion, die ihre Ursache darin hat, dass hinsichtlich des Basistarifs zwar ein Kontrahierungszwang des Versicherungsunternehmens besteht, aber keine korrespondierende Pflicht zur Versicherung, der auch gute Risiken unterliegen. Die neu eingeführte Pflicht zur Versicherung kann nämlich auch durch Abschluss eines Normaltarifs erfüllt werden. Pflicht zur Versicherung und Kontrahierungszwang sind also asymmetrisch ausgestaltet. Die Häufung schlechter Risiken im Basistarif führt dazu, dass die allgemeine und die individuelle Prämienhöchstgrenze in vielen Fällen erreicht werden. Der Basistarif wird zu einem Tarif mit erheblichem Quersubventionsbedarf. Die langfristig unvermeidliche Häufung schlechter Risiken im Basistarif führt dazu, dass der Tarif schon ab einem Eintrittsalter von ca. 30 Jahren bei insgesamt risikogerechter Kalkulation den GKV-Höchstbeitrag überschreiten wird. Für alle Personen, die in höherem Lebensalter eintreten, wird also die generelle Prämienbegrenzung eingreifen. Dies spiegelt sich bereits in der aktuellen Kalkulation des Basistarifs wider: Weibliche Versicherte im Basistarif ohne Selbstbehalt zahlen schon mit 25 Jahren kalkulatorisch mehr als den Höchstsatz der GKV. bb) Massive Beeinträchtigung des Geschäftsmodells der PKV Die Einführung des Basistarifs wird massive Auswirkungen auf das gesamte System der PKV haben. Der Basistarif wird sich auf das überkommene – und seit 37 Vgl. auch Pitschas, GesR 2008, 64, 71, der von einem „beträchtlichen Subventionsbedarf“ des Basistarifs spricht. 38 Boetius, VersR 2007, 431. Zu ersten Erfahrungen mit dem modifizierten Standardtarif, die diese Prognose stützen, siehe Handelsblatt vom 2. 1. 2008, S. 3 („Nur Kranke nutzen Rückkehrrecht in Privatversicherung“).

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

Jahrzehnten bewährte – Geschäftsmodell der PKV erheblich negativ auswirken und hat das Potential, das Geschäftsmodell gänzlich zu zerstören. Die Gründe für diese Annahme werden im Folgenden detailliert dargelegt. Die Entwicklungen werden nicht von heute auf morgen eintreten, sondern sich über einen mehrere Jahre bis Jahrzehnte währenden Zeitraum erstrecken. Dies liegt in der Natur der Sache begründet und ändert nichts an der Intensität und Bedeutung der Folgen: Die private Krankenversicherung ist auf langfristige, idealerweise lebenslange Absicherung angelegt. Sie hat diese Funktion in der Vergangenheit für Millionen Versicherte erfüllt.39 Eine Betrachtung der verfassungsrechtlich relevanten Auswirkungen des GKV-WSG muss daher langfristig angelegt sein. (1) Der Basistarif bietet keine langfristige Perspektive für die Unternehmen der PKV Der Basistarif ist für die PKV insgesamt kein tragfähiges Geschäftsmodell. (a) Fremdbestimmtheit des Leistungsspektrums Das Leistungsspektrum im Basistarif muss dem der GKV entsprechen und wird brancheneinheitlich festgelegt. Die klassischen PKV-Angebote sind aber gerade von einer Differenzierung auf der Leistungsseite geprägt. (b) Höhere Kosten bei gleichem Leistungsangebot wie die GKV Obwohl der Leistungsumfang des Basistarifs dem der GKV entsprechen muss, entstehen den PKV-Unternehmen hierfür höhere Kosten als den gesetzlichen Krankenkassen. Die Vergütungen nach § 75 Abs. 3a SGB V liegen über den Vergütungen, die Kassenärzte für identische Leistungen gegenüber Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen erhalten. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber offenbar den Interessen der Ärzte und Zahnärzte Rechnung tragen, die die bisherigen Vergütungsbegrenzungen im Standardtarif für zu niedrig hielten. In der Gesetzesbegründung zu § 75 Abs. 3a SGB V heißt es:40 „Die Höchstsätze nach Satz 2 liegen über den bisher für den brancheneinheitlichen Standardtarif in der PKV in § 5b GOÄ und § 5a GOZ vorgegebenen Vergütungshöchstsätzen. Damit wird der von Ärzten und Zahnärzten vorgebrachten Kritik an aus ihrer Sicht zu geringen privat(zahn)ärztlichen Honoraren für im brancheneinheitlichen PKV-Standardtarif versicherte (zahn)ärztliche Leistungen Rechnung getragen. Zudem können die Vertragspartner nach Absatz 3b den ihnen eingeräumten Gestaltungsspielraum zur vertraglichen Weiterentwicklung der Vergütungsstrukturen nutzen.“

Dass es dem Gesetzgeber ausdrücklich darum ging, den Ärzten bei der Behandlung von Basistarif-Versicherten höhere Vergütungen zu gewähren als bei gesetz39 40

Zur Bedeutung der PKV im System der sozialen Sicherheit s. o. I.2. BT-Drucks. 16 / 4247 S. 37.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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lich Versicherten, ergibt sich eindeutig aus dem folgenden Absatz der Gesetzesbegründung: „Der im Vergleich zu dem für persönliche ärztliche Leistungen geltenden Höchstsatz (1,8facher Gebührensatz der GOÄ) für zahnärztliche Leistungen höher angesetzte Höchstsatz (2,0facher Gebührensatz der GOZ) trägt dem Umstand Rechnung, dass bei jeweils pauschalierender Betrachtung der Abstand des durchschnittlichen Vergütungsniveaus der geltenden GOZ zum Vergütungsniveau für die vertragszahnärztlichen Leistungen geringer ist als der Abstand des durchschnittlichen Vergütungsniveaus der geltenden GOÄ zum Vergütungsniveau für die vertragsärztlichen Leistungen.“

Dass in Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3b SGB V das gesetzliche Niveau unterschritten werden kann, ist praktisch ausgeschlossen. Außerdem muss die PKV für Arzneimittel mehr zahlen als die GKV; Arzneimittelrabatt wie bei der GKV ist ihr nicht möglich. § 130a SGB V begründet die Pflicht der pharmazeutischen Unternehmer, den gesetzlichen Krankenkassen bei der Abgabe von Arzneimitteln an gesetzlich Versicherte einen Abschlag auf den Abgabepreis zu gewähren. Diese Pflicht wurde mit Wirkung ab dem 1. 4. 2006 auf patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel, die so genannten Generika, erstreckt, wobei der zu gewährende Abschlag auf 10 % festgelegt wurde (§ 130a Abs. 3b Satz 1 SGB V). Die Regelung selbst mag durch einen vernünftigen Grund des Gemeinwohls gerechtfertigt sein,41 nicht jedoch die Benachteiligung der PKV, die bei gleichem Leistungsversprechen hiervon nicht profitiert.

Anders als die GKV erhält die PKV auch keine Abschläge auf Krankenhausrechnungen. Das GKV-WSG schreibt ab 2007 durch einen neuen § 8 Abs. 9 KHEntgG einen Beitrag der Krankenhäuser zur Sanierung der gesetzlichen Krankenkassen vor. Bei gesetzlich krankenversicherten Patienten, die nach dem 31. 12. 2006 entlassen werden, ist vom Krankenhaus ein Abschlag in Höhe von 0,5 % des Rechnungsbetrags vorzunehmen und auf der Rechnung des Krankenhauses auszuweisen. Diese Regelung gilt für alle Krankenhäuser, die dem KHEntgG unterliegen, d. h. auch für besondere Einrichtungen und für Leistungen, für die nach § 6 Abs. 1 KHEntgG krankenhausindividuelle Entgelte vereinbart werden.

Es wird deutlich: Obwohl Art, Umfang und Höhe der Leistungen für die im Basistarif entstehenden Kosten unmittelbar relevant sind, sind die im SGB V enthaltenen Regelungen zur Kostensteuerung nicht Bestandteil des Basistarifs. Vereinfacht gesprochen, muss die PKV im Basistarif GKV-Leistungen versichern, diese Leistungen aber nicht zu GKV-Konditionen, sondern zu PKV-Konditionen bezahlen. Lediglich für den Bereich der Arzthonorare sieht das SGB V eine Regelung für den Basistarif vor. Nicht aber für alle anderen Leistungen. Die hierzu notwendigen rechtlichen Regelungen sind im Wesentlichen im 4. Kapitel des SGB V enthalten. Die Regelungen des Basistarifs beziehen sich ausdrücklich nur auf das 3. Kapitel und nicht auf das für die Kostensteuerung entscheidende 4. Kapitel. 41

BVerfG v. 15. 5. 2007 – 1 BvR 866 / 07, ZS 2008, 34, Absatz-Nr. 17.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG Als Beispiel können einige wichtige Kostensteuerungselemente aus dem Bereich der Arzneimittel dienen, die im Basistarif nicht gelten: – Wirtschaftlichkeitsprüfung von Ärzten bezüglich einer wirtschaftlichen Verordnung von Arzneimitteln (löst ggf. Rückzahlungsverpflichtungen des Arztes aus) – Regelung über Verordnung eines Wirkstoffs statt eines Produktnamens verbunden mit der Verpflichtung des Apothekers, ein preiswerteres Präparat (= Generikum) auszuwählen – Abgabe von preisgünstigeren Importarzneimitteln – Abgabe von wirtschaftlichen Einzelmengen – Preisregelung für vom Apotheker hergestellte Zytostatika – Rabatt von 2,30 Euro je verschreibungspflichtiges Arzneimittel – Rabatte pharmazeutischer Unternehmen – Preisvereinbarungen in Krankenhausapotheken für die ambulante Versorgung

Gegen all dies hat bislang auch die Bundesregierung nichts Überzeugendes vorbringen können. In der Antwort auf die Fragen 30 und 31 der Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion wird nur auf die – begrenzten – Möglichkeiten der PKV hingewiesen, auf dem Vereinbarungsweg Einfluss auf die Ausgabenentwicklung zu nehmen.41a (c) Belastung der Normaltarife durch fehlende Kostendeckung Kurzfristig mag die Belastung der Normaltarife durch den Zuschlag gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV noch gering sein. Längerfristig wird die fehlende Kostendeckung im Basistarif zu einer immer stärkeren Belastung der Normaltarife führen. In der Folge werden in verstärktem Maß Bestandsversicherte in den Basistarif wechseln und sich der Neuzugang verringern. Für sich allein ist der Basistarif nicht überlebensfähig: Entfallen die Normaltarife als Subventionsträger, bricht der Basistarif zusammen. (d) Unattraktivität des Basistarifs für durchschnittlich gesunde Neuzugänge Der Basistarif ist für durchschnittlich gesunde Neuzugänge im Verhältnis zum GKV-Schutz uninteressant. Er bietet den gleichen Leistungsumfang wie die GKV, ist aber aufgrund der schlechten Risikostruktur nur in wenigen Fällen preiswerter als der GKV-Schutz. Anders als die GKV hat der Basistarif keine Familienversicherung. Attraktiv ist der Basistarif vor allem für Bestandskunden, die im bestehenden Tarif Beiträge zahlen, die über die Höchstgrenzen des Basistarifs hinausgehen. Darüber hinaus wird er zum Sammelbecken für Versicherte, die ihre Beiträge nicht zahlen können oder wollen.

41a

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4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

43

(2) Unterschiede zum bisherigen Standardtarif Der Basistarif unterscheidet sich vom bisherigen Standardtarif nach § 257 SGB V in wichtigen Punkten, so dass aus der geringen Zahl der im Standardtarif Versicherten nicht geschlossen werden kann, dass auch der Basistarif nur wenige Versicherte haben wird. → Der Basistarif steht einem weit größeren Personenkreis offen als der bisherige Standardtarif. Insbesondere steht er gemäß § 204 Abs. 1 lit. b) VVG allen über 55-jährigen Versicherten ohne Rücksicht auf ihre Vorversicherungszeit offen, während in den Standardtarif nur nach einer Vorversicherungszeit von zehn Jahren gewechselt werden konnte. → Der Basistarif kann mit Zusatzversicherungen kombiniert werden – beim Wechsel von einem Normaltarif in den Basistarif kann der Versicherte sogar den Abschluss einer ergänzenden Zusatzversicherung verlangen, § 204 Abs. 1 S. 2 VVG. Im bisherigen Standardtarif war eine Kombination mit Zusatztarifen gemäß § 19 S. 3 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten und Krankenhaustagegeldversicherung (MB / KK 94 und MB / KK 2008) und Nr. 1 Abs. 5 und Nr. 9 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Standardtarif unzulässig. Wer aus Kostengründen in den mit Beitragshöchstgrenzen versehenen Standardtarif wechselte, sollte nicht gleichzeitig Zusatzversicherungen abschließen oder aufrechterhalten können. Folgerichtig entfiel im früheren Standardtarif die Beitragsbegrenzung auf den Höchstbeitrag der GKV, solange vertragswidrig eine Zusatzversicherung bestand (Nr. 9 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für den Standardtarif). → Im Basistarif besteht gemäß § 75 Abs. 3a S. 1 SGB V eine Behandlungspflicht der Kassenärzte. Für den Standardtarif galt dies nicht. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass sich Ärzte weigerten, für die vergleichsweise niedrige Vergütung im Standardtarif zu behandeln. Gerade deshalb wurde die Behandlungspflicht für den Basistarif eingeführt.42 → Die ärztliche Vergütung für Versicherte des Basistarifs ist höher als die im bisherigen Standardtarif. Im Standardtarif konnten die Ärzte gemäß § 5b GOÄ Gebühren bis zum 1,7-fachen (für einige Leistungen des 1,3- bzw. 1,1-fachen) des Gebührensatzes verlangen. Zahnärzte konnten nach § 5a GOZ das 1,7fache des Gebührensatzes verlangen. Nach § 75 Abs. 3a S. 2 SGB V können die Ärzte Gebühren bis zum 1,8-fachen (bzw. 1,16- und 1,38-fachen) des Gebührensatzes verlangen. Die Zahnärzte können bis zum zweifachen des Gebührensatzes gehen. → Der gesetzlich vorgeschriebene Leistungsumfang im Basistarif ist größer als der im bisherigen Standardtarif. Der Standardtarif musste nach § 257 Abs. 2a 42 BT-Drucks. 16 / 3100, S. 116: „Aufgrund der im privatärztlichen Bereich fehlenden Behandlungspflicht kam es immer wieder zu Beschwerden über die Verweigerung einer (zahn)ärztlichen Behandlung [ . . . ] für den Standardtarif“.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

SGB V einen Leistungsumfang haben, der den Leistungen des SGB V „bei Krankheit“ entspricht. Dies verweist auf den Fünften Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V („Leistungen bei Krankheit“). Die Definition des Leistungsumfangs des Basistarifs in § 12 Abs. 1a VAG bezieht sich hingegen auf alle Leistungen des gesamten Dritten Kapitels des SGB V. Diese Unterschiede verkennt die Bundesregierung, wenn sie in ihrer Antwort auf Frage 33 der Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion für ihre Prognose der Belastungen durch den Basistarif vor allem auf Erfahrungen mit dem Standardtarif abstellt, statt die langfristige Entwicklung in den Blick zu nehmen.42a (3) Mittel- und langfristige Zerstörung des Geschäftsmodells der PKV Mittel- und langfristig ist der Basistarif geeignet, das Geschäftsmodell der PKV zu zerstören. Der Basistarif wird von denjenigen Bestandskunden und GKVWechslern genutzt, für die er sich finanziell lohnt. Der finanzielle Vorteil dieser Personengruppe muss von den in den Normaltarifen Versicherten finanziert werden. Hierdurch verringert sich die Attraktivität der Normaltarife für Neuzugänge im Verhältnis zur GKV. Auf Neuzugänge ist die PKV aber angewiesen, um die Subventionierung des Basistarifs finanzieren zu können. Langfristig drohen der Zusammenbruch der Versicherung oder eine Vereinheitlichung der Tarife auf dem Niveau des Basistarifs, weil die Normaltarife durch die Subventionierung immer teurer und unattraktiver werden und der Basistarif immer stärker wird. Das Gefährdungsszenario für das Geschäftsmodell der PKV kann in zwei Stufen unterteilt werden. In einer ersten Stufe wird der Basistarif für (insbesondere ältere) Bestandskunden attraktiv, wenn der Beitrag in ihrem bisherigen Tarif höher ist als der Höchstbeitrag des Basistarifs. In der Regel ist der Wechsel in den Basistarif aber auch mit einer Leistungseinschränkung verbunden. Insbesondere umfasst der Basistarif keine Krankenhauswahlleistungen. Andererseits bietet der Basistarif einen Anspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen, die zum Leistungsumfang der GKV, nicht aber vieler PKV-Normaltarife gehören. In einer zweiten Stufe wird der Basistarif für ältere Bestandskunden noch attraktiver, wenn die Kombination aus – in der Höhe beschränktem – Basistarif und Zusatzversicherungen günstiger ist als der alte Vollversicherungsschutz. Zu beachten ist hierbei, dass der Versicherte in dem Zusatztarif gemäß § 204 Abs. 1 S. 2 VVG Anspruch auf Anrechnung der über den Basistarif hinausgehenden Alterungsrückstellungen hat. Der Versicherte behält also im Zusatzversicherungsschutz sein historisches Eintrittsalter, was einen günstigen Zusatzschutz gewährleistet. Die besonders relevante Zusatzversicherung für stationäre Wahlleistungen kostet in der Regel nicht mehr als 50 A im Monat. 42a

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4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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Bei ökonomisch rationalem Verhalten der Bestandsversicherten wird die Summe aus der Höchstgrenze des Basistarifs, also dem Höchstbeitrag in der GKV, und den Kosten für den Zusatzschutz für stationäre Wahlleistungen in der Regel eine faktische Beitragsbegrenzung in der PKV darstellen. Besonders begünstigt werden durch diese Regelung Versicherte, die in höherem Alter der PKV beigetreten sind, weil deren Prämien schneller den Höchstsatz der GKV erreichen. Der Anteil der Versicherten, für die sich ein solches Wechselverhalten, das von den Versicherten in den Normaltarifen subventioniert wird, finanziell lohnt, wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten steigen, weil der durchschnittliche Höchstbeitrag in der GKV langsamer steigt als die PKV-Beiträge. Die Gründe liegen u. a. darin, dass die GKV sich verschiedener Kostendämpfungsmaßnahmen bedienen kann, die der PKV nicht zur Verfügung stehen. In den vergangenen 13 Jahren betrug die durchschnittliche Kostensteigerung in der GKV 2,5 %, in der PKV 5 %. Bei einzelnen Versicherungsunternehmen lagen die Steigerungsraten deutlich höher. Hinzu kommt, dass die GKV nach dem GKV-WSG stärkere Bundeszuschüsse erhalten wird. Ein weiterer Faktor für Beitragssteigerungen in der PKV ist das neue Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, da hierdurch das Eintrittsalter steigt [siehe hierzu unten I. 4. g)]. Dass die Versicherten sich in dieser Weise verhalten werden, belegt eine vom PKV-Verband in Auftrag gegebene Mikrozensus-Befragung durch die Fa. TNS Emnid GmbH & Co. KG. Die Versicherten reagieren nach den Ergebnissen der Befragung preissensibel. Der Wechsel in den Basistarif kommt auch für langjährig in Normaltarifen Versicherte in Betracht, wenn sie hierdurch spürbare finanzielle Vorteile gegenüber ihrem bisherigen Tarif haben. – Mindestens ein Drittel der PKV-Versicherten ab dem Lebensalter von 50 Jahren kann als grundsätzlich sehr preissensibel für eine Abwanderung in den Basistarif, ggf. ergänzt um Zusatzversicherungen, angesehen werden. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf Pensionäre und Familienangehörige von Beamten zu werfen, die heute schon zu 60 Prozent Beiträge bezahlen, die zum Teil deutlich oberhalb des für sie maßgeblichen Höchstbeitrags im Basistarif liegen. – Im Hinblick auf die aktuelle Beitragshöhe und im Hinblick auf die als kritisch empfundene Beitragsobergrenze kann sich diese Quote schnell erhöhen, wenn in den nächsten Jahren deutliche Beitragserhöhungen stattfinden sollten. Dabei dürften insbesondere Pensionäre und beihilfeberechtigte Familienmitglieder sowie Versicherte in Ostdeutschland als besonderes Wechselrisiko anzusehen sein.

Die generelle Preissensibilität der Versicherten bei einer Entscheidung über einen Wechsel der Versicherung oder des Tarifs belegen empirische Untersuchungen zahlreicher Versicherungsunternehmen, die eine signifikante Korrelation zwischen Beitragsanpassungen und nachfolgenden Kündigungen zeigen. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Zahlen eines Unternehmens, das den Zusammenhang zwischen Beitragsanpassung und darauf folgenden Abgängen in den Jahren

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

2000 bis 2007 untersucht hat. Einbezogen wurde dabei nicht der Abgang an Personen, sondern an Beitrag. Die Ergebnisse sind in der folgenden Grafik dargestellt, die eine eindeutige Korrelation zeigen: Hohe Beitragsanpassungen haben hohe Kündigungszahlen zur Folge. 10,00%

9,00%

8,00%

2,50% Anpassungsquote in % zum Bestandsbeitrag vor BAP o. GZA 2,00%

Abgangsquote in % zum Bestandsbeitrag nach BAP o. GZA

7,00%

6,00%

1,50%

5,00%

4,00%

1,00%

3,00%

2,00%

0,50%

1,00%

0,00% 2000 Anpassungsquote

2001

2002

2003

2004

2005

2006

Anpassungsjahr (nur BAP zum 01.01.)

0,00% 2007 Abgangsquote

Anm.: GZA = gesetzlicher Zuschlag zur Altersentlastung in Höhe von 10 %.

Zusammenhang Kündigung und Beitragsanpassung (BAP)

b) Modifizierter Standardtarif Die Ausführungen zum Basistarif lassen sich weitestgehend auf die Öffnung des Standardtarifs gemäß § 315 SGB V übertragen. Auch hier besteht ein Kontrahierungszwang ohne korrespondierende Pflicht zur Versicherung. Bei den gemäß § 315 Abs. 1 SGB V Begünstigten handelt es sich ganz überwiegend um Personen, die auf privaten Krankenversicherungsschutz bislang verzichten mussten, weil die privaten Versicherungsunternehmen die Versicherung aufgrund eines unüberschaubar hohen Krankheitsrisikos abgelehnt haben, oder verzichtet haben, weil sie aufgrund von Risikozuschlägen hohe Prämien zahlen mussten. Von der Möglichkeit nach § 315 SGB V machen praktisch ausschließlich Personen mit hohem Krankheitsrisiko Gebrauch. Da zugunsten des in § 315 Abs. 1 SGB V genannten Personenkreises nicht nur die generelle Begrenzung des Standardtarifs auf den GKVHöchstbetrag nach § 257 Abs. 2a S. 1 Nr. 2 SGB V gilt, sondern auch die individuelle Begrenzung des Basistarifs (§ 315 Abs. 2 S. 2 SGB V), wird der Standardtarif in noch stärkerem Maße als bisher zu einem Tarif mit Quersubventionsbedarf.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

47

c) Fehlende Kündigungsmöglichkeit / Notversorgung Wie häufig es dazu kommen wird, dass Versicherte Prämien nicht zahlen und Ansprüche der Versicherungsunternehmen faktisch nicht durchsetzbar sind, weil Versicherte insolvent sind, lässt sich schwer abschätzen. Offensichtlich ist, dass mit dem Ausschluss jeder Kündigungsmöglichkeit bei gleichzeitiger Pflicht zur Deckung der Kosten für die Notversorgung ein wichtiges Druckmittel zur Durchsetzung der Prämienansprüche fehlt. Krankenversicherungsbeiträge werden auf der Prioritätenliste von Schuldnern mit Zahlungsschwierigkeiten jedenfalls nicht an erster Stelle stehen, da keine existentiellen Nachteile drohen. Die Einschätzung des Gesetzgebers, die Versicherungsunternehmen würden durch die fehlende Kündigungsmöglichkeit nur gering belastet, da der Leistungsanspruch des Versicherten nach § 193 Abs. 6 VVG „weitgehend“ ruhe und während des Prämienverzugs Säumniszuschläge geltend gemacht werden können,43 geht fehl. Die Heilbehandlung bei Schmerzzuständen und akuten Erkrankungen kann mit erheblichen Kosten verbunden sein. Man denke nur an die notwendige intensivmedizinische Betreuung nach einem Herzinfarkt oder einem Verkehrsunfall. Unter § 4 AsylbLG, an den sich § 193 Abs. 6 VVG orientiert, kann etwa auch eine – sehr kostenintensive – Dialysebehandlung fallen.44 In der Rechtsprechung wurden die Voraussetzungen des § 4 AsylbLG ferner u. a. bejaht hinsichtlich Krankengymnastik und Wärmebehandlung zur Schmerztherapie. 45 Auch eine kieferorthopädische Behandlung kann zur Bekämpfung von Schmerzen unter § 4 AsylbLG fallen.46 Auch die Behandlung von Krankheitszuständen, die aus einer chronischen Krankheit folgen und daher grundsätzlich nicht von § 4 AsylbLG erfasst sind, kann erstattungsfähig werden, wenn die Behandlung zur Schmerzbekämpfung erforderlich ist oder ein sonstiger akut behandlungsbedürftiger Zustand eintritt. Als Beispiele für eine solche Konstellation werden in der Literatur etwa die Lungenentzündung eines AIDS-Kranken47 und die psychiatrische Behandlung bei einer schweren Depression, die zu lebensbedrohlichen Symptomen (Suizidgefahr) führt, genannt.48 In der Rechtsprechung wurde ein Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Psychotherapie aus § 4 AsylbLG auch bei einer depressiven Störung, bei der Schmerzen eine gewisse Rolle spielten, für nahe liegend gehalten.49 In Dienstvorschriften der Stadt Hamburg können auch die Entgiftung und die Substitutionstherapie von Alkohol- oder Drogensüchtigen als Leistung BT-Drucks. 16 / 4247 S. 68. Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 28. 1. 2004 – 1 O 5 / 04: Eine Dialysebehandlung wurde gewährt, allerdings keine Nierentransplantation. 45 SG Gießen v. 10. 8. 2006 – S 18 AY 6 / 06. 46 VG Meiningen v. 23. 5. 2006 – 8 K 302 / 03. 47 Hohm in: Schellhorn u. a., SGB XII – Sozialhilfe, § 4 AsylbLG Rn 4. 48 Fasselt in: Fichtner / Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 4 AsylbLG Rn 4. 49 Niedersächsisches OVG v. 22. 9. 1999 – 4 M 3551 / 99 (das Gericht ließ aber letztlich offen, ob § 4 oder § 6 AsylbLG eingreift). 43 44

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

nach § 4 AsylbLG anerkannt werden, wenn ein akuter Zustand vorliegt. Gerade die Notversorgung ist also sehr kostenträchtig. Grob abschätzen lassen sich die Kosten für die Notversorgung, indem man die Ausgaben pro Kopf für Gesundheitsleistungen für Asylbewerber ausrechnet. Nach Angaben des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen verursachten die Leistungen an Asylbewerber bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt im Jahr 2006 Kosten in Höhe von 74,443 Mio. A. Die Zahl der Regelleistungsempfänger betrug am 31. 12. 2006 58.416.50 Hieraus errechnet sich eine Pro-Kopf-Gesundheitsleistung von 1.247,36 A. Zu berücksichtigen ist, dass die Kosten für Privatversicherte erheblich höher liegen werden, schon weil die Vergütung für Ärzte bei Privatversicherten höher ist als bei gesetzlich Versicherten und Asylbewerbern. Geht man angelehnt an die im Basistarif bei ärztlichen Leistungen zulässige Vergütungshöhe vom 1,8-fachen GOÄ-Satz aus – und Nichtzahler in den Normaltarifen kommen erst nach einem Jahr des Ruhens in den Basistarif! – und rechnet mit einer Kostenerhöhung von 80 %, kommt man zu jährlichen Kosten von 2.245,25 A. Dies entspricht einer Monatsleistung von 187,10 A. Bei nicht hilfebedürftigen Nichtzahlern leistet der Staat hierzu keinerlei Beitrag. Bei hilfebedürftigen Nichtzahlern leistet der Staat einen Beitrag von 112,42 A. Diese erhalten dann aber nicht nur die Notversorgung, sondern den vollen Schutz – und der ist dann noch einmal teurer.

Säumniszuschläge werden bei Zahlungsunfähigkeit des Versicherten ebenso wenig eingetrieben werden können wie die rückständigen Prämien selbst. Bei Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII, die häufig mit faktischer Zahlungsunfähigkeit einhergeht, beteiligt sich der zuständige öffentliche Träger gemäß § 12 Abs. 1c S. 6 VAG nur in einem beschränkten Umfang [112,42 A – siehe oben Abschnitt I. 3. b) ff)], der erheblich unter der reduzierten Prämie (ca. 532 A / 2 = ca. 266 A) liegt. Für den Fehlbetrag ist das Versicherungsunternehmen auf ein zivilgerichtliches Verfahren und die Zwangsmittel des zivilen Zwangsvollstreckungsrechts angewiesen. Eine vollständige Befriedigung wird aufgrund des Pfändungsschutzes der ZPO und den Verteilungsregeln der InsO häufig nicht möglich sein. Das Versicherungsunternehmen wird also zur Erbringung einer Leistung gezwungen, ohne Aussicht darauf, eine angemessene Gegenleistung faktisch durchsetzen zu können. Anhaltspunkte für die Zahlungsmoral im bestehenden System bieten etwa die von Meier / Baumann / Werding ermittelten Zahlen zum Storno durch den Versicherer, das insbesondere bei Zahlungsrückstand erfolgt. Die Stornohäufigkeit lag bei Nichtbeamten bei Männern im Alter von 21 – 25 Jahren bei 4 % (Frauen 3,84 %), im Alter von 26 – 30 bei 1,48 % (1,66 %), im Alter von 31 – 35 bei 1,02 % (0,75 %), im Alter von 36 – 40 Jahren bei 1,10 % (0,92 %), im Alter von 46 – 50 Jahren bei 1,53 % (1,42 %).51 Versicherte, die die Beiträge in Normaltarifen länger als ein Jahr nicht zahlen können oder wollen, kommen automatisch gemäß § 193 Abs. 6 S. 10 VVG in den 50 51

Abrufbar unter https: // webshop.lds.nrw.de / webshop / gratis / K269%20200600.pdf. Meier / Baumann / Werding, S. 119.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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Basistarif. Der Basistarif wird so nicht nur zum Sammelbecken für Versicherte mit sehr hohem Krankheitsrisiko, sondern auch für solche, die keine Zahlungen leisten. Aufgrund der Tatsache, dass § 193 VVG einen völligen Verlust des Versicherungsschutzes ausschließt, ist davon auszugehen, dass sich die Zahlungsmoral ab dem Jahr 2009 verschlechtern wird. Bei mittellosen Versicherten wird die Zwangsvollstreckung fruchtlos bleiben. Die Zahlungen der zuständigen öffentlichen Träger bleiben erheblich unter dem risikoäquivalenten Beitrag. Diese Probleme stellen nicht etwa nur ein Randproblem dar: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag die Zahl der Verbraucherinsolvenzen im Jahr 2005 bei 68.898. Die Schätzung für das Jahr 2007 liegt bei 105.000. Die Zahl der absolut oder relativ überschuldeten Haushalte wird auf ca. 3 Mio. geschätzt.52 Die durchschnittliche Dauer des Sozialhilfebezugs betrug im Jahr 2004 27,6 Monate. In der Altersgruppe der über 50-Jährigen betrug sie weit über 40 Monate.53 Damit sind die zeitlichen Größenordnungen, in denen Hilfebedürftigkeit besteht, markiert. Über derartige Zeiträume hinweg werden die privaten Krankenversicherungsunternehmen im Durchschnitt also nicht in der Lage sein, eigentlich geschuldete Beiträge einzutreiben. Es ist davon auszugehen, dass mittel- und langfristig ein erheblicher Teil der Versicherten im Basistarif die geschuldeten Beiträge nicht zahlen wird. Die Ausfälle belasten die Unternehmen wirtschaftlich und werden letztlich an die Versicherten weitergegeben, da die Kosten die Zuführungen zu den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen mindern. Zu beachten ist, dass hinsichtlich dieser Ausfälle kein Risikoausgleich unter den Unternehmen durchgeführt wird, so dass die Belastung der Unternehmen sich unterscheiden kann. d) Portabilität der Alterungsrückstellungen im Neukundenbereich aa) Beitragserhöhung aufgrund der Reduzierung der Stornoquote Unmittelbare Folge der Portabilität der Basistarif-Alterungsrückstellung im Neukundenbereich (ab dem 1. 1. 2009) ist eine Erhöhung der Beiträge im Vergleich zu den früheren Tarifen, die ohne Portabilität kalkuliert waren. Zukünftig wird es nämlich im Umfang des Basistarifs kein PKV-Storno mehr geben – die beitragsreduzierende Vererbung der Alterungsrückstellung [siehe oben I. 1. e) cc)] entfällt partiell. Wie stark die daraus resultierende prozentuale Beitragssteigerung ist, hängt davon ab, welchen Anteil die Basistarif-Alterungsrückstellung an der tatsächlichen kalkulierten Alterungsrückstellung hat. Entspricht die Basistarif-Alte52 Quelle: Internetseite des Statistischen Bundesamtes: http: // www.destatis.de / jetspeed / portal / cms / Sites / destatis / Internet / DE / Content / Publikationen / STATmagazin / Wirtschaf tsrechnungen / 2008_1 / PDF2008_1,property=file.pdf. 53 Quelle: Internetseite des Statistischen Bundesamtes: https: // www-ec.destatis.de / csp / shop / sfg / bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1017619.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

rungsrückstellung der tatsächlichen Rückstellung ist der prozentuale Anstieg stärker als wenn die Basistarif-Alterungsrückstellung beispielsweise nur 70 % der tatsächlichen Alterungsrückstellung ausmacht. In letzterem Fall kommt es nämlich auch zukünftig zu einer Vererbung von 30 %. Insbesondere bei jüngeren Männern werden die Neuzugangsbeiträge erheblich steigen, in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 je nach Tarif und Alter ca. zwischen 8 % und 40 %. bb) Verstärkte Risikoselektion als Folge der Portabilität der Alterungsrückstellungen Die partielle Abschaffung der Vererbung der Alterungsrückstellung mit der Einführung der Portabilität wird dazu führen, dass gute Risiken in erheblich stärkerem Maße als nach bisheriger Rechtslage aus Normaltarifen in günstigere Normaltarife eines anderen Unternehmens wechseln können. Schlechte Risiken werden allein in den Basistarif wechseln können. Im Bereich der Normaltarife wird es daher zu einer Risikoselektion kommen, die zu einer massiven Belastung bestimmter Tarife und ganzer Versicherungsunternehmen führen wird und letztlich zum Zusammenbruch des Versicherungsmarktes führen kann. Der vom Gesundheitsausschuss als Gutachter beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Ulrich Meyer von der Universität Bamberg hat auf diese Gefahr in einer nachträglichen ergänzenden Stellungnahme zum Entwurf des GKV-WSG vom 27. 11. 2006 [Ausschussdrucksache 0129(130)] eindringlich hingewiesen. Wörtlich heißt es dort auszugsweise: „Insgesamt bedeutet das, dass ein Wechsel . . . [vom Normaltarif A in den Normaltarif B, d. Verf.] nur für ,gute Risiken‘ zustande kommt, während ,schlechte Risiken‘, die eigentlich auch wechseln wollen, trotz des in Bezug auf den Basistarif eingeführten Kontrahierungszwangs im Normaltarif A verbleiben. Ein solcher Wechsel nur der ,guten Risiken‘ verschlechtert aber systematisch risikomäßig das Versichertenkollektiv im Normaltarif A, ohne dass dadurch ein Risikoausgleich zugunsten von VU A [Versicherungsunternehmen, d. Verf.] ausgelöst würde (der im Gesetzentwurf vorgesehene Risikoausgleich bezieht sich nur auf im Basistarif versicherte Personen). Im Ergebnis läuft die Flankierung der Übertragung der Alterungsrückstellung durch Kontrahierungszwang und Risikoausgleich für den Wechsel . . . leer und die von allen Sachverständigen bei Portabilität der rechnungsmäßigen Alterungsrückstellung befürchtete Risikoselektion mit ihren verheerenden Folgen für die Stabilität des privaten Krankenversicherungsmarktes wird voll zum Tragen kommen.“

Der Gesetzgeber hat an den Regelungen keine Anpassungen vorgenommen, die geeignet sind, die Gefahr eines Zusammenbruchs des Marktes für private Krankenversicherungen einzudämmen oder auch nur abzumildern. (1) Modelle zur Portabilität der Alterungsrückstellungen Die Erschwerung der Wechselmöglichkeit zu einem anderen Unternehmen der PKV aufgrund mangelnder Portabilität der Alterungsrückstellungen wird von Tei-

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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len der Fachwelt wie auch der Politik seit längerer Zeit kritisch betrachtet, da hierdurch der Wettbewerb um (ältere) Bestandskunden erheblich erschwert wird. Die positiven Effekte von marktwirtschaftlichem Wettbewerb kommen in der PKV zwar im Neukundengeschäft voll zur Geltung, aber nur eingeschränkt im Bestandskundengeschäft. Der Bundestag hat daher schon in der 13. Legislaturperiode eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, die allgemein zur Problematik steigender Beiträge der private Krankenversicherten im Alter Stellung nehmen sollte und dabei auch Vorschläge zur Portabilität der Alterungsrückstellungen diskutiert hat.54 Um die nun Gesetz gewordene Regelung besser einordnen zu können, sollen zunächst die beiden Grundmodelle (Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung, Mitgabe einer individuellen Alterungsrückstellung) kurz vorgestellt werden: (a) Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung Im Modell der kalkulierten Alterungsrückstellung werden die Unternehmen verpflichtet, wechselnden Versicherungsnehmern die auf sie entfallende kalkulierte Alterungsrückstellung zum neuen Versicherer mitzugeben. Die durch das höhere Eintrittsalter beim neuen Versicherer höhere Prämie würde dann durch Einrechnen der „mitgebrachten“ Alterungsrückstellung unter sonst gleichen Umständen ungefähr auf das Beitragsniveau des ursprünglichen Eintrittsalters sinken.55 Die kalkulierte Alterungsrückstellung ist diejenige Alterungsrückstellung, die für alle Versicherten der gleichen Gefahrengemeinschaft einkalkuliert und entsprechend als Rückstellung gebildet wird. Da für alle Versicherten desselben Versichertenkollektivs mit denselben Wahrscheinlichkeiten kalkuliert wird, ist der Wert der kalkulierten Alterungsrückstellung für alle Versicherten desselben Versichertenkollektivs gleich hoch.56 Mit der Portabilität verliert die Alterungsrückstellung ihren Versicherungscharakter und wird zum bloßen Sparguthaben. Die bloße Portabilisierung der Alterungsrückstellungen würde aber zu unvertretbarer Risikoselektion führen: Wechselwillige Versicherungsnehmer, die zum Zeitpunkt des Wechsels gute Risiken sind (ohne inzwischen eingetretene, das zukünftige Krankheitsrisiko erhöhende Faktoren), können von der durch Mitgabe der Alterungsrückstellung für sie realistisch gewordenen Wechselmöglichkeit Gebrauch machen. Bei wechselwilligen Versicherungsnehmern, die inzwischen zu schlechten Risiken geworden sind, würde das aufnehmende Versicherungsunternehmen aber entsprechende Risikozuschläge oder Ausschlüsse von Vorerkrankungen verlangen oder den Vertragsschluss ganz ablehnen. Im Ergebnis könnten faktisch nur gute Risiken das Unternehmen wechseln. Damit würde die Wechselmöglichkeit die Bestandsmischung beim abgebenden Versicherer verschlechtern. Unterstellt man, 54 55 56

BT-Drucks. 13 / 4945. BT-Drucks. 13 / 4945 S. 43. VVG-Kommission, Abschlussbericht v. 19. 4. 2004, S. 147.

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dass ein Wechsel zu beitragsmäßig günstigeren Unternehmen erfolgt, so führt das Wechseln für die ohnehin teureren Unternehmen durch die Verschlechterung der Bestandsmischung zur Notwendigkeit weiterer Prämienerhöhungen mit der Folge weiteren Abgangs (relativ) guter Risiken. Dadurch wäre eine Tendenz zur Insolvenz eines Teils der privaten Krankenversicherer gegeben.57 Der beschriebene Effekt folgt letztlich daraus, dass die oben beschriebene stabilisierende Wirkung der Alterungsrückstellung wegfällt. Eine solche Ausgestaltung der Portabilität hat die Unabhängige Expertenkommission dem Gesetzgeber daher nicht empfohlen. Auch die VVG-Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die bloße Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung zu unvertretbarer Risikoselektion und Entmischung führen würde.58 Es gibt soweit ersichtlich keinen Experten auf dem Gebiet des Versicherungswesens, der für eine solche Gestaltung eintritt.59 Denkbar ist die Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung nur, wenn sie durch einen Kontrahierungszwang ergänzt wird. Das Unternehmen, zu dem der Versicherungsnehmer wechseln möchte, muss verpflichtet werden, jeden wechselwilligen Versicherungsnehmer unabhängig von seinem Risiko zu versichern. Nur dann steht die Wechselmöglichkeit auch faktisch allen Versicherten zur Verfügung, so dass eine Risikoselektion verhindert wird. Um zu verhindern, dass Unternehmen, die viele schlechte Risiken aufnehmen müssen, gegenüber anderen benachteiligt werden, erfordert der Kontrahierungszwang gleichzeitig einen unternehmensübergreifenden Risikoausgleich. Sinnvoll ist dieses System aber nur bei Einheitstarifen.60 (b) Mitgabe einer individuellen Alterungsrückstellung Diskutiert werden weiterhin Modelle, bei denen den Versicherungsnehmern nicht eine Alterungsrückstellung in der für sie kalkulierten Höhe mitgegeben wird, sondern in derjenigen Höhe, wie sie für den einzelnen Versicherungsnehmer aufgrund seines Gesundheitszustandes erforderlich ist, um unter Hinzunahme der für ihn kalkulierten zukünftigen Beiträge die speziell bei ihm zu erwartenden Versicherungsleistungen finanzieren zu können.61 Bei schlechten Risiken ist die mitzugebende Alterungsrückstellung folglich hoch, bei guten Risiken niedrig. Dieser Ansatz führt im Ergebnis dazu, dass gute und schlechte Risiken gleiche Wechselmöglichkeiten haben. Die bei einem schlechten Risiko eigentlich notwendige BT-Drucks. 13 / 4945 S. 43. VVG-Kommission, Abschlussbericht v. 19. 4. 2004, S. 147. 59 Siehe u. a. Bürger, VW 2004, 1253; Meyer, Nachtrag zur Stellungnahme an den Gesundheitsausschuss. 60 Expertenkommission, BT-Drucks. 13 / 4945 S. 44. Da damit der Wettbewerb im Leistungsbereich ausgeschlossen würde, hat die Kommission von diesem Modell abgeraten. 61 BT-Drucks. 13 / 4945 S. 44. 57 58

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höhere Prämie beim neuen Versicherer kann aufgrund der höheren mitgebrachten Alterungsrückstellung gesenkt werden. Es kommt zu keinerlei positiver oder negativer Risikoselektion. Das abgebende Unternehmen wird durch die Abgabe eines guten Risikos nicht belastet, weil sich durch den Abgang die Alterungsrückstellung nur relativ wenig vermindert. Das aufnehmende Unternehmen kann die Aufnahme schlechter Risiken verkraften, weil entsprechend hohe Alterungsrückstellungen zufließen. Das Modell der individuellen Alterungsrückstellung hat in der Theorie einen nicht unerheblichen Charme, lässt sich aber praktisch kaum umsetzen, nicht zuletzt weil bislang die notwendigen Datengrundlagen zur Ermittlung des individuellen Risikos fehlen.62 (2) Risikoselektion als Folge des im GKV-WSG eingeschlagenen Weges Das GKV-WSG folgt grundsätzlich dem Modell der Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung. Auf den ersten Blick scheinen auch die oben erläuterten Voraussetzungen für das Funktionieren des Modells gegeben zu sein: Portabilität wird nur im Umfang des Basistarifs gewährt. Hinsichtlich des Basistarifs herrscht Kontrahierungszwang. Der Basistarif ist brancheneinheitlich ausgestaltet. Es existiert ein unternehmensübergreifender Risikoausgleich. In Wirklichkeit löst der vom GKV-WSG gewählte Weg das Problem der Risikoselektion keinesfalls.63 Der Kontrahierungszwang gilt nur bezüglich des Basistarifs, und auch der Risikoausgleich, der die Folgen einer möglicherweise eintretenden Risikoselektion ausgleichen soll, bezieht sich nur auf den Basistarif. Der Wechsel vom Basistarif eines Unternehmens in den Basistarif eines anderen Unternehmens ist aber praktisch für keinen Versicherungsnehmer interessant, da die Leistungen identisch sind und auch die Prämien aufgrund der einheitlichen Kalkulation und des Risikoausgleichs nahezu identisch sind. Portabilität der Alterungsrückstellungen wird aber nicht nur für den Basistarif hergestellt, sondern für jeden Tarif, wenn auch nur in Höhe der dem Basistarif entsprechenden Leistungen. Versicherte können vom Normaltarif eines Unternehmens in den Normaltarif eines anderen Unternehmens wechseln und dabei anders als bislang einen Teil ihrer kalkulierten Alterungsrückstellung mitnehmen. Der dem Basistarif entsprechende Teil dürfte je nach Leistungsumfang zwischen 50 und 80 % der vollständigen kalkulierten Alterungsrückstellung betragen.64 Dies bedeutet zwar immer noch einen gewissen finanziellen Verlust, gleichwohl wird für viele Versicherungsnehmer der Wechsel attraktiv sein. Ausführlich zu Problemen des Modells BT-Drucks. 13 / 4945 S. 45 ff. Meyer, Nachträgliche Stellungnahme vom 27. 11. 2006; Bürger, ZfV 2007, 79, 81 ff. Bürger bezeichnet die Reform in Bezug auf die Portabilität der Alterungsrückstellungen zu Recht als „ökonomisch unzureichend durchdacht“. 64 Meyer, Nachträgliche Stellungnahme. 62 63

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

Faktisch wird ein Wechsel aber nur für gute Risiken vorteilhaft sein.65 Schon nach bisherigem Recht war ein Wechsel allenfalls für gute Risiken vorteilhaft, die Problematik wird durch die Einführung der Portabilität aber verschärft. Guten Risiken wird ein Wechsel zu einem anderen Unternehmen freiwillig angeboten, weil das aufnehmende Versicherungsunternehmen hierdurch die – verglichen mit dem individuellen Risiko – zu hoch kalkulierte Alterungsrückstellung erhält. Schlechte Risiken können die Aufnahme in den Normaltarif eines anderen Unternehmens zwar über einen Umweg erzwingen: Das aufnehmende Unternehmen ist bei nach dem 31. 12. 2008 abgeschlossenen Verträgen zum Vertragsschluss mit dem Bestandskunden eines anderen Unternehmens im Basistarif gemäß § 193 Abs. 5 S. 1 Nr. 4 VVG verpflichtet. Der Kunde nimmt dabei seine BasistarifAlterungsrückstellung mit. Dass diese verglichen mit dem individuellen Risiko zu niedrig bemessen ist, belastet das aufnehmende Unternehmen wegen des Risikoausgleichs nach § 12g VAG nicht. Gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kann der Kunde vom aufnehmenden Unternehmen nun den Wechsel vom Basistarif in einen Normaltarif verlangen. Da es sich aber um einen Wechsel aus dem Basistarif in einen Normaltarif handelt, kann der neue Versicherer gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 4 VVG den bei Vertragsschluss im Basistarif ermittelten Risikozuschlag verlangen. Sofern der Normaltarif wie in aller Regel höhere oder umfassendere Leistungen als der Basistarif bietet, kann der Versicherer außerdem hinsichtlich der Mehrleistungen einen Risikozuschlag, Wartezeiten und / oder Leistungsausschlüsse verlangen. Schlechten Risiken ist ein Wechsel von einem Normaltarif in den Normaltarif eines anderen Versicherungsunternehmens daher faktisch weiterhin verwehrt. (3) Folgen der Risikoselektion für die Versicherten Für diejenigen Privatversicherten, die sich als durchschnittlich gesunde Person in jungen Jahren versichert haben, deren Gesundheitszustand sich aber später überdurchschnittlich verschlechtert, hat die Risikoselektion katastrophale Folgen, wenn sie in einem Tarif versichert sind, der – aus welchen Gründen auch immer – von negativer Risikoselektion betroffen ist. Wer als schlechtes Risiko das Glück hat, in einem Tarif versichert zu sein, der von der Risikoselektion profitiert, wird persönlich nicht negativ betroffen sein. Gute Risiken haben immer die Möglichkeit zum Wechsel. Zu welcher Gruppe man gehören wird, ist für den durchschnittlich gesunden Versicherten bei Vertragsschluss nicht absehbar. Sicher ist allein, dass es zu Risikoselektion kommen wird. Ein System, das guten Risiken uneingeschränkt den Wechsel erlaubt, schlechten Risiken den Wechsel aber faktisch verwehrt, führt zwangsläufig zur Risikoselektion und damit dazu, dass bestimmte Tarife nicht mehr finanziert werden können. Die dem System der PKV übertragene soziale 65

Bürger, ZfV 2007, 79, 81 f.

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Schutzfunktion wird dadurch gefährdet. Dies entspricht weder den Zielen der privaten Krankenversicherungsunternehmen noch den Erwartungen der Privatversicherten. Wer sich als durchschnittlich gesunder Mensch im Alter von 30 Jahren privat versichert, möchte sichergehen, dass er auch als 50-Jähriger bei einem überdurchschnittlich verschlechterten Gesundheitszustand zu bezahlbaren Prämien Krankheitskostenschutz genießt. Dafür nimmt man in Kauf, dass ein Wechsel mit 50 Jahren wirtschaftlich unsinnig ist und man daher an die Solidargemeinschaft gebunden bleibt, selbst wenn man mit 50 Jahren überdurchschnittlich gesund sein sollte. Genau dies ermöglicht die Ausgestaltung der Alterungsrückstellung als Versicherung. Eine solche Vertragsgestaltung ist zukünftig nicht mehr möglich, da die Regelungen zur Portabilität zwingend sind. Überspitzt gesagt wird die private Krankenversicherung zu einem Glücksspiel, weil Mechanismen zur notwendigen Stabilisierung der Finanzierungsgrundlagen des Kollektivs fehlen bzw. erheblich geschwächt wurden. Abgemildert wird das Risiko für den einzelnen Versicherten dadurch, dass er jederzeit in den Basistarif des eigenen oder eines anderen Versicherungsunternehmens wechseln kann. Die finanzielle Belastung wird durch die Prämienbegrenzungen des Basistarifs begrenzt. Die GKV-Höchstgrenze ist für viele Versicherte mit geringerem Einkommen aber finanziell kaum verkraftbar. Die Prämienhalbierung tritt erst bei Hilfebedürftigkeit ein, d. h. der Versicherte kann sie erst in Anspruch nehmen, wenn er einen Großteil seines Einkommens für die Versicherungsprämie aufwenden muss und sein Vermögen praktisch aufgebraucht hat. Der Versicherte wird sich häufig außerdem gezwungen sehen, auf Zusatzleistungen, die er in seinem Tarif versichert hatte, zu verzichten. Nach § 204 Abs. 1 S. 2 VVG kann er zwar bei einem Wechsel in den Basistarif die Vereinbarung eines Zusatztarifes verlangen. Bei einer hohen Belastung durch den Basistarif wird der Versicherte sich die Prämie aber oft nicht mehr leisten können. (4) Folgen der Risikoselektion für die Versicherungsunternehmen Für Versicherungsunternehmen, die von der Risikoselektion negativ betroffen sind, sind die Folgen existenzbedrohend. Die Risikomischung in ihrem Versichertenbestand verschlechtert sich, was unweigerlich zu einer weiteren Verschlechterung der Risikomischung führt, weil die relativ guten Risiken von ihren Wechselmöglichkeiten zu anderen Versicherungsunternehmen Gebrauch machen werden. Das Unternehmen hat praktisch keine Möglichkeit, dem entgegenzusteuern. Für gute Risiken ist es nicht attraktiv, weil die Prämien in den bestehenden Tarifen zu hoch sind. Das Anbieten von neuen, günstigen Tarifen hilft nicht weiter, weil die schlechten Risiken aus den Bestandstarifen Anspruch auf Aufnahme in die neuen Tarife haben, so dass in diesen innerhalb kurzer Zeit wieder Prämienanpassungen notwendig sind. Mittelfristig werden die im Unternehmen verbliebenen schlechten Risiken alle in den Basistarif wechseln. Erst dann kommt dem Unternehmen der Risikoausgleich gemäß § 12g VAG zugute. Allein mit dem Basistarif kann ein

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Unternehmen, das im Wettbewerb mit Unternehmen, die lukrativere Normaltarife anbieten, steht, wirtschaftlich aber nicht überleben. Es wird jedenfalls längerfristig vom Markt gedrängt oder von einem Konkurrenten übernommen werden. (5) Folgen für den Wettbewerb Nach der Gesetzesbegründung soll die Einführung der Portabilität die Wechselmöglichkeiten der Versicherten verbessern und den Wettbewerb innerhalb der PKV stärken.66 Wie oben dargestellt, verbessert die Reform ausschließlich die Wechselmöglichkeiten guter Risiken. Schlechten Risiken ist faktisch nur der Wechsel in den Basistarif möglich, der aufgrund hoher Prämien, die der schlechten Risikostruktur geschuldet sind, unattraktiv ist. Es wird also ausschließlich einen Wettbewerb der Unternehmen um die guten Risiken geben. Ein Leistungs- und Preiswettbewerb der Versicherungsunternehmen zugunsten aller Versicherten mit positiven Auswirkungen auf die Effizienz der privaten Versicherungen kann auf diese Weise nicht zustande kommen.67 Ein beispielhaftes Szenario verdeutlicht dies: Zwei Unternehmen A und B haben in ihrem Versichertenbestand eine ähnliche Risikostruktur. Unternehmen A verbessert sein Leistungsangebot und beginnt außerdem eine aggressive Marketingkampagne um Bestandskunden von Unternehmen B. Aufgrund dessen wechseln Kunden von B zu A. Dieser Wettbewerb ist erwünscht und hat positive Auswirkungen. Da aber nur relativ gute Risiken wechseln werden, hat der Wechsel von Bestandsversicherten zur Folge, dass Unternehmen B nicht nur Kunden verloren gehen, sondern sich die Risikostruktur seines Bestandes verschlechtert. Folglich muss es die Prämien erhöhen, während die Prämien in Unternehmen A konstant bleiben. Unternehmen A kann daher weitere gute Risiken abwerben. Dieser Wettbewerbsvorteil beruht nicht mehr auf höherer Effizienz und besseren Leistungen, sondern allein auf der unterschiedlichen Risikostruktur, die Unternehmen B nicht beeinflussen kann. Dieser Vorteil wird wesentlich stärker wirken als der durch das bessere Leistungsangebot und die höhere Effizienz verursachte. Selbst wenn Unternehmen B sein Leistungsangebot auf ein besseres Niveau bringt als Unternehmen A und seine Mittel effizienter einsetzt, wird es nur schlechte Chancen haben, den Trend zur Abwanderung in Richtung Unternehmen A zu stoppen. Zu einer sich selbst verstärkenden Risikoselektion kann es auch dann kommen, wenn Unternehmen A – aus welchen Gründen auch immer – eine günstigere Risikostruktur hat. Der durch die Portabilität der Basistarif-Alterungsrückstellungen verstärkte Wettbewerb um Bestandskunden beruht dann nicht einmal anfänglich auf besseren Leistungen und höherer Effizienz des im Vorteil stehenden Unternehmens, sondern von Beginn an allein auf unterschiedlichen Risikostrukturen. Daher kann es sogar sein, dass das effizienter arbeitende Unternehmen Wettbewerbsnachteile hat, weil es aufgrund seiner ungünstigeren Risikostruktur im Preiswettbewerb nicht bestehen kann.

BT-Drucks. 16 / 3100 S. 92. So auch Bürger, ZfV 2007, 669, 670: „Der Wettbewerb verschiebt sich von einem Wettbewerb um die effizienteste Leistungserbringung zu einem Wettbewerb um die besten Risiken.“ 66 67

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(6) Folgen für den privaten Krankenversicherungsmarkt Die durch die Neuregelung verursachten Selektionseffekte werden verheerende Folgen für die Stabilität des Krankenversicherungsmarktes haben. Unternehmen, die von negativen Selektionseffekten betroffen sind, werden vom Markt gedrängt. Da Selektionseffekte durch relativ geringe Wanderungsbewegungen, die etwa schon durch eine einmalige aggressive Marketingkampagne ausgelöst werden können, in Gang gesetzt werden und sich dann selbst verstärken, wird es keinen relativ stabilen Markt geben, in dem ein gesunder Leistungswettbewerb stattfindet. (7) Prognosesicherheit Diese Argumentation beruht nicht auf bloßen Befürchtungen und Spekulationen, sondern fundierten wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen und Prognosen. Alle Experten, die sich in der Vergangenheit mit den Möglichkeiten zur Portabilität der Alterungsrückstellungen befasst haben, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Portabilität der kalkulierten Alterungsrückstellungen zu einer Destabilisierung der PKV führen wird, sofern das Problem der Risikoselektion nicht gelöst wird. Die Regelungen von VVG, VAG und KalV in ihrer durch das GKV-WSG geänderten Fassung werden zu einer Risikoselektion im Bestandskundenbereich führen, die weitaus stärker als im bisherigen System sein wird. Inwieweit dies hinzunehmen ist, ist eine Wertungsfrage, zu der unten Stellung bezogen wird. Dass es zu diesem Effekt kommen wird, ist eine wirtschaftswissenschaftlich zu beantwortende Tatsachenfrage. Verschiedene Versicherungsunternehmen, die Verfassungsbeschwerde eingelegt haben, haben intern detaillierte Szenariorechnungen zu den Auswirkungen verstärkter Risikoselektion durchgeführt. Anhand der konkreten Beitrags- und Risikostruktur des jeweiligen Unternehmens wurde untersucht, wie es sich auswirkt, wenn eine Risikospirale in Gang gesetzt wird: Gute Risiken wechseln zu einem Konkurrenzunternehmen mit einem günstigeren Tarif, dies verschlechtert die Risikostruktur beim Herkunftsunternehmen und macht Beitragsanpassungen notwendig, woraufhin in einem weiteren Schritt noch mehr Versicherte das Unternehmen verlassen usw. Die Szenariorechnungen lassen massive Beitragssteigerungen bei Unternehmen, die von Risikoselektion betroffen sind, erwarten. Eines der beschwerdeführenden Unternehmen konnte darüber hinaus an einem konkreten Fall aus der Vergangenheit aufzeigen, dass das Problem der Risikoselektion zwar auch schon im bisherigen System auftreten konnte, die Gefahren aber wegen der fehlenden Portabilität der Alterungsrückstellungen beherrschbar waren. Das Versicherungsunternehmen hatte in Folge der Beendigung eines Rahmenvertrages mit einem großen Unternehmen einen starken Abgang junger Versicherter mit gutem Risiko zu verzeichnen. Die Risikostruktur verschlechterte sich. Die Alterungsrückstellungen, die von den abgehenden Versicherten „vererbt“ wurden, konnten aber dazu verwendet werden, den gestiegenen Kopfschaden des verblei-

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benden Kollektivs zu finanzieren und Beitragssteigerungen zu verringern. Mit Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen wären bei ähnlichen Ereignissen die Mittel für die Finanzierung eines zusätzlichen Kopfschadens nicht vorhanden. Es würde eine katastrophale Selektionsspirale in Gang gesetzt, die durch das betroffene Versicherungsunternehmen kaum zu verhindern wäre. Dem Gesetzgeber war das Problem der Risikoselektion durchaus bewusst. In der Begründung des Gesetzentwurfes der Regierungsfraktionen heißt es:68 „Die Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen führt zu der Gefahr einer Risikoentmischung des Bestands eines Krankenversicherers, d. h. zu der Gefahr, dass überdurchschnittlich viele ,gute Risiken‘ ihren Vertrag wechseln und das Versicherungsunternehmen auf den ,schlechten Risiken‘ ,sitzen bleibt‘. Neben den Gefahren für das Versicherungsunternehmen selbst führte dies zu unzumutbaren Prämienerhöhungen für die verbleibenden Versicherten. Diese Gefahr kann nicht ausgeschaltet, aber begrenzt werden: Bei unternehmensübergreifenden Wechseln von Versicherten des Basistarifs (standardisiertes Produkt mit Annahmezwang) können die Risikoverschiebungen durch einen Risikoausgleich ausgeglichen werden. Entsprechende Systeme existieren bereits für den Standardtarif und insbesondere die private Pflegepflichtversicherung. Die Formulierung des Entwurfs orientiert sich daher an § 111 des Elften Buches Sozialgesetzbuch. Der Risikoausgleich erfasst nur den Basistarif, weil nur insoweit ein Kontrahierungszwang und ein standardisiertes Produktangebot besteht.“

Unzutreffenderweise meinte der Gesetzgeber jedoch, die Problematik durch Einführung des Kontrahierungszwangs im Basistarif, die Beschränkung der unternehmensübergreifenden Portabilität auf den dem Basistarif entsprechenden Teil und die Schaffung eines entsprechenden Ausgleichssystems wirksam begrenzen zu können.

e) Portabilität der Alterungsrückstellungen im Altkundenbereich Die Regeln zur Portabilität im Altkundenbereich wurden über ein Jahr nach Verabschiedung des GKV-WSG im Verordnungswege erheblich modifiziert [siehe oben I. 3. f) bb)]. Im Folgenden soll daher jeweils kurz dargestellt werden, welche faktischen Auswirkungen die ursprüngliche Regelung nach dem GKV-WSG gehabt hätte, um dann die Konsequenzen der jüngsten Änderung der KalV zu erläutern. aa) Risikoselektion Das Problem der Risikoselektion hätte sich nach den ursprünglichen Regelungen des GKV-WSG auch im Altkundenbereich ergeben. Zwar ermöglicht § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b) VVG die Mitgabe der Alterungsrückstellung nur bei einem Wech68

BT-Drucks. 16 / 3100 S. 208.

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sel in den Basistarif eines anderen Unternehmens. Diese Beschränkung konnte jedoch durch einen sofortigen unternehmensinternen Wechsel in einen Normaltarif umgangen werden. Diese Option hätte aber faktisch nur guten Risiken offengestanden, denn schlechte Risiken werden bei einem solchen Wechsel durch Risikozuschläge belastet. Es wäre also dazu gekommen, dass schlechte Risiken in von Risikoselektion betroffenen Tarifen und Unternehmen bleiben müssen. Dies wäre umso verhängnisvoller gewesen, als Altkunden ein Wechsel in den Basistarif nur unter den beschränkten Voraussetzungen des § 204 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) VVG möglich ist. Die Neuregelung des § 13 Abs. 1a KalV macht einen zeitnahen Wechsel aus dem Basistarif des neuen Unternehmens in einen Normaltarif unattraktiv, weil hierbei die mitgebrachten Alterungsrückstellungen verloren gehen. Der Wechsel in den Basistarif ist für gute Risiken aber in aller Regel unattraktiv. Viele Versicherte werden auch nicht bereit sein, für 18 Monate im Basistarif versichert zu bleiben, um dann einen Wechsel in den eigentlich angestrebten Normaltarif vorzunehmen. Zwar lässt sich der Basistarif mit Zusatzversicherungen kombinieren. Insgesamt sind aber der Wechselaufwand und die Nachteile für Altkunden größer als nach dem ursprünglichen GKV-WSG. Es ist zu erwarten, dass diejenigen wechseln werden, die mit ihrem Versicherer unzufrieden sind und außerdem Interesse am Basistarif haben. Das Problem der Risikoselektion wird damit im Altkundenbereich weniger stark auftreten.

bb) Unberechenbare Umwälzungen des Versicherungsmarktes Während des Zeitfensters von sechs Monaten wäre es nach dem GKV-WSG aller Voraussicht nach zu erheblichen Wechselbewegungen von Versicherten, aber fast ausschließlich guten Risiken, gekommen. Für die Versicherungsunternehmen hätte sich die einmalige Chance geboten, Bestandskunden von anderen Unternehmen mit günstigen Angeboten zu werben und dabei die erhöhte Wechselbereitschaft wegen der (partiellen) Portabilisierung der Alterungsrückstellungen auszunutzen. Wer sich in einem solchermaßen überhitzten Wettbewerb am Ende durchsetzen wird, ist vollkommen unabsehbar. Das Ergebnis hätte aufgrund der Kürze des für den Wechsel zur Verfügung stehenden Zeitraums nicht die mittelund langfristige Effizienz und die Güte des Leistungsangebots der verschiedenen Versicherungsunternehmen widergespiegelt, sondern zum ganz überwiegenden Teil das werbestrategische Geschick und vor allem das Marketingbudget der Versicherungsunternehmen. Sicher ist dass am Ende dieses Prozesses einige Unternehmen die Risikostruktur in ihren Bestandstarifen verbessert hätten, während sich in anderen Unternehmen der Anteil schlechter Risiken erhöht hätte. Aus den soeben erläuterten Gründen ist ein solches Szenario durch Einführung der achtzehnmonatigen „Wartezeit“ im Basistarif weniger wahrscheinlich geworden. Ein scharfer Wettbewerb um Kunden im Basistarif ist nicht zu erwarten.

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cc) Prämienmindernde Berücksichtigung der Stornowahrscheinlichkeit Wie schon oben erläutert [Abschnitt I. 1. e)], hat sich das Prinzip der Vererbung der Alterungsrückstellungen, also die fehlende Portabilität, in der Vergangenheit prämienmindernd ausgewirkt. Zu den sonstigen Abgangswahrscheinlichkeiten i. S. d. § 5 KalV a. F. gehören auch die Stornowahrscheinlichkeiten, also die Wahrscheinlichkeiten für Abgänge wegen Kündigung eines Tarifs oder Leistungsbereiches.69 Diese sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 KalV Rechnungsgrundlage bei der Prämienberechnung. Die Tatsache, dass manche Versicherte ihren Versicherungsvertrag kündigen und die mit ihren Beiträgen mitaufgebaute Alterungsrückstellung des Kollektivs beim Kollektiv verbleibt, hat sich also prämienmindernd ausgewirkt. Durch die vorübergehende Portabilisierung der Basistarif-Alterungsrückstellungen für die Zeit vom 1. 1. bis 30. 6. 2009 wird nachträglich in die Kalkulationsgrundlagen eingegriffen. Die Kündigung des Versicherungsvertrages führt während dieses Zeitraums nämlich nicht zur Vererbung, sondern zur Übertragung der vollen kalkulierten Basistarif-Alterungsrückstellung auf den neuen Versicherer. Bei allen Versicherungsunternehmen wird dies unweigerlich zu einer Finanzierungslücke führen, und zwar unabhängig von möglichen Zugewinnen an Wechslern – denn diese bringen Alterungsrückstellungen alleine zur Minderung ihres eigenen Beitrags mit, mindern aber keinen Mittelabfluss. Der Gesetzgeber hat diesen Effekt erkannt. Im Fraktionsentwurf (BT-Drucks. 16 / 3100) war daher zunächst mit § 161 VAG-E eine Übergangsvorschrift für Altkunden vorgesehen.70 Inwieweit diese Regelung geeignet war, die nachträgliche Störung der Kalkulationsgrundlagen auszuschließen oder zu minimieren, sei dahingestellt. Die Übergangsregelung wurde durch den Gesundheitsausschuss aus dem Gesetzentwurf herausgenommen und wurde nicht in das Gesetz übernommen.71 Der Gesetzgeber hielt eine Übergangsregelung für entbehrlich. Wörtlich heißt es in der Begründung der Beschlussvorlage:72 „Im Unterschied zum Gesetzentwurf wird die Portabilität für vor dem 1. Januar 2009 geschlossene Verträge aber ausgeschlossen. Für diese Altverträge, bei denen sogenannte Stornogewinne prämienmindernd einkalkuliert sind, die beim Verfall der Alterungsrückstellungen an das Kollektiv entstehen, wenn ein Versicherungsnehmer das Unternehmen verlässt, wird kraft Gesetzes ein Wechselrecht für die Dauer von sechs Monaten geschaffen.“73 ... „Die im Gesetzentwurf in § 161 geregelten Übergangsvorschriften für Bestandsversicherte beim Wechsel in den Basistarif sind vor dem Hintergrund, dass diesen nur ein befristetes Wechselrecht von einem halben Jahr eingeräumt wird, entbehrlich.“74 69 70 71 72 73 74

Rudolph in: Bach / Moser, Teil G, § 5 KalV Rn 11. BT-Drucks. 16 / 3100 S. 82, Begr. auf S. 208. Beschlussempfehlung des 14. Ausschusses, BT-Drucks. 16 / 4200 S. 210. BT-Drucks. 16 / 4247 S. 69. Zu Art. 44, Nr. 5, Buchst. a, Abs. 1 Nr. 5. Zu Art. 44, Nr. 8 / 9.

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Diese Einschätzung des Gesetzgebers war in Bezug auf das GKV-WSG in seiner ursprünglichen Version falsch. Denn wie oben dargestellt, wäre es zu erheblichen Wechselbewegungen gekommen, so dass das Volumen des Vererbungsverlustes sehr groß gewesen wäre. Der Vererbungsverlust trifft gerade diejenigen der Versicherten, die nicht wechseln können werden, weil ihre Beiträge trotz Mitgabe der Alterungsrückstellungen durch erhebliche Risikozuschläge aufgrund von Vorerkrankungen prohibitiv hoch wären. Der Vererbungsverlust führt zu einer Minderung der RfB-Zuführungen, die gerade ihnen genutzt hätten.75 Da aufgrund der Änderung der KalV insgesamt mit weniger Wechseln zu rechnen ist, reduziert sich auch das Volumen des Vererbungsverlust. Das prinzipielle Problem bleibt jedoch. dd) Faktische Unmöglichkeit der Berechnung des Übertragungswertes gemäß § 13a Abs. 2 KalV Gemäß § 13a Abs. 2 KalV a. F. war für den Altbestand bei der Berechnung des Übertragungswertes eine historisierte Basistarifrückstellung zu bilden. Hierzu benötigte man je Person den individuellen Vertragsverlauf. Diese Informationen liegen nicht bei allen Unternehmen vor. Damit wäre es faktisch unmöglich gewesen, § 13a Abs. 2 KalV korrekt umzusetzen. Diese Problematik wurde jedoch durch die jüngste Änderung der KalV gelöst. f) Zahlungen an die GKV In der GKV waren im Jahr 2006 ca. 70,5 Mio. Personen versichert.76 Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl in den nächsten Jahren stabil bleiben wird. Die Zahlungen an die GKV von 2,5 Mrd. A in 2007 und 2008, 4,0 Mrd. A in 2009, 5,5 Mrd. A in 2010 usw. bis zu einem jährlichen Betrag von 14 Mrd. A führen also beim Höchstbetrag von 14 Mrd. A zu einer jährlichen Entlastung der GKV um 200 A pro Versicherten. Würde die PKV entsprechend subventioniert, käme man bei ca. 8,5 Mio. privat Vollversicherten zu einer Entlastung von insgesamt 1,7 Mrd. A. In der PKV sind ca. 1,6 Mio. Kinder vollversichert.77 Durch eine Steuerunterstützung von 1,7 Mrd. A könnte also durchschnittlich der Jahresbeitrag eines Kindes um ca. 1063 A jährlich gesenkt werden. 75 RfB sind nicht allein und noch nicht einmal vorrangig für Beitragsrückerstattungen bestimmt. Krankenversicherungen haben den Bilanzposten RfB nach der erfolgsabhängigen und der erfolgsunabhängigen RfB zu untergliedern. Durch die erfolgsunabhängigen RfB werden die Beitragsanpassungen abgefedert und aus der erfolgsabhängigen RfB wird das Überschussbeteiligungssystem der Beitragsrückgewähr finanziert. Gerade also die Beitragsabfederung zur Vermeidung höherer Beitragsanpassungen ist ein wesentlicher Faktor zur angemessenen Beitragsgestaltung, deren Möglichkeiten durch den Mittelabfluss begrenzt werden. 76 PKV-Verband, Zahlenbericht der privaten Krankenversicherung 2006 / 2007, S. 108. 77 PKV-Verband, Zahlenbericht der privaten Krankenversicherung 2006 / 2007, S. 28.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG Zu fast identischen Zahlen kommt man, wenn man die Subvention von 14 Mrd. A auf die 14,1 Mio. in der GKV familienversicherten Personen unter 25 Jahren umrechnet (Quelle: GKV-Statistik KM6 vom 1. 7. 2007, S. 26). Es ergibt sich dann eine Subvention von 993 A pro Kind.

g) Dreimaliges Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze Das Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze bedeutet, dass Arbeitnehmer frühestens drei Jahre nach Überschreiten der Grenze einen privaten Vollkostenversicherungsvertrag abschließen können. Der PKV gehen damit potentielle Kunden mit hohem Einkommen verloren. Arbeitnehmer können erst in höherem Alter der PKV beitreten. Deutlich wird dies bei Berufsanfängern mit hohem Einkommen, die nach bisheriger Rechtslage sofort der PKV beitreten konnten, nach der Reform aber mindestens drei Jahre in der GKV verbleiben müssen. Langfristiger Effekt der Neuregelung ist also eine Erhöhung des Eintrittsalters in die PKV. Dies führt zu höheren Prämien, weil dadurch weniger Zeit für den Aufbau der Alterungsrückstellungen verbleibt.78 Das durchschnittliche Eintrittsalter in die Krankheitskostenvollversicherung beträgt bei den Unternehmen der PKV ca. 36 Jahre. Bei vorsichtigen Annahmen verzögert die Neuregelung das Eintrittsalter für Wechsler aus der GKV um ca. zwei Jahre, so dass sich das durchschnittliche Eintrittsalter auf ca. 38 Jahre erhöht. Dies verteuert den Männerbeitrag um ca. 6 % und den Frauenbeitrag um ca. 4 %. Auch bislang privat versicherte Selbständige, die in ein Beschäftigungsverhältnis eintreten, können unabhängig von ihrem Einkommen frühestens nach drei Jahren die GKV wieder verlassen. Umgekehrt bleibt es dabei, dass Arbeitnehmer, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht versicherungspflichtig und privat versichert waren, bei Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze sofort versicherungspflichtig werden und nur unter den engen Voraussetzungen des § 8 SGB V von der Versicherungspflicht befreit werden können. Die Neuregelung hat schon im Jahr 2007 zu einem massiven Rückgang des Neuzugangs von Arbeitnehmern geführt, insbesondere von Wechslern aus der GKV. Unter den 24 Unternehmen, die Verfassungsbeschwerde eingelegt haben, finden sich in diesem Bereich Rückgänge von bis zu 70 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Erschwerung des Beitritts zur PKV für Arbeitnehmer mit höherem Einkommen trifft die Versicherer der PKV nach dem GKV-WSG umso härter, als der Basistarif aufgrund der Beitragsbegrenzungen auf Quersubventionierung durch die übrigen Tarife angewiesen ist. Diese Subventionierung kann aber nur geleistet werden, wenn eine ausreichende Zahl jüngerer und daher im Durchschnitt gesünderer und besser verdienender Versicherter in den Normaltarifen versichert ist. Die PKVUnternehmen werden durch die Reform zwar immer noch nicht in gleichem Maße 78

Langer / Plass, ErsK 2007, 146.

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wie die ausschließlich umlagefinanzierte GKV von einem stetigen Nachrücken neuer Versicherter abhängig, die Notwendigkeit erhöht sich aber durch die zwangsweise Einführung (systemfremder) Umlageelemente wie dem Basistarif. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Geschäftstätigkeit der privaten Krankenversicherer zuletzt durch die massive Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zum Zwecke der Erschließung neuer Finanzierungsquellen der GKV durch das Beitragssatzsicherungsgesetz vom 23. 12. 2002 (BGBl. I S. 4637) erheblich beschränkt wurde. Vergangene Erhöhungen der Jahresarbeitsentgeltgrenze und das durch das GKV-WSG eingeführte Erfordernis des dreimaligen Überschreitens dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind Teil einer Gesamteinschränkung der Tätigkeit der PKV. h) Wahltarife Mit der Einführung der Wahltarife nach § 53 Abs. 4 bis 6 SGB V treten die gesetzlichen Krankenkassen in erster Linie im Bereich der Zusatztarife in Konkurrenz zu dem Versicherungsunternehmen der PKV.79 Für den Wahltarif Kostenerstattung (Abs. 4) ist dies ausweislich der Gesetzesbegründung gerade Ziel des Gesetzgebers: Die Wettbewerbsposition der GKV gegenüber der PKV soll gestärkt werden.80 Nicht nur im Bereich der Zusatzversicherungen entsteht aber für die Krankenversicherungen der PKV neue Konkurrenz. In der GKV versicherte Mitglieder können insbesondere durch den Wahltarif Kostenerstattung einen Status erreichen, der einem Privatversicherten gleichkommt. Freiwillig versicherte Mitglieder stehen jetzt also vor der Wahl, eine Vollversicherung mit einer PKV-Krankenversicherung abzuschließen oder in der GKV zu verbleiben und den Wahltarif Kostenerstattung abzuschließen. aa) Das Angebot der PKV und die Konkurrenz durch die Wahltarife (1) Kostenerstattung Der Wahltarif Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V) ermöglicht es den gesetzlichen Krankenkassen, Tarife anzubieten, die bislang nur von der PKV angeboten wurden. Vorher konnten sich bereits alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen abweichend vom Grundsatz der Sachleistung für die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V entscheiden. Ein Anspruch auf Erstattung bestand dann aber nach § 13 Abs. 2 S. 9 SGB V höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Dadurch wurde gewähr79 Vgl. zur Konkurrenzsituation zwischen GKV und PKV bei Wahltarifen bereits Schmidt, GesR 2007, 295, 299. 80 BT-Drucks. 16 / 3100, S. 109: „Diese Tarifmöglichkeit stärkt die Wettbewerbsposition der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber der privaten Krankenversicherung.“

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

leistet, dass die Wahl von Kostenerstattung nicht zu höheren Kosten für die Solidargemeinschaft führte. Der sachliche Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse sollte durch diese Möglichkeit nicht verändert werden.81 Die Neuerung für alle Versicherten durch die Einführung des § 53 Abs. 4 SGB V besteht nun darin, dass die Versicherten gegen die Zahlung einer erhöhten Prämie eine höhere Kostenerstattung erlangen können. Die Höhe der Kostenerstattung kann jetzt variabel gestaltet werden, so dass dem Versicherten etwa der 2,3-fache Satz nach GOÄ / GOZ erstattet werden kann.82 Dies ermöglicht es dem Versicherten, seinem Arzt eine höhere Vergütung zu zahlen. Darüber hinaus gestattet § 53 Abs. 4 SGB V auch eine Variation des Leistungsumfangs innerhalb des GKV-Leistungskatalogs. Zwar legt die Systematik des Gesetzes nahe, dass der Leistungsumfang der GKV durch den Wahltarif nach § 53 Abs. 4 SGB V nicht ausgeweitet werden soll. In Satz 3 wird nämlich die Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB V ausdrücklich ausgeschlossen. Im Rückschluss wird daraus gefolgert, dass § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V anwendbar bleibt, eine Kostenerstattung also nur „anstelle“ der Sach- oder Dienstleistungen tritt. Dies hat aber nach verbreiteter Ansicht nicht zur Folge, dass die Kassen nur das erstatten dürften, was sie sonst als Sach- oder Dienstleistung erbrächten.83 Vielmehr dürfen „verbesserte Leistungen“, „die der gesetzlichen Krankenversicherung [nicht] fremd sind“, erbracht werden.84 Nach einem Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes vom 13. 3. 2007 an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen wird als Beispiel das Angebot eines Kostenerstattungstarifs für „Chefarztbehandlung und 2-Bett-Zimmer“ genannt. Ärztliche Behandlung und Unterbringung seien nämlich Bestandteile der Krankenhausbehandlung und stellten daher – selbst wenn sie nicht in dieser Form als Sach- oder Dienstleistung erbracht würden – keine Leistungsausweitung im engeren Sinne dar.85 Die Bundesregierung hat sich diesem Verständnis angeschlossen.86 Für diese Interpretation lässt sich vor allem die Gesetzesbegründung anführen. Bereits die dort genannte Erstattung des 2,3-fachen Satzes nach GOÄ und GOZ geht über den von § 13 Abs. 2 S. 1 SGB V geregelten Leistungsumfang hinaus. Ziel des Wahltarifs Kostenerstattung ist nach der Gesetzesbegründung, die Wettbewerbsposition der GKV gegenüber der PKV zu stärken.87 Höfler in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V Rn. 25. BT-Drucks. 16 / 3100, S. 108 f. 83 A.A. Isensee, NZS 2007, 449, 450 f. 84 Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 98. 85 Schreiben des Bundesversicherungsamts v. 13. 03. 2007 – II 1-4927.6-3709 / 2006, S. 5; siehe auch Stellungnahme des Bundesversicherungsamtes v. 13. 6. 2008 – Ausschussdrucks. (Gesundheit) 16(14)0396(1); ähnlich Beckschäfer, Ersatzkasse 2007, 233, 234 f. 86 BT-Drucks. 16 / 6794, Antrag der FDP-Fraktion, GKV-eigene Tarife durch Kooperation von GKV und PKV beim Wahltarif zur Kostenerstattung ersetzen, S. 2. Auch Giesen, Die BKK 2008, 24, 25, sieht in den Wahlleistungen Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer keine Erweiterung des Leistungskatalogs. 87 BT-Drucks. 16 / 3100, S. 109. 81 82

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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Dieser Zweck kann nach Ansicht Daubenbüchels, des Präsidenten des Bundesversicherungsamts, nur erreicht werden, wenn die GKV ähnliche Angebote macht, die über ihren bisherigen Leistungsumfang hinausgehen.88 Nicht erlaubt ist es dagegen, Kosten für Behandlungsmethoden zu erstatten, die etwa als neue Behandlungsmethoden nach §§ 135, 137c SGB V nicht zulasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen.89 Die jetzt zulässigen Versicherungsleistungen waren bislang nur durch die PKV zu erlangen, und zwar entweder durch Abschluss eines Vollkostentarifs oder – für Pflichtversicherte – eines Zusatztarifs zu den Leistungen der GKV. (2) Besondere Therapierichtungen Versicherungsschutz für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen war bislang nur durch die PKV erhältlich. Durch diese Möglichkeit wird der GKV-Leistungskatalog nicht nur modifiziert, sondern erweitert. Die fakultativen Zusatztarife der GKV gemäß § 53 Abs. 5 SGB V treten in direkte Konkurrenz zu den Angeboten der PKV. (3) Krankengeld Personen, die in der GKV keinen Krankengeldanspruch haben, können zur Absicherung des Verdienstausfallrisikos im Krankheitsfall eine private Krankentagegeldversicherung abschließen. Die obligatorischen Zusatztarife der GKV im Bereich Krankengeld (§ 53 Abs. 6 SGB V) treten in direkte Konkurrenz zu den Krankentagegeldversicherungen der PKV. bb) Einführung von Wahltarifen durch die GKV Der neue Freiraum, den der Gesetzgeber den gesetzlichen Krankenkassen geben will, wird von diesen genutzt. Verschiedene von ihnen haben von der Möglichkeit zur Einführung von Wahltarifen schon Gebrauch gemacht. Variable Kostenerstattung sowie ein Wahltarif für besondere Therapieeinrichtungen wird bereits von zahlreichen Krankenkassen angeboten. Einen weitgehenden Kostenerstattungstarif hat die Techniker Krankenkasse in ihr Angebot aufgenommen. Wer den Tarif „TK-Privat Praxis“ wählt, kann ambulante ärztliche Leistungen bei Ärzten mit Kassenzulassung wie ein Privatversicherter in Anspruch nehmen. Die Kosten der Behandlung werden nicht über die Krankenversicherungskarte abgerechnet. Stattdessen erhalten die Patienten vom Arzt eine Rechnung, die sie bei der Techniker Krankenkasse einreichen. Die Techniker Krankenkasse zahlt 90 % der Kosten an den Patienten. Der verbleibende Eigenanteil von 10 % ist auf 400 Euro im Jahr begrenzt. Der 88 89

Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 98. Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 98.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG Umfang der Kostenerstattungstarife anderer Krankenkassen ist dagegen häufig beschränkt. Die AOK Rheinland / Hamburg bietet etwa in ihrem Wahltarif „Ein- und Zweibettzimmer“ nur Kostenerstattung der Zusatzkosten für ein Ein- bzw. Zweibettzimmer bei einer medizinisch notwendigen Krankenhausbehandlung in einem Vertragskrankenhaus. Die Techniker Krankenkasse bietet den Wahltarif „TK-Privat Natur-Arznei“ an. In diesem Tarif erstattet die Techniker Krankenkasse 90 % der Kosten für alternative Arzneimittel, die der Vertragsarzt auf Privatrezept verordnet. Durch den Tarif „OptiBalance“ der IKK Niedersachsen können Versicherte die Übernahme von Arzneimittelkosten für Phytotherapie, anthroposophische Therapie und Homöopathie erreichen.

Mit einigen Wahltarifen wird bereits jetzt unter dem Hinweis geworben, dass die Genehmigung des Bundesversicherungsamts noch aussteht. In den Internetangeboten der Krankenkassen findet sich daneben der Hinweis, dass weitere Wahltarife entwickelt werden. Die Techniker Krankenkasse weist darauf hin, dass sie „ihr Wahltarif-Angebot auch in Zukunft kontinuierlich ausbauen“ und so „die Wahlmöglichkeiten für ihre Versicherten ständig erweitern“ werde. Die AOK Niedersachsen wirbt mit der Aussage: „Auch in Zukunft wird die AOK alle sinnvollen gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Ihnen attraktive neue Wahltarife anbieten zu können.“ Die IKK-Direkt verkündet: „Die IKK-Direkt plant weitere interessante Wahltarife, die derzeit noch dem Bundesversicherungsamt zur Genehmigung vorliegen. Sobald diese freigegeben wurden, werden wir aktuell darüber informieren.“

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das schon in beträchtlichem Umfang bestehende Angebot von Wahltarifen weiter wachsen wird. cc) Wettbewerbsvorteile der GKV Man mag sich freuen, dass dadurch die Wahlfreiheit der Versicherten vergrößert wird und Wettbewerb effektiviert wird. Doch näheres Hinsehen zeigt deutlich: Dieser neue Wettbewerb ist Wettbewerb zu ungleichen Bedingungen. Die gesetzlichen Krankenkassen genießen spezifische Vorteile, die ihnen im Wettbewerb mit der PKV nützen. (1) Geringere Regulierung der Beitragskalkulation Die privaten Versicherungsunternehmen unterliegen bei substitutiven Krankenversicherungen strengen Regeln bei der Beitragskalkulation. 90 Basis der Prämienberechnung in der PKV ist damit eine ordentliche und umfassende Risikobewertung. Denn die Versicherungsprämien dürfen nur risikogerecht kalkuliert werden, wobei laut Kalkulationsverordnung in die Prämie ausdrücklich ein Sicherheitszuschlag von mindestens 5 % der Bruttoprämie einzurechnen ist. Eine Unterdeckung in einem Tarif nach dem ersten Jahr ist durch das umfassende Regelwerk von vornherein praktisch ausgeschlossen. 90

Siehe hierzu schon oben I. 1. b) und c).

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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Im Bereich der Zusatzversicherungen gelten diese Regelungen nicht in vollem Umfang. Auch hier gibt es aber zahlreiche Vorschriften. Zudem besteht ein faktischer Zwang durch die Marktsituation, so dass sich die privaten Krankenversicherungen den Regelungen des VAG und der KalV weitgehend unterwerfen. (a) Einführung von Tarifen Die Krankenkassen der GKV unterliegen bei der Schaffung von Wahltarifen weit geringeren Kontrollmechanismen als die Versicherungsunternehmen der PKV. Das GKV-WSG selbst macht keine Vorschriften zur Kalkulation von Wahltarifen in der GKV. Lediglich die Vorgabe, dass die Quersubventionierung verboten sei, weist darauf hin, dass die einzelnen Wahltarife wirtschaftlich sein müssen. Das Bundesversicherungsamt wird konkreter. Im Schreiben zur Umsetzung der Wahltarife gemäß § 53 SGB V vom 13. 3. 2007 an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen hält es das Bundesversicherungsamt für erforderlich, dass für die Genehmigung von Wahltarifen in der GKV von den Kassen zumindest eine Plausibilitätsdarstellung eingereicht werden muss.91 Aus dieser muss sich nachvollziehbar die Wirtschaftlichkeit aller Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung ablesen lassen. Dabei ist genau darzulegen, auf welchem Wege die durch einen Wahltarif erzielten Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen in den Kassen erfasst werden. Mit der Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen von Wahltarifen durch das Bundesversicherungsamt offenbart sich die Kalkulationsgrundlage von Wahltarifen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese brauchen lediglich auf Plausibilitätsdarstellungen zu basieren. Bereits der Begriff der Plausibilität ist unklar. Fraglich ist nämlich bereits, welche Einnahmen bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden dürfen. So wird etwa in der Literatur vorgeschlagen, auch die zusätzlichen Beiträge der Mitglieder miteinzurechnen, die ohne die Einführung eines Wahltarifs nicht hätten gewonnen werden können.92 Dann aber trägt der Tarif sich nicht mehr aus sich selber heraus; eine Quersubventionierung findet statt. Auch wie sich die gesetzlichen Kassen der Plausibilität nähern, bleibt völlig offen. Denn ihnen fehlen jegliche Kalkulationsgrundlagen.93 Anders als den privaten Krankenversicherungen liegen den gesetzlichen Krankenkassen keine Daten über die Risikomerkmale ihrer Mitglieder vor. Sie kennen das Alter und das Geschlecht ihrer Versicherten. Über deren Gesundheitszustand sind sie dagegen nicht informiert. Die besondere Bedeutung des Gesundheitszustands für die Kalkulation wird aber deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie hoch der Anteil der Versicherten in der PKV ist, die Risikozuschläge zahlen.

91 92 93

Schreiben des Bundesversicherungsamts v. 13. 3. 2007 – II 1-4927.6-3709 / 2006, S. 1 f. Trauner, BKK 2007, 412, 418. G. W. Weber, GuS 2007, Heft 7 / 8, 54, 57.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

Auch auf Erfahrungswerte können die gesetzlichen Krankenkassen bei der erstmaligen Kalkulation ihrer Tarife nicht zurückgreifen.94 Bei der Kalkulation der Wahltarife können sie daher allenfalls von einem durchschnittlichen Gesundheitszustand ausgehen. Tatsächlich werden aber gerade diejenigen Mitglieder mit einem schlechten Gesundheitszustand die angegriffenen Wahltarife abschließen. Wer häufig im Krankenhaus behandelt wird, für den lohnt sich ein Wahltarif Zweibettzimmer. Zusätzliche Beiträge rentieren sich dagegen nicht für denjenigen, der von den Leistungen nur selten profitieren könnte. Gerade in der Einführungsphase werden diejenigen Mitglieder einen Wahltarif abschließen, bei denen ein größerer Eingriff unmittelbar bevorsteht, die also etwa von der Chefarztbehandlung in den nächsten Wochen profitieren werden. Durch die dreijährige Bindungsfrist wird dieser Effekt etwas zurückgenommen. Auch danach ist aber davon auszugehen, dass die Mitglieder nur zusätzliche Beiträge zahlen werden, wenn sie überdurchschnittlich davon profitieren. (b) Folgen bei Unterkalkulation Ist ein Wahltarif falsch kalkuliert, geht dies nicht nur auf Kosten der ursprünglichen Wahltarifnehmer, sondern auf Kosten der gesamten Versicherungsgemeinschaft. Ist nämlich auf Grund einer Unterdeckung eine Verteuerung des Wahltarifs erforderlich, entsteht laut Bundesversicherungsamt ein neuer Tarif. Die Bindungswirkung für die Versicherten erlischt.95 Die Teilnehmer an einem Wahltarif können also nicht verpflichtet werden, die von ihnen verursachten Verluste auszugleichen.96 Dann muss es die Gemeinschaft der übrigen Versicherten tun. Die gesetzlichen Krankenkassen haben anders als die privaten Versicherungen, die gemäß § 37 VAG zur Bildung umfangreicher Verlustrücklagen verpflichtet sind, keine Rücklagen, aus denen die Unterkalkulation zu decken wäre. Denn die Rücklagepflicht des § 261 SGB V reicht zur Abdeckung dieses Risikos nicht aus. Gemäß § 261 Abs. 2 SGB V beträgt sie nämlich zwischen einem Viertel und dem Einfachen des Betrages der auf den Monat entfallenden durchschnittlichen Ausgaben. Höher darf sie nicht sein, weil eine unnötige Vermögensansammlung vermieden werden soll.97 Damit gereicht ein von einem Versicherten gewählter Wahltarif kurzfristig zum Vorteil der Wahltarifteilnehmer, mittel- und langfristig aber immer zum Nachteil der gesamten Versichertengemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Verbot der Quersubventionierung nach § 53 Abs. 9 SGB V ist daher nicht durchsetzbar. Stellt sich ein Wahltarif als unrentabel heraus, kann das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde zunächst auf eine Anpassung der Beiträge für 94 95 96 97

Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 99. Schreiben des Bundesversicherungsamts v. 13. 3. 2007 – II 1-4927.6-3709 / 2006, S. 7. Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 103. Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 261 SGB V Rn. 2.

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die Wahltarife drängen, um die verursachten Verluste dadurch möglichst weitgehend aufzufangen. Wegen des dadurch ausgelösten Sonderkündigungsrechts der Tarifteilnehmer kann eine Deckung der Verluste aber nicht durchgesetzt werden. Erweist sich schließlich auch der korrigierte Tarif als unwirtschaftlich, kann das Bundesversicherungsamt lediglich noch die Genehmigung des Tarifs widerrufen.98 Die verursachten Verluste werden dann von der Versichertengemeinschaft aufgefangen.98a (c) Anreizeffekte für die GKV Für die Krankenkassen der GKV besteht ein Anreiz, das Fehlen wirksamer Sanktionen auszunutzen und unterfinanzierte Wahltarife einzuführen. Denn alle Wahltarife sind für die Krankenkassen ein Mittel der Mitgliederbindung.99 Gemäß § 53 Abs. 8 Satz 1 SGB V wird das Mitglied bei Abschluss eines der angesprochenen Wahltarife für drei Jahre an diesen Tarif und damit auch an die Krankenkasse gebunden. Nach dem Bundesversicherungsamt ist es zulässig, nach Ablauf der Mindestbindungsfrist bei Verlängerung in der Satzung erneut eine dreijährige Bindung vorzusehen.100 Durch attraktive Wahltarife können Mitglieder also effektiv an eine bestimmte Krankenkasse gebunden werden. Die Wahltarife nach § 53 Abs. 4, Abs. 5 und Abs. 6 SGB V sind dabei für die Krankenkassen besonders als Instrument der Bindung geeignet, da sie sich in erster Linie an die besser verdienenden Versicherten richten.101 Diese Gruppe verfügt über die nötigen Mittel, um sich besondere Gesundheitsleistungen wie das Zweibettzimmer im Krankenhaus (Abs. 4) oder homöopathische Arzneimittel (Abs. 5) leisten zu können. Wenn ihre gesetzliche Krankenkasse diese Möglichkeiten bietet, werden die Besserverdienenden, die in der Regel wechselwilliger sind, davon abgehalten, eine andere Krankenkasse oder gar eine Krankenversicherung der PKV zu wählen.102 Für die Krankenkassen lohnt es sich wirtschaftlich, einkommensstarken Mitgliedern unrentable Wahltarife anzubieten, um diese als Mitglieder zu halten. Denn die gutverdienenden Mitglieder zahlen überproportional viel ein. Selbst wenn sie über die Wahltarife einen Bonus zurückerhalten, den sie durch die zusätzlich fällig werdenden Beiträge für diese Tarife nicht decken, profitieren die Krankenkassen insgesamt von diesen Mitgliedern. Wenn sie die WahlDaubenbüchel, RPG 2007, 95, 103. Zum Fehlen einer besonderen Haftungsregel für GKV-Vorstände siehe BT-Drucks. 16 / 10084 S. 13. 99 G. W. Weber, GuS 2007, Heft 7 / 8, 54, 55. 100 Schreiben des Bundesversicherungsamts v. 13. 3. 2007 – II 1-4927.6-3709 / 2006, S. 6; Beckschäfer, Ersatzkasse 2007, 233, 235. 101 Zur höheren Akzeptanz von Wahltarifen bei freiwilligen Mitgliedern siehe Nachweise bei G. W. Weber, GuS 2007, Heft 7 / 8, 54, 59; siehe auch Blöß / Rabbata / Rieser, DÄ 2007, A 1059, 1061. 102 Winkel, SozSich 2007, 110, 110. 98

98a

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

tarife entgegen dem Verbot des § 53 Abs. 9 SGB V quersubventionieren, erhalten sie also mehr Mittel. Genauso verhält es sich mit den Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarifen nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V. Diese Wahltarife erlauben den Krankenkassen, dass Mitglieder einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten gegen eine Prämienzahlung übernehmen können (Selbstbehalt) bzw. eine Prämienzahlung erhalten, wenn sie in einem Kalenderjahr keine Leistungen zu Lasten der Krankenversicherung in Anspruch genommen haben (Beitragsrückerstattung). Auch bei diesen Wahltarifen besteht ein Anreiz für die Krankenkassen, unrentable Modelle anzubieten. Denn diese Tarife lohnen sich besonders für die Mitglieder, die aufgrund ihres jungen Alters oder ihres guten Gesundheitszustands davon ausgehen, zumindest in den nächsten drei Jahren keine hohen Gesundheitskosten zu verursachen. Für sie ist es wirtschaftlich sinnvoll, einen günstigen Tarif mit Selbstbehalt oder Beitragsrückerstattungen zu wählen, weil bei einem geringen Krankheitsrisiko die jährliche Ersparnis größer ist als die persönlich zu zahlenden Gesundheitskosten. Umfragen haben bereits ergeben, dass junge und gesunde Mitglieder ein größeres Interesse an Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarifen haben.103 Ebenso wie bei den einkommensstarken Mitgliedern besteht ein starker Anreiz für die gesetzlichen Krankenkassen, diese Mitglieder durch besonders attraktive Tarife an sich zu binden.104 Selbst wenn die Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarife in sich unrentabel sind, lohnen sie sich, weil die jungen und gesunden Mitglieder insgesamt überproportional einzahlen. (2) Geringere Regulierung der Beitragsanpassung und Kündigung Die Krankenkassen der GKV sind anders als die Krankenversicherungen der PKV bei der Beitragsanpassung kaum Regeln unterworfen. Für den Fall der Beitragsanpassung wegen Unwirtschaftlichkeit eines Wahltarifs hat das Bundesversicherungsamt die Genehmigung von Wahltarifen mit dem Vorbehalt des Widerrufs versehen.105 Für alle anderen Fälle fehlt es bei Wahltarifen in der GKV an einem umfangreichen Regelwerk zur Beitragsanpassung. Gemäß § 178i Abs. 1 S. 1 VVG a. F. ist in der substitutiven Krankenversicherung die ordentliche Kündigung durch den Versicherer ausgeschlossen. Auch Prämienerhöhungen wegen nachträglicher Erhöhung des individuellen Krankheitsrisikos sind ausgeschlossen.106 Ebenso wenig dürfen nach § 12b Abs. 2 VAG Unterkalkulationen zum Anfangszeitpunkt nachgeholt werden. Eine Beitragsanpassung „erfolgt insoweit nicht, als die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erst- oder einer Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren und ein ordentlicher und gewissenhafter Aktuar dies hätte erkennen müssen.“ 103 104 105 106

Amhof / Böcken, BKK 2007, 111, 117; Paquet / Stein, BKK 2007, 192, 194. G. W. Weber, GuS 2007, Heft 7 / 8, 54, 59. Schreiben des Bundesversicherungsamts v. 13. 3. 2007 – II 1-4927.6-3709 / 2006, S. 7. Prölss, VVG, § 178g Rn. 15.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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Verluste sind insoweit aus den Eigenmitteln des Unternehmens zu zahlen. Diese werden durch die Pflicht zur Bildung einer Verlustrücklage in § 150 AktG für die AG und § 37 VAG für den VVaG gewährleistet. Für Beitragsanpassungen aufgrund zukünftiger, nicht kalkulierter Mehraufwendungen muss ein sogenannter „auslösender“ Faktor vorliegen. So schreibt das VAG zwingend vor, dass private Versicherungsunternehmen für jeden kalkulierten Tarif zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen hat. Ergibt sich in dieser Gegenüberstellung für einen Tarif eine nicht nur vorübergehende Abweichung von mehr als 10 Prozent, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Dabei dürfen die Prämienänderungen erst dann in Kraft treten, nachdem ein unabhängiger Treuhänder der Beitragsanpassung zugestimmt hat. Zur Überprüfung, ob eine Beitragsanpassung mit den dafür bestehenden Vorschriften im Einklang steht, sind dem Treuhänder alle erforderlichen technischen Berechnungsgrundlagen sowie die hierfür notwendigen Nachweise und Daten vorzulegen.

Die Krankenkassen können daher ihre Wahltarife von vornherein ganz anders kalkulieren als die Krankenversicherungen der PKV, die weitgehend an die strengen Regeln der KalV gebunden sind bzw. sich freiwillig daran binden und selbst beim Betreiben von Zusatzversicherungen nach Art der Schadensversicherung die Genehmigung eines unabhängigen Treuhänders einholen müssen. Der Verbraucherschutz wird bei den Wahltarifen in der GKV nicht gewährleistet. Denn ein GKV-Versicherter, der sich für ein wie auch immer geartetes Wahl- oder Zusatzprodukt seiner Kasse entscheidet, hat keine Gewähr dafür, dass die Beitragsentwicklung nach verlässlichen und im Vorhinein feststehenden Regeln abläuft. Der Versicherte muss mit altersabhängigen Mehrbelastungen rechnen und kann nicht einmal darauf vertrauen, dass – weil Zusatz- oder Wahltarife theoretisch jederzeit durch die Aufsicht und die anbietende Kasse aufkündbar sind – Zusatzleistungen lebenslang gewährt werden.107 Die Mehrbelastungen mit zunehmendem Alter werden noch dadurch verstärkt, dass viele der Wahltarife altersabhängig kalkuliert sind. Anders als die Krankenversicherungen der PKV nehmen die Krankenkassen der GKV nämlich keine Alterungsrückstellungen vor.108 Weil die Krankheitskosten altersabhängig sind und mit dem Alter ansteigen, werden für ältere Mitglieder höhere Beiträge fällig. Deutlich wird das etwa an dem Wahltarif „Zweibettzimmer“, der von der AOK Rheinland / Hamburg angeboten wird. Bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres beträgt die monatliche Prämie 4,70 Euro, nach Vollendung des 65. Lebensjahres 52,00 Euro. Das ist eine Steigerung um mehr als das 11-fache (!). Will ein GKV-Mitglied den von ihm ausgesuchten Wahltarif auch im Alter behalten, muss es also bereits in jungen Jahren ausreichende Mittel dafür zurücklegen. Bei sinkender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Alter steigen nämlich 107 Schmidt, GesR 2007, 295, 302; Schulze Ehring / C. Weber, WIP-Diskussionspapier 4 / 07, S. 20 f. 108 Schulze Ehring / C. Weber, WIP-Diskussionspapier 4 / 07, S. 19 f.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

gleichzeitig die Beiträge. Diese Entwicklung widerspricht dem Anliegen der Sozialversicherung, die einen Schutz gerade bei sinkender Leistungsfähigkeit gewährleisten soll.109 Die Mitglieder sollen nicht gezwungen sein, bereits frühzeitig privat Mittel zurückzulegen, um den von ihnen gewünschten Standard des Schutzes bei Krankheit auch im Alter erreichen zu können. (3) Bindung an die GKV durch Pflichtmitgliedschaft sowie Zugang zu Daten In den Krankenkassen der GKV ist der überwiegende Teil der Bevölkerung pflichtversichert. Die Krankenkassen erlangen durch die bestehende, gesetzlich angeordnete Kundenbindung erhebliche Vorteile beim Vertrieb der Zusatzangebote: Die Vorteile bestehen vor allem in dem Zugang zu den Adressdaten und sonstigen Daten der Versicherten, die zielgenaue, auf den einzelnen Versicherten zugeschnittene Angebote ermöglichen.110 Hinzu kommt, dass die Pflichtversicherten dazu neigen, eine Zusatzversicherung bei der Krankenkasse, die den Regelschutz liefert, abzuschließen. Beispielhaft: Ein Versicherter der DAK, der einen Zusatzschutz wünscht, wird diesen bei vergleichbaren Kosten eher bei der DAK als bei einem privaten Versicherungsunternehmen abschließen.111 (4) Sonstige Vorteile Die gesetzlichen Krankenkassen genießen darüber hinaus Vorteile, die ihnen bei ansonsten gleichen Bedingungen das Angebot günstigerer Prämien bei den Zusatzleistungen ermöglicht: Sie unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V. m. § 4 Abs. 5 KStG als nicht gewerbliche Betriebe juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht der Körperschaftssteuer.112 Die steuerlichen Belastungen sind für private Krankenversicherungen erheblich. Denn zur Erfüllung der Solvabilitätsvorschriften muss Eigenkapital gebildet werden. Soweit dies aus Gewinnen geschieht – was der Regelfall ist –, unterliegen diese der Körperschaftssteuer und der Gewerbeertragssteuer. Bislang sind die Krankenkassen der GKV gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V. m. landesrechtlichen Bestimmungen in der Regel nicht insolvenzfähig. Gemäß § 171b SGB V soll aber ab dem 1. 1. 2010 eine allgemeine Insolvenzfähigkeit eingeführt werden, damit unabhängig vom Landesrecht für alle im Wettbewerb stehenden Kassen die gleichen Bedingungen gelten.113 Vor diesem Hintergrund ist es für die 109 110 111 112 113

Schmidt, GesR 2007, 295, 302. von Maydell / Karl, S. 35; Isensee, NZS 2007, 449, 454 f. Isensee, NZS 2007, 449, 455. BFH v. 4. 2. 1976 – I R 200 / 73, BStBl. II 1976, 355. BT-Drucks. 16 / 3100, S. 156 f.

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Krankenkassen von besonderer Bedeutung, durch attraktive und ggf. unterfinanzierte Wahltarife gesunde und einkommensstarke Mitglieder an sich zu binden.114 Gemäß § 66 SGB X können die Krankenkassen der GKV ihre Forderungen nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz beitreiben. Die gesetzlichen Krankenkassen haben Anspruch auf Rabatte bei der Bezahlung von Arzneimitteln. Gemäß § 130 SGB V erhalten die gesetzlichen Krankenkassen bei den Apotheken für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel einen Rabatt von 2,30 Euro, für sonstige Arzneimittel einen Abschlag von 5 %. Daneben können sie den Herstellerrabatt in Höhe von 6 % des Herstellerabgabepreises nach § 130a SGB V in Anspruch nehmen. Weiterhin können sie ihre beherrschende Marktstellung nutzen, um günstige Konditionen bei Anbietern von Gesundheitsleistungen zu erzielen. Denn aufgrund des Sachleistungsprinzips, das lediglich nach § 53 Abs. 4 SGB V durchbrochen wird, bei Wahltarifen nach § 53 Abs. 5 SGB V aber günstigere Angebote ermöglicht, sind sie selbst Vertragspartner dieser Anbieter.115 dd) Entsolidarisierung in der GKV Eine weitere Folge der Einführung von Wahltarifen in der GKV ist eine Entsolidarisierung in zweierlei Hinsicht. Das der GKV an sich zugrunde liegende Prinzip der Solidarität wird ausgehöhlt. Zum einen profitieren die gesunden Mitglieder auf Kosten derjenigen mit einem schlechten Gesundheitszustand, zum anderen die gutverdienenden Mitglieder zu Lasten der geringverdienenden. Die gesetzliche Krankenversicherung beruht auf horizontaler und vertikaler Solidarität, die das Äquivalenzprinzip in zweifacher Hinsicht durchbrechen.116 Mit horizontaler Solidarität wird bezeichnet, dass die Beitragshöhe nicht nach Alter, Geschlecht oder gesundheitlichen Risiken bestimmt wird, sondern nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dadurch wird die versicherungstechnische Äquivalenz zwischen Beitrag und Risiko durchbrochen. Das horizontale Solidarprinzip hat das BVerfG folgendermaßen beschrieben:117 „Von der privaten Versicherung, die auf dem Äquivalenzprinzip einerseits und dem Kapitaldeckungsprinzip andererseits sowie der Bildung altersabhängiger Risikogemeinschaften beruht, unterscheidet sich die Sozialversicherung ganz wesentlich durch das fehlende Gewinnstreben und die zahlreichen Komponenten des sozialen Ausgleichs, wie sie etwa in der beitragsfreien Mitversicherung von Familienmitgliedern, der Umlagefinanzierung und der Bemessung der Beiträge nach dem Entgelt zum Ausdruck kommen [vgl. BVerfGE 76, G. W. Weber, GuS 2007, Heft 7 / 8, 54, 60. von Maydell / Karl, S. 35. 116 Kingreen, ZESAR 2007, 139, 141; siehe zum Solidarprinzip auch Schmidt, GesR 2007, 295, 296. 117 BVerfG v. 4. 2. 2004 – 1 BvR 1103 / 03, NZS 2005, 479. 114 115

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG 256 (300 ff.)] für die gesetzliche Rentenversicherung). Der Ausgleich unterschiedlicher Krankheitsrisiken unter den Pflichtversicherten tritt in der gesetzlichen Krankenversicherung als prägendes Merkmal hinter den Ausgleich zwischen finanziell Leistungsfähigen und Leistungsschwächeren zurück.“

Vertikale Solidarität bedeutet, dass der Leistungsumfang nicht von der Höhe der gezahlten Beiträge abhängig ist. Der Leistungskatalog ist vielmehr standardisiert. Nur der standardisierte Leistungskatalog rechtfertigt die Pflichtmitgliedschaft. Würden trotz gleicher Beitragssätze ungleiche Leistungen erbracht, läge sonst ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit der Pflichtmitglieder vor. Sie wären dann nämlich gezwungen, mit ihren Beiträgen Mehrleistungen für andere Mitglieder zu zahlen, die sie selbst nicht beanspruchen könnten. Frühere Ungleichbehandlungen hatte der Gesetzgeber deshalb weitgehend abgeschafft. So erbrachten unter der Geltung des § 179 Abs. 2 und 3 RVO die Ersatzkassen der Angestellten satzungsgemäße Mehrleistungen in größerem Umfang. Seit das gesetzliche Krankenversicherungsrecht im SGB V im Jahr 1988 geregelt wurde, ist die Satzungsautonomie der Kassen weitgehend eingeschränkt worden (vgl. § 194 Abs. 1 Nr. 3 SGB V). Außerdem wurde den Versicherten weitgehende Freiheit bei der Wahl der Krankenkasse eingeräumt (§§ 173 f. SGB V), so dass sie Leistungsunterschiede durch eigenverantwortliche Entscheidungen selbst überwinden können. Die Regelung vor dem GKV-WSG war im Hinblick auf die allgemeine Handlungsfreiheit der Pflichtmitglieder daher verfassungsrechtlich unbedenklich. Vertikale Solidarität wurde weitgehend gewährleistet.118 Vor allem die ebenfalls mit dem GKV-WSG in § 53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V eingeführte Möglichkeit von Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarifen greifen in die horizontale Solidarität ein. In erster Hinsicht wird durch die Einführung dieser Wahltarife die Solidarität zwischen Mitgliedern mit einem guten und solchen mit einem schlechten Gesundheitszustand ausgehöhlt. Denn gesunde Mitglieder können sich jetzt günstiger versichern als kranke.119 Für sie ist es wirtschaftlich sinnvoll, einen günstigen Tarif mit Selbstbehalt oder Beitragsrückerstattungen zu wählen, weil bei einem geringen Krankheitsrisiko die jährliche Ersparnis größer ist als die persönlich zu zahlenden Gesundheitskosten. Wenn sich die gesunden Mitglieder dem „Volltarif“ entziehen, wird dieser für die weniger gesunden teurer, weil nur die Mitglieder mit schlechten Gesundheitsrisiken im „Volltarif“ verbleiben. Diese Wirkungsweise wird dadurch verstärkt, dass – anders als in der PKV – Wechsel jederzeit ohne Risikoprüfung und ohne Rücksicht auf Alterungsrückstellungen möglich sind. Wird also ein Mitglied mit Selbstbehalt- oder Beitragsrücker118 Ausführlich Rolfs, S. 282 ff.; siehe auch Vöcking, ZMGR 2005, 24, 27 zum „Rückzug“ bei der Quersubventionierung des Zahnersatzes im Zuge des am 1. 1. 2004 in Kraft getretenen Gesundheitsmodernisierungsgesetzes. 119 Becker, ZMGHR 2007, 101, 104; Isensee, NZS 2007, 449, 453; Schmidt, GesR 2007, 295, 296; Winkel, SozSich 2007, 84; G. W. Weber, GuS 2007, Heft 7 / 8, 54, 56; Stellungnahme der GdS, GdS Magazin November 2006, 8, 8; Blöß / Rabbata / Rieser, DÄ 2007, A 1059, 1060 f.

4. Die Auswirkungen der Neuregelungen

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stattungstarif älter und steigt damit sein Gesundheitsrisiko, kann es zurück in den „Volltarif“ wechseln. Dieses Mitglied belastet auf diese Weise die Solidargemeinschaft, zu der es selbst in jungem Alter weniger beigetragen hat.120 In zweiter Linie wird durch die Selbstbehalttarife auch die Solidarität zwischen gering- und besserverdienenden Mitgliedern beeinträchtigt. Wer als Besserverdienender mehr Beiträge zahlt, kann durch Selbstbehalttarife höhere Prämienzahlungen erhalten. Dies ist in § 53 Abs. 8 SGB V gesetzlich vorgesehen, in dem Prämienhöchstsummen in Abhängigkeit von der Beitragsbelastung festgelegt sind. Da das Gesundheitsrisiko mit dem Einkommen nicht zunimmt, können einkommensstarke Mitglieder darum erheblich mehr sparen121 und sind an Selbstbehalttarifen stärker interessiert.122 Verstärkt wird diese Tendenz dadurch, dass es sich für die Krankenkassen wirtschaftlich lohnt, einkommensstarke Mitglieder durch für sie besonders attraktive Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarife an sich zu binden. Wenn die angebotenen Wahltarife sich wirtschaftlich nicht tragen, zahlen diese Mitglieder aufgrund ihres hohen Einkommens immer noch überproportional viel im Vergleich zu den von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen. Durch die Wahltarife erhalten sie aber entgegen dem ineffektiven Verbot des § 53 Abs. 9 SGB V eine Quersubventionierung durch die Versichertengemeinschaft. Sie müssen dann nicht mehr Beiträge in der Höhe zahlen, zu der sie aufgrund des Beitragssatzes an sich verpflichtet wären. Durch die Kostenerstattungstarife nach § 53 Abs. 4 SGB V, die Tarife für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen nach § 53 Abs. 5 SGB V und die Krankengeld-Tarife nach § 53 Abs. 6 SGB V wird dagegen in erster Linie das vertikale Solidarprinzip angegriffen. Der Leistungsumfang wird wieder abhängig von den individuell gezahlten Beiträgen. Wenn etwa die Erstattung von Zusatzleistungen wie Zweibettzimmer und Chefarztbehandlung gegen zusätzliche Beitragszahlung angeboten werden, wird eine ungleiche Behandlung in die GKV hineingetragen. Die Versicherten erhalten jetzt die Möglichkeit, zu entscheiden, in welchem Umfang sie Leistungen in Anspruch nehmen wollen, was dem Prinzip der vertikalen Solidarität zuwider läuft. Solange zwischen den unterschiedlichen Gruppen – nämlich der der Mitglieder ohne Wahltarif und der der Mitglieder mit Wahltarif – klar unterschieden wird, steht diese Einschränkung des Solidaritätsgedankens nicht notwendig einer Pflichtmitgliedschaft in der Gruppe ohne Wahltarif entgegen.123 Wie oben dargestellt droht aber eine Quersubventionierung der Wahltarife, weil für die Krankenkassen ein Anreiz besteht, die Mitglieder, die die Leis120 Schulze Ehring / C. Weber, WIP-Diskussionspapier 4 / 07, S. 10 ff.; Rolfs, S. 95 f.; Sahmer, NZS 1997, 260, 265 f.; Kingreen, ZESAR 2007, 139, 144 f.; Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 100; C. Weber, ZMGR 2005, 29, 30 f. 121 Kingreen, ZESAR 2007, 139, 144; Daubenbüchel, RPG 2007, 95, 100; Amhof / Böcken, BKK 2007, 111, 117. 122 Schmidt, GesR 2007, 295, 296; Paquet / Stein, BKK 2007, 192, 194. 123 Weitergehend Schmidt, GesR 2007, 295, 302.

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I. Die Neuregelungen des GKV-WSG

tungen der Wahltarife in Anspruch nehmen möchten, durch günstige Angebote an sich zu binden. Dies hat zur Folge, dass die Pflichtmitglieder ohne Wahltarif gezwungen sind, durch ihre Pflichtbeiträge die Mehrleistungen an die begünstigten Mitglieder zu finanzieren. Daneben wird die horizontale Solidarität durch diese Wahltarife mit Zusatzleistungen eingeschränkt. Denn durch die altersabhängige Bemessung der Beiträge zahlen gerade diejenigen besonders viel, die schutzbedürftig und nicht mehr in gleicher Weise wirtschaftlich leistungsfähig wie jüngere Versicherte sind. Dies widerstrebt dem Gedanken der horizontalen Solidarität, der auf gleiche Beitragssätze zielt.124

124

Schmidt, GesR 2007, 295, 302.

II. Verfassungsrechtliche Würdigung Das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Würdigung vorweg: Die Neuregelungen verletzen die Unternehmen der PKV und die Privatversicherten in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 9 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG.

1. Formelle Verfassungswidrigkeit Die Grundrechtseingriffe sind schon deshalb verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, weil die gesetzlichen Regelungen nicht kompetenzgemäß erlassen worden sind. Der Bundesgesetzgeber kann sich hinsichtlich der unmittelbar die PKV betreffenden Regelungen weder auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (privatrechtliches Versicherungswesen) noch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Sozialversicherung) stützen. Auch die mittelbar die PKV betreffenden Regelungen über die Wahltarife in der GKV sind nicht kompetenzgemäß erlassen worden, da die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht gegeben sind.

a) Die unmittelbar die PKV betreffenden Regelungen aa) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Der Terminus des „privatrechtlichen Versicherungswesens“ (Nr. 11) ist wie der der „Sozialversicherung“ typologisch zu verstehen.125 Entscheidend ist somit nicht die Erfüllung einer Reihe von Tatbestandsmerkmalen, sondern die Verbindung der Merkmale zu einem Gesamtbild. Es gibt also keine notwendigen, aber auch keine hinreichenden Kriterien der „privatrechtlichen Versicherung“. Entscheidend ist die wertende Gesamtschau, die eine hinreichende Nähe zum Idealtypus feststellt, so dass bei einer Versicherung noch von „privatrechtlichem Versicherungswesen“ gesprochen werden kann und es nicht Bezeichnung für etwas ganz anderes ist, das mit dem Gemeinten nur noch wenig gemeinsam hat. Der Kompetenztitel für das privatrechtliche Versicherungswesen kann daher nicht allein deshalb bejaht werden, weil Adressaten der Regelung privatrechtlich organisierte Versicherungsunternehmen sind. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Ausführlichkeit, mit der das BVerfG in seiner Entscheidung zur privaten Pflegepflichtversicherung die Frage der Gesetzgebungskompetenz behandelt hat, obwohl die private Pflegepflichtver125

Vgl. Isensee in: Heinze / Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Gitter, 1995, S. 401, 410.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

sicherung organisatorisch dem privaten Versicherungswesen zugeordnet ist.126 Der Kompetenztitel setzt vielmehr voraus, dass die Regelung inhaltlich den Strukturmerkmalen des privaten Versicherungswesens entspricht.127 Das BVerfG führt hierzu aus: „Jedenfalls kann sich der Bundesgesetzgeber auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG stützen, wenn sich seine Regelungen auf Versicherungsunternehmen beziehen, die in Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern, die Prämien grundsätzlich am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers orientieren und die vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzierungssystems erbringen [(vgl. auch BVerfGE 76, 256 (300 ff.)]. Ebenso wie die Kompetenz ,Sozialversicherung‘ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG [vgl. BVerfGE 75, 108 (146)] ist auch die Kompetenznorm ,privatrechtliches Versicherungswesen‘ Entwicklungen nicht von vornherein verschlossen. Der Gesetzgeber des Bundes kann sich deshalb auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auch dann berufen, wenn er für einen von ihm neu geschaffenen Typ von privatrechtlicher Versicherung Regelungen des sozialen Ausgleichs vorsieht und insbesondere während einer Übergangszeit die das privatwirtschaftliche Versicherungswesen prägenden Merkmale nur begrenzt wirken lässt.“128

Das BVerfG umreißt damit in knappen Worten den Typus der Privatversicherung und beschreibt das Ausmaß, in dem von dessen typischen Elementen abgewichen werden kann. Für das GKV-WSG gilt im Einzelnen Folgendes: (1) Pflicht zur Versicherung Im privatrechtlichen Versicherungswesen als Teil des Privatrechts herrscht grundsätzlich Privatautonomie und damit Vertragsabschlussfreiheit. Die geplante Pflicht zur Krankenversicherung weicht von diesem Bild ab. Das BVerfG weist zwar in seiner Entscheidung zur Pflegeversicherung zutreffend darauf hin, dass eine Pflicht zur Versicherung dem Recht keinesfalls fremd ist,129 so dass allein das Bestehen einer Pflicht zur Versicherung die Zugehörigkeit zum privaten Versicherungswesen wohl nicht hindern wird. Es bleibt aber dabei, dass die Pflicht zur Versicherung ein Element ist, das nicht idealtypisch zum privaten Versicherungswesen gehört. Dies gilt insbesondere insofern, als die herkömmlichen Versicherungspflichten außerhalb des Sozialversicherungsrechts in aller Regel nicht der Absicherung allgemeiner Lebensrisiken gelten. Eine derartige Pflicht zur Versicherung BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197. So auch deutlich Isensee in: Heinze / Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Gitter, 1995, S. 401, 410, im Hinblick auf die private Pflegepflichtversicherung: „. . . [D]ie privatrechtliche Form allein reicht nicht aus, um die private Pflegeversicherung kompetenziell abzustützen. Auch das ,privatrechtliche Versicherungswesen‘ folgt einem kompetenzrechtlichen Leitbild, dem der Individualversicherung als Gegentypus zur Sozialversicherung.“ 128 BVerfG v. 3. 4. 2001 –1 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197, 216 f. 129 BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197, 218, insbesondere unter Hinweis auf die etablierte Regelung des § 1 PflVG. 126 127

1. Formelle Verfassungswidrigkeit

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wurde erstmals durch die private Pflegepflichtversicherung geschaffen, die aber ihrerseits nur schwer mit dem Typus der Privatversicherung zu vereinbaren ist, selbst wenn das BVerfG die Frage letztlich bejaht hat. (2) Kontrahierungszwang zur Versicherung im Basistarif Entsprechendes gilt für den Kontrahierungszwang zur Versicherung im Basistarif und im erweiterten Standardtarif. Auch insoweit dürfte allerdings zunächst davon auszugehen sein, dass allein das Bestehen eines Kontrahierungszwangs die Inanspruchnahme des Kompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht ausschließt, da eine solche Regelung dem privaten Versicherungswesen wie auch der Privatwirtschaft insgesamt nicht fremd ist.130 (3) Verpflichtung zum Angebot eines Basistarifs / Fremdbestimmung der Leistungspflicht Über einen bloßen Kontrahierungszwang hinaus verpflichtet § 12 Abs. 1a VAG Unternehmen, die die substitutive Krankenversicherung betreiben, zum Angebot des Basistarifs. Der Gesetzgeber schreibt den Versicherungsunternehmen nicht nur vor, dass sie ihre vorhandenen Produkte jedermann anbieten müssen. Er beschränkt sich auch nicht wie in § 12 Abs. 1 VAG auf die Festlegung bestimmter qualitativer Anforderungen an ein bestehendes Produkt. Er verpflichtet die Unternehmen vielmehr zur Schaffung und Erhaltung eines gesetzlich bestimmten zusätzlichen Produktes. Eine solche Fremdbestimmung der Produktpalette eines Unternehmens ist der Privatwirtschaft wesensfremd. Der Versicherte und der Versicherer legen vertraglich fest, für welche Leistungen eine Prämie gezahlt wird. Eine einseitige Änderung des Leistungsumfangs ist weder dem Versicherer noch dem Versicherten möglich, sofern nicht der Versicherungsvertrag – in engen, streng bestimmten Grenzen, siehe nur § 308 Nr. 4 BGB – Änderungsvorbehalte enthält.131 Ganz anders beim Basistarif: Die vorgegebenen Leistungen unterliegen fortlaufenden Änderungen durch den Gesetzgeber, würden also im Basistarif der PKV einen permanenten Eingriff in bestehende Verträge darstellen. Der Leistungskatalog war in 130 BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197, 218, wiederum unter Hinweis auf das PflVG. 131 Siehe hierzu Wandt, passim. Zu den Grenzen des § 18 MBKK siehe auch OLG Celle, VersR 2006, 1105: „Demgegenüber hat der Gesetzgeber von der Versicherungswirtschaft erhobenen Forderungen nach einer generellen gesetzlichen Anpassungsklausel für bestehende Versicherungsverhältnisse bei veränderten Umständen eine Absage erteilt und Änderungen nur unter den eng beschriebenen Voraussetzungen des § 178 g Abs. 3 VVG zugelassen (zur Gesetzgebungsgeschichte Renger, VersR 1994, 753, [755]). Sinn und Zweck des § 178 g Abs. 3 VVG ist es mithin, bei einer nachhaltigen Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens eine Bedingungsanpassung zuzulassen, um die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge sicherzustellen (BGH, VersR 2005, 1565 [1567])“ – bestätigt durch BGH v. 23. 1. 2008 – IV ZR 169 / 06.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

der Vergangenheit massiven Änderungen durch den Gesetzgeber unterworfen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzgeberischen Eingriffe in Zukunft geringer ausfallen. Es widerspricht aber massiv dem Grundsatz der PKV, ein Versicherungsprodukt anbieten zu müssen, dessen Vertragsinhalt sich permanent ändert. Denn dass geschlossene Verträge auch gehalten werden müssen, ist geradezu ein Fundamentalgrundsatz der PKV. Darüber hinaus hat es auch zahlreiche gesetzlich vorgeschriebene Leistungsaufstockungen gegeben, die ebenfalls mit dem Vertragskonzept der PKV, die in keinem Fall ihre Versicherten zwingen kann, für einseitig beschlossene Leistungsaufstockungen Beiträge zu bezahlen, unvereinbar sind, z. B. medizinische Vorsorge für Mütter und Väter, spezialisierte ambulante Palliativversorgung, ambulante Hospizleistungen.

Dies gilt umso mehr, als der Leistungsumfang wesentlich durch den Gemeinsamen Bundesausschuss definiert wird, in dem die privaten Versicherungsunternehmen nicht einmal repräsentiert sind. Damit wird die Bestimmung der Leistungspflicht dauerhaft in fremde Hände gelegt. Nicht die vertragliche Einigung, sondern eine halbstaatliche dritte Instanz bestimmt die Leistung des Versicherers – ohne Einfluss beider Seiten. Wesentlicher Bestandteil der privaten Versicherung ist aber gerade die Leistungsbestimmung durch Konsens der Beteiligten. Die Fremdbestimmung fängt jedoch nicht beim Gemeinsamen Bundesausschuss an. Bereits der Gesetzgeber geht detailreich zur Sache. So regelt etwa – wahllos herausgegriffen – § 60 SGB V in über 400 Wörtern die Erstattungsfähigkeit allein von Fahrkosten. Dies geht bis zur Regelung des Einzelfalls, dass Kosten „nach vorheriger Genehmigung durch die Krankenkasse“ übernommen werden. Man regelt, wann es ein Taxi ist, und wann es ein öffentliches Verkehrsmittel sein muss, dessen Kosten ersetzt werden. Eine Regelungstiefe- und dichte, wie sie hier vorgesehen ist, ist ein Fremdkörper in der PKV und mit Regelungen einer effizienten Wirtschaftsführung nicht vereinbar. Dies alles in Tarife der PKV zu übernehmen, ist nur mit größtem Aufwand und nur in ungefährer Annäherung möglich. Allzu oft wird schlicht auf das Gesetz und die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschuss verwiesen – in der Leistungsbeschreibung allein 24mal auf die Ansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung und 19mal auf die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses – weil man sich sonst nicht helfen kann, wie die (u. U. vorläufigen) Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Basistarifs zeigen. Zudem: Die Regelungen der GKV, die nun den Basistarif mit bestimmen, umfassen auch solche Leistungen, die sich in keinem PKV-Tarif finden. Beispielhaft sei hier Soziotherapie, Haushaltshilfe, Vater / Mutter / Kind-Kuren, Schwangerschaftsverhütung und -abbruch sowie Mutterschaftsgeld genannt. Nicht nur die Art der Leistungsbestimmung, sondern auch der Inhalt der Leistungsbestimmung ist damit im Widerspruch zu der Praxis der PKV.

1. Formelle Verfassungswidrigkeit

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(4) Verbot individueller Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse / Risikoausgleich Ein hervorstechendes Merkmal des Basistarifs und des erweiterten Standardtarifs ist die Beschränkung der individualisierten Risikoäquivalenz der Prämienkalkulation im Basistarif dadurch, dass im Basistarif keine Risikozuschläge vereinbart werden dürfen. Das BVerfG sieht die Orientierung der Prämien am individuellen Risiko als ein wesentliches Merkmal des privatrechtlichen Versicherungsvertrages an.132 Es betont dabei insbesondere den Gegensatz zur einkommensabhängigen Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Hinsichtlich des Basistarifs ist zwar festzuhalten, dass eine einkommensabhängige Prämienbemessung nicht vorgesehen ist, sondern Eintrittsalter und Geschlecht als wesentliche Risikofaktoren die Prämienhöhe bestimmen. Gleichwohl bleibt eine erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des privatwirtschaftlichen Versicherungswesens. Die Berücksichtigung individuell erhöhter Risiken dient dazu, im Versichertenkollektiv zu Beginn des Versicherungsverhältnisses rechnerisch ein einheitliches aktuelles Risikoniveau zu schaffen, um überhaupt eine zuverlässige Kalkulation der künftigen Krankheitskosten zu ermöglichen. Dem gleichen Zweck dienen Leistungsausschlüsse, die im Basistarif ebenfalls verboten sind. Krankheitskosten, die aufgrund von Grunderkrankungen mit weit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit entstehen werden, belasten nicht nur das Versichertenkollektiv erheblich, sondern erschweren eine zuverlässige Kalkulation des Krankheitskostenrisikos für das Kollektiv. Dass die Berücksichtigung individuell erhöhter Risiken in Form von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen notwendig ist, belegt mittelbar die Verpflichtung zur Schaffung eines Systems des Risikoausgleichs (§ 12g VAG). In einem privatwirtschaftlichen Versicherungssystem ist ein solcher Ausgleich nicht notwendig, weil die Versicherer in der Lage sind, durch eine Berücksichtigung des individuellen Risikos bei Aufnahme in das Kollektiv das künftige Krankheitskostenrisiko des Kollektivs zu kalkulieren. Fällt diese Möglichkeit weg und sind die Versicherer auch nicht in der Lage, Vertragsschlüsse gänzlich abzulehnen, ist das Risiko für das einzelne Versicherungsunternehmen nicht mehr zuverlässig kalkulierbar, so dass es eines Ausgleichssystems bedarf. Auch dieses Ausgleichssystem, mit dem miteinander in Wettbewerb stehende Unternehmen zu einem Zwangsverbund zusammengeschlossen werden, widerspricht dem Leitbild des privatrechtlichen Versicherungswesens. (5) Leistungspflicht auch für bestehende Krankheiten Nach dem Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig klar, ob von der Versicherung im Basistarif und im erweiterten Standardtarif auch die Kosten eines Versicherungs132

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

falls umfasst sind, der vor Abschluss des Versicherungsvertrages begonnen hat, aber über den Versicherungsbeginn hinausgeht. Nach bisherigem Recht ist dies nicht der Fall. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB / KK 94) wird für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, nicht geleistet. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung. In der Regel zum selben Ergebnis führt die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 2 S. 2 VVG, nach der der Versicherer von der Leistung frei ist, wenn der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Vertrages weiß, dass der Versicherungsfall schon eingetreten ist. Für die Behandlungskosten einer AIDS-Erkrankung, deretwegen der Versicherte schon vor Vertragsschluss in Behandlung war, muss der Versicherer also nicht aufkommen. Zwei gesetzliche Bestimmungen sprechen aber dafür, dass der Gesetzgeber im Basistarif keinen Ausschluss für bestehende Krankheiten zulassen will: Zum einen spricht hierfür der umfassende Verweis in § 12 Abs. 1a VAG auf die Leistungen der GKV, die auch für die Kosten bestehender Krankheiten aufkommen muss. Zum anderen sollen nach § 12g Abs. 1 S. 3 VAG und § 8 Abs. 1 Nr. 7 KalV die Mehraufwendungen, die im Basistarif „aufgrund von Vorerkrankungen“ entstehen, auf alle im Basistarif Versicherten verteilt werden. Dieser Auslegung folgt in Bezug auf den erweiterten Standardtarif – und dies ist auf den Basistarif zu übertragen – auch das Bundesministerium der Finanzen. Gemäß einer unveröffentlichten Stellungnahme des Ministeriums vom 20. 9. 2007 würde eine Verweigerung der Übernahme von Kosten im Standardtarif, die auf einer vor Vertragsabschluss entstandenen Krankheit beruhen, aber erst durch eine danach erfolgende Behandlung dieser Krankheit entstehen, den gesetzlichen Vorgaben widersprechen, da in der GKV derartige Kosten getragen würden und folglich auch im Standardtarif getragen werden müssten. Eine Leistungspflicht für bestehende Krankheiten steht aber im Widerspruch zu allgemeinen Grundsätzen des privaten Versicherungswesens. Versichert wird nur ein Risiko, nicht ein gewisses Ereignis. Eine Krankheit, die schon behandelt wird und in Zukunft weiteren Behandlungsaufwand erfordert, ist aber ein gewisses Ereignis und damit grundsätzlich nicht vom Versicherungsschutz erfasst. Das BVerfG hat in Bezug auf die private Pflegeversicherung den hierin liegenden wesentlichen Unterschied zum allgemeinen Versicherungsvertragsrecht zwar erkannt, sah die gesetzgeberische Lösung aber jedenfalls als Übergangsregelung von der Kompetenzgrundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erfasst.133 Beim geplanten Basistarif soll es sich allerdings gerade nicht um eine Übergangslösung handeln, sondern um eine dauerhafte Regelung. Die Abweichung vom Leitbild der privaten Krankenversicherung ist umso stärker.

133

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(6) Prämienbegrenzungen im Basistarif Eine erhebliche Abweichung von der herkömmlichen Ausgestaltung des privatrechtlichen Versicherungswesens stellen die Prämienbegrenzungen im Basistarif und im erweiterten Standardtarif dar, die dazu führen, dass der Basistarif nicht kostendeckend sein wird, wovon auch der Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalVausgeht. Das Prinzip der Risikoäquivalenz wird damit nicht nur – wie beim Verbot von Risikozuschlägen – auf individueller Ebene abgeschwächt, sondern für ein gesamtes Versichertenkollektiv außer Kraft gesetzt. Das BVerfG hat zwar in der Entscheidung zur privaten Pflegepflichtversicherung die Begrenzung der Prämienhöhe auf den Höchstbetrag der gesetzlichen Versicherung nicht beanstandet. Auch hier hat das BVerfG aber dem Umstand, dass nach einer Übergangszeit die privatversicherungstypischen Merkmale deutlicher hervortreten, Bedeutung beigemessen.134 Die Prämienbegrenzungen im Basistarif gelten aber dauerhaft und sind für diesen geradezu prägend. (7) Kündigungsausschluss / Notfallversorgung Indem § 193 Abs. 6 VVG den Versicherer auch während des Prämienverzugs zur Notfallversorgung verpflichtet und gleichzeitig § 206 Abs. 1 S. 1 VVG jedes Kündigungsrecht ausschließt, ohne auf der anderen Seite sicherzustellen, dass der Versicherer die ihm zustehende (ohnehin reduzierte) Prämie in voller Höhe von den zuständigen Sozialbehörden erhält [siehe oben Abschnitt I. 4. c)], verlässt die gesetzliche Regelung nicht nur den Boden des privatrechtlichen Versicherungswesens, sondern des Privatrechts insgesamt. Das Versicherungsunternehmen wird zum Erbringer einer Fürsorgeleistung. Das durch das Kündigungsverbot durch staatlichen Zwang aufrecht erhaltene Versicherungsverhältnis ist nichts weiter als eine leere Hülle. Die Kostentragung für die Notfallversorgung ist formal eine vertraglich geschuldete Leistung – materiell handelt es sich um eine Fürsorgeleistung. (8) Fazit Betrachtet man die private Krankenversicherung in ihrer herkömmlichen Gestalt und vergleicht sie mit der neuen Form, wird deutlich, dass die private Krankenversicherung in ihrer neuen Form im Bereich des substitutiven Versicherungsschutzes grundlegend vom Typus der privatrechtlichen Versicherung abweicht. Zwar verbleiben auch bei Einführung eines Basistarifs mit Kontrahierungszwang gewichtige Unterschiede zur Sozialversicherung. Insbesondere wird weder die Prämie einkommensabhängig gestaltet, noch werden Familienangehörige kostenfrei mitversichert. Ansonsten bleibt aber vom Charakter des privatrechtlichen Versicherungswesens wenig übrig: Die Versicherungsunternehmen werden gezwungen, jeden Interessenten unabhängig von seinem persönlichen Risiko zu standardisierten Prä134

BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197, 221.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

mien zu versichern. Um zu verhindern, dass diese Beschränkungen der Unternehmerfreiheit der Versicherungsunternehmen zur Funktionsunfähigkeit der privaten Krankenversicherungen führt, sieht sich der Gesetzgeber gezwungen, alle Unternehmen zu einem Zwangsverbund zwecks Risikoausgleichs zusammenzuschließen. Der Basistarif enthält Prämienbegrenzungen, die dem Prinzip der Risikoäquivalenz elementar widersprechen, und die von anderen Tarifen getragen werden müssen – was im Übrigen dazu führt, dass auch in diesen Tarifen das Prinzip der Risikoäquivalenz verlassen wird. Schließlich wird das Versicherungsverhältnis bei Leistungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers materiell teilweise zu einem Fürsorgeverhältnis, das dem privaten Versicherungswesen gänzlich fremd ist. Der „fundamentale Systemunterschied“ zwischen GKV und PKV, den das BVerfG zuletzt noch in seiner Entscheidung vom 13. 2. 2008 beschworen hat, ist beim Basistarif nicht mehr feststellbar: In der Entscheidung heißt es: „Ganz anders strukturiert sind hingegen die Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung. Deren Bemessung ist am Äquivalenzprinzip ausgerichtet, bestimmt sich also nach dem versicherten Risiko. Bei privaten Krankenversicherungsbeiträgen kann daher – anders als bei Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung – davon ausgegangen werden, dass einem höheren Beitrag ein äquivalent höherer Individualvorteil des Beitragszahlers entspricht. Aus diesem Grunde lassen nominal gleich hohe Beiträge eines pflichtversicherten Arbeitnehmers (einschließlich der Arbeitgeberbeiträge) zur gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und Beiträge eines Selbständigen zu seiner privaten Krankenversicherung andererseits selbst bei typisierender Betrachtung keinen Rückschluss auf ein gleiches Versorgungsniveau zu. Wegen dieses fundamentalen Systemunterschieds kann für die Frage, ob die Beiträge der beiden Versichertengruppen in einer mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren Weise einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden, nicht lediglich auf einen Vergleich der nominalen Entlastungsbeträge in § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG einerseits und § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG andererseits abgestellt werden“135

Im Unterschied zur privaten Pflegepflichtversicherung handelt es sich bei der privaten Krankenversicherung auch nicht um einen neu geschaffenen Typ von privatrechtlicher Versicherung, worauf das BVerfG in der Entscheidung zur Pflegeversicherung maßgeblich abgestellt hatte.136 Vielmehr wird die existierende Form der privaten Krankenversicherung grundlegend umgestaltet. Die oben genannten Änderungen mögen jede für sich isoliert betrachtet den Charakter der privaten Krankenversicherung nicht entscheidend verändern. In der Summe führen die geplanten Maßnahmen jedoch dazu, dass der privaten Krankenversicherung in solch erheblichem Umfang die Maßstäbe der gesetzlichen Krankenversicherung aufgezwungen werden, dass sie nicht mehr dem Typus der Privatversicherung entspricht. Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ist zwar, wie das BVerfG sagt, Entwicklungen nicht von vornherein verschlossen.137 Wenn der Gesetzgeber aber wesentliche Merkmale des privatrechtlichen Versicherungs135 136 137

BVerfG v. 13. 2. 2008 – 2 BvL 1 / 06, NJW 2008, 1868. BVerfG v. 3. 4. 2001 – 61 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197, 217. BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 2014 / 95, BVerfGE 103, 197, 217.

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wesens dauerhaft – und nicht nur für eine Übergangszeit138 und auf einen untergeordneten Bereich begrenzt, wie es bei einigen Regelungen der privaten Pflegepflichtversicherung der Fall war – außer Kraft setzen will, überschreitet er die kompetenzrechtlichen Grenzen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.139 bb) Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Der Kompetenztitel für die Sozialversicherung greift ebenfalls nicht ein. Unzutreffend wäre es, in einem Umkehrschluss aus der Tatsache, dass es sich bei der Neuregelung der PKV nicht um eine Regelung des privatrechtlichen Versicherungswesens handelt, zu schließen, dass dann automatisch der Kompetenztitel der Sozialversicherung eingreift. Die beiden Kompetenztitel greifen nicht in der Weise nahtlos ineinander über, dass alles, was nicht Privatversicherung ist, Sozialversicherung ist, oder umgekehrt.140 Vielmehr ist die Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nur dann gegeben, wenn die private Krankenversicherung in ihrer geplanten Gestalt dem Typus der Sozialversicherung zuzuordnen ist. Dagegen spricht allerdings schon die Beibehaltung der privatrechtlichen Organisationsform.141 Die Sozialversicherung in ihrer herkömmlichen Gestalt wird durch Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts in öffentlich-rechtlicher Form organisiert.142 Schon dieses Merkmal ist derart prägend, dass sein Fehlen die Einordnung als Sozialversicherung hindert.143 Die in der Literatur zum Teil vertretene Auffassung,144 das Strukturelement der öffentlich-rechtlichen Organisation sei nicht zwingend, solange insgesamt der Typus der Sozialversicherung gewahrt bleibe, ist abzulehnen. Auch hiernach käme eine Einordnung als Sozialversicherung nur in Betracht, wenn die Regelungen inhaltlich so stark der Sozialversicherung entsprächen, dass das Fehlen der öffentlich-rechtlichen Organisation überwunden werden könnte.145 Dies ist jedoch trotz der Annäherung der privaten an 138 Auf den Gesichtspunkt der Übergangszeit weist zu Recht auch Becker, ZMGR 2007, 101, 103, hin. 139 A. A. unter Verweis auf BVerfGE 103, 197, Musil, NZS 2008, 113, 115. 140 Vgl. Isensee in: Heinze / Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Gitter, 1995, S. 401, 410. 141 Öffentlichrechtlich organisiert werden sollte allerdings nach dem ersten Arbeitsentwurf der finanzielle Spitzenausgleich zur sozialen Abfederung, vgl. die geplante Errichtung einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Solidarität in der PKV“ (§ 257 Abs. 2c c) SGB V) 142 BVerfG v. 10. 5. 1960 – 1 BvR 190 / 58, BVerfGE 11, 105, 113; v. 12. 1. 1983 – 2 BvL 23 / 81, BVerfGE 63, 1, 35; v. 8. 4. 1987 – 2 BvR 909 / 82, BVerfGE 75, 108, 146; Isensee, in: Heinze / Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Gitter, 1995, S. 401, 409; Sachs / Degenhart, GG, Art. 74 Rn 52. 143 Isensee, in: Heinze / Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Gitter, 1995, S. 401, 409; Muckel, SGb 2004, 583, 587; Musil, NZS 2008, 113, 115. 144 Neumann, in: Engelen-Kefer (Hrsg.), Reformoption Bürgerversicherung, S. 156, 164. 145 Neumanns Ausführungen bezogen sich auf ein hier nicht zur Diskussion stehendes Modell, in dem private Versicherer an der Leistungsfähigkeit orientierte Beiträge erheben würden und somit ein wesentliches Merkmal der Sozialversicherung übernehmen würden.

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die gesetzliche Krankenversicherung nicht der Fall, da sich die private Krankenversicherung etwa durch eine Prämienbemessung, die sich grundsätzlich nicht am Einkommen orientiert, unterscheidet. Der Kompetenztitel für die Sozialversicherung scheidet damit aus. b) Wahltarife Mit der Verpflichtung bzw. Ermächtigung an die GKV, Wahltarife anzubieten, verlässt der Gesetzgeber die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.146 Der Begriff der Sozialversicherung ist ein „weitgefaßter ,verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff‘“ und „umfaßt alles, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt. Neue Lebenssachverhalte können in das Gesamtsystem ,Sozialversicherung‘ einbezogen werden, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Durchführung und hinsichtlich der abzudeckenden Risiken, dem Bild entsprechen, das durch die ,klassische‘ Sozialversicherung geprägt ist.“147 Die Sozialversicherung ist insbesondere gekennzeichnet durch das soziale Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten. Wesentliches Merkmal ist also ein Element des sozialen Ausgleichs.148 Hierunter ist zu verstehen, dass sich die Beiträge zur Sozialversicherung nicht nach dem individuellen Risiko richten, sondern nach der Leistungsfähigkeit und dass in verschiedenen Bereichen der Leistungsumfang nicht durch die Höhe der Beiträge beeinflusst wird bzw. dass die bei verschiedenen Versicherten bestehenden ungleichen Risiken innerhalb der Solidargemeinschaft nach sozialen Gesichtspunkten ausgeglichen werden.149 Weiterhin ist die Sozialversicherung als gesetzliche Verteilung eines gemeinsamen Bedarfs auf eine organisierte Vielheit vom Wesen her eine Pflichtversicherung.150 Typisches Merkmal ist außerdem der Schutz vor individuellen Notlagen. Daher können nicht beliebige Lebenssachverhalte in die Sozialversicherung einbezogen werden. Soweit es sich nicht um „klassische Risiken“ handelt, müssen sie diesen nach Art und Bedeutung vergleichbar sein, so dass ein soziales Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten besteht. Der Gesetzgeber wäre daher schon aus kompetentiellen Gründen gehindert, medizinisch nicht notwendige Schönheitsoperationen, Schlankheitskuren oder Badereisen als Krankenversicherungsleistungen anzubieten.151 Essentielles Merkmal ist schließlich, wie schon oben erläutert, die öffentlich-rechtliche Organisationsform. Ebenso Isensee, NZS 2007, 449, 452 f. BVerfG v. 8. 4. 1987 – 2 BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108, 146 f.; Jarass / Pieroth, GG, Art. 74 Rn 31. 148 Vgl. nur BVerfG v. 28. 5. 1993 – 2 BvF 2 / 90, BVerfGE 88, 203. 149 Schmidt, GesR 2007, 295, 300. 150 Maunz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 74 Rn. 172; Merten in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 5 Rn. 114. 151 Merten in: Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, § 5 Rn. 117. 146 147

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Bis auf das letztgenannte Merkmal erfüllen die im Rahmen dieser Abhandlung untersuchten Wahltarif-Regelungen die Merkmale der klassischen Sozialversicherung nicht und sind daher vom Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht erfasst.152 Es handelt sich nicht um eine Pflichtversicherung, sondern um optionale Zusatzleistungen, die über die Leistungen der gesetzlichen Pflichtversicherung hinausgehen. Abgesichert werden soll nicht ein elementares Lebensrisiko, die Wahltarife reagieren vielmehr auf – vom Gesetzgeber angeblich erkannte – Zusatzbedürfnisse. Das elementare Lebensrisiko der Krankheit wird durch den normalen Leistungsumfang der GKV abgedeckt. Die Tatsache, dass bestimmte Leistungen nicht vom gesetzlichen Leistungsumfang erfasst sind, zeigt gerade, dass eine Absicherung durch die GKV nicht erforderlich ist. Besonders deutlich wird die Abkehr vom herkömmlichen Begriff der Sozialversicherung beim Wahltarif Kostenerstattung, der es nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers insbesondere auch ermöglichen soll, dass die Bezahlung der Ärzte nach GOÄ-Sätzen versichert werden kann. Hierbei geht es gerade darum, dass sich einzelne gesetzlich Versicherte von den „normalen“ GKV-Versicherten abheben, um als „gesetzlicher Privatpatient“153 über höhere Vergütungen (vermeintlich) in den Genuss besserer ärztlicher Leistungen zu kommen. Eine klarere Abkehr vom Solidarprinzip in der GKV ist eigentlich kaum denkbar. In den angegriffenen Wahltarifen fehlt es darüber hinaus an einer Verpflichtung zur Bemessung der Prämien nach der Leistungsfähigkeit.154 Gesetzlich geregelt ist nur, dass die Krankenkassen besondere Prämien für die Wahlleistungen vorsehen müssen und jeder Wahltarif kostendeckend sein muss. Insgesamt ist bei separater Betrachtung der angegriffenen Wahltarife mit Zusatzleistungen davon auszugehen, dass diese nicht mehr vom Kompetenztitel der Sozialversicherung erfasst sind, da sie zwar organisatorisch der Sozialversicherung zugeordnet sind, inhaltlich aber zentrale Abgrenzungsmerkmale zur Privatversicherung fehlen.155 Die Einführung der angegriffenen Wahltarife ist auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt eines Sachzusammenhangs zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG von den Bundeskompetenzen gedeckt. Voraussetzung für eine Kompetenz kraft Sachzusam152 Prägnant Isensee, NZS 2007, 449, 453: „Den Wahlleistungen, wie sie in § 53 SGB V vorgesehen werden, gehen Essentialia der Sozialversicherung ab: Sozialausgleich und Versicherungspflicht.“ 153 Diese Bezeichnung hat die IKK-Direkt für einen von ihr angebotenen Kostenerstattungstarif gewählt, vgl. die Pressemitteilung der IKK-Direkt vom 30. 3. 2007, in der es u. a. heißt: „Gesetzlich krankenversichert mit dem Status eines Privatpatienten. Die IKK-Direkt, . . . , macht das jetzt für ambulante medizinische Leistungen in Schleswig-Holstein möglich, In Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) führt die IKK-Direkt für diejenigen Versicherten, die Kostenerstattung anstelle des Sachleistungsprinzips wählen, den Wahltarif ,Gesetzlicher Privatpatient‘ für die haus- und fachärztliche Behandlung ein.“ (Quelle: http: // www.ikk-direkt.de / at / docpool / Pressemitteilungen / PM3003 2007.pdf). 154 Vgl. Schmidt, GesR 2007, 295, 302. 155 Isensee, NZS 2007, 449, 452 f.; Schmidt, GesR 2007, 295, 302.

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menhangs ist, dass eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine andere Materie mitgeregelt wird.156 Dass dies nicht der Fall ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass die GKV bislang auch ohne die angegriffenen Regelungen zu den Wahltarifen ihren Aufgaben nachkommen konnte. Selbst wenn man ein Bedürfnis der gesetzlich Versicherten nach Zusatzleistungen annimmt, ist es keineswegs erforderlich, dass die GKV selbst diese Leistungen anbietet. c) Ergebnis Die Regelungen sind vom Bundesgesetzgeber nicht kompetenzgemäß erlassen worden. Es handelt sich um Mischformen von Privat- und Sozialversicherung, die nicht von den Bundeskompetenzen der Art. 73 ff. GG erfasst ist.157 Einerseits nähern die Neuregelungen die PKV so weit der GKV an, dass sie zwar organisatorisch Privatversicherung bleibt, materiell aber partiell zur Sozialversicherung wird. Andererseits werden mit den Wahltarifen Leistungen, die inhaltlich nicht mehr Sozialversicherung, sondern Privatversicherung sind, organisatorisch der Sozialversicherung zugeordnet.

2. Materielle Verfassungswidrigkeit Die Normen des GKV-WSG sind auch und vor allem materiell verfassungswidrig. Dies gilt schon für jeden der Regelungskomplexe bei isolierter Betrachtungsweise. Jedenfalls die Summe der Grundrechtseingriffe führt zu einer übermäßigen Belastung der privaten Versicherungsunternehmen und der bei ihnen Versicherten, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht entspricht. Vorab ist anzumerken, dass unter den Abgeordneten des Bundestages erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die die PKV betreffenden Regelungen bestanden, insbesondere gegen die Einführung des Basistarifs und die Portabilität. Die Bedenken wurden vor allem dadurch verstärkt, dass die Abgeordneten sich nur in unzureichendem Maße über die tatsächlichen Auswirkungen des Reformvorhabens auf die Versicherungsunternehmen und die Versicherten unterrichtet sahen. Dies ergibt sich beispielhaft aus dem Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses: Auf S. 21 heißt es dort: Klaus Uwe Benneter (SPD) führt hierzu aus, dass durch die Einführung des Basistarifs möglicherweise nachteilig auf die Versicherungsverträge der Bestandsversicherten eingewirkt werde. Man müsse sich mit dieser nachvollziehbaren Problematik auseinandersetzen, BVerfG v. 3. 3. 2004 – 1 BvF 3 / 92, BVerfGE 110, 33, 48. Vgl. auch Steiner, A&R 2007, 147, 150: „Das sog. duale System sollte nicht durch eine kompetentielle Vermischung geschwächt werden; seine Unterschiede sollen sich nach wie vor in verschiedenen Kompetenztiteln spiegeln.“ 156 157

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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fordere darüber hinaus, dass die Maßnahme des Gesetzgebers auf einer eingehenden und fundierten Analyse beruhe. Auch vorliegend sei eine derartige Analyse notwendig, um das Ergebnis hinreichend zu begründen, dass die Einführung des Basistarifs in der PKV für die Bestandsversicherten zumutbar sei. Er unterstütze die Einführung des Basistarifs in der PKV politisch und wolle deshalb sicherstellen, dass diese verfassungsrechtlich einwandfrei begründet werde.

Weiter heißt es auf S. 24: Dr. Peter Danckert (SPD) stellt klar, dass die Fragen der Abgeordneten der Koalitionsfraktionen nicht darauf abzielten, das vorgesehene Gesetz zu verhindern. Es solle vielmehr – auch mit Blick auf die Erfahrungen des vergangenen Jahres – auf solider Grundlage geprüft werden, ob der Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung verfassungskonform sei, Bei der privaten Krankenversicherung sehe er vier Bereiche, die zu beraten und zu klären seien. Dies sei erstens die Zahl der möglicherweise bis zu 300.000 neu eintretenden Versicherungsnehmer, zweitens die Anzahl der Wechsler innerhalb der ersten sechs Monate nach in-Kraft-Treten des Gesetzes, drittens die Anzahl der über 55-jährigen, die wechseln könnten und viertens die Anzahl derjenigen, die die Versicherung nicht mehr bezahlen könnten. Unter Beachtung der vom Kollegen Benneter angeführten Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht für derartige Eingriffe eine eingehende und fundierte Analyse verlange, sehe er die bisher vorgetragenen Informationen als nicht ausreichend an. Vielmehr halte er es für notwendig, dass dem Rechtsausschuss fundiertes Material vorgelegt werde, das seinen Mitgliedern eine eigene verfassungsrechtliche Beurteilung ermögliche. Allein die Bandbreite der prognostizierten Mehrbelastung aller Versicherten zwischen einem Promille und 60 Prozent stelle für ihn keine sichere Entscheidungsgrundlage dar. Es seien solide Prognosezahlen zu den von ihm genannten vier Bereichen notwendig, denn es sei denkbar, dass ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren zu einem Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze führe. Dies könne bereits zum jetzigen Zeitpunkt zur Beurteilung als verfassungswidrig führen und nicht erst auf Grund der zukünftigen Beobachtung des Gesetzgebers. Es müsse deutlich werden, dass der Gesetzgeber alles getan habe, um die Verfassungsmäßigkeit des GKV-Anderungsgesetzes zu prüfen und sicherzustellen. Eine derartige Grundlage sei seiner Ansicht nach bislang noch nicht geschaffen worden. Dies gelte auch mit Blick auf die zu erwartende Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht.

Die Bedenken des Rechtsausschusses waren wohlbegründet. Im Einzelnen gilt Folgendes: a) Basistarif aa) Grundrechte der Versicherungsunternehmen Die Regelungen zum Basistarif verletzen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der privaten Krankenversicherungsunternehmen. Krankenversicherer, die als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert sind, werden außerdem in ihrer Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) verletzt.

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(1) Berufsfreiheit (a) Schutzbereich Der Betrieb der privaten Krankenversicherung ist vom Schutzbereich der Berufsfreiheit erfasst. Die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient.158 Beruf ist danach nicht nur die aufgrund einer persönlichen „Berufung“ ausgewählte und aufgenommene Tätigkeit, sondern jede auf Erwerb gerichtete Beschäftigung, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft. Bei diesem weiten, nicht personal gebundenen Berufsbegriff ist das Grundrecht gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar.159 Die unternehmerische Betätigung als privater Krankenversicherer fällt somit in den Schutzbereich der Berufsfreiheit. Sachlich unterfällt die berufsbezogene Vertragsfreiheit dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG.160 Zu den geschützten Tätigkeitsbereichen gehören damit u. a. die Entscheidung über Art und Zahl der angebotenen Tarife, die Kalkulation der Tarife (Kalkulationsfreiheit) 161 und die Auswahl des Vertragspartners. (b) Eingriff Einschränkungen der Befugnis oder rechtlichen Möglichkeit, sich rechtsgeschäftlich zu betätigen oder ein Unternehmen nach eigenen Vorstellungen zu führen, berühren den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG, wenn sie sich unmittelbar auf die Berufsausübung beziehen oder aber zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz haben.162 Die Verpflichtung zum Angebot des Basistarifs (§ 12 Abs. 1a VAG, § 193 Abs. 5 VVG) stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar.163 Die Regelungen knüpfen unmittelbar und ausschließlich an den Beruf des privaten Krankenversicherers an und unterwerfen seine Ausübung öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Beschränkungen. Es handelt sich nicht bloß um Normen, die unter anderem auch die Berufsausübung berühren, sondern um Regelungen mit unmittelbarem und speziellem Berufsbezug, die ohne weiteres Eingriffsqualität besitzen.164 Vgl. BVerfG v. 11. 6. 1958 – 1 BvR 596 / 56, BVerfGE 7, 377, 397. Vgl. BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532 / 77, BVerfGE 50, 290, 363. 160 Vgl. BVerfG v. 1. 3. 1978 – 1 BvR 786 / 70, BVerfGE 47, 285, 318. 161 Scholz, S. 25; Sodan, S. 80. 162 BVerfG v. 9. 10. 2000 – 1 BvR 1627 / 95. 163 Ebenso Musil, NZS 2008, 113, 115. 164 Jarass / Pieroth, Art. 12 GG Rn. 11. Siehe auch BVerfG v. 17. 10. 2007 – 2 BvR 2095 / 05, unter B. II. 2. c): „Infolgedessen ist die Aufbürdung von Belastungen mit dem Ziel, die Normadressaten zum Abschluss oder zur Aufrechterhaltung bestimmter Verträge zu bewegen, als Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit anzusehen (vgl. BVerfGE 81, 156, 188 f.; 99, 202, 211). Auch die bußgeldbewehrte Pflicht, bestimmte Pflegeverträge abzuschließen, stellt somit einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG dar.“ 158 159

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Die Versicherungsunternehmen könnten sich zwar von der Verpflichtung befreien, wenn sie den Betrieb der substitutiven Krankenversicherung für die Zukunft aufgeben würden. Damit würden sie aber ihren Beruf aufgeben, da die substitutive Krankenversicherung den weitaus größten Teil des Geschäftsvolumens der privaten Krankenversicherer ausmacht. An der Eingriffsqualität der Verpflichtung ändert diese Möglichkeit daher nichts. Im Gegenteil: Da die private Krankenvollversicherung nur legal betrieben werden kann, wenn ein Basistarif angeboten wird, nähert sich die Eingriffsintensität sogar der einer (subjektiven) Berufswahlregelung. (c) Rechtfertigung Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das eingreifende Gesetz ist schon formell verfassungswidrig. Materiell genügt es nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,165 zumal der Eingriff an die Schwelle einer Berufswahlregelung heranreicht und daher nach der sog. Drei-Stufen-Theorie eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich ist. Ob eine verfassungsgemäße Ausgestaltung des Basistarifs möglich ist und wie diese aussehen könnte, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Die vorliegende Regelung widerspricht insbesondere aus den folgenden Gründen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: (aa) Begünstigung freiwillig gesetzlich Versicherter Die Versicherungsunternehmen sind nach § 193 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 VVG verpflichtet, allen freiwillig gesetzlich Versicherten innerhalb bestimmter Fristen Versicherung im Basistarif zu gewähren. Nach Nr. 2 begünstigt die Verpflichtung auch alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die nicht in der GKV versicherungspflichtig sind. Hierzu gehören auch Personen, die sich gemäß § 9 SGB V freiwillig gesetzlich versichern können. Diese zwei Personengruppen haben nach der Neuregelung also die Wahl zwischen GKV und PKV und müssen im Unterschied zur bisherigen Rechtslage von beiden Systemen aufgenommen werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 12 Abs. 1b VAG begründet diese Vorschrift einen Kontrahierungszwang „zugunsten von Personen, die sonst keinen oder keinen zumutbaren Versicherungsschutz erhalten können.“166 Dies trifft allerdings für Personen, die freiwillig gesetzlich versichert sind oder diesen Schutz erhalten können, nicht zu. Die Regelung lässt sich also mit dem sozialstaatlichen Ziel, jedermann eine Absicherung gegen das Krankheitsrisiko zu ermöglichen, nicht erklären.167 Insoweit würde es von vornherein an der Erforderlichkeit mangeln. 165 A. A. Musil, NZS 2008, 113, 116. Hingegen hält Richter, DStR 2007, 810, 811, die Regelung für verfassungsrechtlich bedenklich. Massive verfassungsrechtliche Bedenken erhebt hingegen zu Recht Sodan, S. 80 ff. 166 BT-Drucks. 16 / 3100 S. 207. 167 Sodan, S. 84.

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Auch ein Leistungswettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung kann nicht Ziel sein, da der Basistarif auf der Leistungsseite mit der GKV gemäß § 12 Abs. 1a S. 1 VAG nahezu identisch ist. Das Ziel der Einbeziehung der genannten Personengruppe ergibt sich aus den sogenannten „Eckpunkten“ zu einer Gesundheitsreform 2006 vom 4. 7. 2006.168 Die Eckpunkte beschreiben eine erste Einigung der Regierungskoalition von CDU / CSU und SPD zu einer Reform des Gesundheitswesens, die letztlich in das GKV-WSG mündete. In Nr. 16 Pkt. 5 der Eckpunkte wird als Zweck der Öffnung des Basistarifs genannt, die private Krankenversicherung solle zukünftig auch zur Aufnahme schlechter Risiken verpflichtet werden. Hintergrund ist die oft beklagte Risikoselektion im Bereich der freiwillig Versicherten: Junge, gesunde Personen – gute Risiken – mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze können sich in der privaten Krankenversicherung versichern. Ältere Personen mit Vorerkrankungen konnten nach bisheriger Rechtslage von der privaten Krankenversicherung abgelehnt werden, während die gesetzliche Krankenversicherung dies nicht darf. Außerdem ist die GKV für Personen mit Vorerkrankungen wegen der aktuell in der PKV zu zahlenden Risikozuschläge häufig günstiger. Die gesetzliche Krankenversicherung ist als einziger Akteur qua Gesetz zu wirtschaftlich unsinnigem Verhalten gezwungen. Die private Krankenversicherung kann sich bislang wirtschaftlich verhalten, indem sie schlechte Risiken ablehnt oder nur zu hohen Prämien versichert. Die Versicherten können sich wirtschaftlich verhalten, indem sie der für sie günstigsten Versicherung beitreten. Nur die gesetzliche Krankenversicherung muss sich unwirtschaftlich verhalten, indem sie auch die schlechten Risiken zu nicht risikoäquivalenten Beträgen versichern muss. Die Öffnung des Basistarifs hat zur Folge, dass auch die private Krankenversicherung zu einem solchen unwirtschaftlichen Verhalten gezwungen wird. In dem Maße, in dem die schlechten Risiken den Basistarif bei der privaten Krankenversicherung in Anspruch nehmen, werden die gesetzlichen Kassen entlastet. Das BVerfG sieht die Stabilität und Finanzierbarkeit der GKV als ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut an.169 Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede Regelung, die sich in irgendeiner Weise zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung auswirkt, automatisch gerechtfertigt ist. Die Regelung muss sich auch schlüssig in den sozialen Schutzzweck des Systems der Sozialversicherung einfügen. Betrachtet man die Auswirkungen der geplanten Änderung, ist dies nicht der Fall. Schlechte Risiken werden nach der geplanten Öffnung die Wahl haben, ob sie sich direkt bei der GKV versichern oder einen Vertrag über ein identisches Leistungsangebot in der PKV abschließen. Für Personen ohne Angehörige richtet sich die Entscheidung allein nach dem von ihnen zu zahlenden Beitrag. Freiwillig Ver168 Die Eckpunkte sind auf der Website der CDU verfügbar: http: // www.cdu.de / doc / pdfc / 060704_eckpunkte_gesundheit.pdf. 169 Vgl. etwa BVerfG v. 20. 3. 2001 – 1 BvR 491 / 96, BVerfGE 103, 172, 184, VersR 2004, 898, 899.

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sicherte mit einem Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze, die nach bisheriger Rechtslage im Zweifel aus Kostengründen oder mangels Alternative der GKV beitraten, werden nun den Basistarif bei der PKV wählen, sofern dieser unter dem Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung liegt, den diese Personen bei der GKV zu zahlen hätten. Die Änderung der Rechtslage begünstigt also diesen Personenkreis auf Kosten der Solidargemeinschaft der Privatversicherung. Zwar wird die Solidargemeinschaft der GKV entlastet, aber die Belastung der PKV ist höher als die Belastung der GKV nach bisheriger Rechtslage, da der von der Person mit schlechtem Risiko zu zahlende Beitrag sinkt. Betrachtet man gesetzliche und private Kassen kumuliert, steigt die Belastung durch schlechte Risiken unter entsprechender Entlastung von Personen mit hohem Einkommen. Es handelt sich hierbei um eine systematisch eintretende Folge der geplanten Änderung, die mit sozialen Zielen nicht zu vereinbaren ist. Die Regelung führt dazu, dass die gesetzliche Krankenversicherung einen Teil ihrer schlechten Risiken an die private Krankenversicherung „abtritt“, wo diese einen noch größeren Verlust verursachen als vorher bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Regelung führt also allein zu einer Begünstigung bestimmter Personen zulasten der Solidargemeinschaft der Versicherten. Eine solche Regelung ist nicht angemessen. Die Öffnung des Basistarifs für freiwillig gesetzlich Versicherte und Versicherbare ist daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. (bb) Generelle Höchstgrenze bei durchschnittlichem GKV-Höchstsatz Mit der Begrenzung der Prämienhöhe auf den durchschnittlichen Höchstsatz in der GKV (§ 12 Abs. 1c VAG) wird das für die PKV grundlegende Prinzip der Risikoäquivalenz sowohl im Basistarif als auch in den Normaltarifen außer Kraft gesetzt. Die Beitragsbegrenzung hat nämlich, sobald sie sich aktualisiert, zur Folge, dass der Basistarif sich nicht mehr selbst trägt und der Quersubventionierung durch die Normaltarife bedarf. Dem Basistarif fließen weniger Prämien zu, als zur Abdeckung der Krankheitskosten notwendig ist – in den Normaltarifen sind die Prämien zur Stützung des Basistarifs höher, als es zur Abdeckung des kollektiven Krankheitsrisikos notwendig ist. Dieser Systembruch macht den Grundrechtseingriff besonders intensiv, so dass eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich ist. Ausweislich der Begründung des Fraktionsentwurfs will der Gesetzgeber mit der generellen Höchstgrenze die „Bezahlbarkeit“ des Basistarifs sicherstellen.170 Eine exakte Zielformulierung stellt dies nicht dar: Für eine gutverdienende Person sind auch Prämien, die weit über dem durchschnittlichen GKV-Höchstsatz liegen, „bezahlbar“. Selbst Hochverdiener kommen aber in den Genuss der generellen Höchstgrenze. Der Begriff der „Bezahlbarkeit“ ist also objektiv zu verstehen. Eine solche objektive Begrenzung ist aber unverhältnismäßig: Die Begrenzung wird 170

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finanziert durch die Versicherten der Normaltarife (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV). Unter diesen befinden sich auch Personen, die ein relativ geringes Einkommen haben. Diese unterstützen nun durch ihren Prämienzuschlag Versicherte des Basistarifs, selbst wenn diese sich Prämien, die über dem GKV-Höchstsatz liegen, ohne weiteres leisten könnten. Der Geringverdiener unterstützt also den Gutverdiener. Der Solidargedanke wird damit geradezu pervertiert. Die Umverteilung von unten nach oben kann auch nicht in jedem Fall mit der Erwägung gerechtfertigt werden, die über den GKV-Höchstsatz hinausgehende Belastung resultiere aus dem erhöhten Krankheitsrisiko desjenigen, der sich gezwungen sieht, sich im Basistarif zu versichern. Der hohe Beitrag kann nämlich auch dadurch entstehen, dass der Betreffende sich erst in höherem Alter privat versichert. Er hat dann nichts zum Aufbau einer Alterungsrückstellung beigetragen, wird von den Konsequenzen aber durch die Prämienbegrenzung verschont. Eine Regelung, die eine solche pervertierte Solidarität zwar nicht verhindert, doch wenigstens abmildert, läge etwa darin, keine generelle absolute Beitragshöchstgrenze festzulegen, sondern auf die anteilige Belastung des Einkommens durch die Prämie für den Basistarif abzustellen. Auch in diesem Fall käme es in einigen Fällen zur Subventionierung Besserverdienender durch Normal- oder Geringverdiener. Möglicherweise wäre dies aber hinzunehmen, weil es möglicherweise ein legitimes Ziel darstellt, zu verhindern, dass Personen für ihren Krankenversicherungsschutz einen Großteil ihres Einkommens ausgeben müssen. Jedenfalls wäre eine solche Regelung angemessener als die existierende Regelung. Ob sie angemessen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung. Die getroffene gesetzliche Regelung ist jedenfalls unangemessen. (cc) Individuelle Höchstgrenze bei halbem GKV-Höchstsatz Mit der Halbierung der Höchstprämie bei Hilfebedürftigkeit bzw. infolge der Zahlungsverpflichtung drohender Hilfebedürftigkeit (§ 12 Abs. 1c VAG) verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, finanzielle Überforderung der Betroffenen zu verhindern.171 Das Mittel ist zur Zielerreichung geeignet. Zweifelhaft ist allerdings schon die Erforderlichkeit. Als Alternative kommt in Betracht, dass Personen, die bei der PKV Prämien zahlen müssen, die ihre finanzielle Leistungskraft überschreiten, staatliche Unterstützung erhalten.172 Nicht die Versichertengemeinschaft, sondern die staatliche Gemeinschaft würde die Subventionierung übernehmen. Allerdings tendiert die Rechtsprechung bislang dazu, dass eine finanzielle Belastung der Allgemeinheit kein gleich wirksames, milderes Mittel darstellt, so dass diese Möglichkeit die Erforderlichkeit nicht stets hindert.173 Die in der Rechtsprechung aufBT-Drucks. 16 / 3100 S. 207. Diese alternative Handlungsmöglichkeit des Gesetzgebers sehen auch Kruse / Kruse, WzS 2007, 161, 167. 173 Vgl. BGH v. 22. 10. 1996 – KZR 19 / 95, NJW 1997, 574, 578 zur Pflicht von Stromversorgungsunternehmen, Strom aus erneuerbaren Energien zu relativ hohen Mindestpreisen abzunehmen: Die Möglichkeit einer direkten Subventionierung durch die öffentliche Hand 171 172

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gezeigten Grenzen einer Inpflichtnahme Privater für staatliche Ziele sind jedoch zu beachten [siehe sogleich Abschnitt II. 2. a) aa) (1) (c) (dd)]. Die Möglichkeit staatlicher Unterstützung zur Zahlung der vollen Prämie führt aber jedenfalls zur Unangemessenheit der gesetzlich angeordneten Prämienhalbierung. Die Prämienhalbierung ist eine finanzielle Umverteilungsmaßnahme zugunsten Einkommensschwacher. Der GKV ist diese Form der Solidarität nicht fremd, da die Beiträge nach der Leistungsfähigkeit bemessen werden. In der PKV stellt sie einen Systembruch dar, da die Prämien dort nicht nach der Leistungsfähigkeit bemessen werden, sondern dem Prinzip der Risikoäquivalenz folgen. Eine Umverteilung ist aber nur gerechtfertigt, wenn Beiträge nach Leistungsfähigkeit bemessen werden; ansonsten bleibt die Regelung ein Fremdkörper im System. Die gesetzliche Regelung der individuellen Höchstgrenze kann abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken schon allein deshalb keinen Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen rechtfertigen, weil sie in sich nicht folgerichtig auf das Ziel der Entlastung Bedürftiger hin ausgerichtet ist. Das Konzept der Beitragshalbierung kann vielmehr zu folgender paradoxen Situation führen: Zwei im Basistarif versicherte Personen müssen den Höchstbeitrag zahlen. Person A wird hierdurch hilfebedürftig, so dass die Prämie halbiert wird. Insgesamt bleibt A nach Halbierung der Prämie ein bestimmtes frei verfügbares Einkommen. Person B unterschreitet bei Zahlung der vollen Prämie nicht die Grenze zur Hilfebedürftigkeit, sondern bleibt ganz knapp darüber. Gleichwohl verbleibt B nach Zahlung der Prämie ein frei verfügbarer Betrag, der niedriger ist als der A’s. B, der ursprünglich besser gestellt war als A, wird durch die Prämienhalbierung im Ergebnis schlechter gestellt als A. Die Halbierung der Prämie ist also zur Zielerreichung nicht geeignet, weil sie gleichheitswidrige Begünstigungen schafft. Zulässig wäre allenfalls eine Regelung, die in dem Fall, dass durch Zahlung der vollen Prämie Hilfebedürftigkeit entsteht, die Prämie so weit reduziert, dass keine Hilfebedürftigkeit entsteht, höchstens aber um die Hälfte. Eine solche Regelung würde einerseits die privaten Krankenversicherungsunternehmen weniger belasten, andererseits gleichheitswidrige Konsequenzen der pauschalen Halbierung vermeiden. Die gesetzliche Regelung ist daher selbst dann unverhältnismäßig, wenn man den Grundansatz akzeptiert.

(dd) Unverhältnismäßige Indienstnahme Privater unter Ausschaltung der Privatautonomie Letztlich erweist sich der Basistarif als unverhältnismäßig, weil er keine privatautonomen Elemente enthält und nur der Form nach dem Privatrecht zugehörig ist. Materiell handelt es sich um eine Sozialleistung, die von den privaten Krankenversicherern und den bei ihnen in den Normaltarifen Versicherten finanziert wird. Diese Indienstnahme ist unangemessen. hindere nicht die Erforderlichkeit der Regelung. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten, von einer finanziellen Belastung einer bestimmten Gruppe immer schon dann abzusehen, wenn die Belastung in der einen oder anderen Weise auf dem Weg über die öffentlichen Haushalte auch der Allgemeinheit auferlegt werden könne.

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Im Basistarif wird die Privatautonomie gänzlich ausgeschaltet. Der Basistarif geht über einen reinen Kontrahierungszwang hinaus, weil die Unternehmen nicht nur verpflichtet werden, ein freiwillig angebotenes Produkt allen Personen anzubieten, sondern die öffentlich-rechtliche Erlaubnis der Ausübung des Berufs des Krankenversicherers an das Angebot eines bestimmten Zusatzproduktes gebunden wird. Der Leistungsinhalt dieses Zusatzangebotes wird in Gänze brancheneinheitlich definiert. Das Produkt wird schließlich mit einem extern festgelegten Höchstpreis versehen, der es ausschließt, dass das Produkt kostendeckend angeboten werden kann. Alle wesentlichen Elemente der Privatautonomie fehlen: die Freiheit, überhaupt ein bestimmtes Produkt anzubieten, die Entscheidung über den Vertragspartner, die Entscheidung über den Leistungsinhalt und die über die Gegenleistung. Was bleibt, ist die privatrechtliche Form. Materiell ist der Basistarif daher als eine Indienstnahme der Versicherungsunternehmen und der bei ihnen Versicherten für eine Sozialleistung zu qualifizieren:174 Die Indienstnahme Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist nicht grundsätzlich verfassungswidrig.175 Ein wichtiges Kriterium für die Verhältnismäßigkeit ist die Sach- und Verantwortungsnähe der Verpflichteten.176 Für die Gesamtbeurteilung der Verhältnismäßigkeit ist auch entscheidend, ob es sich um eine unternehmenstypische oder eine unternehmensfremde Tätigkeit handelt. Unter Umständen ist eine Entschädigung bzw. ein Aufwendungsersatz zu leisten.177 Misst man die Regelungen zum Basistarif an diesen Kriterien, kann die Angemessenheit nicht mehr bejaht werden. Die Krankenversicherung ist zwar eine unternehmenstypische Tätigkeit. Ein reiner Kontrahierungszwang zu risikoäquivalenten Prämien wäre daher wohl verhältnismäßig. Die Versicherungsunternehmen werden jedoch zum Angebot eines Versicherungsproduktes gezwungen, das von seiner Anlage her nicht kostendeckend sein kann und daher elementaren privatwirtschaftlichen Grundsätzen widerspricht. Eine besondere Sach- und Verantwortungsnähe der Versicherungsunternehmen und der bei ihnen Versicherten besteht nicht: Anders als der frühere Standardtarif steht der Basistarif auch bislang Nichtversicherten, freiwillig gesetzlich Versicherten und Versicherten anderer Unternehmen offen. Er kann daher nicht etwa als Maßnahme zur Unterstützung in Not geratener langjähriger Versicherter gerechtfertigt werden. Mit Nichtversicherten oder freiwillig gesetzlich Versicherten verbindet die privaten Versicherungsunternehmen und ihre Kunden nichts.

174 Steiner, A&R 2007, 147, 149, spricht zutreffend davon, dass die „private[n] Anbieter von Krankenversicherungsleistungen quasi im Wege der Amtshilfe zur Erfüllung dieser Aufgabe [Anm.: staatliche Verantwortung für die Gesundheit der Bürger] unmittelbar in die Pflicht“ genommen werden. 175 Vgl. etwa BVerfG v. 16. 3. 1971 – 1 BvR 52 / 66, BVerfGE 30, 292 (Erdölbevorratungspflicht). 176 Manssen in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Art. 12 Abs. 1 GG Rn 200. 177 BVerfG v. 16. 3. 1971 – 1 BvR 52 / 66, BVerfGE 30, 292, 311.

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(ee) Insbesondere: Zwang zur Aufnahme von Personen, die wegen Täuschung, Drohung oder vorsätzlicher Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht ihren Versicherungsschutz verloren haben Nach § 193 Abs. 5 S. 4 Nr. 1 VVG und § 12 Abs. 1b S. 4 Nr. 1 VAG darf der Antrag auf Versicherung im Basistarif abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat. Nach Nr. 2 darf der Antrag abgelehnt werden, wenn der Versicherer wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Kein Ablehnungsgrund ist es demnach, wenn der Antragsteller zuvor bei einem anderen Versicherer versichert war und seinen Versicherungsschutz aufgrund einer der genannten Pflichtverletzungen verloren hat. Die Versicherungsunternehmen werden also gezwungen, Personen in den Kreis ihrer Versicherten aufzunehmen, die zuvor vorsätzlich – gegebenenfalls sogar strafrechtlich relevant – ein anderes Versicherungsunternehmen geschädigt haben. Die Risikogemeinschaft der bei einem bestimmten Unternehmen Versicherten wird zur Erstreckung ihrer Solidarität auf Personen gezwungen, die sich zuvor bei einer vergleichbaren Solidargemeinschaft zutiefst unsolidarisch gezeigt haben. Diese Regelung ist unverhältnismäßig: Das Ziel, jedem Krankenversicherungsschutz zu bieten, ist zwar legitim. Die Regelung ist auch geeignet, es zu erreichen. Schon die Erforderlichkeit ist aber zweifelhaft, da ein milderes Mittel in der Steuerfinanzierung der vollen, risikoäquivalenten Beiträge zur Verfügung stünde. Jedenfalls ist die Regelung offensichtlich unangemessen: Die Schutzwürdigkeit von Personen, die den Verlust ihres privaten Versicherungsschutzes durch vorsätzliches Handeln verursacht haben, ist äußerst gering. Wenn der Staat den Schutz solcher Personen für angezeigt hält, muss er ihn unmittelbar durch seine eigenen Einrichtungen selbst schützen – er darf damit aber nicht Private belasten. (ff) Fremdbestimmung des Leistungsumfangs durch den Gemeinsamen Bundesausschuss Darüber hinaus sind die Regelungen zum Basistarif unverhältnismäßig, weil die Versicherungsunternehmen bei der Bestimmung des Leistungsumfangs im Basistarif faktisch an die Entscheidungen eines Gremiums gebunden sind, in dem sie nicht selbst vertreten sind und das auch sonst keinerlei Legitimation ihnen gegenüber besitzt. Der Leistungsumfang der GKV, der für den Basistarif maßgeblich ist, wird nämlich durch den Gemeinsamen Bundesausschuss konkretisiert. Zwar erfolgt die Festlegung der Leistungen im Basistarif mit Bindungswirkung für die Privatversicherer durch den PKV-Verband. Faktisch wird aber der PKV-Verband, der ja unter der Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums steht, im Hinblick auf die Versicherungsleistungen an die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden sein. Eine eigene Gestaltung des Leistungsumfangs in Konkretisierung

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der weiten gesetzlichen Vorgaben des SGB V wird dem PKV-Verband nicht möglich sein. Das BVerfG hat der Bindung Privater an die Rechtssetzung von nicht unmittelbar demokratisch legitimierten Einrichtungen aber enge Grenzen gesetzt. Die Entscheidung zum Bergmannversorgungsschein hat insoweit die Maßstäbe im Hinblick auf das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip gesetzt.178 Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschuss ist schon in Bezug auf die am GKV-System Beteiligten zweifelhaft179 – in Bezug auf die PKV fehlt sie gänzlich. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist als Selbstverwaltung gewollt180 – und wird zur Fremdverwaltung für die, die nicht in ihm repräsentiert sind. Die Festlegungen wandeln ihren Charakter; eine verfassungsrechtliche Grundlage fehlt. (2) Vereinigungsfreiheit Diejenigen Versicherungsunternehmen, die als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert sind, werden außerdem in ihrer Vereinigungsfreiheit verletzt. Die Unternehmen betreiben die private Krankenversicherung als Mitgliedergeschäft, d. h. Vollversicherte werden Mitglieder des Vereins. Dies gilt auch für den Basistarif. Versicherung im Basistarif ist also nur durch Mitgliedschaft möglich. Der Kontrahierungszwang im Basistarif zwingt die Unternehmen also dazu, neue Mitglieder aufzunehmen. Hierin liegt ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die kollektive Vereinigungsfreiheit. (a) Schutzbereich Art. 9 Abs. 1 GG schützt das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist gemäß § 15 VAG wesensmäßig Verein und damit inhaltlich zweifellos vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst. Der persönliche Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG erfasst nicht nur die individuelle Freiheit derjenigen Personen, die sich zu einem Verein zusammenschließen können. Grundrechtsberechtigt ist auch der Verband selbst – kollektive Vereinigungsfreiheit.181 Soweit das BVerfG in seiner Entscheidung zur Arbeitnehmermitbestimmung Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 GG auf größere Kapitalgesellschaften hatte,182 sind diese Erwägungen jedenfalls auf den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit nicht übertragbar. Er ist keine Kapitalgesellschaft BVerfG v. 14. 6. 1983 – 2 BvR 288 / 80, BVerfGE 64, 208. Vgl. etwa Kingreen, NZS 2007, 113 ff. 180 Siehe auch die Selbstcharakterisierung des Gemeinsamen Bundesausschusses, http: // www.g-ba.de / downloads / 17-98-2491 / 2007-11-Faltblatt_GBA.pdf. 181 StRspr. und hL, vgl. nur BVerfG v. 24. 2. 1971 – 1 BvR 438 / 68 u. a., BVerfGE 30, 227, 241; v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532 / 77 u. a., BVerfGE 50, 290, 354; v. 15. 6. 1989 – 2 BvL 4 / 87, BVerfGE 80, 244, 253; Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn 8; Maunz / Dürig / Scholz, GG, Art. 9 Rn 22 f.; von Münch / Kunig / Löwer, GG, Art. 9 Rn 15. 182 Siehe BVerfGE 50, 290, 355 f. 178 179

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und kann folglich auch keine juristischen Personen als Anteilseigner haben. Es gibt daher auch kein Nebeneinander von großen, einflussreichen Anteilseignern und kleinen Teilhabern. In der privaten Krankenversicherung in Gestalt des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit verwirklicht sich vielmehr die Grundidee der gemeinsamen Selbsthilfe natürlicher Personen durch Bündelung individuell nicht tragbarer Risiken. Dass private Krankenversicherungsunternehmen regelmäßig sehr viele Mitglieder haben, ändert hieran nichts. Zu beachten ist im Übrigen – und der Gesetzgeber hat dies vollkommen übersehen –, dass es neben den großen Versicherungsvereinen auch sehr kleine Versicherungsvereine gibt, deren Mitgliederkreis satzungsgemäß auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt ist, insbesondere die Priesterkassen der katholischen Kirche. In diesen Vereinigungen verwirklicht sich die Idee der gemeinsamen Selbsthilfe innerhalb einer beschränkten Gruppe geradezu idealtypisch. Ausnahmeregelungen hat der Gesetzgeber selbst für diese Vereine nicht vorgesehen.

Vom sachlichen Schutzbereich erfasst ist die autonome Entscheidung über die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern.183 (b) Eingriff Der Kontrahierungszwang im Basistarif greift in den Schutzbereich ein. Über die Aufnahme eines neuen Mitglieds kann der Verein nämlich nicht mehr selbst entscheiden, sondern er wird durch den Gesetzgeber hierzu gezwungen. In Bezug auf den Basistarif ist es insbesondere nicht mehr möglich, die Mitgliedschaft in dem Versicherungsverein von einer Risikoprüfung abhängig zu machen, um so die in dem Verein zusammengeführte Versichertengemeinschaft vor Schädigung durch schlechte Risiken zu schützen. Dem Verein wird ein neues Mitglied oktroyiert – dies ist ein klarer Eingriff in die Vereinigungsfreiheit. 184 Eingriffsqualität haben auch die Regelungen zu den Prämienbegrenzungen im Basistarif: Zum Wesen der Versicherung allgemein und insbesondere der Versicherung auf Gegenseitigkeit (vgl. § 21 Abs. 1 VAG) gehört es, dass Mitgliederbeiträge bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen sein dürfen. Als Voraussetzungen kommen nur versicherungstechnisch bedeutsame Umstände in Betracht, bei der Krankenversicherung insbesondere Geschlecht und Eintrittsalter als wesentliche Faktoren für die Quantifizierung des Krankheitskostenrisikos.185 Der Höchstbeitrag in der GKV, der die allgemeine Prämienhöchstgrenze im Basistarif darstellt, und die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit, die zu Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn 8; Maunz / Dürig / Scholz, GG, Art. 9 Rn 98. Vgl. Papier in: Benda / Maihöfer / Vogel (Hrsg.), § 18 Rn 66 (S. 829); von Münch / Kunig / Löwer, GG, Art. 9 Rn 35. Der Eingriff ist intensiver als die den Gegenstand der Entscheidung BVerfGE 50, 290 bildenden Regelungen zur Arbeitnehmermitbestimmung, wo den Gesellschaften keine Mitglieder oktroyiert, sondern die Besetzung des Aufsichtsrates normiert wurde, vgl. BVerfGE 50, 290, 356 f. 185 Vgl. Prölss, VAG, § 21 Rn 10. 183 184

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einer individuellen Prämienbegrenzung führt, sind keine versicherungstechnisch bedeutsamen Umstände. Indem die Regelungen zum Basistarif solche Begrenzungen einführen, greifen sie daher in die grundrechtlich geschützte Vereinsautonomie ein. (c) Rechtfertigung Eingriffe in Art. 9 Abs. 1 GG können nach Art. 9 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden, sofern es sich um ein Vereinsverbot oder entsprechende mildere Maßnahmen handelt. Um einen solchen Eingriff handelt es sich vorliegend nicht. Sonstige Eingriffe können nur durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden.186 Einen allgemeinen Schrankenvorbehalt enthält die Vereinigungsfreiheit nicht. Als kollidierendes Verfassungsrecht kommt hier das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) in Betracht.187 Eine Rechtfertigung setzt voraus, dass der Eingriff durch ein formell rechtmäßiges Gesetz erfolgt und materiell insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird. Die Regelungen zum Basistarif genügen diesen Anforderungen nicht. Insoweit gelten die oben zur Berufsfreiheit angestellten Erwägungen entsprechend. bb) Grundrechte der Versicherten (1) Vereinigungsfreiheit Bei Versicherung in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit verletzen die Regeln zum Basistarif die Vereinigungsfreiheit der Versicherten. Der persönliche Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit erfasst nicht nur den Verband selbst, sondern auch – und vor allem – dessen Mitglieder, die durch ihren Zusammenschluss von ihrer Vereinigungsfreiheit Gebrauch machen. Die Regelungen zum Basistarif zwingen diesem freiwilligen Zusammenschluss Mitglieder auf. Die dabei vorgeschriebenen gesetzlichen Konditionen widersprechen den Grundlagen des freiwilligen Zusammenschlusses, weil sie das Prinzip der Risikoäquivalenz verlassen. Die nachteiligen Wirkungen auf die Versicherten ergeben sich aus § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV. Nach dieser Vorschrift ist die Unterdeckung, die im Basistarif durch die Beitragsbegrenzung entsteht, auf die übrigen Tarife der substitutiven Krankenversicherung umzulegen. In der Sache werden die Versicherten der Normaltarife zur Subventionierung des Basistarifs verpflichtet. Der Eingriff in die Vereinigungsfreiheit ist nicht gerechtfertigt. Ein Zwang zur Aufnahme in eine private Vereinigung ist zwar nicht generell verfassungswidrig. Das Recht kennt zwar – gerade auch um das Ziel der faktischen Verwirklichung Jarass / Pieroth, GG, Art. 9 Rn 22; Sachs / Höfling, GG, Art. 9 Rn 40. Zum Sozialstaatsgebot als eingriffsrechtfertigendes kollidierendes Verfassungsrecht siehe Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn 122. 186 187

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der positiven Vereinigungsfreiheit beitrittswilliger Personen willen – Aufnahmezwänge zulasten wirtschaftlich mächtiger und sozial bedeutsamer Verbände. Wie schon oben erläutert, geht der Basistarif über einen Aufnahmezwang weit hinaus. Dem Beitrittswilligen wird nicht nur das Recht gewährt, der Vereinigung auf der Grundlage des Risikoäquivalenzprinzips beizutreten, welches diejenigen, die sich freiwillig in der Vereinigung zusammengeschlossen haben, als Grundlage ihres Zusammenschlusses bestimmt haben. Ihm wird das Recht eingeräumt, auf einer ganz anderen Grundlage, nämlich der des gesetzlich bestimmten Basistarifs einzutreten. Damit wird in den Kernbereich der Vereinigungsfreiheit eingegriffen. Eine Rechtfertigung für diesen gewichtigen Grundrechtseingriff besteht aus den oben erläuterten Gründen nicht. Insbesondere ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es durch den Basistarif zu einer Umverteilung von Mitgliedern mit niedrigerem Einkommen zu Besserverdienenden kommen kann und der Solidargedanke so geradezu pervertiert wird. Die Begrenzung des Basistarifs, die durch alle Normalversicherten – auch die mit niedrigerem Einkommen – finanziert wird, kommt nämlich auch sehr gut verdienenden Basistarif-Versicherten zugute. Und dies gilt insbesondere auch dann, wenn dieser Versicherte nicht aufgrund seines überdurchschnittlich hohen Krankheitsrisikos in den Basistarif eingetreten ist, sondern weil er erst in hohem Alter überhaupt in das Solidarsystem der PKV eingetreten ist und deshalb nichts zum Aufbau der Alterungsrückstellung beigetragen hat. Ergänzend ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Prämienzuschlag nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV hat aus Sicht der Versicherten den Charakter einer Sonderabgabe. Die Erhebung einer Sonderabgabe setzt eine spezifische Beziehung (Sachnähe) zwischen dem Kreis der Abgabepflichtigen und dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck voraus. Die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. Aus dieser Sachnähe muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außersteuerlichen Abgabe zu finanzierenden Aufgabe entspringen.188 Die Unterstützung von Personen, die sich Versicherungsprämien nicht leisten können, ist Aufgabe der Gesamtgesellschaft und obliegt nicht speziell den Privatversicherten. Dass es sich bei den unterstützten Personen ebenfalls um Privatversicherte handelt, taugt nicht zur Begründung einer besonderen Sachnähe: Erstens ist im System der Privatversicherung die Solidarität jeweils auf das spezielle Kollektiv eines Tarifs bezogen, nicht aber auf alle Versicherten eines Unternehmens oder gar der gesamten Branche. Zweitens führt erst der Kontrahierungszwang dazu, dass die unterstützten Personen überhaupt Zugang zum Basistarif haben. Das Kriterium der Sachnähe als Voraussetzung der Rechtfertigung einer Sonderbelastung wäre aber sinnentleert, wenn der Gesetzgeber durch dieselbe Regelung die Sonderbelastung und die sie rechtfertigende Sachnähe begründen könnte. Die Sachnähe muss vielmehr schon unabhängig von der Regelung, deren Verfassungsmäßigkeit überprüft wird, bestehen. 188

Vgl. hierzu BVerfG v. 10. 12. 1980 – 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274.

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Jedenfalls kann keine Rede davon sein, dass die belastete Gruppe der in Normaltarifen Versicherten, dem Zweck, sozial Schwache bei der Absicherung des Krankheitsrisikos zu unterstützen, „evident näher“ steht als die Allgemeinheit der Steuerzahler. (2) Allgemeine Handlungsfreiheit Betrachtet man die Regelungen zum Basistarif nicht unter dem mitgliedschaftlichen Aspekt, sondern nimmt man das schuldrechtliche Versicherungsverhältnis zwischen dem Versicherungsunternehmen und den bei ihm Versicherten in den Blick,189 stellt der Basistarif einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten dar. Dies gilt unabhängig von der Organisation der Versicherung. Vom sachlichen Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist die Vertragsfreiheit erfasst. Die Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV ist ein gesetzlicher Eingriff in die Berechnungsgrundlagen der bestehenden Verträge und der Neuverträge. Die Versicherten werden gezwungen, eine Leistung in Form des Prämienzuschlags zu erbringen, die in keinem Zusammenhang mit der von ihnen erhaltenen Gegenleistung in Form der Versicherung im Normaltarif steht. Die Regelungen über die Beitragsbegrenzungen in § 12 Abs. 1c VAG greifen daher vermittelt über § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV in die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten ein. Da die Versicherungsunternehmen aufgrund des Kontrahierungszwangs auch keine Möglichkeit haben, schlechte Risiken, die mit großer Wahrscheinlichkeit die Beitragsbegrenzung in Anspruch nehmen werden, abzulehnen, gilt dasselbe auch für die Regelungen zum Kontrahierungszwang. Dieser Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ist aus den oben erläuterten Erwägungen nicht gerechtfertigt. (3) Allgemeiner Gleichheitssatz Wie soeben dargestellt hat der Prämienzuschlag nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV den Charakter einer Sonderabgabe. Die mit einer solchen Belastung verbundene Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den nicht belasteten Personen, ist am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.190 Das Bundesverfassungsgericht fordert in ständiger Rechtsprechung, dass „[d]ie zu einer Sonderabgabe herangezogene Gruppe . . . durch eine gemeinsame, in der Rechtsordnung oder gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgegebene Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit abgrenzbar sein [muss].“191 Fehlt es an dieser Son189 Zur dogmatischen Trennung zwischen dem Mitgliedsverhältnis und den schuldrechtlichen Beziehungen qua Versicherungsvertrag beim VVaG siehe Prölss, VAG, § 15 Rn 7. 190 Ebenso Pitschas, GesR 2008, 64, 71, der die Regelung allerdings gleichheitsrechtlich für gerechtfertigt hält. 191 BVerfG v. 10. 12. 1980 – 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274, 305 f.; v. 24. 1. 1995 – 1 BvL 18 / 93, BVerfGE 92, 91.

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derverantwortung, muss die Allgemeinheit die durch die Aufgabe verursachten Lasten tragen. Andernfalls verstößt die Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die genannten Voraussetzungen liegen hier nicht vor: Denn – wie schon oben dargelegt – steht der Basistarif auch Personen offen, mit denen die bisherigen und auf freiwilliger Basis Versicherten nichts in besonderer Weise verbindet (Nichtversicherten, freiwillig gesetzlich Versicherten und Versicherten anderer Unternehmen). Er kann daher keinesfalls, was möglicherweise gerechtfertigt wäre, als Maßnahme zur Unterstützung in Not geratener langjähriger Mitglieder gerechtfertigt werden. b) Modifizierter Standardtarif Auch die Öffnung des Standardtarifs durch § 315 SGB V ist ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte der privaten Versicherungsunternehmen und der Versicherten. Zwar steht der Standardtarif den freiwillig gesetzlich Versicherten nicht offen. Im Übrigen gelten aber die Ausführungen zum Basistarif entsprechend. c) Kündigungsmöglichkeit / Notversorgung Die Regelungen über den Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit (§ 206 Abs. 1 S. 1 VVG i.V. m. den Vorschriften über das Ruhen des Versicherungsverhältnisses, § 193 Abs. 6 VVG) verletzen die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen. Ist die Krankenversicherung als Versicherungsverein organisiert, liegt auch ein Verstoß gegen die Vereinigungsfreiheit der Versicherungsunternehmen und der Versicherten vor. aa) Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen (1) Eingriff in den Schutzbereich Die Regelungen der §§ 193 Abs. 6, 206 Abs. 1 S. 1 VVG greifen in die Berufsfreiheit der privaten Krankenversicherungsunternehmen ein. Sie zwingen sie dazu, in Abweichung von allgemeinen versicherungsvertragsrechtlichen (§ 38 Abs. 3 S. 1 VVG) und zivilrechtlichen (§ 314 BGB) Grundsätzen ein Vertragsverhältnis auch bei schwersten, vom Versicherungsnehmer zu vertretenden Störungen aufrecht zu erhalten. Der Ausschluss jeder Kündigungsmöglichkeit greift unmittelbar und zielgerichtet in die berufsbezogene Vertragsfreiheit ein. Nicht nur der Abschluss und die inhaltliche Ausgestaltung eines Vertrages, sondern auch die Möglichkeit zur ordentlichen, erst recht aber zur außerordentlichen Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses bei schwerwiegenden Vertragsstörungen sind von der Vertragsfreiheit umfasst. Es handelt sich um eine speziell für den Beruf des Krankenversicherers geltende Reglementierung. Dasselbe gilt für die Verpflichtung, trotz Ruhen des Versicherungsverhältnisses wegen Prämienverzugs die Aufwendungen zur Behand-

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lung akuter Krankheiten und Schmerzzustände sowie wegen Schwangerschaft und Mutterschaft zu tragen (§ 193 Abs. 6 S. 6 VVG). (2) Rechtfertigung Der Eingriff ist verfassungsrechtlich wegen Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht gerechtfertigt. Ziel des Kündigungsausschlusses ist nach der Begründung des Gesundheitsausschusses die dauerhafte Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes, um zu verhindern, dass Versicherte infolge einer Kündigung wegen Prämienverzugs ihre Alterungsrückstellungen verlieren.192 Die Regelung wäre als solche möglicherweise angemessen, wenn sichergestellt wäre, dass das Versicherungsverhältnis vollständig ruht, solange der Versicherungsnehmer nicht den gesamten Prämienrückstand beglichen hat. Diese Rechtsfolge sieht das Gesetz aber nicht vor: Zum einen endet das Ruhen, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII wird, zum anderen ist der Versicherer zur Tragung der Aufwendungen einer Notversorgung verpflichtet. In den Erläuterungen des Gesundheitsausschusses heißt es zur Begründung der Regelung:193 „Da auch das bisher bestehende Kündigungsrecht des Versicherers, wenn eine Folgeprämie nicht entrichtet wurde, entfällt, wird den Regelungen in der GKV entsprechend das Risiko für den Versicherer, leisten zu müssen, ohne die Gegenleistung zu erhalten, durch eine Ruhensregelung begrenzt. Vom Ruhen ausgenommen sind allerdings in Anlehnung an Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind (§ 4 Abs. 1, 2 AsylbLG). Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung zu § 16 Abs. 3a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in Artikel 1 Nr. 9a verwiesen. Darüber hinaus sind Säumniszuschläge zu entrichten. Wird der Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weist er dies nach, müssen Leistungen wieder in voller Höhe erbracht werden, auch wenn ausstehende Beträge nicht vollständig beglichen sind.“

Die Begründung zur Parallelregelung bei der gesetzlichen Versicherung in § 16 Abs. 3a SGB V lautet:194 „Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einführung einer Versicherungspflicht für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, und der damit zusammenhängenden Aufhebung der Regelung über das Ende der Mitgliedschaft freiwillig Versicherter bei Nichtzahlung von Beiträgen. Neben der Erhebung von Säumniszuschlägen soll die Nichtzahlung von Beiträgen weiterhin für den Versicherten im Interesse der Versichertengemeinschaft spürbare Konsequenzen haben. Vom Ruhen ausgenommen sind allerdings in Anlehnung an Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände 192 193 194

BT-Drucks. 16 / 4247 S. 68. BT-Drucks. 16 / 4247 S. 68. BT-Drucks. 16 / 4247 S. 31.

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sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind (§ 4 Abs. 1, 2 AsylbLG). Entsprechend des über § 16 Abs. 3a Satz 1 in Bezug genommenen § 16 Abs. 2 des Künstlersozialversicherungsgesetzes endet das Ruhen, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind. Zusätzlich soll das Ruhen beendet werden, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden, um dieser besonderen Situation gerecht zu werden und ein Ruhen auf Dauer zu vermeiden.“

Eine substantielle Begründung der Regelungen stellt dies nicht dar. Eine solche ist auch nicht ersichtlich: Wird ein Versicherter hilfebedürftig im Sinne des SGB XII, übernimmt der zuständige Sozialhilfeträger nach § 32 Abs. 5 S. 1 SGB XII die Aufwendungen für eine private Krankenversicherung, soweit sie angemessen sind. Nach § 32 Abs. 5 S. 2 SGB XII können auch höhere Aufwendungen zur Aufrechterhaltung einer Krankenversicherung übernommen werden, wenn die Leistungsberechtigung voraussichtlich nur für kurze Dauer besteht. Der Begriff der kurzen Dauer ist in Übereinstimmung mit § 32 SGB XII a. F. wie in § 38 SGB XII auszulegen:195 Der Zeitraum darf in der Regel sechs Monate nicht überschreiten.196 Es sind also Vorkehrungen vorhanden, um der „besonderen Situation gerecht zu werden“. Soweit die Aufwendungen nicht vom Sozialhilfeträger übernommen werden, weil die Aufwendungen unangemessen sind und die Hilfebedürftigkeit auch nicht von kurzer Dauer ist, besteht kein Grund, den Versicherten aus seiner Verantwortung zu entlassen und ihm allein aufgrund der sozialrechtlichen Feststellung von Hilfebedürftigkeit den vollen Versicherungsschutz trotz Nichterbringung der Gegenleistung zuzubilligen. Dieser Versicherungsschutz kann nämlich weit über das zwingend Notwendige hinausgehen: § 193 Abs. 6 VVG bezieht sich auf alle Versicherungen, mit denen die Pflicht zur Versicherung nach § 193 Abs. 3 VVG erfüllt werden kann. Hierunter fallen auch Versicherungen mit einem Schutzniveau, das weit über den Leistungsumfang des Basistarifs hinausgeht. Auch das Ruhen eines solchen überschießenden Versicherungsschutzes, dessen Kosten der Sozialhilfeträger gegebenenfalls nicht übernimmt, wird aber bei Eintreten von Hilfebedürftigkeit beendet. Erst wenn auch ein Jahr nach Beginn des Ruhens die ausstehenden Prämien samt Säumniszuschlägen und Beitreibungskosten nicht bezahlt sind, wird die Versicherung gemäß § 193 Abs. 6 S. 9 VVG im Basistarif fortgesetzt. Bis dahin genießt der hilfebedürftige Versicherte gegebenenfalls Versicherungsschutz auf höchstem Niveau, ohne dass der Versicherer die Gegenleistung erhält. Eine Teil- bzw. Änderungskündigung des Vertrages auf einen niedrigeren Leistungsumfang schließt § 206 Abs. 1 S. 1 VVG aus. Eine solche Regelung zulasten der Versicherungsunternehmen verfolgt schon kein legitimes Ziel. Legitimes Ziel kann nämlich nicht Versicherungsschutz auf höchstem Niveau auf Kosten anderer sein, sondern allein eine Grundsicherung. Diese könnte ohne weiteres durch folgende Regelung gewährleistet werden: Bei Hilfebedürftigkeit wird das Ruhen des Versicherungsschutzes nicht gänzlich auf195 196

Vgl. Falterbaum in: Hauck / Noftz, SGB XII, § 32 Rn 21. Falterbaum in: Hauck / Noftz, SGB XII, § 38 Rn 9.

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gehoben, sondern nur Schutz im Leistungsumfang des Basistarifs gewährleistet. Hinsichtlich der Mehrleistungen ruht das Versicherungsverhältnis weiterhin. Wird der Zahlungsverzug innerhalb eines Jahres behoben, endet das Ruhen insgesamt und der Versicherte erhält den vollen Versicherungsschutz. Besteht Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II, verweist § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II auf § 12 Abs. 1c S. 5 und 6 VAG. § 12 Abs. 1c VAG gilt aber nur für den Basistarif. Nach dem Gesetzeswortlaut werden Prämien für andere Tarife also nicht übernommen. Versicherte, für die § 26 SGB II gilt, stehen also schlechter da als Versicherte, für die § 32 SGB XII gilt. Ein Sachgrund für diese Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich. Für die Versicherungsunternehmen bedeutet dies, dass die Chancen, die Prämien für einen Normaltarif eintreiben zu können, sinken, weil bei einer hilfebedürftigen Person die Zwangsvollstreckung in der Regel erfolglos bleibt und der zuständige Träger die Prämienzahlungen nicht übernimmt. Diese Regelung ist daher erst recht unverhältnismäßig. Gerät der Versicherte in Prämienverzug, ohne hilfebedürftig zu sein, ruht der Versicherungsschutz bis auf die Tragung der Aufwendungen für eine Notversorgung. Entgegen der Einschätzung des Gesetzgebers kann die Notversorgung zu einer erheblichen Belastung des Versicherers führen [siehe oben Abschnitt I. 4. c)]. Der Versicherer wird in vielen Fällen auch faktisch keine Möglichkeit haben, die geschuldeten Prämien einzutreiben. Die Zwangsvollstreckung wird häufig fruchtlos bleiben und wegen der Verpflichtung zur Notversorgung reduziert sich auch der Druck auf den säumigen Versicherten, weil er sicher sein kann, dass in Notfällen die Kosten getragen werden. Wird der Versicherte während des Prämienverzuges hilfebedürftig, endet das Ruhen des Versicherungsschutzes. Zwar wird die Versicherung bei längerem Zahlungsverzug nur im Basistarif fortgesetzt; der Druck, den Prämienrückstand zu beheben, reduziert sich aber gleichwohl. Das Gesetz nimmt damit in Kauf, dass der Versicherer Leistungen erbringen muss, ohne eine realistische Aussicht auf Erhalt der Gegenleistung zu haben. Das Privatrecht schützt den Gläubiger zwar generell nicht vor Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Es lässt ihm aber immer die Möglichkeit, ein Vertragsverhältnis bei Zahlungsverzug zu beenden, oder stellt ihn von der eigenen Leistungsverpflichtung frei. Eine derart massive Abweichung von den Grundsätzen des Privatrechts, wie sie §§ 193 Abs. 5, 206 VVG normieren, kennt nicht einmal das Recht der privaten Pflegepflichtversicherung. Auch hier sind zwar gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI Kündigungs- und Rücktrittsrechte des Versicherers ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht. Der Versicherer muss während des Zahlungsverzugs aber keine Leistungen erbringen.197 Die Regelung für die private Krankenversicherung ist nicht verhältnismäßig. Das Ziel, auch Personen, die – ohne hilfebedürftig zu 197 Wagner in: Hauck / Noftz, § 110 SGB XI Rn 13; vgl. auch den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum SGB XI, abgedruckt bei Hauck / Noftz, SGB XI, Anhang M 040 S. 90: „Leistungsverweigerungsrechte der Versicherungsunternehmen für den Zeitraum, in dem der Versicherungsnehmer keine Prämien entrichtet, bleiben selbstverständlich erhalten.“

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sein – ihre Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Versicherer nicht erfüllen, vor dem Krankheitsrisiko zu schützen, ist zwar legitim. Die Inanspruchnahme der PKV hierfür ist auch zur Zielerreichung geeignet. Als milderes Mittel steht aber die Kostentragung durch die öffentliche Hand zur Verfügung. Sieht man dieses Mittel wegen der finanziellen Belastung des Staates nicht als gleich geeignet an, so dass die Erforderlichkeit der Belastung der PKV noch zu bejahen wäre, fehlt es aber jedenfalls an der Angemessenheit der Regel. Es besteht keine Rechtfertigung dafür, dass private Unternehmen ohne Gegenleistung die Aufwendungen für die Notversorgung von Personen übernehmen müssen. Selbst der Staat unterstützt nach SGB II und SGB XII nur Personen, die hilfebedürftig sind. Er ist zu weitergehender Unterstützung auch sozialstaatlich nicht verpflichtet. Dass private Versicherungsunternehmen auch Personen, die ohne Hilfebedürftigkeit ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen, unterstützen müssen, ist angesichts dessen offensichtlich unangemessen. Dies gilt umso mehr, als es insoweit an einem Risikoausgleich zwischen den Versicherern fehlt. § 12g VAG erfasst nicht das Risiko von Zahlungsausfällen. Die Belastung durch zahlungsunwillige Versicherte trifft die Versicherungsunternehmen daher völlig zufällig, ohne dass sie hierauf effektiv reagieren können oder einen Ausgleich erhalten. Dass für die GKV mit § 16 Abs. 3a S. 2 SGB V durch Art. 1 Nr. 9a GKV-WSG eine parallele Regelung eingeführt wurde, ändert hieran nichts. Die privaten Krankenversicherer sind Grundrechtsträger, die der Staat nicht in gleicher Weise in Anspruch nehmen darf wie die gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 4 Abs. 1 SGB V). Im Übrigen ist die Belastung der GKV der Sache nach genauso ungerechtfertigt wie die der PKV. bb) Vereinigungsfreiheit von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (1) Schutzbereich Spiegelbildlich zur Freiheit, über die Aufnahme in den Verein zu entscheiden, gewährleistet Art. 9 Abs. 1 GG auch das Recht, autonom über die Bedingungen für den Ausschluss aus der Vereinigung zu entscheiden. Insbesondere sind Regelungen von der Grundrechtsgewährleistung erfasst, die einen Ausschluss bei erheblichen Verstößen gegen Verpflichtungen gegenüber der Vereinigung vorsehen. (2) Eingriff Die §§ 193 Abs. 6, 206 Abs. 1 S. 1 VVG greifen in die Vereinigungsfreiheit der mitgliedschaftlich organisierten Versicherungsunternehmen ein. Sie zwingen sie dazu, in Abweichung von allgemeinen versicherungsvertragsrechtlichen (§ 38 Abs. 3 S. 1 VVG) und zivilrechtlichen (§ 314 BGB) Grundsätzen ein Vertragsverhältnis auch bei schwersten, vom Versicherungsnehmer zu vertretenden Störungen aufrecht zu erhalten. Bei der häufigsten Störung, dem Prämienverzug, ruht das

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Versicherungsverhältnis zwar gemäß § 193 Abs. 6 VVG, der Versicherer haftet aber für Aufwendungen für akute Erkrankungen und Schwangerschaft und Mutterschaft. (3) Rechtfertigung Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. In Betracht kommt nur eine Rechtfertigung durch das Sozialstaatsprinzip als kollidierendes Verfassungsrecht. Diese scheitert jedoch an der Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die zur Berufsfreiheit angestellten Erwägungen sind übertragbar. cc) Vereinigungsfreiheit der Versicherten Auch die Mitglieder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit werden durch die Regelung in ihrer Vereinigungsfreiheit verletzt. Der Ausschluss jeder Kündigungsmöglichkeit führt dazu, dass sie mit Versicherten, die ihre schuldrechtlichen und mitgliedschaftlichen Pflichten nicht erfüllen, in einer Zwangsgemeinschaft zusammengeschlossen bleiben. Die Kosten, die durch die Notversorgung derjenigen Mitglieder entstehen, die nach den autonom festgelegten Bedingungen aus der Versichertengemeinschaft ausgeschlossen worden sind, fallen unmittelbar dem Versicherungsunternehmen zur Last. Die Kosten, die für die Behandlung von Mitgliedern entstehen, die ihre Beiträge nicht zahlen, denen aber trotzdem eine Notversorgung gewährt werden muss, mindern den Überschuss des Versicherungsunternehmens. Dadurch stehen weniger Mittel für die Überschussbeteiligung der Versicherten in Form von Beitragsrückerstattung zur Verfügung. Bei einem Versicherungsverein, der ja keine Aktionäre hat, wird ein darüber hinaus verbleibender Gewinn gemäß § 38 VAG an die Mitglieder ausgeschüttet. Letztlich fallen die Kosten also der Versichertengemeinschaft insgesamt und damit jedem einzelnen sich pflichtgemäß verhaltenden Versicherten zur Last. Dieser Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit kann aus den oben genannten Gründen nicht gerechtfertigt werden. d) Portabilität im Neukundenbereich Die Einführung der Portabilität im Neukundenbereich verstößt gegen die Grundrechte der Versicherungsunternehmen und derjenigen, die künftig einen Vertrag ohne portable Alterungsrückstellungen abschließen wollen. aa) Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen Die Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen im Neukundenbereich verstößt gegen die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen.

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(1) Eingriff in den Schutzbereich § 12 Abs. 1 Nr. 5 VAG sowie § 204 Abs. 1 VVG bestimmen, dass ab dem 1. 1. 2009 Krankenversicherungsverträge zwingend die Portabilität der Alterungsrückstellungen im dem Basistarif entsprechenden Umfang vorsehen müssen. Die frühere Vertragsgestaltung, dass die Alterungsrückstellungen bei einem Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen dem zurückbleibenden Kollektiv in vollem Umfang vererbt werden, wird nicht mehr möglich sein. Wie oben ausführlich erläutert (Abschnitt I. 4. d]), wird es damit ausgeschlossen sein, sich in Normaltarifen gegen das mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbundene Prämienrisiko zu versichern. Die privaten Krankenversicherer werden zukünftig nur noch Normaltarife anbieten können, die in weitaus stärkerem Maße als bislang das Risiko einer Prämienerhöhung aufgrund von Risikoselektion in sich tragen und somit zur von den Kunden gewünschten langfristigen Absicherung des Krankheitsrisikos nur noch eingeschränkt geeignet sind. In dieser gesetzlichen Beschränkung des Produktangebotes liegt ein zielgerichteter unmittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen. Der Eingriff reicht in seiner Intensität an eine subjektive Berufswahlregelung heran, denn § 12 Abs. 1 VAG knüpft die Erlaubnis zum Betrieb der substitutiven Krankenversicherung daran, dass ausschließlich portable Alterungsrückstellungen angeboten werden. (2) Rechtfertigung Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, weil er unverhältnismäßig ist. Ziel des Gesetzgebers bei der Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen ist die Verbesserung der Wahl- und Wechselmöglichkeiten der Versicherten in der PKV.198 Hierdurch soll der Wettbewerb innerhalb der PKV im Bestandskundenbereich gestärkt werden.199 Dies ist ein legitimer Zweck. Das Mittel der Portabilität ist zur Zweckerreichung aber schon nicht geeignet. Selbst bei unterstellter Geeignetheit ist die Regelung nicht erforderlich. Jedenfalls sind die Beeinträchtigungen, die die Regelung für die Versicherungsunternehmen, die Versicherten und letztlich die PKV als System der sozialen Sicherung mit sich bringt, im Vergleich mit den unterstellten Vorteilen so schwerwiegend, dass die Regelung selbst unter Anerkennung eines weitgehenden Gestaltungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers unangemessen ist. (a) Ungeeignetheit Das Mittel der zwingenden Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen ist zur Zweckerreichung nur eingeschränkt geeignet. Wie oben dargestellt führte das Prinzip der Vererbung der Alterungsrückstellungen dazu, dass auch gute 198 199

BT-Drucks. 16 / 3100 S. 92. Siehe Nr. 16 Pkt. 2 der Eckpunkte; BT-Drucks. 16 / 3100 S. 206.

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Risiken in höherem Alter und nach längerer Versicherungszeit faktisch von Wechselmöglichkeiten zu einem anderen Versicherungsunternehmen keinen Gebrauch machten, weil der Verlust der Alterungsrückstellungen zu einer wirtschaftlichen Belastung führte. Für die guten Risiken erhöht die zwingende Portabilität der Alterungsrückstellungen in der Tat die Wechselmöglichkeiten. Für schlechte Risiken verbessert die Portabilität der Alterungsrückstellungen die Wechselmöglichkeiten allerdings nur marginal. Die kalkulierte Alterungsrückstellung eines schlechten Risikos genügt nämlich nicht, um das über dem Durchschnitt liegende Krankheitsrisiko dieser Personen abzudecken. Ein anderes Versicherungsunternehmen wird diese Personen daher – wenn überhaupt – nur unter Vereinbarung von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen versichern. Die Wechselmöglichkeit ist daher zwar besser als im bisherigen System, da wechselwillige Versicherte immerhin einen gewissen Betrag an den neuen Versicherer übergeben können. Jedenfalls bei Personen mit erheblichen Vorerkrankungen, die im Laufe des Versicherungsverhältnisses beim alten Versicherer entstanden sind, wird sich dies aber nicht auswirken. Geeignet ist das Mittel der zwingenden Anordnung der Portabilität daher im Wesentlichen nur zur Stärkung der Wechselmöglichkeiten guter Risiken. Das Ziel der Verbesserung der Wechselmöglichkeiten aller Versicherten kann durch die Portabilität nicht erreicht werden. Die negative Risikoselektion als unvermeidbare Folge der Übertragung der kalkulierten Alterungsrückstellungen hat zur Folge, dass auch das Ziel der Stärkung des Wettbewerbs innerhalb der PKV nicht erreicht werden kann. Das „Produkt“, welches die PKV anbietet, ist die langfristige, stabile Absicherung des Krankheitsrisikos. An einer lediglich kurzfristigen Absicherung besteht im Bereich der substitutiven Krankenversicherung kein Bedarf. Ein funktionsfähiger Wettbewerb setzt voraus, dass die Anbieter ein realistisches, erfüllbares Leistungsversprechen machen. Genau dies ist in den Normaltarifen bei einer Verpflichtung zur Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellungen nicht mehr möglich. Jeder Tarif ist nämlich von einer späteren Abwanderung guter Risiken unter Mitnahme der kalkulierten Alterungsrückstellungen bedroht und damit von massiven Prämienerhöhungen. Letztlich wird mit der Portabilisierung der kalkulierten Alterungsrückstellungen das Anbieten einer langfristigen, stabilen Absicherung des Krankheitsrisikos faktisch unmöglich gemacht. Es kann folglich auch keinen Wettbewerb um dieses Produkt geben.200 Eine langfristige Absicherung kann zwar immer noch im Basistarif garantiert werden. Der Basistarif ist aber hinsichtlich des Leistungsumfangs bei allen Anbietern identisch und hinsichtlich der Prämien aufgrund des Risikoausgleichs und der weitgehend einheitlichen Kalkulation annähernd identisch. Der „Wettbewerb“, der hier entstehen kann, ist marginal. Er kann sich letztlich nur auf die Verwaltungskosten beziehen. Diese aber machen im Branchendurchschnitt nur 2,76 % der Prämie aus (2006), die Unterschiede zwischen den Versicherungsunternehmen werden sich im niedrigen Prozent- bis Promillebereich bewegen. 200

Vgl. auch Sodan, S. 36 f., 42 f.

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Was bleibt, ist die Verbesserung der Wechselmöglichkeiten für Bestandsversicherte, die gute Risiken sind. Hierbei handelt es sich aber angesichts des Sozialstaatsprinzips nicht mehr um eine legitime Zielsetzung. Dass Personen mit niedrigem Krankheitsrisiko beim erstmaligen Abschluss eines Versicherungsvertrages Vorteile haben, ist eine natürliche Konsequenz der Marktmechanismen. Der Gesetzgeber ist insoweit sozialstaatlich nicht zu einem Eingreifen verpflichtet, solange er sicherstellt, dass Personen mit hohem Krankheitsrisiko anderweitig zumutbaren Schutz erhalten. Was der Gesetzgeber mit der Einführung der Portabilität tut, ist etwas ganz anderes: Er zerstört ein gewachsenes System, das in einem privatwirtschaftlichen Rahmen langfristige, in der Regel lebenslange soziale Absicherung des Krankheitsrisikos ermöglicht. (b) Fehlende Erforderlichkeit Selbst wenn man die Geeignetheit der Regelung unterstellt, mangelt es an der Erforderlichkeit, weil es zur Erreichung der Ziele der Verbesserung der Wechselmöglichkeiten und der Wettbewerbsförderung genügt hätte, die Versicherungsunternehmen zu verpflichten, Tarife mit portablen Alterungsrückstellungen anzubieten, ohne Tarife mit nicht portablen Alterungsrückstellungen zu verbieten. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen wäre schwächer; gleichzeitig wäre eine solche Regelung gleich, wenn nicht gar besser geeignet, die Wechselmöglichkeiten und den Wettbewerb zu fördern. Versicherte, die Wert auf Flexibilität legen und daher Portabilität der Alterungsrückstellungen wünschen, könnten einen solchen Vertrag abschließen. Mehr darf der Gesetzgeber legitimerweise nicht durchsetzen wollen, denn Neukunden, die sich bewusst gegen Flexibilität und für mehr Sicherheit entscheiden, sind nicht schutzbedürftig. Soweit hinter der Anordnung der Indisponibilität der Regelung die Sorge steht, potentielle Kunden würden die Reichweite einer Entscheidung für oder gegen Portabilität nicht überblicken, wäre ein milderes Mittel die Verpflichtung zu ausführlichen Informationen über die Konsequenzen fehlender Portabilität. Ein weitergehender „Schutz des Versicherungskunden vor sich selbst“ ist nicht notwendig: Grundsätzlich ist es sicherlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber durch zwingende Normen den Versicherungsnehmer auch dann vor unangemessenen Benachteiligungen schützt, wenn er diesen formal freiwillig zugestimmt hat. Das Arbeitsrecht und das Verbraucherschutzrecht ziehen in weiten Teilen ihre Legitimation gerade aus diesem Grundgedanken.201 Auch das Versicherungsaufsichtsrecht rechtfertigt sich gerade aus der Notwendigkeit des Schutzes des Versicherungsnehmers. Die grundsätzlich mögliche Legitimität von Eingriffen, die auch den Willen des Versicherungsnehmers für unbeachtlich erklären, entbindet aber nicht von einer Prüfung der Eingriffsnotwendigkeit im konkreten Fall. Das 201 Siehe zum Arbeitsrecht Thüsing, RdA 2005, 257, 260 f. Generell und umfassend zur rechtlichen Problematik siehe Hillgruber, passim.

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System der nicht portablen Alterungsrückstellungen funktioniert seit Jahrzehnten und bietet für Millionen Privatversicherte soziale Sicherheit. Die fehlende Portabilität stellt zwar ein Wechselhindernis dar, verringert aber gerade deshalb die Gefahr von Risikoselektion und bietet die von vielen, wenn nicht sogar den allermeisten Kunden gewünschte Stabilität. Hier geht es nicht um einseitige Benachteiligung des Kunden, sondern um Freiheit, sich zwischen zwei Versicherungsmodellen mit spezifischen Vor- und Nachteilen entscheiden zu können. Ein Grund, die bewährte Vertragskonstruktion der nicht portablen Alterungsrückstellungen zum vermeintlichen Schutz der Kunden unmöglich zu machen, ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich. Der Wettbewerb schließlich wird durch eine solche Regelung, die die Wahlfreiheit der Versicherten erhöht, stärker gefördert als durch eine Regelung, die ein bewährtes System verbietet. Sollte hinter der gesetzlichen Regelung die Befürchtung stehen, das politisch gewollte System portabler Alterungsrückstellungen werde sich am Markt nicht durchsetzen, weil die Beiträge bei nicht portablen Alterungsrückstellungen niedriger sind und die Versicherung langfristig stabiler ist, handelt es sich um eine schon im Ansatz nicht zur Rechtfertigung geeignete Erwägung. (c) Unangemessenheit Selbst wenn man aber entgegen der hier vertretenen Auffassung die Verstärkung der Wechselmöglichkeiten guter Risiken und insoweit auch eine beschränkte Verstärkung des Wettbewerbs als legitime Ziele anerkennen würde, ist jedenfalls die Angemessenheit zu verneinen. Die möglichen Vorteile der Neuregelung stehen außer Verhältnis zu den zu erwartenden Nachteilen für die Versicherungsunternehmen, die Versicherten und das System der PKV insgesamt. (aa) Schwerwiegende Beeinträchtigung der berufsbezogenen Vertragsfreiheit Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen ist schwerwiegend. Die Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen zerstört eine über Jahrzehnte gewachsene Gestaltung, die die PKV in die Lage versetzt hat, das elementare Krankheitsrisiko langfristig zu relativ stabilen Beiträgen abzusichern und dabei ein hohes Leistungsniveau, das an die individuellen Wünsche der Versicherten angepasst werden konnte, zu gewährleisten. Dieses System basierte zu einem erheblichen Teil darauf, dass die Alterungsrückstellungen kein bloßes individuelles Sparguthaben darstellten, sondern wesensmäßig Versicherung gegen zukünftiges Ansteigen des Krankheitsrisikos waren. Das Problem der negativen Selektion wurde dadurch erheblich entschärft. Der Gesetzgeber beraubt die Alterungsrückstellungen dieser Funktion, ohne eine funktionsfähige Alternative bereit zu stellen. Dieser Befund wird auch nicht durch Zubilligung eines weiten Prog-

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nosespielraums des Gesetzgebers in Frage gestellt. Zum Prognosespielraum des Gesetzgebers hat das BVerfG in der grundlegenden Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz (BVerfGE 50, 290) Stellung bezogen: „Ungewißheit über die Auswirkungen eines Gesetzes in einer ungewissen Zukunft kann nicht die Befugnis des Gesetzgebers ausschließen, ein Gesetz zu erlassen, auch wenn dieses von großer Tragweite ist. Umgekehrt kann Ungewißheit nicht schon als solche ausreichen, einen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nicht zugänglichen Prognosespielraum des Gesetzgebers zu begründen. Prognosen enthalten stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil, dessen Grundlagen ausgewiesen werden können und müssen; diese sind einer Beurteilung nicht entzogen. Im einzelnen hängt die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers von Faktoren verschiedener Art ab, im besonderen von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter. Demgemäß hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn auch im Zusammenhang anderer Fragestellungen, bei der Beurteilung von Prognosen des Gesetzgebers differenzierte Maßstäbe zugrunde gelegt, die von einer Evidenzkontrolle (etwa BVerfGE 36, 1 (17) – Grundvertrag; 37, 1 (20) – Stabilisierungsfonds; 40, 196 (223) – Güterkraftverkehrsgesetz) über eine Vertretbarkeitskontrolle (etwa BVerfGE 25, 1 (12 f., 17) – Mühlengesetz; 30, 250 (263) – Absicherungsgesetz; 39, 210 (225 f.) – Mühlenstrukturgesetz) bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen (etwa BVerfGE 7, 377 (415) – Apotheken; 11, 30 (45) – Kassenärzte; 17, 269 (276 ff.) – Arzneimittelgesetz; 39, 1 (46, 51 ff.) – § 218 StGB; 45, 187 (238) – Lebenslange Freiheitsstrafe).“

Wie oben dargelegt, ist wirtschaftswissenschaftlich eindeutig nachweisbar, dass die Neuregelung das Problem der Risikoselektion gegenüber der bisherigen Rechtslage erheblich verschärft. Es handelt sich nicht um irgendeine mehr oder weniger unsichere Prognose, sondern um eine ökonomische Tatsache. Dem Gesetzgeber war das Problem grundsätzlich bekannt, nachdem sich eine Reihe von vom Bundestag selbst eingesetzten Expertenkommissionen damit befasst hatten und übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen waren, dass die Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellungen nicht empfohlen werden kann und wenn überhaupt nur unter engen Voraussetzungen (umfassender Kontrahierungszwang, Vereinheitlichung des Leistungsangebots, Risikoausgleich) durchführbar ist. Der Bundestag ist im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses von Sachverständigen eindringlich darauf hingewiesen worden, dass die nunmehr Gesetz gewordenen Regelungen die Problematik der Risikoselektion nicht lösen. Er hat sich offensichtlich über diese Bedenken hinweggesetzt, wenn er sie überhaupt wahrgenommen hat. Ein Prognosespielraum des Gesetzgebers bestand insoweit nicht. Für wie unzureichend die Abgeordneten selbst die Tatsachenermittlung im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses hielten, ergibt sich aus dem schon oben (II. 2.) zitierten Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses.

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(bb) Schwerwiegende faktische Folgen für bestimmte Versicherungsunternehmen Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist nicht allein in rechtlicher Hinsicht schwerwiegend, weil er eine bewährte Ausgestaltung des privaten Krankenversicherungsvertrages verbietet. Er ist auch faktisch schwerwiegend. Negative Risikoselektion kann zum Zusammenbruch von – effizient arbeitenden – Unternehmen führen oder Unternehmen zum Rückzug vom Krankenversicherungsmarkt zwingen. Welche Unternehmen im besonderen Maße nachteilig betroffen werden, lässt sich kaum prognostizieren. Dies ist aber für die verfassungsrechtliche Beurteilung auch nicht notwendig. Entscheidend ist allein, dass es zu einer Destabilisierung des Marktes und massiven Problemen einzelner Unternehmen kommen wird. Damit wird die Stufe der Berufsausübungsregelung verlassen und der Bereich der Berufswahlregelungen erreicht. Dass mit der Portabilisierung der Alterungsrückstellungen ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut geschützt wird, ist aber nicht ersichtlich. Die Wahlfreiheit der Versicherten und der Wettbewerb stellen jedenfalls keine überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter dar (abgesehen davon, dass sie durch die Neuregelung überhaupt nicht gefördert werden). (cc) Gefährdung der dauernden Erfüllbarkeit Negative Risikoselektion gefährdet die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag. Damit werden nicht nur die europarechtlichen Anforderungen des Art. 56 der Versicherungsbilanzrichtlinie 91 / 674 / EWG vom 19. 12. 1991 verfehlt,202 sondern auch die Eignung der PKV als Mittel der sozialen Absicherung des Krankheitsrisikos gefährdet. (dd) Keine langfristige Absicherung des Krankheitsrisikos in den Normaltarifen Zukünftig wird eine langfristige, relativ beitragsstabile Absicherung des Krankheitsrisikos in den Normaltarifen der PKV nicht mehr möglich sein. Stattdessen wird Neukunden die Flexibilität portabler Alterungsrückstellungen aufgezwungen. Diejenigen, die sich im Laufe des Versicherungsverhältnisses zu schlechten Risiken entwickeln, werden diese Flexibilität aber ohnehin nicht ausnutzen können. Profitieren werden die guten Risiken, die reale Wechselmöglichkeiten haben. Für die einen wird die Flexibilität zum Fluch, für die anderen zum Segen – zu welcher Gruppe man gehören wird, ist aber bei Vertragsschluss nicht absehbar. Dies ist bei einem existentiellen Risiko wie dem der Krankheitskosten ein untragbarer Zustand. Langfristige Sicherheit wird es nur noch auf dem standardisierten Leistungsniveau der GKV geben – und zwar entweder in der GKV selbst oder im Basistarif der PKV. Der Vorteil der PKV, hohe Sicherheit auch auf einem hohen Leistungsniveau 202

Boetius, VersR 2007, 431 ff.

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bei großer Wahlfreiheit zu bieten, wird dieser genommen, ohne dass dies durch Vorteile für Kunden, Versicherungsunternehmen oder unmittelbar für die GKV auch nur annähernd aufgewogen wird. Die aus der Portabilität folgende Entsolidarisierung zu Lasten schlechter Risiken ist auch mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar.203 (ee) Allenfalls minimale Förderung des Wettbewerbs im (Neu-)Bestandskundenbereich Die Portabilität der Alterungsrückstellungen wird einen Leistungs- und Effizienzwettbewerb im Bestandskundenbereich nur in minimalem Maße fördern. Sobald der Prozess der Risikoselektion einsetzt, werden die hieraus folgenden Kostenvorteile für einzelne Unternehmen die durch Effizienzsteigerung und Verbesserung des Leistungsangebotes erzielbaren Wettbewerbsvorteile in der Regel schnell überschreiten [siehe oben Abschnitt I. 4. d)]. Der vom Gesetzgeber gewollte Wettbewerb wird also im Bestandskundenbereich nur eine geringe Rolle spielen. Die Nachteile, die den Versicherungsunternehmen, den Versicherten und dem Gesamtsystem PKV entstehen, kann dies nicht aufwiegen. bb) Vereinigungsfreiheit Bei Krankenversicherungsunternehmen, die als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert sind, verletzt die zwingende Einführung der Portabilität im Neukundenbereich auch deren Vereinigungsfreiheit. Der Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG „umfasst sowohl für die Mitglieder als auch für die Vereinigungen die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte“.204 Geschützt ist also auch die Freiheit, über die Art des Zusammenschlusses und seine inhaltliche Ausgestaltung zu entscheiden. Hierin greift die gesetzliche Anordnung der Portabilität der Alterungsrückstellungen ein. Denn wie oben erläutert, verändert die Portabilität den Charakter der Krankenversicherung erheblich: In der Krankenversicherung neuen Zuschnitts wird eine langfristige Absicherung des Krankheitsrisikos in Normaltarifen durch Verschärfung der Risikoselektion wesentlich erschwert. Der frei gewählte Zusammenschluss zu einer langfristig stabileren Form der Risikovorsorge wird durch zwingende Normen unmöglich gemacht. Aus den oben genannten Gründen ist dieser Eingriff unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.

203 204

Depenheuer, Festschrift für Scholz, 2007, S. 211, 215 (Fn 31), 216. BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532 / 77 u. a., BVerfGE 50, 290, 354.

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cc) Grundrechte versicherungswilliger Personen Aus dem Gesagten ergibt sich spiegelbildlich, dass die Einführung der Portabilität auch die Grundrechte solcher Personen verletzt, die einen Vertrag ohne portable Alterungsrückstellungen abschließen wollen. Es gibt anerkennenswerte und wirtschaftlich sinnvolle Gründe, einen solchen Krankenversicherungsvertrag einem Vertrag mit portablen Alterungsrückstellungen vorzuziehen. Der Abschluss eines solchen Vertrages wird durch die zwingende gesetzliche Regelung verhindert. Damit wird in die allgemeine Handlungsfreiheit eingegriffen, bei Personen, die einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit beitreten wollen, auch in die Vereinigungsfreiheit. Aus den genannten Gründen ist dieser Eingriff unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.

e) Portabilität im Altkundenbereich Die Einführung der Portabilität im Altkundenbereich für die Zeit vom 1. 1. 2009 bis 30. 6. 2009 hat durch die Modifikationen der Kalkulationsverordnung nicht unerheblich an praktischer Bedeutung und damit wohl auch verfassungsrechtlicher Brisanz verloren. Die ursprüngliche Regelung verstieß klar gegen die Berufsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, die Eigentumsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherungsunternehmen und der Privatversicherten. Auch die Änderung der Kalkulationsverordnung hat aber nicht alle Verfassungsverstöße beseitigt. aa) Grundrechte der Versicherungsunternehmen (1) Berufsfreiheit (a) Eingriff in den Schutzbereich § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b) VVG verändert die Rechte und Pflichten eines bestehenden Versicherungsvertrages, soweit er sich auf Verträge bezieht, die vor Erlass des GKV-WSG geschlossen wurden. Denn diese Verträge sahen keine Portabilität der Alterungsrückstellungen vor, und es existierte auch noch keine gesetzliche Regelung, die Portabilität in der ersten Jahreshälfte 2009 anordnete. Hierin liegt ein zielgerichteter Eingriff in die berufsbezogene Vertragsfreiheit und damit in Art. 12 Abs. 1 GG. (b) Rechtfertigung Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Portabilisierung der Alterungsrückstellungen, die in bestehenden Altverträgen gebildet wurden, lässt sich nicht als Maßnahme zum Schutz des Eigentums der Versicherungsnehmer rechtfertigen. Sie kann auch nicht durch die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele

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der Verbesserung der Wechselmöglichkeiten und des Wettbewerbs gerechtfertigt werden. Dies galt ohne Zweifel für die ursprüngliche Regelung der Portabilität, auch die Änderung der KalV hat aber die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht gänzlich ausräumen können. (aa) Kein Eigentum der Versicherungsnehmer an der Alterungsrückstellung Die Portabilisierung der bestehenden Alterungsrückstellung kann nicht etwa als Maßnahme zum Schutz von Eigentum der Versicherungsnehmer gemäß Art. 14 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden. Ansatzpunkt wäre der Gedanke, dass die Nichtmitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung nach bisherigem Recht eine Verletzung des Eigentumsrechts des wechselbereiten Versicherten sein könnte und die Herstellung der Portabilität somit die Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht darstellte.205 Voraussetzung hierfür ist, dass der Übertragungswert in Höhe der kalkulierten Alterungsrückstellung – also ein bestimmter auf einen Vertrag entfallender Anteil an der Gesamtalterungsrückstellung – verfassungsrechtlich Eigentum des wechselwilligen Versicherten im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist. (α) Die Alterungsrückstellung als Bilanzposten ist kein Objekt des Eigentumsschutzes Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist grundsätzlich jedes vom Gesetzgeber gewährte, konkrete vermögenswerte Recht.206 Wie oben erläutert [unter I. 4. f) aa)] ist die Alterungsrückstellung als solche lediglich ein passivischer Bilanzposten. Zivilrechtlich handelt es sich nicht um einen Gegenstand, an dem Eigentum, ein sonstiges absolutes Recht oder eine Forderung erworben werden könnte. Die Alterungsrückstellung als Bilanzposten ist daher kein taugliches Objekt des Eigentumsschutzes. Inwieweit die dahinter stehenden Vermögenspositionen Eigentumsschutz genießen, wird sogleich dargelegt. (β) Die geschaffenen Vermögenswerte (Aktiva) als Eigentum Taugliches Objekt des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes sind ohne Zweifel die bei den Versicherungsunternehmen vorhandenen Vermögenswerte, die aus den Beiträgen der Versicherten und den Zuwächsen durch Erträge entstanden sind und die sich vermindern, wenn einem Versicherten zwischen dem 1. 1. und dem 30. 6. 2009 seine „Alterungsrückstellung“ mitgegeben wird. Das Eigentum an diesen Vermögensgegenständen ist zivilrechtlich eindeutig den Versicherungsunternehmen zugeordnet. Im Interesse der Versicherten ist zwar 205 206

Sodan, S. 51 f. Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rn 7.

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ein Großteil der Aktiva als Sicherungsvermögen Beschränkungen unterworfen [§§ 66 ff. VAG, siehe hierzu oben I. 1. e) aa)]. Dies ändert aber nichts daran, dass die Aktiva auch im Sinne des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs dem Versicherungsunternehmen zugeordnet sind. Das BVerfG hat dies in einer der grundlegenden Entscheidungen zur Lebensversicherung, die insoweit ohne weiteres auf die private Krankenversicherung übertragbar ist, eindeutig entschieden:207 „Die Versicherungsnehmer übertragen den Versicherungsunternehmen durch ihre Prämienzahlungen Vermögen, das vollständig in das unternehmerische Eigentum übergeht. Es entspricht den Grundannahmen einer privatwirtschaftlichen Versicherungsordnung, dass die Versicherungsunternehmen ihre Geschäftspolitik selbst gestalten und damit in unternehmerischer Eigenverantwortung über den wirtschaftlichen Erfolg entscheiden. Die Rechtsordnung, insbesondere das öffentlich-rechtliche Versicherungsaufsichtsrecht, begrenzt zwar die Dispositionsmöglichkeiten der Versicherungsunternehmen im Interesse der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens und zum Schutz der Belange der Versicherten insgesamt, lässt aber den Grundsatz unternehmerischer Eigenverantwortung der Versicherungsunternehmen unberührt.“

Die den Alterungsrückstellungen gegenüberstehenden Vermögenspositionen sind damit verfassungsrechtlich nicht dem Eigentum der Versicherten zugeordnet. (γ) Fehlende Individualisierbarkeit der nach dem bisherigen System aufgebauten Alterungsrückstellung Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Alterungsrückstellung bzw. die dieser gegenüberstehenden Vermögenswerte zugunsten der Versicherten vom Schutz des Art. 14 GG umfasst sind, gibt es keinen vom Schutz des Art. 14 GG erfassten oder aufgrund von Art. 14 GG einfachrechtlich zu schaffenden Anspruch auf Übertragung eines kalkulierten Anteils an der Gesamtalterungsrückstellung. Gäbe es schon nach bisheriger Rechtslage einen Anspruch auf Übertragung eines kalkulierten Anteils an der Gesamtalterungsrückstellung bei einem Wechsel des Versicherungsunternehmens, wäre dieser Anspruch des Versicherten Eigentum im Sinne des Art. 14 GG. Ein solcher Anspruch folgt aber nach bisherigem Recht weder aus Vertrag noch aus Gesetz, wie der Bundesgerichtshof in der schon oben zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1999 festgehalten hat.208 Diese Rechtslage widersprach auch nicht Art. 14 GG.209 Die Frage, ob die Eröffnung des Schutzbereichs durch das einfache Recht – in den Grenzen der Institutsgarantie – vorgegeben ist oder der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums aus der Verfassung selbst gewonnen werden muss,210 kann dahinstehen. Denn die Alterungsrückstellung in ihrer überkommenen Struktur ist ihrer 207 208 209 210

Urt. v. 26. 7. 2005 – 1 BvR 80 / 95, NJW 2005, 2376, 2379. Siehe oben I. 1. e) bb). Scholz, in: Festschrift für Bernd Baron v. Maydell, 2002, S. 633, 645 f.; Sodan, S. 51 f. Siehe hierzu von Mangoldt / Klein / Starck / Depenheuer, GG, Art. 14 Rn 299 ff.

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versicherungstechnischen Funktion nach nicht auf Individualisierung ausgelegt. Diese Sachgesetzlichkeiten sind auch der Reichweite des grundrechtlichen Schutzes vorgegeben. Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne ist jedes konkrete vermögenswerte Recht. Hierunter können privatrechtliche, aber auch öffentlichrechtliche Rechtspositionen fallen. Für öffentlich-rechtliche Positionen hat das BVerfG gefordert, dass sie dem Inhaber „nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordnet“ sind.211 Dieses Merkmal gilt auch für privatrechtliche Positionen.212 Ist eine konkrete Zuordnung zu einem Individuum nicht möglich, fehlt es an einem bestimmbaren Objekt des Eigentumsschutzes. Selbstverständlich ist auch Miteigentum oder Gesamthandseigentum Eigentum im Sinne des Art. 14 GG, weil trotz der Bindung der beteiligten Personen eine Zuordnung zum Einzelnen rechtlich möglich ist. Für die Alterungsrückstellungen in Altverträgen gilt dies aber nicht. Nach der bisherigen rechtlichen Ausgestaltung des privaten Krankenversicherungsvertrages ist die Bildung der Alterungsrückstellungen kein individueller Sparvorgang, der lediglich beim Versicherungsunternehmen gebündelt wird, sondern wesensmäßig eine auf kollektiver Risikokalkulation beruhende Versicherung gegen das Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und erhöhter Krankheitskosten [siehe oben Abschnitt I. 1. e) dd)]. Die Alterungsrückstellung wird vom Kollektiv im Laufe des langfristigen und (abgesehen von Stornowahrscheinlichkeiten) lebenslang kalkulierten Versicherungsverhältnisses aufgebaut und vom Kollektiv vollständig abgebaut. Die Versicherten zahlen zwar jeweils (bei gleichem Versicherungsschutz und gleichem Eintrittsalter) den gleichen Beitrag zum Aufbau der Alterungsrückstellung, sie tragen aber unterschiedlich, je nach den individuellen Krankheitskosten, zum Abbau der Alterungsrückstellung bei. Eine individuelle Zuordnung der kalkulierten Alterungsrückstellungen zu den einzelnen Versicherungsnehmern entsprechend dem von ihnen eingezahlten Betrag zerstört die kollektive Risikoabsicherung. Aus der Tatsache, dass der einzelne Versicherte durch Prämienzahlung zum Aufbau der Alterungsrückstellung beigetragen hat, folgt also nicht, dass ihm ein seiner Einzahlung entsprechender Anteil an der Alterungsrückstellung als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG zugeordnet wird. Mit der Prämienzahlung hat er vielmehr einen Anspruch gegen den Versicherer auf Tragung der aktuellen und künftigen Krankheitskosten. Dieser Anspruch kann als solcher Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG sein [siehe hierzu sogleich unten II. 2. e) bb) (1)] – dies ist jedoch etwas anderes als eine individuelle Rechtsposition an den aufgebauten Alterungsrückstellungen bzw. den entsprechenden Vermögenspositionen auf der Aktivseite der Bilanz. Etwas anderes folgt entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht213 auch nicht aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Bestandsübertragung,214 zur Über211 212 213 214

BVerfG v. 16. 7. 1985 – 1 BvR 1227 / 84, BVerfGE 69, 272, 300. von Mangoldt / Klein / Starck / Depenheuer, GG, Art. 14 Rn 64. Niederleithinger, VersR 2006, 437, 446. BVerfG v. 26. 7. 2005 – 1 BvR 782 / 94, BVerfGE 114, 1.

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schussermittlung215 und zum Rückkaufswert216 von Lebensversicherungen.217 Zum einen basierten diese Entscheidungen darauf, dass dem Versicherten schon nach einfachem Recht bzw. vertraglicher Vereinbarung Ansprüche auf Überschussbeteiligung bzw. Auszahlung des Rückkaufswertes zustanden, die dann als von Art. 14 GG geschützte Eigentumsposition qualifiziert werden konnten. An einem entsprechenden Anspruch fehlt es aber gerade, wie eben erläutert, hinsichtlich der Alterungsrückstellung. Zum anderen unterscheiden sich Leben- und Krankenversicherung in wesentlichen Elementen maßgeblich: Die substitutive Krankenversicherung wird zwar „nach Art der Lebensversicherung“ betrieben, sie ist aber keine Lebensversicherung – und zwar auch nicht bezüglich des Anteils, der zum Aufbau der Alterungsrückstellung verwendet wird.218 Bei der kapitalbildenden Lebensversicherung wird gleichzeitig neben der ursprünglichen Risikoversicherung ein Sparanteil aufgebaut, der sich durch die Beitragszahlungen kontinuierlich vergrößert. Er kann dem Versicherungsnehmer individuell zugeordnet und während der gesamten Vertragslaufzeit mit einem konkreten Betrag beziffert werden, der auch die Gewinnbeteiligung berücksichtigt, während nur die Risikotragung kollektiv erfolgt. Im Gegensatz dazu beruht bei der Krankenversicherung auch der für die Alterungsrückstellungen aufgewandte „Sparanteil“ der Versicherungsprämie auf einer kollektiven Risikokalkulation.219 Die private Krankenversicherung in ihrer bisherigen Gestalt ist im Gegensatz zur Kapitallebensversicherung nicht auf Auszahlung eines aufgebauten Vermögenswertes am Ende der Vertragszeit ausgerichtet, sondern auf Abdeckung des Krankheitskostenrisikos zu stabilen Prämien über die gesamte Vertragslaufzeit. Genau deshalb existiert auch während der Vertragslaufzeit kein Anspruch auf Auszahlung oder Übertragung der Alterungsrückstellung – diese ist zu keinem Zeitpunkt eine individuell zuzuordnende Vermögensposition. Das Fehlen einer solchen individuellen Zuordnung ist auch keinesfalls nur eine zivilrechtliche Konstruktion, die für den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff nicht bindend wäre, sondern beruht auf der Funktionsweise der herkömmlichen Krankenversicherung, die sich insoweit eben grundlegend von der Kapitallebensversicherung unterscheidet. Schließlich folgt ein anderes Ergebnis auch nicht daraus, dass die Alterungsrückstellungen bei einem unternehmensinternen Wechsel des Tarifs schon nach bisherigem Recht gemäß § 178f Abs. 1 VVG a. F. angerechnet werden mussten und somit unternehmensintern portabel waren. Diese Regel entsprach gerade nicht der Grundidee der privaten Krankenversicherung, sondern durchbrach diese um anderer Ziele willen. Nach der Grundidee der privaten Krankenversicherung sind die Alterungsrückstellungen auf das Versichertenkollektiv eines bestimmten Tarifs 215 216 217 218 219

BVerfG v. 26. 7. 2005 – 1 BvR 80 / 95, BVerfGE 114, 73. BVerfG v. 15. 2. 2006 – 1 BvR 1317 / 96, NJW 2006, 1783. Sodan, S. 52. Boetius, VersR 2001, 661, 668; Zieschang, VW 2001, 1044, 1045. Sodan, S. 53.

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bezogen. § 178f VVG a. F. wurde eingeführt, weil es bei Schließung von Tarifen in Unternehmen vor Einführung dieser Norm zu unternehmensinternen Selektionsbewegungen gekommen war. Teilweise wurde in Unternehmen gesunden Versicherten der Wechsel in neue Tarife unter partieller Aufrechterhaltung der Rechte aus dem alten Tarif ermöglicht. Dies hatte zur Folge, dass sich im alten Tarif die Kopfschäden erhöhten. Zurück blieben kranke, zumeist ältere Versicherte („Vergreisung“ des Tarifs).220 Mit § 178f VVG a. F. sollte auch diesen kranken Versicherten der Wechsel unter Anrechnung der Vorteile aus dem alten Tarif, insbesondere der Alterungsrückstellung, ermöglicht werden. Nach dem Grundkonzept der privaten Krankenversicherung wird Selektion dadurch verhindert oder jedenfalls vermindert, dass der Wechsel für gute Risiken unattraktiv gemacht wird – § 178f VVG a. F. sollte Selektion dadurch verhindern, dass guten wie schlechten Risiken ein nachteilsfreier Wechsel ermöglicht wird. Das Konzept des § 178f VVG a. F. funktioniert aber nur unternehmensintern – die Rückstellungen des Versicherers insgesamt bleiben nämlich erhalten. Die Risikogemeinschaft wurde lediglich mittelbar durch die Regelung des § 178f VVG vergrößert. Sie umfasste nun nicht mehr allein den einzelnen Tarif, aus dem man ja nachteilsfrei auch als schlechtes Risiko wechseln konnte, sondern das gesamte Unternehmen, innerhalb dessen ein Wechsel unter Anrechnung der Alterungsrückstellung möglich war. Die Portabilität bei einem Wechsel zwischen verschiedenen Unternehmen ist ein vollkommen anderer Sachverhalt. Hier werden dem Unternehmen Vermögenswerte entzogen; der Wechsel eines guten Risikos hinterlässt eine Lücke, die von der Risikogemeinschaft der verbleibenden Versicherten getragen werden muss. Durch § 178f VVG. a. F. – die Regelung ist nunmehr in § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG enthalten – wurde die Alterungsrückstellung also keinesfalls individualisierbar dem einzelnen Versicherten zugeordnet. Sie blieb vielmehr der Risikogemeinschaft der Versicherten eines Unternehmens zugeordnet. (δ) Ergebnis Ein Anspruch auf Übertragung eines kalkulierten Anteils an der Alterungsrückstellung beim Wechsel eines einzelnen Versicherten zu einem anderen Versicherungsunternehmen existiert nach bisherigem Recht nicht. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verlangt keinesfalls die Schaffung eines solchen Anspruchs. (bb) Unverhältnismäßigkeit Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen ist verfassungsrechtlich auch nicht durch die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele gerechtfertigt, weil er unverhältnismäßig ist. Dies galt ohne Zweifel für die ursprüngliche Regelung, auch die Modifikation der KalV vermag aber die Verhältnismäßigkeit nicht herzustellen. 220

Vgl. BT-Drucks. 12 / 6959 S. 105.

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(α) Eignung und Angemessenheit hinsichtlich der Ziele? Ziel des Gesetzgebers bei Portabilisierung der Alterungsrückstellungen in Altverträgen ist wie bei der Regelung für Neuverträge die Verbesserung der Wahlund Wechselmöglichkeiten der Versicherten in der PKV und damit die Stärkung des Wettbewerbs. Die ursprüngliche Regelung der Portabilität in Altverträgen war zur Erreichung dieser Ziele mindestens ebenso wenig geeignet und angemessen wie die Regelung im Neukundenbereich. Insoweit kann auf die obigen Darlegungen verwiesen werden. Sinnvolle Wechselmöglichkeiten hätten nur für gute Risiken bestanden, so dass sich auch hier wieder die Frage der Legitimität des Zwecks gestellt hätte. Zu einem langfristigen Effizienz- und Leistungswettbewerb wäre es aufgrund der Kürze des vorgesehenen Wechselzeitraums nicht gekommen. Es mag zwar sein, dass im ersten Halbjahr 2009 diejenigen Unternehmen Kunden gewonnen hätten, die aufgrund höherer Effizienz bessere Angebote hätten machen können. Unternehmen, die während dieses Zeitraums im Wettbewerb unterlegen wären, hätten aber nur geringe Chancen, hierauf in der Folgezeit erfolgreich durch eine Verbesserung ihres Angebots zu reagieren, da nach dem 30. 6. 2009 die Portabilität für Altkunden wieder ausgeschlossen ist. Außerdem können Prämienunterschiede ebenso gut auf unterschiedliche Risikomischungen in den Unternehmen zurückzuführen sein. Der gewünschte Effizienz- und Leistungswettbewerb wäre nicht eingetreten. Die Modifikation durch § 13 Abs. 1a KalV führt dazu, dass eine Mitnahme der Alterungsrückstellung beim Wechsel von einem Normaltarif in den Normaltarif eines anderen Unternehmens nur unter Inkaufnahme einer achtzehnmonatigen Versicherung im Basistarif möglich ist. Ein solcher Wechsel wird dadurch weniger attraktiv, so dass es voraussichtlich nur in geringerem Umfang zu Abwanderungsbewegungen guter Risiken zu konkurrierenden Versicherungsunternehmen kommen wird. Das Problem der Risikoselektion wird damit vermindert – angesichts der immerhin überschaubaren anderthalbjährigen „Wartezeit“ aber ist es nicht vollkommen aus der Welt. Begünstigt werden vor allem Personen, die mit ihrem bisherigen Versicherungsunternehmen so unzufrieden sind, dass sie auch unter Inkaufnahme eines Wechsels in den Basistarif zu einem anderen Unternehmen wechseln wollen. Solchen Personen einen Wechsel zu erleichtern, ist sicherlich ein legitimes Ziel, und das Gesetz ist auch geeignet, dieses zu erreichen. Die Angemessenheit ist allerdings angesichts der verbleibenden Selektionsgefahren immer noch zweifelhaft. (β) Rückwirkungsverbot Die ursprüngliche Portabilisierung der Alterungsrückstellungen für Altverträge war in jedem Fall wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot unangemessen: Die Portabilisierung hätte rückwirkend das Wesen der bestehenden Krankenversicherungsverträge geändert. Nach bisheriger Rechtslage handelte es sich um Ver-

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träge zur Absicherung des aktuellen Krankheitsrisikos und des Risikos einer zukünftigen Steigerung der Krankheitskosten. Durch die Portabilisierung wären sie in Verträge zur Absicherung des aktuellen Krankheitsrisikos in Kombination mit individuellen Sparverträgen umgewandelt worden. Das Problem der Risikoselektion, das durch die Gestaltung der betreffenden Verträge reduziert worden war, wäre erheblich verstärkt worden. Der gesetzgeberische Eingriff stellte eine echte Rückwirkung dar.221 Eine solche liegt vor, wenn ein Gesetz vor seiner Verkündung bereits abgeschlossene Rechtsbeziehungen nachträglich veränderten Bedingungen unterwirft.222 Dies war hier der Fall. Denn die Portabilisierung bezieht sich zeitlich auf die gesamte während des Versicherungsverhältnisses „angesparte“ Alterungsrückstellung. Das Versicherungsverhältnis wäre von Anfang an zu einem kombinierten Versicherungs-Spar-Vertrag geworden statt einem reinen Versicherungsvertrag. Das ursprüngliche Leistungsversprechen lebenslanger beitragsstabiler Absicherung, das in der Vergangenheit gegeben worden war, wäre nachträglich durch Änderung der Versicherungsbedingungen entwertet worden. Keine echte Rückwirkung läge vor, wenn die Portabilisierung für Altverträge nur für die ab dem 1. 1. 2009 aufgebauten kalkulierten Alterungsrückstellungen eingeführt worden wäre. Eine solche Regelung wäre zwar genauso verfassungswidrig wie die zwingende Einführung der Portabilität für Neuverträge, immerhin hätte sich aber nicht die zusätzliche Problematik der echten Rückwirkung ergeben. Eine echte Rückwirkung ist grundsätzlich durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verboten und lässt sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn kein schutzwürdiges Vertrauen bestand.223 Beispiele für das Fehlen schutzwürdigen Vertrauens sind etwa eine unklare und verworrene Rechtslage und Zweifel an der Gültigkeit der bisherigen Regelung.224 Die hier in Rede stehende echte Rückwirkung ließ sich unter keinen Umständen rechtfertigen:225 Die Versicherungsunternehmen und ihre Kunden haben sich darauf verlassen und verlassen dürfen, dass nicht nachträglich in bestehende Verträge eingegriffen wird. Sie haben keine finanzielle Vorsorge für die Verschärfung der Risikoselektion getroffen, weil hierfür im bisherigen System der Alterungsrückstellungen kein Anlass bestand. Die bisherige Rechtslage war auch nicht unklar oder verworren. Hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange, die gleichwohl das schutzwürdige Vertrauen der Versicherungsunternehmen und ihrer Kunden zurücktreten lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Allein die politisch gewünschte Intensivierung des Wettbewerbs um Altbestandskunden genügt keinesfalls, gerade angesichts der Tatsache, dass dieser ausschließlich guten Risiken zulasten schlechter Risiken zugute kommt. So auch Sodan, S. 49. A. A. Musil, NZS 2008, 113, 118. Vgl. BVerfG v. 28. 5. 1993 – 2 BvF 2 / 90, BVerfGE 88, 348, 403; v. 12. 3. 1996 – 1 BvR 609 / 90, BVerfGE 94, 241, 258; Sachs / Sachs, GG, Art. 120 Rn 133 m. w. N. 223 Vgl. BVerfG v. 28. 5. 1993 – 2 BvF 2 / 90, BVerfGE 88, 348, 403; Sachs / Sachs, GG, Art. 120 Rn 133 m. w. N. 224 Vgl. BVerfG v. 25. 5. 1993 – 1 BvR 1509 / 91, BVerfGE 88, 384, 404. 225 Sodan, S. 50. 221 222

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Da bei der modifizierten Regelung das Problem der Risikoselektion nur im geringerem Maße auftritt, wird das Wesen der Versicherungsverträge wohl nicht rückwirkend geändert. Rückwirkungsprobleme bestehen aber im Hinblick auf die sogleich zu behandelnde Änderung der Stornowahrscheinlichkeiten. (γ) Änderung der Stornowahrscheinlichkeiten Die Stornowahrscheinlichkeiten, die der Prämienkalkulation in der Vergangenheit zugrunde lagen, werden sich aufgrund der Neuregelung als falsch erweisen, weil Versicherungswechsel, die eigentlich zur Vererbung geführt hätten, während des Wechselzeitraums nicht zur Vererbung führen. Die hierdurch zwangsläufig entstehenden Verluste fallen dem Versicherer und damit letztlich der Versichertengemeinschaft zur Last. Das Problem wird durch die Modifizierung der Portabilitätsregelung nicht behoben. Der Umfang dürfte sich aber durch die Modifizierung reduziert haben. Die Einführung der Portabilität führt also dazu, dass wechselwillige Versicherte doppelt profitieren. Sie haben in der Vergangenheit günstigere Prämien gezahlt, weil die Vererbung an das Kollektiv die Prämien gemindert hat. Sie selbst können aber bei einem Wechsel ihre Alterungsrückstellungen mitnehmen, was sich zulasten des bisherigen Versicherungsunternehmens und des bei ihm zurückbleibenden Kollektivs auswirkt. Hinsichtlich der ursprünglichen Regelung war ein rechtfertigender Grund hierfür nicht ersichtlich: Profitiert hätten vor allem gute Risiken, die in günstigere Normaltarife eines anderen Unternehmens wechseln können. Die Neuregelung ist für gute und schlechte Risiken ähnlich (un)attraktiv. Gleichwohl ist sie immer noch unangemessen. Das System der Vererbung, das neben der Vermeidung von Risikoselektion auch unmittelbar zu niedrigeren Prämien führte, war in sich folgerichtig und angemessen – die Versicherten mussten aber in Kauf nehmen, dass ein Versicherungswechsel für sie hohe Kosten verursacht. Unangemessen ist, wenn dieses ausgewogene System dadurch gestört wird, dass einigen Versicherten, wenn auch nur für eine Übergangszeit auf Kosten der Versicherungsunternehmen und der nicht wechselnden Versicherten eine nachteilsfreier bzw. nachteilsärmerer Wechsel ermöglicht wird, ohne dass sie diese Wechselleistung durch höhere Prämien mitfinanziert haben. (δ) Ergebnis In der Gesamtschau ergibt sich, dass die ursprüngliche Regelung der Portabilität ohne Zweifel unangemessen war. Die Modifikation der KalV vermindert zwar einige der Probleme, aber auch nicht alle, so dass es bei der Unverhältnismäßigkeit der Portabilität für Altverträge bleibt.

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(2) Vereinigungsfreiheit Ist das Versicherungsunternehmen als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert, verstößt die Portabilisierung außerdem gegen Art. 9 Abs. 1 GG. Wie oben erläutert [II. 2. d) bb)], schützt die Vereinigungsfreiheit auch die Freiheit der Entscheidung über die inhaltliche Ausgestaltung des Zusammenschlusses. Durch die rückwirkende Einführung der Portabilität wird kraft gesetzlicher Anordnung die inhaltliche Ausgestaltung des Zusammenschlusses zum Zwecke gemeinsamer Risikotragung entscheidend geändert. Dieser Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG ist aus den soeben unter (1) genannten Gründen nicht gerechtfertigt. (3) Eigentumsfreiheit Die Verpflichtung zur Übertragung von Vermögenswerten in Höhe der kalkulierten Alterungsrückstellung an den neuen Versicherer verstößt darüber hinaus auch gegen die Eigentumsfreiheit der Versicherungsunternehmen. (a) Eingriff in den Schutzbereich Die Vermögenswerte, die dem Passivposten der Alterungsrückstellung als Aktiva gegenüberstehen, stehen im Eigentum des jeweiligen Versicherungsunternehmens. Die Verpflichtung zur Mitgabe des Übertragungswertes zwingt den alten Versicherer dazu, konkrete bestehende Vermögenswerte an den neuen Versicherer zu übertragen. Diese gesetzliche Verpflichtung ist ein Eingriff in Art. 14 GG. Zwar stellen unspezifische Belastungen des Vermögens durch bloße Zahlungspflichten nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich keinen Eingriff in Art. 14 GG dar.226 Das Vermögen als „Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person“ ist grundsätzlich kein Eigentum im Sinne des Art. 14 GG.227 Diese – im Schrifttum umstrittene228 – Rechtsprechung ist aber auf die Portabilisierung der Alterungsrückstellung nicht übertragbar: Die Regelungen des Versicherungsaufsichtsrechts zum Sicherungsvermögen, §§ 66 ff. VAG, zeigen, dass der Gesetzgeber Vermögenswerte, die durch Prämienzahlungen der Versicherten geschaffen wurden und der Befriedigung von Ansprüchen der Versicherten dienen, in besonderer Weise vor Weggabe und dem Zugriff Dritter schützen will. Dadurch erhalten diese Vermögensgegenstände, die u. a. der Alterungsrückstellung gegenüberstehen, eine besondere Konkretisierung und Konsolidierung, die es rechtfertigt, sie vom Schutz des Art. 14 GG auch dann erfasst zu sehen, wenn der Zugriff nicht unmittelbar auf einen individuellen Gegenstand aus diesem Vermögen erfolgt, sondern unspezifisch auf eine bestimmte Geldsumme, die letztlich aus diesem Vermögen 226 Vgl. nur Urt. v. 20 7. 1954 – 1 BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7, 17; Beschl. v. 8. 4. 1997 – 1 BvR 48 / 94, BVerfGE 95, 267, 300. 227 BVerfGE 95, 267, 300. 228 Kritisch etwa Leisner in: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 149 Rn 127.

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zu leisten ist. Unerheblich ist auch, dass es dem betroffenen Unternehmen frei steht, ob es die Geldmittel unmittelbar dem Sicherungsvermögen entnimmt (§ 77 Abs. 1 VAG) oder es auf das freie Vermögen zurückgreift und die Minderung des notwendigen Sicherungsvermögens bei der nächsten Berechnung (§ 66 Abs. 2 VAG) oder den laufenden Zuführungen (§ 66 Abs. 1 VAG) berücksichtigt.229 Konsequenz ist in jedem Fall, dass das Sicherungsvermögen als eigentumsrechtlich geschützte Position durch die Mitgabe des Übertragungswertes vermindert wird. Was die Zuordnung des Eigentums zum Versicherungsunternehmen oder zu den Versicherten angeht, wurde oben schon erläutert, dass die durch die Prämien geschaffenen Eigentumswerte nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Versicherungsunternehmen zuzuordnen sind. Selbst wenn man insoweit anderer Auffassung sein sollte und gerade aufgrund der vielfältigen Beschränkungen der Verfügungsbefugnis das Eigentum, das der Alterungsrückstellung gegenübersteht, vorrangig der Versichertenseite als Kollektiv zuordnete, käme man jedenfalls bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit dazu, das Eigentum dem Versicherer zuzuordnen. Denn der Versicherungsverein ist nichts anderes als das rechtlich verselbständigte Kollektiv der Versicherten. (b) Rechtfertigung Der Eingriff in die Eigentumsposition der Versicherungsunternehmen ist unverhältnismäßig. Die oben zur Berufsfreiheit dargelegten Erwägungen sind auf die fehlende Rechtfertigung des Eingriffs in das Eigentum übertragbar. (4) Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Verpflichtung zu der faktisch nicht durchführbaren Berechnung des Übertragungswertes Abgesehen von den eben genannten Grundrechtsverletzungen war die rückwirkende Einführung der Portabilität in der gewählten Regelungsform ursprünglich schon deshalb verfassungswidrig, weil sie faktisch nicht entsprechend den gesetzlichen Regelungen durchgeführt werden konnte. Wie oben dargelegt [I. 4. e) cc)], lagen die für die Berechnung des Übertragungswertes erforderlichen Daten bei Versicherungsunternehmen nicht vollständig vor. Durch die Änderung der KalV wurde dieser Verfassungverstoß beseitigt.

229

Vgl. hierzu Prölss, VAG, § 77 Rn 3.

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bb) Grundrechte der Versicherten (1) Eigentumsfreiheit Die rückwirkende Portabilisierung der Alterungsrückstellungen in Altverträgen verletzt möglicherweise die Eigentumsfreiheit der Versicherten. Eigentumsfähige Position ist der Anspruch auf die Versicherungsleistung. Die Versicherungsleistung besteht in der Absicherung des aktuellen und des langfristigen Krankheitsrisikos. Auch im Werden begriffene, noch nicht abschließend konkretisierte Ansprüche können nach den Entscheidungen des BVerfG zur Lebensversicherung vom Schutzbereich des Art. 14 GG umfasste Eigentumspositionen darstellen. Die lebenslange Absicherung durch die gewählte Versicherung wird durch das Verbot der ordentlichen Kündigung des Versicherers garantiert. Dem Grunde nach ist der Anspruch also juristisch gesichert. Aber auch die Aussicht, von allein auf steigendes Alter zurückzuführenden Beitragssteigerungen verschont zu werden, ist mehr als eine vage Chance oder bloße Hoffnung. Sie ist verfestigt und gesichert durch den Zwang zur Kalkulation der Beiträge nach Art der Lebensversicherung und die darauf basierende Bildung von Alterungsrückstellungen, die durch den beim Versicherer aufgebauten Vermögensstock gedeckt werden. Genauso wie die Aussicht auf Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung, auch wenn sie der Höhe nach noch nicht abschließend beziffert werden kann, vom Schutz des Art. 14 GG jedenfalls in seiner objektivrechtlichen Dimension erfasst ist,230 schützt Art. 14 GG auch die vertraglich und faktisch abgesicherte Aussicht auf altersunabhängige Beitragskonstanz.231 In der Entscheidung zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung führte das BVerfG aus: „Der aus Art. 2 I und Art. 14 I GG folgende Schutzauftrag des Gesetzgebers zielt nicht nur darauf, dass Überschüsse den Versicherten zugeteilt werden, sondern auch auf Sicherungen dafür, dass die durch Prämienzahlungen der Versicherungsnehmer beim Versicherer geschaffenen Quellen grundsätzlich für die Erwirtschaftung von Überschüssen einsetzbar sind. Für den Fall der Bestandsübertragung ist rechtlich zu gewährleisten, dass die für das Versicherungsverhältnis maßgeblichen Überschussquellen erhalten bleiben und den Versicherten im gleichen Umfang zugute kommen wie ohne Austausch des Schuldners.“

Diese Ausführungen lassen sich ohne weiteres auf die private Krankenversicherung übertragen: Das Vermögen, das aus den Beiträgen der Versicherten geschaffen wird, dient zu einem großen Teil der Ermöglichung altersunabhängiger Beitragsstabilität. Den Staat trifft daher die Pflicht, dieses Vermögen vor Verschleuderung und Zugriffen, die den Interessen der Versicherten widersprechen, zu schützen. Die §§ 66 ff. VAG dienen diesem Schutz. Geschützt werden müssen die BVerfG v. 26. 7. 2005 – 1 BvR 782 / 94 u. a., NJW 2005, 2363, 2367. Ebenso Axer, Gedächtnisschrift für Heinze, S. 1, 8; Kirchhof, NZS 2004, 1, 4 („Bestehende Versicherungsverträge als existenznotwendiges Eigentum des Privatversicherten“). Ähnlich Isensee, NZA 2004, 393, 400. 230 231

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Alterungsrückstellungen aber auch vor einem Zugriff durch einzelne Mitglieder des Versichertenkollektivs. Die ursprüngliche Regelung verstieß insofern gegen Art. 14 GG. Eine Mitgabe der Alterungsrückstellung entzieht dem Kollektiv die Mittel, die es zur Erfüllung der von Art. 14 GG erfassten vertraglichen Ansprüche benötigt. Denn durch die Portabilisierung bei einem Wechsel zwischen Normaltarifen wird das Kollektiv hinsichtlich der künftigen Absicherung aufgebrochen und die faktische Absicherung des Anspruchs auf künftige Deckung der Krankheitskosten zu bestimmten Preisen durch die Gefahr der Risikoselektion zerstört. Die Eigentumsposition wird damit entwertet. Anders als in den Entscheidungen zur Lebensversicherung hätte sich die staatliche Beeinträchtigung nicht auf das bloße Unterlassen des gebotenen Schutzes beschränkt. Mit der ursprünglichen Regelung des GKV-WSG hätte der Gesetzgeber selbst aktiv die Voraussetzungen zur Entwertung des Eigentums geschaffen, zu dessen Schutz er aufgerufen ist. Ein Eingriff wäre auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen gewesen, weil alle Mitglieder des Kollektivs als „Ersatz“ für die zerstörte Versicherungsleistung die ihnen zugeordnete kalkulierte Alterungsrückstellung als Übertragungswert hätten erhalten können. Dieser „Ersatz“ ist nicht gleichwertig: Für ein schlechtes Risiko ist die gesicherte Aussicht, dass die künftigen Krankheitskosten vom Kollektiv getragen werden, wesentlich werthaltiger als die kalkulierte Alterungsrückstellung. Dass für gute Risiken umgekehrt die kalkulierte Alterungsrückstellung werthaltiger ist, rechtfertigt einen Eingriff selbstverständlich nicht. Gegen die modifizierte Regelung bestehen weniger Einwände. Weil das Problem der Risikoselektion erheblich vermindert ist, behalten die Altverträge im Wesentlichen ihre Eignung als Absicherung gegen das Risiko künftiger Verschlechterung des Gesundheitszustandes. (2) Allgemeine Handlungsfreiheit Die Portabilisierung der Alterungsrückstellungen in ihrer ursprünglichen Form hätte nachträglich nicht nur die Kalkulationsgrundlagen der bestehenden Verträge verändert, sondern teilweise den Charakter des Versicherungsvertrages. Wie oben dargestellt, wäre der Vertrag zur Versicherung des aktuellen und zukünftigen Krankheitsrisikos zu einem Vertrag geworden, der die Versicherung des aktuellen Krankheitsrisikos mit einem Sparvertrag kombiniert. Diese gesetzgeberische Änderung bestehender Verträge hätte einen Eingriff in die Vertragsfreiheit und damit die allgemeine Handlungsfreiheit der Altkunden dargestellt. Der Eingriff wäre von besonderem Gewicht gewesen, weil er rückwirkend den Charakter des Vertrages geändert und seine Eignung zur langfristigen Absicherung des Krankheitsrisikos in Frage gestellt hätte: Die Versicherten hatten ursprünglich einen Vertrag ohne Portabilität und mit langfristiger Absicherung geschlossen. Durch die Portabilisierung

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wären sie so gestellt worden, als ob der Vertrag von Anfang an ein Vertrag mit portablen Alterungsrückstellungen gewesen wäre. Das Vertrauen der Versicherten darauf, durch den Vertragsschluss auch davor gesichert zu sein, sich zu einem schlechten Risiko zu entwickeln und infolgedessen höhere Prämien zahlen zu müssen, ist schutzwürdig. Demgegenüber besteht kein schutzwürdiges Interesse der wechselwilligen Altkunden an der Einführung der Portabilität für die über die gesamte Vertragslaufzeit ihnen kalkulatorisch zuzuordnenden Alterungsrückstellungen. Durch die Modifikation der KalV bleibt zwar das Wesen des Vertrages erhalten. Jedoch stellt allein die Änderung der Rechnungsgrundlagen des Vertrages durch Einführung der Portabilität einen Eingriff dar, der aufgrund des Vererbungsverlustes zu finanziellen Nachteilen führt. Dieser Eingriff ist aus den oben zur Berufsfreiheit aufgeführten Erwägungen nicht gerechtfertigt. (3) Vereinigungsfreiheit Bei Versicherung in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit liegt auch eine Verletzung der Vereinigungsfreiheit vor. Die Portabilisierung verändert nachträglich die Bedingungen, zu denen die Versicherten sich zur kollektiven Tragung des Krankheitsrisikos in einem Versicherungsverein zusammengeschlossen haben, ohne dass dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann.

f) Zahlungen des Bundes an die GKV aa) Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 1 GG hinsichtlich Privatversicherter mit Kindern § 221 SGB V verletzt Privatversicherte mit Kindern in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 1 GG. Die Gewährung von steuerfinanzierten Zuschüssen allein an die GKV ist gleichheitswidrig, soweit sie dazu dient, die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder in der GKV gemäß § 10 Abs. 1 SGB V zu finanzieren. Der durch die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Familie verstärkte allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, Familien, die in der GKV versichert sind, ohne sachlichen Grund besser zu stellen, als Familien, die in der PKV versichert sind. Durch die (partielle) Steuerfinanzierung werden gesetzlich versicherte Familien besser gestellt als private Versicherte, da die Kosten für die gesetzliche Versicherung der Kinder nicht von der Versichertengemeinschaft getragen werden, sondern von der Allgemeinheit, während die Kosten für die private Versicherung der Kinder von den Eltern getragen werden.

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(1) Die Finanzierung der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder als Zweck der Zahlungen an die GKV Gemäß § 221 Abs. 1 S. 1 SGB V dienen die Zahlungen an die GKV „der pauschalen Abgeltung versicherungsfremder Leistungen“. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht. Ein Anhaltspunkt ergibt sich aus der schon zu § 221 SGB V a. F. erlassenen Pauschal-Abgeltungsverordnung.232 Als versicherungsfremd werden dort die in der Anlage zu § 2 Abs. 1 der VO aufgeführten Leistungen qualifiziert. Hierzu gehören Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Leistungen für Empfängnisverhütung, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch, Krankengeld bei Betreuung eines kranken Kindes u. ä., sowie Leistungen für Haushaltshilfen.233 Aus der Entstehungsgeschichte des GKV-WSG ergibt sich allerdings eindeutig, dass der Gesetzgeber unter versicherungsfremden Leistungen auch die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder gemäß § 10 SGB V verstanden hat. Nach Nr. 15 e) der Eckpunkte sollten die Zahlungen dem „Einstieg in eine teilweise Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben (die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern)“ dienen. In der Begründung des Gesetzentwurfes der Regierungsfraktionen wird zu § 221 SGB V ausgeführt:234 „Die gesetzliche Krankenversicherung trägt auch heute noch eine Reihe gesamtgesellschaftlicher Lasten, wie insbesondere die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung gesamtgesellschaftlicher Solidarität. Mit der Einrichtung des Gesundheitsfonds verbunden sind Fortführung und Ausbau der teilweisen Finanzierung der eingangs beschriebenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben über Steuermittel. Auf diese Weise wird die gesetzliche Krankenversicherung auf eine langfristige stabilere, gerechtere und beschäftigungsfördernde Basis gestellt. Ab 2010 soll der Zuschuss weiter steigen. Der Gesetzgeber legt einen höheren Zuschuss für die Folgejahre fest.“

Nur diese gesetzgeberische Motivation erklärt auch die Höhe der steuerfinanzierten Zahlungen, die letztlich bis auf 14 Mrd. A ansteigen sollen. Die in der Pauschal-Abgeltungsverordnung genannten Ausgabenposten erreichen bei weitem nicht diese Dimension.235

232 Verordnung über die Verteilung der pauschalen Abgeltung für Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen durch den Bund und zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung v. 26. 4. 2004 (BGBl. I S. 644). 233 Zu Ausmaß und Umfang s. auch Beske / Kern, passim. 234 BT-Drucks. 16 / 3100 S. 181; ähnlich S. 92. 235 Auch Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 221 SGB V Rn 4, sieht in dem Höchstbetrag von 14 Mrd. A, der zahlenmäßig einen Zusammenhang zur Zahl von 14 Mio. mitversicherten Kindern aufweise, einen Hinweis auf den tatsächlichen Verwendungszweck der steuerfinanzierten Zahlungen.

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(2) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichen Privat und gesetzlich versicherte Personen mit Kindern sind insofern vergleichbar, als beide für eine Krankenversicherung ihrer Kinder sorgen müssen. In der GKV sind Kinder beitragsfrei mitversichert, in der PKV müssen die Eltern für die Kinder einen Versicherungsvertrag abschließen und die entsprechenden Prämien zahlen. Diese Ungleichbehandlung ist gleichheitsrechtlich unproblematisch, solange die beitragsfreie Mitversicherung in der GKV von der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten finanziert wird. Sie bedeutet dann lediglich, dass in der GKV Solidarität auch zwischen Kinderlosen und Personen mit Kindern herrscht, während dies in der PKV nicht gilt. Wird nun aber die beitragsfreie Mitversicherung als vermeintlich gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln finanziert, werden die Lasten nicht mehr von der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten, sondern von der Gemeinschaft aller Steuerzahler, zu denen sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte gehören, getragen. Begünstigt wird aber allein die Gruppe der gesetzlich Versicherten. Bezogen auf den individuellen Beitragszahler bedeutet dies Folgendes: Der Beitragssatz in der GKV sinkt, weil die Solidargemeinschaft der GKV von den Kosten der Kindermitversicherung entlastet wird. Diese Senkung kommt auch den Versicherten mit Kindern zugute, die ohne die staatlichen Zahlungen über ihre Beiträge auch zur Finanzierung der kostenfreien Mitversicherung ihrer Kinder beitragen würden. Zwar tragen die gesetzlich Versicherten als Steuerzahler ebenfalls zur Finanzierung der Kindermitversicherung bei. Da hierzu aber auch die privat Versicherten beitragen, ist die Belastung entsprechend geringer. Privatversicherte müssen hingegen für die Finanzierung der Krankenversicherung ihrer Kinder aufkommen, ohne dass sich der Staat hieran beteiligt. (3) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung kann verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden. Zur Rechtfertigung genügt es nicht, das Fehlen von Willkür nachzuweisen. Da die Ungleichbehandlung in Bezug auf einen Sachverhalt erfolgt, der dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt, ist eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.236 Die (partielle) Steuerfinanzierung der beitragsfreien Kindermitversicherung ist eine Maßnahme des Familienlastenausgleichs. Der Staat ist aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG i.V. m. dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet, die für die familiäre Gemeinschaft durch die Existenz von Kindern entstehenden spezifischen Lasten auszugleichen. Der Gesetzgeber hat zwar bei der Ausgestaltung von Art und Umfang dieses Ausgleichs einen Gestaltungsspielraum, da er auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen muss und der Familienlastenaus236

Sodan, S. 104.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

gleich keinen absoluten Vorrang vor anderen Belangen hat.237 Die Grenzen dieses Spielraums sind jedoch überschritten, wenn Maßnahmen des Familienlastenausgleichs ohne sachlichen und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung genügenden Grund bestimmten Personengruppen vorenthalten werden.238 Vorliegend ist schon kein Grund für die Differenzierung ersichtlich. Allein ein Verweis auf die unterschiedlichen Finanzierungssysteme (Umlageverfahren in der GKV; Anwartschaftsdeckungsverfahren in der PKV) und die unterschiedliche Beitragsbemessung (einkommensabhängig in der GKV; grundsätzlich risikoäquivalent in der PKV) ist zur Rechtfertigung der Differenzierung nicht geeignet: Durch die Steuerfinanzierung der Kindermitversicherung werden deren Lasten ja gerade aus dem Solidaritätsverbund der gesetzlich Versicherten herausgenommen und der Gesamtgesellschaft überantwortet. Die Tatsache, dass die Ungleichbehandlung in Bezug auf einen nach Art. 6 Abs. 1 GG relevanten Sachverhalt erfolgt, verbietet es, irgendwelche Unterschiede zwischen den Personengruppen zum Anlass einer Differenzierung zu machen. Die Differenzierung muss vielmehr einen spezifischen Bezug zu dem geregelten Sachverhalt haben. Daran fehlt es aber: Das Bedürfnis nach Absicherung ihrer Kinder besteht bei gesetzlich versicherten Eltern genauso wie bei privat versicherten. Gesetzlich Versicherte können auch nicht pauschal als stärker schutzbedürftig angesehen werden. Dies gilt schon für den Bereich der Pflichtversicherten, erst recht aber für diejenigen freiwillig Versicherten, deren Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze liegt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der „kleine Selbständige“ mit einem verhältnismäßig geringen Einkommen ohne staatliche Unterstützung für die Versicherung seiner Kinder aufkommen sollte, während die gesetzliche Versicherung der Kinder eines freiwillig gesetzlich versicherten „Besserverdienenden“ staatlich subventioniert wird. Hierbei handelt es sich auch nicht lediglich um atypische Sonderfälle. In der GKV gibt es rund 50.000 Personen mit einem Jahreseinkommen von mindestens 150.000 A und rund 200.000 Personen mit einem Jahreseinkommen von wenigstens 100.000 A. 29 % aller in der PKV Versicherten (inklusive der Familienmitglieder, absolut: 2,5 Mio) haben ein Jahreseinkommen von mehr als 40.000 A, aber immerhin auch 15 % aller GKV-Personen (inklusive der Familienmitglieder, absolut: 10,1 Mio). Im grundrechtssensiblen Bereich des Familienlastenausgleichs verbieten sich weitgehende, grobe Typisierungen. Die Grenze, ab der die Versicherung von Kindern als förderungswürdig eingestuft wird, kann daher keinesfalls an der Grenze zwischen GKV und PKV gezogen werden. Das rein fiskalische Interesse, zusätzlich zur Förderung der beitragsfreien Kindermitversicherung in der GKV nicht auch noch die Versicherung der Kinder in Vgl. Sodan, S. 100. Vgl. BVerfG v. 6. 7. 2004 – 1 BvL 4 / 97, BVerfGE 111, 160, 172 (Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung von Ausländern mit minderem Aufenthaltsstatus bei der Gewährung von Kindergeld). 237 238

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der PKV zu unterstützen, kann die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Zutreffend hat das BVerfG in der schon zitierten Entscheidung zur Gewährung von Kindergeld an Ausländer ausgeführt:239 „Demgemäß lässt sich der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist (vgl. BVerfGE 87, 1, 36; 103, 242, 259; 106, 166, 178). Es darf jedoch nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich zu einem Familienlastenausgleich verpflichtet ist, von einer bestimmten Leistung ausgeschlossen werden, die anderen gewährt wird.“

Die Subventionierung der Versicherung von Kindern durch von der gesamten Gesellschaft aufgebrachte Steuermittel ist daher gleichheitswidrig, weil sie allein den in der GKV versicherten Personen, nicht aber den privat Versicherten zugute kommt. Hierfür fehlt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Der Gesetzgeber hat eine solche gar nicht versucht, sondern vielmehr seine Mühe darauf verwandt, die Ungleichbehandlung privat und gesetzlich versicherter Kinder zu kaschieren. Er gestand damit selber ein, dass ein rechtfertigender Grund fehlt. Hinzu kommt Folgendes: Die Subventionierung der GKV führt dazu, dass der Beitragssatz in der GKV sinken kann. Infolgedessen sinken auch der durchschnittliche Höchstbeitrag in der GKV und damit die Prämienbegrenzung im Basistarif. Folglich erhöht sich die notwendige Quersubventionierung für den Basistarif und damit die Belastung der Versicherten in den übrigen PKV-Tarifen. Die in den PKVNormaltarifen Versicherten tragen damit eine doppelte Last: Sie finanzieren durch ihre Steuern Beitragssenkungen in der GKV und erhöhen damit gleichzeitig die auf ihnen lastende Subventionierung des Basistarif. Die GKV-Versicherten sind in der Summe hingegen nicht belastet, weil sie zwar auch Steuerzahler sind, die steuerfinanzierte Subventionierung ihnen aber gleichzeitig zugute kommt. Eine solche Doppelbelastung der privat Versicherten ist jedenfalls unangemessen. Verfassungsrechtlich ist daher zumindest erforderlich, dass die Höchstgrenze des Basistarifs ohne Berücksichtigung der Zahlungen an die GKV berechnet wird. bb) Grundrechte der Versicherungsunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 i.V. m. 3 Abs. 1 GG Die Zahlungen des Bundes allein an die GKV stellen eine Ungleichbehandlung der privaten Krankenversicherungsunternehmen gegenüber der GKV dar, die deren Berufsausübungsfreiheit verletzt, weil sie der GKV im Wettbewerb mit der PKV ungerechtfertigte Vorteile gewähren. Staatliche Konkurrenz stellt zwar grundsätzlich keine Grundrechtsbeeinträchtigung dar. Anders ist es aber, wenn einem staat239 BVerfG v. 6. 7. 2004 – 1 BvL 4 / 97, BVerfGE 111, 160, 172 (Hervorhebung durch die Verf.).

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lichen Unternehmen Vorteile eingeräumt werden, die den privaten Unternehmen nicht zukommen und denen keine ausreichenden Sonderlasten gegenüberstehen.240 Die Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen ist im Bereich der freiwillig Versicherten als staatlicher Wettbewerb zu qualifizieren. Hiervon geht der Gesetzgeber des GKV-WSG selbst aus: Das Gesetz dient nach der Begründung des Fraktionsentwurfs auch der Förderung des Wettbewerbs zwischen GKV und PKV.241 Deutlich wird die Zielsetzung auch in Nr. 16 der Eckpunkte. Nach Punkt 1 soll „[d]as plurale System des deutschen Gesundheitswesens . . . im Sinne eines fairen Wettbewerbs zwischen privaten Krankenversicherungen (PKV) und den gesetzlichen Krankenkassen erhalten bleiben.“ Durch die ursprünglich geplante Portabilisierung der Alterungsrückstellungen auch bei einem Wechsel zur GKV sollte Wettbewerb „zwischen den Systemen und GKV und PKV“ ermöglicht werden. Die Einführung von Wahltarifen soll nach der Gesetzesbegründung „die Wettbewerbsposition der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber der privaten Krankenversicherung“ stärken.242 Baut der Gesetzgeber das duale System von GKV und PKV mit dem Ziel einer Wettbewerbsstärkung aus, muss er andererseits selbst die Regeln des fairen Wettbewerbs beachten. Durch die staatliche Subventionierung der GKV ermöglicht er der GKV günstigere Beiträge, weil ein Teil der angebotenen Versicherungsleistung – die Mitversicherung der Kinder – nicht von den Beiträgen der Solidargemeinschaft der Versicherten aufgebracht werden muss, sondern durch die Subvention finanziert wird. Der PKV wäre ein solches Zusatzangebot nur möglich, wenn die Prämien angehoben werden [siehe hierzu die Berechnung unter I. 4. f)]. Hierdurch erlangt die GKV einen allein auf staatlicher Subventionierung beruhenden Wettbewerbsvorteil. Die einseitige Subventionierung ist nicht etwa deswegen gerechtfertigt, weil die GKV eine Sonderlast tragen müsste. Die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder (ohne Steuersubventionierung) ist keine Sonderlast, weil sie von den Mitgliedern der Solidargemeinschaft der GKV finanziert wird, gleichzeitig aber ausschließlich Mitgliedern der Solidargemeinschaft – wenn auch nicht jedem einzelnen Mitglied sondern nur denjenigen mit Kindern – zugute kommt. Eine Sonderlast, die einen Ausgleich durch staatliche Zahlungen rechtfertigen könnte, läge dann vor, wenn die Solidargemeinschaft Aufgaben finanzieren müsste, die nicht der Solidargemeinschaft zugute kommen. Soweit die Zahlungen an die GKV der Mitversicherung der Kinder dienen, sind sie also kein Ausgleich für Sonderlasten, sondern eröffnen das kostenlose Angebot von Sonderleistungen. Andere Rechtfertigungsgründe für die Bevorzugung der GKV sind nicht ersichtlich, da die Zahlungen schon im Hinblick auf die Grundrechte der privat VersicherJarass / Pieroth, Art. 12 GG Rn 16. Vgl. etwa BT-Drucks. 16 / 3100 S. 92 (Nr. 13): „Wettbewerb innerhalb der PKV und zwischen GKV und PKV“. 242 BT-Drucks. 16 / 3100 S. 109. 240 241

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ten verfassungswidrig sind. Die Zahlungen an die GKV stellen daher eine gleichheitswidrige Benachteiligung der privaten Krankenversicherungsunternehmen bei ihrer im Wettbewerb mit der GKV ausgeübten beruflichen Tätigkeit dar. cc) Hilfsweise: Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung auch bei anderer Zweckrichtung der Zahlung Selbst wenn man die dokumentierbare politische Motivation für die massive Erhöhung der steuerfinanzierten Zahlungen unberücksichtigt ließe und als „versicherungsfremde Leistungen“ nicht die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder, sondern nur die in der Anlage zur Pauschal-Abgeltungsverordnung genannten Leistungen der GKV qualifizieren würde, läge in den Zahlungen allein an die GKV eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Privatversicherten und der Versicherungsunternehmen. Die versicherungsfremden Leistungen werden je nach Tarif auch von der PKV für ihre Versicherten erbracht. Im Basistarif sind die Versicherer der PKV nun verpflichtet alle versicherungsfremden Leistungen der GKV in gleichem Maße zu erbringen – werden dafür aber nicht bezuschusst. Auch die PKV bietet Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft an. Diese Leistungen werden von der Versichertengemeinschaft durch die Versicherungsprämien finanziert. Die entsprechenden GKV-Leistungen werden aufgrund von § 221 SGB V aber nicht von der Solidargemeinschaft der Versicherten, sondern von der Gesamtheit der Steuerzahler, zu denen auch privat Versicherte gehören, finanziert. Ein rechtfertigender Grund für diese Ungleichbehandlung besteht nicht. Es ist nicht ersichtlich, warum die Unterstützung gesetzlich versicherter Schwangerer und Mütter und Väter, die ihre Kinder versorgen, staatlich gefördert werden sollte, die Unterstützung privat versicherter Schwangerer und Eltern aber nicht. Dies gilt insbesondere, weil die Ungleichbehandlung sachlich den Schutzbereich des Art. 6 GG berührt. Art. 6 Abs. 4 GG, nach dem jede Mutter Anspruch auf Schutz und Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft hat, differenziert nicht nach gesetzlich und privat Versicherten. Entsprechendes gilt für den von Art. 6 Abs. 1 GG erfassten Sachbereich (wie etwa das Krankengeld bei Betreuung eines kranken Kindes). Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 1 GG lässt es nicht zu, dass der Staat ohne sachlich gerechtfertigten Grund die Unterstützung gesetzlich versicherter Eltern zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe deklariert und privat Versicherten eine entsprechende Unterstützung verweigert. Entsprechend dem oben zur beitragsfreien Mitversicherung der Kinder Gesagten stellt die ungerechtfertigte Subventionierung der GKV auch einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen dar.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

g) Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze Das Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze verletzt sowohl die von der Neuregelung betroffenen Arbeitnehmer als auch die Versicherungsunternehmen in ihren Grundrechten.243 aa) Allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Beschäftigten Die Regelung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Beschäftigten. Die durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründete Versicherungspflicht greift wie jede erzwungene Mitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband in die allgemeine Handlungsfreiheit ein.244 In der Literatur wird darüber hinaus mit beachtlichen Argumenten vertreten, dass die Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband auch in die durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte negative Vereinigungsfreiheit eingreift.245 Dieser Eingriff bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die Pflichtversicherung in der GKV ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich gerechtfertigt: Der Schutz in Fällen der Krankheit ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine der Grundaufgaben des Staates. Ihr ist der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt hat.246 Dies bedeutet aber nicht, dass der Kreis der Pflichtmitglieder vom Gesetzgeber vollkommen frei bestimmt werden darf. Nach der Entscheidung der Zweiten Kammer des Ersten Senates zur Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze durch das Beitragssatzsicherungsgesetz vom 4. 2. 2004 – 1 BvR 1103 / 03 ist der Mitgliederkreis einerseits danach abzugrenzen, welcher Personenkreis zur Bildung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist, andererseits danach, welche Personen deren Schutz benötigen.247 Die beiden Anforderungen stehen in einem Spannungsverhältnis, das aus dem Wesen der sozialen Krankenversicherung mit einkommensabhängiger Beitragsbemessung folgt: 243 A. A. hinsichtlich der Versicherungsunternehmen Musil, NZS 2008, 113, 114, der auf Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer insoweit nicht eingeht. Auch Richter, DStR 2007, 810, hält die Neuregelung für verfassungsrechtlich unbedenklich. 244 BVerfG v. 6. 12. 2005 – 1 BvR 347 / 98, NZS 2006, 84, 86; vgl. auch BVerfG v. 11. 1. 1995 – 1 BvR 892 / 88, BVerfGE 92, 53, 69; v. 15. 6. 1988 – 1 BvR 1301 / 86, BVerfGE 78, 320, 329; v. 11. 3. 1980 – 1 BvL 20 / 76, BVerfGE 53, 313, 326. 245 Dreier / Bauer, GG, Art. 9 Rn 47; Maunz / Dürig / Scholz, GG, Art. 9 Rn 90. 246 BVerfG v. 31. 10. 1984 – 1 BvR 35 / 82, BVerfGE 68, 193, 209. 247 Ebenso zur sozialen Pflegeversicherung schon BVerfG v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 1681 / 94, BVerfGE 103, 271, 288, zur sozialen Krankenversicherung BVerfG v. 15. 3. 2000 – 1 BvL 16 / 96 u. a., BVerfGE 102, 68.

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Schutzbedürftig sind vor allem Personen mit niedrigem Einkommen, da sie sich oftmals eine private Absicherung nicht leisten können. Eine Solidargemeinschaft, der ausschließlich Personen mit niedrigem Einkommen angehören, kann aber nicht genügend Mittel zur Deckung der Krankheitskosten aufbringen. So wie die Solidargemeinschaft der PKV nur funktionieren kann, wenn schlechten Risiken gute Risiken gegenüberstehen, bedarf die GKV der Mischung einkommensschwacher mit einkommensstarken Personen. Allerdings darf keiner der beiden Aspekte vollkommen in den Hintergrund treten: Auf der einen Seite sind Personen, die keinen Beitrag zur Solidargemeinschaft leisten können, zwar in höchstem Maße schutzbedürftig, dürfen aber grundsätzlich nicht der Solidargemeinschaft beitreten. Für die Gewährung eines menschenwürdigen Mindestmaßes an Krankheitsvorsorge ist die Gesamtgesellschaft zuständig. Auf der anderen Seite dürfen Personen nicht allein deshalb zwangsverpflichtet werden, um der Solidargemeinschaft zusätzliche finanzielle Mittel zuzuführen. Es muss wenigstens bei typisierender Betrachtung eine erhöhte Schutzbedürftigkeit gegeben sein, die die verpflichtende Einbeziehung in die Solidargemeinschaft der GKV vertretbar erscheinen lässt. Wenn es dem Staat allein um Einnahmeerzielung geht, steht ihm das Mittel der Steuererhebung zur Verfügung. Die Sozialversicherungspflicht darf nicht vollständig von dem zugrunde liegenden Zweck der Schutzgewährung aufgrund von Schutzbedürftigkeit losgelöst werden.248 Aus diesem Grunde ist Versicherungsfreiheit ab Überschreiten einer gewissen Verdienstgrenze verfassungsrechtlich erforderlich.249 Das bisherige Konzept der Jahresarbeitsentgeltgrenze genügte diesen Anforderungen. Der Gesetzgeber darf auf dem Standpunkt stehen, dass Personen bis zu einem gewissen Einkommen sozial schutzbedürftig sind, auch wenn im Einzelfall keine reale Schutzbedürftigkeit vorliegt. Bei der Wahl der Einkommensgrenze darf er auch das Ziel verfolgen, der Solidargemeinschaft leistungsfähige Mitglieder zu verschaffen – ansonsten könnte eine soziale Krankenversicherung mit einkommensabhängigen Beiträgen nicht funktionieren. Dementsprechend galt das Prinzip der vorausschauenden Betrachtungsweise.250 Wer in der Zukunft voraussichtlich eine bestimmte Einkommensgrenze überschritt, war versicherungsfrei. Wer bei erstmaliger Aufnahme einer Beschäftigung die Grenze überschritt, war von Anfang an versicherungsfrei,251 ebenso wer eine neue Beschäftigung mit hohem Entgelt aufnahm.252 Die Regelung des § 6 Abs. 4 SGB V durchbrach dieses Prinzip nicht 248 Siehe schon Papier, S. 13: „Diese Personen [einwandfrei anderweitig sozial abgesicherte Personen, d. Verf.] würden von der gesetzlichen Pflichtversicherung ersichtlich nicht zur Befriedigung objektiver Schutzinteressen, sondern als finanzkräftige Beitragszahler und damit als lukrative Finanzierungsquelle erfaßt werden. Eine allein mit dieser Zielsetzung erfolgende Begründung von Pflichtmitgliedschaften und Beitragslasten kann dem verfassungsrechtlichen Übermaßgebot nicht genügen.“ 249 Papier, ZSR 1990, 344, 347. 250 Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 6 SGB V Rn. 11. 251 Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 6 SGB V Rn. 13. 252 Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 6 SGB V Rn. 15, aber str.

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grundsätzlich, sondern diente der Vermeidung kurzfristiger Wechsel und der Sicherung einer gewissen Kontinuität der Versicherung. Das Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht: Der Gesetzgeber gibt keine Erklärung dafür – und es gibt auch keine plausible Erklärung – warum Personen, deren Einkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze für die nächsten Jahre überschreiten wird, erst nach drei Jahren die soziale Schutzbedürftigkeit verlieren. Wer erstmalig eine Beschäftigung aufnimmt und dabei sofort die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet, ist nicht sozial schutzbedürftig. Mit der Neuregelung verfolgte der Gesetzgeber auch ein vollkommen anderes Ziel: die „Stärkung des Solidarprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung“. Im Einzelnen heißt es hierzu in der Gesetzesbegründung:253 „Zukünftig sind abhängig Beschäftigte erst dann versicherungsfrei, wenn ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt in drei aufeinanderfolgenden Jahren die Jahresarbeitsentgeltgrenze überstiegen hat. Die Regelung führt zu einer Erschwerung des Wechsels der Betroffenen von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung und trägt damit zur Stärkung des Solidarprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung bei. In der gesetzlichen Krankenversicherung findet ein umfassender Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Alten und Jungen, Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Familien mit Kindern statt. Da die zur Finanzierung eines solchen sozialen Ausgleichs erforderlichen Mittel ersichtlich nicht allein von den typischerweise Begünstigten des Ausgleichs aufgebracht werden können, kann der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Kreis der Versicherungspflichtigen so abgrenzen, wie dies für die Begründung und den Erhalt einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (vgl. etwa BVerfGE 103, 197 (221); 103, 271 (287)). Die bisherige Regelung, wonach ein Wechsel abhängig Beschäftigter von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung schon dann möglich war, wenn das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze überstieg, hat sich als nicht ausreichend erwiesen, die Funktionsfähigkeit des Solidarausgleichs zu gewährleisten. Personen, die zuvor unter Umständen jahrzehntelang als beitragsfrei Familienversicherte oder als Auszubildende oder Berufsanfänger mit geringem Arbeitsentgelt von den Leistungen der Solidargemeinschaft profitiert haben, können diese Solidargemeinschaft nach geltendem Recht bereits zum Ende des Kalenderjahres verlassen, in dem ihr regelmäßiges Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze dieses Jahres und die des Folgejahres übersteigt. Es ist offensichtlich, dass unter diesen Voraussetzungen ein Gleichgewicht zwischen den Leistungen, die die Solidargemeinschaft für die Betroffenen erbracht hat, und dem Beitrag, den sie für diese Solidargemeinschaft erbringen, nicht hergestellt werden kann. Zur Stärkung des Solidarprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung sollen abhängig Beschäftigte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze in drei aufeinander folgenden Jahren übersteigt, bis zum Ablauf des dritten Kalenderjahres weiterhin ihren Solidarbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung leisten. Erst 253 BT-Drucks. 16 / 3100 S. 95 (Hervorhebung durch die Verf.). Hingegen erschöpft sich die Antwort der Bundesregierung auf Frage 35 der Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion in der allgemeinen Begründung, der Gesetzgeber dürfe den Kreis der Versicherungspflichtigen so abgrenzen, wie dies für den Erhalt einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich sei (BT-Drucks. 16 / 10084 S. 13).

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danach können sie sich für eine private Absicherung ihres Krankheitsrisikos entscheiden. Diese Entscheidung ist bei unveränderten Lebensverhältnissen dauerhaft und beendet damit die Solidarität mit den gesetzlich Krankenversicherten.“

Das Anliegen des Gesetzgebers ist durchaus legitim: Eine Gemeinschaft, die gegebenenfalls lebenslange Solidarität gewährt, darf auch verlangen, dass ihre Mitglieder jedenfalls für eine gewisse Übergangszeit weiterhin Solidarität üben, wenn sie der Solidarität nicht mehr bedürfen. Die Regelung ist auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Sie ist aber nicht erforderlich: Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V i.V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind auch solche Personen mit hohem Arbeitseinkommen versicherungspflichtig, die zuvor niemals gesetzlich versichert waren und daher nie die Solidarität der Versichertengemeinschaft der GKV in Anspruch genommen haben. Dies betrifft etwa Personen, die als Kinder und während der Ausbildung durch ihre Eltern in der PKV versichert waren und sofort mit einem hohen Einkommen in das Berufsleben einsteigen, ebenso wie Personen, die zunächst als Selbständige oder Beamte privat versichert waren und dann ein hochbezahltes Beschäftigungsverhältnis aufnehmen. Selbst bei Personen, die als Kinder privat versichert waren, dann während einer Berufsausbildung zwangsweise der GKV beitreten mussten254 und dann eine Beschäftigung mit hohem Einkommen aufnehmen, kann von einer jahre- oder gar jahrzehntelangen Inanspruchnahme von Solidarität nicht die Rede sein. Dem gesetzgeberischen Anliegen hätte damit eine Regelung genügt, nach der Personen, die beispielsweise länger als fünf Jahre gesetzlich versichert waren, erst nach dreimaliger Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind. Die gesetzliche Regelung ist auch nicht etwa als Typisierung zulässig. Fälle der geschilderten Art sind keineswegs seltene Einzelerscheinungen. Die durchschnittlichen Einstiegsgehälter etwa für Hochschulabsolventen liegen in vielen Branchen nahe oder über der Jahresarbeitsentgeltgrenze.255 Nicht wenige dieser Berufseinsteiger waren zuvor ausschließlich privat versichert. Für diese Personen stellt die Neuregelung eine erhebliche Freiheitseinschränkung dar. Sie werden für mindestens drei Jahre in die Solidargemeinschaft der GKV einbezogen und damit der Solidargemeinschaft der PKV entzogen, obwohl sie zuvor nie die Solidarität der GKV in Anspruch genommen haben und sie auch nach Ablauf der drei Jahre nicht in Anspruch nehmen werden, weil sie wieder 254 Beispielhaft sei auf die Situation der meisten Rechtsreferendare hingewiesen, die auf die Ableistung des Vorbereitungsdienstes für ihre Berufswahl von Gesetzes wegen angewiesen sind und während dieser Zeit gesetzlich pflichtversichert sind. 255 Nach Informationen von Heike Friedrichsen (Artikel bei spiegel-online vom 3. 5. 2007, http: // www.spiegel.de / unispiegel / jobundberuf / 0,1518,480673,00.html) ist das Gehaltsniveau von Berufseinsteigern in den letzten Jahren deutlich gestiegen und liegt jetzt bei rund 41.200 A. Bei einer Promotion liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt bei rund 46.000 A (Heike Friedrichsen, spiegel.de vom 22. 11. 2006, http: // www.spiegel.de / unispiegel / jobund beruf / 0,1518,449966,00.html). In größeren Rechtsanwaltskanzleien liegen die Einstiegsgehälter bei deutlich über 50.000 A, in internationalen Großkanzleien bei bis zu 100.000 A.

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zur PKV zurückkehren werden. Um nachteilsfrei unter Beibehaltung des früheren Eintrittsalters wieder ihr privates Versicherungsverhältnis aufnehmen zu können, ist eine große Anwartschaftsversicherung notwendig, die zwischen 15 % und 35 % des Normalbeitrags kostet. Um das bisherige Leistungsniveau zumindest annähernd erreichen zu können, sind auch noch private Zusatzversicherungen notwendig, beispielsweise für Wahlleistungen im Krankenhaus und Zahnersatz. Für eine Typisierung fehlt jede Notwendigkeit: Eine Regelung, wie etwa die hier vorgeschlagene Alternative, ist unter Praktikabilitätsgesichtspunkten der angegriffenen Regelung in keiner Hinsicht unterlegen, schränkt aber gleichzeitig die Freiheitsrechte der Bürger weit weniger ein und verfolgt den gesetzgeberischen Zweck ungleich passgenauer als die angegriffene Regelung. Eine Typisierung ist daher offensichtlich unangemessen und somit verfassungswidrig. Dem Gesetzgeber mag ein weiter Spielraum bei der Definition und der Verfolgung seiner Ziele zustehen. Der Spielraum ist aber nicht unbegrenzt, wenn er durch die Regelungen in Grundrechte eingreift. Der Bürger kann zumindest verlangen, dass der Gesetzgeber den Eingriff auf das zur Zielerreichung Erforderliche beschränkt. Eine andere als die vom Gesetzgeber genannte Rechtfertigung der Regelung ist nicht ersichtlich. Die bloße Tatsache, dass die Neuregelung zu Mehreinnahmen der GKV führen wird, taugt als Rechtfertigung nicht. Die Bestimmung des pflichtversicherten Personenkreises muss sich im Spannungsfeld der beiden Kriterien „Schutzbedürftigkeit“ und „Sicherung der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft“ bewegen, wobei beide Kriterien eine gewisse Rolle spielen müssen. Dass aber der Gesetzgeber die betroffenen Personen weder als sozial schutzbedürftig ansieht, noch sie aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit in die GKV einbezieht, zeigt die Tatsache, dass nach drei Jahren die Versicherungsfreiheit eintritt. Nach drei Jahren ändert sich nämlich weder die Schutzbedürftigkeit noch entfällt ein etwaiges Bedürfnis, die Person aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit in den Kreis der Solidarpflichtigen einzubeziehen. Die einzig denkbare Rechtfertigung ist somit die vom Gesetzgeber genannte. Insoweit überschreitet die Regelung aber die Grenze des Erforderlichen. bb) Berufsfreiheit der privaten Krankenversicherungsunternehmen Die Regelung ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit der privaten Krankenversicherungsunternehmen. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V entzieht ihnen einen potentiellen Kundenkreis. Durch die Einschränkung der Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch das GKV-WSG wird diese Beeinträchtigung verschärft. Der Entzug potentieller Kunden stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar. In der Entscheidung vom 4. 2. 2004 sah die Kammer die Anhebung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zwar nicht als objektive Berufswahlregelung an, ließ hingegen offen, ob es sich um eine Berufsausübungsregelung handelt. In der Tat stellt die Versicherungspflicht in der GKV jedenfalls einen Eingriff in Form der Berufsausübungsregelung dar, die am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist: Durch

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die gesetzliche Pflichtversicherung werden die Versicherungsunternehmen insoweit gänzlich vom Markt ausgeschlossen; es werden nicht nur ihre Marktchancen verringert.256 Es handelt sich nicht nur um eine faktische Reflexwirkung, sondern um eine Norm mit objektiv berufsregelnder Tendenz. Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Schrifttum.257 Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich jedenfalls insoweit nicht gerechtfertigt, als er sich auf Personen bezieht, die vor dem Eintritt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis immer oder zum überwiegenden Teil bei der PKV versichert waren. Diese Personen werden für eine Dauer von mindestens drei Jahren der PKV entzogen, ohne dass hierfür ein rechtfertigender Grund besteht. Wie oben dargelegt, ist die Maßnahme zur Erreichung des Ziels der Stärkung der Solidarität in der GKV nämlich wie oben dargelegt nicht erforderlich. Hinzu kommt, dass PKV nach dem GKV-WSG auf ein Nachwachsen jüngerer Versicherter angewiesen [hierzu ausführlich unten Abschnitt II. 2. i)], was die Neuregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erheblich erschwert.

h) Wahltarife Die gesetzgeberische Zulassung der fakultativen Wahltarife „Kostenerstattung“ (§ 53 Abs. 4 SGB V) und „Besondere Therapierichtungen“ (§ 53 Abs. 5 SGB V) und die obligatorische Einführung des Wahltarifs „Krankengeld“ (§ 53 Abs. 6 SGB V) verstoßen gegen die Grundrechte der privaten Krankenversicherungsunternehmen aus Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG. Die Regelungen sind schon mangels Gesetzgebungskompetenz formell verfassungswidrig [siehe oben Abschnitt II. 1. b)], sie verstoßen aber auch materiell gegen die Verfassung. aa) Chancengleichheit im Wettbewerb, Art. 3 Abs. 1 GG Das Tätigwerden der GKV im Bereich der Zusatzversorgung stellt einen Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb vor, das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Indem der Gesetzgeber der GKV die Ausnutzung spezifischer Strukturvorteile im Wettbewerb ermöglicht, behandelt er die GKV gegenüber der PKV ungleich. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber muss entweder sicherstellen, dass die GKV unter den gleichen Bedingungen tätig wird wie die PKV – was ihm mit § 53 Abs. 9 SGB V nicht gelungen ist –, Wollenschläger / Krogull, NZS 2005, 237, 240. Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, 1974, S. 35; Papier, ZSR 1990, 344, 347; Schnapp / Kaltenborn, S. 71; Wollenschläger / Krogull, NZS 2005, 237, 240. A. A. Musil, NZS 2008, 113, 114, nach dem schon kein Eingriff in Art. 12 GG (oder Art. 14 GG) vorliegt. 256 257

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oder die GKV muss sich einer Geschäftstätigkeit im Bereich der Zusatzversorgung enthalten. Die eventuell notwendige Einschränkung der Tätigkeit der GKV ist hinnehmbar, weil für die Zusatzversorgung ein funktionierender privater Markt besteht und ein Tätigwerden der GKV sozialstaatlich nicht notwendig ist. (1) Ungleichbehandlung Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. In den Worten des BVerfG liegt eine Ungleichbehandlung vor, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“.258 Eben dies ist hier der Fall: Zunächst einmal sind die Bereiche zu vergleichen, in denen direkte Konkurrenz zwischen PKV und GKV besteht. Wie dargestellt ist dies einerseits zwischen den von der PKV angebotenen Zusatzversicherungen und den Wahltarifen der GKV, andererseits bezüglich der freiwillig versicherten Mitglieder zwischen den Vollversicherungen der PKV und der Vollversicherungen der GKV mit dem Wahltarif Kostenerstattung der Fall. Darüber hinaus ist aber auch ein Vergleich von Vollversicherung PKV mit Vollversicherung GKV sowie Wahltarif Kostenerstattung in Bezug auf die Pflichtversicherten möglich. Zwar besteht insofern keine Konkurrenz, da die Pflichtversicherten eine Vollversicherung in der PKV nicht abschließen können. Dies schließt aber einen Vergleich nicht aus. Denn es handelt sich um vergleichbare Gegenstände, da es bei beiden Vollversicherungen um einen vergleichbaren Schutz bei Krankheit geht. Diese vergleichbaren Gegenstände werden lediglich unterschiedlich in der Form behandelt, dass die Pflichtversicherten die Angebote der PKV-Krankenversicherungen nicht wahrnehmen können. Die Ungleichbehandlung bleibt nichtsdestotrotz. (a) Vergleich Wahltarife – Zusatzversicherungen Vergleicht man die Wahltarife der GKV mit den von der PKV angebotenen Zusatzversicherungen werden zunächst die oben angesprochenen strukturellen Vorteile der GKV relevant. Dies fängt bei der Mitgliederwerbung an, bei der die GKV auf die ohnehin bestehende Bindung durch Pflichtmitgliedschaft und die dadurch erhaltenen Mitgliederdaten setzen kann. Die Wahltarife können attraktiv kalkuliert werden, weil die Krankenkassen das Verbot der Quersubventionierung des § 53 Abs. 9 SGB V leicht umgehen können und ein Anreiz für sie besteht, dies zu tun [siehe oben I. 4. h) cc) (1)]. Anders als die Krankenversicherungen der PKV bedürfen die Krankenkassen der GKV bei einer Beitragsanpassung nicht der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders. Ihre Krankengeldtarife nach § 53 258

Ständige Rspr. seit BVerfG v. 7. 10. 1980 – 1 BvL 50 / 79 u. a., BVerfGE 55, 72, 88.

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Abs. 6 SGB V müssen sie nicht wie die privaten Krankenversicherungen nach den in der KalV niedergelegten versicherungsmathematischen Methoden berechnen. Schließlich profitieren die Krankenkassen der GKV von den allgemeinen Vorteilen, die sie genießen. Dazu gehören die Befreiung von der Körperschaftssteuer, die Beitreibung von Forderungen nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz und die Subventionierung nach § 221 SGB V. Apotheken- und Herstellerrabatte bei Arzneimitteln werden daneben bei den Wahltarifen nach § 53 Abs. 5 SGB V relevant. (b) Vergleich PKV-Vollversicherung – GKV-Versicherung inklusive Wahltarifen für freiwillig Versicherte Neben den genannten Vorteilen, die auch für einen Vergleich mit der Vollversicherung gelten, kommt noch Weiteres hinzu. Bei der Vollversicherung sind die privaten Krankenversicherungen an die Vorschriften der KalV gebunden. Dies bedeutet nicht nur einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand bei der Einführung neuer Tarife. Durch die einzuberechnenden Sicherheitsmargen können die Krankenversicherungen nicht genauso attraktive Angebote machen. Sie müssen darüber hinaus Beitragsstabilität gewährleisten und können ihre Beiträge nur unter bestimmten Voraussetzungen und bei Einhaltung eines bestimmten Verfahrens anpassen. (c) Vergleich PKV-Vollversicherung – GKV-Versicherung inklusive Wahltarifen für Pflichtversicherte Bei den Pflichtversicherten kommt neben allen genannten Vorteilen hinzu, dass die Pflichtversicherten bei den privaten Versicherungen keine Vollversicherung abschließen können. (2) Prüfungsmaßstab Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.259 Dementsprechend ist auch der Prüfungsmaßstab des BVerfG ausgestaltet: Je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Gewährleistungen der Freiheitsrechte auswirkt, desto strenger ist der Prüfungsmaßstab. Maßgeblich für die Beurteilung der Intensität der Ungleichbehandlung sind drei Kriterien: Erstens spielt es eine Rolle, wie unmittelbar der Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts beeinträchtigt ist.260 Gerade für den Bereich der Sozialver259 BVerfG v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87; v. 18. 2. 1998 – 1 BvR 1318 / 86 u. a., BVerfGE 97, 271; v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 2 / 91, BVerfGE 99, 367.

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sicherung hat das BVerfG dieses Kriterium entwickelt.261 Zweitens ist maßgeblich, inwiefern die Betroffenen den begünstigten Sachverhalt in ihrer Person durch eigenes Verhalten erfüllen können.262 Schließlich kommt es insbesondere bei juristischen Personen drittens darauf an, wie stark die hinter ihnen stehenden natürlichen Personen beeinträchtigt sind.263 Zumindest die ersten beiden Gesichtspunkte sprechen bei der Ungleichbehandlung im Bereich der Wahltarife und der Zusatzversicherungen für eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das dritte Kriterium fällt demgegenüber nicht weiter in das Gewicht. (a) Betroffenheit von Freiheitsgrundrechten Erstens hat die Ungleichbehandlung unmittelbare Auswirkungen auf die Gewährleistung der Berufsfreiheit der PKV-Unternehmen. Die wirtschaftliche Betätigung im Wettbewerb ist, soweit sie der beruflichen Tätigkeit eines Grundrechtsträgers zuzuordnen ist, vom sachlichen Gewährleistungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst.264 Durch das Angebot von Wahltarifen treten die gesetzlichen Kassen in Konkurrenz zu den Unternehmen der PKV. Grundlage dieser Konkurrenztätigkeit sind die gesetzlichen Ermächtigungen des § 53 Abs. 4, 5 und die Verpflichtung in Abs. 6 SGB V. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die wirtschaftliche Betätigung des Staates Eingriffscharakter hat, ist umstritten.265 Weitgehende Einigkeit besteht aber im Grundsatz darüber, dass einerseits nicht jede wirtschaftliche Betätigung, die in Konkurrenz zu privaten Unternehmen tritt, als Eingriff zu qualifizieren ist, andererseits ein Eingriff aber auch nicht schlechthin ausgeschlossen ist. Wie noch genauer erläutert wird, ist bei der Einführung von Wahltarifen von einem Eingriff auszugehen, weil die gesetzlichen Krankenkassen Strukturvorteile aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung nutzen. Besteht ein solcher enger Zusammenhang zu Art. 12 Abs. 1 GG, sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nach der Rechtsprechung des BVerfG266 enge Grenzen gesetzt. 260 BVerfG v. 18. 11. 1986 – 1 BvL 29 / 83 u. a., BVerfGE 74, 9; v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87; v. 24. 6. 1993 – 1 BvR 689 / 92, BVerfGE 89, 69; v. 14. 12. 1994 – 1 BvR 720 / 90, BVerfGE 91, 346. 261 BVerfG v. 8. 2. 1994 – 1 BvR 1237 / 85, BVerfGE 89, 365. 262 BVerfG v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87; v. 8. 2. 1994 – 1 BvR 1693 / 92, BVerfGE 90, 22; v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15 / 87, BVerfGE 97, 169; v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 2 / 91, BVerfGE 99, 367. 263 BVerfG v. 20. 5. 1987 – 1 BvR 762 / 85, BVerfGE 75, 348; v. 31. 5. 1988 – 1 BvL 22 / 85, BVerfGE 78, 232; v. 26. 1. 1993 – 1 BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87; v. 28. 4. 1999 – 1 BvL 11 / 94 u. a., BVerfGE 100, 195. 264 BVerfG v. 26. 6. 2002 – 1 BvR 558 / 91 u. a., BVerfGE 105, 252, 265; Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Abs. 1 Rn. 15. 265 Siehe zum Meinungsstand Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 316 ff.; Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 16; Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 119 ff. 266 Siehe etwa BVerfG v. 6. 12. 1988 – 1 BvL 5 / 85 u. a., BVerfGE 79, 212; v. 27. 10. 1998 – 1 BvR 2306 / 96 u. a., BVerfGE 98, 365; v. 28. 1. 2003 – 1 BvR 487 / 01, BVerfGE 107, 133.

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(b) Personen- oder Verhaltensbezogenheit Je eher die Betroffenen den begünstigten Sachverhalt erfüllen können, desto weniger intensiv ist der Prüfungsmaßstab. Wird an die Rechtsnatur des Anbieters einer Dienstleistung angeknüpft, kommt es darauf an, ob die betroffenen Personen durch ihr Verhalten das Vorliegen dieses Merkmals beeinflussen können. Das BVerfG geht dabei von einer sehr weitgehenden Verhaltensbezogenheit aus. So hielt es in seiner Entscheidung vom 2. 3. 1999 zur Montan-Mitbestimmung selbst die Tätigkeit der betroffenen Unternehmen im Anwendungsbereich des Gesetzes, das auf bestimmte Branchen beschränkt ist und eine gewisse Arbeitnehmerzahl voraussetzt, für verhaltensbezogen: 267 „Ferner sind die Differenzierungsmerkmale, an die das Gesetz anknüpft, nicht personen-, sondern verhaltensbezogen. Ausschlaggebend für die Anwendung der zur Prüfung stehenden Vorschriften ist zum einen der Montan-Bezug der Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen, zum anderen das Mitbestimmungsstatut zur Zeit des Inkrafttretens der Neuregelung. Der Montan-Bezug ergibt sich aus den geschäftlichen Aktivitäten des Konzerns. Die Fortgeltung der Montan-Mitbestimmung knüpft ebenfalls an den – früheren – Gegenstand der Unternehmenstätigkeit an. Allerdings sind die Konzernobergesellschaften bei der Wahl ihres Verhaltens angesichts der Gesetzeslage nicht völlig frei. Entscheidungen über den Unternehmensgegenstand hängen von vielfältigen, teilweise nur schwer und meist nicht kurzfristig beeinflußbaren Faktoren ab. Die zurückliegende Geschäftstätigkeit ist ihrer Disposition gänzlich entzogen.“

Selbst unter Berücksichtigung dieses strengen Maßstabs haben es die Unternehmen der PKV nicht in der Hand, in den Anwendungsbereich der günstigeren Regelungen zu fallen. Sie können selbst nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Krankenkasse werden. Auch dieser Gesichtspunkt spricht daher für einen strengen Prüfungsmaßstab. (c) Betroffenheit von natürlichen Personen Je stärker sich die Ungleichbehandlung auf natürliche Personen auswirkt, desto höhere Anforderungen stellt das BVerfG an die Rechtfertigung. Juristische Personen können sich auf Art. 3 Abs. 1 GG berufen. Der Prüfungsmaßstab ändert sich aber in Abhängigkeit von der Unmittelbarkeit der Auswirkungen auf die hinter ihnen stehenden natürlichen Personen. In der bereits zitierten Entscheidung zur Montan-Mitbestimmung hat das BVerfG ausgeführt: 268 „Für juristische Personen, soweit sie gemäß Art. 19 Abs. 3 GG Träger von Grundrechten sind, gilt grundsätzlich nichts anderes. Viele von ihnen bilden Zusammenschlüsse natürlicher Personen. Dieser Umstand verbietet es, eine Ungleichbehandlung juristischer Personen von vornherein als sachverhaltsbezogene zu behandeln. Allerdings ist die individuelle Betroffenheit der hinter den juristischen Personen stehenden natürlichen Personen je 267 268

BVerfG v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 2 / 91, BVerfGE 99, 367. BVerfG v. 2. 3. 1999 – 1 BvL 2 / 91, BVerfGE 99, 367.

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nach Rechtsform, Größe, Mitgliederstruktur und Vereinigungszweck unterschiedlich ausgeprägt. Bei Kapitalgesellschaften kann sie von der individuellen Betroffenheit des Gesellschafters einer Ein-Mann-Gesellschaft bis zu der lediglich einen geringen Teil des Vermögens berührenden Betroffenheit des Aktionärs einer Aktiengesellschaft im Streubesitz reichen. Das fällt bei der Maßstabsbildung ins Gewicht [vgl. BVerfGE 95, 267 (317)].“

(d) Zwischenergebnis Gegenüber den ersten beiden Gesichtspunkten spielt der dritte nur eine untergeordnete Rolle. Die ersten beiden Kriterien sprechen eindeutig für einen strengen Prüfungsmaßstab. Der dritte Gesichtspunkt setzt dagegen stets eine graduelle Unterscheidung voraus. Natürliche Personen sind bei privaten juristischen Personen immer in gewisser Hinsicht betroffen, wenn auch unterschiedlich unmittelbar. Diese lediglich graduellen Unterschiede können die eindeutigen Ergebnisse der ersten beiden Kriterien nicht ändern. Es gilt somit zu prüfen, ob zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den privaten Krankenversicherungsunternehmen Unterschiede bestehen, die von solcher Art und von solchem Gewicht sind, dass sie die aus der Stellung der gesetzlichen Kassen als Sozialversicherungsmonopolisten resultierende ungleiche Verteilung der wettbewerblichen Chancen beim Angebot der neuen Zusatzkrankenversicherung rechtfertigen. (3) Rechtfertigung (a) Die Gründe zur unterschiedlichen Ausgestaltung von PKV und GKV in der Rechtsprechung des BVerfG Bisher hatte das BVerfG nicht über Ungleichbehandlungen zwischen PKV und GKV zu urteilen. Gleichwohl hat es in anderen Zusammenhängen bereits recht häufig zu den Besonderheiten der GKV gegenüber der PKV Stellung genommen. Prägend ist demnach für die PKV das bereits oben dargestellte Risikoäquivalenzprinzip, während die gesetzliche Krankenversicherung dem Ausgleich zwischen den einkommensschwachen und den einkommensstarken Mitgliedern dient [siehe hierzu schon oben I. 4. h) dd)].269 Die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung muss nach dem BVerfG als „überragend wichtiger Gemeinwohlbelang“270 gewährleistet werden. Denn sie verwirklicht auf dem Gebiet der gesundheitlichen Daseinsvorsorge den Verfassungsauftrag der Sozialstaatlichkeit. 271 Besonders Menschen mit niedrigen Einkommen bedürfen dieses Schutzes, weil sie ihr individuelles Krankheitsrisiko nicht tragen können.272 Anders als in der priBVerfG v. 4. 2. 2004 – 1 BvR 1103 / 03, NZS 2005, 479. BVerfG v. 4. 2. 2004 – 1 BvR 1103 / 03, NZS 2005, 479; siehe auch BVerfG v. 13. 9. 2005 – 2 BvF 2 / 03, BVerfGE 114, 196; v. 3. 4. 2001 – 1 BvR 1681 / 94 u. a., BVerfGE 103, 271. 271 So auch BSG v. 15. 11. 1973 – 3 RK 50 / 72, BSGE 36, 238; BGH v. 18. 12. 1981 – I ZR 34 / 80, BGHZ 82, 375. 272 BVerfG v. 6. 12. 2005 – 1 BvR 347 / 98, BVerfGE 115, 25. 269 270

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vaten Krankenversicherung ist eine Beitragsbemessung nach dem Risikoprinzip danach nicht sachgerecht. Denn diese Beiträge könnten Geringverdienende nicht aufbringen. Charakteristisch für die gesetzliche Krankenversicherung ist daher die Bemessung der Beiträge nach der individuellen Leistungsfähigkeit, also nach der Einkommenshöhe. (b) Gewichtungen in der bisherigen Rechtsprechung In der bisherigen Rechtsprechung wurden wegen dieser wichtigen Funktion der gesetzlichen Krankenversicherung Eingriffe in die Rechte der PKV und in die der Leistungserbringer gerechtfertigt. (aa) Schutz vor Wettbewerb der PKV In seiner Entscheidung vom 4. 2. 2004 ließ das BVerfG die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze zu. Dadurch wurde bewirkt, dass bisher freiwillig versicherte Personen sich nun pflichtversichern mussten. Nach Auffassung des BVerfG lag ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der privaten Krankenversicherungen zumindest nicht fern, weil sie in Folge der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze weniger potentielle Mitglieder hatten. Dieser Eingriff sei aber jedenfalls gerechtfertigt, um die Solidargemeinschaft der Pflichtversicherten abzusichern.273 (bb) Eingriffe in die Rechte der Leistungserbringer Bereits in zahlreichen Fällen hat das BVerfG die Rechte der Leistungserbringer, also der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker zugunsten der Krankenkassen eingeschränkt. In der neueren Rechtsprechung hielt es in seiner Entscheidung vom 20. 3. 2001 die Altersgrenze für die Zulassung von Kassenärzten für zulässig. Dabei machte es besonders deutlich, dass die Beiträge der Versicherten beschränkt bleiben müssen.274 Im Januar und März 2003 gab das BVerfG Anträgen auf einstweilige Anordnungen gegen das Beitragssatzsicherungsgesetz nicht statt. Durch dieses Gesetz senkte der Gesetzgeber die Höchstpreise für zahnärztliche Leistungen ab275 und sah Rabattregelungen zu Lasten der Apotheker, des pharmazeutischen Großhandels und der pharmazeutischen Unternehmen vor.276 Die betroffenen Berufsgruppen zogen erfolglos vor Gericht. Haupterwägung gegen den Erlass einstweiliger AnordnunBVerfG v. 4. 2. 2004 – 1 BvR 1103 / 03, NZS 2005, 479. BVerfG v. 20. 3. 2001 – 1 BvR 491 / 96, BVerfGE 103, 172. 275 Dazu BVerfG v. 14. 1. 2003 – 1 BvQ 51 / 02, BVerfGE 106, 351. 276 Dazu BVerfG v. 15. 1. 2003 – 1 BvQ 53 / 02, BVerfGE 106, 359; v. 15. 1. 2003 – 1 BvQ 54 / 02, BVerfGE 106, 369; v. 26. 3. 2003 – 1 BvR 112 / 03, BVerfGE 108, 45. 273 274

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gen war die finanzielle Absicherung der Krankenkassen. Dieser Gesichtspunkt wurde vom BVerfG in allen Entscheidungen – wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung – vorgebracht.277 In der Hauptsache hielt das BVerfG das Beitragssatzsicherungsgesetz schließlich für einen gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der beschwerten Berufsgruppen. Entscheidend war wie bei der Altersgrenze für Kassenärzte, dass die Beiträge beschränkt werden sollten.278 (c) Grenzen der Unterscheidungsmöglichkeiten Der Gedanke des sozialen Schutzes kann aber nicht für jegliche Fälle herangezogen werden. Er ist keine Blankovollmacht zu gesetzgeberischer Beliebigkeit. Wie aus der Rechtsprechung des BVerfG hervorgeht, gewährleistet das Sozialstaatsprinzip nur einen Mindestschutz. Erstens gebietet das Sozialstaatsprinzip lediglich, dass die gesetzliche Krankenversicherung denjenigen offen steht, die ihrer bedürfen.279 Zweitens müssen nur solche Leistungen erbracht werden, die dem Schutz gegen Krankheiten dienen. Der BGH hat den sachlichen Umfang der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen außerdem dahingehend begrenzt, dass die gesundheitliche Daseinsvorsorge nicht bereits von Dritten vorgenommen wird. Drittens sind den gesetzlichen Krankenkassen nur bestimmte Vorgehensweisen erlaubt. So muss der Wettbewerb zwischen den Kassen dort zurückstehen, wo er auf Kosten des Solidarprinzips und damit des Schutzes des Einzelnen ginge. (aa) Personelle Beschränkung Die Beschränkung in personeller Hinsicht wurde schon oben bei den Ausführungen zur Jahresarbeitsentgeltgrenze erörtert [II. 2. g) aa)]. Die Einbeziehung in die Sozialversicherung folgt einerseits der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen, andererseits muss die Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft sichergestellt bleiben. (bb) Sachliche Beschränkung Die Leistungsbeschränkungen auf einen festgelegten Katalog hat das BVerfG zuletzt in zwei neueren Entscheidungen deutlich gemacht. Greifen Erweiterungen des Leistungsspektrums über diesen Katalog hinaus, sind sie nicht erforderlich zur Gewährleistung des Sozialstaatsprinzips. In der ersten Entscheidung vom 6. 12. 2005 ging es um alternative Behandlungsmethoden, die nach dem BVerfG nur bei hinreichender Aussicht auf Erfolg von der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen sind: 277 BVerfG v. 14. 1. 2003 – 1 BvQ 51 / 02, BVerfGE 106, 351; v. 15. 1. 2003 – 1 BvQ 53 / 02, BVerfGE 106, 359; v. 15. 1. 2003 – 1 BvQ 54 / 02, BVerfGE 106, 369; v. 26. 3. 2003 – 1 BvR 112 / 03, BVerfGE 108, 45. 278 BVerfG v. 13. 9. 2005 – 2 BvF 2 / 03, BVerfGE 114, 196. 279 Zur Beschränkung in personeller Hinsicht siehe bereits Papier, ZSR 1990, 344, 350.

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„Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 SGB V einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen. Dabei muss allerdings die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen.“280

Die gesetzliche Krankenversicherung darf bestimmte Leistungen auch von Voraussetzungen abhängig machen. Das BVerfG ließ es zu, dass eine künstliche Befruchtung nur gezahlt wird, wenn die Leistungsempfänger miteinander verheiratet sind.281 Der BGH schließlich betonte in einer Entscheidung vom 18. 12. 1981 die Subsidiarität der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber der Privatwirtschaft. Dem Urteil lag zugrunde, dass einige Krankenkassen Selbstabgabestellen für Brillen eingerichtet hatten. Ihre Versicherten mussten keine Augenoptiker mehr aufsuchen, sondern erhielten ihre Brillen direkt von den Krankenkassen. Der BGH hielt dieses Vorgehen unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität für unzulässig: „Mit der Erfüllung der ihnen durch das Sozialgesetzbuch und die Reichsversicherungsordnung zugewiesenen Aufgaben verwirklichen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Gebiet der gesundheitlichen Daseinsvorsorge den Verfassungsauftrag der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG; BSGE 36, 238, 239). Soweit es der Beklagten dabei obliegt, die Versicherten mit Brillen zu versorgen, ist sie aber zur Erfüllung dieses Auftrags auf kasseneigene Abgabestellen nicht angewiesen.“282 Der BGH hält die Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen also nur dort für erforderlich, wo die Privatwirtschaft keine angemessene Versorgung gewährleistet.283 (cc) Beschränkung der Mittel Neben der Beschränkung des Anwendungsbereichs folgt auch eine Beschränkung der Mittel aus der Rechtfertigung. Das Solidarprinzip genießt nach der Rechtsprechung des BVerfG Vorrang vor dem Wettbewerbsprinzip.284 Denn das System der gesetzlichen Krankenversicherung soll nicht insgesamt darunter leiden, dass einige Krankenkassen eine bessere Wettbewerbsposition einnehmen: 280 281 282 283 284

BVerfG v. 6. 12. 2005 – 1 BvR 347 / 98, BVerfGE 115, 25. BVerfG v. 28. 2. 2007 – 1 BvL 5 / 03, BVerfGE 117, 316. BGH v. 18. 12. 1981 – I ZR 34 / 80, BGHZ 82, 375. von Maydell / Karl, S. 17 ff. BVerfG v. 18. 7. 2005 – 2 BvF 2 / 01, BVerfGE 113, 167.

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„So konnte etwa eine Krankenkasse, die aus historischen Gründen einen hohen Rentneranteil aufwies, nicht ernsthaft erwarten, dass sich an ihrer speziellen Belastungssituation durch die Einführung des Kassenwahlrechts etwas ändern werde. Da sie hingegen zu gewärtigen hatte, dass sie viele junge und gut verdienende Mitglieder nicht werde halten können, war für den Gesetzgeber absehbar, dass diese Kasse über kurz oder lang so hohe Beitragssätze würde festsetzen müssen, dass sie irgendwann auch die letzten guten Risiken verlieren würde. In letzter Konsequenz war damit zu rechnen, dass eine derartige Kasse aus dem Markt gedrängt wird, und zwar wegen ihrer ungünstigen Risikostruktur und nicht wegen ihrer Ineffizienz. Für das Gesundheitssystem als solches wäre das – massenweise – Ausscheiden von Kassen mit schlechter Risikostruktur ein unsinniges Nullsummenspiel, da die schlechten Risiken nicht zusammen mit den ,schlechten‘ Kassen verschwinden, sondern bei anderen Kassen versichert werden müssen. Für das Wettbewerbskonzept des Gesetzgebers war das schnelle Ausscheiden vieler – eventuell sehr effizienter, aber risikostrukturschwacher – Marktteilnehmer überaus schädlich. Der Gesetzgeber wollte das gegliederte System mit einer gewissen Kassenvielfalt erhalten, an oligopolartigen Strukturen war ihm zu Recht nicht gelegen.“285

Der Wettbewerb darf also nicht so weit gehen, dass das System der gesetzlichen Krankenversicherung Schaden nimmt. (d) Rechtfertigung der ungleichen Behandlung Die ungleiche Behandlung bei Wahltarifen kann nach der bisherigen, soeben dargestellten Rechtsprechung des BVerfG nicht gerechtfertigt werden. Denn durch die Wahltarife werden in jeder Hinsicht die Grenzen überschritten, innerhalb derer der Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung bisher anerkannt wurde. (aa) Überschreitung in personeller Hinsicht Die Zulassung der Wahltarife dient weder dem Schutz des Einzelnen noch der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft. Die Wahltarife sind nicht zum Schutz einkommensschwacher Mitglieder geeignet. Bereits in der Gesetzesbegründung heißt es zum Wahltarif Kostenerstattung nicht, dass er diese Option für geringverdienende Mitglieder eröffnen will, die sich den Tarif sonst nicht leisten können, sondern, dass er die Wettbewerbsposition der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber den privaten Krankenversicherungen stärken soll. Es besteht auch kein dringendes Schutzbedürfnis. Denn die bisherige Versorgung wird weiterhin auch ohne Wahltarife gewährleistet. Bereits an der Ausgestaltung der Wahltarife wird darüber hinaus deutlich, dass es nicht um den Schutz einkommensschwacher Mitglieder geht. Die zusätzlichen Beträge, die etwa bei der AOK Rheinland für einen Kostenerstattungstarif mit Ein- oder Zweibettzimmer fällig werden, sind unabhängig vom Einkommen und richten sich lediglich nach dem Alter. Der Beitragsbemessung liegen damit keine sozialen Erwägungen, sondern lediglich auf dem Äquivalenzprin285

BVerfG v. 18. 7. 2005 – 2 BvF 2 / 01, BVerfGE 113, 167.

2. Materielle Verfassungswidrigkeit

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zip beruhende, das jeweilige Risiko – wenn auch, wie dargestellt [I. 4. h) cc) (1)], nur sehr unvollkommen – abschätzende Überlegungen zugrunde. Auch zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft sind die Wahltarife nicht geeignet. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Krankenkassen durch den Kostenerstattungstarif, den Tarif für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen oder den Krankentagegeldtarif unmittelbar zusätzliche Einnahmen erzielen. Soweit von den Mitgliedern, die Wahltarife in Anspruch nehmen, dafür zusätzliche Beiträge erhoben werden, dienen diese lediglich der Finanzierung der Wahltarife, kommen also nicht der Solidargemeinschaft, sondern eben nur diesen Mitgliedern, zugute. Insofern ist es für die finanziellen Mittel der Solidargemeinschaft unerheblich, ob von den GKV-Mitgliedern Wahltarife der GKV oder Zusatzversicherungen der PKV abgeschlossen werden. Der Gesetzgeber befürchtet sogar umgekehrt, dass die Wahltarife durch die Versichertengemeinschaft quersubventioniert werden könnten, die finanziellen Mittel der GKV also belasten, und hat deshalb den – freilich ineffektiven – § 53 Abs. 9 SGB V eingefügt. Die Tarife führen somit unmittelbar zu keinen Mehreinnahmen. Auch mittelbar ist keine Stärkung der Solidargemeinschaft anzunehmen. Zwar ist die Einführung von quersubventionierten Wahltarifen für die einzelne Krankenkasse wirtschaftlich attraktiv, weil dadurch besonders leistungsstarke Mitglieder gebunden werden können [oben I. 4. h) cc) (1) (c)]. Die Solidargemeinschaft insgesamt erhält aber kaum zusätzliche Mittel. Denn durch die Einführung von Wahltarifen werden in erster Linie leistungsstarke Pflichtmitglieder von einem Wechsel in eine andere Krankenkasse der GKV abgehalten. Sie leisten ihren Solidarbeitrag dann weiter in ihrer bisherigen und nicht in einer anderen Krankenkasse. Für die Solidargemeinschaft als solche ist dies freilich unerheblich. Ihre Beiträge müssen die leistungsstarken Pflichtmitglieder sowieso leisten. Mehreinnahmen für die Solidargemeinschaft insgesamt können lediglich erzielt werden, wenn freiwillige Mitglieder der GKV durch die Wahltarife von einem Wechsel in die PKV abgehalten werden. Die Gruppe der freiwillig Versicherten ist aber mit gerade einmal 6,75 % im Jahr 2006 nicht so groß,286 dass sich daraus nennenswerte Verbesserungen für die Finanzmittel der Solidargemeinschaft ergäben. Selbst wenn eine Eignung insofern angenommen würde, weil durch die Quersubventionierung mittelbar besonders leistungsstarke freiwillige Mitglieder gebunden werden, ist die Ungleichbehandlung insofern zumindest nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Denn der PKV verbleibt kein Monopol mehr im Bereich der Zusatzversicherungen. Diese zusätzlichen und nun weitgehend eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten hatte das BVerfG noch zur Rechtfertigung der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze herangezogen. An diesen Worten muss es sich festhalten lassen.

286

PKV-Verband, Zahlenbericht der privaten Krankenversicherung 2006 / 2007, S. 108.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

(bb) Überschreitung in sachlicher Hinsicht Durch die Wahltarife werden Leistungen in das Angebot der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, die vom Sozialstaatsgebot nicht vorgegeben sind. Gerade die Tatsache, dass es sich um Wahltarife handelt, zeigt, dass die entsprechenden Leistungen über das sozialstaatlich Gebotene hinausgehen. Dies gilt offensichtlich für die Kostenerstattung und die besonderen Therapierichtungen, die von den Krankenkassen ja auch nicht zwingend angeboten werden müssen. Auch die Einführung des obligatorischen Wahltarifs Krankengeld kann nicht durch sozialstaatliche Ziele gerechtfertigt werden. Ein Anspruch auf Krankengeld gehört schließlich nur für diejenigen gemäß § 44 SGB V zum zwingenden Leistungskatalog, für die er erforderlich ist. Das vom BGH betonte Prinzip der Subsidiarität der gesetzlichen Krankenkassen wird durch die Einführung von Wahltarifen ebenfalls nicht eingehalten. Zusatzversicherungen mit identischen Leistungen konnten nämlich bereits vorher bei den privaten Krankenversicherungen abgeschlossen werden. Die PKV war in der Vergangenheit in der Lage, Bedürfnisse nach ergänzendem Schutz durch Krankentagegeldversicherungen zu befriedigen, und wird hierzu auch zukünftig in der Lage sein. Insoweit fehlt es an der Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung gegenüber der GKV. Auch die privaten Vollversicherungen bieten einen Umfang, der demjenigen der gesetzlichen Versicherung mit Wahltarifen entspricht. Die Erhöhung der Wahlmöglichkeiten für die Versicherten kann die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht rechtfertigen.287 Die PKV bietet eine Vielzahl von Zusatzversicherungen für gesetzlich Versicherte an. Es besteht ein funktionierender privater Markt, der hinreichende Wahlmöglichkeiten für alle Versicherten bietet. Dem Gesetzgeber ist es sicherlich nicht verwehrt, die GKV im Interesse der Pflichtversicherten attraktiver zu machen. Entsprechende Maßnahmen müssen sich aber auf den verpflichtenden Leistungskatalog der GKV beziehen. Zusatzleistungen können sich die gesetzlich Versicherten hingegen ohne Nachteile auf dem privaten Versicherungsmarkt beschaffen.288 (cc) Überschreitung hinsichtlich der Mittel Schwerstwiegendes Monitum ist schließlich die Überschreitung der Rechtfertigungsmaßstäbe hinsichtlich der Wahl der Mittel. Das Solidarprinzip wird durch die Einführung der Wahltarife eingeschränkt. Wie dargestellt [I. 4. h) dd)] wird sowohl in die horizontale als auch in die vertikale Solidarität massiv eingegriffen, um Wettbewerb herzustellen. Gesunde und einkommensstarke Mitglieder erhalten einen Bonus auf Kosten der kranken und einkommensschwachen Mitglieder, obEbenso Isensee, NZS 2007, 449, 454. Siehe Isensee, NZS 2007, 449, 454: „Der grundrechtsschonende Weg, die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Sozialversicherten zu erweitern, bestünde darin, daß die Kassen sich aus dieser Materie zurückziehen und sie dem Markt überlassen.“ 287 288

2. Materielle Verfassungswidrigkeit

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wohl sie den gleichen Beitragssatz zahlen sollen. Es ist nämlich aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen wirtschaftlich sinnvoll und rechtlich nicht sanktioniert, die leistungsstarken Mitglieder durch quersubventionierte Wahltarife an sich zu binden. Im Ergebnis führen die Selbstbehalt- und Beitragsrückerstattungstarife nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V zu niedrigeren Beiträgen für gesunde Mitglieder, die Wahltarife nach § 53 Abs. 4, Abs. 5 und Abs. 6 SGB V zu Mehrleistungen für einkommensstarke Mitglieder. Beide Boni werden durch die Beiträge der kranken und einkommensschwachen Mitglieder quersubventioniert. Genau damit aber entfällt die Rechtfertigung für das System der gesetzlichen Krankenkassen. Wenn auch die gesetzlichen Krankenkassen Wettbewerb auf Kosten des Solidarprinzips betreiben, nähern sie sich dem System der privaten Krankenversicherungen an. Mit dem Argument der Sicherstellung der Grundsätze der Solidarität und des sozialen Schutzes lässt sich die Differenzierung zwischen den öffentlichen und den privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht mehr rechtfertigen. Dies gilt in erster Linie für die Bereiche, in denen schon jetzt Konkurrenz zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV besteht, also im Hinblick auf Vollversicherungen für freiwillig Versicherte und Zusatzversicherungen für alle Mitglieder. Letztlich ist damit jedoch auch zur Diskussion gestellt, ob unter diesen Umständen überhaupt noch die viel größere Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann, die darin besteht, dass die Krankenversicherungen der PKV den Pflichtversicherten überhaupt keine Vollversicherungen anbieten dürfen. Die Pflichtversicherung selbst ist in Frage gestellt. Offensichtlich steht einer Abschaffung der Pflichtversicherung zunächst das Schutzbedürfnis der einkommensschwachen Pflichtversicherten entgegen, die zur Finanzierung ihrer Gesundheitsvorsorge darauf angewiesen sind, dass auch einkommensstärkere Pflichtmitglieder in das System der gesetzlichen Gesundheitsvorsorge einzahlen. Die derzeitige Form der gesetzlichen Krankenversicherungen verfolgt aber nicht mehr ausschließlich dieses Ziel, sondern hält einen Wettbewerb auf Kosten des Solidarprinzips im Bereich der Wahltarife für wichtiger. Dass darin ein Verstoß gegen die Handlungsfreiheit derjenigen Pflichtmitglieder liegt, die über ihre Pflichtbeiträge die Sonderleistungen der Wahltarif-Mitglieder trotz der – faktisch unerfüllbaren und tatsächlich nicht erfüllten Forderung des § 53 Abs. 9 SGB V – mitfinanzieren, wurde bereits oben angesprochen [oben I. 4. d)]. Solange dieser Zustand anhält, gibt es aber auch keinen rechtfertigenden Grund für die Pflichtversicherung in der GKV. Deren solidarische Haftung setzt notwendig den gleichen Leistungsstandard für alle voraus; einem Pflichtmitglied kann nicht aufgebürdet werden für den Sondervorteil Einzelner durch seinen Beitrag mit einzustehen. Das Verbot der Quersubventionierung ist damit kein freundliches Entgegenkommen des Gesetzgebers gegenüber dem GKV-Versicherten, der sich gegen einen Wahltarif entscheidet, sondern entspricht zwingender verfassungsrechtlicher Vorgabe. Weil es nicht eingehalten wird und auch nicht werden kann, können sämtliche oben genannten Ungleichheiten nicht mehr gerechtfertigt werden.

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

(dd) Fazit Durch die Möglichkeit der Wahltarife ist also eine fundamentale Änderung im Verhältnis von gesetzlicher und privater Krankenversicherung eingetreten. Zuvor war eine klare Trennung beider Systeme vom Gesetzgeber angelegt. Die gesetzliche Krankenversicherung beruhte dabei auf dem Solidaritätsgedanken. Daraus rechtfertigte sich die ungleiche Behandlung im Hinblick auf den Versicherungszwang, die Steuerpflichten und die Kalkulation der Tarife. Durch die Einführung der Wahltarife wird der Solidaritätsgedanke erheblich eingeschränkt. Kranke zahlen im Ergebnis mehr als Gesunde, Einkommensschwache verhältnismäßig mehr als Einkommensstarke. Auch der Leistungsumfang ist nicht mehr auf das sozialstaatlich Gebotene beschränkt. Die gesetzliche Krankenkasse richtet sich mit ihren neuen und attraktiven Angeboten vor allem an die einkommensstarken Mitglieder, die weder eines besonderen Schutzes noch einer Quersubventionierung bedürfen. Vor allem durch die weitgehende Einschränkung des Solidaritätsgedankens werden die Produkte der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung einander angenähert. Eine Ungleichbehandlung kann unter diesen Umständen nicht mehr gerechtfertigt werden. bb) Berufsfreiheit (1) Eingriff in den Schutzbereich Wie bereits kurz dargelegt, liegt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG nicht bereits bei jeder wirtschaftlichen Betätigung des Staates ein Eingriff in die Berufsfreiheit vor. Denn Art. 12 Abs. 1 GG gewährt in erster Linie einen Schutz gegen hoheitliche Eingriffe, nicht gegen wirtschaftliche Konkurrenz des Staates im Wettbewerb mit den Privaten.289 Zumindest die Errichtung und das Fortbestehen von Monopolen sind aber in ständiger Rechtsprechung als Eingriffe anerkannt.290 Das BVerwG geht darüber hinaus von einem Eingriff aus, wenn durch den Staat ein Verdrängungswettbewerb stattfindet oder eine Auszehrung der Konkurrenz die Folge der staatlichen Aktivität ist.291 Dem folgt die herrschende Ansicht in der Literatur. Ganz überwiegend wird angenommen, dass es einen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt, wenn die öffentliche Hand ihre Strukturvorteile im Wettbewerb einsetzt.292 289 BVerfG v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532 / 77 u. a., BVerfGE 50, 290; BVerwG v. 22. 2. 1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329. 290 BVerfG v. 4. 4. 1967 – 1 BvR 126 / 65, BVerfGE 21, 245; BVerwG v. 22. 2. 1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329. 291 BVerwG v. 1. 3. 1978 – VII B 144.76, NJW 1978, 1539. 292 Manssen in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 83; Dreier / Wieland, Art. 12 Rn. 89; sogar darüber hinausgehend: Jarass / Pieroth, Art. 12 Rn. 16; Scholz in Maunz / Dürig, GG, Art. 12 Rn. 412; Di Fabio in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1 Rn. 122.

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Wie bereits angesprochen hatte der BGH bereits unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsrechts über eine sehr ähnliche Konstellation zu entscheiden: Einzelne gesetzliche Krankenkassen unterhielten eine Selbstabgabestelle für Brillen, in der sie in gleicher Weise wie Optiker Brillen an ihre Versicherten ausgaben. Der BGH sah darin einen Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Optiker, die deshalb einen Unterlassungsanspruch gegen die Krankenkassen aus § 1 UWG hätten.293 Ein Eingriff liegt daher zumindest dann vor, wenn der Staat bei seiner wirtschaftlichen Betätigung spezifische Strukturvorteile, die ihm aus seiner öffentlichrechtlichen Funktion und den damit zusammenhängenden Ressourcen erwachsen, ausnutzt und damit gegenüber privaten Wettbewerbern, die hierauf nicht zurückgreifen können, Wettbewerbsvorteile erlangt.294 Der Staat verhält sich dann nicht marktkonform. Eine solche wirtschaftliche Betätigung müssen private Unternehmen nicht wie (marktkonformes) Verhalten privater Konkurrenten hinnehmen, sie ist vielmehr am Maßstab der Grundrechte zu überprüfen. Dies ist bei den Wahltarifen der Fall. (2) Rechtfertigung Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Dies folgt aus den oben dargestellten Erwägungen. Eine bevorzugte Stellung der GKV kann auch im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG nur unter den oben genannten Beschränkungen in personeller, sachlicher und methodischer Hinsicht gerechtfertigt werden. Das vom Gesetzgeber genannte Ziel, die Wettbewerbsposition der GKV gegenüber der PKV zu stärken, ist von vornherein nicht geeignet, die Ausnutzung spezifischer Vorteile der GKV im Wettbewerb mit der PKV zu rechtfertigen. Die Stärkung der Wettbewerbsposition ist nur bei marktkonformen Verhalten ein legitimes Ziel. Der Staat muss im Bereich der Zusatzversorgung, in der er nicht aus sozialstaatlichen Gründen tätig werden muss, auf die legitimen Interessen der PKV Rücksicht nehmen. Hierzu gehört zumindest, dass der Staat Maßnahmen unterlässt, die der GKV ein nicht marktkonformes Tätigwerden ermöglichen. Letztlich werden die faktischen und rechtlichen Vorteile, die die GKV genießt, zweckentfremdet, wenn sie genutzt werden, um Wettbewerbsvorteile im Markt für Zusatzversicherungen zu erlangen: Die Pflichtversicherung dient sozialstaatlichen Zwecken – nicht dazu, den gesetzlichen Kassen Zugang zu den Daten der Versicherten im Wettbewerb um Zusatztarife zu gewähren. Die Steuerbegünstigung und sonstige Vorteile dienen dazu, den sozialstaatlichen Auftrag der GKV zu erleichtern – nicht dazu, den gesetzlichen Kassen ein günstigeres Angebot von Zusatzleistungen zu ermöglichen.

BGH v. 18. 12. 1981 – I ZR 34 / 80, BGHZ 82, 375. von Maydell / Karl, S. 34; Manssen in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Art. 12 Rn. 83. 293 294

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

i) Gesamtbetrachtung Über die dargelegten Verfassungsverstöße durch einzelne Regelungskomplexe des GKV-WSG hinaus verletzen die die PKV mittelbar und unmittelbar betreffenden Regelungen in ihrer Gesamtheit die privaten Versicherungsunternehmen in ihrer Berufsfreiheit und, sofern sie als VVaG organisiert sind, auch in ihrer Vereinigungsfreiheit. Durch die Einführung des Basistarifs und schon vorher durch Öffnung des Standardtarifs erzwingt der Gesetzgeber ein Abweichen von der risikoorientierten Kalkulation der PKV zugunsten der Einführung „sozialer“ Elemente in der Prämiengestaltung. Die Begrenzung der Prämienhöhe im Basistarif / Standardtarif führt dazu, dass die Prämien ab einem gewissen Alter die Krankheitskosten der betreffenden Alterskohorten nicht mehr decken. Der Ausfall muss durch Umlage auf die Normaltarife ausgeglichen werden. Damit wird das System der PKV vom stetigen Eintritt junger und daher in der Regel gesunder Versicherter abhängig. Es nähert sich dem umlagefinanzierten System der GKV an. Hieraus muss der Gesetzgeber Konsequenzen ziehen. Dies hat das BVerfG schon in einer der Entscheidungen zur Pflegeversicherung deutlich festgehalten. In BVerfGE 103, 271 (291) heißt es: „Allerdings können die vom Gesetzgeber der privaten Pflegeversicherung durch § 110 SGB IX gesetzten sozialen Begrenzungen, die ihr nach der Stellungnahme des Verbandes der privaten Krankenversicherung schon jetzt eine teilweise Umlagefinanzierung abverlangen, sowie der Umstand, dass auch die private Pflegeversicherung als Pflichtversicherung ausgestaltet worden ist, angesichts der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung dazu führen, dass auch dieser Zweig der Pflegeversicherung in seiner Finanzierung immer stärker von Umlageelementen geprägt sein wird und sich insoweit der sozialen Pflegeversicherung angleichen könnte. Deshalb hat der Gesetzgeber zu prüfen, ob nicht auch die Funktionsfähigkeit der privaten Pflegeversicherung auf längere Sicht entscheidend davon abhängt, dass in ausreichendem Maße neue Prämienzahler nachwachsen.“

Diese Ausführungen lassen sich auf die private Krankenversicherung übertragen. Das System bricht zusammen, wenn immer mehr älteren und kranken Versicherten immer weniger junge, gesunde Versicherte gegenüberstehen, weil nur durch die Belastung junger, gesunder Menschen die Begrenzungen im Basis- und Standardtarif finanziert werden können. Dies hat Hans-Jürgen Papier bereits vor einigen Jahren erkannt: „Die Ergänzung des Kapitaldeckungsprinzips durch ein . . . System des Risikoausgleichs [wie es jetzt vorgesehen ist, siehe § 12g VAG-E, Anm. Verf.] setzt mehr denn je voraus, dass den Unternehmen der privaten Krankenversicherung zur Finanzierung des Ausgleichs stets eine hinreichende Zahl jüngerer Versicherungsnehmer zur Verfügung stünde.“295 Für den Gesetzgeber folgt daraus die Verpflichtung, die Funktionsfähigkeit der privaten Krankenversicherung nicht dadurch zu gefährden, dass er das Nachwachsen neuer Prämienzahler aktiv beeinträchtigt. Genau dies tut der Gesetzgeber aber, 295

Papier, S. 23.

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wenn er einen Wechsel in die PKV erst nach einem dreimaligen Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze zulässt. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber durch das Kündigungsverbot und die Verpflichtung zur Notversorgung den privaten Krankenversicherungsunternehmen zusätzliche finanzielle Belastungen aufbürdet. Auch diese Belastung muss durch die Versicherungsunternehmen kompensiert werden. Außerdem erleichtert es die Einführung der Portabilität guten Risiken, die Solidargemeinschaft ihres Unternehmens zu verlassen. Unternehmen, die von negativer Risikoselektion betroffen sind, wird es zusehends schwerer fallen, die von ihnen zu erfüllende Aufgabe der Absicherung des Krankheitsrisikos wahrzunehmen und dabei die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen „sozialen“ Anforderungen zu erfüllen. All dies führt zu erheblichen Belastungen der PKV und gegebenenfalls sogar zur Existenzgefährdung einzelner Unternehmen. Diese Belastungen überschreiten die Grenze der Verhältnismäßigkeit. Ihnen steht kein in sich schlüssiges gesetzgeberisches Konzept, das die Beeinträchtigung in ihrer Gesamtheit rechtfertigen könnte, gegenüber. Im Gegenteil, die Regelungen des GKV-WSG sind bei einer Gesamtbetrachtung widersprüchlich: Der Gesetzgeber verpflichtet die PKV durch Basistarif und Kündigungsverbot zur Einführung sozialer Elemente, gleichzeitig erschwert er ihr die Finanzierung durch Behinderung des Nachwachsens von Prämienzahlern. Er verpflichtet die PKV zur Aufnahme schlechter Risiken im Basistarif, zerstört aber gleichzeitig durch Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen das in Jahrzehnten bewährte Mittel der PKV zur Gewährleistung langfristiger, beitragsstabiler Absicherung des Krankheitsrisikos. Er will mehr „fairen“ Wettbewerb und verbessert durch die Erweiterung der Wahltarife – unter Verstoß gegen die Kompetenznormen des Grundgesetzes – die Wettbewerbssituation der GKV, führt aber gleichzeitig gleichheitswidrige, einseitige Subventionen der GKVein. Hinzu kommt, dass die PKV schon bei vorangegangenen „Reformen“ in der Gesundheitspolitik durch Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze belastet wurde. Die jeweiligen Erschwerungen der Betätigung der privaten Krankenversicherer mögen isoliert betrachtet grundrechtlich noch zu rechtfertigen gewesen sein – in ihrer Summe überschreiten die Belastungen aber mittlerweile die Grenze des grundrechtlich Zulässigen. Udo Steiner hat zutreffend angemerkt, dass die auf punktuelle Kontrolle gerichtete Verfassungsgerichtsbarkeit für eine Kontrolle zeitlich gestufter „additiver“ Grundrechtseingriffe strukturell nicht optimal geeignet ist.296 Eine Kontrolle ist aber zur Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes notwendig – und das BVerfG hat daher auch schon in früheren Entscheidungen die Relevanz additiver Grundrechtseingriffe anerkannt.297 Ansatzpunkt der Steiner, A&R 2007, 147, 148. Urt. v. 12. 4. 2005 – 2 BvR 581 / 01, BVerfGE 112, 304 (Global Positioning System im Ermittlungsverfahren); vgl. auch die strukturell ähnliche Argumentation in 22. 6. 1995 – 2 BvL 37 / 91, BVerfGE 93, 121 (Vermögenssteuer: Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung des Vermögens). 296 297

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II. Verfassungsrechtliche Würdigung

Überprüfung weiterer Freiheitseinschränkungen muss also immer wieder aufs Neue die vom Grundgesetz garantierte ursprüngliche Freiheit sein und nicht der schon bestehende Zustand äußerster Freiheitseinschränkung. Die Belastungen der Versicherungsunternehmen führen zwangsläufig zu Belastungen der bei ihnen Versicherten. Diese werden die Zusatzbelastungen mit höheren Prämien finanzieren müssen. Auch ihnen gegenüber sind die Belastungen durch das GKV-WSG daher nicht zu rechtfertigen. Zu berücksichtigen ist weiter die Wechselwirkung zwischen der Beitragsbegrenzung im Basistarif und den steuerfinanzierten Zahlungen an die GKV. Die Zahlungen an die GKV führen dazu, dass der Höchstbeitrag der GKV geringer ist, als er es ohne die Steuerzuschüsse wäre. Dies führt mittelbar zu einer erhöhten Belastung der Versicherungsunternehmen und der Versicherten: Denn die Höchstgrenze des Basistarifs wird durch den Höchstbeitrag der GKV bestimmt. Je niedriger dieser ist, desto höher ist der Subventionsbedarf im Basistarif. Die in den Normaltarifen Versicherten werden also doppelt belastet: Sie finanzieren als Steuerzahler den Zuschuss zur GKV. Gleichzeitig profitieren sie nicht nur nicht von diesen Zahlungen (da es keine Zuschüsse an die PKV gibt), die Steuerzuschüsse schaden ihnen mittelbar sogar.

III. Zusammenfassung 1. Die die PKV betreffenden Regelungen des GKV-WSG sind mangels Gesetzgebungskompetenz formell verfassungswidrig, da die Regelungen in ihrer Gesamtheit die PKV derart massiv umgestalten, dass sie nicht mehr als Regelung des privatrechtlichen Versicherungswesens angesehen werden können. Der „fundamentale Systemunterschied“ zwischen GKV und PKV, den das BVerfG zuletzt noch in seiner Entscheidung vom 13. 2. 2008 (2 BvL 1 / 06) beschworen hat, ist insbesondere beim Basistarif nicht mehr feststellbar. Die wertende Gesamtschau kann keine hinreichende Nähe zum Idealtypus feststellen, so dass bei der Versicherung im Basistarif noch von „privatrechtlichem Versicherungswesen“ gesprochen werden könnte: Kontrahierungszwang, drittbestimmte Leistungen und Prämienhöhen, Abweichung vom Versicherungsprinzip durch den Ausschluss von Risikozuschlägen und der Ausschluss von Kündigungen auch bei dauerhafter Säumnis der Prämie widersprechen dem Wesen der Privatversicherung elementar. Die angegriffenen Regelungen der Wahltarife sind inhaltlich nicht mehr der Sozialversicherung zugehörig und konnten daher ebenfalls nicht kompetenzgemäß erlassen werden. 2. Die Öffnung des Basistarifs für gesetzlich Versicherte und Personen, denen die gesetzliche Versicherung offen steht, ist nicht erforderlich, jedenfalls unangemessen: Die Regelung führt allein zu einer Begünstigung bestimmter Personen zulasten der Solidargemeinschaft der Versicherten. 3. Die generelle Höchstgrenze im Basistarif ist unangemessen, da sie dazu führen kann, dass Personen mit höherem Einkommen von Personen mit niedrigem Einkommen subventioniert werden. Auch der Wohlhabende kann sich im Basistarif versichern; der weniger wohlhabende „Normalversicherte“ muss dies mit seinen Beiträgen finanzieren. Unabhängig davon, wie hoch diese Quersubventionierung ausfällt: Der Solidargedanke wird pervertiert. Zumindest langfristig wird dieser Quersubventionierungsbedarf zudem erheblich sein, da aufgrund der unterschiedlichen Steigerungsraten der Beiträge in der PKV und der GKV und den politischen Steuerungsinstrumenten, die den GKV-Höchstbeitrag langfristig „deckeln“, es für mehr und mehr Versicherte interessant sein wird, in den Basistarif zu wechseln. Dass eine solche Wechselwilligkeit tatsächlich in erheblichem Ausmaß droht, konnte empirisch überzeugend nachgewiesen werden. 4. Die Halbierung der Höchstprämie bei Hilfebedürftigkeit ist ebenfalls unangemessen: Der Staat kann die Unterstützung von hilfebedürftigen Personen nicht finanziell der PKV aufbürden: Es ist eine Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft insgesamt, nicht der übrigen Privatversicherten. Darüber hinaus ist die Regelung in sich nicht folgerichtig und schon deshalb nicht verhältnismäßig.

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III. Zusammenfassung

5. Der Basistarif greift in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte der Versicherungsunternehmen und der Versicherten ein. Ihm fehlen alle Elemente der Privatautonomie; materiell ist er (partiell) eine Sozialleistung, zu deren Durchführung und Finanzierung sich der Staat der privaten Versicherungsunternehmen und ihrer Kunden bedient. Für die Rechtfertigung dieser Inanspruchnahme von Privatpersonen fehlt es schon an der notwendigen sachlichen Nähe zu den Begünstigten. 6. Die verfassungsrechtlichen Einwände gelten überwiegend auch für den modifizierten Standardtarif. 7. Der Ausschluss jeder Kündigung wäre allenfalls dann verhältnismäßig, wenn bei Prämienverzug das Versicherungsverhältnis bis zum Ausgleich der Zahlungsrückstände vollständig ruhen würde. Die Verpflichtung zum Aufwendungsersatz für eine Notversorgung auch während eines Zahlungsrückstandes ist hingegen unangemessen. Notversorgung kann auch die Herztransplantation sein; die finanziellen Konsequenzen sind erheblich. Der Anreiz zur Beitragszahlung wird deutlich gemindert und die Gefahr der Beitragsausfälle somit deutlich erhöht. Bei dauerhafter Säumnis erfolgt die dauerhafte Subventionierung durch die Versichertengemeinschaft. 8. Die zwingende Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen in Neuverträgen ist mit den Grundrechten der privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht vereinbar. Die Maßnahme ist zur Förderung des Wettbewerbs schon nicht geeignet. Sie ist jedenfalls nicht erforderlich, weil als milderes Mittel in Betracht kommt, das Versicherungsunternehmen zum Angebot von Verträgen mit portablen Alterungsrückstellungen zu verpflichten, ohne Verträge ohne Portabilität auszuschließen. Jedenfalls ist die Neuregelung unangemessen. Sie begünstigt massiv die Risikoselektion und entwertet damit die private Krankenversicherung als Instrument zur lebenslangen Absicherung des Krankheitsrisikos. Sie gefährdet die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge und destabilisiert den Krankenversicherungsmarkt. Angesichts der allenfalls minimalen Förderung des Wettbewerbs und der Tatsache, dass von der erweiterten Wechselmöglichkeit ohnehin nur gute Risiken Gebrauch machen werden, ist die Regelung offensichtlich unangemessen. 9. Die Einführung der Portabilität bei Altverträgen für einen Zeitraum von sechs Monaten unterliegt ebenfalls erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies galt in besonderem Maße für die ursprüngliche gesetzliche Regelung, die einen Wechsel in einen Normaltarif bei einem anderen Unternehmen ermöglichte: Da hierdurch auch für Altverträge das Problem der Risikoselektion erheblich verschärft wurde, verloren die Altverträge faktisch ihren Charakter als Verträge über die langfristige Absicherung des Krankheitskostenrisikos. Weder die Versicherungsunternehmen noch die Versicherten hatten aber Gelegenheit, hierfür Vorsorge zu treffen. Die Portabilisierung war auch nicht etwa als Maßnahme zum Schutz des Eigentums der Versicherungsnehmer gerechtfertigt. Art. 14 GG fordert nicht, dass den Versicherungsnehmern ein kalkulierter Anteil an der Alterungsrückstel-

III. Zusammenfassung

161

lung individuell zugeordnet wird. Die ursprüngliche Portabilisierungsregelung verletzte gerade umgekehrt die Eigentumsfreiheit der Altkunden, weil sie den Anspruch auf Absicherung des langfristigen Krankheitsrisikos entwertete. Durch die Änderungen der Kalkulationsverordnung im Jahr 2008 wurde die Problematik erheblich entschärft, weil ein Wechsel in Normaltarife nachteilsfrei erst nach 18 Monaten möglich ist. Es bleibt aber jedenfalls bei dem weiteren Problem, dass die Stornowahrscheinlichkeiten der Bestandsverträge auf der Basis nicht portabler Alterungsrückstellungen kalkuliert worden waren. Wird nun rückwirkend Portabilität eingefügt, erweist sich diese Kalkulation zwangsläufig als falsch. 10. Die Subventionierung der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder in der GKV verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 6 Abs. 1 GG, solange nicht den privat Versicherten eine entsprechende Vergünstigung gewährt wird. Wenn der Gesetzgeber die Unterstützung der Krankenversicherung von Kindern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansieht, darf er nicht zwischen GKV und PKV differenzieren. Ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund fehlt. 11. Die Zahlungen an die GKV stellen auch eine gleichheitswidrige Benachteiligung der privaten Krankenversicherungsunternehmen in ihrer im Wettbewerb mit der GKV ausgeübten beruflichen Tätigkeit dar. 12. Mit dem Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze bezweckt der Gesetzgeber die „Stärkung des Solidarprinzips“ in der GKV. Es soll verhindert werden, dass Personen, die jahrelang die Solidarität in der GKV in Anspruch genommen haben, die GKV nach Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze sehr schnell verlassen können. Die getroffene Regelung geht allerdings über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinaus und ist schon daher verfassungswidrig, weil sie auch Personen betrifft, die vor Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze niemals oder nur für kurze Zeit gesetzlich versichert waren. 13. Die Einführung von Wahltarifen für Kostenerstattung, besondere Therapierichtungen und Krankengeld (§ 53 Abs. 4 bis 6 SGB V) verletzen die privaten Krankenversicherungsunternehmen in ihren Grundrechten aus Artt. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG. Mit den Wahltarifen ist eine Ungleichbehandlung von GKV und PKV und eine Einschränkung der beruflichen Tätigkeit der privaten Krankenversicherungsunternehmen verbunden, die sich nicht durch die sozialstaatlichen Aufgaben der GKV rechtfertigen lassen. Die Einführung der Wahltarife führt zu einer Einschränkung der die GKV prägenden Solidarität zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Versicherten. Auch deshalb können die mit den Wahltarifen verbundenen Belastungen der PKV nicht gerechtfertigt werden. 14. Die Belastungen der Versicherungsunternehmen und der Versicherten durch die Neuregelungen des GKV-WSG überschreiten in ihrer Gesamtheit die Schwelle des Zumutbaren. Selbst wenn jeder einzelne dieser Eingriffe fälschlich als „noch hinnehmbar“ eingestuft werden sollte, so zeigt doch die Belastung, die sich insgesamt ergibt, dass hier das durch hinreichende Gründe rechtfertigbare Maß über-

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III. Zusammenfassung

schritten wird: Jede einzelne Regel mag zumutbar sein, sie alle zusammen sind es nicht. Der additive Grundrechtseingriff durch die Vielzahl der Regelungen schafft eine eigenständige Belastung: Durch die Ausdehnung der Jahresarbeitsentgeltgrenze auf drei Jahre verschiebt sich der mögliche Wechsel in die private Krankenversicherung und damit die Gesamtzahl möglicher Versicherter. Zudem verringert sich damit für den später Neu-Versicherten die Möglichkeit, Alterungsrückstellungen aufzubauen. Durch den späteren Eintritt wird die Versicherungsprämie teurer, und erheblich teurer noch wird gerade der Beitrag in jungen Jahren durch die Kalkulation unter Mitgabe der Alterungsrückstellungen. Wiederum teurer wird der Beitrag durch die Pflicht zur Quersubventionierung der im Basistarif Versicherten, die zu einem großen Teil ihren Beitrag nicht zahlen werden. Massive Subventionen senken demgegenüber den Beitrag in der GKV, die zudem mit ihren Wahltarifen strukturell vergleichbare Tarife wie die PKV anbieten kann. Jede dieser einzelnen Maßnahmen ist für sich nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insgesamt sind sie es erst recht nicht.

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Sachwortverzeichnis Alterungsrückstellungen 18 ff. – als Bilanzposten 18, 117 – Individualisierbarkeit 118 ff. – Portabilität siehe Portabilität der Alterungsrückstellungen – rechtliche Rahmenbedingungen 18 f. – Vererbung 19 ff. Basistarif 27 ff. – Auswirkungen 38 ff. – Kontrahierungszwang 28 f. – Mehraufwendungen 31, 42 – Prämienbegrenzungen 29 ff. – Unterschiede zum bisherigen Standardtarif 43 f. – verfassungsrechtliche Beurteilung 77 ff., 89 ff. Berufsfreiheit 90 ff., 103 ff., 108 ff., 116 ff., 133 ff., 140 f., 154 ff. Chancengleichheit im Wettbewerb 141 ff. Chefarztbehandlung 64 Drohung 97 Eigentumsfreiheit 117 ff., 125 ff. Erfüllbarkeit, dauernde 114 Familienlastenausgleich 131 ff. Freiwillig gesetzlich Versicherte 91 ff., 143 Gemeinsamer Bundesausschuss 80, 97 f. Gesetzgebungskompetenz – für die Neuregelung der PKV 77 ff. – für die Wahltarife 86 ff. Gesetzliche Krankenversicherung – Sicherung der Stabilität und Finanzierbarkeit 92 – Unterschiede zur PKV 17, 84, 132, 146 f. – Wettbewerbsvorteile 66 ff.

Gleichheitssatz, allgemeiner 102 f., 141 ff. Grundrechtseingriff, additiver 157 f. Hilfebedürftigkeit 30, 106 Indienstnahme Privater 95 f. Jahresarbeitsentgeltgrenze 36 f. – Auswirkungen der Neuregelung 62 f. – verfassungsrechtliche Beurteilung der Neuregelung 136 ff. Kalkulationsfreiheit 90 Kindermitversicherung, beitragsfreie 129 ff. Kontrahierungszwang 79 – genereller 28 – zeitlich beschränkter (Altkunden) 29 Krankheitskosten – Korrelation mit Lebensalter 18 Kündigung des Versicherungsvertrages – außerordentliche 32 – ordentliche 17 Kündigungsausschluss (Neuregelung) 32 – Auswirkungen 47 ff. – verfassungsrechtliche Beurteilung 83, 103 ff. Lebensversicherung 24, 119 f., 127 Leistungsausschluss 17, 81, 110 Leistungsumfang (Basistarif) – Standardisierung / Fremdbestimmung 27, 97 f. Neuregelungen durch das GKV-WSG 26 ff. – Auswirkungen 38 ff. Notversorgung 32 – Auswirkungen 47 ff. – verfassungsrechtliche Beurteilung 83, 103 ff.

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Sachwortverzeichnis

Pflegepflichtversicherung 77 f. Pflicht zur Versicherung (PKV) 26 f., 78 f. Portabilität der Alterungsrückstellungen – Altverträge 35 f., 58 ff., 116 ff. – Auswirkungen 49 ff. – Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung 51 f. – Mitgabe der individuellen Alterungsrückstellung 52 f. – Neuverträge 33 ff., 49 ff., 108 ff. – Risikoselektion als Konsequenz 50 ff., 110 – unternehmensinterner Wechsel 33, 120 f. – Unternehmenswechsel 33 ff. – verfassungsrechtliche Beurteilung 108 ff. Prämienbegrenzung 83 – generelle 29 f., 93 f. – individuelle 30, 94 f. Preissensibilität 45 f. Private Krankenversicherung – Bedeutung im System der sozialen Sicherheit 25 f. – Geschäftsmodell 16 ff., 39 ff. – Organisation 16 – Unterschiede zur GKV 17, 84, 132, 146 f. Privatrechtliches Versicherungswesen – Gesetzgebungskompetenz 77 ff. Quersubventionierung – Basistarif 100, 133 – Wahltarife 68 ff., 153 Risikoäquivalenz 17 Risikoausgleich (Basistarif) 31, 81 Risikoselektion 21 f., 50 ff., 58 f., 110 – Folgen für den Krankenversicherungsmarkt 57 f. – Folgen für den Wettbewerb 56 f. – Folgen für die Versicherten 54 f. – Folgen für die Versicherungsunternehmen 55 f. – Prognosesicherheit 57 f. Risikozuschlag 17, 81, 110 Rückwirkungsverbot 122 ff., 128 f. Ruhen des Versicherungsschutzes 32, 104 Solidarität 95, 130, 137 f., 154 – horizontale 73 f., 152

– Sicherung der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft 136 f., 151 – vertikale 74 f., 52 Sonderabgabe 101 ff. Sozialstaat 91, 107, 111, 115, 131, 136 Sozialversicherung – Gesetzgebungskompetenz 86 ff. – Versicherungspflicht 37, 72, 136 ff., 153 Standardtarif – früherer Standardtarif 25 – modifizierter Standardtarif 32, 46 f. – verfassungsrechtliche Beurteilung 103 Stornowahrscheinlichkeit – Korrelation mit Versicherungsdauer 20 f. – prämienmindernde Berücksichtigung 20, 49 f., 60 f., 124 Täuschung 97 Typisierung 139 ff. Übertragungswert 34 Vereinigungsfreiheit 98 ff., 107 f., 115 f., 125, 129 Vererbung – Begriff 19 – Konsequenzen 20 ff. – wirtschaftstheoretische Erklärung 22 ff. Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 16, 98 f. Vertragsfreiheit 16, 90, 96, 102 f., 122 f. Vorerkrankung 82 Wahltarife 37 f. – Auswirkungen 63 ff. – Beitragsrückerstattung 74 f. – besondere Therapierichtungen 65 – Einführung durch die GKV 65 f. – Entsolidarisierung in der GKV 73 ff. – Kostenerstattung 63 f., 75 f. – Krankengeld 65 – Selbstbehalt 74 f. – verfassungsrechtliche Beurteilung 85 f., 141 ff. – Wettbewerbsvorteile der GKV 66 ff., 155 Wechselmöglichkeit 109 ff. Wettbewerb – innerhalb der PKV 56 f., 109 – zwischen GKV und PKV 133 ff.

Sachwortverzeichnis Zahlungen des Bundes an die GKV 36 – Auswirkungen 61 f. – verfassungsrechtliche Beurteilung 129 ff. Zahlungsverzug 48 f., 106 f.

Zusatzversicherung – Anspruch auf Abschluss 36 – Angebot der PKV 63 ff., 142 f. Zwei-Bett-Zimmer 64

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