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German Pages 192 Year 1999
Linguistische Arbeiten
404
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Nora Wiedenmann
Versprecher: Dissimilation von Konsonanten Sprachproduktion unter spatio-temporalem Aspekt
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wiedenmann, Nora: Versprecher : Dissimilation von Konsonanten ; Sprachproduktion unter spatiotemporalem Aspekt / Nora Wiedenmann. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Linguistische Arbeiten ; 404) Zugl.: München, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-484-30404-9
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebeirechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Nadele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
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1. Dissimilation bei verschiedenen Autoren 1.1. Dissimilation als Phänomen des Sprachwandels 1.1.1. Zu Grammont (1895) 1.1.2. Zu Schopf (1919) 1.1.3. Zu Posner (1961) 1.2. Dissimilation in der Versprecherforschung 1.2.1. Dissimilationen in Meringers Sammlungen 1.2.2. Zu Kettemanns Behandlung der Dissimilation 1.3. Dissimilation beim Versprechen im Gegensatz zu Similation
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2. Kasuistiken zu Dissimilation beim Versprechen 2.1. Kategorisierung der Versprecher 2.1.1. Physiologische Prinzipien und Versprecherkategorisierung 2.1.2. Kategorisierung von Dissimilationen (bzw. Similationen) - pragmatisch eingeführte Kategorien 2.2. Beschreibung der Probanden und ihre Versprecherprofile im Vergleich 2.2.1. Die Probanden: Lebensdaten und sprachliche Fakten 2.2.1.1. Meringer 2.2.1.2. Rida 2.2.1.3. Murko 2.2.1.4. BK 2.2.1.5. IK 2.2.1.6. M 2.2.1.7. N 2.2.2. Vergleichende Statistiken zum allgemeinen Versprechverhalten der Probanden 2.2.2.1. Vergleichende Tabellen und Histogramme 2.2.2.2. Vergleiche mittels Confusion Matrix 2.3. Versprecherdaten: Dissimilation sowie Dissimilation bei gleichzeitig beobachteter Similation; reine Similation 2.3.1. Dissimilatorische Versprecher 2.3.1.1. Elisionen und Dissimilation 2.3.1.1.1. Regressive Dissimilation bei Elision 2.3.1.1.2. Progressive Dissimilation bei Elision 2.3.1.1.3. Ambige Fälle von Dissimilation bei Elision 2.3.1.1.4. Dissimilatorische Elision im Wortanlaut 2.3.1.1.5. Dissimilatorische Elision im Wortinneren, silben-initial 2.3.1.1.6. Dissimilatorische Elision in der Silben-Coda 2.3.1.1.7. Dissimilatorische Elision und Wortakzent 2.3.1.2. Substitutive Versprecher und Dissimilation 2.3.1.2.1. Substitutive Antizipationen und Repetitionen mit Dissimilation ..
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VI 2.3.1.2.1.1. Regressive versus progressive Dissimilation bei substitutiven Antizipationen und Repetitionen 56 2.3.1.2.1.2. Ambige Fälle von Dissimilation bei substitutiven Antizipationen und Repetitionen 60 2.3.1.2.1.3. Dissimilatorische Substitution im Wortanlaut 61 2.3.1.2.1.4. Dissimilatorische Substitution im Wortinneren, silben-initial... 64 2.3.2.2.1.5. Dissimilatorische Substitution in der Silben-Coda 67 2.3.1.2.1.6. Dissimilatorische Substitution und Wortakzent 75 2.3.1.2.2. Metathesen und shifts 76 2.3.1.2.2.1. Metathesen als antizipatorische Substitutionen 77 2.3.1.2.2.2. Metathesen mit Dissimilation durch Distanzvergrößerung 78 2.3.1.2.2.3. Shifts als antizipatorische bzw. repetitorische Substitutionen ... 83 2.3.1.2.2.4. Shifts mit Dissimilation durch Distanzvergrößerung 84 2.3.1.3. Epenthetische Versprecher mit Dissimilation durch Distanzvergrößerung 85 2.3.1.3.1. Epenthetische Antizipationen mit Dissimilation durch Distanzvergrößerung 86 2.3.1.3.2. Epenthetische Repetitionen mit Dissimilation durch Distanzvergrößerung 86 2.3.1.3.3. Epenthetische shifts mit Dissimilation durch Distanzvergrößerung 87 2.3.1.4. Sprechgestische Dissimilationen 88 2.3.2. Similatorische Versprecher 91 2.3.2.1. Elisionen und Similation 92 2.3.2.2. Substitutive Versprecher und Similation 92 2.3.2.2.1. Substitutive Antizipationen und Repetitionen mit Similation 93 2.3.2.2.2. Metathesen und shifts mit Similation durch Distanzverringerung 97 2.3.2.3. Epenthetische Versprecher und Similation 99 2.3.2.3.1. Epenthetische Antizipationen und Repetitionen mit Similation ... 99 2.3.2.3.2. Epenthetische shifts mit Similation 101 2.3.2.4. Sprechgestische Similation 103 2.4. Diskussion und Interpretation 108 3. Beschreibung beispielhafter Daten in Termini artikulatorischer Sprechgesten 3.1. Das Sprechgesten-Repertoire 3.2. Beispielhafte Dissimilationen im Vergleich zu einem Schnellsprechsatz und zu Zungenbrechern
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4. Zeitlicher Abstand in Silben zwischen intendiertem und dissimilatorisch elidiertem Konsonanten 4.1. Silbenabstand dissimilatorischer Elisionen je Proband 4.2. Silbenabstand dissimilatorischer Elisionen je Konsonant 4.3. Dissimilatorische Elisionen: weitere Phänomene 4.4. Diskussion und Interpretation
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5. Zusammenfassung
141
Literatur
145
Personen-/Sachregister
153
Appendix
161
0. Einleitung
Die Dissimilation ist seit rund 150 Jahren von sprachwissenschaftlichem Interesse, wird aber seitdem nahezu ausschließlich in Abhandlungen zum Sprachwandel beschrieben. Darin soll sie - neben der Metathesis, der Assimilation und anderen Erscheinungen - der Erklärung lautlicher Wortveränderungen im Verlauf der Geschichte eines Sprachsystems dienen. Assimilation, Metathesis und Dissimilation sind als lautliche Sprachwechsel sowohl zu Vokalen als auch zu Konsonanten beschrieben worden, in 'Kontaktwirkung' (s. u.a. Wurzel (1975); als „différenciation" in Meillet (1901)) oder auch in 'Fernwirkung' zueinander (d.h. als Wirkung über einen Laut oder sogar über mehrere Laute hinweg). Sie sind in einem Sprachsystem jeweils auf den Lautbestand eines Wortes bezogen - nur wenige Autoren berücksichtigen externen Sandhi (z.B. Paris (1898: 82), Schopf (1919: 26)) - und betreffen entweder den Laut oder Lautmerkmale. Entsprechend der Bezeichnung dieser Sprachwechselmechanismen liegt gegenüber einem jeweils früheren Wortzustand bei Assimilation Angleichung eines Lautes an einen anderen bzw. bei Metathesis Lautumstellung vor. Bei Dissimilation - im Gegensatz zu Assimilation - ist die zunächst vorgefundene lautliche Gleichheit aufgehoben worden. Diese Aufhebung der Gleichheit zweier Laute ist zuweilen so weit gegangen, dass einer der beiden Laute sogar ausgefallen ist - die Forscher sprechen dann von Lautschwund. Dissimilatorischer Lautschwund ist zu unterscheiden von Lautverlust, der ursächlich bedingt ist durch Reduktion (u.a. Silverman/Jun (1994)), durch Assimilation (Koartikulation) oder auch (Browman/Goldstein (1992)) durch „Hidden Gestures". Forscher, die sich mit derartigem, lautlichem Sprachwandel befassen, verfolgen die lautliche Form des Wortes in einer Sprache und in Abkömmlingen dieser Sprache im Verlauf unterschiedlicher Epochen. Sie sind dabei auf schriftliche Zeitdokumente angewiesen, aus denen sie auf jeweils eingetretenen Lautwandel schließen, wobei sie zu entscheiden haben, an Hand einer Anzahl von Belegen, ob es sich um allgemein verbreiteten (systematischen) Lautwandel oder doch nur um sporadische Vorkommnisse handelt, die an individuelle Eigenheiten eines Schreibers gebunden sind, oder ob sie es nur mit ««systematischem Auftreten lautlicher Phänomene auf Grund von Schreibfehlern zu tun haben (wie von Schopf (1919), als nur einem Aspekt seiner Arbeit zu vulgärlateinischen Inschriften, beschrieben). In der Sprachwissenschaft wird der Begriff Dissimilation erstmalig von Pott (1833-36) verwendet. Er findet seitdem Eingang in die Grammatik - das Regelwerk eines Sprachsystems -, obwohl es sich bei Dissimilation (ebenso wie bei Metathese) nicht - wie beispielsweise bei 'Mutation' im Walisischen - um regelbasierte Phänomene, also auf Grund von Konventionen, einer Sprache handelt, sondern um Phänomene unwillkürlicher, sprachsystem-inhärenter Art.
Zur Zeit der Junggrammatiker dann werden allgemein sogenannte „Gesetze" zum Lautwandel formuliert und diskutiert. Sie beziehen sich meist auf spezifische Sprachen und Sprachepochen und auf eng umrissene Probleme dabei, z.B. Verners Gesetz zur Lenisierung in unbetonten Silben - zu dissimilatorischem Lautwechsel hat Grassmann (1863) für das Sanskrit und das Griechische sein Gesetz über die Verschiebung der Aspiration bzw. die Deaspiration von Lauten innerhalb des Wortes aufgestellt (s. dazu u.a. Vennemann (1994) und Vennemann (1979)).
2 In der deutschen Grammatik existiert Dissimilation nicht zur regelhaften Bildung kanonischer Laut- oder Wortformen (abgesehen von der 'Auslautverhärtung', aus bestimmter Sicht). Dissimilation ist bei den hier zu untersuchenden Versprecherdaten zunächst ein Strukturphänomen, wobei aber - dies die gewählte Hypothese - dem Prozess des Versprechens (und damit auch dem der Sprachproduktion insgesamt) ein Mechanismus der Dissimilation zu Grunde liegt, der Art, wie er auch für den Sprachwandel in Sprachsystemen ursächlich gewesen sein könnte. Gegenstand der Untersuchung ist also die Dissimilation von Konsonanten, die phonologisch als gleich (oder als zumindest partiell gleich, also als einander ähnlich) beschreibbar sind über 'distinctive features', die - sprachproduktionsorientiert (dabei nunmehr phonetisch betrachtet) - sprechgestischen Kriterien genügen: Die konsonantische Gleichheit bzw. Ähnlichkeit wird entsprechend der Einteilung artikulatorischer Bewegungen nach dem System von Lindner (1975 bzw. 1984), auf der Basis von Zeitlupen-Röntgenfilmaufnahmen (50 Bilder/s) von Sprechabläufen, beurteilt. Die dieser Arbeit zu Grunde liegenden Daten, ausgewählte Versprecher von sieben Sprechern, weisen das Phänomen konsonantischer Dissimilation auf und gestatten, den dahinterstehenden Prozess Dissimilation zu untersuchen sowie möglicherweise seine Ursachen einzugrenzen. Da ich mich in dieser Kasuistik zu dissimilatorischem Versprechen auf konsonantische Dissimilation - im Wesentlichen als Fernwirkung - beschränke, will ich auch den weiteren Verlauf der Historie der Dissimilation im Sprachwandel unter lediglich diesem Aspekt im folgenden Kapitel skizzieren: 1895 erschien Maurice Grammonts Dissertation im Druck: „La dissimilation consonantique dans les langues indo-européennes et dans les langues romanes". Sie wurde sofort viel diskutiert (u.a. in Paris (1898), Hoffmann-Krayer (1907), Brugmann (1909)) und auch später noch eingehend behandelt: s. den Abschnitt zu Schopf (1919) und Posner (1961). Nach der Behandlung dieser Arbeiten bespreche ich bezüglich Dissimilation die Arbeiten zweier Sammler von Versprechern, Rudolf Meringers und Bernhard Kettemanns: - die beiden Bücher Meringers (von 1895 bzw. 1908) zu seinen Versprecher-Corpora, aus denen für diese Kasuistik die Versprecher - und unter ihnen wiederum die dissimilatorischen Versprecher - dreier Sprecher mit größten Versprecheranzahlen extrahiert wurden; - und von 1980 einen Aufsatz Kettemanns, aus dessen Corpus entsprechende Datenmengen zweier Sprecher zur Untersuchung ausgesondert wurden. Anschließend, noch bevor die eigentlich interessierenden Daten statistisch untersucht, bewertet und diskutiert werden, beschreibe ich alle Probanden, also auch die beiden zusätzlichen aus meinem eigenen Versprecher-Corpus, bezüglich ihrer sprachlich und statistisch relevanten Qualitäten, u.a. auf der Basis ihrer allgemeinen Versprecherdaten, mit vergleichenden Statistiken. Eine wie hier vorliegende ex-post-facto-Untersuchung basiert auf Wirkungen natürlicher Bedingungsfaktoren, bei denen bestimmt wird, welche Variable die abhängige und welche die unabhängige ist, bei den Daten an sich und bei den Kontrolldaten; je nach Genauigkeitsgrad der Daten-Dokumentation durch verschiedene Sammler können nicht alle der zahlreichen unabhängigen Variablen, die einen Einfluss auf die ausgewählte abhängige Variable haben könnten, im Nachhinein untersucht werden - Interpretationen mit Schlüssen auf Kausalitäten sind riskant.
3 Eine der ausgewählten Variablen stellt die Art des Konsonanten dar, mit dem sich der Proband versprochen hat. Der Freiheitsgrad (df), sich lautlich zu versprechen, ist schon allein durch die Konsonantenvielfalt des Sprachsystems als eine von möglichen abhängigen Variablen derartig hoch (df = 21 bei 22 Konsonanten im Deutschen), dass die Untersuchungen bei Hinzunahme weiterer abhängiger Variablen trotz scheinbar großer Basis der Versprecherdaten (ca. 1500 lautliche Versprecher) zum Teil lediglich den Charakter von Pilotstudien haben, in denen nach Zusammenhängen psychophysischer Merkmale gesucht wird. Erschwert werden allgemeine Aussagen über Zusammenhänge in der Produktion gesprochener Sprache dadurch, dass im Sprachsystem zu untersuchende Konsonanten mit stark unterschiedlicher, relativer Vorkommenshäufigkeit auftreten: Es ergibt sich bei einem Versprecher im Deutschen für den seltensten Konsonanten ein etwa 15.000-faches Gewicht im Vergleich zu dem für den häufigsten Konsonanten. Das bedeutet aber auch, dass ein DatenCorpus zur Untersuchung eines seltenen Lautes eben entsprechend einem solchen Faktor größer sein muss als für den häufigsten Laut nur notwendig, um auch für den seltenen Laut möglicherweise eine ausreichende Anzahl von Fallbeispielen zu finden. Auf Grund der Datenlage dieser ex-post-facto-Kasuistik können nur Vermutungen, Fragestellungen und Hypothesen zu Versprecherdissimilationen entwickelt werden, die weiterführender Grundlagenforschung zur Sprachproduktion bedürfen.
1. Dissimilation bei verschiedenen Autoren
Im Folgenden werden zum Sprachwandel Arbeiten dreier Autoren gewürdigt und so weit zusammengefasst, als es für diese Arbeit von Bedeutung ist: die Dissertation von Maurice Grammont (1895), La dissimilation consonaniique dans les langues indo-européennes et dans les langues romanes; die Dissertation von Ernst Schopf (1919), Die konsonantischen Fernwirkungen: Fern-Dissimilation, Fern-Assimilation und Metathesis; und die Dissertation von Rebecca R. Posner (1961), Consonantal Dissimilation in the Romance Languages. Zur Dissimilation in der Versprecherforschung gehe ich dann auf Rudolf Meringers Arbeiten ein (Meringer/Mayer (1895) und Meringer (1908)) und auf einen Aufsatz von Bernhard Kettemann (1980). Anschließend spreche ich über das zu den Dissimilationen beim Versprechen parallele Auftreten von 'Similationen'.
1.1. Dissimilation als Phänomen des Sprachwandels
1.1.1. Zu Grammont (1895) Maurice Grammont untersucht konsonantische Dissimilation in Fällen des Sprachwandels der indo-europäischen Sprachenfamilie. Er findet ganz unterschiedliche Anzahlen von Beispielen in den einzelnen Sprachen bzw. in den einzelnen Epochen einer Sprache (Grammont (1895: 10)): So zeigte das Griechische bis auf eine späte Epoche kaum Dissimilationen; auch das Altslawische bot so gut wie gar keine, das Altlatein und das klassische Latein nur wenige und nur dunkler Herkunft. Erst das Spätlatein und besonders das Vulgärlatein ließen in größerer Zahl eindeutige Fälle von Dissimilationen erkennen. Für alle untersuchten Sprachen beschreibt Grammont (1895) gemeinsame Bedingungen bei der Entstehung von Dissimilationen. Er unterteilt sie zum einen nach sogenannten „Gesetzen" (wobei er drei grundlegende Gesetze unterscheidet) und zum anderen nach den jeweils beteiligten beiden Lauten und ihren möglichen Kombinationen in der Abfolge im Wort. Bei den drei Gesetzen (die in späteren Veröffentlichungen für Grammont nicht mehr unumstößliche Gesetze sind, die er stattdessen nur noch als „Regeln" verstanden wissen will) ist für ihn das Unterscheidungskriterium für ein Konsonantenpaar in den einzelnen Silben eines Wortes die Lage des Wortakzents und dessen relative Intensität: 1) Der betonte Konsonant ist stärker als sein unbetontes Pendant. 2) Ein 'angelehnter' Konsonant (d.h. ein silben-initialer nach vorausgehendem silben-finalem Konsonanten) ist stärker als ein nicht 'angelehnter' bzw. als ein 'implosiver' (silbenfinaler) bzw. intervokalischer Konsonant; ein silben-fmaler ist stärker als ein intervokalischer Konsonant. 3) Der später folgende ist immer stärker als der vorausgehende Konsonant eines Paares.
5 Grammont betrachtet also jeweils ein Paar von Konsonanten, bei dem sich der eine Konsonant unter dem Einfluss des anderen im Laufe der Sprachgeschichte verändert hat. Aus den ersten beiden genannten Punkten ergeben sich lautphysiologisch bedingte Stärke-Hierarchien - der dritte Punkt betrifft ein sprechpsychologisches Moment. Grammont untersucht entsprechend seinen drei Hauptgesetzen im Wort dissimilierende Konsonanten einzeln oder als Bestandteil einer Konsonantengruppe, und zwar silbenbezogen (Grammont (1895: 17)). Er vermerkt, ob ein Konsonant einer Gruppe silben-initial oder -final auftritt. Am Ende seiner Studie fasst er seine Ergebnisse über die Mechanismen der Dissimilation kurz und bündig zusammen in dem Satz: „La dissimilation c'est la loi du plus fort" (Grammont (1895: 186)), zu verstehen als: Stärkere Laute dissimilieren schwächere (mit Beispielen S. 18ff.). Die betrachteten Konsonanten eines Paares dissimilieren, d.h. werden stärker ««gleich in ihren artikulatorischen Eigenschaften, wenn einer der beiden Laute „fait perdre à l'autre un ou plusieurs des éléments qu'ils possèdent en commun" (Grammont (1895: 16)). (Zu Grammonts 'totaler' bzw. 'partieller' Dissimilation s. bei Schopf (1919: 13/14) eine Kritik seiner Terminologie.) Bei diesem Verlust eines oder mehrerer Qualitätselemente (der Begriff feature existiert noch nicht) entstehe aber kein neues Phonem, das dem Sprachsystem bisher unbekannt gewesen sei - es bilde sich ein eng an das Sprachsystem angepasster Laut oder er falle gänzlich fort (Grammont (1895: 16)). Wie bis heute üblich unterscheidet Grammont zwei Varianten der Dissimilation, eine regressive und eine progressive: Eine Dissimilation ist regressiv, wenn sie ausgeht vom Ende des Wortes und am Beginn des Wortes ankommt („[...] un phonème qui a son point de départ vers la fin du mot et son point d'arrivée vers le commencement" (Grammont (1895: 17))). Der in seiner Richtung umgekehrte Fall stellt progressive Dissimilation dar. (Da es in dieser Arbeit um Vorgänge des Versprechens geht, bei denen vor allem auch Reihenfolgefehler zu finden sind, möchte ich stattdessen auch von antizipatorisch bzw. repetitorisch erfolgender Dissimilation sprechen.) Grammont (1895) stellt bei der Untersuchung des dissimilatorischen Lautwechsels in seinen 'Gesetzen' Formeln („formules") auf, die jeweils bestimmte Konsonanten oder Konsonantengruppen in bestimmten Silbenpositionen betreffen, in Abhängigkeit von der Betontheit oder Unbetontheit einer Silbe. Fast ausschließlich geht es in seinen Beispielen um die Laute 1, r, n und d und ihre Abfolgen und Kombinationen bei Ersatz bzw. Verlust des betreffenden Lautes auf Grund von Dissimilation: Aus der Folge r-r in einem Wort wird 1-r oder r-1; n-r oder r-n; 0-r oder r-0 (mit 0 als Bezeichnung des Lautverlusts), aus der Folge 1-1 wird 1-r oder r-1, etc., beispielsweise pulcinella —> porcinella. Seltenere Fälle von Dissimilation betreffen m/v, m/b, n/w, n/v und x/k sowie dentale und palatale Frikative und Affrikaten. Plosive behandelt Grammont (1895) nicht, wie Ernst Schopf (1919: 73, Fußn. 1) hervorhebt, außer dass sie (in Grammonts Übersicht auf S. 96-102) lediglich als in bestimmten Sprachen dissimilatorisch vorkommend benannt werden. Aus den unterschiedlichen Kombinationen und allen Konsonantenmöglichkeiten unter den verschiedenen Bedingungen (entsprechend den drei Hauptgesetzen) findet Grammont (1895) zwanzig Gesetze, besser gesagt: 'Möglichkeiten', d.h. 'Formeln', nach denen die Dissimilation vor sich gehe, wenn sie es denn tue (Grammont (1895: 15)). Nach diesen Gesetzen hat er die Fälle dissimilatorischen Lautwechsels sortiert.
6 Aus Grammonts Überlegungen zur Artikulation geht hervor, dass er beim Phonem Irl wohl nur (wie meistens in den romanischen Sprachen vorkommend) das Zungenspitzen-r berücksichtigt hat. Denn er stellt fest, dass bei Substitution des r - durch beispielsweise ein n - lediglich „die Öffnung, durch die die Luft entweicht, an anderer Stelle" liege: „L'ouverture par oü l'air s'échappe est déplacée, voilà tout. C'est de ce déplacement que naît la différence de ces deux sons. Mais la liquide dentale peut sortir par une troisième place, par les fosses nasales. Dans ce cas elle prend une qualité de plus, la nasalité" (Grammont (1895: 21/22)).
Grammont stellt also ausdrücklich fest, die Verlagerung der Öffnung für die entweichende Luft schaffe die andersartige Lautqualität, und beim n ströme die Luft auch durch die Nasenlöcher aus, dadurch die zusätzliche Qualität der Nasalität bildend. Auch der Fall des dissimilatorischen Lautwechsels der Lautfolge n-n in zwei aufeinander folgenden Silben mit dem Ergebnis von 1-n (wie in buldoma) regt Grammont zu sprechgestischen Überlegungen an (in meiner Übers.): „Man hat gesagt, das n ist ein nasales d; in diesem Fall müssen wir als Resultat eines denasalierten n ein d erwarten. Aber diese Definition ist nicht exakt; das d ist kein Dauerlaut („momentanée"), das n aber ein Dauerlaut; das n besitzt zwei elementare Eigenschaften, die das d nicht hat, die Nasalität und die Kontinuität. Wenn es die erste der beiden Eigenschaften verliert, so muss ein dentales Phonem wie das n und das d übrigbleiben, sonor wie das n und das d, aber eine Kontinua wie das n und nicht ein Momentanlaut wie das d: dieses Phonem ist das 1. Wenn man sich auf diese Definition stützte [...], so könnte man sie wie folgt korrigieren: das n ist ein nasales 1" (nach Grammont (1985: 25)).
Dieser artikulatorischen Betrachtung Grammonts wird hier so viel Platz eingeräumt, um zu zeigen, dass er Gedanken hatte, die möglicherweise auch beim spontanen Versprechen von Bedeutung sein könnten - allein schon in denjenigen Fällen, in denen sonst kein erklärungstiftender, lautlicher Kontext für den Vorgang des Versprechens zu finden gewesen ist. Neben physiologischen Bedingungen (wie für die ersten beiden Gesetze beschrieben) führt Grammont aber auch eine psychologische Bedingung an. Sie steht in ursächlichem Zusammenhang mit seinem dritten Gesetz, wonach der nachfolgende von zwei gleichen Konsonanten eines Paares psychologisch prominenter sei als der vorausgehende, nämlich bedingt durch die Innere Sprache und die Aufmerksamkeit, die damit verbunden der Äußerung vorauseile. (In seinen 'Schlussbetrachtungen' führt er als Beleg dafür (Grammont (1895: 185f)) einige antizipatorische Versprecher an.) Dieses psychologische Moment bedinge eben auch das häufigere Vorkommen regressiver Dissimilationen. Grammont (1895) zählt auch Fälle von Sprachwandel auf, in denen Konsonantendissimilation möglich gewesen wäre, aber nicht stattfand (Grammont (1895: 16 und 113, z.B. Fall 1). Diese Fälle ließen sich, wie er meint, dadurch erklären, dass die Etymologie der Wortbestandteile flir den Sprecher durchsichtig zu sein schien. (Derartige Fälle und Wortwandel, bei dem auch noch Volksetymologie und Analogiebildung eine Rolle spielen (Grammont (1895: 89ff.)), werden jedoch hier nicht weiter behandelt.)
1.1.2. Zu Schopf (1919) Schopf (1919), der Dissimilationen in vulgär-lateinischen Inschriften der römischen Kaiserzeit untersucht hat, weist darauf hin, dass die Definition der Dissimilation als eines Vor-
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ganges, bei dem eine Gleichheit ausgemerzt werde, sich auf die Betrachtung von Sprachwandel beziehe und sonst „nicht ganz korrekt ist, als diese Ausdrucksweise nicht der Beobachtung des Sprechaktes entnommen ist. [...] Sobald man bloß den einzelnen Sprechakt ins Auge faßt, so wird bei der Dissimilation nicht eine vorhandene Gleichheit aufgehoben, sondern eine Gleichheit, wie sie nach Maßgabe des hergebrachten Sprachgebrauches zustande kommen sollte, kommt nicht zustande, wird also vorher verhindert" (Schopf (1919: 41/42)).
Schopf (1919) weitet (gegenüber Grammont) seine Untersuchung auch auf die Assimilation und die Metathese aus - auf alle sogenannten Fernwirkungen von Konsonanten. Er kennt Meringers Schriften zum Versprechen (s. Meringer/Mayer (1895) und Meringer (1908)) und hat außer Grammont (1895) und auch Grammonts späteren Arbeiten die einschlägigen Autoren der Zeit zu Dissimilation im Sprachwandel studiert (u.a. Meillet (1901), Brugmann (1909), Hoffmann-Krayer (1907)). Im Gegensatz zu Grammont arbeitet er vollständig systematisch - d.h. er geht alle Lautkombinationen systematisch durch - und gelangt systematisch zu allen überhaupt möglichen Kategorisierungen seiner konsonantischen „Fernwirkungen". Im separaten Beispielteil dieser seiner Dissertation - geordnet wie im Hauptteil nach Dissimilation, Assimilation und Metathesis - sind Beispiele des Sprachwandels anderer Autoren und seine eigenen Funde, diese aus Inschriften des Vulgärlateinischen (der Sprache, in der Grammont (1895) die meisten Dissimilationen gefunden hatte), gesammelt. Bei Inschriften unterscheidet Schopf zwischen Fehlern auf Grund (Inneren) Versprechens und den rein graphisch bedingten Fehlern (also Schreibbewegungen - bei eingemeißelten Inschriften beispielsweise bezogen auf eine Hasta, die vermeintlich schon zum nächsten Buchstaben gehört). Nur für wenige Lautkombinationen findet er keine Belegexemplare. Er berücksichtigt auch Dissimilation im (externen) Sandhi (Schopf (1919: 26); dort sein Verweis auf Paris (1898)), bedenkt also Verhältnisse in gesprochener Sprache, über die Wortgrenze hinausgehend (was hier, bei der Behandlung von Versprechern, unerlässlich ist). Die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu Dissimilation, Assimilation und. Metathesis fasst Schopf (1919) in seinen „Schlußbemerkungen" (S. 204) in sieben Punkten zusammen, von denen hier nur die zur Dissimilation relevanten aufgeführt seien: - Dissimilatorischer Lautwechsel erfolge nur zwischen artikulatorisch verwandten Konsonanten; - dabei handele es sich entweder um Wechsel der Artikulationsart oder aber um Wechsel der Artikulationsstelle oder um Wechsel der Kehlkopfartikulation (stimmhaft und stimmlos, aspiriert und nicht aspiriert) oder um Wechsel der Quantität (Bei der Behandlung der Aspirations- oder auch Hauchdissimilation erwähnt er übrigens mit keinem Wort Grassmanns Gesetz (s. Grassmann (1863)); zum Fall eines Wechsels der Lautquantität sei gleich hier vermerkt, dass sich in dem reichen Datenmaterial meiner sieben Probanden dazu keine Beispiele finden lassen.); - dissimilatorischer Lautwechsel trete immer nur in einer einzigen der genannten Beziehungen ein - dies gelte für Dissimilation bei vollständig gleichen Konsonanten und auch bei nur teilweise gleichen, also nur ähnlichen, artikulatorisch verwandten Konsonanten: Der Wechsel vollziehe sich dann nur in der einzigen gleichen Beziehung; - dissimilatorischer Lautschwund sei nur möglich durch Einwirkung eines gleichen Konsonanten, nicht durch die eines teilweise verschiedenen.
8 Es stellt sich u.a. die Frage, ob diese Verhältnisse auch beim Versprechen, wie es sich bei den von mir untersuchten sieben Probanden jeweils zeigt, vorliegen.
1.1.3. Zu Posner (1961) Rebecca R. Posner befasst sich - wie Grammont (1895) im Wesentlichen - ebenfalls mit den romanischen Sprachen und ihrem Sprachwandel, und zwar mit der Ferndissimilation. Sie übernimmt Grammonts „loi du plus fort" (s. Posner (1961: 44)) und spricht vom wirkenden Zufall, der bestimme, ob Dissimilation nun eintrete oder nicht. Allgemein kritisiert Posner die Grammontschen Gesetze (Posner (1961: 47, 106ff.)). Sie achtet vor allem auch darauf, „whether dissimilation was the prime factor in the change" (Posner (1961: 105)) oder ob „mêmes effets, causes différantes" (Grammont (1895: llOff.)) vorlägen, wie z.B. Volksetymologie oder Kontaminationen. Posner hat zum Lautwandel eine systematische Datensammlung angelegt, wohingegen Grammont sich oft mit einzelnen Belegexemplaren zufrieden gegeben hat. Sie hat viele Ausnahmen zu den Grammontschen Gesetzen gefunden, was Togeby (1963, Rezension ihres Buches) dazu veranlasst, den Terminus Dissimilation für 'illusorisch' („illusoire"; Togeby (1963: 667)) zu erklären. Auch untersucht Posner im Gegensatz zu Grammont die artikulatorischen Lautverhältnisse genauer, beispielsweise von apikalem und uvularem Irl (Posner (1961: 133ff.)), und anhand der Dissimilationsergebnisse und ihrer Lautvorkommenshäufigkeiten auch bestimmte „Stärke"-Verhältnisse, was sie allerdings nicht zahlenmäßig belegt. Insgesamt entwickelt Posner eine Stärke-Hierarchie (Posner (1961: 198/9)), die sich wie folgt darstellen lässt: „strength" —I
-psychologisch: regressive Dissimilation (Gedanken eilen der Äußerung voraus) —positional: der spätere Konsonant - stärker als der frühere dissimiliert den früheren • intrinsisch
teilweise sich überschneidend
— „important": größere Lautvorkommenshäufigkeit „ease": größere Leichtigkeit der Artikulation
Die psychologische Stärke entspricht derjenigen bei Grammont, jedoch nicht die „mechanical strength" (Posner (1961: 60)) entsprechend der Lautposition im Wort oder in der Silbe: Posner will „redefine 'mechanical strength' using criteria that were not always available to Grammont" (Posner (1961: 198/9)). Sie fügt daher der „positional strength" die „intrinsic strength" hinzu: „a phonemic rather than a phonetic property: the term implies that the allophones of an 'intrinsically strong' phoneme are comparatively resistant to change, whatever their position. The 'intrinsic strength' of a phoneme can be judged by the ease with which it (or, at any rate, its distinctive fea-
9 tures) can be pronounced or perceived, and/or by its 'importance' in the phonemic system of the language in question" (Posner (1961: 199)).
Ein Phonem ist entsprechend obiger Stärke-Hierarchie für Posner „important", je mehr Wörter in einem Sprachsystem durch es unterschieden werden können, was darauf hinauslaufe, „the more frequent consonant is 'stronger' than the less frequent" (Posner (1961: 199)). Die andererseits große Leichtigkeit der Artikulation eines Konsonanten falle oft mit dessen größerer Vorkommenshäufigkeit zusammen: „In most cases the relatively more frequent consonant appears also to be easier to pronounce and to perceive, so that the phonetic and phonemic measures of 'intrinsic strength' usually coincide" (Posner (1961: 199)).
Der intrinsisch stärkere Konsonant dissimiliere den schwächeren, was bei Dissimilation der Artikulationsstelle, von Plosiven und Frikativen, nicht aber bei Dissimilation von Nasalen und von IM und Irl sich auswirke. Posner gibt an, entsprechend ihren Regeln alles in allem nur noch weniger Ausnahmefälle als Grammont übrig behalten zu haben.
1.2. Dissimilation in der V e r s p r e c h e r f o r s c h u n g
In der Versprecherforschung hat Rudolf Meringer den Grundstein zur Diskussion um die Dissimilation gelegt. Nach seinen beiden Büchern (s. Meringer/Mayer (1895) und Meringer (1908)) und den darin vollständig wiedergegebenen Datensammlungen, darunter großen Anzahlen von Dissimilationen unterschiedlichster Art, wird die Dissimilation beim Versprechen bis auf Kettemann (1980) nur noch marginal behandelt (vgl. z.B. Dressler (1977), Stemberger (1990: 138) und Wiese (1991)).
1.2.1. Dissimilationen in Meringers Sammlungen Meringer hat überhaupt den Anstoß für das Sammeln von Versprechern durch das Phänomen der Dissimilation (s. Wiedenmann (1992b: 66)) bekommen. Im Gegensatz zu Grammonts 'totaler' bzw. 'partieller' spricht Meringer von „schwerer" und „leichter" Dissimilation (Meringer/Mayer (1895, passim)): Eine Dissimilation ist bei ihm - entweder „aus Vorwirkung" (antizipatorisch) oder „aus Nachwirkung von Sprachelementen" (repetitorisch) - „schwer", wenn ein Laut des betrachteten Lautpaares elidiert, und „leicht", wenn einer der beiden Laute nur substituiert wird (zur diesbezüglichen Terminologiekritik s. Schopf (1919: 13/14)). Meringer findet vorwiegend r-l-Beeinflussungen, aber auch solche von m und n. Alle diese Laute bezeichnet er als von „reichem psychischen Gehalte" (Meringer/Mayer (1895: 201)), im Vergleich zur Lautphysiologie der peripheren Sprechorgane. Die Laute „wirken gruppenweise aufeinander ein nach ihrer Wertigkeit" (Meringer /Mayer (1895: 199)), die sich aus der Ähnlichkeit der Silbenposition (Wiedenmann (1992b, passim)) und aus den Betonungsverhältnissen ergibt.
10 Bei „Dissimilation nebeneinander stehender Laute" könne man sagen, es werde vermieden, „zweimal nacheinander dieselbe Taste anzuschlagen" (Meringer/Mayer (1895: 199)). Eine derartige Lautfolge sei nicht etwa „unmöglich zu sprechen", sie setze „nur eine besondere Anstrengung voraus, die [...] für gewöhnlich namentlich im schnellen Sprechen nicht angenehm" sei (Meringer/Mayer (1895: 194)). Dagegen könnten sich auch entfernte Laute beeinflussen, „weil sie bereits vorausinnerviert werden. Wie weit voraus das geschieht, ist nicht erforscht, doch jedenfalls viel weiter, als auf das zu sprechende Wort" (Meringer/Mayer (1895: 199)). In seinem späteren Buch zum Versprechen kommt Meringer oft auch auf ein zeitliches Phänomen bei der Dissimilation zu sprechen, wenn „derselbe oder ähnliche Laute sich in wichtigen Stellen rasch hintereinander wiederholen" (mit meiner Hervorhebung; Meringer (1908: 92)). Oft tritt ein „Lautstottern" (so eine Kapitelüberschrift) bzw. eine „Hemmung" ein, wozu Meringer dann zuweilen sinngemäß wie im Folgenden formuliert: „Ich wollte sagen: 'Abriss der indogermanischen Laut(lehre)', kam aber nur bis 'Laut'; ich habe genau beobachtet, dass ich eine Zeitlang das zweite 1 nicht denken und nicht sprechen konnte" (Meringer (1908: 96/97)).
Diese deutlich wahrgenommene Hemmung ist ein besonderes Phänomen, was an Brugmanns „Horror aequi" (Brugmann (1909: 146)) denken lässt, außerdem aber auf ein bestimmtes, noch zu klärendes Zeitverhalten zu verweisen scheint. Im Zusammenhang mit Dissimilationen macht Meringer keinerlei Bemerkungen (dies ganz im Gegensatz zu Grammont) mit sprechgestischem Hintergrund. Um so hervorhebenswerter ist daher ein Kommentar zur „leichten" r-Dissimilation: „Dass sie sich, [...], wohl nur bei solchen Personen findet, die ein Zungen-r sprechen, bedarf keiner besonderen Erwähnung" (Meringer (1908: 93/94)). Meringer findet im Rahmen seiner Versprechersammlungen Dissimilationen, „aus denen das Dissimilationsbedürfhis klar hervorleuchtet" und die unter denselben Bedingungen vorhanden sind, „bei denen uns die Sprachgeschichte Laut- oder Silbendissimilation aufweist" (Meringer/Mayer (1895: V)). Er betont aber auch und weist sogar in einer späten Schrift (Meringer (1927: 190/1)) noch einmal ausdrücklich daraufhin: „ Versprechen und einige Arten des Lautwandels sind nicht von einander abhängig, sondern haben eine gemeinsame höhere Ursache, die in der Anlage des psychischen Sprechorganismus liegt" (Meringer/Mayer (1895: VII)).
1.2.2. Zu Kettemanns Behandlung der Dissimilation Bernhard Kettemann verfolgt mit seinen Aufsätzen zu „Segmental and Transsegmental Features" (1980, 1981) nicht die Absicht, speziell zu Dissimilation etwas zu schreiben. Er tritt vielmehr in die Diskussion zu Versprechern ein, angeregt durch Victoria Fromkins erstes Buch mit Aufsätzen zum Versprechen (1973), durch die darin u.a. aufgenommenen Beiträge von ihr selbst (Fromkin (1973)), von Donald G. MacKay und von Marianne Celce-Murcia: Kettemann (1980) greift außer einigen der von Fromkin gesammelten Versprechern (s. Fromkin (1973, Appendix)) auch ein paar der von Celce-Murcia sowie von MacKay angeführten lautlichen Versprecher aus Meringers Corpora auf. Kettemanns Versprecher aus seiner eigenen Sammlung, die in beiden Aufsätzen vorgeführt werden, stammen aus der Zeit
11 der ersten 31 Exemplare (von ca. 600), die - sprechgestisch betrachtet - zufälligerweise gehäuft recht komplex (und oft untypisch für Versprecher) sind und auch noch kaum Kontextvermerke zeigen. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt zu Beginn seiner Datensammlung ist Kettemann interessiert an der Dissimilation. Er hat dazu MacKay (1969, 1973) gelesen, und die Bezeichnungen aus diesen Aufsätzen für sie, „Forward" bzw. „Backward Masking" (gemeint: „in Motor Systems"), für progressive bzw. regressive Dissimilation (die also repetitorisch oder aber antizipatorisch erfolgt) durchziehen auch die Kommentare zu seinen gesammelten Versprechern. Wichtig ist zu bemerken, dass MacKay (1969, 1973) sich auf Muskelbewegungen bezieht, die bei bestimmten lautlichen Reihenfolgefehlern für den Vorgang des Versprechens maßgebend sind, u.a. durch „reciprocal inhibition": „Contradictory aspects of similar motor programs interact in mutually inhibitory fashion. That is when different motor commands involving the same muscles are simultaneously activated, these commands interact in mutually inhibitory fashion" (MacKay (1973: 185) nach MacKay (1969)).
MacKays neuropsychologischer Ansatz, ganz auf artikulatorische Bewegungen und deren Aktivierungen bezogen, zeigt sich auch in seinen für Vorgänge des Versprechens angenommenen Bedingungen: „[...] whenever a muscle is not otherwise in use: that is, an articulator will perseverate or anticipate a position unless otherwise engaged, [...]" (MacKay (1973: 186).
Kettemann - als Phonologe - bedient sich dagegen der 'distinctive features', um der „phonetic reality" näher zu kommen: Vorwiegend Nasalierung als [+nas] bzw. [-nas] wird behandelt bei entweder lautlichem „movement of feature" (das ist die eine Art seiner „transpositions", nämlich das, was ich als 'Antizipation plus Elision' (a+e) bzw. als 'Elision plus (system-inhärente) Korrektur' (e+c) bezeichne), oder aber auch bei „transposition of the feature" (einer Metathesis, d.h. „double transposition"). Kettemann stellt die Unabhängigkeit der phonologischen Merkmale in den Vordergrund: „[...], phonological features e.g. nasality seem to be correlated with psychological real units of performance in so far as they can be identified as independent processual elements in speech errors" (Kettemann (1980: 450; 1981: 242)).
Er sagt, die Nasalität (beispielsweise) an bestimmter Position verursache („cause") an anderer Stelle der Äußerung die Denasalierung (Kettemann (1980: 449)), z.B. beim Versprecher „briging up" statt 'bringing up' (Fromkin (1973: 250)) (mit unveränderten Vokalen). Gerade dieser Versprecher zeigt aber auch, meine ich, dass es nicht nur um „turning [+nas] specification into [-nas]" geht (Kettemann (1980: 449); dass also aus einem Nasallaut durch eine Velumgeste ein Orallaut entsteht), sondern dass es sich auch allein um ein beispielsweise zu spätes Einsetzen der für die kanonische Lautform notwendigen Velumgeste handeln könnte - bei gleichzeitig unbeeinträchtigten (unabhängigen) Zungengesten (z.B. einer Dorsalgeste entsprechend dem feature [vel]). Es stellt sich eben grundsätzlich auch die Frage, ob es einen ursächlichen Vorgang der Dissimilation gebe, etwa im Sinne MacKays als „reciprocal inhibition".
12 1.3. Dissimilation beim Versprechen im Gegensatz zu Similation
Bei der Selektion von Dissimilationen unter den Versprechern zeigte sich zu fortgeschrittener Zeit der Arbeit, dass in Versprechern etwa in dem gleichen Maße Dissimilationen wie auch 'Similationen' vorkommen - dass außerdem durch Reihenfolgefehler in einer Äußerung Dissimilationen sogar gleichzeitig neben 'Similationen' erzeugt werden. Dieser Fund war frappierend. Er lässt sich am besten darstellen am folgenden Beispiel: „Was lange gärt wird Wut - was lange währt wird gut." Dieser Versprecher ist wohl ausgelöst worden durch die Antizipation eines rhematisch bedingt stark aktivierten Lautes (des stimmhaften Velarplosivs aus dem akzentuierten gut) als Teil einer Metathesis, bei der also der antizipatorisch substituierte Laut (der stimmhafte Labiodental in währt) entsprechend seiner relativ geringen Aktivierung erst später, seinerseits substituierend (mit dem Ergebnis von Wut), nachfolgt (gewissermaßen als system-inhärente 'Korrektur': Die Summe der Laute im Versprecher ist gleich der Summe der Laute der intendierten Äußerung). Bei diesem Prozess ist eine (Fern-) Dissimilation vorsichgegangen, 'währt wird'
„_g_ärt wird",
auf Kosten zweier neuer (Fern-) Similationen: 'wird gut' -> „wird Wut" sowie 'Zange währt' —> „lange .gärt". Die erstgenannte Similation erkennt man beim Betrachten der gesamten Äußerung auf Anhieb als quasi eine (zeitliche) Verschiebung der beiden wortinitialen Labiodentale. Die andere Similation betrifft lediglich die dorsale Zungengeste: Aus 'la/jge währt' ist „lange g_ärt" geworden, mit dem Ergebnis der beinahe unmittelbaren Aufeinanderfolge je eines homorgan nasalen und oralen Lautes (bei evtl. ununterbrochener Dorsalgeste, was perzeptiv das Schwa in „lange gärt" kaum beeinträchtigen würde), beide homorganen Laute also im Wesentlichen nur durch die Velumgeste im Artikulationsmodus unterschieden. In der Literatur spielt (Fern-) Similation im Vergleich zur (Fern-) Dissimilation eine untergeordnete Rolle (Schopf (1919) behandelt sie als „Fern-Assimilation" systematisch; vgl. auch seine Betrachtungen zur Terminologie, S. 10f.), dies ganz anders allerdings, als es die Kontakt-Assimilation tut (bei der ein Laut dem Nachbarlaut ähnlich gemacht oder ganz ausgelassen wird), von der in dieser Arbeit jedoch - wie noch einmal zu betonen ist - nicht die Rede sein soll.
Zu diesem für mich Uberraschenden Befund, dass Dissimilationen und Similationen miteinander verquickt in Versprechern auftreten, kam es übrigens nur dadurch, dass eben zur Kategorisierung kein computer-automatisiertes Verfahren eingesetzt worden war (ein Verfahren, bei dem ja immer nur diejenigen Phänomene aufzufinden sind, die der Mensch auf der unwillkürlichen Suche nach Sinn bereits einmal als solche erkannt hat). Auch hatte ich erst später Schopf (1919: 56) gelesen, wo dieselbe Verflechtung von Dissimilationen und Similationen beschrieben ist. Das gesamte Datenmaterial wurde also unter diesem neuen Aspekt erneut durchgearbeitet, d.h. zunächst durch Lesen/Auszählen benachbarter Buchstabensymbole (s. auch 2.3.). Als Kriterium für Gleichheit wurde dabei die Sprechgeste zu Grunde
13 gelegt: Eine aufgespürte Dissimilation gab erst bei eingehender Betrachtung ihres sprechgestischen Kontexts den Blick auf ggf. vorhandene Komplemente, Similationen, frei. Obenhin betrachtet könnte man von Synchronizität beider Phänomene sprechen. Welcher Sinn ergibt sich aus dieser Verflochtenheit von einander komplementärer Dissimilation und Similation? Könnten Dissimilation und Similation zu Grunde liegende Prozesse beim Versprechen (und also auch beim Sprechen) gleichsam 'Anziehung' oder 'Abstoßung' aufeinander ausüben (wie Magnete je nach Anordnung der Polaritäten), bedingt durch Zeitverhältnisse beim Aktivieren der einzelnen Muskelsysteme für einige wenige unterschiedliche und so sich zwangsweise immer wiederholende Sprechgesten im Repertoire zur Produktion einer relativ großen Vielfalt von Lauten im Inventar eines Sprachsystems? (Müssen so gesehen Dissimilation und Similation nicht universelle Phänomene darstellen?) Wie unterscheiden sich sprechgestisch voneinander, wenn es denn Unterschiede gibt, - vermiedene Similationen (resultierend in Dissimilationen); - durch Dissimilation neu entstandene Similationen; - Similationen in Repetitionen; und schließlich - 'natürliche' Similationen, wie sie auf Grund des relativ kleinen Gestenrepertoires bei recht großer Lautvielfalt in einem Sprachsystem auf Schritt und Tritt Äußerungen durchziehen müssen? Und ist es vielleicht notwendig, Gegensätzliches - Dissimilationen - perzipieren zu können, nicht jedoch nach Möglichkeit Gleiches - Similationen und vor allem die zuvor erwähnten 'natürlichen' Similationen (welchletztere besser 'Similaritäten' (vgl. MacKay (1970) bzw. Wiedenmann (1992b: 90ff.)) heißen sollten, denn von 'Ähnlichmachen' kann ja bei ihnen nicht die Rede sein)? Im Rahmen meines Modells zur Sprachproduktion ist das Kriterium für Ungleichheit bzw. Gleichheit bei den Phänomenen Dissimilation und Similation die Sprechgeste. Die Sprechbewegung eines bei der Lautartikulation aktiven Artikulators in Richtung auf die zugehörige angesteuerte Artikulationsstelle ist räumlich und zeitlich verflochten mit der Sprechbewegung eines anderen aktiven Artikulators bezüglich dessen Artikulationsstelle Sprechgesten überlappen sich zeitlich und beeinflussen sich räumlich (vgl. u.a. Browman /Goldstein (1992)), da einige Artikulatoren - physiologisch betrachtet - nicht voneinander unabhängig sind. Das Artikulatorensystem der einzelnen Zungengesten - der Zungenspitze, der Mittelzunge und des Zungenrückens - ist so miteinander durch den ihnen gemeinsamen Zungenkörper gekoppelt: Beispielsweise beeinflusst eine dorsale Zungengeste die Geste der Mittelzunge (zu antagonistischen Lippengesten s. Sussman/Westbury (1981)). Gegenüber dem Teilsystem der Zungengesten unabhängig ist das Teilsystem der Lippengesten, ebenso das der Gaumensegelbewegung (zur Unterscheidung oraler Laute von Nasalen) sowie das der Stimmlippenbewegung im Kehlkopf für die An- und Abwesenheit des Stimmtones (zur Unterscheidung von Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit eines Lautes). Alle diese Sprechgesten werden initiiert durch Aktivation zur Innervierung der Muskeln, die auf einen Artikulator bzw. auf beide Artikulatoren zugreifen (wie im Falle der Oberund Unterlippe sowie der beiden Stimmlippen). Um die Feineinstellung der Artikulatoren bewerkstelligen zu können, werden immer wieder propriozeptiv/kinästhetisch und taktil Meldungen - Reafferenzen - über das Zentrale Nervensystem an das Gehirn gesendet, als Feedback bzw. Feed-Forward Links (vgl. Laver (1980)). Diese Reafferenzen benötigen in
14 den Nervenbahnen bestimmte Laufzeiten - bei gegebener Übertragungsgeschwindigkeit ist die Laufzeit notwendiger steuernder Efferenzen (zum Artikulator hin) plus quittierender Reafferenzen (vom Artikulator zurück) um so größer, je weiter das Artikulatorgebiet vom Zentralen Nervensystem entfernt ist. Das bedeutet für die zu einem bestimmten Zeitpunkt intendierte Äußerung eines Lautes, dass diesem Äußerungszeitpunkt eine bestimmte, aber variable Zeitspanne der Gestenvorbereitung - der Aktivierung und Muskelinnervierung - vorausgehen muss. Die Dauer der Zeitspanne ist bedingt durch Unabhängigkeit und jeweilige Lage des artikulierenden Muskelsystems, bezogen auf das ca. 17 cm lange menschliche 'Ansatzrohr' (ursprünglich ein Begriff aus der Musikinstrumentenlehre) zur Lauterzeugung, von den Stimmlippen hinten in der Glottis bis nach vorn zu den Lippen. Jeder Laut benötigt zu seiner Erzeugung einen solchen bestimmten Vorspann - wie ich ihn nennen möchte -, zur (mentalen) Aktivierung, zur Muskelinnervierung und schließlichen Sprechbewegung. Vergleichbare Sprechgesten im vorderen Mundbereich sind allein schon auf Grund der genannten Laufzeiten zeitaufwendiger als solche im hinteren Bereich, abgesehen von der unterschiedlichen Komplexität der verschiedenen Muskelsysteme. Trägt man auf der Zeitachse den (jeweils intendierten) Äußerungszeitpunkt eines Lautes und seinen Lautvorspann auf, so ist ersichtlich, dass eine intendierte Lautfolge, zum Beispiel die kanonische Lautabfolge eines Wortes, im Vergleich dazu vor seiner Äußerung ganz anders im Gehirn abgebildet sein könnte - nämlich als Abfolge der Startpunkte der einzelnen Lautvorspanne. Dabei setze ich voraus, dass Konsonantengesten weitgehend getrennt von Vokalgesten gesteuert werden (vgl. Cubelli (1991) sowie bestimmte Versprecher in Wiedenmann (1998), bei denen mehrere Konsonanten adjazenter Silben initial wie final, aber nicht deren Vokale, vom Versprechen betroffen sind).
Für das Wort 'Kap', d.h. die Lautfolge [kap], im Vergleich zum Wort 'Pack', könnte das wie im Schema auf der folgenden Seite aussehen. Daraus ist zu ersehen: Zu aktivieren wäre also unbedingt eine |p'a'k'|-Impuls-Folge, um die Lautfolge [pak] für 'Pack' hören zu können (wobei im Schema mit [p], [a] und [k] der jeweilige Beginn des Audiosignals gemeint ist. Die Lautdauem spielen hier zunächst keine Rolle, nur die Zeitabstände der Lautäußerungszeitpunkte). Dagegen ist nur u.U. eine |p'a'k'|-Impulsfolge nötig, um 'Kap' zu äußern: Die Impulse für [p] und [k] könnten, wie das Schema verdeutlichen soll, zeitlich nahe benachbart sein - je nach Sprechtempo könnten sie zusammenfallen oder aber auch in umgekehrter Reihenfolge wirken. Kinder haben beim Spracherwerb anfänglich Schwierigkeiten mit derartigen Reihenfolgeunterschieden bei der Lautproduktion: So stellen Leonard/McGregor (1991) die fehlerhafte Äußerung eines Wortes mit dem Frikativ [s] eines Kindes vor: Es äußerte (neben analogen Fehlern) statt [so:p] für 'soap' (Seife) eine Zeit lang wiederholt [o:ps], bis es ihm endlich gelang - wohl durch auditive Kontrolle und einen Lernvorgang -, das [s] früh genug bzw. das [p] spät genug - oder entsprechend beiden Bedingungen anteilig - zu initiieren. Betrachtet man das diesbezügliche Lautvorspann-Schema, so erkennt man, wie genau das menschliche Timing zur Lautanbahnimg sein muss (s. auch Elsen (1991), Erstspracherwerb: wortbezogen erste Äußerungen „Rvau" (Frau) und „Rbala" (Brille) eines 13-monatigen Kindes).
15
Lautvorspann und Äußerung als Funktion der Zeit t Äußerung: „Kap" J Äußerungsbeginn [kap]
»
J Lautbeginn
Äußerung: „Pack"
Versprecher: intendiert: 'Gepäck
versprochen: „BekäcA"
kindliche Dyskoordination: intendiert: 'soap' • >
[so:p]
s'
[S]
[p]
[O]
t
>
t
>
dyskoordiniert: „ oaps" •
>
[o:ps]
jp' :
:s'
[O]
[p]
M
16 Entsprechend den gezeigten Zeitschemata ist zu sehen, dass - die Lautabfolge sich auf höherer Ebene des Produktionsmodells ganz anders darstellen könnte (z.B. |p'a'k'| für 'Kap' versus |s'o'p'| für [so:p], je nachdem ob Lautanbahnungen (Aktivierungen plus Muskelinnervierungen für Sprechgesten) geringen Zeitaufwandes mit solchen vergleichsweise großen Aufwandes für die Lautproduktion verquickt sind; - die Abfolge der Startpunkte (Impulse) für die einzelnen Lautvorspanne unterschiedlich bequem sein kann (aus der Sicht einer übergeordneten Ebene der Planung): gedrängt (wie z.B. für „Kap") oder aber auch in relativ weiten Zeitabständen von einander (vgl. Schema für „Pack"); - bei Versprechern (dies als Hypothese) die intendierte Äußerung gedrängte Laut-vorspanne aufweisen könnte - im Gegensatz zur versprochenen Äußerung mit entzerrten Lautvorspannen. Oder aber: Für die intendierte Äußerung könnten die Lautvorspanne relativ früh (bezogen auf den Beginn des zugehörigen Audiosignals) beginnen und locker in der Abfolge sein versus (für die versprochene Äußerung) relativ spät beginnend, aber gedrängt in ihrer zeitlichen Abfolge. Wenn man nun daran denkt, wie oft gleichartige Gesten wie intendiert aufeinanderfolgen sollen und, vor allem, wie kurz hintereinander (und bei welchem Sprechtempo), um gleiche oder ähnliche Laute - dies also bezogen auf die Sprechgeste - produzieren zu können, so könnte MacKays (1969) Begriff des „Masking" eine Rolle spielen (vgl. auch Ohala (1990: 267, „Camouflage")) - eine Refraktärzeit, während der ein und derselbe Artikulator, aus welchen Gründen auch immer, nicht sofort ein weiteres Mal ansprechbar (weil nicht aktivierbar, ein Muskel nicht innervierbar) wäre -, und so könnte ggf. Dissimilation eintreten. Die Schemata (s.o.) sollten nach Möglichkeit in realem Zeitmaßstab dargestellt werden. Daher habe ich dabei zurückgegriffen auf elektromyographische Messungen an wort-initialer, konsonantischer Sprechgeste von Logatomen (ausgeführt von einzelnen Sprechern nach einem bestimmten rhythmischen Nachsprech-Paradigma; vgl. Kühnert (1989)), unter denen sich auch das zur Betrachtung hier gut geeignete Beispiel „Pack" befindet. Aus den Mittelwerten der Messungen, die aus Kurven der Spannung (einer Elektrode am betreffenden Muskel) als Funktion der Zeit resultieren, geht - bei großer Streuung zwischen den Werten der drei untersuchten Probanden - hervor, dass für „Pack" beispielsweise (Kühnert (1989: 191)) auf ein paradigma-bedingtes Referenzsignal hin ca. 210 ms vergehen, bis der Musculus orbicularis oris ansetzt, die Labialisierung des Initialkonsonanten zu bilden - dass bis zu dessen Hörbarkeit (Audiosignal) aber noch einmal, grob gesehen, 200 ms für die eigentliche Muskelinnervierung der Sprechgeste vergehen. Die erstgenannten ca. 210 ms sind paradigma-abhängig. Sie können nicht etwa bedenkenlos als Zeitspanne zwischen Ideation und zugehörigem Beginn der Muskelinnervierung angesehen werden. Dieser Zeitraum könnte auch kürzer sein.
Wie schnell darf bei derartigen Zeitverhältnissen eine natürlich vorkommende Similation erfolgen - im gerade genannten Beispiel also ein weiteres Mal eine Labialisierungsgeste (die ja für Konsonanten wie auch für Vokale notwendig sein kann; vgl. Sussman/Westbury (1981))? Sind diese sprechgestenbezogenen Zeitverhältnisse ursächlich an dissimilatorischen Versprechern beteiligt? Und sind nicht einige äußerungsbezogene Dissimilationen eigentlich, nämlich lautvorspann-bezogen, Similationen - und umgekehrt? Dies ist eine explorative Studie, bei der versucht wird, so viele der in diesem Abschnitt aufgeworfenen Fragen wie möglich zu beantworten, wenigstens in Ansätzen.
2. Kasuistiken zu Dissimilation beim Versprechen
Diese Arbeit stellt eine Fallstudie zum Versprechen dar: Die Dissimilationen von sieben Probanden werden untersucht. Sie wurden von drei verschiedenen Autoren gesammelt: Aus Meringers Versprechersammlungen stammen die Dissimilationen dreier Probanden, eines weiblichen und zweier männlicher; aus Kettemanns Corpus Dissimilationen zweier Probanden, eines weiblichen und eines männlichen; und aus meinem eigenen Corpus Dissimilationen zweier weiblicher Probanden. Dabei befindet sich unter den Probanden jeweils der Sammler selbst. Insgesamt wurden für diese Kasuistik ca. 800 Versprecher aus Meringers Corpora, ca. 500 aus Kettemanns Corpus und ca. 1200 Versprecher aus eigener Sammlung untersucht, um Dissimilationen unter den lautlichen, konsonantischen Versprechern separieren zu können. (Im Appendix, S. 159-164, befinden sich zur Statistik die Tabellen Versprecher oberhalb der Laut-Ebene sowie Lautliche Versprecher I und Lautliche Versprecher II für alle Probanden.) Entgegen den Versprecherkategorisierungen der Sammler Meringer und Kettemann habe ich deren sämtliche Versprecher einheitlich nach meinem eigenen Kategoriensystem eingeteilt, um sie in Frequenz und Qualität vergleichbar zu machen. Dieses Kategoriensystem beschreibe ich im folgenden Abschnitt, anschließend auch individuelle Merkmale der Probanden und schließlich die statistisch aufgeschlüsselten Daten selbst.
2.1. Kategorisierung der Versprecher
Im Folgenden beschreibe ich zunächst Versprecherkategorien, die ich entsprechend meinem physiologischen Ansatz eingeführt habe und die in einem nächsten Schritt - wiederum nach physiologischen bzw. physiologisch-artikulatorischen Prinzipien - feiner unterschieden werden (s. 2.1.1.). Erst dann komme ich zu denjenigen (vorher beschriebenen) Kategorien von Versprechern, die überhaupt nur die für diese Arbeit wichtigen Dissimilationen bzw. Similationen aufweisen können. Zur einfacheren Sortierung bestimmter Dissimilationen wurden - also rein pragmatisch - spezielle Kategorien eingeführt (s. 2.1.2.). Es soll schon hier auf eine sich dabei ergebende Frage hingewiesen werden, wie sich nämlich die pragmatisch eingeführten Dissimilationskategorien in das gesamte Versprecherkategorien-System einfügen - ob man neben dem physiologischen bzw. physiologisch-artikulatorischen Prinzip von einem (gleichrangigen) dissimilatorischen Prinzip bei Prozessen der Sprachproduktion sprechen kann.
18 2.1.1. Physiologische Prinzipien und Versprecherkategorisierung Grundsätzlich unterteile ich Versprecher nach der beim Vorgang des Sprechens (und damit auch des Fersprechens) betroffenen Einheit einer Äußerung. Daraus ergibt sich eine Dichotomie in Versprecher - zum einen - oberhalb der lautlichen Ebene und - zum anderen - auf Laut- und Sprechgesten-Ebene. Einheiten der Sprachproduktion (und somit auch des Versprechens) können oberhalb der lautlichen Ebene Syntagmen bzw. Phrasen sein (wie z.B. in Anakoluthen), Wörter und ihre Bedeutung sowie Morpheme, Grammatikregeln und perzeptive Einheiten (Auditives, Visuelles, prinzipiell möglich auch Taktiles, Propriozeptives bzw. Olfaktorisches, alle Assoziationen bewirkend). Zu den Einheiten perzeptiven Ursprungs muss man wohl auch alle Assoziationen überhaupt - auf höchster (rein gedanklicher) Ebene, synonymer (bzw. beinahe synonymer, also nur 'ähnlicher') Art sowie antonymer Art - rechnen. Auch bei den lautlichen Versprechern gibt es offenbar perzeptiv bedingtes Versprechen. Dies scheinen mir jedenfalls sogenannte Hiatus-Fehler zu sein, die anders kategorisiert auch einfach Elisionen lautlichen Typs darstellen. Aber auffallend ist bei ihnen eine Art Echo. Bei einem repetitorischen Hiatus-Fehler (z.B. aus Meringer (1908: 72): „Der Herr Hofrat wird es brauen - brauchen." Jemand hatte gesagt: „leihen") könnte man so sagen, aber bei Fehlern, die dieses Phänomen antizipatorisch aufweisen, miisste man statt 'Echo' besser von 'Vorausahnung' (von etwas noch zu Äußerndem) sprechen (z.B. aus meinem Corpus (unveröffentl. Daten), Sprecher O.S.: „Ich su_e die Koeffizienten a, b und c"). Ein Hiatus-Fehler stellt manchmal - auf Grund einer Elision - auch eine Konsonanten-Dissimilation dar (wie im zuletzt genannten Beispiel, mit Dissimilation des dorsopalatalen Frikativs in 'Ich suche').
Auf der lautlichen Ebene handelt es sich um die Einheiten Laut bzw. Lautverbindung (als welche sich auch die Silbe verstehen lässt) und um Sprechgesten (die von Phonologen über 'distinktive Merkmale' von Phonemen erfasst werden). Bei den Lautverbindungen steht k für einen Konsonanten bzw. ein Konsonanten-Cluster, außerdem die Einheit v für Vokale und Diphthonge sowie die Kombinationen v,k, k,v und kvk für die verschiedenen Silbenkonstituenten. Bezüglich der Sprechgesten habe ich in Versprechern die Stimmtongeste (sth bzw. stl) hervorgehoben, ansonsten ist nur ges für 'gestische Einheit' angegeben. Als Versprecher-Haupttypen ergeben sich also die Kategorie aller im obigen Sinne 'perzeptiv-bedingten' Versprecher und die Kategorie der Reihenfolgefehler („Serial Order Errors"), wie in zwei Hierarchien zur Übersicht der Versprecherkategorien im Appendix, S. 165 und 166, gezeigt (Versprecher oberhalb der Lautebene; Versprecher unterhalb der Morphemebene). Bei den Reihenfolgefehlern, die grundsätzlich also alle Einheiten des Versprechens betreffen können (auch ein Anakoluth ist schließlich ein Fehler in der seriellen Abfolge bestimmter Einheiten einer Äußerung), unterscheide ich nun antizipatorische und repetitorische Versprecher. Die repetitorischen Versprecher sind eine homogene Kategorie (gekennzeichnet als re), wohl andersartiger Genese als antizipatorische Reihenfolgefehler (vgl. Dell/Reich (1980, 1981)). Es ist die Frage, ob man repetitorische shifts, d. h. Elisionen, bei denen nahezu unmittelbar nach ihrem Auftreten 'system-inhärente Korrektur' erfolgt, das Ausgelassene also nachgeholt wird (und
19 die ich daher als e+c bzw. E+c bezeichnet habe), nicht aus Gründen spezifischer Aktivierungsvorgänge im Zusammenhang mit Metathesen betrachten sollte, wie weiter unten noch zu sehen.
Die antizipatorischen Versprecher umfassen: - Antizipation (an), bei der außer an kanonischer Position eine Einheit auch schon vorher geäußert wird; - Antizipation plus Elision des zuvor Antizipierten (antizipatorischer shift; a+e (additiv) bzw. A+e (substitutiv)); - Metathesis (met, eigentlich gewissermaßen eine Antizipation plus baldmögliche 'systeminhärente Korrektur' a+c); - komplexe Reihenfolgefehler aus mehr als zwei Einheiten (wie bei der Metathesis), z.B. Abfolge 3-2-1 oder 3-1-2, etc., gemessen an der kanonischen Abfolge 1-2-3, bei denen nach der Antizipation die 'system-inhärenten Korrekturen' entsprechend ihrem Aktivierungsgrade nachfolgen (wie z.B. in „Kabeduch" statt Tageftuch' mit der SprechgestenAbfolge 2-3-1 (s. Wiedenmann (1992a), Sprecherin N.K.)); - unvollständige, d.h. abgebrochene Metathesis (man, bei der nur die Antizipation hörbar wird und nicht mehr die 'system-inhärente Korrektur', bei der aber der Sprecher im Allgemeinen sofort sich dessen bewusst ist, wie er die 'system-inhärente Korrektur' eigentlich noch ausgeführt hätte (die man auch als erfahrener Sammler intuitiv und aus der Position des Versprechers in der gesamten Äußerung erschließen kann)); - Elision plus 'system-inhärente Korrektur' (repetitorischer shift; e+c (additiv) bzw. E+c (substitutiv)). Dabei habe ich erst recht spät Versprecherfunde gemacht, die bestätigen, dass auch diese Form eines Versprechers sowohl epenthetisch als auch substitutiv (s.u.) vorkommt, wenn auch Letzteres sehr selten auftritt, also nur in größeren Corpora wahrscheinlicher zu finden ist. Deduktiv betrachtet müsste nicht nur bei repetitivem shift {e+c!E+c), sondern auch bei seinem antizipatorischen Pendant (a+e) die substitutive Variante (also A+e) aufzufinden sein, ebenso bei Metathesen die epenthetische Variante, wobei aber dann der Vertauschungseffekt nicht mehr ohne weiteres sichtbar sein könnte.
Wie man sieht, folge ich bei der Kategorisierung einem physiologischen Ansatz: Die Intentionen des Sprechers - die Gedanken, die den Äußerungen vorauseilen (von den meisten Autoren in den kaum näher spezifizierten Bereich des Psychologischen verwiesen) - bewirken ursächlich ein bestimmtes zeitliches Verhalten, und dies schon zu einem frühen Zeitpunkt im Prozess der Sprachproduktion, gemessen an dem Zeitpunkt der eigentlichen Äußerung. Das zeitliche Prinzip stelle ich in den Vordergrund - wegen des Vorauseilens der Gedanken entstehen antizipatorische Versprecher; aber man kann auch gegensätzliche beobachten: Repetitionen, in Sprachproduktionsmodellen in Verbindung gebracht mit dem Fehlen einer bestimmten Rücksetzkomponente (s. Dell/Reich (1980)). Antizipatorische und repetitorische Versprecher entstehen aktivierungsbedingt, was wiederum letztlich physiologisch bedingt ist. Elisionen bestimmten Typs, nämlich jedenfalls die nicht-dissimilatorischen (e), stehen nicht in Widerspruch zu diesem Aktivierungsprinzip. Sie lassen sich ja als Antizipationen betrachten, bei denen (wiederum aus Gründen der Aktivierung, nämlich zu geringer?) eine 'system-inhärente Korrektur' nicht mehr erfolgt - bzw. genauer: nicht mehr erfolgen kann.
20 Nach dem zeitlichen Prinzip zur Kategorisierung rangiert erst an zweiter Stelle ein weiteres physiologisches (bzw. auf lautlicher Ebene ein physiologisch-artikulatorisches) Prinzip, wonach jeder Reihenfolgefehler epenthetisch oder aber auch substitutiv resultieren kann. Man sieht, dass ich nicht denjenigen Autoren folge, die als oberstes kategoriales Prinzip Substitution von Insertion bzw. Elision unterscheiden und dann beispielsweise in den Topf Insertion sowohl antizipatorische als auch repetitorische Versprecher werfen, was allenfalls in der Pathologie bei artikulatorischer, logopädischer Behandlung sinnvoll sein mag.
Leider hat sich in englischsprachiger Fachsprache die Bezeichnung „Substitution" ohne einen weiteren Zusatz auch für 'Wortersetzung' eingebürgert, - eine Kategorie von Versprechern, die sich bei mir auf asz und kat verteilen, wobei gleich darauf hinzuweisen ist, dass ganz ähnlich der Substitution eines Begriffes innerhalb eines semantischen Feldes auch die Kontamination eines Wortes (katkon) vorkommt, bei der Teile zweier Begriffe miteinander in Kontakt geraten - verschmelzen was zeigt, wie begriffliche Assoziation, im Produktionsprozess zeitlich bedingt, auch epenthetisch (additiv), nicht nur substitutiv, in ein Syntagma eindringen kann, ebenso wie eine kleinere Einheit (z.B. auf lautlicher Ebene der Laut) eben entweder epenthetisch oder aber auch substitutiv wirken kann. Auch bei Antonymen lassen sich solche Epenthesen (mit antkon für Kontaminationen aus Antonymen bezeichnet) oder aber auch Substitutionen finden (mit ant bezeichnet - das sind auch die häufigeren antonymischen Versprecher). Eine vollständige Übersicht der Versprecherkategorien befindet sich im Appendix (S. 165/166), dort ebenso die notwendigen Erläuterungen zu ihren Abkürzungen (S. 167).
2.1.2. Kategorisierung von Dissimilationen (bzw. Similationen) - pragmatisch eingeführte Kategorien Um bei Elisionen regressive von progressiven Dissimilationen abgrenzen zu können, habe ich in Relation zur Position e der elidierten Einheit die jeweilige Position einer „induzierenden" (Wundt (1900: 424ff.)), identischen, intendierten Einheit mit /' gekennzeichnet. Die mit der Positionsangabe /' bzw. e gekennzeichneten Einheiten können alle möglichen lautlichen Einheiten beinhalten, i und e können unmittelbar aufeinander folgen (im Falle der Kontaktdissimilation) oder aber in Distanz zueinander (im Falle der Fern-Dissimilation). Hier werden nur die Fälle von Dissimilationen behandelt, die Konsonanten, KonsonantVokal-Verbindungen oder auch konsonantische Sprechgesten darstellen. Dabei wird die häufige Fern-Dissimilation einfach als Dissimilation bezeichnet, im Gegensatz zu einer Kontaktdissimilation. Ein Sonderfall der Kontaktdissimilation mit der elidierten Einheit Vokal/Konsonant bzw. Konsonant/Vokal in adjazenten Silben ist die Haplologie (vgl. Cardona (1968); Mayerthaler (1977: 53ff); Sturtevant (1917; 1961: 54); s.o. Dressler (1977)). Die Kennzeichnung der Position e derjenigen lautlichen Einheit in der Äußerung, die einerseits elidiert wurde, andererseits an einer mit i gekennzeichneten Position vor oder nach der Elision in der gleichen Ausprägung wie der der elidierten Einheit ja noch auftritt, gestattet die Unterscheidung von zwei Typen von Dissimilationen:
21 regressive (antizipatorische) vs. progressive (repetitorische) e+i „Preisrätsel" (statt 'Preisrätsel'; BK)
i+e „Spiel_traße" (statt 'Spielrtraße'; M.)
Es gibt viele ambige Fälle, bei denen die elidierte Lauteinheit ,ja schon vorher" geäußert wird und außerdem „sowieso noch hinterher" auftritt (um die naiven, intuitiv und spontan geäußerten Kommentare von Sprechern nach ihrem Versprechen wiederzugeben): i+e+i, z.B.: „der ganze Instantenzug" (statt: 'Instanzenzug'; Murko; elidiertes [s]). Versprecher bestimmter Kategorien (nämlich schon die von mir als e bezeichneten Elisionen) können keine Dissimilationen - bzw. Versprecher bestimmter anderer Kategorien können keine Similationen aufweisen. Das liegt jeweils an der Definition der Versprecherkategorie, die zum Teil von vornherein im Hinblick auf das Phänomen Dissimilation eingeführt wurde. In meinem Corpus, wie in Wiedenmann (1992a) wiedergegeben, gab es zunächst nur die Fehlerkategorie Elision - hier dagegen, und auch bei der Herausgabe der Versprecher dreier Sprecher aus Meringers Corpora und der Versprecher von BK und IK aus Kettemanns Corpus (vgl. Wiedenmann (1998)), ist diese Versprecherkategorie weiter unterteilt worden, gerade um dissimilatorische Elisionen sich von anderen Elisionen schon in der Bezeichnung abheben zu lassen. (So sind die Kategorien e+i und i+e bzw. die Kategorie für ambige Fälle i+e+i geschaffen worden, wobei /'jeweils für auch mehrmaliges Vorkommen derselben lautlichen Einheit zeitlich vor bzw. nach der elidierten stehen kann.) Dissimilationen (bzw. auch Similationen) entstehen aber auch in substitutiven bzw. epenthetischen antizipatorischen bzw. repetitorischen Versprechern: unter antizipatorischen Fehlern u.a. bei der Metathesis und bei beiden Arten von shifts. Beispiele für diese Fälle sind: „Eine Schwarzreißw - Schwarz'weißrolle" (Metathesis, i+E: substituierter Labiodental; N.); „find ich sonst sehr kittlsc/z" (statt: 'kitsc/iig'; shift (E+c), i+E: substituiertes [ç]; N.); „Das find ich nich so prom - proWe/watisch" (beinahe: „promeblatisch"; shift (a+e)/i+E: Velumgeste des Bilabiallautes; N.). Bei Metathesen und shifts können sich aber auch nur die zeitlichen Abstände in der Aufeinanderfolge kritischer Laute der Äußerung verändern. (Bei derartigen Fehlern wurde oft im Kommentar auf die Veränderung in der „zeitlichen Distanz der Laute" zueinander hingewiesen.) Diese Distanzveränderung stellt bei einer Vergrößerung der Distanz gewissermaßen eine Wirkung dissimilatorischer Kraft dar - dagegen bei Verringerung der (zeitlichen) Distanz gewissermaßen eine Similation, denn gleiche bzw. ähnliche Einheiten folgen schneller aufeinander als entsprechend der kanonischen Form der Äußerung ursprünglich intendiert. Beispiel für eine Dissimilation auf Grund von Distanzvergrößerung in einer Metathesis ist: „Je vais taire du fé" statt 'Je vaisyàire c?u thé\ mit größerem, zeitlichem Abstand der Labiodentalgesten, - sicherlich aber auch rhematisch bedingt (s. Grammont (1895: 185); auch die apiko-alveolaren Gesten in „taire quis-quiliae [...])",
konnte nicht bestätigt werden für /s/, das in dieser Situation keinmal vorkommt. Aber allein bei Meringer, der für diese fC7^C2F-Situation immerhin 11 dissimilatorische Elisionen (der insgesamt 18 Fälle aller Probanden) beisteuert, sind 3 4 2 2
Fälle von /k/ („(K)schnas von Gsang"; „dem (K)reise"; „kein (K)schäft"), Fälle von /d/ („die (d)reißig"; „da (d)runten"; „a (d)reckige"; „die (D)resdner"), Fälle von /t/ („im (T)raum"; „die (/t/)sahl") und Fälle von /JV („dem (S)taat"; „Studenten (sch)merzlich")
als C1 in einem Konsonanten-Cluster ausgelassen worden. Betrachtet man in der Wortanlaut-Situation (C1)C2V- die allein betroffenen Konsonantengruppen k+g, t+d, j+3 und p+b, so sieht man, dass unter insgesamt 56 Gewichtsanteilen für alle Konsonanten die Gruppe k+g mit 32 Anteilen stark vertreten ist, verteilt auf drei Probanden. Auf den Frikativ /J-/ entfallen im Vergleich dazu nur 15 Gewichtsanteile, verteilt auf drei Probanden, also etwas mehr als nur 1/4 (bezogen auf die Gruppe k+g). Betrachtet man nun die 34 Fälle der Wortanlaut-Situation C1(C2)V- und die dabei dissimilatorisch elidierten Konsonanten, so wird deutlich der hohe Anteil von /r/-Elisionen: insges. 19 Fälle (17 Fälle von uvularem plus 2 Fälle von apicoalveolarem /r/); 45 Gewichtsanteile; gegenüber: /l/-Elisionen: 11 Fälle; 24 Gewichtsanteile. Die Gewichtsanteile von Irl verhalten sich zu denen von IV wie etwa 2:1. Demgegenüber fallen die 2 Fälle von /n/ (Gewichtsanteil: 1,1) plus die 2 Fälle von IM (Gewichtsanteil: 1,4) kaum ins Gewicht. Andere Konsonanten sind in dieser phonotaktischen Situation nicht vorgekommen. Wie sehen jedoch alle Ergebnisse zum Wortanlaut aus, wenn man bei der Gewichtung für die dissimilatorisch elidierten Konsonanten (entsprechend deren Konsonanten-Vorkommenshäufigkeit in gesprochener Sprache, wie bisher durchgeführt) nun zusätzlich noch zum Vergleich die jeweils unterschiedliche phonotaktische Situation im Wortanlaut berücksichtigt?
38 (C) V-\ 7 Fälle (= 11 Gewichtsanteile), (Cl)C2V-\ 18 Fälle (= 56 Gewichtsanteile) und Cl(C2)V-\ 34 Fälle (= 71 Gewichtsanteile): Auszugehen ist dabei von den bereits errechneten Gewichtsanteilen. Sie müssen modifiziert werden, je nachdem, ob es sich um bestimmte einzelne anlautende Konsonanten oder um bestimmte Konsonanten-Cluster im Wortanlaut handelt. Die dazu notwendigen relativen Frequenzen finden sich in Ortmann (1991: 187) als Textfrequenz, bezogen auf 9.534.379 Fälle von Anlautkonsonanzen (also Wörtern; = 100 %). Aus den Histogrammen (vgl. Wiedenmann (1997b: 68-70); hier S. 36) geht hervor, auf welche spezifischen Konsonanten und mit welchen Einzelgewichtungen sich die phonotaktischen Situationen bei dissimilatorischer Elision beziehen, und die genaue Konsonantenumgebung aus den Daten (vgl. Wiedenmann (1997b: Appendix zu 2.3.1.1.4.)), entsprechend den nachfolgenden Tabellen. (C) V-: 11 Gewichtsanteile setzen sich wie folgt zusammen: Gewichtsanteil Konsonant rel. Frequenz korr. Gewicht h 3,580 % 8,43 R 16,07 1,061 % 6,15 4,023 % g k 1,933 % 8,82 d 17,593 % 0,52 s 2,51 6,635 % 42,50 Dabei ist für das /s/ im Wortanlaut (entsprechend süddeutscher Aussprache) die relative Frequenz des Izl aus Ortmann (1991: 186) verwendet worden. Je häufiger eine Anlautkonsonanz ist, desto geringer ist hier das Gewicht. Das korrigierte Gewicht errechnet sich jeweils (aus ungerundeten Zahlen für die Gewichtsanteile) als: Gewichtsanteil *10 / relative Frequenz.
(Cl)C2V-\ 56 Gewichtsanteile setzen sich wie folgt zusammen: Gewichtsanteil 14
Konsonanten (g)R
rel. Frequenz 0,566 %
korr. Gewicht 245,39
1,7 12 2,4 1,7
(k)+ß (k)n (k)+f (k)R
4,023*0,002 % 0,023 % 4,023*0,900 % 0,201 %
3,6
(d)R
0,156%
233,84
0,55 0,75
(t)R (t)s
0,319% 3,249 %
18,69
10,15 4,65
(f)t (S)m
0,918% 0,024 %
2047,71
4,2 56
(b)l
0,212%
196.54 10203,8
7461,66
Die Anlautkonsonanzen der dissimilatorischen Elisionen von Meringer (s. S. 36), wobei für die Fälle „Kschnas" (dialektal für 'Geschnas'), „Kschäft" (für 'Geschäft') und „Kscheits" (für 'Gescheites'; N.) nach Ortmann (1991: 189ff.) die Wortinlautkonsonanzen /Jn/ und /J7, verrechnet mit der Anlautkonsonanz /g/ (wegen ge-), bei der Errechnung der relativen Frequenz herangezogen werden. (Den relativen Frequenzen für die Inlautkonsonanzen liegen 5.621.720 Fälle, d.h. jeweils mindestens zweisilbige Wörter, zu Grunde, nach Ortmann (1991: 198).)
39 Cl(C2)V-\ 71 Gewichtsanteile setzen sich wie folgt zusammen (wobei hier nicht mehr die detaillierte Berechnung aufgezeigt wird): Gewichtsanteil 38,2 10,7 13,4 5,8 1,1 _L4 71
Konsonant g(R), k(R), t(R), f(R), ß(R),f(R),p(R) g(l),k(l),f(l),b(l), f(l), d(r), p(r) f(n) f(t)
korr. Gewicht 1701,85 1619,21 310,74 307,47 15,0 3954,3
Für die dissimilatorischen Elisionen im Wortanlaut der unterschiedenen phonotaktischen Situationen ergeben sich entsprechend den vorangehenden Berechnungen folgende korrigierte Gewichte: (QV-: 7 Fälle (= 11 Gewichtsanteile, korr.: 42,5); (Cl)C2V-\ 18 Fälle (= 56 Gewichtsanteile, korr.: 10204) und Cl(C2)V-\ 34 Fälle (= 71 Gewichtsanteile, korr.: 3954). Daraus sind nun neue Relationen ersichtlich: Größtes Gewicht haben dissimilatorische Elisionen von C1 im Wortanlaut-Cluster C1C2, geringstes Gewicht die Elision eines einzelnen Konsonanten C im Wortanlaut. Mittlere Häufigkeit hat dissimilatorische Elision eines zweiten (oder dritten, z.B. Irl in /Str/) Konsonanten im Wortanlaut-Cluster C1C2, etwa 100-mal häufiger als die Elision eines Einzelkonsonanten C im Wortanlaut, und sie hat dabei nur etwa 40 % der Häufigkeit von Elisionen des ersten Wortanlautkonsonanten C1 - immer vom (korrigierten) Gewicht her betrachtet. Was in Schopf (1919: 165) zum Sprachwandel gesagt wird und was zunächst veraeint werden musste (vgl. hier S. 37) - der wortanlautende Konsonant könne am leichtesten schwinden, wenn er vor einem anderen Konsonanten stehe -, kann also doch für das Versprechen bestätigt werden. Vergleicht man die Art der dissimilatorisch elidierten Konsonanten für die WortanlautSituation bei Ausfall von C1 versus Ausfall von C2, so ergeben sich deutliche Unterschiede: Elisionen von C1 ItJ, /k/, /d/, IM, /JV, Pol
Elisionen von C2 Irl, IV, /n/, IM.
Relativ oft sind bei dissimilatorischer C1-Elision /k/ und /J7 betroffen, bei C2-Elision sind es das IM und vor allem beide Varianten von Irl. Von dissimilatorischer Elision des einzelnen Konsonanten C im Wortanlaut ist überwiegend (uvulares) Irl betroffen. 2.3.1.1.5. Dissimilatorische Elision im Wortinneren, silben-initial Ganz analog zu dissimilatorischer Elision am Wortbeginn (s. 2.3.1.1.4.) wird hier silbeninitial im Wortinlaut wieder unterschieden zwischen Elision eines einzelnen Silbenanlautkonsonanten, des ersten Konsonanten in einem Cluster und eines anderen als des ersten Konsonanten in einem Cluster:
40 Dissimilatorische Elisionen im Wortinneren, silben-initial: gewichtete Fälle aller Sprecher (100 % für nk bei: Meringer 255, Rida 61, Murko 36, BK 150, IK 186, M. 202 und N. 594 Versprecher)
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