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German Pages 216 [209] Year 1974
Sitzungsberichte des Plenums und der Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR
Grundfragen der Entwicklung und Befriedigung der Bedürfnisse unter dem Aspekt der untrennbaren Einheit von Ziel und Mittel der Hauptaufgabe
AKADEMIE-VERLAG - BERLIN
8 1973
Sitzungsberichte des Plenums und der Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR
Jahrgang 1973 • Nr. 8
5. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der DDR am 6. April 1973
Grundfragen der Entwicklung und Befriedigung der Bedürfnisse unter dem Aspekt der untrennbaren Einheit von Ziel und Mittel der Hauptaufgabe Verantwortlich: Prof. Dr. sc. oec. H. K O Z I O L E K Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der DDR
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1973
Herausgegeben i m A u f t r a g e des P r ä s i d e n t e n der A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R v o n Vizepräsident P r o f . D r . Heinrich Scheel
Redaktionsschluß: 31. Mai 1973 Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1973 by Akademie-Verlag Lizenznummer: 202 • 100/340/73 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", D D R - 7 4 Altenburg Bestellnummer: 7525103(2010/73/8) • LSV 0325 Printed in GDR EVP 1 5 , -
Inhaltsverzeichnis 1. Thesen 1 „Grundfragen der Bedürfnisentwicklung, der Art und Weise ihrer Befriedigung sowie der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Bedürfnissen — die in der Hauptaufgabe des V I I I . Parteitages der S E D zusammengefaßten Konsequenzen aus dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus" Autorenkollektiv unter Leitung von D r . R O L F MONTAG
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Fragen der Planung und wirtschaftlichen Rechnungsführung, Stellvertreter des Direktors des ökonomischen Forschungsinstituts der Staatlichen Plankommission Mitglieder des Autorenkollektivs D r . LOTHAB HUMMEL
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Fragen der Leitung in der Wirtschaft, Abteilungsleiter im Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim Z K der S E D Prof. Dr. ALFRED
KECK
Direktor der Sektion Leitungswissenschaften und Ökonomie der Akademie für Ärztliche Fortbildung der D D R P r o f . D r . HANS LUFT
Fachrichtungsleiter im Lehrstuhl Politische Ökonomie des Sozialismus Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der S E D 1
Ergebnisse der Diskussion sind berücksichtigt.
am
P r o f . D r . E R N S T MADER
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Fragen der Ökonomie und Organisation der Arbeit, Stellvertreter des Direktors des Zentralen Forschungsinstituts für Arbeit P r o f . D r . G Ü N T E R MAITZ
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Fragen der Planung und wirtschaftlichen Rechnungsführung, Leiter des Wissenschaftsbereichs Lebensstandard der Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" Prof. Dr. HARRY MILKE
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Lehrstuhlleiter „Politische Ökonomie des Sozialismus" der Parteihochschule „ K a r l Marx" beim Z K der S E D 2. Einführende Referate D r . R O L F MONTAG
„Begründung der Thesen zur 5. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung" 51 P r o f . D r . JOHANNES RÖSSLER
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Prorektor für Gesellschaftswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle — Wittenberg „ D a s Ziel sozialistischen Wirtschaftens und seine Anforderungen an die Phasen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses" 63 3. Diskussion P r o f . D r . H A R R Y MAIER
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R Leiter des Bereiches „Politische Ökonomie des Sozialismus" im Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der D D R „Die Bedürfnisse und ihre Entwicklung im Lichte der politischen Ökonomie" . . 85 Prof. Dr. EUGEN FAUDE
Leiter des Wissenschaftsbereichs Internationale ökonomische Beziehungen der Sektion Außenwirtschaft der Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" „Ökonomisches Grundgesetz des Sozialismus, Bedürfnisbefriedigung und sozialistische Integration" 93
4
D r . HEINZ BONK
Lehrstuhl Imperialismusforschung am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der S E D „Hintergründe der Parole rechter S P D - F ü h r e r von der .Qualität des L e b e n s ' " .
.
99
Prof. Dr. HELMUT LILIE
Präsident des Amtes für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung „Bedürfnisbefriedigung und Qualität der Erzeugnisse"
107
P r o f . D r . ARNO DONDA
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik „Erforschung der Bedürfnisentwicklung und Aufgaben der S t a t i s t i k " 113 Prof. Dr. ALFRED
KECK
„Verteilungsprinzip und das Bedürfnis nach Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden" 121 Prof. Dr. FRED
STAUFENBIEL
Forschungsgruppenleiter am Lehrstuhl für Kultur- und Kunstwissenschaft am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der S E D „Lebensniveau und kulturelle Bedürnisentwicklung in der Arbeiterklasse" . . . 127 Prof. Dr. HEINZ-DIETER
HAUSTEIN
Institut für sozialistische Wirtschaftsführung der Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" „Über die Notwendigkeit der langfristigen Bedürfnisforschung"
133
P r o f . D r . G Ü N T E R MANZ
„Bedürfnisse und Bedarf der Bevölkerung in der Volkswirtschaftsplanung"
. . 141
Prof. Dr. KURT WALTER
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für Ökonomie und Organisation der Arbeit, Direktor des Zentralen Forschungsinstituts für Arbeit beim Staatssekretariat für Arbeit und Löhne „Zu einigen Erfordernissen der konsequenten Durchsetzung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung bei der weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus" 147 P r o f . D r . S I E G F R I E D TANNHÄUSER
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft der Technischen Hochschule für Chemie „Carl Schorlemmer" Leuna — Merseburg „Einige betriebswirtschaftliche Aspekte der Bedürfnisbefriedigung" 155
5
Akademiemitglied Prof. Dr. ALFRED KOSING Präsident der Vereinigung der philosophischen Institutionen der D D R , Leitungsmitglied des Wissenschaftlichen Rates für philosophische Forschung der DDR, Lehrstuhl Philosophie am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der SED „Zur sozialistischen Bedürfnisstruktur und zum Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Konsumtion" 159 P r o f . D r . WOLFGANG HEINRICHS1
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Rektor der Handelshochschule Leipzig „Zu Entwicklungsproblemen der sozialistischen Warenzirkulation von Konsumgütern bei der Realisierung der Hauptaufgabe" 165 O b e r s t D r . JOHANNES ORESCHKO1
Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Ministerium für Nationale Verteidigung „Einige Bemerkungen zur sozialistischen Lebensweise" 183 D r . LOTHAR HUMMEL1
„Zur Leitung und Planung der sozialen Entwicklung des Betriebskollektivs" . . 187 Dr. GERD
KNOBLOCH1
Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der D D R „Zu Problemen der volkswirtschaftlichen Proportionalität und Effektivität bei der Bedürfnisbefriedigung" 195 Prof. Dr. HELMUT RICHTER1
Direktor des Institus für sozialistische Wirtschaftsführung der Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" „Aspekte der Beziehungen zwischen Bedürfnis, Bedarf, Angebot und Nachfrage" 201 4. Schlußwort Akademiemitglied Prof. Dr. HELMUT KOZIOLEK Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der D D R , Direktor des Zentralinstituts für sozialistische Wirtschaftsführung beim Z K der SED 1
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schriftlich eingereichter Diskussionsbeitrag
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Grundfragen der Bedürfnisentwicklung, der Art und Weise ihrer Befriedigung sowie der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Bedürfnissen — die in der Hauptaufgabe des VIII. Parteitages der SED zusammengefaßten Konsequenzen aus dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus 1. Das ökonomische Grundgesetz und die Hauptaufgabe Der V I I I . P a r t e i t a g der S E D h a t — gestützt auf die Erkenntnisse der Klassiker des Marxismus-Leninismus und in Auswertung der Beschlüsse des X X I V . Parteitages der K P d S U — mit der H a u p t a u f g a b e den R a n g b e s t i m m t , der den Bedürfnissen der Menschen beim A u f b a u der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der D D R z u k o m m t . Diese Politik beruht auf der bewußten A u s n u t z u n g des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus, das die konsequente Ausrichtung der Produktion auf die Bedürfnisse der Menschen zum Ausdruck bringt. D a s ökonomische Grundgesetz des Sozialismus als sein Bewegungsgesetz, d a s zugleich die einheitliche Wirkungsrichtung aller ökonomischen Gesetze des Sozialismus — ihres S y s t e m s — bestimmt, bringt die Einheit und Wechselbeziehungen von Ziel und Mitteln sozialistischer Produktion z u m Ausdruck. D a m i t übereinstimmend besteht die H a u p t a u f g a b e in der weiteren E r h ö h u n g des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der E f f e k t i v i t ä t des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des W a c h s t u m s der Arbeitsproduktivität. „Diese Formulierung", betonte E . Honecker, „bezeichnet d a s Ziel unserer Wirtschaftstätigkeit in seinem unauflöslichen Z u s a m m e n h a n g mit den Voraussetzungen, die d a f ü r geschaffen werden m ü s s e n . " 1 Die Durchsetzung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus fördert die Teilnahme aller an der S c h a f f u n g des gesellschaftlichen Reichtums, ihre kameradschaftliche Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe bei der Entwicklung der sozialistischen Produktion und der Steigerung der Arbeitsproduktivität auf der Grundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. „ D a s Ziel des Sozialismus besteht d a r i n " , heißt es im P r o g r a m m der K P d S U , „die wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse des Volkes 1
E . HONECKER, B e r i c h t des Z e n t r a l k o m i t e e s an den V I I I . P a r t e i t a g der
SED,
Berlin 1971, S 38. 9
durch ununterbrochene Entwicklung und Vervollkommnung der gesellschaftlichen Produktion immer vollständiger zu befriedigen." 1 Das Bedürfnis des Menschen ist eine Kategorie des historischen Materialismus. Es bringt ein allgemeines, wesentliches und notwendiges, aktives Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen, räumlich-gegenständlichen und gesellschaftlichen Umwelt zum Ausdruck. Die Aneignung der Umwelt durch den Menschen ist immer mit seiner Arbeit verbunden. In diesem Prozeß verändert er seine Umwelt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Aber er entwickelt sich damit auch selbst, und seine Bedürfnisse wachsen. Die Bedürfnisse bringen daher primär gesellschaftliche Zusammenhänge zwischen dem Stand der Produktivkräfte und dem Charakter der Produktionsverhältnisse zum Ausdruck. Damit sind die Bedürfnisse der Menschen immer historisch bedingt und konkret. Unter den Bedingungen sozialistischer Produktionsverhältnisse entwickeln sich die Bedürfnisse der Menschen im Gegensatz zum Kapitalismus unabhängig von jeglichen Profitinteressen, und es entstehen neue Bedürfnisse. Zugleich verändert sich ihre Struktur. Mit der Entwicklung des Bewußtseinsstandes und abhängig vom Tempo der gesellschaftlichen Entwicklung, entstehen andere Rangfolgen der Bedürfnisse und neue Formen der Art und Weise ihrer Befriedigung. Dabei spielt das Anwachsen der Produktivkräfte eine wesentliche Rolle, das im Sozialismus mit einer ständigen Erhöhung der Qualifikation, des geistig-kulturellen Lebensniveaus der Menschen verbunden ist, die Entwicklung ihrer Fähigkeiten fördert und damit auch auf die Bedürfnisentwicklung zurückwirkt. Diese vielfältigen ökonomischen und gesellschaftlichen Beziehungen existieren nicht nebeneinander, sondern sie sind miteinander verbunden, bedingen einander. Die stetige Entwicklung der Produktivkräfte führt zu höheren materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnissen. Der Verlauf dieser Entwicklung und die Befriedigung der Bedürfnisse wird entscheidend von den bestehenden Produktionsverhältnissen, und damit in Verbindung auch von dem ausgeübten Beruf, der dazu erforderlichen und sich entwickelnden Qualifikation, d. h. dem Wissen, den Fähigkeiten und Erfahrungen sowie von den Beziehungen zwischen den Menschen im Arbeitskollektiv, im Wohngebiet und in der persönlichen Lebenssphäre bestimmt. Da die Bedürfnisse im Prozeß der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt entstehen, bedeutet das, daß sie aus einem objektiven Prozeß hervorgehen. Die Entwicklungsrichtung, das Tempo und der Umfang der Bedürfnisse sind deshalb objektiv bestimmt. 1
Programm und Statut der KPdSU, Berlin 1961, S. 14.
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Der XXIV. Parteitag der KPdSU hob hervor, daß die Erhöhung des Lebensniveaus des Volkes zu einem dringenden Erfordernis der wirtschaftlichen Entwicklung selbst wird, zu einer wichtigen Voraussetzung für die Steigerung der Produktion und die Erhöhung ihrer Effektivität. Andererseits schafft die Produktion erst die materiellen Voraussetzungen für die immer bessere Bedürfnisbefriedigung, sie ist zugleich das Hauptfeld, auf dem sich die sozialistische Persönlichkeit entfaltet und bewährt. Auf dem X X I V . Parteitag der KPdSU sagte L. I. Breshnew: „Wenn wir die Erhöhung des Lebensniveaus der Werktätigen zur Hauptaufgabe machen, so dürfen wir dieses Problem natürlich nicht vereinfachen. Die Verwirklichung des Kurses, der auf die beträchtliche Erhöhung des Lebensniveaus des Volkes gerichtet ist, erfordert Zeit, ernsthafte Anstrengungen, gewaltige Mittel und Ressourcen." 1 Es geht somit um die immer bessere Bewältigung dieser Dialektik von Produktion—Bedürfnissen—Konsumtion, um die Vorzüge des Sozialismus in immer umfassenderem Maße zu erschließen. Der Marxismus-Leninismus geht in diesem Zusammenhang vom Primat der Produktion aus, die die materiellen Voraussetzungen für die Bedürfnisbefriedigung und damit auch für das Entstehen neuer Bedürfnisse schafft. Wenn also zunächst die wachsenden Bedürfnisse der Menschen den „Trieb zur Produktion" hervorrufen, so bestimmt doch die Produktionsweise die Richtung, in der sich die Bedürfnisse entwickeln und die Art und Weise ihrer Befriedigung. Hieraus ergeben sich die Grundzusammenhänge von Produktion und Konsumtion im Prozeß der erweiterten sozialistischen Reproduktion: — Das Ziel der sozialistischen Produktion ist die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen. Die Effektivität der Produktion muß daher an der immer besseren Befriedigung der wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen mit minimalem Aufwand an gesellschaftlicher Arbeit gemessen werden. Lenin sah im Sozialismus stets die planmäßig organisierte Produktion für die Konsumtion. 2 — Die Produktion vermittelt die Konsumtion, ist ihre Voraussetzung. Es kann auch im Sozialismus nur verbraucht werden, was vorher produziert wurde. Die weitere Verbesserung des Lebensniveaus der Mitglieder der Gesellschaft hängt von ihren Arbeitsanstrengungen, von der Steigerung der Arbeitsproduktivität, d. h. von der Effektivität der gesellschaftlichen Produktion ab. Mit dem ständigen Wachstum der Bedürfnisse wird die L. I. BRESHNEW, Rechenschaftsbericht des Z K der K P d S U an den X X I V . Parteitag der K P d S U , Berlin 1971, S. 58. — Vgl. W. I. LENIN, Das letzte Wort der „iskristischen" Taktik, in: Werke, Bd. 9, Berlin 1957, S. 370. 1
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Beschleunigung des Entwicklungstempos qualitativer Fortschritte bei der Intensivierung der P r o d u k t i o n immer nachdrücklicher in den Vordergrund der Verwirklichung der gesellschaftlichen Ziele gestellt. Die Einschätzung der Ergebnisse z u m 2. J a h r e s t a g des X X I V . Parteitages bestätigt: „ N u r bei Sicherung des erforderlichen ökonomischen W a c h s t u m s ist eine erfolgreiche Lösung der vor unserer Gesellschaft stehenden sozialen Aufgaben u n d der Aufgaben zur kommunistischen Erziehung der Massen möglich. K u r s auf die Intensivierung, Nachdruck auf die qualitativen F a k t o r e n der Entwicklung der P r o d u k t i o n — das ist das Wesen der v o m X X I V . P a r t e i t a g v e r k ü n d e t e n W e n d e in der ökonomischen Politik der P a r t e i . " 1 — J e d e Verbesserung des Lebensniveaus stellt neue, höhere Anforderungen an die P r o d u k t i o n im Sinne des Zwanges zu ständig steigender E f f e k t i v i t ä t , zu i m m e r besserer A u s n u t z u n g aller Ressourcen. In der sowjetischen L i t e r a t u r (Borissow u. a.) wird in diesem Zusammenh a n g als Wirkungsmechanismus des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus a n g e f ü h r t : — Erweiterung der gesellschaftlichen Bedürfnisse, — Erweiterung der P r o d u k t i o n des notwendigen u n d Mehrprodukts, — Gewährleistung der Steigerung der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t auf Basis des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, — Vergrößerung des Volumens des Nationaleinkommens Bevölkerung (bei Verbesserung der Erzeugnisqualität),
pro
Kopf
der
— i m m e r bessere Befriedigung der Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesellschaft. Natürlich ließen sich die kommunistischen u n d Arbeiterparteien der S t a a t e n der sozialistischen Gemeinschaft auch in der Vergangenheit vom ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus leiten. Sie haben also keineswegs erst jetzt, wie das bürgerliche Ideologen zwecks R e t t u n g ihres Dogmas von der angeblichen Konsumfeindlichkeit des Sozialismus b e h a u p t e n , plötzlich die K o n s u m t i o n entdeckt. L. I. Breshnew erklärte hierzu auf dem X X I V . P a r t e i t a g der K P d S U : „Seit den ersten Tagen der S o w j e t m a c h t u n t e r n a h m e n unsere P a r t e i u n d unser S t a a t in dieser R i c h t u n g alles, was in ihren K r ä f t e n s t a n d . Unsere Möglichkeiten waren jedoch in A n b e t r a c h t der b e k a n n t e n historischen Um1
Auf sicherem W e g e — auf Leninschem Kurs, „Prawda" — Artikel z u m 2. Jahrest a g des X X I V . Parteitages der K P d S U in: N D v o m 31. März 1973, S. 3.
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stände lange Zeit begrenzt. Heute haben sie sich beträchtlich erweitert, und d a s gibt der Partei die Grundlage d a f ü r , den wirtschaftlichen A u f b a u noch mehr auf die Verbesserung des Lebens des Volkes zu orientieren." 1 Als Besonderheiten der gegenwärtigen Entwicklungsetappe wurden auf dem X X I V . P a r t e i t a g der K P d S U g e n a n n t : — die völlig neuen Maßstäbe der Volkswirtschaft, ihre gewachsenen Dimensionen, — die sich rasch entfaltende wissenschaftlich-technische Revolution, — die ökonomische Integration der sozialistischen L ä n d e r , — die Verstärkung der Rolle des ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Wettbewerbs in der Klassenauseinandersetzung der beiden Weltsysteme. E s ist ein wesentliches Charakteristikum der reifen, entwickelten sozialistischen Gesellschaft, den gesetzmäßigen — im ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus enthaltenen — Z u s a m m e n h a n g zwischen Produktion und Bedürfnissen immer unmittelbarer herzustellen und d a m i t die Übereins t i m m u n g der persönlichen Interessen mit den gesellschaftlichen Erfordernissen für jeden Einzelnen immer wirksamer, auf s t ä n d i g höherer S t u f e konkret spürbar werden zu lassen. Die H a u p t a u f g a b e entspricht deshalb den konkreten Bedingungen der v o m V I I I . P a r t e i t a g eingeleiteten neuen Entwicklungsphase. Ihre Realisierung stellt vor allem folgende Anforderungen: — Mit der Verwirklichung der H a u p t a u f g a b e wird die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik auf neuer, höherer S t u f e durchgesetzt. Die ökonomischen Erfolge werden unmittelbarer in sozialpolitischen Fortschritten wirksam, die ihrerseits neue Initiativen der Werktätigen zur Produktivitätssteigerung in allen Bereichen unserer Volkswirtschaft hervorrufen. — Mit der H a u p t a u f g a b e wird stärker als bisher auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Arbeiterklasse als der führenden K r a f t unserer Gesellschaft orientiert. D a s mit der H a u p t a u f g a b e beschlossene sozialpolitische P r o g r a m m ist auf die S t ä r k u n g der moralisch-politischen Einheit der sozialistischen Gesellschaft bei allmählichem A b b a u der wesentlichen Unterschiede zwischen S t a d t und L a n d , zwischen geistiger und körperlicher Arbeit gerichtet. Dabei werden die K r ä f t e , wie Erich Honecker feststellte, auf jene F r a g e n konzentriert, die auch v o m Großteil der Bevölke1
L. I. BRESHSTEW, Rechenschaftsbericht des Z K der K P d S U an den X X I V . Partei-
tag der KPdSU, a. a. 0., S. 57.
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rung bei der Verbesserung der Lebensbedingungen als besonders wesentlich empfunden werden.1 — Mit der Verwirklichung der Hauptaufgabe werden durch die konsequente Intensivierung des Reproduktionsprozesses, insbesondere durch die organische Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des sozialistischen Wirtschaftssystems neue Quellen für die Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen, neue Möglichkeiten der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen erschlossen. Die Forderung nach einem hohen Entwicklungstempo der Produktion, der Erhöhung der Effektivität des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität als untrennbarer Bestandteil der Hauptaufgabe kennzeichnen die spezifische Funktion der Wirtschaft, die im Unterschied zu anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens die materiellen Grundlagen für die immer bessere Bedürfnisbefriedigung der Menschen schafft. — Die Hauptaufgabe schließt die umfassende und tiefgreifende sozialistische ökonomische Integration im Rahmen des RGW, insbesondere mit der UdSSR ein. Ein wesentlicher Ausgangspunkt dafür sind die von allen kommunistischen Parteien der RGW-Länder fixierten einheitlichen Aufgaben der Wirtschaftspolitik bis 1975: — die Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes; — die höhere Effektivität der sozialistischen Produktion durch ihre Intensivierung auf der Basis des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der stetigen Steigerung der Arbeitsproduktivität; — die ständige Vervollkommnung der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung, damit die sozialistischen Produktionsverhältnisse ständig mit den Produktivkräften in Ubereinstimmung bleiben. 2. Wechselbeziehungen zwischen der Entwicklung des Lebensniveaus und der Herausbildung der sozialistischen Lebensweise Die ständige Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes — des Lebensstandards — ist ein wesentliches Charakteristikum der schrittweisen Gestaltung der sozialistischen Lebensweise. 1
Siehe E. HONECKER: Zu aktuellen Fragen bei der Verwirklichung der Beschlüsse unseres V I I I . Parteitages, Berlin 1971, S. 22.
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Die sozialistische Lebensweise verkörpert die Stellung des Menschen in der sozialistischen Gesellschaft, sein Verhalten und Denken, einschließlich seiner Emotionen. Die Lebensweise h a t die sozialistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse zur Grundlage, die ihren Charakter bestimmen. In den Prozeß ihrer Herausbildung werden unter F ü h r u n g der Arbeiterklasse und ihrer Partei alle Werktätigen einbezogen. Die sozialistische Lebensweise ist gekennzeichnet durch — die schöpferische, von Ausbeutung freie Arbeit, — die sozialistische Weltanschauung, — eine solche Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung einschließlich der individuellen Konsumtion, die den gesellschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse am besten entspricht. — die wachsende Rolle geistig-kultureller Bedürfnisse der Menschen und der dementsprechenden Gestaltung ihrer Beziehungen zueinander, — die qualitativ neuen Familienbeziehungen, — die aktive Teilnahme der Werktätigen an der Machtausübung im Staat, in den Betrieben und im Wohngebiet, — den sozialistischen Internationalismus und Patriotismus. Sie durchdringt das gesamte Arbeiten und Leben der Menschen. Dabei wird die f ü r den Kapitalismus typische Trennung zwischen Arbeitssphäre und den anderen Lebensbereichen, der f ü r den Kapitalismus typische Antagonismus zwischen Arbeits- und Freizeit überwunden. Mit der Möglichkeit der kontinuierlichen Entwicklung der Persönlichkeit in Arbeits- und Freizeit wird zugleich den Anforderungen entsprochen, die die modernen Produktivk r ä f t e stellen. Menschen, die komplizierte Maschinensysteme schaffen u n d beherrschen, müssen auch ihre Bedürfnisse nach Bildung, Kultur, Erholung usw. befriedigen können. Zugleich ist im Sozialismus der wissenschaftlichtechnische Fortschritt eine der entscheidenden Voraussetzungen, u m die notwendigen ökonomischen Potenzen für die weitere E r h ö h u n g des materiellen u n d kulturellen Lebensniveaus der Werktätigen zu erschließen. 1 J e schneller die gesellschaftliche Produktion im Sozialismus auf Basis wachsender Arbeitsproduktivität entwickelt wird, desto besser können die Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden. 1
Vgl. dazu die Thesen der 3. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für wirtschaftswissenschaftliche Forschung am 3. 11. 72 „Probleme der organischen Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus und der Einheit von wissenschaftlich-technischem und sozialem Fortschritt." in: Wirtschaftswissenschaft, H. 3/1973. 15
Die allseitige u n d harmonische E n t w i c k l u n g der Persönlichkeit schließt gleichermaßen Geringschätzung der materiellen Bedürfnisse u n d Idealisierung der A r m u t im Sinne der antisowjetischen P r o p a g a n d a der Maoisten wie ein kleinbürgerliches Besitzstreben im Sinne des von den bürgerlichen Ideologen gezüchteten Prestigekonsums aus. Gegenwärtig versuchen imperialistische Politiker u n d Ideologen, einschließlich rechter sozialdemokratischer Führer, mit der neuen W o r t s c h ö p f u n g von der „ Q u a l i t ä t des L e b e n s " 1 von der i m m e r offenkundigeren Tatsache abzulenken, d a ß die kapitalistische Gesellschaft nicht in der Lage ist, der Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein zu garantieren, d a ß erst im Sozialismus die Probleme gelöst werden können, vor die sich die Menschheit gestellt sieht. So wollen die bürgerlichen Ideologen auch nicht die f u n d a m e n talen kapitalistischen Widersprüche beseitigen. Ü b e r w u n d e n werden sollen der „ W a c h s t u m s f e t i s c h i s m u s " sowie einige technisch-ökonomische „Fehlentwicklungen". K u r t Hager bemerkte hierzu: „ W i r wenden uns nicht gegen Reformen, die die Lebensbedingungen der W e r k t ä t i g e n i m Kapitalismus verbessern. Sie sind Bestandteile des K a m p f e s der Arbeiterklasse gegen das Monopolkapital. W e r sich jedoch darauf beschränken möchte, wer darin den Kern der qualit a t i v e n Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens sieht, verschleiert die kapitalistischen Verhältnisse u n d will von der Notwendigkeit, diese Gesellschaft zu überwinden, ablenken." 2 Die weitere Herausbildung der sozialistischen Lebensweise ist eng mit der Erfüllung der v o m V I I I . P a r t e i t a g der S E D gestellten H a u p t a u f g a b e v e r b u n d e n . Das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes ist vorwiegend eine ökonomische Kategorie und charakterisiert die Lebensweise hinsichtlich ihrer ökonomischen Basis und ihrer sozial-kulturellen Qualität. Es u m f a ß t vor allem — die W i r k u n g der materiellen Arbeitsbedingungen auf den Menschen (Verv o l l k o m m n u n g des Arbeits- u n d Gesundheitsschutzes, optimale Gestaltung der Arbeitsumwelt, Arbeitsplatzgestaltung), Beseitigung physisch schwerer u n d eintöniger Arbeit; — die Dauer u n d Gestaltung der zeitlichen Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Urlaub, Pausen, Schichtregime); 1
2
Dabei wird an subjektivistischen bürgerlichen Konstruktionen des Menschenbildes, z. B. der Neoliberalen wie Eucken, Röpke u. a., angeknüpft mit dem Versuch, sie zeitgemäßer zu interpretieren. K. HAGEK, Das „Manifest der Kommunistischen Partei" und der revolutionäre Weltprozeß, Berlin 1973, S. 34.
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— die sozialen und kulturellen Bedingungen im Betrieb; — die individuelle Konsumtion (als Gebrauch von Konsumgütern und Inanspruchnahme von Dienstleistungen aller Art einschließlich der unentgeltlich gewährten Dienstleistungen); — die Wirkung der gesellschaftlich bedingten Gestaltung der räumlichgegenständlichen und natürlichen Umwelt in Betrieben und Territorien auf das Leben des werktätigen Volkes und — die Verwendung der arbeitsfreien Zeit, insbesondere der Freizeit in Form von sinnvollen Tätigkeiten. Dabei ist die Wirksamkeit traditioneller Lebensgewohnheiten zu berücksichtigen. Es geht aber vor allem um eine aktive Beeinflussung der Herausbildung neuer Verbrauchsgewohnheiten und neuer Bedürfnisse durch die Gesellschaft. Die Gestaltung der sozialistischen Lebensweise bedeutet, daß sich ständig Veränderungen in der Art und Weise der Befriedigung materieller und geistigkultureller Bedürfnisse vollziehen. Die Erhöhung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus soll in zunehmendem Maße der Persönlichkeitsentwicklung dienen und damit wiederum die Herausbildung der sozialistischen Lebensweise fördern. Die Entwicklung des Lebensniveaus und die dazu notwendigen ökonomischen Voraussetzungen werden somit in zunehmendem Maße zur maßgeblichen Ausgangsgröße der volkswirtschaftlichen Planung. Durch die Bestimmung der Eckziffern der Entwicklung des Lebensniveaus im Plan werden auch die individuellen Bedürfnisse der Bevölkerung Gegenstand der Planung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses. Die enge Verflechtung zwischen Lebensweise und Lebensniveau kommt darin zum Ausdruck, daß die Freizeit der vollen Reproduktion der Arbeitskraft zur geistig-kulturellen Entwicklung, zur Ausnutzung des materiellen Wohlstandes für persönlichkeitsbildende Tätigkeiten genutzt werden soll. Dafür müssen aber die entsprechenden Voraussetzungen in Gestalt von Wohnbedingungen, von Sportanlagen, des Gesundheitswesens, der Erholungsbedingungen u. a. m. geschaffen werden. Bei den im gegebenen Zeitraum jeweils begrenzten Ressourcen zeigen sich hierbei Widersprüche zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen und den Realisierungsmöglichkeiten. Die Befriedigung der Bedürfnisse im Sozialismus bedeutet, die wachsenden materiellen Bedürfnisse mit dem Wachstum der geistig-kulturellen Bedürfnisse zu verbinden. Die individuelle Konsumtion muß im Sozialismus der Gewinnung von Zeit für interessante und nützliche Tätigkeiten dienen. Die Aufgabe besteht darin, mit der Erhöhung des Lebensniveaus für die allseitige 17 2 Koziolek
Entwicklung der kulturellen Bedürfnisse entsprechende Voraussetzungen langfristig zu konzipieren. Zur näheren Bestimmung der sozialistischen Lebensweise ist es notwendig, Zielsetzungen, Normen, Richtgrößen aufzustellen. Die Verhaltensweisen, Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten sollten differenziert — nicht nur nach Klassen und Schichten, sondern auch nach Bevölkerungsgruppen, nach Geschlecht und nach dem Alter unterteilt — quantifiziert und für einen Zeitraum von 15—20 Jahren errechnet werden. Für diese Periode ist es möglich, die Ergebnisse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts gründlich genug einzuschätzen und die Hauptrichtungen in der Entwicklung der Volkswirtschaft abzustecken sowie den Bedarf an neuen materiellen Gütern zu ermitteln, die ein Ergebnis der Forschung oder Entwicklung sind. 1 Aus derartigen Richtzahlen lassen sich mit Hilfe von Zeitbudgetdaten, Konsumtenbudgets, Einkommensrechnungen und anderen Kennziffern Anforderungen an Grundfonds, an Material und Arbeitskräften errechnen und in die Durcharbeitung der Bedürfniskomplexe einbeziehen. Die Höhe und die Struktur der Bedürfnisse müssen unbedingt nach ihrer realen Befriedigung in einer überschaubaren Perspektive betrachtet werden. Werden dagegen die Bedürfnisse unabhängig von den möglichen Ressourcen ermittelt, so hat der quantitative Ausdruck solcher Normen keinen praktischen Wert für die Planung. 2 Weil die sozialistische Lebensweise auf der Grundlage der Gesamtheit der politischen, ideologischen, ökonomischen, kulturellen und ethischen Prozesse entsteht, die das Leben der Menschen bestimmen, erfaßt sie die gesamte Breite der Bedürfnisse der Menschen. Sie wird durch alle menschlichen Bedürfnisse entwickelt und wirkt auf die Bedürfnisse zurück, lenkt und steuert sie. Als gravierende Einflußfaktoren auf die Entwicklung der Bedürfnisse lassen sich nachweisen: — die Tätigkeit im Arbeitsprozeß, im politischen Leben, in der Familie und in der Freizeit, — die Lebensbedingungen im Arbeiten, Wohnen und Erholen, das Niveau der Dienstleistungen und des Personentransports sowie der geistigen Kommunikation, 1
2
Vgl. N. I. BTJSLJAKOV, Das Wohl des Menschen — höchstes Ziel des Sozialismus, in: Die Wirtschaft 5/1973, S. 5. vgl. ebenda.
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— die ideologisch-kulturelle Interessiertheit die Ideale und Wertorientierungen,
am gesellschaftlichen Fortschritt,
— das konkrete Erlebnis des politisch-moralischen Inhalts der menschlichen Beziehungen in den verschiedenen Gemeinschaften und Gruppen, in denen der einzelne sein Leben verbringt, — das Wissen von den Entwicklungsnotwendigkeiten unserer Gesellschaft innerhalb des sozialistischen Staatenverbandes sowie den Bedingungen der Persönlichkeitsentwicklung in unserer Gesellschaft.
3. Bedürfnisse, die sich aus der weiteren Festigung der gesellschaftlichen Stellung der Frau ergeben Für die sozialistische Lebensweise gilt der Grundsatz der Einheit von Förderung der Familie und Gleichberechtigung von Frau und Mann in allen Lebensbereichen. Die gleichberechtigte Frau darf nicht vor der Alternative stehen: berufliche und gesellschaftliche Entwicklung oder Mutterschaft und Familie. Es entspricht dem humanistischen Anliegen unserer Gesellschaft, solche Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, die eine immer bessere und harmonische Vereinbarung beider Aufgaben, der Berufstätigkeit sowie der Mutterschaft und Familie, möglich machen. Daraus ergeben sich einige Grundfragen der Bedürfnisentwicklung und der Art und Weise ihrer Befriedigung: Für die Gleichberechtigung der Frau ist unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Arbeitsprozeß von entscheidender Bedeutung. Der im internationalen Vergleich außerordentlich hohe Beschäftigungsgrad der Frauen — er beträgt gegenwärtig über 8 0 % — beweist, daß die Berufstätigkeit der Frau in unserer Republik weitgehend zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, daß bereits eine Vielzahl von gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Vereinbarung beider Aufgabenbereiche geschaffen wurden. Dennoch haben noch nicht alle Frauen die Möglichkeit der kontinuierlichen Teilnahme am Arbeitsprozeß. Die individuellen Bedingungen, unter denen sie am Arbeitsprozeß teilnehmen, sind sehr unterschiedlich. Daher ist die ständige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Frauen mit Familienpflichten ein vordringliches gesellschaftliches Bedürfnis. Die Ergebnisse der Volkszählung 1971 weisen enge Beziehungen zwischen dem Grad der Berufstätigkeit und der Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder aus. 19 2*
Er beträgt: bei 1 im Haushalt zu betreuenden Kind bei 2 im Haushalt zu betreuenden Kindern bei 3 und mehr zu betreuenden Kindern
80% 76% und 69%.
Innerhalb dieser Gruppen variiert der Beschäftigungsgrad auch entsprechend dem Alter der Kinder. Es liegt im Interesse der Gesellschaft, sowohl hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung der Frau als auch der vollen Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens das Netz der gesellschaftlichen Erziehungseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen weiter auszubauen und entsprechend den Möglichkeiten den Bedarf zu befriedigen. 1 Gesellschaftliche Erziehungseinrichtungen sind die entscheidende Voraussetzung für die Berufstätigkeit der Mütter. Sie werden nie die Familienerziehung ersetzen können, ergänzen sie aber und übernehmen während der Arbeitszeit der Eltern die Erziehung und Betreuung der Kinder. Dem angestrebten Ziel nach Herstellung der vollen sozialen Gleichheit von Mann und Frau widerspricht die gegenwärtig noch außerordentlich hohe Belastung der Frau bei der Führung des Haushalts. Untersuchungsergebnisse weisen aus, daß 79 Prozent der Hausarbeit von den Frauen und 13 Prozent von den Männern geleistet werden. Bei der Entwicklung der sozialistischen Lebensweise muß deshalb verstärkt Einfluß genommen werden auf die Entwicklung der Arbeitsteilung in der Familie. In den zurückliegenden Jahren ist es trotz der Entwicklung der Dienstleistungen und der bedeutenden Erhöhung des Ausstattungsgrades der Haushalte mit langlebigen Konsumgütern nicht gelungen, eine wesentliche Reduzierung des Zeitaufwandes für Hausarbeit zu erreichen. Besonders dringend bleibt deshalb die Entwicklung des gesellschaftlichen Dienstleistungswesens, das die weitere Auslagerung zeitaufwendiger Hausarbeiten aus dem Einzelhaushalt ermöglicht. Gegenwärtig sind 1 j 3 aller berufstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt. Ohne den Einfluß traditioneller Denk- und Verhaltensweisen zu unterschätzen, muß jedoch festgestellt werden, daß eine der wesentlichen Ursachen für den Übergang von der Vollbeschäftigung zur Teilzeitarbeit der Frauen die gesellschaftlich noch nicht gelösten Probleme bei der Vereinbarung von Berufstätigkeit und Familienpflichten sind. Der hohe Anteil der Teilzeitbeschäftigten steht im Widerspruch 1
Neben anderen Faktoren wirkt die ungenügende Bedarfsdeckung, insbesondere bei Kinderkrippen, sich bereits negativ auf die Bereitschaft zur Elternschaft beziehungsweise auf den Wunsch nach mehreren Kindern aus.
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zur vollen Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens und zur vollen Integration der Frau in den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß. Die Entwicklung des Dienstleistungswesens muß dazu beitragen, die Probleme der Vereinbarung von Berufs- und Familienpflichten zu lösen. Weitere Bedürfnisse ergeben sich aus den biologisch bedingten Besonderheiten der Frau, besonders aus ihren Aufgaben bei der Reproduktion der Bevölkerung. Daraus ergeben sich Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz die weitere Verbesserung der Leistungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und Geburt (z. B. Verlängerung des Wochenurlaubs) die verstärkte Anerkennung der Leistungen der Frauen, die durch Berufstätigkeit und Geburt und Erziehung mehrerer Kinder besonders hohe Leistungen für die Gesellschaft erbringen. Für die Forschung ergeben sich folgende
Schwerpunkte:
— Die Ausarbeitung der Anforderungen, die sich aus der Notwendigkeit der immer besseren Vereinbarkeit, der Aufgaben der Frau im Beruf und Familie an die Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen ergeben. — Die Bestimmung der gesellschaftlichen Anforderungen an den Einsatz der Fonds zur weiteren Förderung der sozialistischen Familie und der Berufstätigkeit der Frauen sowie der volkswirtschaftlich zweckmäßigsten Formen ihrer Gewährleistung. — Die Funktion der Kindereinrichtungen als Bestandteil des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems für die gesellschaftliche Erziehung und Bildung der Kinder und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Leistungen und Kapazitäten unter besonderer Berücksichtigung der weiteren Förderung der berufstätigen Frauen.
4. Wachstum stendenzen der individuellen Bedürfnisse Die Einflüsse der gesellschaftlichen Hauptfaktoren auf die Entwicklung des Menschen führen dazu, daß sich die Bedürfnisse gesetzmäßig entwickeln. Lenin spricht in diesem Zusammenhang direkt von einem allgemeinen ökonomischen Gesetz der ständigen Zunahme der Bedürfnisse. 1 Dieses jeder 1
W . I. LENIN: Zur sogenannten Frage der Märkte, in: Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 98.
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ökonomischen Gesellschaftsformation eigene allgemeine Gesetz vom Anwachsen der Bedürfnisse hat seine von der jeweiligen Produktionsweise diktierten Besonderheiten. 1 Die Formen des Vorauseilens der Bedürfnisse gegenüber der Produktion unterscheiden sich: — quantitativ (die Masse der Güter und Leistungen erlaubt es nicht, die Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesellschaft voll zu decken), — strukturell (Dringlichkeit der Befriedigung, Sättigungskurven, neue Bedürfnisse) und — qualitativ (höhere Gebrauchseigenschaften und Funktionssicherheit, längere Lebensdauer, geringere Störanfälligkeit der Erzeugnisse, mit gleichem Material in der gleichen Arbeitszeit mehr Bedürfnisse befriedigen). Die Befriedigung der Bedürfnisse selbst führt zu neuen Bedürfnissen, weil sie fester Bestandteil der Reproduktionsbeziehungen in der Gesellschaft sind. Die wissenschaftliche, technische und technologische Realisierung der Bedürfnisbefriedigung durch die Produktion hat die einmal gegebenen oder sich entwickelnden Bedürfnisse nicht nur durch Gebrauchswerte und Leistungen schlechthin zu befriedigen. Es entstehen zugleich durch die Entwicklung der Produktion, insbesondere der Wissenschaft und Technik, neue Bedürfnisse. Die von der Produktion angebotenen Gebrauchswerte wirken auf die Art und Weise der Befriedigung der Bedürfnisse ein und damit auch — in längeren Zeiträumen — auf die Entwicklung des Menschen selbst. Bedürfnisse sind gesellschaftlich beeinflußbar, werden bestimmt durch gesellschaftliche Prozesse, wobei die ökonomische Entwicklung eine entscheidende Rolle spielt. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität muß in einem solchen Maße erfolgen, daß die notwendige Zeit (bzw. die Arbeitskräfte) für die gesellschaftliche Entwicklung solcher Bereiche wie Kultur, Gesundheitswesen usw. freigesetzt werden kann. Sie schafft gleichzeitig die materiellen Voraussetzungen für diese gesellschaftlichen Einrichtungen. Die Steigerung der individuellen Einkommen schafft die Möglichkeit, einen wachsenden Teil des Einkommens für die Befriedigung geistig-kultureller Bedürfnisse zu verwenden. Der Prozeß des Wachstums wird vor allem durch zunehmende Vielfältigkeit und höhere Komplexität der Bedürfnisse geprägt. Weil der Mensch in zunehmendem Maße alle seine schöpferischen Kräfte entwickelt und sich seine natiir1
Vgl. N. BüSLJAKOV: Zu einigen theoretischen und methodologischen Problemen der Planung der Bedürfnisbefriedigung, in: Sowjetwissenschaft H. 2/1973, S. 142.
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liehe und die soziale Umwelt immer umfassender aneignet, weitet sich die Bedürfnisskala immer mehr aus. Die Vielfältigkeit und Komplexität der Bedürfnisentwicklung sind entscheidende Merkmale der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Das bedeutet, daß sowohl die materiellen als auch die geistigkulturellen Bedürfnisse in ihrer Wechselwirkung zu sehen und harmonisch zu entwickeln sind. Da sich die Bedürfnisse immer nach den konkreten gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten richten, ist es erforderlich, auch die objektiv notwendige Rangfolge ihrer Befriedigung zu bestimmen. Die notwendige Akkumulation gesellschaftlicher Fonds dient letztlich nur dann dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus, wenn sie der Bedürfnisbefriedigung dienen. Da der Endzweck der Produktion die Befriedigung konsumtiver Bedürfnisse ist, sind die produktiven Bedürfnisse mittelbare, d. h. Voraussetzungen für die Befriedigung unmittelbarer konsumtiver Bedürfnisse. Auf der Grundlage der generellen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten entwickeln sich die Bedürfnisse vor allem in folgenden gesetzmäßigen Tendenzen: — Es erfolgt ein rasches Wachstum bereits gesellschaftlich anerkannter Bedürfnisse, das durch Vielfältigkeit und wachsende Komplexität gekennzeichnet ist. — Es wachsen die Anforderungen an die Vergesellschaftung bestimmter Bereiche der Konsumtion, z. B. der Überleitung von Haushaltsfunktionen in gesellschaftliche Industrien und Dienstleistungseinrichtungen. — Es steigen die Bedürfnisse nach mehr Freizeit und ihrer sinnvollen Nutzung als notwendige Folge der wachsenden Reproduktionserfordernisse des Menschen als Hauptproduktivkraft und sozialistische Persönlichkeit. — Die wachsenden materiellen Bedürfnisse stellen immer höhere Anforderungen an die Qualität und Funktionstüchtigkeit der Konsumgüter und an die Zeitersparnis bei ihrem Gebrauch. — Es wächst die Tendenz der zunehmenden Verflechtung der materiellen Grundlagen für die Produktion und Konsumtion, was die Entwicklung für den einzelnen Bürger und die Gesellschaft gleichermaßen nützlicher Formen der Organisation und Leitung bei der Gestaltung der Infrastruktur einschließt. — Die Entstehung neuer Zweige und Produktionen, neuer Techniken und Wirkungsprinzipien, das Aufkommen neuer Waren und Dienstleistungen einschließlich der Zunahme des internationalen Konsumgüteraustausches 23
und des internationalen Tourismus bringen neue Bedürfnisse der Menschen mit sich. In gleicher Richtung wirken auch der technische Fortschritt und die internationalen Vergleichsmöglichkeiten. Die Entwicklung des sozialistischen Lebensniveaus hängt von steigender Effektivität der Produktion ab. Die Entwicklung des Lebensniveaus ist jedoch auch selbst ein Faktor, der die Effektivität der Produktion bestimmt. Diese Zusammenhänge zwischen dem Grad der Bedürfnisbefriedigung, der Effektivität der Konsumtion und ihrem Einfluß auf das Tempo der Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität als eine der Grundfragen der ökonomischen Entwicklung, sind ungenügend erforscht.
5. Rangfolge der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung Der gesellschaftliche Inhalt und die Struktur der Bedürfnisse sowie die Art und Weise und die Mittel ihrer Befriedigung sind einer ständigen Veränderung unterworfen; das gilt auch für die Rangfolge der Bedürfnisse, die sich objektiv auf einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstufe herausbildet. Lenin hob hervor, daß die planmäßige Organisation des gesellschaftlichen Produktionsprozesses zur Befriedigung der Bedürfnisse nicht genügt. „Eine solche Organisation werden am Ende auch die Trusts vornehmen können. Es wäre genauer, wenn man sagte, auf Rechnung der gesamten Gesellschaft (denn das schließt die Planmäßigkeit ein und weist auf denjenigen hin, der der Planmäßigkeit die Richtung gibt), und nicht nur zur Befriedigung der Bedürfnisse der Mitglieder, sondern zur Sicherung der höchsten Wohlfahrt und der freien allseitigen Entwicklung aller Mitglieder der Gesellschaft." 1 Im Prozeß der Einbeziehung der Bedürfnisse in die Planung muß die Frage entschieden werden, welche Bedürfnisse mit besonderem Nachdruck zu befriedigen, zu fördern und zu entfalten sind. Jede Rangfolge der Bedürfnisse vollzieht sich als historische Reihenfolge des Auftretens und der Entwicklung der Bedürfnisse,2 Sie drückt den Grad der Dringlichkeit aus. 1
2
Vgl. W. I. LENIN: Bemerkungen zum 2. Programmentwurf Plechanows, in: Werke, Bd. 6, Berlin 1956, S. 40. Gegenwärtig gibt es in der Literatur wie auch in entsprechenden Fachkreisen noch keine exakte Bestimmung der Begriffe „Rang- und Reihenfolge". Sie zu klären, ist eine wichtige Aufgabe der weiter zu leistenden Forschung auf diesem Gebiet.
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Die Dringlichkeit leitet sich ab aus der Stellung des einzelnen Bedürfnisses im System aller Bedürfnisse in der jeweiligen Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung. Auf die Bestimmung der Dringlichkeit der Bedürfnisbefriedigung haben die ökonomischen Ressourcen und der wissenschaftlich-technische Fortschritt einen wesentlichen Einfluß; sie sind davon ausgehend zu entwickeln und entscheiden vor allem über den Grad der Befriedigung der einzelnen Bedürfnisse. Das verlangt, aus der Entwicklung der Bedürfnisse Anforderungen an die Naturwissenschaft und Technik und an die Ökonomie der Produktion zu formulieren. Auf die Rangfolge der Bedürfnisse wirken — die biologisch, physiologisch und ökonomisch bedingten Erfordernisse der Reproduktion des Menschen, — die jeweilige historische Entwicklungsetappe, der Charakter der Produktionsverhältnisse und das Niveau der Produktivkräfte, — die jeweilig konkreten Verteilungsbedingungen. Die Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung ist abhängig vom bereits erreichten Niveau der Bedürfnisbefriedigung, den Tendenzen der Bedürfnisentwicklung, dem Umfang und der Struktur der volkswirtschaftlichen Ressourcen sowie von den gesellschaftlichen Zielen, die mit der Bedürfnisbefriedigung zu erreichen sind. Bei der Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung geht es somit nicht primär um ein Nacheinander, sondern um das Setzen bestimmter Schwerpunkte für die Erhöhung des Niveaus der Bedürfnisbefriedigung. Es kann nicht schlechthin eine allgemeingültige Rangfolge der Bedürfnisse oder ihrer Befriedigung aufgestellt werden. Ihre Bestimmung schließt die Entscheidung darüber ein, welche Kriterien bzw. Aspekte strategisch und taktisch im Vordergrund stehen. Solche Aspekte sind z. B . — gesellschaftspolitische Faktoren, wie die Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit, die Herausbildung der sozialistischen Lebensweise; — wirtschaftspolitische Aspekte, wie das erreichte bzw. erforderliche Niveau der Bedürfnisbefriedigung, die Rolle der Bedürfnisse für die Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung u. a.; — Formen und Mittel der Bedürfnisbefriedigung wie Konsumgüter und Dienstleistungen unter Beachtung der Preise und Tarife und die räumlichen, zeitlichen und materiellen Aspekte. Nach Val'tuch 1 nehmen immer die zeitlich zuletzt entstandenen Bedürf1
Vgl. K . K . VAL'TTJCH, Entwicklungsproportionen und Befriedigung der Bedürf-
nisse, Berlin 1972. 25
nisse, für die sich bereits eine bestimmte gesellschaftliche Norm herausgebildet hat, die ersten Plätze ein — sie werden als „vorrangig" bewertet — ohne daß damit die immer bessere Befriedigung solcher Grundbedürfnisse wie Ernähren, Kleiden, Wohnen innerhalb der Gesamtheit der Bedürfnisse in ihrer Bedeutung abnimmt. Das schließt auch ein, daß mit dem Wachstum des Lebensniveaus die quantitativen und insbesondere die qualitativen Anforderungen an früher entwickelte steigen und der Grad ihrer Befriedigung im allgemeinen höher ist als der Grad später entstandener Bedürfnisse. Im Maße der zunehmenden Befriedigung der Grundbedürfnisse wachsen insbesondere die geistig-kulturellen. Wenn jedoch auf Grund ungünstiger gesellschaftlicher Umstände die Befriedigung eines früher entstandenen oder sogar eines Grundbedürfnisses im Niveau stagniert oder eine rückläufige Entwicklung nimmt, springt dieses Bedürfnis in der Rangordnung sehr schnell nach vorn. Das unterstreicht die Forderung des VIII. Parteitages, für die Befriedigung der wachsenden materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung stabile Lösungen zu schaffen. Jedes Lebensniveau ist durch bestimmte Relationen (quantitative und qualitative) in der Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse gekennzeichnet. Hat sich für die gesamte Gesellschaft und damit für die einzelnen sozialen Gruppen eine bestimmte gesellschaftliche Norm der Befriedigung eines Bedürfnisses herausgebildet, so darf in der Regel diese Norm nicht mehr unterschritten werden. Sie ist Ausgangspunkt und Maßstab der gesellschaftlichen und persönlichen Wertung der weiteren Erhöhung des Lebensniveaus. 1 Wird dieser Zusammenhang mißachtet, verlieren Verbesserungen des Lebensniveaus auf anderen Gebieten an Wirkung. Aus dem Widerspruch zwischen dem ständigen Vorauseilen der Bedürfnisse der Bevölkerung und dem jeweils begrenzten volkswirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Befriedigung leitet sich für die Planung das Erfordernis ab, das jeweils notwendige und mögliche Niveau der Bedürfnisbefriedigung in Umfang und Struktur zeitlich festzulegen und die Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung zu bestimmen. Darin liegt jedoch die ganze Kompliziertheit der Einbeziehung der Bedürfnisse der Bevölkerung in die Planung und das eigentliche Problem, welches durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Praxis bewältigt werden muß. Es geht hierbei insbesondere um — die Erweiterung der Kenntnisse über die Entwicklungstendenzen der Bedürfnisse, die Veränderung bestimmter Bedürfnisse und 1
Vgl. ebenda.
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— die Untersuchung der Möglichkeiten und Wege, um bestimmte Rangfolgen zu verändern. Mit dem Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft bilden sich in zunehmendem Maße sozialistische Verhaltensweisen heraus. Dieser Prozeß ist oft langwierig und widersprüchlich. In der Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung existiert daher über eine längere historische Etappe Neues und Altes nebeneinander. Die Entwicklung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus und des sozialistischen Bewußtseins in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung verdrängen dabei allmählich historisch überlebte Verhaltensweisen. Damit treten Änderungen in der Bewertung der Rangordnung der Bedürfnisbefriedigung durch die Menschen ein. Auf Grund des Verteilungsprinzips des Sozialismus, der Höhe und Struktur der Geldeinnahmen und -ausgaben, des Umfangs und der Art und Weise des Einsatzes der gesellschaftlichen Fonds ist die Gesellschaft an ein bestimmtes Niveau und eine bestimmte Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung gebunden. Des weiteren sind die Ressourcenentwicklung, die mögliche Erhöhung der Effektivität des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, die Anforderungen des Gesetzes der Ökonomie der Zeit in ihren Auswirkungen auf die Bestimmung der Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung zu beachten. Insbesondere ist im Prozeß der langfristigen Planung eine Entscheidung über die Schwerpunkte der weiteren Entwicklung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus für die entsprechenden Zeiträume zu fällen. Diese Entscheidung umfaßt: — die Bestimmung der Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung nach Klassen und Schichten, Bedürfniskomplexen und einzelnen Bedürfnisarten, bei Berücksichtigung territorialer Differenzierungen; — die Bestimmung des Umfangs und der Struktur der Mittel der Bedürfnisbefriedigung sowie der Bedingungen für die Teilnahme des Menschen am gesellschaftlichen Leben. Die sozialpolitische Zielstellung muß unter Beachtung der Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung und der Zielstellung für die Entwicklung der Volkswirtschaft in die Ausarbeitung einer sozialpolitischen Konzeption als entscheidender Ausgangspunkt der langfristigen Planung einmünden. 6. Die Bedürfnisse als Ausgangspunkt der langfristigen Planung Die sich in der sozialistischen Gesellschaft mit zunehmender Befriedigung der Bedürfnisse an Waren und materiellen Leistungen entwickelnden geistig27
kulturellen, sozialen und anderen gesellschaftlichen Bedürfnisse erfordern meist ebenfalls materielle Güter bzw. Leistungen zu ihrer Befriedigung. Bedürfnisse sind deshalb Ausgangspunkt der Planung im Sinne der Bestimmung der zu ihrer Befriedigung notwendigen materiellen und geistigkulturellen Güter und Leistungen einschließlich der Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung und der dazu notwendigen Leistungsentwicklung der Volkswirtschaft. Die Gesamtentwicklung der Bedürfnisse der Menschen muß systematisch im Sinne einer Vorlaufforschung für die Planung verfolgt werden. Von den Bedürfnissen auszugehen, bedeutet gleichermaßen, die Leistungsentwicklung der Volkswirtschaft, die Entwicklung der Effektivität des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses auf der Grundlage realer Analysen und Vorausberechnungen einzuschätzen. Für die langfristige Planung ergeben sich folgende Konsequenzen bzw. Grundprobleme: — Die aus der langfristigen Bedürfnisforschung entstehenden Anforderungen an die Entwicklung der einzelnen Bereiche der Volkswirtschaft sind mit den tatsächlich vorhandenen materiellen Ressourcen sowie den Möglichkeiten ihrer effektiveren Nutzung abzustimmen. — Die Grundrichtungen der Bedürfnisbefriedigung müssen mit der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Grundproportionen (Akkumulation/ Konsumtion; notwendiges Produkt/Mehrprodukt; gesellschaftliche Konsumtion/individuelle Konsumtion) in Übereinstimmung stehen. — Von besonderer Bedeutung ist die Übereinstimmung der Haupttendenzen der Bedürfnisbefriedigung mit den Grundlinien der Einkommensentwicklung und Preispolitik. — Die Lösung von Problemen der Bedürfnisbefriedigung steht im engen Zusammenhang mit der sich vertiefenden sozialistischen ökonomischen Integration. Das erfordert die Bestimmung der Etappen und der Wege zur Erreichung der Zielstellungen, der damit verbundenen Anforderungen an die volkswirtschaftliche Leistungskraft und der Möglichkeiten ihrer Realisierung. Damit muß die Bewertung der verschiedenen Zielstellungen, insbesondere hinsichtlich ihrer zeitlichen Realisierung verbunden sein. Das schließt ein, daß es sich hierbei um einen permanenten Prozeß der Annäherung mit einer Reihe von Zwischenschritten und Entscheidungen handelt, — der mit der Ausarbeitung eines sozialpolitischen Konzepts verbunden ist, — der ständige Rückkopplungen zur Leistungsentwicklung erfordert, 28
— der immer enger mit der sozialistischen ökonomischen Integration verbunden ist, — der die Ausarbeitung von Varianten notwendig macht. Die Einzelbedürfnisse der Menschen sind nicht für die langfristige Planung faßbar; sie bedürfen einer rationellen Gliederung und geeigneten Zusammenfassung in Form von Bedürfniskomplexen, die jeweils gekennzeichnet sind durch stabile und typische Eigenarten ganzer Gruppen von Einzelbedürfnissen. Angesichts der Dynamik der Bedürfnisentwicklung im Zeitraum der langfristigen Planung besteht ein wesentliches Problem darin, sich bei der Fassung der Bedürfniskomplexe einerseits von den bereits ausgeprägten Verbrauchsgewohnheiten der Bevölkerung leiten zu lassen und andererseits einen Spielraum zu schaffen für rationellere Möglichkeiten ihrer Befriedigung. Das Ziel der Zusammenführung der Einzelbedürfnisse in Bedürfniskomplexe ist nicht ein abstraktes Schema, sondern die Erfassung der Bedürfnisse in ihrer gegenseitigen Beeinflussung und Verflechtung. Nach dem bisherigen Stand der Erkenntnisse und Erfahrungen kann mit folgenden Bedürfniskomplexen der Zielbestimmung langfristiger Pläne ententsprochen werden Arbeit (Arbeitsbedingungen)
Kultur
Ernähren
Gesunderhaltung
Wohnen
Kommunikation
Bekleiden
Erholungswesen/Sport
Bildung
Verkehr
In der ökonomischen Literatur werden diese Komplexe mehr oder weniger einheitlich verwendet, in einigen Fällen stärker untergliedert. Die Bedürfniskomplexe selbst genügen noch nicht den an die konkrete Planung zu stellenden Anforderungen. Sie bedürfen einer Unterteilung — nach wesentlichen Eigenarten, wie z. B. beim Bedürfniskomplex Wohnen der Bestimmung der Wohnungsgrößen, der Wohnungsausstattung, aber auch der Gestaltung der Wohngebiete; 1
In dieser Gruppierung werden nur die Bedürfniskomplexe erfaßt, die in die Ausarbeitung der Volkswirtschaftspläne einbezogen werden. Vgl. dazu auch V. F. MAJEK/E. B. ERSOV, Über die Bewertung der Bedürfnisse der Bevölkerung, in: Sonderinformation des Ökonomischen Forschungsinstituts der Staatlichen Plankommission, H. 2/73, S. 6.
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— nach den vorzusehenden Mitteln der Bedürfnisbefriedigung, wie z. B . der dafür erforderlichen Konsumgüter bzw. Dienstleistungen, wobei außerdem zu berücksichtigen ist, ob es sich dabei um die Finanzierung aus gesellschaftlichen Fonds oder um die Eigenfinanzierung der Bevölkerung handelt; — nach den Anforderungen an Investitionen, die sich sowohl aus der Art des Bedürfniskomplexes selbst als auch aus der anzustrebenden Art und Weise der Befriedigung dieser Bedürfnisse ableiten; auf das gesellschaftliche Arbeitsvermögen, sowohl — nach den Rückwirkungen in bezug auf die Bindung von Arbeitskräften in der Produktion bzw. Dienstleistungssphäre als auch bezogen auf den Gewinn an gesellschaftlichem Arbeitsvermögen, z. B . durch Verringerung der Hausarbeitszeit oder der Verlängerung der Freizeit. Im Ergebnis dieser Analysen und den in Varianten durchzuführenden Berechnungen kann und muß die aus dem jeweiligen Bedürfniskomplex zu erreichende Effektivität für die Erhöhung des Lebensniveaus bestimmt und mit den gesellschaftlichen Konsequenzen und Möglichkeiten in Übereinstimmung gebracht werden. Damit wird die qualifizierte Ausarbeitung der Bedürfniskomplexe immer mehr zur Voraussetzung für den notwendigen Erkenntniszuwachs auf dem Gebiet der Bedürfnisentwicklung. Mit dem Beschluß über die langfristige Planung wurden die Bedürfniskomplexe zum Bestandteil der Nomenklatur der Ausarbeitung komplexer Aufgaben, so daß erstmalig mit staatlicher Verbindlichkeit die Durcharbeitung ganzer Bedürfniskomplexe zur Begründung des langfristigen Planansatzes organisiert wird. Damit wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, die Ausarbeitung der Bedürfniskomplexe so eng wie möglich mit dem Planungsprozeß zu verbinden. Dabei sind die Probleme bedarfsgerechter Produktion, der Effektivitätsentwicklung, der Sicherung der Rohstoff- und Materialbasis im Zusammenhang mit der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration weiter zu untersuchen. Die Bedürfniskomplexe können in ihrer vielfältigen Verflechtung nur für die langfristige Planung direkte Planungsgrundlage sein, nicht aber für Fünfjahresoder Jahrespläne. In der ökonomischen Literatur wird — über die bisher behandelte Rolle der Bedürfniskomplexe in der Planung hinausgehend — die Frage diskutiert, in-
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wieweit die Bedürfniskomplexe auch zur Vervollkommnung bzw. Ergänzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dienen können. Es geht um den Versuch, die Zusammenhänge zwischen der Konsumtionsund Produktionsstruktur unter dem Aspekt der Bedürfniskomplexe sichtbar zu machen. Gegenwärtig finden die Bedürfnisse in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keinen Ausdruck. Deshalb sollte dieses Problem weiter bearbeitet werden mit dem Ziel zu entscheiden, wie die Bedürfniskomplexe in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des langfristigen Planes sichtbar gemacht werden können.
7. Der Bedarf als Ausdruck der gesellschaftlichen Anerkennung der Bedürfnisse Die Bedürfnisbefriedigung durch materielle Güter und Dienstleistungen unterliegt in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft zwei wesentlichen Beeinflussungsfaktoren: — dem Leistungsprinzip als dem bestimmenden Verteilungsprinzip im Sozialismus, unter Berücksichtigung der sozialpolitischen Erfordernisse: — dem Leistungsvermögen der Volkswirtschaft (Nationaleinkommen). Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Kategorie Bedarf. Der Bedarf wird überwiegend definiert als durch die Bedürfnisse strukturierte kaufkräftige Nachfrage der Bevölkerung an materiellen Gütern und Dienstleistungen. 1 Die Bestimmung der Planung des Bedarfs kann als Gesamtgröße in der Volkswirtschaftsplanung nur wertmäßig erfolgen. Sie wird vor allem bestimmt durch: — die Höhe und Struktur der Geldeinkommen der Bevölkerung, einschließlich des im entsprechenden Planungszeitraum als Kauffonds wirksamen Saldos der Geldakkumulation, — das Preis- und Tarifsystem für Konsumgüter und Dienstleistungen, — die über den internationalen Tourismus ein- und ausfließende Kaufkraft. Strukturell setzt sich diese Gesamtgröße des Bedarfs aus einer Vielzahl unterschiedlicher Gebrauchswerte und Dienstleistungen zusammen. Unterschiedliche Auffassungen gibt es zum Charakter der Ansprüche der Bevölkerung auf unentgeltliche Leistungen. 1
Der Bedarf von Betrieben und Organisationen an Konsumgütern und Leistungen wird in diesem Material nicht behandelt.
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Das Problem besteht darin, daß diese Leistungen im wesentlichen ohne Einschaltung des Marktes durch die Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden. Sie sind Mittel der unmittelbaren, auf die jeweilige Leistung direkt bezogenen Bedürfnisbefriedigung. Das bedeutet jedoch nicht von vornherein eine vollständige Befriedigung dieser Bedürfnisse. Sie ist auch hier abhängig von den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Erfordernissen. Es ist dabei auch zu berücksichtigen, daß für bestimmte gesellschaftliche Leistungen Zuschüsse staatlicher und gesellschaftlicher Einrichtungen gewährt werden, wie z. B. Mietzuschüsse, Sondertarife in Verkehrsbetrieben für Rentner oder ähnliche Leistungen für bestimmte soziale Gruppen, die sowohl indirekt die Höhe der Kaufkraft beeinflussen als auch gleichzeitig — weil gezielt auf ein bestimmtes Bedürfnis — dessen unmittelbarer Befriedigung dienen. In diesem Zusammenhang wird deshalb oft ebenfalls von „Bedarf" gesprochen. Er hat aber einen anderen Charakter als der unmittelbar über das Einkommen vermittelte. Der Bedarf als ökonomische Kategorie und als eine der entscheidenden Ausgangsgrößen für die Planung der Produktion schließt den Anspruch auf seine Befriedigung ein. Die Entwicklung und Veränderung der Struktur des Bedarfs vollzieht sich z. Z. noch bei bestimmten Erzeugnissen und Leistungen schneller als die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten der Erhöhung des Volumens und der Veränderung der Struktur der Produktion. Deshalb bedarf es mit der Ausarbeitung jedes Planes einer Entwcheidung, auf welchen Gebieten eine volle und auf welchen Gebieten zunächst eine schrittweise höhere Bedarfsdeckung zu gewährleisten ist. Letztlich bestimmt das konkrete Angebot materieller und geistig-kultureller Güter und Leistungen den Grad der Bedarfsdeckung. Es geht dabei um dauerhafte Lösungen, die auf einer entschiedenen Erweiterung und Effektivitätserhöhung unserer eigenen Produktion beruhen. 1 Aus der Entscheidung über die gesellschaftlichen Möglichkeiten der Leistungssteigerung und ihrer Effektivität sowie der Bestimmung sozialpolitischer und gesamtgesellschaftlicher Präferenzen der anzustrebenden Bedürfnisbefriedigung leitet sich der Bedarf ab, dessen Dynamik wesentlich davon bestimmt wird, mit welchem Zuwachs an Kaufkraft und gesellschaftlichen Fonds der Konsumtion gerechnet werden kann. Die Bestimmung des Bedarfs auf der Grundlage der Einkommensentwicklung 1
Vgl. aus dem Bericht des Politbüros an die 7. Tagung des ZK der SED, Berlin 1972, S. 16.
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— insbesondere seiner planmäßigen Entwicklung — ist somit sowohl Ausgangspunkt als auch Ergebnis des Planungsprozesses, in dem immer der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität und des Einkommens beherrscht werden muß. Als Entscheidungsgrundlage für die Planung der Konsumgüterproduktion ist die Ermittlung realer Bedarfsgrößen in Gebrauchswerten und in ihrer Dynamik Voraussetzung. Auch bei zunehmender Bedeutung der Dienstleistungen wird der überwiegende Teil der Mittel der individuellen Konsumtion der Bevölkerung in Form von Waren realisiert. Auf die individuell bezahlte Konsumtion, die noch auf lange Sicht vorherrschend sein wird, wirken Faktoren ein, die nur teilweise direkt planbar sind und sich nur langfristig beeinflussen lassen. Das Bindeglied zwischen der Ermittlung des Gesamtbedarfs auf der Grundlage der Kaufkraft der Bevölkerung und seiner gebrauchswertmäßigen Sortimentierung ist die Bedarfsforschung, die damit eine wesentliche Voraussetzung für die Planung ist. Die Bedarfsforschung wird diesen Anforderungen noch nicht gerecht, weil — eine gewisse Unterschätzung der Bedarfsforschung für den Binnenmarkt erfolgt, 1 — über die Arbeitsteilung, das Zusammenwirken und die Verantwortung von Handel und Industrie bei der Bedarfsforschung Unklarheiten bestehen. Komplizierend für die Ermittlung realer Bedarfsgrößen wirkt sich das bisher nicht ausgeglichene Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei verschiedenen Konsumgütern aus, das zu einer unechten Substitution der Nachfrage auf andere Erzeugnisse führt. Bei voller Bedarfsdeckung sind deshalb Verschiebungen der Nachfragestruktur zu erwarten. Sie sind durch eine ständige Analyse des Bedarfs rechtzeitig aufzudecken. Ausgehend von den prinzipiellen Aufgaben des Handels und der Industrie muß eine Arbeitsteilung bei der Bedarfsforschung erfolgen. Der Handel muß sich stärker auf die mittel- und kurzfristige verbrauchsseitige Bedarfsforschung unter Berücksichtigung der territorialen Bedingungen orientieren. Daraus sind Anforderungen an die Weiterentwicklung der Gebrauchswerte und an das Gebrauchswert-Kostenverhältnis ableitbar, die eine Qualifizierung der Bedarfsforschung darstellen und einer der wesentlichen Ausgangspunkte bedarfsgerechter Produktion sein sollten. Die Bedarfsforschung der Industrie 1
Welche Bedeutung der Bedarfsforschung gegenwärtig in der UdSSR beigemessen wird, zeigt sich unter anderem in dem im Januar 1972 vom ZK der KPdSU und vom Ministerrat der UdSSR angenommenen Beschluß. 33
g Xoziolek
sollte deshalb vor allem gebrauchswertbezogen orientiert werden und dabei auch von den Substitutionsprozessen ausgehen. Ihre spezifische Aufgabe ist die Bestimmung der langfristig zu erwartenden Entwicklungstendenzen der Nachfrage, vor allem auf Grund der mit dem wissenschaftlichtechnischen Fortschritt möglichen Veränderungen der Gebrauchswerte neuer Konsumgüter. Durch den Plan und die Verträge wird über den Grad der gebrauchswertmäßigen Bedarfsdeckung im jeweiligen Zeitraum entschieden. Stabile Lösungen der Bedarfsdeckung und des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage berühren die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit und hängen unmittelbar von der weiteren Intensivierung der Volkswirtschaft ab. Die Orientierung auf die volle Befriedigung des Bedarfs in der von der Bevölkerung gewünschten Struktur ist somit auch einer der wesentlichsten Ausgangspunkte für die weitere Entwicklung der Proportionen und der Struktur der Volkswirtschaft. Um die bedarfsbezogene Planung zur bedarfsgerechten Versorgung weiterzuführen, ist die Kette Produktion—Zirkulation—Konsumtion zu schließen. Die Übereinstimmung des Bedarfs der Bevölkerung mit dem Angebot hinsichtlich des Sortiments, der Menge, den Gebrauchswerteigenschaften, der Qualität, der Produktgestaltung, der Preisstruktur und der termingerechten Bereitstellung der Erzeugnisse erfordern eine aktive Rolle der Zirkulation und die rationelle Gestaltung der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Zirkulation. Schwerpunkte sind: — die Erhöhung des Einflusses des Handels auf die Produktion zur Sicherung der erforderlichen gebrauchswertmäßigen Struktur und der qualitativen Anforderungen an das Warensortiment; — die Sicherung eines schnellen Reagierens auf Bedarfsschwankungen, Bedarfsveränderungen und saisonale Erfordernisse; — die rationelle Warenbewegung zwischen Produktionsbetrieb und Einzelhandelsverkaufsstelle. Die weiterhin zunehmende Dynamik des Bedarfs, ein schnelleres Reagieren auf Bedarfsveränderungen in der Industrie und eine höhere Verkaufsbereitschaft im Einzelhandel machen Toleranzen und Reserven unumgänglich. Der bedeutendste Fonds planmäßiger Reserven sind die Bestände. Ihre Zusammensetzung, ihr Umschlag und ihr Konzentrationsgrad werden in der Planung noch unterschätzt, in den Betrieben, VVB und Ministerien praktisch nicht beherrscht. Statt als Mittel zur Verbesserung bedarfsgerechter Produktion und Versorgung werden sie als Unter- bzw. Überplanbestände oft volkswirtschaftliche Belastungen. 34
Auch die vom Bedarf ausgehende Planung schließt Risiken ein. Zeitweilig überhöhte Bestände sind das kleinere Übel, wenn gleichzeitig Bedingungen geschaffen werden, die es gestatten, solche Bestände ökonomisch effektiv einzusetzen. Möglichkeiten dazu sind: — rechtzeitiger Einsatz der Risikofonds des Handels und gesamtvolkswirtschaftliche Entscheidungen über die Höhe von Effektivitätsverlusten bei einer notwendigen Plankorrektur; — Vervollkommnung der Wirksamkeit ökonomischer Hebel, die die Bestände beeinflussen; — stärkere planmäßige Beteiligung am austausch der sozialistischen Länder.
internationalen
Konsumgüter-
Der Bedarf muß nicht nur durch den Einzelhandel analysiert und befriedigt, sondern er kann und soll auch beeinflußt werden. Bedarfsbeeinflussung durch Mangel führt zur Konzentration der Nachfrage; sie ist nicht nur eine politische, sondern auch eine ökonomische Fehlsteuerung. Bedarfsbeeinflussung erfordert : — Attraktivität des Angebots — Reichhaltigkeit des Sortiments in allen Preisgruppen — überzeugend höhere/bessere Gebrauchseigenschaften.
8. Die Verteilung nach Arbeitsleistung und die Inanspruchnahme gesellschaftlicher Fonds Die sozialistische Verteilungsweise erhält ihre grundlegende Bestimmtheit durch das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln. „Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst. Letztere Verteilung aber ist ein Charakter der Produktionsweise selbst." 1 Auf die sozialistische Verteilungsweise wirken noch die wesentlichen Unterschiede im Grade der Vergesellschaftung der Arbeit ein, die im Entwicklungsniveau der Produktivkräfte ihre Ursache haben und deren Überwindung Anliegen des Sozialismus ist. Hierbei spielen die Veränderungen im Charakter der Arbeit durch die Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus eine wesentliche Rolle. Der Anteil der geistig-schöpferischen Arbeit nimmt zu und die gesundheitsschädlichen, 1
K. MARX, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Bd. 19, Berlin 1962, S. 22.
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körperlich schweren T ä t i g k e i t e n werden v e r m i n d e r t u n d schließlich beseitigt.1 Die sozialistische Verteilungsweise geht v o n der A r b e i t als H a u p t q u e l l e des gesellschaftlichen R e i c h t u m s aus u n d setzt das M a ß der A r b e i t als das v o n d e n W e r k t ä t i g e n f ü r die Gesellschaft geleistete A r b e i t s q u a n t u m (im Sinne d e r Q u a l i t ä t u n d Q u a n t i t ä t der geleisteten Arbeit) als H a u p t k r i t e r i u m der Verteilung. Das Gesetz der Verteilung n a c h A r b e i t s l e i s t u n g stellt die U b e r e i n s t i m m u n g zwischen d e m M a ß der A r b e i t u n d d e m M a ß der K o n s u m t i o n her. E i n e Verteilung, die sich n a c h d e m M a ß der T e i l n a h m e a n der gesellschaftlichen P r o d u k t i o n r i c h t e t , ist der kapitalistischen, auf der Aneignving f r e m d e r Arbeit b e r u h e n d e n Verteilungsweise prinzipiell überlegen. Sie ist die Verteilungsweise, die der Arbeiterklasse u n d allen a n d e r e n W e r k t ä t i g e n bei der Verteilung des gesellschaftlichen P r o d u k t s die S t e l l u n g zu sichern h a t , die i h r e r Rolle in der P r o d u k t i o n des m a t e r i e l l e n R e i c h t u m s der Gesellschaft e n t s p r i c h t u n d „allen Gesellschaftsmitgliedern e r l a u b t , i h r e F ä h i g k e i t e n möglichst allseitig a u s z u b i l d e n , zu e r h a l t e n u n d a u s z u ü b e n . " 2 Die sozialistische Verteilungsweise h a t i h r e n a k t i v e n , f ö r d e r n d e n E i n f l u ß auf die E n t w i c k l u n g der gesellschaftlichen P r o d u k t i o n bewiesen. I n d e m der Anteil des einzelnen a n der K o n s u m t i o n n a c h Q u a l i t ä t u n d Q u a n t i t ä t der geleisteten A r b e i t f e s t g e s e t z t wird, gehen v o n diesem V e r t e i l u n g s p r i n z i p wichtige I m p u l s e f ü r die E n t w i c k l u n g der P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e u n d f ü r die P e r s ö n l i c h k e i t s e n t w i c k l u n g aus. Die Verteilung n a c h A r b e i t s l e i s t u n g e r k e n n t , wie K a r l M a r x s c h r e i b t , stillschweigend die ungleiche individuelle B e g a b u n g u n d d a h e r L e i s t u n g s f ä h i g k e i t als „ n a t ü r l i c h e Privilegien" an.® Die A n w e n d u n g des einheitlichen Verteil u n g s m a ß s t a b e s auf Menschen, deren F ä h i g k e i t e n , T ä t i g k e i t e n u n d F a m i l i e n v e r h ä l t n i s s e unterschiedlich sind, r u f t Ungleichheit bei der B e f r i e d i g u n g der persönlichen B e d ü r f n i s s e h e r v o r . Diese U n g l e i c h h e i t i m V e r b r a u c h , die a u c h i m Sozialismus n o c h o b j e k t i v a u f t r i t t , k a n n v o l l s t ä n d i g erst ü b e r w u n d e n w e r d e n „ i n einer h ö h e r e n P h a s e der k o m m u n i s t i s c h e n G e s e l l s c h a f t " . 4 Es ist deshalb nicht richtig, die Verteilung nach Arbeitsleistung einer Verteilung nach sozialen Gesichtspunkten gegenüber bzw. die Lohnpolitik neben die Sozial1
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Vgl. Thesen der 3. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für wirtschaftswissenschaftliche Forschung am 3. 11. 1972, a. a. O. F. ENGELS: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in: MEW, Bd. 20, Berlin 1962, S. 186.
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K. MAKX: Kritik des Gothaer Programms, a. a. O., S. 21.
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ebenda.
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politik zu stellen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine Form der sozialen Gleichheit, die bereits der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation gewährleisten kann und muß: „Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportional; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird." 1 Neben der aus den objektiven Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft sich ergebenden Ungleichheit in der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse entstehen aber auch aus der Verletzung des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung infolge ungenügender Beherrschung und Verwirklichung seiner Erfordernisse ungerechtfertigte Vor- und Nachteile. Solche Ungleichheiten in der Entlohnung zwischen Bereichen und Zweigen der Volkswirtschaft, zwischen Betrieben und Berufsgruppen haben die Ursache in einer nicht genügenden Erfassung und Berücksichtigung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung. Die planmäßige und bewußte Durchsetzung des sozialistischen Verteilungsgesetzes wird damit selbst zum wichtigen Mittel der Beseitigung und Überwindung bestehender Ungleichheiten in der Verteilung. Da der Arbeitslohn im Sozialismus nicht nur die Hauptform der persönlichen materiellen Interessiertheit der Werktätigen, sondern auch die Hauptquelle für die Entwicklung ihres Realeinkommens ist, müssen bei seiner Entwicklung und Differenzierung folglich solche Gesichtspunkte eine Rolle spielen wie die Entwicklung der Mindestlöhne, die Differenzierung zwischen den Qualifikationsgruppen, die Angleichung der Lohnentwicklung zwischen den Bereichen der Volkswirtschaft, die Gewährleistung von Zuschlägen für Schichtarbeit und Arbeit unter erschwerten Bedingungen. Eine wichtige Seite der Bestimmung des Planansatzes besteht in der Herausarbeitung der Erfordernisse und Maßnahmen, die die bessere Ausnutzung der sozialistischen Verteilungsprinzipien bzw. ihrer stimulierenden Rolle zur Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion gewährleisten. Die Entwicklung des Arbeitseinkommens ist deshalb ein wichtiger Ausgangspunkt der Planung und Plandurchführung. Aus der Planung der Einkommensentwicklung ergeben sich die wesentlichsten Schlußfolgerungen für die Struktur des Bedarfs der Bevölkerung. Auf dem 8. Kongreß des F D G B wurde begründet, daß künftig in der volkseigenen Wirtschaft eine zielstrebige Tarifpolitik wieder das Kernstück der Lohnpolitik darstellen muß. Die Beziehungen zwischen Tarif, Leistung und Lohn müssen so gestaltet werden, daß die Werktätigen wirksam interessiert werden, die erforderliche Qualifikation zu erwerben, größere Verantwortung zu übernehmen und ständig nach hohen Leistungen zu streben. Die Tarifpolitik erfordert, künftig einen wesentlichen 1
ebenda, S. 20. 37
Teil des Lohnzuwachses in Verbindung mit der Tarifgestaltung zu realisieren. Bestimmend für die staatliche Festlegung der Lohn- und Gehaltstarife sind allgemeine Leistungskriterien und das erreichte Niveau der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität. Weitergehende Differenzierungen erfolgen über den Mehrleistungslohn, die Lohnprämien und die Prämienfonds, worauf auch das jeweilige betriebliche Niveau der Arbeitsproduktivität und Effektivität Einfluß hat. Die Veränderung der Lohn- und Gehaltstarife muß mit Aufgaben für die Leistungsentwicklung der Betriebs- und Arbeitskollektive verbunden werden. Die mit Tarifveränderungen verbundenen Vorteile müssen genutzt werden, um das Interesse der Arbeiter, Ingenieure, Ökonomen und anderer Werktätiger auf die Ausschöpfung von Produktivitätsreserven, die Durchsetzung der sozialistischen Rationalisierung, der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation und Anwendung technisch begründeter Arbeitsnormen bzw. anderer Normative zu richten. Tarifveränderungen werden in unterschiedlichem Ausmaß lohnwirksam, weil es zur Herbeiführung leistungsbezogener Lohnrelationen erforderlich ist, die gegenwärtig relativ hohen, sehr differenzierten Mehrlohnbestandteile und Zuschläge differenziert in neue Tariflöhne einzubeziehen. Aus der Veränderung der Tariflöhne darf nicht ohne weiteres auf die tatsächliche Lohnentwicklung und damit die Bedarfsstruktur geschlossen werden. Somit ergeben sich nicht nur aus den Erfordernissen der Bedürfnisbefriedigung Anforderungen an die konkrete Distribution. Auch die bessere Ausnutzung der ökonomischen Gesetze im Bereich der Distribution, der Verteilung nach der Arbeitsleistung, führt zu spezifischen Rückwirkungen auf die Bedarfsstruktur, abhängig davon, ob und in welchem Ausmaß niedere, mittlere oder höhere Einkommen entwickelt werden, worauf sowohl soziale Gesichtspunkte wie auch Erfordernisse einer leistungsstimulierenden Lohndifferenzierung Einfluß haben. Den daraus langfristig entstehenden Erfordernissen und Tendenzen, z. B . der Begründung von Einkommensrelationen zwischen Qualifikations- und Beschäftigtengruppen, sollte die ökonomische und soziologische Forschung Aufmerksamkeit schenken. Die Verteilung nach Arbeitsleistung wird ergänzt durch die unmittelbare Befriedigung der Bedürfnisse mittels Leistungen, für die gesellschaftliche Fonds in Anspruch genommen werden. Zwischen der Verteilung nach Arbeitsleistung und der Verwendung der Mittel aus gesellschaftlichen Fonds entsprechend sozialer Notwendigkeiten bestellen wechselseitige Beziehungen, die Auswirkungen auf die Bedürfnisbefriedigung haben. Die Bedeutung der Verteilung nach der Arbeitsleistung für die Steigerung der Produktion erfordert, einen erheblichen Teil des Zuwachses des National-
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einkommens auf die E n t w i c k l u n g des Arbeitseinkommens zu verwenden. Ihre W i r k s a m k e i t wird jedoch m i t b e s t i m m t durch das Verhältnis der Arbeitseinkommen z. B. zu den Lehrlingsentgelten, Stipendien u n d R e n t e n . Die Verteilung der gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erfolgt in verschiedenen Formen, die sich an bestimmte Gruppen der Bevölkerung, auf die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse bzw. auf die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung richten u n d deren Weiterentwicklung durch konkrete Zielstellungen b e s t i m m t wird: — Als Verteilung, die der Befriedigung des h u m a n i t ä r e n Grundanliegens des Sozialismus entspricht, wie dem Schutz u n d E r h a l t u n g der Gesundheit, der F ö r d e r u n g v o n E h e u n d Familie, der sozialen Sicherheit im Fall v o n Arbeitsunfähigkeit, K r a n k h e i t oder Alter; — Als Verteilung, die der E n t w i c k l u n g sozialistischer Persönlichkeiten dient, wie die Mittel f ü r Bildung u n d Qualifizierung, f ü r geistig-kulturelle Betätigung, f ü r K ö r p e r k u l t u r u n d S p o r t ; — Als Verteilung, die v o m gesellschaftlichen E i g e n t u m an G r u n d f o n d s der K o n s u m t i o n — insbesondere d e m W o h n u n g s f o n d s — u n d dem sozialen Inhalt ihrer N u t z u n g ausgeht u n d zum Ziel h a t , j e d e m Menschen ein kulturvolles Leben u n d W o h n e n zu ermöglichen; — Als Verteilung, die Entwicklungstendenzen des Übergangs von der individuell zur gesellschaftlich organisierten K o n s u m t i o n f ö r d e r t , wie z. B. der Ausbau des Bereichs der Dienstleistungen oder des Erholungswesens; — Als Verteilung zur Sicherung der Versorgung aller Angehörigen der Gesells c h a f t bzw. b e s t i m m t e r Gruppen (z. B. R e n t n e r u n d Kinder) m i t besonders wichtigen K o n s u m g ü t e r n u n d Leistungen durch staatliche S u b v e n t i o n . Die allgemeinen gesellschaftlichen Bedürfnisse auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, der sozialen Betreuung, der Bildung u n d Qualifizierung usw. sowie das wachsende Interesse an gesellschaftlichen E i n r i c h t u n g e n wie W e r k küchen, Wäschereien, Dienstleistungseinrichtungen, Ferienheimen u. a. gewinnen eine i m m e r größere B e d e u t u n g . Ihre Befriedigung stimuliert die Arbeitsleistung u n d den allgemeinen gesellschaftlichen F o r t s c h r i t t in z u n e h m e n d e m Maße. Ihre reale W i r k s a m k e i t h ä n g t jedoch d a v o n ab, wie es gelingt, die materielle u n d personelle Voraussetzung d a f ü r zu schaffen. Der Zuwachs der gesellschaftlichen Konsumtionsfonds ist vor allem in die Bereiche zu lenken, die f ü r die Gestaltung der sozialistischen Lebensweise a m wichtigsten sind. Das wirft auch die P r o b l e m a t i k des A u f w a n d e s u n d der E f f e k t i v i t ä t der gesellschaftlich organisierten K o n s u m t i o n auf, der E n t w i c k -
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lung der von der Bevölkerung unentgeltlich in Anspruch genommen, teilweise oder voll finanzierten Leistungen. Die zielgerichtete Struktur der Bedürfnisbefriedigung erfordert eine exakte Untersuchung des tatsächlichen Realeinkommens der verschiedenen Klassen und Schichten. Besondere Beachtung verdient dabei die Untersuchung des Einkommens und Verbrauchs der Familien. Die unterschiedliche Struktur der Familien vervielfacht die Differenzierung des Verbrauchs, die durch die Verteilung nach der Arbeitsleistung begründet ist. Vor allem wurde die Abhängigkeit der Aufwendungen vom Alter der Kinder kaum untersucht. Des weiteren müssen die Beziehungen erforscht werden, die zwischen der Entwicklung des Realeinkommens und der Gesaltung des Verhältnisses von Arbeitszeit und Freizeit bestehen. Es ergeben sich folgende Schwerpunkte der Forschungsarbeit: — Beziehungen zwischen individueller und gesellschaftlicher Konsumtion in ihrer konkreten Gestalt und ihrem Zusammenwirken im Prozeß der Verteilung im Hinblick auf die Erreichung einer höchstmöglichen Leistungsstimulierung und rationellen Bedürfnisbefriedigung; — Rolle der Distribution, insbesondere der Verteilung nach Arbeitsleistung, für die Verstärkung der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Konsumtion; Vervollkommnung der Beziehungen zwischen Intensivierung, Rationalisierung, wissenschaftlicher Arbeitsorganisation und materieller Stimulierung; — Bestimmung der Arbeitsleistung nach der in sie eingehenden Determinanten; bessere Erfassung der Quantität der Entwicklung der Arbeitsleistung als Voraussetzung für die bessere Durchsetzung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung; — Kriterien und Methoden, um das Wachstumsverhältnis Arbeitsproduktivität und Durchschnittslohn für Zweige und Betriebe leistungsgerecht zu bestimmen; — Untersuchung der Zusammenhänge zwischen der Verteilungsweise und der Entwicklung der Arbeitsbedingungen sowie der Kultur im Arbeitsprozeß; — Beziehungen zwischen materieller und ideeller Stimulierung; — ökonomische und soziologische Begründung von Lohnrelationen zwischen Qualifikations- und Beschäftigtengruppen; — Struktur des Einkommens und des Verbrauchs von Familien nach Klassen, Schichten, Einkommensgruppen und Familiengrößen;
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— B e z i e h u n g e n zwischen s t a a t l i c h e r T a r i f p o l i t i k u n d d e n R e g e l u n g e n f ü r L e h r l i n g s v e r g ü t u n g e n sowie S t i p e n d i e n als B e s t a n d t e i l der sozialistischen Jugendpolitik; — R e l a t i o n e n zwischen der E n t w i c k l u n g der N o m i n a l - u n d R e a l e i n k o m m e n n a c h Klassen, S c h i c h t e n u n d E i n k o m m e n s g r u p p e n ; Analyse der Verteilungskategorien und ihre Verbindung zum Realeinkommen; — Analyse der B e z i e h u n g e n zwischen materiellen u n d k u l t u r e l l e n Lebensb e d i n g u n g e n sowie des Verhältnisses v o n A r b e i t s z e i t u n d Freizeit.
9. Zur Entwicklung von Arbeitszeit und Freizeit Arbeitszeit u n d Freizeit k ö n n e n i m Sozialismus n i c h t v o n e i n a n d e r g e t r e n n t w e r d e n . Sie b i l d e n eine dialektische E i n h e i t , die u n m i t t e l b a r m i t der E n t w i c k l u n g des Menschen zu allseitig gebildeten P e r s ö n l i c h k e i t e n , m i t der E n t w i c k l u n g der P r o d u k t i v k r ä f t e v e r b u n d e n ist. Der A r b e i t e r b r a u c h t Zeit zur B e f r i e d i g u n g geistiger u n d sozialer B e d ü r f nisse, d e r e n U m f a n g u n d Zahl d u r c h den allgemeinen K u l t u r z u s t a n d bes t i m m t sind.1 Die E r h ö h u n g der B i l d u n g , die T e i l n a h m e a m gesellschaftlichen L e b e n , die B e s c h ä f t i g u n g m i t K u n s t u n d L i t e r a t u r , K ö r p e r k u l t u r u n d S p o r t sind bereits h e u t e wesentliche B e s t a n d t e i l e u n s e r e r Lebensweise u n d h a b e n großen E i n f l u ß auf die s t ä n d i g e E n t w i c k l u n g der gesellschaftlichen P r o d u k t i v i t ä t . Die r a s c h e E n t w i c k l u n g v o n W i s s e n s c h a f t , T e c h n i k u n d Ö k o n o m i e stellt n e u e u n d h ö h e r e A n f o r d e r u n g e n a n die berufliche Q u a l i f i k a t i o n . Sie v e r l a n g t in b r e i t e m M a ß e die W e i t e r b i l d u n g u n d E r n e u e r u n g des b e r u f l i c h e n W i s s e n s u n d K ö n n e n s sowohl in der A r b e i t s z e i t als a u c h in der a r b e i t s f r e i e n Zeit. Die Dialektik des Verhältnisses zwischen Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit kann deshalb nicht nur als ein Problem der weiteren Vergrößerung der Freizeit über das bereits erreichte Maß hinaus verstanden werden. Zeitersparung muß erarbeitet werden durch höhere Produktivität und Effektivität in allen Bereichen der Volkswirtschaft. A u c h die l a n g f r i s t i g e E n t w i c k l u n g v o n A r b e i t s z e i t u n d Freizeit ist v o n der P r o d u k t i v i t ä t s s t e i g e r u n g a b h ä n g i g . „ J e m e h r die P r o d u k t i v k r a f t der A r b e i t w ä c h s t , u m so m e h r k a n n der A r b e i t s t a g v e r k ü r z t w e r d e n , u n d j e m e h r der A r b e i t s t a g v e r k ü r z t w i r d , desto m e h r k a n n die I n t e n s i t ä t der A r b e i t wachsen. 1
K. MABX, „Das Kapital" Bd. 1, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 246.
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Gesellschaftlich betrachtet, wächst die Produktivität der Arbeit auch mit ihrer Ökonomie. Diese schließt nicht nur die Ökonomisierung der Produktionsmittel ein, sondern die Vermeidung aller nutzlosen Arbeit". 1 Entscheidungen zur Veränderung des Verhältnisses zwischen Arbeitszeit und Freizeit sind wie alle Entscheidungen über den Grad und die Form der Bedürfnisbefriedigung an materielle Bedingungen gebunden. Gegenwärtig besteht das Problem darin, noch bessere Voraussetzungen für die effektive Nutzung der arbeitsfreien Zeit zu schaffen. Das erfordert den Ausbau der materiellen Basis für die sportliche Betätigung wie z. B. Sportanlagen, Turn- und Schwimmhallen und die Naherholung, einschließlich der dazu erforderlichen Dienstleistungen, insbesondere an den Wochenenden. Darüber hinaus liegt eine beträchtliche Reserve des Freizeitgewinns in der Erhöhung der Gebrauchswerteigenschaften zahlreicher Konsumgüter, die zu wenig zur Einsparung von Zeit bei ihrer Nutzung beitragen. Für langfristige Entwicklungszeiträume geht es um eine solche Steigerung der Effektivität der Produktion, durch die — eine Verlängerung des jährlichen Erholungsurlaubs, die Schaffung eines neuen Urlaubssystems bei Verlängerung des Grundurlaubs, — eine Verkürzung der Arbeitszeit vor allem für Produktionsarbeiter, für Werktätige, die im Mehrschichtsystem arbeiten und für werktätige Mütter. schrittweise erreicht werden kann. Der Urlaub bietet einen höheren Reproduktionseffekt als die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit. Gleichzeitig entstehen dadurch günstigere Möglichkeiten für die Gestaltung und Entwicklung der familiären Beziehungen. Für die Planung langfristiger Zeiträume sollten untersucht werden: — die Beziehungen zwischen Grundurlaub und Schichturlaub (im Zusammenhang mit anderen, die Schichtarbeit stimulierenden Maßnahmen) — die Gestaltung des Wochenurlaubs — die Freistellung für die berufliche Qualifizierung, Weiterbildung und Umprofilierungen. Es ist auch zu prüfen, welche Kriterien für die Erlangung des Urlaubsanspruchs von Bedeutung sind. So müßte u. a. untersucht werden, ob die Gewährung von Sonderurlaub auch in Abhängigkeit vom Lebensalter und den Arbeitsjahren erfolgen sollte und welche Kriterien den Treueurlaub unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution bestimmen. 1
ebenda, S. 552.
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F ü r die weitere Gestaltung des Urlaubs müssen die Voraussetzungen einer sinnvollen Urlaubsverbringung gesichert werden können, z u m Beispiel — die Schaffung von Ferienplätzen f ü r Eltern mit mehreren Kindern, — der N e u b a u von Ferienheimen — die Erweiterung der Auslandstouristik. Der wissenschaftlichen B e g r ü n d u n g der Reproduktionserfordernisse ist k ü n f t i g stärkere A u f m e r k s a m k e i t zu widmen. Von den in relativ geringem U m f a n g vorliegenden Untersuchungen abgesehen, bietet die Bedürfnisforschung auf diesem Gebiet ungenügenden Vorlauf.
10. Die Bolle der Leitung und Planung sozialer Prozesse für die Befriedigung der Bedürfnisse der Werktätigen im Betrieb E r h ö h t e s Gewicht erlangen auf der Grundlage des sozialistischen Eigent u m s im betrieblichen Reproduktionsprozeß u. a. die Bedürfnisse n a c h sozialistischer Gestaltung der materiellen u n d zeitlichen Arbeitsbedingungen, n a c h materieller u n d moralischer Anerkennung, n a c h der E n t f a l t u n g sozialistischer Beziehungen zwischen den Menschen, nach wachsender Teilnahme an der Leitung u n d P l a n u n g des Reproduktionsprozesses. Die b e w u ß t e Gestaltung der sozialistischen Lebensweise erfordert die Leitung u n d P l a n u n g jener Prozesse u n d Bedingungen, die in besonderem Maße die E n t w i c k l u n g sozialistischer Persönlichkeiten u n d Kollektive fördern. Die Leitung und Planung der sozialen Entwicklung des Betriebskollektivs ist Teil der Leitung und Planung des betrieblichen Reproduktionsprozesses. Sie dient in Einheit mit den technischen u n d ökonomischen Prozessen der B e s t i m m u n g von Zielen u n d M a ß n a h m e n zur E n t w i c k l u n g des Menschen als sozialistische Persönlichkeit u n d H a u p t p r o d u k t i v k r a f t u n d ist auf die Befriedigung der materiellen u n d kulturellen Bedürfnisse des Einzelnen u n d sozialer Gruppen gerichtet, soweit sie der Beeinflußbarkeit des Betriebes unterliegen. Sie t r ä g t zur E n t w i c k l u n g der Arbeiterklasse, zur A u s p r ä g u n g des sozialistischen Charakters des Betriebes u n d der E r h ö h u n g der ökonomischen E f f e k t i v i t ä t des Reproduktionsprozesses insbesondere durch die E n t f a l t u n g der Initiative der W e r k t ä t i g e n bei. Daraus folgt, d a ß die Leitung u n d P l a n u n g sozialer Prozesse — sich nicht nur auf die Gestaltung der Arbeits- u n d Lebensbedingungen beschränken k a n n , sondern auch geistig-kulturelle Bedürfnisse — als Aus-
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drucksform der sozialistischen P l a n u n g einbeziehen m u ß ,
Persönlichkeitsentwicklung
— in
die
— sowohl die klassentypischen Bedürfnisse der Arbeiterklasse als auch die differenzierten Bedürfnisse in den verschiedenen sozialen Gruppen berücksichtigen m u ß u n d — den k o n k r e t e n Einfluß der gesellschaftlichen u n d ökonomisch-technischen Bedingungen in den jeweiligen Wirtschaftseinheiten auf das Bedürfnisniveau u n d die Persönlichkeitsentwicklung der W e r k t ä t i g e n zu analysieren hat. D a m i t entspricht die Leitung u n d P l a n u n g sozialer Prozesse der wachsenden B e d e u t u n g des subjektiven F a k t o r s in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Sie fördert das sozialistische Bewußtsein, die Initiative u n d Verantworungsbereitschaft der W e r k t ä t i g e n , ihr Qualifizierungsstreben u n d ihren Willen zur Teilnahme an der Leitung u n d P l a n u n g , a m sozialistischen W e t t bewerb u n d a m Neuererwesen z u m Zwecke der intensiveren N u t z u n g des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens, der Aufdeckung u n d Erschließung von P r o d u k t i v i t ä t s r e s e r v e n u n d der E r h ö h u n g der E f f e k t i v i t ä t der P r o d u k t i o n sowie — in Ü b e r e i n s t i m m u n g d a m i t — der eigenen persönlichen Vervollkommnung. Die E r h ö h u n g des wissenschaftlichen Niveaus der Zeitung u n d P l a n u n g sozialer Prozesse b a u t auf den bisherigen theoretischen u n d praktischen Grundlagen einschließlich ihrer Leitungs- u n d P l a n u n g s m e t h o d e n auf, geht jedoch v o n der Notwendigkeit aus, d a ß die reife sozialistische Gesells c h a f t eine neue Qualität der Leitung u n d P l a n u n g sozialer Prozesse erfordert. Die gegenwärtige P l a n u n g u n d Leitung sozialer Prozesse ist z u m Teil Bestandteil solcher Plaridokumente, wie der E n t w i c k l u n g der K u l t u r u n d des Gesundheitswesens, der Investitionspläne, gehört zu den Rationalisierungskonzeptionen u n d findet in den Plänen der Arbeits- u n d Lebensbedingungen der Betriebe, den Bildungsplänen u n d dem B K V ihren konzentrierten Ausdruck. Aber zugleich geht die Vervollkommnung der Leitung u n d P l a n u n g sozialer Prozesse, wie sie in der U d S S R entwickelt u n d erprobt wird, d a r ü b e r hinaus. Sie s t e h t im u n m i t t e l b a r e n Z u s a m m e n h a n g mit der systematischen Ges t a l t u n g der sozialistischen Lebensweise, einschließlich der Lebensbedingungen in den Territorien. Die Notwendigkeit einer wirkungsvolleren Leitung und Planung dieser Prozesse ergibt sich letztlich aus dem W i r k e n des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur b e w u ß t e n und un44
mittelbaren Verwirklichung der im Grundgesetz formulierten Ziel—MittelDialektik, insbesondere auf der Ebene der Betriebe. Die starke Verflechtung sozialer Erscheinungen sowie die Vielfalt und die Veränderlichkeit der sozialen Bedürfnisse der Menschen im Reproduktionsprozeß verlangen eine stärkere planmäßige Regulierung dieser sozialen Prozesse im Rahmen der einzelnen wirtschaftenden Einheiten und auch der Territorien. Weil zwischen der ökonomischen Leistungsfähigkeit und dem sozialen Entwicklungsniveau im Sozialismus dialektische Wechselbeziehungen bestehen, existiert zwischen der Planung sozialer und ökonomischer Prozesse ein enger Zusammenhang. Die Planung sozialer Prozesse wirkt auf die Produktion ein, indem sie deren ökonomische Effektivität erhöht und das Tempo des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch die Entwicklung des Menschen beschleunigt. Gleichzeitig werden damit der Produktion Ziele gesetzt und Kennziffern des gesellschaftlichen Fortschritts festgelegt, wobei die ökonomischen Ergebnisse Grundlage für die Einleitung zielgerichteter sozialer Maßnahmen sind. Die sozialistischen Betriebe sind nicht nur technisch-ökonomische, sondern große soziale Einheiten, die sowohl die Produktion und Ökonomie als auch die sozialpolitische und kulturell-erzieherische Entwicklung der Menschen planen und durchführen. Sie werden immer mehr zu Zentren des sozialen und geistigen Lebens der Werktätigen. Zunehmend entwickelt sich das Bedürfnis nach solchen materiellen und zeitlichen Arbeitsbedingungen, die die Entwicklung der Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis fördern und der Entwicklung der „Totalität" des Menschen, der Ausprägung sozialistischer Persönlichkeiten und Kollektive dienen. Dazu gehört insbesondere, Technik und Technologie unter dem spezifisch sozialen Aspekt so zu entwickeln, daß sie die geistige und körperliche Entwicklung der Individuen und die Herausbildung kulturvoller zwischenmenschlicher Beziehungen im Arbeitsprozeß garantieren. Schwere und gesundheitsschädigende Arbeiten sind einzuschränken, körperliche und geistige Arbeit sinnvoll zu kombinieren, der Arbeitsprozeß kontinuierlich zu organisieren, Über- und Unterforderungen zu vermeiden. Arbeits- und Pausenregime, die Versorgung der Werktätigen in den Betrieben, Arbeiterberufsverkehr, Ferien- und Naherholung usw. sollen so gestaltet werden, daß sie die erweiterte Reproduktion der Arbeitskraft unter den Bedingungen intensivierter Produktion gewährleisten. Somit verlangt auch die soziale Entwicklung den Ausbau der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation und die breite Anwendung ihrer methodischen Grundsätze. Die soziale Betreuung der Familienangehörigen — insbesondere der Kinder — ist aufs engste mit den sozialen Maßnahmen der Territorien zu verbinden. 45
Die Lösung dieser Aufgaben, die den sozialistischen Grundbedürfnissen der Arbeiterklasse entsprechen, ist notwendiger Bestandteil der betrieblichen P l a n u n g , weil ihre Realisierung auch dem tatsächlichen Einfluß des Betriebes unterliegt. Inhaltlich sind deshalb — zunächst u n a b h ä n g i g von der k o n k r e t e n Zuo r d n u n g zu b e s t i m m t e n Planteilen — folgende Aufgaben u n d Bedingungen im R a h m e n der Leitung u n d P l a n u n g sozialer Prozesse im Betrieb zu erfassen: — Die Vervollkommnung der sozialen S t r u k t u r des Betriebskollektivs, Verä n d e r u n g e n in der qualifikationsmäßigen u n d beruflichen Zusammensetzung, M a ß n a h m e n zur Verringerung sozialökonomischer Unterschiede der Beschäftigten durch Veränderung des Inhalts der Arbeit, Regulierung der inner- u n d überbetrieblichen Arbeitskräftebewegung u n d Stabilisierung des Betriebskollektivs; — Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere des Arbeitsschutzes, M a ß n a h m e n zur E r h ö h u n g der Gesundheit der W e r k t ä t i g e n u n d zur Senkung der Zahl der Betriebsunfälle; — M a ß n a h m e n zur E r h ö h u n g des Realeinkommens, insbesondere durch die Gestaltung der Arbeitslöhne, zur E n t w i c k l u n g des materiellen u n d moralichen Anreizes ü b e r h a u p t , zur Verbesserung sozialer E i n r i c h t u n g e n u. ä . ; — Vervollkommnung der sozialen Beziehungen im u n m i t t e l b a r e n Arbeitskollektiv, Durchsetzung einer sozialistischen Arbeitsdisziplin, Festigung der sozialistischen Einstellung zur Arbeit u n d z u m Kollektiv; — E r h ö h u n g der gesellschaftlichen u n d politischen A k t i v i t ä t der W e r k t ä t i g e n u n d langfristige P l a n u n g der politisch-ideologischen u n d der kulturellen Massenarbeit. In A u s w e r t u n g der sowjetischen E r f a h r u n g e n besteht gegenwärtig ein vordringliches Anliegen in der Aufdeckung u n d Lösung sozialer Schwerpunkta u f g a b e n des Betriebes. Sie leiten sich ab aus dem Vergleich zwischen den gesellschaftlichen Erfordernissen u n d dem konkreten Entwicklungsstand des Betriebskollektivs, zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen der W e r k tätigen an die Gestaltung der Arbeits- u n d Lebensbedingungen u n d den materiell-finanziellen Möglichkeiten des Betriebes zur Befriedigung dieser Bedürfnisse. Im Zentrum der territorialen Sozialplanung stehen Fragen, die mit der Herausbildung und Weiterentwicklung der sozialistischen Lebensweise (insbesondere in der arbeitsfreien Zeit) der Bevölkerung, der Befriedigung ihrer
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territorial gebundenen Bedürfnisse, der optimalen Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens im Territorium, der Herstellung richtiger Proportionen zwischen Produktionsressourcen und den sozialen Potenzen, mit der Entwicklung der Dienstleistungssphäre usw. zusammenhängen. Die Analyse solcher Prozesse sowie die Festlegung u n d Realisierung von entsprechenden Zielen u n d M a ß n a h m e n sind eine wesentliche Bedingung f ü r die umfassende Verwirklichung des Gesetzes der Ökonomie der Zeit in seinem sozialen I n h a l t ; sie erhöhen den Grad der Identifizierung des Einzelnen m i t der Gesellschaft u n d vervollkommnen das System von Bedingungen f ü r eine harmonische sozialistische Persönlichkeitsentwicklung aller Gesellschaftsmitglieder. Aus der Tatsache, d a ß sich die Lebensweise der W e r k t ä t i g e n im Betrieb u n d im Terrirorium nicht isoliert voneinander vollzieht, folgt nicht zuletzt die Notwendigkeit einer Koordinierung zwischen betrieblicher u n d territorialer L e i t u n g u n d P l a n u n g sozialer Prozesse, zwischen Zweig- u n d Territorialplanung. Bei der Realisierung dieser Aufgaben k a n n u n t e r N u t z u n g der sowjetischen E r f a h r u n g e n auf den bisherigen Ergebnissen u n d F o r m e n der L e i t u n g u n d P l a n u n g in den Betrieben u n d Territorien der D D R a u f g e b a u t werden, ist vor allem die stärkere soziale Durchdringung v o r h a n d e n e r Teilpläne u n d betrieblicher D o k u m e n t e u n d deren bessere innere V e r z a h n u n g anzustreben. Das b e t r i f f t vor allem den Planteil Arbeits- u n d Lebensbedingungen, den Arbeitsk r ä f t e p l a n , die Bildungskonzeption, das K a d e r p r o g r a m m , den Planteil A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t u n d Lohn sowie den Betriebskollektivvertrag, den P l a n Wissenschaft u n d Technik u n d die Rationalisierungskonzeptionen sowie P r o j e k t e zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- u n d Leitungsorganisation. Zugleich ist es notwendig, den staatlichen, ökonomischen u n d gesellschaftlichen Zwang zur P l a n u n g sozialer Prozesse bereits v o m P l a n a n s a t z u n d der P l a n m e t h o d i k her zu erhöhen. Zur gründlichen Auswertung der sowjetischen E r f a h r u n g e n empfiehlt sich deren experimentelle E r p r o b u n g in einigen ausgewählten Betrieben der DDR. Die Vervollkommnung der Leitung und Planung sozialer Prozesse erfordert eine stärkere Verbindung von ökonomischer und soziologischer Forschung. Eine solche Zusammenarbeit ist speziell erforderlich, um die der sozialistischen Gesellschaft wesenseigenen Bedürfnisse aufzudecken, diese mit ihrem gegenwärtigen realen Ausprägungsgrad zu vergleichen, um schließlich die optimalen Formen ihrer Befriedigung in der Planungspraxis auszuarbeiten. Mit der langfristig orientierten, wissenschaftlich f u n d i e r t e n , schrittweisen 47
Vervollkommnung der Planung sozialer Prozesse nach sowjetischem Vorbild sind auch planungsmethodische Fragen zu klären; das betrifft u. a. — das Verhältnis von allgemein-verbindlichen und spezifischen (d. h. betriebsund territorialabhängigen) Bestandteilen in den Plänen, — die Bedeutung der Stimulierungsfonds im Rahmen der Sozialplanung, nicht zuletzt mit dem Ziel, extreme soziale Differenzierungen zwischen den Betrieben und in den Territorien abzubauen. Die Vervollkommnung der Leitung und Planung sozialer Prozesse ist nicht möglich ohne wissenschaftlichen Vorlauf in der Aufdeckung der Gesetzmäßigkeiten sozialer Entwicklungen sozialistischer Persönlichkeiten und Kollektive. Dazu gehört die Erarbeitung eines bestimmten Kennziffernsystems und dessen ständige Vervollkommnung. Das wiederum wirft die Frage nach der Quantifizierbarkeit der sozialen Prozesse im allgemeinen und der Bedürfnisse, einschließlich der politisch-moralischen, im besonderen auf. Bei der Lösung dieser komplizierten Aufgabe muß ein gesellschaftlich vertretbares Verhältnis von Aufwand und Ergebnis gewahrt werden. Diese Kennziffern sollen den Grad der Annäherung bzw. der Differenzierung im Charakter der Arbeit, in der Teilnahme an der Leitung, im Lebensstandard, in der Befriedigung materieller und kultureller Bedürfnisse usw. widerspiegeln. Sie sind erforderlich, um den Realisierungsgrad der gesetzten Ziele in der sozialen Entwicklung zu kontrollieren. Die langfristige Planung der sozialen Entwicklung von Betriebskollektiven setzt im Interesse einheitlicher Zielstellungen gesellschaftliche Prognosen der sozialen Entwicklung und den Ausweis der sozialen Konsequenzen aus dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt voraus. Es ist wichtig, nicht nur die sozialen Folgen der materiell-technischen Entwicklung zu planen, sondern vor allem solche sozialen Aufgaben zu stellen, die von den Entwicklungstendenzen der Gesellschaft ausgehen. Gleichermaßen müssen diese Entwicklungstendenzen und die Aufgabenstellungen in Übereinstimmung stehen mit den ökonomischen Möglichkeiten der Gesellschaft, der Betriebe und der Territorien.
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D r . R . MONTAG
Begründung der Thesen zur 5. Tagung des Wissenschaftlichen Rates iür die wirtschaftswissenschaftliche Forschung Das auf dieser T a g u n g des Rates zu behandelnde Thema besitzt für die weitere erfolgreiche Durchsetzung der vom V I I I . Parteitag beschlossenen Hauptaufgabe große Bedeutung. E s stellt vor allem für die Ausarbeitung des langfristigen Planes höhere Ansprüche an die weitere theoretische und praktische Durchdringung der vielfältigen gesellschaftlichen und ökonomischen Beziehungen, die sich aus der Lösung der uns gestellten Aufgaben ableiten. Die Thesen sind als Anregung für die Diskussion gedacht. Sie können nicht den Anspruch erheben, einen Gesamtüberblick über alle mit dem heutigen Beratungsthema im Zusammenhang stehenden Fragen zu geben und sie zu beantworten. Die Thesen lassen den gegenwärtigen Stand der Arbeiten erkennen und widerspiegeln das unterschiedliche Wissen auf den einzelnen Gebieten. Als Diskussionsgrundlage sollen die Thesen dazu beitragen, die vom V I I I . Parteitag und den nachfolgenden Plenartagungen in den Mittelpunkt gestellten Probleme der Erhöhung des Lebensniveaus in ihrer Beziehung zur Wirtschaftspolitik und zu wesentlichen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen so zu verdeutlichen, daß Schlußfolgerungen für die weitere Forschungsarbeit gezogen werden können. Obwohl in den Thesen nicht immer der unmittelbare Bezug zu den vorangehenden Themen des Rates ausdrücklich formuliert wurde, sollen sie als Fortsetzung dieser Diskussion verstanden werden. Ein genereller Schwerpunkt der weiteren Entwicklung der Bedürfnisse, der Art und Weise ihrer Befriedigung und der daraus resultierenden Wechselbeziehungen zur Produktion — der sich nicht auf die eine oder andere Ebene beschränken läßt — ist die Dialektik zwischen den Bedürfnissen und den Ressourcen der Volkswirtschaft. Darauf sollte sich in besonderem Maße die weitere Arbeit der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung konzentrieren. Die Beziehungen zwischen den Bedürfnissen und den Ressourcen der Volkswirtschaft sind das Kernproblem der weiteren Entwicklung der Konsumtion 5i 4*
als Ziel der sozialistischen Produktion. Es geht um den Zusammenhang zwischen den Ausgangspunkten der Planung der Produktion und ihren Konsequenzen für die Erhöhung der Intensivierung und der Effektivität, letztlich um einen solchen Produktivitätszuwachs, der eine stetige Erhöhung des Grades der Bedürfnisbefriedigung gewährleistet. Die Einheit von Ziel und Weg der Hauptaufgabe erfordert zunächst die konkrete Bestimmung der Ziele, d. h. der Bedürfnisse, die als Ausgangspunkte der Planung der Produktion in der jeweiligen Entwicklungsetappe gesellschaftlich gültiger Maßstab sind. Das setzt Kriterien für die Bewertung der Bedürfnisse voraus. In jeder Phase der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft kommt es darauf an, daß wir uns auf jene Bedürfnisse konzentrieren, die von der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen als besonders wichtig angesehen und empfunden werden. Das ist ein entscheidender Ausgangspunkt für die Bedürfnisforschung, der uns davor bewahrt, Tendenzen der Bedürfnisentwicklung nachzulaufen, die nicht aus unserer Lebensweise resultieren, sondern entweder aus alten Lebensgewohnheiten stammen oder von außen infiltriert werden. Natürlich lassen sich solche Einflüsse nicht vollständig ausschalten. Auf die Bedürfnisse hat die Bewußtseinsentwicklung einen wesentlichen Einfluß, die auch in der Arbeiterklasse sehr differenziert ist. Deshalb wäre es gar nicht möglich, nur solchen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, die unseren — auch noch recht unterschiedlichen — Vorstellungen von der sozialistischen Lebensweise entsprechen. Die Einheit von Ziel und Mitteln verlangt aber eine Entscheidung darüber, von welchen Bedürfnissen ausgehend wir die Struktur unserer Produktion — angefangen von der Rohstoffbeschaffung über die Höhe der Kapazitäten bis hin zum Sortiment der Produktion — bestimmen und mit welcher Effektivität diese Produktion unter unseren Bedingungen betrieben werden kann. Bereits bei dem gegenwärtigen Entwicklungsstand ist das schon keine nur national zu lösende Aufgabe mehr. Sie ist nur durch die sozialistische ökonomische Integration lösbar und verlagert deshalb auch zunehmend die Ziel-Mittel-Problematik auf die internationale Ebene. Es ist für die weitere Entwicklung von außerordentlicher Bedeutung, praktisch zu begreifen und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen, daß die Hauptaufgabe des VIII. Parteitages der S E D nicht nur eine nationale Zielstellung ist, sondern für alle im RGW vereinten sozialistischen Länder gilt. Das stellt an die gemeinsame Ausarbeitung langfristiger Zielstellungen auf allen Gebieten der Wirtschaft — natürlich auch auf den sozialpolitischen Gebieten — und damit an die Plankoordinierung wesentlich höhere Anforderungen, als das in den letzten Jahren der Fall war. Durch diese 52
einheitliche Zielstellung und ihre konsequente Verwirklichung wird die Anziehungskraft des Sozialismus nach innen und außen erhöht, was wesentlich dazu beiträgt, die außenpolitischen Ziele des sozialistischen Lagers realisieren zu helfen. Auch das unterstreicht, daß der Prozeß der Entstehung und Entwicklung der Bedürfnisse langfristig und systematisch erforscht werden muß, um rechtzeitig die Konsequenzen für die Produktion und Konsumtion zu ermitteln. In manchen Diskussionen wird die Ziel-Mittel-Problematik vereinfacht als Anpassung der Ressourcen an die Bedürfnisse. Das ist zwar für lange Entwicklungsetappen im Prinzip richtig, ist aber schon wesentlich differenzierter für den Grad dieser Anpassung und den Zeitraum, in dem sich dieser Prozeß vollziehen kann. Er wird beeinflußt von der Effektivität, mit der diese Anpassung durchsetzbar ist. Deshalb darf dieser Prozeß nicht einseitig gesehen werden; es geht nicht nur um die Anpassung der Ressourcen an die Bedürfnisse, sondern durchaus auch um die bewußte und gezielte Beeinflussung der Bedürfnisse sowohl zur Durchsetzung gesellschaftlicher Ziele als auch aus ökonomischen Gründen begrenzter Ressourcen in dem jeweiligen Entwicklungsabschnitt. Die Übereinstimmung der persönlichen Interessen mit den gesellschaftlichen Erfordernissen und Möglichkeiten ständig zu sichern und in diesem Prozeß immer spürbarer unsere eigene sozialistische Lebensweise zu gestalten, ist eines der kompliziertesten Probleme, dessen Lösung wir von niemanden fertig übernehmen können, das wir deshalb sorgfältig und ständig analysieren müssen, weil davon das Tempo der weiteren Entwicklung und ihre Stabilität, aber auch der Effekt der Erhöhung des Lebensniveaus abhängen. Gegenwärtig gibt es bereits eine Reihe von interessanten theoretischen Arbeiten zu dieser Problematik. Ungenügend untersucht sind das Niveau und die Struktur der Bedürfnisse, die Ausgangspunkt des langfristigen Planes sein sollen. Das heißt, es geht um die richtige Quantifizierung der Bedürfnisse für den Zeitraum der nächsten 15 bis 20 Jahre. BuSLJAKOV schreibt in diesem Zusammenhang: ,,Die Höhe und die Struktur der Bedürfnisse müssen unbedingt nach ihrer realen Befriedigung in einer überschaubaren Perspektive betrachtet werden. Werden dagegen die Bedürfnisse unabhängig von den möglichen Ressourcen errechnet, so hat der quantitative Ausdruck solcher Normen keinen praktischen Wert für die Planung." 1 1
Vgl. N. I. BTJSLJAKOV: Das Wohl des Menschen — höchstes Ziel des Sozialismus, in: Die Wirtschaft H. 5/73, S. 5.
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In einer Arbeit der sowjetischen Ökonomen MAJER und ERSOV wird als erste Schlußfolgerung aus der Beziehung zwischen K o n s u m t i o n und Produktion hervorgehoben, daß die Bedürfnisse niemals a b s t r a k t betrachtet werden dürfen. Als zweite Schlußfolgerung werden von den Verfassern Bedürfnisse und K o n s u m t i o n als gleichrangige Erscheinungen bewertet, die untereinander im Z u s a m m e n h a n g stehen, wobei Bedürfnisse die potenzierte K o n s u m t i o n sind und die K o n s u m t i o n die Bedürfnisbefriedigung ist, ohne beide allerdings als identisch betrachten zu dürfen. Als dritte Schlußfolgerung werden v o n ihnen als Maß der Bedürfnisse die Verbrauchsgüter bezeichnet, die ein entsprechendes Bedürfnis befriedigen, und zwar sowohl die Q u a n t i t ä t als auch die Q u a l i t ä t dieser Verbrauchsgüter, ihr Preis, der zu ihrer Herstellung notwendige Arbeitsaufwand usw. 1 Die beiden sowjetischen Ökonomen beschäftigen sich mit den von Marx gelieferten allgemeinen q u a n t i t a t i v e n Kriterien, nämlich — den notwendigen Bedürfnissen, die den U m f a n g des notwendigen P r o d u k t s bilden und im K a p i t a l i s m u s den W e r t der Arbeitskraft b e s t i m m e n ; — dem „wirklich gesellschaftlichen B e d ü r f n i s " , d a s v o n M a r x a n anderer Stelle als „ a b s o l u t e K o n s u m t i o n s k r a f t " der Gesellschaft bezeichnet wird, die die potentiellen Möglichkeiten der K o n s u m e n t e n charakterisiert. In dieser Arbeit wird d a v o n ausgegangen, daß die genannten A s p e k t e zur Quantifizierung der Bedürfnisse auch für den Sozialismus anwendbar sind. 2 F ü r den Unterschied zwischen dem wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnis oder der absoluten K o n s u m t i o n s k r a f t der Gesellschaft einerseits und dem notwendigen N i v e a u der Bedürfnisse andererseits wird folgendes Beispiel genannt: „ S o h a t die Produktion durch ihre E n t w i c k l u n g bei den Menschen d a s massenweise Bedürfnis nach einer modern eingerichteten Wohnung u n d sagen wir nach einem Haushaltskühlschrank geweckt. Wir haben es hier bereits m i t einem wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnis zu tun. Die P r o d u k t i o n reicht jedoch noch nicht aus, u m dieses Bedürfnis im vollen U m f a n g e zu befriedigen. Folglich muß d a s Niveau des notwendigen Bedürfnisses unter Berücksichtigung der realen Produktionsmöglichkeiten berechnet w e r d e n . " 3 1
2 3
Vgl. V . F . MAJER u n d E . B . ERSOV: Ü b e r die B e w e r t u n g der B e d ü r f n i s s e d e r B e -
völkerung, in: Sonderinformation des Ökonomischen Forschungsinstituts Staatlichen Plankommission H. 2/1973, S. 1/2. Vgl. ebenda, S. 1 - 4 . ebenda, Seite 4.
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der
Aus diesem Gedanken ziehen die Verfasser für die Ermittlung der Bedürfnisse folgende Konsequenzen: „Demnach kann die Ermittlung der Bedürfnisse der Bevölkerung in folgende Teilaufgaben zerlegt werden: 1. Ermittlung des wirklichen Bedürfnisses der Gesellschaft an Konsumtionsmitteln (absolute Konsumtionskraft der Gesellschaft); 2. Ermittlung des notwendigen
Bedürfnisses;
3. Ermittlung des Bevölkerungsbedarfs unter den gegebenen Verhältnissen. Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen der Leitung und Planung der Volkswirtschaft, mit unterschiedlichen Methoden und für Pläne mit unterschiedlichem Zeithorizont. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Bedarfsstruktur auf volkswirtschaftlicher Ebene bilden zahlenmäßige Ist-Angaben, die zu untersuchen und zu verallgemeinern sind. Für die Bewertung der Bedürfnisse (wirkliche und notwendige) hat die Praxis eine andere Methode entwickelt: die Berechnung sogenannter normativer Konsumtionsbudgets (Normativ heißt in diesem Falle, daß die Bedürfnisse nicht nach dem tatsächlichen Verbrauch an den einzelnen Gütern, sondern auf Grund von Normen bewertet werden, die das Bedürfnis an den entsprechenden Gütern wiedergeben sollen). Um also Umfang und Struktur der Bedürfnisse beurteilen zu können, muß ein Korb von Konsumgütern und materiellen Leistungen zusammengestellt werden, der einen entsprechenden Kreis von Bedürfnissen zu befriedigen vermag. Weiter ist es notwendig, die einzelnen Waren und Dienstleistungen zu bewerten, ein entsprechendes Einkommensniveau zu finden und schließlich die Struktur der Einkommen und ihre Herkunft zu ermitteln. Erst nach dem dies geschehen ist, kann das Konsumtionsbudgets berechnet werden." 1 Außerordentlich wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die Feststellung der Verfasser, daß die sowjetische Planungspraxis in Gestalt des rationellen Konsumtionsbudgets für die Darstellung des wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnisses an Konsumgütern und Leistungen ein brauchbares Instrument bereithält. 2 Die ausführliche Darstellung dieser Gedanken — wobei andere sowjetische Autoren im Prinzip zu gleichen Auffassungen gelangen — erscheint mir deshalb gerechtfertigt, weil das Herangehen an die Quantifizierung der Beziehungen zwischen Bedürfnissen und Ressourcen meines Erachtens zum Springpunkt der weiteren theoretischen und praktischen Arbeit wird, um die 1
ebenda, S. 6.
2
ebenda, S. 9.
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Bedürfnisse tatsächlich zum Ausgangspunkt der (langfristigen) Planung zu machen. Die Diskussion um die Aufstellung rationeller Konsumtionsbudgets und die damit verbundenen theoretischen und praktischen Probleme, gesellscliaftsund wirtschaftspolitischen Entscheidungen sowie der dazu anwendbaren mathematisch-statistischen Methoden ist natürlich sehr vielfältig und durchaus nicht abgeschlossen. Aber es festigt sich immer mehr die Überzeugung, daß wir praktisch handhabbare Instrumente und Kriterien brauchen, um dem Auftrag des Parteitages gerecht zu werden. Bessere Vorschläge als die der Ausarbeitung rationeller Konsumtionsbudgets gibt es zur Zeit nicht. Die größten Erfahrungen hat gegenwärtig die UdSSR auf diesem Gebiet, aber wir nutzen sie völlig ungenügend, weil sich kein wissenschaftliches Institut bisher direkt mit solchen Fragen beschäftigt. In letzter Zeit gibt es einige Ansätze in dieser Richtung; die Kapazitäten dafür sind aber sehr gering und es gibt keinen Vorlauf an Ergebnissen, obwohl der langfristige Plan in seinem Ansatz darauf aufbauen müßte. Darüber hinaus ist das eine Aufgabe, an der Wissenschaftler und Praktiker gemeinsam arbeiten können und müssen. Und darauf kommt es besonders im gegenwärtigen Stadium an. Das erfordert eine gezielte und von den wissenschaftlichen Räten gesteuerte Anlage der Arbeiten. Es geht dabei durchaus nicht nur um die rationellen Budgets, sondern vor allem darum, auszuarbeiten, was wir für die entwickelte sozialistische Gesellschaft hinsichtlich ihres Lebensniveaus, des Verhältnisses zwischen individueller und gesellschaftlicher Konsumtion — bezogen auf die im Zeitraum der nächsten 15 Jahre zur Verfügung stehenden Ressourcen — als „Norm" setzen wollen und können. Für die Planung des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses brauchen wir solche „Normen", um die Vorstellungen über das künftige Lebensniveau zu konkretisieren. Die Begründung der perspektivischen Konsumtionsnormen ist eine äußerst komplizierte Aufgabe. Hier müssen physiologische, ökonomische, soziale, demografische, geschichtliche und andere Faktoren berücksichtigt werden. 1 Es wäre eine unzulässige Vereinfachung, in den Budgetsrechnungen die alleinige Methode der Bestimmung der Bedürfnisse und der Bedarfsentwicklung, ihrer Struktur und ihrer volkswirtschaftlichen Konsequenzen sehen zu wollen. Prognosen der Bevölkerungskonsumtion verlangen Analysen über die Möglichkeiten der Befriedigung der Bedürfnisse, wobei die Wachstumstempi 1
Vgl. W. J. RAJZIN, ZU einigen Fragen der Prognostizierung von Konsumtion und Einkommen der Arbeiter und Angestellten, in: Sonderinformation des ökonomischen Forschungsinstituts der Staatlichen Plankommission H. 1/1973, S. 12.
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des Nationaleinkommens und das optimale Verhältnis zwischen Akkumulation und Konsumtion, das mögliche Wachstum der Einkommen der Bevölkerung und die Veränderung ihrer Struktur sowie der Produktions- und Rohstoffressourcen zu berücksichtigen sind. 1 Die Prognostizierung der Bevölkerungskonsumtion erfordert deshalb eine enge Verbindung mit der demografischen, sozialen und wissenschaftlich-technischen Prognose, die vor der Ausarbeitung der Bevölkerungskonsumtion entstehen müssen. 2 An dieser Problematik dürfen wir nicht vorübergehen, weil unsere demografischen und sozialen, aber auch die wissenschaftlich-technischen Prognosen — soweit sie gegenwärtig überhaupt vorliegen — noch nicht die Reife besitzen, um darauf solide Ableitungen der künftigen Konsumtionsentwicklung aufbauen zu können. Andererseits hängt natürlich von der Entwicklung der Struktur der Konsumtion maßgeblich ab, an welche Zweige der Produktion besonders hohe Anforderungen und an welche Zweige weniger große Ansprüche an ihr Entwicklungstempo gestellt werden. Dabei ist die Entwicklung des Verhältnisses von Konsumgütern und Dienstleistungen an den Gesamtgeldausgaben der Bevölkerung sehr wichtig. Wir müssen unterscheiden zwischen der Tendenz der Ausweitung des Anteils der Dienstleistungen und dem Entwicklungstempo ihres realen Volumens. Sowjetische Erfahrungen wie auch die der DDR ergeben: Obwohl der Anteil der materiellen Güter am allgemeinen Volumen der Konsumtion mit dem Wachsen der Bedürfnisse und mit der Entwicklung der Dienstleistungssphäre geringer wird, behält die Konsumtion von Waren — wie aus der Ausgabenstruktur der Verbrauchsbudgets ersichtlich wird — trotzdem ihre vorrangige Rolle bei der Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung. Die Lösung der Fragen, die mit der Prognostizierung der Konsumtion von materiellen Gütern verbunden ist, behält ihre erstrangige Bedeutung erst recht deshalb, weil die Prognose der Dynamik und Struktur der Konsumtion von materiellen Gütern der Ausgangspunkt dafür ist, um Tempi und Proportionen der Entwicklung der Industriezweige der Abteilung II zu bestimmen, die eine Bilanzierung von Angebot und Nachfrage für die Waren der Bevölkerungskonsumtion gewährleisten. 3 Die auch in einem Zeitraum von 15 Jahren real mögliche Entwicklung des Dienstleistungsanteils wird bei uns manchmal überschätzt auf Grund der gegenwärtigen Lücken im Angebot. 1
2
Vgl. L. W. OPAZKIJ/U. G. ÖERNJAVSKI: Einige Fragen zur langfristigen Prognostizierung der Bevölkerungskonsumtion, in: Sonderinformation des Ökonomischen Forschungsinstituts der Staatlichen Plankommission, H. 2/73, S. 22. 3 ebenda, S. 25. Vgl. ebenda, S. 23.
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Es ist aber zu beachten, daß unsere Struktur der Dienstleistungen, insbesondere der bezahlten, sich wesentlich von der kapitalistischer Länder unterscheidet, wobei hinzukommt, daß die Preise für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen im allgemeinen wesentlich niedriger sind als die vergleichbare Preisstruktur der Konsumgüter. Diese Unterschiede entsprechen sozialen Anliegen unserer Gesellschaft, bedeuten aber gleichzeitig, daß selbst bei relativ hoher Steigerung des materiellen Angebots von Dienstleistungen ihr Anteil an den Geldausgaben der Bevölkerung nur sehr langsam wächst. Die bedeutenden Anforderungen, die mit der weiteren Erhöhung der Geldeinkommen der Bevölkerung an die Konsumgüterproduktion gestellt werden, erfordern deshalb eine systematische Untersuchung der vorhandenen Ressourcen der Konsumgüterproduktion, ihrer Übereinstimmung mit der künftig zu erwartenden Bedarfsentwicklung und der Anforderungen und Möglichkeiten ihrer Veränderung. Das betrifft nicht nur die Produktion der Konsumgüter selbst, sondern vor allem die Rohstoffbasis und die Voraussetzungen der Ausrüstung der Konsumgüterproduktion mit hochproduktiver Technik. Dabei erlangen mit der Erhöhung des Sättigungsgrades des Marktes und mit dem Anwachsen der Einkommen die qualitativen Kennziffern — wie das Sortiment und die Qualität der Produktion — immer größere Bedeutung. In Verbindung damit müssen die Veränderungen in der Technik, Technologie und Organisation der Produktion sowie auch in der Struktur der Rohstoffbasis gründlich durchgearbeitet werden, um sie in Übereinstimmung zu bringen mit den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung und den damit verbundenen höheren Anforderungen an die Konsumeigenschaften der Waren. 1 Der dazu erforderliche volkswirtschaftliche Aufwand muß eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der günstigsten Produktionsstruktur sowohl im eigenen Land als auch im Rahmen der sozialistischen ökonomischen Integration spielen. Sowjetische Ökonomen machen darauf aufmerksam, daß sowohl in der UdSSR als auch im Ausland eine Erhöhung der Fondsintensität der Leichtund Lebensmittelindustrie zu verzeichnen ist. So erhöhte sich zum Beispiel in der Textilindustrie der USA in Verbindung mit einer Erhöhung des technischen Niveaus der Investitionsaufwand je Arbeitsplatz beim Bau einer neuen Fabrik von 10000 Dollar im Jahre 1950 auf 50000 bis 60000 Dollar gegenwärtig. Die technische Umrüstung der Lebensmittelindustrie der UdSSR führte beispielsweise dazu, daß die Fondsintensität im laufenden Fünfjahrplan um 25 Prozent höher ist als die mittlere 1
Vgl. ebenda, S. 26.
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Fondsintensität für diesen Industriezweig am Anfang des Fünfjahrplanes. 1 E s bedarf in diesem Zusammenhang keiner näheren Begründung, daß solche Untersuchungen höhere Ansprüche sowohl an die Forschungsergebnisse als auch an die Qualität volkswirtschaftlicher Berechnungen stellen als sie gegenwärtig vorliegen. Deshalb muß die Kräftekonzentration, d. h. die Gemeinschaftsarbeit zwischen den Instituten selbst sowie zwischen ihnen und den wirtschaftsleitenden Organen vertieft und beschleunigt werden. In unmittelbarem Zusammenhang mit der Bedürfnis-Ressourcen-Problematik ist für die Ausarbeitung sozialökonomischer Prognosen und die Gestaltung des langfristigen Planes die weitere Ausgestaltung des Prinzips der Verteilung nach der Arbeitsleistung und der Inanspruchnahme gesellschaftlicher Fonds ein Schlüsselproblem der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Anteil des Einzelnen am wachsenden Nationaleinkommen bestimmt nicht nur die Entwicklung seines Lebensniveaus, sondern im wesentlichen Maße auch seine Einstellung zur Arbeit, zu den höheren Anforderungen an die qualitativen und quantitativen Arbeitsleistungen und damit letztlich das reale Entwicklungstempo der Arbeitsproduktivität. Selbstverständlich wirken dabei — wie auf allen Gebieten der Konsumtion — objektive und subjektive Faktoren aufeinander ein, sie sind aber auf diesem Gebiet unmittelbarer spürbar, und zwar sowohl individuell als auch gesellschaftlich. E s ist aus diesem Grund notwendig, auch für den kommenden Abschnitt unserer gesellschaftlichen Entwicklung den Schwerpunkt der Verbesserung des Realeinkommens in der Lohnentwicklung — vermittelt über die Neugestaltung der Tarife — zu sehen. Damit sind Prämissen gesetzt in bezug auf das Verhältnis der Einkommensentwicklung entsprechend der unmittelbaren Leistung und der Einkommensentwicklung aus gesellschaftlichen Fonds. Soweit es sich um theoretische Probleme handelt, wurde versucht, sie in der These neun zu formulieren. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit für die praktische Entscheidung noch viele Fragen offen sind, die wir heute noch nicht beantworten können. Solche Fragen sind das Verhältnis zwischen der Entwicklung des Aufwandes an lebendiger und vergegenständlichter Arbeit und seine Widerspiegelung in der Arbeitsproduktivitätssteigerung und Lohnzuwachs; die Kriterien der Leistungsmessung beim zunehmenden Übergang zu qualifizierter Arbeit, gleichzeitig aber auch die Stimulierung hoher Leistungen bei einfachen Tätigkeiten, auf die die Gesellschaft heute noch nicht verzichten kann. 1
Vgl. ebenda, S. 27.
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In den k o m m e n d e n J a h r e n gewinnen auch die m i t den H a u s h a l t s e i n k o m m e n v e r b u n d e n e n Probleme wachsende B e d e u t u n g . U n d zwar im wesentlichen aus 2 Gründen: — in den zurückliegenden J a h r e n entwickelte sich das H a u s h a l t s e i n k o m m e n vor allem der u n t e r e n E i n k o m m e n s g r u p p e n beträchtlich d u r c h die Zun a h m e des Beschäftigungsgrades der F r a u e n ; diese Quelle der E r h ö h u n g des H a u s h a l t s e i n k o m m e n s versiegt allmählich; — die seit mehreren J a h r e n erkennbare Tendenz rückläufiger Geburtenzahlen erfordert Ü b erlegungen u n d sozialpolitische M a ß n a h m e n zur F ö r d e r u n g der Familie m i t mehreren Kindern, insbesondere der 3 - K i n d e r - E h e , die u n m i t t e l b a r m i t der I n a n s p r u c h n a h m e größerer gesellschaftlicher F o n d s v e r b u n d e n sind. D a r ü b e r hinaus ist es notwendig, unser Wissen u m die soziale Differenzierung der Lebenslage, z. B. alleinstehender F r a u e n m i t K i n d e r n , alleinstehender R e n t n e r u n d der E m p f ä n g e r u n t e r e r E i n k o m m e n zu vertiefen, u m sozialpolitische M a ß n a h m e n noch wirkungsvoller vorbereiten u n d durchf ü h r e n zu können. Auch auf diesen Gebieten geht es j e t z t u m konkrete sowohl theoretisch wie praktisch f u n d i e r t e Aussagen, u m die realen Anforderungen u n d Bedingungen der E n t w i c k l u n g der nächsten 15 J a h r e b e s t i m m e n zu k ö n n e n . Der S t a n d der Arbeiten in den I n s t i t u t e n erfordert nicht n u r die weitere Vertiefung der gewonnenen Erkenntnisse, sondern auch Schlußfolgerungen f ü r die zielstrebigere Organisation der Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der K o n s u m t i o n u n t e r dem Aspekt der Gewinnung aussagefähiger Unterlagen f ü r die langfristige P l a n u n g . E n t s p r e c h e n d den Festlegungen der Regierung zur langfristigen P l a n u n g wurden A u f t r ä g e zur U n t e r s u c h u n g der langfristigen E n t w i c k l u n g des Lebensniveaus u n d der Methoden zur B e s t i m m u n g des Bedarfs als entscheidenden A u s g a n g s p u n k t der P l a n u n g ausgelöst. Das bezieht sich insbesondere auf die schrittweise A u s a r b e i t u n g — von Analysen der Tendenzen der bisherigen Bedarfsentwicklung der Arbeiterklasse, der Genossenschaftsbauern u n d der anderen Schichten der werktätigen Bevölkerung u n d der f ü r die langfristige P l a n u n g entscheidenden Tendenzen der E n t w i c k l u n g der Bedürfnisse sowie der Art u n d Weise ihrer Befriedigung; — der langfristig wirkenden sozialökonomischen Entwicklungstendenzen in ihrer Abhängigkeit von der Leistungs- u n d E i n k o m m e n s e n t w i c k l u n g der in den J a h r e n 1976/90 anzustrebenden Bedürfnisbefriedigung, ihrer Rang-
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folge sowie ihrer vorkswirtschaftlichen Voraussetzungen und Konsequenzen; — von Vorschlägen zur besseren Planung und Abrechnung der Bedürfnisse und Bedarfsentwicklung und den Voraussetzungen für die schrittweise Anwendung von Verbrauchs- und Ausstattungsnormativen im Bereich der materiellen Konsumtion. In diese Aufträge sind sowohl Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Universitäten und Hochschulen als auch wissenschaftliche Einrichtungen einbezogen, die unmittelbar zentralen staatlichen Organen unterstehen. Damit wurde eine gezielte prognostische Arbeit auf ausgewählten sozialpolitischen Gebieten wieder aufgenommen. Sie konzentriert sich im wesentlichen auf solche Probleme, die zur weiteren Qualifizierung des langfristigen Planes und zur Entwicklung des Lebensniveaus notwendig sind und für die es — nach Rücksprache mit den entsprechenden wissenschaftlichen Einrichtungen — kapazitätsseitige Voraussetzungen gibt. Darüber hinausgehende sozialpolitische Grundprobleme der gesellschaftlichen Entwicklung werden mit diesen Forschungsaufträgen nicht erfaßt. Die inhaltlichen Schwerpunkte wurden mit der Leitung des Rates für wirtschaftswissenschaftliche Forschung, den entsprechenden Instituten sowie den zuständigen Fachabteilungen der Staatlichen Plankommission abgestimmt und sind Bestandteil der Forschungspläne der wissenschaftlichen Einrichtungen für das Jahr 1973. Die Mehrzahl der Themen ist unmittelbar auf den langfristigen Plan bezogen und trägt in diesem Sinne prognostischen Charakter, ohne das Ziel zu stellen, gesonderte Prognosen auszuarbeiten, die über den langfristigen Planungszeitraum hinausorientieren. Die Auswahl der Themen folgt nicht immer den Anforderungen der langfristigen Planung, sondern mußte auch der Größe und Struktur der Forschungskapazitäten Rechnung tragen, die sich Ende des Jahres 1972 insbesondere an den Hochschulen zugunsten der Lehrtätigkeit veränderte. Schon in dieser Phase der Abstimmung zeigten sich Disproportionen zwischen den Anforderungen an die prognostische bzw. langfristige Forschungsarbeit und den realen Bedingungen für die Forschung an den Instituten, vor allem hinsichtlich des möglichen zeitlichen Ablaufs der Forschung. Die Forschungsaufgaben zur langfristigen Entwicklung des Lebensniveaus sind in den entsprechenden Instituten verstärkt voranzutreiben. Es ist daher notwendig, durch zielgerichteten Einsatz der vorhandenen Kräfte und Erhöhung der Effektivität der Forschung weitere Voraussetzungen für die Lösung der anstehenden Aufgaben zu schaffen.
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Durch zahlreiche Arbeiten, die mit dem VIII. Parteitag ausgelöst wurden und sich mit wesentlichen theoretischen Grundfragen beschäftigen, gibt es gegenwärtig notwendige und nützliche Ausgangspunkte für weiterführende und auch quantifizierbare prognostische Untersuchungen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die unmittelbare Vorlaufforschung für die Ausarbeitung langfristiger Pläne zur Zeit noch nicht den wachsenden Anforderungen entspricht und deshalb vor allem zeitlich nicht den Anforderungen der langfristigen Planung der Gestaltung der sozialistischen Lebensweise gerecht wird. Es geht dabei vor allem um die Ausarbeitung qualitativer und auch quantifizierbarer Maßstäbe für den Entwicklungsabschnitt der nächsten 15 Jahre. Ausgehend von den wachsenden Anforderungen der langfristigen Planung an die Erarbeitung sozialpolitischer Prognosen, insbesondere in Auswertung der Erfahrungen in gemeinsamen Arbeiten zwischen den RGW-Ländern, sind Vorschläge für die gemeinsame Arbeit von Gesellschaftswissenschaftlern und Wirtschaftswissenschaftlern an ausgewählten prognostischen Aufgabenstellungen notwendig als Orientierung für die Forschungspläne der kommenden Jahre. Es empfiehlt sich die Bildung stabiler interdisziplinär zusammengesetzter Kollektive der entsprechenden wissenschaftlichen Einrichtungen unter Federführung der Akademie der Wissenschaften bzw. der entsprechenden wissenschaftlichen Räte, denen auch Vertreter zentraler staatlicher Organe und gesellschaftlicher Einrichtungen angehören sollten. In erster Linie geht es um die bessere Nutzung der vorhandenen Forschungskapazitäten sowie der Erfahrungen der mit diesen Arbeiten vertrauten Wissenschaftler, da eine Erweiterung der wissenschaftlichen Einrichtungen kurzfristig nicht möglich ist und mit Nachwuchswissenschaftlern diese Arbeit auch nicht bewältigt werden kann. Die Thesen sollen deshalb nicht nur eine Grundlage für den weiteren Meinungsstreit sein, sondern auch zur Bestimmung der Schwerpunkte der weiteren gemeinsamen Arbeit dienen. Sie können und sollen keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Problematik erheben, aber dazu beitragen, die Arbeiten auf diesem vom Parteitag als zentrales und strategisches Anliegen unserer gesamten Wirtschaftspolitik charakterisierten Gebiet unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu forcieren.
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Prof. Dr. H . RÖSSLER
Das Ziel sozialistischen Wirtschaftens und seine Anforderungen an die Phasen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses In der sozialistischen Produktionsweise wird das allgemeine Ziel des menschlichen Arbeitsprozesses, Gebrauchswerte zur Befriedigung der Bedürfnisse zu schaffen, auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums der Produzenten weitgehend identisch mit dem spezifisch historischen Ziel des sozialistischen Wirtschaftens. Der Inhalt der Zielstellung sozialistischen Wirtschaftens kommt im ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus zum Ausdruck. Das gesellschaftliche Eigentum der Produzenten an den Produktionsmitteln rückt die Bedürfnisse der Gesellschaft der Werktätigen in den Mittelpunkt der planmäßigen Leitung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Unter solchen Bedingungen ist die Erreichung des Zieles sozialistischen Wirtschaftens, die ständig wachsende Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen und die Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten, nur zu erfüllen, wenn der U m f a n g und die Effektivität der gesellschaftlichen Produktion auf der Grundlage der fortgeschrittenen Wissenschaft und Technik, der Intensivierung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses und der Steigerung der Arbeitsproduktivität erhöht werden. Die vom V I I I . Parteitag der S E D gestellte H a u p t a u f g a b e ist die politische Formulierung des Zieles der Politik von Partei und Regierung auf der Grundlage des Wirkens des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus. Zugleich aber sind auch die übrigen ökonomischen Gesetze der sozialistischen Produktionsweise und ihr Wirkungsmechanismus für die Durchsetzung der Hauptaufgabe auszunutzen. Die wachsende Befriedigung der Bedürfnisse der Werktätigen, die planmäßige Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und ihre Ausrichtung auf das Ziel des Wirtschaftens machen nicht nur die Aufdeckung des Systems und der Entwicklungstendenzen der Bedürfnisse erforderlich, sondern erzwingen zugleich auch die deutlichere Herausarbeitung des Zusammenhanges zwischen den Bedürfnissen und den Anforderungen, die von ihnen an die Produktion, an die Distribution, an den Austausch und an die Konsumtionsphase gestellt werden. Die Lösung dieser Aufgabe macht es 63
notwendig, die Wirksamkeit der ökonomischen Gesetze des Sozialismus vom Gesichtspunkt der neuen Wirkungsbedingungen des Grundgesetzes intensiver zu überprüfen und ihre Erfordernisse herauszuarbeiten. Vom Standpunkt der Politischen Ökonomie des Sozialismus, die die wesentlichen Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhanges zwischen bedürfnisorientierter Produktion und der Intensivierung der erweiterten gesellschaftlichen Reproduktion aufzudecken hat, bedeutet das, schon bei der Definition ihres Gegenstandes, weitergehende Überlegungen anzustellen. Bekanntlich hat Engels in seiner Definition des Gegenstandes der politischen Ökonomie betont, daß sie die Wissenschaft von den Gesetzen ist, die die Produktion und den Austausch des materiellen Lebensunterhaltes der menschlichen Gesellschaft beherrschen. Unter dem vorher genannten Gesichtspunkt muß jedoch betont werden, daß nicht nur die Produktion, nicht nur die Distribution und der Austausch, sondern auch die Konsumtionsphase eine Sphäre der Wirkung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten ist, die von der politischen Ökonomie untersucht und zum Zwecke ihrer bewußten Nutzung und Durchsetzung aufgedeckt werden müssen. Es ist deshalb ein beachtlicher Fortschritt, daß bei der Definition der politischen Ökonomie als Wissenschaft im Lehrbuch „Politische Ökonomie der vorsozialistischen Produktionsweise", herausgegeben von Zagolov, geschrieben wird: „Die politische Ökonomie ist die Wissenschaft von den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, von den ökonomischen Verhältnissen der Menschen. Sie ergründet die ökonomischen Gesetze, welche die Produktion, die Distribution, den Austausch und die Konsumtion der materiellen Güter in den verschiedenen Entwicklungsstufen der menschlichen Gesellschaft beherrschen." 1 Nun ist jedoch der Stand der Analyse des Zusammenhanges zwischen den Bedürfnissen und den Phasen der Reproduktion weniger entwickelt als das den praktischen Notwendigkeiten bei der Durchsetzung der Hauptaufgabe entspricht. Die Diskussionen über die Rolle und Funktion des gesellschaftlichen Bedürfnisses betonen den Tatbestand, daß das Bedürfnis ein allgemeines, wesentliches, notwendiges und beständiges, im Grunde also ein gesetzmäßiges Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt zum Ausdruck bringt und somit gesellschaftlich determiniert ist, daß das Bedürfnis auf die Aneignung der Umwelt durch Auseinandersetzung im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß gerichtet ist. 1
Lehrbuch Politische Ökonomie — Vorsozialistische Produktionsweisen, Berlin 1972, S. 38.
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I m Z u s a m m e n h a n g m i t der ö k o n o m i s c h e n Analyse ist j e d o c h zu b e t o n e n , d a ß die B e d ü r f n i s s e ein V e r h a l t e n der Menschen b e g r ü n d e n , d a s d a r a u f ger i c h t e t ist, G ü t e r u n d L e i s t u n g e n z u r B e f r i e d i g u n g derselben in A n s p r u c h z u nehmen. D e r P r o z e ß der B e f r i e d i g u n g der B e d ü r f n i s s e ist die K o n s u m t i o n . I m P r o z e ß der K o n s u m t i o n als P h a s e der R e p r o d u k t i o n w e r d e n sowohl die spezifischen F o r m e n der V e r m i t t l u n g der B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g d u r c h die P r o d u k t i o n s - u n d Verteilungsweise als a u c h d e r allgemeine S t a n d der E n t w i c k l u n g v o n P r o d u k t i v k r ä f t e n u n d P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e n w i r k s a m . Die E i n h e i t der W i r k s a m k e i t v o n P r o d u k t i v k r ä f t e n u n d P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e n a u c h bei der H e r a u s b i l d u n g der K o n s u m t i o n s v e r h ä l t n i s s e ist b e s o n d e r s zu b e t o n e n , weil m a n c h m a l i n der L i t e r a t u r der E i n d r u c k e r w e c k t w i r d , als w ü r d e n n u r die P r o d u k t i v k r ä f t e die U r s a c h e n f ü r die E n t s t e h u n g , E n t w i c k l u n g u n d V e r ä n d e r u n g der B e d ü r f n i s s e bilden. Die m a t e r i a l i s t i s c h e Philosophie u n d auf i h r e r G r u n d l a g e die politische Ö k o n o m i e b e t o n e n die m a t e r i e l l e n U r s a c h e n der H e r a u s b i l d u n g des menschlichen B e d ü r f n i s s e s , i n d e m sie zeigen, d a ß dasselbe auf der P r o d u k t i o n g r ü n d e t u n d seine B e f r i e d i g u n g a n die E r z e u g u n g materieller G e b r a u c h s w e r t e g e k n ü p f t ist, d a ß also die B e d ü r f n i s s e n i c h t n u r s u b j e k t i v e individuelle A s p e k t e z u m I n h a l t h a b e n . M a r x h a t in klassischer Weise in d e r E i n l e i t u n g z u r „ K r i t i k der politischen Ö k o n o m i e " die Dialektik des Verhältnisses v o n P r o d u k t i o n u n d K o n s u m t i o n b e s t i m m t . E r h e b t h e r v o r , d a ß die P r o d u k t i o n die K o n s u m t i o n als P h a s e d e r B e f r i e d i g u n g der B e d ü r f n i s s e b e s t i m m t , a) i n d e m sie den G e g e n s t a n d der K o n s u m t i o n liefert, b) i n d e m sie die A r t u n d Weise der K o n s u m t i o n b e s t i m m t u n d c) i n d e m die v o n i h r e r z e u g t e n P r o d u k t e das Material, die U r s a c h e , d e n A u s g a n g s p u n k t f ü r das E n t s t e h e n der B e d ü r f n i s s e s c h a f f e n . 1 U m g e k e h r t w i r k t a b e r a u c h die K o n s u m t i o n n a c h h a l t i g auf die P r o d u k t i o n z u r ü c k , u n d d a s i n s b e s o n d e r e u n t e r gesellschaftlichen V e r h ä l t n i s s e n , wo die B e f r i e d i g u n g der B e d ü r f n i s s e der W e r k t ä t i g e n d u r c h die K o n s u m t i o n m a t e r i eller u n d k u l t u r e l l e r G ü t e r z u m Ziel des W i r t s c h a f t e n s e r h o b e n wird, in der sozialistischen P r o d u k t i o n s w e i s e . Die K o n s u m t i o n b e s t i m m t die P r o d u k t i o n , a) i n d e m erst in der K o n s u m t i o n das P r o d u k t wirkliches P r o d u k t u n d Geb r a u c h s w e r t wird, b) i n d e m die K o n s u m t i o n i m B e d ü r f n i s d e n i n n e r l i c h e n u n d t r e i b e n d e n G r u n d der P r o d u k t i o n d a r s t e l l t . 2 Mir scheint, d a ß diese Z u s a m m e n h ä n g e f ü r die A u s a r b e i t u n g der D i a l e k t i k v o n B e d ü r f n i s s e n u n d d e n P h a s e n der R e p r o d u k t i o n v o n wesentlicher Bed e u t u n g sind u n d i h n e n h ä u f i g n i c h t die g e b ü h r e n d e A u f m e r k s a m k e i t ge1
2
Vgl. K. MABX, Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 13, Berlin 1961. Vgl. K. MARX, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 13.
65 5 Koziolek
schenkt wird. Als wichtige Erkenntnis dieser Darstellungen ergibt sich die Aussage, daß die Bedürfnisse nicht nur Ziel des sozialistischen Wirtschaftens und der Produktion sind, sondern daß umgekehrt die Produktion auch zugleich den wesentlichen Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung der Bedürfnisse selbst liefert. Eine Aussage über die Dynamik der Entwicklung der Bedürfnisse ist deshalb nur möglich bei einer einheitlichen Untersuchung der Entwicklung von Produktion, Konsumtion und der Anforderungen an die Entwicklung des Menschen als sozialistische Persönlichkeit. Schon bei der Formulierung des Zieles sozialistischen Wirtschaftens ist eine Gruppierung der Bedürfnisse in materielle und kulturelle Bedürfnisse vorgenommen. Nun ist es zweifellos so, daß mit wachsendem kulturellen und geistigen Niveau der Werktätigen und wachsender Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit materielle und kulturelle Bedürfnisse zunehmend durch einheitliche Gebrauchswerte befriedigt werden, oder anders ausgedrückt, daß die Anforderungen von dem Aspekt des kulturellen Bedürfnisses an die materiellen Gebrauchswerte wachsen. Dennoch scheint es nützlich, bei der Untersuchung, die die politische Ökonomie zu leisten hat, hervorzuheben, daß jene Bedürfnisse, die durch Produkte der gesellschaftlichen Arbeit befriedigt werden, von besonderer Bedeutung sind. Wir würden diesen Teil der Bedürfnisse als ökonomische Bedürfnisse charakterisieren. Sie schließen die Bedürfnisse der Produktion ein, die sich selbst gruppieren in solche der Erhöhung ihrer Ergiebigkeit und in solche, die mit der Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Produzenten verbunden sind. Mit dem Begriff der ökonomischen Bedürfnisse verbindet sich in der Geschichte der politischen Ökonomie eine Reihe von Auseinandersetzungen, und seit Ricardo ist hervorgehoben und bekannt, daß insbesondere die ökonomischen Bedürfnisse für die Theorie der politischen Ökonomie von Bedeutung sind. Mit dem Begriff des ökonomischen Bedürfnisses sind nach unserer Auffassung die folgenden Aspekte verbunden: 1. Das gesellschaftliche Bedürfnis richtet sich nicht auf ideelle, nur im Kopf und in der Phantasie der Menschen vorhandene Güter und Leistungen, sondern auf solche, die durch die Produktion und die Dienstleistungssphären heute erzeugt werden. Das schließt nicht aus, daß ihre Quantität und Qualität zeitweilig hinter den Anforderungen der Konsumtion zurückbleiben. 2. Das ökonomische Bedürfnis richtet sich auf solche Güter, die durch die Produktion ständig reproduzierbar und insbesondere im Umfang ihrer Erzeugung erweitert werden können. Es handelt sich also nicht um einmalige Gaben der Natur oder besondere Leistungen großer Künstler, sondern um
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Bedürfnisse, deren Gegenstände zur Befriedigung im wachsenden Maße erzeugt werden können. Das heißt, d a ß hier die Voraussetzungen gegeben sind bzw. geschaffen werden können, u m alle W e r k t ä t i g e n der sozialistischen Gesellschaft umfassend in den Ge- u n d Verbrauch einzubeziehen u n d die Grenzen der heutigen Bedürfnisbefriedigung aufzuheben. Wir wollen hier erwähnen, d a ß das Vorauseilen der menschlichen Bedürfnisse in qualitativer Hinsicht gegenüber den Unvollkommenheiten der heutigen P r o d u k t i o n u n d den Grenzen der heutigen Gebrauchswerte die Rolle einer wesentlichen T r i e b k r a f t f ü r die Forschung und E n t w i c k l u n g u n d f ü r die Verv o l l k o m m n u n g der Gebrauchsgüter besitzt. Die E i n s c h ä t z u n g der Unvollk o m m e n h e i t e n der heutigen Gebrauchswerte oder auch der Art u n d Weise, wie die gesellschaftliche Organisation der Bedürfnisbefriedigung betrieben wird, ist von wesentlicher B e d e u t u n g f ü r die Voraussage langfristiger E n t wicklungsrichtungen der Konsumtion und die Herausbildung einer sozialistischen Konsumtionsweise. Wir wollen als Beispiel hervorheben, d a ß entsprechend dem Ziel sozialistischen W i r t s c h a f t e n s die notwendigen G ü t e r u n d Leistungen nicht n u r m i t einem Minimum gesellschaftlicher Arbeit in der P r o d u k t i o n geschaffen werden, sondern auch weitgehende Zeiteinsparungen bei ihrem Ge- u n d Verbrauch in den H a u s h a l t u n g e n eintreten müssen. Zu einem der wesentlichen langfristigen Aspekte in den vergangenen J a h r e n gehörte die Entwicklung der P r o d u k t i o n und des Umsatzes von industriellen K o n s u m g ü t e r n , die den H a u s a r b e i t s a u f w a n d wesentlich einschränken sollten. W i r rechnen dazu die Kühlschränke, die elektrischen Küchengeräte, Staubsauger, Waschmaschinen u n d andere Haushaltgeräte, f ü r deren Ankauf die W e r k t ä t i g e n beachtliche Teile ihres Arbeitseinkommens bereitstellten. Auch die Gesellschaft h a t zur Ausdehnung der P r o d u k t i o n dieser Güter erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt. Bei einem Vergleich der Entwicklung des wöchentlichen Zeitaufwandes f ü r die H a u s a r b e i t nach Tätigkeitsgruppen im Durchschnitt aller H a u s h a l t e ergibt sich jedoch, d a ß keine effektive Senkung des Hausarbeitsvolumens eingetreten ist. Das zeigt die folgende Tabelle (s. S. 68). W i r haben diese Z u s a m m e n h ä n g e hier a n g e f ü h r t , weil sich n u r auf ihrer Grundlage erklären läßt, d a ß die Bedürfnisse auf dem E n t w i c k l u n g s s t a n d der sozialistischen P r o d u k t i o n b e g r ü n d e t sind, aber zugleich auch der P r o d u k t i o n vorauseilen. Zum E n t s t e h e n eines massenhaften Bedürfnisses ist die Existenz eines Gebrauchswertes u n d seine Erzeugung durch die P r o d u k t i o n oder sogar n u r die I n f o r m a t i o n über seine Existenz u n d Eigenschaften hinreichend. Offensichtlich liegt eine der wesentlichen Ursachen f ü r das Anwachsen, das Vorauseilen der Bedürfnisse gegenüber der P r o d u k t i o n in d e m v o n Lenin
67 5*
Vergleich der Entwicklung des wöchentlichen Zeitaufwandes f ü r H a u s a r b e i t nach T ä t i g k e i t s g r u p p e n im Durchschnitt aller H a u s h a l t e 1 Tätigkeitsgruppe
1965 S t u n d e n Anteil
1970 S t u n d e n Anteil m %
m 7o Speisenzubereitung Reinigung der W o h n u n g Reinigung der W ä s c h e Einkaufen sonstige H a u s a r b e i t e n
15,5 12,1 7,9 6,0 6,0
32,6 25,5 16,6 12,7 12,6
15,5 12,8 8,4 6,7 3,7
32,9 27,2 17,8 14,2 7,9
Hausarbeit insgesamt
47,5
100,0
47,1
100,0
aufgedeckten Gesetz des Wachstums der Bedürfnisse. In der sozialistischen Gesellschaft wirkt dieses Gesetz des Wachstums der Bedürfnisse vermittels einer Reihe konkreter und spezifischer Zusammenhänge. Einige, die diese Wirkung unterstützen und beschleunigen, sollen hier nur genannt werden: 1. Das Wachstum der Bedürfnisse im Sozialismus ist besonders gefördert durch die Tatsache, daß das Ziel der Produktion eben die Bedürfnisbefriedigung der Werktätigen ist, was nicht nur Ausdruck des vorgenannten Tatbestandes ist, sondern eine Rückwirkung auf die Bedürfnisentwicklung selbst ausübt. 2. Das Gesetz vom Wachstum der Bedürfnisse ist vermittelt durch die Notwendigkeit, das materielle und kulturelle Niveau der Werktätigen vermittels der Konsumtion anzuheben. Diese Seite ist zugleich in den Tatbestand eingeordnet, daß die Bedürfnisbefriedigung, die Konsumtion, nicht nur Triebkraft und Ziel des Wirtschaftens ist, sondern zugleich auch im Reproduktionsprozeß die erweiterte qualitative und quantitative Reproduktion der Arbeitsfähigkeit der Gesellschaft vermittelt. 3. Die Entwicklung der Produktivkräfte, die Vervollkommnung der sozialistischen Produktion, die zum Zwecke der vorgenannten Aufgaben unvermeidlich notwendig ist, hebt das kulturelle Niveau der Menschen und läßt damit neue, höhere und wachsende Bedürfnisse entstehen. 4. Die neue Rolle, die die Arbeiter als Eigentümer der Produktionsmittel und herrschende Klasse in der Gesellschaft spielen, erfordert und ermöglicht 1
A. ALBRECHT, 15 Milliarden S t u n d e n für H a u s a r b e i t in der D D R , i n : Mitteilung des Instituts f ü r Marktforschung, Leipzig, H . 1/1972.
68
die Hebung ihres geistigen und kulturellen Niveaus und fördert damit wesentliche Seiten ihrer Bedürfnisentwicklung. 5. Die sozialistischen Verteilungsverhältnisse sind auf der Grundlage der Produktionsverhältnisse die Voraussetzung dafür, daß nicht nur die Bedürfnisse, sondern im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Produktion auf der Basis der Verteilung nach der Leistung auch die Arbeitseinkommen wachsen. Die Bedürfnisse der Werktätigen werden damit zunehmend durch Kaufkraft ausgestattet, sie werden zu relevanter Nachfrage. Von allgemeiner historischer Bedeutung für diesen Prozeß ist die soziale Annäherung der Klassen und Schichten in der sozialistischen Gesellschaft, die sich in der Phase ihres Ausreifens befindet. Die objektiven Prozesse, wie die Beseitigung der wesentlichen Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen städtischer, industrieller und landwirtschaftlicher Arbeit, bewirken eine Annäherung des kulturellen und materiellen Niveaus der Werktätigen, also auch des Niveaus ihrer Bedürfnisbefriedigung. Das ist im ganzen der Tatbestand, daß die sozialistischen Produktions- und Verteilungsverhältnisse nicht den dauernden Ausschluß eines Teils der Werktätigen vom Verbrauch bestimmter Gruppen von Konsumgütern erlauben, sondern daß vermittels der Ausdehnung der Arbeitsproduktivität, der Vermehrung der Arbeitseinkommen eine zunehmende Einbeziehung der Werktätigen in die Konsumtion stattfinden muß. Im Zusammenhang mit den vorstehenden Bemerkungen möchte ich hier hervorheben, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung auf einer neuen Produktionsweise beruht, wobei auf der Grundlage der Revolutionierung der Produktionsweise auch die Verteilungsweise, die Austauschweise und auch die Konsumtionsweise verändert werden. Mit der Forderung, die Rolle der Bedürfnisse und das Ziel sozialistischen Wirtschaftens in die Phasen des Reproduktionsprozesses eindeutiger aufzunehmen, möchten wir innerhalb des Begriffes der Lebensweise den ökonomisch wesentlichen Teil, die Konsumtion der Werktätigen, als sozialistische Konsumtionsweise definieren. Die Konsumtionsweise beinhaltet die Beziehungen der Menschen untereinander in ihrer Eigenschaft als Konsumenten. Sie bringt ihr Verhältnis untereinander in bezug auf die Gegenstände der Konsumtion zum Ausdruck, das bestimmt wird durch die Art und Weise der Erlangung der Verfügungsgewalt über die Güter der Konsumtion und die spezifischen Formen des Eigentums an den Konsumtionsmitteln, wie sie im Sozialismus auf der Basis der Verteilung nach der Arbeitsleistung entstehen. Die Konsumtionsweise beruht auf den Beziehungen der Menschen zu den Produktionsmitteln, ihren Beziehungen untereinander im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß und ihren Beziehungen zu den
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gesellschaftlich erzeugten Gütern und Leistungen und der damit verbundenen Verteilungsweise. Als Phase der gesellschaftlichen Reproduktion charakterisiert die Konsumtionsweise die spezifische Art und Weise der Reproduktion des Menschen, soweit sie durch die Konsumtion vermittelt wird. Dem Ziel der sozialistischen Produktionsweise entsprechend ist die Konsumtion der Menschen nicht mehr auf die Reproduktion als Arbeitskraft begrenzt. Vielmehr entfernt sie sich im gleichen Maße von dieser Begrenzung, wie die Produktivkräfte anwachsen und der Sozialismus in den Kommunismus hinüberwächst. Die Hauptrichtungen der Entwicklung der Konsumtionsweise sind bestimmt durch die Stellung der Menschen in der sozialistischen Gesellschaft. Die Hauptfaktoren der Entwicklung sind: — Die Entwicklung der Produktivkräfte und ihre Wirkung auf die Gegenstände der Konsumtion, auf die Form der Konsumtion und ihren Umfang. Gleichzeitig bedingt die Entwicklung der Produktivkräfte die Weiterentwicklung der Hauptproduktivkraft Mensch, die zu wesentlichen Teilen in der Konsumtionsphase vermittelt wird. — Das Ausreifen der ökonomischen Gesetze des Sozialismus und ihre bewußte Nutzung, die Veränderung der sozialen Struktur der Gesellschaft und die Herausbildung von Keimen der höheren Phase des Komunismus. Solche Keime zeigen sich auf der Basis der allgemeinen Entwicklung und Vervollkommnung der Verteilung nach der Arbeitsleistung vor allem in der Erweiterung der gesellschaftlich organisierten und finanzierten Konsumtion und der Ergänzung der Verteilung nach der Leistung durch die Verteilung nach gesellschaftlich und individuell vorrangigen Bedürfnissen. Zu einigen Aspekten, die aus dem Ziel sozialistischen Wirtschaftens für die Phasen des Reproduktionsprozesses wirksam werden.
1. Die Rolle der Bedürfnisse und ihre Anforderungen für die Entwicklung der sozialistischen Produktion Wir haben betont, daß das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus in engstem Zusammenhang mit den übrigen ökonomischen Gesetzen wirksam wird. Das bedeutet insbesondere, daß ein enger Zusammenhang zwischen dem Grundgesetz und dem Gesetz der Ökonomie der Zeit entsteht. Die Erfüllung der Hauptaufgabe der gesellschaftlichen Entwicklung verlangt als erstes die planmäßige Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen Zweige und Bereiche der gesellschaftlichen Tätigkeiten in Abhängigkeit von
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der Struktur der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Die Gesamtstruktur der Volkswirtschaft und die Tempi der Entwicklung ihrer Zweige und Bereiche sind damit im wesentlichen durch die Dynamik der Entwicklung der gesellschaftlichen Bedürfnisse des eigenen Inlands und der sozialistischen Bruderländer bestimmt, wobei als weiteres Moment hinzukommt das unterschiedliche Tempo der Entwicklung der Arbeitsproduktivität in diesen Zweigen. Daraus ergibt sich, daß die Entwicklung einzelner Bereiche der Produktion in Industrie, Landwirtschaft, in Dienstleistungen, im Handel oder im Gesundheitswesen sowohl vom Tempo der Entwicklung des gesellschaftlichen Aufwandes als auch von der Ausdehnung der Bedürfnisse bestimmt wird. Die zweite Bedingung zur Durchsetzung des Gesetzes der Ökonomie der Zeit besteht darin, daß die auf die einzelnen Bereiche und Zweige der gesellschaftlichen Tätigkeiten entfallenden Quoten an lebendiger und vergegenständlichter Arbeit dort so verwendet werden, daß sie höchstmöglichen Nutzeffekt hervorbringen. Nur bei Einhaltung der durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeit und ihrer ständigen Senkung ist bei Ausdehnung bestimmter Bereiche eine kontinuierliche Entwicklung des Verbrauchsumfanges in anderen Bedürfnisbereichen zu sichern. Für die materielle Produktion, die produktiven Bereiche, entstehen daraus spezielle Aufgaben, die durch den Prozeß der intensiv erweiterten Reproduktion heute praktisch formuliert sind. Die materiellen Bereiche, insbesondere die Bereiche der Industrie, müssen das von ihnen erzeugte Produkt mit einem sinkenden Arbeitsaufwand und einem wachsenden Mehrprodukt zur Deckung des Bedarfs der übrigen Bereiche der Gesellschaft erzeugen; zugleich müssen sie entsprechend dem Ziel der intensiv erweiterten Reproduktion die Bedingungen dafür schaffen, das zentralisierte Reineinkommen schneller zu steigern als die Eigenverwendung des Gewinns bzw. die eigene Gewinnverwendung zur erweiterten Reproduktion zu minimieren. Die Anforderungen, die die Bedürfnisse an die Entwicklung der sozialistischen Produktion stellen, zeigen sich im folgenden: — Die Produktion muß die Weiterentwicklung und Herstellung von bedürfnisgerechten Gebrauchsgütern, von Konsumgütersortimenten mit steigenden und komplexen Gebrauchseigenschaften zur Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse forcieren, wobei eine Sicherung der Einsparung von Arbeit nicht nur in der Produktion, sondern auch im Ge- und Verbrauch gewährleistet sein muß. Das letztere ist ein wesentlicher Aspekt der Bestimmung des Nutzeffektes der gesellschaftlichen Arbeit im Sozialismus und zeigt sich in einer Reihe von Detailfragen (z. B. Endmontage der Möbel durch die Konsumenten und Überwälzung gesellschaftlichen Arbeits71
aufwandes in die Hauswirtschaften). Im ganzen tritt damit natürlich die Frage auch bei den Konsumgütern nach der Bewertung des Gebrauchswertes und seiner Rolle in der Organisation des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses auf. — Die Produktion muß weiterhin, da eines der wesentlichen Bedürfnisse der Menschen das Bedürfnis nach Arbeit ist, die Entwicklung und Vervollkommnung der Arbeits- und Lebensbedingungen im Betrieb und im Territorium ermöglichen. Das ist die Voraussetzung, um den schöpferischen Charakter der Arbeit zu entfalten und die Fähigkeiten und Kenntnisse der Werktätigen bei der sozialistischen Rationalisierung der Produktion, bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität zu nutzen. Das ist zugleich aber auch Bedingung dafür, daß die Werktätigen ihre Rolle als Eigentümer der sozialistischen Produktion, ihre Rechte bei der Leitung der Produktion umfassender wahrnehmen können. — Die materiellen Produktionsbereiche müssen zunehmend eine Freisetzung von Arbeitskräften ermöglichen, um dem Ziel näher zu kommen, die Zahl der Beschäftigten in den nichtproduzierenden Zweigen zu erhöhen, insbesondere die Zahl der Beschäftigten in jenen Dienstleistungsbereichen, die direkt für die Versorgung der Bevölkerung arbeiten. Diese Notwendigkeit hängt damit zusammen, daß auf dem erreichten Niveau der Konsumtion die Bedürfnisse nach solchcn Leistungen die Tendenz des schnellen Wachstums besitzen, die ihre gesellschaftliche Befriedigung durch Industrieund Dienstleistungsbetriebe möglich macht. Im übrigen kann in diesen Bereichen die Steigerung der Arbeitsproduktivität unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen weniger schnell erfolgen als in den Bereichen der materiellen Produktion, jedoch führt ihre Entwicklung zur Konzentration der Tätigkeiten und den damit verbundenen Effekten sowie zur Reduzierung der Hausarbeitszeit. — Die Produktion muß schließlich und in langen Perioden eine solche Steigerung der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität ermöglichen, die nicht nur eine Vermehrung des Verbrauchs von Konsumgütern und Leistungen möglich macht, sondern mit dem Ausreifen der sozialistischen Gesellschaft auch die materiellen Voraussetzungen zur Ausdehnung des Freizeitvolumens garantiert. Zwar sind diese Bedingungen gegenwärtig bei weitem noch nicht herangereift, aber sie zeigen sich in Wünschen und Notwendigkeiten nach Ausdehnung des Urlaubs, nach Verkürzung der Arbeitszeit in bestimmten, besonders intensiven Arbeitstätigkeiten usw. Die Erfüllung dieser Aufgaben ist durch die Produktion offensichtlich nur möglich auf der Grundlage der planmäßigen allseitigen Steigerung der Arbeitsproduktivität. 72
2. Die Bolle der Bedürfnisse in der Distributionsphase Die sozialistische Verteilungsweise, die sich auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse ergibt, widerspiegelt die Verteilung der Produktionsmittel, vor allem die Verteilung der P r o d u k t i o n s m i t t e l in Gestalt des allgemeinen Volkseigentums in den H ä n d e n der gesamten Gesellschaft. Die sozialistischen Eigentumsverhältnisse bringen nicht n u r ein gleiches Maß, ein gleiches Prinzip zur individuellen Aneignung von K o n s u m g ü t e r n in der Verteilung nach der Arbeitsleistung hervor, sondern werden auch w i r k s a m über die gesellschaftlich angeeigneten Teile des erzeugten P r o d u k t e s u n d die Teilnahme der W e r k t ä t i g e n a m Verbrauch im Bereich der sozialen Leistungen, die in gewisser Unabhängigkeit v o n der individuellen Arbeitsleistung erfolgt. J e d o c h bleibt auch hier das Maß der B e s t i m m u n g des Verbrauches solcher Leistungen fortbestehen u n d ist gegeben durch den U m f a n g u n d die Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit. J e n e r Teil des Konsumtionsfonds, der entsprechend der geleisteten Arbeit, u n d jener Teil, der n a c h sozialen Bedürfnissen verteilt wird, begrenzen sich in ihrem W a c h s t u m gegenseitig. Der Sozialismus bringt deshalb eine solche Verteilungsweise hervor, die in K o p p lung m i t der materiellen Interessiertheit der W e r k t ä t i g e n u n d der wachsenden Rolle der moralischen Impulse die V e r m e h r u n g der Bedürfnisbefriedigung wesenlich an das W a c h s t u m der Arbeitsergebnisse b i n d e t . Dabei ist jedoch f ü r die Gestaltung der sozialistischen Verteilungsverhältnisse der T a t b e s t a n d wesentlich, d a ß die F a k t o r e n , die auf die A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t einwirken u n d an das allgemein gesellschaftliche E i g e n t u m gebunden sind, wie U m f a n g u n d Wirkungsfähigkeit der P r o d u k t i o n s m i t t e l , Produktionsorganisation, Neuinvestitionen u. a., nicht direkt in die B e s t i m m u n g der individuellen Arbeitsleistung eingehen können. U n t e r diesen Voraussetzungen k a n n der Arbeitslohn n u r auf der E i n h e i t eines gesellschaftlich b e s t i m m t e n P a r a m e t e r s , dem Tariflohnsatz, u n d eines betrieblichen Normativs, der Arbeitsnorm, ermittelt werden. Die B e s t i m m u n g des Lohnes aus diesen zwei K o m p o n e n t e n ist der u n m i t t e l b a r e Ausdruck der Existenz u n d W i r k s a m k e i t des allgemeinen Volkseigentums an den P r o d u k tionsmitteln bei der Verteilung der K o n s u m g ü t e r u n d k o n s t i t u i e r t d a m i t zugleich die Verbindung der gesellschaftlichen Verteilung m i t der materiellen Interessiertheit. E n t s p r e c h e n d diesen T a t b e s t ä n d e n b e t o n t e der V I I I . P a r t e i t a g der S E D , d a ß der H a u p t t e i l der Verteilung des wachsenden gesellschaftlichen P r o d u k t e s , das zur K o n s u m t i o n b e s t i m m t ist, über den Arbeitslohn erfolgen soll. Das b e d e u t e t , d a ß das persönliche E i g e n t u m an den K o n s u m tionsmitteln, das den wesentlichen Teil der Bedürfnisbefriedigung v e r m i t t e l t ,
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eine weitere Entwicklung erfahren wird. D a s bedeutet aber auch eine bestimmte Begrenzung des U m f a n g e s und des T e m p o s des W a c h s t u m s der gesellschaftlichen F o n d s . Auf der Grundlage der prinzipiellen Gleichheit der Werktätigen gegenüber den Produktionsmitteln und der Beseitigung der A u s b e u t u n g ist die Verteilungsweise im Sozialismus bei gleichem Maß jedoch in bezug auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder ungleich. Die sozialistische Verteilungsweise beinhaltet „ a l s Regulator bei der Verteilung der P r o d u k t e . . . ,für das gleiche Q u a n t u m Arbeit d a s gleiche Q u a n t u m P r o d u k t e ' " . 1 Aber nicht nur die Fähigkeiten zur E r b r i n g u n g der Arbeitsleistung sind s u b j e k t i v durch Fähigkeiten und ihr Entwicklungsniveau verschieden, sondern auch die Anforderungen, die die gesellschaftliche Produktion an verschiedene Arbeitstätigkeiten stellt. D a z u k o m m t , daß die Bedürfnisse der Mitglieder der sozialistischen Gesells c h a f t selbst verschieden sind. Schon M a r x wies darauf hin, d a ß mit der Familiengröße und der Zahl der Einkommensbezieher in der Familie unterschiedliche Bedürfnisbefriedigung entsteht. E r schrieb: „ B e i gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der a n d e r e . " 2 M a r x f ü g t hinzu, daß die Ungleichheiten, die die sozialistische Verteilungsweise hervorbringt, in der ersten P h a s e der kommunistischen Gesellschaft unvermeidbar sind. Unter den heutigen Bedingungen der ausreifenden sozialistischen Gesells c h a f t t a u c h t jedoch immer mehr die F r a g e auf, ob d a s gegebene N i v e a u der Unterschiede in der Verteilung und im Verbrauch, d a s aus den genannten F a k t o r e n resultiert, den gegebenen Bedingungen und Entwicklungsnotwendigkeiten voll entspricht. E s handelt sich hierbei u m ein Problem, das F . Engels in einem Brief an S c h m i d t hervorhob, als er schrieb, , , . . . daß der Verteilungsmodus wesentlich d a v o n a b h ä n g t , wieviel zu verteilen ist, und daß dies mit d e m Fortschritt der Produktion und der gesellschaftlichen Ordnung sich ä n d e r t . . . " 3 Diese F r a g e ist in der gegenwärtigen L i t e r a t u r k a u m formuliert und Analysen dazu sind uns nicht b e k a n n t . Von wesentlicher B e d e u t u n g f ü r die Veränderung auf diesem Gebiet waren die Beschlüsse des 5. Plenums des Z K der S E D über die Durchführung des sozialpolitischen P r o g r a m m s . Hierfür war 1
2 3
Vgl. W. I. LENIN, S t a a t und Revolution, in: Werke, B d . 25, Berlin 1960, S. 481. K . MARX, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Bd. 19, Berlin 1962, S. 21. F . ENGELS, Brief an Conrad S c h m i d t v o m 5 . 8 . 1 8 9 0 , i n : M E W , B d . 37, Berlin 1967,
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offensichtlich der Leninsche Hinweis von Bedeutung, den er im Jahre 1917 gab: „Sofort nach der Verwirklichung der Gleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft in bezug auf den Besitz der Produktionsmittel, d. h. der Gleichheit der Arbeit, der Gleichheit des Arbeitslohnes, wird sich vor der Menschheit unvermeidlich die Frage erheben, wie sie von der formalen zur tatsächlichen Gleichheit, d. h. zur Verwirklichung des Satzes , Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen' weiterschreiten sollte." 1 Im Zusammenhang mit der Befriedigung der Bedürfnisse der Werktätigen sind die Faktoren genau zu untersuchen, die eine Differenzierung der Konsumtion für die einzelnen Werktätigen bestimmen, oder anders gesagt, die die Höhe des möglichen Verbrauchs durch eine Reihe von Verteilungs- und Umverteilungsvorgängen verändern. Die wichtigsten Kategorien dazu sind die Bruttoarbeitseinkommen, die Struktur des Familienhaushaltes, die Umverteilungsvorgänge, die vom Staat planmäßig gelenkt werden, und die Umverteilungsvorgänge, die durch die unterschiedlichen Geldausgaben der Eltern für die Kinder infolge Anzahl und Alter der Kinder innerhalb der Familie vorgenommen werden. Schätzt man die Differenzierung der Bruttoarbeitseinkommen pro Beschäftigten auf der Grundlage des sozialistischen Leistungsprinzips nach Qualifikationsgruppen ein, so erhält man ein Verhältnis zwischen dem unteren und dem oberen Einkommen von etwa 1 : 3,6. Dieser Faktor wird weiterhin modifiziert durch den Grad der Normerfüllung, Formen der Prämien, Tarif- und Prämienhöhen in verschiedenen Zweigen der Volkswirtschaft sowie innerhalb des Betriebes. Das r u f t weitere Differenzierung zu der obengenannten hervor, die durch ein Verhältnis wie 1:1,5 zu charakterisieren sind. Die staatlichen Umverteilungsvorgänge, die zur Bildung des Haushaltsnettoeinkommens führen, sind ein wichtiger Bestandteil der sozialistischen Distribution. Sie tragen sozialen Erfordernissen Rechnung, indem sie der Differenzierung des Bruttoarbeitseinkommens in bestimmtem Grade entgegenwirken. Wir haben versucht, die Differenzierung des Pro-Kopf-Verbrauchs einzuschätzen, wobei wir von den gesetzlichen Bestimmungen ausgegangen sind und folgende Bedingungen zugrunde gelegt haben: — Im ungünstigsten Fall setzt sich die Familie aus 2 Erwachsenen und 5 Kindern zusammen, nur ein Mitglied bezieht Arbeitseinkommen, und zwar entsprechend der unteren Einkommensgruppe; 1
W . I . LENIN, a . a . O . , S . 4 8 6 .
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— im typischen Fall besteht die Familie aus 2 Erwachsenen und 2 Kindern, sie stellt 1,5 V B E in den Einkommensgruppen der Facharbeiter; — im günstigsten Fall sind beide Ehepartner vollbeschäftigt, beide haben Hochschulabschluß, zur Familie gehören keine Kinder. Vergleicht man das Bruttoarbeitseinkommen pro Kopf der Familie für die genannten Fälle, so ergibt sich eine Differenzierung im Verhältnis von 1 : 6 : 11. Im Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf der Familie, also nach den Umverteilungsvorgängen, wird diese Differenzierung modifiziert, sie beträgt jetzt 1 : 3 : 4,5. Hierbei wird schon eine wesentliche Reduktion sichtbar. Wir haben weitere Berechnungen angestellt, wie sich diese Variation der Konsumtion unter dem Gesichtspunkt des Alters der Kinder darstellt, also bestimmte Umverteilungsvorgänge noch weiter in der Familie stattfinden, die hier im einzelnen nicht dargelegt werden sollen. Im ganzen wollen wir hier hervorheben, daß offensichtlich die durch die sozialen Faktoren wirksamen Differenzierungen des Verbrauches dem Volumen nach größer sind als die aus der Differenzierung der Quantität und Qualität der Arbeitsleistung entspringenden Tatbestände. Das wäre eine wesentliche Ausgangsbasis, um die Strategien und Positionen zur Entwicklung der Verteilungs- und Konsumtionsverhältnisse langfristig zu gestalten. Dieser Zusammenhang widerspiegelt die Tatsache, daß die Bedürfnisbefriedigung in der Phase des Sozialismus auf der Basis der geleisteten Arbeit und der von der Gesellschaft gezahlten Arbeitseinkommen sowie der Umverteilungen vermittelt wird. Nicht die Bedürfnisse allein und die entsprechende Entwicklung der Produktion durch die Gesellschaft sind hinreichend, um die Konsumtion durchzuführen, sondern darüber hinaus sind entsprechende Steuerungen der Einkommensprozesse notwendig, um z. B . solche Grundfragen wie das Ansteigen des Anteils der Arbeiterklasse a m Verbrauch entsprechend ihrem Anteil an der Schaffung des Nationaleinkommens zu verändern. Zu dieser Phase gehört eine Vielzahl anderer Fragen, die im Zusammenhang stehen mit den Spareinlagen und Sparquoten; auch manche Fragen von Erbschaftsproblemen tauchen hier auf, die zum Gegenstand exakter Analyse gemacht werden müssen, wenn die Herausbildung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und einer ihr entsprechenden Konsumtionsweise als Ausgangspunkt eines langfristigen Konsumtionsmodells gelöst werden sollen.
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8. Zur Bestimmimg der Aastauschphase unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse als Ziel sozialistischen Wirtschattens Die Anforderungen an die Austausch- u n d Zirkulationsphase, wie sie gegenwärtig existieren u n d praktische B e d e u t u n g haben, sind d u r c h solche grundlegenden Kategorien v e r m i t t e l t , wie die Warenbereitstellung, das Preisniveau, die K o n t i n u i t ä t u n d S t r u k t u r des Angebotes, den K a u f f o n d s der Bevölkerung usw. Die Beschlüsse des V I I I . Parteitages der S E D u n d ihre Konkretisierung durch die folgenden P l e n a r t a g u n g e n laufen darauf hinaus, eine stabile W a r e n bereitstellung zur Realisierung der k a u f k r ä f t i g e n Nachfrage der W e r k t ä t i g e n zu garantieren. Von B e d e u t u n g ist dabei nicht n u r die P r o d u k t i o n u n d der Binnenhandel, sondern auch die Tatsache, d a ß in unserer Volkswirtschaft die Rolle der Außenwirtschaftsbeziehungen u n d der W i r t s c h a f t s i n t e g r a t i o n der R G W L ä n d e r f ü r die Sicherung einer bedarfsgerechten A n g e b o t s s t r u k t u r w ä c h s t . Über die E n t w i c k l u n g der Außenwirtschaftsbeziehungen m i t den sozialistischen Bruderländern, insbesondere mit der U d S S R , ist auch der Gesetzmäßigkeit R e c h n u n g zu tragen, d a ß die Bedürfnisse der Bevölkerung der anderen sozialistischen L ä n d e r i m m e r mehr zu einem A u s g a n g s p u n k t f ü r die Gestalt u n g des nationalen Reproduktionsprozesses werden. Das b e d e u t e t f ü r die Austauschphase, d a ß der Außenhandel im Zusammenwirken m i t dem Binnenhandel in z u n e h m e n d e m Maße die P r o d u k t i o n s s t r u k t u r auch an K o n s u m gütern durch I m p o r t e u n d E x p o r t e planmäßig zu einer bedarfsgerechten Angebots- u n d V e r b r a u c h s s t r u k t u r umwandeln m u ß . Darin eingeschlossen ist ein auf die weitere Verbesserung der Bedürfnisbefriedigung gerichteter Sortimentsaustausch. Von wesentlicher B e d e u t u n g f ü r die Ausgestaltung der Austauschphase des Reproduktionsprozesses ist die Stabilität unseres Preisniveaus. Das sichert, d a ß die wachsenden Geldeinnahmen der W e r k t ä t i g e n auch zu einem wachsenden Verbrauch f ü h r e n . Das ist von besonderer Bedeutung, weil in der kapitalistischen Welt Inflation u n d Preissteigerungen die e r k ä m p f t e n Lohnsteigerungen der W e r k t ä t i g e n zugunsten der Monopole zunichte machen. Langfristig m u ß jedoch eingeschätzt werden, d a ß das gegenwärtig wirksame Preisniveau sowie das Niveau der Tarife f ü r Dienstleistungen eine S t r u k t u r des Verbrauches stimuliert, die u n t e r mehrfachen Gesichtspunkten b e w e r t e t werden m u ß . Deshalb sind langfristige Untersuchungen über das Verhältnis von E i n k o m mensniveauentwicklung, ihrer S t r u k t u r u n d der W i r k u n g des Preisniveaus unvermeidlich. Vom S t a n d p u n k t der Theorie der politischen Ökonomie des Sozialismus 77
wäre noch ein weiterer theoretischer Tatbestand hervorzuheben. Im Zusammenhang mit der Darlegung der Warenproduktion und der Anerkennung der gesellschaftlich organisiert verausgabten Arbeit findet sich in unserer Literatur durchgängig die These, daß die endgültige Anerkennung des gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes seiner gebrauchswertmäßigen Form und seinem Umfang nach durch die Phase der Realisierung, durch den Verkauf, erfolgt. Aber eine solche Zielstellung und Bestätigung der gesellschaftlichen Nützlichkeit ist eigentlich viel typischer für ein System der kapitalistischen Produktion, wo nicht die Bedürfnisbefriedigung, sondern die Realisierung des Wertes und des Mehrwertes Ziel des Wirtschaftens ist. Unter sozialistischen Produktionsverhältnissen interessiert viel nachhaltiger die Gesellschaft, ob die durch Kauf und Verkauf realisierten Konsumgüter sich auch in der Konsumtionsphase als den Bedürfnissen der Werktätigen adäquat erweisen, ganz abgesehen davon, daß für einen Teil der verkauften und realisierten Konsumgüter durchaus eine Aufhebung der Anerkennung eintreten kann, wenn die fixierten Gebrauchseigenschaften der Konsumgüter nicht gewährleistet sind. Es bleibt die Notwendigkeit bestehen, die Nützlichkeit der Güter zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Ziel des Wirtschaftens nachhaltiger praktisch, aber auch theoretisch, in die Aufmerksamkeit zu rücken.
4. Zur Einwirkung der Bedürfnisse auf die Konsumtionsphase Um hier einige Tatbestände etwas deutlicher zu machen, muß als erstes gesagt werden, daß sich die Nützlichkeit und Effektivität der Konsumtion nicht nur in einer Minimierung des gesellschaftlichen und Hausarbeitsaufwandes beim Ge- und Verbrauch, sondern auch in der Entwicklung des allseitig entwickelten Menschen der sozialistischen Gesellschaft zeigt. Zugleich ist die Konsumtion natürlich auch direkt verbunden mit dem volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß, in dem die Konsumtion von Konsumgütern und Leistungen zu wesentlichen Teilen die einfache und erweiterte Reproduktion der Arbeitsfähigkeit der Menschen vermittelt. In diesem Zusammenhang ist die Konsumtion nicht nur Ziel des Wirtschaftens, sondern als Phase in der Kette der Reproduktionsprozesse zugleich ein wesentlicher Faktor des Wirtschaftswachstums. Unter diesem Gesichtspunkt kann gesagt werden, daß die Konsumtion das Wirtschaftswachstum insofern beeinflußt, als sie erstens durch die materielle Interessiertheit und ihre Realisierung in der Konsumtion, vermittelt durch die vorausgegangenen Phasen des Reproduktionsprozesses, zur Steigerung der Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit 78
wirksam wird, zweitens die Reproduktion der Arbeitskraft einschließt und drittens über die Struktur der Konsumtion wesentlich auf den Nutzeffekt der volkswirtschaftlichen Reproduktion einwirkt. Nicht alle Formen der Konsumgüterproduktion sind im gleichen Maße investitions-, arbeitskräfte- oder materialintensiv, so daß unterschiedliche Formen der Entwicklung der Konsumtion und des Tempos ihrer Ausdehnung zu unterschiedlichen Effekten des volkswirtschaftlichen Gesamtprozesses führen. Wir haben weiter vorn betont, daß die Bedürfnisse endgültig die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die Zweige und Bereiche bestimmen, jedoch erweist sich, daß die Gesellschaft bei der Entscheidung über die Skalierung und das Tempo der Befriedigung verschiedener Bedürfnisse nicht den Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Aufwand zur Ausdehnung der Produktion und die Wirkung auf den Grad der Bedürfnisbefriedigung sowie den Umfang der Einkommensrealisierung übersehen kann. Das hatte in der Vergangenheit beachtliche Bedeutung für die verschiedenen Schwerpunkte der Verbrauchsentwicklung der Werktätigen, wobei solche Fragen wie gesellschaftlicher Fondsvorschuß und Umfang der Kaufkraftbindung der Werktätigen wahrscheinlich neben anderen Faktoren zu dem beschleunigten Wachstum des Verbrauchs langlebiger Konsumgüter geführt haben. Auf dem heutigen Stand der Entwicklung erweist sich die wachsende Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses von wesentlicher Bedeutung für die Herausbildung einer sozialistischen Konsumtionsweise. Aber gerade die Entwicklung dieses Bereiches der Konsumtion erfordert einen erheblichen gesellschaftlichen Fondsvorschuß, wobei die Rückflüsse aus den Mietzahlungen nur zum Teil und darüber hinaus nur sehr langfristig eine Bindung von Kaufkraft hervorrufen. Die Betonung des Wohnungsbedürfnisses und seine beschleunigte Befriedigung lassen eindeutig die Wirksamkeit und Priorität des Ziels des sozialistischen Wirtschaftens entsprechend den herangereiften Möglichkeiten der Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit zum Ausdruck kommen. Von wesentlicher Bedeutung für die Bestimmung der Entwicklung der Konsumtion bei Einschluß der Bedeutung der Produktion bleibt deshalb die Herausarbeitung solcher Kennziffern, wie etwa des Umfangs des Investitionsaufwandes zur Ausweitung der Warenproduktion. So ergeben Schätzungen für die nächste Zeitperiode, daß eine Ausdehnung der Warenproduktion der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft um 1 Milliarde Mark einen Investitionsaufwand von etwa 5 Milliarden notwendig macht, dagegen bei Möbeln und Schuhen um die gleiche Größe einen Aufwand, der wesentlich unter einer Milliarde Investitionen liegt. Dadurch ist wesentlich die Möglichkeit und das Tempo der Entwicklung der Befriedigung einzelner Teile der Bedürfnisse bestimmt, wenn nicht über längere Planperioden hinweg bedeutende wissen-
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schaftlich-technische Entwicklungen zu einer Steigerung der Produktivität der Arbeit führen. Wir wollen im folgenden noch hinzufügen, daß die sozialistische Konsumtionsweise, beruhend auf der Produktions- und Verteilungsweise, die Bedeutung des persönlichen Eigentums an Konsumgütern einschließt. Mit vollem Recht wird in den Thesen zu dieser T a g u n g betont, daß der Sozialismus das asketische Verhalten der Maoisten ablehnt, aber auch die Überbetonung des persönlichen Eigentums an Konsumgütern. Dennoch bleibt der Tatbestand bestehen, daß auf der Basis des persönlichen Eigentums an den Konsumtionsmitteln sich auch bestimmte Ausschlußverhältnisse in den Beziehungen der Menschen bezüglich ihrer Verfügungsgewalt über Konsumgüter ergeben. Ausschlußverhältnisse, die viel nachhaltiger und umfassender sind, als das als allgemeine Naturbedingungen in der höheren Phase des Kommunismus der Fall sein wird. Dazu gehört auch, daß bei unterschiedlicher Arbeitsleistung und unterschiedlichen Arbeitseinkommen offensichtlich ein unterschiedliches Niveau der Bedürfnisbefriedigung, des Umfanges und der Struktur der Konsumtion auftaucht. Die Frage, die sich hiermit verbindet, ist die nach der Breite eines Sortimentes bestimmter Konsumgüter in Abhängigkeit von der Höhe der Arbeitseinkommen. Man kann aber auch feststellen, daß der Verbrauch der Werktätigen mit heute höheren Arbeitseinkommen dem Verbrauch der Werktätigen der Zukunft bei wachsender Produktivität und wachsendem Arbeitseinkommen in bestimmter Weise voraussehbar macht. Wir möchten zum Schluß noch auf einen letzten Tatbestand verweisen. E r betrifft das Verhältnis zwischen individuell organisierter und gesellschaftlich organisierter Konsumtion. Neben dem Prinzip der sozialen Fürsorge und der forcierten Entwicklung solcher Verbrauchsbereiche wie Bildung und Gesundheitswesen, die im Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft liegt, ist hier offensichlich auch ein Prozeß eingeschlossen, den wir Vergesellschaftung der Konsumtion nennen möchten. E r hängt damit zusammen, daß die Gebrauchseigenschaften, die Größe und der U m f a n g der Konsumgüter eine solche Tendenz besitzen, die dieselben aus den Dimensionen der individuellen und persönlichen Hauswirtschaft herauswachsen läßt. Dieser Prozeß der Vergesellschaftung der Konsumtion zeigt sich in den Schritten des Überganges z. B . der Erfüllung von Waschleistungen über ihre Mechanisierung in den Hauswirtschaften, zur Überführung in Dienstleistungsbetriebe und schließlich in die Verwandlung in industrielle Produktionsbetriebe, womit ihre Vergesellschaftung definitiv erreicht ist. Nicht nur soziale Aspekte und Wirkungen beschleunigen diesen Prozeß, sondern insbesondere mit der Technik und Technologie der Produktions80
u n d K o n s u m t i o n s p r o z e s s e v e r b u n d e n e T a t b e s t ä n d e , wobei die Vergesells c h a f t u n g zu einer wesentlichen Ö k o n o m i s i e r u n g der gesellschaftlichen A r b e i t f ü h r e n k a n n . I n der W i r k l i c h k e i t ist eine R e i h e v o n K o n s u m g ü t e r n auf d e m S p r u n g e , sich in solche gesellschaftliche P r o d u k t i o n s m i t t e l zu verw a n d e l n . Bei n ä h e r e r B e t r a c h t u n g erweist sich eine R e i h e individuell gek a u f t e r u n d g e n u t z t e r K o n s u m g ü t e r eigentlich in diesem Sinne gar n i c h t als G e g e n s t a n d der B e d ü r f n i s s e , s o n d e r n eher als „ P r o d u k t i o n s m i t t e l d e r K o n s u m t i o n " . So sind H e r d e , K ü h l s c h r ä n k e , W a s c h m a s c h i n e n u . a. m e h r P r o d u k t i o n s m i t t e l i m persönlichen H a u s h a l t , u m die K o n s u m t i o n s f ä h i g k e i t d e r P r o d u k t e e n d g ü l t i g herzustellen oder u m ihre K o n s u m t i o n s r e i f e zu e r h a l t e n . G e r a d e dieser Bereich der K o n s u m t i o n s m i t t e l d ü r f t e n a c h h a l t i g die Prozesse des Ü b e r g a n g e s v o n persönlichen zu gesellschaftlichen F o r m e n der Befried i g u n g der B e d ü r f n i s s e beeinflussen. Ich h a b e n u r einige u n s b e k a n n t e Z u s a m m e n h ä n g e f o r m u l i e r t u n d solche Z u s a m m e n h ä n g e a n g e d e u t e t , d e r e n B e d e u t u n g wir b e g i n n e n zu a h n e n . Sie ergeben sich, w e n n k o n s e q u e n t v o n der F o r m u l i e r u n g des ö k o n o m i s c h e n G r u n d g e s e t z e s u n d der p r a k t i s c h e n , in der P o l i t i k gestellten H a u p t a u f g a b e d a s S y s t e m der ö k o n o m i s c h e n Theorie als a u c h die Zielstellung der W i r t s c h a f t s p o l i t i k d u r c h d a c h t u n d organisiert w e r d e n . Die V e r v o l l k o m m n u n g der ö k o n o m i s c h e n Theorie u n d des S y s t e m s der L e i t u n g ist v o n wesentlicher B e d e u t u n g , u m die H a u p t a u f g a b e in d e n L ä n d e r n des Sozialismus zu e r f ü l l e n . Das s t i m m t voll m i t j e n e r Aussage des Genossen B r e s h n e w in seinem R e f e r a t auf d e m X X I V . P a r t e i t a g der K P d S U überein, d a ß die P a r t e i d a v o n a u s g e h t , „ d a ß die E r h ö h u n g des L e b e n s n i v e a u s der W e r k t ä t i g e n zu e i n e m i m m e r d r i n g e n d e r e n E r f o r d e r n i s des w i r t s c h a f t l i c h e n W a c h s t u m s selbst, zu einer w i c h t i g e n ö k o n o m i s c h e n V o r a u s s e t z u n g zur S t e i g e r u n g der P r o d u k t i o n wird."1 1
L. I. BRESHNEW, Rechenschaftsbericht des ZK der K P d S U an den X X I V . Partei-
tag der KPdSU, Berlin 1971, S. 57.
81 6 Kozlolek
P r o f . D r . H . MAIER
Die Bedürfnisse und ihre Entwicklung im Lichte der politischen Ökonomie Ich möchte einige Bemerkungen zu den vorliegenden Thesen vom Standpunkt der politischen Ökonomie des Sozialismus machen. Der Vorzug der vorliegenden Thesen besteht ohne Zweifel darin, daß hier der Versuch unternommen wurde, das gesamte Feld der Bedürfnisproblematik abzustecken und auf einige aktuelle Probleme, die einer Lösung harren, hinzuweisen. Mir scheint es jedoch notwendig zu sein, sich nicht mit einer Bestandsaufnahme der Probleme und der Systematisierung von Bedürfniskomplexen zufrieden zu geben. So wichtig solche Arbeiten gerade am Beginn der Forschung sind, sie zeigen uns jedoch nur, wie weit wir noch von der eigentlichen Bewältigung des Problems entfernt sind. Mir scheint für die weitere Arbeit die Konzentration auf folgende drei Problemkreise besonders wichtig zu sein: — Die Aufdeckung des Zusammenhangs von Bedürfnisentwicklung und der Entfaltung des sozialökonomischen Wesens der sozialistischen Produktionsverhältnisse. — Die dialektische Wechselwirkung von Bedürfnisentwicklung und gesellschaftlicher Arbeitsproduktivität bei der Schaffung der Wirtschaft des entwickelten Sozialismus. — Die Schaffung von wissenschaftlichen Grundlagen für eine Bedürfnisstrategie der sozialistischen Gesellschaft, um die Bedürfnisse in einer dem Wesen und den Möglichkeiten des Sozialismus entsprechenden Art und Weise zu befriedigen. Der entscheidende Ausgangspunkt ist meines Erachtens die Erkenntnis der Klassiker des Marxismus-Leninismus — die ich leider in den Thesen vermisse —, daß jede Produktionsweise, jede Gesellschaftsformation das ihr gemäße System der Bedürfnisse schafft. In den Bedürfnissen steckt immer schon die Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen, die sozialökonomische Wesenheit einer Produktionsweise. Natürlich ist dies nicht auf den
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ersten Blick erkennbar, natürlich versucht die bürgerliche Ökonomie diese Z u s a m m e n h ä n g e zu verschleiern, indem sie sich nur an die an der Oberfläche zutage tretende naturale Seite der Bedürfnisse k l a m m e r t . Unsere A u f g a b e n als marxistisch-leninistische Politökonomen sehe ich gerade darin, der Fetischisierung der Bedürfnisse durch die bürgerliche Theorie entgegenzutreten und die von ihr geschaffenen ideologischen Nebelgebilde zu entschleiern. Als erstes gehört dazu, herauszuarbeiten, daß die Bedürfnisse durch und durch historischen Charakter haben. Gerade in dieser F r a g e unterscheidet sich j a der Marxismus-Leninismus von der bürgerlichen Theorie, die einfach von der F a k t i z i t ä t der Bedürfnisse ausgeht und es tunlichst vermeidet, die F r a g e nach dem gesellschaftlichen B e z u g s s y s t e m , in d e m b e s t i m m t e Bedürfnisse entstanden sind, nach ihrer historischen Entwicklungsperspektive zu stellen; denn dies würde j a bedeuten, die F r a g e nach dem Klasseninhalt der Bedürfnisse zu stellen, wodurch sich die bürgerliche Sprücheklopferei von der „ K o n s u m e n t e n f r e i h e i t " , von der „ S o u v e r ä n i t ä t des K o n s u m e n t e n " sofort als Apologetik bloßteilen würde. Die Klassiker des Marxismus-Leninism u s haben gerade deshalb ihre besondere A u f m e r k s a m k e i t der A u f d e c k u n g des Klasseninhalts der Bedürfnisse gewidmet. So schreibt M a r x im „ E l e n d der P h i l o s o p h i e " : „ D e r K o n s u m e n t ist nicht freier als der Produzent. Seine Meinung h ä n g t a b von seinen Mitteln und seinen Bedürfnissen. Beide werden durch seine soziale L a g e b e s t i m m t , die wiederum selbst a b h ä n g t von der allgemeinen sozialen O r g a n i s a t i o n . " 1 In der „ D e u t s c h e n Ideologie" geben Marx und Engels ein glänzendes Beispiel ihrer historischen Methode, d a s Problem der Entwicklung der Bedürfnisse a n z u p a c k e n : „Allen bisherigen Befreiungen lagen indes beschränkte P r o d u k t i v k r ä f t e zugrunde, deren für die ganze Gesellschaft unzureichende Produktion nur dann eine Entwicklung möglich m a c h t e , wenn die Einen auf K o s t e n der Anderen ihre Bedürfnisse befriedigten und dadurch die Einen —• die Minorität — das Monopol der Entwicklung erhielten, während die Andern — die Majorität — durch den fortgesetzten K a m p f u m die Befriedigung der notwendigsten Bedürfnisse einstweilen (d. h. bis zur E r z e u g u n g neuer revolutionierender P r o d u k t i v k r ä f t e ) von aller Entwicklung ausgeschlossen wurden. So h a t sich die Gesellschaft bisher immer innerhalb eines Gegensatzes entwickelt, der bei den Alten der Gegensatz von Freien und Sklaven, im Mittelalter der v o m Adel und Leibeigenen, in der neueren Zeit der von Bourgoisie und Proletariat ist. Hieraus erklärt sich einerseits die abnorme „unmenschliche" Weise, in der die herrschende K l a s s e ihre Bedürfnisse befriedigt, und andererseits die B e s c h r ä n k u n g , innerhalb deren der Verkehr und mit ihm die 1
K . MABX, D a s Elend der Philosophie, MEW, Bd. 4, Berlin 1959, S. 75.
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ganze herrschende Klasse sich entwickelt; so daß diese Beschränktheit der Entwicklung nicht nur in dem Ausschließen der einen Klasse, sondern auch in der Borniertheit der ausschließenden Klasse besteht , . . " 1 Die ganze Geschichte des Kapitalismus ist darum auch eine Geschichte der Unterdrückung der Bedürfnisse der Werktätigen nach voller Entwicklung ihrer Persönlichkeit, ist eine Geschichte der Monopolisierung der Existenzmittel der Gesellschaft, d. h. der Mittel für die Bedürfnisbefriedigung, in der Hand einer Klasse, die Eigentümer der Produktionsmittel ist. Diese objektive Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß die kapitalistische Produktionsweise nur bereit ist, jene Bedürfnisse der Werktätigen zu akzeptieren, die der Verwertung des Kapitals zu dienen vermögen. Alles was die Arbeiter darüber hinaus hier erreichen, ist das Ergebnis eines kompromißlosen Klassenkampfes. Dies führt dazu, wie Marx zeigte, daß die kapitalistische Produktionsweise den Arbeiter tendenziell in eine Abnormität zu verkrüppeln sucht, „indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen." 2 Das Ziel und der Sinn der Bedürfnisentwicklung im Sozialismus besteht deshalb gerade darin, diese vom Kapitalismus unterdrückte „Welt von produktiven Trieben und Anlagen" zur Entfaltung zu bringen. Diese Wesenskräfte des Menschen zu entfalten ist der eigentliche Inhalt des Prozesses der sozialistischen Bedürfnisbefriedigung. Ich meine, diese, unsere Grundposition theoretisch tiefgründig und überzeugend herauszuarbeiten, ist gerade in der gegenwärtigen Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus von größter Bedeutung. Wenn wir gegenwärtig Zeuge sind, daß der Imperialismus bemüht ist, seine Existenz durch sinnentleerte Konsumexzesse künstlich zu verlängern, dann ist es gerade unsere Aufgabe, zu zeigen, daß diese kapitalistische „ K o n s u m gesellschaft" nicht der Entfaltung der Wesenskräfte der Menschen dient, sondern nur eine neue Stufe der Entfremdung des Arbeiters von seinen Wesenskräften wird, denn dieser wird nicht nur unter die Produktionsmittel, sondern immer mehr auch unter das Konsumtionsmittel subsumiert. Selbst proimperialistische Prognostiker können diese historische Tendenz der kapitalistischen „Konsumgesellschaft" nicht leugnen. So schreiben K a h n und Wiener: „ D e r Egoismus wird sich rasch a u s b r e i t e n . . . Kindische Formen des Individualismus und eher asoziale Formen der Sorge um die eigene Person und die engere Familie werden stärker hervortreten... Dies 1 2
K. MARX/F. ENGELS, Deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 417. K. MARX, Das Kapital, Bd. I, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 381. 87
alles wird zu einer allgemeinen geistigen und politischen Wurzellosigkeit beitragen.. , " 1 In Abgrenzung von der kapitalistischen „ K o n s u m g e s e l l s c h a f t " bauen wir gegenwärtig die entwickelte sozialistische Gesellschaft auf. F ü r die Bedürfnisstrategie der sozialistischen Gesellschaft liegt hier ein entscheidender Ausg a n g s p u n k t . Von besonderer B e d e u t u n g ist hierbei die B e s t i m m u n g des historischen Platzes der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Denn nur so k a n n m a n die grundlegenden Bedürfnisse bestimmen, die wir in den Mittelp u n k t unserer A u f m e r k s a m k e i t stellen müssen. Meiner Meinung nach werden die Ausführungen in den Thesen zur entwickelten sozialistischen Gesellschaft dieser A u f g a b e nicht gerecht. Geht m a n d a v o n a u s , daß die entwickelte sozialistische Gesellschaft eine zeitlich lange E n t w i c k l u n g s e t a p p e des Sozialism u s ist, die die beiden Phasen der kommunistischen Gesellschaftsformation miteinander verbindet, dann muß m a n Antwort auf die F r a g e nach den gemeinsamen sozialökonomischen Grundlagen dieser beiden Phasen suchen. Offensichtlich können diese gemeinsamen sozialökonomischen Grundlagen nicht auf die Zurückdrängung von „ M u t t e r m a l e n der alten G e s e l l s c h a f t " und die Herausbildung von Keimen der 2. P h a s e reduziert werden. E i n solches Herangehen an die entwickelte sozialistische Gesellschaft entspringt aus einer undifferenzierten B e t r a c h t u n g der sozialistischen Produktionsverhältnisse, wie sie bei uns in der D D R bis vor kurzem noch vorherrschte. Sie versperrt uns a b e r den Weg zur A u f d e c k u n g der sozialökonomischen Gemeinsamkeiten der beiden P h a s e n des K o m m u n i s m u s , die aber gerade für die A u s a r b e i t u n g einer langfristigen Bedürfnisstrategie v o n entscheidender Bedeutung ist. Gerade die j ü n g s t e n Ergebnisse der sowjetischen Politökonomen unterstreichen, daß es notwendig ist zu unterscheiden zwischen Produktionsverhältnissen, die für beide Phasen gemeinsam sind, wenn auch auf einer unterschiedlichen Entwicklungsstufe und Produktionsverhältnissen, die nur für die 1. oder 2. P h a s e charakteristisch sind. Bei einer differenzierten Analyse der Produktionsverhältnisse erweist sich die F r a g e nach dem grundlegenden Produktionsverhältnis als „ S p r i n g p u n k t " z u m Verständnis der gemeinsamen sozialökonomischen Grundlagen, die die beiden Phasen der kommunistischen Gesellschaftsformation miteinander verbinden. D a s grundlegende Produktionsverhältnis ist das systembildende E l e m e n t im inneren Gefüge der Produktionsverhältnisse, es drückt, wenn auch auf einer unterschiedlichen Stufe der Realisierung, den q u a l i t a t i v neuen, höheren Grad des historischen Ver1
H . KAHN, A. J . WIENER,
S. 189 ff. 88
Ihr w e r d e t
es erleben, W i e n / M ü n c h e n / Z ü r i c h
1968,
gesellschaftungsprozesses der Produktion und der Arbeit aus, den die Menschheit mit Beginn der kommunistischen Gesellschaftsformation in der Auseinandersetzung mit der Natur und bei der Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen erreicht hat. Der Gesamtheit der sozialistischen Produktionsverhältnisse ist ein bestimmtes System der Bedürfnisse eigen. Auch hier ist die Frage nach dem systembildenden Element, nach dem Bedürfnis, das die Entwicklungsrichtung aller anderen Bedürfnisse bestimmt, von entscheidender Bedeutung. Im Kapitalismus ergibt sich, ausgehend vom grundlegenden Produktionsverhältnis dieser Produktionsweise, also der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital, als grundlegendes Bedürfnis, welches das gesamte Wesen dieser Gesellschaftsformation bloßlegt, wie F. Engels schreibt, „die platte Habgier ..., Reichtum und abermals Reichtum und zum drittenmal Reichtum, Reichtum nicht der Gesellschaft, sondern dieses einzelnen lumpigen Individuums, ihr einzig entscheidendes Ziel. Wenn ihr dabei die steigende Entwicklung der Wissenschaft, und zu wiederholten Perioden die höchste Blüte der Kunst in den Schoß gefallen ist, so doch nur, weil ohne diese die volle Reichtumserrungenschaft unserer Zeit nicht möglich gewesen wäre." 1 Demgegenüber entspricht dem grundlegenden Produktionsverhältnis der kommunistischen Formation, also den Beziehungen der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe gleichberechtigter Produzenten auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, das grundlegende Bedürfnis nach allseitiger Entwicklung der sozialen, produktiven, geistigen und kulturell-ästhetischen Anlagen und Fähigkeiten aller Mitglieder der Gesellschaft. Hierbei spielt die Entwicklung des Charakters der Arbeit, des allmählichen Verschwindens der sozialen Unterschiede zwischen den einzelnen Arbeiten, der Unterschiede zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Arbeit und der allmählichen Umwandlung der Arbeit aus einem bloßen Existenzmittel in ein Lebensbedürfnis eine entscheidende Rolle. Die Lösung dieser Aufgabe ist ein langer historischer Prozeß, der erst im vollentwickelten Kommunismus abgeschlossen sein wird. Jedoch bereits heute richten wir die Entwicklung aller Bedürfnisse auf die Schaffung der Bedingungen für die allseitige Entwicklung aller Mitglieder der Gesellschaft entsprechend dem erreichten Niveau der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität. Wobei die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus gerade darin besteht, daß das grundlegende Bedürfnis, die allseitige Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit, als 1
F. ENGELS, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in: MEW, Bd. 1, Berlin 1962, S. 1 7 1 .
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eine entscheidende Produktivitätspotenz wirkt. Diesen dialektischen Zusammenhang haben gerade die Beschlüsse des X X I V . Parteitages der K P d S U und des V I I I . Parteitags der S E D mit der Formulierung der Hauptaufgabe in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit gerückt. Dies ist auch der Ausgangspunkt, um die Rangfolge der einzelnen Bedürfniskomplexe in der historisch-konkreten Situation der Schaffung der Wirtschaft des reifen Sozialismus zu bestimmen. Deshalb kann ich mich mit der These des vorliegenden Materials nicht einverstanden erklären, daß jede Rangfolge der Bedürfnisse sich objektiv aus der historischen Reihenfolge des Auftretens, der Entwicklung und der Befriedigung der Bedürfnisse ergibt, so daß demzufolge die zeitlich zuletzt entstandenen Bedürfnisse in der Rangordnung der Bedürfnisse den ersten Platz einnehmen. Eine solche These ist sowohl vom praktischen wie theoretischen Standpunkt k a u m zu halten. Sie ist m. E . dazu angetan, Tendenzen der Nachtrabpolitik bei der Bedürfnisbefriedigung zu rechtfertigen. Dem Kapitalismus ist in der T a t die Tendenz zur permanenten Überbewertung neuer „ B e d ü r f n i s s e " imanent. Die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals lassen es rastlos nach neuen Anlagensphären suchen. Deshalb ist es auf der J a g d nach Extraprofiten bemüht, ständig neue „Bedürfniswellen" und ,,-moden" zu initiieren und ein soziales Klima des „ K o n s u m z w a n g s " zu schaffen. In der T a t , vom Standpunkt der Verwertung des Kapitals stehen die „neuesten Bedürfnisse" immer ganz vorne, denn sie bieten die größten Aussichten auf Extraprofite. Hierzu hat sich das Monopolkapital einen kostspieligen Manipulationsapparat geschaffen, denn was die Menschen als „ B e d ü r f n i s " zu akzeptieren haben, wird vom Standpunkt der Verwertungsbedürfnisse des Kapitals bestimmt. Doch diese „neuen Bedürfnisse" vom Standpunkt der Verwertung des Kapitals gehen auf Kosten der grundlegenden Bedürfnisse der Menschen nach sozialer Sicherheit, nach der Verwirklichung ihrer sozialen, produktiven, geistigen, ästhetischen Anlagen und Fähigkeiten, nach Bildung, nach ausreichendem Wohnraum, nach Muße und Erholung in einer ihnen freundlichen Umwelt. Die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus zeigt sich gerade darin, daß er nicht auf Grund der Verwertungsbedürfnisse des Kapitals den Menschen Bedürfnisse suggeriert, die mit ihren objektiven Bedürfnissen nichts zu tun haben, sondern, daß er von den elementaren, grundlegenden Bedürfnissen der Entwicklung der Persönlichkeit ausgeht. Natürlich ist dies ein komplizierter und widerspruchsvoller Prozeß. U m diesen Prozeß aber zielstrebig zu realisieren, bedürfen wir einer langfristig angelegten Bedürfnisstrategie, die zu den vorhandenen und nicht immer effektiven Richtungen der Bedürfnisbefriedigung nötigenfalls auch echte Alternativen herausarbeitet. Nur so kann m a n den Vorzug des 90
Sozialismus, daß es nicht nur ein neues System von Bedürfnissen, sondern auch neue, insbesondere gesellschaftliche Formen der Bedürfnisbefriedigung hervorbringt, verwirklichen. Denn die Entwicklung solcher effektiver, gesellschaftlicher Formen der Bedürfnisentwicklung wird immer entscheidender für die Effektivität des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses.
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P r o f . D r . E . FAUDE
Ökonomisches Grundgesetz des Sozialismus, Bedürfnisbefriedigung und sozialistische ökonomische Integration Eine wichtige Aufgabe der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zum Problem der Bedürfnisbefriedigung ist die Ausarbeitung der zunehmend die Ebene der sozialistischen Staatengemeinschaft erfassenden Ziel—MittelDialektik der Hauptaufgabe. Die politökonomische Grundlage hierfür ist die weitere Klärung der Wirkungsweise und der Wirkungsintensität des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus auf internationaler Ebene. Es gibt hierzu gegenwärtig verschiedene Auffassungen: — Einige sozialistische Ökonomen gehen davon aus, daß die ökonomischen Gesetze des Sozialismus — darunter auch das ökonomische Grundgesetz — nur insofern international wirken, als sie in allen sozialistischen Ländern objektiv real existieren und bewußt ausgenutzt werden. Diese Ökonomen lehnen im Prinzip die Anerkennung einer internationalen Wirkungsebene der ökonomischen Gesetze des Sozialismus im Maßstab der sozialistischen Staatengemeinschaft ab. — In Meinungsäußerungen anderer Ökonomen wird wiederum die Auffassung geäußert, daß das sozialistische Weltsystem eine spezifische Wirkungssphäre der ökonomischen Gesetze des Sozialismus darstelle, die neben der nationalen Wirkungssphäre existiere. In dieser spezifischen Wirkungssphäre komme es u. a. zur Herausbildung und Wirkung spezifischer ökonomischer Gesetze, die nur dieser Sphäre eigen sind. Nicht nur vom Standpunkt des Wirkungsmechanismus der ökonomischen Gesetze, sondern auch vom Gesichtspunkt der Art der wirkenden Gesetze gäbe es wesentliche Unterschiede zwischen der nationalen und internationalen Wirkungssphäre. Nach meiner Meinung muß davon ausgegangen werden, daß die ökonomischen Gesetze des Sozialismus nicht ökonomische Gesetze der nationalstaatlich organisierten sozialistischen Volkswirtschaft, nicht Gesetze der Nationalökonomie sind, sondern ökonomische Gesetze der sozialistischen Produktions-
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weise ü b e r h a u p t . Sie existieren u n d w i r k e n u n a b h ä n g i g v o n d e r k o n k r e t e n E b e n e der O r g a n i s a t i o n der sozialistischen W i r t s c h a f t . Das schließt n a t ü r l i c h ein, d a ß je n a c h der k o n k r e t e n E b e n e f ü r das W i r k e n der ö k o n o m i s c h e n Gesetze — das ökonomische G r u n d g e s e t z eingeschlossen — n a t i o n a l s t a a t l i c h u n d i n t e r n a t i o n a l u n t e r s c h i e d l i c h e W i r k u n g s b e d i n g u n g e n existieren. 1 W ü r d e m a n der eingangs e r w ä h n t e n A u f f a s s u n g folgen, d a ß die ökonomischen Gesetze des Sozialismus i m P r i n z i p n u r auf n a t i o n a l s t a a t l i c h e r E b e n e w i r k e n , so h ä t t e dies zur K o n s e q u e n z , d a ß der K a m p f u m die V e r w i r k l i c h u n g der E r f o r d e r n i s s e des ö k o n o m i s c h e n G r u n d g e s e t z e s des Sozialismus n u r i m n a t i o n a l s t a a t l i c h e n R a h m e n zu f ü h r e n sei u n d d a ß die i n t e r n a t i o n a l e W i r t s c h a f t s z u s a m m e n a r b e i t bestenfalls als ä u ß e r e Hilfsquelle h i e r f ü r d i e n e n könnte. E i n e solche K o n z e p t i o n h ä t t e j e d o c h n i c h t n u r die M i ß a c h t u n g der gew a l t i g e n Möglichkeiten einer V e r e i n i g u n g der P o t e n z e n der R G W - L ä n d e r z u r g e m e i n s a m e n S c h a f f u n g der materiellen B e d i n g u n g e n f ü r die i m m e r bessere B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g der Völker der sozialistischen G e m e i n s c h a f t z u r Folge, s o n d e r n k ö n n t e u. U . auf b e s t i m m t e n Gebieten sogar z u gewissen I n t e r e s s e n w i d e r s p r ü c h e n f ü h r e n . L e t z t e r e s w ä r e z. B. der Fall, w e n n jedes L a n d n u r einseitig v o n seinen n a t i o n a l e n B e d ü r f n i s s e n ausginge u n d m i t Hilfe des I m p o r t s eine U m v e r t e i l u n g der G e s a m t p r o d u k t i o n der G e m e i n s c h a f t bei b e s t i m m t e n E r z e u g n i s a r t e n zu G u n s t e n einer besseren B e f r i e d i g u n g seiner eigenen B e d ü r f n i s s e a n s t r e b t e . Beispielsweise w ä r e eine P o l i t i k , bei welcher sich jedes L a n d — scheinbar i m Interesse der H a u p t a u f g a b e — b e m ü h t e , d e n I m p o r t v o n K o n s u m g ü t e r n a u s d e n a n d e r e n R G W - L ä n d e r n m a x i m a l zu e r h ö h e n u n d zugleich d e n eigenen K o n s u m g ü t e r e x p o r t m ö g l i c h s t zu r e d u zieren, d a z u a n g e t a n , die V e r t i e f u n g der i n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s t e i l u n g z u h e m m e n u n d d a m i t in W i r k l i c h k e i t den K a m p f u m die E r f ü l l u n g der H a u p t aufgabe zu beeinträchtigen. A u c h die T h e s e v o n der spezifischen i n t e r n a t i o n a l e n W i r k u n g s s p h ä r e der ö k o n o m i s c h e n Gesetze des Sozialismus h a t w e i t g e h e n d e t h e o r e t i s c h e u n d p r a k t i s c h e K o n s e q u e n z e n . Auf j e d e n Fall b r i n g t sie ebenfalls die T e n d e n z der T r e n n u n g zwischen der n a t i o n a l e n u n d i n t e r n a t i o n a l e n W i r k u n g d e r ökonom i s c h e n Gesetze des Sozialismus. Sie b i e t e t z. B. d e n A n s a t z p u n k t f ü r die M e i n u n g , d a ß d a s G e s a m t s y s t e m der ö k o n o m i s c h e n Gesetze des Sozialismus n u r in der n a t i o n a l s t a a t l i c h e n S p h ä r e wirke, w ä h r e n d in der i n t e r n a t i o n a l e n S p h ä r e n u r eine gewisse P a l e t t e der ö k o n o m i s c h e n Gesetze des Sozialismus 1
Vgl. hierzu auch: S. MÖKE, Ökonomische Gesetze des Sozialismus und sozialistische ökonomische Integration, in: Sitzungsberichte des Plenums und der problemgebundenen Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR, Nr. 6/72.
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wirke. In der Regel wird dabei die internationale W i r k u n g des Gesetzes der planmäßigen proportionalen E n t w i c k l u n g oder des Wertgesetzes im Sozialismus allgemein a n e r k a n n t . Bezüglich des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus werden jedoch teilweise mehr oder weniger deutliche Zweifel an der W i r k u n g auf internationaler Ebene geäußert. (Gleichzeitig wird aber die E n t s t e h u n g spezifischer internationaler ökonomischer Gesetze des Sozialismus — wie z. B. das Gesetz der Niveauangleichung usw. abgeleitet.) Es ist notwendig, eindeutig zu betonen, daß a u c h auf der i n t e r n a t i o n a l e n E b e n e — im R a h m e n der sozialistischen S t a a t e n g e m e i n s c h a f t — das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus wirkt. Auch als i n t e r n a t i o n a l vergesells c h a f t e t e P r o d u k t i o n dient die sozialistische P r o d u k t i o n u n m i t t e l b a r u n d p l a n m ä ß i g der Bedürfnisbefriedigung. Das grundlegende Ziel der sozialistischen ökonomischen Integration ist die wachsende Befriedigung der Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesellschaft der beteiligten L ä n d e r . Die spezifischen Wirkungsbedingungen des ökonomischen Grundgesetzes auf der E b e n e der internationalen Z u s a m m e n a r b e i t der R G W - L ä n d e r bestehen dabei u. a. darin, d a ß es u m die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen aller beteiligten L ä n d e r geht u n d somit sowohl der Aspekt des gegenseitigen Vorteils als a u c h der Aspekt der schrittweisen Niveauangleichung zwischen den Volkswirtschaften der beteiligten L ä n d e r in die Erfordernisse der W i r k u n g des ökonomischen Grundgesetzes m i t eingeschlossen sind. Auch auf internationaler E b e n e ist der H a u p t w e g zur E r f ü l l u n g des Ziels der sozialistischen P r o d u k t i o n die E n t w i c k l u n g u n d V e r v o l l k o m m n u n g der P r o d u k t i o n auf der Basis der umfassenden N u t z u n g des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts. Gerade deshalb ist die sozialistische ökonomische Integration in ihrem K e r n eine Produktions- u n d Wissenschaftsintegration. Gegenwärtig sind f ü r eine umfassende A u s n u t z u n g des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus i m R a h m e n der S t a a t e n g e m e i n s c h a f t noch bessere Bedingungen zu schaffen. Dem gegenwärtigen S t a n d der Reife der internationalen sozialistischen Produktionsverhältnisse entspricht im Prinzip der Koordinierungscharakter der Leitungs- und Planungsprozesse in der internationalen W i r t s c h a f t s z u s a m m e n a r b e i t der R G W - L ä n d e r . Die Bedürfnisbefriedigung wird dementsprechend auf der internationalen E b e n e n i c h t entsprechend dem Prinzip des demokratischen Zentralismus geplant u n d geleitet, sondern m i t Hilfe der P l a n u n g s z u s a m m e n a r b e i t realisiert. Dies w i r f t zahlreiche komplizierte F r a g e n auf u n d erfordert die V e r v o l l k o m m n u n g der Methoden der internationalen P l a n u n g s z u s a m m e n a r b e i t in R i c h t u n g der gemeinsamen Prognose, P l a n u n g u n d Bilanzierung von Bedürfnissen u n d der M a ß n a h m e n zur Bedürfnisbefriedigung im R a h m e n der S t a a t e n g e m e i n s c h a f t .
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Spezifische Bedingungen ergeben sich auch bezüglich der Intensität und Richtung der Wirkung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus auf internationaler Ebene. In der Vergangenheit stand im Mittelpunkt der wissenschaftlich-technischen und Produktionskooperation der RGW-Länder die Entwicklung der Zweige der Abteilung I der gesellschaftlichen Produktion (Schaffung einer eigenen ausreichenden Material- und Rohstoffbasis, einer eigenen wissenschaftlich-technischen Basis, besonders in Gestalt der Energiewirtschaft, der Metallurgie, des Maschinenbaus und der chemischen Industrie, sowie ausreichender Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen). Mit den Beschlüssen der kommunistischen und Arbeiterparteien der RGW-Länder zur Erfüllung der Hauptaufgabe ist nunmehr eine wesentlich stärkere Ausrichtung der internationalen Wirtschaftszusammenarbeit der RGW-Länder auch auf den Bereich der Abteilung II der gesellschaftlichen Produktion spürbar. Das betrifft sowohl die Produktion und den Austausch verschiedener Arten von Konsumgütern selbst als auch die verstärkten gemeinsamen Anstrengungen zur Schaffung der wissenschaftlich-technischen, rohstoffseitigen und kapazitiven Grundlagen der Konsumgüterproduktion (Entwicklung, Produktion und Austausch von Ausrüstungen und Technologien zur Produktion moderner Konsumgüter; gemeinsame Erweiterung, Rekonstruktion und Rationalisierung von Betrieben der Abteilung II bzw. deren Zulieferbetriebe; gemeinsame Entwicklung der Produktion von qualitativ und quantitativ bedarfsgerechten Materialarten für die Konsumgüterproduktion usw.). Sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Basis unternehmen die RGW-Länder große Anstrengungen zur Verstärkung der Kooperation bei der Entwicklung der Produktion der verschiedenen Bereiche der Abteilung II. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der seit 1970 im Rahmen der ganzen Staatengemeinschaft erkennbaren Tendenz der Annäherung der Entwicklungsdynamik beider Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion. Wenngleich auch die wachsenden gegenseitigen Lieferungen an Konsumgütern wesentlich zur besseren Lösung der Hauptaufgabe beitragen (z. B . gilt dies für die schnell steigenden Lieferungen der UdSSR an technischen Konsumgütern in die D D R und die anderen RGW-Länder sowie die Intensivierung des Konsumgüteraustausclies zwischen den RGW-Ländern überhaupt), so muß doch Klarheit darüber bestehen, daß die Hauptrichtung der Wirksamkeit der sozialistischen ökonomischen Integration für die Erfüllung der Hauptaufgabe in der gemeinsamen Entwicklung der Produktionsgrundlagen für die Verbesserung des Lebensniveaus der Menschen liegt. (Spezialisierung und Kooperation in Wissenschaft, Technik und Produktion sowie Zusammenarbeit im Investbau zur Steigerung der Produktion von Konsumgütern bzw. von Ausrüstungen und Materialien hierfür).
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Die Lösung der Hauptaufgabe setzt so neue Schwerpunkte für die Wirtschaftszusammenarbeit der RGW-Länder. Auf vielen Gebieten sind die mit der Hauptaufgabe gestellten Ziele nur durch die sozialistische ökonomische Integration auf rationelle Weise und mit dem erforderlichen Tempo zu verwirklichen. Gleichzeitig ermöglicht auch die übereinstimmende wirtschaftspolitische Orientierung der RGW-Länder, wie sie in den Hauptaufgaben der Länder zum Ausdruck kommt, die sozialistische ökonomische Integration umfassend in den Dienst der Verbesserung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Völker zu stellen. Die vergangenen zwei Jahre veranschaulichen deutlich die Anstrengungen und Erfolge jedes Mitgliedslandes der sozialistischen Staatengemeinschaft, das Lebensniveau der Menschen zu erhöhen. Die Geldeinnahmen der Bevölkerung — insbesondere bei den niedrigen Einkommensgruppen — wurden erhöht (z. B. stiegen die Bruttogeldeinkünfte der Bevölkerung der VR Polen allein im Jahre 1971 um ca. 10 Prozent). Der jährliche Zuwachs des Realeinkommens der RGW-Länder beträgt im Zeitraum 1971 bis 1973 4,5—5,5 Prozent. Die Zuwachsraten des Einzelhandelsumsatzes liegen im gleichen Zeitraum zwischen 6—7 Prozent jährlich. Mit über 3 Mio Wohnungen erreichte der Wohnungsbau der RGW-Länder im J a h r e 1972 sein bisher höchstes Ergebnis. Es darf jedoch auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung durch Nutzung der Möglichkeiten der sozialistischen ökonomischen Integration sich erst in einem längeren Prozeß in qualitativ neuen Dimensionen vollziehen kann und deshalb keine übertriebenen kurzfristigen Erwartungen geweckt werden dürfen. Dies ist einerseits historisch durch die Tatsache bedingt, daß die Konsumgüterproduktion in der Vergangenheit nicht im Vordergrund der Zusammenarbeit stand und hat auch die Tatsache zur Grundlage, daß im Bereich der Lebensbedingungen der Menschen die Niveauunterschiede zwischen den RGW-Ländern aus einer Reihe von Gründen teilweise noch weitaus größer sind als hinsichtlich der Produktion. (Dies zeigt bereits ein einfacher Vergleich des Nationaleinkommens und des verfügbaren Konsumtionsfonds pro Kopf der Bevölkerung.) Aber auch dieses Problem wird im Prozeß der sozialistischen ökonomischen Integration langfristig und schrittweise seine Lösung finden. Es ist klar, daß die bereits jetzt erkennbare Tendenz einer Annäherung in den Arbeits- und Lebensbedingungen sowie auf sozialem Gebiet ihrerseits entscheidende positive Auswirkungen auf den Integrationsprozeß insgesamt ausüben wird und den Prozeß der kameradschaftlichen Zusammenarbeit, der internationalen Mobilit ä t und Kombination der Produktionsfaktoren sowie der kulturellen Annäherung der Völker der sozialistischen Gemeinschaft unterstützen wird. 97 7 Koziolek
Dr. H.
BONK
Hintergründe der Parole rechter SPD-Führer von der „Qualität des Lebens" Die Problematik der Bedürfnisbefriedigung gehört zu jenen Fragen, die gegenwärtig in der ideologischen Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus einen bedeutenden Platz einnehmen. Die konsequente Orientierung des XXIV. Parteitages der KPdSU und des VIII. Parteitages der SED auf die Verwirklichung der Hauptaufgabe ist von einer Reihe imperialistischer Ideologen und Politiker zum Anlaß genommen worden, sich stärker mit Fragen der Bedürfnisentwicklung zu beschäftigen Sie verfolgen dabei nicht nur das Ziel, die sich entwickelnden Bedürfnisse der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen der imperialistischen Länder in das staatsmonopolistische System „einzupassen", sondern sie versuchen zugleich, der Entwicklung und Ausprägung des spezifisch sozialistischen Inhalts der Bedürfnisse in den sozialistischen Ländern entgegenzuwirken und dem Sozialismus fremde Bedürfnisse zu infiltrieren. Eine deutlich wachsende Bedeutung gewann dabei in jüngster Zeit in der B R D die Parole von der „Qualität des Lebens". Sie spielte auf der 4. Internationalen Arbeitstagung der IG Metall in Oberhausen im April 1972, besonders im Referat von Erhard Eppler, eine große Rolle und fand seitdem Eingang in nun schon fast unzählige sozialdemokratische und gewerkschaftliche Veröffentlichungen in der BRD. In der Diskussion des Begriffs der „Qualität des Lebens", die sich im Verlauf des Jahres 1972 in der B R D entwickelte, klangen aber sehr unterschiedliche Töne an. Besonders aus Kreisen der Jungsozialisten und der Gewerkschaften wurde der Überzeugung Ausdruck verliehen, eine Verbesserung der „Qualität des Lebens" sei nur durch die Überwindung des staatsmonopolistischen Kapitalismus zu erreichen. So sah sich Willy Brandt in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der SPD veranlaßt, zur Kanalisierung der Diskussion in der SPD und in den Gewerkschaften im Oktober 1972 einen Artikel unter dem Titel „Die ,Qualität des Lebens'" zu veröffentlichen. 1 1
W. BRANDT, Die „Qualität des Lebens", in: Die neue Gesellschaft, Bonn 10/1972, S. 7 3 9 - 7 4 2 .
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Worin bestehen die wesentlichen Aussagen dieses Artikels? Zunächst betont Brandt hier die „Urheberrechte" der sozialdemokratischen Führer; sie wären es gewesen, die den Begriff der „Qualität des Lebens" in die politische Diskussion der BRD eingeführt hätten. „Qualität des Lebens" sei mehr als nur materieller Wohlstand, mehr als nur Wirtschaftswachstum, erklärt Brandt. Die Erfahrungen würden bestätigen, daß die Wachstumsmaximierung „keine vernünftige Zukunft" ergäbe. Wachstumsmaximierung müsse durch Wachstumsoptimierung ersetzt werden, und das erfordere „daß sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft neu orientieren müssen". Diese Neuorientierung sei notwendig, weil die Fortführung der bisherigen Wirtschaftspolitik „die Qualität des Lebens — und zwar gerade der breiten Schichten unseres Volkes — durch technisch-ökonomische Fehlentwicklungen bedroht". Brandt spricht in diesem Zusammenhang eine Reihe von Problemen an, die sich in den letzten Jahren in verstärktem Maße in d e r B R D und anderen imperialistischen Ländern herausgebildet haben: Verletzung der Menschenwürde, Vernachlässigung der Belange der Jugend und der älteren Menschen, Zerstörung der Umwelt u. a. m. Um die „Qualität des Lebens" in der BRD zu verbessern, so legt Brandt dar, sei es notwendig, sich stärker auch um die Bedürfnisse der Menschen zu kümmern. Er wirft Fragen auf nach den Grundbedürfnissen des Menschen, die über Nahrung, Kleidung und Wohnung hinausgingen, nach der Erfüllung des Bedürfnisses nach einer menschenfreundlichen Umgebung, nach der Befriedigung des Bedürfnisses der Menschen, Entscheidungsträger und nicht bloß Opfer von Entscheidungen zu sein. Brandt zieht folgendes Fazit: „Wir haben hier viel nachzuholen, wenn wir dem Dasein des Menschen eine menschenwürdige Qualität geben wollen". Zur Frage, wie das geschehen solle, findet sich in diesem Artikel lediglich die Feststellung, daß die Herausforderung der Zeit „nur durch eine Politik realer Reformen" gemeistert werden könne. Wie in diesem Artikel wird auch in anderen sozialdemokratischen Stellungnahmen die Notwendigkeit von Reformen zunehmend mit der Verbesserung der „Lebensqualität" motiviert. Gegenstand dieser Reformen sollen Fragen der Mitbestimmung, der sozialen Sicherheit, der Vermögensbildung, der allgemeinen, beruflichen und Hochschulbildung, der Gesundheitsvor- und -fürsorge, des Verkehrswesens, der Städtesanierung und der Umwelterhaltung sowie gewisse Maßnahmen gegen Bodenspekulation und Mietwucher sein. Worin besteht der objektive Hintergrund dafür, daß Führer der Sozialdemokratie in verstärktem Maße ihre Reformpläne mit Fragen der „Lebensqualität" verbinden? Die neuen Anforderungen an die Reproduktion des Kapitals und an die
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Reproduktion der Arbeitskraft unter den Bedingungen der wissenschaftlichtechnischen Revolution einerseits und der wachsende Einfluß der erfolgreichen Entwicklung der sozialistischen Staatengemeinschaft andererseits führen zu einem objektiven Prozeß der Erweiterung der Bedürfnisse innerhalb der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen in den imperialistischen Ländern. Die Bedürfnisentwicklung der Arbeiterklasse in denimperialistischen Ländern kann nicht allein auf die Erfordernisse der Kapitalverwertung reduziert werden. Sie ist heute dadurch weniger denn je allein bestimmt. Der Kampf der Arbeiterklasse und der Einfluß des Sozialismus führen hinsichtlich der Bedürfnisse der Arbeiterklasse zu Revolten gegen den immer enger werdenden Rahmen ihrer Befriedigungsmöglichkeiten innerhalb des Warencharakters der Arbeitskraft. Verstärkt rücken im Denken der Arbeiterklasse solche Fragen in den Vordergrund wie die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach einem menschenwürdigen Dasein, die Frage nach der Entwicklung der arbeitenden Menschen als Persönlichkeit. Hier haben wir es mit einer spezifischen Seite des Einflusses des Sozialismus auf die kapitalistische Gesellschaft zu t u n : Der Sozialismus ist nicht nur als Theorie, sondern auch als gesellschaftliche Realität und Praxis zu einem Ferment der gesetzmäßigen Entwicklung der Bedürfnisse der Arbeiterklasse unter imperialistischen Bedingungen geworden. Durch die konsequente Orientierung der sozialistischen Länder auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen in ihrer Allseitigkeit wird diese Wirkung des Sozialismus auf die kapitalistischen Länder noch potenziert. Gerade hier hakt die bürgerliche Ideologie einschließlich ihrer sozialdemokratischen Spielart ein. Ihre Vertreter versuchen die dem imperialistischen System widersprechenden Bedürfnisse der Arbeiterklasse umzufunktionieren und sie integrationsfähig zu machen. Ein wesentliches Mittel dazu ist die in der BRD besonders von der SPD-Führung mit vielfältigen Mitteln betriebene Propaganda von der Erhöhung der „Qualität des Lebens" innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Als flankierendes Mittel wird zugleich eine wütende Kampagne gegen das Ziel der Hauptaufgabe der sozialistischen Länder geführt. Der Sinn dieser ideologischen und anderer Aktivitäten der Führung der SPD besteht in der Sicherung der Bedingungen der Profitproduktion, in der Vermeidung bzw. Reduzierung innerer sozialer Spannungen in der BRD sowie im Versuch der reaktionären Einwirkung auf die Entwicklung in den sozialistischen Ländern, speziell auch ihrer Bedürfnisentwicklung. Ist die in letzter Zeit von ihnen viel strapazierte These von der „Qualität des Lebens" nun eine originäre Erfindung der rechten SPD-Führer oder der Sozialdemokratie überhaupt? Ist sie nur eine direkte Reaktion auf den wachsenden Einfluß des Sozialismus auf die kapitalistischen Länder? Die Verbreitung der These von der „Qualität des Lebens" ist wesentlich 101
ein Ausdruck tiefgehender ökonomischer und politischer Schwierigkeiten des Imperialismus insgesamt; sie ist auch ein Ausdruck der darauf fußenden neuen Etappe der Krise der bürgerlichen politischen Ökonomie. Die geistige Quelle der These von der „Qualität des Lebens" ist die bürgerliche Ideologie generell und nicht in ihrer sozialdemokratischen Spezifik; ihren geografischen Ursprung hat sie nicht in der B R D , sondern in den USA als dem Hauptland des Imperialismus. In die letzten 60er Jahre fällt eine bedeutsame Zäsur der Wirtschaftsentwicklung der USA und anderer imperialistischer Länder. Noch bis in die Mitte der 60er Jahre fand der nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte NeoKeynesianismus ( = Einsatz der staatlichen Budgethebel nicht nur als begrenzt antizyklische Maßnahme, sondern als dynamischer Faktor zur Erreichung hohen Wirtschaftswachstums) verbunden mit Elementen der neo-klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie ( = Konjunktur- und Wachstumsbeeinflussung vor allem durch das Geld- und Kreditsystem) durch für den Kapitalismus relativ hohe und anhaltende Wachstumsraten, durch das Ausbleiben klassischer Wirtschaftskrisen, durch ein Anwachsen der Konsumtion der Werktätigen scheinbar seine Bestätigung. Es kam zu euphorischen Lobpreisungen des angeblichen Wirtschaftswunders, der „Gesellschaft im Überfluß"; das Märchen von der Sozialpartnerschaft fand gewisse Verbreitung. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre vollzog sich eine einschneidende Veränderung der Lage. 1966/67 gerät die Wirtschaft der B R D in eine Krise. Erstmals seit 1945 ist dort ein absoluter Rückgang der Industrieproduktion zu verzeichnen. 1968 kommt es zum heißen Sommer in Frankreich. Im gleichen J a h r verzichtet in den USA L. B. Johnson auf die Präsidentschaftskandidatur wegen seiner Enttäuschung über das Scheitern seines Programms der „großen Gesellschaft". 1969 entwickelt sich in Italien ein heißer Herbst. 1969/70 gerät die Wirtschaft des stärksten imperialistischen Landes, der USA selbst, in eine Wirtschaftskrise. In dieser Periode gehen die durchschnittlichen Wachstumsraten der entwickelten imperialistischen Länder stark zurück. Durchschnittliches Wirtschaftswachstum der entwickelten imperialistischen Länder in Prozenten zum Vorjahr 1 1968 1969 1970 1971 1
6,7 6,9 3,0 0,8
Siehe I. SOKOLOV, Die Krise der ökonomischen Strategie des Imperialismus, in: Sowjetwissenschaft — Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, Berlin 7 / 1 9 7 2 , S. 750.
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Neben den rückläufigen Wachstumsraten in dieser Periode rufen die gleichzeitigen inflationären Prozesse und die imperialistische Währungskrise bei den Vertretern des imperialistischen Systems große Besorgnis hervor. In vielen imperialistischen Ländern sieht sich das Monopolkapital mit der neuen Erscheinung der sogenannten Stagflation konfrontiert. Entgegen aller bürgerlichen Theoreme kommt es zu einer Gleichzeitigkeit von Wirtschaftsrückgang bzw. -Stagnation auf der einen Seite und Preisauftrieb auf der anderen Seite. Nach den herrschenden Meinungen des Neo-Keynesianismus hätte aber gerade der Rückgang im Wirtschaftswachstum und die Zunahme der Arbeitslosen auch einen Rückgang der Preise bewirken müssen. Die Vertreter der bürgerlichen politischen Ökonomie erwiesen sich der neuen Situation gegenüber ratlos. Dem Wesen nach handelt es sich um einen offensichtlichen Bankrott der bisherigen Mittel der bürgerlichen politischen Ökonomie und Wirtschaftswissenschaft, den Kapitalismus ökonomisch zu stabilisieren. Es häuften sich die Kritiken am Wirtschaftswachstum als Ziel der Wirtschaftspolitik. Es kam sogar zu Plädoyers für ein „Null-Wachstum" (u. a. auch durch den damaligen Präsidenten der EWG-Kommission S. Mansholt, einem Sozialdemokraten). Der bekannte und einflußreiche bürgerliche Ökonom der USA Paul Samuelson gibt 1970 in New York seine „Volkswirtschaftslehre" neu heraus. Er hat diese Überarbeitung ausgerichtet auf die „Umwertung der Werte" der bürgerlichen politischen Ökonomie. Er fügt seiner Arbeit ein neues (39.) Kapitel hinzu, dem er die Überschrift gibt „Die Wirtschaft der Ungleichheit: Armut, Überfluß und Qualität des Lebens". Hier plädiert er für eine Reduzierung des Wirtschaftswachstums; es wäre besser, einen kleineren nationalen Kuchen zu erwirtschaften, diesen aber gerechter zu verteilen und sich auf die Qualität des Lebens zu konzentrieren. Zur Sicherung der Preisstabilität empfiehlt Samuelson eine Verbindung des Neo-Keynesianismus und der neo-klassischen Methoden mit der sogenannten institutionell-sozialen Richtung, die vor allem durch Galbraith repräsentiert wird. Galbraith und seine Anhänger treten für eine Regulierung der Wirtschaft außerhalb des Marktes ein und zwar auf der Grundlage langfristiger vertraglicher Beziehungen zwischen dem Staat, den großen Kapitalgesellschaften und den Gewerkschaften. Faktisch soll eine staatliche Kontrolle über die Preise und (vor allem) über die Löhne errichtet werden. Dieser Versuch, die reaktionäre staatsmonopolistische Einkommenspolitik in eine ständige institutionalisierte Zwangseinrichtung gegen die Arbeiterklasse zu verwandeln, wird von Galbraith mit der Phrase von der „Lebensqualität" begründet. Es käme darauf an, sich auf ein vermindertes Wirtschaftswachstum einzu103
stellen, d a n u r d a d u r c h soziale S p a n n u n g e n zu v e r m e i d e n w ä r e n . Als einzig w i r k s a m e M e t h o d e z u r Ü b e r w i n d u n g der I n f l a t i o n e r k l ä r t er d e n Verzicht auf h o h e s W a c h s t u m , die E i n s c h r ä n k u n g aller „ ü b e r f l ü s s i g e n " K o n s u m t i o n u n d die S t a a t s k o n t r o l l e der Preise u n d L ö h n e . N u r auf diesem W e g e k ö n n e die „ Q u a l i t ä t des L e b e n s " e r h ö h t w e r d e n , u n d g e r a d e d a r a u f k ä m e es j e t z t a n . 1 S a m u e l s o n wie G a l b r a i t h entwickeln G e d a n k e n f ü r ein P r o g r a m m des b ü r g e r l i c h e n R e f o r m i s m u s . K e r n dieses P r o g r a m m s ist die S t ä r k u n g des S y s t e m s des s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e n K a p i t a l i s m u s u n d die S c h w ä c h u n g der P o s i t i o n e n der Arbeiterklasse. D a b e i f i n d e n sie W o r t e der K r i t i k a n b e s t i m m t e n E r s c h e i n u n g e n des K a p i t a l i s m u s u n d t a r n e n sich m i t sozialen, z. T . „linken" Phrasen. Mit der P a r o l e v o n der V e r b e s s e r u n g der „ Q u a l i t ä t des L e b e n s " k o l p o r t i e r e n r e c h t e S P D - F ü h r e r also A u f f a s s u n g e n des b ü r g e r l i c h e n R e f o r m i s m u s a u s d e n U S A u n d schneiden sie zugleich auf die k o n k r e t e n Verhältnisse der B R D zu. U b e r die d a b e i v e r f o l g t e A b s i c h t e r k l ä r t e K u r t H a g e r auf der I n t e r n a t i o n a l e n W i s s e n s c h a f t l i c h e n K o n f e r e n z des Z K der S E D z u m 125. J a h r e s t a g des „ M a n i fests der K o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i " : „ D a m i t v e r s u c h e n sie m i t einer n e u e n W o r t s c h ö p f u n g v o n der i m m e r o f f e n k u n d i g e r e n T a t s a c h e a b z u l e n k e n , d a ß die k a p i t a l i s t i s c h e Gesellschaft n i c h t in der Lage ist, der M e h r h e i t d e r Bevölker u n g ein sinnvolles, m e n s c h e n w ü r d i g e s Dasein zu g a r a n t i e r e n . " 2 Bei n ä h e r e r B e t r a c h t u n g stellt sich diese P a r o l e als eine F o r m des B o u r geois-Sozialismus h e r a u s . D a n a c h soll die in der B R D existierende k a p i t a l i s t i sche G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g selbst n i c h t v e r ä n d e r t w e r d e n — lediglich die Vorstellung ü b e r sie. Die V e r b r e i t u n g der A u f f a s s u n g , d a ß sich die a n g e s t a u t e n u n d noch e n t w i c k e l n d e n gesellschaftspolitischen P r o b l e m e in der B R D m i t t e l s einer ominösen V e r b e s s e r u n g der „ Q u a l i t ä t des L e b e n s " i n n e r h a l b der Bed i n g u n g e n des s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e n K a p i t a l i s m u s lösen ließen, stellt eine spezielle Seite der A n p a s s u n g s p o l i t i k des M o n o p o l k a p i t a l s a n das n e u e K r ä f t e v e r h ä l t n i s der Klassen i m i n t e r n a t i o n a l e n M a ß s t a b u n d a u c h i m I n n e r e n der B R D dar. Die P r o p a g a n d a v o n der „ Q u a l i t ä t des L e b e n s " d u r c h r e c h t e F ü h r e r d e r S o z i a l d e m o k r a t i e in der B R D b l e i b t n i c h t o h n e W i r k u n g , z u m a l sie a u c h d u r c h eine R e i h e p r a k t i s c h e r M a ß n a h m e n s c h e i n b a r g e s t ü t z t wird. Diese W i r k u n g bleibt n i c h t allein auf die B R D selbst b e g r e n z t . Ü b e r die gezielt e i n g e s e t z t e n imperialistischen M a s s e n m e d i e n , ü b e r d e n T o u r i s m u s u n d a n d e r e K o n t a k t e 1
2
Siehe dazu A. MILEIKOWSKI : Über die gegenwärtige Etappe der Krise der bürgerlichen politischen Ökonomie, ebenda 5/1973. K. HAGER: Das „Manifest der Kommunistischen Partei" und der revolutionäre
Weltprozeß, Berlin 1973, S. 33.
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stellt sie auch einen Faktor dar, der störend auf die Ausprägung einer spezifisch sozialistischen Bedürfnisstruktur in der D D R einwirkt. So soll z. B. die Kritik am „Wachstumsfetischismus" auch auf die Entwicklung in der DDR und anderen sozialistischen Ländern wirken, indem von dieser Seite her versucht wird, die Anstrengungen zur Gewährleistung eines hohen Wachstumstempos unserer Volkswirtschaft zu unterlaufen. Insgesamt ist zu erwarten, daß die Bedürfnisproblematik mit den weiteren Fortschritten bei der Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz durch die sozialistische Staatengemeinschaft in der internationalen Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus in der nächsten Zeit noch an Bedeutung gewinnen wird. Daraus ergeben sich hohe ideologische Ansprüche an die Arbeit der Wirtschaftswissenschaftler der DDR, die sich mit der Ausarbeitung der Theorie der Bedürfnisse der entwickelten sozialistischen Gesellschaft beschäftigen.
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P r o f . D r . H . LILIE
Bedürfnisbefriedigung und Qualität der Erzeugnisse Mit der auf dem VIII. Parteitag der SED beschlossenen Hauptaufgabe ist eine klare Orientierung für die weitere gesellschaftliche Entwicklung in der DDR gegeben worden. Die umfassende Intensivierung des Reproduktionsprozesses, vor allem über die sozialistische Rationalisierung, ist der effektivste Weg, die wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen mit einem vertretbaren Aufwand an gesellschaftlicher Arbeit zu befriedigen. Die Rangfolge, die der Befriedigung der Bedürfnisse in der Hauptaufgabe beigemessen wird, entspricht dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus und unterstreicht die von den Klassikern des Marxismus-Leninismus getroffene Feststellung von der Beziehung zwischen der Entwicklung der Bedürfnisse und der Entwicklung der Produktion. Die ständige Lösung dieses nichtantagonistischen Widerspruchs und damit gleichzeitig auch seine ständige Weiterentwicklung behauptet sich als entscheidende Triebkraft in der gesellschaftlichen Entwicklung. Marx gelangt im „ K a p i t a l " zu der Schlußfolgerung, daß die materielle Produktion nicht nur neue Gebrauchswerte entwickelt und schafft, sondern gleichzeitig auch quantitativ erweiterte und qualitativ neue Bedürfnisse entstehen läßt. Die materielle Produktion hat somit eine doppelte Funktion. Die quantitative Erweiterung der Bedürfnisse steht jedoch in keinem proportionalen Verhältnis zu den qualitativen Veränderungen. Bedürfnisse haben bekanntlich auf der Grundlage einer bestimmten Qualität quantitative Grenzen — der Mensch kann z. B. nur ein bestimmtes Quantum an Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern verbrauchen. Es gibt aber keine Grenzen im qualitativen Konsum: denn im Prozeß der Bedürfnisbefriedigung, in der Auseinandersetzung mit der Umwelt, entstehen ständig neue Bedürfnisse. Die Bedürfnisentwicklung drückt sich folglich primär in höheren Anforderungen an die Qualität der Mittel der Bedürfnisbefriedigung aus. In der Qualitätsentwicklung gibt es darum keinen Stillstand. Qualität ist eine sehr dynamische Kategorie, eine Kategorie der Wechselwirkung von 107
Produktion und Konsumtion. Die Erhöhung der Qualität ist ein Prozeß, der auf die vollständigere Befriedigung konkreter Bedürfnisse, auf die Erhöhung des Nutzeffekts der Erzeugnisse durch die Verbesserung ihrer Gebrauchseigenschaften gerichtet ist. Hohe Qualität, das bedeutet weniger fehlerhafte Erzeugnisse und damit geringere Nacharbeit, das heißt wiederum geringere Garantieleistungen, wenig Ausschuß und Entlastung der Reparaturkapazitäten, geringerer Ersatzteilbedarf und sinkende Qualitätskosten. Im Endeffekt bringt hohe — optimale — Qualität eine größere Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Erzeugnisse im Gebrauch. Schließlich werden durch eine hohe Qualität der Erzeugnisse nicht zu unterschätzende soziale Effekte erzielt, die das Verhalten zur eigenen Arbeit beeinflussen und die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten fördern. Es zeigt sich also, daß die Qualität in zweifacher Hinsicht Beachtung verdient, einmal als Gradmesser für das Niveau der Bedürfnisbefriedigung und zum anderen in der Erhöhung der Effektivität der Produktion, durch Minderung des gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes durch höheren Gebrauchswert in der Anwendung. Gerade in der Wirkung der Qualitätssteigerung auf die Ökonomie der gesellschaftlichen Arbeit kommt der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Erzeugnisqualität und der Arbeitsproduktivität zum Ausdruck. Natürlich unterliegt auch jede Veränderung der Qualität der Struktur der Gebrauchswerte, der Sortimente, dem strengen volkswirtschaftlichen Kriterium von Aufwand und Ergebnis und wird nur dann ihre gesellschaftliche Anerkennung erfahren, wenn die zur Befriedigung vorhandener Bedürfnisse angestrebte Qualitätsentwicklung auch zur Einsparung von gesellschaftlicher Arbeit führt. Dabei ist von der Gesamtheit der gesellschaftlichen Arbeit auszugehen und darauf zu achten, daß die Einsparungen an lebendiger Arbeit nicht durch ein gleichgroßes oder gar größeres Ansteigen der vergegenständlichten Arbeit pro Erzeugnis absorbiert werden. Die dazu nötigen Entscheidungen können nur aus volkswirtschaftlicher Sicht gefällt werden, um die vorhandenen Ressourcen so rationell wie möglich auch für die Veränderung der Gebrauchswerte einzusetzen. Das schließt für den einzelnen Betrieb ein, nach Wegen der Kostensenkung der eigenen Produktionen zu suchen, und legt ihm die Verpflichtung auf, besonders bei langfristigen Entwicklungen der Qualität, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen zu berücksichtigen. Die planmäßige Verbesserung der Struktur und der Qualität der Erzeugnisse stellt deshalb hohe Anforderungen an das Niveau der Leitung und Planung. Bisher sind die Qualitätsprobleme nicht ausreichend in die Planung einbezogen worden. Zwar gab es Betriebe, die sich zur zielgerichteten Verbesserung der Qualität ihrer Erzeugnisse Aufgaben stellten und diese auch im Betriebs-
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plan verankern. Aber wie diese Aufgaben erfüllt wurden, das war nicht Gegenstand der Plankontrolle durch die übergeordneten Organe, das wurde bei der Leistungsbewertung der Betriebe nicht als ein entscheidendes Kriterium herangezogen. Die Einheit von Menge, Qualität und Sortiment, wie sie zur Planung und Kontrolle der bedarfsgerechten Versorgung erforderlich ist, wurde durch die teilweise Beschränkung auf die Mengen- und Wertplanung gestört. Das kommt auch im Stand der Qualitätsentwicklung zum Ausdruck. Bei Erfüllung der quantitativen Planwerte können die Qualität der produzierten Erzeugnisse und die Sortimentsentwicklung nicht befriedigen. 1972 ist der Anteil der Erzeugnisse mit Gütezeichen „Q" an der prüfpflichtigen Warenproduktion weiter auf 23,8 Prozent angestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der Produkte mit Gütezeichen ,,1", derjenigen Erzeugnisse, die zur Standardqualität gerechnet werden, um 4,6 Prozent gesunken und der Anteil der Produkte ohne Gütezeichen um 1,7 Prozent gestiegen. So erfreulich der Anstieg des Gütezeichens ,,Q" ist, dahinter steht die Arbeit vieler hervorragender Betriebe und Kollektive, so wenig entspricht die Veränderung der Relation zum Gütezeichen „1", das für die Masse der Erzeugnisse erforderlich ist und zu den Erzeugnissen ohne Gütezeichen der Bedarfsentwicklung. Dahinter verbergen sich Probleme der geringen Zuverlässigkeit, der unzureichenden Funktionstüchtigkeit, der ungenügenden Erprobung der Erzeugnisse. So genügt es z. B. nicht, die Produkte zum geplanten Termin in die Produktion zu überführen und im geplanten Umfang herzustellen, wenn die Erprobung unzulänglich erfolgte und es letztlich den Verbrauchern überlassen bleibt, die Mängel herauszufinden. Die Folge davon sind übermäßige Inanspruchnahme der Reparaturkapazitäten, hohe Wartezeiten, Verärgerung in der Bevölkerung. Eine einseitige Betrachtung der Planerfüllung in der Menge würde die Instabilität in der Qualitätsentwicklung nicht verdeutlichen, im Gegenteil, den Eindruck einer, dem Bedarf und den Bedürfnissen der Bevölkerung gerechten Versorgung erwecken. Eine wesentliche Ursache für die Schwierigkeiten, die Warenproduktion in ihrer Komplexität von Qualität, Menge und Sortiment zu erfassen, liegt in den unzureichend geklärten Beziehungen von Bedürfnisentwicklung und Erzeugnisentwicklung. Die hier bestehenden vielfältigen und direkten Zusammenhänge bedürfen einer eingehenden Untersuchung sowohl von der Bedürfnis- und Bedarfsforschung als auch von der Gebrauchswertforschung, um die Entwicklung einer bedarfsgerechten Produktion wissenschaftlich fundiert zu planen und den getroffenen Entscheidungen den empirischen Charakter zu nehmen.
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Bedürfnis- und Gebrauchswertforschung sollten direkte Impulse für die Weiterentwicklung bzw. Neuentwicklung von Erzeugnissen geben. Zweifellos liegt darin auch die Schwierigkeit, daß eine Art Gebrauchswertbestimmung vorweggenommen werden muß. Ohne jedoch bestimmte Parameter, die die künftigen Gebrauchswerte umreißen, zu fixieren, haben die Ergebnisse der Bedürfnisforschung z. Z. mehr theoretischen Charakter und weniger praktischen Wert. Die Qualität der Erzeugnisse bestimmt nicht nur, in welchem Tempo und in welchem Ausmaß sich die Tendenzen des wissenschaftlichen Fortschritts in allen Bereichen der Wirtschaft durchsetzen. Sie setzt gleichzeitig auch neue Maßstäbe zur Quantität des Bedarfs und zum Sortiment. Es bestehen also echte Wechselwirkungen zwischen den Anforderungen an Qualität, Quantität und an das Sortiment. Je besser wir es verstehen, diesem Zusammenhang auch in den theoretischen Untersuchungen Raum zu geben, desto eher wird es uns auch gelingen, echte, für die Praxis verwertbare Lösungen, zu finden. In der Planung wurde begonnen, die „Qualitätslücke" zu beseitigen. Die Schwierigkeiten, die sich für die Qualitätsplanung ergaben, lagen methodisch in der Fixierung der Gebrauchswerte und ihrer für die zentrale Planung und Kontrolle notwendigen Aggregation. 1972 wurde ein zentraler Qualitätsplan als Bestandteil des Planes Wissenschaft und Technik geschaffen. Die Zuordnung zum Plan Wissenschaft und Technik ergab sich aus der engen Verbindung der Qualitätsentwicklung zu den Ergebnissen von Forschung und Entwicklung und dem verstärkten Bemühen, die Qualität künftiger Entwicklungen zu sichern. Auch 1973 wurden Qualitätsziele im Plan in verschiedener Weise festgelegt, je nach der konkreten Lage im Betrieb, der Aufgabenstellung und der Art des Erzeugnisses, welches qualitativ zu verbessern bzw. zu stabilisieren war. Das sind 1. Aufgaben zur Verbesserung der technisch-ökonomischen Parameter eines exakt definierten, einzelnen Erzeugnisses, zur Erhöhung seiner Zuverlässigkeit oder zur Erzielung bestimmter neuer Eigenschaften. Solche Aufgaben wurden einzelnen Betrieben gestellt. Zum Beispiel — Entwicklung eines Erzeugnisses auf das qualitative Niveau des Gütezeichens ,,Q", d. h. Entwicklung eines Erzeugnisses, welches vergleichbaren Spitzenerzeugnissen des Weltmarktes entspricht bzw. sie in einigen Kennziffern noch überbietet. — Entwicklungen von Erzeugnissen auf das qualitative Niveau des Gütezeichens ,,1", d. h. solcher Erzeugnisse, die in ihren Parametern vergleichbaren Durchschnittserzeugnissen des Weltmarktes entsprechen. Derartige,
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bei uns als Standardqualität bezeichnete Erzeugnisse müssen planmäßig den Hauptanteil der geplanten industriellen Warenproduktion ausmachen. — Stabilisierung der Qualität eines bereits produzierten Erzeugnisses, entsprechend den Festlegungen der staatlichen Attestierung oder anderer Qualitätsstufen, welches jedoch in der bisherigen Produktion qualitative Schwankungen zeigte. Bei dieser Qualitätszielstellung geht es also u m die Beseitigung der Instabilität und um die kontinuierliche Produktion eines Erzeugnisses mit exakt definierten Kennwerten. 2. Qualitätszielstellungen mit „Breitenwirkung", d. h. über ein Erzeugnis hinausgehend. Das sind sog. Flächenkennziffern. Sie sind für die Qualitätsentwicklung im Rahmen der gesamten Volkswirtschaft bedeutungsvoll. Qualitätszielstellungen mit derartigen Flächenkennziffern sind — Festlegung des in einer bestimmten Qualitätsklasse — ,,Q" oder „ 1 " — oder Sorte zu produzierenden Anteils an Erzeugnissen an der gesamten Warenproduktion eines Betriebes oder eines ganzen Industriezweiges. — Festlegung eines Qualitätskoeffizienten (KQ), d. h. einer synthetischen Qualitätskennziffer für Erzeugnisse oder Erzeugnisgruppen, die von einem Betrieb im Planjahr zu erreichen sind. — Zielstellungen zur Senkung der Nacharbeits-, Ausschuß- und Garantiekosten. Derartige Kennziffern wurden entweder für Erzeugnisse oder für Betriebe und Industriezweige festgelegt. Diese Kennziffern, die Qualität nur indirekt betreffen, geben die obere Grenze der Fehlleistungskosten bezogen auf eine bestimmte Mengeneinheit oder die Senkung dieser Kosten in Prozent zum Vorjahr an. Eine letzte Gruppe von Qualitätszielstellungen im Plan sind die Aufgaben zur Senkung des Reklamationsanteils auf eine festgelegte Grenze. Alle diese Aufgaben des zentralen Qualitätsplanes 1973 und weitere Aufgaben der Betriebe zur Qualitätsverbesserung sind in die Betriebspläne eingegangen. Es handelt sich dabei aber nur um solche Qualitätsziele, die im Verlauf des Jahres 1973 auch gelöst werden — die Realisierungstermine sind im Plan differenziert für die einzelnen Aufgaben festgelegt. Aufgaben, die 1973 nicht wirksam werden können, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, sind in den Komplexthemen des Staatsplanes Wissenschaft und Technik enthalten. Zweifellos gehört diese Form der Einbeziehung der Qualität der Erzeugnisse in die volkswirtschaftliche Planung und Plankontrolle zu den Fortschritten in der systematischen Qualitätsentwicklung und trägt dazu bei, 111
die Einheit von Menge, Qualität und Sortiment in der Planung besser zu berücksichtigen. Sie ist jedoch nur ein Schritt auf dem Wege zu einem ganzen System von Maßnahmen zur Lenkung und Steuerung der Qualität im Rahmen unserer Volkswirtschaft, die auf den Ergebnissen der Bedürfnisforschung und der Bedarfsforschung aufbauen. Daraus erwächst für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung die dringende Notwendigkeit, sich auch mit der theoretischen Durchdringung dieser Problematik zu befassen.
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P r o f . D r . A . DOKDA
Erforschung der BedürinisentwicMung und Aufgaben der Statistik Einer der wichtigsten, bedeutungsvollsten und auch interessantesten Abschnitte des vorgelegten Materials ist der, der sich mit den Bedürfnissen, die sich aus der weiteren Festigung der gesellschaftlichen Stellung der Frau ergeben, beschäftigt. In Ergänzung zu den dort dargelegten Thesen kann auf Grund des in der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik vorhandenen Materials folgendes hinzugefügt werden: Der Zusammenhang zwischen Zahl der Kinder und Beschäftigungsgrad der Frauen ist so, wie es in den Thesen dargelegt wurde. Eine weiterführende Analyse zeigt aber, daß noch viel mehr als die Zahl der Kinder das Alter der Kinder von wesentlicher Bedeutung für den Beschäftigungsgrad der Frauen ist. Beschäftigungsgrad der Frauen in Abhängigkeit v o m Alter der Kinder Zahl der Kinder
Alter der Kinder
Beschäftigungsgrad der F r a u e n 1
1 2 3
unter 3 J a h r e n unter 3 J a h r e n unter 3 J a h r e n
zwischen 61 und 6 8 % zwischen 43 und 4 9 % zwischen 40 und 5 0 %
1 2
zwischen 3 und 6 J a h r e n zwischen 3 und 6 J a h r e n
zwischen 74 und 9 0 % zwischen 69 und 8 3 %
1
zwischen über 6 bis 17 J a h r e n über 6 bis 17 J a h r e n über 6 bis 17 J a h r e n
zwischen 81 und 9 2 % zwischen 78 und 8 7 % zwischen 75 und 8 5 %
2 3 1
Der Beschäftigungsgrad der Frauen schwankt bei gegebener Zahl und Alter der Kinder auch in Abhängigkeit des Alters der Frauen. E s wird hier der Schwankungsbereich angegeben.
113 g
Koiiolek
So ist beispielsweise der Beschäftigungsgrad von Müttern, die Kinder unter 3 Jahren zu betreuen haben, wesentlich niedriger als von Müttern mit älteren Kindern. Insgesamt gesehen ist selbst bei Müttern mit nur einem Kind unter 3 Jahren die Beschäftigungsquote wesentlich geringer als bei Müttern mit 2, 3 oder 4 Kindern, wenn keines von ihnen unter 3 Jahren alt ist. Diese Aussage gilt für Frauen aller Altersgruppen. Als Beweis mögen folgende Zahlenangaben gelten, die die Situation Anfang 1971 charakterisieren. Der Unterschied im Beschäftigungsgrad der Frauen in Abhängigkeit vom Alter ihrer Kinder ist neben einer Reihe anderer Ursachen vor allem durch den relativ geringen Versorgungsgrad mit Kinderkrippen, d. h. mit den Einrichtungen für die Betreuung von Kindern bis zu 3 Jahren bedingt. Das gilt, obwohl in den letzten Jahren der Versorgungsgrad erheblich erhöht werden konnte. Kindereinrichtungen
Kinderkrippenplätze Kindergartenplätze 1
Versorgungsgrad in 1964 1970
1971
1972
15,6 45,7
27,9 64,3
30,4 69,3
25,6 59,7
Vorhandene Plätze in Kindereinrichtungen im Verhältnis zur Zahl der Kinder im entsprechenden Alter.
Zweifellos muß dieser Zusammenhang nicht nur bei der Erschließung weiterer Arbeitskräftereserven beachtet werden, sondern vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Schaffung weiterer Voraussetzungen zur vollen Wahrnehmung der Gleichberechtigung der Frau im gesellschaftlichen und darunter im beruflichen Leben. Einen erheblichen Einfluß auf den Beschäftigungsgrad der Frau haben auch erworbene Bildung, ausgeübte Tätigkeit und die Einkommenshöhe des Haushalts bzw. die Einkommenshöhe des Haushaltsmitglieds. Folgende Beziehungen sind festzustellen: Von jeweils 100 Frauen im Alter von 18 bis 60 Jahren sind berufstätig bei nicht abgeschlossener Berufsausbildung abgeschlossener Berufsausbildung davon bei Hochschulabschluß Fachschulabschluß Meisterabschluß Facharbeiterabschluß
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— 67,9 —• 82,2 — — — —
91,2 89,6 86,5 80,9
Es zeigt sich also eindeutig, daß das Bedürfnis der Frauen nach beruflicher Tätigkeit mit ihrer Qualifizierung zunimmt. Der entscheidende Unterschied in der Beschäftigungsquote besteht dabei zwischen den Frauen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen und denen, die einen Facharbeiterabschluß erworben haben. Die Beschäftigungsquote steigt dann zwar mit zunehmender Qualifizierung noch weiter an, aber bedeutend langsamer. Der Zusammenhang zwischen Haushaltseinkommen bzw. Haushaltseinkommen je Haushaltsmitglied und Beschäftigungsgrad der Frau ist — wie repräsentative Untersuchungen zeigen — dagegen nicht so generell gleichartig. Es zeichnen sich hier folgende Tendenzen ab: Ist das Einkommen des Ehemannes einer der unteren Einkommensgruppen zuzurechnen, so ist in der Regel der Beschäftigungsgrad der Frauen relativ hoch, und er nimmt auch mit wachsender Zahl der Kinder weniger ab als im Durchschnitt. Das deutet darauf hin, daß in einer Reihe von Haushalten der unteren Einkommensgrößengruppen die Frauen mitarbeiten, um vor allem das materielle Lebensniveau auf einen bestimmten Stand zu heben, dabei treten andere Überlegungen dann stärker zurück. In den mittleren Einkommensgrößengruppen ist die Differenzierung hinsichtlich der Mitarbeit der Frau wesentlich größer. Insbesondere mit zunehmender Zahl der Kinder nimmt hier der Beschäftigungsgrad relativ stärker ab als in den unteren Einkommensgrößenklassen. In den oberen Einkommensgrößengruppen tritt dann wiederum eine umgekehrte Tendenz auf, d. h. eine stärkere Mitarbeit der Frau ist auch bei Haushalten mit 2 und 3 Kindern zu verzeichnen. Dabei ist hier der Zusammenhang zu beachten, daß in diesen Haushalten der Anteil der Frauen mit abgeschlossener Berufsausbildung, deren Beschäftigungsquote generell höher ist, auch größer ist als in den anderen Einkommensgrößengruppen. Wenn das Leben im einzelnen auch sehr differenziert und mannigfaltig ist, darf doch aus diesen Verhältnissen der Schluß abgeleitet werden, daß die Mitarbeit der Frau in der DDR im vorherrschenden Maße nicht primär vom Nettoeinkommen des Mannes insgesamt oder pro Haushaltsmitglied abhängt, wenn ein bestimmtes Einkommensniveau erreicht ist, sondern im entscheidenden Maße vom erworbenen Qualifikationsniveau der Frau bei sonst gleichen Verhältnissen. Dabei spielen offenbar die verschiedenen Faktoren eine Rolle, sicher auch eine unterschiedliche Rolle in den einzelnen Haushalten. Sie reichen von der Freude an einer anspruchsvollen schöpferischen Arbeit, vom Erfülltsein an einer im Kollektiv zu leistenden nützlichen Arbeit, für die lange gelernt und Erfahrung gesammelt wurde, bis zu der Tatsache, daß eine Mitarbeit der Frau — eine bestimmte Einkommenshöhe des Mannes voraus115 8*
gesetzt — erst ab einem bestimmten Monatseinkommen der Frau auch finanziell interessant wird. Insgesamt ergibt sich also, daß viele Faktoren in ihrer Kombination für das Bedürfnis der Mitarbeit der Frau von wesentlicher Bedeutung sind. Obwohl bei der Einschätzung der gegenwärtigen Tendenzen beachtet werden muß, daß noch nicht alle Frauen hinsichtlich ihrer Mitarbeit ihren Wünschen folgen können, z. B. weil nicht im erforderlichen Maße Betreuungseinrichtungen für die Kinder zur Verfügung stehen, charakterisieren doch die aufgezeigten Zusammenhänge die Bedürfnisentwicklung und eines Teiles ihrer wesentlichen Faktoren auf dem Gebiet der Berufstätigkeit der Frauen. Aber auch unter regionalem Gesichtspunkt ist noch eine Bemerkung zum Problem möglich. Der Beschäftigungsgrad der Frauen hat sich in den letzten Jahren erheblich erhöht und ist heute einer der höchsten in der Welt. Beschäftigungsgrad der Frauen
einschließlich Lernende ohne Lernende
1964
1971
74,0 67,3
83,6 73,5
Diese Zahlen demonstrieren, daß auch bei den Frauen das gesellschaftliche Arbeitsvermögen in sehr hohem Maße bereits genutzt wird, und daß insgesamt gesehen, keine wesentliche Erhöhung zu erwarten ist. Aber es gibt in der D D R 45 Kreise, die einen mit Abstand geringeren Beschäftigungsgrad der Frauen besitzen als die anderen Kreise. Diese 45 Kreise bilden 3 zusammenhängende Gebiete, und zwar a) Kreise aus dem Bezirk Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Landkreis Gransee b) Kreise des Bezirkes Magdeburg, Halle, E r f u r t und c) 4 Kreise, die an die Hauptstadt Berlin grenzen Ein wesentlicher Grund für den geringeren Frauenbeschäftigungsgrad ist in diesem Territorium das unzureichende Angebot geeigneter Arbeitsplätze in Wohnnähe bzw. mit günstiger Verkehrsbedingung. Hier liegen bestimmte, wenn auch keine volkswirtschaftlich allzubedeutenden Arbeitskräftereserven. Gemessen am durchschnittlichen Beschäftigungsgrad der betreffenden Bezirke handelt es sich um 25000—26000 Frauen, die, gemessen an der durchschnittlichen Beschäftigungsquote, noch für eine Berufstätigkeit gewonnen werden könnten. Es ist natürlich hierbei zu betrachten, daß sich diese Zahl auf
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45 Kreise verteilt. Ferner muß betrachtet werden — insbesondere in den Kreisen des Bezirkes Rostock — daß eine größere Anzahl der nicht berufstätigen Frauen zeitweise während der Sommermonate in der Urlaubsbetreuung beschäftigt sind, also daß saisonal bedingt der Beschäftigungsgrad der Frauen in einigen Monaten in diesen Gebieten höher ist. Bei dieser Betrachtung geht es aber gar nicht nur um die Frage, wo eventuell zusätzliche Arbeitskräftereserven erschlossen werden können, sondern zugleich um die Frage, wie überall, d. h. auch in allen Territorien, das Bedürfnis der Frauen zur Mitarbeit, zur Ausübung ihres Berufes befriedigt werden kann. Dieser Gesichtspunkt darf auch dann nicht vergessen werden, wenn insgesamt gesehen in der Republik auch ein großer Arbeitskräftebedarf besteht. Zur Teilzeitbeschäftigung der Frauen ist in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung angebracht. Es ist ein wesentliches Ergebnis des Jahres 1972, daß — offensichtlich in Auswirkung der sozialpolitischen Maßnahmen, die im Laufe des Jahres wirksam wurden und der zielgerichteten Arbeit in einer Reihe von Bereichen — nicht nur der seit vielen Jahren zu verzeichnende Rückgang der Zahl der vollbeschäftigten Frauen aufgehalten werden konnte, sondern sogar ein Anstieg der vollbeschäftigten Frauen um etwa 100000 Personen erreicht wurde. Die Zahl der teilbeschäftigten Frauen hat sich um rd. 6000 erhöht. Dabei ist die Entwicklung in den Bereichen sehr unterschiedlich. Selbstverständlich ist es auch weiterhin nützlich und anzustreben, daß Frauen, die bisher nicht berufstätig sind, wenn eine Vollbeschäftigung für sie nicht möglich erscheint, eine Teilbeschäftigung aufnehmen. Andererseits darf man in keinem Betrieb und in keinem Bereich glauben, daß allein auf Grund der getroffenen Maßnahmen im wünschenswerten Umfange ein Übergang von der Teil- zur Vollbeschäftigung erfolgt, ohne daß mit den Frauen diese Fragen besprochen werden; viele echte persönliche Probleme müssen mit Hilfe des Betriebes geklärt werden. Anhand dieses Beispieles geht es vor allem darum, daß die Durchführung genereller gesellschaftlicher Maßnahmen nicht ersetzen kann, sondern nur die bessere Basis dafür schafft, daß individuelle Gespräche geführt und konkrete Regelungen in vielen tausenden von Einzelfällen folgen mit dem Ziel, die individuellen Interessen in voller Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Interesse zu bringen. Im schriftlichen Material sucht man vergeblich eine These, einen Grundgedanken, der erfreulicherweise im Referat von Dr. Montag einen Niederschlag fand. Ich meine den Gedanken, daß es besonders bei der mittel- und langfristigen Planung auch um die bewußte und gezielte Beeinflussung der Bedürfnisse selbst geht. Dieser Gedanke ist doch sehr bedeutsam. Aus dem schriftlichen Material, aus vielen seiner Abschnitte kann man den Eindruck 117
gewinnen, daß es vor allem nur darauf ankäme, die Bedürfnisentwicklung, die sich eben objektiv vollzieht, zu erforschen, sie gewissermaßen abzunehmen, in die Zukunft zu projizieren und danach eben dann die Planung und die Bereitstellung von materiellen Gütern und Leistungen usw. auszurichten. Selbstverständlich ist das nötig und unerläßlich, derartiges m u ß getan werden. Der Stand unserer Arbeiten auf dem Gebiete der Ermittlung, der Erforschung von Bedürfnissen und Bedarf ist unbefriedigend. Es sei aber trotzdem zu dieser Teilfrage ergänzt, daß, obwohl noch Lücken — sogar wesentliche Lücken — in dem System der Bedarfsforschung und der Bedürfnisforschung existieren, auf der anderen Seite vielfältige Materialien vorhanden sind, statistisch erfaßt und aufbereitet wurden, aber nicht oder nur von einem sehr kleinen Kreis beachtet und ausgewertet werden. Es geht hier um solche durchaus interessanten und auch aussagekräftigen Materialien, wie die monatliche Erfassung der Einnahmen und Ausgaben nach einer detaillierten Struktur in mehreren Tausend Arbeiter- und Angestellten- und auch Genossenschaftsbauernhaushalten, aber auch um die Ergebnisse der bereits jetzt vorliegenden 3. Einkommensstichprobe, die in 30000 Arbeiter- und Angestelltenhaushalten durchgeführt wurde, wobei auch Aufschlüsse über den Zusammenhang von Bestand an langlebigen Konsumgütern und Einkommenshöhe u. dgl. sichtbar werden. Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik erwartet auch auf diesem Gebiet konkrete reale Vorschläge zur Vervollkommnung des Systems dieser repräsentativen Untersuchungen. So ist z. B. durchaus die Frage angebracht, ob es lohnenswert und vertretbar ist, die Einkommens- und Verbrauchsentwicklung von einigen Hundert jungen Ehen festzustellen, d. h. zu verfolgen, wie sich Familie und Haushalt herausbilden und entwickeln. Sicher ist es nicht möglich, alle derartigen Wünsche zu befriedigen, wir benötigen aber in dieser Hinsicht mehr Anregungen, mehr begründete Forderungen, um zumindest die wesentlichsten Fragen, die vor Leitung und Planung stehen, beantworten zu können. Das Hauptproblem besteht aber darin, daß die Bedürfnisentwicklung auch im Interesse der Gesellschaft und jedes ihrer einzelnen Mitglieder beeinflußt wird und beeinflußt werden muß. Es handelt sich also um zwei verschiedene Probleme: Ob gewollt oder nicht, Bedürfnisse werden laufend direkt und indirekt durch vielfältige einzelne gesellschaftliche Maßnahmen und Bedingungen, insbesondere aber auch ihren Komplex gestaltet und entwickelt, unabhängig davon, ob das das Ziel ihrer Maßnahmen auch war. Das gilt für die Werke der Kunst, der Literatur, des Film- und Fernsehschaffens, die Größe und die Vergabe der Wohnungen einschließlich der Wartezeiten, Umfang und Verteilung der Freizeit, darunter besonders auch des Urlaubs, Arbeits- und Schicht118
regime, Übergang zur Allgemeinbildenden 10-klassigen Polytechnischen Oberschulbildung und systematischen Erhöhung des Bildungsgrades, Teilnahme am politischen Leben, Organisation der Verkehrsverbindungen usw. und so fort; nicht zuletzt aber auch die Höhe und die Struktur des Angebotes und des tatsächlichen Verbrauchs an materiellen Gütern und Leistungen. Es ist deshalb notwendig, bei allen wesentlichen Maßnahmen, bei allen Veränderungen zu überlegen, welcher Einfluß davon auf die Bedürfnis- und Bedarfsentwicklung ausgeht. Diese Auswirkungen sollten in jedem Falle rechtzeitig vorher erforscht bzw. eingeschätzt werden, um mit als Entscheidungsgrundlage zu dienen. Dabei gilt es insbesondere, auch die Auswirkungen aller wesentlichen gesellschaftlichen Maßnahmen auf das demographische Verhalten der Bevölkerung einzuschließen, ebenso auch auf anderen gesellschaftlichen Gebieten. Es wäre angebracht, dafür zu sorgen, daß rechtzeitig bei allen wesentlichen gesellschaftlichen Maßnahmen, die eine Veränderung des gegebenen Zustandes herbeiführen, von den betreffenden Organen und wissenschaftlichen Institutionen auch gutachtlich die Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Bereiche, insbesondere darunter auf das demographische Verhalten der Bevölkerung vorgelegt werden. Zu diesem Zweck muß sowohl generell die Zusammenhangsforschung auf gesellschaftlichem und besonders ökonomischem Gebiet weiterentwickelt werden als auch insbesondere die demographischen Überlegungen zu einem integrierten Bestandteil der Arbeit aller Staats- und Wirtschaftsorgane und ihrer wissenschaftlichen Institute werden. Eine zentrale Frage besteht aber darin, nicht nur gewissermaßen vorgesehene Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Gebiete und darunter auch besonders auf die Bedürfnisentwicklung zu testen, sondern auch die Maßnahmen zu konzipieren und zu begründen, die eine im gesellschaftlichen Interesse liegende und in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Möglichkeiten befindliche Bedürfnisentwicklung stimulieren. Das heißt, zu erforschen, welche gesellschaftlichen Bedingungen und Voraussetzungen materieller und ideologischer Art zu schaffen sind, um die gewünschte Entwicklung der Bedürfnisse und auch des Bedarfs zu erreichen. Dabei geht es nicht nur um den allgemeinen qualitativen Zusammenhang, sondern darum, den Zusammenhang, die Gesetzmäßigkeiten der Beziehungen und Wechselverhältnisse quantifiziert so genau wie möglich darzustellen, weil nur so exakte Grundlagen für die Planung bereitgestellt werden können. Es erscheint hier als unumgänglich, daß man sich für derartige Untersuchungen der Regressionsrechnung, der Elastizitätsmodelle und anderer bewährter Methoden bedient. Allerdings müssen die Methoden in ihrer Konkretheit so entwickelt werden, daß auch die benötigten Angaben mit 119
einem vertretbaren gesellschaftlichen Aufwand zu ermitteln sind. Es dürfen also keine idealen Modelle entwickelt werden, die theoretisch vielleicht überzeugen, aber praktisch nicht zu realisieren sind. Wir haben auf diesem Gebiet viel Material. Es dürfte ohne weiteres möglich sein, nicht nur partielle, sondern umfassende Einkommens- und Verbrauchselastizitäten zu ermitteln und Hochrechnungen für die Gesamtbevölkerung vorzunehmen. Die aufgeworfene Frage erfordert aber auch Untersuchungen jenseits des traditionellen Terrains. So erscheint es zumindest für künftige Arbeiten als unerläßlich, bestimmte Personen und Haushalte über lange Jahre hinweg zu beobachten, um ihre Reaktionen auf bestimmte gesellschaftliche Maßnahmen sichtbar zu machen und zu verallgemeinern. Aber man muß sich sicherlich auch solchen Fragen zuwenden, wie es am zweckmäßigsten erreicht werden kann, daß sich die große Mehrzahl der Menschen im Interesse der Gesunderhaltung körperlich betätigt, die im beruflichen Leben sich zu wenig bewegen. Es geht hier einerseits um die ideologischen und organisatorischen Maßnahmen, aber auch um die Entwicklung notwendiger materieller Voraussetzungen, und zwar in der zweckentsprechendsten Form. Selbstverständlich unter Beachtung des gesellschaftlichen Aufwandes. Bei den vorstehenden Darlegungen ging es nicht um die Begründung der einen oder anderen Einzelmaßnahme oder um die Darlegung eines speziellen Zusammenhangs, sondern es sollte demonstriert werden, daß es bei der Bedürfnisentwicklung nicht nur um ihr Erkennen und Beachten schlechthin geht, sondern auch um ihr Erkennen, um sie bewußt im gesellschaftlichen Interesse und jedes einzelnen Bürgers durch Schaffung entsprechender gesellschaftlicher Bedingungen zu beeinflussen und zu gestalten.
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Prof. Dr. A . KECK
Verteilungsprinzipien und das Bedürfnis nach Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden Die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens werden im Sozialismus nahezu ausschließlich ohne Vermittlung des Geldes, also weitgehend unmittelbar befriedigt. Die Leistungen des Gesundheitswesens für den Patienten haben keinen Warencharakter. Der Patient tritt dem dienstleistenden Bereich Gesundheitswesen als unmittelbarer Träger von Bedürfnissen, nicht als Käufer gegenüber. Die Kategorie Bedarf existiert für den einzelnen Bürger nicht, sondern nur für die Institution Gesundheitswesen als gesellschaftlich determinierte Kategorie. Wir müssen es als einen großen Vorzug des Sozialismus ansehen, daß die unmittelbaren finanziellen Bindungen zwischen Patient und Arzt aufgehoben wurden und gerade auf diesem für das Leben der Menschen und die sozialistische Persönlichkeitsbildung außerordentlich bedeutsamen Gebiet mit dem Übergang zum kommunistischen Verteilungsprinzip begonnen wird. Es besteht im Sozialismus auch keine Notwendigkeit mehr, den Verbrauch medizinischer Leistungen von der durch den einzelnen aufgewendeten Arbeitsleistung abhängig zu machen. Es gehört im Gegenteil zum Vorzug des Sozialismus, das Verteilungsprinzip, welches die Übereinstimmung zwischen dem Arbeitsmaß und dem Verbrauchsmaß herstellt, bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen nicht wirksam werden zu lassen. Auch in bezug auf die Entlohnung des medizinischen Personals — auch hier ist der Lohn die Hauptform der materiellen Interessiertheit — wirkt die Verteilung nach Arbeitsleistung u. E. eingeschränkt. Das hängt nicht nur damit zusammen, daß die „Arbeitsleistung des Arztes" kaum — außer dem Zeitaufwand — meßbar ist, sondern vor allem mit dem besonders hohen humanistischen, ethisch-moralischen Anteil des medizinischen Personals bei der gesundheitlichen Betreuung. In diesem Zusammenhang darf man Lenin zitieren, ohne daß wir damit sagen wollen, daß die Arbeit im Gesundheitswesen bereits kommunistische Arbeit sei: „Kommunistische Arbeit im engeren und genauen Sinne des Wortes ist unbezahlte Arbeit zum Nutzen der Gesellschaft, die man leistet, nicht um eine
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bestimmte Dienstpflicht zu erfüllen, nicht um Anspruch auf bestimmte Produkte zu erhalten, Arbeit, die nicht nach vorher festgelegten, gesetzlichen Normen geleistet wird, sondern freiwillige Arbeit, Arbeit ohne Norm, Arbeit die geleistet wird, ohne auf Entlohnung zu rechnen, ohne die Bedingung der Entlohnung, aus der Gewohnheit, für das Gemeinwohl zu arbeiten und aus der (zur Gewohnheit gewordenen) Erkenntnis von der Notwendigkeit der Arbeit f ü r das Gemeinwohl, Arbeit als Bedürfnis eines gesunden Organismus" 1 (Hervorhebungen d. A.). Erwarten die Patienten des sozialistischen Gesundheitswesens nicht bereits in hohem Maße diesen Charakter der Arbeit im Gesundheitswesen? Zum Vorzug der Verteilung im Sozialismus gehört auch die gegenüber dem Kapitalismus höhere gesellschaftliche Disponibilität in der Verwendung der für das Gesundheitswesen bereitgestellten Fonds. Gerade das kann eine langfristig vorausschauende, planmäßige und proportionale Entwicklung medizinischer Forschung und gesundheitlicher Betreuung gewährleisten. Das bedeutet auch, daß die Bedarfsdeckung im Gesundheitswesen Aufgabe des Gesamtstaates und seiner jeweiligen Organe ist, was die konsequente Durchsetzung des demokratischen Zentralismus, die richtige volkswirtschaftliche Einordnung des Gesundheitswesens (wachsender Anteil der Ausgaben am verwendeten Nationaleinkommen, Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kosten pro Krankenhausversorgung selbst bei verkürzter Verweildauer und höherem Auslastungsgrad der Bettenkapazität langfristig gesehen pro J a h r um ca. 6 bis 7 Prozent ansteigen u. ä. Faktoren) erfordert. Der Arzt als Leiter von Kollektiven in den Gesundheitseinrichtungen ist hiermit als von der Gesellschaft eingesetzter Verwalter und Disponent von Eigentum anzusehen. Nur er entscheidet letztlich darüber, wann und wie — quantitativ und qualitativ — Bedürfnisse nach Leistungen für den einzelnen Konsumenten zum Bedarf werden. Es zeugt vom humanistischen Ziel des Sozialismus, daß der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht und in der Präferenzskala das Bedürfnis nach Gesundheit einen vorderen Platz einnimmt. Die unmittelbare Befriedigung des Bedürfnisses nach Gesundheit ohne unmittelbare finanzielle Bindung zwischen Arzt und Patient schafft soziale Sicherheit, Vertrauen, Zuversicht und anderes sozialistisches Normverhalten der Bürger. Es gibt zwar einen gleichen Maßstab der Verteilung — nämlich den gleichen Anspruch jedes Bürgers im Maße seiner Bedürftigkeit —, es gibt aber auch im Gesundheits- und Sozialwesen noch keine volle Befriedigung der Bedürfnisse und der 1
W. I. LENIN, Von der Zerstörung einer Ordnung zur Schaffung einer neuen, in: Werke, Berlin 1961, Bd. 30, S. 510.
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Grad der Bedürfnisbefriedigung bei der Bevölkerung ist trotz Gleichheit des Rechts der Inanspruchnahme von Leistungen noch recht unterschiedlich. Ungleichheit im Verbrauch ist also nicht nur mit der Aufhebung von Ware— Geld-Beziehungen zu beseitigen. Die Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens ist ein Grundrecht jedes Bürgers, was unseren Bürgern mit sozialistischer Gesundheitserziehung sehr bewußt ist. Das prägt auch die Einstellung der Bürger zur Leistungsentwicklung — quantitativ und qualitativ — des Gesundheitswesens, in dem sie von vornherein von der sozialistischen Gesellschaft als Ganzem einen hohen, möglichst dauerhaft stabilen und ständig wachsenden Grad (vor allem in qualitativer Hinsicht) der Bedürfnisbefriedigung erwarten. Das erfolgt in einer Weise, wie es unter kapitalistischen Bedingungen, wo ein größerer Teil der Leistungen des Gesundheitswesens durch den Patienten direkt zu bezahlen ist, nicht denkbar ist. Das Gesetz des ständigen Wachstums der Bedürfnisse gilt also im Sozialismus im besonderen Maße auch für das Bedürfnis nach Gesundheit und deren Realisierung durch Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Das ergibt sich u. a. aus folgendem: a) Dem Sinn des Sozialismus und seiner Zielsetzung entsprechend steht das Bedürfnis nach Gesundheit sofort und unmittelbar mit der politischen Machtergreifung durch die Arbeiterklasse in vorderer Reihenfolge. b) Mit wachsender Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung infolge steigender gesellschaftlicher Arbeitsproduktivität, höherem Nationaleinkommen usw. wächst das Bedürfnis nach Gesundheit objektiv. Die subjektive Wertigkeit der Gesundheit, Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens durch die Bürger nimmt immer mehr an Bedeutung zu und das Gesundheitsbedürfnis erfährt durch die Gesellschaft eine zunehmend anerkannte Bewertung. Diese Subjekt-Objekt-Dialektik bestimmt den möglichen und notwendigen gesellschaftlichen Fondsvorschuß für den Bedürfniskomplex Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. c) Die Erwartung an immer bessere Befriedigung des Bedürfnisses nach Gesundheit gehört zweifelsohne immer mehr zum sozialistischen Persönlichkeitsbild, denn ein Verlust der Gesundheit — wenn auch nur zeitweilig — ist stets ein tiefer Einschnitt in die Persönlichkeitsentwicklung. d) Die Anforderungen der Bürger nach gesundheitlichen Leistungen orientieren sich primär immer mehr am durch die medizinische Wissenschaft Möglichen — Maßstab ist der internationale Erkenntnisfonds — und erst sekundär am durch den volkswirtschaftlichen Fonds Begrenzten. Bei un123
genügender Beherrschung dieser Tatsache kann eine Schere zwischen Bedürfnisentwicklung und deren Befriedigung entstehen. Bedürfnisentwicklung und Wachstum der Befriedigung dürfen nicht auseinander klaffen. Gibt es Widerspruch in dieser Hinsicht, so geht das zu Lasten der Qualität, was sich auch in vermindertem Zeitaufwand mit den einzelnen Patienten bzw. pro Konsultation ausdrücken kann, weil auch das Arbeitsvermögen des medizinischen Personals begrenzt ist. Qualitätsabminderungen als eine mögliche Folge des Widerspruchs zwischen Bedürfnis und den Möglichkeiten der Befriedigung ist durch den einzelnen Patienten indessen nicht direkt und in jeder Weise einschätzbar. Dazu bedarf es Kriterien sozialer Effektivität. e) Der Gesundheitsschutz wird immer mehr zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe und das um so mehr, wenn Experten einschätzen, daß bei Beibehaltung des jetzigen Trends in ca. 50 Jahren die kritische Grenze des biologischen Gleichgewichts für das menschliche Leben erreicht wäre. Deshalb müssen Steuerungsmaßnahmen zur Verhinderung irreparabler Störungen in der Wechselwirkung von menschlicher Gesellschaft und Umwelt eingeführt werden. Die Art und Weise, wie das Bedürfnis nach Gesundheit im Sozialismus, der ersten Phase beim Aufbau der kommunistischen Gesellschaft, befriedigt wird, ist natürlich — wie bereits angedeutet — nicht ohne Entwicklungswidersprüche. Das Verhalten zu den Möglichkeiten der vollen oder teilweisen unentgeltlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Gesellschaft fordert unabdingbar ein hohes sozialistisches Bewußtsein. Indessen müssen moralische und materielle Interessiertheit wohl abgewogen miteinander in Übereinstimmung stehen. Sozialistische Erziehung und sozialistisches Bewußtsein beziehen sich sowohl auf Einstellung und Handlung der Ärzte und das andere medizinische Personal, die Eigentum des Staates verwalten und die Fonds mit ihrer Behandlungs-, Verordnungsweise usw. verteilen, als auch auf die Patienten, die letztlich uneingeschränkt das Recht der Inanspruchnahme (uneingeschränkt ohne auf die Person bezogene ökonomische Restriktionen und durch jederzeitige Zugänglichkeit infolge freier Arztwahl) haben. Mögliche Verletzungen bestehen beispielsweise in Gestalt der Herausbildung einer Verteilerideologie seitens der Mitarbeiter des Gesundheitswesens, im Mißbrauch der freien Arztwahl durch Patienten, der Verschwendung an Arzneimitteln (zur Zeit wächst der Medikamentenverbrauch pro J a h r im Durchschnitt 9—10 Prozent), in der privilegierten Behandlung von Patienten infolge von Privatliquidationen oder persönlicher Beziehungen bis zum ,,Naturalaustausch" gegenüber zu behandelnden Patienten, der ungenügenden 124
Beherrschung des Gesetzes der planmäßigen proportionalen Entwicklung mit Konsequenzen von Disproportionen in der Standortverteilung der Kapazität und Leistungen. Ein gewisser Ausdruck hierfür ist der hohe Krankenstand (1972 mit 5,9 Prozent der höchste im letzten Jahrzehnt). Ein Prozent Krankenstand bedeutet zur Zeit gesellschaftliches Arbeitsvermögen mit einem Nationaleinkommenseffekt von 1.2—1.4 Mrd. Mark. Zusammenfassend muß man hervorheben, daß die Zusammenhänge zwischen Bedürfnissen und Bedarf im Gesundheitswesen in die Wirkungsweise der Verteilungsprinzipien eingeordnet werden müssen.
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Prof. Dr. F . STAUFENBIEL
Lebensniveau und kulturelle Bedürinisentwicklung in der Arbeiterklasse In den Thesen wird a u c h auf das Verhältnis v o n sozialistischem Lebensn i v e a u und wesentlichen Bedürfnissen der B e v ö l k e r u n g eingegangen, u n d z w a r unter dem A s p e k t ihrer F u n k t i o n als A u s g a n g s g r ö ß e der v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n P l a n u n g . Zweifellos ist es so, d a ß a u f g r u n d der W e c h s e l w i r k u n g zwischen Lebensweise und L e b e n s b e d i n g u n g e n in unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung die Bedürfnisse der verschiedenen sozialökonomischen G r u p p e n der B e v ö l k e r u n g herausgebildet werden. Kultursoziologische U n t e r s u c h u n g e n , die wir seit einigen J a h r e n zur E n t w i c k l u n g des K u l t u r n i v e a u s v o n Industriearbeitern u n d zu E i n f l u ß f a k t o r e n auf die E n t w i c k l u n g kultureller Bedürfnisse in der Arbeiterklasse d u r c h f ü h r e n , lassen die zusammenfassende E i n s c h ä t z u n g zu, d a ß i m E n s e m b l e der B e dingungen, Ideen, W ü n s c h e und Einstellungen eine Reihe v o n F a k t o r e n gravierenden E i n f l u ß auf das A n w a c h s e n des kulturellen Moments in d e n materiellen und geistigen Bedürfnissen der W e r k t ä t i g e n ausüben. A u f g r u n d unserer U n t e r s u c h u n g e n k a n n m a n j e t z t auch statistisch nachweisen, inwiefern folgende F a k t o r e n im engeren Sinne E i n f l u ß auf den I n h a l t u n d den C h a r a k t e r der Bedürfnisse der W e r k t ä t i g e n ausüben. Solche F a k t o r e n sind: — die Tätigkeit in der A r b e i t , i m politischen Leben, in der Familie u n d in der Freizeit; — die Lebensbedingungen
i m A r b e i t e n und im W o h n e n ;
— die ideologisch-kulturelle Interessiertheit die Ideale und W e r t o r i e n t i e r u n g e n ; — das konkrete Erlebnis Beziehungen;
a m gesellschaftlichen F o r t s c h r i t t ,
des politisch-moralischen Inhalts der menschlichen
— das Wissen v o n den E n t w i c k l u n g s n o t w e n d i g k e i t e n der sozialistischen Gesellschaft sowie den E n t w i c k l u n g s b e d i n g u n g e n der Persönlichkeit in unserer Gesellschaft.
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Auf diese Faktoren wirkt die ideologische Führung der gesellschaftsgestaltenden Tätigkeit der Werktätigen und die Organisation des sozialistischen Wettbewerbs im Zusammenhang mit der Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens in den Arbeitskollektiven, aber auch in den Städten und Gemeinden besonders stark ein. Daher kommt es, daß — wie es in den Thesen heißt —, die sozialistische Lebensweise die Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse verändert, die kulturellen Momente in den Bedürfnissen eine immer stärkere persönlich bedeutsame Wirkung erlangen. In den sowjetischen Gesellschaftswissenschaften werden Kulturbedürfnisse als solche Bedürfnisse aufgefaßt, die als Triebkraft der schöpferischen Aneignung und Veränderung der Welt durch den Menschen wirken. „Indem der Mensch sich die Welt aneignet, entfaltet er seine schöpferischen Kräfte und Fähigkeiten, ,objektiviert' er sich, sein Wesen in den von ihm geschaffenen kulturellen Werten, die sowohl materieller wie auch geistiger Natur sind. Beide Formen der Existenz der Kultur — die aktiv schöpferische Tätigkeit des Menschen, seine ,Selbstverwirklichung' und die gegenständlichen Resultate dieser Tätigkeit sind untrennbar miteinander verbunden." 1 Weil der Mensch ein bio-soziales Lebewesen ist, dessen Persönlichkeitsentwicklung auch in unserer Gesellschaft durch klassenspezifische materielle und ideologische Bedingungen der Lebensweise bestimmt wird und durch die aktive Beziehung zwischen seiner sozialen Tätigkeit und dem „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (K. Marx) entsteht, haben sich seine Bedürfnisse immer stärker durch den Einfluß seiner Tätigkeit in der historischkonkreten Gesellschaftsordnung gebildet. L. N. Kogan und A. I. Arnoldov weisen in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten darauf hin, daß die kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft nicht nur durch die Einbeziehung der Volksmassen in die schöpferische Umgestaltung der Natur und der Gesellschaft entstehen, sondern wesentlich durch die persönlichkeitsbildende Qualität der vergegenständlichten Werte der materiellen und geistigen Produktion herausgebildet werden. Unsere konkreten kultursoziologischen Untersuchungen lassen erkennen, in welchem Maße Industriearbeiter in ihrer sozialen Psyche ihre Bedürfnisse in Form von Wünschen bzw. Strebungen erleben; in Wünschen nach etwas, dessen man bedarf, das man braucht oder das man zu brauchen meint. 1
L . N. KOGAN, Die Rolle der geistigen Bedürfnisse und Interessen im Leben der sowjetischen Arbeiter, in: Filosofskije nauki, H. 6/1970, S. 52.
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Nun wissen wir, daß diese Wünsche die Tätigkeit steuern, den Menschen anspornen oder ihn in seinen Handlungen hemmen. Die Gegenstände der Bedürfnisse: materielle Güter, geistig-kulturelle Werte, gesellschaftliche Verhältnisse, menschliche Beziehungen, psychische und ästhetische Erlebnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse, weltanschauliche Ideen usw. werden im Gehirn als Vorstellungen, Ideale und Wertorientierungen widergespiegelt. Jüngste Untersuchungen kultursoziologischer Art beweisen, daß das kulturelle Moment in den materiellen und geistigen Bedürfnissen bei vielen Tausend Produktionsarbeitern, Ingenieuren und Leitungskadern wesentlich charakterisiert wird durch das persönliche Streben nach aktiver Teilnahme an der Verbesserung des Lebensniveaus der Werktätigen und die Bereitschaft einschließt, dafür ihr Wissen und Können einzusetzen, ihre Überzeugungen entsprechend der wissenschaftlichen Weltanschauung weiterzuentwickeln und ein bewußtes Verhältnis zu den objektiven Interessen der Arbeiterklasse herauszubilden. Es gibt in unserem Leben reale Gründe dafür, daß dieses Anwachsen des kulturellen Moments in den materiellen und geistigen Bedürfnissen zunimmt und sich dabei die Ansprüche der Werktätigen an die Lebensbedingungen — also an das Niveau des Lebens — immer mehr qualifizieren und profilieren. Solche Gründe sind: a) die Veränderung der Qualifikationsstruktur in der Arbeiterklasse entsprechend den wissenschaftlich-technischen, ökonomischen und physiopsychischen Veränderungen des Arbeitsinhaltes sowie der wachsenden persönlichen Teilnahme an der Regelung sozialer und kultureller Angelegenheiten in Betrieb und Territorium; b) die Umwandlung der funktionell und arbeitsteilig zusammenarbeitenden Gruppe (Brigade, Bereich, Abteilung) in ein sozialistisches Arbeitskollektiv aufgrund der besseren Organisation des funktionellen Zusammenwirkens unterschiedlicher Individuen mit dem Ziel maximaler Effektivität, aber auch immer stärker verbunden mit der gegenseitigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden in dieser zusammenwirkenden Gemeinschaft sowie durch die selbstbewußte Aneignung der sozialistischen Ideologie der Arbeiterklasse in gemeinschaftlichen Aktivitäten, um sich als kleinere Einheit mit den Zielen der Arbeiterklasse und damit der sozialistischen Gesellschaft auf immer höherem Niveau in Übereinstimmung zu bringen; c) die Entwicklung des zukunftsorientierten Klassenbewußtseins, verbunden mit gesellschaftlichem Perspektivdenken und dem Bewußtwerden bestimmter Grenzen der Belastbarkeit unserer natürlichen Umwelt sowie des biologischen Organismus des Menschen. Diese komplexen Prozesse wirken 129 9 Koziolek
innerhalb der sozialistischen Lebensweise auf die vorhin genannten gravierenden Einflußfaktoren hinsichtlich der Bedürfnisbildung im Zusammenhang mit der Intensivierung der Produktions- und Reproduktionsprozesse verstärkt ein. Daher kommt es, daß durch das Anwachsen des kulturellen Moments in den geistigen und materiellen Bedürfnissen der Werktätigen a) die geistigen Bedürfnisse bei sehr vielen Bürgern unserer Gesellschaft schneller wachsen als der materielle Lebensstandard b) die Ansprüche an die Qualität der Gebrauchswerte — in der Nahrung, Kleidung, Wohnung, im Arbeitsmilieu, beim Personentransport, in der gesundheitlichen Betreuung, in den verschiedensten Bildungsprozessen, in der Erholung, im geistig-kulturellen Leben usw. verändert werden, sozialistischen Charakter annehmen. Das Kulturelle in den Bedürfnissen richtet sich besonders auf die für die Persönlichkeit bedeutsame Seite der materiellen Güter und geistigen Werte, die Gegenstand der Bedürfnisse sind. Daher kommt meines Erachtens der Gebrauchswertbestimmung auf allen Gebieten unserer volkswirtschaftlichen Produktion immer größere Bedeutung zu, denn der Gebrauchswert der Resultate materieller und geistiger Produktion wird durch den Effekt der Bedürfnisbefriedigung bestimmt. So hat also die Kultur unserer Gesellschaft etwas mit dem Verhältnis von Bedürfnis und Gebrauchswert zu tun. Über die Profilierung des ideologischen, aber auch des psychischen Inhaltes der Bedürfnisse wirkt die Kultur unserer sozialistischen Lebensweise nicht nur bewußtseinsbildend und verhaltenssteuernd, sondern auch als Anspruch an die Gebrauchswerte der Produktion, aber auch als Anspruch an die Qualität der gesellschaftlichen Verhältnisse, der menschlichen Beziehungen, der wissenschaftlichen Erkennsnisse, der künstlerischen Erlebnisse, und nicht zuletzt an die qualitativen Seiten der technischen und sozialen Infrastruktur in den Städten und ihrem Umland. Die Einrichtungen im Wohnmilieu und in den Erholungsgebieten, die gemeinschaftliche und individuelle kulturelle Betätigungen nicht nur zulassen, sondern erleichtern müssen, sind auch solche Gegenstände, auf die sich die Bedürfnisse der Werktätigen richten. Schwimmhallen mit Sauna und Tischtennisräumen sowie Gymnastikplätzen, verbunden mit einem Terrassencafe oder andern Orten geselliger Begegnung werden in den großen Wohngebieten genauso erforderlich wie Bibliotheken kombiniert mit Kinos, Restaurants, Ausstellungsräumen und Möglichkeiten für das geistig-kulturelle Leben besonders für die Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren. Die Schule, das Ambulatorium, die Verkaufshalle und einige andere Einrichtungen können 130
die gesundheitlich-regenerativen und kulturell-unterhaltenden Momente der Erholung im Wohnmilieu nicht befriedigen. Das aber wird als Bestandteil der Reproduktion des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens zu einer Notwendigkeit der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Das gesellschaftlich Notwendige wird hier für Millionen Werktätige zum persönlichen Bedeutsamen und umgekehrt das für ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre soziale Aktivität Bedeutsame wird zum gesellschaftlich Notwendigen. In dieser Wechselwirkung entsteht das Sozialistische in den kulturellen Bedürfnissen. Die wesentlichen Richtungen, in denen sich die kulturellen Bedürfnisse — oder exakter gesagt, das kulturelle Moment im Bedürfnisensemble — gegenwärtig äußern, sind in folgenden Wünschen bzw. Strebungen zu sehen: 1. in den Bemühungen um Persönlichkeitsentwicklung durch praktische, intellektuelle, sittliche, emotionale und ästhetische Leistungen für die Erhöhung des Lebensniveaus des werktätigen Volkes; 2. in der Bereitschaft und dem Wunsch nach kollektiver Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe, nach Solidarität und gemeinsamen ideologischen Wertungen von Grundprozessen unserer Lebensweise; 3. in dem Bedarf nach weltanschaulichen Erkenntnissen, ethischen Überzeugungen und ästhetischen Idealen sowie künstlerischen Erlebnissen; in dem Streben nach erkennendem und wertendem Kunstgenuß sowie nach Umwandlung der weltanschaulich-ethischen sowie ästhetischen Wertorientierungen in schöpferische Tätigkeit, aber auch in Ansprüche an die Gestaltung der Lebensbedingungen, der Gebrauchswerte sowie der kulturellen Werte unseres Lebens; 4. in den Bemühungen nach Übereinstimmung sowohl menschlicher Tätigkeit und objektiven Gesetzen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens in der praktischen Organisation gesellschaftlicher Prozesse als auch zwischen den gesellschaftlichen Erfordernissen und individuellen Bedürfnissen im objektiven Interesse der Arbeiterklasse, weil diese dadurch zur Triebkraft der sozialen Aktivität der Arbeiter und der anderen Werktätigen werden; 5. in den kollektiven Anstrengungen zur Gestaltung der Umwelt, besonders des Arbeits-, Wohn- und Erholungsmilieus, im weiteren Sinne nach der Übereinstimmung zwischen Produktion, Lebensweise und räumlich-gegenständlicher sowie natürlicher Umwelt in den Territorien. Es ist wohl verständlich, daß diese allgemeinen, wesentlichen Grundrichtungen kultureller Bedürfnisentwicklung, wie sie sich gegenwärtig im Denken und Verhalten von Millionen Idnustriearbeitern herausbilden, immer stärker als Triebkraft gesellschaftspolitischer Tätigkeit, aber auch für die schöpferische 131 9*
Initiative im sozialistischen Wettbewerb — und nicht zuletzt ebenso im Freizeitverhalten — wirksam sind. Die kulturellen Bedürfnisse der Arbeiter wirken in der Produktion, in der Politik und in der Konsumtion. Darum kommt der Gestaltung der Finalprodukte, besonders der Konsumgüter, sowie der Entwicklung der Arbeitskultur, aber eben auch des erforderlichen „Sortiments" im geistig-kulturellen Angebot so wesentliche Bedeutung für die unserer Hauptaufgabe dienende Politik zu.
132
Prof. Dr. H.-D.
HAUSTEIN
Über die Notwendigkeit der langfristigen Bedürfnisforschung Auf der Grundlage des Beschlusses des Politbüros und des Ministerrats zur Entwicklung der langfristigen Planung ist es erforderlich, für die Perioden bis 1980, 1985 und 1990 die Entwicklung der Bedürfnisse, Ressourcen und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts differenziert und realistisch einzuschätzen. Davon ausgehend sind im langfristigen Plan die Entwicklung der ökonomischen und sozialen Hauptkennziffern, die Etappen der Verwirklichung komplexer Aufgaben und die Verteilung der Mittel festzulegen. Eine besondere Bedeutung erlangt in der langfristigen Planung die Analyse und Begründung komplexer Aufgaben, die sich entweder aus der Kombination bestimmter Bedürfnisse (Bedürfniskomplexe) oder Ressourcen (Ressourcenkomplexe) und Querschnittsgebiete ergeben. Ein wichtiger Ausgangspunkt zur Erarbeitung der komplexen Aufgaben ist die langfristige Bedürfnisforschung.1 Aufgabe der allgemeinen Bedürfnisforschung ist die Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse unter sozialistischen Produktionsverhältnissen unter besonderer Beachtung der sozialen Prozesse und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Das Ziel der ökonomischen Bedürfnisforschung besteht in der Ausarbeitung von praktikablen Unterlagen, Normen und Ausgangsdaten für die langfristige Planung, insbesondere von langfristigen Normativen des Verbrauches. 1
Vgl. H.-D. HAUSTEIN : Anwendung von Methoden der prognostischen Bedürfnisforschung in der sozialistischen Industrie, in: Wirtschaftswissenschaft, H. 12/69, S. 1797.
In jüngster Zeit forderte MOÖALOV (Fragen der Wirtschaft 2/73) die Entwicklung einer Bedürfniskunde als wirtschaftswissenschaftliche Disziplin. Wir verwenden dafür den Begriff der Bedürfnisforschung. Bis zu ihrer Etablierung als selbständige Wissenschafts- und Lehrdisziplin sehen wir noch einen längeren Weg konkreter Forschungen.
133
Das ist nur möglich, wenn die gesellschaftlichen Wechselbeziehungen und Proportionen der Bedürfnisse analysiert werden. Das betrifft nicht nur die durch die Ressourcenbeziehung der Bedürfnisse vermittelten, sondern auch die durch den Konsumtionsprozeß selbst bedingten Verhältnisse. Unter unseren Bedingungen darf man das Bedürfnis nicht mehr ausschließlich lokal, man muß es — wie den Aufwand — gesellschaftlich messen. So kann zum Beispiel nicht ohne weiteres gesagt werden, daß zwanzig Prozent mehr Möbel auch ebensoviel zusätzliche Bedürfnisbefriedigung bringen. Das kann erst aus der volkswirtschaftlichen Bedürfnisrechnung und letztlich aus der Optimierung abgeleitet werden. Einfach wäre es, wenn jeder Verbrauchszuwachs einen proportionalen Zuwachs in anderen Bedürfnispositionen verursachen würde. (So steigt mit wachsender Motorisierung der Campingbedarf.) Aber in vielen Fällen gibt es umgekehrt proportionale Beziehungen, von denen kompensierende und nicht immer überschaubare Wirkungen ausgehen. So wirkt etwa die Klimatisierung dämpfend auf den Bekleidungsbedarf. Im Unterschied von der Markt- und Bedarfsforschung, die die vorhandenen Kaufkraftverhältnisse, Warenfonds und wertmäßig wie gebrauchswertmäßig bestimmten Angebots- und Nachfrageproportionen sowie ihre vorwiegend kurz- und mittelfristigen Entwicklungstendenzen untersucht, hat die langfristige Bedürfnisforschung zuerst die Aufgabe, die sozialen und wissenschaftlich-technischen Hauptrichtungen des Wachstums der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung zu analysieren. Sie soll analytisch-prognostische Informationen liefern, die man den aus der Bedarfsforschung abgeleiteten Kenngrößen der künftigen Verbrauchsstruktur gegenüberstellen kann, um zu verläßlichen Plangrößen des Bedarfs für den Fünfjahrplan zu kommen. Den theoretischen Ausgangspunkt hierfür hat K. Marx geliefert, wenn er die Begriffe „absolutes Bedürfnis", „wirkliches gesellschaftliches Bedürfnis", „gesellschaftliches Bedürfnis" als aktuell notwendiges Warenquantum und „Nachfrage" unterschied. In diesem Sinne kommen wir zu folgender Übersicht wichtiger Planungskategorien: (vgl. Abbildung 1) Abb. 1 Übersicht wichtiger Planungskategorien Theoretischer Begriff Absolutes Bedürfnis
134
Planungskategorie
Grenznormativ des Verbrauchs
Symboi
Inhalt
Erläuterung
BÄ
Quantitativ und qualitativ bestimmtes Niveau der Konsumtion (Volumen des
Wird in der politischen Ökonomie auch als volles Bedürfnis bezeichnet.
Fortsetzung von S. 134 Theoretischer Begriff
Planungskategorie
Wirkliches Bedürf-
Langfristiges Bedürfnisnormativ
Gesellschaftlich notwendiger Bedarf
Plangröße des Bedarfs
Symboi
B«
Inhalt
Erläuterung
Verbrauchs im Naturalausdruck), das unabhängig von den derzeitigen Kaufkraftverhältnissen und sonstigen zeitweiligen ökonomischen Bestriktionen ist und in künftigen Perioden entsprechend dem möglichen Wachstum der volkswirtschaftlichen Ressourcen erreicht werden kann.
(Vgl. MEW 26/2, S. 503) In der SU theoretischer Ausgangspunkt für die Berechnung langfristiger Normative des Verbrauchs in der Planung. Diese Normative sind Ausdruck der rationellen „Bedürfnisse gesellschaftlich entwickelter Menschen". (Kapital Bd. III, S.287)
Die im Zeitraum der langfristigen Planung erreichbare Größe des Verbrauchs, die sich in Abhängigkeit vom erreichten Stand, den verfügbaren Ressourcen und der Dringlichkeit des betreffenden Bedürfnisses mehr oder weniger dem Grenznormativ des Verbrauchs nähert.
Entspricht dem „wirklichen gesellschaftlichen Bedürfnis" nach Marx, d. h. dem „Warenquantum, das verlangt wurde mit anderen Geldpreisen der Ware oder anderen Geld- resp. Lebensverhältnissen der Käufer". (Kapital Bd. III, S. 215)
Der im Planzeitraum als Zielgröße geltende Betrag der Konsumtion, der sich aus der Analyse der bisherigen Entwicklung der intensiven und extensiven Verbrauchsfaktoren, der geplanten
Zum Bedarf gehören auch Konsumtionsbeträge, die nicht über den Austausch, aber dennoch auf gesellschaftlicher Stufenleiter realisiert werden (z. B. unbezahlte gesellschaftliche Kon135
Fortsetzung von S. 135 Theoretischer Begriff
Planungskategorie
Symboi
Inhalt
Erläuterung
Einkommensentwicklung u n d der in diesem Bereich objektiv vorhandenen Elastizität des Verbrauchs ergibt.
sumtion). Nach Marx regelt das gesellschaftliche Bedürfnis, d. h. der Bedarf „das Prinzip der Nachfrage". (Kapital Bd. I I I , S. 207)
Nachfrage kaufkräftige
B*
Das Kaufkraftvolumen das auf dem Markt bzw. in der Zirkulationssphäre in Erscheinung tritt, mehr oder weniger vom gesellschaftlich notwendigen Bedarf abweichen kann.
„Das auf dem Markt repräsentierte Bedürfnis f ü r W a r e n " (Kapital Bd. I I I , S. 215). „Die konkrete Nachfrage ist in ihrer quantitativen Bestimmtheit durchaus elastisch und schwankend". (Kapital Bd. I I I , S. 214) Die Nachfrage ist im Unterschied zum Bedarf eine Kategorie ausschließlich der Zirkulationssphäre.
Nachfrage allgemein
BT
Summe der Kaufabsichten einer bestimmten Gruppe von Konsumenten hinsichtlich einer bestimmten Ware oder Warengruppe, die von der realen K a u f k r a f t und (oder) von den realen Möglichkeiten der Warendeckung erheblich abweichen kann.
Spielt eine Rolle bei Konsumentenbefragungen, Warentests, in Wartelisten bei begrenztem Angebot (z. B. Wohnungssuchende).
136
Aus der Sicht dieser Stufen unterscheiden wir folgende Arbeitsetappen der Bedürfnisforschung: — Qualitative und quantitative Analyse von Bedürfniskomplexen. — Ableitung langfristiger Grenznormative des Verbrauchs im Naturalausdruck (z. B. Faserverbrauch je Einwohner) und bezogen auf Wertgrößen (z. B. Anteil der Bekleidung am Haushaltsbudget). — Berechnung rationeller Verbrauchsbudgets der Arbeiter, Angestellten und Genossenschaftsbauern sowie der verschiedenen Haushaltsgrößen. — Vergleich der rationellen Verbrauchsbudgets mit den Entwicklungstendenzen der Einkommen, der Warenfonds und der Preise. — Ableitung langfristiger Verbrauchsnormative, die der Planung zugrunde gelegt werden. Da es erforderlich ist, in der langfristigen Planung zu Festlegungen über Einkommens-, Preis- und Verbrauchsentwicklung zu kommen, die volkswirtschaftlich begründet sind, müssen die entsprechenden wertmäßigen Meßgrößen gebrauchswertmäßig abgesichert sein. Die langfristige Bedürfnisforschung kann andererseits nicht nur mit Naturalgrößen arbeiten, sie m u ß erstens Wertgrößen oft als Surrogate für Mengen oder Gebrauchswerteinheiten verwenden (so gibt es keine Naturalgröße für die Aggregation von Möbeln) und zweitens Wertgrößen schrittweise (iterativ) abgleichen mit Gebrauchswertgrößen bzw. Bedürfniseinheiten. Dieser schrittweise Prozeß kann anhand folgender Fragen veranschaulicht werden: — Welches Niveau der rationellen Bedürfnisbefriedigung in Naturaleinheiten ist anzustreben, ausgehend von wissenschaftlichen Analysen? — Welches Niveau der Bedürfnisbefriedigung in Wertgrößen ist möglich, ausgehend von der Entwicklung der Einkommen und der Verbrauchsstruktur? — Wie kann die rationelle Bedürfnisbefriedigung in Werteinheiten umgerechnet werden? — Wie muß die Differenz der berechneten rationellen und möglichen Bedürfnisbefriedigung bewertet werden? — Welche Schlußfolgerungen ergeben sich für die Preisfestlegung? usw. Es genügt eben in der Praxis nicht, pausenlos vom „Gesetz des Anwachsens der Bedürfnisse" zu sprechen und damit lediglich die triviale Feststellung zu treffen, daß die Bedürfnisse morgen größer sind als heute. Das — und noch 137
einiges mehr — war schon der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie bekannt. 1 Einen weitaus konkreten Anhaltspunkt hat zu diesem Thema Karl Marx gegeben, wenn er die Befriedigung vorhandener Bedürfnisse, ihre proportionale Erweiterung und die progressive Schaffung neuer Bedürfnisse als „drei Seiten der sozialen Tätigkeit" hervorhob. 2 Wir brauchen für die Planung eine viel konkretere Analyse der Bedürfnisentwicklung. In dieser analytischen Arbeit kommt man nicht ohne Meßgrößen für das Bedürfnis bzw. die Bedürfnisbefriedigung aus. Dabei unterscheiden wir Bedürfniseinheiten, Gebrauchswerteinheiten, Erzeugniseinheiten und Verbrauchereinheiten als die grundlegenden Dimensionen der ökonomischen Bedürfnisforschung und der Bedarfsforschung. 3 Die Bedürfniseinheit BE ist zum Beispiel eine definierte Meßgröße für verschiedene Gebrauchswerte, mit der es möglich ist, auch prinzipiell unterschiedliche technische Generationen hinsichtlich des Grades der Bedürfnisbefriedigung vergleichbar zu machen. Es ist völlig richtig, wenn in der Diskussion von Prof. H. Maier gefordert wurde, Bedürfnisalternativen zu schaffen und sich nicht pragmatisch treiben zu lassen. Die richtige Bedürfniskonzeption ist ein sehr ernstes Politikum, wenn dies auch nicht jedem sofort klar ist. Nur glaube ich nicht an eine perfektionistische Bedürfnisplanung. Die Bedürfnisentwicklung ist ein sehr komplizierter Massenprozeß (in einem ganz bestimmten Sinne ein „Naturprozeß" 4 ), hinter dem die Ideen und Taten von Millionen Produzenten (und Konsumenten!) stehen, die Klugheit und der Erfindungsreichtum einer großen Zahl von Menschen. Dazu gehören auch die Arbeiter, Techniker und Wissenschaftler in kapitalistischen Ländern, die oft genug mit neuen rationalen Bedürfnisimpulsen unter den dort herrschenden Bedingungen zwangsläufig zugleich ein weiteres Feld für Marktausdehnung und Extraprofit ' V g l . das Kapitel „ V o m Anwachsen der Bedürfnisse" in: J. C. L. DE SISMONDI, „Neue Grundsätze der Politischen Ökonomie oder v o m Reichtum in seinen Beziehungen zur Bevölkerung", Berlin 1971. 2
Vgl.
K . MARX; F . E N G E L S ,
Deutsche Ideologie, in: M E W ,
B d . 3, Berlin
1959,
S. 28—29, ferner K. MABX, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 312. 8 Vgl. H.-D. HAUSTEIN, Grundsätze, wesentlichste Aufgaben und Hauptmethoden der Bedürfnisforschung in der Konsumgüterindustrie für die langfristige Planung. Berichte und Mitteilungen des Wissenschaftlichen Rates für Fragen der Planung und wirtschaftlichen Rechnungsführung. Berlin 1/71, S. 33. • Siehe dazu K. MARX; F. ENGELS, Deutsche Ideologie, in: MEW, Berlin 1959, Bd. 3, S. 423.
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schaffen. Der Bedürfnisdruck ist ebenso wie der wissenschaftlich-technische Angebotsdruck eine internationale und keineswegs eine national abgesonderte Erscheinung, wie es auch Prof. Keck am Beispiel des Gesundheitswesens zeigte. Daraus folgt im übrigen das schnellere Steigen des Wertes der Ware Arbeitskraft in den imperialistischen Ländern, dessen Niveau immer stärker zum erzielten Reallohn auseinanderklafft. Unsere erste Aufgabe sollte darin bestehen, die Bedürfnisentwicklung sorgfältiger zu analysieren, bevor wir darangehen können, sie zu prognostizieren, zu planen und zu beeinflussen. Dabei werden wir alles nutzen, was der rationalen Bedürfnisbefriedigung gesellschaftlich entwickelter Menschen dient.
139
Prof. Dr. G. MAITZ
Bedürfnisse und Bedarf der Bevölkerung in der Volkswirtschaftsplanung Die Bedürfnisse und der Bedarf der Bevölkerung sind entscheidende Ausgangspunkte für die zentrale volkswirtschaftliche Planung. Da Bedürfnisse und Bedarf nicht identisch sind, bilden beide jeweils unterschiedliche Zielgrößen in der Planung. Es ist daher notwendig, den Unterschied und die Verflechtung zwischen Bedürfnissen und Bedarf der Bevölkerung herauszuarbeiten. Die Kenntnis über die Bedürfnisentwicklung und die Auswahl rationeller Wege der Bedürfnisbefriedigung ist wesentlicher Bestandteil der langfristigen Planung. Die Fünfjahres- und Jahrespläne bauen dagegen voll und ganz auf den Bedarf der Bevölkerung und den real zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Fonds auf. Die umfassende und langfristige Zielsetzung für die Entwicklung der Produktion und der dienstleistenden Bereiche ergibt sich zunächst aus der Bedürfnisentwicklung. Die Bedürfnisse der Bevölkerung sind Bestandteil der gesellschaftlichen Bedürfnisse; sie werden durch viele Faktoren bestimmt. Objektiv liegen ihnen die Beziehungen des Menschen zur Gesellschaft und zur ihn umgebenden Natur zugrunde. Der Mensch lebt nicht außerhalb einer Gesellschaftsordnung. In der kapitalistischen Gesellschaft findet der Werktätige Ausbeutungsverhältnisse vor, denen er ausgeliefert ist, wenn er nicht bewußt danach strebt, diese Verhältnisse zu verändern und zu beseitigen. In einer sozialistischen Gesellschaft ist er unmittelbar am Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft beteiligt, woraus sich neue, sozialistische Bedürfnisse bei ihm entwickeln und bestehende Bedürfnisse verändert werden. Die Auseinandersetzung mit der Natur zeigt sich vor allem in der Produktion, in der Weiterentwicklung der Produktivkräfte. Hierbei tritt die Wechselwirkung auf, daß der Mensch die Produktivkräfte in der sozialistischen Gesellschaft zielbewußt zur Befriedigung aller gesellschaftlichen Bedürfnisse einsetzt, die Produktion jedoch neue Bedürfnisse erzeugt und hervorbringt. Gerade aus dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt entspringen neue Bedürfnisse beim Produzenten, die schließlich bis zu neuen Konsumtions141
bedürfnissen führen. Außerdem wirken auf die Bedürfnisse natürlich historisch entstandene Faktoren, geographische Bedingungen, Alter und Geschlecht, Ausstrahlungen des Auslandes u.a.m. Diese objektiv vorhandenen Faktoren zeigen sich in den Willensäußerungen, Wünschen und Interessen der Menschen; sie werden als individuelle Bedürfnisse bezeichnet. Die Bedürfnisbefriedigung ist der entscheidende Schritt, um die persönlichen Interessen mit den kollektiven und gesellschaftlichen zu verbinden, die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und die Leistungsbereitschaft und den Leistungswillen zu stimulieren. Obwohl dies im Prinzip alle Bedürfnisse des Menschen betrifft, auch solche, die vorwiegend physiologisch bedingt sind (Schlaf, Essen, Hygiene usw.), und jene wesentlichen Bedürfnisse nach Frieden, nach sozialer Sicherheit, nach Festigung der sozialistischen Ordnung, nach sozialen Kontakten, nach Bildung, Information usw., die für die Persönlichkeitsentwicklung entscheidend sind, geht es im folgenden um die Bedürfnisse der Bevölkerung, die unmittelbar durch die Wirtschaftstätigkeit befriedigt werden. Um diese Bedürfnisse erfassen und in die langfristige Planung als Ausgangspunkt und Ziel einbeziehen zu können, wurden Bedürfniskomplexe gebildet. Sie fassen eine Vielzahl von Bedürfnissen nach objektiven und auch methodischen Gesichtspunkten zusammen. Obwohl es gewisse unterschiedliche Auffassungen gibt, können folgende Bedürfniskomplexe Grundlage für die langfristige Zielsetzung sein: Arbeit (Arbeitsbedingungen), Ernähren, Bekleiden, Wohnen, Bilden/Erziehen, Kultur, Gesunderhalten/Körperpflege (einschl. Erholung), Kommunikation (einschl. Verkehr). Für die praktischen Belange der Planung müssen diese Komplexe in Unterkomplexe untergliedert werden. Der Bedürfniskomplex Gesunderhalten/ Körperpflege beispielsweise in Unterkomplexe wie Urlaubserholung, Naherholung, Sport, Gesundheitswesen; und der Unterkomplex Gesundheitswesen wieder in spezifische Aufgabenbereiche wie Prophylaxe, ärztliche Betreuung, Hygiene, Kuren usw. Der Komplex Arbeit läßt sich z. B. untergliedern in die materiellen Arbeitsbedingungen nebst Arbeits- und Gesundheitsschutz, Entwicklung der kulturellen und sozialen Betreuung im Betrieb, Umweltschutz durch die Betriebe usw. Die Bedürfnisse werden vor allem durch Konsumgüter und Dienstleistungen befriedigt. Beides sind Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Bei der Festlegung, wie die Bedürfnisse rationell und effektiv befriedigt werden können, spielt also die Wechselbeziehung und die Substitution zwischen Konsumgütern und Dienstleistungen eine große Rolle. Die ökonomische Bedürfnisbefriedigung ist immer mit der Distribution verbunden. Die Befriedigung konsumtiver Bedürfnisse durch Konsumgüter 142
und Dienstleistungen wird also durch Geld vermittelt, und zwar über direkte Einkommen oder indirekte Einkommen der Bevölkerung. Der Kauf von Waren, Konsumgütern und Dienstleistungen, und auch die Inanspruchnahme unentgeltlicher Leistungen, die durch gesellschaftliche Fonds finanziert werden, ist nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft möglich. Deshalb muß stets eine richtige Beziehung zwischen der Arbeits-
Abb. 1 Struktur des Realeinkommens nach Quellen 143
Produktivität und den Einkommen bestehen, weil sonst den Geldeinkommen und den gesellschaftlichen Fonds kein entsprechendes Angebot an Gütern und Diensten gegenübersteht. Für die produzierenden Bereiche drückt sich dies in der These aus, daß die Arbeitsproduktivität schneller wachsen muß als der Durchschnittslohn. Die Kauffonds für den Kauf von Konsumgütern und von Dienstleistungen sind Bestandteil der Nettogeldeinkommen der Bevölkerung. Die Nettogeldeinkommen ergeben sich aus dem Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge von den Bruttogeldeinkommen. Die Nettogeldeinkommen — auch als Kaufkraft der Bevölkerung bezeichnet — werden nicht voll verbrauchswirksam. Aus ihnen werden Spenden, Beiträge und die Teilnahme an den verschiedenen Lotterien bezahlt. Außerdem wird ein Teil der Geldeinkommen gespart. Der verbleibende Teil der Nettogeldeinkommen bildet die Kauffonds für Konsumgüter und Dienstleistungen. Diese Kauffonds bilden die Grundlage des Bedarfs der Bevölkerung. Die Bedürfnisse nach Konsumgütern und bezahlten Dienstleistungen werden durch den Bedarf und dessen Realisierung gesellschaftlich anerkannt. Hierin besteht eine Form der gesellschaftlichen Anerkennung; die andere ist die unmittelbar gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse durch unentgeltlich gewährte Leistungen. Der Bedarf der Bevölkerung beeinflußt natürlich den Bedarf der Betriebe, Kombinate und Einrichtungen, den Bedarf der Wirtschaft. Bei den Betrieben besteht Bedarf nach Material, nach Erhaltung und Erweiterung der Grundfonds, nach Arbeitskräften. Dieser Bedarf wird ebenfalls über Geldfonds gedeckt; durch Umlaufmittel, Investitionen, Kredite u.a.m. Die produktiven Bedürfnisse der Betriebe werden durch die geplanten Geldfonds in Einklang mit den Produktionsaufgaben befriedigt, d. h. mit den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten bilanziert. Hierin besteht eine wesentliche Seite der Einheit zwischen materieller und finanzieller Planung. Der Bedarf der Betriebe zur Erfüllung der Planziele hängt — zumindest bei der Konsumgüterindustrie und den dienstleistenden Bereichen — unmittelbar vom Bedarf der Bevölkerung, soweit also Geldeinkommen zum Kauf dahinterstehen, und der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung ab. Die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Waren muß daher stets die Bedürfnisentwicklung und die damit verflochtene Einkommensentwicklung berücksichtigen. Die Erforschung des Bedarfs ist deshalb eine Aufgabe der zentralen Staatsorgane vom Standpunkt der Hauptlinien der Bedürfnisanerkennung und der Industrie, der Dienstleistungseinrichtungen und des Konsumgüterhandels vom Standpunkt der konkreten Versorgung bis zum Sortiment und der Dienstleistungsart. Die Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie 144
ist bei der Bedarfsforschung noch immer nicht rationell gelöst, obwohl die Tendenz, nur dem Handel das Feld der Bedarfsermittlung zu überlassen, weitgehend überwunden worden ist. Der Produzent muß die Aufnahmefähigkeit des Marktes kennen, er muß auf mögliche Versorgungslücken achten und nicht passiv die Bedarfsentwicklung im nachhinein entgegennehmen. Dazu verhilft ihm vor allem die Kenntnis der Bedürfnisentwicklung. Sie läßt erkennen, ob und wann dieses Bedürfnis zum Bedarf wird, wenn gleichzeitig die Einkommenentwicklung genau beobachtet wird. Hinzu kommt, daß bei neuen Erzeugnissen die Produktion die Bedürfnisse erst umfassend weckt. Dem Handel als Organ der Warenzirkulation oblag es schon immer, bei der Planung seines Warenumsatzes und der dafür erforderlichen Warenfonds den Bedarf als Grundlage zu nehmen. Die Struktur des Warenfonds verändert sich nicht nur durch die zur Bedarfsdeckung notwendigen Erzeugnisse, sondern auch durch Veränderungen im Profil der Konsumgüterindustrie. So entwickelt sich die Produktion moderner Konsumgüter immer weiter, und es werden neue Rohstoffe entwickelt, die bei der Konsumgütererzeugung verwandt werden und neue Bedürfnisse bei der Bevölkerung wecken. Die Vervollkommnung der Konsumgüter muß folgende allgemeine Zielsetzungen berücksichtigen: — Rationalisierung und Verringerung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten; — sinnvolle Gestaltung der wachsenden Freizeit in Richtung auf Sport, Erholung, Kultur und Bildung; — Förderung einer gesunden Lebensweise; — Verbesserung der Qualität, des Gebrauchswerts, der Funktionstüchtigkeit der Erzeugnisse; — Berücksichtigung der wachsenden Zweitausstattung bei langlebigen Konsumgütern. Außerdem ist zu beachten, daß sich innerhalb des Konsumgüterverbrauchs und zwischen Konsumgütern und Dienstleistungen die Relationen weiter verändern: — die physische Sättigung bei bestimmten Nahrungsgütern führt zu höherem Bedarf nach Genußmitteln, Industriewaren und bezahlten Dienstleistungen; — innerhalb der Nahrungsgüter wächst der Bedarf nach hochwertigen und hochveredelten Nahrungsmitteln; — der Anteil der Industriewaren am Warenumsatz wächst kontinuierlich und führt zu einem etwa gleichen Verhältnis zwischen beiden Gruppen; 145 10
Koziolek
— die Zunahme und Nutzung der Freizeit führt zu wachsenden Anforderungen an Dienstleistungen (Verkehrswesen, Gaststätten, Tourismus). Für die einzelnen Zweige sind Grundtendenzen nur Anhaltspunkte zur Erarbeitung eigener Programme der bedarfsgerechten Versorgung. Diese Programme sind eine wichtige Grundlage, um durch den Plan die Proportionalität zwischen Produktion und Konsumtion zu erhöhen und die Erfüllung der Hauptaufgabe zu gewährleisten.
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P r o f . D r . K . WALTEE
Zu einigen Erfordernissen der konsequenten Durchsetzung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung bei der weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus Die vorgelegten Thesen bilden eine wichtige Grundlage für die wissenschaftliche Durchdringung aller Probleme, die mit der Entwicklung der geistigen und materiellen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung im Zusammenhang stehen. Sie sind daher von großer Bedeutung für Forschung und Praxis. E s wird deutlich, daß die Bedürfnisentwicklung und die Art und Weise ihrer Befriedigung sowie die Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Bedürfnissen nicht zu trennen sind von den inhaltlichen Problemen der organischen Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus (wie sie z. B . auf der 3. R a t s t a g u n g behandelt wurde). Sie ist auch eng verflochten mit der Problematik der Intensivierung, die Gegenstand der nächsten R a t s t a g u n g sein wird. Das betrifft vor allem Fragen sowohl des Charakters als auch des konkreten Inhaltes der Arbeit unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution. Von besonderer Bedeutung sind vor allem die Fragen der Veränderungen im Inhalt der Arbeit, wie sie sich aus der Arbeitsteilung an den Arbeitsplätzen selbst ergeben. Hier beginnt die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen. Der Verbesserung der Arbeitsbedingungen kommt im System der Bedürfnisentwicklung und der Art und Weise ihrer Befriedigung eine zunehmend größere Bedeutung zu. Das ist vor allem dadurch begründet, daß die Verbesserung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus auf den Leistungen der Betriebskollektive beruht, daß das betriebliche Leben selbst einen wesentlichen Bestandteil der Lebensbedingungen der Werktätigen verkörpert und daß von der Gestaltung der Arbeit und den materiellen Arbeitsbedingungen eine immer stärkere stimulierende Wirkung ausgehen wird. Somit wird deutlich, welche engen Wechselwirkungen zwischen den komplizierten und differenzierten, technisch-organisatorischen und psycho-physiologischen Problemen der Arbeitsteilung und den sozialen Aspekten im weitesten Sinne bestehen.
147 10*
Im Sozialismus h a t sich der Charakter der Arbeit auf der Grundlage der neuen Produktionsverhältnisse gewandelt. Es entsteht die freie Arbeit für die Gesellschaft und für sich. 1 Jedem Mitglied der Gesellschaft ist die Möglichkeit gegeben, nach seinen Fähigkeiten schöpferisch zu arbeiten. Der neue Charakter der Arbeit ermöglicht und erfordert neue Formen der Arbeitsorganisation, die zu höheren Arbeitsinhalten vor allem mit Hilfe einer dem Sozialismus entsprechenden Arbeitsteilung führen. Dabei kommt es darauf an, die Arbeitsteilung nicht als ein rein technisch-ökonomisches Problem zu sehen. Bei einer solchen Betrachtungsweise besteht die Gefahr einer übermäßigen Trennung von Arbeitsfunktionen, die zu einer Entwertung des Arbeitsinhaltes führen und damit auch die Arbeitsfreude und Leistungsbereitschaft beeinträchtigen können. Es wird deshalb notwendig, die Arbeitsteilung nach sozialen, ökonomischen, psycho-physiologischen Faktoren zu bestimmen. Das heißt, es gilt, die Grenzen der Arbeitsteilung unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf solche wichtigen Faktoren wie die Produktivität, die rationelle Nutzung des Arbeitsvermögens, aber auch die Monotonie der Arbeit, die Einstellung der Werktätigen zur Arbeit und ihre kollektiven Beziehungen zu bestimmen. Mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt werden die Probleme der Arbeitsteilung eine immer größere Rolle spielen. Der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation erwachsen hier im Hinblick auf die weitere Entwicklung bedeutsame Aufgaben. Obwohl diese Aufgaben langfristiger Natur sind, kommt es bereits jetzt darauf an, Lösungen entsprechend den gegenwärtigen Möglichkeiten zu erforschen und anzuwenden. Erste Möglichkeiten zeichnen sich ab durch die Erarbeitung verschiedener Verteilungsvarianten der Arbeit, die auf die Vereinigung von Arbeitsfunktionen gerichtet sind sowie durch die breite Durchsetzung der Mehrfachqualifizierung und Mehrmaschinenbedienung. Zugleich wird es darauf ankommen, auch im Hinblick auf die allmähliche Überwindung der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit an Ausmaß und Inhalt der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit, besonders im Rahmen des Neuererwesens höhere Anforderungen zu stellen. Für die Leitungstätigkeit wird es immer wichtiger, über die mit der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts notwendiger werdenden Veränderungen in der Arbeitsteilung nicht administrativ, sondern unter unmittelbarer Mitwirkung der Werktätigen zu entscheiden. An der Problematik der Arbeitsteilung wird die objektive Notwendigkeit und das Grundanliegen der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation im Zusammenhang mit der Bedürfnisproblematik sichtbar bewiesen, das auf der 1
Lehrbuch Politische Ökonomie des Sozialismus, Berlin 1972, S. 182.
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einheitlichen Zielstellung der Steigerung der Arbeitsproduktivität, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der allseitigen Entwicklung des Menschen beruht. Grundlage hierfür ist die marxistisch-leninistische Erkenntnis, daß sich vor allem im Arbeitsprozeß die Entwicklung des Menschen, seiner Persönlichkeit vollzieht, „die selbst wieder als die größte Produktivkraft zurückwirkt auf die Produktivkraft der Arbeit." 1 Mit der Intensivierung als Hauptweg zur weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität wird einem Wesenszug des Sozialismus — der zunehmenden Vertiefung der Einheit von Produktion und Bedürfnisbefriedigung — Rechnung getragen. Damit wurde die grundlegende Orientierung für die Durchsetzung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus gegeben. Die Bewältigung dieser langfristigen Aufgabenstellung erfordert die Erhöhung des Niveaus der Organisation der Arbeit, der Produktion und der Leitung und die materiell-moralische Stimulierung hoher persönlicher und kollektiver Leistungen. Gerade die sich ständig vertiefende und immer sichtbarer werdende Einheit von Produktion und Bedürfnisbefriedigung setzt solche Probleme auch unter neuen Aspekten auf die Tagesordnung der interdisziplinären Forschung. Welche Ausgangspunkte, welche Lage haben wir? Die Verteilung nach Arbeitsleistung stellt bekanntlich die den sozialistischen Produktionsverhältnissen gemäße Verteilungsform dar. Sie übt ihren aktiven, fördernden Einfluß auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aus. Sie ist damit — bei allen dabei noch bestehenden Problemen — eine positive Erscheinung unserer Gesellschaftsordnung. Sie hilft mit, die nur im Sozialismus mögliche soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Bei der Behandlung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung im Zusammenhang mit der Bedürfnisentwicklung, der Art und Weise ihrer Befriedigung sowie der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Bedürfnissen sind offensichtlich zwei Seiten auseinanderzuhalten. Die Verteilung nach Arbeitsleistung ruft objektiv Ungleichheit bei der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse hervor. Sie erkennt, wie Karl Marx schreibt, stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit als natürliche Privilegien an. Ungleichheit im Verbrauch 1
K. MARX, Grundriß der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 599.
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k a n n vollständig erst überwunden werden, „ i n einer höheren P h a s e der kommunistischen G e s e l l s c h a f t . " 1 Die Verteilung nach Arbeitsleistung h a t die prinzipiell gleiche Stellung der Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft zu den Produktionsmitteln zur Grundlage. E s sei wiederholt: Das ist der entscheidende A u s g a n g s p u n k t . Auf die Verteilung wirken die in der sozialistischen Gesellschaft vorhandenen Unterschiede im Grade der Vergesellschaftung der Arbeit ein, die im E n t wicklungsniveau der P r o d u k t i v k r ä f t e ihre Ursachen haben und die selbst erst mit der weiteren Entwicklung des Sozialismus schrittweise überwunden werden können. Die Anwendung eines einheitlichen Verteilungsmaßstabes auf Menschen, deren Fähigkeiten, Tätigkeiten und Familienverhältnisse unterschiedlich sind, r u f t also objektiv die Ungleichheit bei der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse hervor. Zum anderen muß die T a t s a c h e beachtet werden, daß die noch nicht vollkommene Beherrschung des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung auch zu Vor- u n d Nachteilen für einzelne Werktätige oder für bestimmte Beschäftigtengruppen, für Betriebskollektive und Industriezweige führen kann. Die in der Durchführung der Beschlüsse des V I I I . Parteitages der S E D auf dem 8. F D G B - K o n g r e ß begründete A u f g a b e , k ü n f t i g in der volkseigenen Wirtschaft die Tarifpolitik z u m K e r n s t ü c k der staatlichen Lohnpolitik zu machen und die Beziehungen zwischen Tarif, L e i s t u n g und L o h n so zu gestalten, daß die Werktätigen wirksamer an der erforderlichen Qualifikation, größerer Verantwortung und hohen Leistungen interessiert werden, dient der besseren Durchsetzung der Erfordernisse des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung. Wir können also zwischen der objektiv im Sozialismus vorhandenen Ungleichheit im Verbrauch und den Vor- und Nachteilen, die durch noch nicht vollständige Beherrschung des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung entstehen, unterscheiden. E s ergibt sich die Schlußfolgerung, die Erfordernisse des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung noch gründlicher zu studieren und sie v e r s t ä r k t zur Wirkung zu bringen. Offensichtlich gibt es hier noch stärker bzw. umfassender zu erforschende Probleme. E i n m a l geht es dabei u m die Anwendung gleicher Maßstäbe für gleiche Arbeit, die soweit wie möglich einer gesellschaftlichen „ N o r m a l " leistung entsprechen sollten. K o n k r e t heißt d a s , die Arbeit zur E r m i t t l u n g von Normen des Arbeitszeitaufwandes besonders mit zentral ermittelten „ Z e i t n o r m a t i v e n " zu verstärken und die d a m i t zusammenhängenden Probleme des Anspannungsgrades der Normen weiter auszuarbeiten. Dabei sind 1
IC. MARX, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Bd. 19, Berlin 1962, S. 21.
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technisch-ökonomische Bemessungsprobleme, psychophysiologische Beanspruchungsprobleme, Fragen der Einstellung zur Arbeit (Anwendung soziologischer Forschungsmethoden) sowie Probleme der kulturell-ästhetischen Gestaltung der Arbeitsplätze und ihrer Umwelt möglichst komplex zu lösen. Eine weitere umfassende Problematik besteht in der Analyse der Erwartungen, die z. B. einzelne Beschäftigungs- oder Qualifikationsgruppen an künftige Einkommensregelungen — als wichtige individuelle Basis für die Bedürfnisbefriedigung — stellen. Hier sollte verstärkter Einfluß auf solche Erwartungen genommen werden. Entsprechende Forschungsaufgaben wie — ökonomische und soziologische Begründung von Lohnrelationen zwischen Qualifikations- und Beschäftigtengruppen — Gewährleistung der Einheit von materieller und moralischer Stimulierung bei der Tarifpolitik und Tarifgestaltung sind in Angriff zu nehmen. Aus solchen Untersuchungen können wesentliche Schlußfolgerungen z. B. für die weitere Vervollkommnung unserer Einkommenspolitik gezogen werden. Es ergibt sich also, daß bei der Problematik der Verteilung nach der Arbeitsleistung und der Rolle des Arbeitslohnes im Sozialismus davon ausgegangen werden muß, daß diese Fragen einen wesentlichen Bestandteil des materiellen Lebensniveaus der Werktätigen bilden. Die wissenschaftliche Erschließung des Zusammenhanges zwischen materieller Interessiertheit, Bedürfnisentwicklung und -befriedigung sind weiter zu vertiefen. Besonders die damit zusammenhängenden theoretischen Probleme werden weiter zu erarbeiten sein. Wir brauchen eine Konzeption, die die Grundlage für die Forschungsarbeit langfristiger Zeiträume bildet. Dazu ist sowohl die stärkere Mitwirkung der Wirtschaftswissenschaftler erforderlich, um die Wirkungsbedingungen und Erfordernisse des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung — im Rahmen des Systems der ökonomischen Gesetze des Sozialismus — herauszuarbeiten als auch die enge Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern, um die Ergebnisse zur Problematik der Beanspruchung und Einstellung zur Arbeit umfassend zu berücksichtigen. In den Thesen sind u. a. folgende Forschungsaufgaben genannt: — Beziehungen und Größenordnungen zwischen individueller und gesellschaftlicher Konsumtion im Hinblick auf höchstmögliche Leistungsstimulierung und rationelle Bedürfnisbefriedigung; — Rolle der Distribution, insbesondere der Verteilung nach Arbeitsleistung, für die Verstärkung der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Konsumtion; 151
— Struktur des Einkommens und des Verbrauchs von Familien nach Klassen, Schichten, Einkommensgruppen und Familiengrößen; — Relationen zwischen der Entwicklung der Nominal- und Realeinkommen nach Klassen, Schichten und Einkommensgruppen. Erforderlich wird die Ausarbeitung solcher weiterer konkreter politökonomischer bzw. arbeitsökonomischer Probleme wie — Vervollkommnung der Beziehungen zwischen Intensivierung, Rationalisierung, wissenschaftlicher Arbeitsorganisation und materieller Stimulierung; Untersuchung der Rolle des Lohn- und Tarifsystems für die Verstärkung des Einflusses auf die Produktivitätssteigerung; — Untersuchungen des Verhältnisses zwischen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität und des Durchschnittslohnes unter Berücksichtigung der Entwicklung des Lohnanteiles an der Einheit der abgesetzten Warenproduktion. Natürlich spielen die Beziehungen zwischen der Qualität der Erzeugnisse und der Lohngestaltung eine immer wichtigere Rolle. Mit einer verbesserten Lohngestaltung werden wir künftig sicher viel mehr als zur Zeit auf eine Qualitätsarbeit Einfluß nehmen müssen. Wir sind uns im klaren, daß mit einer verbesserten Lohngestaltung allein in den Betrieben nicht alle Probleme der Qualität lösbar sind. Die Sicherung einer hohen Qualität der Erzeugnisse ist vor allem auch eine Leitungsaufgabe, d. h. sie erfordert die Durchsetzung der sozialistischen Leitungsprinzipien, die Herstellung von Ordnung und Disziplin u. a. Mit der weiteren Ausprägung des sozialistischen Charakters der Arbeit, der Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, insbesondere der Herausbildung sozialistischer Kollektivbeziehungen und der allseitigen Entwicklung des sozialistischen Menschen kommt der Leitung und Planung sozialer Prozesse eine besondere Bedeutung zu. Folglich müssen in der Leitung und Planung des Reproduktionsprozesses die sich aus der sozialen Entwicklung ergebenden Bedingungen und Prozesse verstärkte Beachtung finden. Wir beginnen dabei nicht etwa beim Nullpunkt. Wir beachten, daß in den zurückliegenden Jahren bereits vielfältige Anstrengungen unternommen wurden, um auch die Leitung und Planung sozialer Prozesse zu berücksichtigen. Wenn sich jetzt die Aufgabe ergibt, den sozialen Prozessen noch stärkere Aufmerksamkeit zu widmen, so bedeutet das auch, an das anzuknüpfen und das weiterzuführen, was sich in den zurückliegenden Jahren bewährt hat. Bei der Verwirklichung der Sozialplanung als Bestandteil der Planungsprozesse überhaupt sollte deshalb unter Nutzung der sowjetischen Erfahrungen auf 152
die bisherigen Ergebnisse und Formen der Leitung und Planung sozialer Prozesse in den Betrieben und Territorien aufgebaut werden. Das betrifft vor allem die weitere Qualifizierung des Planteiles Arbeits- und Lebensbedingungen, den Arbeitskräfteplan, den Planteil Qualifizierung, den Planteil Arbeitsproduktivität und Lohn sowie den Betriebskollektiv-Vertrag, den Plan Wissenschaft und Technik, die Rationalisierungskonzeption und besonders die 1974 beginnende betriebliche Planung der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation. Wir werden auch der Klärung der theoretischen Grundlagen der Sozialplanung, besonders auch dem Zusammenwirken einzelner wissenschaftlicher Disziplinen Beachtung schenken. Gerade diese Problematik erfordert dringend interdisziplinäre Forschungsarbeit unter Beachtung unserer realen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Im Widerspruch zu den Erfordernissen des Lebens in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft entstehen da und dort auch Lösungen, die nicht den Anforderungen koordinierter und einheitlicher Regelungen entsprechen. Es gibt Ansätze zur weiteren Qualifizierung der Planung und Leitung sozialer Prozesse in den Betrieben. Erste Studien und theoretische Arbeiten zu dieser Problematik werden der Öffentlichkeit vorgelegt. Eine gründliche Diskussion ist erforderlich. Sie sollte die genannten Grundgedanken der Einordnung und eines realen Vorgehens berücksichtigen. Die Bedürfnisentwicklung, die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung ist nicht zu trennen von der Stimulierung hoher Leistungen und der Erreichung einer hohen Arbeitsproduktivität. Die weitere Erhöhung der Arbeitsproduktivität ist die Grundlage für die ständig bessere Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft. Gerade deshalb wird es erforderlich sein, diesen Zusammenhang zwischen Produktion, Arbeitsproduktivität, Effektivität und der Bedürfnisentwicklung und ihrer Befriedigung weiter zu erforschen. Dabei sollte verstärkt der Grundgedanke berücksichtigt werden, daß an die Spitze diejenigen Bedürfnisse zu stellen sind, die der geistig-kulturellen Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten und Kollektive dienen. Die materiellen Bedürfnisse werden in der Zukunft immer mehr diesen Aufgaben zu unterordnen sein. Das schließt eine schrittweise systematische und verstärkte Einflußnahme auf diesem Gebiet ein. Dafür werden weitere Forschungsarbeiten erforderlich werden.
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P r o f . D r . S. TAKNHÄTTSER
Einige betriebswirtschaftliche Aspekte der Bedürfnisbefriedigung Die bisherige Diskussion sowohl in der Presse als auch hier im wissenschaftlichen R a t behandelte die Bedürfnisproblematik als eine volkswirtschaftliche Fragestellung. Das ist ohne Zweifel richtig, aber doch wohl zu eng, wenn sie die ausschließliche Problemstellung bleibt. Dabei geht es hier nicht u m die zahlreichen betriebswirtschaftlichen Einzelfragen, sondern vielmehr u m die grundsätzliche B e d e u t u n g der gesellschaftlichen Bedürfnisse f ü r die sozialistische Betriebswirtschaft. Beispielsweise k a n n die Stellung des sozialistischen Industriebetriebes im System der Volkswirtschaft nicht anders als aus seiner Rolle f ü r die gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung abgeleitet werden. F ü r d e n sozialistischen Industriebetrieb ist charakteristisch, d a ß er gesellschaftliche Bedürfnisse d u r c h materielle Gebrauchswerte befriedigt, die weitgehend u n a b h ä n g i g v o m Reproduktionszyklus der N a t u r stationär u n t e r A n w e n d u n g v o n Maschinensystemen erzeugt werden. Die Neuwertmasse einer Volkswirtschaft h ä n g t v o n der Größe des fungierenden gesellschaftlichen Arbeitsvermögens ab. Auf welche Anzahl Gebrauchswerte sie sich verteilt, in welchem U m f a n g e sie also b e i t r ä g t , gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, h ä n g t v o m Niveau der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t oder, was d a m i t identisch ist, v o m gesellschaftlich notwendigen A r b e i t s a u f w a n d je Gebrauchswerteinheit a b . J e niedriger also der gesellschaftlich notwendige A r b e i t s a u f w a n d je Gebrauchswerteinheit, desto m e h r gesellschaftliche Bedürfnisse können (bedürfnisgerechte S t r u k t u r der Gebrauchswerte vorausgesetzt) bei gegebenem gesellschaftlichen Arbeitsvermögen befriedigt werden. Auf diese Weise verflicht sich die gesamte E f f e k t i v i t ä t s p r o b l e m a t i k der sozialistischen Betriebswirtschaft u n m i t t e l b a r mit der volkswirtschaftlichen Bedürfnisproblematik, was im Gegensatz zum Kapitalismus u n t e r sozialistischen Produktionsverhältnissen auch nicht anders sein k a n n ; denn hier liegt der ökonomische A n s a t z p u n k t f ü r den Übergang zur kommunistischen Gesellschaftsordnung. 155
Dementsprechend besteht das Ziel der Tätigkeit des sozialistischen Industriebetriebes neben der Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten darin, bestimmte gesellschaftliche Bedürfnisse durch spezifische materielle Gebrauchswerte oder Dienstleistungen bei minimalem gesellschaftlichen Arbeitsaufwand zu befriedigen. Und das ist nicht mit maximalem Gewinn und auch nicht mit dem finanziellen Ausweis eines möglichst hohen Nationaleinkommens identisch. Obwohl auch die Selbstkosten keine exakte Widerspiegelung der Bewegung des gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes je Gebrauchswerteinheit sind, so sind sie von den uns zur Verfügung stehenden Kennzahlen doch der brauchbarste Ausdruck für das Niveau des Arbeitsaufwandes und damit für die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung. Die gesellschaftlichen Bedürfnisse befinden sich in einer ständigen Dynamik und eilen der Produktion voraus. Für die sozialistische Betriebswirtschaft folgt daraus die grundsätzliche Fragestellung: Wie kann sich die sozialistische Betriebswirtschaft dieser Dynamik anpassen? Die Dringlichkeit der Antwort bringen die Arbeiten an Prognosen und langfristigen Plänen deutlich hervor. Nach meinen eigenen praktischen Erfahrungen müssen die Betriebe, zumindest die großen wirtschaftenden Einheiten wie die Kombinate, durch sehr langfristige vorausschauende Arbeit die Gestaltung der Betriebswirtschaft über mindestens 2 Jahrzehnte konzipieren. Dafür wurden in Chemiekombinaten während der letzten Jahre beachtliche Erfahrungen gesammelt und interessante Methoden zur Prognostizierung des Produktionsprogramms, der Forschungs- und Investitionsaufgaben sowie zur Erforschung bestimmter gesellschaftlicher Bedürfnisse entwickelt. So ist es möglich, aus chemischen Strukturformeln mit Hilfe der EDV Eigenschaften von Stoffen zu berechnen und deren Verwendbarkeit für bestimmte Zwecke zu bestimmen. Hieraus lassen sich völlig neuartige Forschungsaufgaben ableiten. So präzise derartige Einzelberechnungen aber auch vorgenommen werden können, die Bestimmung der künftigen Entwicklung der Betriebswirtschaft muß sich immer in die politisch determinierte zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisstruktur einfügen. Und das ist zur Zeit der schwierigste Schritt in der prognostischen und langfristigen Planungsarbeit. Die zukünftige Bedürfnisstruktur der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu bestimmen, ist deshalb nicht nur eine theoretische Frage, wie Prof. Kosing es hier darstellte, sondern besitzt heute bereits größte praktische Bedeutung. Aus diesem Grunde halte ich es für unbedingt notwendig, sehr bald eine größere Gemeinschaftsarbeit zu organisieren, um das Wissen um die künftige Bedürfnisstruktur der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu konkretisieren. Wir brauchen, wie das bereits von Prof. Haustein dargelegt wurde, exakte und 156
praktische relevante Vorstellungen von der Zukunft der Gesellschaft. So gesehen, meine ich, ist unsere jetzt geführte Diskussion erst ein allererster Anfang auf diesem Gebiete. Neben diesen theoretisch doch recht anspruchsvollen und auf große Zeiträume angelegten Arbeiten dürfen meines Erachtens aber auch nicht die unmittelbar praktisch zu lösenden Aufgaben übersehen werden, die zu einer besseren Bedürfnisbefriedigung führen. Ich denke hier an die wirtschaftspolitische aber auch theoretische Fragestellung: Wie muß der Mechanismus der ständigen Anpassung von Produktion und Angebot im Handel an die Bedürfnisse der Bevölkerung gestaltet sein? Welche Anreize bestehen für eine effektive Anpassung? Welche Instrumentarien erleichtern die dynamische Übereinstimmung von Bedürfnissen mit Produktion und Angebot? Meines Erachtens ist diesen Fragen wesentlich mehr Beachtung als bisher zu schenken; denn die bessere Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung ist nicht etwa nur eine Frage der Überwindung von Knappheitserscheinungen, also eine Frage der quantitativen Ausdehnung der Produktion, sondern ebenso auch eine Frage der richtigen Distribution und Proportionierung. Nach den bestehenden Vorschriften hat zum Beispiel ein Möbelbetrieb seinen Möbelbezugsstoff über eine Großhandelseinrichtung zu beziehen. Während der Produktionsbetrieb Stoff in der Breite von 130 cm benötigt, ist der Handelsbetrieb am Umsatz von 150 cm breiten Stoff interessiert, mit dem Ergebnis, daß der Produktionsbetrieb 20 cm Abfall hat. Die Frage ist: Warum überlassen wir nicht dem Produktionsbetrieb die Wahl der Kooperationsbeziehung? Oder: Wir haben aus bestimmten Gründen richtigerweise die gebrauchswertmäßige Planung verstärkt. Ungelöst ist, wie wir bei dieser Methode reaktionsfähig bleiben. Ein Konfektionsbetrieb erhält zum Beispiel als Planauflage, eine bestimmte Menge Hosenanzüge für Damen zu produzieren. Sie gingen als zweiteilige Anzüge in die Bilanzen ein. Das praktische Verkaufsgeschehen bestätigt aber, daß dreiteilige Hosenanzüge gefragter sind. Der Betrieb könnte von seinen Kapazitäten her auf diesen Bedarf reagieren. Die Bilanz läßt eine Veränderung, zumindest für die Dauer eines Jahres nicht mehr zu. Oder: Ein Betrieb stellt nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten ein Sortiment vorgefertigter Säuglings- und Kinderspeisen in 28 verschiedenen Erzeugnissen her. Der Betrieb geht von medizinischen und sozialen Gesichtspunkten richtig davon aus, daß das Sortiment stets komplett angeboten werden muß. Dem entspricht auch die Produktion. Aber Überprüfungen im Handel zeigen, daß oft nur ein unvollständiges und dazu noch häufig wechselndes Sortiment angeboten wird.
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Als Grund ergibt sich folgendes: Bei komplettem Sortiment ergäben sich für Großhandel und Transporteinrichtungen oft nur kleine und kleinste Mengen bei den Einzelerzeugnissen. Das ist nicht immer rationell. Außerdem gibt der Einzelhandel seine Bestellungen nicht immer exakt nach dem Bedarf auf. Ich glaube, es ist zu einfach, wenn wir solche Erscheinungen nur als eine Frage der Disziplin oder ideologischen Klarheit der Mitarbeiter behandeln. Die Fragen gehen weiter: Wie weit muß kontigentiert werden? Wo kann echt gehandelt werden? Welche persönlichen Anreize können zur bedarfsgerechten Versorgung geschaffen werden? Es handelt sich um Fragen grundsätzlicher volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Bedeutung, die nicht allein etwa auf den sozialistischen Handel reduziert werden können, von deren Lösung aber die volkswirtschaftliche Effektivität betriebswirtschaftlicher Arbeit im Sinne der Aufgabenstellung des VIII. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands entscheidend abhängen kann. Auch auf diesem Gebiet halte ich die Organisierung der auf praktische Ziele gerichteten theoretischen Arbeit für dringend erforderlich.
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Prof. Dr. A. RÖSING
Zur sozialistischen Bedürfnisstruktur und zum Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Konsumtion Zuerst möchte ich mich für die Einladung zu dieser Tagung bedanken; ich sehe darin ein erfreuliches Zeichen der wachsenden Zusammenarbeit von Ökonomen und Philosophen. Die Thesen, deren Grundlinie ich unterstütze, sind m. E . ein wertvolles Material, das auch die Arbeit der mit der Bedürfnisproblematik befaßten Philosophen und Soziologen befruchten wird. Meine Bemerkungen beziehen sich auf zwei Probleme, die in den Thesen dargelegt sind und in der Diskussion schon eine Rolle gespielt haben.
1. Zur sozialistischen Bedürfnisstruktur Mir scheint, daß die Thesen noch zu sehr vom gegebenen Stand der Bedürfnisse ausgehen, ohne klar genug zu bestimmen, woraus die gegenwärtigen Bedürfnisse der Menschen unserer Gesellschaft resultieren und wie weit sie den vom Sozialismus und Kommunismus angestrebten Zielen bereits entsprechen. Auf die heutige Bedürfnisstruktur wirken sehr verschiedenartige Faktoren ein, die näher analysiert werden sollten. Zu ihren Quellen zählen sicher solche Faktoren wie die sozialistische Produktion, die sozialistischen gesellschaftlichen Verhältnisse, die sozialistische ökonomische Integration, aber auch die Wechselwirkung der entgegengesetzten gesellschaftlichen Systeme. Es ist z. B . eine Frage, wie die Existenz des Kapitalismus und seine Wechselwirkung mit dem Sozialismus die Bedürfnisstruktur und das Konsumverhalten der Menschen unserer Gesellschaft beeinflußt. Um so wichtiger ist es, daß wir gründlicher untersuchen und präzisere Vorstellungen entwickeln, was unter einer spezifisch sozialistischen Bedürfnisstruktur zu verstehen ist. In den Thesen wird richtig davon ausgegangen, daß der Zweck der Bedürfnisbefriedigung im Sozialismus in der Sicherung der höchsten Wohlfahrt und der freien allseitigen Entwicklung aller Mitglieder der Gesellschaft zu sehen
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ist. Das bedeutet, daß die Konsumgüter als Mittel zu dem Zweck dienen müssen, ein sinnvolles und kulturvolles, menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, das auf die universelle Entfaltung der Schöpferkräfte der Menschen und ihre Betätigung im Interesse der Gemeinschaft gerichtet ist. Dieses grundlegende Ziel der sozialistischen Gesellschaft ist nicht zu erreichen, wenn die Bedürfnisstruktur und die Konsumgewohnheiten der kapitalistischen Gesellschaft weitgehend übernommen werden oder wenn diese Seite der gesellschaftlichen Entwicklung mehr oder weniger dem Wirken spontaner Einflüsse unterworfen bleibt, wie es gegenwärtig in manchen Komplexen der Bedürfnisbefriedigung noch der Fall ist. Wir brauchen auch auf diesem Gebiet eine theoretisch begründete aktive Politik, die darauf gerichtet sein muß, die neue Qualität des sozialistischen Lebens zu profilieren. Dazu bedarf es der Entwicklung langfristiger Konzeptionen für die verschiedenen Bedürfniskomplexe und auch der bewußten Setzung von Prioritäten, um entsprechend den Zielvorstellungen des Sozialismus und den realen ökonomischen Möglichkeiten allmählich eine sozialistische Bedürfnisstruktur herauszuarbeiten. Das setzt zugleich eine breite wissenschaftliche und — auf dieser Grundlage — auch eine allgemein-gesellschaftliche Diskussion voraus, um möglichst begründete und von der öffentlichen Meinung akzeptierte Auffassungen über die anzustrebende Bedürfnisstruktur und die Art der Bedürfnisbefriedigung zu gewinnen. Damit ist auch die Frage verbunden, wie die reale Bedürfnisentwicklung gesteuert oder zumindest beeinflußt werden kann. Meines Erachtens ist die wichtigste Voraussetzung hierfür, zuerst einmal zu erkennen, daß es sich um ein komplexes Problem handelt, zu dessen Lösung ökonomische, ideologische, sozialpsychologische und möglicherweise noch andere Mittel gemeinsam und einheitlich eingesetzt werden müssen. Gegenwärtig wirken in manchen Gebieten der Bedürfnisentwicklung die ökonomischen Mittel wie Preispolitik und ökonomische Regelungen oft in anderer Richtung als die theoretisch und ideologisch vertretenen Zielvorstellungen und sozialpsychologische Faktoren wieder in einer anderen Richtung, so daß dabei weitgehend ein spontaner Prozeß herauskommt. Um die Bedürfnisentwicklung entsprechend den sozialistischen Zielsetzungen steuern zu können, ist es notwendig, auf alle inneren Bedingungen, die Einfluß auf diesen Prozeß haben, in einheitlicher Richtung einzuwirken; es bleiben dann noch genug äußere Bedingungen, die wir ohnehin nicht beherrschen können. In diesem Zusammenhang scheint mir der Gedanke in den Thesen wichtig, daß jeder Mangel die Struktur der Bedürfnisse verzerrt, was umgekehrt formuliert bedeutet, daß ein stabiles und differenziertes Angebot eine wichtige Voraussetzung ist, um die reale Struktur der gegenwärtigen Bedürfnisse überhaupt ermitteln zu können.
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2. Zum Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Konsamtion In den Thesen wird davon ausgegangen, daß der Sozialismus als die erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation die Verteilung auf der Grundlage des Leistungsprinzips vornimmt. Es wird begründet, daß diese Verteilungsweise dem ökonomischen Reifegrad dieser Gesellschaft entspricht und das Maß sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit ausdrückt, das auf dieser ökonomischen Grundlage für alle Mitglieder der Gesellschaft realisierbar ist. Damit stimme ich völlig überein. Weiter wird dann in den Thesen festgestellt, daß die Verteilung nach Arbeitsleistung durch die unmittelbare Befriedigung der Bedürfnisse mittels Leistungen aus gesellschaftlichen Fonds ergänzt wird. Auch dagegen habe ich keine Einwände. Wenn dann aber in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „beiden sozialistischen Verteilungsprinzipien" gesprochen wird, wird daraus eine falsche These. Die Auffassung, daß es zwei sozialistische Verteilungsprinzipien gäbe, ist m. E. theoretisch nicht haltbar und führt praktisch zu unerwünschten Konsequenzen. Wenn die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung aus gesellschaftlichen Fonds ebenfalls ein sozialistisches Verteilungsprinzip ist, können aus diesem Prinzip Forderungen abgeleitet werden, die die Möglichkeiten des Sozialismus bei weitem übersteigen; auch bleibt das Verhältnis beider Prinzipien zueinander unklar. Ich bin der Meinung, daß es nur ein sozialistisches Verteilungsprinzip gibt, nämlich das Prinzip der Verteilung nach der Leistung. Dieses ist für die sozialistische Gesellschaft in ihrer ganzen Entwicklung bestimmend und bleibt es so lange, bis es in der kommunistischen Gesellschaft durch das kommunistische Verteilungsprinzip abgelöst wird, welches nicht mehr die individuelle Leistung, sondern die Bedürfnisse der Menschen zum Ausgangspunkt hat. Dabei ist allerdings folgendes zu beachten: Dem sozialistischen Verteilungsprinzip sind Widersprüche eigen, die seiner umfassenden Anwendung gewisse Grenzen setzen, obwohl es insgesamt dem ökonomischen Reifegrad der neuen Gesellschaft entspricht und eine progressive Rolle als Hebel zur Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft spielt. Die Widersprüchlichkeit des Leistungsprinzips, die darauf beruht, daß ein gleicher Maßstab auf ungleiche Menschen unter ungleichen Lebensbedingungen angewandt werden muß, hat zur Folge, daß es in bestimmten Bereichen der Bedürfnisbefriedigung nicht angewandt werden kann, wie im Gesundheitswesen, im Bildungswesen und bei einigen allgemeinen gesellschaftlichen Bedürfnissen, deren Befriedigung allen Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft in gleicher Weise verbürgt ist. Die konsequente Durchführung des Leistungsprinzips in diesen Bereichen 161 11 Koziolek
würde in Widerspruch geraten zu den grundsätzlichen Zielen des Sozialismus und zu den Interessen der Werktätigen und unvermeidlich soziale Konflikte hervorrufen. Deshalb muß die sozialistische Gesellschaft das sozialistische Verteilungsprinzip, das für die Gesamtentwicklung bestimmend ist, ergänzen durch Elemente des kommunistischen Verteilungsprinzips und in bestimmten Bedürfnisbereichen nicht von der Leistung des einzelnen, sondern von seinen Bedürfnissen ausgehen. Dieser Tatbestand zeigt meines Erachtens nur, daß der Sozialismus die erste, noch unreife Entwicklungsphase der kommunistischen Gesellschaft ist. Das zeigt sich hier in zweierlei Hinsicht: erstens ist es ganz erklärlich, daß der Sozialismus bereits gewisse Keimformen und Elemente des Kommunismus hervorbringt; und zweitens wird hierin sichtbar, daß der Sozialismus zwar noch nicht imstande ist, die völlige soziale Gleichheit aller Werktätigen zu gewährleisten, aber die Möglichkeiten besitzt, wichtige soziale Probleme im Interesse der Arbeiterklasse zu lösen, indem er nach Maßgabe seiner ökonomischen Möglichkeiten bereits Elemente des kommunistischen Verteilungsprinzips zum Zweck einer aktiven Sozialpolitik anwendet. Gehen wir so an das Problem heran, dann können wir m. E. auch das Verhältnis des bestimmenden sozialistischen Verteilungsprinzips zu den ergänzenden und korrigierenden Elementen des kommunistischen Verteilungsprinzips verstehen und zugleich einer Abwertung des Leistungsprinzips entgegentreten. Denn daran kann kein Zweifel sein: Für die erfolgreiche Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft brauchen wir die konsequente Anwendung und Entfaltung des sozialistischen Leistungsprinzips (natürlich unter Beachtung seiner Grenzen). Jede Diskriminierung des sozialistischen Verteilungsprinzips, auch jeder Versuch, ihm ein zweites sozialistisches Verteilungsprinzip zuzuordnen, kann sich nur nachteilig auf die Entwicklung der Produktivkräfte und der sozialistischen Ökonomie insgesamt auswirken. Aus der Tatsache, daß das sozialistische Verteilungsprinzip die individuelle Arbeitsleistung zum wichtigsten Maßstab der Bedürfnisbefriedigung macht, folgt m. E. auch, daß die individuelle Konsumtion im Sozialismus im Mittelpunkt der Bedürfnisbefriedigung steht. In dieser Hinsicht stimme ich mit den Kollegen überein, die diesen Standpunkt hier vertreten haben. Wir dürfen uns keine Illusionen machen über die realen Bedürfnisse der heutigen Menschen und über die realen Möglichkeiten der sozialistischen Gesellschaft, bereits gesellschaftliche Formen der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse zu verwirklichen. Nehmen wir nur das Beispiel des Verkehrs. Das Bedürfnis nach individueller Motorisierung, d. h. nach der Möglichkeit, jeden beliebigen Ort schnell, bequem und zu jeder Zeit erreichen zu können, ist auf dem heutigen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungsniveau so stark, daß es nicht 162
ignoriert werden kann. Natürlich erzeugt die Tendenz der zunehmenden individuellen Motorisierung große Probleme und Widersprüche. Theoretisch kann man sicher nachweisen, daß sie unrationell ist, und das ist schon oft genug geschehen. Nur überzeugt das keinen Menschen, weil es nur abstrakt richtig ist. Denn der Sozialismus hat noch nicht die ökonomischen Mittel, gesellschaftliche Verkehrslösungen in großem Maßstab zu entwickeln, die dieses Bedürfnis gegenstandslos machen oder ihm wenigstens spürbar entgegenwirken. Deshalb sind hier Kompromisse unvermeidlich: Die sozialistische Gesellschaft muß einerseits das starke Bedürfnis nach individueller Motorisierung in wachsendem Maße befriedigen, und sie sollte andererseits nach Maßgabe ihrer ökonomischen Möglichkeiten den öffentlichen Verkehr attraktiver gestalten, um die erste Tendenz in rationellen, d. h. gesellschaftlich zu bewältigenden, Grenzen zu halten. Doch dafür bedarf es der Ausarbeitung langfristiger Konzeptionen, wovon schon die Rede war.
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P r o f . D r . W . HEINRICHS
Zu Entwicklungsproblemen der sozialistischen Warenzirkulation von Konsumgütern bei der Realisierung der Hauptaufgabe Von den Beschlüssen des X X I V . Parteitages der K P d S U u n d des V I I I . Parteitages der S E D sind zweifellos wichtige Impulse f ü r die theoretische Arbeit ausgegangen. Von besonderem Interesse ist die stärkere H i n w e n d u n g theoretischer Arbeiten zu Problemen der individuellen K o n s u m t i o n , sind U n t e r s u c h u n g e n zur Dialektik von Produktion, individueller K o n s u m t i o n u n d Bedürfnissen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Im V o r d e r g r u n d s t e h t hierbei das Bemühen, die Wirkungsbedingungen der ökonomischen Gesetze in dieser Entwicklungsphase präziser herauszuarbeiten u n d einen schöpferischen Beitrag zur Vervollkommnung anwendungsbereiter Grundlagen f ü r die Leitung, P l a n u n g u n d ökonomische Stimulierung zu leisten. Obwohl in den Diskussionen zu den Kategorien Bedürfnis, Bedarf, zur Dialektik von P r o d u k t i o n , Bedürfnissen u n d Bedürfnisbefriedigung unterschiedliche S t a n d p u n k t e v e r t r e t e n werden, ist doch in jedem Fall bemerkenswert, d a ß diese Kategorien u n d ihre Beziehungen zu den anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Gegenstand der ökonomischen Forschung verschiedener ökonomischer Disziplinen, in erster Linie der Politischen Ökonomie des Sozialismus geworden sind. Dies festzustellen ist nicht zuletzt auch deshalb wichtig, weil bekanntlich in der Vergangenheit die Positionen der Ökonomen zur methodologischen Frage, ob u n d inwieweit die individuelle K o n s u m t i o n , die Bedürfnisentwicklung usw. sowie die v o n ihnen ausgehenden R ü c k w i r k u n g e n Gegenstand der ökonomischen Forschung seien, beträchtlich auseinander gingen. H e u t e b e s t e h t Übereinstimmung darüber, d a ß auf diesem Gebiet v e r s t ä r k t e Anstrengungen in der theoretischen Arbeit notwendig sind, u m den Vorlauf in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit den gesellschaftlichen Erfordernissen w i r k s a m e r auszubauen. Mit der weiteren schöpferischen U m s e t z u n g der Parteibeschlüsse, der Verallgemeinerung der in der Praxis gesammelten E r f a h r u n g e n darf m a n neue Erkenntnisse über W i r k u n g s z u s a m m e n h a n g u n d W i r k u n g s b e d i n g u n g e n der ökonomischen Gesetze, insbesondere des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus, erwarten. Sicher geht m a n a u c h
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nicht fehl in der Annahme, daß sich dieser in der wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit in der D D R vollziehende Vorgang auch befruchtend auf den weiteren Prozeß der Integration und Differenzierung der ökonomischen Wissenschaften selbst auswirken wird. In ähnlicher Richtung, wenn auch heute noch nicht in der Breite und Zielstrebigkeit, beginnt die theoretische Arbeit sich den Problemen der sozialistischen Warenzirkulation in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zuzuwenden. Dies ist nicht zufällig, da die Warenzirkulation in funktioneller Hinsicht der individuellen Konsumtion direkt vorgelagert ist. Einen bestimmten Stand in der Entwicklung der Produktion und gegebene Distributionsverhältnisse vorausgesetzt, stellt die Funktionsfähigkeit und -tüchtigkeit der sozialistischen Warenzirkulation einen wichtigen, relativ selbständigen Faktor dar, von dem Grad und Niveau der Bedürfnisbefriedigung ebenso wie die Effektivität der Volkswirtschaft maßgeblich abhängen. Für die Bedingungen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist charakteristisch, daß die Rückwirkungen, die von der individuellen Konsumtion bzw. von den Bedürfnissen ausgehen und über die Warenzirkulation auf die Produktion und Distribution Einfluß nehmen, immer intensiver werden. Dieser bedeutsame Vorgang, der von einer Vielzahl qualitativer Veränderungen begleitet wird, kann schon nicht mehr nur und allein aus der Sicht des reibungslosen Funktionierens der Reproduktion vom Standpunkt der Produktion erfaßt werden. Auch reichen nicht mehr die Bemühungen aus, die qualitativ neuen Probleme der sozialistischen Warenzirkulation nur aus der Sicht isolierter einzelner Wirtschaftszweige, z. B. auch des Konsumgüterhandels, zu untersuchen. In beiden Betrachtungsweisen wird die Warenzirkulation mehr oder weniger als nur vermittelndes Glied der Reproduktion aufgefaßt. Sie berücksichtigen ungenügend den für die entwickelte sozialistische Gesellschaft außerordentlich wichtigen Aspekt, daß die sozialistische Warenzirkulation als Reproduktionsphase in immer stärkeren Maße aktiv auf alle Phasen der Reproduktion und darüber hinaus insbesondere über die individuelle Konsumtion auf eine Reihe wichtiger Bereiche des gesellschaftlichen Lebens Einfluß ausübt. Die marxistisch-leninistische These vom Primat der Produktion schließt gerade diese Dialektik ein, die es zu erforschen und in der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung effektiver auszunutzen gilt. Auf dem V I I I . Parteitag der S E D wurde unterstrichen, daß die Zweige der Volkswirtschaft, die vorwiegend Prozesse der Warenzirkulation zu vollziehen haben, also auch der Handel, einen wachsenden Beitrag zur weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebens-
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niveaus sowie bei der Erhöhung der Effektivität der Volkswirtschaft zu leisten haben. 1 Ein wichtiger Ausgangspunkt zur weiteren theoretischen Durchdringung des Funktionsbereichs, der Funktionsform und -methoden der sozialistischen Warenzirkulation ist die Analyse der Veränderung, die sich in der individuellen Konsumtion, in der Struktur der Bedürfnisse, des Bedarfs und der Nachfrage in den letzten zwei Jahrzehnten in der Deutschen Demokratischen Republik vollzogen haben. Auf diesen Ausgangspunkt muß künftig stärker in theoretischen Arbeiten wert gelegt werden, da er nach unserer Ansicht mehr Einsichten in die zunehmende wechselseitige Einflußnahme der Bedürfnisse und Bedürfnisbefriedigung auf die Warenzirkulation und über sie auch alle anderen Phasen der erweiterten sozialistischen Reproduktion erschließt. Hinter den beeindruckenden quantitativen Wachstumsraten des Pro-KopfVerbrauchs, des Ausstattungsgrades mit langlebigen Verbrauchsgütern verbergen sich zugleich qualitative Veränderungen 2 , die immer mehr die Produktions- und Realisierungsbedingungen von Konsumgütern beeinflussen. Kennzeichnend in der Nachfrageentwicklung sind vor allem die wachsenden Ansprüche an die Gebrauchswerteigenschaften der Konsumgüter, an den geringeren Bedienungsaufwand, an die Formschönheit und modische Aktualit ä t . Unterstützt wird diese Tendenz durch den wachsenden Anteil neuentwickelter bzw. weiterentwickelter Erzeugnisse im Angebot. Überhaupt greifen Formgestaltung und insbesondere auch modische Tendenzen als Merkmale der Qualität auch auf solche Konsumgüter über, bei denen in der Vergangenheit noch ausschließlich Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit überwogen. Ein nur anderer Ausdruck dieser Tendenzen zeigt sich in den kritischeren und überlegteren Verhalten der Käufer auch bei Vergleichen von Gebrauchswerteigenschaften zum Preis bei der Auswahl aus dem Angebot von Konsumgütern. Eben weil ein höherer Bedarfsdeckungsgrad erreicht wurde, spielt das jeweilige konkrete Warenangebot eine entscheidende Rolle in den Kaufmotivationen. Dabei sind nicht nur Substitutionseffekte bestimmend. Der Käufer weicht von einem Warenangebot des gleichen Bedürfniskomplexes auf den Kauf von Waren anderer Bedürfniskomplexe aus, wenn letzteres 1
2
Vgl.: Direktive des VIII. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R 1971 bis 1975, in: Dokumente des VIII. Parteitages der SED, Berlin 1971, S. 116. Interessante Daten für die Struktur des Verbrauchsverhaltens der Bevölkerung werden seit geraumer Zeit vom Institut für Marktforschung, Leipzig, veröffentlicht, die bedauerlicherweise bisher für die theoretische Analyse ungenügend erschlossen wurden.
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dem Anspruchsniveau näher kommt oder gar dieses Angebot ein bisher latent vorhandenes Bedürfnis in eine neue Nachfrage umwandelt, die zum Kauf veranlaßt. Gewiß sind diese Beziehungen nach der Höhe der Einkommensgruppen und anderer sozial-ökonomischer Merkmale usw. der Käufer verschieden. Dennoch treten sie in der Tendenz immer deutlicher zutage auch und vor allem als Ergebnis der Umsetzung des sozialpolitischen Programms der Partei der Arbeiterklasse. In diesen Nachfragetendenzen zeigen sich immer deutlicher bestimmte in der sozialistischen Gesellschaftsordnung wurzelnde soziale Grundbedürfnisse, die in ihren vielfältigen Verflechtungen in einem wachsenden Anspruchsniveau allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten zum Ausdruck kommen und die ein wichtiges Merkmal der sozialistischen Lebensweise sind. Auch kann nicht bestritten werden, daß die Gesamtheit der Zirkulationsbedingungen wesentlich davon beeinflußt wird, in welchem Grad in mengenund wertmäßiger Hinsicht stabile Bedingungen für die Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage geschaffen werden. Der Grad der Ubereinstimmung von Angebot und Nachfrage in mengen- und wertmäßiger Hinsicht ist bekanntlich bei den Artikeln verschiedener Bedürfniskomplexe unterschiedlich. Ein Grund dieser Differenzierung ist die Rang- und Reihenfolge der Bedürfnisbefriedigung selbst. Ein wesentliches Kennzeichen der Politik der Partei der Arbeiterklasse besteht anknüpfend an die Rang- und Reihenfolge der Bedürfnisbefriedigung darin, stabile Versorgungsbedingungen bei den Warengruppen und in den Bedürfniskomplexen zu schaffen, die die Mehrheit der Bevölkerung für besonders dringlich empfindet. Zu den Ergebnissen der erfolgreichen Umsetzung der Beschlüsse des VIII. Parteitages zählen u. a., daß wir bei vielen Sortimenten in mengen- und wertmäßiger Hinsicht stabile Voraussetzungen geschaffen haben, die sich wesentlich auf die Zirkulationsbedingungen auswirken. Betrachtet man die Gesamtheit der Zirkulationsbedingungen von Konsumgütern, so nehmen die Faktoren, die in der Spezifik der Reproduktionsbereiche, beginnend bei der Forschung, der Produktion bis hin zur Zirkulation und den Bedürfniskomplexen liegen, als auch die Faktoren, die in ihrer wechselseitigen Wirkung aus der Spezifik des Territoriums resultieren, an Gewicht zu. Die konkreten Verbindungen zwischen Produktion und individueller Konsumtion, die über die Warenzirkulation aktiv beeinflußt oder sogar selbst gestaltet werden, werden differenzierter. Geht man von diesen Veränderungen in den Zirkulationsbedingungen von Konsumgütern aus, so ist keinesfalls die Annahme berechtigt, daß die Entwicklung beginnend bei der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus bis hin zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft etwa mit einer Tendenz der Vereinfachung und Uniformierung der Zirkula-
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tionsbedingungen von Konsumgütern hinsichtlich ihrer Realisierung im Sinne eines Automatismus gleichbedeutend sei. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die qualitativen Anforderungen an die Leitung, Planung und Organisation der sozialistischen Warenzirkulation nehmen objektiv zu. Das betrifft z. B. die immer stärkere Berücksichtigung sozialer Zielsetzungen und solcher, die aus der harmonischen Entwicklung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens resultieren, auf die Gestaltung der Zirkulationsbedingungen, denen mit der Ausdehnung der Planungshorizonte, der Bedürfnisforschung, der Gestaltung rationeller Verbrauchsstrukturen, der differenzierten Einkommenspolitik usw. entsprochen werden muß. Zum anderen wachsen die Anforderungen a n Flexibilität und Reaktionsfähigkeit auf Nachfrageveränderungen, die sich aus der Dynamik der Bedürfnisentwicklung und -Veränderungen ergeben. Seit dem VIII. Parteitag wurden beträchtliche Anstrengungen unternommen, in Übereinstimmung mit diesen objektiven Veränderungen das Planungssystem zu vervollkommnen. Dazu zählen — die wirksamere Integration der Warenzirkulation von Konsumgütern in die Volkswirtschaftsplanung, differenziert nach den Planungszeiträumen sowie die Vervollkommnung der Bilanzierung von Warenfonds und Kauffonds, die ihrerseits wiederum eine Reihe wichtiger Aktivitäten zur exakteren Bilanzierung der Geldeinnahmen und Geldausgaben der Bevölkerung aus löste, — die zunehmende Berücksichtigung bestimmter Proportionalitätsbedingungen zwischen produzierenden Zweigen der Volkswirtschaft und denen, die für die Lagerung, Sortimentierung, den Transport und für das verbrauchsnahe Angebot von Waren und Diensten verantwortlich sind, — die differenzierte Berücksichtigung der sozialökonomischen Struktur der Territorien bei der Planung der Warenfonds, verbunden mit der Schaffung von Bedingungen, die die örtlichen Organe der Staatsmacht besser in die Lage versetzen, ihrer Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung nachzukommen, — die Einführung von Toleranzen in die Planung, um ein bewegliches Reagieren auf kurzfristige Nachfrageveränderungen durch die Produktionsund Handelsbetriebe zu ermöglichen, — die Vervollkommnung des Instrumentariums zur Bedarfsforschung, das differenziert nach dem jeweiligen Zweck (für die Ausarbeitung des Jahresplanes, des Einkaufsplanes sowie für die operative Wirtschaftstätigkeit) nach der Spezifik der Produktions- und Reproduktionsbedingungen bestimmter Bedürfniskomplexe, wie nicht zuletzt nach den verschiedenen
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arbeitsteilig gestalteten Gliedern der Warenzirkulation (Industrieabsatz, Groß- und Einzelhandel) gestaltet werden konnte, — die Anerkennung des unterschiedlichen Zeitaufwandes in der Warenzirkulation, der einerseits mit der Erhöhung der vollen Angebotsbereitschaft des Handels, zum anderen mit Anstrengungen zur Beschleunigung des Warenumschlages verbunden ist, in der Planung des Gewinns sowie der Handelskosten. Der zunehmende Differenzierungsgrad in der Realisierung von Konsumgütern in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft hat nichts mit dem für den Kapitalismus und seinem imperialistischen Stadium typischen „Realisierungsproblem" zu tun, da dessen Ursache in der Ausbeuterordnung selbst verwurzelt ist. Der Widerspruch zwischen der schrankenlosen Ausdehnung des Produktionsfeldes und der Beschränkung der Konsumtionskraft für die Masse der Gesellschaft ist antagonistischer Natur und kann folglich nur auf revolutionärem Wege gelöst werden. Lenin wandte sich in der Auseinandersetzung mit Struwe gegen eine Verwässerung der sozialen Ursachen des Realisierungsproblems im Kapitalismus und wies n a c h . . . „daß selbst bei ideal glatter und proportionaler Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals der Widerspruch zwischen dem Wachstum der Produktion und dem beschränkten Ausmaß der Konsumtion unvermeidlich ist". Außerdem, so fügte Lenin hinzu „ . . . verläuft jedoch in der Wirklichkeit der Realisierungsprozeß nicht mit ideal glatter Proportionalität, sondern nur unter „Schwierigkeiten", „Schwankungen", „Krisen" usw." 1 Mit der Errichtung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft sind nicht nur die sozialen Ursachen für den antagonistischen Widerspruch zwischen Produktion und individueller Konsumtion entzogen. Gegenüber den vorangegangenen Entwicklungsphasen des Sozialismus verfügt die entwickelte sozialistische Gesellschaft über bedeutend mehr Möglichkeiten, um auf qualitativ und quantitativ neue Weise den intensiver werdenden Wechselbeziehungen zwischen Produktion, individueller Konsumtion und Bedürfnissen dem höchsten Ziel der sozialistischen Produktion entsprechend Rechnung zu tragen. In diesen wechselseitigen Prozeß ist die sozialistische Warenzirkulation mitten hinein gestellt, und es ist notwendig, von der Position dieser qualitativ neuen Bedingungen aus Thesen kritisch zu überprüfen, die in den zurückliegenden Entwicklungsphasen ihre Berechtigung hatten und die damaligen 1
W. I. LENIN, Noch einmal zur Frage der Realisationstheorie, in: Werke, Bd. 4, Berlin 1955, S. 78.
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Entwicklungsbedingungen richtig widerspiegelten, aber gegenwärtig und künftig immer mehr die zielstrebige Realisierung der Hauptaufgabe zu bremsen beginnen. Dazu zählen zweifellos Auffassungen und Praktiken, die von der automatischen Realisierung der Konsumgüter im Sozialismus ausgehen, die ungenügend differenzierte These vom Großhandel als dem volkswirtschaftlichen Lagerhalter sowie vor allem — und darin lassen sich alle erwähnten Auffassungen zusammenfassen — die These, wonach der Handel die Verteilung von Konsumgütern zu vollziehen habe. Marx hat bei der Darstellung der Distribution und des Austauschs im Rahmen der Wechselbeziehungen zwischen Produktion und individueller Konsumtion stets auf die Gemeinsamkeiten und zugleich Unterschiede dieser Reproduktionsphasen hingewiesen. Ihre Gemeinsamkeit besteht zunächst darin, daß sie wegen ihrer Stellung vermittelnde Funktionen ausüben. Aber die vermittelnde Natur dieser Funktionen besteht in doppelter H i n s i c h t . . indem die Distribution als das von der Gesellschaft, der Austausch als das von den Individuen ausgehende Moment bestimmt ist". 1 Mit der Festlegung des Anteils, worin sich die Werktätigen in Übereinstimmung mit Qualität und Quantität der Arbeitsleistung an den Fonds der individuellen Konsumtion beteiligen, ist der Distributionsprozeß noch nicht abgeschlossen. Er wird in der Warenzirkulation fortgesetzt und mit der Überführung des Produkts in die individuelle Konsumtion endgültig abgeschlossen. Aber diese Fortsetzung und Beendigung von Distributionsprozessen in der und durch die Warenzirkulation hat ihre Spezifik. Sie, die Warenzirkulation nämlich, hat gegenüber der Produktion zu bestimmen ,,... worin das Individuum den durch die Distribution zugewiesenen Anteil verlangt". 8 Um das Begreifen der Dialektik in diesen Beziehungen geht es, wenn von der Verteilung die Rede ist. Gewiß ist der Begriff der Verteilung in dem Sinne, daß der Handel schlechterdings das zu verteilen hat, was die Industrie liefert, aus der Literatur verschwunden. Aber weder dieser Umstand, noch bloße Forderungen nach Überwindung aller Überreste der Verteilung reichen aus, da sie keine echte, den neuen gesellschaftlichen Entwicklungserfordernissen adäquate Alternative sichtbar werden lassen. Aus diesem Grunde ist die seit dem VIII. Parteitag der SED immer wieder erneut unterstrichene und an der Analyse der Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse erhärtete Orientierung — den Bedarf der Bevölkerung zu einer K. MARX, „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 10/11. * Ebenda, S. 11. 1
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wesentlichen Ausgangsgröße der Planung zu gestalten und auf neue Art und Weise an die Leitung und Planung der Versorgung der Bevölkerung heranzugehen — nicht nur so zu verstehen, daß höhere Zuwachsraten für den Binnenmarkt geplant, bilanziert, produziert und bereitgestellt werden. Diese Orientierung ist auch als Anspruch aufzufassen, mit den wachsenden ökonomischen Möglichkeiten alle Reste des Verteilens und aller jener Denkund Verhaltensweisen, die in irgendeiner Weise der Auffassung einer automatischen Realisierung der Konsumgüter Nahrung gegen könnten, zu überwinden. Das schließt auch die ernsthafte und kritische Überprüfung der Beziehungen zwischen den Produktions- und Handelsbetrieben einschließlich der zu ihnen gehörenden Ware—Geld-Beziehungen ein. Immerhin war die Verteilung von Konsumgütern dann notwendig, wenn bei zum Teil erheblichen mengenmäßigen Differenzen zwischen Bereitstellungsmöglichkeiten und Nachfragevolumen sowie stabilen Einzelhandelsverkaufspreisen die Versorgung der Bevölkerung nach politischen und sozialen Gesichtspunkten in den verschiedenen Territorien kontinuierlich zu gestalten war. Heute erweisen sich Verteilungstendenzen dort, wo ein höherer Grad der Bedarfsdeckung erreicht wurde und auch in mengenmäßiger Hinsicht die Differenzen zwischen Bereitstellung aus eigener Produktion und Import einerseits und Nachfragevolumen andererseits immer mehr überwunden werden als ernstes Hindernis, das Produktions- und Handelsangebot bedarfsgerecht zu gestalten. In dieser Situation tragen Verteilertendenzen dazu bei, daß die von der individuellen Konsumtion als der Phase der Reproduktion der Bedürfnisse ausgehende Triebkraftwirkung in der Warenzirkulation ins Stocken gerät oder verzerrt wird. Letztere wiederum ist in diesem Fall nicht in der Lage, daß sich, wie Marx im Zusammenhang mit der Schaffung und Realisierung des Mehrprodukts der Gesellschaft schreibt , , . . . der konsumtive Zirkel innerhalb der Zirkulation ebenso erweitert wie vorhin der produktive Zirkel. Erstens quantitative Erweiterung der bestehenden Konsumtion; Zweitens: Schaffen neuer Bedürfnisse, dadurch, daß Vorhandene in einem größeren Kreis propagiert werden; Drittens: Produktion neuer Bedürfnisse und Entdeckung und Schöpfung neuer Gebrauchswerte." 1 Im untrennbaren Zusammenhang mit den sich in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft vollziehenden qualitativen Veränderungen nimmt auch das Gewicht der Realisierung von Konsumgütern als Ware in ihrer Einheit von Gebrauchswert und Wert zu. Entsprechend den sozialökonomischen Grundlagen der sozialistischen Warenproduktion und Warenzirkulation handelt es sich um eine neue, die 1
Ebenda, S. 312. (Hervorhebung von K. M.)
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sozialistische Qualität in der Einheit von Gebrauchswert und Wert. Die Funktion des Gebrauchswertes besteht in der Folge seiner natürlichen Eigenschaften darin, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Insofern wächst in bedeutendem Maße der Anspruch an alle seine Eigenschaften, die die individuellen Nutzensempfindungen, aber insbesondere auch seine gesellschaftliche Nützlichkeit realisieren helfen. Bekanntlich verfügt aber die entwickelte sozialistische Gesellschaft in Folge des erreichten Entwicklungsniveaus der Produktivkräfte noch nicht über die erforderlichen Bedingungen dafür, daß die Herstellung des Gebrauchswertes die alleinige Voraussetzung für seine Konsumtion ist. Das Ausmaß der Produktion, das Ausmaß der Bedürfnisbefriedigung unterlagen in dieser Entwicklungsphase einer strengen gesellschaftlichen Kontrolle, die auch über den Wert und seine Größe ausgeübt wird. 1 Sowohl die konkrete, als auch die abstrakte Arbeit sind ihrer Qualität nach unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, da sie auf der Grundlage des sozialistischen Eigentums von der sozialistischen Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem Umfang und der Struktur der Bedürfnisse und entsprechenden Anteilen auf die verschiedenen Zweige und Betriebe planmäßig verteilt werden. Aber da die in den sozialistischen Betrieben geleistete Arbeit relativ verselbständigt verausgabt wird, nicht unmittelbar vergleichbar ist, müssen die Konsumgüter als Waren, d. h. als vergegenständlichte gesellschaftlich notwendige abstrakte Arbeit, d. h. als Werte verglichen werden. „Diese wechselseitige Notwendigkeit ist auf der Grundlage des Tauschwertes durch den Austausch vermittelt und zeigt sich eben darin, daß jede besondere objektivierte Arbeit, jede besonders spezifizierte und materialisierte Arbeitszeit sich gegen das Produkt und Symbol der allgemeinen Arbeitszeit, der objektivierten Arbeitszeit schlechthin, gegen Geld austauscht und so sich gegen jede besondere Arbeit wieder austauschen k a n n . " 2 Der Wert der Konsumgüter wie auch die Notwendigkeit seiner Realisierung, also der Verwandlung aus der Warenform in die Geldform, sind objektive Merkmale der Produktionsverhältnisse in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Insofern hat die Überführung der Konsumgüter in die individuelle Konsumtion nicht nur zur Voraussetzung, daß die Ware einen Gebrauchswert hat, sondern daß sie sich als Wert realisiert. 1
2
Wir sehen hier von einer tieferen methodologischen Untersuchung der Ursachen für die Existenz der Warenproduktion und Warenzirkulation in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ab, da sie für die Klärung der hier zu behandelnden Problematik nicht zwingend notwendig ist. K. MARX, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, a. a. O., S. 425.
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Die Dialektik der Wechselbeziehungen zwischen Gebrauchswert und Wert, die sich in den Wechselbeziehungen zwischen Ware und Geld, zwischen Käufer und Verkäufer sowie schließlich zwischen Angebot und Nachfrage äußern, werden in ihrer Wirkungsintensität maßgeblich von den Wechselbeziehungen zwischen Produktion und individueller Konsumtion bestimmt, denn ,,... in dem Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr der Waren . . . wiederholt sich das Verhältnis . . . vom Produzent und Konsument, obgleich beide durch dritte Kaufleute vertreten sein mögen." 1 Die für die entwickelte sozialistische Gesellschaft charakteristischen Wechselbeziehungen zwischen Produktion, individueller Konsumtion und Bedürfnissen ermöglichen und erfordern, die Realisierung der Konsumgüter als Waren immer nachdrücklicher für eine bedarfsgerechte und hocheffektive Produktion und Zirkulation von Konsumgütern auszunutzen. J e höher der Grad der Bedarfsdeckung, je größer die Möglichkeiten der sozialistischen Gesellschaft, den planmäßigen Zusammenhang ,,... zwischen dem Umfang der gesellschaftlichen Arbeitszeit, verwandt auf die Produktion bestimmter Artikel und dem Umfang des durch diese Artikel zu befriedigenden gesellschaftlichen Bedürfnisses . . . " a herzustellen, desto genauer reflektiert die Realisierung der Konsumgüter den Grad des bedarfsgerechten Angebots der Produktion und des Handels. In dem Maße, wie die mengenmäßigen Diskrepanzen zwischen Produktionsmöglichkeiten und Nachfragevolumen überwunden werden, gleichzeitig der Grad der Bedarfsdeckung ansteigt, verstärkt sich die Wirkungsintensität der Nachfrage auf das Warenangebot. Diese Veränderungen sind ihrerseits wiederum damit verbunden, daß die Bedingungen für die Realisierung der Konsumgüter als Waren (und damit die Bedingungen für die Erwirtschaftung des Gewinns für die Produktions- und Handelsbetriebe, zunächst unabhängig von der konkreten normativen Ausgestaltung) immer mehr die bedarfsgerechte Übereinstimmung der Gebrauchswerte in Menge, Qualität, Sortiment und zeitlichem Angebot widerspiegeln und gleichzeitig das materielle Interesse an einer bedarfsgerechten und effektiven Produktion und Zirkulation erhöhen. Folglich schließt die aus der Hauptaufgabe abgeleitete Orientierung der Partei der Arbeiterklasse, den Bedarf zu einem wesentlichen Ausgangspunkt der Planung zu machen, die vollständige Ausnutzung der Ware—GeldBeziehung und ihre Berücksichtigung bei der Leitung, Planung und ökonomischen Stimulierung ebenso ein, wie alle die auf den Gebrauchswert und seine bedarfsgerechte Produktion und Zirkulation ausgerichteten Aktivitäten. 1 2
K. MARX, Das Kapital, Bd. 3, in: MEW, Bd. 25, Berlin 1962, S. 203. Ebenda, S. 197.
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Sie bedeutet zugleich eine klare Absage an revisionistische Konzeptionen, die die Übereinstimmung von Produktion und individueller Konsumtion, von Angebot und Nachfrage dem spontanen Marktmechanismus überlassen wollen, ebenso wie an linksopportunistische Phrasen, die objektiven Prozesse der Warenrealisierung als der sozialistischen Gesellschaft wesensfremde und störende Elemente zu deuten, die „als Restelemente des Kapitalismus" mit administrativen Mitteln zu überwinden seien. 1 Mit den veränderten Produktions- und Realisierungsbedingungen für Konsumgüter und auf der Grundlage der weiteren Vervollkommnung der zentralen Leitung und Planung reifen deshalb neue Bedingungen heran, in den Beziehungen zwischen Produktions- und Handelsbetrieben die Funktionsformen und -methoden der sozialistischen Warenzirkulation für die konsequente Orientierung auf die Deckung des Bedarfs in Menge, Qualität, Sortiment und in zeitlicher Hinsicht wirksam auszunutzen. Einer der Dreh- und Angelpunkte dabei ist die Formierung des Angebotes und seines Verkaufs durch die Betriebe der Konsumgüterindustrie an den Handel, der wiederum mit dem Einkauf der Handelsbetriebe identisch ist. Die Vorbereitung des Handels auf den Einkauf muß in Bestellungen münden, die die Nachfrage der Bevölkerung für einen bestimmten Bedarfszeitraum (z. B. für ein halbes J a h r und länger) repräsentieren. Allerdings sind die Einkaufsvorstellungen des Handels nicht als additative Summe der Bedarfsäußerung der Bevölkerung zu werten. Vielmehr stellen sie die in gesellschaftlichen Dimensionen transformierten gesellschaftlich anerkannten Bedürfnisse dar, die unmittelbar (über Vertragsabschluß) vom Erzeugnis ausgehend in sachliche und zeitliche Produktionsbedingungen der Industriebetriebe umsetzbar sind. Somit repräsentiert der Handel mit seinen Bestellungen, die aus den staatlichen Planaufgaben abgeleitet sind, den Gebrauchswert auf gesellschaftlicher Potenz.® Mit der aufgegebenen Bestellung und dem vollzogenen Vertragsabschluß, der den Kollektiven in den Produktionsbetrieben der Finalstufe eine auf den Verkauf gerichtete, in Menge, Preisstruktur, Sortiment, Qualität, den Lieferzeitraum und den Lieferzeitpunkten entsprechende Bedarfsorientierung gibt, 1
2
Vgl. N. PETRAKOV: Mythen vom „Marktsozialismus" und die ökonomische Realität, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, Nr. 2/1973, S. 195ff. G. KKATJSE, Zur Polemik linksopportunistischer Auffassungen über die Warenproduktion im Sozialismus; in: Zu einigen Problemen von Geld und Kredit in der sozialistischen Planwirtschaft; Wissenschaftliche Schriftenreihe der HumboldtUniversität zu Berlin, Berlin 1972, S. 109 ff. Vgl. K. MAKX, Das Kapital, a. a. O., S. 685.
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werden die staatlichen Planaufgaben nicht nur detaillierter aufgeschlüsselt. In diesem Prozeß erfolgt eine Heranführung und Übereinstimmung der Produktionsbedingungen mit den Realisierungsbedingungen der Konsumgüter. In dieser Phase werden bewußt Aktivitäten von Produktions- und Handelsbetrieben unternommen, um die Bedingungen dafür zu schaffen, daß die Realisierung des in der Ware enthaltenen Wertes (Preises) als Voraussetzung für die Realisierung des Gebrauchswertes wirkt wie umgekehrt die Realisierung des Wertes, die gesellschaftliche Anerkennung des Gebrauchswertes zur Voraussetzung hat. Zwar handelt es sich beim Verkauf der Konsumgüter durch Produktionsbetriebe an Handelsbetriebe nicht um die endgültige Überführung der Konsumgüter in die individuelle Konsumtion und deshalb um die endgültige Realisierung der Konsumgüter als Waren. Dennoch wird im Umfang des abgeschlossenen Vertrages ein halbes J a h r und länger vor dem Bedarfszeitraum die gesellschaftliche Anerkennung faktisch vorweggenommen. Daraus leitet sich für die Handelsbetriebe eine wachsende Verantwortung ab. Sie haben in den verschiedensten Formen eine aktive Handelstätigkeit zu entwickeln, die — von den Kaufabsichten und Bedürfnissen der Kunden ausgehend — vielfältige Aktivitäten — beginnend bei der Gestaltung eines attraktiven Warenangebots bis hin zum Angebot von Kundendiensten — einschließt. Nicht zuletzt gehören dazu saubere Verkaufsräume, die übersichtliche Anordnung der Sortimente, wie auch ein vollständiges Warenangebot bis zum Ende des Verkaufstages. Der Informations- und Warenfluß vom Groß- zum Einzelhandel muß transparenter gestaltet werden, um Diskrepanzen zwischen Angebot und Liefermöglichkeiten des Großhandels und dem Angebot in den Verkaufsstellen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang sind weitere Üb erlegungen in Richtung auf die normative Ausgestaltung der Bestandsplanung sowie der beweglichen Arbeit mit den vorhandenen Beständen in Groß- und Einzelhandelsbetrieben einschließlich jener Restbestände notwendig, die sich bei Ende des Saisonsverlaufs unter Umständen zu bilden beginnen. Diese und eine Reihe anderer Fragen berühren das Handelsrisiko beim Wareneinkauf, das im engen Zusammenhang mit den bereits erwähnten qualitativ veränderten Zirkulationsbedingungen bei Konsumgütern steht. Der Verkauf der Konsumgüter durch die Industriebetriebe an die Handelsbetriebe erweist sich folglich immer mehr als ein untrügliches Kriterium dafür, ob Produktionsmenge und -Sortiment, Preisstruktur, Qualität sowie Lieferzeitraum und -Zeitpunkt der Nachfrage entsprehen. Der vertraglich fixierte Verkauf ist für das Kollektiv des Produktionsbetriebes eine unerläßliche Voraussetzung für die Erfüllung der staatlichen Planaufgaben. Basierend auf den staatlichen Planaufgaben werden durch den 176
Vertragsabschluß stabile Grundlagen für die Orientierung des Kollektivs im sozialistischen Wettbewerb geschaffen: entsprechend dem Bedarf zu produzieren, keine Lieferrückstände und Qualitätsmängel zuzulassen, das Sortiment in den vereinbarten Anteilen lieferbereit zu gestalten, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zielstrebig für die Erhöhung des Anteils von Neuund Weiterentwicklung zu nutzen, um der Dynamik der Nachfrageveränderungen besser Rechnung tragen zu können. Der vertraglich fixierte Verkauf löst ebenfalls wichtige Impulse bei den Kollektiven vorgelagerter Produktionsstufen aus und lenkt ihre Initiativen darauf, die Materialzusammensetzung und die Materialeigenschaften zu verbessern und durch die Entwicklung und ausreichende und rechtzeitige Bereitstellung produktiverer Produktionsmittel Voraussetzungen für eine höhere Effektivität in der Herstellung von Konsumgütern zu schaffen. Es erweist sich als notwendig, die Ware—Geld-Beziehung auf der Grundlage der staatlichen Planaufgaben auch in den Beziehungen zwischen Finalproduzenten und ihren Zulieferern auszunutzen. Für die Funktionstüchtigkeit der wirtschaftlichen Rechnungsführung werden damit Reserven erschlossen. Sie liegen vor allem darin, die Bedingungen für die Erwirtschaftung des Gewinns im stärkeren Maße einer bedarfsgerechten Produktion nicht nur der Menge, sondern auch dem Sortiment, der Qualität und der zeitlichen Lieferungen und der Angebotsgestaltung nach genauer unterzuordnen. In der Vergangenheit waren auch bedingt durch das Bestehen zum Teil erheblicher Differenzen zwischen mengenmäßigem Bedarf und Produktionsmöglichkeiten der wachsenden Verantwortung der Produktions- und Handelsbetriebe für den Warenverkauf und -einkauf von Konsumgütern gewisse Grenzen gesetzt. In dem Bemühen, bereits längere Zeit vor dem Bedarfszeitraum entsprechende Produktionskapazitäten langfristig vertraglich zu binden, wurden die Industriebetriebe von ihrer Verantwortung für den Verkauf der Erzeugnisse zum Teil entlassen. Dazu trug auch in gewisser Weise die in den letzten Jahren vollzogene Zentralisierung des Einkaufs auf Seiten des Handels bei, die die Verantwortung der Handelsbetriebe für den Einkauf, unabhängig davon, ob es sich jeweils um Standardartikel oder um mehr modische Erzeugnisse handelte, beschränkte. Mögen alle diese Erscheinungen in den zurückliegenden Jahren angesichts der gegebenen Produktions- und Realisierungsbedingungen von Konsumgütern ihre Berechtigung gehabt' haben, so treten sie jetzt immer mehr in Widerspruch zu den neu herangereiften Bedingungen. Eine der Ursachen dafür lag und liegt in der ungenügenden theoretischen Klärung der Gemeinsamkeiten und zugleich der Unterschiede, die die sozialistische Warenzirkulation als Reproduktionsphase und der sozialistische Konsumgüterhandel als In-
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stitution (als Wirtschaftszweig) aufweisen, wenn Arbeitsteilung zwischen Produktion und Handel existiert. Mit der Arbeitsteilung zwischen Produktion und Handel, die sich in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Existenz von Zweigen, die vorwiegend produzierende oder Handelstätigkeit ausüben, äußert, ist keinesfalls eine völlige Trennung der Verantwortung für die Zirkulation und damit für die Realisierung der Konsumgüter verbunden. Im Gegenteil — und dies ist ein bedeutender Vorzug des reifen Sozialismus — schließen die Gesetzmäßigkeiten der Vergesellschaftung der Arbeit ein, daß die Verantwortung der Industriezweige und -betriebe für die Realisierung ihrer Erzeugnisse wächst und nicht zu dem Zeitpunkt beendet ist, zu dem die Erzeugnisse in das Handelsnetz übergehen. Umgekehrt setzt die Verantwortung der Handelstätigkeit nicht erst zum Zeitpunkt der Bestellung ein. Indem die Handelsbetriebe den Bedarf konsequent zum Ausgangspunkt ihrer gesamten Arbeit machen, nehmen sie bereits längere Zeit vor dem eigentlichen Einkauf Einfluß auf die Grund- und Angebotskollektion, auf den rationellen Materialeinsatz in Übereinstimmung mit den an den Gebrauchswert zu stellenden Parametern. Nicht zuletzt unterstützen sie durch die Formierung der Bestellgrößen den Kampf der Werktätigen, in den Produktionskollektiven höhere Losgrößen zu erreichen, die Umrüstzeiten zu verkürzen und damit die Effektivität ihrer Arbeit zu erhöhen. In diesen Kooperationsformen zeigen sich bereits deutlich qualitative Merkmale, die auf der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe beruhen und die über den ökonomischen Bereich hinausragen und bedeutend inhaltsvoller sind als die Ware—GeldBeziehungen sie allein zu erfassen vermögen. Aber gerade letzteres darf nicht moralisierend gewertet werden, etwa in dem Sinne, daß die W a r e - G e l d Beziehungen in der Entwicklung der Kooperation eine völlig untergeordnete Rolle zu spielen hätten. Es geht darum, die von der Ware—Geld-Beziehung ausgehenden stimulierenden Impulse so auszunutzen, um der neuen Qualität in der Vergesellschaftung der Arbeit zum vollen Durchbruch zu verhelfen. Dazu gehört, daß die Verantwortung der Industriebetriebe und ihrer wirtschaftsleitenden Organe für den Verkauf ihrer Erzeugnisse an die Handelsbetriebe gestärkt wird. Diese Verantwortung ist unteilbar. Sie schließt vor allem ein, in Übereinstimmung mit den staatlichen Planaufgaben und auf ihrer Grundlage das Angebot rechtzeitig mit dem Bedarfszeitraum abgestimmt in der vollen Breite und dem Sortiment, basierend auf den Ergebnissen der eigenen Bedarfsforschung und der des Handels zu gestalten. Um den Bereitschaftsgrad zur Entgegennahme der Bestellung der Handelsbetriebe zu erhöhen, müssen zum Zeitpunkt des Verkaufs die entsprechenden Produktionskapazitäten sowie die Kooperationsbeziehungen zu den Vorstufen so weit
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geordnet und vorbereitet sein, daß während der Verkaufsveranstaltung die Handelsbetriebe in die Lage versetzt werden, nach Möglichkeit in voller Höhe der staatlichen Planaufgaben Bestellungen aufzugeben und Verträge abzuschließen. Von gesellschaftlichem Interesse dabei ist, in welchem Grad die Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts bei gegebenem Produktionssortiment auch zu einer Verkürzung des Produktionsdurchlaufs in der Finalstufe führt, um den Produktionszeitraum näher an den Bedarfszeitraum heranzuführen. Besonders wichtig dabei ist, daß die in den letzten Jahren sich abzeichnenden Veränderungen im jahreszeitlichen Nachfragerhythmus, z. B. in den Anteilen des l . u n d 2. Halbjahrs und zwischen den einzelnen Quartalen, u. a. auch ausgelöst durch Veränderungen im Rhythmus der Geldauszahlung an die Bevölkerung, durch entsprechende Lieferzeiträume und Lieferzeitpunkte berücksichtigt werden. Die rechtzeitige Vorbereitung der Verkaufsveranstaltungen ist vor allem bei modischen Erzeugnissen von Bedeutung, da von ihr maßgeblich die Lieferzeiträume und die Lieferzeitpunkte abhängen, die ihrerseits die Aktualität des Angebots im Einzelhandel maßgeblich beeinflussen. Hier dürfen keine Verzögerungen zugelassen werden, da sie zwangsläufig zu Effektivitätsverlusten in den Produktions- und Handelsbetrieben führen, abgesehen davon, daß der Konsumtionseffekt der Erzeugnisse beträchtlich geschmälert wird. Zweifellos wird die stärkere Gewichtung des Verkaufs und die damit verbundene wachsende Verantwortung der Industriebetriebe für die Realisierung ihrer Erzeugnisse maßgeblich von der Qualität der Handelstätigkeit, vor allem aber von der Qualität der Vorbereitung des Einkaufs der Handelsbetriebe bei den Produktionsbetrieben bestimmt. Dieser Wirkungszusammenhang von Verkauf und Einkauf macht die ständig steigenden Anforderungen an die Qualität der Bedarfsforschung deutlich. Dazu ist es notwendig, die Verantwortung der Groß- und Einzelhandelsbetriebe und ihrer wirtschaftsleitenden Organe für die Bedarfsforschung zu bestimmen, die Informationsbeziehungen zwischen Handels- und Industriebetrieben zu vervollkommnen, um über den Austausch von Informationen über Bedarfstendenzen und Nachfrageveränderungen einen gemeinsamen, d. h. einen volkswirtschaftlich orientierten, Standpunkt zu erreichen. Solche Arbeiten sind keinesfalls unterzubewerten, da sie einen Vorzug des Sozialismus deutlich machen, die Kenntnisse über den Bedarf und seine Entwicklung der arbeitsteilig in Produktion und Zirkulation wirkenden sozialistischen Kollektive für die Zwecke der Planung und die operative Wirtschaftstätigkeit voll auszunutzen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil jener Bedingungen und Voraussetzungen für die weitere Vergesellschaftung der Arbeit, die unmittel179 12*
b a r m i t d e m z u n e h m e n d e n R e i f e g r a d der sozialistischen P r o d u k t i o n s v e r h ä l t nisse u n d einer i h r e r c h a r a k t e r i s t i s c h e n B e w e g u n g s f o r m e n , der P l a n m ä ß i g keit, z u s a m m e n h ä n g t . Dieser Vergesellschaftungsprozeß k a n n u n d m u ß d u r c h die A u s n u t z u n g d e r W a r e — G e l d - B e z i e h u n g u n t e r s t ü t z t w e r d e n . Der A n s a t z p u n k t d a f ü r liegt in d e m enger w e r d e n d e n Z u s a m m e n h a n g zwischen d e m ö k o n o m i s c h e n Z w a n g , d e n Bedarf gründlich zu erforschen u n d d e m G r a d der r e l a t i v e n S e l b s t ä n d i g k e i t der H a n d e l s b e t r i e b e b e i m E i n k a u f der K o n s u m g ü t e r bei d e n P r o d u k t i o n s b e t r i e b e n . Dieser Z u s a m m e n h a n g resultiert a u s d e m F u n k t i o n s b e r e i c h der w i r t s c h a f t l i c h e n R e c h n u n g s f ü h r u n g , der d a s materielle Interesse der Kollekt i v e der H a n d e l s b e t r i e b e auf einen b e d a r f s g e r e c h t e n E i n k a u f als V o r a u s s e t z u n g f ü r eine h o h e Versorgungsleistung u n d f ü r w a c h s e n d e E f f e k t i v i t ä t der eingesetzten G r u n d - u n d U m l a u f f o n d s l e n k t . I m Z u s a m m e n h a n g m i t d e n bereits eingangs e r w ä h n t e n B e d i n g u n g e n d e r weiteren D i f f e r e n z i e r u n g der B e d a r f s e n t w i c k l u n g , der H e r a u s b i l d u n g spezifischer P r o d u k t i o n s - u n d R e a l i s i e r u n g s b e d i n g u n g e n bei b e s t i m m t e n W a r e n eines oder m e h r e r e r B e d ü r f n i s k o m p l e x e , der H e r a u s b i l d u n g t e r r i t o r i a l e r B e s o n d e r h e i t e n in der B e d a r f s e n t w i c k l u n g u s w . sowie der w a c h s e n d e n Vera n t w o r t u n g der I n d u s t r i e b e t r i e b e f ü r die V o r b e r e i t u n g u n d D u r c h f ü h r u n g des V e r k a u f s i h r e r Erzeugnisse ist es n o t w e n d i g , i m m e r wieder e r n e u t d e n G r a d der Z e n t r a l i s i e r u n g des E i n k a u f s d u r c h den H a n d e l oder a n d e r s a u s g e d r ü c k t , der G r a d der r e l a t i v e n Selbständigkeit der H a n d e l s b e t r i e b e b e i m E i n k a u f der K o n s u m g ü t e r zu ü b e r p r ü f e n . Die n e u h e r a n g e r e i f t e n B e d i n g u n g e n s p r e c h e n d a f ü r , i m R a h m e n der weiteren V e r v o l l k o m m n u n g der s t a a t l i c h e n P l a n u n g der W a r e n f o n d s u n d des W a r e n b e z u g s die V e r a n t w o r t u n g der H a n d e l s b e t r i e b e f ü r d e n W a r e n e i n k a u f bei den P r o d u k t i o n s b e t r i e b e n zu e r h ö h e n . 1 Bisweilen wird d a r a u s der f e h l e r h a f t e Schluß gezogen, die b e w u ß t e Gestalt u n g einer R e i h e v o n Prozessen, die sich aus der P l a n u n g u n d B i l a n z i e r u n g d e r W a r e n f o n d s , a u s konzeptionellen A r b e i t e n bei der s o r t i m e n t s m ä ß i g e n D u r c h d r i n g u n g u n d A u s g e s t a l t u n g der s t a a t l i c h e n P l a n a u f g a b e n f ü r P r o d u k t i o n u n d W a r e n b e z u g , aus der langfristigen A b s t i m m u n g der E i n f ü h r u n g n e u e r Erzeugnisse auf d e m M a r k t u n d die A b l ö s u n g alter, a u s l a u f e n d e r Erzeugnisse ergeben u n d die in d e n l e t z t e n J a h r e n in Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t d e m P r o z e ß d e r K o n z e n t r a t i o n , Spezialisierung u n d K o m b i n a t i o n i n der K o n s u m g ü t e r 1
Wenn vom Einkauf der Handelsbetriebe bei den Produktionsbetrieben gesprochen wird, so sind vor allem Großhandelsbetriebe und die direktbeziehenden Einzelhandelsobjekte gemeint. Der Hauptteil des Einkaufs des Handels bei der Produktion wird von Großhandelsbetrieben vorgenommen, deren Versorgungsgebiet im Prinzip entweder einen Bezirk oder mehrere Kreise bzw. einen Kreis umfaßt, d. h. in jedem Fall mit der politischen Einteilung der Territorien übereinstimmt.
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industrie zentralisiert wurden, d. h. aus dem Tätigkeitsbereich der Handelsbetriebe herausgelöst wurden, an Bedeutung verlieren würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Gestaltung dieser Prozesse nimmt in dem Maße zu, wie der Vergesellschaftungsgrad der Arbeit in Produktion und Zirkulation und zwischen diesen Zweigen zunimmt. Alle diese Aktivitäten sind Ausdrucksform dieses Vergesellschaftungsprozesses. Es handelt sich hier um Formen der Kooperation zwischen Produktion und Handel, die im volkswirtschaftlichen Maßstab realisiert werden und die bewußt die Vorzüge des Sozialismus ausnutzen. Ausgehend von den staatlichen Planaufgaben werden vor Aufnahme der Produktion des Finalerzeugnisses und längere Zeit vor dem Bedarfszeitraum die grundlegenden Produktions- und Realisierungsbedingungen für Konsumgüter nach Kriterien der Effektivität bestimmt, die von einer höheren Qualität als die Kriterien der betrieblichen Effektivität in Produktion und Handel sind. Im Zusammenhang mit den bereits erwähnten Veränderungen in den Produktions- und Realisierungsbedingungen von Konsumgütern, der Ausnutzung der Vorzüge des Sozialismus bei der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der Konsumgüterproduktion, ausgehend von den wachsenden gesellschaftlichen Maßstäben, die mit der Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration erreicht werden, gewinnen diese Prozesse der Kooperation, die zentralisiert durchgeführt werden, noch an Umfang und qualitativem Gewicht. Die Wirtschaftsorganisation, insbesondere des Konsumgütergroßhandels, wird diesen neuen qualitativen Aufgaben Rechnung tragen müssen. Aber in welchem Ausmaß und welcher Richtung auch immer dieser Vergesellschaftungsprozeß im einzelnen verlaufen wird, die aus dieser Kooperation notwendig erwachsende volkswirtschaftliche Effektivität muß sich schließlich in einer besseren Versorgung der Bevölkerung niederschlagen, die sich in einer höheren Lieferbereitschaft und in einem qualitativ mit dem wachsenden Anspruchsniveau der Bevölkerung übereinstimmenden Warenangebot, das sich im Angebot der Großhandelsbetriebe gegenüber dem Einzelhandel und im Angebot der Verkaufsstellen der Einzelhandelsbetriebe gegenüber der Bevölkerung äußert. In der bewußten Gestaltung dieser Dialektik von Zentralisierung wichtiger Prozesse einerseits und der Stärkung der Verantwortung der Produktions- und Handelsbetriebe für den Ver- und Einkauf der Konsumgüter andererseits liegen bedeutende Reserven, um den wachsenden Wirkungsgrad der sozialistischen Warenzirkulation sowie seine aktive Einflußnahme auf die verschiedenen Phasen der erweiterten sozialistischen Reproduktion und darüber hinaus auf weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens für die zielstrebige Realisierung der Hauptaufgabe wirksamer auszunutzen. 181
Oberst Dr. J. OßESCHKO
Einige Bemerkungen zur sozialistischen Lebensweise Im Zusammenhang mit der diskutierten Problematik steht unmittelbar die Frage unserer sozialistischen Lebensweise. Ohne Zweifel sind die Untersuchung der Bedürfniskomplexe der Menschen, einschließlich ihrer Entwicklungstendenz, sowie die Befriedigung der Bedürfnisse entscheidende Fragen. Bei der Untersuchung dieser ganzen Problematik geht es jedoch darum, nicht schlechthin zweckmäßige Wege zur individuellen Bedürfnisbefriedigung zu finden, sondern um mehr. Es ist sicher unbestreitbar, daß die Menschen sich in immer umfassenderer Form Konsumgüter kaufen, angefangen von einfachen Haushaltsgeräten und Gebrauchsgütern bis zu langlebigen Konsumgütern wie Kühlschränken, Waschmaschinen, Tonbandgeräten, Fernsehgeräten, Autos, Camping-Ausrüstungen und vielen anderen Gegenständen. Aber ist das der einzige Weg zur Verbesserung der Bedürfnisbefriedigung? Oder besteht nicht die Gefahr, wenn nicht die entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen geschaffen werden, daß wir damit zu einer immer stärker werdenden Orientierung ausschließlich auf die individuelle Bedürfnisbefriedigung kommen? Die Untersuchung sollte deshalb meines Erachtens auch mit der Zielrichtung geführt werden, wie in der sozialistischen Gesellschaft der nächsten 20 Jahre die Bedürfnisbefriedigung aussehen soll. Wollen wir eine weitere individuelle Anhäufung der Konsumgüter bei den einzelnen und ein Abkapseln des einzelnen von der Gesellschaft, vor allem in der freien Zeit, oder wollen wir Maßnahmen fördern und Lösungen entwickeln, daß die Menschen auch gerade außerhalb der Arbeitszeit immer besser sozialistisch zusammenleben? Welche Tendenz zeichnet sich jetzt schon zu einem großen Teil in unseren Städten ab? Durch moderne Neubauten, vor allem Hochhäuser mit Fahrstühlen kennt der eine den anderen kaum. Viele wohnen isoliert voneinander, gehen morgens zur Arbeit und kehren abends zurück, ebenso die Kinder. Zum Wochenende strömt ein großer Teil der Menschen individuell in die Natur. 183
Der eine in ein W o c h e n e n d g r u n d s t ü c k , viele in den W a l d , an die Seen, wo sie m e h r oder weniger auch isoliert leben. Die Frage erhebt sich, ist ausschließlich das das sozialistische Leben, was wir wollen? Wie wollen wir in den nächsten 20—30 J a h r e n im Sozialismus leben? Die Frage stellt sich noch von einer anderen Seite. Wir sprechen in sehr vielfältiger F o r m v o m geistig-kulturellen Leben. Ohne Zweifel h a b e n wir große Fortschritte auf diesem Gebiet erreicht, m e h r als je eine andere Gesellschaftsordnung. Aber ein nicht geringer Teil unserer Menschen konsumiert das geistig-kulturelle Leben zum überwiegenden Teil individuell a m Fernsehapparat. Auch hier ergibt sich die Frage, soll dieser Prozeß so weitergehen oder ist es nicht vielmehr unsere Aufgabe, darauf Einfluß zu nehmen, d a ß wir z u n e h m e n d ein wirklich sozialistisches geistig-kulturelles Leben erreichen. Ich meine, nicht weg v o m Fernseher, sondern eine noch bessere Ergänzung. Welche Wege dazu notwendig sind, m u ß u n t e r s u c h t werden. Neben der eminent wichtigen Frage der Bedürfnisentwicklung u n d Bedürfnisbefriedigung f ü r den einzelnen auf individuelle Weise in der Gegenwart u n d f ü r die Z u k u n f t , m u ß auch die Frage der ökonomischen Realisierbarkeit gesehen werden. Können wir es uns leisten, f ü r jeden oder jede Familie alles individuell zu schaffen? Beim Auto u n d spätestens beim W o c h e n e n d g r u n d s t ü c k ist sicher die Grenze erreicht. Hinzu k o m m t die Frage der E f f e k t i v i t ä t . Wie ist denn die A u s n u t z u n g der vielen individuellen Güter? Meines E r a c h t e n s ist die A u s n u t z u n g der Vielzahl der Gebrauchsgüter, die sich f r ü h e r oder später jeder in seiner W o h n u n g a n h ä u f t , m e h r als uneffektiv. Ein großer Teil ben u t z t das F a h r z e u g n u r z u m Wochenende u n d im Urlaub. Ich will d a m i t n i c h t gegen das individuelle A u t o sprechen, aber sind nicht hier auch sinnvolle Ergänzungen möglich? W e n n wir der individualistischen Tendenz nicht energisch entgegentreten, u n d zwar m i t k o n s t r u k t i v e n Vorschlägen u n d Lösungen im Sinne der sozialistischen Gesellschaft, werden wir die Probleme der wachsenden Verkehrsdichte, der U m w e l t v e r s c h m u t z u n g usw. auf die Dauer nicht voll lösen können. Keiner von uns k a n n das wollen. Deshalb müssen wir es vorausschauend verhindern. Deshalb bin ich der Auffassung, k o m m t es gerade im Z u s a m m e n h a n g mit unserer heutigen P r o b l e m a t i k darauf an, gesellschaftliche M a ß n a h m e n u n d Lösungen im Sinne des Sozialismus, im engen Z u s a m m e n h a n g mit der individuellen Bedürfnisbefriedigung, zu schaffen. Dazu sollten solche M a ß n a h m e n ins Auge gefaßt werden, wie geschmackvoll u n d zweckmäßig angelegte Komplexe der Naherholung u n d E i n r i c h t u n g e n des W o c h e n e n d a u f e n t h a l t e s zu preisgünstigen Bedingungen, G a s t s t ä t t e n u n d Klubkomplexe f ü r Versorgung, E n t s p a n n u n g u n d gesellschaftliche Frei-
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Zeitgestaltung; Sportanlagen für den Massensport und die allgemeine Bevölkerungsbenutzung; Einrichtungen zur künstlerischen und handwerklichen Selbstbetätigung und andere Maßnahmen. Oft werden gesellschaftliche Einrichtungen nur unter dem Aspekt von Dienstleistungen in Form von Kindergärten, Kinderkrippen, Waschkombinaten verstanden. Aber das kann natürlich nur eine Seite des sozialistischen Lebens sein. Es ist notwendig, auch der zweiten wichtigen Seite, der Konzipierung und schrittweisen Schaffung von gesellschaftlichen Einrichtungen zur Erholung, Freizeitgestaltung und schöpferischen Selbstbetätigung, größere Aufmerksamkeit zu widmen. Nur damit sind wir in der Lage, die sozialistischen Bedingungen zum Wohle der Menschen voll zu nutzen. Ich erachte es deshalb für erforderlich, im Zusammenhang mit der Weiterführung der Untersuchungen unserer heutigen Problematik, der Erforschung der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung, größten Wert auf gesellschaftliche sozialistische Lösungen zu legen. Nur wenn wir auch das gewährleisten, glaube ich, haben wir die Forderung unserer VIII. Parteitages richtig verstanden und tragen entscheidend zu ihrer Erfüllung bei.
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D r . L . HUMMEL
Zur Leitung und Planung der sozialen Entwicklung des Betriebskollektivs Bei der Betrachtung der Probleme die mit der Bedürfnisentwicklung und den Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Bedürfnissen zusammenhängen ist ein verstärktes Gewicht auch auf die Befriedigung jener Bedürfnisse der Menschen zu lenken, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem betrieblichen Reproduktionsprozeß stehen. Insofern ist es auch von Bedeutung, daß die vorliegenden Thesen Gedanken zur planmäßigen Gestaltung betrieblicher sozialer Prozesse beinhalten. In Ergänzung dazu möchte ich auf einige Konsequenzen aufmerksam machen, die sich für die Planung und Leitung sozialer Prozesse aus der Bedürfnisentwicklung im Reproduktionsprozeß ergeben. Ich stütze mich dabei auf eine Reihe von Untersuchungen und Aussprachen, die im Rahmen des Zentralinstituts f ü r sozialistische Wirtschaftsführung durchgeführt wurden. 1. Auch für die Planung der sozialen Entwicklung der Betriebskollektive sind die Bedürfnisse der Werktätigen Ausgangspunkt, vor allem jene, die unmittelbar vom Betrieb beeinflußbar sind, wobei sich dieser Prozeß natürlich in wechselseitiger Abhängigkeit und eingebettet in die gesellschaftliche Entwicklung vollzieht. Die Aufgabe, die Bedürfnisse der Werktätigen im Sinne der Übereinstimmung von gesellschaftlichen und persönlichen Interessen direkt zu beeinflussen, verlangt eine umfassende analytische Arbeit und gründliche politisch-ideologische Wirksamkeit. In der Leitungstätigkeit ist dabei von der Tatsache auszugehen, daß die Bedürfnisse nicht unveränderlich sind und keineswegs etwa in ihrem Gewicht nur davon abhängen, in welchem Maße bereits ihre Befriedigung erfolgt. Im Gegenteil, mit wachsender Bedürfnisbefriedigung kann sich auch deren Gewicht für die Leitungstätigkeit verstärken. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung des Bedürfnisses nach umfassender und effektiver Teilnahme an Leitung und Planung des Reproduktionsprozesses. — Die Entwicklung der Masseninitiative insbesondere nach dem VIII. Parteitag der SED beweist, daß dieses Bedürfnis mit der zunehmenden Reife
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der sozialistischen Gesellschaft und im Zusammenhang mit der effektiven Teilnahme der Werktätigen, der Verwirklichung der realen Demokratie wächst. — Es entwickelt sich mit dem politisch-ideologischen Niveau der Werktätigen, dem Grad ihrer politischen Bewußtheit, ihrer Erkenntnis, Träger der sozialistischen Gesellschaft, Subjekte der Leitungstätigkeit zu sein. — Es wächst zugleich in Abhängigkeit von der fachlichen Qualifikation der Werktätigen, im Ergebnis ihrer gründlicheren Einblicknahme in die technischen, ökonomischen und sozialen Erfordernisse. — Soziologische Analysen bestätigen immer wieder die direkte Wechselwirkung von Grad der Informiertheit und aktiver Mitwirkung: Je informierter die Werktätigen, desto größer auch ihr Bedürfnis diese Information in konkrete Handlungsweisen umzusetzen. — Schließlich entwickelt sich dieses Bedürfnis auch mit den Erfahrungen der Werktätigen, die sie in der Ausübung von Planungs- und Leitungsfunktionen, der Berücksichtigung ihrer Vorschläge in den konkreten Planungs- und Leitungsentscheidungen sammeln. — Daraus erwächst den Leitern von Betriebskollektiven unter Führung der Parteiorganisation und in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften verstärkt die Aufgabe, umfassende Möglichkeiten für die Teilnahme an Planung und Leitung, z. B. durch weitgehende Aufschlüsselung von Plänen, zu schaffen und ihre Aufmerksamkeit auch der erhöhten Wirksamkeit von demokratischen Organen insbesondere gewerkschaftlichen Leitungen und Kommissionen zu widmen. — Beeinflußt wird die Entwicklung des Bedürfnisses nach Teilnahme an Leitung und Planung nicht zuletzt auch in dem Maße, wie die Leiter in der Gesamtheit ihres Verhaltens die Einheit von Einzelleitung und kollektiver Beratung verwirklichen und in ihrer Tätigkeit kontinuierlich dem Schöpfert u m der Werktätigen Rechnung tragen. Dabei ist die Wechselwirkung zu beachten, daß gerade die wachsende Teilnahme zugleich auch den Leitern umfassender die Details der Bedürfnisse der Werktätigen im Reproduktionsprozeß, deren Ausprägung offenbart, sowohl was die unmittelbare Teilnahme anbetrifft, als auch Bedürfnisse nach Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen, der Anwendung materieller und moralischer Stimuli, der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation usw. 2. In der Leitungstätigkeit ist ferner davon auszugehen, daß im Betrieb die Bedürfnisse nur in dem Maße befriedigt werden können, wie sie den Bedingungen, Möglichkeiten und gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechen.
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Wird dem nicht R e c h n u n g getragen, werden neue W i d e r s p r ü c h e aufgeworfen u n d anstelle der N u t z u n g der sozialen Prozesse als T r i e b k r ä f t e der sozialen Entwicklung k o m m t es zu Störungen. Wie uns berichtet wurde, entstanden in den ersten J a h r e n der Sozialp l a n u n g in den Betrieben der U d S S R z. T. neue Konflikte, weil m a n in der guten Absicht, die Bedürfnisse der Werktätigen zur Grundlage der Pläne zu machen, alle Betriebsangehörigen aufforderte, eine Vielzahl v o n Vorstellungen f ü r den Plan der sozialen Entwicklung zu unterbreiten, d a m i t das Denken vielfach in individueller R i c h t u n g stimulierte u n d E r w a r t u n g e n weckte, die nicht erfüllt werden k o n n t e n . Nach den E r f a h r u n g e n der ersten J a h r e , in denen die Pläne demzufolge teilweise M a ß n a h m e n enthielten, deren materielle u n d finanzielle Deckung nicht gewährleistet war, wird j e t z t in der U d S S R großer W e r t auf die materielle u n d finanzielle Bilanzierung der sozialen Pläne u n d auf richtige Vorgaben f ü r die soziale E n t w i c k l u n g seitens der Betriebsleiter u n d gewerkschaftlichen Leitungen gelegt. P l a n u n g der sozialen Entwicklung in den Betrieben auf gesellschaftlicher Grundlage b e d e u t e t daher immer auch P l a n u n g entsprechend den gesellschaftlichen Möglichkeiten u n d i m m e r auch P l a n u n g in Abhängigkeit v o n der eigenen Leistung des Betriebes. Letzteres findet seinen praktischen Niederschlag in der v e r s t ä r k t e n A u s s t a t t u n g der sowjetischen Betriebe m i t eigenen Fonds f ü r soziale u n d kulturelle Maßnahmen, f ü r den W o h n u n g s b a u usw. E s zeigt sich auch in unseren Betrieben in der Verwendung des Leistungsfonds f ü r diese Zwecke. 3. In der betrieblichen Leitungstätigkeit ist ferner zu b e a c h t e n , d a ß die z. B. in soziologischen Befragungen oder in B e r a t u n g e n der Gewerkschaften, P r o d u k t i o n s b e r a t u n g e n u n d anderen Formen z u m Ausdruck gebrachten Bedürfnisse der W e r k t ä t i g e n im wesentlichen ihr subjektives E m p f i n d e n widerspiegeln, welches noch nicht in ausreichendem Maße a b g e s t i m m t ist bzw. übereinstimmt mit wissenschaftlichen objektiven W e r t e n . So zeigten unlängst arbeitspsychologische Untersuchungen in einer Reihe v o n Betrieben, d a ß die individuellen E m p f i n d u n g e n physischer u n d psychischer Belastungen nicht immer übereinstimmen mit den Meßdaten arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Diese lagen m i t u n t e r wesentlich über oder u n t e r den E m p f i n dungen der Menschen. Das f ü h r t e auf der einen Seite zu einem gewissen großzügigen Überspielen, auf der anderen Seite zu einem s u b j e k t i v e n Verstärken der objektiven Belastung. In einem Betrieb zeigte sich, d a ß die durch das Kollektiv selbst gewählte F a r b a b s t i m m u n g ihrer Arbeitsräume u n d ihres A u f e n t h a l t s r a u m e s n u r in der ersten Zeit noch gefiel, in der Dauer aber ungünstige W i r k u n g e n ausstrahlte, eine gewisse Bedrückung auslöste.
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Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, soziologische F o r m e n der Leitungstätigkeit auf's engste mit naturwissenschaftlich-technischen u n d ökonomischen Methoden u n d Kriterien zu verbinden, zugleich aber a u c h pädagogisch-psychologische Fähigkeiten auszubauen u n d v e r s t ä r k t in der Leitungstätigkeit, in der E i n f l u ß n a h m e auf die W e r k t ä t i g e n anzuwenden. 4. Die einzelnen Bedürfnisse u n d Bedürfnisarten sind in der Leitungstätigkeit zu gewichten. Das Gewicht h ä n g t ab von den konkreten Erfordernissen, Bedingungen u n d dem jeweiligen E r k e n n t n i s s t a n d der W e r k t ä t i g e n . Die K e n n t n i s des Gewichts der Bedürfnisse bei einzelnen Gruppen von Werktätigen ist von außerordentlicher B e d e u t u n g f ü r die Herstellung der Interessenübereinstimmung u n d einer zielgerichteten Identifizierung der Werktätigen m i t ihrem Betrieb. Umfangreiche soziologische Untersuchungen in allen sozialistischen L ä n d e r n bestätigen die allgemeine Tendenz, d a ß es hier eine Rang- u n d Reihenfolge ebenso wie auch bei anderen Bedürfnissen gibt. Zunehmende B e d e u t u n g erlangen vor allem: — Geistig-schöpferischer Inhalt der Arbeit — Beseitigung schwerer körperlicher gefährlicher Arbeit sowie Arbeit u n t e r großer Hitze, S t a u b u n d toxischen Gasen. — das Bedürfnis nach effektiver Teilnahme u n d nach Information über das Betriebsgeschehen — das Bedürfnis nach moralischen Anerkennungen in Übereinstimmung mit den materiellen Stimuli — das Bedürfnis nach Qualifizierung — u n d das Bedürfnis nach Entwicklung sozialer Beziehungen vor allem im Arbeitskollektiv. Eine A n f a n g diesen J a h r e s d u r c h g e f ü h r t e U n t e r s u c h u n g in ei lern großen Chemiekombinat hinsichtlich der Kriterien sozialen Wohlbefindens zeigte folgende Rangfolge: Vielseitigkeit der Arbeit, gute kollegiale Beziehungen, hohe geistige Anforderungen, Weiterbildungsmöglichkeiten, gute arbeitshygienische Bedingungen, a u f m e r k s a m e s Verhalten der Leiter, keine Arbeitserschwernisse, Möglichkeiten der Mitwirkung an Leitung u n d P l a n u n g .
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Auch die ermittelten Motive f ü r Neuerertätigkeit b e t o n e n besonders: Die Sicherung eines ordnungsgemäßen Ablaufes der P r o d u k t i o n , die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Steigerung der P r o d u k t i v i t ä t die materielle u n d ideelle Anerkennung. 5. Die wachsende Befriedigung der Bedürfnisse im Reproduktionsprozeß u n d die soziale E n t w i c k l u n g der Betriebskollektive h ä n g e n aufs engste m i t der Leitung u n d P l a n u n g der sozialen Prozesse i m Territorium z u s a m m e n . Die notwendige enge Z u s a m m e n a r b e i t von Betrieb u n d Territorium ergibt sich aus der engen Verflechtung beider Lebenssphären des Menschen — der betrieblichen u n d der territorialen f ü r die Persönlichkeitsentwicklung. Sie erwächst ferner aus der P l a n u n g der sozialen E n t w i c k l u n g der ganzen Gesells c h a f t — aller ihrer Bereiche in harmonischer P r o p o r t i o n a l i t ä t . Der sowjetische Wissenschaftler Prof. Dr. S c h k a r a t a n weist u. a. darauf hin, d a ß nicht zuletzt die wachsende B e d e u t u n g gesellschaftlicher Fonds der K o n s u m t i o n in der U d S S R im Interesse der sozialen E n t w i c k l u n g eine solche Z u s a m m e n a r b e i t objektiv erforderlich m a c h t . Ständig steht die Aufgabe, zwischen der technischen, ökonomischen u n d sozialen Entwicklung der Betriebe u n d den im Territorium hierfür erforderlichen Bedingungen die notwendige Ü b e r e i n s t i m m u n g herzustellen. Ein detaillierteres Bild über die Art der Z u s a m m e n a r b e i t v o n Betrieb u n d Territorium im Hinblick auf die Erschließung von P r o d u k t i v i t ä t s p o t e n z e n zeigte sich u. a. im Ergebnis der B e f r a g u n g von W e r k t ä t i g e n in Vorbereitung des Übergangs zur Dreischichtarbcit in einigen Betrieben. I m Vordergrund standen dabei verbesserte Dienstleistungen, gleicher Schichttournus m i t d e m E h e p a r t n e r , besserer Berufsverkehr, veränderte, den Schichten angepaßte, Einkaufszeiten. Mit der Neubildung volkseigener Betriebe aus ehemaligen Betrieben m i t staatlicher Beteiligung z. B. wuchs die V e r a n t w o r t u n g der territorialen Organe f ü r die Koordinierung der sozialen M a ß n a h m e n in diesen Betrieben einschließlich der Schaffung gemeinsamer sozialer Einrichtungen. Es zeigte sich darin ein echter Vorzug der N u t z u n g sozialistischen E i g e n t u m s auch f ü r die W e r k t ä t i g e n mittlerer u n d kleinerer Betriebe. T r o t z d e m müssen wir einschätzen, d a ß gegenwärtig die Koordinierung einer planmäßigen sozialen Entwicklung von Betrieben u n d dem jeweiligen Territorium noch unbefriedigend ist. Das ist nicht n u r eine organisatorische oder planungstechnische (methodische) Frage, vielmehr verbergen sich dahinter sowohl Probleme des wissen-
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schaftlichen Vorlaufs (beispielsweise einer Prognose der komplexen territorialen Entwicklung), als auch Probleme der materiellen und finanziellen Absicherung sozialer Maßnahmen. Nicht zuletzt sind es theoretische und ideologische Fragen der Stellung von Betrieb und Territorium zueinander, der Verantwortlichkeit beider für die soziale Entwicklung und deren Abgrenzung, die es zu bewältigen gilt. Das ist keineswegs einfach zu lösen. Seit der Bildung volkseigener Betriebe entwickeln sich diese als technische, ökonomische und soziale Einheiten. Die Verfolgung sozialer Ziele entspricht ihrem sozialistischen Charakter. Andererseits geraten isolierte soziale Maßnahmen der Betriebe nicht selten in Widerspruch zu rationellen Lösungen auf der Grundlage des gesamtgesellschaftlichen Eigentums (eigener Berufsverkehr, eigene Kinderkrippen im Betrieb, entfernt von Wohngebieten in ungünstiger Umwelt u. ä.). Sie haben vielfach ihre Ursache in der Auffassung, daß soziale Einrichtungen ein wesentliches Mittel der Bebriebe seien, bevorzugt Arbeitskräfte zu gewinnen und Fluktuation einzuschränken. Damit jedoch werden wesentliche gesellschaftliche Vorzüge blockiert und soziale Widersprüche aufgeworfen, unplanmäßige, soziale Differenzierungen im Territorium treten ein, die zum Teil die Beziehungen zwischen den Menschen ungünstig beeinflussen. Wiederum darf man nicht verschweigen, daß nur die ökonomisch abgesicherte Initiative der Betriebe auf diesem Gebiet wie auch zum Beispiel bei der Einrichtung von Naherholungsgebieten es ermöglichte, hier kurzfristig Lücken zu schließen und Bedürfnisse zu befriedigen. Zunächst ist deshalb die Überwindung eines gewissen betrieblichen Egoismus erforderlich. Er steht vielfach der rationellen Nutzung bzw. dem Ausbau vorhandener sozialer Einrichtungen durch mehrere Betriebe eines Industriegebietes entgegen. Das betrifft u. a. Großküchen, gemeinsamer Bau und Unterhaltung von Polikliniken, Betriebsschulen, Einrichtungen für Dienstleistungen, Sport, Erholung, Kinderbetreuung und anderes mehr. Die Komplexität der sozialen Entwicklung und die engen Beziehungen zwischen Betrieb und Territorium erfordern auch, das Gebiet der Teilnahme der Werktätigen an Planung und Leitung zu erweitern. Es ist die Trennung zu beseitigen, die bisher in der Regel zwischen der Planung des betrieblichen Reproduktionsprozesses einerseits und der Entwicklung der Territorien bzw. des Wohngebietes andererseits bestand. Von wesentlicher Bedeutung ist hierfür die engere Zusammenarbeit der betrieblichen und gesellschaftlichen Organe mit den Abgeordneten der örtlichen Volksvertretungen, die zugleich Betriebsangehörige sind. 192
All das macht deutlich, daß wir es bei der Sozialplanung sowohl zu tun haben mit der Aufdeckung vorhandener Bedürfnisse und den Widersprüchen in ihrer planmäßigen Befriedigung, als auch zugleich mit dem Setzen sozialer Ziele zur konkreten Gestaltung materiell-technischer, ökonomischer und organisatorischer Bedingungen der sozialen Entwicklung.
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Koziolek
D r . G. KNOBLOCH
Zu Problemen der volkswirtschaftlichen Proportionalität und Effektivität bei der Bedürfnisbefriedigung In den einleitenden Ausführungen von Prof. Rößler und Dr. Montag wurde zu Recht auf die entscheidende Bedeutung des untrennbaren wechselseitigen Zusammenhangs von Produktion bzw. Ressourcen und Bedürfnisbefriedigung für unsere Thematik hingewiesen. In den vorliegenden Thesen, vor allem in den wichtigsten Abschnitten über Lebensniveau und Lebensweise sowie über die Rangfolgeprobleme der Bedürfnisbefriedigung kommt dieser Zusammenhang offensichtlich noch zu wenig zum Ausdruck. Bei den heutigen Entwicklungsbedingungen unserer Volkswirtschaft hängen spürbare Fortschritte in der Bedürfnisbefriedigung allein davon ab, wie und in welchem Tempo es gelingt, durch Produktivitäts- und Effektivitätssteigerungen im gesamtvolkswirtschaftlichen Maßstab den gesellschaftlichen Gesamtaufwand für das erreichte Konsumtionsniveau wesentlich zu verringern und auf diese Weise im laufenden Reproduktionsprozeß die disponible Zeit einerseits bzw. die erforderlichen konkreten Arbeitskräfte und Produktionsmittel andererseits für die noch unzureichend befriedigten, sich erweiternden und neu entstehenden Bedürfnisse zu gewinnen. Darin besteht ja auch das grundlegende ökonomische Problem der Intensivierung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses. Beim Herangehen an seine Lösung dürfen wir aber theoretisch und praktisch keine vereinfachte, einseitige Behandlung der „Ziel-Mittel-Relation" zulassen. Auf dem X X I V . Parteitag erinnerte bekanntlich Gen. Breshnew sehr eindringlich daran, „daß die Erhöhung des Lebensniveaus der Werktätigen zu einem immer dringenderen Erfordernis der wirtschaftlichen Entwicklung selbst, zu einer wichtigen ökonomischen Voraussetzung für die rasche Steigerung der Produktion wird." 1 Das bedeutet, nicht nur die Intensivierung als Mittel und die Bedürfnisbefriedigung als Ziel zu betrachten, sondern die Be1
L. I. BRESHNEW, Rechenschaftsbericht des Z K der K P d S U an den X X I V . Partei-
tag der KPdSU, Berlin 1971, S. 57.
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dürfnisbefriedigung, die sich dabei vollziehende R e p r o d u k t i o n der W e r k tätigen, insbesondere die R e p r o d u k t i o n ihrer Arbeitskraft, zugleich auch wieder als entscheidendes Mittel der weiteren P r o d u k t i v k r a f t e n t w i c k l u n g u n d d a m i t der weiteren Intensivierung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses auf immer höherer Stufenleiter zu begreifen. Dieser Ziel-Mittel-Dialektik m u ß vor allem bei der Gestaltung der volkswirtschaftlichen Grundproportionen u n d der d a m i t v e r b u n d e n e n S t r u k t u r politik in der langfristigen P l a n u n g R e c h n u n g getragen werden. Das b e t r i f f t die E n t w i c k l u n g sowohl der P r o d u k t i o n s m i t t e l als a u c h der Konsumtionsmittel u n d erfordert eine volle N u t z u n g der Möglichkeiten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ebenso wie der Vorzüge der sozialistischen Produktionsweise, insbesondere der sozialistischen W i r t s c h a f t s i n t e g r a t i o n . Ich möchte in diesem Z u s a m m e n h a n g auf ein Problem der volkswirtschaftlichen Grundproportionen u n d Effektivitätsrelationen hinweisen sowie einiges zu den gegenwärtig in der Praxis a n g e w a n d t e n Effektivitätskriterien bemerken. Die den Bedürfnissen entsprechenden W a c h s t u m s p r o p o r t i o n e n zwischen der materiellen P r o d u k t i o n u n d den nichtmateriellen Leistungen oder treffender noch zwischen der stofflichen Produktion — d. h. der eigentlichen materiellen P r o d u k t i o n von Industrie, Bauwesen, H a n d w e r k u n d L a n d w i r t s c h a f t — und den materiellen und nichtmateriellen Dienstleistungen werden h e u t e zu einem H a u p t p r o b l e m f ü r die planmäßig proportionale E n t w i c k l u n g der Volkswirtschaft. Die weitere E r h ö h u n g des materiellen u n d kulturellen Lebensniveaus u n d die weitere Entwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e — d a r u n t e r insbesondere die R e p r o d u k t i o n der Arbeitskraft u n t e r den jetzigen Bedingungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts — k ö n n e n heute u n d erst r e c h t in den k o m m e n d e n J a h r e n mit einem einseitigen W a c h s t u m der materiell-stofflichen P r o d u k t i o n auf Kosten der materiellen Dienste u n d der nichtmateriellen Leistungen nicht mehr gewährleistet werden. Darauf ist sowohl in den vorgelegten Thesen als auch in den Einleitungsvorträgen u n d Diskussionsbeiträgen deutlich genug hingewiesen worden. F a s t übereinstimmend plädiert m a n h e u t e z. B. auch in der sowjetischen ökonomischen L i t e r a t u r f ü r ein schnelleres W a c h s t u m der Dienstleistungs- bzw. nichtmateriellen Sphäre. Überwiegend wird in der jetzigen Entwicklungsetappe das schnellere Wachst u m des Bedarfs an materiellen Diensten u n d nichtmateriellen Leistungen gegenüber der materiell-stofflichen P r o d u k t i o n f ü r die sozialistischen wie auch die industriell entwickelten kapitalistischen L ä n d e r als gesetzmäßig betracht e t , obwohl sich natürlich die k o n k r e t e n Arten u n d F o r m e n sowie die P r ä ferenzen in der Entwicklung der Dienstleistungszweige im Sozialismus u n d Kapitalismus wesentlich unterscheiden.
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Wir müssen uns aber theoretisch und praktisch völlig darüber klar werden, daß ein gesetzmäßig schnelleres Wachstum der Dienste und nichtmateriellen Leistungen in der Volkswirtschaft unter den Bedingungen der intensiv erweiterten Reproduktion (d. h. vor allem bei der fehlenden extensiven Erweiterungsmöglichkeit der Arbeitskräfteressourcen) ebenso gesetzmäßig ein höheres Tempo der Arbeitsproduktivitätssteigerung in der materiell-stofflichen Produktion gegenüber dem Produktionswachstum dieser Sphäre erfordert. Wird dieses höhere Tempo der Arbeitsproduktivitätssteigerung gegenüber dem Produktionswachstum in den Bereichen der Industrie, des Bauwesens und der Landwirtschaft zusammengenommen nicht erreicht, dann stehen die notwendigen größeren Arbeitskräfteressourcen für die Entwicklung der Dienstleistungsbereiche nicht zur Verfügung; und die Bereiche der materiellstofflichen Produktion werden auch nur in geringerem Maße in der Lage sein, das erforderliche hohe Mehrprodukt für die Entwicklung der materielltechnischen Basis der Dienstleistungs- und nichtmateriellen Bereiche bereitzustellen, auf das Prof. Rößler hingewiesen hat. Unter diesen Gesichtspunkten wird es unumgänglich, die in unserer ökonomischen Literatur sowie in der Planungspraxis weit verbreitete und schon zum Standard gewordene These, wonach unser volkswirtschaftliches Produktionswachstum „hauptsächlich", „im wesentlichen" oder „überwiegend" durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität erbracht werden muß, kritisch zu überprüfen und präziser zu formulieren. Bei den heutigen Bedingungen der intensiv erweiterten Reproduktion läßt sich ein den zu befriedigenden Gesamtbedürfnissen entsprechendes proportionales Wachstum aller Bereiche der Volkswirtschaft nur gewährleisten, wenn, abgesehen von bestimmten jährlichen Schwankungen, in der Tendenz in den materiell-stofflichen Bereichen die Zuwachsraten der Produktion von den Zuwachsraten der Arbeitsproduktivitätssteigerung übertroffen werden. Nur in dem Maße, wie es möglich sein wird, das schnellere Tempo der Arbeitsproduktivitätssteigerung zu verwirklichen, sind auch die Voraussetzungen für das notwendige schnellere Wachstum der materiellen Dienste und nichtmateriellen Leistungen gegeben. Die Größenverhältnisse dieser notwendigen Proportionen werden sowohl durch die Entwicklung des Bedarfs als auch die Produktivitätssteigerung in den materiell-stofflichen Bereichen bzw. den Dienstleistungs- und nichtmateriellen Bereichen bestimmt. Trotz bestehender Effektivitätsreserven in den Dienstleistungs- bzw. nichtmateriellen Bereichen lassen sich natürlich in den materiell-stofflichen Bereichen objektiv weitaus höhere Raten der Produktivitäts- und Effektivitätssteigerung erreichen. Eine Verwirklichung dieser grundlegenden Proportionalitäts- und Effektivitätserfordernisse wird bei uns heute speziell für die Industrie, dem mit 197
A b s t a n d g r ö ß t e n Bereich der materiell-stofflichen P r o d u k t i o n , i m m e r dringlicher, d e n n die F r e i s e t z u n g s m ö g l i c h k e i t v o n A r b e i t s k r ä f t e n aus der L a n d w i r t s c h a f t n i m m t d e n s t a t i s t i s c h e n A n g a b e n n a c h in l e t z t e r Zeit sichtlich a b u n d d a s B a u w e s e n b e a n s p r u c h t eher n o c h m e h r A r b e i t s k r ä f t e als d a ß es welche freisetzen k a n n . J e d o c h a u c h n a c h d e m d i e s j ä h r i g e n V o l k s w i r t s c h a f t s p l a n bleibt b e k a n n t l i c h in unserer I n d u s t r i e , wie es bereits in allen v o r a n g e g a n g e n e n J a h r e n der Fall w a r , die A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t s s t e i g e r u n g m i t 5,7 P r o z e n t (Industrieministerien) w e i t e r h i n h i n t e r d e m P r o d u k t i o n s w a c h s t u m m i t 6,5 P r o z e n t ( W a r e n p r o d u k t i o n insgesamt) z u r ü c k , 1 so d a ß w i e d e r u m m e h r als 2 0 0 0 0 A r b e i t s k r ä f t e zusätzlich in der I n d u s t r i e b e s c h ä f t i g t w e r d e n . Angesichts des f ü r die P l a n u n g u n d L e i t u n g der W i r t s c h a f t i m m e r b e d e u t e n d e r w e r d e n d e n wechselseitigen Z u s a m m e n h a n g s zwischen der P r o d u k t i v i t ä t b z w . E f f e k t i v i t ä t der P r o d u k t i o n u n d der allseitigen B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g m ö c h t e ich noch die A u f m e r k s a m k e i t auf ein P r o b l e m l e n k e n , m i t d e m sich m . E . die F o r s c h u n g viel g r ü n d l i c h e r a u s e i n a n d e r s e t z e n m ü ß t e — die Konseq u e n z e n der derzeitigen B e t r a c h t u n g der E f f e k t i v i t ä t der P r o d u k t i o n f ü r die Bedürfnisbefriedigung. E s g e h t d a b e i u m die prinzipielle F r a g e , ob wir m i t d e n g e g e n w ä r t i g ang e w a n d t e n E f f e k t i v i t ä t s k r i t e r i e n v o r allem bei l a n g f r i s t i g w i r k s a m e n E n t s c h e i d u n g e n ü b e r die E n t w i c k l u n g der K o n s u m g ü t e r p r o d u k t i o n u n d i h r e r Zulieferungszweige t a t s ä c h l i c h die gesellschaftlich rationellste Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung stimulieren. Die h e u t e g e b r ä u c h l i c h e n E f f e k t i v i t ä t s k e n n z i f f e r n ( A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t , F o n d s q u o t e usw.), n a c h d e n e n u n t e r a n d e r e m a u c h die E n t w i c k l u n g s v a r i a n t e n der P r o d u k t i o n i n der l a n g f r i s t i g e n P l a n u n g b e u r t e i l t w e r d e n , orientieren die b e t r e f f e n d e P l a n u n g s e i n h e i t (Betrieb, Y V B , Ministerium) doch noch ziemlich einseitig u n d isoliert auf die S e n k u n g des d i r e k t e n (nicht einmal des vollen!) P r o d u k t i o n s a u f w a n d s f ü r das P r o d u k t . Mit welchem E f f e k t a b e r die K o n s u m t i o n s m i t t e l bei i h r e m G e b r a u c h die B e d ü r f n i s s e selbst b e f r i e d i g e n ; wie sie die sozialistische Lebensweise f ö r d e r n , d e n m o d e r n e n R e p r o d u k t i o n s b e d ü r f n i s s e n der A r b e i t s k r a f t g e r e c h t w e r d e n oder die U m w e l t b e e i n f l u s s e n ; welche A n f o r d e r u n g e n sie a n die Dienstleistungs- u n d n i c h t m a t e r i e l l e S p h ä r e stellen, wie sie sich auf die H a u s a r b e i t u n d d a s g e s a m t e Z e i t b u d g e t der B e v ö l k e r u n g a u s w i r k e n u. dgl. m e h r — solche w i c h t i g e n F r a g e n w e r d e n bei der g e g e n w ä r t i g üblichen E f f e k t i v i t ä t s b e t r a c h t u n g der K o n s u m g ü t e r p r o d u k t i o n k a u m b e r ü h r t . H e u t e lassen sich viele M a s s e n b e d ü r f n i s s e d u r c h s e h r u n t e r s c h i e d l i c h e K o n s u m g ü t e r u n d D i e n s t l e i s t u n g e n v e r s c h i e d e n e r Bereiche u n d Zweige be1
Vgl. Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1973, ND v. 15. 12. 1972.
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friedigen wie z. B. Ernährung durch einzelne Lebensmittel mit individueller Zubereitung im Haushalt, durch halbfertige und Fertiggerichte der Lebensmittelindustrie oder durch die gesellschaftliche Speisewirtschaft; Wäschereinigung durch Hauswirtschaft, Wascheinrichtungen von Hausgemeinschaften oder gesellschaftliche Wäschereibetriebe usw. usf. In der Regel ist die Produktion von Mitteln der individuellen Formen der Bedürfnisbefriedigung (Küchenmaschinen, Haushaltsmaschinen u. ä.) für die Industrie mit sehr günstigen Kennziffern der Arbeitsproduktivität, Fondsoder Materialintensität verbunden, weil ein großer Bedarf eine hochproduktive Massenproduktion sowohl bei den Finalproduzenten als auch bei den Zulieferzweigen ermöglicht. Demgegenüber erfordern die gesellschaftlichen Formen der Bedürfnisbefriedigung bedeutend größere und technisch kompliziertere Anlagen und Ausrüstungen. Diese können zwar in ihrer Anwendung mit einem weitaus höheren Nutzeffekt als die individuellen Konsumtionsmittel die Massenbedürfnisse befriedigen, ihre Herstellung beansprucht aber nicht nur ein geringeres Produktionsvolumen, sondern ist meist auch mit wesentlich ungünstigeren (zur Zeit angewandten) Effektivitätskennziffern für alle beteiligten Zweige verbunden. Das trifft insbesondere dann zu, wenn nur von den Möglichkeiten der nationalen Wirtschaft der DDR ausgegangen wird. Im Rahmen der sozialistischen Wirtschaftsintegration ist auch auf diesen Gebieten eine Produktion mit viel höherer Effektivität zu erreichen. (Außerdem werden bekanntlich gerade solche hocheffektiven Mittel für gesellschaftliche Formen der Bedürfnisbefriedigung nicht zur Konsumgüterproduktion gerechnet, deren verstärkte Entwicklung heute von den Industriebetrieben allgemein gefordert wird; im Gegenteil, sie zählen zu den Investitionsmitteln für solche Produktions- und Dienstleistungszweige, die in der Investitionsplanung überhaupt keine Schwerpunkte darstellen.) Zur weiteren Vervollkommnung der Effektivitätseinschätzung sollten wir uns deshalb besonders mit dieser paradoxen Erscheinung beschäftigen, daß eine „hocheffektive" Produktion vor allem von Mitteln für individuelle Formen der Bedürfnisbefriedigung einen höheren Gesamtaufwand der Gesellschaft an Arbeitskraft, Rohstoffen, Energie usw. für die Befriedigung der Bedürfnisse selbst hervorrufen kann, während umgekehrt eine scheinbar weniger effektive Produktion vor allem von Mitteln für gesellschaftliche Formen der Bedürfnisbefriedigung möglicherweise zu einer wesentlich rationelleren Bedürfnisbefriedigung im gesamtgesellschaftlichen Maßstab führt. Es kommt zunächst noch nicht auf die entsprechende Ergänzung des Kennziffernsystems an. Es sollte vielmehr versucht werden, durch Fragestellungen in Richtung auf eine komplexere, allseitige bedürfnisbezogene
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Effektivitätsbetrachtung — also unter stärkerer Berücksichtigung der Verflechtung und gegenläufigen Abhängigkeiten, der Substitutionsprozesse in den Produktions- und Anwendungsstufen, unter Einbeziehung der Dienstleistungen, der Hausarbeit usw. usf. — die Produktionsbetriebe und -zweige von vornherein stärker an der Entwicklung solcher Konsumtions- und Produktionsmittel zu interessieren, die tatsächlich eine den sozialistischen Zielen gemäße gesellschaftlich rationellere Bedürfnisbefriedigung ermöglichen.
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Prof. Dr. H. RICHTER
Aspekte der Beziehungen zwischen Bedürfnis, Bedarf, Angebot und Nachfrage Die in der These 8 dargelegten Gedanken b e r ü h r e n wichtige F r a g e n der real nötigen u n d möglichen Bedürfnisbefriedigung. Hierbei geht es u m jene Bedürfnisse, die bereits zur gesellschaftlichen N o r m geworden sind, m e h r n o c h : es geht u m die in einem gegebenen Zeitraum durch die zahlungsfähige Nachfrage zu realisierenden Bedürfnisse, also den k o n k r e t e n Bedarf. Es ist sehr zu begrüßen, d a ß die Thesen auch auf diese wichtigen, ä u ß e r s t praktischen Fragen eingehen, denn, u m in diesem Z u s a m m e n h a n g eine Leninsche W o r t w a h l zu gebrauchen, k ö n n t e m a n sagen: Alles Gerede (der Terminus ,Gerede' ist nicht a b w e r t e n d aufzufassen) über die Bedürfnisbefriedigung bleibt eine hohle Phrase, wenn der Bedarf nicht befriedigt wird. Deshalb sollte m a n immer, wenn von Bedürfnissen u n d ihrer Befriedigung die Rede ist, den k o n k r e t e n Bedarf mit im Auge h a b e n u n d insofern n a t ü r l i c h auch die P r o b l e m a t i k der Ressourcen u n d deren S t r u k t u r . Das zwingt zugleich solche Termini sorgfältiger zu interpretieren u n d zu definieren wie Bedürfnis, Bedarf, Angebot u n d Nachfrage, d e n n völlig richtig heißt es in den Thesen: „ U m die bedarfsbezogene P l a n u n g zur bedarfsgerechten Versorgung weiterzuführen, ist die K e t t e P r o d u k t i o n — Z i r k u l a t i o n — K o n s u m t i o n zu schließen. Der Konsumgüterindustrie, der L a n d w i r t s c h a f t u n d d e m Außenhandel (Import) obliegt die Angebotspflicht gegenüber d e m H a n d e l . " Dazu einige B e m e r k u n g e n : Zunächst m u ß m a n zwischen Bedürfnis u n d Bedarf unterscheiden u n d zugleich theoretisch u n d praktisch die Beziehungen zwischen Bedarf, Angebot u n d Nachfrage klären. Das Bedürfnis als allgemeine gesellschaftliche Erscheinung ist b e k a n n t l i c h nicht sofort oder v o n vornherein warengebunden. Es korrespondiert nicht u n m i t t e l b a r m i t der zahlungsfähigen N a c h f r a g e ; es ist ihr gewissermaßen vorgelagert u n d im allgemeinen größer als es individuell realisiert werden k a n n .
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T r o t z d e m ist jedes B e d ü r f n i s n a t ü r l i c h historisch a n die P r o d u k t i o n gebunden. A n d e r e r s e i t s e n t s t e h e n B e d ü r f n i s s e i m E r g e b n i s der E n t w i c k l u n g u n d Bef r i e d i g u n g alter B e d ü r f n i s s e . Das h e i ß t , die E r r e i c h u n g eines b e s t i m m t e n L e b e n s n i v e a u s , das f r ü h e r einmal Ziel w a r , d e c k t zugleich seine Unzulänglichk e i t e n auf u n d r u f t d a m i t ein neues weitreichenderes B e d ü r f n i s h e r v o r . ( H a t z u m Beispiel ein j u n g e s E h e p a a r eine 2 - Z i m m e r - W o h n u n g b e k o m m e n , so ist i h r B e d ü r f n i s gegenüber d e m U m s t a n d , bisher keine W o h n u n g besessen zu h a b e n , ein erheblicher F o r t s c h r i t t . In d e m M a ß e a b e r der m a t e r i e l l e n u n d k u l t u r e l l e n E n t w i c k l u n g sowie der V e r g r ö ß e r u n g der F a m i l i e wird die U n z u l ä n g l i c h k e i t des f r ü h e r b e f r i e d i g t e n Bedürfnisses i m m e r s t ä r k e r , so d a ß auf die oben beschriebene Weise ein neues, u m f a s s e n d e r e s B e d ü r f n i s entsteht.) D a b e i ist k l a r : D a s Vorauseilen der B e d ü r f n i s s e zu verwechseln m i t d e m Vorauseilen der N a c h f r a g e , der Versuch, ein s t ä n d i g e s (latentes) Angebotsdefizit „ g e s e t z m ä ß i g " r e c h t f e r t i g e n zu wollen, w i d e r s p r i c h t d e m ö k o n o m i s c h e n G r u n d g e s e t z des Sozialismus u n d zugleich d e n P a r t e i b e s c h l ü s s e n . Das gilt prinzipiell a u c h f ü r die B e z i e h u n g e n zwischen N a c h f r a g e u n d A n g e b o t . „ D a s Ü b e r s t e i g e n der N a c h f r a g e ü b e r d a s A n g e b o t ist keine G e s e t z m ä ß i g k e i t des Sozialismus. In der e n t w i c k e l t e n sozialistischen W i r t s c h a f t w e r d e n V o r a u s s e t z u n g e n geschaffen, u m die P r o d u k t i o n i m Interesse einer volls t ä n d i g e r e n B e f r i e d i g u n g der N a c h f r a g e u n d der V e r b e s s e r u n g d e r W a r e n l i e f e r u n g der B e v ö l k e r u n g schneller w a c h s e n zu lassen als die z u n e h m e n d e Nachfrage."1 B e d ü r f n i s , B e d a r f , A n g e b o t , N a c h f r a g e lassen sich als S y s t e m v o n Ungleichungen u n d E n t s p r e c h u n g e n darstellen. B e d ü r f n i s > Bedarf A . A n g e b o t > N a c h f r a g e N a t ü r l i c h ist dieser Versuch, verschiedene q u a l i t a t i v e Begriffe in eine q u a n t i t a t i v e B e z i e h u n g zu b r i n g e n , p r o b l e m a t i s c h . J e d o c h darf m a n sich i m I n t e r esse der V e r s t ä n d i g u n g d a v o r a u c h n i c h t scheuen. S e l b s t v e r s t ä n d l i c h stellt die F o r m e l ein a n z u s t r e b e n d e s Ziel d a r , d a s noch n i c h t bei j e d e m z u m k o n k r e t e n Bedarf g e w o r d e n e n B e d ü r f n i s realisiert w e r d e n k a n n . Abgesehen d a v o n e n t s t e h e n z. Z. a u c h noch „ B e d ü r f n i s s e " a u f g r u n d ideologischer Einflüsse der k a p i t a l i s t i s c h e n U m w e l t (z. B . Besitz a u s P r e s t i g e g r ü n d e n , e x t r e m e m o d i s c h e T e n d e n z e n u. a.) d e r e n B e f r i e d i g u n g die sozialistische Gesellschaft n i c h t a n s t r e b t . 1
Autorenkollektiv, Politische Ökonomie Sozialismus, Berlin 1972, S. 309 (Ubersetzung aus dem Russischen).
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Es ist sicher auch noch ein Wort zur Entsprechung von Bedarf und Angebot zu sagen. Ich gehe davon aus, daß der Bedarf der Bevölkerung jene Größe ist, die die Werktätigen mit ihrem Einkommen realisieren wollen und sollen. Der Bedarf ist nicht irgend etwas Fiktives. Und wenn verschiedentlich von einem „zu hohen" oder von „unrealem" Bedarf zum Beispiel infolge angestauter Nachfrage gesprochen wird, so ändert das nichts an dem Fakt, daß der Bedarf im allgemeinen wie im konkreten Einzelfall (natürlich der real erforschte) zu befriedigen ist. Darum muß das Angebot, d. h. das Produktionsangebot der Industrie und der Landwirtschaft sowie des Dienstleistungsbereichs und das Importangebot des Außenhandels dem Bedarf entsprechen. Worauf gründet sich nun die Notwendigkeit der rascheren Entwicklung des Angebots gegenüber der Nachfrage? Bereits K. Marx zeigte, daß das Warenangebot zu gegebenen Preisen größer sein muß „als der mittlere Verkauf oder der Umfang der durchschnittlichen Nachfrage." 1 Anders ist die Deckung einer erhöhten Nachfrage über ihr mittleres Ausmaß nicht möglich. Die Notwendigkeit eines über dem Kauffonds liegenden Warenfonds ergibt sich aus der Prämisse, daß das Warenangebot in seiner Menge, Vielfalt und Qualität als entscheidender Stimulus die Werktätigen anregt, durch hohe Leistungen eine entsprechend hohe Entlohnung zu erlangen, um die gewünschten Waren auch erwerben zu können. In diesem Bezug zeigt sich erneut die Dialektik von Produktion und Konsumtion bzw. Bedürfnisbefriedigung, denn die materielle Interessiertheit wird in starkem Maße durch das Warenangebot initiiert. Einige weitere Gründe: — Das Auseinanderfallen (zeitlich und erkenntnismäßig) der ermittelten Repräsentanz des Bedarfs mit den individuellen Wünschen der Bevölkerung zum Zeitpunkt des Verkaufs ist ein wichtiges Kriterium. Es ist nur eine Näherung zwischen dem erforschten und tatsächlich auftretenden zeitlich und örtlich konkreten Bedarf möglich. Diesem Umstand muß durch disponible Reserven entsprochen werden. — Der moralische Verschleißfaktor und der modische Einfluß. Besonders bei modischen Artikeln der Leichtindustrie, speziell der Konfektion, aber auch solchen technischen Konsumgütern, die infolge des Tempos der wissenschaftlich-technischen Entwicklung sich rasch erneuern, sind Preissenkungen und sogenannte „Schlußverkäufe" zur Verhinderung von Über1
K . MARX, Das Kapital, Band 2, in: MEW, Bd. 24, Berlin 1963, S. 148.
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Planbeständen erforderlich. Das bedeutet Erlösschmälerung und insofern einen niedrigeren als erwarteten Kauffondsverbrauch. (In Zukunft muß das geplant werden.) — Die Sortimentsstruktur und -breite muß der individuellen (zweifellos durch Werbung und Aufklärung gesteuerten) Geschmacksvarietät Raum geben und verfügbar sein. Das ist eine außerordentlich praktische und zugleich aktuelle Frage. Man darf der Bevölkerung nicht zumuten, etwas dann zu kaufen, wenn es gerade angeboten wird, sondern wenn es gebraucht wird. Aus dem Gesagten sowie weiteren — hier im einzelnen nicht aufzählbaren — Gründen ist der Schluß zu ziehen, daß kontinuierliche Versorgung zwangsläufig Vorräte bzw. Reserven einschließt. Das ist auch notwendig, um unvorherzusehende Produktionsstörungen (Havarien), Natureinflüsse, z. B. auf die Nahrungsgüterversorgung in ihrer möglichen Auswirkung auf den stabilen Versorgungsprozeß weitgehend auszuschließen. „Die weiterhin zunehmende Dynamik des Bedarfs," — so heißt es in den Thesen —„ein schnelleres Reagieren auf Bedarfsveränderungen und eine höhere Verkaufsbereitschaft im Einzelhandel machen Rückwirkungen des Konsumtionsprozesses auf den Plan unvermeidlich. Um sie auf ein Minimum einzuschränken und weder die Produktions- noch die Konsumtionsprozesse zu stören, sind Toleranzen und Reserven unumgänglich." Dem muß jedoch hinzugefügt werden: Die Unvermeidlichkeit der Rückwirkung des Konsumtionsprozesses auf den Plan bzw. die Minimierung dieser Wirkungen trifft nicht genügend den Kern der Sache. Worauf es ankommt ist, die Reserven und damit das tendenzielle überwiegen des Angebots im Plan zu berücksichtigen. Das Ziel der sozialistischen Wirtschaft besteht in der immer besseren Befriedigung der Bedürfnisse. Das erreichen wir in dem Maße, wie es gelingt, mit hoher Produktivität Waren in solcher Menge, Qualität, Sortimentierung und geschmacklichen Vielfalt herzustellen und der Bevölkerung zum Kauf anzubieten, wie das der zahlungsfähigen Nachfrage entspricht. Dabei muß die Angebotsquantität und -qualität gegenüber den Nachfragekomponenten derart ausgewogen sein, daß im allgemeinen wie auch im konkreten Falle stets angeboten wird und nicht „nachgefragt" werden muß.
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P r o f . D r . H . KOZIOLEK
Schlußwort zur 5. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung bei der Akademie der Wissenschaften der DDR Einleitend möchte ich hervorheben, daß die 5. Tagung des Wissenschaftlichen Rates zu verstehen ist als ein Beitrag zur Vervollkommnung der theoretischen Grundlage der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. In diesem Sinne stellt die heutige Tagung eine Fortsetzung und Weiterführung unserer 2. Tagung zu den dialektischen Wechselbeziehungen zwischen ökonomischer Theorie, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftspraxis und den damit verbundenen Konsequenzen für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung dar und berührt einen weiteren wichtigen Aspekt der in allen bisherigen Tagungen im Zentrum der Diskussion stehenden Problematik der Erfordernisse und der bewußten Ausnutzung der objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Ein Hauptkettenglied sowohl in den Thesen als auch in der heute wieder vielschichtigen Diskussion war die Ziel-Mittel-Dialektik der Hauptaufgabe, wobei zu berücksichtigen ist, daß sich die folgende Ratstagung umfassend mit den Gesetzmäßigkeiten der Intensivierung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses, d. h. mit dem in der Hauptaufgabe formulierten Weg, befassen wird, so daß beide Tagungen eine Einheit bilden. In der geführten Diskussion haben sich, unter besonderer Beachtung der Einheit von Politik, Ökonomie und Ideologie bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, folgende Kernfragen herausgeschält: 1. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung muß stärker dazu beitragen, daß wir immer präzisere Vorstellungen und Erkenntnisse über die entwickelte sozialistische Gesellschaft und die ihr eigene Bedürfnisstruktur erhalten. Das erfordert vor allem eine höhere Qualität der Erforschung der Wirkungsbedingungen und Erfordernisse der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. 2. Wir müssen an die weitere Untersuchung der Bedürfnisproblematik realistisch herangehen und auf keinen Fall zulassen, daß hierbei Ziel und Ressourcen auseinandergerissen werden. In unseren Überlegungen sind die verfügbaren beschränkten Ressourcen und deren Entwicklung ständig zu 207
beachten. Wir müssen bei Lösungen auf dem Gebiet der Bedürfnisproblematik ein ressortmäßiges Herangehen vermeiden und schrittweise komplexe Lösungen anstreben. Gleichzeitig müssen wir genügend konkret sein, wenn es um entsprechende Entscheidungsvorbereitungen geht. Es geht vor allem darum, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen notwendiger und real möglicher Bedürfnisbefriedigung zu sichern, das insbesondere den Interessen der Arbeiterklasse gerecht wird. Ein Kernproblem besteht generell darin, Bedürfnisbefriedigung und Einkommensentwicklung nicht zu trennen. Im Sinne dieser Aufgabenstellungen war eine wichtige Frage in der Diskussion die weitere Gestaltung der Verteilung nach der Leistung. Notwendig ist die Mitwirkung der Wirtschaftswissenschaftler bei der Entwicklung einer Konzeption, wie den Wirkungsbedingungen und Erfordernissen des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung — im Rahmen des Systems der ökonomischen Gesetze des Sozialismus — im Zeitraum bis 1990 zu entsprechen ist. Ausgehend von der Fragestellung, welche Bedürfnisse sich in welchen Richtungen entwickeln und welche Mittel für ihre Befriedigung erforderlich sein werden, geht es um die Entscheidung, welche Kapazitäten eingesetzt werden müssen, mit denen die wachsenden individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt werden. Es muß in diesem Zusammenhang auch geklärt werden, welche und wie Stimulierungsmittel eingesetzt werden sollten. Die Lösung dieser Probleme setzt eine gründliche Analyse, prognostische Überlegungen, ein exaktes Messen und Quantifizieren voraus. In diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß in der Beratung die Fragen der Entwicklung der Mittel für die Bedürfnisbefriedigung nur im grundsätzlichen, d. h. vom Aspekt der Einheit von Ziel und Mittel der Hauptaufgabe, behandelt wurden, da die Gesamtproblematik der Intensivierung Gegenstand der nächsten Ratstagung ist. Aber bereits jetzt, in bezug auf die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung und die dazu notwendigen und möglichen Wege, muß volle Klarheit darüber bestehen, daß bei stagnierender Produktivität kein prinzipiell höherer Konsumtionseffekt erreicht werden kann. Die entwickelte sozialistische Gesellschaft muß auf einer hohen Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit beruhen. Die notwendige Steigerung der Arbeitsproduktivität, verbunden mit der Entwicklung der Ressourcen, ist das einzig reale Fundament für die Befriedigung der Bedürfnisse der Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft. Zustimmen möchte ich den Ausführungen in der Diskussion, in denen betont wurde, daß bei der Einschätzung und Entscheidung zu Fragen der Bedürfnisentwicklung ein komplexes Herangehen gesichert werden muß, d. h. der gesamte Bedürfniskomplex ist zu erfassen, der jeweils mit der Entwicklung der Familie, des Betriebes, des Territoriums zusammenhängt. Lösungen
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müssen in Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen sowie mit der Naturwissenschaft/Technik und Medizin gefunden werden. Die in der Diskussion behandelte Planung sozialer Prozesse ist eine sehr wichtige Problematik, geht es doch hier um Bedürfnisse der Menschen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem betrieblichen Reproduktionsprozeß stehen und ein größeres Gewicht in der Leitungstätigkeit erhalten müssen. Deshalb schlage ich vor, gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen R a t für soziologische Forschung weiter zu beraten. Ein weiterer Problemkreis ist die in der Diskussion geforderte Arbeit mit Normativen der Bedürfnisbefriedigung als ein wesentlicher Gegenstand und ein wichtiges Instrument der sozialistischen Planung, insbesondere der langfristigen Planung. Besonders hervorheben möchte ich, daß bei der Erarbeitung begründeter Normative auch die Probleme der Arbeit, der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie demographische Elemente und Faktoren einzubeziehen sind. Dabei ist die Widersprüchlichkeit verschiedener Prozesse zu beachten, die der Bedürfnisbefriedigung zugrunde liegen. Beispielsweise wollen die Menschen gesund bleiben bzw. gesünder werden, ohne daß alle immer geneigt sind, dementsprechend zu leben. Ausgehend von diesen und weiteren Problemen der Diskussion sind folgende Schwerpunkte für die weitere Forschung zu fixieren: 1. Tiefgründiger zu untersuchen sind der Inhalt und die ökonomische Funktion der Bedürfnisse im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß sowie der Zusammenhang zwischen Bedürfnisbefriedigung. Produktivitäts- und Effektivitätsniveau. Im Zusammenhang mit der weiteren Erforschung der Wirkungsbedingungen und Erfordernisse der ökonomischen Gesetze des Sozialismus sind insbesondere zu untersuchen: — Die Wechselbeziehungen zwischen sozialistischer Produktion und Konsumtion, vor allem unter dem Aspekt der Durchsetzung der wissenschaftlich-technischen Revolution und der Erfordernisse und Möglichkeiten der sich vertiefenden sozialistischen ökonomischen Integration — die Funktion der Konsumtionssphäre im Prozeß der intensiv erweiterten sozialistischen Reproduktion und als Faktor eines hohen und stabilen ökonomischen Wachstums. Diese Arbeit muß in die Herausarbeitung praktisch verwertbarer Maßstäbe und Kriterien als Grundlage und Instrument der Planung und für die Auswahl von Alternativlösungen münden. 209 14 Koziolek
2. Die Auffassungen über den Inhalt der sozialistischen Lebensweise sind zu präzisieren. Dabei ist weiter zu untersuchen, worin die spezifisch sozialistisch Art und Weise der Konsumtion, sowohl für die einzelnen Personen als auch die Kollektive, besteht. In diese Entscheidungen eingeschlossen ist die Entwicklung des Verhältnisses zwischen individueller und gesellschaftlicher Konsumtion, da die Verwirklichung des in der Hauptaufgabe formulierten Zieles nicht von der Art der Einkommenserlangung — Arbeitseinkommen und Inanspruchnahme gesellschaftlicher Fonds sowie ihre Entwicklungstendenz — getrennt werden kann. Klarheit muß weiterhin darüber bestehen, daß die Befriedigung aller Bedürfnisse einschließlich derer im Bereich der Dienstleistungen, der Bildung und des Gesundheitswesens wie auch der geistig-kulturellen Bedürfnisse eine hohe ökonomische Effektivität voraussetzt und von der Erhöhung der Effektivität in den produzierenden Bereichen abhängt. 3. Die Bedürfnisse, deren gesellschaftlicher Charakter durch die Produktionsverhältnisse bedingt ist, spiegeln als Bestandteil der jeweiligen Produktionsweise deren grundlegende Merkmale wider. Das bedingt, bei der Erforschung der neuen, sozialistischen Bedürfnisse von den Merkmalen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und den Aufgaben der Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten auszugehen. Dabei ist allen Tendenzen eines Nachtrabs gegenüber den Erscheinungen der kapitalistischen Lebensweise bzw. der Nachahmung kapitalistischer Bedürfnismanipulierung eine klare Absage zu erteilen. Das erfordert eine verstärkte politisch-ideologische Arbeit und die materielle Sicherung für die sozialistische Alternative. 4. Die Entwicklungs- und Strukturtendenzen der Bedürfnisse sind verstärkt zu erforschen. Das gleiche gilt für die Klassifizierung der Bedürfnisse in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Wie es sich auch in der Diskussion gezeigt hat, ist der theoretische Vorlauf, insbesondere bei den Entwicklungstendenzen der individuellen Bedürfnisse, noch zu gering. Es ist z. B. nicht möglich, ohne diesen Vorlauf Entscheidungen über die Rangfolge bei der Bedürfnisbefriedigung zu fällen. Eine Erfassung der Bedürfnisproblematik in der Leitung und Planung erfordert, volkswirtschaftlich relevante, aussagefähige Unterlagen zu schaffen und eine zielgerichtete, interdisziplinäre Forschungsarbeit zu betreiben. 5. Die Forschungsarbeit zu den Fragen der Verteilung nach der Arbeitsleistung muß stärker unter dem Aspekt des Zusammenhanges zwischen materieller Interessiertheit, Bedürfnisentwicklung und -befriedigung erfolgen. Notwendig ist dabei eine differenzierte Untersuchung nach Altersgruppen der Werktätigen, wobei der Gruppe der Jugendlichen besondere 210
Aufmerksamkeit zu widmen ist. Von großer Bedeutung ist auch, daß die Leistungen der einzelnen und der Kollektive von der Gesellschaft richtig bewertet werden, das betrifft sowohl die materielle als auch die ideelle Anerkennung. Abschließend zum Verlauf der Tagung und den sich daraus ergebenden Aufgaben folgende zusammenfassende Bemerkungen: — Die vorgelegten Thesen sind entsprechend den in der Diskussion gegebenen Hinweisen zu überarbeiten. Sie sind als eine wichtige Grundlage auch für die Thesen der nächsten Ratstagung zur Intensivierungsproblematik zu betrachten, da beide Ratstagungen eine unmittelbare Einheit bilden. — Es zeigt sich, daß es notwendig ist, die Erkenntnisse der Sowjetwissenschaft und anderer sozialistischer Länder auf diesem Gebiet noch stärker auszuschöpfen. Zugleich ist unser eigener wissenschaftlicher Beitrag zu verstärken. Das erfordert die Erhöhung des theoretischen Niveaus und der Praxisorientiertheit der Forschungsarbeit auf diesem Gebiet. — Weiterhin wird deutlich, daß es eine Reihe von Fragen gibt, in denen unter den Wirtschaftswissenschaftlern noch unterschiedliche Auffassungen — zu mindest in bestimmten Nuancen — bestehen (z. B. in der Rangfolge der Bedürfnisbefriedigung). Das ist normal; man muß in diesen Fragen den Meinungsstreit fortsetzen, dabei aber immer den notwendigen Realismus im Auge behalten. — Kennzeichnend für die Tagung war die breite Beteiligung von Wissenschaftlern aus anderen gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen und Disziplinen sowie von Vertretern der Wirtschaftspraxis. Diesen Weg der umfassenden sozialistischen Gemeinschaftsarbeit gilt es konsequent fortzusetzen, um den Beratungsgegenstand und die sich daraus ergebenden Aufgaben in ihrer Komplexität zu erfassen und ein ressortmäßiges Herangehen an die Probleme zu vermeiden. — Es ist notwendig, prinzipiell und offensiv die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie zu führen, insbesondere mit der Theorie von der „neuen Qualität des Lebens", die von imperialistischen und rechtssozialdemokratischen Ideologen und Politikern zunehmend in den Vordergrund gerückt wird.
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