201 6 8MB
German Pages 254 [256] Year 2000
Linguistische Arbeiten
412
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Probleme der Interaktion von Lexik und Aspekt (ILA) Herausgegeben von Walter Breu
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Probleme der Interaktion von Lexik und Aspekt (ILA) / hrsg. von Walter Breu. - Tübingen : Niemeyer, 2000 (Linguistische Arbeiten; 412) ISBN 3-484-30412-X
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis Vorwort Bichel, Balthasar (Zürich /Berkeley) Unlogischer Aspekt: zur Bedeutungsstruktur von Aspekt und Aktionsart, besonders im Belharischen
VII
1
Breu, Walter (Konstara) Zur Position des Slavischen in einer Typologie des Verbalaspekts (Form, Funktion, Ebenenhierarchie und lexikalische Interaktion)
21
Chapado Chorro, M. Olga (Köln) Spanische Verbalperiphrasen und Verbklassifikation
55
Csato, Eva Agnes (Köln) Zur Phasenstruktur ungarischer Aktionalphrasen
75
Drolc, Ursula (Bayreuth) Zur Typologie des Perfekts (am Beispiel des Swahili)
91
Gardenghi, Monica (Bayreuth) Zur Frage der Kompatibilität der Aoristformen mit TSTA- und ISTA-Verbbedeutungen im Italienischen
113
Johanson, Lars (Mainz) Grenzbezogenheit in Aspekt und Lexik am Beispiel türkischer Postverbialkonstruktionen
129
König, Christa (Köln) Der Proximativ: Neu und verwirrend?
141
Leluda-Voß, Christina (Freiburg i. Br.) Die Interaktion zwischen poststadialen Aspekten und Aktionalklassen am Beispiel des Neugriechischen
159
Mosel, Ulrike (Kiel) Aspect in Samoan
179
Sasse, Hans-Jürgen (Köln) Aspektsemantik und Lexikonorganisation im Cayuga
193
Vorwort Die Aufsätze in dem vorliegenden Sammelband gehen in ihrem Ursprung mehrheitlich auf Vorträge zurück, die auf der Tagung Interaktion von Lexik und Aspekt (ILA) im Mai 1995 an der Universität Konstanz gehalten wurden. Im Verlauf der durch eine Reihe von Faktoren verzögerten Entstehung dieses Bandes wurden die ursprünglichen Darstellungen zum Teil in erheblichem Umfang überarbeitet oder neu geschrieben, nicht zuletzt auch aufgrund von Einwänden und Anregungen der Gutachter. Eine Homogenität der Terminologie, die wohl nirgends so schwer zu erreichen wäre wie gerade in der Aspektologie, war dabei allerdings nicht herzustellen. Sie hätte auch dem in theoretischer Hinsicht offenen Charakter der ILA-Diskussion widersprochen. Dennoch wurden unter Einbeziehung der Hinweise der Gutachter einige Anpassungen vorgenommen. So wurde der Terminus „Verbalhandlung" oder „Handlung" überall dort durch „Sachverhalt" ersetzt, wo von beliebigen Verbinhalten, also unter Einschluß von Zuständen, die Rede ist. Die Termini „aspektuelle", „aktionale" oder „aspektsensitive Verbklassen" werden synonym mit „Aktionsarten" gebraucht, unabhängig von der konkreten morphologischen Bildungsweise der betreffenden Verben. Andererseits war eine Ersetzung von „Sachverhalt" durch den in der Temporalsemantik fur das Denotat von Verben üblichen Terminus „Situation" nicht möglich, da dieser im Bereich einzelner Aspektmodelle anderweitig, nämlich zur Bestimmung von Aspektfiinktionen im textuellen Zusammenhang verwendet wird („gegebene Situation" vs. „Situationsveränderung"). Alle Beiträge befassen sich entsprechend dem Thema der ILA-Tagung mit dem Einfluß der lexikalischen Bedeutung auf die Funktionen des Verbalaspekts, haben aber sehr verschiedene Sprachen und mehrere Aspektkategorien (bzw. Aspektgrammeme) zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht. Trotz der verschiedenen Theoriemodelle oder Modellvariationen zur Beschreibung der Interaktion von Lexik und Aspekt, die hier zur Anwendung kommen, kann eine von mehreren Beiträgern thematisierte und in der Aspektologie keineswegs selbstverständliche Kompatibilität aller theoretischen Ansätze in dem vorliegenden Sammelband festgestellt werden, vgl. etwa die Aufsätze von B. Bickel, U. Drolc und H.-J. Sasse. Deshalb hat sich auch die Diskussion auf der Tagung, an der auch eine Reihe von Nachwuchswissenschaftlern teilnahm, als außerordentlich fruchtbar erwiesen. Ich danke an dieser Stelle allen Autoren für das Bestreben, auch in theoretischer Hinsicht das Gemeinsame in der Verschiedenheit herauszuarbeiten. Besonders hervorzuheben ist die völlige Übereinstimmung bezüglich der Notwendigkeit der Trennung von (grammatischem) „Aspekt" und (lexikalisch-aktionaler) „Aktionsart" und der Annahme aspektsensitiver Verbklassen, die auf den Grenzeigenschaften bzw. Phasenstrukturen von Sachverhalten beruhen. Die untersuchten Sprachen verteilen sich auf vier Kontinente, wobei neben dem indoeuropäischen Bereich (Italienisch, Neugriechisch, Slavisch, Spanisch) auch Sprachen anderer Gruppen und Typen (Belharisch, Cayuga (Irokesisch), Maa(sai), Samoanisch, Swahili, Türkisch, Ungarisch) stark vertreten sind, während das in der einschlägigen Literatur ausfuhrlich behandelte Englische nur als Erklärungs- und Referenzsprache auftritt. Im Bereich des Perfekts wird des öfteren auch das Deutsche als Vergleichssprache herangezogen. Die Beiträge in dem vor-
VIII
liegenden Band stammen zu einem nicht unerheblichen Teil von Muttersprachlern der betreffenden Sprachen, sonst liegen ihnen Feldforschungen vor Ort oder ausfuhrliche Informantenbefragungen zugrunde. Den zumeist deutsch abgefaßten Untersuchungen ist zur besseren Übersicht eine Gliederung vorangestellt, außerdem ein englisches Resümee oder, soweit das für die Rezeption des ILA-Modells in der einzelphilologischen Diskussion sinnvoll erschien, ein Resümee in der Sprache, die auch Beschreibungsobjekt des betreffenden Beitrages ist. Bezüglich der untersuchten Aspektkategorien liegt ein gewisser Schwerpunkt auf der Opposition „perfektiv : imperfektiv" (einschließlich Aorist, Imperfekt, Prozessiv), doch spielen auch das „Perfekt" und mit ihm verwandte Kategorien (Resultativ etc.) eine wichtige Rolle. Dazu kommen bisher kaum zutage getretene Grammeme, namentlich „Proximativ" und „Ingressiv", sowie Untersuchungen zur Relevanz aspektsensitiver Verbklassen auch für (aktionale) Verbalperiphrasen. Ich danke meinen Mitarbeitern und Hilfskräften herzlich fur Ihren Einsatz bei der Durchfuhrung der Tagung und bei der Fertigstellung des Manuskripts fur den Druck. Mein Dank gilt auch den Herausgebern der „Linguistischen Arbeiten", insbesondere Heinz Vater, Köln, für die Aufnahme des Sammelbandes in ihre Reihe. Konstanz, im Sommer 1999
Walter Breu
Balthasar Bichel (Zürich / Berkeley)
Unlogischer Aspekt: zur Bedeutungsstruktur von Aspekt und Aktionsart, besonders im Belharischen1 Abstract This paper seeks to determine what format of semantic representation is compatible with 'selection theories' of aspect. In selection theories, which have been recurrently postulated in the literature, viewpoint aspect and Aktionsart (lexically given time structure) are in an operator - operandum relationship. Aspect operators select matching elements in an Aktionsart, thereby highlighting specific boundaries or phases. By way of a case study of Belhare, a Tibeto-Burman language of Nepal, I propose that selection theories require a format of semantic representation that excludes logical entailments and truth conditions beyond a minimal core of grammatically relevant aspect and Aktionsart meaning. This calls for a specific level of meaning representation where only grammatically relevant meaning is encoded and contradicts the widely held assumption that all situationally non-defeasible meaning is part of the same 'semantic' structure.
Inhalt 1. Problemstellung 2. Vorbemerkungen 2.1. Theoretische Annahmen und Terminologie 2.2. Aspekt und Aktionsart im Belharischen 3. Semantik vs. Logik in Aspektbedeutungen: der belharische Inzeptiv 4. Semantik vs. Logik in Aktionsarten: transformative Verben 5. Schlußfolgerungen
1. Problemstellung Wie schon öfters bemerkt wurde, kann man das Verhältnis von Semantik zu Bedeutung als analog zu demjenigen von Phonologie zu Laut auffassen (z. B. JAKOBSON 1944 oder MOHANAN 1994). Ebenso wie die phonologische Repräsentation nur diejenigen Elemente der Lautgestalt in sich schließt, die für die Sprachstruktur entscheidend sind, ebenso umfaßt die 'Semantik' - sofern man den Terminus nicht wie zum Beispiel LYONS (1977) gleichbedeutend mit 'Bedeutungslehre' im allgemeinen versteht - nur dasjenige an Bedeutung, was notwendiger 1
Der vorliegende Aufsatz führt Ideen aus, die ich an der Tagung zur Interaktion von Lexik und Aspekt in Konstanz, 25.-27. Mai 1995, vorgetragen habe. Ich danke den Teilnehmern für die hilfreiche Diskussion. Zu einem besonderen Dank bin ich Sabine Stoll verpflichtet, die mich zuerst davon überzeugt hat, wie wenig kodierte Semantik und wieviel Pragmatik für aspektuelle 'Bedeutungen' verantwortlich ist. Ferner danke ich Karen Ebert, Lukas Neukom und W. Breu für nützliche Kommentare zu einer Vorfassung des Aufsatzes.
Β. Bickel
2
Teil der Sprachstruktur ist. Ausgeschlossen davon sind insbesondere alle Schattierungen und Nuancen, die aus dem Kontext mitverstanden werden anstatt von sprachlichen Zeichen kodiert zu sein. Solche Erscheinungen von 'Bedeutung' haben ihren Platz in der Pragmatik, der Lehre vom konversationellen Denken, die mehr Teil der kognitiven Psychologie und Anthropologie ist als der Linguistik sensu strict δ. Spätestens seit GRICE'S (1975, 1978) bahnbrechenden Arbeiten dazu ist die Unterscheidung von sprachlich kodierter, d.h. semantischer, und kontextuell suggerierter, also pragmatischer Bedeutung ein dominierendes Prinzip der Sprachtheorie (so schwierig es in der deskriptiven Praxis auch sein mag, die Unterscheidung strikt zu befolgen). Traditionellerweise wird zur Semantik eines Ausdruckes alles gerechnet, was vom Ausdruck unwiderruflich impliziert wird, d.h. alle Bedeutung, die sich nicht als pragmatischer Kontexteffekt wegerldären läßt, sondern dem sprachlichen Zeichen ebenso unauflöslich angehört wie seine distinktiven Lautmerkmale und durch alle möglichen Kontexte hindurch dieselbe Gültigkeit bewahrt. Was von einem Ausdruck unwiderruflich impliziert wird, gehört zu seinen 'Wahrheitsbedingungen'. Ob man sich dieser logizistischen Redeweise anschließt oder nicht, es gehört zu den üblichen Methoden der Semantikforschung, daß man testet, was zwingend aus einem Ausdruck folgt und was nicht. Es ist zwar offensichtlich, daß diese Methode nicht die Semantik aller Ausdrücke erschöpfen kann, da Sprache weit mehr als nur eine darstellende Funktion hat, aber wenigstens dort, wo Sprache auf Beobachtbares referiert, scheint die Methode unzweifelhaft zu greifen: wir würden kaum das Argument bezweifeln, daß 'Farbe' oder 'farbig' zur Semantik von blau gehört, weil blau notwendig impliziert, daß auch das Prädikat farbig zutrifft. In der Feldforschung ist das Suchen nach solchen Implikationen lexikographischer Alltag, und wir schreiben getrost'blau bezeichnet eine Farbe, die ..." in die Wörterliste. Ein Sprecher des Belharischen, einer tibetoburmanischen Sprache Nepals,2 gab mir unter anderem folgende Wahrheitsbedingung für Verbformen, die mit dem Morphem -kett gebildet werden (Das Dimittivsuffix -renn deutet an, daß der 'Undergoer' ('U') in Bewegung sein muß, und der temporäre Aspekt bezeichnet einen zeitlich begrenzten Progressiv mit der Nuance 'gerade jetzt'. Das zweite Iii von -kett ist extrasilbisch im Beispiel und fällt deshalb weg; oft wird die Endung zu -ke verkürzt):3 2
3
Die Daten zum Belharischen stammen aus Feldforschungen, die ich mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft seit 1991 durchgeführt habe. Ich bin insbesondere Lekh Bahadur Räl zu tiefstem Dank verpflichtet. Ohne seine muttersprachlichen Intuitionen wäre mir die belharische Grammatik verschlossen geblieben. Eine ausführliche Darstellung des belharischen Tempus-, Modus- und Aspektsystems findet sich in BICKEL (1996). Besondere Abkürzungen sind: A 'Actor', ADD 'Additiv' ('auch, sogar'), ART 'Artikel', DL 'Dual', EXKL 'Exklusiv' ('ohne Addressaten'), I 'Interrogativ', IMP 'Imperativ', INIT 'Gesprächsinitiierende Partikel', INKL 'Inklusiv', INZ 'inzeptiver Aspekt', IPFV 'imperfektiver Aspekt', KONF 'konfirmatorische Partikel', MED 'Mediativ' ('via, von durch'), Ν 'Nominalisierungssuflix', NPT 'Nichtpräteritum', NS "Nichtsingular (Dual oder Plural)', OBL 'obliquer Kasus', PT 'Präteritum', TEMP 'temporärer Aspekt', TOP 'Topikmarker', U 'Undergoer'. - Einige morphonologische Effekte erschweren das Verständnis der Beispiele (siehe BICKEL 1996: Kap. 3): Aus prosodischen Gründen werden morphemfinale Nasale und Okklusive in vielen Umgebungen geminiert, in anderen sind sie einer prävokalischen Sonorisierung unterworfen. Vokalsequenzen werden vielfach vereinfacht; insbesondere schwindet -« '3. Person Undergoer' nach dem Ver-
gangenheitszeichen -(h)e.
Aspekt und Aktionsart im Belharischen (1)
ni-retm-hett-u-m-na
3 bela
'khat-ket'.
sehen-DIMrrnV-TEMP-3U- 1PL.A-ART Zeit
gehen-KET
'Wenn man jemanden gerade in Bewegung sieht, [dann kann man sagen] 'er ist am Gehen'.' Weiteres Nachfragen bestätigte, daß Bewegung zum Referenzzeitpunkt zu den unwiderruflichen Implikata von khatket gehört. Daraus scheint zu folgen, daß 'Bewegung' oder mindestens 'Aktivität zum Referenzzeitpunkt' zur Semantik der Form gehört. In diesem Aufsatz verfolge ich die Hypothese, daß der Schluß von logischem (d.h. unwiderruflichem bzw. notwendigem bzw. analytischem) Implikatum auf Semantik falsch ist, und daß es notwendig ist, innerhalb der nicht-pragmatischen Bedeutung zwischen sprachstrukturell relevanter, d.h. semantischer Bedeutung und sprachstrukturell irrelevanter, d.h. logischer Bedeutung zu unterscheiden. Die semantische Repräsentation eines Zeichens ist nicht nur ärmer als seine pragmatischen Implikaturen, sondern auch ärmer als seine logischen Implikationen. Beides, Pragmatik und Logik, sind nicht Teil der sprachlichen, sondern der konzeptionellen Struktur, d.h. des Denkens. Diese Hypothese ist nicht nur deshalb von unmittelbarer Brisanz für die Theorie von Aspekt und Aktionsart, weil sich eine große aspektologische Tradition einem logizistischen Programm verschrieben hat, sondern - wie ich zu zeigen hoffe - weil sie eine fundamentale Beschränkung aufstellt für jede Theorie, die das Verhältnis von Aspekt und Aktionsart als eines von Operator und Operandum auffaßt. Entscheidend fur solche Theorien ist, daß Aspektoperatoren (wie 'Perfektiv' oder 'Imperfektiv') Aktionsarteneinheiten (wie 'Phase' bzw. 'Situation' oder 'Grenze' bzw. 'Situationsveränderung' bzw. 'Transformation'), die mit ihnen kompatibel sind, delegieren' und als relevant für den Referenzzeitpunkt hervorheben. Ich nenne solche Theorien, wie sie unter anderem von JOHANSON (1971, in diesem Band), TLMBERLAKE (1985), BREU (1984, 1985, in diesem Band), SASSE (1991a, 1991b, in diesem Band) oder BICKEL (1995a, 1996, 1997) vertreten werden, 'Selektionstheorien'. Ich werde im Folgenden zeigen, daß es für Selektionstheorien in gewissen Bereichen von Vorteil, in anderen Bereichen sogar von Notwendigkeit ist, zwischen semantischer und logischer Bedeutung zu unterscheiden: Aspektoperatoren werden mit Vorteil ausschließlich semantisch definiert (Abschnitt 3) und Aktionsartenrepräsentationen enthalten notwendigerweise ausschließlich semantische Information (Abschnitt 4). Zuerst werde ich aber in Abschnitt 2 einige theoretische Annahmen und terminologische Entscheidungen erläutern. Zudem gebe ich einen kurzen Überblick über die Aspekte und Aktionsarten des Belharischen, da ich die Diskussion weitgehend auf Daten dieser Sprache stütze.
2. Vorbemerkungen 2.1. Theoretische Annahmen und Terminologie Ich verwende den Terminus 'Aktionsart' im Sinne von JOHANSON (in diesem Band) oder VAN VALIN / LAPOLLA (1997) für Zeitstrukturen, die von einzelnen Lexemen oder von Kombina-
Β. Bickel
4
tionen von Lexemen ausgedrückt werden. Für das, was in der slavistischen Tradition Aktionsart genannt wird (z.B. ISAÖENKO 1962), reserviere ich den Terminus 'Aktionsartenmodifikator'. Unter 'Aspekt' verstehe ich Operatoren, die bestimmte Aktionsartenelemente selegieren. Ein 'perfektiver' Aspekt selegiert aktionsartliche 'Grenzen', ein imperfektiver 'Phasen'. Durch diese Selektion rücken bestimmte Aktionsartenelemente in den Vordergrund und werden unter Ausschluß anderer allenfalls vorhandener Elemente als gültig zum Referenzzeitpunkt behauptet. Zum Beispiel selegiert das französische imparfait in eile me convainquait zum passi
in Opposition
simple und passe compose die Phase des Überzeugungsprozesses unter Ausblen-
dung seiner erreichbaren Grenze, während etwa der russische Perfektiv ona menja ugovorila in Opposition zum 'Imperfektiv' ugovarivala die Endgrenze des Überzeugens selegiert und damit den Erfolg dieses Prozesses signalisiert. Zur minimalen Definition von 'Grenze', im folgenden durch τ symbolisiert (vgl. BICKEL 1996), gehört, daß ein Wechsel von einer Situation zu einer anderen kodiert wird. Zur Definition von 'Phase', repräsentiert durch φ, gehört, daß eine zeitlich ausgedehnte, nicht-punktuelle Struktur vorliegt. Es ist möglich und wünschenswert, weitere Unterscheidungen vorzunehmen, z.B. zwischen zuständlicher und dynamischer Phase (EBERT 1995), aber das Folgende bleibt davon unberührt und beansprucht Gültigkeit für jede besondere Ausgestaltung einer Selektionstheorie. Dasselbe gilt für mögliche weitere Unterscheidungen von Phasenselektoren, z.B. in 'progressive' oder 'temporäre' Aspekte oder in Selektoren mit verschiedenen 'Fokalitätsgraden' (JOHANSON, in diesem Band). Ich verfolge das eingangs bemerkte Prinzip einer strikten Trennung von pragmatischer und semantischer Information. Das bedeutet, daß kontextuell aufhebbare aspektuelle Information wie zum Beispiel die einen Verlauf bezeichnende Lesart des russischen Imperfektivs nicht Element der Aspektsemantik sein kann. Wie verschiedentlich betont wurde, ist der (heutige) russische Imperfektiv aspektuell leer, d.h. semantisch gesehen eine Nullform, und erhält aspektuelle Interpretationen erst durch seine systematische Opposition zum Perfektiv (vgl. z.B. JAKOBSON 1932, FORSYTH 1970 o d e r COMRIE 1976). D e m g e g e n ü b e r ist z u m Beispiel d a s f r a n z ö s i s c h e
imparfait
oder der türkische Imperfektiv auf -Iyor semantisch positiv als Phasenselektor
ausgezeichnet (JOHANSON 1971). In der allgemeinen Aspektlehre geraten wir dadurch in eine terminologische Zwickmühle, da wir einen positiven Terminus 'Imperfektiv' ebenso benötigen wie einen negativen 'Im-perfektiv' oder 'Nicht-perfektiv'. Außerhalb der slavistischen Tradition hat sich die Verwendung von 'Imperfektiv' für semantisch positiv charakterisierte Phasenselektoren weitgehend durchgesetzt, und ich schließe mich hier diesem Gebrauch an.
2.2. Aspekt und Aktionsart im Belharischen Abgesehen von zwei Perfektvarianten, die hier nicht behandelt werden, unterscheidet das Belharische drei Aspekte: einen Imperfektiv auf -yakt ~ -yau ~ -ya, einen 'temporären' Aspekt auf -hett, sowie eine Form auf -kett, die in Abschnitt 4 ausfuhrlich diskutiert werden wird. 4 4
Daneben finden wir eine Form fiir räumlich distribuierte Ereignisse (-kon), die sich aber aspektuell gleich wie der temporäre Aspekt verhält. Andere Kategorien der Verbalmorphologie sind ein Morphem für defi-
5
Aspekt und Aktionsart im Belharischen
Sowohl der imperfektive wie der temporäre Aspekt selegieren aktionsartliche Phasen, der temporäre zusätzlich jede adjazente Grenze. Beide Aspekte stehen in Opposition zu einer neutralen, unmarkierten Form, die - ähnlich wie im Türkischen oder Englischen - durch diese Opposition gerne perfektivische Lesarten annimmt. Das Belharische kennt eine binäre Tempusunterscheidung in Präteritum (auf -(h)e ~ -at) und Nichtpräteritum (auf -t ~ -yuk). Der Imperfektiv verbindet sich ebenso mit präteritalen wie mit nichtpräteritalen Formen. Der temporäre Aspekt hingegen ist auf nichtpräteritale Referenz beschränkt, wo er aktuelle Progressivsituationen beschreibt, die - in Abhängigkeit von der jeweiligen Aktionsart - einseitig oder beidseitig zeitlich begrenzt sind. Der Unterschied zwischen imperfektivem und temporärem Aspekt läßt sich an folgendem Minimalpaar illustrieren (siehe BICKEL 1996: Kap. 5 fur eine ausfuhrliche Diskussion und mehr Beispiele):
(2a)
he-na
bela tas-u-m-cha,
kam
cog-yau-t-u.
welch-ART
Zeit
Arbeit
tun-IPFV-NPT-3U
erreichen-3U-lPL.A-ADD
'Wann auch immer wir dort ankommen, er ist am Arbeiten.'
(2b)
*he-na
bela tas-u-m-cha,
kam
cokg-hett-u.
welch-ART
Zeit
Arbeit
tun-TEMP-3U
erreichen-3U-lPL.A-ADD
'Wann auch immer wir dort ankommen, er ist am Arbeiten.' Die temporäre Form cokghettu in (2b) impliziert eine zeitliche Beschränkung bzw. ein absehbares Ende der Tätigkeit. Dies macht die Form unvereinbar mit der im Nebensatz ausgedrückten Idee der Unbegrenztheit. Demgegenüber ist der Imperfektiv zeitlich unbeschränkt und fugt sich problemlos in das Satzgefüge ein. Durch die Opposition zum temporären Aspekt im Nichtpräteritum erhält der Imperfektiv auch häufig eine kontinuative Nuance, z. B. khorj-yau [spielenIPFV] 'er spielt weiter, unaufhörlich' (mit metrisch bedingter Tilgung des Nichtpräteritumzeichens -t) vs. khorjrf-het [spielen-TEMP] 'er ist jetzt am Spielen'. Im Präteritum, wo der Imperfektiv der allein verfügbare Phasenselektor ist, fehlt diese Konnotation typischerweise:
(3 a)
u-na
om-yakt-he.
3POSS-ältere.Schwester
weiß-IPFV-PT
'Seine Schwester war weiß (d.h. hatte sehr blasse Haut).'
(3b)
nua-ga
hi
mai-ett-he ...
mi
tub-yakt-he-r/.
Vogel-OBL
Scheiße
lSG.U-scheißen.auf-PT
Feuer
blasen-IPFV-PT-lSG.A
'Ein Vogel hat auf mich geschissen ... [gerade als] ich das Feuer entfachte.' Die Implikation von Begrenztheit, die die Anwendung des temporären Aspektes auf Verben wie cok- 'tun' oder khoijs- 'spielen' hat, läßt vermuten, daß diese Verben eine delimitative Aktionsart haben (im folgenden durch '[τ φ τ]' repräsentiert). Dies ist in der Tat ein Charakteristikum der meisten dynamischen, aber auch einer Reihe statischer Verben. Auch bei Prädikaten nitive futurische Ereignisse (-yuk), ein Inkonsequenzial für vergeblich durchgeführte Handlungen (-kone) sowie ein Konjunktiv (-α), ein Imperativ (-ο ~ -an) und ein Optativ (ak-).
6
Β. Bickel
wie chuk- 'verkäuflich sein' impliziert der temporäre Aspekt ein baldiges Ende (4a), im Gegensatz zum Imperfektiv, der Kontinuität suggeriert (4b). (4a)
chukg-het-kha. gut.verkäuflich-TEMP-N5
'Das läuft (zur Zeit) gut (im Laden).' (4b)
chug-yau-kha, gut.verkäuflich-IPFV-N
na-na. DEM-TOP
'Das läuft gut (und wird immer gut laufen), das [hier].' Die delimitative Struktur statischer Verben wie chuk- wirft Zweifel auf die von
BREU
(1994)
angenommene Korrelation von Dynamizität und Begrenztheit, bestätigt aber dafür die im vorangehenden Abschnitt getroffene theoretische Annahme, daß das Phasensymbol φ bezüglich Dynamizität neutral ist. Eine andere Lesart des temporären Aspektes ergibt sich bei Verben, die eine andere als delimitative Aktionsart haben. Das Belharische kennt wie viele andere Sprachen auch Verben mit einer ingressiv-phasalen '[τ φ]' Zeitstruktur. In solchen Fällen fehlt eine Endgrenze, weshalb der temporäre Aspekt auch keine solche implizieren kann. Dafür betont er die - hier durch eine Zeitangabe genauer bestimmte - Initialgrenze zusammen mit der anschließenden Phase: (5)
namni rjrj-etnahu rj leUtes.Jahr-TEMPORALER.ABL
misen ni-hett-u.6 kennen-TEMP-3U
'Er kennt ihn seit letztem Jahr (das heißt, er hat ihn vor einem Jahr kennengelernt und kennt ihn also jetzt).' Die ingressiv-phasale Natur von Verben wie misen nis- 'kennen' läßt sich auch daran erkennen, daß die präteritale nicht-imperfektive Form des Verbs den Eintritt in eine aktuelle Situation bezeichnen kann und daher mit einem nicht-präteritalen temporären Aspekt paraphrasiert werden kann. Analog zu Span, conoci oder Franz. j 'ai connu kann auch Belh. misen nis-e-T) [kennen-PT-lsA] den vergangenen Eintritt in den aktuell gültigen Zustand der Bekanntschaft bezeichnen, also etwa im Sinne von 'ich habe kennengelernt, also kenne ich nun'. Die Bedeutung von misen niserj wird daher von Gewährsleuten manchmal mit misen nihetturj [kennen-TEMP-3U-lsA] 'ich kenne ihn/sie' umschrieben. Anders als in der Romania, aber ähnlich wie im Türkischen (JOHANSON 1971:215f), gibt es im Belharischen aber auch ingressiv-phasale Verben, die neben der Initialgrenze nicht einen Zustand, sondern eine dynamische Phase bezeichnen (weshalb ich hier auch nicht den BREU'schen Begriff 'inzeptiv-statisch' oder 'ISTA' verwende; vgl. auch EBERT 1995:190f)· Die meisten Bewegungsverben umfassen zum Beispiel eine ingressive Lesart, wenn sie in einer nicht-imperfektiven Form verwendet 5 6
Die Nominalisierung hat fokussierende Kraft; siehe BICKEL (1995b). Das Verb misen nis- besteht morphologisch (und auch phonologisch) aus zwei Wörtern, nicht aber lexikalisch oder syntaktisch. Dieselbe Nichtübereinstimmung von morphologischer und syntaktischer Wortgrenze gilt für la um- 'gehen, laufen' in Beispiel (6) und ist überhaupt weit verbreitet in der Sprache.
7
Aspekt und Aktionsart im Belharischen
werden (6a). Die Selektion ihrer Phasen durch den temporären oder imperfektiven Aspekt ergibt hingegen eine dynamisch-progressive Lesart (6b).
(6a)
pAcis
gAte
na-lamma la um-he-qa,
fünfundzwanzig
Datum
DEM-MED laufen-PT-EXKL Haus-MED
khim-lamma.
'Am funfundzwanzigsten bin ich von hier losgelaufen, von zu Hause weg.'
(6b)
abo
yke
nun
1PL.INKL B.
Belhara phitd-e überall-LOK
yeti
la umm-hett-i?
was
laufen-TEMP-l.PL
'Was laufen wir nun überall in Belhärä herum?' An Aktionsarten müssen wir fürs Belharische neben den eben besprochenen delimitativen [τ φ χ] und ingressiv-phasalen [τ φ] Strukturen, eine inchoative und eine telische Variante von endbegrenzten, durch [φ τ] repräsentierten Strukturen sowie punktuelle ('[τ]') Strukturen annehmen. Die inchoativen und telischen Prädikate implizieren im Imperfektiv das Hinsteuern auf ein inneres Ziel ('x'), wobei der inchoative Prozeß ( ' φ ' ) unmittelbar nach Eintritt des Ereignisses erste minimale Resultate zeitigt (7a), während dies - wie G a r e y (1957) schon für andere Sprachen gezeigt hat - bei telischen Verben nicht der Fall ist (7b): (7a)
pog-yakt-he aufstehen-IPFV-PT
(HATΛ m-pokg-at-ni.) aber NEG-aufstehen-PT-NEG
'Er war eben daran sich zu erheben (*aber er hat sich nicht erhoben.)' (7b)
ib-yakt-he sich.füllen-IPFV-PT
(ΙΛΤΛ aber
yy-ipb-at-ni.) NEG-sich.ftllen-PT-NEG
'[Das Faß] war daran sich zu füllen, wurde aber nicht voll.' Punktuellen [τ] Verben wie mas- 'verlieren, verloren gehen' fehlt eine Phase in der Aktionsart, weshalb sie mit Phasenselektoren nur dann vereinbar sind, wenn pragmatisch eine Ausgedehntheit ( ' φ ' ) induzierende Repetition hinzugedacht wird:
(8)
ma-yakt-he. verlieren-IPFV-PT
'Er/sie hat es immer wieder verloren.' Eine große Gruppe von Verben schließlich sind lexikalisch bezüglich ihrer Aktionsart unterspezifiziert und erlauben sowohl eine inchoative oder telische [φ χ] wie auch eine delimitative [χ φ χ] Lesart. Zum Beispiel kann sich die temporäre Form von oms- 'weiß sein, weiß werden' sowohl auf einen dem Ende zustrebenden Prozeß (9a) wie auch auf einen zeitlich begrenzten Zustand (9b) beziehen.
(9a)
cippa cippa omm-het. wenig
wenig
weiß-TEMP
'Es wird allmählich ein wenig weiß.'
Β. Bickel
8 (9b)
cicippa omm-het. wenig
weiB-TEMP
'Es ist [zur Zeit] ein bißchen weiß.' Iteration bzw. Totalreduplikation des Adverbs cippa 'wenig' impliziert - wie Iteration im Belharischen überhaupt - zeitliche oder räumliche Distribuiertheit, Silbenreduplikation hat eine diminuierende Funktion ohne temporale Nuance. Daher erzwingt cippa cippa eine inchoative und cicippa eine statische Lesart. Bemerkenswert an der Aktionsartensammlung des Belharischen ist die Abwesenheit von rein durativen Verben. Die Struktur [φ] ist der Sprache fremd, mit der möglichen Ausnahme des irregulär konjugierten Verbs yurj- 'vorhanden, verfugbar sein', das allerdings überhaupt keine aspektuellen Markierungen erlaubt.
3. Semantik vs. Logik in Aspektbedeutungen: der belhärische Inzeptiv Kehren wir zu unserem ersten Beispiel aus der Einleitung zurück. Die belhärische Verbform khatket, von khat- 'gehen', impliziert, daß der Subjektsreferent zum Referenzzeitpunkt 'am Gehen' ist. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Aktionsart von khat- wie im Deutschen eine Phase einschließt, und daß -kett einen imperfektiven oder vielmehr progressiven Aspektoperator bezeichnet, der diese Phase selegiert. Beispiele wie das folgende bestätigen die Vermutung. Der Dialog fand statt, als jemand auf zwei Frauen trifft, die je mit einem gägro 'Wasserbehälter' beladen unterwegs zum Brunnen sind: (10)
- male, cua-e INIT
khat-ket-chi-ga
Wasser-LOK
i?
gehen-KETT-DL-2 I
'Nun, ihr beide geht Wasser [holen]?' -
khat-ket-chi-rp gehen-KETT-DL-EXKL
'[Ja], wir sind eben dabei.' Weitere Bestätigung kommt von der Beobachtung, daß es bei gewissen Bewegungsverben, z.B. bei ta- 'kommen', außer den Formen auf -kett gar keine andere Möglichkeit gibt, eine aktuelle progressive Bedeutung auszudrücken. Der temporäre Aspekt, der sonst diese Bedeutung abdeckt, ist bei Bewegungsverben auf eine iterative Lesart beschränkt. Das Folgende illustriert dies: (IIa)
ta-ge. kommen-KETT
'Er/sie ist am Kommen.' Nicht: 'Er/sie kommt hin und wieder.'
9
Aspekt und Aktionsart im Belharischen
(IIb) u-maiti 3P0SS-Verwandte.der.Frau
gaü-e
ta-het.
Dorf-LOK
kommen-TEMP
'Sie kommt hin und wieder ins Dorf ihrer Verwandten.' Nicht: 'Sie ist am Kommen.' Offenbar verdrängt hier die aktuell-progressive Kraft der -kett-Form den temporären Aspekt, der nur noch eine sekundäre Funktion wahrnehmen kann. Doch diese Analyse von -kett als progressiver Phasenselektor scheitert. Wir werden die Verlaufsbedeutung von -kett ebenso wie die in (11) beobachtete Funktionsverschiebung von -hett anders herleiten müssen. Zunächst gilt es festzuhalten, daß -kett in affirmativen Formen auf eine bestimmte Gruppe von 'zielorientierten' Bewegungsverben beschränkt ist. Diese Gruppe umfaßt elf Verben, die sich durch eine ingressiv-phasale [τ φ] Aktionsart auszeichnen und in ihrer Argumentstruktur den Begriff eines Ziels enthalten. Die ingressiv-phasale Aktionsart manifestiert sich vor allem darin, daß präteritale Formen gerne im Sinne von 'sie sind losgegangen' verwendet werden (vgl. Beispiel (6a) in Abschnitt 2.2.). Der folgende Satz bezieht sich auf Personen, die eben dabei sind, aufzubrechen:
(12)
abo Q-khar-e. nun
3NS-gehen-PT
'Nun sind sie losgegangen.' In Übereinstimmung damit ist khareqa [gehen-PT-EXKL] 'ich bin gegangen' denn auch eine typische Abschiedsformel. 7 Die zielorientierte Argumentstniktur zeigt sich unter anderem darin, daß der Lokalkasus -leg als Ziel verstanden werden muß. Bei nicht zielorientierten Verben wird er als reine Ortsangaben verstanden (vgl Engl, where did he go? 'wohin ging er?' vs. where did he walk? 'wo lief er herum?'):
(13a) khim-le rj Haus-LOK
khar-e. gehen-PT
'Er/sie ging zum Haus.' Nicht: 'Er/sie ging beim Haus herum.'
(13b) khim-let) Haus-LOK
pind-he. rennen-PT
'Er/sie rannte beim Haus herum.' Nicht: 'Er/sie rannte zum Haus.' Während im affirmativen Bereich -kett nur an zielorientierte Bewegungsverben gefugt werden kann, ist das Suffix im negativen Bereich mit allen möglichen Aktionsarten kompatibel. Wir 7
Das erinnert auf den ersten Blick an Wendungen wie Dt. bin weg (gegangen) oder Russ. poSli. Im Deutschen und Russischen ist aber die Verwendung präteritaler Formen für Gegenwartsreferenz auf bestimmte performative Akte und zudem auf die erste Person beschränkt. Eine pragmatische Analyse paralleler Belege aus afrikanischen Sprachen bietet BEARTH (1991).
ß. Bickel
10
finden das Suffix an phasen-enthaltenden Verben mit beidseitiger (14a), initialer (14b) oder finaler (14c) Grenze. (Der Dialog in (14a) stammt aus einem Spiel, bei dem jemand Gegenstandsgruppierungen aufgrund mündlicher Anweisungen nachbauen muß, ohne das Original sehen zu können.) (14a) - cokg-hett-u-ga machen-TEMP-3U-2
i? I
'Bist du jetzt daran zu machen [was du solltest]?' - ähä?, nein
φα-ηα
n-cok-ket-ni-rj.
ich-TOP
NEG-machen-KETT-NEG-lSG.A
'Nein, ich bin noch nicht daran.' (14b) mi-cha Feuer-ADD
u-koila
n-li-get-ni.
3POSS-Kohle NEG-werden/sein-KETT-NEG
'Es gibt noch keine Kohle.' (14c)
m-pok-ket-ni. NEG-aufstehen-KETT-NEG
'Er ist noch nicht aufgestanden.' Insbesondere können aber auch phasenlose, also punktuelle Verben mit -kett markiert werden (15a). Das Verb tas- 'erreichen' ist im Belharischen ein rein punktuelles Prädikat, das eine imperfektive (15b) oder temporär-progressive (15c) Form nur unter der Bedingung erlaubt, daß das Ereignis iterativ verstanden wird (vgl. oben, Beispiel (8) in Abschnitt 2.2.): (15a)
mi-n-ta-gett-u-n. 3NS.A-NEG-erreichen-KET -3U-NEG
'Sie haben [Käthmändü] noch nicht erreicht.' (15b)
ta-yakt-he. erreichen-IPFV-PT
Unmöglich: 'Er/sie war eben daran, [den Ort] zu erreichen.' Möglich: 'Er/sie erreichte [den Ort] immer wieder bzw. mehrmals.' (15c)
ta-hett-u. ereichen-TEMP-3U
Unmöglich: 'Er/sie ist eben daran, [den Ort] zu erreichen.' Möglich: 'Er/sie gelangt zur Zeit immer wieder [an den Ort].' Wenn nun -kett ebenso ein Phasenselektor wäre wie der imperfektive oder der temporäre Aspekt, so würde man den gleichen Effekt erwarten, nämlich daß die Form in (15a) nur iterativ verstanden werden könnte. Dies ist aber nicht der Fall. Es gibt zwei Arten, mit diesem Tatbestand umzugehen. Eine rasche Lösung besteht darin, Polysemie zu postulieren: -ketti bedeutet delegiere eine Phase', vielleicht sogar eine 'dynamische' oder 'Bewegungsphase', und erscheint in affirmativen Formen (Beispiele (1) und (10)).
Aspekt und Aktionsart im Belharischen
11
Ein zweites Morphem, -kett2, bedeutet 'noch' und ist als eine Art negative polarity item auf negative Formen beschränkt (Beispiele (14) und (15)). Da eine Verwandtschaft von imperfektivem Aspekt und 'noch'-Operator nur schwer motivierbar sein dürfte, kommt diese Analyse dem Postulat einer zufälligen Homophonie nahe, d.h. die Distribution von -kett ist nichts als eine der vielen Schrullen, die den Spracherwerb so schwierig machen. Es gibt aber eine alternative Lösung, die ein einziges monosemes Morphem -kett postuliert und die Verteilung und scheinbare Bedeutungsvielfalt des Suffixes durch universelle Regeln erklärt. Darüberhinaus erlaubt diese Lösung eine Erklärung, warum -kett bei Bewegungsverben den temporären Aspekt funktional verdrängt (vgl. Beispiel (11) oben). Zudem ist sie mit einer Etymologie vereinbar, die einem gut belegten Grammatikalisierungspfad entspricht. Eine solche Lösung ist einer Homophonielösung klar vorzuziehen, aber sie setzt - wie ich zeigen will eine strikte Unterscheidung von semantischer und logischer Bedeutung voraus. Was ist der gemeinsame Nenner von -kett in den bisher betrachteten Beispielen? In allen Fällen finden wir eine Situation vor, die als zutreffend behauptet oder, im negierten Fall, abgelehnt wird, nachdem sie vorher nicht zugetroffen hat. Das Suffix markiert den Eintritt in eine neue Situation, hat also eine 'inzeptive'8 Funktion. Aspektologisch gesehen handelt es sich dabei um die Selektion einer initialen aktionsartlichen Grenze. Im affirmativen Satz bedeutet demnach der Inzeptivmarker -kett, daß die Initialgrenze eines Prädikates überschritten wurde, das Prädikat nun also zutrifft. Im negierten Fall bedeutet -kett, daß dieses Überschreiten der Grenze in Abrede gestellt wird, daß also das Prädikat nach wie vor nicht zutrifft, also immer 'noch nicht' gilt. Der letztere Fall legt manchmal eine kontraexpektative Lesart nahe, wie sie auch von 'noch nicht' im Deutschen häufig suggeriert wird (aber wie zum Beispiel der Satz Wie ich erwartet hatte, waren die Beeren noch nicht reif belegt, nicht immer; vgl. L Ö B N E R 1989). Entscheidend für die Semantik ist aber lediglich, daß die Initialgrenze noch nicht erreicht wurde; was der Sprecher erwartet, läßt sich bestenfalls dem Kontext entnehmen. 'Eintritt in eine neue Situation' entspricht weitgehend auch der Kernbedeutung resultativer Formen. Bezeichnet -kett vielleicht nicht vielmehr einen Resultativ als einen Inzeptiv?9 Zwei Gründe sprechen dagegen. Erstens sind Resultative typischerweise auf Prädikate der Situationsveränderung beschränkt, wo sie einen posttransformativen Zustand bezeichen. Im Gegensatz dazu kann sich -kett auch auf den Eintritt in die Handlung eines nicht notwendig transformativen Verbs wie cokma 'tun, machen, beschäftigt sein mit' beziehen. Dementsprechend meint ncokketnig in Beispiel (14a) nicht 'ich habe es noch nicht gemacht'. Vielmehr ist ncokketnig eine gelungene Antwort auf die Frage 'bist du jetzt daran es zu machen, aufzustellen?' und verweist darauf, daß der Specher mit der Handlung noch nicht angefangen hat. Ein zweites Argument dagegen, daß -kett resultative Bedeutung hat, ergibt sich aus der Existenz eines Resultativperfekts im Belharischen (BICKEL 1996: Kap. 9). Das Resultativperfekt wird mit -ye im intransitiven, mit -se im transitiven Fall gebildet und verweist auf das 8 9
Der Terminus ist der Afrikanistik entlehnt, vgl. zum Beispiel ESSIEN (1987) oder SCHADEBERG (1990). Ich danke Karen Ebert fur das Aufwerfen dieser Frage. Bei ingressiv-phasalen Verben haben Resultative in einigen Sprachen den gleichen Effekt wie der belharische Inzeptiv und implizieren eine progressive Bedeutung; siehe EBERT (1995).
12
Β. Bickel
Resultat des gesamten vom Verb bezeichneten Ereignisses (16a). Der Inzeptiv hingegen verweist lediglich auf das Resultat des Ereigniseintritts (16b): (16a) chito schnell
taw-a-ai!
tai-rje-rja.
kommen-IMP-EMPH
kommen-RES.PERF-EXKL
'Komm schnell [um mir die Tür aufzusperren]! Ich bin zurück.' (16b) a: INTERJ
pujari
ta-ge!
Priester
kommen-INZ
'Ah, jetzt kommt derpüjär'iF Als Selektor einer Initialgrenze verlangt der Inzeptiv -kett, daß mindestens eine Grenze in der Aktionsart des Prädikates, an dem er markiert wird, zur Verfügung steht. Wo nur eine Grenze gegeben ist, ist die Unterscheidung zwischen initialer und finaler Grenze natürlich hinfällig. Eine Grenze findet sich, wie in Abschnitt 2.2. festgestellt wurde, in allen regulären Verben des Belharischen, insbesondere auch bei zielorientierten Bewegungsverben (vgl. Beispiel (12) oben). Wir haben oben in den Beispielen (1) und (10) gesehen, daß der Inzeptiv bei Bewegungsverben eine progressive Lesart impliziert. Diese Implikation ist aber eine Sache der Logik und nicht der Semantik. Nur unter dieser Annahme einer Unterscheidung von logischer und semantischer Bedeutung kann -kett invariant als Inzeptiv definiert werden. Bei negierten Verben selegiert er die initiale oder die alleinige Grenze und fuhrt zu der in (14) und (15) beobachteten 'noch nicht' Lesart. Bei affirmativen Bewegungsverben selegiert -kett ebenfalls die Initialgrenze. Semantisch gesehen heißt demnach khat-ket nicht 'er/sie ist am Gehen', sondern 'er/sie ist losgegangen', d.h. er/sie ist in die Phase des Gehens eingetreten. Logisch gesehen folgt aus dem Eintritt in eine Phase die Tatsache dieser Phase. Das erklärt, warum Gewährsleute präsentische, aktuell wahrnehmbare Progressivität zu den Wahrheitsbedingungen von khatket rechnen. Etwas anderes ist es aber, diese Bedingung fur die Semantik zu behaupten. Dies würde voraussetzen, daß -kett die Phase von khat- 'gehen' mitselegiert. Dann aber wäre das Morphem ein Phasenselektor und dürfte mit rein punktuellen, phasenlosen Verben wie tas- 'erreichen' nicht kompatibel sein. Da es aber, wie (15) gezeigt hat, kompatibel ist, müssen wir entweder Polysemie von -kett annehmen oder aber die logische Implikation von Progressivität in khatket nicht zur Semantik rechnen. Ich bevorzuge die zweite Lösung, da sie nicht nur mit weniger Polysemie auskommt, sondern auch noch andere Vorteile hat, wie ich im Rest dieses Abschnittes zeigen möchte. Die semantische Explikation von khatket als 'er/sie ist losgegangen' rückt in manchen Diskurssituationen in den Vordergrund, wenn auch die logische Implikation auf aktuelle Progressivität natürlich nicht aufhebbar ist: (17)
- e INTERJ
u-rirj
maP-yakt-he-m.
3POSS-Laut/Sache erzählen-IPFV-PT-lPL.A
uy-get! heninterkommen-INZ
AP [-t] Teszi α könyvet az asztalra. leg:PRÄs.DET
ART
BuchiAKK
ART
Tisch:suB
'(Er) legt das Buch auf den Tisch.' (28b) V[-t] + Objekt + adverbiale Partikel + Adverbial teszi α könyvet [rä az leg: PRÄS.DET ART
Buch:AKK
darauf.Partikel
ART
AP [-t] asztalra] Tisch:suB
'(Er) legt das Buch auf den Tisch (drauf).' (28c) +T-Anzeiger + V+ Objekt + Adverbial räteszi α könyvet az auf.T:leg:PRÄs.DET
ART
Buch:AKK
ART
AP [+t] asztalra Tisch:sup
'Er legt das Buch auf den Tisch.' Das nächste Beispiel illustriert das lexikalische Paradigma des Verbs für 'bohren'. Die Grammatikalisierung des Adverbs ät 'durch' fuhrt dazu, daß das ursprüngliche adverbiale Argument falon 'Wand:suP' als limitierendes Objekt rekategorisiert wird. (29a) V [-t] + Adverbial AP [-t] Für [ät α falon], bohr:PRÄs
durch
ART
Wand:sup
'Er bohrt durch die Wand.' (29b) +T-Anzeiger + V + Adverbial -> AP [+t] Ätfür α falon. durch.T:bohr:PRAs
ART Wand:sup
'Er bohrt durch die Wand hindurch.' (29c) +T-Anzeiger + V + Objekt -> AP [+t] Ätfür ja a falat durch.T:bohr:PRÄS.DET
ART
Wand:AKK
'Er durchbohrt die Wand.'
8. Perspektivische Ausschaltung der transformativen Grenze Wenn kein Element in der Operatorposition vor dem Prädikatswort steht und die Stellung des +T-Anzeigers somit frei gewählt werden kann, ist es möglich, durch die Nachstellung des +T-Anzeigers eine intraterminale Betrachtung zu signalisieren. Die intraterminale Betrachtung bedeutet, daß der Sprecher die Grenzen, Anfang und Ende der Tätigkeit ausschaltet und das Ereignis im Verlauf betrachtet. Die intraterminale Betrachtungsweise läßt also die Grenzen der Tätigkeit nicht erscheinen, und folglich wird nicht ausgedrückt, ob die Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder nicht. Die +T-Markierung von transformativen Aktionalphrasen macht es dennoch klar, daß die Tätigkeit als eine transformative Tätigkeit dargestellt wird.
Ungarische Aktionalphrasen
89
(30a)
A P [+t] Bejött α szobäba. herein.T:komm:PRÄT ART Zimmer:LLL '(Er) k a m in das Zimmer herein.'
(30b)
A P [+t] + intraterminale Betrachtung Jött be α szobäba. komm:PRÄT herein.T ART Zimmenix 'Er w a r (gerade) dabei, in das Zimmer hereinzukommen.'
9. Abkürzungsverzeichnis AKK
Akkusativ
PRÄS
Präsens
AP
Aktionalphrase
PRÄT
Präteritum
ART
Artikel
SG
Singular
DET
Determinierte Konjugation
SUB
Sublativ
DYN
Dynamisch
SUP
Superessiv
III
Illativ
Τ
Transformativ / Transformativisierender Anzeiger
INSTR
Instrumental
TEMP
Temporal
KONV
K o n v e r b (im Türkischen)
TF
Finaltransformativ
Poss
Possessiv
Tl
Initialtransformativ
POSTP
Postposition
VERG
Vergangenheit
Literatur Csatö, E. Ä. (1994): „Tense and actionality in Hungarian". In: J. Ballweg / R. Thieroff (Hrsg.), Tense systems in European Languages. Tübingen: Max Niemeyer, 231-246. - (im Erscheinen): „The Hungarian Q-particle in typological perspectives." In: C. de Groot (Hrsg.) Proceedings of the Third International Conference on the Structure of Hungarian, Amsterdam, January 1113, 1996. Johanson, L. (1971): Aspekt im Türkischen. Vorstudien zu einer Beschreibung des türkeitürkischen Aspektsystems. Uppsala: Almqvist & Wiksell. - (1992): „Türkeitürkische Aspektotempora". In: J. Ballweg / R. Thieroff (Hrsg.) Tense systems in European Languages. Tübingen: Max Niemeyer, 247-266. - (im Druck): „Viewpoint operators in European languges". In: Ö. Dahl (Hrsg.), Tense and aspect in European languages. Berlin: Mouton de Gruyter. - (in diesem Band): „Grenzbezogenheit in Aspekt und Lexik am Beispiel türkischer Postverbialkonstruktionen", 129-139. Kiss, Κ. (1987): Configurationality in Hungarian. Budapest: Akadimiai / Dordrecht: Reidel. Zsilka, J. (1971): Nyetvi rendszer es valosäg. Budapest: Akadέmiai Kiado.
Ursula Drolc (Bayreuth)
Zur Typologie des Perfekts (am Beispiel des Swahili) Resümee Das Perfekt hat ein breites funktionales Spektrum, das in den Einzelsprachen unterschiedlich ausgeprägt ist und seine Typologisierung erschwert. Der Beitrag beginnt mit einem Überblick von Perfektdefinitionen und -klassifikationen bei verschiedenen Verfassern und Verfasserinnen. Im Swahili, einer ostafhkanischen Bantusprache, kann das Perfekt durch zwei Morpheme -me- und -mekwisha ausgedrückt werden. Die Funktionen dieser beiden Perfektmorpheme werden unter Berücksichtigung ihrer Interaktion mit der Verblexik vorgestellt. Abschließend werden die grammatischen Interaktionen des Perfekts mit dem Subordinativ, dem Zustands- und Vorgangspassiv aufgezeigt.
Inhalt 1. Zur Typologie des Perfekts 2. Das Verbalsystem des Swahili 2.1. Das Morphem -me2.2. Das Morphem -mekwisha 2.3. Zusammengesetzte „Tempora" 3. Perfektfiinktionen im Swahili 3.1. Resultativ und Stativ 3.2. Die Interaktion des Stativs mit der Verblexik 3.3. Das Resultativperfekt 3.4. Temporales Perfekt 3.5. Plusquamperfekt 3.6 Experientielles Perfekt 3 .7. Durativperfekt 4. Grammatische Interaktionen 4.1. Interaktion von Subordinativ -ki- und Perfekt -me4.2. Vorgangspassiv und Zustandspassiv 5. Zusammenfassung und Schluß
1. Zur Typologie des Perfekts Das Perfekt ist eine Verbalkategorie, die durch innersprachliche Komplexität charakterisiert ist und im Sprachvergleich funktionale Variabilität aufweist. Es trägt aspektuelle, temporale und taxisbezogene Merkmale, die in den Einzelsprachen unterschiedlich realisiert werden können. Seine komplexe innere Struktur macht es anfallig für Bedeutungserweiterungen, die sogar Be-
U. Drolc
92
reiche wie Modalität (vgl. BREU 1988:63) oder Diathese1 erfassen können. Die Klassifikation und Definition des Perfekts ist bis heute uneinheitlich und kontrovers. Es erscheint unter den Pseudonymen Anterior (BICKERTON 1981), Completive (WELMERS 1973) und wird aufgrund von funktionellen Überlappungen häufig mit dem perfektiven Aspekt verwechselt. DAHL ( 1 9 8 5 ) und ANDERSON ( 1 9 8 2 ) betrachten es als eine eigenständige Kategorie. THIEROFF ( 1 9 9 4 ) bezeichnet es als Tempuskategorie. EHR ICH/VATER ( 1 9 8 9 ) und SMITH ( 1 9 9 1 ) klassifizieren das Perfekt als ein (relatives)Tempus, das lexikalisch modifiziert werden kann. COMRIE ( 1 9 7 6 ) , BREU ( 1 9 8 8 ) und KLEIN ( 1 9 9 2 ) bezeichnen es aufgrund seiner grammatischen Interaktion mit der Verblexik als Aspekt, aber zugleich als (relatives) Tempus, das die Funktion hat, Vorzeitigkeit auszudrücken. Resultativität ist die aspektuelle Grundbedeutung2 des Perfekts, die sich in eine perfektive und eine imperfektive3 Komponente zerlegen läßt. Meist wird das präsentische, imperfektive Resultat einer vorzeitigen perfektiven Handlung dargestellt, vgl. im Swahili: (1)
Ni-
ME-
l.Sg- PRF1-
m-
nunulia Emmanuel
nguo. (S. 101)4
3.SG-
kaufen
Kleider
Emmanuel
'Ich habe für Emmanuel Kleider gekauft.' Aufgrund dieser aspektuellen Komponenten des Perfekts lassen sich Interaktionen mit der Verblexik feststellen. Das Verb nunulia5 'für jmd. etwas kaufen' ist terminativ. Die perfektive Perfektkomponente erfaßt die Handlungsendgrenze und stellt den verbalen Sachverhalt 'Kaufen' ganzheitlich dar. Im Vordergrund steht das imperfektive Resultat 'gekaufte Kleider'. Diese resultative Funktion des Perfekts ist in DROLC ( 1 9 9 2 ) mit SV->S symbolisiert (SV = Situationsveränderung = perfektiver Aspekt; S = Situationsbeschreibung = imperfektiver Aspekt). Ein weiteres Beispiel ist (2). Diese Frage stellte Rosa, als sie den Schuldirektor aufsuchen wollte, aber sein Haus verlassen vorgefunden hatte. Sie bezieht sich auf das Resultat des 'Ausgezogenseins': (2)
„...A- me- hama
nyumba hii?" (S. 77)
3.Sg.
Haus
PRF1 ausziehen
dieses
'Ist er aus diesem Haus ausgezogen?' Diese Funktion des Perfekts, die von BREU ( 1 9 8 8 ) als resultatives Vorgangsperfekt bezeichnet wird, ist beschränkt auf resultative, terminative Verben. Aufgrund seiner perfektiven Bedeu1 2 3
4
5
Vgl. etwa im Deutschen die Überlappung von Perfekt, Resultativ und Zustandspassiv. Ebenso spricht JANSSEN (1994: 135) von einer 'resultative facet' des Perfekts. COMRIE (1976) unterteilt Imperfektiv!tät in 'habitual' und 'continuous', das sich wiederum in 'progressive' und 'non-progressive' aufspaltet. Die Zustandsbedeutung kann daher als nicht-progressive, continuierliche Imperfektivität aufgefaßt werden. Wenn nicht anders angegeben beziehen sich Seitenangaben in den Beispielen auf den Text „Rosa Mistika", s.u. Nunulia ist die Applikativform des Verbs nunua 'kaufen'.
Typologie des Perfekts (Swahili)
93
tungskomponente gleichen die lexikalischen Interaktionsbedeutungen denjenigen des perfektiven Aspekts. Diskurspragmatisch steht jedoch nicht die perfektive Handlung, sondern das imperfektive Resultat im Vordergrund. Die beiden Bedeutungskomponenten des Perfekts stehen in einem zeitlichen Verhältnis zueinander: Das imperfektive Resultat folgt auf die perfektive Handlung. Dadurch wird die Taxisfunktion der Vorzeitigkeit zum Ausdruck gebracht, die BREU (1988) als die Grundfunktion des Perfekts betrachtet. Sie wird symbolisiert durch -S/S und drückt aus, daß eine vorhergehende Situation mit ihrer nachfolgenden in Beziehung gesetzt wird. Vergleichbar ist auch die intrinsische Zeitbedeutung E < R bei EHRICH/VATER (1989), wobei Ε die Denotatssituation und R die Bezugssituation bezeichnet, sowie die folgende Definition von COMRIE (1976:52): Perfect expresses a relation between two time points on the one hand of the state resulting from a prior situation and on the other on the time of that prior situation.
SMITH und GIVÖN und JANSSEN verzichten auf eine einschlägige Definition und versuchen, der Komplexität des Perfekts durch die Nennung verschiedener Bedeutungskomponenten gerecht zu werden. JANSSEN (1994) diskutiert für das Niederländische temporelle, deiktische und aspektuelle Bedeutungskomponenten. SMITH (1991:146) nennt folgende primäre Charakteristiken des Perfekts: (a) the situation precedes Reference Time; (b) the construction has a resultant stative viewpoint (c) a special property is ascribed to the subject, due to participation in the situation
GIVÖN (1984:278FF) listet folgende vier Subkomponenten des Perfekts auf: 1) 2) 3) 4)
Perfektivität, Vorzeitigkeit Nachhaltende / gegenwärtige Relevanz (lingering / current relevance) Kontersequentialität (Counter-sequentiality)
Problematisch ist die Klassifikation der Funktionen, die formal durch Perfektkonstruktionen ausgedrückt werden, jedoch inhaltlich von der Grunddefinition des Perfekts abweichen. DAHL bezeichnet konsequenterweise nur das Resultative Vorgangsperfekt als Perfekt, und betrachet weitere „Funktionen des Perfekts" als eigene Kategorien. Resultativ, Stativ und resultatives Vorgangsperfekt werden nur von DAHL und BREU inhaltlich unterschieden, WELMERS und COMRIE fassen diese Funktionen zusammen. Das Resultativperfekt wird nur von BREU erwähnt. Das Charakterisierende Vorgangsperfekt wird von den anderen Verfassern übereinstimmend als „experiential" bezeichnet, 6 da ein Aktant durch die Erfahrung, die er einmal gemacht hat, charakterisiert wird. Verben im Durativperfekt stellen Situationen dar, die über einen längeren Zeitraum bestehen. COMRIE bezeichnet diesen Perfekttypus als „perfect of persistent 6
LEECH (1971:36FF) bezeichnet das experiential als „indefinite past". Bei DAHL (1985:132) findet sich auch noch die Bezeichnung „existential".
U. Drolc
94
situation", DAHL als „universal perfect".7 Das „recent past" drückt aus, daß die betreffende Verbalhandlung kurz vor dem Sprechzeitpunkt stattgefunden hat. Durch diesen zeitlichen Bezug kann die Weiterentwicklung von einem temporalen Perfekt zu einem Präteritum eingeleitet werden, wie etwa beim Perfekt im Deutschen oder im Französischen das passe compose, das formal ein Perfekt ist, aber inhaltlich ein Präteritum ausdrücken kann. Die folgende Liste gibt einen vergleichenden Überblick über die Terminologie im Bereich der „Perfektfunktionen" von BREU (1988), DAHL (1985), COMRIE (1976), WELMERS (1973): BREU (1988)
DAHL (1985)
COMRIE (1976)
WELMERS ( 1 9 7 3 )
Resultatives Vorgangsperfekt
Perfect
Perfect of result
Completive
Resultativperfekt Resultativ
Resultative
Stativ
Stative
Charakterisierendes Vorgangsperfekt
Experiential
Experiential
Experiential
(Temporales Perfekt)
Hodiernal past
Recent past
Near past
Durativperfekt
Universal perfect
Perfect of persistent situation
(Stative)
2. Das Verbalsystem des Swahili Swahili ist eine agglutinierende Sprache. Der Aufbau eines finiten Verbs läßt sich folgendermaßen schematisieren: SUBJEKT2.Sg.
ΤΑΜPräsens
Una'Du erfreust mich'
OBJEKT- VERBl.Sg. freuen
DERIVATIONEN- A Kausativ
ni-
sh-
furahi-
α8
Swahili hat wie viele Bantusprachen ein sehr komplexes Verbalsystem und läßt sich nicht eindeutig als Tempus- oder Aspektsprache klassifizieren. Zum affirmativen Bereich gehören neun verschiedene Verbalmarker, deren Inhalte sich den Bereichen des Tempus (-α-, -na-, -ta-, -Ii-), Aspekt {hu-), Perfekt (me, mekwisha-) und Modus (nge-, ngali ) zuordnen lassen. Daneben finden sich die Morpheme -ka- und -ki-, die diskurspragmatische, bzw. syntaktische Funktionen haben und sich nicht in die genannten Kategorien einordnen lassen. Das Morphem -ka- drückt primär die Taxisfunktion der Abfolge aus und wirkt sekundär perfektivierend. Das Morphem -ki- bewirkt eine Subordination des Satzes, wodurch der verbale Sachverhalt als 7 8
Unter Bezugnahme auf McCAWLEγ (1971). Das sogenannte finale -a erscheint bei fast jeder finiten Verbalform. Ausnahme ist der Konjunktiv auf -e.
Typologie des Perfekts (Swahili)
95
Hintergrundshandlung dargestellt wird. Dadurch wird entweder ein Konditionalsatz oder eine gleichzeitig verlaufende Handlung ausgedrückt. Es gelten die folgenden Zuordnungen: A ΝΑ ME MEKWISHA ΤΑ LI HU ΚΑ KI NGE NGALI
Indefinites Präsens Definites Präsens Perfekt 1 Perfekt 2 Futur Präteritum Habitualis Konsekutiv Subordinativ Konditional 1 Konditional 2
(PRÄS) (PRF1) (PRF2) (FUT) (PRÄT) (HAB) (KSK) (SUB) (KOND1) (KOND2)
2.1. Das Morphem -meDas Morphem -me- läßt sich von der veralteten Perfektform mal-ile des Verbs *mala 'beenden' ableiten, das im heutigen Swahili noch als Kausativform -maliza 'beenden' vorkommt. *Malile verschmolz zu meele. Durch den Wegfall der Endung -le blieb -me- übrig. 9 STEERE (1934) und LOOGMAN (1965) bezeichnen das Morphem -me- als Present Perfect Tense, PERROTT ( 1 9 5 1 )
als Perfect Tense. Für P O L O M ß ( 1 9 6 7 : 1 2 8 ) drückt das Morphem -me- den
„perfektiven" Aspekt aus, der jedoch wie ein Perfekt definiert wird: -me- indicates that the action is completed at the time under reference, but that its result is effectively present. ASHTON
(1944:16) klassifiziert -me- sowohl als Zeitpräfix (time prefix), das ein „Immediate
past" ausdrückt, als auch als Aspektpräfix mit folgenden Funktionen: (a) completion of an action
kisu ki-me-anguka the knife lias fallen down
(b) resultant state
chumba ki-me-chafuka the room is untidy
These two ideas must not be kept apart, for state is the result of an action completed. Diese Definition fand Kritik bei W A L D ( 1 9 8 1 ) und CONTLNL ( 1 9 8 5 ) . W A L D findet die Unterscheidung problematisch, „for Swahili at least, where an event ends and its result begins" (1973:251). CONTINI geht von der Prämisse aus, daß einer Form nur eine einzige Bedeutung 9
Für diese Erklärung danke ich Carl HOFFMANN. GIVÖN (1972:170) gibt eine ähnliche Herleitung des Morphems me: *maala 'beenden' + ile > *meele etc... Ebenso LOOGMAN (1965:196): „-me- is a contraction derived from the archaic verb -mala, which had the perfect -mete..." In MIEHE (1979:226) finden sich Beispiele fiir die verschiedenen Entwicklungsstufen von -me-.
U. Drolc
96
zugeordnet werden kann und kritisiert (1985:96) die „fundamentale Ambiguität" (fundamental ambiguity) in ASHTONS Definition: However, a discovery that ME only sometimes refers to a state and sometimes to a completed action would indicate that neither of these notions can be the meaning of ME.
Die Arbeiten von CONTINI (1985; 1989) und WALD (1981) unterscheiden sich sowohl metho-
dologisch als auch in ihren theoretischen Grundlagen. Beide stimmen jedoch darin überein, daß es keine universalen Tempus-Aspekt-Kategorien gibt, bzw. daß diese Kategorien das TempusAspekt-System des Swahili nur unzureichend beschreiben. Sie bezeichnen me als ein relatives Tempus, „referring to an event which BEGINS BEFORE THE AXIS OF ORIENTATION" (CONTINI 1985:118).10 Diese Definition deckt sich weitgehend mit der Taxisfunktion des P e r f e k t s v o n BREU ( 1 9 8 8 ) .
Die Interaktion der Verblexik mit dem Perfekt wurde bereits erkannt, aber nicht systematisch untersucht. WALD (1981) bemerkt, daß sich ASHTONs „state-entered-into"-Bedeutung nur mit den sogenannten „pseudostativen" Verben ergibt. ZAWAWI (in CONTINI 1983:115) stellt folgende lexikalischen Interaktionen des Morphems -me- fest: If a punctual verb reaches its climax the effect is that of a current state, whereas if a durative verb reaches its climax the effect is one of a completed or past event.
2.2. Das Morphem -mekwisha Das Morphem -mekwisha setzt sich formal aus den gleichen Bildungselementen zusammen wie das Morphem -me-: einem Perfektmorphem (-me-) und einem Verb (kwisha ), das im Swahili auch heute noch 'beenden' bedeutet. Die Konstruktion -mekwisha + Infinitiv drückt eine Art emphatisches Perfekt aus,11 das mit 'schon', 'bereits' paraphrasiert werden kann. Ihre relativ rezente Morphologisierung12 zeigt sich durch den Ausfall des ansonsten obligatorischen Infinitivpräfixes ku- des darauffolgenden Verbs: (3 a)
Ni- mekwisha pika. 'Ich habe schon gekocht.'
In Satz (3b) mit dem Vollverb maliza 'beenden' ist das Infinitivpräfix erhalten: (3 b)
10
11 12
Ni- me- maliza kupika. 'Ich habe aufgehört zu kochen.'
Die „Axis of Orientation" (Orientierungsachse) bezieht sich auf einen durch den Kontext gegebenen Betrachtzeitpunkt. MEINHOF beschreibt den Inhalt der -mekwisha-Form als „verstärktes Perfektum" (1948:113). MIEHE (1979:228) konnte die -meibmAa-Konstruktion schon in der älteren Swahilidichtung nachweisen, d.h. der GrammatikalisierungsprozeC hatte zu dieser Zeit bereits begonnen.
Typologie des Perfekts (Swahili)
97
ASHTON (1944:271) definiert den Inhalt von -mekwisha + Infinitiv wie folgt: [-mekwisha + Infinitiv] refer to a state existing, or action completed, before a point in time indicated in the context, whether that time be present, past or future "Already" often expresses the force of these forms.
Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Morpheme -me- und -mekwisha folglich dadurch, daß -mekwisha zusätzlich die Bedeutung 'already' bzw. 'schon' ausdniickt. Das Adverbiale 'schon' hat im Deutschen die Funktion, die inhärenten Handlungsgrenzen eines Verbs zu betonen. Bei aterminativen Verben wird auf den Beginn einer Handlung Bezug genommen (Sie arbeitet schon), bei terminativen Verben auf das handlungsspezifische Resultat (Er hat schon gegessen). Der Übergang zu einem imperfektiven Zustand wird markiert, so daß der Bezug der Bedeutung 'schon' zum Perfekt naheliegend ist.13 In VAN BAAR (1994: 148) wird die linguistische Funktion von 'schon' und 'noch' als Perspektivität (Perspectivity) bezeichnet, die folgendermaßen definiert wird: a situation "χ is/does y" is such at the moment of speaking that the situation "x is/does not y" is implied to have obtained before or to be obtaining after the moment of speaking.
SCHADEBERG (1990:1) bezeichnet -mekwisha + Infinitiv bzw. die verkürzte Form -mesha- als „unexpected perfective", wobei „es sich hier um die Morphologisierung einer grammatischen Kategorie handelt, die ich das .Unerwartete' (Englisch: counter-expectation) nennen möchte." Durch diesen „Konterexpektativ" wird, so SCHADEBERG (1990:5), ein verbaler Sachverhalt dargestellt, der entgegen der Erwartung des Sprechers „schon" eingetreten ist.14 Konterexpektative können als modale Interpretation von Kontersequentialität aufgefaßt werden. Sequentialität ist in der Regel unmarkiert und „erwartet", wohingegen Kontersequentialität „unerwartet" ist. Konterexpektative scheinen ein typologisches Merkmal afrikanischer Sprachen zu sein: DAHL (1985:176) nennt das Sotho und Zulu, SCHADEBERG (1990:7FF) das Rundi. Im Yoruba und dem Karaboro werden Perfekte mit einer Partikel gebildet, die die Bedeutung von 'schon' h a t ; vgl. DAHL ( 1 9 8 5 : 1 2 9 ) .
2.3. Zusammengesetzte „Tempora" Zusammengesetzte „Tempora" („compound tenses") werden Kombinationen von Tempusmorphemen (-Ii-, -ta-) bzw. Modalmorphemen (-nge-, -ngali-) mit den Morphemen -ki-, -me-, -na- genannt. Es handelt sich dabei also nicht um Kombinationen mehrerer Tempusmorpheme, wie der Ausdruck „zusammengesetzte Tempora" vermuten läßt. Diese Morpheme können im Standard-Swahili nur durch Unterstützung der Kopula kuwa kombiniert werden; Vgl. MIEHE 13
14
Ebenso weist KLEIN (1994:146) auf lexikalische Interaktionen zwischen den Adverbialen 'schon' / 'noch' und der Verbbedeutung hin. KLEIN (1994) lehnt diese Auffassung ab, da ansonsten folgender Beispielsatz in sich widersprüchlich wäre: She was still/ already in the bathtub, as I had expected.
U. Drolc
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(1979:219). Das Hilfsverb kuwa trägt dabei die Tempus- bzw. Modusmorpheme. Durch das Morphem -//- wird eine Handlung in das Präteritum, durch -to- in das Futur und durch -nge- / -ngali- in den Irrealis gesetzt. Die Morpheme -ki-, -me- und -na- werden dagegen mit dem Vollverb verbunden. Im folgenden Beispielsatz wird durch die Verbindung des Tempusmarkers -Ii- mit dem Hilfsverb kuwa und -me- mit dem Vollverb soma ein Plusquamperfekt ausgedrückt: (4)
A-
Ii-
3.Sg. PRÄT
kuwa
a-
me-
sein
3.Sg.
PRF1-lesen
soma.
'Sie / er hatte gelesen.' Laut ASHTON (1944:249) ist die Funktion des Morphems -me- nach der Auxiliarkonstruktion TAM-kuwa identisch mit der Funktion des Morphems -me- allein: „-ME- in the main verb is used to express completion of the action, or state." Die Kombination mit kuwa ist anscheinend eine sprachliche Neuerung. In der Sprache der älteren Swahili-Dichtung gab es noch keine zusammengesetzten Tempora. Dagegen waren dort Kombinationen des Tempusmarkers -(a) Ii- mit den Morphemen -me- und -ki- möglich: Subjektpronomen
+ +
(a) Ii + me + Verbalstamm -a Ii + ki + " -a
Ebenso fand WINKELMANN (1989) in ihrer Analyse der TAM-Morpheme in STEEREs „Best and purest language of Zanzibar" von 1870 keine zusammengesetzten Tempora. Vorvergangenheit (Plusquamperfekt) wurde allein durch das Morphem -me- ausgedrückt. WALD (1981:130) begründet die Entstehung der zusammengesetzten Temporaformen durch die Sprachkontaktsituation mit dem Englischen: ...investigation of the spoken language indicates that ASHTON'S classification of the Swahili TM is an artifact of the elicitation situation, and is, in fact, parasitic on the use of English tenses.
HAUNER (1985:108) hat die zusammengesetzten Tempora in einigen Romanen der SwahiliLiteratur untersucht und kommt zu dem Schluß, daß der Gebrauch der zusammengesetzten Tempora „frequently corresponds to the English rather than East African usage". 15 Der Gebrauch von zusammengesetzten Tempora ist fakultativ: 'Compound tenses' are merely a means of being as explicit as possible about the axis of orientation, and their use will therefore depend on how much of the intended message a speaker is willing to leave to the hearer's inferentiel powers! (CONTINI 1985:164).
Soziolinguistische Faktoren beeinflussen die Verwendung der zusammengesetzten Tempora. So behauptet WALD (1981:130), daß zusammengesetzte Tempora in der gesprochenen Spra15
Trotzdem fand HAUNER (1985) auch Belege, bei denen sich keine Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen dem Englischen und dem Swahili feststellen läßt.
Typologie des Perfekts (Swahili)
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che von Mombasa nur sehr selten vorkommen, dagegen relativ häufig im Zeitungsswahili. CONTINI (1985:164) schreibt, daß zusammengesetzte Tempora häufiger in formalen als im informalen Sprechsituationen verwendet werden, weshalb der Gebrauch der zusammengesetzten Tempora stark zwischen verschiedenen Sprechern variiert: At one extreme we could place the well-known Swahili writer Shaaban Robert, whose writings are slowpaced, didactic, even pedantic, with an abundance of Arabic loan-words (a characteristic of formal style in Swahili prose): except for those relative tenses whose axis of orientation is the moment of speaking, in his narratives there are almost no examples of relative tenses which are not part of a "compound tense construction". At the other extreme there is the anonymous author of the Tales of Abunuwas, a collection of amusing often irreversant folktales originally transcribed from oral narratives, where "compound tenses" are used very sparingly.
HAUNER (1985:109) hat in ihrer Untersuchung der zusammengesetzten Tempora in SwahiliRomanen festgestellt, daß in der Swahili-Literatur, die nach 1930 erschienen ist, der Gebrauch zusammengesetzter Temporaformen zugenommen hat und daher als „group style" der zeitgenössischen Swahili-Autoren bezeichnet werden kann; vgl. HAUNER (1985).
3. Perfektfunktionen im Swahili Im folgenden werde ich die Funktionen des Perfekts vorstellen, die im Swahili durch die zwei Perfektformen -me- und -mekwisha ausgedrückt werden. Datengrundlage sind eigene Sprachbeobachtungen sowie Euphrase Kezilahabis Roman „Rosa Mistika", den ich in meiner Magisterarbeit analysiert habe. In dem Text gibt es 306 Belege zum Morphem -me- und 109 Belege zum Morphem -mekwisha. Beide Morpheme drücken überwiegend resultative Perfektfunktionen aus, aber es finden sich auch Belege zum durativen, experientiellen und temporalen Perfekt. Wie oben schon ausgeführt wurde, hat das Perfekt eine resultative Grundbedeutung, die aus einer perfektiven und einer imperfektiven Komponente besteht. Durch die Betonung von jeweils einer dieser Komponenten läßt sich die Weiterentwicklung der Funktionen, bzw. Verwendungsweisen der Perfektformen -me- und -mekwisha begründen. Die beiden Perfektformen unterscheiden sich dadurch, daß das Perfekt -me- zustandsbetont ist, wohingegen das Perfekt -mekwisha handlungsbetont ist: 1. Betonung des resultierenden Zustands S: 2. Betonung der vorhergehenden Handlung:
> Stativ und Resultativ, > temporale und experientielle Funktionen.
3.1. Resultativ und Stativ Idealtypisch läßt sich die Entwicklung von Resultativ und Stativ durch eine zunehmende Betonung der Zustandskomponente des resultativen Vorgangsperfekts erklären. Das resultative
100
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Vorgangsperfekt beschreibt einen Zustand als Resultat einer vorhergehenden Handlung. Resultativ und Stativ unterscheiden sich vom resultativen Vorgangsperfekt dadurch, daß der Bezug zur vorausgehenden Handlung weitgehend irrelevant ist und der resultative Zustand in den Vordergrund tritt. Beim Resultativ ist der Handlungsbezug indirekt noch durch den Verweis auf einen obligatorischen Anfang des resultativen Zustands vorhanden. Beim Stativ fehlt dagegen ein solcher Rückverweis. Er drückt einfache Zustände aus, ohne auf eine vorausgehende Handlung zu verweisen, und bewirkt bei terminativen Verben durch grammatische Interaktion eine aterminative Bedeutung. Das Perfekt -me- im Swahili umfaßt die funktionelle Spannbreite vom resultativen Vorgangsperfekt bis zum Stativ. Folgende Sätze können daher sowohl perfektisch, d.h. terminativ als auch stativisch, d.h. aterminativ interpretiert werden: (5)
Wa- me-
kaa
kivulini
3.PL.-PRF1- setzen in-den-Schatten
PERFEKT: 'Sie haben sich in den Schatten gesetzt.' STATIV: ' Sie sitzen im Schatten.' (6)
Rosa
a-
Rosa
3.SG- PRF1- anziehen kanga.
me-
vaa
kanga.
PERFEKT: 'Rosa hat eine Kanga angezogen.' STATIV: 'Rosa trägt eine Kanga.' Beide Übersetzungen sind korrekt. Das Perfekt im Deutschen kann den Stativ nicht ausdrükken, so daß der Stativ korrekterweise durch ein aterminatives Verb im Präsens wiedergegeben wird. Dieses stativische Funktionspotential des Perfekts fuhrt bei der Analyse von afrikanischen Sprachen häufig zu der Annahme, daß Präsens und Präteritum nicht voneinander unterschieden werden können, wobei die perfektische Lesart als Präteritum interpretiert wird, die stativische als Präsens.
3.2. Die Interaktion des Stativs mit der Verblexik Die Verben, die mit -me- einen Resultativ oder Stativ bilden, werden von W A L D als „pseudostative" Verben bezeichnet. Aufgrund der Tatsache, daß im Swahili formal nicht zwischen Stativ und anderen Funktionen des Perfekts unterschieden wird, kommt er zu folgendem Schluß: Whatever the difference involved in these English stative-perfect pairs, Swahili does not express this difference by means of the TM. It makes no sense to distinguish semantically inchoative from semantically stative verbs. Thus, there is no justification for choosing between considering the me marking the pseudostative V as indicating resulting state or continuing event (stative). (WALD 1981:253)
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Typologie des Perfekts (Swahili)
Wie WALD lehnt auch CONTINI-MORAVA (1989:92) eine inhärente terminative bzw. inzeptive Grundbedeutung dieser Verben ab:16 In summary, the evidence argues against the claim that the verbs like kaa 'sit down / be seated' etc are inherently inceptiv. Instead the semantic interpretation of these verbs is determined by the interaction of their lexical meaning, which allow either interpretation, with the linguistic context, which includes meanings signalled by accompanying VM. The meaning of me favors a "stative" interpretation, and na, being opposed to me is accordingly reserved or the "process" interpretation. With other VM either interpretation is possible, the appropriate one in a particular case being determined on the basis of other contextual factors.
STEERE (1934:118) bezeichnet die pseudostativen Verben als „qualitative" Verben, die er aufgrund ihrer unterschiedlichen Interaktionen mit den Morphemen -me- „Perfekt" und -na,Präsens" in zwei Gruppen unterteilt: 1) Verben, die den Besitz einer Eigenschaft oder 2) den Erwerb einer Eigenschaft ausdrücken. Bei der letzteren Gruppe (2) werden mit dem Morphem -me- Stative gebildet: In the latter case the -me- tense denotes the present possession of the quality, and therefore answers to the English present, is or are, followed by an adjective, (ebda ).
Die Verben der Gruppe 1 können die Zustandsbedeutung der Verben sowohl mit -na- als auch mit -me- ausdrücken: furahi 'froh sein', tosha 'genug sein', ugua 'krank sein', faa 'nützlich sein', ng'aa 'scheinen'. Die Verben der Gruppe 2 drücken die Vorgangsbedeutung aus und benötigen das Morphem -me-, um die Zustandsbedeutung auszudrücken: (7) (8)
kikombe
ki-
na-
Tasse
cl.7-
PRÄS- voll-werden
jaa
kikombe
ki-
me-
Tasse
cl.7-
PERF- voll-werden
jaa
'die Tasse wird voll' 'die Tasse ist voll'
Zur Gruppe 2 gehören noch folgende Verben: konda 'abnehmen', kauka 'trocknen', kamilika 'vervollständigen', shiba 'satt werden', choka 'müde werden'. Verben der Gruppe 1 können als resemantifizierte Verben der Gruppe 2 betrachtet werden, deren inhärente terminative Bedeutung durch lexikogrammatische Interaktionen verändert wurde. Ich gehe, wie WELMERS (1973), bei den pseudostativen Verben von einer terminativen Grundbedeutung aus, deren typisches Handlungsresultat durch das Morphem -me- beschrieben wird. Dadurch ergeben sich z.B. die folgenden Interaktionsbedeutungen: Das Verb lala drückt mit -me- die Bedeutung 'Eingeschlafen sein', bzw. 'Schlafen' aus, das Verb kaa das 'Sichhingesetzt-haben', bzw. 'Sitzen'. Es kann nun vorkommen, daß diese Verben überwiegend mit dem Morphem -me- in ihren grammatischen Interaktionsbedeutungen verwendet werden. Dadurch können die grammatischen Bedeutungen, z.B. 'Hingesetztsein' = 'Sitzen' in den Vordergrund treten und die Verbbedeutung erweitern: kaa 'hinsetzen' bedeutet zusätzlich 16
CONTINI (1985) und WALD (1981) unterscheiden nicht zwischen terminativen und inzeptiven Verben.
102
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'sitzen', lala 'hinlegen' kann auch 'liegen', bzw. 'schlafen' bedeuten, und simama 'aufstehen' ebenso den Inhalt 'stehen' ausdrücken. In den Wörterbüchern finden sich für das Verb lala folgende Bedeutungen angegeben:17 (1) 'liegen', 'ausgestreckt liegen', 'sich niederlegen', (2) 'schlafen', bzw. (1) 'lie', 'lie down', 'go to bed', (2) 'sleep', 'go to sleep'. Ferner gibt es Hinweise, daß bei dem Verb lala die terminative Bedeutung von der aterminativen verdrängt wird. Durch das Präsensmorphem -na- werden bei „richtigen" terminativen Verben prästadiale Handlungen beschrieben, wie z.B. in dem folgenden Satz mit dem terminativen Verb funga 'schließen': a-na-fltnga mlango 'Er / sie schließt die Tür'. Dieser Bezug auf eine prästadiale Handlung ist jedoch bei dem Verb lala kaum noch möglich. Der Satz mtoto a-na-lala kann umgangssprachlich ebenso wie mtoto a-me-lala den Sachverhalt 'das Kind schläft' beschreiben. Um auszudrücken, daß das Kind gerade am Einschlafen war, benutzt man das Verb sinzia 'einschlafen': mtoto a-na-sinzia. Analoge Entwicklungen zeigen auch die Verben kaa 'sich setzen' und simama 'aufstehen', die verbunden mit dem Morphem -na-, umgangssprachlich keine Vorgänge, sondern Zustände ausdrücken: a-na-kaa 'er / sie sitzt'; a-na-simama 'er / sie steht'. Aufgrund der Belege in dem analysierten Text „Rosa Mistika" liegt der Schluß nahe, daß es im Swahili keine formale Klasse der Zustandsverben gibt, da Verben, die Zustandsbedeutung haben, zugleich terminative Bedeutung haben können. Die Entwicklung der Zustandslexik kann durch die Interaktion mit dem Stativ begründet werden, da der Stativ eine Umwandlung terminativer Grundbedeutung in aterminative Interaktionsbedeutung bewirkt, wodurch bei den Verben eine Bedeutungsverschiebung verursacht wurde. So läßt sich die Entstehung vieler „pseudostativer" Verben erklären. „Pseudostative" Verben unterscheiden sich von anderen terminativen Verben durch das Fehlen eines Agens in Subjektposition. Daher gibt es im Swahili nur zwei semantische Klassen von Verben, terminative und aterminative, wobei sich die terminativen Verben durch das Merkmal „Agentivität" in zwei Untergruppen aufspalten lassen: pseudostative Verben und nicht-pseudostative Verben; s. DROLC (1992). Stativkonstruktionen finden sich auch in anderen Niger-Kongo-Sprachen. So schreibt etwa WELMERS (1973:347), daß dort präsentische Sachverhalte häufig durch Konstruktionen ausgedrückt werden, die aus einem Verb mit „basically inceptive meaning" und einem Morphem bestehen, das WELMERS als „completive", d.h. Perfekt bezeichnet, wobei es sich inhaltlich um Stative handelt. Zur Verdeutlichung nennt WELMERS ein Beispiel aus dem Kpelle: „the Kpelle verb /kaa/ does not simply mean 'see', but rather 'catch sight of it', and 'he sees it' is expressed as 'he has caught sight of it'" (WELMERS 1973:348). Möglicherweise ist das Fehlen einer formalen Zustandskiasse sowie der Ausdruck von Zustandsbedeutung durch Stative ein typologisches Merkmal in Niger-Kongo-Sprachen, das noch näher untersucht werden müßte.
17
V g l . HÖFTMANN ( 1 9 8 9 : 1 6 0 ) , JOHNSON ( 1 9 3 9 : 2 4 0 ) .
Typologie des Perfekts (Swahili)
103
3 .3. Das Resultativperfekt Das Perfekt bezieht sich auf das Subjekt von intransitiven Sätzen (s. Beispiel (2)) und auf das Objekt von transitiven Verben (s. Beispiel (1)). Im Deutschen wird der Subjektsbezug durch das Hilfsverb sein ausgedrückt, der Objektsbezug durch das Hilfsverb haben. Das Resultativperfekt stellt den resultativen Zustand des Objekts dar, der mit dem Subjekt des Satzes durch das Hilfsverb haben in Beziehung gesetzt wird. Dadurch entsteht eine Art Besitzverhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt: „Das Subjekt h a t
das Objekt". Es wird allerdings
keine Aussage darüber gemacht, ob das Subjekt das Agens der Handlung ist, durch die der resultative Zustand des Objekts verursacht wurde. Das Resultativperfekt läßt wie das resultative Vorgangsperfekt einen Bezug zur vorhergehenden Handlung zu, unterscheidet sich jedoch von dem letzteren durch die Kompatibilität mit durativen Adverbialen, d.h., es wird vergleichsweise mehr Nachdruck auf den resultativen Zustand gelegt. BREU (1988:55) nennt als Beispiel für ein Resultativperfekt den folgenden deutschen Satz:
(9)
Er hat stets die Hose gebügelt.
Mit dem Adverbiale stets soll hier ein ununterbrochener Zustand und nicht etwa eine wiederholte Handlung ausgedrückt werden. Der Satz kann paraphrasiert werden durch: er hat stets
eine gebügelte Hose. Im Swahili wird das Perfekt nicht durch ein Hilfsverb HABEN gebildet. Die resultative, bzw. stativische Funktion ist daher nicht nur auf das Subjekt beschränkt, sondern kann sich auch auf das Objekt beziehen. So wird im folgenden Satz der Zustand beschrieben, den Stella „hatte", als sie etwas fragte:
(10)
A- Ii-
uliza mkono wake a-
3.Sg PRÄT- fragen Hand
ihre
me- weka kwenye kidevu. (S. 16)
3.Sg. PRF1 legen
an
Kinn
'Sie fragte, während sie ihre Hand ans Kinn gelegt hatte.' Ohne Zweifel war es Stella, die ihre Hand ans Kinn gelegt hat, d.h. das Subjekt des Satzes ist hier eindeutig das Agens der Handlung. Für die Aussage des Satzes spielt es jedoch keine Rolle, daß Stella es war, die ihre Hand ans Kinn gelegt hat. Stella hat auch nicht
soeben
die Hand an ihr Kinn gelegt, sondern sie hatte die ganze Zeit, während sie etwas fragte, die Hand an ihr Kinn gelegt. Der resultative Zustand des 'Hand-ans-Kinn-gelegt-haben' war also über einen längeren Zeitraum hinweg gültig. Dieser Zustand wird mit dem Aktanten verknüpft: Stella h a t t e die Hand ans Kinn gelegt. Das Verb beba kann die resultative Bedeutung 'aufheben' haben, jedoch ist seine stativische, aterminative Bedeutung 'tragen' umgangssprachlich geläufiger. So bedeutet der Satz: anabeba mtoto meist 'sie trägt das Kind' und nur noch selten 'sie hebt das Kind a u f . Im folgenden Satz wird mit dem Verb beba ein Zustand beschrieben, den Rosa „hatte", als sie im Dorf herumspazierte:
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(11)
Wakati a-
ki-
zunguka-zunguka mjini
Während 3.Sg.- SUB- spazieren-gehen
a-
Ii-
kuwa a-
3.Sg.- PRÄT- sein
me-
3.Sg.- PRF1-
kuangalia mabadiliko
in-der-Stadt zu-sehen
ya mji
Veränderungen der Stadt
beba Sperantia ubavuni. (S. 30) tragen
Sperantia
auf-den Schultern.
'Während sie in der Stadt spazieren ging, um sich die Veränderungen der Stadt anzusehen, hatte sie Sperantia auf den Schultern getragen.'
3.4. Temporales Perfekt Wir kommen nun zu den handlungsbetonten Perfekttypen. Die Entwicklung zu temporalen Perfekten beginnt in den europäischen Sprachen mit dem „recent past": The perfect may be used where the present relevance of the past situation is simply one of temporal closeness, i.e. the past situation is veiy recent. (COMRIE 1976:60)
Beim „recent past" wird eine Handlung beschrieben, die kurz vor dem Sprechzeitpunkt stattgefunden hat, d.h. daß die Beziehung der vorausgehenden Handlung in der Vorsituation -S zu der Situation S, die im Sprechzeitpunkt lokalisiert ist, temporal hergestellt wird. Im Swahili gibt es temporale Perfektfunktionen, obwohl das Perfekt nicht im Sprechzeitpunkt verankert ist. Präteritale Bedeutung ergibt sich durch die Interaktion von aterminativen Verben und dem Perfekt. Beide Morpheme -me- und -mekwisha können präteritale Funktionen ausdrücken:
(12)
Leo
mtoto a-
Heute
Kind
me- lia
3.Sg.-PRF1-weinen
'das Kind hat heute geweint'
(13)
wa- mesha- imba 3.P1-
PRF2-
singen
'sie haben schon gesungen' (12) impliziert, daß das Kind gerade eben geweint hat, jetzt aber nicht mehr weint. Ebenso impliziert (13), daß die Handlung in der Vergangenheit stattgefunden hat; vgl. S C H A D E B E R G (1990:12). Die beiden Morpheme unterscheiden sich in ihren Konnotationen. Me in (12) hat zusätzlich die Konnotation der Intensität und Durativität, d.h. daß das Kind sehr lange und laut geweint hat. Mekwisha, bzw. mesha dagegen hat konterexpektative Konnotation. Die Handlung hat entgegen der Erwartung 'schon' stattgefunden, wobei die Betonung auf der Handlung liegt.
105
Typologie des Perfekts (Swahili)
3 .5. Das Plusquamperfekt Das Plusquamperfekt unterscheidet sich von einem präsentischen Perfekt in erster Linie durch die Lokalisierung der Situation S in einem Betrachtzeitpunkt, der vor dem Sprechzeitpunkt liegt. Es lassen sich zwei Funktionen des Plusquamperfekts unterscheiden, vgl. B R E U (1991:62): 1. die perfektische Funktion, bei der ein Perfekt in der Vergangenheit dargestellt wird, 2. die temporale Funktion, um ein Präteritum in der Vorvergangenheit auszudrücken. In der ersten Funktion unterscheidet sich das Plusquamperfekt in seinen aspektuellen Funktionen nicht von einem präsentischen Perfekt. Die perfektische Bedeutung steht im Vordergrund: Die Darstellung des Zustands Z, als typisches Resultat einer vorausgehenden Verbalhandlung bzw. als Charakterisierung durch eine vorausgehende Handlung. Der Unterschied zu einem präsentischen Perfekt liegt darin, daß dieser Zustand Ζ in einem Betrachtzeitpunkt BZP lokalisiert ist, der vor dem Sprechzeitpunkt liegt. Im Erzählkontext wird in der Regel auf einen Betrachtzeitpunkt in der Vergangenheit Bezug genommen, was der Autor KEZILAHABI durch die Verwendung des zusammengesetzten Tempus mit dem Hilfsverb -kuwa deutlich macht:
(14)
Karibuna meza yake
wa
Nahe
3.PI.- PRÄT- sein
Tisch
ihrem
Ii-
kuwa wa- me- kaa 3.P1.-PRF1- sitzen
vijana wawili. Jungen
zwei
'Neben ihrem Tisch saßen zwei Jungen.' (S. 52) Das Verb kaa 'hinsetzen' bildet mit -me- den Stativ 'sitzen'. Wird dieser stativisch ausgedrückte Sachverhalt 'sitzen' in einem Betrachtzeitpunkt lokalisiert, der vor dem Sprechzeitpunkt lokalisiert ist, so muß in der deutschen Übersetzung das Präteritum saßen stehen. Ein temporales Plusquamperfekt hatten gesessen würde implizieren, daß die Jungen zu dem Bezugszeitpunkt schon nicht mehr dasaßen. Bei der temporalen Funktion wird dagegen auf einen Betrachtzeitpunkt BZP2 referiert, der vor dem Bezugszeitpunkt des Erzählkontextes liegt: „a time further in the past, seen from the viewpoint of a definite point of time already in the past" ( L E E C H 1971:42). So wird Vorzeitigkeit ausgedrückt, wie etwa in Satz (15) mit dem Aktivitätenverb gombania 'sich um etwas streiten : 1 8
(15)
Maafisa wengi wa Beamte
viele
Ii-
kuwa wa- mekwisha gombania
3.P1- PRÄT- sein
3.P1. PRF2-
sich-streiten
nafasi yake. Platz
ihr
'Viele höhere Beamte hatten sich schon um ihren Platz gestritten.' (S. 29)
18
Das Verb gombania läßt sich zurückfuhren auf gomba 'streiten'. Durch das Ableitungsmorphem -an- ergibt sich die reziproke Bedeutung 'miteinander streiten', durch das Applikativinfix -;- schließlich die Bedeutung 'miteinander um etwas streiten'.
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In Tanzania gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Schulplätzen. Rosa kam zu spät zur Schule, so daß die Beamten hofften, sie würde überhaupt nicht mehr erscheinen, und sich deshalb schon im voraus um ihren Platz stritten. Rosa ist jedoch erschienen, so daß das Wetteifern um ihren Platz nicht erfolgreich war. Durch das temporale Plusquamperfekt wird die Handlung 'sich streiten' zu einem Betrachtzeitpunkt BZP lokalisiert, der vor dem Betrachtzeitpunkt BZP der Handlung 'ankommen' liegt: Die Beamten hatten gestritten, bevor Rosa in der Schule ankam. Das temporale Plusquamperfekt wird formal durch Perfektkonstruktionen wiedergegeben, ist aber inhaltlich ein relatives Tempus, das Vorzeitigkeit ausdrückt. Tempora unterscheiden sich von Aspektkategorien dadurch, daß sie die Verblexik nicht beeinflussen, weshalb beim temporalen Plusquamperfekt keine Inkompatibilitäten mit bestimmten semantischen Verbgruppen auftreten. Das temporale Plusquamperfekt ist daher wie das temporale Perfekt eine typische Perfektfunktion bei aterminativen Verben.
3.6. Experientielles Perfekt Beim experientiellen Perfekt wird die Beziehung zwischen den beiden Situationen dadurch hergestellt, daß der Aktant in der Situation S durch das Ausgeführthaben der Handlung in der Vorsituation -S charakterisiert wird. Deshalb ist das experientielle Perfekt, ebenso wie das temporale Perfekt, unabhängig von der Verblexik. Es kann mit Zustandsverben, Aktivitätenverben und terminativen Verben vorkommen, ohne daß sich Inkompatibilitäten ergeben, wie etwa beim resultativen Vorgangsperfekt. In dem Text „Rosa Mistika" wurde das experientielle Perfekt ausschließlich durch das Morphem -mekwisha ausgedrückt wie etwa im folgenden Beispiel: (16)
„Kijcma
mmoja a-
Junge
einer
lakini niaber
mekwisha ni-
3.Sg.- PRF2
mekwisha hakikisha
l.Sg.- PRF2
versichern
ambukiza
l.Sg.- anstecken
magonjwa; Krankheit
kwamba John hana daß
John
magonjwa. " (S. 76)
hat-nicht Krankheit
'Ein Junge hat mich schon (einmal) infiziert; aber ich habe mich versichert, daß John keine Krankheit hat.' Flora sagt diesen Satz, als sie gesund ist, d.h., es liegt hier kein Resultat 'Infiziertsein' vor. Flora hat aber schon einmal die Erfahrung des 'Infiziertseins' gemacht und ist deshalb vorsichtig geworden: Sie hat sich schon versichert, daß ihr jetziger Freund John keine Krankheit hat. In den Schulen Tanzanias ist es üblich, daß schwangere Mädchen entlassen werden. Auf diese gängige Vorgehensweise nimmt Satz (17) Bezug. Auch hier wird in der Situation S der Zustand Ζ nicht durch das Resultat einer vorausgehenden Handlung dargestellt, sondern durch die „Charakterisierung", die durch diese Handlung bewirkt wurde. So sind diese Mädchen durch ihr „Schwangergewordensein" charakterisiert. Ein resultatives Vorgangsperfekt würde hier implizieren, daß die Mädchen zum Sprechzeitpunkt noch schwanger wären.
107
Typologie des Perfekts (Swahili)
(17)
„Wasichana wengi wa- mekwisha pata
mimba
Mädchen
Schwangerschaft
viele
3.PI.- PRF2
na
kufukuzwa." (S. 75)
und
vertrieben-worden.
bekommen
'Viele Mädchen sind bereits (schon einmal?) schwanger geworden und entlassen worden.'
3.7. Durativperfekt Zum Ausdruck von Durativperfekten wird die Unterstützung von durativen Adverbialen benötigt. Durativperfekte kommen meist mit aterminativen Verben vor, die keine Handlungsendgrenze G2 haben und daher Verbalhandlungen beschreiben, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. In (18) wird die Funktion des Durativperfekt durch das Adverbiale kwa muda mrefu wa kutosha, wörtlich 'fur genügend lange Dauer', also 'lange genug' deutlich: (18)
„Na-fikiri
tu-
me- kuwa wachumba
l.Sg. denken 1.P1.- PRFl-sein
Verlobte
kwa muda mrefu wa
kutosha."
für
Genügens
Dauer
lang
des
„Ich denke, wir sind lange genug Verlobte." (S.97) So beginnt der Heiratsantrag von Charles. Zum Sprechzeitpunkt sind die beiden immer noch verlobt, da der Heiratsantrag ja erst gestellt wird und sie folglich noch nicht verheiratet sind. Der Zustand 'Verlobte sein' ist also in der Situation S noch gültig. Die Situation S bezieht sich hier auf den gesamten Zeitraum, der durch die Adverbiale kwa muda mrefii wa kutosha 'lange genug' gegeben wird, und schließt dabei den Sprechzeitpunkt mit ein. Das Deutsche kennt kein Durativperfekt. So kann tu-me-kuwa wachumba nicht mit 'wir sind lange genug Verlobte gewesen' übersetzt werden, denn das würde implizieren, daß die beiden zum Sprechzeitpunkt nicht mehr Verlobte sind. Im Englischen gibt es dagegen ein Durativperfekt: We have been fiances for long time. Auch mit -mekwisha ist die Bildung von Durativperfekten möglich: (19)
Kwa muda mrefu mwalimu huyu
a-
Für
Dauer
3.Sg.- PRÄT- sein
a-
mekwisha tafuta
3.Sg.- PRF2-
lang
Lehrer
suchen
dieser
Ii-
kuwa
mke... (S. 90). Frau
'Seit langer Zeit suchte dieser Lehrer schon eine Frau.' Hier wird ein Lehrer beschrieben, der schon seit langem erfolglos eine Frau sucht. Die Handlung ist iterativ und betont. Ohne durative Adverbiale würde es sich um ein experientielles Perfekt handeln: Mwalimu huyu amekwisha tafuta mke 'dieser Lehrer hat schon einmal eine Frau gesucht'.
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4. Grammatische Interaktionen Bisher wurden die Interaktionen der Morpheme -me- und -mekwisha mit der Verblexik beschrieben. Ich möchte nun auf Interaktionen der Perfektfünktionen mit anderen grammatikalischen Funktionen eingehen: 1. die Interaktion mit dem Subordinativ (-ki-) und 2. die Interaktion mit dem Passiv (-w-) und „Stativ" (-£-).
4.1. Interaktion von Subordinativ -ki- und Perfekt -meIm Text finden sich Kombinationen der Morpheme -ki- mit dem Morphem -me-}9 Das Morphem -ki- verdrängt im Gegensatz zu anderen TAM-Markern (außer -ka-) das Infinitivpräfix ku- bei dem Hilfsverb kuwa. Dadurch entstehen Formen des Typs: Subjektpronomen -ki- wa. Das Morphem -me- ist, wie bei den zusammengesetzten Tempora, ein Präfix des Vollverbs. (20)
A-
ki-
wa a-
me- panda juu
3.Sg.- SUB- sein 3.Sg.-
ya
PRF1 steigen auf
kaburi... (S. 108) Grab
'Als er auf das Grab gestiegen war, (begann er zu sagen...).' (21)
... wa- ki-
wa
...3.P1.- SUB- sein
wa-
me-
kaa
kuzunguka
3.P1- PRF1-sitzen um
moto. (S. 47) Feuer
'(Die Frage wurde am Abend diskutiert,) als sie um das Feuer herumsaßen.' Die Sätze, in denen -kiwa -me- vorkommt, stellen die Rahmenhandlung dar, während der sich eine andere Handlung ereignete. Das Vollverb ist mit dem Perfektmorphem -me- markiert und das Hilfsverb mit dem Subordinativmorphem -ki-. Durch das Perfekt wird das handlungsspezifische Resultat des betreffenden verbalen Tatbestands ausgedrückt, nämlich in Satz (20) das 'Hinaufgestiegensein' und in Satz (21) das 'Hingesetzthaben' bzw. die stativische Interaktionsbedeutung 'Sitzen'. Der Subordinativ bewirkt eine syntaktische Subordination, der verbale Sachverhalt wird als Hintergrundshandlung dargestellt. Durch die Kombination dieser beiden Funktionen wird ein resultativer Zustand als Hintergrundshandlung dargestellt.
4.2. Vorgangspassiv und Zustandspassiv Das Perfekt und das Passiv werden im Deutschen durch das gleiche Partizip Perfekt gebildet. Es wird zwischen einem Zustandspassiv (ZP) und einem Vorgangspassiv (VP) unterschieden: Zustandspassiv: Vorgangspassiv:
19
HAUNER
habis.
Die Tür ist geöffnet. Die Tür ist geöffnet worden.
(1985:112) bezeichnet die Vielfall dieser „zusammengesetzten Formen" als Stilmerkmal Kezila-
109
Typologie des Perfekts (Swahili)
Im Duden wird das Zustandspassiv auf das Perfekt des Vorgangspassiv durch die Tilgung von worden zurückgeführt. Inhaltlich wird das Zustandspassiv wie ein Resultativ definiert: 20 Inhaltlich betrachtet, wird der Sachverhalt nicht mehr als Vorgang, als Prozeß, als Handlung mitgeteilt, sondern als ein Zustand, der das Ergebnis des Vorgangs oder der Handlung darstellt. Das Zustandspassiv vermittelt also eine andere Sehweise als das Vorgangspassiv, das eine Handlung, einen Vorgang ausdrückt: es drückt einen Zustand als das Ergebnis der Handlung aus. (DROSDOWSKI 1984:186)
Im Swahili gibt es fur das Perfekt, das Vorgangs- und Zustandspassiv eigene Morpheme. Das Vorgangspassiv wird durch das Infix -w- vor dem finalen -a ausgedrückt. Das Zustandspassiv (ZP) oder „Stativ" wird durch das Derivationsmorphem -ik/ek bzw. -k- gebildet. 21 Im Gegensatz zu dem Vorgangspassivmorphem -w- ist das Zustandspassivmorphem" -k- nur noch beschränkt produktiv, und es finden sich viele relexikalisierte „Stative" 22 , die aktivische Bedeutung haben und häufig zu den pseudostativen Verben gehören, wie z.B. pumz-ik-a 'sich entspannen'. ASHTONS ( 1 9 4 4 : 2 2 7 F F )
beschreibt die Funktionen der Verben im Zustandspassiv folgender-
maßen: 1.They express state without reference to agency. If agency is implied the passive should be used . 2. They also express potentiality, i.e. whether or not the subject is capable of receiving a given action.
ASHTONS Definitionen beschreiben die Interaktionsbedeutungen des Zustandspassivs mit den
Tempus-Aspektmorphemen und der Verblexik. Die erste Funktion ist nur bei Verben möglich, deren Agens sowohl belebt als auch unbelebt sein kann (vgl. DRIEVER 1976:49ff.), wie etwa das Verb vunja 'zerbrechen'. Das Zustandspassiv („Stativ") bewirkt die Tilgung des Agens: vunjika 'zerbrochen werden / sein'. Durch die Interaktion des Perfektmorphems -me- mit dem Zustandspassiv wird ein resultativer Zustand beschrieben (22), mit dem Morphem -na- wird dagegen ein Vorgang oder Prozeß dargestellt (23):
(22)
kikombe ki-
me-
vunj-
Tasse
PRF1-
brechen- ZP- a
cl.7-
ik- a
'die Tasse ist zerbrochen'
(23)
kikombe ki- naTasse
vunj-
ik- a
cl7- PRÄS- brechen- ZP- a
'die Tasse zerbricht'
20
Weitere Hinweise auf Korrelationen zwischen Resultativen und dem Passiv finden sich in DAHL (1985:135) u n d BREU ( 1 9 8 8 : 5 2 ) .
21 22
Dieser „Stativ" darf nicht mit der „Perfektfunktion" Stativ verwechselt werden. WILSON (1970:67) faßt die Verben mit Stativderivation -ik-/-ek-, z.B. vunjika 'zerbrochen sein', und die inchoativen Verben wie z.B. jaa als „Stative" Verben zusammen. Diese „Stativen" Verben entsprechen in e t w a d e n „ q u a l i t a t i v e n " V e i t e n v o n STEERE ( 1 9 3 4 : 1 1 8 ) .
U. Drolc
110
Bei Verben, die ein belebtes Agens verlangen, kann das Zustandspassiv nur die zweite Funktion „Möglichkeit einer Handlung" ausdrücken (vgl. D R I E V E R ( 1 9 7 6 : 5 0 ) : (24)
Kazi
hii
ya-
fany-
ik- a
Albeit
diese
cl.5-
tun-
ZP- a
'This work is capable of being done, or can be done.' In Verbindung mit dem Morphem -me- werden dagegen Handlungen beschrieben, die gut oder einfach ausgeführt werden konnten (vgl. D R I E V E R ( 1 9 7 6 : 5 1 ) : (25)
Barua hii
i-
me- som-
ek- a
Brief
cl.9- PRF1- lesen-
ZP- a
dieser
'This letter could be read easily.' Das Vorgangspassiv (VP) -w- unterscheidet sich vom Zustandspassiv („Stativ") durch die Möglichkeit, ein Agens hinzuzufügen: (26)
ki- me-
vunj-
w- α
C1.7-PRF1- brechen- VP- a
na nani? von wem?
'Von wem wurde sie zerbrochen?' Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Agentivität und Perfektfünktionen. Das mögliche Vorhandensein eines Agens vergrößert die Wahrscheinlichkeit des Bezugs auf die vorherige Handlung, d.h. der Ausdruck resultativer Vorgangsperfekte wird begünstigt. Umgekehrt macht mangelnde Agentivität den Bezug auf eine vorhergehende Handlung unwahrscheinlich. Die Zustandsbedeutung tritt in den Vordergrund, wodurch die Stativfunktion begünstigt wird. Verben im Vorgangspassiv, die den Bezug auf das Agens zulassen, ermöglichen auch den Bezug auf die Verbalhandlung und somit den Ausdruck von resultativen Vorgangsperfekten. Die semantischen Merkmale 'Belebtheit', bzw. 'Kontrolle' beeinflussen auch beim Vorgangspassiv die Interaktionsbedeutung mit dem Perfekt. (27) stellt ein resultatives Vorgangsperfekt dar, (28) einen Resultativ: (27)
Bwana
Thomas
a-
me-
Herr
Thomas
3.Sg.-
PRF1- entlassen-
fut-
w- α kazi. (S. 78) VP- a
Albeit.
'Herr Thomas ist von der Arbeit entlassen worden.' (28)
Wa- Ii-
kaa
katika duara miguu miwili i-
3.PL.-PRÄT- sitzen in
Kreis
na
i-
me-
kunj-
w- a
und
cl.6-
PRF1-
falten- VP- a
Beine
zwei
me- wek- w- a
cl.6-PRF1-legen-VP- a
kurudi
nyuma. (S. 17)
nach
hinten
pamoja zusammen
'Sie saßen in einem Kreis, die beiden Beine waren zusammengelegt und nach hinten abgeknickt'
Typologie des Perfekts (Swahili)
111
5. Zusammenfassung und Schluß In dem vorliegenden Aufsatz wurde von der Annahme ausgegangen, daß Resultativität die aspektuelle Grundbedeutung des Perfekts ist, die aus einer perfektiven Handlungskomponente und einer imperfektiven Zustandskomponente besteht. Ausgehend von dieser Grundbedeutung kann die Entwicklung zu weiteren Perfektfunktionen entweder durch die Betonung der perfektiven Handlungskomponente oder durch die Betonung der imperfektiven Zustandskomponente erklärt werden. Im Swahili drücken die Morpheme -me- und -mekwisha Perfektfunktionen aus. Sie unterscheiden sich u.a. dadurch, daß -mekwisha handlungsbetont ist, währenddessen -mezustandsbetont ist und in vielen Kontext den Stativ ausdrückt. Möglicherweise hat die zunehmende Zustandsbetonung von -me- die Morphologisierung von -mekwisha eingeleitet. Es besteht ein wechselseitiger Einfluß von Lexik und Grammatik. Im Swahili genügt es zwischen aterminativen und terminativen Verben zu unterscheiden, wobei die terminativen Verben sich durch das Merkmal 'Agentivität' in pseudostative und „echte" terminative Verben unterteilen lassen. Resultative Perfektfunktionen sind auf terminative Verben beschränkt. Die Interaktion von aterminativen Verben mit dem Perfekt kann die Entstehung der nicht-resultativen Perfektfunktionen erklären. Die Stativfünktion bewirkt eine Umwandlung von terminativer Verblexik in eine aterminative Interaktionsbedeutung, die zur Relexikalisierung der Verben fuhren können. Die Perfektfunktionen der beiden Morpheme sind unabhängig vom Sprechzeitpunkt. Sie beziehen sich auf einen Bezugszeitpunkt, der durch den Kontext gegeben wird. Vorhergehende Handlung und resultativer Zustand können als zwei Situationen betrachtet werden, die in einem Taxisverhältnis zueinander stehen und Vorzeitigkeit ausdrücken; vgl. BREU (1988). Durch die Lokalisierung der beiden Situationen auf der Zeitachse kann sowohl ein präteritales Perfekt als auch ein Plusquamperfekt ausgedrückt werden, wobei das Plusquamperfekt häufig durch die Hilfsverbkonstruktion -likuwa unterstützt wird. Experientielles Perfekt wurde in dem Roman „Rosa Mistika" ausschließlich durch das handlungsbetonte Morphem -mekwisha ausgedrückt. Darüberhinaus lassen sich grammatische Interaktionen mit dem Subordinativ -ki- und dem Vorgangs- und Zustandspassiv nachweisen. Bei den passivischen Interaktionen spielen die semantischen Merkmale 'Agentivität', 'Belebtheit' und 'Kontrolle' eine wichtige Rolle.
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Monica Gardenghi (Bayreuth) Zur Frage der Kompatibilität der Aoristformen mit T S T A - und ISTA-Verbbedeutungen im Italienischen
Riassunto II contenuto astratto dell'opposizione grammatical di carattere aspettuale perfettivo : imperfettivo si manifesta, in un'unitä testuale narrativa che contenga un intreccio di azioni, nel fatto che l'aspetto perfettivo esprime la realizzazione totale di un'azione verbale, comprendendo dunque tutti i suoi possibili confini temporali. L'aspetto imperfettivo, invece, non fa alcun riferimento esplicito ad una realizzazione dei confini temporali dell'azione verbale. Da cid deriva che le forme aoristiche dell'italiano, che hanno valore perfettivo, servono a esprimere il cambiamento di una data situazione (CS), mentre quelle imperfettive forniscono semplicemente informazioni aggiuntive per la descrizione di una situazione (S). Oltre alia loro funzione aspettualmente rilevante appena nominata, le forme dell'aoristo italiano assumono pero anche una funzione che viene chiamata „fattuale generica" e che έ irrilevante rispetto alle relazioni aspettuali fra piü azioni di un intreccio narrativo. Si tratta infatti della pura e semplice constatazione che una certa azione verbale ha avuto luogo nel passato. Questa azione viene rappresentata dalla funzione fattuale generica dell'aoristo italiano come isolata, owero senza alcun rapporto di intreccio aspettuale con altre azioni verbali eventualmente presenti nel contesto narrativo piü ampio. Rispetto alia compatibility delle forme deH'aoristo con significati verbali di tipo statico, si constatano alcune divergenze significative nel confronto con fenomeni paralleli nelle lingue slave, in cui la funzione fattuale generica έ assunta dalle forme imperfettive. Nel presente contribute si introduce innanzitutto un procedimento di classificazione, sulla base di alcuni test linguistici, da applicare per individuare i significati verbali italiani che corrispondono alle due classi della teoria ILA: TSTA (totalmente statici) e ISTA (statici incettivi). In seguito si utilizza la discussione di diversi esempi per illustrare la funzione fattuale generica delle forme aoristiche in italiano. In questo ambito si delineano una serie di criteri di natura semantica e pragmatica che, per la lingua italiana, hanno un roolo fondamentale rispetto alla questione della compatibilitä di forme dell'aoristo con i significati verbali statici.
Inhalt 1. T S T A - und ISTA-Verbbedeutungen: Definition und Klassifikationskriterien 2. Allgemein-faktische Bedeutung des Aorists im Italienischen 3. Der Aorist bei TSTA-Verbbedeutungen im isolierten minimalen Verbkontext 4. Der Aorist bei ISTA-Verbbedeutungen 5. Mit dem Aorist absolut inkompatible TSTA-Verbbedeutungen 6. Der Einfluß einer sekundären Kontextualisierung
1. TSTA- und ISTA-Verbbedeutungen: Definition und Klassifikationskriterien 1.1. D i e folgende Analyse setzt einige Definitionen voraus, die in diesem Abschnitt kurz eingeführt werden sollen. D e m hier verwendeten Ansatz zur Klassifikation von Verbbedeutungen nach aspektsensitiven Verbklassen liegt die universalistische Aspekttheorie v o n W. Breu zu-
114
Μ. Gardenghi
gründe; vgl. insbesondere BREU (1985, 1992, 1994).1 Das perfektive Grammem der aspektuellen Opposition perfektiv : imperfektiv drückt die ganzheitliche Realisierung eines durch ein Verb ausgedrückten Sachverhalts aus, unter Einschluß aller fur diesen Sachverhalt charakteristischen Grenzen. Anfangs- und Endgrenze eines Sachverhalts können für ein bestimmtes Verb als charakteristisch bzw. nicht charakteristisch betrachtet werden. Dies hängt davon ab, ob das Verb, auf der Basis der Kenntnis der außersprachlichen Wirklichkeit, die Sachverhaltsgrenzen als obligatorisch, wahrscheinlich oder nicht wahrscheinlich konzeptualisiert. Diese unterschiedliche Konzeptualisierung der Grenzen ist Teil der lexikalisch-semantischen Komposition des verbalen Lexikons. Aus der Interaktion der lexikalisch-semantischen Eigenschaften mit den Grundfünktionen der Aspektgrammeme (Interaktion Lexik-Aspekt = ILA) ergeben sich die konkreten aspektuellen Bedeutungen auf der textuellen Ebene. Breus theoretisches Modell definiert die prototypischen Ergebnisse dieser Interaktion. Auf dieser theoretischen Ebene lassen sich u.a. Einschränkungen in bezug auf die Kompatibilität der Aspektgrammeme mit den lexikalischen Verbbedeutungen erkennen, die den zentralen Kern der total-statischen (TSTA) und inzeptiv-statischen (ISTA) Klassen darstellen.2 Für die prototypischen TSTAVerbbedeutungen, z.B. {enthalten}, {wiegen}, stellt Breu fest, daß sie keine charakteristische Grenzen konzeptualisieren, da der bezeichnete Zustand eine inalienable Eigenschaft des Subjekts ohne wahrscheinliche Begrenzung darstellt. Deshalb ist eine Verbindung der TSTAVerbbedeutungen mit dem perfektiven Grammem, das ja die Realisierung der Sachverhaltsgrenzen ausdrücken soll, theoretisch ausgeschlossen. BREU (1994:28) liefert aus dem Russischen Beispiele fur TSTA-Verben, die tatsächlich als Imperfektiva tantum belegt sind: russ. vesit' 'wiegen' und prinadlezat' 'gehören'. Für die prototypischen ISTA-Verbbedeutungen (z.B. {verstehen; kennenlernen / kennen}) ist nur die Anfangsgrenze charakteristisch, da sie einen Zustand bezeichnen, für den keine Wahrscheinlichkeit der Endgrenze besteht, während seine Anfangsgrenze als zu einem bestimmten Zeitpunkt realisierbar aufgefaßt wird. Die Interaktionsbedeutung, die aus der Kombination solcher ISTA-Verben mit dem perfektiven Grammem entsteht, ist also der Ausdruck des Eintritts in den betreffenden Zustand. Dies entspricht auch der normalen Interpretation der perfektiven Formen von ital. conoscere, also conobbi/ho conosciuto3 'ich lernte kennen'; während das Imperfetto (= imperfektive Form) conoscevo 'ich kannte' den darauffolgenden Zustand ohne Wahrscheinlichkeit der Endgrenze bezeichnet.
1 2
3
Zur Verwendung des Terminus „Verbbedeutung" im vorliegenden Beitrag s. u. Anmerkung 4. Auf die Definition der anderen ILA-Klassen (AKTI, GTER und TTER) des theoretischen Modells von Breu wird in diesem Beitrag nicht eingegangen, da die Unterscheidung dieser drei dynamischen Verbklassen für die Frage der Kompatibilität der Aoristformen mit den statischen Verbbedeutungen irrelevant ist. Die zusammengesetzte Form, die nach der von BERTINETTO (1986) neu eingeführten Terminologie „Perfetto composto " genannt wird, hat bekannterweise in den Standardvarianten des gesprochenen Italienischen in Nord- und Mittelitalien die perfektive (aoristische) Funktion mitübernommen, die ursprünglich nur von der einfachen Form des „Perfetto semplice" (= eigentlicher „Aorist") ausgedrückt wurde. Daneben behält die zusammengesetzte Form auch ihre typische „perfektische" Bedeutung (Bertinetto nennt sie „aspetto compiuto"); vgl. BERTINETTO (1986:198ff.). Diese letztere bleibt im vorliegenden Beitrag völlig unberücksichtigt. In dem vorliegenden Beitrag werden Perfetto composto und Perfetto semplice aufgrund ihrer funktionalen Identität im hier relevanten Bereich als „Aoristformen" zusammengefaßt.
Aorist im Italienischen
115
1.2. Für das Erkennen von TSTA- und ISTA-Verbbedeutungen4 im Italienischen erweisen sich die sprachlichen Tests, die im folgenden kurz dargestellt werden, m. E. als besonders geeignet. Die Konstruktion dieser sprachlichen Tests basiert auf den oben erwähnten Definitionen der prototypischen Verbbedeutungen der Theorie von Breu, allerdings muß von Anfang an sowohl auf die Besonderheiten des italienischen Verbsystems als auch auf die von dem prototypischen Verhalten der theoretischen Definition z.T. abweichenden Verbbedeutungen, Rücksicht genommen werden. Sowohl das Perfetto semplice (parlai zu parlare 'reden') als auch das Perfetto composto (iho parlatö) können im Italienischen die ganzheitliche Realisierung der für den Sachverhalt charakteristischen Grenzen ausdrücken. Diese aspektuelle Funktion der beiden Aoristformen wird in Breus Theorie auch als Ausdruck einer „Situationsveränderung" (SV) im narrativen textuellen Zusammenhang definiert; vgl. BREU (1992:160). Bei den imperfektiven Formen des Italienischen stellt man fest, daß nur das Imperfetto (parlavo) zwei imperfektive Teilbedeutungen ausdrücken kann, während die progressive Verbalperiphrase ,jtare + Gerundium" (stavo parlando) nur auf eine imperfektive Teilbedeutung spezialisiert ist. Die gemeinsame Eigenschaft dieser beiden imperfektiven Formen besteht darin, daß durch sie die Sachverhaltsgrenzen nicht erfaßt werden, so daß eine Beschreibung der von der Verbbedeutung charakterisierten Situation ohne Situationsveränderung bezeichnet wird. Diese Situationsbeschreibung kann sowohl durch eine uneingeschränkte Wiederholung von einzelnen Handlungen als auch durch einen Zustand, der keine genaue zeitliche Lokalisierung seiner Grenzen hat, charakterisiert werden. In diesen beiden Fällen kann im Italienischen nur das Imperfetto die generischhabituelle Teilbedeutung des imperfektiven Aspekts zum Ausdruck bringen. Diese wird von BREU (1992:163) als Situationsbeschreibung ohne Veränderung (S*SV) definiert. Eine weitere Möglichkeit der Situationsbeschreibung stellt der Fall eines einmaligen zeitlich lokalisierten Sachverhalts, der in seinem Verlauf betrachtet wird, dar. Diese zweite imperfektive Teilbedeutung kann von beiden imperfektiven Formen des Italienischen (Imperfetto und ,fstare + Gerundium") ausgedrückt werden. Die Endgrenze einer solchen aktuellen Handlung wird als noch nicht realisiert dargestellt, sie ist aber temporal wahrscheinlich oder sogar obligatorisch
4
Mit „Veibbedeutungen" werden im folgenden die lexikalischen aspektsensitiven Teilbedeutungen eines Verblexems bezeichnet, die sich aus der Verbindung des betreffenden Veiblexems mit seinen obligatorischen Aktanten (Subjekt, Objekt ggf. andere obligatorische Verbergänzungen) ergeben, wobei bestimmte semantische Merkmale der obligatorischen Aktanten einen Einfluß auf den aspektsensitiven Charakter des Verblexems ausüben. Die syntagmatische Verbindung des Vert>lexems mit den jeweils relevanten semantischen Merkmalen der obligatorischen Aktanten wird hier „minimaler Veibkontext" genannt, und stellt das tatsächliche Objekt der Klassifikation nach ILA-Klassen dar. Der Einfluß auf die aspektuelle Interpretation der Verbformen, der von Elementen des weiteren Satzkontexts, wie z.B. temporalen oder modalen Adverbialen, ausgeübt werden kann, wird bei der Hauptklassifikation der minimalen Verbkontexte außer acht gelassen. So z.B. wird der minimale Verbkontext „Subjekt [HUMAN] + lavorare" in der Klassifikation unter den Aktivitätsverben eingeordnet, obwohl in der weiteren Kontextualisierung des Satzes Ε cost finalmente Piero lavorö 'So fing Piero endlich an, zu arbeiten' eine sekundäre kontextbedingte ingressive Interpretation möglich ist, die der primären Bedeutung der perfektiven Formen von ISTA-Verbbedeutungen ähnlich ist.
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und kann genau auf der Zeitachse lokalisiert werden. Daraus folgt die Definition von BREU (1992:163) einer Beschreibung der Situation vor ihrer Veränderung (S/SV). Wie in den nächsten Abschnitten gezeigt werden soll, fuhrt die direkte Kompatibilitätsprobe mit den Aoristformen nicht zu eindeutigen und zuverlässigen Ergebnissen, was die Identifizierung der TSTA-Verbbedeutungen als solche betrifft, weil - anders als in den slavischen Sprachen - die Aoristformen des Italienischen auch die aspektuell nicht relevante allgemeinfaktische Bedeutung haben. Zur Abgrenzung der statischen Verbbedeutungen (zuerst TSTA und ISTA gemeinsam) von den anderen dynamischeren Verbklassen kann man dagegen einen sprachlichen Test einsetzen, der die Kompatibilität einer gegebenen Verbbedeutung mit der Verbalperiphrase „stare + Gerundium" und gleichzeitig mit dem Verblexem interrompere 'unterbrechen' überprüft. Folgende Beispiele zeigen die unterschiedlichen Ergebnisse: (1)
Piero /*stava avendo/ /aveva/ i capelli rossi ma /*e stato interrotto/ /*si e interrotto/. (-» statisch) 'Piero hatte rotes Haar, aber *er wurde unterbrochen.'
(2)
Piero /*stciva sapendo/ /sapeva/ dell 'incidente ma /*e stato interrotto/ /*si e interrotto/. (—> statisch) 'Piero wußte von dem Unfall, aber *er wurde unterbrochen.'
(3)
Piero /stava cantando/ /cantava/ ma /e stato interrotto/ /si e interrotto/. (—> nicht-statisch) 'Piero war gerade dabei zu singen, aber er wurde unterbrochen.'
(4)
Piero /stava scrivendo/ /scriveva/ la lettera ma /e stato interrotto//si e interrotto/. (-» nicht-statisch) 'Piero war gerade dabei den Brief zu schreiben, aber er wurde unterbrochen.'
Die statischen Verbbedeutungen sind als solche ohne eine wahrscheinliche Endgrenze definiert worden, deswegen können nur die nicht-statischen Verbbedeutungen eine prozessuale Beschreibung der Situation als vor ihrer temporal wahrscheinlichen Situationsveränderung stehend (S/SV) - bzw. vor einem zeitlich genau lokalisierbaren Erreichen der Endgrenze des Sachverhalts - ausdrücken. Da die progressive Verbalperiphrase ausschließlich diese Teilbedeutung hat, wäre es normalerweise ausreichend, die Kompatibilität mit der „stare + Gerundium"-Periphrase zu testen. Allerdings zeigt die „store + Gerundium"-Periphrase im heutigen gesprochenen Italienisch eine auffällige Tendenz zum Ausweiten ihres Geltungsbereichs, so daß die Häufigkeit der Grenzfälle im konkreten Sprachgebrauch, in denen ihre Verwendung auch in Verbindung mit statischen Verben vorkommt, das Akzeptabilitätsurteil über diese besondere Konstruktion - wenn sie isoliert verwendet wird - beeinträchtigen könnte. So z.B. kann die isolierte Form la stava vedendo 'sie / er sah sie gerade' zwar als irgendwie unüblich empfunden werden, aber nicht als eindeutig unmöglich abgelehnt werden. Diese Form könnte nämlich in speziellen kommunikativen Situationen als sekundäre Dynamisierung des Verblexems vedere vorkommen (z.B. proprio in quel momento la stava vedendo arrivare 'gerade in diesem Augenblick sah er / sie sie kommen'), ohne daß die Kernbedeutung
Aorist im Italienischen
117
des Lexems vedere als Wahrnehmungsverb dadurch wirklich verloren gehen würde. 5 Die Einbettung in den Satzkontext (5) erweist sich jedoch als unmöglich: (5)
Piero /??stava vedendo //vedeva/Anna, ma *e stato interrotto. 'Piero sah gerade Anna, aber *er wurde unterbrochen.'
Die unmittelbare syntagmatische Verbindung der imperfektiven Formen mit interrompere erzwingt also eine eindeutigere Interpretation der statischen Kernbedeutung von vedere. Die Verbbedeutung von interrompere impliziert semantisch-lexikalisch die genaue zeitliche Lokalisierung der Endgrenze eines Sachverhalts, und kann deswegen besonders gut zur ersten Aussortierung solcher Verbbedeutungen, die gleichzeitig auch eine totale - oder wenigstens eine sehr starke - Inkompatibilität mit der prozessualen Bedeutung der progressiven Verbalperiphrase S/SV aufweisen. Allerdings finden sich Beispiele flir Verben, die zwar mit interrompere inkompatibel sind, aber die Verbalperiphrase ,jtare + Gerundium" ohne Einschränkung zulassen: (6a) Piero si stava aspettcmdo molto da Luisa, ma *e stato interrotto. 'Piero erwartete viel von Luisa, aber *er wurde unterbrochen.' (7a) Piero stava soffrendo, ma *e stato interrotto. 'Piero litt, aber *er wurde unterbrochen.' (8a) Piero stava esitando, ma *e stato interrotto. 'Piero zögerte gerade, aber *er wurde unterbrochen.' Diese Beispiele stellen ohne Zweifel Grenzfälle dar. Wenn man jedoch eine Entscheidung über die Klassifikation dieser Grenzfälle nach ILA-Klassen treffen will, sollte man versuchen, den Dynamikgrad der betreffenden Verbbedeutungen durch weitere syntagmatische Kombinationen zu überprüfen. Eine Möglichkeit bietet die Kompatibilitätsprobe der progressiven Verbalperiphrase mit einem punktuellen Zeitadverbial wie alle 11 inpunto 'um Punkt 11 Uhr': (6b) *Alle 11 in punto Piero si stava aspettando molto da Luisa. '*Um Punkt 11 Uhr erwartete Piero viel von Luisa.' (7b) Alle 11 in punto Piero stava soffrendo. 'Um Punkt 11 Uhr litt Piero' (8b) Alle II in punto Piero stava esitando. 'Um Punkt 11 Uhr zögerte Piero.'
5
Anders ist der Fall von Piero stava vedendo un film 'Piero schaute sich einen Film an', wo das Verblexem vedere tatsächlich eine andere lexikalische Bedeutung übernimmt, die mit der Bedeutung des Wahrnehmungsverbs nicht mehr identisch ist, sondern mit der des Aktivitätsverbs guardare 'sich etwas anschauen' übereinstimmt.
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Die kontextuelle Kompatibilität mit einer punktuellen zeitlichen Lokalisierung wie alle 11 in punto korreliert tatsächlich sehr stark mit der Möglichkeit einer genauen zeitlichen Lokalisierung der Endgrenze eines Sachverhalts. Diese Eigenschaft ist für die dynamischeren Verbbedeutungen typisch. Allerdings scheint es mir zweckmäßiger, diesen Test erst bei einer weiteren Differenzierung von Grenzfällen einzusetzen, weil in der Regel der Kompatibilitätstest mit der Verbbedeutung interrompere eine unmittelbar eindeutigere Interpretation der konstruierten Beispielen ermöglicht. In bezug auf die drei letzten Beispiele kann man zusammenfassend feststellen, daß während für aspettarsi zwei der drei Proben für die Einordnung unter die statischen Verben sprechen, esitare und soffrire lediglich eine semantische Inkompatibilität mit interrompere auf weisen, die auf die Nicht-Agentivität der beiden Verbbedeutungen zurückzuführen ist. Soffrire und esitare gehören zu den Grenzfällen am Rande einer dynamischeren Verbklasse, die in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden können. Ein Grenzfall wie aspettarsi deutet bereits auf die Problematik solcher statischen Verbbedeutungen hin, die - anders als die theoretisch definierten Prototypen der TSTA-Klasse keine permanente Eigenschaft des Subjekts bezeichnen. Bei der Klassifikation eines umfangreicheren Korpus von minimalen Verbkontexten stößt man auf eine ganze Reihe von Verbbedeutungen, die zwar keine genaue Lokalisierung der Sachverhaltsgrenzen auf der Zeitachse zulassen, aber auch keine inalienable Eigenschaft des Subjekts bezeichnen, sondern einen mehr oder weniger vorübergehenden Zustand. Mit dieser Untergruppe der TSTA- und ISTA-Verben sind auch die Aoristformen immer kompatibel, wie in 3.1. noch zu zeigen sein wird. Um die TSTA- von den ISTA-Verbbedeutungen abzugrenzen, ist m.E. die Anwendung eines einzigen Tests ausreichend, in dem dasselbe Verb zunächst in einer Aoristform {perfetto composto / semplice) einen Bedingungssatz einleitet und dann im Imperfetto für eine Frage nach der Folge verwendet wird: (9)
- Se Piero /ha avuto/ /ebbe/ i cape Hi rossi, dopo aveva i cape Iii rossi? - Normalmente no. [avere = 'haben'] ' - Wenn Piero (einige Zeit lang) rotes Haar hatte, hatte er nachher rotes Haar? -Normalerweise, nein.'
(10) - Se Piero /ha saputo//seppe/ dell'incidente, dopo sapeva dell 'incidente? - Normalmente si. [sapere = 'wissen'] ' - Wenn Piero von dem Unfall erfuhr, wußte er nachher von dem Unfall? - Normalerweise, ja.' (11) - Se Piero /si e trovato//si trovö/nel bosco, dopo si trovava nel bosco? - Normalmente si. [trovarsi = 'sich befinden'] ' - Wenn Piero sich (plötzlich) im Wald befand, befand er sich nachher im Wald? - Normalerweise, ja.' Die affirmative Antwort in den Beispielen (10) und (11) beweist lediglich, daß die Aoristformen der betreffenden Verbbedeutungen normalerweise von den Sprechern als Eintritt in einen bestimmten Zustand interpretiert werden, da das Fortbestehen dieses Zustands - zumindest für die unmittelbar folgende Zeitspanne - für möglich gehalten wird. Dagegen zeigt die
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negative Antwort in (9), daß im Falle von /ha avuto/ /ebbe/ i capelli rossi das Fortbestehen des betreffenden Zustande normalerweise als unmöglich erscheint. Durch diesen Test wird lediglich die Möglichkeit der aspektuell relevanten Interpretation der Aoristformen als Ausdruck der Realisierung der Anfangsgrenze eines Zustands überprüft. Von einer logisch-semantischen Implikation kann hier allerdings nicht die Rede sein, da der Wahrheitsbedingung des Satzes Piero ha saputo dell'incidente von einer ausdrücklichen Verneinung des normalerweise daraus folgenden Zustands nicht widersprochen wird, wie das Beispiel (12) zeigt.
(12) Piero /ha saputo/ /seppe/ de Π 'incidente alle 11, ma subito dopo l 'aveva giä dimenticato. 'Piero erfuhr um 11 Uhr von dem Unfall, aber unmittelbar danach hatte er es schon vergessen.' Durch den gezeigten Test kann man also die TSTA- und ISTA-Verbbedeutungen voneinander abgrenzen. Auf die Akzeptabilität der Aoristformen der TSTA-Verbbedeutung avere i capelli rossi wird in 3 .1. eingegangen.
2. Allgemein-faktische Bedeutung des Aorists im Italienischen Verschiedene Sachverhalte bilden normalerweise in einem narrativen zusammenhängenden Textabschnitt ein Situationsgeflecht, wobei gilt: Zwei oder mehrere imperfektive Sachverhalte werden als gleichzeitig beschrieben, ein perfektiver und eine imperfektiver Sachverhalt stehen in einem Inzidenzverhältnis, 6 und mehrere perfektive Sachverhalte stellen in der Regel eine Handlungsabfolge dar. Ein Textabschnitt, der nur imperfektive Verbformen enthält, kann im Italienischen keine selbstständige Äußerung bilden, da er immer eine Einbettung in einen weiteren kommunikativen Kontext, der eine zeitliche Verankerung fur die Situationsbeschreibung (sei es S*SV oder S/SV) liefert, erfordert. 7 Hingegen kann eine Erzähleinheit, die ausschließlich Aoristformen enthält, kommunikativ selbstständig sein. Die folgenden Beispiele zeigen außerdem, daß unter den verschiedenen Aoristformen eines Textabschnitts nicht immer die Taxis-Relation der Handlungsabfolge herrschen muß, obwohl dies vermutlich den häufigeren Fall darstellt.
(13) Mentre /ho lavorato/ /lavorai/, Anna /ha giocato//giocö/ con i bambini. 'Während ich arbeitete, spielte Anna mit den Kindern.' Die Gleichzeitigkeit der beiden Sachverhalte in (13) wird von der Bedeutung der Konjunktion mentre 'während' ausgedrückt. Zwar sind die entsprechenden imperfektiven Verbformen in
6
Im Inzidenzschema tritt ein perfektiver Sachverhalt in die von einem imperfektiven Sachverhalt beschriebene Situation ein. Der Begriff des „Inzidenzschemas" wurde 1960 von W. POLLAK eingeführt (vgl. die neubeaibeitete Ausgabe von POLLAK 1988).
7
V g l . BERTINETTO 1 9 8 6 u n d DELFITTO/BERTINETTO 1995.
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einem solchen Satzkontext viel wahrscheinlicher, wenn der Satz Teil eines längeren zusammenhängenden Erzähltextes ist, keineswegs aber wird (13) als ungrammatisch abgelehnt. Vielmehr ist dies die einzige Möglichkeit, den Satz zu formulieren, wenn es sich um eine isolierte kommunikative Einheit handelt. Ähnliches gilt fur Beispiel (14), wo die chronologischen Angaben eine Interpretation im Sinne einer zeitlichen Abfolge der betreffenden perfektiven Sachverhalte verhindern, aber der Textabschnitt vollkommen akzeptabel und durchaus normal ist. (14) Giacomo Leopardi nacque a Recanati nel 1798. Egli scrisse il famoso canto „L 'infinito ". Ugo Foscolo nacque a Zante nel 1778. Egli scrisse tra l 'altro „Le ultime lettere di Jacopo Ortis ". Francesco Petrarca nacque ad Arezzo nel 1304. Egli scrisse per esempio „ Chiare fresche e dolci acque ". 'Giacomo Leopardi wurde 1798 in Recanati geboren. Er schrieb das berühmte Lied „L 'infinite ". Ugo Foscolo wurde 1778 in Zante geboren. Er schrieb u.a. „Le ultime lettere di Jacopo Ortis". Francesco Petrarca wurde 1304 in Arezzo geboren. Er schrieb ζ. B. „Chiare fresche e dolci acque".' Eine denkbare kommunikative Situation für (14) wäre die Absicht des Sprechers, über drei wichtige Persönlichkeiten der italienischen Literatur in knapper Form Auskunft zu geben. Auch der Vergleich mit den slavischen Sprachen fuhrt zu der Schußfolgerung, daß im Italienischen die Aoristformen die aspektuell nicht relevante Funktion der bloßen Nennung des Sachverhalts mitübernehmen. Wenn der explizite Bezug zur Realisierung der für den Sachverhalt charakteristischen Grenzen relevant ist, läßt sich folgende Übereinstimmung feststellen: Die slavischen Imperfektivformen werden mit dem italienischen Imperfetto bzw. mit ,jtare + Gerundium" und die Perfektivformen mit den italienischen Aoristformen übersetzt. In den Fällen aber, wo der slavische Imperfektiv die sogenannte allgemein-faktische Bedeutung ausdrückt, benutzt man im Italienischen die Aoristformen.8
3. Der Aorist bei TSTA-Verbbedeutungen im isolierten minimalen Verbkontext 3.1. Da die allgemein-faktische Bedeutung keine Einbettung in ein Situationsgeflecht verlangt, sondern als isolierte, in sich relevante kommunikative Einheit auftritt, stellt sich die Frage nach
8
Zur allgemein-faktischen Bedeutung und zum Vergleich mit den slavischen Sprachen vgl. BREU (1985:22f.; 1992:167), SABRSULA (1961) und auch die folgende Aussage über die russischen Imperfektivform von LASORSA (1980:48): »Valore aoristico delta forma imperfettiva che esprime l'Azione come tin fatto generalizzato, senza riferimento alia sua semelfattivita ο iterazione, alia sua durata, l'Azione come completamente lontana dal presente. Tale forma si incontra per lo piü da sola, in comunicazioni isolate ο nel dialogo: ,,Vy smotreli etot fil'm? - Sinotrel" („Ha visto questo film? - L'ho visto"). Tale fiinzione pud essere definita „di constatazione" [...] La forma dell'imperfettivo con valore aoristico (fattuale generico) έ vicina alia forma del perfettivo avente anch'esso valore aoristico: My posmotreli etot fil'm viera. - My smotreli etot fil'm vCera (Noi abbiamo visto - rispettivamente pf. e ipf. - questo film ieri.) La differenza qui consiste nel fatto che con la forma perfettiva „si comunica" un fatto concreto nel passato, menlre con quella imperfettiva „si constata" che l'Azione ha avuto luogo nel passato, si conferma la sua presenza nel passato ma non la si caratterizza in alcun modo.«
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der Akzeptabilität von isolierten Sätzen, die ausschließlich aus dem minimalen Verbkontext von TSTA-Verben bestehen. Der Fall der ISTA-Verben muß gesondert behandelt werden, weil die Aoristformen dieser besonderen Gruppe der statischen Verben die aspektuell relevante primäre Bedeutung der Inzeptivität haben. Die folgenden Beispiele zeigen Verbbedeutungen, die nach dem in 1.2. geschilderten Testverfahren als TSTA-Verben klassifiziert worden sind. (15) Piero /ha avuto/ /ebbe/ mal di testa. 'Piero hatte Kopfschmerzen.' (16) Piero /ha avuto/ /ebbe/ i cape Iii rossi. 'Piero hatte rotes Haar.' (17) La casa /e appartenuta/ /apparterme/ α Piero. 'Das Haus gehörte Piero.' (18) La pianta /*e appartenuta/ /*appartenne/ alia famiglia delle cactacee. 'Die Pflanze gehörte zur Familie der Kakteen' (19) La botte /*ha contenuto/ /*contenne/10 'Das Faß enthielt 10 Liter'
Ii tri.
(20) Piero /*e venuto/ /*venne/ da Roma. [= era nato α Roma]9 'P. kam aus Rom [= wurde in Rom geboren].' Das Akzeptabilitätsurteil über nicht weiter kontextualisierte Einzelsätze beruht letztendlich auf dem Vermögen der Sprecher, mögliche kommunikative Situationen fur die betreffenden Sätze heranzuziehen. So kann man im Falle der nicht akzeptablen Beispiele zunächst feststellen, daß der Sprecher diese Sätze ablehnt, weil aufgrund seiner sprachlichen Erfahrung keine sinnvollen Gebrauchskontexte zur Verfügung stehen. Im Alltagsgebrauch gibt es hingegen eine Vielzahl von kommunikativen Situationen, in denen (15) verwendet werden kann und die im Bewußtsein des Sprechers sofort hervorgerufen werden. Hier zwei Beispiele: (15') Piero /ha avuto//ebbe/di nuovo mal di testa. 'Piero hatte wieder Kopfschmerzen.' (15") Raramente nella sua vita Piero /ha avuto//ebbe/mal di testa. 'In seinem Leben hatte Piero selten Kopfschmerzen.' Für (16) und (17) sind solche kommunikativen Situationen, seltener aber durchaus denkbar:
9
Anders als bei der Mehrheit der durch den minimalen Veibkontext identifizietbaren Teilbedeutungen von Veiblexemen, bleibt in einigen Fällen wie venire in (20) der minimale Verbkontext zweideutig. Die hier relevante Lesung ist selbstverständlich 'in einem Ort geboren sein', die andere hier nicht relevante Lesung wäre die des Bewegungsveibs 'kommen' (siehe dazu auch unter 4).
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(16') Νοη solo Mario ma anche Piero /ha avuto//ebbe/ i capelli rossi. 'Nicht nur Mario sondern auch Piero hatte (einmal) rotes Haar.' (17') Prima della guerra questa casa /e appartenuta//appartenne/ α Piero. 'Vor dem Krieg gehörte dieses Haus Piero.' Die temporale Wahrscheinlichkeit des Aufhörens der bezeichneten Eigenschaft, d.h. die prinzipielle Möglichkeit einer zeitlichen Begrenzung, spielt bei der Kompatibilitätsfrage der Aoristformen mit statischen Verbbedeutungen offensichtlich eine entscheidende Rolle. Die Verbbedeutungen der Beispiele (15)-(20) haben die Eigenschaft gemeinsam, daß ihre Endgrenze nicht auf einen genauen Zeitpunkt lokalisierbar ist (wie der Test mit interrompere und die nicht vorhandene bzw. geringere Akzeptabilität der progressiven Verbalperiphrase beweisen). Sie unterscheiden sich allerdings sehr stark voneinander in bezug auf die Wahrscheinlichkeit ihres Fortbestehens. Die minimalen Verbkontexte (18)-(20), mit denen die Aoristformen nicht kompatibel sind, weisen ein gemeinsames semantisches Merkmal auf, das eine distinktive Funktion im Vergleich zu den Verbbedeutungen von (15)-(17) hat: Sie bezeichnen jeweils eine Eigenschaft des Subjekts, die so lange fortbesteht, wie auch das Subjekt selbst existiert. Nur wenn man den Begriff „inalienable Eigenschaft" für die Benennung des so definierten semantischen Merkmals verwendet, kann man auch zur Formulierung der ersten Regel (s.u.) gelangen. Für den Zustand, der jeweils durch die Verbbedeutungen von (15)-(17) bezeichnet wird, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß seine Endgrenze erreicht wird, ohne daß das dadurch charakterisierte Subjekt zu existieren aufhört. Der sprachliche Konflikt zwischen der aspektuell relevanten Funktion der Aoristformen - der Erfassung aller möglichen Sachverhaltsgrenzen und der Ausklammerung aller Sachverhaltsgrenzen in der semantisch-lexikalischen Konzeptualisierung der statischen Verben kann zumindest für die aspektuell nicht relevante Funktion - der bloßen Nennung des Zustands - verschwinden, wenn es pragmatisch nachvollziehbar ist, daß dieser Zustand keine permanente Eigenschaft des Subjekts sein kann. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Regel: A. Erste Regel fur die Kompatibilität der Aoristformen mit TSTA-Verbedeutungen: Immer wenn die TSTA-Verbbedeutungen keine inalienable Eigenschaft des Subjekts bezeichnen, sind sie in isolierten Äußerungen mit allgemein-faktischer Bedeutung mit den Aoristformen kompatibel. Diese erste Regel kann durch die Beobachtung anderer sprachlicher Erscheinungen, die keineswegs nur Grenzfälle darstellen, noch ergänzt werden. Der Vergleich folgender Beispielsätze soll dies illustrieren: (21 a) Piero era gentile {...}.10 'Piero war nett...' 10
Die geschwungenen Klammern sollen an die Tatsache erinnern, daß ein Satz mit einer imperfektiven Verbform immer eine Einbettung in ein aspektuelles Situationsgeflecht erfordert.
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(21b)Piero/e stato//fu/gentile. 'Piero hat etwas Nettes getan.'
(22a) II vestito /costava/ 200.000 lire {...}. 'Der Preis des Kleides war 200.000 lire ...'
(22b) II vestito /e costato//costo/ 200.000 lire. 'Das Kleid hat (jemanden) 200.000 lire gekostet.'
(23 a) L 'oggetto serviva da apribottiglie {...}. 'Man konnte den Gegenstand als Flaschenöffner benutzen ...'
(23b) L 'oggetto /e servito//servi/ da apribottiglie. 'Der Gegenstand wurde als Flaschenöffner benutzt.' Die Sätze mit dem Imperfetto
(21a)-(23a) bezeichnen inalienable Eigenschaften des Subjekts.
Die Aoristformen der Sätze (21b)-(23b) sind vollkommen akzeptabel. Sie lassen aber nur die spezielle Interpretation zu, daß sie auf ein einmaliges Ereignis hindeuten, das im Zusammenhang mit der betreffenden Eigenschaft des Subjekts steht. Die Aussage über die Kompatibilität der Aoristformen mit den TSTA-Verbbedeutungen muß folglich ergänzt werden: B. Erweiterung der ersten Regel: Auch solche TSTA-Verbbedeutungen, die eine inalienable Eigenschaft ausdrücken, sind mit Aoristformen kompatibel, wenn es pragmatisch möglich ist, daß die Aoristform einen Bezug zu einem aktualisierten einmaligen Ereignis hat. Diese erste Einschränkung der Inkompatibilität von TSTA-Verbbedeutungen mit den Aoristformen ergibt sich aus der Möglichkeit, daß eine einmalige dynamische Handlung, die in einem semantischen oder pragmatischen Verhältnis zu der inalienablen Eigenschaft steht, mit der Aoristform assoziiert wird. Wenn es im Fall von costare letztendlich nur um comprare
'einen Kaufpreis haben' sich
'kaufen, erwerben' handeln kann, können mit der inalienablen
Eigenschaft von essere gentile
'nett sein' mehrere nicht weiter präzisierbare dynamische
Sachverhalte in Frage kommen, die nur aufgrund des weiteren pragmatischen Kontexts identifiziert werden können. Außer den vielfältigen Verbindungen des kopulativen essere 'sein' mit Eigenschaften eines menschlichen Subjekts seien noch folgende Beispiele von TSTAVerbbedeutungen mit dieser speziellen Interpretation der Aoristformen erwähnt: Subjekt {Behälter} + contenere HUMAN] +
un certo liquido 'eine bestimmte Flüssigkeit enthalten'; Subjekt [-
far bene /male a qualcuno 'jemandem gut tun bzw. schaden'; Subjekt
[HUMAN] +
saper fare qualcosa 'fähig sein etwas zu tun'. Mit den Aoristformen einer weiteren Untergruppe von TSTA-Verbbedeutungen, die nicht unbedingt das semantische Merkmal der inalienablen Eigenschaft besitzen müssen, kann eine logisch-semantische Implikation verbunden sein. Hierzu gehören hauptsächlich die drei Modalverben volere 'wollen', dovere 'müssen / sollen' und potere 'können / dürfen' und einige weitere Verben, die in Verbindung mit einem Infinitiv vorkommen, wie z. B. bastare preferire
'bevorzugen', occorrere
'notwendig sein', permettere
'genügen',
'ermöglichen' (nicht mit der
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Bedeutung 'die Erlaubnis geben'). Folgende Beispiele zeigen, daß die Aoristformen dann inakzeptabel sind, wenn sie in ein Satzgefüge eingebettet werden, das die Realisierung des vom Infinitiv bezeichneten Sachverhalts ausdrücklich negiert: (24a) /Volevo/ /*ho voluto/ /*volli/ restore a casa, ma gli amici mi /hanno convinta/ /convinsero/a uscire con loro. 'Ich wollte zu Hause bleiben, aber meine Freunde haben mich überredet, mit ihnen auszugehen.' (24b) /Volevo/ /ho voluto//volli/restore α casa, perche aspettavo una telefonata 'Ich wollte zu Hause bleiben, weil ich ein wichtiges Telefonat erwartete.'
importante.
(25a) /Bastava/ /*e bastato//*bastö/ chiedere aiuto a Giacomo, ma nessuno di noi ci /ha pensato/ /pensö/. 'Es hätte gereicht, Giacomo um Hilfe zu bitten, aber keiner von uns kam auf diese Idee.' (25b) Per risolvere quelproblema /bastava/ /e bastato/ /bastö/ chiedere aiuto α Giacomo. 'Um dieses Problem zu lösen, /hätte/ /hat/ es gereicht, Giacomo um Hilfe zu bitten.' Für die Aoristformen dieser besonderen Untergruppe von TSTA-Verbbedeutungen läßt sich folgende Aussage treffen: C. Semantisch-logische Implikation einiger Aoristformen: Bei den Modalverben und bei einigen weiteren TSTA-Verbbedeutungen, die in Verbindung mit dem Infinitv eines anderen Verblexems vorkommen, haben die isolierten Aoristformen die logisch-semantische Implikation der Realisierung des vom Infinitiv bezeichneten Sachverhalts. 3.2. In Ergänzung zu den oben geschilderten Interpretationsmöglichkeiten, die auf der allgemeinen sprachlichen Kompetenz des Muttersprachlers basieren, kann man einige authentische Beispiele analysieren, in denen Aoristformen von TSTA-Verbbedeutungen auftreten: (26) Mentre stava immerso nell 'aequo si accarezzö a lungo il ventre. Pereira, si disse, una volta la tua vita e stata diversa.11 'Während er im Wasser saß, streichelte er sich lange den Bauch. „Pereira", sagte er zu sich: „Früher war dein Leben anders"' Die Aoristform e stata ist im gegebenen Satzkontext durch das Imperfetto era ersetzbar. Das lmperfetto würde die aspektuell relevante Bedeutung S*SV ausdrücken, die den vergangenen Zustand aus der gegenwärtigen Sicht des sich erinnernden Subjekts präsentiert. Die Aoristform kann allgemein-faktisch interpretiert werden: Es wird kein direkter Bezug zu den anderen Sachverhalten des Textabschnittes hergestellt, vielmehr hat die isolierte Aussage einen absoluten konstatierenden Charakter.
11
In: Antonio Tabucchi, Sostiene Pereira, Milano: Feltrinelli 1994, S. 78.
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Einen ähnlichen konstatierenden Charakter weist die Aoristform appartenne
'er gehörte' im
folgenden Beispiel auf. Auch diese Form könnte im gegebenen Satzkontext durch die Imperfetto Form apparteneva
mit der aspektuellen Bedeutung S*SV ersetzt werden, ohne daß der
Satz ungrammatisch wird. Die Verwendung der Aoristform scheint hier ihre pragmatische Rechtfertigung in der kommunikativen Relevanz der von ihr bezeichneten inalienablen Eigenschaft des Subjektes zu finden, so daß der Ausdruck als kontextunabhängige informative Einheit verstanden werden kann.
(27) Nel mondo delle lettere italiane Fortini ha pagato di persona, molto spesso. Ε questo e rarissimo. Appartenne α quellet generazione che, piü che il neorealismo, attraversö il marxismo. (In: L'Espresso, 9.12.94) 'In der literarischen Welt Italiens hat Fortini sehr oft selbst die Folgen (seiner Handlungen) getragen. Und dies ist höchst selten. Er gehörte jener Generation an. die den Marxismus eher als den Neorealismus durchmachte.' Die Tatsache, daß es sich um eine berühmte Persönlichkeit handelt, die nicht mehr am Leben ist, spielt in dem speziellen Fall eine wichtige Rolle. Anhand dieses Beispiels soll gezeigt werden, daß auch bei TSTA-Verbbedeutungen fur inalienable Eigenschaften die Verwendung von Aoristformen mit der allgemein-faktischen Bedeutung möglich ist, wenn sich irgendeine kommunikative Relevanz pragmatischer Natur ergibt.
4. Der Aorist bei ISTA-Verbbedeutungen Auch unter den ISTA-Verbbedeutungen gibt es solche wie capire una teoria 'eine Theorie verstehen' oder conoscere
qualcuno
'jemanden kennenlernen / kennen', die mit der imper-
fektiven Form eine dauerhafte Eigenschaft des Subjekts bezeichnen, und andere, die auf einen Zustand referieren, der einen vorübergehenden Charakter hat, wie ζ. B. sentirsi male 'sich schlecht fühlen' oder vedere qualcosa / qualcuno 'etwas / jemanden erblicken / sehen'. Aus der Analyse von Aoristformen der ISTA-Verben in ihrem isolierten minimalen Verbkontext kann man zunächst parallel zu der ersten Regel fur die TSTA-Verbbedeutungen folgende Schlußfolgerung ziehen: D. Doppeldeutigkeit der Aoristformen von ISTA-Verbbedeutungen: Die Aoristformen der ISTA-Verbbedeutungen, die keine inalienable Eigenschaft des Subjekts bezeichnen, sondern einen Zustand, dessen Endgrenze zwar nicht genau zeitlich lokalisierbar ist, aber doch mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht wird, sind prinzipiell doppeldeutig: Sie können sowohl den Eintritt in den betreffenden Zustand als auch die allgemein-faktische Bedeutung, die lediglich über das Bestehen des Zustands in der Vergangenheit informiert, ausdrücken. Für die nicht-inzeptive Bedeutung der Aoristform von sedere 'sich hinsetzen / sitzen' kann man das folgende authentische Beispiel anfuhren, in dem das Adverbial per l 'ultima volta 'zum letzten Mal' die inzeptive Interpretation ausschließt.
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(28) Fu il 15 di giugno del 1767 che Cosimo Piovasco di Rondo, mio fratello, sedette per I 'ultima volta in mezzo a noi...12 'Es war der 15. Juni 1767, als Cosimo Piovasco di Rondo, mein Bruder, zum letzten Male in unserer Mitte saß.' 13 Auch das folgende Beispiel enthält eine Aoristform der ISTA-Verbbedeutung avere qualcosa 'etwas bekommen / besitzen', die nicht als Eintritt in den Zustand gedeutet werden kann: (29) In primo luogo, la signorina Zwida raccoglie e disegna conchiglie; io hoavuto una bella collezione di conchiglie, annifa, quando ero adolescente, ma poi ho lasciato perdere e ho dimenticato tutto,14 'Erstens sammelt und zeichnet Fräulein Zwida Muscheln. Ich hatte zwar einmal vor Jahren, als Heranwachsender, eine recht schöne Muschelsammlung, habe sie dann aber aus den Augen verloren und inzwischen alles vergessen.'15
5. Mit dem Aorist absolut inkompatible TSTA-Verbbedeutungen Absolute Inkompatibilität mit den Aoristformen besteht nur fur sehr spezielle Teilbedeutungen von Verblexemen. Einerseits kann es sich dabei um minimale Verbkontexte handeln, die, neben einer dynamischen Teilbedeutung für alle aspektuelle Formen des Verbparadigmas, eine statische Lesart des Verblexems nur durch das Imperfetto zulassen. Die Aoristformen im selben minimalen Verbkontext sind also vollkommen akzeptabel, drücken aber nur die dynamische Bedeutung aus. Einige Beispiele hierzu sind: Piero veniva da Roma 'Piero war in Rom geboren' vs. Piero /stava venendo/ /veniva/ /e venuto/ /venne/ da Roma 'Piero kam aus Rom (nur Bewegungsverb)'; Piero /stava/α Roma 'Piero wohnte in Rom' vs. Piero /stava//e stato/ /stette/ α Roma 'Piero war / blieb in Rom.' Andererseits gibt es minimale Verbkontexte, die sich durch ein einziges semantisches Merkmal des Subjekts unterscheiden und die statische Teilbedeutung nur mit dem Imperfetto ausdrücken. Z.B. kann man nur sagen Piero conosceva quell'albergo 'Piero kannte dieses Hotel' (TSTA-Lesart), während die Aoristform von conoscere nur in der Verbindung conoscere una persona 'eine Person kennenlernen / kennen' die inzeptive Bedeutung hat. Auch das Verbum parlare di tritt in der syntagmatischen Verbindung II libro parlava dell'illuminismo 'Das Buch handelte von der Aufklärung', also mit einer TSTA-Lesart 'handeln von', nur in der imperfektiven Form auf. Die Aoristformen der dynamischen Teilbedeutung von II professore /ha parlato/ /parlö/ /stava parlando/ /parlava/ dell'illuminismo 'Der Professor redete über die Aufklärung' sind selbstverständlich akzeptabel.
12 13 14 15
In: Italo Calvino, II barone rampante, Milano: Mondadori 1993, S. 3. Dt. Übersetzung von O. von Nostitz in: Italo Calvino, Unsere Vorfahren, München: Hanser 1991, S. 101. In: Italo Calvino, Se una notte d'inverno un viaggiatore, Torino: Einaudi 1979, S. 55. Dt. Übersetzung von B. Kroeber in: Italo Calvino, Wenn ein Reisender in einer Winternacht, München: Hanser 1983, S. 68.
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6. Der Einfluß einer sekundären Kontextualisierung Bei den statischen Verbbedeutungen, die normalerweise als eine inalienable Eigenschaft aufgefaßt werden und keine pragmatisch bedingte oder logisch-semantische Reinterpretation ermöglichen, läßt sich eine tendenzielle Inkompatibilität mit den Aoristformen erkennen. Abgesehen von den speziellen Fällen, die in 5. angeführt worden sind, muß man jedoch davon ausgehen, daß sich auch für minimale Verbkontexte, deren isolierte Aoristformen normalerweise inakzeptabel sind, die pragmatische Notwendigkeit ergeben kann, das Inakzeptabilitätsurteil zu revidieren. Dies kann anhand einer „glaubwürdigen" Kontextualisierung mit delimitierenden Zeitadverbialen gezeigt werden:
(30) Per 50 anni questa pianta fe appartenuta/ /appartenne/ alia famiglia delie cactacee, ma secondo gli studipiü recenti appartiene alle succulente. '50 Jahre lang gehörte diese Pflanze zur Familie der Kakteen, aber nach den neuesten Forschungen gehört sie zu den Sukkulenten.'
(31) Dal 1953 al 1991 la cittä /si e chiamata//si chiamö/ Karl-Marx-Stadt. 'Von 1953 bis 1991 hieß die Stadt Karl-Marx-Stadt.' Die kontextbedingte zeitliche Begrenzung in (30) und (31) führt dazu, daß die betreffende Eigenschaft nicht mehr als inalienabel betrachtet werden kann. Das delimitierende Zeitadverbial verlangt ohnehin die Verwendung der Aoristform. Solche ad hoc konstruierte Beispiele werden als Grenzfalle empfunden. Im normalen Sprachgebrauch wird vermutlich derselbe Sachverhalt anders ausgedrückt, wie z.B. in (31'). Jedoch stellt eine solche Verwendung der Aoristformen eine potentielle Möglichkeit der italienischen Sprache dar, die z.B. bei einem bewußt kreativen Umgang mit der Sprache vorkommen kann. 16
(31') Dal 1953 la citta si chiatnava Karl-Marx-Stadt, nel 1991 ha ripreso il suo vecchio norne Chemnitz. 'Seit 1953 hieß die Stadt Karl-Marx-Stadt, 1991 erhielt sie ihren alten Namen Chemnitz zurück.' Ein letztes authentisches Beispiel soll den Einfluß einer besonderen sekundären Kontextualisierung auf solche ISTA-Verbbedeutungen, die normalerweise nur die inzeptive Interpretation der Aoristformen zulassen, zeigen.
(32) Per lo meno da un certo momento in poi Di Pietro seppe de IIa reale provenienza della somma. (In: II Corriere della sera, 8.6.1995) 'Spätestens ab einem gewissen Zeitpunkt wußte Di Pietro von der eigentlichen Herkunft der Geldsumme.'
16
Für alle TSTA- und ISTA-Verbbedeutungen, die normalerweise keine inalienable Eigenschaft des Subjekts bezeichnen, ist im übrigen die kontextbedingte zeitliche Begrenzung durch Adverbiale vollkommen normal.
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Dieses Beispiel ist deswegen besonders interessant, weil die außersprachliche Kenntnis des Sachverhalts mit Sicherheit ausschließen läßt, daß der Autor mit der Aoristform die zeitliche Realisierung der Endgrenze des Zustande sapere explizit zum Ausdruck bringen wollte. Die Imperfetto-Form einer ISTA-Verbbedeutung wäre übrigens im gegebenen Satzkontext auch möglich. Hier scheint die Wahl der Aoristform von der kommunikativen Absicht geleitet zu sein, zu betonen, daß der Zustand sapere 'wissen' in der im Satz explizit angegebenen Zeitspanne tatsächlich bestand.
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Lars Johanson (Mainz)
Grenzbezogenheit in Aspekt und Lexik am Beispiel türkischer Postverbialkonstruktionen Abstract The article deals, on the basis of Turkic data, with lexical-actional and aspectual categories in their synchronic and diachronic interrelations. Aspect operators, which signal different perspectives on events, operate on actional contents of different internal phase structures. Actional phrases may be classified with respect to the semantic result of this interaction. It is shown how Turkic phase-specifying devices, postveibial constructions originally specifying lexical-actional terminality, develop into aspectual operators signalling intra- and postterminality. These processes, emerging from tendencies to renew the expression of high focality (progressives, statives, resultatives), also yield interesting cases of apparent ambiguity.
Inhalt 1. Lexikalisch-aktionale und aspektuelle Grenzbezogenheit 2. Aspektoperatoren 3. Fokalitätsgrade 4. Lexikalische Grenzbezogenheit 4.1. Einteilung 4.2. Phasenspezifikation 5. Grammatikalisierung zu Aspektotempora 6. Defokalisierung und Erneuerung der Fokalität 6.1. Erste Erneuerung fokaler Intraterminalität 6.2. Erste Erneuerung fokaler Postterminalität 6.3. Ähnlichkeit von Präsentia und Präterita bei Initialtransformativa 6.4. Drei Rollen von tur-Komplexen 6.5. Zweite Erneuerung fokaler Intraterminalität 6.6. Zweite Erneuerung fokaler Postterminalität 6.7. Verwechslung mit aktionalen Komplexen
1. Lexikalisch-aktionale und aspektuelle Grenzbezogenheit Die folgenden Bemerkungen betreffen zwei Arten von grammatikalisierter Grenzbezogenheit der lexikalisch-aktionalen und der aspektuellen - in ihrer synchronen Interaktion und in ihrem diachronen Verhältnis zueinander. Die Analyse beruht auf einer Auffassung von der Struktur des aspekto-aktionalen Bereiches, die zunächst lexikalisch-aktionale Inhalte, „Aktionsarten", von perspektivischen Kategorien, „Aspekten", unterscheidet. Die synchrone Interaktion erfolgt im Sinne einer aspektuellen Bezugnahme auf die jeweilige aktionale Phasenstruktur.
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Im vorliegenden Beitrag, der ein spezielles Problem behandelt, ist eine eingehende Darstellung des betreffenden Beschreibungsrahmens nicht möglich. Dieser geht auf Prinzipien zurück, die zum ersten Mal in JOHANSON (1971), einer Studie zum türkeitürkischen Aspektsystem unter Vergleich mit anderen Systemen, insbesondere den slavischen, dargelegt wurden. In einer Reihe von Arbeiten wurde dieser Ansatz weiter verfolgt und entwickelt. Er steht den Ansätzen von Bernard COMRIE, Walter BREU und Hans-Jürgen SASSE recht nahe und hat sich in der ILA-Zusammenarbeit als kompatibel mit den übrigen dort vertretenen Theorien erwiesen; siehe etwa BREU (1996). Unter den jüngeren Arbeiten sei hier auf JOHANSON (1994, 1995a, 1995b, 1996a, 1996b, 1996c, 1998a, 1998b, 1998c, im Druck) hingewiesen. Obwohl das Zusammenspiel lexikalisch-aktionaler und aspektueller Kategorien sowie die Grammatikalisierungswege der betreffenden Konstruktionen hier am Beispiel türkischen Materials illustriert werden, beanspruchen die Feststellungen auch eine allgemeinere Gültigkeit. Die Kernbereiche vieler Verbalsysteme lassen sich anhand analoger Beziehungen systematisch und mit überraschend ähnlichen Ergebnissen beschreiben. Siehe hierzu die typologischen Vergleiche in JOHANSON (im Druck). Hier finden sich auch weitere Ausführungen zu perspektivierenden Funktionen von Aspekten, Beziehungen der Operatoren intraterminal - adterminal - postterminal zu Kategorien wie „imperfektiv" - „perfektiv" - „perfektisch", Fokalitätsgraden, diachron relevanten Aspektsystemstufen und der weiteren Unterteilung von Aktionalphrasen.
2. Aspektoperatoren Gerechnet wird mit drei Aspekt- oder Gesichtspunktsoperatoren (viewpoint operators), die in verschiedenen Aspektotempora mitwirken. Sie operieren über den aktionalen Inhalt lexikalischer Elemente, d.h. signalisieren unterschiedliche Betrachtungsweisen unter Bezug auf die inhärenten Phasen des aktionalen Inhalts. Je nach Aktionsart erzielen sie unterschiedliche semantische Ergebnisse. Sie definieren jedoch nicht selbst den aktionalen Inhalt und die darin implizierten Phasen. Auch signalisieren sie keine ontologischen Eigenschaften wie Dauer, Wiederholung oder Habitualität. In vielen Sprachen ist zumindest einer von folgenden drei Aspektoperatoren vertreten: Intraterminalität [+INTRA]: Erfaßt ein Ereignis innerhalb seiner Grenzen, als im Verlauf begriffen (z.B. romanische Imperfekta). Postterminalität [+POST]: Erfaßt ein Ereignis an einem Punkt, wo seine relevante Grenze bereits überschritten ist (z.B. englische Perfekta). Adterminalität [+AD]: Erfaßt ein Ereignis in dem Punkt, wo seine relevante Grenze erreicht wird (z.B. russische Perfektiva). Typische +INTRA-Sprachen wie Englisch, Französisch und Türkisch signalisieren explizit den intraterminalen Situationstyp, +POST-Sprachen wie Englisch, Schwedisch und Türkisch den postterminalen Situationstyp und +AD-Sprachen wie Russisch den adterminalen Situationstyp. Fehlen adäquate Aspektoperatoren, so werden unmarkierte Einheiten gebraucht, u.a. nicht-
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intraterminale, nicht-postterminale und nicht-adterminale Einheiten, welche die jeweilige Idee negieren oder ihr gegenüber indifferent sind.
3. Fokalitätsgrade Sowohl Intraterminalia als auch Postterminalia zeigen unterschiedliche Grade von Fokalität, d.h. Fokussierung des jeweils aktuellen Zustandes. Fokale Einheiten beziehen sich auf das am jeweiligen Orientierungspunkt gerade Vorliegende: als noch aktuell verlaufendes Ereignis (+INTRA) oder als ein ganz oder teilweise vergangenes Ereignis, eventuell mit verbleibenden Folgen oder Spuren (+POST). Wohlbekannt sind Tendenzen zur Reduktion des Fokalitätsgrades und zur Fokalitätserneuerung. Hochfokale intraterminale Einheiten wie Progressiva, die eine enge Gegenwart ausdrücken, entwickeln sich erfahrungsgemäß zu Einheiten, die eine allgemeinere, gedehnte Gegenwart bezeichnen. Auf diese Defokalisierung folgt oft eine entsprechende Erneuerung der Fokalität. Hochfokale postterminale Einheiten wie Stative und Resultative, die eine enge Gegenwart bezeichnen, entwickeln sich erfahrungsgemäß zu ereignisorientierteren Einheiten und zu reinen Präterita ohne speziellen Gegenwartsbezug. Auch auf diese Defokalisierung folgt oft eine entsprechende Erneuerung der Fokalität. Zu diesen Tendenzen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, siehe JOHANSON (im Druck).
4. Lexikalische Grenzbezogenheit Der aktionale Inhalt, auf den sich Aspektoperatoren beziehen, impliziert in unterschiedlicher Weise und mehr oder weniger deutlich das Vorhandensein inhärenter Grenzen der bezeichneten Tätigkeit. Somit lassen sich Aktionsarten in aspektrelevante Klassen einteilen. Die Klassifikation geht von Aktionalphrasen aus, die minimal aus einem Verb bestehen. Sie fängt bei Prädikatskernen in ihren konkretesten und quantitativ einfachsten Lesarten an und sieht dann verschiedene Rekategorisierungen unter Berücksichtigung weiterer lexikalischer Elemente vor; vgl. JOHANSON (1971:194-233 und im Druck), CSATÖ (in diesem Band).
4.1. Einteilung Aktionalphrasen werden eingeteilt in: (1) Transformativa [+t], die einen inhärenten kritischen Punkt implizieren, mit dessen Erreichen eine Transformation erfolgt, z.B. Türkeitürkisch öl'sterben', yat- 'sich hinlegen, liegen'; (2) Nontransformativa [-t], die keinen solchen Punkt implizieren, z.B. Türkeitürkischyaz- 'schreiben'. Die Transformativa werden weiter unterteilt in: (la) Finaltransformativa [+tf], z.B. öl- 'sterben'; (lb) Initialtransformativa [+ti], z.B. yat- 'sich hinlegen, liegen'. Initialtransformativa decken also zwei Phasen ab, wovon die erste evolutiv in
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die zweite fuhrt. Die weitere Unterteilung der Nontransformativa ist für die folgende Argumentation unwesentlich. Die relevante Grenze wechselt je nach Aktionsart. Bei Transformativa ist sie eine kritische, die einen Wandel impliziert. Bei Finaltransformativa stellt sie die Schlußgrenze dar, bei Initialtransformativa die Anfangsgrenze. Initialtransformativa bezeichnen einen aktionalen Inhalt, der jeweils ein telisches und ein darauf evolutiv folgendes atelisches Geschehen abdeckt. Die Phase der Bewegung und die des Verharrens werden in einem Verb zusammengefaßt. Auch bei Nontransformativa ist die Anfangsgrenze die relevante Grenze, wenn auch keine scharfe kritische Grenze. Durch Rekategoriserung von Aktionalphrasen kann aus einem [-t] ein [+t] werden, etwa durch Limitierung mittels Objekte, die ungeteilte Referenz implizieren. Aus einem [+t] kann auch ein [-t] werden, etwa durch quantitative Umdeutung, Serialisierung.
4.2. Phasenspezifikation Aktionsarten können implizit oder explizit sein. Explizite phasenspezifizierende Mittel dienen dazu, die lexikalische Grenzbezogenheit zu modifizieren und Transformativität bzw. Nontransformativität zu signalisieren. Als transformativierende +T-Anzeiger funktionieren z.B. Präverbien in Sprachen wie Litauisch, Ungarisch, Bulgarisch und Georgisch. Nontransformativierende -T-Anzeiger begegnen u.a. in slavischen Sprachen. Phasenspezifikatoren werden oft als „perfektivierende" bzw. „imperfektivierende" Elemente bezeichnet und mit perspektivischen Operatoren verwechselt. Der Unterschied ist erheblich. +T-Anzeiger signalisieren eine kritische Grenze, sagen aber nichts darüber aus, ob diese erreicht wird oder nicht. Aspektuelle Perfektivität im Sinne der Adterminalität signalisiert dagegen die Betrachtung des Ereignis beim Erreichen eben dieser kritischen Grenze. 4.2.1. Türkische Phasenspezifikatoren Die historische Entwicklung der Defokalisierung und Erneuerung der Fokalität ist in den türkischen Sprachen besonders deutlich zu beobachten. Die türkischen Sprachen kennen infolge ihrer Wortstruktur keine +T- und -T-anzeigenden Präverbien, dafür aber eine entsprechende aktionale Verbalkomposition, bei der ein Konverb mit einem Hilfsverb zu einem Postverb verschmilzt. Die so entstehenden phasenspezifizierenden Komplexe spezifizieren eine mögliche inhärente Phase der durch die Aktionalphrase ausgedrückten Tätigkeit, z.B. eine dynamische Anfangsphase oder die darauf folgende zuständliche Phase. Sie treten jeweils nur mit Aktionalphrasen bestimmter semantischer Typen auf. Zwei Konverbtypen, die im folgenden als und bezeichnet werden sollen, kommen hier zum Einsatz. weist vokalisch auslautende Formen wie -[y]U und -fyJA auf, während meist in der Gestalt von -[I]b oder -[I]p auftritt.
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4.2.2. Komplexe des Typs turIn Komplexen des Typs tur- ist das Verb tur- selbst ein Initialtransformativum mit Bedeutungen wie 'stehenbleiben' + 'stehen'. Als Aktionsartanzeiger drückt tur- in fast allen türkischen Sprachen die Spezifikation einer zuständlichen Phase und/oder Durativität aus. In derselben Rolle treten oft drei andere Hilfsverben auf: yor'i- ~ yörti— ytirü- 'sich in Bewegung setzen' + 'laufen, gehen', olftjur- 'sich hinsetzen' + 'sitzen', yat- 'sich hinlegen' + 'liegen'. Beispiele für die Verwendung dieser Komplexe in aspektotemporalen Systemen türkischer Sprachen
finden
sich u.a. bei SCHÖNIG ( 1 9 8 4 ) (Tatarisch) u n d BUDER ( 1 9 8 9 )
(Jakutisch). ft/r-Komplexe signalisieren Nontransformativität, indem sie aktional homogenisierend wirken, d.h. eine grenzbezogene Interpretation der Aktionalphrase ausschließen. Bei aktional ambigen Aktionalphrasen dienen sie also als Mittel zur Spezifizierung einer nondynamischen, zuständlichen Phase der Tätigkeit. Bei Initialtransformativa schließen sie anfangsgrenzbezogene Interpretationen aus. So wird z.B. in tutup tur- (von tut- 'ergreifen' + 'halten') der postterminale Zustand ('halten') spezifiziert, der mit dem Überschreiten der Anfangsgrenze ('ergreifen') vorliegt. Bei Nontransformativa wird eine anfangs- oder schlußgrenzbezogene Interpretation ausgeschlossen. So wird z.B. beim aktionalen Inhalt von oqu- 'lesen' die Zustandsphase spezifiziert und Interpretationen wie 'anfangen zu lesen' und 'auslesen' ausgeschlossen. Da tur- aktional homogenisierend wirkt, können ursprüngliche Finaltransformativa nur dann mit diesem Komplex auftreten, wenn sie durch Serialisierung quantitativ umgedeutet werden und nicht mehr finaltransformativ sind (JOHANSON 1971:197-200). Ein yibärip tur- kann also nur als 'wiederholt schicken' verstanden werden. Diese Aktionsartbildung bevorzugt Aktionalphrasen gewisser semantischer Typen, weist also nicht den von Aspektotempora zu erwartenden Grad von Verallgemeinerung auf. Sie kann aber, wie von Aktionsarten zu erwarten, in verschiedenen Aspektotempora verwendet werden, z.B. tuwinisch azildap turar 'arbeitet' (sog. Aorist, wohlgemerkt eine Gegenwartsform), 6uyälap turyan 'hat gesprochen' (perfektähnliche Vergangenheit auf -GAri), tatarisch uqip tordi 'hat gelesen' (einfaches Präteritum), karatschaisch oqub turadi liest, studiert' (Präsens). Eine einfache aktionale Bildung dieser Art kann segmental mit einer pluriprädikativen Junktion zusammenfallen, in der tur- als Lexem 'aufstehen' + 'stehen' auftritt. Der geschriebene kirgisische Satz Kitep oqup turdum 'Ich habe ein Buch / in einem Buch gelesen' kann auch als 'Ich las ein Buch und stand [dann] auf interpretiert werden. Die beiden Lesarten werden jedoch durch disambiguierende suprasegmentale Mittel unterschieden (Imart 1981:1599).
5. Grammatikalisierung zu Aspektotempora In verschiedenen Sprachen ist eine von phasenspezifizierenden Aktionsarten ausgehende Grammatikalisierung zu Aspektoperatoren festzustellen, etwa die russische Entwicklung von +T-Anzeigern zu Anzeigern von Adterminalität. Türkische Aktionsarten haben sich zu intraterminalen und postterminalen Aspektotempora entwickelt. Diese Entwicklung von Aktionsart
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zu Aspektotempus bedeutet insofern eine Verallgemeinerung, als die betreffenden Komplexe nicht mehr nur mit Aktionalphrasen gewisser semantischer Typen vorkommen. Weit verbreitet sind intraterminale Konstruktionen nach dem Muster + turur ('steht'), z.B. yaza turur 'steht schreibenderweise' » yaza 'ist am Schreiben, schreibt gerade'. Ein finaltransformatives Beispiel ist ölä turur 'steht sterbenderweise' > 'stirbt gerade'; ein initialtransformatives yata turur 'steht liegenderweise' > 'liegt gerade'. In dieser Rolle treten neben tur- auch die drei oben erwähnten Hilfsverben mit den Bedeutungen 'liegen', 'sitzen' und 'gehen' (yat-, oltur-, yori- etc.) auf. Verbreitet sind auch postterminale Konstruktionen nach dem Muster + turur, etwa yazip turur 'steht geschriebenhabenderweise' »yazip 'hat geschrieben'. Ein finaltransformatives Beispiel ist ölüp turur 'steht gestorbenerweise' > 'ist gestorben'; ein initialtransformatives yatlp turur 'steht sich hingelegthabenderweise' > 'hat sich hingelegt' = 'liegt'. In dieser Rolle treten die drei anderen erwähnten Hilfsverben nicht auf.
6. Defokalisierung und Erneuerung der Fokalität Aspektotemporale Neubildungen in beiden Aspektdimensionen mögen zu Anfang ihrer Entwicklung von Aktionsarten schwer zu unterscheiden sein. Sie weisen aber alle einen hohen Grad von Fokalität auf, eine starke Fokussierung des intraterminalen bzw. postterminalen Zustands. Anschließend finden immer wieder Defokalisierungsprozesse und daraus resultierende Erneuerungen der Fokalität statt. Intraterminale Neubildungen des Typs yaza turur sind somit zunächst „progressive" bzw. „aktuelle" Präsentia und Imperfekta. Die neue Paraphrase engt die intraterminale Perspektive auf den jeweiligen Orientierungspunkt ein und drückt das dort aktuell verlaufende Geschehen aus, das sich noch mitten in seiner Realisation befindet und seinem Vollzug entgegengeht. In entsprechender Weise stellen postterminale Neubildungen des Typs yazip turur „stativische" und „resultative" Vergangenheitsformen dar, welche die Perspektive auf einen postterminalen Zustand konzentrieren.
6.1. Erste Erneuerung fokaler Intraterminalität Der Komplex tur- hat sich an der ersten bekannten türkischen Erneuerung fokaler Intraterminalität beteiligt. Das Alttürkische verfugte über den sog. Aorist (-/VJr usw.) zum Ausdruck der „Gegenwart" im aktuellen und generellen Sinne sowie ein entsprechendes Präteritum (-[V]r ärdi). Die Erneuerung erfolgte mittels der Paraphrase turur 'steht ...-enderweise', deren äußere Gestalt später stark abgeschliffen wurde. Die Wahl von tur- für diese Aspektotempora schließt jede Möglichkeit zur Verwechslung mit Formen der /«r-Aktionsart aus. Eine Differenzierung tur- = Aktionsart, tur- = Intraterminal ist jedoch nicht allgemein durchgeführt. In einigen wenigen Sprachen dient turur auch der Bildung intraterminaler Aspektotempora. Dies fuhrt gelegentlich zu
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Problemen der Linguisten, Aspektotempus und Aktionsart auseinanderzuhalten. So bildet das Tuwinische fokale Präsentia mit Hilfe von und kontrahierten sog. Aoristformen von Hilfsverben wie tur-, d.h. -[I]p tur, z.B. körüp tur 'sieht', ap tur 'nimmt'. Die Ähnlichkeit mit der FT/R-Aktionsartliegt auf der Hand (JOHANSON 1995). Diese Bildungsweise des hochfokalen Präsens ist auch in anderen Teilen der türkischen Welt vorhanden, etwa in türkeitürkischen Dialekten, z.B. yazip durur 'schreibt gerade' (Provinz Alanya). Hier scheint eine Aktionsart mit einem Aspektotempus zusammenzufallen. Der Komplex kann entweder als yazip dur-ur, d.h. als non-transformative (und durative) sog. Aoristform ('schreibt dauernd'), oder aber als yaz-ip durur, d.h. als fokales Präsens ('schreibt gerade'), interpretiert werden. Die scheinbar drohende Ambiguität wird mit prosodischen Mitteln (Hocht o n f ä h i g k e i t ) v e r h i n d e r t (DEMIR 1 9 9 2 : 9 3 ; JOHANSON 1 9 9 2 : 2 4 0 ) .
6.2. Erste Erneuerung fokaler Postterminalität Der Komplex + turur diente kraft seines postterminalen Wertes der ersten bekannten türkischen Erneuerung der hochfokalen Vergangenheit, z.B. yazip turur 'steht geschriebenhabenderweise da' = 'ist im Zustand des Geschriebenhabens'. Die drei übrigen erwähnten Hilfsverben für 'liegen', 'sitzen', 'gehen' beteiligen sich nicht an dieser Rolle. Der Komplex ist in fast allen Türksprachen vertreten, nicht aber in einigen Randsprachen wie Türkeitürkisch. Die äußere Gestalt ist später z.T. abgeschliffen worden. Zugleich hat meist eine Reduktion der Fokalität stattgefunden, die zu einfachen Perfekta und konstativen Präterita - oft mit evidentiellen Nuancen im Sinne von 'wie sich herausstellt' - gefuhrt hat. Meist besteht wegen der Konverbwahl keine Gefahr einer Verwechslung mit Präsentia: Präterita basieren auf , Präsentia auf , z.B. usbekisch yäzadi 'schreibt', oqiydi liest', aber yäzibdi "hat [wohl] geschrieben', oqibdi 'hat [wohl] gelesen'. In Sprachen ohne diese Differenzierung können sich aber Unterscheidungsprobleme ergeben. In einigen wenigen Sprachen dient turur, wie erwähnt, auch der Bildung intraterminaler Aspektotempora. Dies führt nicht nur zu gelegentlichen Problemen des beschreibenden Linguisten, Aspektotempus und Aktionsart auseinanderzuhalten, sondern es entsteht manchmal auch die Gefahr einer Verwechslung von postterminalen und intraterminalen Aspektotempora. So kann z.B. ein „Perfekt" leicht als ein „Präsens" aufgefaßt werden. Das Tuwinische kennt eine evidentiell-narrative Vergangenheit auf -[IJptlr, z.B. αρ-ti'r men 'ich habe wohl genommen*. Obwohl die Ähnlichkeit mit der Präsensform auf -[I]p tur groß ist, sind die Typen meist formal unterscheidbar. Im Präteritum ist das aus turur entwickelte Element vokalharmonisch angeglichen (aptir, köriiptür usw.), während es im Präsens unangeglichen bleibt (ap tur, körüp tur).
6.3. Ähnlichkeit von Präsentia und Präterita bei Initialtransformativa Die Interaktion postterminaler ft/n/r-Einheiten, z.B. karatschaisch -ibdi, mit Initialtransformativa ergibt Formen, die auf den ersten Blick sogar mit Progressiva verwechselt werden
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können. Postterminalität impliziert bei Initialtransformativa, daß zumindest die Anfangsgrenze überschritten ist. So kann eine postterminale Einheit auf die gleiche Sachlage wie eine entsprechende intraterminale Einheit referieren. Der Zustand nach Überschreitung der Anfangsgrenze (hat sich versteckt) ist mit dem Zustand innerhalb der Grenzen (versteckt sich) objektiv identisch. Bei einer türkischen Aktionalphrase tut- 'greifen' + 'halten' kann das postterminale tutup turur 'hat ergriffen' auf den gleichen Sachverhalt referieren wie das intraterminale tuta turur 'hält [gerade]'. Die Kombination von turur ('Zustand nach der relevanten Grenze') mit Initialtransformativa ('Anfangsgrenze relevant') impliziert, daß die bezeichnete Tätigkeit nach Überschreiten der Grenze noch andauert, z.B. karatschaisch olturubdi' 'sitzt' = 'hat sich hingesetzt'. So sind die usbekischen -ibdi -Formen entstanden, die eine dynamische, anfangsgrenzbezogene Interpretation ausschließen und den posttransformationellen Zustand bezeichnen: turibdi 'steht' < 'ist aufgestanden' = tadschikisch istäda ast. Auf ähnliche diachrone Entwicklungen zu Intraterminalia kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. Die Verwechslung von Postterminalia mit progressiven Präsentia ist somit nur bei gewissen Verben möglich. Bei Finaltransformativa, deren Schlußgrenze die kritische Grenze darstellt, bezeichnet turur einen posttransformationellen Zustand, der aber nicht mehr eine Fortsetzung der durch die Aktionalphrase bezeichneten Tätigkeit ist, z.B. karatschaisch tayilibdi 'hängt' = 'ist aufgehängt worden'.
6.4. Drei Rollen von /wr-Komplexen Wie ersichtlich, werden einige wenige grundlegende morphologische Mittel, die den Türksprachen weitgehend gemeinsam sind, in unterschiedlicher Weise zu funktionalen Zwecken eingesetzt. Oberflächlich ähnlich anmutende Einheiten signalisieren unterschiedliche Inhalte. So ergeben sich Fälle, in denen eine gewisse Konstruktion den Linguisten leicht zur Verwechslung mit einer anderen verleitet. Bei /«/--Komplexen beobachten wir folgende Rollen: (1) Aktionsart, die eine zuständliche Phase spezifiziert; (2) intraterminales Aspektotempus; (3) postterminales Aspektotempus. Beispiel fiir die drei Rollen sind folgende drei ähnliche tuwinische ft/r-Komplexe: (1) Aktionsart -[I]p tur-, z.B. im einfachen Präsens körüp turar 'sieht'; (2) aktuelle Gegenwart auf -[I]p tur, z.B. körüp tur 'sieht [gerade]'; (3) evidentiellnarrative Vergangenheit a u f - [ I j p t l r , z.B. körüptür 'hat [wohl] gesehen'.
6.5. Zweite Erneuerung fokaler Intraterminalität In gewissen türkischen Sprachen hat eine zweite Erneuerung fokaler Intraterminalität stattgefunden. Nachdem die erwähnten ursprünglich hochfokalen Präsens- und Imperfektformen allmählich an Fokalität eingebüßt hatten und semantisch verallgemeinert waren, wurde die hohe Fokalität durch eine weitere Paraphrase erneuert, die hier stereotyp als tur- turur notiert werden soll. Sie besteht aus einem aktionalen Komplex (Lexem + -Konverbsuffix +
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Hilfsverb tur-) + altem Präsens auf turur. Beispiele: kumükisch oxuy turaman 'ich lese gerade', karatschaisch iSläy turadi 'arbeitet gerade', ala turadi 'nimmt gerade'. Diese neuen Einheiten ähneln nun den alten Präsensformen von aktionalen turKomplexen, also dem Typ tur- turur, etwa kumükisch oxup iura 'liest [immer]'. Die beiden Typen sind jedoch unbedingt voneinander zu trennen. Den aktionalen Komplexen fehlt die hochfokale Bedeutung der neuen Präsentia. tur- turur ist eindeutig aspektotemporal, ein Produkt der zweiten Präsenserneuerung. tur- turur dagegen ist eine reine Aktionsartbildung + altes Präsens. Karatschaisch oqub turadi liest' ist kein hochfokales, „progressives" Aspektotempus, sondern ein aktionaler Komplex (oqub tur-) im alten, weniger fokalen Präsens. Es drückt eine ebenso generelle Gegenwart aus wie das alte Präsens auf turur. Ein tigib turadi bedeutet 'näht jetzt oder im allgemeinen' (NEDJALKOV / NEDJALKOV 1987). Der Typ kommt nur mit Verben gewisser Typen vor, was für Aktionsarten typisch ist. Hier handelt es sich also nur um phasenspezifizierte zuständliche Aktionalphrasen, die im alten Präsens auf turur stehen. Wegen der unterschiedlichen Konverbwahl in tur- turur und tur- turur liegt keine unmittelbare Gefahr einer Verwechslung von Aktionsart und Aspektotempus vor. Schwieriger ist die Lage in Sprachen, wo die neuen Präsentia die Struktur tur- turur haben können, z.B. kirgisisch oqup turat 'liest [gerade]'. Gewisse Sprachen weisen sowohl ein aktionales als auch ein aspektotemporales tur- turur auf. Birsel Karakof, Mainz, hat bei ihrer Feldarbeit mit nogaischen Informanten festgestellt, daß beim aktionalen (durativen) -A turadi der Hochton auf der ersten Silbe liegt, während er beim aspektotemporalen (intraterminalen) -A turadi auf der dritten Silbe liegt.
6.6. Zweite Erneuerung fokaler Postterminalität Einige Türksprachen haben den Ausdruck hochfokaler Postterminalität durch eine weitere Paraphrase erneuert, die formelhaft als tur- turur notiert werden soll. Sie besteht aus einem aktionalen Komplex (Lexem + Konverbsuffix + Hilfsverb tur-) + altem Präsens auf turur und betont den postterminalen Zustand: 'ist im Zustand des Getanhabens', z.B. karatschaisch Jabilib turadi 'ist zugemacht [worden]'. Auch in dieser Funktion wird erwartungsgemäß nur tur- und keines der drei übrigen oben erwähnten Hilfsverben verwendet. tur- turur ist gewiß kein Präsens, wie zuweilen vermutet wurde, sondern ein hochfokales Postterminale. Die Interpretation eines in der Gegenwart andauernden Ereignisses entsteht auch hier vor allem bei Initialtransformativa, z.B. karatschaisch olturub turadi 'sitzt' = 'ist im Zustand des Sichgesetzthabens' juqlab turadi 'schläft' = 'ist eingeschlafen'= 'ist im Zustand des Eingeschlafenseins'. Bei Finaltransformativa ist der Zustand keine Weiterfuhrung der von der Aktionalphrase bezeichneten Tätigkeit und muß so mit Perfekta oder ähnlichen Vergangheitsformen übersetzt werden z.B. karatschaisch satib turadi 'hat verkauft', ketib turadi 'ist weggegangen', iiynü Hieb turadi 'hat das Haus gebaut', kumükisch gelip tura 'ist gekommen', aytip tura 'hat gesagt'.
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6.7. Verwechslung mit aktionalen Komplexen Der zuletzt erwähnte Typ tur- turur ähnelt nun sehr der Kombination des aktionalen Komplexes tur- mit dem Präsens auf turur und wird von Linguisten manchmal damit verwechselt. Es wird sogar behauptet, daß ein und dieselbe Form tur- turur, etwa karatschaisch turadi, bald als Perfekt, bald als Präsens auftrete. Die Präsensbedeutung kann aber nur bei einigen wenigen Verben nachgewiesen werden, was fur Aspektotempora untypisch ist. Die betreffenden Präsentia sind nicht, wie bei typischen Erneuerungen des Präsens, von höherer Fokalität geprägt, sondern ebenso unqualifiziert wie das normale Präsens auf turur. Hier handelt es sich einfach um phasenspezifizierte zuständliche Aktionalphrasen im normalen Präsens auf turur. Die kleine Gruppe von Verben, die Präsensbedeutung aufweisen, besteht im Karatschaischen aus solchen, die auch sonst typischerweise phasenspezifiziert werden, Verben für 'schlafen', 'liegen', 'weh tun' usw. Trotz der segmentalen Identität sind diese Präsentia von Postterminalia des Typs ac'ib turadi 'hat geöffnet' scharf zu trennen. Im Nogaischen finden sich, wie Birsel Karako? festgestellt hat, ähnliche Fälle segmentaler Identität, z.B. Sol kiyimler yuwllip turadi 'Jene Kleider werden (dauernd, gewöhnlich) gewaschen' (nonfokale Intraterminalität) oder 'Jene Kleider sind schon gewaschen' (fokale Postterminalität). Auch hier sorgen Hochtonunterschiede für Eindeutigkeit. Auch hier handelt es sich also nicht einfach um Ambiguitäten, wie sie als typisch für Übergangsstufen in Grammatikalisierungsprozessen gelten, nicht um vage Konstruktionsformen, deren aktuelle Bedeutungen erst im Gebrauchskontext bestimmt werden. Ungeachtet ihrer Ähnlichkeiten unterscheiden sich die betreffenden aktionalen und aspektotemporalen Konstruktionen formal und inhaltlich voneinander.
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Christa König (Köln)
Der Proximativ: Neu und verwirrend?1 Abstract In the present paper the proximative is introduced as a new aspect category. The proximative is the aspect grammeme which basically highlights the phase immediately preceding an event. This aspectual meaning may develop a whole range of further contextually induced readings relating to irrealis categories like future, counterfactual, and negation. A definition of the proximative is given in section 1. The behaviour of the proximative is primarily explained on the basis of African languages. The proximative is examined in section 2, using the Maa language as an example. The proximative could easily be confused with inchoatives and other categories. Therefore a discovery procedure is proposed in section 3. Other East African languages are also looked at with reference to the question of whether or not they also have a proximative. In section 4, different sources of proximatives in African languages and their grammaticalization are briefly discussed.
Inhalt 1. Definition 2. Evidenzen exemplifiziert im Maa 3. Ostafrikanische Sprachen 3.1. Das Ateso 3.2. Das Anywa 3.3. Das Ik 4. Grammatikalisierung 4.1. Directional schema: „Venitiv" 4.2. Volition schema: 'wollen' 4.3. Location schema: 'nahe' 5. Schlußfolgerungen 6. Abkürzungsverzeichnis
1
Zwei generelle Bemerkungen vorab: (1) Ich möchte Mechthild Reh für den Terminus danken. (2) Die hier vorgestellte Aspektkategorie ist im Maa „entdeckt worden". In meiner Dissertation, die das Aspektsystem im Maa behandelt, wird der Proximativ ausführlicher behandelt. Der Proximativ steht in Opposition zum Imperfektiv und Perfektiv. In dem vorliegenden Rahmen vermag ich nicht alle Zusammenhänge darzulegen, die für ein Gesamtverständnis des Proximativs erforderlich wären. Insbesondere die Charakteristika dieser Kategorie, die sich aus seiner Stellung innerhalb des Gesamtsystems ergeben, werden hier vernachlässigt. Der Leser sei deswegen auf KÖNIG ( 1 9 9 3 ) verwiesen.
142
CA. König
1. Definition In der Aspekttheorie von BREU (1985) und SASSE (1991a:407-421, 1991b) steht das Zusammenwirken von Aspekt und Verb im Vordergrund. Dahinter steht die Auffassung, daß Verben verschiedene semantische Konzepte bezeichnen, die sich u.a. durch einen unterschiedlichen Grad an Dynamik auszeichnen. Diese Konzepte werden Sachverhalte genannt. Der Aspektanalyse sollte demnach idealiter eine Verbklassenanalyse vorangehen, in der die Sachverhaltstypen, die in einer spezifischen Sprache lexikalisch verankert sind, erfaßt werden. Generell gilt, daß das Aspektgrammem eine Phase des Sachverhalts hervorhebt, die bereits in der Lexik der Verben festgelegt ist. In einem typischen Sachverhalt, z.B. einer Handlung, werden die drei Phasen (a) Eintritt in die Situation (im folgenden erste Situationsveränderung SVi genannt), (b) Bestehende Situation (im folgenden Situation S genannt) und (c) Beenden der Situation (im folgenden zweite Situationsveränderung SV2 genannt) unterschieden. In Anlehnung an diese Aspekttheorie läßt sich der Proximativ wie folgt definieren: Der Proximativ ist der Aspekt, der die Phase, die vor dem Eintritt in die bestehende Situation (SVi) liegt, hervorhebt. Diese Phase wird Vorphase (V) genannt. Abb. 1 ist eine graphische Wiedergabe des Proximativs. Die fett wiedergegebenen Bestandteile zeigen den Teil des Sachverhalts an, der durch den Proximativ hervorgehoben wird. ..../ (/)
V
SVI
S
Abb. 1: Der Proximativ Im Maa (Ostnilotisch, Nilosaharanisch) gibt es einen grammatikalisierten Proximativ. Das Maa ist eine Aspektsprache mit einem zugrundeliegenden Perfektiv-Imperfektiv-System. Alle fünf von BREU aufgestellten Verbklassen sind im Maa lexikalisiert. Bei den initialtransformativen Verben (im folgenden ISTA-Verben genannt) wird die privative Imperfektiv-Perfektiv-Opposition um eine Dimension erweitert, den Proximativ. In Beispiel (1) steht der Proximativ mit dem ISTA-Verb a-rök 'schwarz werden'. (1)
Camus (Nordmaadialekt, Ostnilotisch, Nilosaharanisch, Kenya) k-e-rok-u k-3. SG-schwarz. sein-PROX
(a) 'Es ist kurz davor, schwarz zu werden.' (b) 'Es wird schwarz werden.' (c) *'Es ist dabei, schwarz zu werden.' Drei Anmerkungen möchte ich zu Beispiel (1) machen: (a) Die Bedeutung von k- ist unklar, kbleibt daher in der interlinearen Morphemübersetzung uniibersetzt. k- hat keinen Einfluß auf den Proximativ. (b) Das Maa ist eine Tonsprache mit Hoch- und Tiefton. In meinem selbst
Der Proximativ
143
gesammelten Material werden die Hochtöne durch einen accent aigu markiert, die Tieftöne bleiben unmarkiert. Die Beispiele aus der Literatur werden unverändert übernommen, (c) Die Futurbedeutung wie unter (lb) wird weiter unten besprochen. Das Morphem -u, das in Beispiel (1) den Proximativ bezeichnet, ist in dem Standardwerk über das Maasai, einem Südmaadialekt, von TUCKER / Mpaayei (1955) nicht als Proximativ, sondern als Inzeptiv bzw. Inchoativ analysiert worden: „The Inceptive Form describes the process of 'becoming', of entering into a state." (TUCKER/MPAAYEI 1955:141) Ihrer Meinung nach ist die Bedeutung von ά-rök-ü wiederzugeben mit Ί become black', wie das Beispiel (2) zeigt. Genau diese Bedeutung ist aber nach den Angaben meiner Informanten gerade auszuschließen, wie die gesternte Übersetzung (lc) zeigt. (2)
Maasai (Südmaadialekt, Ostnilotisch, Nilosaharanisch, Kenya, Tansania) ά-rök-ü 1. SG-be.black-VEN Ί become black.' (TUCKER/ MPAAYEI 1 9 5 5 : 1 4 1 ) 2
Insgesamt setzen TUCKER / MPAAYEI in ihrer Grammatik drei verschiedene u-'s an, von denen ich behauptet habe (KÖNIG 1993), daß sie alle drei zusammengehören. Auf die weiteren Bedeutungen von -u wird in den Abschnitten 2. und 4.1 eingegangen werden. Bevor weitere Evidenzen dafür geliefert werden, daß -u in Satz (1) die Funktion eines Proximativs und nicht eines Inchoativs erfüllt, soll die Semantik dieser beiden Kategorien kontrastiv gegenübergestellt werden. Hierzu wird in den Sätzen (3-6) der Bedeutungsunterschied zwischen dem Inchoativ und dem Proximativ anhand des Englischen und des Deutschen paraphrasierend wiedergegeben.
(3) (4)
Englisch It is about to be / become dark. It is becoming / getting dark.
(5) (6)
Deutsch Es ist kurz davor, dunkel zu werden. Es ist dabei, dunkel zu werden.
Die Beispiele (3) und (5) geben jeweils die proximative Bedeutung wieder und die Beispiele (4) und (6) jeweils die inchoative Bedeutung.
2
Die interlineare Morphemübersetzung ist von mir abgewandelt worden.
Ch. König
144 Graphisch läßt sich der Inchoativ wie folgt darstellen: /. . . ./ SV,
s
Abb. 2: Der Inchoativ Bei der graphischen Darstellung des Inchoativs ist die gleiche Symbolik verwendet worden wie beim Proximativ in Abb. 1. Ein Vergleich der Abb. 1 und 2 zeigt, daß der Bedeutungsunterschied zwischen Inchoativ und Proximativ in den unterschiedlichen Phasen liegt, die zum Sprechzeitpunkt bzw. im Text zum Referenzzeitpunkt vom Sprecher präsentiert wird. Während beim Inchoativ der Eintritt in den Sachverhalt bezeichnet wird, d.h. in der Außenwelt ist für den Betrachter deutlich die Situationsveränderung zu sehen, wird beim Proximativ gerade die Phase bezeichnet, die kurz vor der ersten Situationsveränderung liegt, d.h. in der Außenwelt ist fur den Betrachter noch keinerlei Veränderung zu sehen. Der Sprecher drückt mit Hilfe des Proximativs seine Erwartung aus, daß bald etwas passieren wird, was zum Sprechzeitpunkt jedoch noch nicht eingesetzt hat. Die Angabe von Kontexten für die Sätze (3-6) kann die Unterschiedlichkeit des Proximativs und des Inchoativs bildhaft verdeutlichen: Die obigen Sätze (3) und ( 5 ) würden z.B. benutzt werden, wenn es bei uns an einem sonnigen Wintertag vier Uhr ist. Um vier Uhr ist es im Winter noch nicht dunkel, aber jeder weiß, daß die Dunkelheit kurz bevorsteht. Zum Sprechzeitpunkt scheint noch die Sonne. Die Sätze (4) und (6) könnten hingegen z.B. bei einer Sonnenfinsternis benutzt werden, zu einem Zeitpunkt, an dem die Sonne bereits teilweise verdeckt ist. Die Erde ist zu diesem Zeitpunkt schon ein bißchen dunkel, aber der Prozeß des Dunkelwerdens ist zum Sprechzeitpunkt noch nicht vollkommen abgeschlossen, d.h. SVi ist noch nicht vollständig überschritten.
2. Evidenzen exemplifiziert im Maa Nachdem theoretisch der Funktionsunterschied zwischen dem Inchoativ und dem Proximativ herausgearbeitet worden ist, kehren wir wieder zum Maa zurück. Im folgenden werden vier Argumente aufgezählt, die beweisen, daß das -u im Maa ein Proximativ und kein Inchoativ ist. Diese Argumente können gleichzeitig als eine Art „discovery procedure" angesehen werden, um in anderen Sprachen ebenfalls zu entscheiden, ob ein Proximativ oder ein Inchoativ vorliegt. Erstes Argument: Der folgende Satz (7) bezeichnet eine wahre Aussage:
Der Proximativ (7)
145
Camus k-e-rjü-ί rf-kiri kake eitü e-r/u-i k-3.PL-stinken-PR0X FEM.PL-Fleisch aber NEG 3.PL-stinken-PR0X 'Das Fleisch scheint schlecht geworden zu sein, aber es ist [doch] nicht schlecht geworden.'
Um Satz (7) zu verstehen ist folgendes zu beachten: (a) bei dem Verb a-tjü wird der Proximativ nicht durch -u, sondern das Allomorph -i bezeichnet, (b) Im Maa wird die Perfektivform nicht in der Negation verwendet, sondern statt dessen die unveränderliche Partikel eitü 'noch nicht' mit der flektierten Imperfektivform des Hauptverbs bzw. in der Klasse der ISTA-Verben durch eitu mit der flektierten Proximativform des Hauptverbs (weitere Ausfuhrungen und Erklärungen hierfür siehe KONIG 1993). Formal liegt mit Satz (7) demnach folgendes Verhältnis vor: Im ersten Teil des Satzes steht a-rjii 'stinken' im affirmativen Proximativ, im zweiten Teil des Satzes steht a-rjü 'stinken' in der perfektiven Negation. Formal kann diese Konstruktion wie folgt wiedergegeben werden, wenn X stellvertretend fur ein spezifisches Verb steht: X - P R O X besteht + X - P F V besteht nicht Im zweiten Teil des Satzes könnte auch ein negierter Imperfektiv stehen, und die Aussage bleibt wahr, also: X - P R O X besteht + X - I M V besteht nicht Für unser Abgrenzungsproblem ist jedoch der erste Fall wie in Satz (7) von entscheidender Bedeutung. Der Perfektiv bezeichnet bei ISTA-Verben im Maa nicht das Abgeschlossensein eines Sachverhalts, sondern gemäß der Grundsemantik von ISTA-Verben, die nur eine linke Grenze ( S V i ) in ihrer Lexik vorgesehen haben, das erfolgreiche Überschreiten des Eintritts in die bestehende Situation (S). Bei dem Verb a-gü 'stinken' bezeichnet der Perfektiv etwa ein 'stinkend geworden sein'. Im Deutschen läßt sich die perfektive Bedeutung von a-git nur schwer wiedergeben, bei anderen ISTA-Verben ist das etwas einfacher, wie z.B. bei dem Verb a-rök
'schwarz werden', dessen Perfektivbedeutung etwa mit 'schwarz geworden sein' zu
umschreiben ist. Durch den negierten Perfektiv wird bei a-yü 'stinken' der erfolgreiche Eintritt in die Situation negiert, d.h. SVi ist nicht überschritten worden. Würde, wie bei TUCKER / MPAAYEI behauptet, -u bzw. -/ hier den Inchoativ bezeichnen, so könnte man nicht erklären, wieso Satz (7) eine wahre Aussage beinhaltet. Der Inchoativ würde bestätigen, daß der Eintritt in die Situation besteht, der negierte Perfektiv jedoch gleichzeitig negieren, daß dieser Eintritt erfolgt ist. Wenn -u bzw. -i hier jedoch den Proximativ bezeichnet, so widersprechen sich die beiden Satzteile in Beispiel (7) nicht: Der affirmative Proximativ zeigt an, daß der Eintritt in die Situation SVi kurz bevor steht, d.h. der Sprecher erwartet ein Schlechtwerden des Fleisches, ohne daß das Fleisch irgendwelche Anzeichen eines beginnenden Schlechtwerdens zeigt. Wider
CA. König
146
Erwarten ist das Fleisch aber dann doch nicht schlecht geworden, wie im zweiten Teil des Satzes durch den negierten Perfektiv wiedergegeben wird. Satz (7) stellt nicht die typische Verwendung des Proximativs dar, sondern eher einen sehr spezifischen Gebrauch. Entscheidend ist hier nur, daß der Proximativ in einem solchen Kontext eine wahre Aussage beinhaltet, was nicht möglich wäre, wenn es sich um den Inchoativ handeln würde. Zweites Argument: Futur ist eine typische Lesart des Proximativs in temporal unmarkiertem Kontext. Zur Vereinfachung ist hier noch einmal Beispiel (1) erneut als Beispiel (8) aufgeführt, wobei jetzt die Bedeutungen (b) und (c) genauer betrachtet werden sollen. Lesart (8a) ist bereits weiter oben besprochen worden. Da das Maa, wie bereits erwähnt, eine reine Aspektsprache ist, gibt es keine Flexionsmorphologie, die primär Tempus bezeichnet. Die Aspektgrammeme haben jedoch zum Teil temporale Lesarten. Für das Futur werden zum einen der Imperfektiv und zum anderen der Proximativ herangezogen. Die Konkurrenz der beiden aufgeführten Grammeme gilt jedoch wiederum nur für die ISTA-Verben, denn in den übrigen Verbklassen kommt dieser Proximativ, wie bereits erwähnt, nicht zur Anwendung (zumindest nicht als Aspektgrammem, hierzu später mehr unter Punkt 4.1 Grammatikalisierung). (8)
Camus k-e-rök-u
k-3. SG-schwarz.sein-PROX (a) ' E s ist kurz davor, schwarz zu werden.' (b) ' E s wird schwarz werden.' (c) *'Es wird schwarz sein, [wie es auch heute schon ist.]' (9)
Camus k-e-rok
k-3.SG-schwarz.sein (a) 'Es ist schwarz.' (b) ' E s wird schwarz sein, [wie es auch heute schon ist.]' Beispiel (9) gibt die Imperfektivform von a-rök wieder. Der Imperfektiv wird im Maa nicht morphologisch markiert. Der nackte Verbstamm dient als Imperfektivform. Das gesamte Verbalflexionssystem und das Verhalten des „nackten" Verbstammes rechtfertigen die Auffassung, daß dieses Zero keine semantisch funktionslose Form ist, sondern die Funktion des Imperfektivs erfüllt (näheres siehe KÖNIG 1993). (9a) gibt die primäre Bedeutung des Imperfektivs bei diesen Verben wieder. Er bezeichnet die bestehende Situation (S). Da die ISTA-Verben, wie bereits erwähnt, keine rechte Begrenzung in ihrer Lexik angelegt haben, wird dieser Zustand als nach rechts hin grenzenlos aufgefaßt. Das 'schwarz sein' wird als endloser Zustand erfaßt. (9b) gibt die Futurlesart des
Der Proximativ
147
Imperfektivs bei ISTA-Verben wieder, die sich aus (9a) leicht ableiten läßt: Wenn ein Zustand aufgrund der Lexik keine rechte Grenze hat, so muß er auch in der Zukunft Gültigkeit haben, jedoch nur, wenn der zukünftige Zustand eine Fortsetzung der bestehenden Situation zum Sprechzeitpunkt ist. Der Klammerzusatz bei (9b) zeigt an, daß der Imperfektiv ein Futur als fortgesetztes, nach rechts hin unbegrenztes S bezeichnet. Genau dieses Futur kann jedoch durch den Proximativ nicht bezeichnet werden, wie die gesternte Form bei (8c) zeigt. Der Proximativ hingegen bezeichnet ein Futur, bei dem eine Situationsveränderung, die den Eintritt in die Situation bezeichnet, auf jeden Fall erst noch zwischen dem Sprechzeitpunkt und dem zukünftigen Referenzzeitpunkt erfolgen muß. (8b) ist zu verstehen als: 'Es wird schwarz werden, wobei es jetzt noch nicht schwarz ist.' Zusammengefaßt heißt das, der Proximativ bezeichnet ein Futur mit Situationsveränderung, kein Futur als fortgesetzte bestehende Situation aus der Gegenwart. Diese Futurlesart des Proximativs vereinbart sich mit seiner aspektuellen Grundbedeutung, das Hervorheben der Vorphase, bei der auch vor der Realisation des Sachverhaltes eine Situationsveränderung liegt. Weiter oben ist bereits erwähnt worden, daß TUCKER / MPAAYEI drei verschiedene -«'s angesetzt haben. Die Futurlesart ist das zweite -u von TUCKER / MPAAYEI (1955:62), dessen Bedeutung sie als „extra future tense" angeben. Ihrer Meinung nach bezeichnet dieses zweite -w nur bei einer kleinen Gruppe von Emotionsverben, wie 'wollen, lieben, riechen, wissen', Futur, nicht aber bei Verben, die Farben bezeichnen. Bei den Farbverben setzen sie ihr erstes -u mit der Inchoativbedeutung an. Die Emotionsverben und Farbverben sind bei mir gerade die beiden Bestandteile der ISTA-Verben. Sie gehören meiner Meinung nach deshalb in eine Gruppe, da sie sich aspektuell identisch verhalten. Das -u bezeichnet bei all diesen Verben je nach Kontext entweder den Proximativ oder das Futur mit Situationsveränderung. TUCKER / MPAAYEI haben sich demnach in doppelter Weise bei ihrer „extra future tense" geirrt: Erstens, wie gerade erwähnt, hinsichtlich der Verben, bei denen -u Futur bezeichnet, und zweitens haben sie nicht erkannt, daß der Imperfektiv (bei ihnen als „present tense" aufgeführt) ebenfalls bei diesen Verben in futurischer Bedeutung vorkommt. Futur als Grundbedeutung für -u ist jedoch keine adäquate Analyse, da erstens, wie ausgeführt, nicht jede Futurart durch -u erfaßt werden kann, und zweitens, wie im folgenden unter Argument 3 und 4 gezeigt werden wird, die Verwendung des Proximativs temporal uneingeschränkt ist. Der Proximativ kann sowohl im Kontext der Gegenwart als auch der Vergangenheit verwendet werden. Drittes Argument: Aus dem temporalen Verhalten des Proximativs lassen sich weitere Evidenzen für den Proximativ ableiten. Beispiel (10) zeigt das Verhalten des Proximativs im gegenwärtigen Kontext:
CA. König
148 (10)
Camus k-e-rök-u k-3.SG-schwarz.sein-PROX
täatä jetzt
'Es wird vielleicht schwarz werden.' Im gegenwärtigen Kontext, in Beispiel (10) durch das Temporaladverb täatä ausgedrückt, ergibt sich zusammen mit dem Proximativ die Bedeutung eines „modalen Präsens". Beispiel (1) kann nicht heißen 'Es ist jetzt dabei, schwarz zu werden' oder 'Es ist gerade dabei, schwarz zu werden', was man beim Inchoativ erwarten würde. Der Proximativ gehört, wie in KÖNIG (1993) gezeigt worden ist, der Domäne des Irrealis an. Letzteres zeigt sich z.B. daran, daß bei seiner aspektuellen Bedeutung „Hervorhebung der Vorphase", wie bereits erwähnt, in der Außenwelt nichts sichtbar ist. Da seine aspektuelle Bedeutung ausschließlich in der Irrealisdomäne liegt, verbietet sich eine reale Gegenwartsbedeutung. Die Irrealiskomponente des Proximativs wird im Gegenwartskontext verschärft. Aus dem Aspektmarker mit einer Irrealisdomänenzugehörigkeit wird ein Irrealismarker (weitere Ausführungen s. KÖNIG 1993 insb. Kapitel 6.1.4). Viertes Argument: Beispiel (11) zeigt das Verhalten des Proximativs im Kontext der Vergangenheit, der in Satz (11) durch das Temporaladverb rple 'gestern' bewirkt wird. Der Klammerzusatz in der Übersetzung ist von entscheidender Bedeutung. (11)
Camus k-e-rök-u qole k-3.SG-schwarz.sein-PROX gestern
'Es war gestern kurz davor, schwarz zu werden, [aber es ist nicht schwarz geworden.]' Im Kontext der Vergangenheit ist der Proximativ zu einem Counterfactual-Marker geworden und weiter sogar zum Anzeiger einer impliziten Negation. Die Hervorhebung der Vorphase plus Vergangenheitsbezug erhält also die Bedeutung einer impliziten Negation. Zu erklären ist das damit, daß der Sprecher normalerweise zum Sprechzeitpunkt weiß, ob bis zur Gegenwart ein Sachverhalt der Vergangenheit realisiert worden ist oder nicht. Infolgedessen darf der Proximativ in der Vergangenheit nur zur Anwendung kommen, wenn keine Realisierung des Sachverhalts bis zum Sprechzeitpunkt erfolgt ist. Für Beispiel (11) heißt das: Wenn es bis zur Gegenwart schwarz geworden wäre, müßte der Perfektiv oder Imperfektiv verwendet werden, der Proximativ dürfte nicht verwendet werden. Diese Restriktion erklärt die Bedeutung Negation, die als Schlußfolgerung zu verstehen ist und daher implizit bezeichnet wird und nicht explizit: Eine Vorphase, die nicht mehr bis zur SVi vordringen darf, die auf den irrealen Status der Vorphase beschränkt wird, kann als sicheres Nichterreichen des bestehenden Zustands bewertet werden. Aus letzterem läßt sich das Nichtbestehen des Zustandes schließen, was einer Negation gleichkommt.
Der Proximotiv
149
Zusammengefaßt hat der Proximativ folgende Eigenschaften. Der Proximativ ist der Aspekt, der die Vorphase (V) hervorhebt, bei der eine Situationsveränderung ( S V i ) angestrebt wird, jedoch muß sie nicht unbedingt erfolgen. Während im Futur wie auch in der Gegenwart die Vorphase (V) als wahrscheinliche Vorstufe von SVi betrachtet wird, ist in der Vergangenheit nur eine Lesart möglich: Die Bezeichnung der Vorphase (V), ohne daß eine Situationsveränderug ( S V i ) oder die bestehende Situation ( S ) erreicht werden können. Wenn in der Vergangenheit tatsächlich eine SVi stattgefunden hat, muß im Maa der Perfektiv verwendet werden. In temporal unmarkiertem Kontext sowie dem Kontext der Zukunft kann der Proximativ als Expectation-Marker bezeichnet werden; der Sprecher drückt hiermit seine Erwartung aus, daß eine Situationsveränderung kurz bevor steht. Im Vergangenheitskontext ist ein Counterexpectation-Marker bzw. auch CounterfactualMarker daraus geworden: Es hätte eigentlich so werden sollen, aber es ist nicht so geworden. (Näheres s. KÖNIG 1993). Die Abgrenzung des Proximativs zum Inchoativ kann durch die irrealen Bedeutungsbestandteile, die sich insbesondere in den Kontexten der Gegenwart und Vergangenheit zeigen, erfolgen. Mit einem Futur kann der Proximativ nicht verwechselt werden, wenn man seine temporal uneingeschränkte Verwendung betrachtet.
3. Ostafrikanische Sprachen Aus dem Vorangehenden mag sich die Frage ergeben, wie aus der Literatur anderer Sprachen herausgefunden werden kann, ob ein Proximativ vorliegt oder etwas anderes, wie z.B. ein Inchoativ. Im folgenden werde ich kurz drei verschiedene ostafrikanische Sprachen behandeln. In allen drei Fällen ist der Verdacht geäußert worden (ROTTLAND fürs Ateso, REH fürs Anywa, SERZISKO fürs Ik, jeweils persönliche Mitteilung), daß ein Proximativ vorliegen würde. Genauer gesagt sollte ich zur Entlastung der hier aufgeführten Personen hinzufügen, daß in allen Fällen, wie auch im Maa, der Venitiv als Quellelement eine Bedeutungsveränderung bei Stativen Verben erfahren hat, die im Maa zum Proximativ geführt hat (s. Punkt 4.1 Grammatikalisierung) und nach Aussage obiger Personen in den Sprachen Ateso, Anywa und Ik ebenfalls dazu geführt hat (sie haben nicht unbedingt den Terminus Proximativ gebraucht, sondern pauschal geäußert: „genau wie in meiner Sprache"). Der Venitiv ist ein in Afrika häufig vorkommendes Derivationselement, das bei Bewegungsverben die Gerichtetheit der Handlung „in Richtung auf den Sprecher" bezeichnet. Der Andativ ist das Gegenstück dazu, das die Gerichtetheit der Handlung „weg vom Sprecher" bezeichnet. Weitere Termini für den Venitiv sind Ventiv oder auch „motion towards form".
CA. König
150
3.1. Das Ateso OTAALA hat in einer Arbeit, die die Semantik der Verbalderivation des Ateso behandelt (1981: 53-54), für den Venitiv mit Stativen Verben folgende zwei Bedeutungen angegeben: (a) „Inceptive", dessen Funktion sie beschreibt mit „to get / begin to do something" (OTAALA 1991:54) wie in Bsp. (12) fur Verben, die eine „mental activity" bezeichnen und (b) „to become" mit „Stative verbs" wie in (13). Auch im Maa bilden diese beiden Gruppen die ISTA-Verben, (a) und (b) können eventuell auch im Ateso zu den ISTA-Verben zusammengefaßt werden. (12)
Ateso (Ostnilotisch, Nilosaharanisch, Kenya, Uganda) a-jen-un INF-know-VEN
'to get / begin to know' (OTAALA 1981:54). (13)
Ateso a-la-un INF-clean-VEN
'to become clean' (OTAALA 1981:54). Wenn die Übersetzung differenziert genug ist, müßte der Venitiv sich im Ateso bei ISTAVerben zum Inchoativ entwickelt haben, da die erste Situationsveränderung bereits im Gange ist, sowohl in Beispiel (12) als auch in Beispiel (13).
3.2. Das Anywa REH macht in ihrer Grammatik des Anywa die Aussage, daß der Venitiv (den REH Ventiv nennt) die Verbklasse verändert: Aus statischen Verben werden ISTA-Verben. (14a)
Anywa (Westnilotisch, Sudan) ίδτ)
b£DH.
spear be. sharp 'The spear is sharp.' (REH 1994:248 Satz la). (14b)
Anywa t5ij
binnho.
spear be. sharp 'The spear becomes sharp(er).' (REH 1994:248 Satz lb). REH nennt die Ableitung, die aus dem Verb 'be sharp' 'become sharp' macht, Process Derivation: „The process derivation changes the temporal dynamics of the source vert) form in that it turns monovalent static veibs into terminative process verbs" (REH 1994:248).
Der Proximativ
151
Das „terminative process verb" wird von REH selbst eine Seite weiter mit dem Terminus „inchoative verb" (REH 1994:249) bezeichnet. Die „monovalent static verbs" könnten den „totalstativen Verben" bei SASSE entsprechen. In Ermangelung genauerer Angaben können hierüber keine weiteren Aussagen gemacht werden. Auch im Anywa scheint es sich nicht um einen Proximativ zu handeln. Wenn der Venitiv bei den statischen Verben eine Veränderung der Lexik bewirkt, z.B. indem durch den Venitiv bei den Verben eine Initialgrenze eingefiihrt wird, die bis dahin nicht vorhanden war, dann läge die Funktion des Venitivs auch bei diesen Verben eher im derivationellen Bereich: Aus totalstatischen Verben werden ISTA-Verben. Beispiel (14b) scheint jedoch eindeutig eine reale Situationsveränderung zu bezeichnen, so daß der Proximativ als Möglichkeit ausgeschlossen werden kann.
3 .3. Das Ik Auch im Ik gilt, daß der Venitiv bei statischen Verben eine Bedeutungsveränderung erfahren hat, wie Beispiel (15) belegt: (15)
Ik (Kuliaksprache, Uganda) bucfam-eta kiJ'a dark-VEN
land.ABS
'The world became dark.' (SERZISKO 1992:222 Satz 128). Die interlineare Morphemübersetzung ist von mir abgeändert worden. SERZISKO sagt generell zur Venitivbedeutung bei statischen Verben: „the VEN affix indicates that the state has not yet come about" (SERZISKO 1988:442). (Die Unterstreichung wurde von mir zugefügt.)
Was heißt genau „the state has not yet come about"? Ist damit die Phase gemeint, die vor dem Eintritt liegt, oder der zerdehnte Eintritt selbst? Zur Bedeutung des obigen Ik-Beispiels (15) sagt Serzisko: „the speaker is talking about the process of 'becoming dark': light is fading away but it is still not dark." (SERZISKO 1 9 9 2 : 2 2 2 )
Aus diesen Angaben vermag ich nicht zu schließen, welche Funktion der Venitiv genau bei statischen Verben einnimmt. In allen drei aufgeführten Fällen scheint eine Zuordnung zum Proximativ nicht möglich oder nicht ohne weiteres möglich. Dies ist sicher auch darin begründet, daß bei nicht gezielter Feldforschung eine so differenzierte Bedeutungsunterscheidung nicht getroffen wird. Genauere Untersuchungen insb. auch der zugrundeliegenden Verbklassen wären in den hier aufgeführten Sprachen nötig, um die Frage zufriedenstellend beantworten zu können.
CA. König
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4. Grammatikalisierung 4.1. Directional Schema: „Venitiv" Wie bereits unter Abschnitt 3. angedeutet ist der Venitiv eine Quelle des Proximativs, so z.B. im Maa. Beispiel (16) zeigt die Verwendung des Venitivs mit Bewegungsverben. Hierbei ist der Venitiv ein Derivationsmorphem, das die Gerichtetheit der Handlung auf den Sprecher ausdrückt. Aus 'Vieh (herum)treiben' wird im Venitiv 'Vieh hertreiben': (16)
Maasai t ε-re-υ
nkishu
ene
PFV-drive-VEN cow.AKK here
'Drive the cattle here!' Bei TUCKER /
MPAAYEI
(TUCKER/ MPAAYEI 1 9 5 5 : 1 2 4 ) .
ist dies das dritte -a, das sie „motion towards form" nennen
(TUCKER /
MPAAYEI 1 9 5 5 : 1 2 3 ) .
(17)
Maasai ίε-rew-a
nkishu
ende
PFV-drive-AND
'Drive the
cow.AKK there cattle there!' (TUCKER/ MPAAYEI 1 9 5 5 : 1 2 8 )
Hierzu gehört der Andativ (den TUCKER / MPAAYEI „motion away-form" nennen), der die Gerichtetheit der Handlung „weg vom Sprecher" bezeichnet, wie in obigem Beispiel (17) wiedergegeben. Aus einem 'Vieh (herum)treiben' wird im Andativ ein 'Vieh wegtreiben'. Venitive und Andative zeigen interessante Entwicklungen, wenn sie nicht mit Bewegungsverben verwendet werden. Ich konzentriere mich hier auf den Venitivgebrauch bei ISTAVerben. Wie Beispiel (1) zeigt, ist aus dem Venitiv bei ISTA-Verben im Maa ein Proximativ geworden. Die weiteren Merkmale des Proximativs, wie seine Irrealisbedeutung bei Gegenwartsbezug und Counterfactualbedeutung bei Vergangenheitsbezug, die auch als Anzeige von impliziter Negation gewertet werden kann, sind bereits unter Abschnitt 2. behandelt worden. Während die unter Abschnitt 2. aufgeführten Lesarten des Proximativs keine weiteren Grammatikalisierungsstufen darstellen, weil diese Bedeutungsnuancen erst durch das Zusammenspiel von Kontext und Proximativ entstehen, liegt beim Übergang vom Venitiv zum Proximativ eine vollständige Grammatikalisierung vor. Das morphosyntaktische und phonologische Verhalten des Proximativs ist anders als das des Venitivs: (i) Phonologisch unterliegt das Venitivmorphem der Vokalharmonie. Die Vokalharmonie im Maa basiert darauf, daß in einem Wort alle Vokale entweder mit vorgezogener Zungenwurzel gebildet werden (+ATR) oder mit zurückgezogener Zungenwurzel (-ATR). Die Grundform des Venitivmorphems ist -Un (s. z.B. Satz 18a). Der Vokal ist als Großbuchstabe wiedergegeben, da er sowohl fur die +ATR als auch -ATR Variante steht. Beim Proximativ
Der Proximativ
153
kommt er nur noch mit +ATR Vokal vor, und der Nasal ist völlig geschwunden; d.h. das Proximativmorphem ist -u. (ii) Der Venitiv kann als Derivationsmorphem mit allen Flexionsformen des Verbs gebraucht werden, also sowohl mit dem Imperfektiv als auch mit dem Perfektiv. Der Proximativ ist selbst zum Flexionsmorphem geworden und kann daher weder mit dem Imperfektiv noch mit dem Perfektiv gebraucht werden. Formal wird er an den Verbalstamm gehängt, letzterer ist identisch mit der Imperfektivform. Die Funktion des Proximativs ist jedoch losgelöst vom Imperfektiv, so daß ausgeschlossen werden kann, daß sich die Bedeutung, die ein Verb im Proximativ erhält, aus einer Imperfektivbedeutung plus der Proximativbedeutung ergeben würde. (iii) Gemäß der universellen Tendenz, daß Derivationsmorpheme näher an der Verbalwurzel stehen als Flexionsmorpheme, nehmen auch Venitiv und Proximativ nicht die gleiche Stellung ein. Bei einer Kombination aus Stativ plus Venitiv ist die Abfolge Venitiv-Stativ, wie Beispiel (18a) zeigt. Bei einer Kombination aus Stativ plus Proximativ ist die Abfolge genau umgekehrt: Stativ-Proximativ wie Beispiel (18b) zeigt. (18a)
Maasai a-ür-un-ye 1 SG-fall.over-VEN-STAT Ί fall over this way.' (TUCKER/ MPAAYEI 1955:149)
(18b)
Maasai ά-ik-a-yu 1. SG-suspend-STAT-PROX Ί will be suspended' (TUCKER/MPAAYEI 1955:135)
Die interlineare Morphemübersetzung ist an die vorliegende Terminologie angepaßt worden. 4.2. Volition Schema: 'wollen' Hierbei dient das Verb für 'wollen' als Quellelement des Proximativs. Im Maa ist a-yyeü 'wollen' zum Proximativ geworden. Es wird mit all jenen Verben verwendet, bei denen der Proximativ, der aus dem Venitiv entstanden ist, nicht gebraucht wird, also mit allen Verben außer den ISTA-Verben. Beispiel (19) zeigt 'wollen' in seiner Ausgangsverwendung. Die folgenden Ausführungen basieren auf HEINE (1992). (19)
Camus k-e-yyeu m-partüt. k-3.SG-want FEM-woman ' H e wants a woman / wife.' (HEINE 1992:339)
In Satz (20) ist die 3. Person Singular von 'wollen' a-yyiu zum invariablen Aspektmarker geworden.
154 (20)
CA. König
Camus (k-)eyyiü
a-ök
ηάηυ
kule'.
PROX lSG-drink.IMV l.NOM milk Ί was about to drink milk.'(HEINE 1992:339) Folgende morphosyntaktische Veränderungen haben beim Übergang von a-yyeü 'wollen' als Vollverb zu eyyeü, dem Proximativ, stattgefunden: (i) Der Proximativ eyyeü zeigt keine Kongruenz hinsichtlich Person und Aspekt: Wie Satz (20) belegt, bleibt eyyeü, was formal der dritten Person Singular von 'wollen' entspricht, unverändert bei einem Subjekt der ersten Person. (ii) Der Proximativ verhält sich in zusammengesetzten Verbformen anders als das Auxiliar a-yyeü. Im Maa gibt es zusammengesetzte Verbformen bestehend aus zwei Verben, von denen das erste im Imperfektiv oder Perfektiv steht und das zweite im Narrativ folgt. Beide Verben sind voll flektiert. Bei einer Kombination aus dem Proximativ eyyeü und einem Hauptverb steht das folgende Hauptverb nicht länger im Narrativ. Da eyyeü seinen verbalen Status verloren hat und zu einem unveränderlichem Klitikum geworden ist, kann das Hauptverb nicht mehr im Narrativ stehen, denn der Narrativ kann nicht als erstes Verb stehen. Mit der Grammatikalisierung von eyyeü zu einem Aspektmarker ist das Hauptverb nun das erste Verb im Satz. (iii) Das Maa hat eine VSO Stellung. Wie die gesternte Form in Beispiel (21) zeigt, kann mit dem Verlust des Auxiliarstatus von eyyeü das Subjekt nicht mehr länger nach eyyeü folgen, sondern muß nach dem Hauptverb stehen: Die Struktur Auxiliar-Hauptverb zu Aspektmzxker-Vetb (21)
wird reanalysiert
(nach HEINE 1992:339-340).
Camus *(k-)eyyeü
ηάηυ
a-ök
l.NOM
ISG-drink.IMV milk
kule".
Wie Beispiel (22) zeigt, gibt es auch bei eyyeü in der Vergangenheit eine implizite Negation, derart: 'es ist fast geschehen, aber es ist nicht geschehen'. (k)iyyeu a-tüm wird hier als Antwort auf die Frage gebraucht: 'Hast Du eine Frau gekriegt?' Die Bedeutung der Antwort (k)eyyeu a-tüm ist in etwa wiederzugeben als 'Nein, ich war kurz davor eine zu kriegen, aber ich habe keine gekriegt.' Der Proximativ vermag den Hoffnungen des Sprechers mehr Ausdruck zu verleihen als ein schlichtes 'Nein'. (22)
Camus i-tiim-o m-partüt? (k)eyyeu a-tüm 2SG-get-PFV FEM-woman.ABS PROX lSG-get 'Did you get a wife? No (but I almost did).' (Heine 1992:340)
Andere Sprachen, in denen das Verb 'wollen' zum Proximativ geworden ist, sind z.B.
Der Proximativ (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii)
155
-batla 'wollen' im Süd-Sotho (Bantu) (s. DOKE / MOFOKENG 1985:247), -batla 'wollen' im Tswana (-batla), dt 'wollen' im Ewe, -taka 'wollen' im Swahili (s. auch unteres Beispiel 23a), -cishe 'wollen' im Zulu, wan 'wollen' im westafrikanischen Pidgin-Englischen Sta 'wollen' im Bulgarischen, für das auch die implizite Negation in der Vergangenheit durch eine Muttersprachlerin bestätigt worden ist (HEINE 1992:341-342).
Da die unter i-vi aufgeführten Sprachen aus der Literatur (HEINE 1994:7) genommen sind, können leider keine näheren Angaben zum Gebrauch des Proximativs gemacht werden.
4.3. Location Schema: 'nahe' Im Swahili sind zwei Konzepte zum Proximativ geworden, erstens das Verb -taka 'wollen', wie Satz (23a) zeigt, und zweitens das Adverb karibu 'nahe', wie Satz (23b) zeigt. Die Sätze (23a) und (23b) sind synonym: (23 a) Swahili (Bantu, Ostafrika) Mvua i-li-taka ku-nyesha. rain C9-PAST-want
INF-rain
'It almost rained.' (23b) Swahili Mvua karibu
i-nyesh-e.
rain near C9-rain-SBJ ' I t a l m o s t rained.'(HEINE 1994:9).
Wörtlich heißt Satz (23b): 'Der Regen ist nahe, so daß es regnet.' Es liegt eine komplexe Satzstruktur vor, bestehend aus zwei Prädikaten: karibu und i-nyesh-e. Letzteres ist syntaktisch gesehen, da es im Subjunktiv steht, das untergeordnete Prädikat. Semantisch gesehen ist es zum Hauptverb geworden, da es die semantisch relevante Information enthält. Das Lokaladverb karibu dient in (23b) als weiteres Prädikat. Eine Kopula ist im Swahili nicht nötig. Mvua karibu heißt 'Der Regen ist nahe'. Der Lokativausdruck karibu erfüllt die Funktion eines Proximativs, nämlich die Hervorhebung der Vorphase. Auf (23b) bezogen heißt das: karibu drückt aus, daß es kurz davor ist zu regnen. Wir haben es hier mit einer konventionalisierten Struktur zu tun, die durch das unveränderliche karibu plus dem Hauptverb im Subjunktiv gebildet wird.
5. Schlußfolgerungen Aus dem Vorangegangenen ergeben sich insbesondere die folgenden Schlußfolgerungen: (i) Ich hoffe, die Relevanz (a) der lexikalischen Verbklassen und auch (b) der Kontexte gezeigt zu haben, ohne die eine adäquate Analyse eines spezifischen Aspektsystems nicht mög-
156
Ch. König
lieh ist. 3 Z.B. wäre der Proximativ im Maa nicht hinreichend erkannt worden, wenn nicht durch die Verbklassen ein zusammenhängendes Bild zwischen dem Venitiv, der als Quellelement der hier behandelten Grammatikalisierung dient, und dem Proximativ hergestellt worden wäre: Der Venitiv ist bei den ISTA-Verben zum Proximativ grammatikalisiert worden. Bei allen übrigen Verben bezeichnet er seine venitive Ausgangsbedeutung. Durch die Kontextanalyse kann erklärt werden, wie die verschiedenen Lesarten des Proximativs wie Futur, modales Präsens und implizite Negation zustande kommen. In dem Stand a r d w e r k z u m S ü d m a a d i a l e k t v o n TUCKER / MPAAYEI ( 1 9 5 5 ) ist d e r Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n
diesen Funktionen, vielleicht auch aufgrund der Nichtbeachtung dieser Punkte, unentdeckt geblieben. Sie setzen drei verschiedene w's an, mit z.T. falschen Funktionsangaben wie z.B. der Inchoativbedeutung (s. Abschnitt 2). (ii) Aber auch im typologischen Vergleich mehrerer Sprachen ist eine größere Vergleichbarkeit der Daten nur gegeben, wenn die lexikalischen Verbklassen berücksichtigt werden, die in einer Sprache lexikalisiert sind. Erst das Zusammenspiel von Verbklasse und Grammem ermöglicht differenzierte Bedeutungsanalysen. Wie die Behandlung der Sprachbeispiele aus der Literatur unter Abschnitt 3. gezeigt hat, müssen die meisten Fragen unbeantwortet bleiben, in denen obige Bedingungen unerfüllt bleiben. Es kann nicht entschieden werden, was für eine Funktion genau von einer spezifischen Konstruktion ausgeübt wird. Weder im Ateso, noch im Anywa oder Ik konnte eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gegeben werden, ob der Venitiv in diesen Sprachen ebenfalls zum Proximativ geworden ist (s. Abschnitt 3). (iii) Die Analysefahigkeit von Aspektsystemen ist durch die Etablierung der Proximativkategorie verbessert worden. Auch in unserem Hauptbeispiel, dem Proximativ im Maa, erlagen die Autoren TUCKER / MPAAYEI einem Irrtum (s. Abschnitt 2 ) . Etwas leger formuliert könnte man behaupten, daß TUCKER / MPAAYEI keinen Proximativ finden konnten, weil sie nicht wußten, daß es einen gibt. Darüber hinaus konnten sie nicht den Zusammenhang zwischen den drei von ihnen aufgestellten u's sehen, da sie den Faktor Sprachwandel oder Grammatikalisierung außer Acht gelassen haben. (iv) Der Proximativ ist eine eigene Aspektkategorie. Grund zu der Annahme, daß es noch viele „unentdeckte" Proximative gibt, liefern die Beispiele aus der Literatur (in Abschnitt 3 & 4.). Ein Testverfahren, derart wie es unter Abschnitt 2. aufgeführt worden ist: Es ist X-PROX, aber es ist doch nicht X, sind wichtige Hilfen, um einen Proximativ klar zu erkennen. Weitere wesentliche Bedeutungsbestandteile sind sein Irrealisanteil, der bei Gegenwartsbezug die Be-
3
Dies sind nicht die einzigen Gesichtspunkte, die bei einer fundierten Aspektanalyse berücksichtigt werden sollten. Das Zusammenspiel der verschiedenen Aspektgrammeme einer spezifischen Sprache sowie Sprachwandelprozesse, die von anfänglichen Lesarten, in z.T. sehr speziellen Kontexten, bis hin zu verfestigten Grammatikalisierungen reichen, sind z.B. weitere Gesichtspunkte. Insbesondere die Relevanz des Gesamtsystems, also die Darstellung des Einflusses der einzelnen Aspektgrammeme untereinander, mußte hier vernachlässigt werden, da hierzu längere Darlegungen nötig gewesen wären (hierzu siehe KÖNIG 1993).
Der Proximativ
157
deutung eines „modalen Präsens" erhält und bei zukünftigem B e z u g bzw. keinerlei temporaler Vorgabe zur Bezeichnung eines Futurs wird. Seine Counterfactual-Bedeutung fuhrt zur B e zeichnung einer impliziten Negation in der Vergangenheit (s. Abschnitt 2). (v) In Abschnitt 4. ist gezeigt worden, daß der Venitiv eine Quelle des Proximativs ist; er ist aber nicht die einzige. Weitere mögliche Quellkonzepte sind das Verb fiir 'wollen' oder Lokalausdrücke, die die Bedeutung haben 'nahe dabei sein (etwas zu tun)'.
6. Abkürzungsverzeichnis 1 2 3 ABS AKK AND C9 FEM IMV INF ISTA
erste Person zweite Person dritte Person Absolutiv Akkusativ Andativ Klasse 9 Feminin Imperfektiv Infinitiv Initialtransformativ (inzeptiv-statisch)
NOM PAST PFV PROX S SBJ SG STAT SV, VEN V
Nominativ Vergangenheit Perfektiv Proximativ bestehende Situation Subjunktiv Singular Stativ erste Situationsveränderung Venitiv Vorphase
Literatur Breu, W. (1985): „Handlungsgrenzen als Grundlage der Verbklassifikation". In: W. Lehfeldt (Hrsg.), Slavistische Linguistik 1984. München: Otto Sagner, 9-34. Heine, B. (1992): „Grammaticalization Chains". In: Studies in Language 16,2, 335-368. - (1994): „Grammaticalization theory and its relevance for African linguistics". Vortrag gehalten auf dem First World Congress of African Linguistics, Kwaluseni, Swaziland, August 1994. König, Ch. (1993): Aspekt im Maa (= Afrikanistische Monographien 3). Köln: Institut für Afrikanistik. Otaala, L. A. (1981): Phonological and Semantic Aspects of Ateso Derivational Verbal Morphology. Nairobi [Dissertation, unveröffentlicht]. Reh, M. (1994): Anywa Language. Description and Internal Reconstructions. Bayreuth [Habilitationsschrift, unveröffentlicht). Sasse, H.-J. (1991a): Arvanitika. Die albanischen Sprachreste in Griechenland. Teil 1. Wiesbaden: Harrassowitz. - (1991b): „Aspekttheorie". In: H.-J. Sasse (Hrsg.), Aspektsysteme (= Arbeitspapier Nr. 14 N.F.). Köln: Institut für Sprachwissenschaft, Universität zu Köln, 1-35. Serzisko, F. (1988): „On Bounding in Ik". In: B. Rudzka-Ostyn (Hrsg.), Topics in Cognitive Linguistics. Amsterdam etc.: John Benjamins, 429-445. - (1992): Sprechhandlungen und Pausen. Diskursorientierte Sprachbeschreibung am Beispiel des Ik. Tübingen: Niemeyer. Tucker, Α. Ν. / Mpaayei, J. Τ. Ο. (1955): A Maasai Grammar. London etc.: Longmans, Green and Co.
Christina Leluda-Voß (Freiburg i. Br.)
Die Interaktion zwischen poststadialen Aspekten und Aktionalklassen am Beispiel des Neugriechischen Περίληψη To παρόν άρθρο βασίζεται θεωρητικό μοντέλο περί ποιού ενεργείας των W. Breu και H.-J. Sasse και έχει ως θέμα του τη γραμματική περιγραφή της συντελικότητας στα Νέα Ελληνικά. Κύριοι φορείς της είναι ο παρακείμενος παράλληλα προς τον συντελικό τύπο είμαι + παθητική μετοχή (Resultativ «αποτελεσματικός»), οι οποίοι ωστόσο παρουσιάζουν διαφορές στη χρήση τους. Η παρακειμενική λειτουργεία ονομάζεται στην παρούσα θεώρηση «Aktualisierung» επικοαοοποίτιστι. Ο παρακείμενος μπορεί να επικαιροποιεί κάθε δυναμική κατάσταση πραγμάτων, ενώ ο αποτελεσματικός (Resultativ) μόνο πράξεις που επιφέρουν αποτελέσματα («εκπληρώσεις»: με εγγενές ή μη τέλος). Λόγω του τελείου ποιού ενεργείας του παρακειμένου είναι οι χρήσεις του με αυτές του αορίστου συγγενείς. Από την άλλη πλευρά συγγενεύει και με τον αποτελεσματικό (Resultativ) εξαιτίας της συντελικότητας. Σ' αυτό το σημείο είναι απαραίτητο να διαχωριστούν οι ιδιαίτερες λειτουργίες των χρόνων. Για μια κατάλληλη περιγραφή των παρακειμενικών τύπων και των επιρρηματικών τους περιορισμών είναι αναγκαία η διαφοροποίηση τους αντίστοιχα προς τις ρηματικές τάξεις, οι οποίες με τη σειρά τους διακρίνονται βάσει του λεξιλογικού ποιού ενεργείας. Επίσης σημαντική και αναπόφευκτη για την ανάλυση είναι η συνεξέταση της ρηματικής αξίας (ρηματική σύνταξη, σημασιολογικοί ρόλοι των ονοματικών όρων), της μεταβατικότητας, της αποθετικότητας και της φωνής των ρημάτων.
Inhalt 1. Poststadialität 1.1. Theoretische Überlegungen 1.2. Die Perfektentstehung im Neugriechischen 1.3. Aktualität, Inaktualität und Aktualisierung einer Handlung 2. Interaktion zwischen dem Perfekt und Aktionalklassen im Neugriechischen 2.1. Das ISTA-Perfekt 2.2. Das AKTI-Perfekt 2.3. Das GTER-Perfekt 2.4. Das TTER-Perfekt 2.5. Ergebnisse
1. Poststadialität 1.1. Theoretische Überlegungen Die Aspektopposition „perfektiv : imperfektiv" ist oft nicht in der Lage, das gesamte Aspektsystem einer Sprache zu erfassen. Theoretisch kann jede Sprache ihre Aktionalität in Aspekt verwandeln. Nicht nur das Hinweisen auf die Grenzen eines Sachverhalts (perfektiver
CA. Leluda-Voß
160
Aspekt) oder das Fehlen bzw. „Übersehen" dieser Grenzen (imperfektiver Aspekt) kann als grammatische Kategorie auftreten, sehr oft findet auch das Überschreiten dieser Grenzen einen aspektuellen Ausdruck. Diese dritte Aspektdimension kann in Prä- und Poststadialität unterteilt werden. Wenn die Situation zwischen einer Anfangs- [Gi] und einer Endgrenze [G2] „Stadium" [S] heißt, ist die Vorsituation ein „Prästadium" [PrS] und die Nachsituation ein „Poststadium" [PoS]. Da nicht alle Sachverhalte beidseitig begrenzt sind, kann man auch nicht erwarten, daß überall eine klare Trennung von Prä- und Poststadium besteht. Nach dem Interaktionsschema von BREU (1985, 1988) und SASSE (1991a, 1991b)1 kann man die fünf Aktionalklassen TSTA (total-stativ), ISTA (inzeptiv-stativ), AKTI (Aktivitäten), GTER (graduell-terminativ), TTER (total-terminativ) sowohl mit einem prästadialen Aspekt (PrA: „sich vor dem Stattfinden eines Sachverhalts befinden") als auch mit dem poststadialen (PoA: „sich nach dem Stattfinden eines Sachverhalts befinden") kreuzen. Ausgangsbasis der ngr. Prä- und Poststadialität ist der perfektive Aspekt: 2
AKTIONALKLASSE TSTA [—S—] ξέρω 'wissen' ISTA [Gi—S—] αγαπάω 'lieben'
AKTI [G,—S—(G2)] γράφω 'schreiben'
GTER [(Gi)—S—G2] πεθαίνω 'sterben'
TTER [G,^G2] βρίσκω 'finden'
1 2
3
4
AORIST (perfektives Präteritum) "(keine Anwendung) inzeptiv αγάπησε 'hat sich verliebt' delimitativ έγραψε 'hat geschrieben'
PrA3
PoA (PERFEKT) 4
"(keine Anwendung)
"(keine Anwendung)
prfiinzeptiv postinzeptiv πάει / κοντεύει / ετοιμάζεται έχει αγαπήσει να αγαπήσει 'hat sich verliebt und 'ist kurz davor, sich zu verlieben' liebt jetzt' prfiinzeptiv postdelimitativ πάει / κοντεύει / ετοιμάζεται έχει γράψει να γράψει 'hat (tatsächlich/ gerade) geschrieben' 'ist kurz davor, mit dem 'hat Schreiberfahrung' Schreiben anzufangen' präterminativ egressiv postterminativ πέθανε πάει / κοντεύει / ετοιμάζεται έχει πεθάνει 'ist gestorben' να πεθάνει 'ist (tatsächlich/eben) 'liegt im Sterben' gestorben' punktuell prfipunktuell postpunktuell βρήκε πάει / κοντεύει / ετοιμάζεται έχει βρεί 'hat gefunden' να βρεί 'hat (tatsächlich/eben) 'ist kurz davor zu finden' gefunden'
Aus Platzgründen kann hier keine detaillierte Darstellung dieses Modells geboten werden. Vorstellbar als Kategorien und nicht nur als Interaktionsergebnisse sind ebenfalls ein Prä- oder Postinzeptiv „sich vor oder nach der Anfangsgrenze einer Sachverhalt befinden" und ein Prä- oder Postterminativ „sich vor oder nach dem Endpunkt einer Sachverhalt befinden". Die Prästadialität hat im Ngr. periphrastischen Charakter. Die drei konkurrierenden Phasenverben πάει „geht", κοντεύει „nähert sich", ετοιμάζεται „bereitet sich vor" mit dem perfektiven Konjunktiv befinden sich auf dem Grammatikalisierungsweg (Expansion bei unbelebten und unvolitionalen Subjekten), ihre paradigmatische Integrität ist jedoch vorhanden und der Koaleszenzgrad noch niedrig. Das Perfekt soll als ein möglicher, aber nicht als einziger Ausdruck von Postterminalität verstanden werden.
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen (Neugriechisch)
161
Prä- und poststadiale Kategorien sind universal weniger stark grammatikalisiert. 5 Proximative 6 , intentionale Kategorien und manchmal das Futur gehören der prästadialen Aspektdimension an. 7 Das Perfekt und das Resultativ sind die bekanntesten Vertreter der Poststadialität. Sehr häufig ist in diesem Aspektbereich eine Kombination von Aspekt und Modus, gerade weil nicht der Sachverhalt an sich, sondern sein Vorstadium oder Nachzustand signalisiert wird. Diese Möglichkeit, vom Sachverhalt Abstand zu nehmen, nutzt der Sprecher, um ihn beispielsweise epistemisch zu kommentieren. Es ist also nicht verwunderlich, daß das Perfekt sich zum Inferentialis entwickeln kann. 8 Das Perfektbeispiel in der postdelimitativen Lesart έχει γράψει („hat tatsächlich geschrieben") ist leichter als faktisch/ assertiv oder emphatisch zu interpretieren als etwa das postterminative έχει πεθάνει („ist gestorben"), denn im zweiten Fall liegt ein Resultat als irreversibler Zustand vor. Unter besonderen Kontextbedingungen kann letzteres auch faktisch/assertiv verstanden werden, wenn etwa das Ereignis unerwartet stattgefunden hat. Die Poststadialität korreliert am besten mit den terminativen Aktionalklassen. Auf dem Grammatikalisierungsweg (d.h. Expansion auf die aterminativen Aktionalklassen) verliert sie ihre Resultativität bis hin zum Evidentialis. 9 Während das Resultativ in seinem Anwendungsgebiet ziemlich begrenzt ist (das deutsche Resultativ ist nur bei den terminativen Verben anzutreffen, das griechische erfaßt auch die ISTA-Verben 10 ), kann man als Perfekt die Kategorie bezeichnen, die die AKTI erfaßt hat. Der P o A der ISTA (gleich ob Resultativ [RES] oder Perfekt [PRF]) ergibt fast gleiche Interpretation wie der imperfektive Aspekt (Präsens [PRS]). Der Unterschied liegt in der Perspektive, aus der die Situation betrachtet wird: einmal in ihrem Bestehen (statal) und einmal in ihrem Entstehen (postinzeptiv). Da diese Aktionalklasse nur eine inhärente Linksgrenze besitzt, kann sogar der Gebrauch des perfektiven Aspekts (inzeptive Deutung des Aorists [AOR]) Statalität implizieren, so daß der perfektive, der imperfektive, der perfektische oder der resultative Aspekt im Neugriechischen synonym erscheinen. Auf die Frage „warum benimmt er/sie sich so?" können folgende vier Formen gleichermaßen als Antwort dienen: (1) (2) (3) (4)
φοβάται φοβήθηκε έχει φοβηθεί είναι φοβισμένος /-η
3sg. PRS 3sg. AOR 3sg. PRF 3sg. RES
'er/sie 'er/sie 'er/sie 'er/sie
hat Angst' bekam Angst' hat Angst bekommen' ist verängstigt'
Der PrA der GTER ist auf der anderen Seite deckungsgleich mit dem imperfektiven Aspekt (s. Tabelle). Der Sprecher fokussiert durch das Präsens das Prästadium der inhärenten Rechts-
5
V g l . z . B . BYBEE/ DAHL ( 1 9 8 9 ) ü b e r d a s P e r f e k t .
6
S. d a z u KÖNIG (1991:101FF.).
7
Vgl. BYBEE et al. (1994:Kap. 5, 7, besonders 7.2, 7.3). Vgl. dazu JOHANSON (1971:288) über das türkeitürkische Perfekt und den Evidentialis, WALTER (1987:359) über den bulgarischen Renarrativ, LELUDA-VOB (1997:176-177) über die Faktivität des ngr. Perfekts.
8
9
Vgl. BREU (1988) über die Grammatikalisierung des Perfekts aus dem Resultativ, s. außerdem BYBEE et al. (1994:Kap. 3).
10
V g l . h i e r z u a u s f ü h r l i c h LITVINOV/ NEDJALKOV (1988), LELUDA-VOB ( 1 9 9 7 : 1 1 9 - 1 4 3 ) .
162
CA. Leluda-Voß
grenze, es entsteht Prospektivität. Durch den PrA ist das Prästadium prospektiv zur Rechtsgrenze dargestellt, dadurch entsteht Modalität. Πεθαίνει [PRS] 'er stirbt' erscheint irreversibler als κοντεύει να πεθάνει [PrA] 'er nähert sich dem Tode', was zu θα πεθάνει [FUT] 'er wird sterben' synonym ist. Die grammatisch fokussierte Phase des Sachverhalts ist das Stadium vor der Rechtsgrenze, aber eine relativ größere Distanz zu ihr wird durch den Tentativaspekt und noch mehr durch das Futur angezeigt. Die Poststadialität hat ein pragmatisch-ontologisches Gewicht, wenn transformative Sachverhalte stattfinden. Der poststadiale Aspekt eines solchen Sachverhalts wird meist resultativ verstanden. Dieses kausale Verhältnis zwischen Handlung und Poststadium kann man in zwei Richtungen verfolgen: a) das Stattfinden der Handlung impliziert das resultative Poststadium (perfektiver Aspekt mit egressiver oder resultativer Deutung), b) die Darstellung des resultative Poststadiums impliziert den Sachverhalt (PoA: postterminativ). In solchen Fällen kann der perfektive Aspekt den poststadialen ersetzen und umgekehrt. Der typische PoA dieser Klasse (Resultativ) ist eine Kopulakonstruktion mit dem Partizip Passiv (Verbaladjektiv), ein Prädikat zu einem Subjekt, welches semantisch ein Patiens ist. Diachron betrachtet kann dieser PoA zum Perfektiv werden, und zwar wenn er die Handlungsbegrenzung nicht mehr impliziert, sondern direkt anzeigt. 11 Wenn das morphologische Resultativ bei den AKTI-Verben anzutreffen ist, wo das Poststadium keine pragmatische Substanz hat, ist man berechtigt, den Namen des Grammems zu ändern und es Perfekt zu nennen, solange das Poststadium direkt angezeigt und nicht - wie durch ein Perfektiv - impliziert wird. 12 Als nächste Grammatikalisierungsstufe des Grammems ist der Verlust der Poststadialität zu werten, der sich dadurch bemerkbar macht, daß temporale Restriktionen - sehr üblich im Perfekt - wegfallen. Das Perfekt verliert seine Gegenwartsreferenz und wird entweder zu Perfektiv oder Präteritum. 13 Selbstverständlich hat jede Sprache ihre ganz individuelle Aktionalität, so daß auch bei vergleichbaren Aspektkategorien die Interaktionen verschiedene Ergebnisse haben, welche wiederum das Aspektsystem beeinflussen. So muß jedes Aspektgrammem in der einzelnen Sprache beschrieben werden, da auch die Aktionalklassen sich manchmal sehr wesentlich von Sprache zu Sprache unterscheiden. Sprachen mit ausgeprägtem Aktionsartensystem können mit einem reduzierten Aspektsystem zurechtkommen, eventuell sogar auf die grammatische Kategorie Aspekt verzichten; andererseits haben Sprachen mit unterdifferenzierter Aktionalität einen hohen Bedarf an Aspekten, um die fehlenden Möglichkeiten im Lexikon grammatisch auszugleichen. 14 11
V g l . h i e r z u BYBEE e t al. ( 1 9 9 4 : 6 8 - 9 9 ) .
12
Vgl. hierzu BYBEE et al. (1994:61-63). Das Perfekt wird in dieser Arbeit als „anterior" glossiert.
13
V g l . h i e r z u h i e r z u BYBEE / DAHL ( 1 9 8 9 ) , BYBEE et al. ( 1 9 9 4 : 8 1 - 8 7 ) u n d BREU ( 1 9 8 8 ) .
14
Vgl. hierzu LONGINO (1991:149-167) und SASSE (1991b) über Samoanisch als Sprache mit Unterdifferenzierungen auf lexikalischer Ebene daftir aber mit einem reichen Aspektsystem.
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen (Neugriechisch)
163
Unsere theoretischen Überlegungen über die Poststadialität erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern sie sind eine Ausgangsbasis für die Beschreibung des ngr. Perfekts und Resultativs mit ihren Besonderheiten und „Regelmäßigkeiten" im Vergleich zu anderen Perfektsprachen. Nach dem Persistenzprinzip von HOPPER (1991:22,28) läßt die Grammatikalisierung einer Kategorie Spuren zurück, die ihr idiosynkratisches
Verhalten
eventuell erklären, besonders wenn der Ausgang der Kategorie - im Vergleich zu anderen Sprachen mit „prototypischen Quellen" - ungewöhnlich ist. Die Grammatikalisierung des ngr. Perfekts muß aus diesem Grund berücksichtigt werden, da sonst seine Eigenarten nicht befriedigend erklärt werden können.
1.2. Die Perfektentstehung im Neugriechischen Das ngr. Perfekt wird bis heute aus einer Potentialis- oder Konditionalisform abgeleitet. Diese Erklärung basiert auf den Überlegungen von HATZIDAKIS (1900:1088), der versucht hat, die Verbindung έχω 'haben' + perfektiver Infinitiv, die im Mittelgriechischen (mindestens bis zum 12. Jh.) ein perfektives Potentialis-Futur war, mit dem ngr. Perfekt zu verbinden. Das seit dem Altgriechischen bis zur heutigen Zeit unverändert gebrauchte Resultativ ('haben' + Partizip Passiv mit Objektkongruenz, 'sein' + Partizip Passiv mit Subjektkongruenz) hat sich als eigenständige morphologische Kategorie neben dem Perfekt behauptet, was besonders in den romanischen und germanischen Sprachen nicht immer der Fall war. 1 5 Die Brücke zwischen dem Potentialis und dem Perfekt soll das Plusquamperfekt gebildet haben, und zwar im konditionalen Szenario: (5)
(6)
είχον ίδείν
'ich konnte sehen' im Indikativ 'ich hatte sehen können' / 'ich hätte gesehen' in Konditionalsätzen >
είχα δει
'ich hatte gesehen'
είχον δέ καΐ τάς ήμών ναΰς καΰσαι οίβάρβαροι, εΐμή ννξ έπήλθε (Malalas 128,5) „hätten sogar auch die unseren Schiffe verbrannt die Batbaren, wenn nicht Nacht kam" 'die Barbaren hätten auch unsere Schiffe verbrannt, wenn die Nacht nicht gekommen wäre'
Mit dem Wegfall der Modalität habe der präteritale Potentialis (Konditonalis) der Vergangenheit zum Plusquamperfekt umfunktioniert werden können. Analog dazu sei das Perfekt aus der Form des präsentischen Potentialis entstanden. HATZIDAKIS nahm an, daß das neue Perfekt erst im 17. Jh. auftaucht - wenn dies so wäre, dann käme auch schwer eine andere Erklärung in Betracht. Das neue Perfekt kommt aber schon im 13. Jh. vor (in Chroniken Machairas).
tou Moreos
und
AERTS (1965:178) hat dies entdeckt, ohne jedoch an HATZIDAKIS' Theorie zu
rütteln. 15
Das Neuhochdeutsche gebraucht beispielsweise die Struktur jysein + Partizip Perfekt" sowohl als Zustandspassiv (resultativ) als auch präterital (als Perfektform von translativen Motionsverben)
164
Ch. Leluda-Voß
Diese Erklärung hat folgende Problemstellen: a) Angenommen, das neue Perfekt wäre erst im 17. Jh. entstanden, dann existiert zwischen dem 12.-14. Jh. (Verlust der aktiven Partizipien, die zusammen mit dem Auxiliar 'haben' als Perfektersatz 16 im Aktiv angewandt wurden) und dem 17. Jh. keine Perfektkategorie im Griechischen. Wie erklärt sich dann der hohe Grammatikalisierungsgrad des neuen Perfekts, der von Anfang an die Möglichkeit besaß, von allen Verben mit Perfektivstamm gebildet zu werden, und zwar in beiden Diathesen? b) Es ist typologisch nicht zu erwarten, daß aus einem Potentialis oder im Konditionalsatz Konditionalis ein Plusquamperfekt und dann ein Perfekt entsteht. c) Warum ist nur die perfektive Form des Potentialis zum Perfekt umfunktioniert worden? Ein imperfektives Perfekt wäre fur das System eventuell hilfreich gewesen. 17 d) Woher kommt das Element der aktuellen Relevanz (Poststadialität) im Perfekt, wenn das Perfekt modaler Herkunft ist und der Potentialis bei allen Aktionalklassen anzutreffen war, so daß man nicht bei den terminativen Verben, die in perfektiver Form resultativ gedeutet werden, ansetzen kann und die Poststadialität als „Resultativierung" erklärt? e) Die Annahme (später von BROWNING (1969:35) übernommen), daß die Vorzeitigkeit des Folgesatzes (Apodosis im Konditionalis) zum Bedingungssatz (Hypothesis) die Entstehung eines Plusquamperfekts aus dem Konditionalis durch Reanalyse motiviert hat (s. Bsp. 6), ist nicht plausibel, denn es ist die Bedingung, die vorzeitig zur Folge stattfindet und nicht umgekehrt. Würde die konditionale Erklärung trotzdem stimmen, bleibt wieder die Frage offen, warum der imperfektive präteritale Potentialis nicht zu einem imperfektiven Plusquamperfekt etwa mit der Bedeutung „Habitualität eines Sachverhalts in der Vergangenheit vor einem ebenfalls vergangenen Referenzpunkt" - geführt hat. f) Nach der Konditionaltheorie soll das Perfekt „gelehrten" Ursprungs sein. Daß dies nicht stimmt, beweisen uns die ersten Belege, nämlich in Texten, die durch ihren umgangssprachlichen Stil als der Anfang der neugriechischen Schriftsprache gelten. Unserer Überzeugung nach ist die Perfektentwicklung viel komplizierter. Die Grammatikalisierung besitzt einen derart systematischen Charakter, daß mehrere Bedingungen mitgewirkt haben müssen. Ausschlaggebend war die Substitution des Potentialis-Futur durch das volitive θέλω 'ich will' + Infinitiv sowie der Verlust der Aktivpartizipien im 12.-14. Jh., woraus das mittelgriechische aktive Perfekt mit Hilfe des „possessiven" Auxiliars gebildet wurde. Dadurch wird έχω + Infinitiv funktional entlastet, d.h. es wird meist präterital als Konditionalis angewandt. Andererseits verschwinden die Fügungen 'haben / sein' + aktives Partizip, so daß das sog. aktive mittelgriechische Perfekt von transitiven (mit 'haben') oder intransitiven Verben (mit 'sein') zwar seine Ausdrucksmittel verliert, jedoch als Vorbild für das neue Perfekt gewirkt haben kann.
16 17
Das altgriechische Perfekt wurde obsolet, da seine Funktionen der Aorist übernahm. Vgl. hierzu das imperfektive Perfekt des Bulgarischen und die Progressivformen des englischen Perfekts mit besonderen Funktionen. Siehe dazu auch Beispiel (9).
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen
(7)
ουκ έχω / εϊχον η ειπείν ουκ έχω / είχον τι ειπών
(Neugriechisch)
165
'ich kann/konnte nichts sagen' (perfektiver Potentialis) 'ich habe/hatte nichts gesagt' (Perfekt / Plusquamperfekt) U
ovK έχω / είχον τι ειπείν
'ich habe/hatte nichts gesagt' (Perfekt / Plusquamperfekt)
Der formale Unterschied zwischen beiden Fügungen ist auch minimal: είχε ειπείν - είχε ειπών (aktive perfektive infinite Formen). Darüber hinaus geschah diese Substitution oder Konflation zu dem Zeitpunkt, als das Partizipialsystem zusammenbrach. Das Malalas-Beispiel (6) ist
vielleicht ein Beleg mit zweideutiger Interpretation: εϊχον δέ καΐ τας ήμών ναΰς καΰσαι bedeutet 'sie konnten unsere Schiffe verbrennen' aber auch 'sie hatten unsere Schiffe verbrannt', denn im Konditionalszenario müssen Bedingung und Folge nicht gleichermaßen modal markiert sein. Diese Aufgabe kann die Konjunktion übernehmen: 'wenn die Nacht nicht [modale Negation] kam [Aorist], hatten/konnten die Barbaren auch unsere Schiffe verbrannt/verbrennen.' Es findet eine Reanalyse dadurch statt, daß die Konditionalität nicht der modalen Infinitivkonstruktion, sondern der Konjunktion zugeschrieben wird. Daß jedoch diese Konditionalform als Pluspuamperfekt uminterpretiert wurde, liegt am mittelgriechischen Partizipialperfekt mit 'haben'. Diese Beschreibung erklärt einerseits, warum die Teilung des mittelgriechischen Perfekts in transitive und intransitive Verben nicht eingehalten wurde, und andererseits, warum die Aspektopposition des Potentialis keinen Eingang in das neue Perfekt findet. Die Entwicklungsgeschichte des ngr. Perfekts ist deshalb so wichtig, weil diese Kategorie unabhängig von den verbalen Aktionalklassen ihre Funktion erlangt, nämlich eine besondere Art des poststadialen Ausdrucks, die man als „emphatisch", „assertiv" oder „faktisch" bezeichnen kann. Das ngr. Resultativ ist dagegen an die verbalen Aktionalklassen gebunden, erfahrt also keine weitgehende Grammatikalisierung und befindet sich zwischen Aspekt und Aktionsart. In vielen ngr. Grammatiken wird es als Passiversatz beschrieben (so bei γράφω in der folgenden Tabelle), was nur für das Objektresultativ und das Subjektresultativ von deponentialen Verben (s.u. ερωτεύομαι) gültig ist; sowohl das possessive (haben-) Resultativ von γράφω) noch das Subjektresultativ von labilen Verben 18 (s.u. χαλάω) werden überhaupt nicht behandelt. Dies liegt wiederum am nichtparadigmatischen Status dieser Kategorie.
18
Als „labil" bezeichnet man in der Kaukasistik die Verben von Ergativsprachen, die sowohl transitiv als auch intransitiv und patiensorientiert erscheinen, vgl. GADZIEV (1954:100). Der Terminus kann auch auf Verben in Nominativsprachen angewendet werden, die entweder transitiv und agiensorientiert oder intransitiv und patiensorientiert auftreten, z.B. englisch break, boil, burn oder deutsch zerbrechen. Zur „Valenzlabilität" tritt eine „Orientiemngslabilität" hinzu.
166 AKTTV: γράφω 'ich schreibe'
MEDIOPASSIV:19 γράφομαι 'ich werde geschrieben', 'ich schreibe mich ein'
Ch. Leluda-Voß έχω γραμμένο 'ich habe es (als) geschrieben (Neutrum)' [possessives Objektresultativ] έχω γραφ(τ)εί 'ich wurde (eben/ είμαι γραμμένος 'ich bin tatsächlich) geschrieben', geschrieben (Mask.)', 'ich habe mich (eben/ tatsächlich) 'ich bin eingeschrieben (Mask.)' eingeschrieben' [Objektresultativ] έχω γράψει 'ich habe (eben/ tatsächlich) geschrieben'
AKTIV: πεινάω 'ich habe Hunger'
έχω πεινάσει 'ich habe Hunger bekommen'
είμαι πεινασμένος 'ich bin hungrig (Mask.)' [Subjektresultativ]
MEDIOPASSIV: ερωτεύομαι 'ich verliebe mich'
εχω ερωτευτεί 'ich habe mich verliebt'
είμαι ερωτευμένος 'ich bin verliebt' [Subjektresultativ]
AKTIV: χαλάω (labil) intr. 'ich werde schlecht / gehe kaputt'
έχω χαλάσει intr. 'ich bin (eben/ tatsächlich) schlecht geworden / kaputt gegangen' tr. 'ich habe (eben/ tatsächlich) etwas schlecht / kaputt gemacht'
είμαι χαλασμένος intr. 'ich bin schlecht/ kaputt (Mask.)' [Subjektresultativ] έχω χαλασμένο 'ich habe es (als) beschädigt (Neutrum)' [possessives Objektresultativ]
tr. 'ich mache etwas schlecht/ kaputt'
Man könnte verallgemeinernd sagen, daß sich im Bereich der Terminativität sowohl das Perfekt als auch das Resultativ in ihrer Interpretation wenig voneinander unterscheiden. In den aterminativen Klassen wird der Unterschied klarer und betrifft das aktuelle Gewicht des mindestens zum Teil vergangenen Sachverhalts, da beide Kategorien absolut deiktisch gebraucht werden, d.h. sie weisen direkt auf den Sprechzeitpunkt hin, der mit dem Referenzpunkt zusammenfallt.
1.3. Aktualität, Inaktualität und Aktualisierung eines Sachverhalts „Aktuell" ist eine Handlung in einem bestimmten Moment (Referenzpunkt RZP), allgemeine Aktualität gibt es nicht. Bei transtemporalen Verhältnissen (universelle und generische Sachverhalte) ist die semantische Opposition „aktuell : inaktuell" nicht anwendbar. TSTA-Verben haben nur eine Imperfektivform mit einer universellen oder allgemeingültigen Deutung, oder sie besitzen keine Aspektmarkierung. Erst wenn auf der Zeitlinie eine Situationsveränderung stattfindet, ergibt diese Opposition einen Sinn. 19
Die Kategorie „Mediopassiv" des Neugriechischen hat u.a. passivische und „reflexive" Funktion.
Poststadiale
Aspekte
und Aktionalklassen
(Neugriechisch)
167
Der Begriff der Inaktualität wurde besonders für die iterativen und habituellen Lesarten des imperfektiven Aspekts entwickelt. Auf keinen Fall muß die Inaktualität unbedingt Zeitstellenlosigkeit bedeuten. 20 Wiederholungen in der Vergangenheit sind durch das Imperfekt temporal lokalisiert und haben einen Zeitstellenwert, der unberücksichtigt bleibt. Wenn das Präsens eine habituelle Lesart hat, dann ist die Inaktualität stärker, weil es sich nicht nur um realisierte Sachverhalte handelt, sondern auch um die Fähigkeit oder Möglichkeit der Realisierung dieser Sachverhalte in der Zukunft. Nicht realisierte Sachverhalte (auch modale) sind inaktuell, aktuell kann dagegen die Möglichkeit des Ausfuhrens sein. Der aktuelle Sachverhalt hat meist den Sprechzeitpunkt [SZP] als RZP. Ein aktueller Sachverhalt ist imperfektiv, weil sonst das Inzidenzschema nicht eingehalten würde, d.h. der Sachverhalt inkludiert den SZP bzw. den RZP, oder der SZP bzw. der RZP „fällt" in den Sachverhalt „hinein". Es gibt Sprachen, die hierfür ein besonderes Grammem haben: den Progressiv. In der ISTA-Klasse hat das Präsens oder das Imperfekt selten eine habituelle Lesart, da erst das Ende eines Sachverhalts eine Wiederholung erlaubt; oder es handelt sich um Zustände, die mehrere Partizipanten charakterisieren. 21 Die aktuelle Darstellung eines Sachverhalts setzt also voraus, daß das Verb mindestens eine Anfangsgrenze besitzt; im ISTA-Fall ist eine statale Lesart gleichzeitig eine aktuelle. Je wahrscheinlicher eine Rechtsbegrenzung ist, desto „aktueller" erscheint der Sachverhalt: Die prozessuale Veränderung spiegelt den „wahren" Charakter der Aktualität wider, d.h. die AKTI- und die GTER-Verben sind der eigentliche Bereich der Opposition „aktuell : inaktuell". Die TTER mit einer total-dynamischen Aktionsart können nicht aktuell sein. Der imperfektive Aspekt dieser Klasse hat imminente oder habituelle Deutungen, der perfektive eine transgressive 22 oder punktuelle Interpretation, keine davon ist aktuell. Das perfektive indikative Verb signalisiert einen realisierten Sachverhalt mit Zeitstellenwert. Den Begriff der Inaktualität könnte man erweitert auch bei den TSTA gebrauchen, um modale oder negative Zustände als „zeitstellenlos" zu kommentieren - dann wäre allerdings der vorhandene Zustand als „zeitstellig" „aktuell" (!). Während zeitstellige Sachverhalte aktuell oder inaktuell sind, sind die zeitstellenlosen immer inaktuell. Um Mißverständnissen vorzubeugen, wäre es angebracht, besonders bei Inaktualität zwischen Zeitstellenlosigkeit, NichtLokalisierbarkeit und Habitualität respektive Iterativität (zeitstellig) zu unterscheiden. „Aktualisiert" wird ein Sachverhalt dargestellt, wenn er im RZP nicht aktuell ist, außer es handelt sich um einen Zustand mit kognitiv erfaßbarem Anfang. Wieder ist ein Referenzpunkt erforderlich. „Aktualisierung" des Sachverhalts bedeutet Gültigkeit des Sachverhalts im RZP durch sein Poststadium, oder Verbindung des Sachverhalts mit dem RZP (hauptsächlich die Sprechzeit). Der aktualisierte Sachverhalt erscheint perfektiv oder vorzeitig zu diesem RZP. Im
20 21
Zum Begriff des „Zeitstellenwerts" (zeitstellig, zeitstellenlos) vgl. KOSCHMIEDER (1960). Ein Zustandsverb wie αγαπώ 'lieben' ist meist aktuell zu verstehen, wenn es im imperfektiven Aspekt vorkommt. Habituell wäre die imperfektive Form, wenn man dadurch einen Satz mit einem Pluralobjekt (nicht referentiell) bilden würde: αγαπάει τα παιδιά 'er/sie liebt (normalerweise) Kinder'.
22
Zur „transgressiven" Lesart des perfektiven Aspekts bei TTER-Verben vgl. SASSE (1991a: 13).
168
CA. Leluda-Voß
SZP kann also ein perfektiver oder vergangener Sachverhalt als Anfang oder Ursache des Poststadiums angesehen werden. Die Aktualisierungskategorie besteht meist aus einem Lexem, das den Sachverhalt repräsentiert (oft perfektiv), und aus einem Auxiliar situativen Charakters oder einem Marker, der die deiktische Achse oder die Sprecherperspektive explizit macht (vgl. BYBEE et al.
1994:64-65).
Das Resultativ ist eine solche Aktualisierungskategorie: Ein Sachverhalt wird durch sein Resultat (am Patiens oder Experiencer erkennbar) mit dem RZP verbunden. Wegen der inaktiven Orientierung des nicht possessiven Resultativs (sew-Resultativ) bleibt der Sachverhalt eher im Hintergrund, während die Nachsituation (das Resultat) „aktuell" ist (Kompatibilität des Resultativs mit Durativadverbien). Das Perfekt als Aktualisierungskategorie signalisiert das im Sprechzeitpunkt aktuelle Poststadium eines Sachverhalts. Diese wird dadurch „vergegenwärtigt", so daß Zeitangaben der Vergangenheit ungrammatisch sind.23 Im Gegensatz zum Resultativ ist das Perfekt nicht rein situativ, d.h. es ist oft inkompatibel mit Durativadverbien, besonders in den aterminativen Aktionalklassen (8)
*έχω γράψει συνέχεια γράμματα 'ich habe immer/ständig Briefe geschrieben'
Eine interessante Kombination der Handlungsaktualisierung (Perfekt) und der Handlungsaktualität (Progressiv) bietet das Englische: Die aktuelle Handlungssituation bekommt durch die zusätzliche Aktualisierung eine betont kontinuative Lesart mit implizierter Hervorhebung der Anfangsgrenze: (9)
I have been reading 'ich lese schon' / 'ich habe schon eher angefangen zu lesen'
Manche Sprachen wie das Spanische erlauben keine Perfektanwendung in der ISTA-Klasse, andere wieder wie das Neugriechische besitzen diese Möglichkeit; hierdurch wird ein noch im Sprechzeitpunkt gültiger Zustand „aktualisiert", dies kann je nach Sprache verschiedene Effekte haben (betonte Inzeptivität, Admirativität, emphatische Deutungen). Die Aktualisierung des Sachverhalts durch das Perfekt muß keinen pragmatischen Inhalt haben, im besten Fall liegt der Sachverhalt in der unmittelbaren Vergangenheit und das Verb ist terminativ: Das Poststadium wird resultativ verstanden. So wird auch der Weg zur Modalität frei: Die aktuelle Situation zum Sprechzeitpunkt ist die Nachsituation eines Sachverhalts, die entweder als wahrnehmbares Resultat vorliegt und somit indikativisch gedeutet wird, oder aber für die Kommu23
Dieses Perfektcharakteristikum hat z.B. PICKBOURN (1968) veranlaßt, das englische Perfekt als „indefinite tense" zu definieren (s. dazu MCCOARD 1978:40). Das Ngr. verhält sich ähnlich: *χθες έχω φάει 'gestern habe ich gegessen'. Auch die zeitliche Präzisierung durch andere Temporaladveibien, die die Sprechzeit inkludieren, wird gemieden. Die deiktische Funktion des Perfekts braucht keine weitere temporale Spezifizierung, es sei denn, man möchte die zeitliche Distanz des Sachverhalts zum SZP angeben. Das deutsche Perfekt ist in dieser Hinsicht untypisch und darf eher aus historischen Gründen Perfekt heißen, denn seine Kompatibilität mit Vergangenheitsadverbialien bezeugt den Wandel der Kategorie in Richtung Präteritum.
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen (Neugriechisch)
169
nikationsteilnehmer nicht wahrnehmbar ist, so daß die Sprechereinstellung (epistemische Modalität) zu dieser Handlung den Aktualisierungsinhalt (Inferentialität) ausmacht. Im Türkischen ist diese Entwicklung gut belegt; vgl. JOHANSON ( 1 9 7 1 : 2 8 8 ) . Eine zentrale Rolle im ngr. Perfekt spielt die perfektive Kodierung des Sachverhalts, so daß der Verlauf zwischen dargestellter Situationsveränderung und SZP als aktuell erscheint. Alle dynamischen Verben können also ein Perfekt bilden. Wenn kein Resultat vorliegt, hat das Perfekt eine faktische, affirmative oder emphatische Lesart, die den Sprecher in den Vordergrund bringt und somit einen Übergang zwischen Indikativität und epistemischer Modalität der Handlung aufweist. Die Realisierung der Handlung wird im Ngr. nicht in Frage gestellt.
2. Interaktion zwischen Perfekt und Aktionalklassen im Neugriechischen Die Aktionalklassen nach dem Modell von BREU und SASSE eignen sich besonders für die Beschreibung des ngr. Stammaspekts (die Opposition perfektiv : imperfektiv zeigt sich im Griechischen durch zwei unterschiedliche Stämme). Wir können diese Klassen auch mit dem Perfekt kreuzen und die Deutungen beschreiben. Die Perfektfunktion isoliert man durch den Vergleich der Lesarten miteinander. Die Austauschbarkeit des Resultativs, die Kompatibilität mit Durativadverbien oder Zeitbestimmungen und das Partizipantenschema spielen eine wegweisende Rolle in der Beschreibung der Lesarten und können zu einer Unterklassifizierung der dynamischen Aktionalklassen fuhren; d.h. die Aktionalklassen, die für den ngr. Aorist und das Imperfekt ausreichend erscheinen, können für eine andere Kategorie erweitert oder beschränkt werden, ohne daß man an den Prinzipien des Modells rütteln muß. Man kann die Interaktionen zwischen den Aktionalklassen und dem perfektiven Aspekt um das Merkmal „aktuell" (für das Poststadium nach der Situationsveränderung: SV-NS) erweitern, und schon hat man eine grobe Darstellung der Perfektinteraktionen: AKTIONALKLASSE
PERFEKTDEUTUNG
POSTSTADIUM
ISTA [Gl—S—]
inzeptiv-aktuell
PoS nach Gl » S
AKTI [Gl—S—(G2)]
delimitativ-aktuell
PoS nach G2 * Resultat
GTER [(Gl)—S—G2]
egressiv-aktuell
PoS nach G2 » Resultat
TTER [Gl = G 2 ]
transgressiv-aktuell
PoS n a c h G » / * Resultat
Als einzige dynamische Klasse des Ngr. bilden die AKTI kein je/n-Resultativ. Es ist evident, daß beim Fehlen eines Resultats auch kein Resultativ anwendbar ist - welche ist dann in diesem Fall die poststadiale Bedeutung des Perfekts? M E. ist sie eine emphatische oder faktische. Würde man das Perfekt beschreiben, ohne das Resultativ einzubeziehen, würden die feinen Unterschiede des poststadialen Ausdrucks verlorengehen; gerade dies darf nicht passieren, wenn wir für eine Sprache nicht nur das Aspektsystem, sondern auch die Aktionalität der Ver-
CH. Leluda-Voß
170
ben untersuchen: Die Aktionsart der Verben wird auch durch ihr Aspektverhalten ermittelt; 24 so sind beispielsweise die TSTA des Ngr. Imperfektiva tantum, die zeitstelligen TTER Perfektiva tantum. Wenn man also für den perfektiven und imperfektiven Aspekt (und ihre Unterkategorien) fünf Grundklassen ausgemacht hat, ist zu erwarten, daß die Einbeziehung von mehreren Kategorien die Klassifizierung verändern kann. Während der perfektive und imperfektive Aspekt den Kernbereich eines Sachverhalts signalisieren, bewegt man sich beim Perfekt- und Resultativgebrauch in seiner Peripherie. Andere kategorielle Eigenschaften des Verbs wie Diathese, Transitivität bis hin zur Modalität müssen daher je nach Perfektanwendung mitberücksichtigt werden. Im Neugriechischen haben wir aus diesem Grund eine Subklassifizierung nach dem Partizipantenschema des Verbs vorgenommen, da die Partizipantenstruktur eines Verbs eng an seine Aktionalität gekoppelt ist. Diese Erweiterung spricht nicht gegen das anfängliche Modell, sondern könnte einen Schritt in die Richtung „analytische oder faktorielle Betrachtung des prädikativen Ausdrucks" gehen.
2.1. Das ISTA-Perfekt Diese Interaktion wurde „inzeptiv-aktuell" genannt. Mit den Durativadverbien ist das Perfekt nicht immer kompatibel, sie sprechen für eine statale Lesart des Perfekts in dieser Klasse. Meist wird jedoch jede Zeitangabe vermieden, da es nicht um die Handlung an sich geht, sondern um ihre aktuelle Folgezeit. Um die andauernde Situation darzustellen, gebraucht man im Ngr. eher das Präsens; wenn stattdessen das Perfekt auftaucht, wird die Phase des Situationseintritts aktualisiert, der Gesamteindruck ist der eines tatsächlich stattgefündenen Zustands (faktische Interpretation). Der emphatische Charakter der Interpretation wird evidenter bei einer Gegenüberstellung des Perfekts mit dem Resultativ (12): (10)
νέφος έχει σκεπάσει εδώ και δέκα χρόνια την Α θή να (PRF Aktiv) 'Smog überdeckt Athen seit zehn Jahren'
(11)
η Αθήνα έχει σκεπαστεί από το νέφος εδώ και δέκα χρόνια
(PRF Mediopassiv)
'Athen wird seit zehn Jahren vom Smog überdeckt'
Auch wenn diese Aussage zirkulär erscheint, gibt es Verbalklassen, die die Aspektoppositionen nicht erlauben oder neutralisieren. Außerdem gibt es Kategorien, die einen Status zwischen Derivation und Flexion besitzen (wie das Resultativ), und mit deren Hilfe die Tests für die Aktionalklassen erstellt werden (Phasenverben, die sich oft in periphrastische Aspektgrammeme giammatikalisieren). Sie zeigen durch ihre pragmatisch-kontextuelle Äquivalenz (paradigmatische Beziehungen) zu stärker grammatikalisierten Aspektgrammemen, daß sie die Aktionalität nicht nur auf lexikalischer, sondern auch auf grammatischer Ebene beeinflussen. Somit sollte die Aktionalität dreidimensional dargestellt werden: lexikalisch-derivationell-flexionell, ohne daß alle drei Dimensionen einzelspachlich realisiert werden müssen. Die deutsche Aktionalität ist eine zweidimensionale lexikalisch-derivationelle mit Aspekttendenzen wie etwa die rheinische Konstruktion ,jsein + am + Infinitiv" mit Progressivfunktion. Die zwei Dimensionen des Lexikons und der Derivation werden zusammengefaßt als Aktionsartklassen. Dies ist jedoch nur eine für den Anfang notwendige Reduktion zur Isolierung des stark grammatikalisierten Aspekts.
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen (12)
171
(Neugriechisch)
η Αθήνα είναι σκεπασμένη από το νέφος εδώ και δέκα χρόνια
(Objektresultativ)
'Athen ist seit zehn Jahren vom Smog überdeckt' (13)
μας έχει σκεπάσει το νέφος εδώ και δέκα χρόνια (PRF Aktiv + vorangestelltes Objekt) 'der Smog überdeckt uns seit zehn Jahren'
(14)
μας έχει σκεπασμένους το νέφος εδώ και δέκα χρόνια (possessives
Objektresultativ)
'der Smog hält uns seit zehn Jahren überdeckt' Das verbreitetste Zeitadverbiale in Perfektsätzen ist εδώ και + Zeitangabe ('seit') oder από τότε που + Verb ('seitdem'), welches einen Anfang und eine Erstreckung bis zum Sprechzeitpunkt signalisiert; auch der imperfektive Aspekt bei den aterminativen Verben, der perfektive bei den terminativen und das Resultativ sind mit diesem Adverbial kombinierbar. Die deutsche Übersetzung der ngr. Beispiele erlaubt nicht die Anwendung des Perfekts, sondern des Präsens wegen der expliziten Anzeige der Sprechzeit. Mit Hilfe unserer Beispiele können wir für das transitive ISTA-Verb im Perfekt drei Äquivalenzmöglichkeiten des Resultativs feststellen: a) das Objektresultativ (12) entspricht dem mediopassivischen Perfekt (11) b) das possessive Objektresultativ (14) ist ein Äquivalent für das aktive Perfekt mit topikalisiertem Objekt 'uns* (13) c) das transitive ISTA-Verb im Perfekt (10) hat keinen Resultativersatz, oder das Resultativ wäre in diesem Fall nicht ganz grammatisch.25 Alle unsere ISTA-Beispiele haben als funktionales Synonym das Präsens und sekundär auch den Aorist (implizite Angabe des Zustands). Sehr viele ISTA-Verben sind intransitiv. Ihre grammatische Intransitivität hat einen kognitiven Hintergrund, der durch die Stativität der Sachverhalte zu erklären ist. Das semantische Agens-Patiens-Schema ist mit Aktivitäten verbunden; relativ homogene Zustände, die ohne Ende konzeptualisiert werden, können nicht semantisch transitiv sein. Ein binäres Partizipantenschema in dieser Klasse weist einen niedrigen „Effektivitätsgrad" auf (s. TSUNODA 1981). Neben den vielen intransitiven Verben der ISTA-Klasse gibt es im Ngr. auch viele Deponentien, die Wahrnehmungen und Gefühle signalisieren; ihr medialer Ausdruck ist noch ein Beweis der niedrigen Effektivität dieser Klasse. Das Subjekt der intransitiven ISTA-Verben ist ein Experiencer (Akkusativkodierung des Stimulus möglich: optional transitiv26). (15) έχω πεινάσει (PRF)
'ich habe schon Hunger bekommen'
(16) είμαι πεινασμένος(Subjektresultativ)
'ich bin hungrig (mask.)'
25
26
Es scheint, daß das Resultativ definite Subjekte (mit Artikel) bevorzugt - besonders bei temporalen Adverbialien - , während das Perfekt in thetischen Aussagen mit einem unspezifischen und sogar nichtreferentiellen (ohne Artikel) Subjekt vorkommen kann. Z.B. φοβάμαι (το σκοτάδι) 'ich habe Angst' [im Mediopassiv] (vor der Dunkelheit [im Akkusativ]).
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172
Das Perfekt hat als Äquivalent (neben dem Präsens und indirekt dem Aorist) ein Subjektresultativ. Das inzeptiv-aktuelle Perfekt ist durch die semantische Rolle 27 des Subjekts wie auch durch das Bewahren der syntaktischen Struktur beim Ersatz durch das Subjektresultativ „resultativer" als das aktive transitive Perfekt der ISTA-Klasse (mit einem Objektresultativ, das den Objektreferenten in die Subjektposition avanciert). Derart „resultativ" ist sonst das mediopassive ISTA-Perfekt, was durch den unkomplizierten Ersatz durch das Objektresultativ offensichtlich ist. Poststadium und Zustand sind deckungsgleich, so daß neben den resultativen Deutungen auch eine emphatische oder faktische Inzeptivität entstehen kann. Unsere Unterklassen haben wir durch Vergleich zwischen dem Perfekt und seinen Äquivalenten gewonnen sowie durch Beobachtung der syntaktischen und semantischen Relationen zwischen dem Verb und seinen Partizipanten.
2.2. Das AKTI-Perfekt Die AKTI-Verben signalisieren aterminative Aktivitäten, die durch ihre nichtreferentiellen Patienspartizipanten als eine Art „Agenscharakterisierung" erscheinen. Ist das Objekt referentiell, müssen wir zumindest bei Transformationen Terminativität annehmen und das Verb samt seinen Partizipanten in die GTER-Klasse einordnen. Dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, daß die Partizipantenstruktur von Bedeutung ist. Ein Sachverhalt mit einem einzigen aktiven Aktanten (intransitive Aktivität) kann nur von einem AKTI-Verb repräsentiert werden. Das Resultativ ist in diesem Fall ungrammatisch und den einzigen grammatischen poststadialen Ausdruck liefert das Perfekt, der Aorist ist implizit poststadial. Diese Art der Poststadialität erlaubt keine Durativadverbien des Typs 'seit(dem)'. Der perfektiv dargestellte Sachverhalt ist nicht „vollendet", so daß das Poststadium keinen pragmatisch-ontologischen Inhalt hat (kein Resultat) und sein Anfang nicht einmal lokalisierbar ist; deshalb sind hier die Durativadverbien mit dem Perfekt inkompatibel. Dies darf nicht bedeuten, daß das Poststadium inaktuell ist - es ist aktuell, so wie der Sachverhalt real und ohne Wiederholung stattgefunden hat. In diesem Fall empfiehlt es sich, die experientiellen oder existentiellen Perfektdeutungen (inaktueller Sachverhalt: Wiederholung möglich) von den emphatischen (faktischen oder assertiven) Perfektdeutungen (vergangener Sachverhalt: nicht lokalisierbar) zu unterscheiden: (17)
έχει τρέξει
'er/sie ist mal gelaufen' (experientiell) 'er/sie ist doch gelaufen' (emphatisch)
(18)
έχει γράψει γράμματα
'er/sie hat mal Briefe geschrieben' (experientiell) 'er/sie hat tatsächlich Briefe geschrieben' (emphatisch)
Beispiel (18) hat zwar ein transitives Verb, wenn jedoch das Objekt mit dem bestimmten Artikel erscheinen würde (Referentialitätsmarker im Ngr.), wäre das Perfekt egressiv-aktuell 27
Vgl. für eine ausführliche Beschreibung der semantischen Rollen DOWTY (1991:547-619).
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen
(Neugriechisch)
173
(kompletive Deutung: ein Agens „vollendet" den Sachverhalt, denn das referentielle und effizierte Objekt begrenzt die Schreibaktivität). Wird das Objekt von der Handlung nicht effiziert, und ist die Handlung nichttransformativ, muß das referentielle Objekt die Handlung nicht terminativieren: (19) έχει χτυπήσει το παιδί του 'er hat mal sein Kind geschlagen' (experientiell) 'er hat tatsächlich sein Kind geschlagen' (emphatisch) Ungewöhnlich, aber möglich, wäre die Passiv- oder Resultatiwariante des AKTI-Perfekts: (20) το παιδί έχει χτυπηθεί / είναι χτυπημένο από τον πατέρα του 'das Kind ist von seinem Vater geschlagen (worden)' Wegen der Änderung der Verborientierung (Mediopassiv, Objektresultativ) ist neben der emphatischen Perfektdeutung auch eine resultative möglich. Zusammenfassend kann man also zwei Subkategorien der AKTI in bezug auf Poststadialität ausmachen: a) die intransitiven und die transitiven (transformative mit nichtreferentiellen Objekten [18] oder nichttransformative Verben [19]) AKTI im Perfekt mit der Möglichkeit, vom Aorist ersetzt zu werden (emphatische Deutung),28 b) die transitiven nichttransformativen AKTI im mediopassivischen Perfekt [20] mit einem Objektresultativ- und einem Aoristäquivalent (resultative und /oder emphatische Lesart).
2.3. Das GTER-Perfekt Das egressiv-aktuelle Perfekt ist mit dem durativen εδώ και / από τότε που kompatibel. Diese Kompatibilität berechtigt uns, es als „resultativ" zu betrachten. Natürlich gibt es auch hier Unterklassen, die differenzierte Perfektdeutungen zulassen. Als erstes müssen die transitiven von den intransitiven GTER-Verben strikt getrennt werden. Die transitiven GTER-Verben wie γράφω + referentielles Objekt 'schreiben' entsprechen Aktivitäten mit einem inhärenten Endpunkt; diese Klasse möchten wir wegen der Agenseinbeziehung und des meist effizierten Objekts „kompletiv" nennen, um sie von den „unakkusativischen" Verben zu unterscheiden. Unakkusativisch sind die intransitiven GTER mit Undergoerorientierung, d.h. ihr Subjekt ist semantisch ein Patiens (πεθαίνω 'sterben') oder Experiencer (κοκκινίζω 'rot werden'), aber kein Agens. Diese „terminale" Orientierung der intransitiven GTER-Verben korreliert besser mit der lexikalischen Terminativität, da das „Telos" mit dem Patiens eines Sachverhalts kognitiv verbunden wird.29
28
Der Satz έχει χτυπημένο το παιδί του würde bedeuten 'er hat sein Kind im verletzten Zustand / ihm ist das Kind verletzt worden'. Der Subjektreferent ist nicht Agens des Sachverhalts, sondern Possessor oder Malefaktiv.
29
V g l . DELANCEY ( 1 9 8 2 ) .
174
CA. Leluda-Voß
Eine weitere wichtige Differenzierung innerhalb dieser Klasse ist die Trennung in „telische" und „inchoative": Ein telischer Sachverhalt ist erst dann zeitstellig, wenn sein Endpunkt erreicht ist (z.B. 'sterben'), der imperfektive Aspekt hat nicht nur im Präsens, sondern auch im Präteritum (Imperfekt) eine modale Konnotation, die inchoativen Verben dagegen signalisieren eine graduelle Veränderung, die schon vor ihrem Endpunkt zeitstellig ist (etwa 'rot werden'). 3 0 Während die transitiven GTER-Verben hauptsächlich kompletiv sind (Agens-Patiens-Schema), sind die intransitiven telisch oder inchoativ, es gibt jedoch auch interessante Fälle von unorientierten (labilen) Verben: ωριμάζω intr. inchoativ 'reif werden', tr. kausativ 'reif machen'. Da die Verborientierung die Resultativbildung und -deutung mitbestimmt und die Möglichkeit eines Resultativersatzes fur das Perfekt ein wichtiges Kriterium seiner Lesart ist, können wir folgende Unterklassen der GTER-Klasse erkennen: a l ) transitive kompletive GTER im Perfekt: emphatisch (Aoristäquivalent):
(21) έχω γράψει ένα γράμμα στους γονείς μου 'ich habe meinen Eltern einen Brief geschrieben' a2) transitive GTER im Perfekt bei Topikalisierung des Objekts: resultativ (Ersatz durch den possessiven Objektresultativ), sonst emphatisch (Aoristäquivalent):
(22) το έχω γράψει / γραμμένο το γράμμα 'den Brief habe ich schon geschrieben' a3) transitive GTER im mediopassivischen Perfekt: resultativ (Objektresultativäquivalent), sonst emphatisch (mediopassivisches Aoristäquivalent):
(23) το γράμμα έχει γραφεί / είναι γραμμένο 'der Brief ist schon geschrieben (worden)' b) transitive GTER, deren Objektreferent ein Experiencer ist (als Subjekt erscheint ein immer wirkender Faktor), haben neben den emphatischen (Aoristäquivalent) und resultativen (bei Topikalisierung des Objekts oder im Mediopassiv) auch statale Lesarten (Präsensäquivalent), die sonst in der ISTA-Klasse üblich sind:
(24) η συμπεριφορά του με έχει εκνευρίσει 'sein Benehmen hat mich genervt (und nervt mich eventuell noch)'
30
Wenn ein intr. GTER-Verb inchoativ ist, kann man es mit dem Adverb 'etwas' oder 'ein bißchen' versehen, ein telisches Verb dagegen nicht. In der Praxis kann man auf den Terminus „telisch" verzichten und ihn mit „terminativ" gleichsetzen, vorausgesetzt man unterscheidet dann zwischen terminativ und inchoativ.
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen
c)
(Neugriechisch)
175
patiensorientierte intransitive GTER: resultativ (Subjektresultativäquivalent), sonst faktisch (Aoristäquivalent).
(25) έχει πεθάνει /είναι
πεθαμένος
'er ist gestorben'31
d) experiencerorientierte intr. GTER: resultativ (Subjektresultativäquivalent), statal (Präsensäquivalent), sonst emphatisch (Aoristäquivalent): (26) έχει θυμώσει / είναι θυμωμένος 'er hat sich geärgert / er ist verärgert' Dieses Verb ist labil und seine transitive Version entspricht der Klasse (b). Es signalisiert einen emotionalen Sachverhalt, der als gradueller Vorgang (inchoativ) und als resultierender Zustand verstanden wird. Das Poststadium des Sachverhalts betrifft die Situationsveränderung (Endpunkt des Vorgangs und Eintritt in den Zustand) und ist mit dem resultierenden Zustand deckungsgleich. Experiencer-Verben sind oft statal (ISTA); wenn auch eine Graduierung vorkommt, haben wir es mit einer GTER-ISTA-Klasse32 zu tun.
2.4. Das TTER-Perfekt Der perfektive Aspekt von TTER-Verben hat eine transgressive (punktuelle) Lesart. Diese Sachverhalte haben kein Stadium: a) Unakkusativische TTER lassen sich wie die unakkusativischen GTER hauptsächlich resultativ (Subjektresultativäquivalent) lesen: (27) η βόμβα έχει σκάσει / είναι σκασμένη 'die Bombe ist explodiert'33 b) Intransitive TTER mit einem Aktorreferenten haben das gleiche Perfektverhalten wie die intransitiven AKTI (emphatisch: Aoristäquivalent): (28) το ρολόι έχει σημάνει επτά 'die Uhr hat sieben geschlagen'
31
32
33
Interessanterweise hat sich das haben-Perfekt des Deutschen bei den unakkusativischen GTER-Veiten nicht durchsetzen können. Diese Klasse der inchoativ-stativen Verben hat im imperfektiven Aspekt sowohl prästadiale als auch Stative Interpretationen, im perfektiven sowohl egressive als auch inzeptive Deutungen. In diese Klasse gehören Verben, die Gefuhlssachverhalte repräsentieren, aber auch solche, die physikalische Vorgänge darstellen, deren Endpunkt kognitiv nicht leicht faßbar ist, so daß Vorgang und Resultat ineinandergehen. Vgl. dazu LELUDA-VOB (1997:186-193). Im Deutschen ist nur ein se/n-Perfekt möglich.
176
CA. Leluda-Voß
c) Die transitiven TTER erscheinen im Perfekt emphatisch, wenn weder ein topikalisiertes Objekt noch ein mediopassivisches Perfekt vorliegt, genau wie die transitiven AKTI und GTER (bedingt auch die ISTA): (29) έχω σπάσει το κλειδί (emphatisch) 'ich habe den Schlüssel abgebrochen'
(30) το κλειδί έχει σπάσει / είναι σπασμένο (resultativ) 'der Schlüssel ist abgebrochen'
2.5. Ergebnisse Schlußfolgernd kann man die Perfektlesarten in drei Hauptkategorien trennen: die resultativen, wenn das Perfekt durch das Resultativ ersetzbar ist, die statalen, wenn als Äquivalent des Perfekts das Präsens erscheinen kann, und die emphatischen (faktischen oder assertiven), wenn nicht auf den pragmatisch-ontologischen Inhalt des Poststadiums hingewiesen wird oder wenn gar kein pragmatisch-ontologisch feststellbares Poststadium vorliegt. Das Perfekt im Ngr. hat nur die Funktion, die durch den perfektiven Aspekt angezeigte Situationsveränderung für die Sprechzeit zu aktualisieren; wie und ob dieses aktuelle Poststadium „nuanciert" wird, hängt - abgesehen von der lexikalischen Aktionalität des Verbs und seiner Fähigkeit zur Resultativbildung - von folgenden Faktoren ab: grammatisch von der Transitivität, Labilität, Diathese des Verbs, semantisch von den Partizipantenrollen, syntaktisch von der Reihenfolge der Argumente (Topikalisierung des Objekts im Ngr. durch Voranstellung oder durch pronominale Doppelung) und von der Kombinierbarkeit mit den Durativen από τότε που 'seitdem', εδώ και 'seit', ήδη 'schon'. Das aktive Perfekt folgender Klassen wird nur faktisch gedeutet: die transitiven AKTI, GTER und TTER, die intransitiven AKTI und die intransitiven TTER mit Agensreferenten. Es ist evident, daß dafür die Agensorientierung des Verbs im Perfekt verantwortlich ist. Hauptsächlich resultativ ist das Perfekt folgender Klassen: der intransitiven ISTA, GTER, GTER-ISTA und TTER (der Subjektreferent ist kein Agens), das mediopassive Perfekt der dynamischen transitiven Verben und bei topikalisiertem Objekt auch das aktive. In diesen Klassen wird die Perfektfunktion durch den inaktiven Partizipanten (Undergoerorientierung, Patienstopikalisierung) resultativ untermauert. Der weitere Kontext kann diese Nuance der Perfektanwendung sekundär abschwächen. Umgekehrt kann die Kontexteinwirkung (durch Nebensätze oder Adverbien, aber auch die kommunikative Situation) eine primär emphatischfaktische Lesart sekundär resultativieren (implizite Resultativität). Statal ist das Perfekt der ISTA und der GTER-ISTA; da es in diesen Klassen für das Ngr. auch ein Resultativäquivalent gibt und das Resultat ein Zustand ist, könnte man diese Deutung als eine spezielle Art der Resultativität erfassen. Bei expliziter Ungültigkeit des Zustande oder bei nichtlokalisierbaren Sachverhalten ist das Perfekt unmöglich statal, sondern experientiell oder emphatisch.
Poststadiale Aspekte und Aktionalklassen (Neugriechisch)
177
Die folgende Tabelle soll eine Übersicht über die Verteilung der Aktionalklassen anhand der unterschiedlichen Perfektformen und ihrer Deutungen vermitteln: EMPHATISCH34
RESULTATIV
STATAL
+EMPHATISCH
+RESULTATIV +EMPHATISCH
AKTI TRANSITIVES AKTIVES PERFEKT
GTER ITER AKTI
TRANSITIVES MEDIOPASSIVES PERFEKT
GTER
/ MIT TOPIKALISIERTEM OBJEKT
TTER
INTRANSITIVES AKTIVES PERFEKT
AKTI
ISTA
ISTA
TTER (agentiv)
GTER
GTER-ISTA
GTER-ISTA TTER (inaktiv)
Der indikative Wert des ngr. Perfekts erlaubt eine „subjektive" Zeitebene mit demselben deiktischen Zentrum wie die temporale (explizite Sprecherperspektive). Auf dieser Ebene ist auch die Aktualisierung einer aktuellen Handlung oder einer Handlung ohne pragmatischontologische Folgen möglich.
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34
Die emphatische Deutung des Perfekts hat nur den Aorist in seiner deiktischen Funktion als Äquivalent, die resultative hingegen das Resultativ und die statale das Präsens.
178
Ch. Leluda-Voß
Hatzidakis, G. Ν. (1900): „Umwandlung eines Potentialis in Plusquamperfect und Perfect". In: Sitzungsberichte der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Jahrg. 1900. Bd. 2. S. 1088-1095. Berlin: Verlag der königlichen Akademie der Wissenschaften. Hopper, P. J., „On some principles of grammaticization. In: Ε. C. Traugott / B. Heine (Hrsg.), Approaches to Grammaticalization. Vol. I. (= Typological Studies in Language 19). Amsterdam / Philadelphia: Benjamins. S. 17-35. Johanson, L. (1971): Aspekt im Türkischen: Vorstudien zu einer Beschreibung des türkeitürkischen Aspektsystems (= Studia Turcica Upsaliensia 1). Uppsala: Almqvist & Wiksell. König, Ch. (1991): „Maa". In: Sasse (1991a:89-127). Koschmieder, E. (1960): „Der Begriff des 'Zeitstellenwertes' in der Lehre vom 'Verbalaspekt' und 'Tempus'". In: Die Welt der Slaven 5. S. 31-44. Leluda-Voß, Ch. (1997): Die Perfekterfassung und das neugriechische Perfekt. Frankfurt a.M.: Peter Lang. Litvinov, V. P. / Nedjalkov, V. P. (1988): Resultativkonstruktionen im Deutschen. Tübingen: Gunter Narr. Longino, M. (1991): „Samoanisch". In: Sasse (1991a:149-164). McCoard, R. W. (1978): The English perfect: tense-choice and pragmatic inferences. (North-Holland Linguistics Series 38). Amsterdam: North-Holland. Sasse, Η.-J. (Hrsg.) (1991a): Aspektsysteme (= Arbeitspapier Nr.14 N.F.). Köln: Institut fur Sprachwissenschaft, Universität zu Köln. - (1991b): „Aspect and Aktionsart: a reconciliation". In: C. Vetters / W. Vandeweghe (Hrsg.), Perspectives on Aspect and Aktionsart. Bruxelles: Editions de l'Universite. S. 31-45. Tsunoda, T. (1981): „Split case marking patterns in veib types and tense-aspect-mood". In: Linguistics 19. S. 389-438. Walter, H. (1987): Lehrbuch der bulgarischen Sprache. Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie.
Ulrike Mosel (Kiel)
Aspect in Samoan1 Abstract This paper shows that in Samoan, contrary to earlier assumptions, aspect is a grammatical category which interacts with the lexical semantics of verbs. Although the conceptual opposition between states and dynamic events is not lexicalised, but only expressed by the means of aspectual grammemes, we can establish four aspect sensitive verb classes on the basis of how aspectual grammemes combine with verbs: stative-inchoative verbs, activity verbs, resultative activity verbs and terminative verbs. The semantics of these verb classes also interacts with transitivity.
Contents 1. Introduction 2. The Samoan tense-aspect particles 2 .1. The past particles sä / sa and na 2.2. The progressive particle 'olo 'o / 'o 2.3. The perfect 'ua 2.4. The progressive-perfect particle 'olo'ua/ 'olo'o 'ua 2.5. The future particle 'ole 'ά / 'ά 2.6. The general particle e/te 2.7. Conclusion 3. Aspect sensitive verb classes 3.1. Inchoative-stative verbs 3.2. Terminative verbs 3.3. Inchoative-stative, terminative and activity verbs compared 3.4. Resultative-activity verbs 4. Conclusion
1. Introduction Samoan is a Polynesian language, in which the grammatical categories of tense, aspect and mood are not expressed by inflectional categories, but by free morphemes, so-called ΤΑΜ particles. In addition to these particles, Samoan also makes use of phasal and temporal verbs which take complement clauses.
1
I wish to thank Claudia Kuzla for helpful comments on this paper.
180 (1)
U. Mosel
Sä
'ai le
teine2
i-PAST eat the girl
'The girl ate.' (2)
'Ua 'uma
ona
'ai le
teine.
PERF finished
that
eat
girl
the
'The girl has already eaten.' (lit. 'It is nowfinishedthat the girl has eaten.') The meaning of the Samoan ΤΑΜ particles and the constructions with phasal and temporal verbs has been extensively described in the Samoan Reference Grammar (MOSEL / HOVDHAUGEN 1992:337-375, 595-596), so that a short, revised summary might suffice here. What we, however, did not investigate, was how the ΤΑΜ particles interact with the meaning of verbs and other predicative expressions3, and if because of this interaction verbs can be classified into 'aspect sensitive semantic classes' (BREU1994). From the description of aspect and the examples given in the Samoan Reference Grammar, SASSE and LONGINO drew the conclusion that Samoan is a language without lexical aktionsarten (SASSE 1991a, 1991b:38-41, LONGINO 1991). However, when I collected data on Samoan phraseology and lexicography during fourfieldworktrips in 1993-1995,4 I found more or less by accident that at least four verb classes, i.e. aktionsarten, can be established. It is still too early to give a full account of the Samoan aspect system, but the following paper quite clearly shows that the model proposed by BREU (1994) and SASSE (1991a, 1991b) works well for the analysis of aspect in Samoan. Samoan has eleven ΤΑΜ particles, seven of these are called tense-aspect particles, because they fulfil both the function of tense and aspect grammemes: they indicate the temporal location of the reported Sachverhalt5 with regard to the speech event or some other point of reference set by the context, and they allow the speaker to focus on the borderlines of the reported Sachverhalt or to not explicitly refer to its limitations, i.e. its beginning or completion, or both. TA particles which explicitly make reference to the borderlines of Sachverhalte will be called perfective Τ A particles, the others imperfective Τ A particles. 2
3
4
5
ά, έ, ι, „Sachverhalt überhaupt nicht ganz realisiert").
210
Η.-J. Sasse
HAB-9) graduell: Die Situation wird als im Anfangsstadium oder (allmählich) auf dem Wege befindlich geschildert. Die Übersetzung erfolgt mit 'beginning', 'on its way' oder vergleichbaren Paraphrasen: (18)
wakäyQhstha'
'it's beginning to get old / on its way getting old'
Alle diese Lesarten können als verschiedene Nuancen anhaltender (semantisch unbegrenzter1) Situationen angesehen werden. Die Situationsgrenzen (linke Grenze = Eintritt in die Situation, rechte Grenze = Vollendung der Situation) sind nicht in dem Phasenausschnitt enthalten, der durch den HAB-Stamm bezeichnet wird. 31 Die HAB-Lesarten decken sich somit weitgehend mit Lesarten, die für europäische Imperfektiv-Formen beschrieben worden sind (BREU 1994, SASSE 1991a). Angesichts des Kontrasts zwischen dem Präteritum des HAB-Stammes und FAC/PNC sowie den exakt parallelen Kontrasten FUT/HAB vs. FUT/PNC, OPT/HAB vs. OPT/PNC und IMP/HAB vs. IMP/PNC kann von einer ausgeprägten Imperfektiv-PerfektivDistinktion gesprochen werden, die im Diskurs den üblichen Taxis-Verhältnissen entspricht: Tabelle 2: Typische Imperfektiv-Perfektiv-Distinktionen zwischen HAB und PNC
PAST vs. FAC
HAB = imperfektiv
PNC = perfektiv
kahyakwahskghq:'
akähyako'
Ί used to pick berries, was picking berries was a beny-picker'
Ί (once) picked berries (and then...)' (BOUNDED EVENT IN PAST)
(UNBOUNDED EVENT IN PAST)
FUT
$kahyakwdhse:k
$kahyako'
Ί will pick berries off and on, will be picking berries, will be a berry-picker'
Ί will pick berries (and then...)' (BOUNDED EVENT IN FUTURE)
(UNBOUNDED EVENT IN FUTURE)
OPT
a:kahyäkwahse:k
a:kahyä:ko'
Ί might pick berries off and on, might be picking berries, might be a berry-picker'
Ί might pick berries (and then...)' (BOUNDED POTENTIAL EVENT)
(UNBOUNDED POTENTIAL EVENT)
IMP
sahydkwahse:k
sahya:koh
'pick berries off and on, be picking berries, be a beny-picker'
(BOUNDED COMMAND)
'pick berries (and then...)'
(UNBOUNDED COMMAND)
31
Bzw. sie werden bei den nicht-episodischen Verwendungen ignoriert: Bei iterativer Verwendung werden die sich wiederholenden Ereignisse auf einer Zeitlinie gelagert, die ihrerseits keinen Anfang und kein Ende hat. Die Unbegrenztheit gilt auch für die approximative Lesart: Die rechte Grenze ist zwar „im Visier", aber ihre Erreichung als solche ist keine semantische Komponente der HAB-Bedeutung.
Aspektsemantik
und Lexikonorganisation
211
(Cayuga)
3.3. „STATIVE" (STAT) 3.3.1. Wir betrachten hier nur STATIVE, die in aspektuelle Oppositionen eingebunden sind (also STATIVE dynamischer Verba) und lassen die in Abschnitt 2 beschriebenen „stativa tantum" (rein statische Verba) zunächst außer Betracht. D e r STATIV w u r d e v o n LOUNSBURY ( 1 9 5 3 ) mit d e m äußerst irreführenden
Terminus
„PERFECTIVE" belegt, der als terminologische Eselsbrücke die bereits in der frühen Irokesistik konstatierten semantischen Überlappungen mit dem englischen Perfekt (present perfect) signalisieren sollte. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch herausgestellt, daß die „Perfekt-Bedeutung" nur eine und offenbar nicht die zentrale von mehreren recht verschiedenen Bedeutungen des irokesischen STATIVS ist, woraufhin dieser seinen derzeit gebräuchlichen Namen erhielt. 3.3.2. Um das Funktionieren des STATIVS dynamischer Verba zu verstehen, ist zunächst ein Blick auf dessen „Rollenorientierung" notwendig. Bei transitiven dynamischen Verben, deren Patiens in einen aus der Handlung resultierenden Zustand gerät, ist der STATIV auf diesen Patiens orientiert und beschreibt dessen Zustand, sofern nicht sowohl Agens als auch Patiens „persönlich" (d.h. nicht-Neutrum) sind. Die Patiensorientiertheit kommt dadurch zum Ausdruck, daß in diesen Fällen der STATIV in Verbindung mit den „SUBJEKT"-Präfixen „passivisch" gelesen wird und den Zustand des Resultats bzw. das Resultat selbst bezeichnet: (19)
ka-hyä:tQ' ka-y§:thw$h ha-nyo:
'it is (something) written' 'it is (something) planted' 'he is killed'
Wir werden solche STATlVe im folgenden „patientive" STATlVe nennen. Diesen Formen sind agentive Formen zugeordnet, deren Agens durch die persönlichen „OBJEKT"-Präfixe (d.h. als „zweites Argument") kodiert wird: (20)
ak-hyä:tQ' ak-y$:thw$h ho-nyo:
Ί have written it' Ί have planted it' 'he has killed it'
In diesen Präfixen ist die 3. Ps. Sg. neutrum als „erstes Argument" enthalten, d.h. die Basis ist der patientive STATIV: ak-
'3.Ps.Sg.n.
„SUBJEKT" wirkend auf l . P s . S g .
„OBJEKT"',
ho-
'3.Ps.Sg.n. „SUBJEKT" wirkend auf 3.Ps.Sg.m. „OBJEKT"' bzw. wörtlich 'es...mich / mir' und 'es...ihn/ ihm'; dies sind normale transitive Pronominalformen, die etwa auch in Fällen wie akekanyahs 'es (das Tier) beißt mich' usw. zur Anwendung gelangen Dieselbe Konfiguration erscheint auch in Ausdrücken, die Possessivkonstruktionen in anderen Sprachen entsprechen: honQhs-o:t 'es steht ihm ein Haus' = 'er hat ein Haus', 'es ist sein Haus'. Die agentiven STATIVFormen werden also wie Possessivausdrücke behandelt ('es ist mir ein Geschriebenes', 'es ist mir ein Gepflanztes', 'es ist ihm ein Getötetes'), wobei das Possessum als SUBJEKT, der Pos-
212
Η.-J. Sasse
sessor als OBJEKT kodiert wird. Die Parallele zum europäischen Aaiew-Perfekt ist unverkennbar, insbesondere wenn man die hypothetische lateinische Ausgangskonstruktion (mihi est fenestra aperta > habeo fenestram apertam) in Betracht zieht. Der Possessivcharakter des irokesischen agentiven STATIVS ist sogar insofern noch deutlicher als der moderner europäischer AaZ>e«-Perfekte, als die irokesischen Ausdrücke stets systematisch ambig sind bezüglich einer resultativen und einer „echt" possessiven Lesart, was etwa beim deutschen haben-Perfekt nicht der Fall ist: akhnfhskwqh heißt (1) Ί have stolen it', (2) Ί have something that is stolen (nicht notwendigerweise von mir selbst Gestohlenes)'; das Deutsche konstruiert hier unterschiedlich (ich habe es gestohlen vs. ich habe etwas Gestohlenes)}12· Die Patiensorientierung geht allerdings verloren, sobald sowohl „erstes" als auch „zweites" Argument „persönlich", also nicht-Neutrum sind. Die Form für 'ich habe dich getötet' ist kQnyö: mit dem Präfix kg- 'l.Ps.Sg. auf 2.Ps.Sg.'; hier unterscheidet sich der STATIV nicht von den Verhältnissen der Pronominalkodierung in HAB und PNC, vgl. kg-nyöhs 'ich töte dich' und a-kg:-nyo' 'ich tötete dich'; wären diese Formen patiensorientiert, müßte kg-nyo: heißen 'ich bin dir ein Getöteter', d.h. 'du hast mich getötet'. Mit anderen Worten, der Possessorcharakter des Agens ist hier aufgegeben. Wie diese Umkehrung zu erklären ist, wurde bisher in der Literatur nicht thematisiert. Tatsache ist, daß es sich heute um ein grammatikalisiertes System handelt, das automatisch funktioniert. Die grammatische Patiensorientierung und die damit verbundene Repräsentation des Agens als „zweites Argument" (oder „Possessor") gilt nun aber auch für semantisch einstellige Sachverhalte, die gar kein Patiens haben, wie in haw$h0:yg: 'he's dead, he has died' (im Gegensatz zu dem mit dem „SUBJEKT-Präfix" arbeitenden hqhe.yghs 'he's dying'). Aufgrund der Grammatikalisierung des patiensorientierten Musters läuft die 3,Ps.Sg. hier leer, sozusagen als „Dummy", vergleichbar mit dem expletiven es im Deutschen: 'es ist ihm gestorben' - anders als in den obigen transitiven Fällen hat das 'es' hier keinen Referenten und dementsprechend steht dieser Form auch keine passivisch übersetzbare Form mit Neutrum-SUBJEKT zur Seite, die mit Formen wie ka-hyä:tQ' 'it is written' vergleichbar wäre: *k%he:yg: 'it is died' (für das eventuell eine unpersönlich-passivische Lesart ('es wurde gestorben') denkbar wäre) gibt es nicht. Die „Possessivität" ist hier ähnlich grammatikalisiert und dadurch opak wie das engl, has in he has died. 3.3.3. Die bisherigen Ausfuhrungen zeigen, daß der irokesische STATIV mutatis mutandis sowohl in Bezug auf seine Genese als auch in Bezug auf seinen Grammatikalisierungsweg, das Nachlassen der Transparenz des Possessivcharakters usw. dem europäischen haben-Perfekt in der Tat nicht unähnlich ist. Seine Semantik ist aber unterschiedlich. Mit 3. Sg. Neutrum SUBJEKT- + persönlichen OBJEKT-Präfixen versehene STAT-Formen können bei dynamischen Verben die folgenden Lesarten haben, von denen sich einige mit denen europäischer Perfektformen decken, andere nicht:
32
Eine Parallele findet sich beim span, tener-Perfekt mit possessiver und resultativer Lesart, vgl.
BREU ( 1 9 8 8 ) .
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
213
STAT-1) „recent past": Das Ereignis hat gerade kürzlich stattgefunden. Zur Verdeutlichung wird von Informanten in der Übersetzung gern just hinzugefügt: (21)
thoti.yg:
'they have just come in'
STAT-2) experientiell: Das Ereignis ist eine Erfahrung, die das SUBJEKT gemacht hat („ich habe schon mal Χ gemacht", „ich bin schon mal in χ gewesen"). In der Übersetzung wird das engl. Present perfect benutzt, das die gleiche Nuance ausdrückt; es kann durch ever bzw. im negativen Fall durch never ergänzt werden: (22)
sa:k£: kqh ne' kanghse:s?
'have you seen the longhouse?' ('hast du das Longhouse schon mal gesehen?')
STAT-3) resultativ: Hierunter fasse ich verschiedene Nuancen, die von den Informanten z.T. unterschiedlich glossiert werden. Die Profilierung kann daraufliegen, daß das Ereignis schon eingetreten bzw. abgeschlossen ist (extrem häufig ist die Übersetzung mit already), oder aber auf dem resultierenden Zustand (gern als Zustandspassiv mit now glossiert); manchmal wird eine Kombination beider angeboten: (23)
hitä 'stani: teyotokwqh
Ί have already put him (e.g. boy) to sleep' 'it has been scattered (and is scattered now)'
Man könnte hier noch Unterscheidungen machen, etwa starke und schwache Resultativität, oder noch besser echte Resultativität vs. Abgeschlossenheit; solche Unterscheidungen werden weiter unten relevant werden. STAT-4) aktuell-zuständlich: Das SUBJEKT befindet sich in einem aktuellen temporären Zustand; die Übersetzung erfolgt mit einem englischen Adjektiv: (24)
akhnä'kfmq'gh
'I'm mad/ angry (right now)'
STAT-5) emphatisierend: Die Übersetzung erfolgt gewöhnlich mit 'very', 'really' oder einem ähnlichen Adverb: (25)
ο 'krowanähtQh oyänrahstQh
'it's snowing really hard' (wörtl. 'it has been made a big snow') 'it's very good' ('it has been made good')
Η.-J. Sasse
214
STAT-6) prozessual: Die Situation findet hic et nunc statt (transponierbar in andere Tempora und Modi durch die entsprechenden Affixe). Die Übersetzung der temporal/modal unmarkierten Form erfolgt stets durch engl, present progressive; zur Illustration der Aktualitätsbedeutung wird von Informanten gern „right now" dazugesetzt (mit den entsprechenden Korrelaten in anderen Tempora und Modi): (26)
aka:trf:no:t
' I ' m singing (right now)'
Die Lesarten 1-3 sind übliche semantische Nuancen europäischer „Perfekt"-Kategorien (vgl. COMRIE 1976:56ff., BREU 1988). Rezente Vergangenheit und Experientialität hat man als semantische Erweiterungen einer prototypisch resultativen Lesart angesehen (Nachwirkung eines Ereignisses in die Gegenwart), was plausibel erscheint. Hier schließt sich auch die aktuell-zuständliche Lesart (STAT-4) an. Sie konstituiert eine besondere Untergruppe und ist auf einige inchoative Verben beschränkt. Es handelt sich um den „gewordenen Zustand eines Experienc e « " , wobei die inchoative Komponente (also das „Gewordensein") fur uns auf den ersten Blick nicht immer recht faßbar ist. Im Falle von akhnä 'khwq 'Qh Ί am mad' ist dies aber nachvollziehbar: Alle Formen des Verbs haben eine impersonale (inaktive) Ausrichtung (vgl. HAB akhnä'khwqhs ' I ' m getting angry', eigentlich 'es macht mich wütend', so daß auch der STATIV als 'es hat mich wütend gemacht' zu interpretieren ist). Wir werden diese Fälle ausfuhrlicher in Abschnitt 5.1.4 behandeln. Es ist sehr die Frage, ob es sich hier wirklich um eine andere Lesart handelt oder ob nicht vielmehr einfach ein Übersetzungsproblem vorliegt: In einigen Fällen entsprechen irokesischen resultativen STATlVen eben einfach Adjektive im Englischen. (Auf diese Art von Übersetzungsproblemen macht schon COMRIE (1976:57) aufmerksam.) Auch die emphatisierende Lesart (STAT-5), die auf einige wenige Fälle beschränkt ist, sehe ich als eine Erweiterung der resultativen Lesart an. Die Emphase ergibt sich aus der Betonung der Vollständigkeit des Eintritts in den Zustand. Bei näherer Betrachtung kommt die emphatische Lesart in Reinkultur ausschließlich im Zusammenhang mit dem Kausativ mit unpersönlichem (= Neutrum-) SUBJEKT vor und dürfte eine Spezialisierung der semantischen Interaktion der beteiligten Komponenten (Kausation durch eine „Force"-ähnliche Entität + Betonung des vollständigen Eintritts in den Zustand) darstellen ('it has been made completely good' bzw. 'it has been made a real hard rain'). Ein Übergangsphänomen stellt die polare („Verum-Fokus"artige) Hervorhebung der Resultativität dar, die bei Lesart STAT-3 immer möglich ist: akenhi 'Qh Ί have made a mistake (I'm admitting that I'm wrong)'. 3.3.4. Es scheint mir legitim, alle bis jetzt besprochenen STAT-Lesarten als verschiedenartige Nuancen eines „perfektischen" („present-relevance"-) Aspekts zusammenzugruppieren. Dies befindet sich im Einklang mit der klassischen Literatur zu „Perfekt"-artigen Kategorien in den Sprachen der Welt (vgl. COMRIE 1976:56-64) und entspricht auch der Intuition LOUNSBURYS für das Oneida, der die Kategorie aus diesem Grund mit dem unglücklichen Terminus „perfective" (= „perfektähnliche Kategorie") bezeichnete.
Aspektsemantik und Lexikonorganisation
215
(Cayuga)
Auch im Diskurs benimmt sich der „perfektische" STATIV so, wie man es von in der Literatur als „Perfekt" beschriebenen Kategorien gewöhnt ist. „Perfektischer" STATIV und FAC/PNC wechseln einander im narrativen Diskurs ab, z.B. als recent past (STAT) vs. remote past (FAC/PNC), aber auch als past (FAC/PNC) vs. resultative perfect (STAT). Der STATIV erscheint aber erwartungsgemäß nicht in der sequentiellen Taxis ('they have just come in and then...' scheint nicht möglich zu sein). STATive sind vielmehr häufig Endergebnisse von Handlungsketten (z.B. 'sie wusch es (FAC/PNC), hing es auf (FAC/PNC) und hatte nun eine Wäscheleine voll (STAT)', vgl. dazu auch MLCHELSON 1995MS). Die erweiterten Tempus- und Modusformen des „perfektischen" STATIVS haben ebenfalls die zu erwartenden Lesarten; sie drücken temporale bzw. modale Färbungen perfektischer Situationen aus und sind in eine entsprechende „consecutio temporum" eingebunden. Dabei kann - wie dies auch bei resultativen Perfektformen europäischer Sprachen der Fall ist - die Vergangenheitsform eine „Plusquamperfekt"-Bedeutung
(Vorzeitigkeit),
die FUTUR-Form
eine
„Futurum exactum"-Bedeutung annehmen (vgl. die Übersetzungen der STATiv-Formen in Tabelle 1). Unmarkierte, d.h. präsentisch aussehende STATiv-Formen inmitten von Handlungsketten sind mangels der obligatorischen Tempusbezeichnung häufig auch als Vorvergangenheit zu interpretieren: (27)
ne:' it.is nq.kyg this
ti' then
ha'kyφ' (FAC/PNC) I.arrived.there
hwa' as.for
ne'tshq the who
ahatkahtho'(FAC/PNC) he.looked.at.it
nikä:' one ne' the
kahsekwä:' pitchfork
ne' the
thaka.wi: (STAT) he.has.given.me
hakhmhskwcmihahta:ni: (STAT) he.has.lent.me.some.domestic.animals hakhno's?... my.uncle
ah?' he.said
(FAC/PNC)...
' W e l l , w h e n I g o t ( F A C / P N C ) t o m y u n c l e ' s and h e s a w ( F A C / P N C ) t h e old
pitchfork I'd gotten (STAT) from the guy who'd loaned (STAT) me the horses, h e said ( F A C / P N C ) . . . ' (FOSTER 1980)
3.3.5. Ließen sich die bisher besprochenen Lesarten des STATIVS als semantische Erweiterungen eines „perfektischen" Aspekts ansehen, so ist dies für die prozessuale Lesart des STATIVS kaum möglich. Sie gehört einem ganz anderen aspektsemantischen Bereich an und etabliert eine hic-et-nunc-Imperfektivität, die in gleicher Weise wie die prozessuale Lesart des HAB mit den entsprechenden PNC-Formen in Opposition steht und hier zu einer typischen Imperfektiv/Perfektiv-Distinktion fuhrt. Tabelle 3 demonstriert dies. Ein Vergleich mit Tabelle 2 offenbart die totale Identität der Lesartenoppositionen zwischen HAB und PNC einerseits und STAT und PNC andererseits.
216
H.-J. Sasse
Tabelle 3: Typische Imperfektiv-Perfektiv-Distinktionen zwischen STAT und PNC
PAST vs. FAC
STAT = imperfektiv akatrqnöta 'k Ί was singing (at that time)'
PNC = perfektiv akatrqno.tq' Ί (once) sang (andthen...)'
(UNBOUNDED EVENT IN PAST)
(BOUNDED EVENT IN PAST)
FUT
%wakatrq:n0:ta 'k Ί will be singing (at that time)'
qkatrqno. tq' Ί will sing (and then...)'
(UNBOUNDED EVENT IN FUTURE)
(BOUNDED EVENT IN FUTURE)
OPT
a:katrq:no:ta 'k Ί might be singing (at that time)'
a:katrq:no:tq' Ί might sing (and then...)'
(UNBOUNDED POTENTIAL EVENT)
(BOUNDED POTENTIAL EVENT)
IMP
satr$:no:ta 'k 'be singing (at that time)'
satrq.no.t^h 'sing (and then...)'
(UNBOUNDED COMMAND)
(BOUNDED COMMAND)
3.3.6. Die Verfügbarkeit von zwei verschiedenen Formen fur prozessuale Imperfektivität hat zur Folge, daß das Inzidenzschema in zwei verschiedenen Konstellationen vorliegen kann. Während das eintretende Ereignis stets mit FAC/PNC ausgedrückt wird, kann die Hintergrundsituation HAB (Beispiel 28) oder STAT (Beispiel 29) sein: (28)
tekathnqhsohtäis
sqkwä'
tahathnhohä'ehsrQ:'
I.tidy.up.the.house.HAB someone he.knocked.on.the.door.FAC/PNC 'while I w a s tidying u p the house, somebody knocked on the d o o r '
(29)
akriho'te'
sgkwä'
tahathnhohä'ehsrQ:'
I.work. STAT someone he.knocked.on.the.door.FAC/PNC 'while I w a s working, somebody knocked on the d o o r '
Solche Inzidenzschemata können natürlich auch ins FUTUR, in den OPTATIV USW. transponiert werden („I will be doing χ when y will happen", etc.). Diese Dualität des Ausdrucks von aktueller (episodischer) Imperfektivität ist nicht auf das Inzidenzschema beschränkt. Auch bei Phasenverben („anfangen", „aufhören" etc.) erscheint der zweite Sachverhalt je nachdem im HAB oder im STAT (vgl. auch furs Oneida MlCHELSON 1995MS): (30)
tahahsaw§'
hay§:thwahs
he.began.FAC/PNC he.is.planting.it.HAB ' h e started planting it'
(31)
tahahsaw§'
häg. ta'tgh
he.began.FAC/PNC
he.is.shaking.it.STAT
'he started shaking it'
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
217
Ebenso wird im Skopus von Wahrnehmungsverben die wahrgenommene hic-et-nunc-Prozessualität j e nach Verb einmal im HAB, das andere Mal im STAT ausgedrückt: (32)
ahi:k§' hay$:thwahs I.saw.him.FAC/PNC he.is.planting.it.HAB 'ich sah ihn es pflanzen'
(33)
ahi.kg' häg:ta 'tgh I.saw.him.FAC/PNC he.is.shaking.it.STAT 'ich sah ihn es schütteln'
3.3.7. Am Rande soll hier der Vollständigkeit halber noch eine weitere Verwendung des STATIVS (STAT-7) erwähnt werden. Mit der Negationspartikel th%' und dem Negationspräfix t 'e- bildet der STATIV das Äquivalent einer negativen perfektiven Vergangenheit: (34)
thf' t 'eskahQitq'
'you didn't ask me' (= 'you haven't asked me')
Da das FAC-Präfix mit der Negation nicht kompatibel ist, tritt die in (34) genannte Form als negatives Pendant sowohl für die affirmative FAC/PNC-Form askahQ-.tQ:' 'you asked me' als auch fur den affirmativen STATIV skahQ -.tQ' 'you have (already) asked me' ein. Dies gilt fur alle Verben unabhängig von der semantischen Klasse.
3 .4. Zusammenfassung der Aspektlesarten Für die folgenden Ausführungen ist es von einiger Wichtigkeit, daß manche der in den vorangegangenen Abschnitten diskutierten Aspektlesarten im Prinzip bei allen Verben vorkommen können, andere jedoch auf bestimmte Verben beschränkt sind. Die letzteren Lesarten sollen im nächsten Abschnitt in Hinblick auf ihre Indikativität für eine aspektsemantische Klassifizierung der Cayuga-Verben näher untersucht werden. Hierzu stellen wir zunächst noch einmal alle beschriebenen Aspektlesarten zusammen: PNC-Lesarten
HAB-Lesarten
STAT-Lesarten
1. delimitativ 2. inzeptiv 3. kompletiv 4. punktuell 5. effektiv 6. momentan 7. faktuelle Routine 8. potentielle Routine
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
okkupationell dispositionell iterativ aktuell-zuständlich prozessual approximativ konativ diminutiv graduell
recent past experientiell resultativ aktuell-zuständlich emphatisierend prozessual (+ NEG) negativ-perfektiv
218
Η.-J. Sasse
Von den PNC-Lesarten werden nur die ersten vier im folgenden eine Rolle spielen. PNC-5 „effektiv (Koinzidenz)" ist auf Sprechaktverben und metaphorisch als solche verwendete Verben beschränkt; ebenso ist PNC-6 „momentan" nach dem derzeitigen Kenntnisstand auf Wahrnehmungsverben beschränkt. Die „Routine"-Fälle PNC-7 und PNC-8 kommen offenbar bei allen Verben vor. Unter den HAB-Lesarten scheinen die okkupationeile (HAB-1) und die iterative (HAB-3) keinen Beschränkungen zu unterliegen; es liegt nahe, beide als „habituell" im weiteren Sinne zusammenzufassen. Hierzu gehört auch HAB-2 „dispositionell"; die spezielle dispositionelle Nuance ergibt sich, wie wir sahen, aus der Kombination von Habitualität mit dem S E M I R E F L E X I V als Mechanismus für die Ausblendung eines spezifischen Objekts. Über HAB-8 „diminutiv" lassen sich angesichts der wenigen Belege kaum generalisierende Aussagen machen. Es bleiben als aspektklassenrelevant HAB-4 „aktuell-zuständlich", HAB-5 „prozessual", HAB-6 „approximativ", HAB-7 „konativ" und HAB-9 „graduell". Die einzelnen STATIV-Lesarten (mit Ausnahme von STAT-7, das im folgenden außer Betracht bleibt) haben wir schon weiter oben auf zwei Grundlesarten „perfektisch" und „prozessual" reduziert. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden wird im folgenden eine wesentliche Rolle spielen.
4. Aspektlesarten und Verbsemantik: Erster Schritt 4.1. CHAFES „consequential" / "non-consequential"-Distinktion 4.1.1. Auf die lexikalisch-semantische Sensitivität der beiden Grundlesarten des STATIVS im Onondaga hat erstmalig CHAFE (1970) aufmerksam gemacht (erweitert und ausgebaut für das Seneca in CHAFE 1980). Er stellt fest, daß die perfektische und die prozessuale Lesart des STATIVS sich weitgehend gegenseitig ausschließen und daß diese komplementäre Verteilung zur Etablierung von zwei semantischen Verbklassen führt, die er „konsequentiell" und „nichtkonsequentiell" nennt. „Konsequentielle" Verben haben nach CHAFE „wahrnehmbare Konsequenzen", nicht-konsequentielle hingegen nicht: "If we consider why a speaker of Onondaga might not say something like 'he has sung' or 'he has danced' while he would say things like 'he has planted corn' or 'it has burned', we notice that events like planting or burning have perceptible consequences. They result in states which can be talked about. Events like singing and dancing, on the other hand, do not have similarly perceptible results. Although, to be sure, ceremonial singing and dancing may have beneficial consequences through supernatural agencies, such consequences cannot be seen as immediately present states. We might, then, posit a new selectional unit for verbs, one that can be labelled "consequential". Its meaning involves the potentiality of present and perceptible states, such as those that would result from pounding or planting corn, from burning, and the like." (CHAFE 1970:17-18)
"With the majority of verbs... only one of these two semantic aspects normally occurs. It may be correct to say that for most verbs only one of them is possible... In short, most veibs are compatible with either the progressive or the perfective meaning, but not with both." (CHAFE 1980:44)
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
219
CHAFES Beobachtungen anhand des Onondaga und des Seneca können auf alle nordirokesischen Sprachen übertragen werden. MICHELSON (1995MS) beschreibt die „konsequentiell"/ "nicht-konsequentiell"-Distinktion und ihre Folgen fur die Semantik des STATIVS ausfuhrlich f ü r eine d r i t t e S p r a c h e , d a s O n e i d a . F ü r d a s C a y u g a vgl. SASSE u n d KEYE ( 1 9 9 6 M S ) . D i e
Distinktion findet allerdings überall (so auch im Cayuga) nicht nur in den unterschiedlichen Interpretationen des STATIVS ihren Niederschlag, sondern auch in den damit korrelierenden unterschiedlichen Lesarten des HABITUAL. Wenn das Verb „konsequentiell" ist und sein STATIV als englisches Perfekt übersetzt wird, so hat der HABITUAL zusätzlich zu seinen iterativen, okkupationellen usw. Lesarten auch eine prozessuale Interpretation, die durch den engl. Progressiv wiedergegeben wird: kyqthwahs Ί always plant it, am a planter', aber auch 'I'm planting it' (vgl. STAT aky§:thwqh Ί have planted it'). Beim HABITUAL „nicht-konsequentieller" Verba ist dies nicht der Fall; dieser kann nur die okkupationeil / iterative Bedeutung (oder eventuell andere „nicht-aktuelle" Lesarten) haben, während die prozessuale Bedeutung vom STATIV übernommen wird. Die HAB-Form tekäitkhwa' kann nur heißen Ί always dance, I'm a dancer', nicht 'I'm dancing' (vgl. STAT tewäkatkwqh 'I'm dancing'). 4.1.2. Im folgenden gebe ich eine Auswahl einiger zum Grundwortschatz gehöriger Vertreter beider Klassen 33 im Cayuga. Da die Möglichkeit einer prozessualen Lesart des HAB-Aspekts mit der perfektischen Lesart des STAT-Aspekts korreliert, werden in der Liste jeweils beide Formen angegeben. Gruppe A. „Konsequentielle Verben": 'break': HAB tekähi 's 'it's breaking, it's about to break' - STAT teyohl 'φ 'it's broken/*it's breaking' 'burn': HAB οίέ:!ώα' 'it's burning' - STAT ote:kh 'it has bumed/*it's burning' 'buy': HAB hahnl.nqhs 'he's buying it' - STAT hohni:nQ' 'he has bought it/*he's buying it' 'change': HAB tekte.nye's 'I'm changing it' - STAT tewäktenyg: Ί have changed it/*I'm changing it' 'count': HAB kahsh0:tahs 'I'm counting it' - STAT akahshe.t^h Ί have counted it/*I'm counting it' 'cut (sever)': HAB ikya's 'I'm cutting (severing) it' - STAT akya 'kQh Ί have cut it/M'm cutting it' 'die': HAB h%he:yt}hs 'he's dying' - STAT haw%he:yg: 'he's dead, he has died/lie's dying' 'get': HAB kekwahs 'I'm getting it' - STAT ake:kw$h Ί have got it/*I'm getting it' 'hide': HAB kahsehtha' 'I'm hiding it' - STAT akahsehtgh 'I've got it hidden/Tm hiding it' 'make a hole': HAB kakäh^tha' 'I'm making a hole' - STAT akekah^.t Ί have made a hole/*I'm making a hole' 'pierce': HAB teka 'ehstha' 'I'm piercing it' - STAT tewaka 'ehstgh Ί have pierced it/Tm piercing it' 'plant': HAB kyqthwahs 'I'm planting it' - STAT aky$:thw$h Ί have planted it/*I'm planting it' 'split': HAB teko.wqhs 'I'm splitting it' - STAT tewa:k0:w$' Ί have split it/*I'm splitting it'
33
Es wurden hier nur solche Verben ausgewählt, die bei allen befragten Sprechern (+ Textevidenz) unkontrovers waren. Es gibt Fälle, bei denen sich die Sprecher nicht einig sind; vielleicht hat die Sprachkontaktsituation zu einer zunehmenden Identifikation des Stativs mit dem englischen Perfekt gefuhrt und dadurch die Produktivität der Resultativlesart erhöht.
220
Η.-J. Sasse
Gruppe Β. „Nicht-konsequentielle Verben": 'chew': STAT tewakatskä 'hg' 'I'm chewing' - HAB tekatska 'hgha' Ί always chew, like to chew/Tm chewing' 'cut (incise)': STAT akhri:nqh 'I'm cutting (incising) it' - HAB khr0:nahs Ί usually cut (incise) it/*I'm cutting it' 'dance': STAT tewdkatkw^h 'I'm dancing' - HAB teka:tkhwa' Ί always dance, am a dancer/*I'm dancing' 'eat (= have a meal)': STAT akatekhg:ni: 'I'm eating (= having a meal)' - HAB kate:khg:nihs Ί usually eat/*I'm eating' 'eat together': STAT teygkwatg:tgh 'we're eating together' - HAB teya:kwä:tg:s 'we usually eat together/*we are eating together' 'fight': STAT aka:tri:yo: 'I'm fighting' - HAB katri.yohs 'I'm a fighter/*I'm fighting' 'fry': STAT akäte'skg:t 'I'm frying it' - HAB kati 'skgtha' Ί usually fry it/»I'm flying it' 'lean': STAT hokya Ία 'tihgh 'he's leaning against it' - HAB hakya 'ta 'tihs 'he usually leans against it/*he's leaning against it' 'listen': STAT akatahghsiyohstqh 'I'm listening' - HAB katahghsiyohstha' Ί always listen/*I'm listening' 'pull': STAT twakaky%hf:thwqh 'I'm pulling' - HAB ikakyfhqthwahs Ί keep pulling/Tm pulling' 'roll': STAT hokahatenya 'tgh 'he's rolling it' - HAB hakahatenyä 'tha' 'he always rolls, is a roller/*he's rolling it' 'shake': STAT häg:ta 'tgh 'he's shaking it' - HAB hgta 'tha' 'he usually shakes it/*he's shaking it' 'sing': STAT hotr?:no:t 'he's singing' - HAB hatrfnotha' 'he always sings, is a singer/*he's singing' 'smoke (tobacco)': STAT aketsao.t 'I'm smoking' - HAB ketsao.tha' Ί smoke, am a smoker/*I'm smoking' 'urinate': STAT akqnihskya.ke: 'I'm urinating' - HAB k$nihskya:kehs Ί usually urinate/*I'm urinating' 4.1.3. Nicht alle Cayuga-Verben lassen sich eindeutig der einen oder der anderen Klasse zuordnen. Einige Verben scheinen ambige STATive zu haben, die sowohl die „present progressive"- als auch die „perfect"-Übersetzung erlauben, wie z.B. ake:kgh 'I'm eating it' und Ί have eaten it'. Klare (d.h. „informantenübergreifende") Fälle solcher Ambiguitäten im Cayuga sind die folgenden: Gruppe C. Ambige STATive: 'eat (something)': STAT ake.kgh 'I'm eating it'/'I have eaten it' - HAB i:ke:s Ί (usually) eat it' (bes. dispositionell 'ich esse es gern') 'drink': STAT akhnekehqh 'I'm drinking it'/'I have drunk it' - HAB khneke.ha' Ί (usually) drink it'/'I'm a drunkard' 'read': STAT akwfnahsa:' 'I'm reading it'/'I have read it' - HAB kw%nahsawi:ha' Ί keep reading, read it between times' 'scratch': STAT aka:tke:t$h 'I'm scratching'/'I have scratched' - HAB katki.tahs Ί usually scratch' 'argue': STAT tehonata. ts 'gh 'they are arguing'/'they have argued' - HAB teh$nat0:ts 'ahs 'they always argue' 'cough': STAT akahsa 'kqh 'I'm coughing'/'I have coughed' - HAB kahsä 'kha' Ί have a cough, keep coughing all the time'
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
221
Alle nordirokesischen Sprachen haben eine ähnliche kleine Gruppe von Verben mit ambigen STATIVen, deren Mitglieder sich übereinzelsprachlich z.T. sogar decken; auch im Seneca ist zum Beispiel das etymologisch entsprechende Verb -k- '(etwas) essen' ambig. Für das Oneida nennt MLCHELSON (1995MS) u.a. die Verben -lihwahkw- 'sing', -statha't- 'dry clothes' und atvtsha'- 'earn, win'. Das Vorhandensein solcher Ambiguitäten hat möglicherweise verschiedene Gründe. Zum Teil handelt es sich um das Problem des Konflikts zwischen der ursprünglichen kompositioneilen Struktur eines komplexen Ausdrucks und der idiomatischen Bedeutung, die dieser durch semantische Erweiterung (u.a. infolge von Inkorporation) angenommen hat. Man kann davon ausgehen, daß die aspektuellen Eigenschaften des in dem idiomatischen Ausdruck verarbeiteten Simplexverbs nachwirken, auch wenn dieser mit seiner neuen (nichtkompositionellen) Bedeutung einer anderen Klasse angehört, so daß konfligierende aspektuelle Interpretationen möglich werden. Dies trifft etwa zu auf'argue' im Cayuga und 'earn, win' im Oneida: Beide enthalten (in lexikalisierter Form) das sogenannte „EVENTUATLV-Suffix Cayuga -sh'-, Oneida -sha'-, das 'fertigmachen' bedeutet (im STATIV 'be done with') und auf ein entsprechendes Vollverb zurückgeht. Dies ist von Haus aus erwartungsgemäß „konsequentiell". Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß das dem Oneida -atvtsha'- 'earn, win' entsprechendeVerb im Cayuga (-at$ts'-) dort nur 'earn, deserve' heißt und daher stets „nichtkonsequentiell" ist, während im Oneida offensichtlich die 'win'-Lesart zu einer Erhaltung der Option einer „konsequentiellen" Interpretation führt. Das Verb -wqn-ahsaw- 'lesen' ist etymologisch 'die Stimme (d.h. die gesprochenen Worte) anfangen', eine Art „Funktionsverbgefüge", das aufgrund von -ahsaw- 'anfangen' von Haus aus eindeutig „konsequentiell" ist. Der Sachverhalt des Lesens ist aber eine durative Tätigkeit, wodurch die „nicht-konsequentielle" Interpretation verständlich wird. Ein ähnlicher Konflikt ergibt sich fur Oneida -lihwahkw- 'sing', das sich aus -lihw- 'matter' und -hkw- 'lift' zusammensetzt; auch hier ist das als Komponente verarbeitete Simplexverb „konsequentiell", die nicht-kompositionelle idiomatische Bedeutung „nicht-konsequentiell". Einige Fälle stellen sich bei näherer Betrachtung als klare lexikalische Ambiguitäten heraus. Relativ gesichert ist dies m.E. bei -k- 'etwas essen'. Wenn man mit den Informanten verschiedene Kontexte durchdiskutiert, kommt man darauf, daß auch nicht-stative Formen desselben Verbs je nachdem mehr oder weniger terminativen Charakter haben können. So ist laut einer Informantin fur die HAB-Form i:ke:s durchaus auch eine Lesart 'I'm about to eat it up' denkbar. Die Annahme liegt nahe, daß wir es hier mit zwei lexikalischen Lesarten von -A:- (1) 'etwas essen' („nicht-konsequentiell"), (2) 'etwas aufessen' („konsequentiell") zu tun haben. 34 Ahnliches gilt fur 'drink'. Manchmal sind die unterschiedlichen Wiedergaben aber auch einfach eine Angelegenheit der englischen Übersetzung. So wird eine Form wie okyanahs0htgh das eine Mal glossiert als 'it's hiding its tracks', das andere Mal als 'it has hidden its tracks'. Für das Cayuga dürfte hier kaum eine Ambiguität vorliegen; sie wird nur durch das Englische hineingetragen: im Englischen 34
Nicht zu den Lesarten von -k- gehört das objektlose 'essen' im Sinne von „eine Mahlzeit einnehmen". Hierfür gibt es ein besonderes intransitives Verb -atekhgni- (REFL-Speise-machen, also wörtl. 'sich Speise machen'). Dieses gehört erwartungsgemäß zu den „nicht-konsequentiellen" Verben (s.o. Gruppe B).
Η.-J. Sasse
222
heißt 'is hiding' hier nicht 'ist dabei zu verstecken' (prozessual), sondern vielmehr 'hält verborgen', was auf dasselbe hinausläuft wie 'has hidden'. 4.1.4. Bei einigen Verben mit ambigen STATIVen kann der HAB in Analogie zur resultativen Lesart des STAT dann auch die prozessuale Lesart bekommen, so daß auch der HAB ambig wird. Dies ist nach meinen bisherigen Recherchen regelmäßig bei folgenden Verben der Fall: Gruppe D. Sowohl STAT als auch HAB ambig: 'play': STAT akatkahnye' 'I'm playing'/'I have played' - HAB katkahnyehs 'I'm playing'/'I usually play' 'look for': STAT akihsakqh 'I'm looking for it'/'I have looked for it' - HAB kihsä.s 'I'm looking for it'/'I always look for it' 'swim': STAT akätawξ' 'I'm swimming'/'I have swum' - HAB katä.wqh 'I'm swimming'/Tm a swimmer' Auch in dieser Gruppe können sich wieder lexikalische Ambiguitäten verbergen. Das normalerweise als 'swim' glossierte Verb -atawq- hat bei näherer Betrachtung zwei verschiedene „senses". Der eine umfaßt die Tätigkeit des Schwimmens bzw. im-See/Fluß-Badens als wassersportlicher Aktivität, der andere die stärker zweckgerichtete Tätigkeit des Badens insbesondere zur Reinigung, die im See oder Fluß, aber auch in der Badewanne stattfinden kann ('bathe, take a bath'). Die erstere ist „nicht-konsequentiell", die letztere „konsequentiell". Ich bin sicher, daß ein repräsentativerer Querschnitt durch die Sprachgemeinschaft weitere Ambiguitäten zutage fördern würde. Die Variation verstärkt sich bei übereinzelsprachlicher Betrachtung. So gehört etwa das etymologisch entsprechende Wort fur 'zählen' (-ahshet-, s.o. Gruppe A) in der mit dem Cayuga sehr eng verwandten Seneca-Sprache nach CHAFE zur „nicht-konsequentiellen" Klasse, ebenso das Verb
'sehen', das im Cayuga zumindest eine
experientielle Perfekt-Lesart erlaubt. Das Verb 'schwimmen' (-atawq-), hier in Gruppe D, wird dagegen im Seneca als „konsequentiell" eingestuft. 35
4.2. Terminativität und Zuständlichkeit 4.2.1. Ungeachtet der in den letzten Abschnitten besprochenen Komplikationen, die in Einzelfällen zu Mischgruppen fuhren, ist die Distinktion zwischen „konsequentiellen" und „nichtkonsequentiellen" Verben in allen Sprachen recht scharf. Der überwiegende Teil der Verba läßt sich exklusiv klassifizieren, insbesondere dann, wenn man lexikalische Ambiguitäten mitberücksichtigt, so daß der eine „sense" in die „konsequentielle", der andere in die „nicht-konsequentielle" Klasse fällt. 35
Möglicherweise liegt im Seneca nur die eine Bedeutung 'ein Bad nehmen' zugrunde, deren „Konsequentialität" dann verständlich wäre (vgl. CHAFE 1980:48). In ähnlicher Weise könnte Seneca -ashel'count' sich auf die eher durative Tätigkeit des Rechnens beziehen, das Cayuga-Pendant -ahshet- dagegen auf das eher tenninative Addieren. Potentielle subtile Bedeutungsverschiebungen dieser Art sind bei der derzeitigen Dokumentationslage überhaupt nicht zu ermitteln.
Aspektsemantik
und Lexikonorganisation
(Cayuga)
223
Das Merkmal [+consequential] leistet zunächst nicht mehr als die Etikettierung zweier Subkategorien von Verben, deren STAT- und HAB-Formen von den Informanten in der beschriebenen Weise interpretiert und glossiert werden. Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, ob die damit verbundene Idee der Resultativität die aspektsemantischen Verhältnisse im Cayuga adäquat und erschöpfend beschreibt. Ähnliche Bescheibungsparameter sind auch anderweitig in der Literatur vorgeschlagen worden, so daß zunächst die Möglichkeit einer übereinzelsprachlichen Generalisierung geprüft werden sollte. Das Merkmal [+consequential] erinnert zum Beispiel an Veronika EHRICHS im situationssemantischen Rahmen entwickeltes Merkmal [+resultativ], das ähnlich wie CHAFES Merkmal das Universum der deutschen Verba auf der Basis der Perfekt-Lesarten in zwei Subkategorien teilt (EHRICH 1992:94f). Insbesondere hat man in Sprachen mit stativähnlichen Kategorien Ambiguitäten der beschriebenen Art festgestellt, die zu einer dichotomischen Subklassifizierung des verbalen Lexikons auf der Basis eines Resultativitätsmerkmals angeregt haben. CHAFE selbst hat bereits auf die -te /'rw-Kategorie des Japanischen hingewiesen, eine periphrastische Konstruktion, die sich aus einem Gerund (Verbaladverb) auf -te und einem Existenzverb (iru-) zusammensetzt und sowohl eine prozessuale als auch eine perfektische Lesart hat. Einen sprachvergleichenden Survey von Kategorien mit vergleichbarer Ambiguität bezüglich einer resultativen und einer prozessualen Lesart hat jüngst EBERT (1995) vorgelegt, die allerdings zu dem Urteil gelangt, daß sich aus dem Befund keine generalisierbaren Schlüsse ziehen lassen. Sie weist vor allem daraufhin, daß zunächst die oft völlig unterschiedlichen sprachspezifischen Gammatikalisierungen und Lexikalisierungen in Betracht gezogen werden müssen. So steht etwa dem englischen is sitting, einer primär Prozessualität ausdrückenden Form, die italienische Zustandspassiv-Form e seduto gegenüber. Weitere Beispiele für sprachspezifische Unterschiede im Bereich der Positionsverben findet man bei COMRIE (1976:57). Es scheint jedenfalls nicht so, daß ein Merkmal [+consequentiaI] bzw. in der üblichen Terminologie [+resultativ] übereinzelsprachlich für perfektisch/prozessual-Ambiguitäten verantwortlich gemacht werden kann; diese scheinen sich vielmehr aus anderen semantischen Eigenschaften der betreffenden Verba abzuleiten.
4.2.2. Ich gehe im folgenden versuchsweise von der Hypothese aus, daß die treibende Kraft des unterschiedlichen STATIV/HABITUAL-Verhaltens im Cayuga eher in der Terminativität als in der Resultativität (verstanden als inhärenter Eigenschaft von Situationen, auf einen Resultatszustand abzuzielen) liegt, 36 und daß das Zustandekommen der Resultativeffekte sekundär durch die Intersektion von Terminativität mit der zugrundeliegenden Zustandsbedeutung des STATIVS zu erklären ist. Dies steht, wie weiter unten noch auszuführen sein wird, in unmittelbarem funktionalen Zuammenhang mit der ausgeprägten lexikalischen Statik-Dynamik-Unterscheidung, die das fundamentale Gliederungsprinzip des verbalen Lexikons des Cayuga (und
36
Auch Karin MICHELSON (1995MS) weist auf die „Telizität" der betreffenden Verben hin und äußert vorsichtig die Vermutung, daß den VENDLER/DOWTY'sehen „Time Schemata" accomplishment und achievement vergleichbare Kategorisierungen zugrundeliegen könnten. Auch für das Verhalten der japanischen -te-iru-FoTm wird traditionellerweise „Telizität" verantwortlich gemacht (neuerdings bestritten von JACOBSEN 1992, vgl. auch EBERT 1995).
Η.-J. Sasse
224
anderer nordirokesischer Sprachen) darstellt. Terminativität wird hier verstanden im Sinne einer in die Verbalsemantik eingebauten Profilierung der abschließenden Situationsveränderung, d.h. der „rechten" Situationsgrenze. 37 Wir nehmen im folgenden Bezug auf die Annahme, daß die grammatikalisierten Aspekte eines Verbs Bestandteile einer Gesamtsituation profilieren, die vereinfacht etwa folgendermaßen dargestellt werden kann (vgl.
BREU
1994:25), wobei G l die
Anfangsgrenze und G2 die Endgrenze der Situation bezeichnet und die Symbole VS, S und N S für 'Vorsituation', 'Situation' und 'Nachsituation' stehen:
Gl VS
G2 S
NS
Abb. 1: Schematische Darstellung einer Gesamtsituation
Terminative Verben profilieren G2, oder anders ausgedrückt: Die Erreichung von G2 (und deren potentielle Überschreitung auf dem Weg in eine signifikante Nachsituation) ist Bestandteil der lexikalisierten Verbsemantik. Cayuga-Verben, die keine prozessuale Lesart des STATIVS erlauben, sind in diesem Sinne alle terminativ, aber nicht notwendigerweise alle „konsequentiell" im Sinne des obigen CHAFE-Zitats. Beim STATIV von -ahshet- 'count' liegt zwar eine Betonung der Abgeschlossenheit vor (man ist mit dem Zählen fertig), doch nicht im eigentlichen Sinne ein „state of affairs that is significant enough to be often talked about" (CHAFE 1980:44). Das gleiche gilt fur eine ganze Reihe punktueller Ereignisse, wie etwa ak$:hs§thw$h Ί have already kicked it'; faktisch liegt hier kein „signifikanter Nachzustand" vor; die Zustandsbedeutung des STAT ist bereits in die temporale Domäne übergegangen und hat sich zu einer Nachzeitigkeitsbedeutung entwickelt. Nicht alle mit dem englischen Perfekt übersetzbaren STATive sind also resultativ im engeren Sinne, aber alle bezeichnen eine Situation, die durch das Überschreiten einer G2 zustandegekommen ist, im Gegensatz zu einer prozessualen Situation, d.h. einer dynamischen Situation, die in ihrem aktuellen Verlauf geschildert wird und bei der G2 ausgeblendet ist. Der generelle Zusammenhang von Terminativität und STAT-Lesart wird deutlicher, wenn man negativ formuliert: „Kein terminatives Verb erlaubt die prozessuale Lesart des STATIVS". Prozessuale STATive nicht-terminativer Verba beziehen sich auf Situationen, die vor dem Bezugszeitpunkt begonnen haben und nach dem Bezugszeitpunkt weiterbestehen, d.h. vor G2 liegen und nicht mit einer Profilierung von G2 verbunden sind. STATiven terminativer Verba inhäriert dagegen stets die Überschreitung von G2. Die Resultatsbezogenheit des im Verb kodierten Sachverhalts spielt insofern eine Rolle, als sie ver-
37
Die Ausdrücke „telisch" und „terminativ" sind in diesem Sinne synonym. JOHANSON (1971) verwendet den Begriff „final-transformativ", der sich aus einer etwas andersartigen Hierarchisierung der theoretischen Primitive ergibt, aber im Prinzip dasselbe meint. Ich ziehe hier den Ausdruck „terminativ" vor, der sich durch frühere Arbeiten in einem ähnlichen theoretischen Rahmen etabliert hat (BREU 1994, SASSE 1991a und b).
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
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schiedene Möglichkeiten einer nichtprozessualen (perfektischen) Interpretation des STATIVS unterscheidet. Nicht alle terminativen Verben fuhren zu einer gleich guten Nachsituation; ein Merkmal [consequential] oder [resultativ] ist daher vermutlich zusätzlich vonnöten und kreuzklassifiziert verschiedene Subtypen terminativer Verben. Im engeren Sinne resultative Verben, also solche, die tatsächlich zu einem wahrnehmbaren Nachzustand fuhren, können von anderen terminativen Verben abgegrenzt werden, bei denen dies nicht der Fall ist. Bei ersteren ist der STATIV resultativ; einem zweiwertigen agentiven STATIV steht dann auch ein patientiver einwertiger STATIV zur Seite. Bei letzteren kann der STATIV entweder nur eine nichtresultative perfektische Interpretation haben oder in Einzelfällen gänzlich fehlen. Wir werden im folgenden sehen, daß dies mit den Lesarten anderer Aspektformen korreliert und zu einer signifikanten Subklassifizierung terminativer Verba fuhrt. Es wird sich ferner herausstellen, daß weder der englische Progressiv als HAB-Paraphrase noch das englische Perfekt als STATParaphrase ausreichende Differenzierungskraft besitzen, da sie selbst mehrdeutig sind. Es müssen also zusätzliche Paraphrasen mit herangezogen werden.
5. Aspektlesarten und Verbsemantik: Zweiter Schritt Die Grundlage der folgenden Klassifikation bildet die Beobachtung, daß jedes Verb 38 über eine spezifische aspektuelle Konfiguration verfugt, die sich durch die jeweils zugelassenen Aspektformen und deren semantische Interpretation konstituiert und im folgenden „Aspektraster" genannt wird.
5.1. Die Aspektraster terminativer Verben 5.1.1. Gruppe Τ1:
PNC kompletiv/*delimitativ HAB prozessual/*approximativ STAT resultativ/*prozessual
PNC signalisiert die Situation als abgeschlossen und läßt sich nicht mit durativen Zeitadverbialien verbinden. HAB ist graduell prozessual, kann aber nicht im engeren Sinne als approximativ gelesen werden, d.h. der Paraphrasetest mit 'I'm about to' oder 'I'm close to' zeigt ein negatives Ergebnis. Die Erreichung eines Ziels ist in der Verbsemantik angelegt, wird jedoch im HAB-Aspekt nicht profiliert. HAB kann in der inzidentiellen Taxis eine Situation bezeichnen, die beim Eintreten einer anderen besteht. STAT ist stets resultativ; bei zweiwertigen Verben mit belebtem SUBJEKT steht dem persönlichen zweiwertigen, mit dem englischen Perfekt wiedergegebenen STATIV ein einwertiger, patientiver (als Passiv übersetzter) STATIV zur Seite, der den Zustand des fertigen OBJEKTS bezeichnet.
38
Unter Berücksichtigung lexikalischer Ambiguität: Verschiedene Lesarten eines „formal einheitlichen" Verbs werden hier als „Homonyme" behandelt, die einen unterschiedlichen Aspektrahmen haben können.
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Beispiele: (a) zweiwertig: - 'rtikhg- 'sew': PNC akhm.khq:' HAB k 'nikhQha' STAT ak 'ni:khQ' ka 'ni:khq'
Ί sewed it' 'I'm sewing i t / T m about to sew it' Ί have sewed i t / T m sewing it' 'it is sewed'
(b) einwertig: -a(h)stehst- 'go dry, dry out': PNC awä:stehs HAB wastehstha' STAT ostehstQh "kastehstQh
'it dried out' 'it's drying out' 'it has/is dried out' 'it is dried out'
Weitere Vertreter dieser Gruppe sind u.a.: (a) -a
'bewitch, put a bad spell on s.o.', -ahsha.nye- 'rub, scrub s.t. off s.t.', -ahshet- 'count', 'paint', -ahsQtr- 'add on, add more, increase size', -ahyakw- 'pick berries', -ate 'nyqtq'measure', -hrowi- 'tell s.o. s.t.', -hwanh- 'tie', -hyatQ- 'write (s.t.)', -kahqt- 'make a hole', -ka:tQ- 'tell a story', -nghsgrti- 'build a house', -onoskwi- 'sweep', -teni- 'change (s.t.)', -y^thw- 'plant'. \na:-
ahsoh-
(b) -ahstehst-
'go dry, dry out',
-aht$
'kw-
'swell', -ahtsi
'krat-
'cloud up',
-tek-
'bum (self)'.
Der Semantik aller dieser Verba ist gemeinsam, daß sie ein „inkrementelles Thema" im Sinne DOWTYS (1991) als Komponente besitzen. Dieses kann SUBJEKT (wie etwa bei -ahstehst- 'go dry', -ahtq'kw- 'swell', -tek- 'burn' 39 ) oder OBJEKT (wie bei den meisten anderen Verba der obigen Liste) sein; es kann gänzlich lexikalisiert sein (wie in -kahqt- 'make a hole'), inkorporiert (wie in -nQhs-Qni- 'build (lit. 'make') a house' oder -ahya-kw- 'pick berries'), oder generell im transitiven Charakter des Verbs mitverstanden sein (wie in -hyatQ- 'write s.t.'). Dieses inkrementelle Thema ist es, dessen vollendeter Zustand bei zweiwertigen Verben durch den patientiven neutrum-SUBJEKT-STATiv angezeigt wird: kahyä.kwqh 'berries are picked', kahyä:tg' 'it is written', kakahq.t 'it is a hole', kanqhsQini: 'a house is built', usw. Der Erreichung des durch das inkrementelle Thema angelegten Zieles gehen in der Regel relativ lange Prozesse voraus. Die prozessuelle Lesart des HAB bezieht sich auf diesen längerfristigen Vorgang, der zur Vollendung führt. Dabei kann auch auf den Anfangspunkt dieses Vorganges Bezug genommen werden (takähsawq:' k 'nikhQha' 'ich fing an, es zu nähen'). Die Verben der Gruppe T1 weisen also trotz ihrer Terminativität Eigenschaften auf, die man traditionellerweise mit „activities" („ACTI" bzw. „AKTI" bei BREU 1994 und SASSE 1991) in Verbindung bringt. Der Unterbrechungstest („wenn man beim VERBen. unterbrochen wird, hat man dann schon geVERBt?") erbringt jedoch stets ein negatives Ergebnis (bzw. die Antwort ,ja, teilweise"), wodurch sich diese Verben von „reinen" activities unterscheiden.
39
Auch in -tek- ist es eigentlich grammatisch ein OBJEKT, da das Verb in allen Formen inaktiv (unpersönlich) konstruiert ist.
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga) 5.1.2. Gruppe T2:
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PNC
punktuell/'delimitativ
HAB
approximativ/prozessual?/konativ
STAT resultativ/*prozessual PNC signalisiert eine Situationsveränderung, der im Prinzip keine längere graduelle Phase vorausgeht. Die Hauptlesart des HAB ist hier im engeren Sinne approximativ, bezeichnet also die unmittelbare Annäherung an den Terminus, und eigentlich nicht prozessual. Im Gegensatz zu den Verben der Gruppe T1 profiliert HAB hier auch G2, d.h. die bevorstehende Erreichung der Situationsveränderung ist in der HAB-Lesart stets mitverstanden. Dies kommt durch die Übersetzungsmöglichkeit mit 'be about to' deutlich zum Ausduck. Da der englische Progressiv auch diese Interpretation mit abdeckt (etwa in h$he:yQhs 'he's dying'), kann das Progressiv-Übersetzungsäquivalent zur Differenzierung nicht genutzt werden. T1 und T2 lassen sich durch den Progressiv/Perfekt-Test allein also nicht auseinanderhalten. Eine weitere Testmöglichkeit für die Differenzierung zwischen den Gruppen T1 und T2 ergibt sich jedoch aus der Unmöglichkeit des Bezuges auf die Anfangsgrenze (*tahdhsawq:'
hqhe.yQhs 'he began to die'). - Neben
der approximativen Lesart kann HAB die konative Lesart haben. Die Lesart von STAT ist stets resultativ. Auch hier ist bei zweiwertigen Verben in Einzelfällen ein passivisch übersetzter objektbezogener einwertiger
STATIV
möglich (etwa kahni:ng'
'it is bought, it is something
bought'). Beispiel: -ihey- 'die': PNC ahehe:' HAB hqhe.yQhs STAT hawt>he:yQ:
'he died (e.g. at 7:30 a.m.)' 'he's dying, he's about to die' 'he's dead, he has died'
Weitere Vertreter dieser Gruppe sind u.a.: -a 'ehst- 'pierce, spear', -a 'swaht- 'turn off (light), put out (fire), extinguish', -ahseht- 'hide (tr.)', anakrakw- 'move away from a place where one lives, move out', -anatinyg't- 'move in', -hi'- 'break (intr.)', -hning- 'buy', -kw- 'get', -na'tgni- 'show st. to s.o.', -owq- 'split (into pieces)', -riyo-l-nyo'kiir, -ya'k- 'cut (sever)', -yena- 'catch'. Die Semantik dieser Verben enthält kein inkrementelles Thema. G2 besteht aber aus einem Punkt auf der Zeitlinie, der in geringem Maße zerdehnt werden kann, wenn der Vorgang mitsamt seinen vorbereitenden Ingredienzien konzipiert wird (in der Literatur gelegentlich als „prelude" bezeichnet). Der Vorgang des Kaufens etwa kann eine gewisse zeitliche Dauer haben; ich habe mich zum Kauf bereits entschlossen, muß aber noch zur Kasse gehen, bezahlen usw., so daß ich durchaus „dabei sein kann, etwas zu kaufen". Dies ermöglicht auch die Fähigkeit des HAB dieser Verba, in der inzidentiellen Taxis vorzukommen ( Ί was about to buy s.t. / extinguish the fire / kill s.o. etc. when...'). Im Gegensatz zu den Verba unter T l , bei denen bei Eintritt des inzidierenden Ereignisses die Hintergrundsituation wenigstens partiell erfüllt sein kann, führt hier die Inzidenz zur Verhinderung der Erfüllung überhaupt.
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5.1.3. Gruppe T3:
PNC punktuell/*delimitativ HAB (approximativ)/konativ STAT resultativ (nachzeitig)/*prozessual
Der HAB kann keine prozessuale Lesart erhalten. Die inzidentielle Taxis ist ausgeschlossen. Die Default-Lesart des HAB ist die habituale (d.h. iterative bzw. okkupationeile). Eine approximative Lesart ist in Einzelaussagen (d.h. nicht in eine Taxis eingebundenen Aussagen) möglich, aber relativ selten. 40 Konative Lesarten sind naturgemäß nur bei volitionalen Verben möglich (tekehkhwa' 'I'm trying to lift it', ke 'nya.kqhs 'I'm trying to escape', aber nicht hewä 'sq 's *'it's trying to fall over the edge'). Der STAT hat eine resultative Lesart gewöhnlich nur im Sinne einer Nachzeitigkeit (abgeschlossener Vorgang, übersetzbar mit 'already' oder recent past), nur ganz selten im Sinne eines signifikanten, einer Entität als Qualität attribuierbaren Nachzustandes. Beispiel: -a 'sq'- 'fall over the edge (of things), drop': PNC ha 'wä 'sq' HAB hewä'sq's STAT heyo 'sq 'Qh
'it fell down over the edge' 'it keeps falling all the time, is about to fall' 'it has (already / just) fallen'
Weitere Vertreter dieser Gruppe sind u.a.: - 'nikghq- 'forget', - 'nyakq'- 'escape', -a 'sqht- 'drop (s.t.)', -ahkt- 'stop in somewhere', -ahsaw- 'start', -ahtqti- 'go away, leave', -ahtg- 'lose', -ate 'skoh- 'fall into the water', -q-.hsqthw- 'kick', -hkw- 'lift', nhi'- 'make a mistake', -ta'- 'stand up, stop', -tshqri- 'find', -ya tahtq'- 'get lost (self), lose one's way', -ya 'tq'- 'fall into s.t.', -yg- 'come in'. Bei dieser Gruppe handelt es sich um total-terminative, vorwiegend punktuelle Verben. Auch einige komplexive Sachverhalte gehören hierher, z.B. Sprechaktverben wie -/'- 'say' und nghQnyQ- 'thank'. Der HAB kann bei den Verben der Gruppe T3 keine Gradualität ausdrükken, lediglich die Bemühung oder das unmittelbare Bevorstehen der Überschreitung von G2. 5.1.4. Gruppe T4:
PNC
inzeptiv
HAB graduell STAT resultativ und aktuell-zuständlich PNC bezeichnet den unmittelbaren Eintritt in den Zustand, der durch STAT ausgedrückt wird. HAB bezeichnet neben seiner üblichen iterativen Lesart das Anfangsstadium oder die schrittweise Erreichung des Zustands.
40
Eine Informantin sagte z.B. beim Anblick einer längere Zeit lang gesuchten Kaffeebüchse: ketshf.nye 's ('I'm about to find it').
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Bezüglich ihres Valenzverhaltens zerfallen diese Verba in zwei Untergruppen. Die eine (T4a) umfaßt einwertige Verben, bei denen der Zustandsträger wie üblich im HAB und PNC als SUBJEKT, im ST AT dagegen als OBJEKT erscheint. Dieser STATIV ist resultativ. Ihm steht ein zuständlich gelesener STATIV mit Promotion des OBJEKTS zum SUBJEKT zur Seite. Beispiel: -a 'swek- 'be / become d e a f : PNC
atkä 'swe:k
Ί got d e a f 4 1
HAB
tekä ^we.j
' I ' m gradually becoming d e a f 4 2
STAT tewaka 'swe:kqh teka'swe:kQh
Ί have become deaf 'I'm deaf
Weitere Vertreter dieser Gruppe sind u.a.: -ahtih- 'become different or uneven' (PNC atkqnahtiha' 'they became uneven', HAB tekqnahtihahs 'they are getting different', STAT tekonahtihqh 'they have become different', tekqnahtihqh 'they are different, uneven, or don't look alike'); -akayghst- 'get old (of things)' (PNC awäkayghs 'it got old', HAB wakäyQhstha' 'it's beginning to get old/on its way getting old', okayghstgh 'it has become old, it's really old', wakayghstQh 'it is (made) old'); -atkqh- 'rot' (PNC a '0:tkh 'it rotted', HAB otk?hs 'it's rotting', STAT otk£ φ it has become rotten, otkg: 'it's rotten'); -kahkwek- 'be/become blind' (PNC atkekahkwe:k Ί got blind', HAB tetekahkwe.s 'I'm on my way getting blind, STAT tewakekahkwe:kgh Ί have become blind', tekekahkwe.kqh 'I'm blind'). Von diesen unterscheiden sich die Verben der Gruppe T4b dadurch, daß sie in ihrem (semantischen) Rollenrahmen einen „Experiencer" enthalten, der durchweg als OBJEKT kodiert wird. Die Konstruktion ist „inaktiv"-unpersönlich; der „Stimulus" erscheint als Dummy-SUBJEKT der 3. Ps. Sg. neutrum. Diese Verben haben demgemäß auch keine Variation der Argumentausrichtung im STATIV. ES gibt nur eine STATiv-Form: diejenige, in der der Experiencer wie in allen anderen Aspektformen als OBJEKT erscheint. Beispiel: -na'khwqh- 'be / get angry': PNC
gkhna'khwqh
Ί got angry'
HAB
akhnä 'khwqhs
' I ' m getting angry'
STAT akhnä 'khw$ 'Qh Ί am angry' Weitere Verben dieser Gruppe sind u.a.: - 'nikQhi '- 43 'be/get sad' (STAT twakhnikghf 'Qh Ί am sad')
41 42
I.S.v. 'ich wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt taub'. Übersetzung gekünstelt, umgangssprachlich 'I'm on my way gettin' deaf o.ä.
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230 - 'tghkwa:- 'have/get the fever' (STAT ak'tQhkwä.hgh 'I'm having the fever') -ahta'- 'be/get filled up/satiated' (STAT akahta 'gh Ί am füll') -atatsh^hs- be/get tired' (STAT akatatsh^hse: 'I'm tired') -atQnhahe- 'be/become happy' (STAT akalQnhahe:' 'I'm happy') -atshqht- 'be/get tired' (STAT akätsh^htgh 'I'm tired') -atshqngni- 'be/become glad' (STAT akatsh^ng:ni: 'I'm glad') -ya 'tataihq- 'be/get warm (body)' (STAT akya 'tatäih$: 'I'm warm')
Man kann davon ausgehen, daß diese Verben im STAT tatsächlich das „Gewordensein" des Zustandes ausdrücken (d.h. die erfolgte Bewirkung des Zustands durch einen Stimulus) und daß die aktuell-zuständliche Lesart des STATIVS in diesen Fällen nur eine Übersetzungsfunktion des resultativen STATIVS ist. Dafür spricht die Tatsache, daß fast alle der in dieser Gruppe belegten Verben mit einem kausativierenden bzw. terminativierenden Ableitungssuffix gebildet sind. 44 Typ T4b unterscheidet sich von Typ T4a nicht nur äußerlich durch die Argumentstruktur und das Fehlen des „promovierten" STATIVS im Aspektraster, sondern auch durch die Kausationsdynamik und die Zeitstabilität des resultierenden Zustandes. Die Verben des Typs T4a beschreiben graduelle (oder potentiell graduelle) Situationen, deren Gradualität durch den HAB ausgedrückt wird und die auf einen permanenten Zustand abzielen, der im STATIV erreicht ist und einer Entität als Eigenschaft zugesprochen werden kann. Der Zustandsträger ist von vornherein, also nicht erst nach Überschreitung von G2, sondern bereits in der durch den HAB ausgedrückten graduellen Vorphase in den Zustand involviert; in der durch den STAT ausgedrückten Phase ist der Zustand lediglich vollständig erreicht. Die Verben des Typs T4b hingegen enthalten eine Komponente der Kausation von außerhalb des Zustandsträgers/Experiencers; in der durch den HAB ausgedrückten Vorphase ist der Experiencer noch nicht eigentlich betroffen; die Gradualität ist sozusagen noch eine Eigenschaft der Bemühung des Stimulus ('something is trying to get me angry'). Erst durch Überschreitung von G2 ist die Situation ein (vorübergehender) Zustand des Experiencers geworden.
5.2. Die Aspektraster nicht-terminativer Verben 5.2.1. Gruppe NT1:
PNC
delimitativ
HAB
iterativ/okkupationell/dispositionell/*prozessual
STAT prozessual/*perfektisch Hierher gehört die Hauptmasse der CHAFE'schen „nicht-konsequentiellen" Verben. PNC hat grundsätzlich die delimitative Lesart, die die Gesamtsituation mit ihren beiden Grenzen umfaßt, und ist demgemäß stets mit durativen Zeitadverbialien kompatibel. Hauptverwendungsbereich ist die sequentielle Taxis. HAB kann nur über die „habituelle" Lesartengruppe verfügen (HAB43
44
In Verbindung mit dem präpronominalen Präfix l- („CISLOCATIVE") 'towards speaker'. Die wörtliche Bedeutung ist etwa 'it mind-drops towards me'. Kompositionen wörtlich genommen, heißen die obigen Verben 'es läßt den Geist auf mich fallen', 'es tut mir ein Glühen hinein', 'es macht mich satt' usw.
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1 bis HAB-3); aktuelle hic-et-nunc-Prozessualität ist als Interpretationsmöglichkeit flir HABFormen ausgeschlossen. Diese wird vom STAT übernommen, fiir den seinerseits „perfektische" Lesarten ausgeschlossen sind. Beispiel: -atska'hQ-
'chew':
PNC
atkätska 'hg:'
HAB
tekatska 'hQha' Ί always chew, like to chew/*I'm chewing'
STAT tewakatskä'hQ'
Ί chewed (for some time and...)' ' I ' m chewing/*I have chewed'
Weitere Verben dieser Gruppe sind u.a.: -aky^hqthw- 'pull (intr.)', -atahghsiyohst- 'listen', -atawqnye- 'travel, wander', -ate 'skgt- 'fry', atekhQni- 'eat (= have a meal)', -athrowi- 'tell about', -atkw- 'dance', -atowat- 'hunt', -atQt- 'eat together', -atr^not- 'sing', -atriyo- 'fight', -qnihskyake- 'urinate', -hren- 'cut (incise)', -kahatenya't'roll', -ης 'keh- 'suck (milk)', -ςto't- 'shake', -tsaot- 'smoke (tobacco)', -ya 'ta 'tih- 'lean against s.t.'. Die Verben dieser Gruppe bezeichnen zum überwiegenden Teil Sachverhalte, die als intransitiv (einwertig) wiedergegeben werden, 45 darunter besonders viele, die durch eine
SEMIREFLEXIV-
Ableitung von terminativen Simplizia gebildet sind (s. 5.3.2) und daher auch vom Standpunkt des Cayuga-Systems aus als „intransitiviert" und somit „determinativiert" gelten können. Das Fehlen der perfektisch-resultativen Lesart des
STATIVS
steht hiermit in direktem Zusammen-
hang. Da bei diesen Verben die Überschreitung von G2 unter Ausschluß von G l nicht profiliert ist, kann es auch keine Form geben, die unter Rekurrenz auf diese Profilierung einen Nachzustand nach G2 bezeichnet. Wie kommt es nun aber dazu, daß der
STATIV
hier die
prozessuale Funktion annimmt und damit in den Bereich aktueller Imperfektivität vordringt? Es wäre ja denkbar, daß dies durch den HAB geleistet werden könnte und der
STATIV
bei solchen
Verben einfach fehlt. Eine mögliche Lösung läge in der Annahme, daß der
STATIV
solcher Verben die Bezeich-
nung von Prozessualität einfach in der KoscHMlEDERschen „Leerlauflunktion" übernimmt: Er wird für Resultativität nicht gebraucht und ist daher sozusagen fur eine andere Funktion frei. Es ist ganz offensichtlich, daß diese Interpretation den Fakten nicht gerecht wird. Die Prozessualität des
STATIVS
rührt vielmehr von der ursprünglichen Konzeptualisierung her, die diesen
Verben zugrundeliegt. Um dies zu demonstrieren, sei hier ein kleiner Exkurs in die individuelle Wortgeschichte einzelner ausgewählter Verba gestattet. Eine beträchtliche Anzahl von Verben der Klasse NT1 sind von einer durativen Ausgangsmetaphorik her aufgerollt, in deren Zentrum ein statives Positionsverb steht (zu Positionsverben vgl.
45
5.3.1).
Der
STATIV
aka:trf:no:t
Ί
am singing' heißt wörtlich 'mir steht die Stimme',
Diese vorsichtige Formulierung bezieht sich auf die Tatsache, daß der Unterschied zwischen Transitivität und Intransitivität bei nichtbelebtem Patiens im Cayuga nicht sichtbar ist, da bei einwertigen Verben die gleichen pronominalen Präfixe erscheinen wie bei zweiwertigen mit der 3. Ps. Sg. neutrum als Objekt. Vgl. auch Fn. 29.
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entsprechend akhnä 'tso. t 'I'm boiling (water)' < 'mir steht der Kessel (sc. auf dem Herd)', aketsao.t 'I'm smoking' < 'mir steht der Rauch', akathna'täQ-.t 'I'm baking (bread)' < 'mir ist das Brot drin (sc. im Backofen)' etc. Diesen STATIV-Formen der Positionsverben stehen stets dynamische HAB- und PNC-Formen mit einer kausativen Komponente zur Seite, die die Grundlage für den Rest des Paradigmas abgeben: PNC akatrqnö.tq' ist somit wörtlich 'ich stellte die Stimme a u f , HAB katr^notha 'ich stelle stets die Stimme a u f . Bei allen diesen Verben wird also das Aspektraster des zugrundeliegenden idiomatischen Ausdrucks unverändert fortgesetzt. Dies ist aber nicht die einzige Möglichkeit, an das entsprechende Aspektraster zu gelangen. Ein anderer Weg fuhrt über eine ursprünglich terminative Metaphorik, deren eigentlichen Nachzustand der STATIV beschreibt. Ein solcher Fall ist -atahQhsiyohst- 'listen'. Es besteht aus dem SEMIREFLEXIV-Präfix -at-, der inkorporierten Nominalwurzel -ahQhs- 'Ohr', -iyo- 'gut sein' und KAUSATiv-Suffix -hst-, also wörtlich 'sich die Ohren gut machen'. Der hiervon ausgehende resultative STATIV akatahghsiyöhstgh 'ich habe mir die Ohren gut gemacht' heißt dann konventionalisiert 'ich bin am Zuhören'. Ähnlich -aie-kh-gni- (SEMIREFLEXIV + 'Speise' + 'herstellen') 'essen' = 'eine Speise einnehmen': ST AT akatekhQ.ni: 'ich habe mir eine Speise gemacht', konventionalisiert 'ich bin am Essen'. 46 Ein weiterer Zugang schließlich erfolgt über die Reflexivierung terminativer Simplizia, wie -atkw- 'dance', das ein lexikalisiertes SEMIREFLEXIV des total-terminativen (punktuellen) -hkw- 'lift' (Gruppe T3) darstellt ('vor sich hinheben (sc. die Beine)'). Durch die mit der Reflexivierung verbundene Ausblendung des einzelnen OBJEKTS, auf das sich der punktuelle Vorgang richtet, erhalten solche Verben häufig eine iterative Komponente, d.h. der Vorgang richtet sich auf mehrere potentielle und beliebige OBJEKTe. Ein gutes Beispiel ist -atriyo- 'fight', SEMIREFLEXIV von -riyo-l-nyo- 'töten', also etwa 'vor sich hintöten, in der Gegend herumtöten'. Aufgrund des iterativen Charakters liegt im Fall des aktuellen Vorgangs mindestens ein Ereignis vor der Bezugszeit; die prozessuale Lesart des STATIVS geht also auch hier konzeptuell auf Resultativität zurück: 'ich habe angefangen, in der Gegend herumzutöten, und tue es nun weiter'. Im vorliegenden Zusammenhang ist es nun von besonderem Interesse, daß sich hier offenbar ein produktives Muster ergeben hat, das generell fur nicht-terminative Verben zuständig wird und dem dann auch einige primäre nicht-terminative Verben zugeordnet werden wie -hreri'incise (= make incisions)' oder -riQ 'keh- 'suck', denen keine entsprechende Metaphorik zugrundeliegt. Dieses Muster führt zur Etablierung einer Klasse, die sehr gut mit dem VENDLERschen „activity"-Schema bzw. der BREU'schen ACTI-Klasse in Einklang gebracht werden kann, für deren Vertreter in den verschiedensten Aspektsprachen genau das oben beschriebene Aspektraster typisch ist: (1) Der perfektive Aspekt ist stets delimitativ, d.h. bezeichnet die Gesamthandlung mit Anfang und Ende; (2) der imperfektive Aspekt bezeichnet die aktuelle Situation, ohne die beiden Grenzen zu profilieren; (3) ein perfektisch-resultativer Aspekt
46
In den verwandten Sprachen kann unterschiedliche Idiomatik zugrundeliegen, woraus sich z.T. die oben erwähnten verschiedenen Klassenzugehörigkeiten von Übersetzungsäquivalenten des gleichen engl. Verbs ergeben.
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fehlt. 47 Man könnte Gruppe NT1 also mit einer „activity"-Klasse gleichsetzen. Für den konzeptuellen Aufbau des verbalen Lexikons im Cayuga halte ich es jedoch fur signifikant, daß der Weg zu einer solchen Klasse nicht eigentlich über Aktivitäten, sondern über Zustände fuhrt. 5.2.2. Gruppe NT2:
PNC
inzeptiv/delimitativ
HAB
iterativ/okkupationell/dispositionell/*prozessual
STAT prozessual Es gibt relativ wenige Verben in dieser Gruppe. Beispiele sind -ri 'sta:- 'have a conversation (PNC 'join in with a conversation', HAB 'always have conversations', STAT 'be having a conversation (right now)') und - η γ φ ς - 'boil' (PNC 'start to boil', HAB 'keep boiling all the time', 4 8 STAT 'be boiling'); ferner gehören hierher einige auf dem Verb -ye- ' d o ' basierende Komposita. 5.2.3. G r u p p e N T 3 :
PNC
inzeptiv
HAB
aktuell-zuständlich/prozessual
STAT fehlt Die Verben dieser Gruppe unterscheiden sich von allen bisher behandelten darin, daß sie offenbar überhaupt keinen oder bestenfalls marginal einen
STATIV
erlauben.
Beispiel: -itrqhta:- ' b e / g e t sleepy': PNC
gkitrqhtä:'
Ί got sleepy'
HAB
akitrqhtä: 's
' I ' m sleepy'
STAT Weitere Vertreter dieser Gruppe sind u.a.: - 'nikQhahetk%- 'be/get depressed' (HAB akhnikQhähetkqhs 'I'm depressed') - 'nikqhsatQ'- 'be/get lonesome' (HAB akhnikQhsä:tQ 's 'I'm lonesome') -'nikQkah'be/get anxious' (HAB akhnikqhkah^hs Ί am anxious') -ahshqthw- 'cry' (HAB tekahshqthwahs 'I'm crying') -ahtrQ'- 'be/get scared' (HAB akahtrq's 'I'm scared') -ahtsqwateni- 'be/get dizzy' (HAB akahtsQwate.nye's 'I'm dizzy') -asta:- 'cry' (HAB kasta.ha' 'I'm crying') -athowahst- 'be/get chilly' (HAB akathowähstha' 'I'm chilly') -atQhswe 'tani- 'be/get hungry' (HAB akatghswe 'tanih 'I'm hungry') •ha 'tathq- 'be/get thirsty' (HAB kha 'tä:thqhs 'I'm thirsty') 47
48
Das einzelsprachliche Vorkommen von Perfektformen bei solchen Verben ist gewöhnlich darauf zurückzufuhren, daß die betreifende einzelsprachliche Kategorie über die Resultativität im engeren Sinne hinaus Bedeutungserweiterungen - etwa im temporalen Bereich - erfahren hat und dann bei „activity"-Verben vorwiegend für solche Lesarten infrage kommt. HAB kann bei diesem Veib auch die seltene diminutive Lesart haben, vgl. Beispiel (17).
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-hnekanyo- 'have/get a hangover' (HAB akhnekanyohs Ί have a hangover') -netra: 'tani- 'be/get nauseous' (HAB akhneträ: 'tanih 'I'm nauseous') -ng 's(e)- 'be/get lazy' (HAB akhngseh 'I'm lazy') -nghgktani- 'be/get sick (HAB akhnghgkta.nih 'I'm sick') -nq:hkw- 'love' (HAB kgnghkhwa' Ί love you') -ygkya't- 'laugh' (HAB kygkya 'tha' 'I'm laughing') -ygti- 'smile' (HAB akyg.tih 'I'm smiling') Die PNC-Formen sind stets inzeptiv und werden von Informanten auch in solchen Fällen gern so übersetzt, wo dies aufgrund der englischen Konzeption nicht unmittelbar naheliegt (alle folgenden Beispiele in FAC/PNC): qkathö:wahs Ί got chilly', gkahtsgwate.ni' Ί got dizzy', gkhniträ: 'tq' 'it upset my stomach', gkhnghgkt^' Ί fell ill', gkhnikghsä:tg' Ί got lonesome', akhä'tathq' Ί got thirsty' etc.; aber auch akg:ng:hk Ί fell in love with you' (eher als Ί loved'), akastä:$' Ί started to cry' (eher als Ί cried'), gkyg.ti' Ί started to smile' (eher als Ί smiled') etc. Die Klasse NT3 ist semantisch sehr geschlossen. Es handelt sich ausschließlich um physische und psychische Zustände des Menschen. Hierher gehören - mit einer gut begründeten Ausnahme, dem punktuell-iterativen Verb -ahsak- 'husten' - sämtliche Schmerzen und Krankheiten: - 'ahsaw 'e- 'have/get asthma' (HAB tewake 'ähsaw 'ehs Ί have asthma') - 'wahak- 'have/get cancer' (HAB ake 'wäha:s Ί have cancer') -hswe 'nanghwak- 'have/get sore back' (HAB akehswe ln0nghwa:s Ί have a sore back') -ng 'a:nghwak- 'have/get headache' (HAB akhng 'ä.nghwa.s Ί ' have a headache') -way^hsihsghkw- 'have/get a heart attack' (HAB tewakewayqhsihsghkhwa' Ί have a heart problem') -ya 'tanqhwak- 'be/get sore, ache' (HAB akya 'tanghwa:s 'I'm sore/I ache') u.v.a. Was haben diese Verben gemeinsam, das sie von Gruppe T4 abhebt, die ebenfalls physische und psychische Zustände enthält? Mit ganz wenigen Ausnahmen (-ygkya't- '(laut) lachen', -asta:- und -ahsht>thw- 'weinen' sowie -ha'talhς- 'durstig sein' sind meine einzigen Belege) sind diese Verben ebenso wie die von Gruppe T4b inaktiv-unpersönlich, d.h. der Zustandsträger bzw. Experiencer ist als OBJEKT, ein imaginärer Stimulus als 3. Ps. Sg. neutrum SUBJEKT kodiert. Oft tritt zusätzlich noch ein „BENEFAKTIV-Suffix" (-(a)ni- oder -s(e)-) hinzu, das die Affiziertheit des Experiencer betont. Wie bei Gruppe NT1 haben viele dieser Ausdrücke eine semantisch komplexe metaphorische Basis, die mit zugrundeliegenden terminativen Verben operiert. Im Gegensatz zu T4b sind dies aber keine Verben, die die graduelle Erreichung eines Zustands ausdrücken, sondern entweder ist die verbale Komponente prozessual, die nichtkompositionelle Bedeutung des Idioms dagegen zuständlich (wie bei 'have cancer'), oder es handelt sich um total-terminative Verben („achievements"), die gar keine Gradualität zulassen. Die Quelle der Terminativität ist wie bei N U heterogen. Etwa bei -hnekanyo- 'have / get a hangover' (wörtl. 'Alkohol-töt-') liegt sie in dem Verb -nyo- 'töten'; akhnekanyohs wäre also soviel wie 'es ist dabei, mich durch Alkohol zu töten'. Der 'Krebs' ist ake 'wäha:s 'es ist dabei, mein Fleisch aufzuessen'. In einem Fall wie akhmkghähetkqhs 'I'm depressed' liegt ein Faktitiv
Aspektsemantik
und Lexikonorganisation
(Cayuga)
235
vor: -'nikQh- 'mind' + -hetkq- 'schlecht machen' ergibt 'es macht mir den Geist schlecht' (Paraphrase einer Informantin: 'it's making a bad mind on me'). In zahlreichen Fällen ist die Terminativität durch das sog. INCHOATIV-Suffix (-'-) auch formal markiert: akähtrg's 'I'm scared' heißt soviel wie 'es ist drauf und dran, mich zu erschrecken' usw. Die auf der Basis der zugrundeliegenden Idiomatik konzipierbaren Nachzustände, die ein STATIV ausdrücken könnte, sind entweder nicht sinnvoll oder erfassen nicht den aktuellen physisch-psychischen Zustand. Die in einigen Fällen von Informanten zugelassenen STATFormen sind marginal und in ihrer Interpretation umstritten. Die plausibelste Lesart ist die der Profilierung der Abgeschlossenheit eines inzeptiven Ereignisses, die im Text Vorzeitigkeit signalisiert („Plusquamperfekt"): STAT akya'tanghwahgh (in Opposition zu FAC/PNC gkya'tangwa:k Ί got sick') Ί have / had already got sick'. In der Abfragesituation wird aber gewöhnlich hierfür die STATIV-Form einer entsprechenden Ableitung (meist der sog. INCHOATIV) eingesetzt: STAT akastdq 'gh Ί have / had already started to cry'. Wie im Falle von NT1 bildet sich auch bei diesen Verben ein produktives Muster, das aus einer kompositionell transparenten Quellsemantik abgeleitet ist, aber darüber hinaus „wuchert" und zur Etablierung einer semantischen Klasse mit einem für sie typischen Aspektraster fuhrt. So werden denn hier auch solche Verben integriert, die nicht auf inaktiv-terminative Quellen zurückgehen, wie etwa 'Durst haben' und 'weinen' in Analogie zu 'Hunger haben' und 'lachen'. Das Aspektverhalten des Verbs -ha't-ath$- 'Durst haben' ist vom etymologischen Standpunkt aus völlig „unberechtigt". Es setzt sich zusammen aus dem eigentlich ein stativum tantum bildenden -atΗς- 'trocken sein', in das -ha 't- 'Kehle, Gurgel' inkorporiert ist. Es wäre demgemäß so etwas wie STAT *akhä 'tath%: 'mir ist die Kehle trocken' zu erwarten (vgl. das entprechend gebildete ake-hskyq 'w-d th^: 'I'm skinny' = 'mir ist das Skelett trocken' und ähnliche Fälle). Die Form kha 'tä. thqhs bedeutet aber wörtlich genommen 'ich trockne es gewohnheitsmäßig in Bezug auf die Gurgel' bzw. 'ich trockne die Gurgel', was keinen Sinn macht und nur durch einen Analogieschritt zu erklären ist. Die dynamische Kraft der Klassenbildung wird auch durch den Vergleich mit verwandten Sprachen evident. So stellt sich der HAB tekähshqthwahs 'I'm crying' im Sprachvergleich als eine Neuerung des Cayuga heraus: das etymologisch verwandte Verb im Seneca ist im STATIV (CHAFE 1980:48), wäre also in Gruppe NT-1 einzuordnen. Analog dazu hat das Seneca fur 'I'm laughing' den mit dem entsprechenden Cayuga-Verb nicht verwandten STAT hoskätkw^'gh. Offenbar hat das Seneca also fur diese Verben ein anderes Kategorisierungsmuster. 49
49
Im Cayuga gibt es auch eine kleinere Anzahl von Emotionsverben in der total-stativen Klasse, die permanente emotionale Eigenschaften beschreiben, wie etwa niwakrihu: 'uh Ί am sensitive' ('ich bin klein in bezug auf Angelegenheiten').
236
Η.-J. Sasse
5.3. Weitere Komplexitäten des Systems Das Aspektklassensystem des Cayuga weist eine Reihe weiterer Komplexitäten auf, deren detaillierte Beschreibung den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes gesprengt hätte. 50 An dieser Stelle können daher nur noch Hinweise auf zwei weitere Phänomenbereiche gegeben werden, die fur die abschließende Diskussion von Relevanz sind. 5.3.1. Zunächst ist zu vermerken, daß eine Reihe von Verbalklassen mit systematischen StatikDynamik-Alternationen unterschiedlicher Natur existieren, die in heterogener Weise zur Etablierung von Ausdrücken mit „activity"-ähnlichem Verhalten beitragen: a. Eine relativ große Klasse von Positionsverben zeigt in ihrem Paradigma eine nur ihnen eigentümliche Verbindung von statischen und terminativen Verhältnissen. Der STAT dieser Verba bezeichnet die Position und ist „positionsträgerorientiert"; die HAB- und PNC-Formen sind terminativ-kausativierend (ohne morphologische KAUSATIVE zu sein) und sind auf den Agens der kausativen Handlung orientiert. Bei dem Verb -niyQt- 'hängen / aufhängen' etwa ergibt dies die folgenden Formen: PNC akhni:yQ:t$' Ί hung it up', HAB khniyQ.tha' Ί usually hang it up; I'm about to hang it up', STAT akhni:yQ:t Ί have hung it up (and it is hanging now)', kaniiyQt 'it is hanging now; it (always) hangs'. Es wurde schon daraufhingewiesen, daß die Zusammensetzung mit solchen Positionsverben als produktiver Lexikonerweiterungsmechanismus fungiert und in einer großen Anzahl konventionalisierter Komposita mit inkorporierten Nominalstämmen als Erstgliedern vorliegt, durch die semantisch komplexe nichtterminative Situationsausdrücke geschaffen werden, die ein Verhalten zeigen, welches dem von „activity"-Verben in europäischen Sprachen nicht unähnlich ist (vgl. 5.2.1). Der STATIV solcher zusammengesetzter Verben wird prozessual interpretiert. b. Eine Anzahl von Verben verfugt über ein „suppletives" Aspektraster, daß sich regelmäßig aus zwei distinkten lexikalischen Einheiten zusammensetzt, und zwar dergestalt, daß eine prozessuale oder aktuell-zuständliche Aspektbedeutung durch ein lexikalisch eigenständiges statisches Verb (stativum tantum) ausgedrückt wird, während die übrigen Aspekte der Gesamtsituation durch ein anderes, mit dem prozessualen statischen Verb meist etymologisch oder derivationell verwandtes, in einigen Fällen aber sogar unverwandtes Verb bezeichnet werden. Dieses komplementäre Verb ist stets terminativ und verfugt über ein vollständiges eigenes Aspektraster, das jedoch die prozessuale Bedeutung ausschließt. In dieser Gruppe befinden sich alle Bewegungsartverben. Ein weiteres Beispiel ist 'arbeiten' mit dem stativum tantum -riho 'te' 'be at work, be working' und dem dynamischen Pendant -atriho 'tat
atriho 'ta.st-
'do work'.
50
Eine erweiterte Fassung der vorliegenden Arbeit, die ausführlichere Angaben zu den in Abschnitt 5.3 genannten Themenbereichen enthält, ist als Arbeitspapier Nr. 28 N.F. des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität zu Köln erschienen.
Aspektsemantik und Lexikonorganisation
(Cayuga)
237
c. Neben der Tendenz zur Suppletion verfugen Bewegungsartverben über die drei üblichen Aspektkategorien hinaus über eine weitere stativartige Kategorie mit besonderer, vom regulären STAT abweichender Morphologie, die von manchen Irokesisten als vierte, nur bei diesen Verben auftretende und als „PURPOSIV" bezeichnete Aspektkategorie gefuhrt wird. Im Gegensatz zu Fällen wie 'work' übernimmt bei diesen Verben der PURPOSIV die Bezeichnung der Prozessualität. Ein ähnliches Verhalten zeigen auch zwei Derivationskategorien, die aus einer inzwischen opaken Komposition mit einem generellen Bewegungsverb aufgebaut sind, der sog. DISLOKATIV ('SUBJEKT g e h t , u m die H a n d l u n g a u s z u f ü h r e n ' ) u n d d e r s o g .
AMBULATIV
('SUBJEKT fuhrt die Handlung weiterhin / immer noch durch'). Der DISLOKATIV zeichnet sich zudem durch die Eigenheit aus, daß das FAC-Präfix in Kombination mit dem PURPOSIV Momentaneität ausdrückt. 5.3.2. Das Gesamtsystem des Cayuga in der Aspektualitätsdomäne ist durch eine starke Polarisierung zwischen einem monoaspektuellen statischen und einem (von idiosynkratischen Ausnahmen abgesehen) tendentiell triaspektuellen terminativen Extrem gekennzeichnet. Nur relativ wenige Verben weisen systematische Ambiguitäten auf, die multiple Klassenzuordnungen erfordern. Verschiedene „senses" polysemer Verbstämme können unterschiedliche Aspektklassenzuordnungen erhalten; Belege hierfür sind nicht besonders zahlreich, was vermutlich mit dem polysynthetischen Charakter der Sprache und dem damit verbundenen Überangebot an formalen Mitteln zur Bedeutungsdifferenzierung zusammenhängt. 51 Im übrigen ist die Klassenzuordnung erstaunlich exklusiv, d.h. es ist im Normalfall eine Form einer Klasse zugeordnet. Interessant ist die Tatsache, daß nicht selten mehrere Verben mit ganz unterschiedlichen Stämmen für den gleichen Vorgang (oder „kognitiv" verwandte Vorgänge) existieren, je nachdem ob dieser vom terminativen oder vom nicht-terminativen bzw. Stativen Standpunkt her lexikalisiert ist. Ein typisches Beispiel sind die Verben -hren- und -ya 'k-. Das erste beschreibt ein nicht-terminatives 'einschneiden' bzw. 'Einschnitte machen', das zweite eine terminatives 'abschneiden'. Die starke aspektuelle Festlegung im Lexikon hat zur Folge, daß (1) ein beträchtliches Ausmaß an mit „Aktionsarten" vergleichbaren lexikalischen Korrespondenzbeziehungen be-
51
Nicht selten ist hingegen der Vorgang, daß sich durch Idiomatisierung figurative Bedeutungen aus einzelnen Aspektstämmen heraus entwickeln, die nicht auf das gesainte Verb generalisiert werden, sondern auf einen Einzelaspekt beschränkt bleiben: HAB
tekä:kya's
PNC
atü.kya'k
(1) (2) (1) (2)
Ί break in two' 'I'm keel-over (= very üred)' (< 'I'm just about ready to break up') Ί broke in two' *'I was/became keel-over'
Die figurative Lesart wird hier aus der prästadialen Komponente des HAB des terminativen Veibs entwickelt. Sie bleibt auf den HAB beschränkt und löst - offenbar zu stark blockiert durch die nicht-figurative Ausgangsbedeutung - keinen PNC mit inzeptiver Lesart aus.
238
Η.-J. Sasse
steht, und daß (2) eine große Anzahl overter, d.h. derivativer Umkategorisierungsmechanismen existiert, deren Anwendung fur Klassenverschiebungen obligatorisch ist: a. Der wichtigste Mechanismus zur Umkategorisierung von terminativen zu nicht-terminativen Verben ist die Bildung des sog. SEMIREFLEXIVS (SRF, Präfix -at- und Varianten). Die meisten nicht-statischen Simplizia sind zweiwertig, enthalten also Stellen fur SUBJEKT und OBJEKT. Die Annahme liegt nahe, daß die auffallend starke Terminativitätstendenz der Cayuga-Verben mit der Präferenz zur transitiven Interpretation in engem Zusammenhang steht. Im pronominalen Präfix sind referentielle OBJEKTE enthalten, die als „Terminus" („Telos", „Endpunkt") angelegt sind. Semireflexivierung blendet spezifische OBJEKTE aus (vgl. 3.2) und fuhrt daher regelmäßig zu Klassenverschiebungen. So wird aus dem zweiwertigen terminativen -riyo- 'jem. töten' das einwertige nicht-terminative SRF -atriyo- (Klasse NT1) 'in der Gegend herumtöten', semantisch konventionalisiert zu 'kämpfen'. Ähnlich -awqnye- 'etw. umrühren, herumwirbeln' zu SRF -atawqnye- (NT1) 'reisen', -hrowi- 'jem. etw. erzählen' zu SRF -athrowi- (NT1) 'herumerzählen', -yQ'se:- 'jem. besuchen' zu SRF -akyq'se:- (NT1) 'einen Besuch / Besuche machen' u.v.a. b. Innerhalb der terminativen Untergruppen kann Umkategorisierung von „stärker terminativ" zu „weniger stark terminativ" mittels der DiSTRiBUTiv-Ableitung erfolgen, die durch die Hinzufügung einer iterativen Komponente eine Verschiebung von T2 oder T3 in T1 (d.h. von „achievements" zu „accomplishments") hervorruft. c. Für Umkategorisierungen in die umgekehrte Richtung (von nicht-terminativ zu terminativ bzw. von statisch zu dynamisch) steht ein reichhaltiges Angebot an Derivationsmechanismen zur Verfugung. Von zentraler Bedeutung in diesem Zusammenhang ist das mehrfach erwähnte Verfahren, von Haus aus nicht-terminative Simplizia durch ein Suffix -(a)'- zu terminativieren, das von den Irokesisten mit dem Terminus „INCHOATIV" (INCH) benannt wird. Auch die KAUSATIV-Suffixe können allein oder in Verbindung mit SRF Umkategorisierung von statischen in dynamische Verba bewirken. Nicht selten wird ein KAUSATIV-Suffix speziell für diesen Zweck benutzt (d.h. ohne erkennbare Kausativsemantik), wie wir dies bereits am Beispiel von 'arbeiten' sahen (vgl. 2 und 5.3.1). Ein weiteres terminativierendes Suffix ist der sogenannte „EVENTUATIV" (EVEN) mit der Bedeutung 'eine Handlung vollenden'. Schließlich sei auf die BENEFAKTIV-Ableitung (BEN) hingewiesen, mittels derer ein belebtes, einen „Terminus" bildendes Argument hinzugefugt werden kann. Ein schönes Beispiel für diesen Effekt ist das terminative BEN -athronyani- 'teil s.o. s.t.', das vom nicht-terminativen SRF -athrowi- 'tell around' abgeleitet und synonym zum terminativen Simplex -hrowi- ist, welches wiederum die Ableitungsbasis für das SRF darstellt. Solche durch rekursive Derivation erzeugten Synonymien sind im Cayuga auffällig häufig. Umkategorisierungseffekte von terminativ zu nicht-terminativ und umgekehrt können, wie wir gesehen haben, schließlich auch durch Inkorporation ausgelöst werden, die die kompositioneile Struktur von Verben erweitert.
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
239
5.4. Überblick über die lexikalischen Aspektklassen des Cayuga In diesem Abschnitt sollen die im vorangegangenen etablierten Aspektraster überblicksartig zu lexikalischen Aspektklassen zusammengefaßt werden. Nach ihrem morphologischen Potential zerfallen Cayuga-Verben zunächt in zwei große Hyperklassen, die wir statische Verben und dynamische Verben genannt haben. Das Aspektraster statischer Verben ist monoaspektuell und besteht lediglich aus dem STAT in allgemein-zuständlicher Lesart. Mit Ausnahme der Positionsverben und der Bewegungsartverben, die eigenständige exzeptionelle Klassen bilden, hatten wir für dynamische Verben sieben Klassen festgestellt, die sich durch unterschiedliche Aspektraster voneinander differenzieren lassen. Diese sind in Tabelle 4 noch einmal schematisch dargestellt. Die drei Lesarten „iterativ", „okkupationell" und „dispositionell" des HAB sind als „habituell" zusammengefaßt. Die perfektischen Lesarten des STAT sind, wenn nötig, als „resultativ" (Nachzustand im engeren Sinne) und „temporal-perfektisch" (recent past etc.) differenziert, sonst als „perfektisch" zusammengefaßt. In runde Klammern gesetzte Lesarten sind marginal. Tab. 4: Aspektklassen dynamischer Verben Klasse T1
T2
T3
T4 NT1 NT2 NT3
HAB
PNC
STAT
kompletiv
habituell
resultativ
*delimitativ
prozessual
temporal-perfektisch
•approximativ
•prozessual
punktuell
habituell
resultativ
•delimitativ
approximativ
temporal-perfektisch
konativ
•prozessual
punktuell
habituell
(resultativ)
•delimitativ
(approximativ)
temporal-perfektisch
konativ
•prozessual
inzeptiv delimitativ inzeptiv
habituell
resultativ & aktuell-
graduell
zuständlich
habituell
prozessual
* prozessual
•perfektisch
habituell
prozessual
delimitativ
"•prozessual
inzeptiv
aktuell-zuständlich prozessual •habituell
240
Η.-J. Sasse
6. Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick 6.1. Aspektklassen und Situationsgrenzen Hier soll zunächst die Frage behandelt werden, ob sich die im Cayuga vorgefundenen Aspektklassen mit Vorschlägen korrelieren lassen, die aus der theoretischen Aspektliteratur bekannt sind und sich auf eine Kategorisierung von Situationstypen nach dem Kriterium der Begrenztheit der Situation beziehen. Von den zahlreichen diesbezüglichen Klassifikationsansätzen seien hier drei miteinander kompatible Vorschläge herausgegriffen. Am bekanntesten ist die Einteilung Zeno VENDLERs ( 1 9 6 7 ) in die vier „Zeitschemata" states, activities, accomplishments und achievements. Sie wird heute meist so aufgefaßt, daß sie (implizit) auf einer Hierarchisierung von Merkmalen beruht, die von einer grundsätzlichen Spaltung in statische und dynamische Situationen ausgeht, wobei letztere wiederum in atelische (nicht-terminative) und telische (terminative) Situationen zerfallen. Statische Situationen sind states, dynamische nicht-terminative activities. Terminative Situationen können eine graduelle Erreichung des Ziels involvieren, dann sind sie accomplishments, oder eine prompte, dann sind sie achievements. VENDLER sagt nichts darüber aus, auf welcher sprachlichen Ebene diese Kategorisierungen Gültigkeit haben; sie sind also nicht a priori als lexikalische Klassen gedacht. Lars JOHANSON ( 1 9 7 1 ) geht in einem ähnlichen Ansatz für das Türkische von drei lexikalischen Klassen aus, läßt aber Umkategorisierungen durch die Kompositionalität in der aktuellen Äußerung zu. Darüberhinaus folgt er einer andersartigen Hierarchisierung als die VENDLER-Rezeption, insofern als die „Transformativität" (Überschreitung einer Situationsgrenze) das hierarchisch übergeordnete Merkmal bildet. Die drei Grundklassen sind demgemäß finaltransformative Verba (Tf) = telische / terminative Verba, initialtrcmsformative Verba (Ti) = Verba, deren Semantik den Eintritt in die Situation profiliert, und nichtfinaltransformative Verba (Nf) = Verba, deren Semantik gar keine Grenze profiliert. Den Klassen sind bestimmte Lesarten der morphologischen Aspekte zugeordnet. Im Rahmen einer situationsgrenzenbezogenen Aspektsemantik hat BREU (1994) 52 demgegenüber fünf semantische Verbalklassen identifiziert (inzwischen erweitert, vgl. BREU 1996). Diese sind durch die Korrelation mit unterschiedlichen Anwendungen einer generellen perfektiv/imperfektiv-Dichotomie auf Phasen einer Gesamtsituation voneinander differenziert, wobei die Definition von der episodischen (bei BREU „aktuellen") Verwendung von Aspekten ausgeht. Der perfektive Aspekt wird dabei als grenzüberschreitender Situationsveränderungsaspekt (SV-Aspekt) angesehen, der imperfektive Aspekt als grenzenausblendender Situationsaspekt (S-Aspekt). 53 Unter Bezug auf eine virtuelle Gesamtsituation mit Anfangsgrenze (Gl), 52
BREU (1994) faßt ältere Arbeiten beginnend mit BREU (1985) zusammen. Der Ansatz wurde übernommen
53
Ein Problem ist hierbei, daß der Ansatz in der vorliegenden Form von morphologischen Aspektsprachen mit einer identifizieibaren perfektiv/imperfektiv-Distinktion ausgeht und daher streng genommen nur für solche Sprachen Gültigkeit haben kann, da die Klassen über die Bedeutung der morphologischen Aspekte definiert sind. Eine Diskussion dieses Problems führt jedoch über den Gegenstand dieses Aufsatzes hinaus, da die Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind.
in SASSE (1991a und b).
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
241
Endgrenze (G2) und dazwischenliegendem Situationsverlauf (S) wie etwa in Abb. 1 oben dargestellt, sind die Klassen folgendermaßen definiert (Tabelle 5); eine annähernde Zuordnung der entsprechenden VENDLER- und JOHANSON-Klassen wird in den Spalten 3 und 4 gegeben: T a b . 5: Aspektklassen nach BREU/ SASSE, VENDLER und JOHANSON BREU / SASSE
Aspektkorrelation
VENDLER
JOHANSON
TSTA („total-statisch")
S-Aspekt -» S SV-Aspekt -> leer
state
Nf
ISTA („inzeptiv-statisch")
S-Aspekt -> S SV-Aspekt Gl
state+achievement
Ti
ACTI („Aktivität")
S-Aspekt -> S SV-Aspekt -» G1+S+G2
activity
Nf
GTER („graduell-terminativ")
S-Aspekt -» S vor G2 SV-Aspekt -> G2
TTER
S-Aspekt -»leer SV-Aspekt G2
accomplishment oder achievement achievement
Nf mit „limitierender" Umkategorisierung zu Tf Tf
(„total-terminativ")
Bei einer Anwendung solcher Ansätze auf das Cayuga läßt sich zunächst feststellen, daß nur eine einzige unkontroverse Entsprechung existiert: statische Verben („stativa tantum") entsprechen TSTA bzw. states. Ansonsten liegt im Cayuga eine wesentlich größere Anzahl distinkter Klassen vor. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß die einzelsprachliche Klassifikation hier der Existenz von drei morphologischen Aspektkategorien Rechnung tragen muß, wodurch die dichotomische perfektiv/imperfektiv-Distinktion durch eine zusätzliche Korrelationsmöglichkeit erweitert wird. Dies ist aber nicht der einzige Grund. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, daß für das Cayuga vier verschiedene terminative Klassen postuliert werden, denen in der genannten theoretischen Literatur bestenfalls zwei gegenüberstehen. Von den vier Cayuga-Klassen läßt sich T1 am ehesten mit den VENDLERschen accomplishments in Verbindung bringen, die in der ursprünglichen VENDLERschen Konzeption nicht mit GTER identisch sind, sondern ein inkrementelles Thema im Sinne DOWTY'S enthalten. Den accomplishments mit inkrementellem Thema entspricht bei JOHANSON die kompositioneile Umkategorisierung von Nf- zu Tf-Verben via „Limitierung" durch ein definites Objekt. Ein Äquivalent fehlt im usprünglichen BREUschen Ansatz, weil dieser sich heuristisch zunächst auf monoverbale lexikalische Klassen beschränkt und eine Umkategorisierung durch den Satzaspekt nicht explizit thematisiert (vgl. jedoch jetzt BREU 1996). Das Cayuga zeigt deutlich, daß aus typologischen Gründen, etwa wie hier bei polysynthetischen Sprachen, auch mit monoverbalen accomplishments dieser Art gerechnet werden muß. Die prototypischen Vertreter der BREUschen GTER-Klasse (d.h. die romanischen etc. Äquivalente von sterben, ersticken, ertrinken etc.) gelten dagegen in der VENDLERRezeption als achievements, und zwar von der Sorte, die in der formalen aspektsemantischen
242
Ii.-J. Sasse
Literatur gelegentlich als „achievement with prelude" bezeichnet wird. Die Orientierung auf G2 ist hier viel stärker als bei VENDlER-accomplishments,
S ist nicht im Sinne einer durativen
Situation zu verstehen, sondern im Sinne einer auf G2 zusteuernden Vorphase. Dies ist Cayuga-Klasse T2, die somit mit GTER bzw. achievements
mit prelude identifiziert werden
kann. 54 Cayuga-Klasse T3 entspricht dann TTER bzw. reinen achievements.
Es fällt auf, daß
sich die Aspektraster der Klassen T2 und T3 nur geringfügig unterscheiden. Hier sind auch Uminterpretationen und Übergänge möglich, da mit wenigen Ausnahmen alle terminativen Sachverhalte eine Interpretation erlauben, nach der ein Ereignis „drauf und dran sein kann einzutreten". Von besonderem Interesse ist die Klasse T4. Im Endeffekt entspricht sie BREUS ISTA bzw. JOHANSONs initialtransformativen Verben: Für PNC = perfektiver Aspekt liegt eine inzeptive Lesart vor (Eintritt in einen Zustand); der eingetretene Zustand wird durch STAT (= imperfektiver Aspekt) bezeichnet. Darüberhinaus gibt es aber nun zusätzlich noch einen HAB, der die graduelle Erreichung des Eintritts in den Zustand beschreibt. T4-Verben sind also eigentlich regelrechte terminative Verben mit einer inchoativen Aktionsart; die ISTA- bzw. initialtransformative Interpretation wird durch die Verschiebung der Achse von G2 zu G l möglich. Die drei aufeinanderfolgenden Phasen, die durch HAB-PNC-STAT bezeichnet werden, können wahlweise als Ausschnitte S-G2-NS oder als Ausschnitte VS-Gl-S in Abbildung 1 angesehen werden; vom Standpunkt des Cayuga-Systems ist die erstere die adäquate Interpretation. Wenden wir uns nun den NT-Klassen zu. Es wurde schon in 5.2.1 daraufhingewiesen, daß NT1 zwar mit ACTI bzw. activities identifiziert werden kann, eine solche Identifikation jedoch mit Vorsicht zu genießen ist, da es sich weitgehend um idiomatisierte Positionsverben handelt. Die besondere Rolle der Positionsverben, die Tatsache, daß eine wichtige Untergruppe übereinzelsprachlich identifizierbarer activities
eine gänzlich exzeptionelle Klasse bilden (Bewe-
gungsartverben), und schließlich die Tatsache, daß einzelne „prototypische" activities
wie
'arbeiten' überhaupt kein vollständiges Aspektraster besitzen, sondern sich der „Suppletion" bedienen - all dies zusammengenommen ergibt ein stark inhomogenes Bild von activities bzw. fuhrt streng genommen zu dem Schluß, daß die Postulierung einer activity-Kategorie
auf
welcher Ebene auch immer für das Cayuga keinen Sinn macht. Dies unterscheidet das Cayuga von den europäischen Flexionsaspektsprachen und erinnert an Sprachen ohne greifbare aspektuelle Distinktionen wie das Deutsche, aber auch an die slavischen, insbesondere nissischen Verhältnisse, wo die Etablierung einer activity-Klasse
erst durch die aspektuelle Paarung (wie
etwa bei BREU) von durativen Verben mit einer von der klassischen Aspektologie als „delimitative Aktionsart" angesehenen Bildung erfolgen kann. N T 2 und NT3 sind idiosynkratische Klassen, die aus den sprachspezifischen Gestaltungsprinzipien der Cayuga-Idiomatik erwachsen und kein echtes Korrelat unter den theoretisch postulierten Aspektklassen besitzen. In NT2 könnte man ein Äquivalent der von EBERT (1995) 54
Walter BREU macht mich allerdings darauf aufmerksam, daß für GTER nicht nur nicht-agentive Veiten prototypisch sind, sondern etwa auch russ. ugovorit'/ugovarivat' 'überreden', reSit'/reSat' '(Aufgabe) lösen', die im imperfektiven Aspekt eine konative Bedeutung haben, die bis hin zu einer reinen activity gehen kann.
Aspektsemantik und Lexikonorganisation (Cayuga)
243
geforderten „inzeptiven activities" („IDYN") sehen, die gleichzeitig eine inzeptive und eine delimitative Lesart bei perfektiven Aspektformen zulassen, 55 sofern diese nicht als Indiz verschiedener lexikalischer „senses" anzusehen sind. NT3 könnte allerdings als eigentlicher CayugaVertreter von ISTA- bzw. initialtransformativen Verben interpretiert werden. Zu beachten ist aber auch hier wieder das interessante Paradox, daß die Klasse in Bezug auf ihr Aspektverhalten als nicht-terminative Klasse eingestuft werden kann (eher als die Klasse T4, daher auch die hier vorgeschlagene Einordnung), von der zugrundeliegenden Idiomatik her aber auf accomplishment- oder achievement-Basis
funktioniert.
6.2. Ausblick Der im vorangegangenen Abschnitt gemachte Versuch, die sprachspezifische Verbklassifikation auf der Basis von Aspektrastern mit den theoretisch erarbeiteten Aspektklassen in Einklang zu bringen, ist im Prinzip gelungen und hat sich als hilfreich für das Verständnis der Grenzbezogenheit der Verbalsemantik erwiesen. Die solchen Klassifikationen zugrundeliegenden Ideen wurden durch das Cayuga im großen und ganzen bestätigt, wenn auch Erweiterungen vorgenommen werden mußten. Bestätigt wurde auch die im Rahmen morphologischer Aspektsprachen übereinzelsprachliche Relevanz der Bündelung bestimmter Aspektlesarten bei gegebener Grenzklasse, die von der Profilierung oder Nichtprofilierung bestimmter Ausschnitte des Gesamtsachverhalts abhängig ist: Ein perfektiver SV-Aspekt greift auf Situationsgrenzen zu, ein imperfektiver S-Aspekt greift auf Situationen unter Ausblendung der Grenzen zu - was S und SV ist, legt die Verbsemantik durch die Profilierung der jeweils für den Sachverhalt „typischen" Grenzen fest. Darüberhinaus hat sich ergeben, daß die Klassifikation für terminative Verben verfeinert werden muß. 5 6 Insgesamt liefert der irokesische Befünd also eine Bestätigung und wertvolle Ergänzung zu dem in den Beiträgen zu diesem Band zugrundegelegten ebenenübergeifenden Aspektmodell. Zu den eingangs genannten europäischen Aspektsprachen lassen sich folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen. Rein äußerlich funktioniert die Aspektselektion ähnlich wie in Flexionsaspektsystemen, wie wir sie u.a. aus den romanischen Sprachen, dem Neugriechischen und dem Albanischen kennen. Es existieren morphologische Aspektkategorien, die zum Flexionsparadigma der Verben gehören und deren jeweilige Lesarten in weitgehend prädiktabler Weise durch die lexikalischen Aspektklassen determiniert werden. Ein deutlicher typologischer Unterschied zu diesen Sprachen liegt in der starken lexikalischen Festlegung verbaler Lexeme auf eine statisch-terminativ-Polarisierung mit der damit verbundenen reichhaltigen derivativen Umkategorisierungsmaschinerie. Dies rückt das Irokesische in die Nähe eines Derivationsaspektsystems, wie wir es aus dem Slavischen kennen, in dem Perfektivität und Imperfektivität stärker an Terminativität bzw. Stativität gebunden sind als in einer Flexionsaspekt-
55
Vgl. hierzu jetzt auch BREU (1996).
56
Dies wird in der jüngeren Literatur öfter und in verschiedener Weise thematisiert; vgl. z.B. auch BERTINETTO/SQUARTINI(1995), BREU ( 1 9 9 6 ) .
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spräche. Insbesondere zeigt sich dies im Bereich der activities, die in einem Derivationsaspektsystem sozusagen aus statischen und terminativen Teilen „zusammengestückelt" werden. Des weiteren spielt im Cayuga die gegenüber den Flexionsaspektsprachen stärkere Entkoppelung von Tempus und Aspekt eine Rolle; sie ermöglicht es, ähnlich wie im Slavischen Momentaneität, Effektivität und „ganzheitlich" erfaßte Routinen im perfektiven Aspekt (hier: PNC) auszudrücken. Vom typologischen Standpunkt scheint das Cayugasystem also Eigenschaften des romanisch-neugriechisch-albanischen Flexionsaspektsystems und des slavischen Derivationsaspektsystems miteinander zu verbinden. Im wesentlichen ist dies dem polysynthetischen Charakter der Sprache zu verdanken. Durch die reichhaltige Morphologie und das andersartige Zusammenspiel von Lexikon, Syntax und Flexion in einer solchen Sprache können aspektuelle Festlegungen auf verschiedenen Ebenen immer wieder aufgehoben, neu eingeführt, ergänzt oder erweitert werden. Es findet also auf der Wortformebene eine rekursive Aspektfestlegung statt. Die Folge ist eine andersartige kompositionelle Struktur in der aspektuellen Klassenbildung, die aber global betrachtet zu ähnlichen Effekten fuhrt wie in Sprachen anderen Typs.
7. Abkürzungsverzeichnis ACTI BEN EVEN EXT FAC FUT Gl G2 GTER HAB IMP INCH ISTA
Activity Benefactive Eventuative Extension Factual Future Anfangsgrenze Endgrenze Graduell-terminativ Habitual Imperative Inchoative Inzeptiv-statisch
MOD MP NS OPT PNC REFL S SRF STAT SV TSTA TTER VS
Modal Modal Prefix Nachstadium Optative Punctual Reflexive Situation Semireflexive Stative Situationsveränderung Total-statisch Total-terminativ Vorstadium
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