Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: der Streit um den allgemeinen Gleichheitssatz [1 ed.] 9783428547357, 9783428147359

Der Autor untersucht ein klassisches, immer noch ungelöstes Problem der deutschen Grundrechtsdogmatik: die Frage, ob der

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German Pages 173 Year 2015

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Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: der Streit um den allgemeinen Gleichheitssatz [1 ed.]
 9783428547357, 9783428147359

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1296

Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: der Streit um den allgemeinen Gleichheitssatz

Von

Gabriel D. L. Machado

Duncker & Humblot · Berlin

GABRIEL D. L. MACHADO

Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: der Streit um den allgemeinen Gleichheitssatz

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1296

Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: der Streit um den allgemeinen Gleichheitssatz

Von

Gabriel D. L. Machado

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14735-9 (Print) ISBN 978-3-428-54735-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84735-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Georg-AugustUniversität zu Göttingen Anfang 2015 als Dissertation angenommen. Zu ihrem Zustandekommen hat eine Vielzahl von Menschen beigetragen. Ich möchte mich zunächst bei meinem Betreuer, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Heun, bedanken, der sich stets bereit zeigte, mir – trotz der Schwierigkeit der Aufgabe – zu helfen. An dieser Stelle sei außerdem dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Hans Michael Heinig, für die anregenden Worte gedankt. Ich bedanke mich des Weiteren bei dem Deutschen Akademischen Austauschdienst – DAAD für die langjährige finanzielle Unterstützung. Ein besonders herzliches Dankeschön für ihr Verständnis und ihren Beistand richte ich an meine Eltern. Schließlich sei all denjenigen gedankt, die dafür gesorgt haben, dass mein Aufenthalt in Göttingen viel mehr als nur eine Etappe meines beruflichen Lebens wurde, insbesondere Benno Schubert, Eneas Romero de Vasconcelos, Mariana Monteiro de Matos, Pedro Ribeiro Martins, Saulo Monteiro de Matos und, allen voran: Annika Schäfer. Hannover, im Juni 2015

Gabriel Ducatti Lino Machado

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Problemstellung und Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Die Einordnung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 III. Eine begriffliche Klärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: von den Ursprüngen bis zum Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Die Wiege: das Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Die historische Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Der Anwendungsbereich: vom Polizei- zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . 23 a) Die Entstehung des juristischen Begriffs „Verhältnismäßigkeit“ . . . . . . . . 23 b) Vom Polizei- zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Der Inhalt: von der Erforderlichkeit zur Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Verhältnismäßigkeit als Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Von der Erforderlichkeit zur Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Die historische Entwicklung des Willkürverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Das Willkürverbot im Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Der Willkürbegriff und die Literatur zum freien Ermessen der Verwaltung 38 b) Der Willkürbegriff in der Rechtsprechung des PrOVG . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Das Willkürverbot im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Gerhard Leibholz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Der Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . 53 I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Die innere Schranke der Zweck-Mittel-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Die Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Die Grenzen der Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

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Inhaltsverzeichnis 2. Die äußeren Schranken der Zweck-Mittel-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Die formelle Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Die Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Die materiellen Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Die Grenzen der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Die absolute Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Eingriffsintensität und Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 dd) Die Angemessenheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Absolute Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Relativität der Anspruchsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Die Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

D. Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Die Fragestellung: formell und absolut oder materiell und relativ? . . . . . . . . . . . 86 II. Das BVerfG: von der Willkür- zur Neuen Formel-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 90 1. Die Willkürrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Die Neue Formel-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Prinzip absoluter persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit: Peter Martini 97 2. Adalbert Podlech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Prinzip der Gleichheit, Regel der Ungleichheit: zum Modell von Robert Alexy 101 4. Gleichbehandlung bei wesentlicher Gleichheit, Ungleichbehandlung bei wesentlicher Ungleichheit: Michael Kloepfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5. Die Folgerichtigkeitsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Ihr Sinn und ihre Schwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Die Folgerichtigkeitsthese in der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . 109 aa) Zum Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Zum Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6. Das Modell von Stefan Huster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Art. 3 Abs. 1 GG als ein materielles relatives Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Das Grundrecht auf Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Inhaltsverzeichnis

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V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 E. Der besondere Gleichheitssatz: Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Absolutes Anknüpfungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Begründungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Relatives Differenzierungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 IV. Begründungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 F.

Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . 138 I. Seine Bezugnahme: die Gründe für die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung . . . . 138 II. Der Begriff des Grundes für eine Ungleich- bzw. Gleichbehandlung . . . . . . . . . 139 III. Das Willkürverbot bei einer Ungleichbehandlung: die Verschiebung der Argumentationslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Mittelbar verdächtige Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Unmittelbar verdächtige Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 IV. Das Willkürverbot bei einer Gleichbehandlung: die mittelbare Verdächtigkeit von Gleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 V. Die Bedeutung von Widersprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Abkürzungsverzeichnis Abs. AcP AEUV ALR Alt. Anm. AöR Art. Aufl. BadVGH BadWürttPolG BayPAG BayVGH n.F.

BGB BGH BremPolG BRS BVerfG BVerfGE BVerwGE bzw. ders. d. h. DÖV DStR DVBl. ebd. EGMR EGV EMRK EStG et al. EuGH EuGRZ f., ff. Fn. GG

Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Alternative Anmerkung, Anmerkungen Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Badischer Verwaltungsgerichtshof Polizeigesetz von Baden-Württemberg Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, neue Fassung (Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Teil I) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bremisches Polizeigesetz Baurechtssammlung Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, amtliche Sammlung beziehungsweise derselbe das heißt Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Steuerrecht Deutsches Verwaltungsblatt ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Menschenrechtskonvention Einkommensteuergesetz et alii Europäischer Gerichtshof Europäische GRUNDRECHTE- Zeitschrift folgende Fußnote Grundgesetz

Abkürzungsverzeichnis HGR

HmbSOG HPolG HPolR Hrsg. HStR

i. d. F. i. e. S. insb. i. V. m. Jura JuS JZ Kap. m. w. N. NJW Nr. NRWOBG NVwZ PrOVG PrOVGE PVBl. PVG RhlPfLVwG RhlPfOVG RhlPfPVG RGZ Rn. s. S. s. a.

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Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa. Band I: Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004 (zitiert: HGR I, 2004); Band II: Grundrechte in Deutschland: Allgemeine Lehren I, Heidelberg 2006 (zitiert: HGR II, 2006); Band III: Grundrechte in Deutschland: Allgemeine Lehren II, Heidelberg 2009 (zitiert: HGR III, 2009); Band V: Grundrechte in Deutschland: Einzelgrundrechte II, Heidelberg 2013 (zitiert: HGR V, 2013) Hamburgisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Hessisches Polizeigesetz Lisken, Hans/Denninger, Erhard/Rachor, Frederik (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts. Gefahrenabwehr – Strafverfolgung – Rechtsschutz, 5. Aufl., München 2012 (zitiert: HPolR, 52012) Herausgeber Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Band I: Historische Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 2003 (zitiert: HStR I, 32003); Band III: Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl., Heidelberg 2005 (zitiert: HStR III, 32005); Band V: Allgemeine Grundrechtslehren, 2. Aufl., Heidelberg 2000 (zitiert: HStR V, 22000); Band VII: Freiheitsrechte, 3. Aufl., Heidelberg 2009 (zitiert: HStR VII, 32009); Band VIII: Grundrechte: Wirtschaft, Verfahren, Gleichheit, 3. Aufl., Heidelberg 2010 (zitiert: HStR VIII, 32010); Band IX: Allgemeine Grundrechtslehren, 3. Aufl., Heidelberg 2011 (zitiert: HStR IX, 32011) in der Fassung in engerem Sinne insbesondere in Verbindung mit Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel mit weiteren Nachweisen Neue Juristiche Wochenschrift Nummer Ordnungsbehördengesetz von Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Preußisches Oberverwaltungsgericht Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, amtliche Sammlung Preußisches Verwaltungsblatt Polizeiverwaltungsgesetz Landesverwaltungsgericht von Rheinland-Pfalz Oberverwaltungsgericht von Rheinland-Pfalz Polizeiverwaltungsgesetz von Rheinland-Pfalz Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer siehe Seite, Seiten siehe auch

12 SchlHolstLVwG s. o. sog. s. u. usw. v. VerwArch. vgl. VRspr. vs. VVDStRL VwVfG WürttBadVGH z. B. ZfP ZNR ZParl ZRP

Abkürzungsverzeichnis Landesverwaltungsgesetz von Schleswig-Holstein siehe oben sogenannt siehe unten und so weiter von Verwaltungsarchiv vergleiche Verwaltungs-Rechtsprechung versus Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsverfahrensgesetz Württemberg-Badischer Verwaltungsgerichtshof zum Beispiel Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik

A. Einführung I. Problemstellung und Aufbau der Untersuchung Mit dem Grundgesetz, das sich mit einem breiten Katalog liberaler Grundrechte vorstellt, welche auch die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht binden und deren Beachtung durch die Gesetzgebung der Kontrolle eines Verfassungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts, unterworfen ist, setzte in Deutschland die Ära der Grundrechtsdogmatik ein. Eine prominente Stellung nahm in der deutschen Grundrechtsdogmatik, einschließlich der Rechtsprechung des BVerfG, schnell das Verhältnismäßigkeitsprinzip ein: ohne dieses kann jene nicht gedacht werden; ohne jene kann dieses nicht gedacht werden. Desto markanter ist insofern ein Zwiespalt, der den Werdegang der deutschen Grundrechtsdogmatik durchzieht: das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird auf die Freiheitsrechte begrenzt; im Rahmen des Gleichheitsrechts des Art. 3 Abs. 1 GG herrscht stattdessen das Willkürverbot. Erschüttert wurde diese Annahme, der eine solide theoretische Basis immer fehlte, durch ein Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1980, das Präklusion I-Urteil, BVerfGE 55, 72. Seitdem hallt diese Entscheidung wider: über ein Willkürverbot hinaus werden aus Art. 3 Abs. 1 GG „Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ abgeleitet; seine Öffnung zum Verhältnismäßigkeitsprinzip wird unterstellt. Nur: zu einer systematischen Verhältnismäßigkeitskontrolle haben die Verhältnismäßigkeitserfordernisse nicht geführt. Damit bleibt die Vereinbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ungewiss, ungeachtet mancher Versuche, sie theoretisch zu begründen. Ist der allgemeine Gleichheitssatz doch mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip oder lediglich mit dem Willkürverbot kompatibel? Das ist die Frage, der hier nachgegangen wird. Dabei werden Verhältnismäßigkeitsprinzip (alternativ: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) und Willkürverbot als zwei verschiedene Maßstäbe zur Bestimmung verstanden, ob eine Maßnahme der Gesetzgebung den Einzelnen in einem seiner Grundrechte verletzt. Sie stellen verschiedene Anforderungen an den Gesetzgeber, denen jeweils die Verhältnismäßigkeitskontrolle bzw. die Willkürkontrolle entsprechen. Damit man sich ein vollständiges Bild des Problems machen kann, beginnt die Untersuchung mit einer historischen Bestandsaufnahme (Kapitel B.). Verhältnis-

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A. Einführung

mäßigkeitsprinzip und Willkürverbot sind keine Schöpfung des BVerfG, sondern haben eine Vorgeschichte vorzuweisen. Insofern fragt es sich: unter welchen Bedingungen und mit welcher Bedeutung sind das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot entstanden, die später Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG finden würden? Sodann geht es in den Kern des Problems. Im Ausgang des Kapitels B. taucht die Frage auf, ob sich das differenziertere bzw. voraussetzungsvollere Verhältnismäßigkeitsprinzip bei seinem Sprung ins Verfassungsrecht nicht anpassen musste. Dementsprechend wird Kapitel C. zunächst der Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf der Ebene der Gesetzgebung gewidmet. Nachdem die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufgezeigt wurde, kann dann die Frage nach seinen Voraussetzungen bearbeitet werden: was sind die Eigenschaften, die ein Grundrecht zum Verhältnismäßigkeitsprinzip öffnen? Stehen die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips fest, gilt es zu untersuchen, ob der allgemeine Gleichheitssatz sie erfüllt. Wenn seine Rechtsnatur eines subjektiven öffentlichen Rechts unumstritten ist, bedarf seine Bedeutung als solches weiterhin einer präziseren Klärung. Auf diese Aufgabe konzentriert sich Kapitel D., an dessen Ende die Schlussfolgerung gezogen werden kann, ob Art. 3 Abs. 1 GG mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kompatibel ist oder ob ihm vielmehr das Willkürverbot eignet. Die Antwort fällt für das Willkürverbot aus, wogegen Art. 3 Abs. 3 GG sprechen könnte. Daher wird im Kapitel E. die Bedeutung von Art. 3 Abs. 3 GG und sein Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG untersucht. Da Art. 3 Abs. 3 GG die im Kapitel D. gezogene Schlussfolgerung bestätigt, wird schließlich im Kapitel F. gezeigt, wie sich das Willkürverbot im allgemeinen Gleichheitssatz strukturell entfaltet.

II. Die Einordnung der Untersuchung Diese Untersuchung ist als ein Beitrag zur deutschen Grundrechtsdogmatik konzipiert. Zum Teil beschäftigt sie sich mit Fragen des allgemeinen Teils: der Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf der Ebene der Gesetzgebung; den Eigenschaften der Grundrechte, die offen zu ihm sind. Im Besonderen beschäftigt sie sich mit dem allgemeinen Gleichheitssatz: seiner Bedeutung bzw. seinen Eigenschaften als einem subjektiven öffentlichen Recht (Grundrecht); der Struktur des Willkürverbots im allgemeinen Gleichheitssatz.

III. Eine begriffliche Klärung

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III. Eine begriffliche Klärung Ein zentraler Begriff im Kontext des allgemeinen Gleichheitssatzes ist der Begriff der rechtlichen Gleichbehandlung. Mit rechtlicher Gleichbehandlung wird hier nicht die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit Art. 3 Abs. 1 GG gemeint. Mit rechtlicher Gleichbehandlung wird vielmehr die Tatsache beschrieben, dass zwei oder mehrere Grundrechtsträger von der gleichen Rechtsfolge betroffen werden, unabhängig davon, ob sich für sie die Rechtsfolge aus jeweils verschiedenen Tatbeständen ergibt, unabhängig davon also, ob auf sie verschiedene Normen zutreffen. Unter Rechtsfolge wird wiederum die in der Norm beschriebene Konsequenz, nicht ihre weiteren Auswirkungen verstanden. Diesem Begriff der rechtlichen Gleichbehandlung entspricht ein Begriff der rechtlichen Ungleichbehandlung. Wenn im Folgenden von (rechtlicher) Gleich- oder Ungleichbehandlung die Rede ist, wird damit rechtliche Gleich- bzw. Ungleichbehandlung im erwähnten Sinne gemeint.

B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot: von den Ursprüngen bis zum Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG I. Die Wiege: das Polizeirecht Einen Wendepunkt in der Geschichte sowohl des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als auch des Willkürverbots stellt § 10 II 17 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (ALR) dar, welcher – seit dem 1. Juni 1794 in Kraft – besagte: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ Die obrigkeitlichen Ordnungen des 15.–18. Jahrhunderts begriffen „Polizei“ als der Zustand guter Ordnung im Gemeinwesen.1 Die Polizeiordnungen – diejenigen Ordnungen, die auf die Herstellung oder Erhaltung guter Ordnung im Gemeinwesen abzielten –2 reichten je nach geschichtlichem Kontext von an die Untertanen adressierten Verhaltensregeln, einschließlich Vorschriften privatrechtlicher Natur,3 bis hin zu wirtschaftsgestaltenden und -fördernden Bestimmungen.4 Jedenfalls erstreckte sich das ius politiae5 faktisch von der Gefahrenabwehr bis hin zur Wohl-

1 Vgl. F.-L. Knemeyer, Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts. Kritische Bemerkungen zur Literatur über die Entwicklung des Polizeibegriffs, AöR 92 (1967), S. 153 (155 ff.), der auf S. 163 ff. darauf hinweist, dass im 18. Jahrhundert der institutionelle Polizeibegriff entsteht und in den Vordergrund tritt. Vgl. ferner F.-L. Knemeyer, Polizei, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 4: Mi–Pre, Stuttgart 1978, S. 875 (887 f.). 2 So ein weiterer Sinn des Polizeibegriffs. Vgl. F.-L. Knemeyer, Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts, S. 158 ff. 3 Vgl. F.-L. Knemeyer, Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts, S. 160 ff., 168 ff., 177 f.; H. Boldt/M. Stolleis, Geschichte der Polizei in Deutschland, in: HPolR, 52012, Kap. A Rn. 5. 4 Vgl. H. Boldt/M. Stolleis, Geschichte der Polizei in Deutschland, Rn. 11; P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983, S. 17 f. 5 Vgl. H. Boldt/M. Stolleis, Geschichte der Polizei in Deutschland, Rn. 14; P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 39 ff.

I. Die Wiege: das Polizeirecht

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fahrtspflege;6 es umfasste insofern das, was man heute unter innerer Verwaltung versteht.7 Mit der akademischen Polizeiwissenschaft des 18. Jahrhunderts8 entstand der materielle Polizeibegriff: Polizei im Sinne von Tätigkeiten.9 Dabei wird die Diskussion auf einer abstrakten Ebene geführt: die Frage, welche Tätigkeiten als Polizei bzw. polizeilich zu bezeichnen seien, wird im Zusammenhang der Frage des Staatszwecks behandelt.10 Zusammengefasst hieß die Fragestellung: Polizei als Gefahrenabwehr oder als Wohlfahrtspflege? Von den Vertretern der Polizeiwissenschaft im 18. Jahrhundert seien Johann Heinrich Gottlob von Justi und Joseph von Sonnenfels erwähnt.11 Justi gilt mit seinem erstmals 1756 veröffentlichten Werk „Grundsätze der Policey-Wissenschaft“ als „erster Systematiker der Polizeiwissenschaft“12. Während in diesem Werk die Wohlfahrt des Staates, das ist „die Erhaltung und Vermehrung des allgemeinen Vermögens des Staats“ im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht,13 tritt ab der Erscheinung im Jahr 1760 des ersten Bands seines Werks „Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten; oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft“ die Wohlfahrt des Einzelnen14 in den Vordergrund.15 Die Zen6 Vgl. W. R. Schenke, Polizei und Ordnungsrecht, 8. Aufl., Heidelberg 2013, Rn. 2; B. Pieroth/B. Schlink/M. Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht – mit Versammlungsrecht, 7. Aufl., München 2012, § 1 Rn. 4; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Berlin 1931, S. 423. 7 Vgl. F.-L. Knemeyer, Polizei, S. 886. Zum Verhältnis der Polizeiordnungen mit Themen der Justiz, des Militär- und Finanzwesens vgl. F.-L. Knemeyer, Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts, S. 171 ff. 8 Zur vorakademischen Polizeiwissenschaft vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre. Gesammelte Schriften, Band IV, München 2009, S. 147 ff. 9 Vgl. F.-L- Knemeyer, Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts, S. 166 f. 10 Vgl. P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 106. 11 Zu einem Überblick über den Einzug der Polizeiwissenschaft in die Universitäten des 18. Jahrhunderts vgl. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Erster Band: Reichspublizistik und Polizeywissenschaft 1600 – 1800, 2. Aufl., München 2012, S. 375 f. 12 Vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 243 f. 13 Vgl. J. H. G. v. Justi, Grundsätze der Policey-Wissenschaft in einen vernünftigen, auf den Endzweck der Policey gegründeten, Zusammenhange und zum Gebrauch Academischer Vorlesungen abgefasset, Göttingen 1756, § 5. Für den Endzweck des Staates hält Justi die „Beförderung der gemeinschaftlichen Glückseeligkeit“, wozu sein allgemeines Vermögen erhalten, vermehrt und vernünftig angewendet werden müsse. „Die Erhaltung und Vermehrung des allgemeinen Vermögens, in Verhältniß gegen andere freye Staaten, lieget der Staatskunst ob. Die Policey aber hat die Erhaltung und Vermehrung eben dieses allgemeinen Vermögens des Staats, in Ansehung seiner innerlichen Verfaßung, zum Gegenstande; so wie sich die Cameralund Finanzwissenschaft bemühen muß, aus dem allgemeinen Vermögen des Staats durch einen vernünftigen Gebrauch desselben das besondere, oder bereiteste, Vermögen herauszuziehen und der Staatskunst und Policey Mittel an die Hand zu geben, ihren Endzwecken eine Genüge zu leisten“, § 4. 14 Der einzelnen Familie. Vgl. J. H. G. v. Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten; oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft. Erster

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

tralstelle hat dagegen bei Sonnenfels, der als „der zweite bedeutende Systematiker der Polizeiwissenschaft im 18. Jahrhundert“16 gilt, „die innere Sicherheit des Staats“17. Tatsache aber ist, dass weder das eine noch das andere System darauf eingestellt war, dem Polizeibegriff bzw. dem ius politiae eine liberale Gestalt zu geben. Denn die Bestimmung dessen, was die Wohlfahrt des Einzelnen ausmachte, blieb ihm nach wie vor nicht überlassen.18 Andererseits lief der Zweck „innere Sicherheit des Staats“ Sonnenfels’ keineswegs auf eine Einschränkung der Polizeigewalt hinaus.19 Vielmehr muss er vor dem Hintergrund des österreichschen absolutistischen Staates gesehen werden.20 Unabhängig davon, ob der Antrieb zur polizeilichen Tätigkeit des Staates in der Wohlfahrt des Einzelnen zu finden ist, wie bei Justi, oder im Gedanken der inneren Sicherheit des Staates, wie bei Sonnenfels, war der materielle Polizeibegriff ohnehin im absolutistischen Staat entsprechend weit – auch wenn man im System Justis einen im Sinne der Aufklärung „wesentlichen Fortschritt in Hinsicht auf die rechtliche Begrenzung der Polizei“21 erkennen kann.

Band, Königsberg 1760, § 1 f.: der Endzweck der „gemeinschaftlichen Glückseligkeit“ wird als die Verbindung bzw. Vereinigung der Wohlfahrt der einzelnen Familie mit dem gemeinschaftlichen Besten spezifiziert. Dementsprechend wird die Polizeiwissenschaft definiert: „Die Polizey ist demnach eine Wißenschaft, die innerlichen Verfaßungen des Staats solchergestalt einzurichten, daß die Wohlfahrt der einzeln Familien mit dem allgemeinen Besten beständig in einer genauen Verbindung und Zusammenhange sich befindet“, § 3. 15 Vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 244 ff.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland I, S. 379 ff. 16 Vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 251. 17 Vgl. J. v. Sonnenfels, Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft. Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen, Wien 1765, S. 27. Als Endzweck des Staates nennt Sonnenfels allgemein „das gemeinschaftliche Beste“, die „öffentliche Wohlfahrt“ (S. 15), „die allgemeine Wohlfahrt“, „die Wohlfahrt eines Staates“ (S. 17), etwas konkreter „die Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens“ (S. 15). Weiter führt er aus: „da man beobachtet, daß sich der Endzweck der Staaten gleichsam in vier große Hauptgeschäffte zergliedere, … so hat man hieraus vier abgesonderte Wissenschaften gemacht. Die Sammlung der Grundsätze, nach deren Anleitung die äußere Sicherheit der Staaten handgehabt wird, machen die Staatswissenschaft, insbesondre so genannt (Staatsklugheit, oder Politik) aus. Die Grundsätze, die innere Sicherheit zu gründen und zu erhalten, lehret die Polizeywissenschaft. Die Vervielfältigung der Nahrungswege, durch einen vortheilhaften Umsatz dessen, was das Erdreich und die Uemsigkeit hervorbringen, lehret die Handlungswissenschaft. Die Finanzwissenschaft endlich zeigt, auf welche Weise die Staatseinkünfte auf das vortheilhafteste behoben werden sollen“ (S. 17 f.). 18 Vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 253. 19 Letztlich bedeutete innere Sicherheit auch „innere öffentliche Sicherheit“, d. h., Sicherheit des Staates gegen seine Bürger. Vgl. J. v. Sonnenfels, Sätze aus der Polizey, Handlungsund Finanz-Wissenschaft, S. 29, 16. 20 Vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 251 ff.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland I, S. 382 f. 21 So H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 248.

I. Die Wiege: das Polizeirecht

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Das erwähnte ALR war ein Werk von Aufklärern.22 Den Auftrag zu seiner Anfertigung gab Friedrich II. von Preußen, Friedrich der Große, das Vorbild eines aufgeklärten Despoten, durch eine Kabinettsordre von 1780. Geleitet wurde die Aufstellung des ALR von Johann Heinrich Casimir Graf von Carmer, als dessen wichtigster Mitarbeiter Carl Gottlieb Svarez zu nennen ist. Wenn auch die Aufklärer von den Gedanken der Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz geleitet waren, das Wohl des Einzelnen zum Leitfaden hatten, lösten sie sich von der Idee seiner Bevormundung nicht ab.23 Es ist daher konsequent zu behaupten, dass § 10 II 17 ALR ursprünglich nicht eine dem liberalen Ideal entsprechende Definition von Polizei

22 Zur Geschichte des ALR vgl. H. Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 – mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert, 3. Aufl., Neuwied 1996, S. 1 ff. 23 Vgl. H. Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, S. 17; H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 254 insb. Anm. 414. Hattenhauer bzw. Maier geben folgende Ausführungen von Ernst Ferdinand Klein, einem wichtigen Mitarbeiter bei der Erstellung des ALR, wieder, welche die Verknüpfung zwischen Freiheit und Bevormundung sehr gut ausdrücken: „Meines Erachtens ist der Grundsatz der möglichsten Freyheit die Hauptregel, nach welcher sowohl das, was Recht, als das, was Gut ist, beurtheilt werden muß. Der Staat ist kein Marionettenspiel, in welchem man die Puppen nach der Willkühr eines einzigen sich bewegen läßt. Ein Staat ist glücklich, wenn er aus Menschen besteht, welche ungehindert nach ihrer eigenen Ueberzeugung handeln, und der Zwang, der darin Statt findet, muß nur gebraucht werden, um diejenigen einzuschränken, welche gewaltthätige Eingriffe in die Freyheit anderer wagen. Je einsichtsvoller die Nation ist, desto weniger wird es nöthig seyn, ihrer Freyheit Schranken zu setzen. Schärfere Zucht ist erforderlich, wenn das Volk sich noch im Stande der Kindheit befindet. So wenig ausgebildet aber auch die Nation seyn mag, so muß sie doch nach und nach gewöhnt werden, sich selbst zu beherrschen, wenn sie nicht ewig im Stande der Kindheit bleiben soll. Deswegen muß sowohl der, welcher das gemeine Wohl, als der, welcher die Gerechtigkeit zu handhaben hat, von dem Grundsatze ausgehen, daß so wenig als möglich Zwang herrschen müsse; und daß dieser Zwang nur das Mittel sey, die Freyheit derer, welche davon rechten Gebrauch machen, gegen die Eingriffe der Uebrigen zu schützen.“ Vgl. E. F. Klein, Nachricht von den Schlosserschen Briefen über die Gesetzgebung überhaupt und den Entwurf des Preußischen Gesetzbuchs ins besondere, welche zu Frankfurth am Mayn im Fleischerschen Verlage, im Jahr 1789 erschienen sind, in: ders. (Hrsg.), Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten, Vierter Band, Berlin 1789, S. 326 (334). „Ist aber das Volk mündig geworden, so wird es der Fürst selbst, wie der Vater seinen erwachsenen Sohn, nach und nach an den Genuß der Freyheit gewöhnen, bis der Zeitpunkt herannahet, da er sagen kann: Geliebtes Volk! Du hast mich bisher als deinen Vater verehret; liebe mich nun als deinen Freund. Bürger sind nicht Kinder; Fürsten sind nicht Väter; Gesetzgebung ist keine Schulzucht. Ihr seyd Männer! Was euch dienlich ist, müßt ihr wissen, oder mit eurem Schaden noch lernen. Ich darf nicht allen die Hände binden, weil es einige Thoren unter euch gibt, die mit ihren Händen Unfug treiben. Meine Gesetze sollen nur dazu dienen, die Freyheit Aller mit der Freyheit eines Jeden zu vereinigen. Prüfet sie! Nicht mein Wille, sondern der eurige giebt ihnen verbindliche Kraft, und auch der eurige verpflichtet die Einzelnen nur, so weit er zum Schutze der gemeinsamen Freyheit gereicht.“ Vgl. E. F. Klein, Freyheit und Eigenthum, abgehandelt in acht Gesprächen über die Beschlüsse der Französichen Nationalversammlung, Berlin 1790, S. 182 f.

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

übernehmen wollte.24 Dies legen auch Ausführungen von Svarez nahe: Svarez macht zwar eine Unterscheidung zwischen Gefahrenabwehr und Wohlstandsförderung, von den polizeilichen Tätigkeiten grenzt er die zweite immerhin nicht ab.25 Man ist darum berechtigt zu sagen: „In den Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung ließen und lassen sich sehr wohl staatliche Fürsorge-, Beglückungs- sowie Erziehungsmaßnahmen unterbringen.“26 Nach seiner Verkündung im Jahr 1794 wurde das ALR in seinen straf- und zivilrechtlichen Teilen immer weiter entleert.27 § 10 II 17 ALR blieb zwar in Kraft, den Ausschlag für die Einengung des Polizeibegriffs bzw. der Polizeigewalt im Sinne einer liberalen Konzeption konnte er aber nicht geben.28 Diese Entwicklung musste von der Rechtsprechung ausgehen. Wenn noch Ende des 18. Jahrhunderts die Voraussetzungen des Denkens der Polizei in rechtsstaatlichen Kategorien nicht gegeben waren,29 waren sie es nach knapp hundert Jahren. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts fand das liberale Ideal der Einschränkung der Staatsgewalt im Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Ausdruck. Der Staat in seiner Gestalt der Verwaltung war nun – wenn auch nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit – einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle unterzogen.30 1863 entstand in Baden der erste von der Verwaltung unabhängige Verwaltungsgerichtshof im deutschen Raum.31 1872 begann die Ausformung der 24

Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/M. Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 Rn. 5, die ihn als einen programmatischen Satz bezeichnen; H. Boldt/M. Stolleis, Geschichte der Polizei in Deutschland, Rn. 20. Eingehend dazu vgl. P. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 274 ff. 25 So heißt sein vierter Grundsatz des Polizeirechts: „Zu Einschränkungen, welche zur Abwendung gemeiner Störungen und Gefahren abzielen, hat der Staat ein stärkeres Recht als zu solchen, wodurch bloß der Wohlstand, die Bequemlichkeit, die Schönheit oder andre dergleichen Nebenvorteile für das Ganze befördert werden sollen.“ Vgl. C. G. Svarez, Kronprinzenvorträge – Schriftliche Vorträge – Allgemeines Staatsrecht – Über das Recht der Polizei, in: H. Conrad/G. Kleinheyer (Hrsg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746 – 1798), Wiesbaden 1960, S. 485 (487). 26 Vgl. H. Hattenhauer, Preußen auf dem Wege zum Rechtsstaat, in: J. Wolff (Hrsg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht. Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, Heidelberg 1995, S. 49 (58 f.). 27 Vgl. H. Hattenhauer, Einführung in die Geschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, S. 23 ff. 28 Vgl. F. L. Knemeyer, Polizei, S. 890 ff.; P Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 319 ff. 29 Vgl. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, S. 254. 30 Vgl. H. Boldt/M. Stolleis, Geschichte der Polizei in Deutschland, Rn. 43. Zur Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland vgl. F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl., München 2013, § 2 Rn. 1 ff.; W. Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-C. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Band 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, Stuttgart 1984, XIV. Kapitel, S. 909 ff. 31 Vgl. W. Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 915 f.

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Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, wobei das preußische Oberverwaltungsgericht durch das Gesetz betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 eingerichtet wurde.32 Nur wenige Jahre nach seiner Einrichtung – am 14. Juni 1882 – fällte das Preußische Oberverwaltungsgericht das berühmte Kreuzbergurteil33. Dabei ging es insbesondere um die Rechtmäßigkeit einer Polizeiverordnung, die vom Polizeipräsidium in Berlin am 10. März 1879 erlassen worden war. Zum Zweck des Schutzes eines Nationaldenkmals enthielt § 1 der Verordnung die folgende Anordnung: „In dem das Siegesdenkmal auf dem Kreuzberge umgebenden Bauviertel … dürfen Gebäude fortan nur in solcher Höhe errichtet werden, daß dadurch die Aussicht von dem Fuße des Denkmals auf die Stadt und deren Umgebung nicht behindert und die Ansicht des Denkmals nicht beeinträchtigt wird.“ Im § 2 der Verordnung ließ sich weiter lesen: „Den Grundbesitzern wird auf Ersuchen die in jedem einzelnen Baufalle statthafte Art und Höhe der Bebauung von dem Polizeipräsidium örtlich vorgeschrieben werden.“ Anstoß zur Erhebung der Klage gab das Polizeipräsidium in Berlin, indem es dem Kläger die Genehmigung zum Bau eines Wohngebäudes mit der Begründung verweigert hat, das Gebäude würde einerseits die Aussicht von dem Fuße des Denkmals auf die Stadt und deren Umgebung und die Ansicht des Denkmals selbst beeinträchtigen und andererseits zur Verunstaltung des das Denkmal umgebenden Stadtteils führen.34 Zunächst bestätigte das Gericht, dass es befugt sei, die Rechtsgültigkeit von Polizeiverordnungen zu prüfen.35 Das Gericht stellte sodann fest, dass es an speziellen Gesetzen fehlte, die die Polizeibehörden zum Tätigwerden in einem solchem Fall ermächtigen würden oder ihnen gar die unbeschränkte Befugnis verleihen würden, „den Eigenthümer ohne sonst berechtigten Anlaß die Art oder die Höhe der Bebauung ihrer Grundstücke vorzuschreiben.“ Als Rechtsgrundlage der Verordnung kam daher vor allem die Generalklausel des § 10 II 17 ALR in Frage.36 Die Frage lautete nun: diente die vom Polizeipräsidium in Berlin erlassene Verordnung der Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit oder Ordnung oder der Abwendung der dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr? Das Gericht nahm als offensichtlich an, dass es sich bei der Verordnung nicht um die Abwendung einer Gefahr oder die Erhaltung der öffentlichen Ruhe oder Sicherheit handeln könnte.37 Einer näheren Prüfung unterzog das Gericht lediglich die Voraussetzung der Erhaltung der öffentlichen Ordnung. Denn nach dem Kommissar 32 Vgl. U. Stump, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 – 1914. Verfassung – Verfahren – Zuständigkeit, Berlin 1980, S. 26 ff.; W. Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 922 ff. 33 PrOVGE 9, 353. Auch in: DVBl. 1985, S. 219 ff. 34 Vgl. PrOVGE 9, 353 (355). 35 Vgl. PrOVGE 9, 353 (363 ff.). 36 Vgl. PrOVGE 9, 353 (370). 37 Vgl. PrOVGE 9, 353 (374 f.).

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

des Ministers des Innern sei „Alles, was die Interessen des öffentlichen Wohles, des Gemeinwohles angeht“ darunter zu verstehen.38 Dies lehnte das PrOVG ab. Erstens mit Rückgriff auf den gewöhnlichen Gebrauch des Ausdrucks „öffentliche Ordnung“ durch die Gesetze. Zweitens mit dem Hinweis darauf, dass wenn dies so wäre, „Ruhe“ und „Sicherheit“ kaum einen selbständigen Inhalt hätten. Drittens aus einer Betrachtung des § 10 II 17 ALR in Verbindung mit dem § 3 der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Polizei und Finanzbehörde vom 26. Dezember 1808. Schließlich aus einem Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des ALR, wobei die Ausscheidung des Ausdrucks „der öffentliche Wohlstand“ aus einem früheren Entwurf des § 10 II 17 ALR hervorgehoben wird.39 Verneinte das PrOVG die Generalklausel des § 10 II 17 ALR als Rechtsgrundlage der in Frage stehenden Verordnung, fügte es andererseits hinzu, dass doch nicht nur die Zwecke der Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung oder der Abwendung einer Gefahr, sondern auch der Zweck der Förderung des allgemeinen Wohls Eingriffe in das Eigentum rechtfertigen könnten. Dies aber nicht schon auf Grund des § 10 II 17 ALR, sondern nur im Wege der Spezialgesetzgebung.40 Es mag zwar zutreffen, dass Bedenken gegen die Überzeugungskraft der Begründung des PrOVG erhoben werden können, so etwa im Hinblick auf die Würdigung einiger Regelungen, die erst nach dem ALR erlassen wurden.41 Zugeben könnte man auch, dass dieses Urteil „im Grunde zu Unrecht so berühmt geworden ist“; denn angesichts dessen, dass zwei Jahre zuvor – am 10. Juni 1880 – das Gericht eine bis auf das in Frage stehende Grundstück gleiche Klage desselben Klägers42 mit derselben Begründung43 stattgegeben hat, brachte das Kreuzbergurteil nichts Neues.44 Grund dafür, dass das erste Kreuzbergurteil in den Schatten des von 1882 geraten ist, kann darin liegen, dass es in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des PrOVG nicht wiedergegeben wurde.45 Festzuhalten ist aber, dass das Kreuzbergurteil einen Markstein im Prozess der Konsolidierung des Rechtsstaats in Deutschland darstellt. Es festigte einen Polizeibegriff, der die Wohlfahrtspflege nicht umfasst. Somit zog es dem staatlichen Handeln klare Grenzen: die polizeiliche Generalklausel des § 10 II 17 ALR ermächtigte den Staat zum Tätigwerden nur im Fall der Verfolgung der Zwecke der Erhaltung öffentlicher Ruhe, Sicherheit oder Ordnung oder der Abwendung von Gefahren. Verfolgte der Staat – die Verwaltung – einen anderen Zweck, dann bedürfte es einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung. 38

Vgl. PrOVGE 9, 353 (375). Vgl. PrOVGE 9, 353 (375 f.). 40 Vgl. PrOVGE 9, 353 (376 f.). 41 Vgl. F. Weyreuther, Eigentum, öffentliche Ordnung und Baupolizei. Gedanken zum Kreuzbergurteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, Köln 1972, S. 5. 42 Vgl. PVBl. 1879/80, S. 401 ff.; DVBl. 1985, S. 216 ff. 43 Zu den Ausführungen des Gerichts zum § 10 II 17 ALR vgl. DVBl. 1985, S. 216 (218). 44 Vgl. F. Weyreuther, Eigentum, öffentliche Ordnung und Baupolizei, S. 12 f. 45 Vgl. F. Weyreuther, Eigentum, öffentliche Ordnung und Baupolizei, S. 13. 39

II. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Verfolgte der Staat einen anderen Zweck, ohne dazu besonders ermächtigt zu sein, dann sei sein Handeln rechtswidrig.46 Staatliches Handeln klaren Grenzen unterzogen zu haben: das ist das Verdienst des Kreuzbergurteils für den Rechtsstaat.47 Zugleich war damit die erste Voraussetzung zur Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes48 und des Willkürverbots gegeben. Wenn gesagt wird, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Willkürverbot ihren Ursprung im Rahmen des Polizeirechts haben, ist Polizei also im Sinne von staatlichen Tätigkeiten zu verstehen, die ihre Rechtfertigung in der Verfolgung der Zwecke der Erhaltung öffentlicher Ruhe, Sicherheit oder Ordnung oder des Zwecks der Abwendung von Gefahren haben, während die Wohlfahrtspflege aus dem Begriff ausgeschlossen ist.49 Andererseits soll damit der oben dargestellte historische Hintergrund in Erinnerung gerufen werden.

II. Die historische Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips 1. Der Anwendungsbereich: vom Polizei- zum Verfassungsrecht a) Die Entstehung des juristischen Begriffs „Verhältnismäßigkeit“ Die Beschränkung der polizeilichen Tätigkeit des Staates auf das zur Erreichung eines rechtmäßigen Zwecks Erforderliche war schon vor dem Kreuzbergurteil des PrOVG vertreten worden.50 So äußerte sich Günther Heinrich von Berg in seinem 1799 erstmals erschienenen „Handbuch des Teutschen Policeyrechts“: „Die Policeygewalt darf die natürliche Freyheit der Unterthanen einschränken; aber nur insofern, als ihr rechtmäßiger Zweck es erfordert.“51 Wenn auch von Berg das Wort „verhältnismäßig“ in seinen anschließenden Ausführungen anwendet, bezieht er sich damit auf das Verhältnis zwischen Entschädigung und dem vom Einzelnen geop46

Vgl. H. Boldt/M. Stolleis, Geschichte der Polizei in Deutschland, Rn. 49. Es verdient daher von H. Hattenhauer, Preußen auf dem Wege zum Rechtsstaat, S. 59, als „Denkmal der Freiheit“ bezeichnet zu werden. 48 Vgl. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Göttingen 1981, S. 3. 49 Zu diesem historischen Zeitpunkt lediglich von Gefahrenabwehr zu sprechen, wäre unvollständig, da die Tatbestandsmerkmale der Ruhe, Sicherheit, Ordnung und Gefahr je eine eigenständige Stellung im § 10 II 17 ALR hatten. Eher die öffentliche Ordnung als die Gefahrenabwehr würde das Lob des umfassendsten und wichtigsten Tatbestandsmerkmals verdienen. Vgl. F. Weyreuther, Eigentum, öffentliche Ordnung und Baupolizei, S. 14 ff. 50 Vgl. B. Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, Heidelberg 1995, S. 26 ff. 51 Vgl. G. H. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts. Erster Theil, Hannover 1799, S. 89 (Hervorhebung im Original). 47

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

ferten Eigentum oder anderen „wohlerworbenen“ Rechten.52 Es ist insofern unpräzis, hier die erstmalige Anwendung des Begriffs „Verhältnismäßigkeit“ als juristischen „terminus technicus“ zu identifizieren.53 Es war Otto Mayer, der im aus dem Jahr 1895 ersten Band seines Werks „Deutsches Verwaltungsrecht“ das Wort Verhältnismäßigkeit zu einem juristischen Begriff gemacht hat. Bei der Untersuchung der Grenzen der Polizeigewalt ging Mayer davon aus, dass die Polizeibehörden dazu ermächtigt seien, Störungen abzuwehren, die von dem Einzelnen ausgehen. Eine umfassendere allgemeine Ermächtigung sei nicht anzunehmen. Konsequent behauptete dann Mayer, dass da, wo die unzulässige und die zulässige Handlung des Einzelnen auseinander gehalten werden können, nur die erste, nicht aber die letzte, durch die Polizeigewalt unterdrückt werden darf. In Betracht zieht Mayer die Situation, in der „Polizeiwidrigkeiten als selbständige Handlungen im Bereiche und bei Gelegenheit eines an sich erlaubten Unternehmens stattfinden, ohne dass der Charakter des Unternehmens selbst dadurch berührt wird. Die Polizeibehörde, welche unter solchen Umständen zur Bekämpfung der Störung gleich das ganze Unternehmen unterdrückte, würde eine Machtüberschreitung begehen“.54 Ferner zieht Mayer den Fall in Betracht, bei dem nur bedingt eine Störung entstehen würde. Diesem Fall entspreche nicht ein absolutes, sondern ein bedingtes Verbot oder das an den Einzelnen gerichtete Gebot, die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Auch dann sei das absolute Verbot einer Handlung untersagt, „wenn der vorliegenden Polizeiwidrigkeit statt durch Vernichtung und Unterdrückung auch schon durch leichtere Veränderungen des gegenwärtigen Zustandes abgeholfen werden kann“. Mayer führt weiter aus: „Es gibt aber immer Fälle, wo gesagt werden kann, dass die Herstellung des polizeilichen Normalzustandes durch das gelindere Mittel ausreichend gesichert ist; da begeht dann die Behörde eine Machtüberschreitung, wenn sie zu dem schärferen greift.“55 Schließlich betrachtet Mayer den Fall, bei dem die Störung sich als eine Möglichkeit darstellt. Durch Überwachung könne hier der tatsächlichen Entstehung der Störung entgegengetreten werden. Und er folgert: „auch hier kommt ein Punkt, wo die erkennbare Rechtsschranke der

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„Auch wohlerworbene Rechte müssen bisweilen der Policey zum Opfer gebracht werden; aber nur, wenn sonst ihr Zweck nicht erreicht werden kann… Ein gemeinschädliches Uebel muß anders nicht verhütet oder abgewendet werden können, als dadurch, daß das Eigenthum oder ein anderes wohlerworbenes Recht des Einzelnen aufgegeben werde… In jedem Falle versteht es sich aber ohnehin von selbst, daß derjenige, der dem gemeinen Wesen ein solches Opfer darzubringen genöthiget wird, verhältnißmäßig entschädiget werden muß.“ Vgl. G. H. v. Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, S. 90 f. (Hervorhebung im Original). 53 So aber M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – mit einer exemplarischen Darstellung seiner Geltung im Atomrecht, Köln 1985, S. 2. 54 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht. Band 1, Leipzig 1895, S. 267. 55 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 268.

II. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Polizeigewalt beginnt und die gelindere Maßregel allein zulässig, die einschneidendere rechtlich ausgeschlossen ist“.56 Diese Grenzen der Polizeigewalt brachte Mayer unter den Ausdruck „Verhältnismäßigkeit der Abwehr“ zusammen.57 Der juristische Begriff „Verhältnismäßigkeit“ war somit geschaffen. Ob dieser Begriff seinen ersten, ihm von Mayer zugesprochenen Inhalt behalten hat, ist eine andere, noch zu behandelnde Frage.58 Unter den Rechtswissenschaftlern, die sich mit den Grenzen der Polizeigewalt beschäftigt haben,59 seien nun diejenigen erwähnt, die auf die Verhältnismäßigkeit als juristischen Begriff zurückgegriffen haben.60 Kurt Wolzendorff borgte den Verhältnismäßigkeitsbegriff von Mayer, um ihn als einen Grundsatz zu qualifizieren.61 Beim Gebrauch des Adverbs „verhältnismäßig“ nahm auch Fritz Fleiner in seinen erstmals 1911 erschienenen „Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts“ den Verhältnismäßigkeitsbegriff auf.62 Bei Julius Hatschek ist wiederum vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Rede.63 Zu einem etwas späteren Zeitpunkt folg Erhard Neuwiem dem Beispiel Fleiners und setzt das Adverb „verhältnismäßig“ ein.64 Wilhelm Franzen spricht vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit.65 Wilhelm Laforet66 und Robert Nebinger67 halten am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fest. Heute ist allgemein anerkannt, dass die Verhältnismäßigkeit einen juristischen Begriff darstellt. Ein anderer weit verbreiteter juristischer Begriff ist der des Übermaßes. Dieser Begriff wurde von Walter Jellinek in seinem im Jahr 1913 erschienenen Werk 56

Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 269. Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 267. 58 S. u. B. II. 2. 59 Zu einem Überblich über die Ansätze einzelner Autoren vgl. M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff. Vgl. ferner L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 4 f. Anm. 21 und 22. 60 Dazu auch R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner Bedeutung für die Notwendigkeit des Mittels im Verwaltungsrecht, Hamburg 1955, S. 5 f. 61 Vgl. K. Wolzendorff, Die allgemeinpolizeilichen Befugnisse gegenüber Versammlungen und Vereinen nach preußischem Rechte, VerwArch. 18 (1910), S. 405 (410). Vgl. ferner ders., Richtlinien des polizeilichen Wirkens im preußischen Recht, PVBl. 1910 – 11, S. 257 (263); Die Grenzen der Polizeigewalt im französischen Recht. Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des preussischen Rechts, AöR 24 (1909), S. 325 (389). 62 Vgl. F. Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Tübingen 1913, S. 377. 63 Vgl. J. Hatschek, Institutionen des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts, Leipzig 1919, S. 147. 64 Vgl. E. Neuwiem, Polizeirecht. Allgemeiner Teil, in: F. Giese/E. Neuwiem/E. Cahn, Deutsches Verwaltungsrecht, Berlin 1930, S. 141 (173). 65 Vgl. W. Franzen, Lehrkommentar zum Polizeiverwaltungsgesetz, Band 1, Greifswald 1932, S. 145. 66 Vgl. W. Laforet, Deutsches Verwaltungsrecht, München 1937, S. 229. 67 Vgl. R. Nebinger, Reichspolizeirecht, Leipzig 1939, S. 19, 55. 57

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„Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung“ eingeführt. Was Jellinek darunter verstand und warum er ihn bevorzugte, ist an anderer Stelle näher zu betrachten.68 Hier genügt vorwegzunehmen, dass Jellineks Begriff des Übermaßes dem Begriff „Verhältnismäßigkeit“ Mayers entsprach. b) Vom Polizei- zum Verfassungsrecht Mit der Vermehrung ihrer Aufgaben insbesondere nach dem ersten Weltkrieg69 stellte sich die Frage, ob die Verwaltung lediglich in ihrer polizeilichen Tätigkeit der Gefahrenabwehr oder schlechthin den Schranken des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgesetzt werden sollte. Mit dieser Frage brauchte aber die verwaltungsrechtliche Literatur sich nicht lange auseinanderzusetzen. Denn wenn die Verhältnismäßigkeit als juristischer Begriff verknüpft mit einem Polizeibegriff entstanden ist, der nicht die gesamte staatliche Tätigkeit, sondern lediglich die Tätigkeit der Gefahrenabwehr umfasste, entstand die Idee, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugrunde liegt, d. h., die Idee der Einschränkung der Staatsgewalt, verbunden mit einem weiteren, allumfassenden Polizeibegriff. Es war einfach konsequent, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechend der ihm zugrundeliegenden Idee vom Polizei- auf das gesamte Verwaltungsrecht auszudehnen. Nicht so evident war die Antwort auf die Frage, ob auch der Gesetzgeber nur innerhalb der Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes tätig werden dürfte. Denn wird dem Einzelnen unter anderen bürgerlich-liberalen Ansprüchen die Beteiligung an der Gesetzgebung gewährt, dann scheint er keinen weiteren Schutz als denjenigen des formellen Rechtstaates zu brauchen.70 Der durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung charakterisierte und durch die Formel „Herrschaft des Gesetzes“ erläuterte formelle Rechtsstaatsbegriff war noch zur Zeit der Weimarer Republik maßgebend.71 So stellten manche Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung – unter ihnen die klassischen Freiheitsrechte – zwar keine bloße Programmsätze, sondern unmittelbar geltendes Recht dar.72 Und zwar nicht nur im Sinne einer Bindung der Verwaltung und der Rechtsprechung, sondern auch in dem Sinne, dass in manche von ihnen nur der verfassungsändernde Gesetzgeber eingreifen könnte.73 Bei Beachtung dieser formellen Schranke konnten sie jedoch beliebig eingeschränkt werden. Materiellen Schranken waren weder der verfas68

S. u. B. II. 2. a). Vgl. E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Erster Band: Allgemeiner Teil, 10. Aufl., München 1973, S. 63 ff.; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht I. Ein Studienbuch, 12. Aufl., München 2007, § 9 Rn. 13. 70 Vgl. E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: H. Ehmke/ C. Schmid/H. Scharoun (Hrsg.), Festschrift für Adolf Arndt zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main 1969, S. 53 (60 f.). 71 Vgl. E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, S. 64 ff. 72 Vgl. H. Dreier, Die Zwischenkriegszeit, in: HGR I, 2004, § 4 Rn. 13 ff. 73 Vgl. H. Dreier, Die Zwischenkriegszeit, Rn. 25 ff. 69

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sungsändernde74 noch – von den institutionellen Garantien abgesehen –75 der einfache Reichsgesetzgeber76 unterworfen.77 1955 veröffentlichte Rupprecht v. Krauss die mit dem Titel „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner Bedeutung für die Notwendigkeit des Mittels im Verwaltungsrecht“ erste Abhandlung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dass, wie oben erwähnt, die Ablösung des Grundsatzes vom Polizeirecht theoretisch folgerichtig wäre, hat v. Krauss erkannt.78 Dogmatisch hat er seine Ausdehnung auf das gesamte Verwaltungsrecht unter Rückgriff auf das seit 1949 geltende GG begründet. Er weist auf einzelne Bestimmungen des GG hin – insbesondere auf Art. 1 Abs. 2 (Bekenntnis des deutschen Volks zur Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte), 1 Abs. 3 (Bindung der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an die Grundrechte), 19 Abs. 2 (Wesensgehaltsgarantie), 19 Abs. 4 (Rechtsschutzgarantie), 20 Abs. 3 (Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht), 79 Abs. 3 (Ewigkeitsgarantie) und 100 (richterliches Prüfungsrecht) –79, um das oberste Prinzip des deutschen Rechtsstaates nicht mehr in der „Herrschaft des Gesetzes“, sondern in der Freiheit des Einzelnen allen Staatsgewalten gegenüber zu sehen. Daraus folgert er: „Angesichts der dargelegten Verfassungssituation wäre es ein Widerspruch, die persönliche Freiheit zum leitenden Staatsprinzip zu erheben und gleichzeitig unnötige Beschränkungen dieser Freiheit durch den Staat als rechtmäßig gelten lassen zu wollen. Es ist folglich mit dem System des GG schlechterdings unvereinbar, der Exekutive Eingriffe in die Freiheitssphäre des Einzelnen zu gestatten, welche weiter gehen, als sie zur Erreichung eines zulässigen Zwecks absolut erforderlich sind. Greift die Tätigkeit der Verwaltung in diese Freiheit ein, so ist es ganz ohne Belang, ob dies durch die Polizei oder einen anderen Verwaltungszweig geschieht.“ Er setzt fort: „Mit der im GG erreichten Vervollkommnung des rechtsstaatlichen Prinzips ist notwendig die Anwendung des GdV [Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit] im gesamten Verwaltungsrecht verbunden.“80 Auch die seiner Untersuchung zugrundeliegende zeitgenössische Rechtsprechung nahm die Anwendung des Grundsatzes auf das gesamte Verwaltungsrecht schon an.81

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Vgl. H. Dreier, Die Zwischenkriegszeit, Rn. 29, 31. Vgl. H. Dreier, Die Zwischenkriegszeit, Rn. 35. 76 Vgl. H. Dreier, Die Zwischenkriegszeit, Rn. 29, 33. 77 Dazu vgl. auch W. Heun, Der staatsrechtliche Positivismus in der Weimarer Republik. Eine Konzeption im Widerstreit, Der Staat 1989, S. 377 (390 ff.). 78 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18 f. 79 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 23 f. 80 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 25 f. 81 Vgl. G. Dürig, Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 1953, S. 193 (199); R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 26 Anm. 118. S. u. Fn. 124 den Hinweis auf einzelne Entscheidungen. 75

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Diese Argumentation v. Krauss’ geht über die Bestätigung seiner These der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das gesamte Verwaltungsrecht hinaus. Denn sie legt eine Bindung auch des Gesetzgebers an den Grundsatz eindeutig nahe. Auch wenn dies nicht zum Hauptgegenstand seiner Untersuchung gehört, geht v. Krauss auf diese Problematik ein. Zum einen entnimmt er die Bindung des Gesetzgebers an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus dem folgenden Syllogismus: Art. 1 Abs. 3 GG bindet die Gesetzgebung an die Grundrechte, und zwar nicht nur an die – geschriebenen – „nachfolgenden“, sondern auch an die ungeschriebenen Grundrechte;82 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt ein selbständiges Recht dar,83 und zwar ein ungeschriebenes Grundrecht84; der Gesetzgeber ist an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden. Insbesondere die zweite Prämisse dieser Folgerung ist nicht unumstritten. Aussagekräftiger wirken daher seine weiteren Überlegungen. Es widerspreche dem Willen des Verfassungsgebers, wenn der Gesetzgeber über die Grenze der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG Freiraum zur Einschränkung eines Grundrechts hätte. Das Grundrecht genieße als Ganzes den Schutz gegen die Staatsgewalten, nicht nur in seinem Kern. Ansonsten sei das, was außerhalb des Grundrechtskerns liegt, nicht mehr ein „Bereich grundrechtlicher Freiheitsbetätigung“. Die Wesensgehaltsgarantie sei eine äußerste Grenze. Zwischen den Grenzen der Einschränkungsbefugnis einerseits und der Wesensgehaltsgarantie andererseits herrsche der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Maßstab einer rechtmäßigen Freiheitsbeschränkung.85 Schon R. von Krauss verteidigte also in seinem eigentlich dem Verwaltungsrecht zuzurechnenden Werk die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch der Gesetzgebung gegenüber, d. h., seine Geltung auch im Rahmen des Verfassungsrechts. Spricht man vom Verfassungsrecht, spricht man vom Verfassungsgericht. In der Rechtsprechung des BVerfG taucht der Begriff der Verhältnismäßigkeit erstmals in einem Urteil von 1954 auf.86 Dabei ging es ironischerweise um die Rüge eines Verstoßes (des nordrhein-westfälischen Wahlgesetzes) gegen Art. 3 Abs. 1 GG.87 Tiefgehender und im Rahmen eines Freiheitsrechts hat das BVerfG den Gesetzgeber der Schranke des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in einer Entscheidung von 1958 unterzogen. Das berühmte Apothekenurteil88 wird für den Ausgangspunkt der systematischen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch das BVerfG

82 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 47; zur Möglichkeit der Existenz ungeschriebener Grundrechte S. 29 ff. 83 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 37 ff. 84 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 39 ff. 85 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 50 f. 86 Vgl. E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (1973), S. 568 (569 Anm. 1). 87 Vgl. BVerfGE 3, 383 (399) – Unterschriftenquorum für Kreiswahlvorschläge. 88 BVerfGE 7, 377.

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gehalten.89 Denn auch wenn das Gericht die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des in Frage stehenden Gesetzes nicht unter der Bezeichnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt hat,90 legte es im Apothekenurteil denjenigen Inhalt nahe, den der Verhältnismäßigkeitsbegriff bis heute im deutschen Recht besitzt.91 Es ist Zeit, sich mit dem Inhalt des Begriffs der Verhältnismäßigkeit zu beschäftigen. Nicht ohne davor die erste – und grundlegende – Untersuchung zur Bindung des Gesetzgebers an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu erwähnen. Sie trägt den Titel „Übermass und Verfassungsrecht – zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit“ und wurde von Peter Lerche 1961 vorgelegt. Schon ihr Titel zeigt, dass ihre nähere Betrachtung Klarheit über den Inhalt des Begriffs der Verhältnismäßigkeit erfordert.

2. Der Inhalt: von der Erforderlichkeit zur Angemessenheit a) Verhältnismäßigkeit als Erforderlichkeit Der Begriff „Verhältnismäßigkeit“ wurde erst von Otto Mayer 1895 zu einem juristischen Begriff gemacht, wie oben dargelegt.92 Nun stellt sich die Frage, mit welchem Inhalt er ihn füllen wollte. Wenn es nach Mayer etwa darauf ankam, ob das Zulässige vom Unzulässigen getrennt werden könnte (die Polizei dürfe nicht, „das Unkraut mit dem Weizen ausraufen“),93 ob eine Veränderung ohne eine Vernichtung herbeigeführt werden könnte,94 dann ist es klar, welchen Inhalt er dem juristischen Begriff der Verhältnismäßigkeit beilegen wollte: Verhältnismäßigkeit stand nicht für die materielle Bewertung des Mittels im Hinblick auf einen „als gut vorausgesetzten Zweck“, für die Angemessenheit also, sondern für eine empirische Betrachtung, eine „Natur-

89 Vgl. E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 569 f.; L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17; B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht. Band 2: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Tübingen 2001, S. 445 (446 Anm. 7). Zur Kontextualisierung des Apothekenurteils vgl. C. Schönberger, Anmerkungen zu Karlsruhe, S. 9 (29 ff.); M. Jestaedt, Phänomen Bundesverfassungsgericht. Was das Gericht zu dem macht, was es ist, S. 77 (119 ff.); O. Lepsius, Die maßstabsetzende Gewalt, S. 159 (186 f.), alle in: M. Jestaedt/O. Lepsius/C. Möllers/C. Schönberger (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht. Eine kritische Bilanz nach sechzig Jahren Bundesverfassungsgericht, Berlin 2011. 90 Von Verhältnismäßigkeit war am Rande die Rede. Vgl. BVerfGE 7, 377 (407). 91 Näher dazu s. u. B. II. 2. b). 92 S. o. B. II. 1. a). 93 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 267. 94 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 268.

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betrachtung“ im Kontext der „Tauglichkeit für einen als gut vorausgesetzten Zweck“95. Mayer verstand Verhältnismäßigkeit also als Erforderlichkeit. Kurt Wolzendorff bezieht sich erstmals auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einer Analyse der Beziehung zwischen Polizeigewalt und „Prinzip der Gleichheit“: „So ist zwar daran festzuhalten, dass ohne besondere, in der Natur des Falles gegebene Notwendigkeit die Polizei keine ungleichmässige Beschränkung der Bürger vornehmen darf. Da jedoch die von den Einzelnen ausgehenden Gefährdungen der öffentlichen Ordnung verschieden sind, so ergibt sich aus dem Wesen der Polizeigewalt, besonders aus dem Grundsatze der Verhältnismässigkeit polizeilicher Abwehr, die Notwendigkeit, dass auch die polizeilichen Abwehrmassregeln gegenüber den einzelnen verschieden sind: in dem Masse, wie mehr oder weniger grosse Störungen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Ruhe von Einzelnen oder Gruppen von den Einzelnen ausgehen, sind diesen gegenüber mehr oder weniger grosse Beschränkungen durch die Polizei zulässig. So können die Metzger wegen der grossen Bedeutung ihres Gewerbes für die öffentliche Gesundheit viel grösseren Beschränkungen unterworfen werden, wie andere Gewerbetreibende; in noch grösserem Masse ist das bei den Abfuhrunternehmern der Fall.“96 Somit scheint bei ihm der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ für die Angemessenheit zu stehen. Gleichwohl scheint Wolzendorff bei einem nachfolgenden Aufsatz unter Verweis auf Otto Mayer den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ der Erforderlichkeit gleichzusetzen: „Maßgebend für die Grenzen der Polizeigewalt ist hier jener oberste, aus dem Wesen der Polizei abgeleitete Satz des Polizeirechts, den wir mit O. Mayer als den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezeichnen. Die Polizei darf mit den dem einzelnen auferlegten Beschränkungen nicht weiter gehen, als diejenigen Zwecke, zu deren Verfolgung das Gesetz sie ermächtigt hat, es erfordern.“97 Dies wiederholt er schließlich in einem dritten Aufsatz: „Da die Polizei bei ihrem Einschreiten über das Maß des Notwendigen nicht hinausgehen darf, so muß sie sich auf dasjenige Mindestmaß von Auflagen an den einzelnen beschränken, ohne das die Erreichung des polizeilichen Zwecks unmöglich ist. Das ist der von O. Mayer sog. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Abwehr.“98 Fritz Fleiner adoptierte den Begriff der Verhältnismäßigkeit bei seiner Analyse der Grenzen der Polizeigewalt. Auch wenn sein berühmter Satz „Die Polizei soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“99 isoliert betrachtet im Sinne von Ange95 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung: zugleich ein System der Ungültigkeitsgründe von Polizeiverordnungen und -verfügungen. Eine staatsund verwaltungsrechtliche Untersuchung, Tübingen 1913, S. 77. 96 Vgl. K. Wolzendorff, Die Grenzen der Polizeigewalt im französischen Recht, S. 389. 97 Vgl. K. Wolzendorff, Die allgemeinpolizeilichen Befugnisse gegenüber Versammlungen und Vereinen nach preußischem Rechte, S. 410. 98 Vgl. K. Wolzendorff, Richtlinien des polizeilichen Wirkens im preußischen Recht, S. 263. 99 Zur Erfolgsgeschichte dieser Metapher, die vermutlich auf Graf Andrássy, den ungarischen Ministerpräsidenten, bei einem Gespräch mit Otto von Bismarck 1871 zurückgeht, vgl.

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messenheit gedeutet werden kann,100 hatte er damit die Erforderlichkeit im Blick: „Die Beschränkung der individuellen Freiheit darf nie das absolut erforderliche Maß überschreiten. Die Polizei soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Schenkt z. B. ein Wirt zuwider seiner Schankkonzession Branntwein aus, so darf die Polizei nicht einfach die Wirtschaft schließen; ihr stehen zur Erreichung ihres Zweckes zunächst mildere Mittel zur Verfügung (Exekutivstrafe, Polizeistrafe). Das schärfste Mittel muß stets die ultima ratio bleiben. Der polizeiliche Eingriff muß den Verhältnissen angemessen, er muß verhältnismäßig sein.“101 Bezeichnend ist, dass er hier ein ähnliches Beispiel gibt wie Otto Mayer.102 Dass das schärfere Mittel erforderlich in diesem Sinne sein sollte, vertrat auch Walter Jellinek. Diese Grenze der Polizeigewalt brachte er aber nicht durch den Begriff „Verhältnismäßigkeit“, sondern durch den Begriff des Übermaßes zum Ausdruck. Jellinek war der von Mayer gefertigte Begriff „Verhältnismäßigkeit“ nicht fremd.103 Er stellte nur fest, dass der Begriff „Notwendigkeit“ zweideutig ist,104 da darunter die absolute – „das Gute an sich“ – und die relative – „Tauglichkeit für einen als gut vorausgesetzten Zweck“ – Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit „leicht miteinander verwechselt“ werden können und folglich der Bereich des freien Ermessens mit dem, wo die Staatsorgane keine Freiheit haben.105 Davon ausgehend versuchte er, eine präzisere Klassifikation der Arten von Fehlern bei der Ausübung der Polizeigewalt zu entwickeln. Es gebe vier Arten von Fehlern im Rahmen der relativen Notwendigkeit:106 die Ungeeignetheit, die Schädlichkeit, die Unzulänglichkeit und das Übermaß.107 Hier interessiert der Fehler des Übermaßes.108 Um ihn zu erläutern, gibt Jellinek das Beispiel von zwei Jägern, deren Ziel die Tötung eines ausgebrochenen Löwen ist. Die Tötung gelingt zwar, der eine Jäger „ist aber nicht damit zufrieden, sondern gibt noch einige Schüsse auf den verendeten Löwen ab. Damit überschreitet er das Maß des Nötigen. Es ist dies der Fall des Übermaßes.“109 T. Henne, „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ – Ein Beitrag Fritz Fleiners zur deutschen Juristensprache, DVBl. 2002, S. 1094 ff. 100 Vgl. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6. 101 Vgl. F. Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, S. 376 f. (Hervorhebung im Original). 102 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 267 Anm. 11. 103 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 9. 104 So schon R. Thoma, Der Polizeibefehl im badischen Recht. Dargestellt auf rechtsvergleichender Grundlage. Erster Teil, Tübingen 1906, S. 463 ff. 105 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 8 ff., 77 ff. 106 Zu den Fehlern im Rahmen der absoluten Notwendigkeit – den Ermessensfehlern – s. u. Fn. 174. 107 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 79, 289. 108 Mehr zu den Grenzen der Polizeigewalt bei W. Jellinek vgl. ders., Verwaltungsrecht, S. 432 ff. Vgl. ferner R. v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5 f. 109 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 79.

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Das, was Mayer unter dem Begriff „Verhältnismäßigkeit“ verstand, verstand Jellinek also unter dem Begriff „Übermaß“.110 Diese Haltung der Literatur, unter Verhältnismäßigkeit Erforderlichkeit zu verstehen,111 war nur konsequent. Denn dass die Polizei den Grenzen der Erforderlichkeit unterliegen sollte, war allgemein akzeptiert.112 So machte das PrOVG zwar keinen Gebrauch vom Begriff der Verhältnismäßigkeit. Nicht zuletzt auf § 10 II 17 ALR gestützt, der von nöthigen Anstalten sprach, unternahm es aber eine Erforderlichkeitsprüfung.113 b) Von der Erforderlichkeit zur Angemessenheit Auf eine Ausbreitung des Inhalts des Verhältnismäßigkeitsbegriffs hin zur Angemessenheit deuteten schon die Ausführungen Julius Hatscheks hin. Spricht Hatschek einerseits von „unbedingt notwendigen Mitteln“, fügt er andererseits hinzu: „welche in einem gewissen Verhältnis zu dem abzuwehrenden Übel stehen“.114 Entscheidend zur Abkopplung des Verhältnismäßigkeitsbegriffs von der

110 Mehr zum Fehler des Übermaßes vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 289 ff. 111 Bei E. Neuwiem, Polizeirecht, S. 173, bleibt unklar, was unter „verhältnismäßig“ zu verstehen sei. 112 Vgl. B. Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 145 ff. 113 Vgl. PrOVGE 13, 424 ff.; 13, 397 (400); 45, 416 (423 f.); 61, 255 (262); 76, 435 (448); 77, 464 ff.; 78, 267 (270); 79, 297 (302, 306); 79, 371 (373). Zu weiteren Entscheidungen vgl. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 4 Anm. 20. Vgl. ferner B. Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 148 f. Zu einem Blick auf die Erforderlichkeitsprüfung des PrOVG aus der Perspektive eines seiner Zeitgenossen vgl. K. Friedrichs, Das Polizeigesetz. Gesetz vom 11. März 1850 über die Polizeiverwaltung mit Nebengesetzen auf Grund der Rechtsprechung der höchsten Gerichte erläutert von Dr. Karl Friedrichs, Berlin 1911, S. 273 f. In der zweiten Auflage seines Kommentars, nun zum preußischen PVG von 1931, spricht Friedrichs von „Übertriebenen Maßnahmen“. Vgl. K. Friedrichs, Polizeiverwaltungsgesetzt vom 1. Juni 1931. Zweite neubearbeitete Auflage des Kommentars zum Polizeigesetz vom 11. März 1850, Berlin 1932, S. 98 f. Zwar lassen sich Sätze, die auf eine Angemessenheitsprüfung hindeuten, schon in der Rechtsprechung des PrOVG des Anfangs des 20. Jahrhunderts finden. So sprach es 1907 von einer Verpflichtung der Polizeibehörde, „die gewerblichen Interessen des Klägers, deren Schädigung keinesfalls ausgeschlossen war, bei ihrem Vorgehen mit in Betracht zu ziehen und sie gegen die von ihr selbst wahrzunehmenden Interessen der Allgemeinheit abzuwägen.“ Seine anschließenden Ausführungen stellen jedoch klar, dass das Gericht damit meinte, dass die Interessen des Einzelnen in dem Sinne zu berücksichtigen waren, dass die Polizeibehörde vor dem Rückgriff auf das schärfere Mittel alle milderen Wege erschöpfen müsste, was also nichts Anderes als Erforderlichkeit heißt. Vgl. PrOVGE 51, 284 (288 f.). So auch L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 8. 114 Vgl. J. Hatschek, Institutionen des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts, S. 147.

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Erforderlichkeit hat aber eher das preußische Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 beigetragen. § 10 II 17 ALR ist in den § 14 Abs. 1 PVG von 1931 übergegangen: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“ Ergänzt wurde diese Bestimmung durch § 41 Abs. 2 PVG: „Kommen zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur wirksamen Abwehr einer polizeilichen Gefahr mehrere Mittel in Frage, so genügt es, wenn die Polizeibehörde eines dieser Mittel bestimmt. Dabei ist tunlichst das den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein von ihm angebotenes anderes Mittel anzuwenden, durch das die Gefahr ebenso wirksam abgewehrt wird.“ Diese Vorschriften waren darauf angelegt, eine Verschiebung der Erforderlichkeitsprüfung zu bewirken.115 So schloss das PrOVG aus dem Wort „tunlichst“ auf eine „Sollvorschrift“, d. h., § 41 Abs. 2 Satz 2 PVG sei genüge getan, „wenn die Polizei irgendein zum erstrebten Erfolge führendes Mittel vorschreibt“.116 Nun oblag der Polizei zunächst nicht schon die Erforderlichkeit, sondern allein die Geeignetheit.117 Das Gericht führt aber fort: eine polizeiliche Verfügung sei nur dann rechtsungültig, „wenn die Wahl des Mittels in krassem Missverhältnis zum erstrebten Erfolge steht“. Anstelle der Erforderlichkeitsprüfung tritt also eine Art Angemessenheitsprüfung.118 Wahrscheinlich hat dieser Umstand die Autoren beeinflusst, die sich erst nach dem Erlass des PVG von 1931 mit dem Polizeirecht beschäftigt haben.119 So erläutert Laforet den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ mit dem Beispiel einer offensichtlichen Unangemessenheit des Mittels in Bezug auf den Zweck an: „Wenn ein Täter die Grasanlage in einem öffentlichen Park beschädigt hat und vor dem Polizeibeamten davonläuft, ist es rechtswidrig, wenn der Polizeibeamte schießen würde, um den Täter zu veranlassen, seinen Namen anzugeben.“120

115 Vgl. B. Drews, Preußisches Polizeirecht. Erster Band: Allgemeiner Teil. Ein Leitfaden für Verwaltungsbeamte, 3. Aufl. 1931, S. 82 f. 116 Vgl. PrOVG 90, 270 (273) (Hervorhebung im Original). 117 Vgl. B. Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes, S. 190 f. 118 Vgl. ferner PrOVGE 95, 155 (158). 119 R. Nebinger, Reichspolizeirecht, S. 55, blieb allerdings bei der Definition des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als Erforderlichkeit: „die Polizei darf im Einzelfall kein stärkeres Zwangsmittel anwenden, als zur Erreichung des polizeilichen Zwecks erforderlich erscheint.“ Aussagekräftig sind seine erläuternden Beispiele, S. 19: die Polizei „kann z. B. nicht die Niederreißung eines Hauses verlangen, wenn Ausbesserung genügt, oder Einstellung eines lärmenden Betriebs fordern, wenn Schalldämpfung möglich ist“. 120 Vgl. W. Laforet, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 229 Anm. 2.

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Unverkennbar ist der Einfluss des PVG von 1931 auf den Verhältnismäßigkeitsbegriff Wilhelm Franzens – er hat einen Kommentar zu diesem Gesetz verfasst. Dem Gesetz entsprechend entkräftet er in seinem Kommentar das Kriterium der Erforderlichkeit: „Da die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen darf, ist sie nicht darauf beschränkt, die notwendigsten zu treffen. Vielmehr hat die Polizei lediglich die Aufgabe, ein geeignetes Mittel für die Gefahrenbeseitigung anzugeben.“121 Das „Prinzip der Verhältnismäßigkeit“ erläutert er dann mit dem Beispiel einer offensichtlichen Unangemessenheit: „So ist z. B. ein Wachtmeister nach § 127 StPO berechtigt und nach seinen Dienstvorschriften auch verpflichtet, einen zu schnell fahrenden Radler, der zudem ohne Beleuchtung fährt, anzuhalten, um seine Personalien festzustellen. Aber nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist er bei nur geringfügigen Störungen nicht berechtigt, den Täter durch Handlungen an der Flucht zu hindern, die diesen an Leib und Seele erheblich verletzen können.“122 Allein in diesem Sinne von Angemessenheit des Mittels in Bezug auf den Zweck begreift er also Verhältnismäßigkeit. Der Verhältnismäßigkeitsbegriff schien nun von der Erforderlichkeit abzusehen. Nur ist ein Verhältnismäßigkeitsbegriff, der auf das krasse Missverhältnis des Mittels zum erstrebten Erfolg setzt, darauf angelegt, das Kriterium der Erforderlichkeit mit zu umfassen. So bringt Gerhard Wacke 1954 in seiner ersten Bearbeitung des Werkes „Preußisches Polizeirecht“ von Bill Drews ein Beispiel von Unverhältnismäßigkeit vor, das den Beispielen ähnelt, mit denen man die Erforderlichkeit zu erläutern pflegte: „Wenn eine Treppe in einem Wohnhause schadhaft ist, darf die Polizei nicht den Abbruch des ganzen Hauses gebieten.“123 Damit betritt man die Nachkriegszeit. Festzuhalten ist hier, dass der Weg zur Spaltung des Verhältnismäßigkeitsbegriffs in Erforderlichkeit einerseits und Angemessenheit andererseits schon vor dem Krieg im Kontext des preußischen Polizeirechts bereitet wurde. Der auf Grund des § 10 II 17 ALR durch das PrOVG unternommenen Erforderlichkeitsprüfung entsprechend entstand ein Verhältnismäßigkeitsbegriff im Sinne von Erforderlichkeit; der auf Grund des § 14 Abs. 1 i. V. m. § 41 Abs. 2 PVG durch das PrOVG unternommenen Prüfung des krassen Missverhältnisses des Mittels zum erstrebten Zweck entsprechend entstand ein Verhältnismäßigkeitsbegriff im Sinne von Angemessenheit. Hielte man am Verhältnismäßigkeitsbegriff fest und änderte sich die Rechtslage nicht, so wäre es dann nur eine Frage der Zeit, die Erforderlichkeit wiederum in den Verhältnismäßigkeitsbegriff einzugliedern. Nach dem Krieg wurde der Verhältnismäßigkeitsbegriff zu einer Konstante in der Rechtsprechung, und zwar nicht lediglich des Polizeirechts, sondern des Verwal-

121

Vgl. W. Franzen, Lehrkommentar zum Polizeiverwaltungsgesetz, S. 146. Vgl. W. Franzen, Lehrkommentar zum Polizeiverwaltungsgesetz, S. 145. 123 Vgl. B. Drews/G. Wacke, Allgemeines Polizeirecht. Ein Leitfaden für Verwaltungsbeamte und das wissenschaftliche Studium, 6. Aufl., Berlin 1954, S. 111. 122

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tungsrechts im Allgemeinen,124 wenn es auch Unklarheit über seinen Inhalt noch geben mochte. Andererseits gaben in der Nachkriegszeit einige Landesgesetze des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts125 die preußische Rechtslage wieder. So lautete § 5 HPolG vom 10. 11. 1954, der die Überschrift „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ trug: „Die Polizei hat bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen nach pflichtmäßigem Ermessen diejenigen anzuwenden, die die Allgemeinheit und den einzelnen am wenigsten beeinträchtigen. Ein durch eine Maßnahme der Polizei zu erwartender Schaden darf nicht in offenbarem Mißverhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.“126 Selbst diejenigen Landesgesetze, die den Verhältnismäßigkeitsbegriff nicht übernommen haben, enthielten ähnliche Bestimmungen. § 2 RhlPfPVG vom 26. 03. 1954 lautete: „Die Polizei hat bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen und Mitteln nach pflichtmäßigem Ermessen diejenigen anzuwenden, die den einzelnen oder die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen. Der durch eine Maßnahme der Polizei zu erwartende Schaden darf nicht in offenbarem Missverhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.“127 Auf dieser Grundlage definierte das Oberverwaltungsgericht von Rheinland-Pfalz den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit etwas klarer als Erforderlichkeit und Angemessenheit: „… Grundsatz der Verhältnismäßigkeit …, wonach unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen und Mitteln die den einzelnen oder die Allgemeinheit am wenigsten belastenden anzuwenden sind und der durch die Maßnahme zu erwartende Schaden nicht in offenbarem Missverhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen darf.“128 Für Klarheit sorgte endlich Rupprecht von Krauss.129 Dass der Verhältnismäßigkeitsbegriff zum einen die Erforderlichkeit, zum anderen die Angemessenheit zum Inhalt hatte, vertrat er 1955. Um dies darzulegen, zog er §§ 228 und 904 BGB heran, die als Tatbestandsvoraussetzung neben der Notwendigkeit der Maßnahme die Bedingung setzen, dass „der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht“ bzw. dass „der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist.“ Darüber hinaus bezog er sich auf eine Danziger Polizeiverordnung vom 11. 01. 1937, die im § 2 von „not124 Vgl. nur BayVGH n.F. 1, 32 (34 f.); 50 (58 ff.); 120 (125); WürttBadVGH, Urteil vom 18. 01. 1952, in: VRspr. 5, 458 (460); BadVGH, Urteil vom 31. 03. 1952, in: VRspr. 5, 86 (92 f.); RhlPfLVwG, Urteil vom 22. 04. 1952, in: DVBl. 1953, S. 78 (81); BGH, Urteil vom 07. 10. 1954, in: DVBl. 1954, 813 (814). 125 Zu einem Überblick über die Entwicklung der Gesetze des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts einzelner Länder vgl. V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. Ein Studienbuch, 15. Aufl., München 2013, § 3 Rn. 9 ff. 126 Ähnlich § 15 NRWOBG vom 16. 10. 1956; § 4 HmbSOG vom 14. 03. 1966. 127 Ähnlich Art. 8 BayPAG vom 16. 10. 1954; § 5 BadWürttPolG vom 21. 11. 1955; § 3 BremPolG vom 05. 07. 1960; § 73 SchlHolstLVwG vom 18. 04. 1967. 128 Vgl. RhlPfOVG, Urteil vom 04. 05. 1954, in: DVBl. 1954, 817 (819). 129 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 14 ff.

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

wendigen Maßnahmen … unter Würdigung der Bedeutung des zu schützenden Werts und der innerhalb der Volksgemeinschaft berechtigten Belange der durch diese Maßnahme Betroffenen“ sprechen sollte. Darin sah er eine Unterscheidung zwischen Erforderlichkeit und etwas Anderes, das er „Verhältnismäßigkeit in einem engeren Sinne“ benennt. Die Notwendigkeit sei „abhängig von der Aufgabe, von dem konkreten Zweck. Ihre Prüfung im Hinblick auf eine belastende Maßnahme verlangt lediglich eine Berücksichtigung im Sinne von Beachtung der Belange des Betroffenen, aber immer nur, soweit dadurch die Zweckerreichung nicht gefährdet wird. Maßstab ist allein die Erforderlichkeit, so daß ein ganz minderwertiges öffentliches Interesse (öI) zu einem schweren Eingriff führen kann, ohne insoweit rechtswidrig zu sein“.130 Demgegenüber habe die Verhältnismäßigkeit i. e. S. „die Abwägung von Interessen zum Gegenstand“. Die Abwägung von Interessen liege aber im Rahmen des Ermessens der Verwaltung und könne nur dann vor einem Gericht beanstandet werden, wenn es sich um ein offenbares Missverhältnis zwischen dem „Nutzen für die Allgemeinheit“ und dem „Opfer des Betroffenen“ handelte.131 Anschließend stellte er eine Definition von Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne vor: „Ein belastender Akt ist verhältnismäßig, wenn er von den Einzelnen nicht mehr als das zur Zweckerreichung unbedingt Notwendige verlangt und das notwendige Freiheitsopfer nicht außer Verhältnis zu dem für die Allgemeinheit erstrebten Nutzen steht, oder – negativ ausgedrückt – ein Akt ist unverhältnismäßig, wenn er mehr als das absolut Erforderliche verlangt oder das Opfer des Einzelnen in auffälligem Mißverhältnis zu dem Gewinn für die Allgemeinheit steht.“132 Schon auf der Ebene des Verfassungsrechts sah Peter Lerche einen Unterschied zwischen Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.133 Aber anders als von Krauss wollte er beide nicht unter den gemeinsamen Oberbegriff der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zusammenbringen; sinnvoll sei vielmehr sie unter die „Oberbezeichnung“ des Übermaßverbots, eines „neutralen Ausdrucks“, zusammenzustellen: „denn sowohl das Mehr-als-Erforderliche als auch das Unverhältnismäßige können als ,Übermaß‘ bezeichnet werden“.134 Nach Lerche kann man den Begriff der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne „auch kaum durch die Überlegung gewinnen, jede Maßnahme, die mehr verlangt, als die Herbeiführung des Erfolges erfordert, sei ,den Umständen nicht angemessen‘“.135 Nur hat man dem juristischen Begriff der 130

Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 15. Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16. 132 Vgl. R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18 (Hervorhebungen im Original). 133 Vgl. P. Lerche, Übermass und Verfassungsrecht. Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, 2. Aufl., Goldbach 1999, S. 19 f. 134 Vgl. P. Lerche, Übermass und Verfassungsrecht, S. 21. 135 Vgl. P. Lerche, Übermass und Verfassungsrecht, S. 21 Anm. 5, mit Hinweis auf R. von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 15. Ähnlich sah R. Zippelius, Das Verbot übermäßiger gesetzlicher Beschränkung von Grundrechten, DVBl. 1956, S. 353, es als ungenau an, die Erforderlichkeit als „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ zu bezeichnen. 131

II. Die Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Verhältnismäßigkeit ursprünglich den Inhalt der Erforderlichkeit zugesprochen. Übernahm der juristische Verhältnismäßigkeitsbegriff erst später den Sinn von Angemessenheit, schien der Vorschlag von Krauss’ einfach konsequent: man würde den Ursprüngen des Begriffs treu bleiben, d. h., man bräuchte sich von dem juristisch-konventionellen Inhalt des Verhältnismäßigkeitsbegriffs als Erforderlichkeit nicht zu verabschieden, ohne dabei den Unterschied zwischen Erforderlichkeit und Angemessenheit aus dem Auge zu verlieren. Diesem Vorschlag schloss sich das BVerfG an. Dies wird bei der ersten Anwendung des Verhältnismäßigkeitsbegriffs durch das Gericht 1954 noch nicht klar.136 Es war das Apothekenurteil, das den Inhalt des Verhältnismäßigkeitsbegriffs festigte. Es wird, wie erwähnt, für den Ausgangspunkt der systematischen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch das BVerfG gehalten,137 auch wenn im Apothekenurteil selbst das BVerfG den Ausdruck „Verhältnismäßigkeit“ nur am Rande erwähnt.138 In dieser Entscheidung entwickelte das BVerfG die sog. Stufentheorie.139 Nach der Stufentheorie stellt eine Beschränkung der Berufsausübung einen milderen Eingriff in die Berufsfreiheit dar als subjektive Zulassungsvoraussetzungen (z. B. diejenigen der Vor-und Ausbildung), die die Freiheit der Berufswahl einschränken; und diese wiederum stellen einen weniger intensiven Engriff in die Freiheit der Berufswahl dar als objektive Zulassungsvoraussetzungen, auf die der Einzelne keinen Einfluss nehmen kann.140 Es heißt im Apothekenurteil, dass der Gesetzgeber „die nächste ,Stufe‘ erst dann betreten [darf], wenn … die befürchteten Gefahren mit (verfassungsmäßigen) Mitteln der vorausgehenden ,Stufe‘ nicht wirksam bekämpft werden können“.141 Das bedeutet, dass ein intensiverer Eingriff in die Freiheit des Einzelnen erst dann vorgenommen werden darf, wenn der verfolgte Zweck nicht durch einen milderen Eingriff erreicht werden kann, d. h., wenn er, der intensivere Eingriff, erforderlich ist. Dies impliziert selbstverständlich, dass der Eingriff zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet ist. Darüber hinaus setzte das Gericht die so abgestuften Mittel in Verhältnis zu bestimmten Zwecken. Während die zwei zuerst genannten Eingriffsarten milderen Anforderungen genügen müssen,142 können objektive Zulassungsvoraussetzungen erst durch den Zweck der „Abwehr … schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“143 gerechtfertigt werden. Mittel und Zweck müssen also in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. 136

Vgl. BVerfGE 3, 383 (399) – Unterschriftenquorum für Kreiswahlvorschläge. Vgl. E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 569 f.; L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17; B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 446 Anm. 7. 138 BVerfGE 7, 377 (407), 1958. 139 Dazu s. auch unten C. I. 2. b) bb). 140 BVerfGE 7, 377 (402 f., 405 ff.). 141 BVerfGE 7, 377 (408). 142 BVerfGE 7, 377 (405 ff.). 143 BVerfGE 7, 377 (408). 137

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

Der juristische Begriff der Verhältnismäßigkeit bezieht sich auf eine ZweckMittel-Relation und beinhaltet die Elemente der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.). Dies wird im deutschen Recht unter Verhältnismäßigkeit seitdem im Allgemeinen verstanden.144

III. Die historische Entwicklung des Willkürverbots 1. Das Willkürverbot im Polizeirecht a) Der Willkürbegriff und die Literatur zum freien Ermessen der Verwaltung Das Willkürverbot entstand zur Zeit der Entstehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und wie dieses hat jenes seinen Ursprung im Polizeirecht. Es entstand im Rahmen von Überlegungen über das freie Ermessen der Verwaltung. Getrieben durch die Besonderheiten der Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich145 wirkten im deutschsprachigen Raum österreichische Wissenschaftler entscheidend am Ursprung146 der juristischen Auseinandersetzung mit der Frage des freien Ermessens der Verwaltung: 1886 Edmund Bernatzik mit seinem Werk „Rechtsprechung und materielle Rechtskraft“ und 1888 Friedrich Tezner mit seiner Monographie „Zur Lehre von dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte“. Diese Frage behandelten Bernatzik und Tezner unter der Frage des Verhältnisses der Verwaltung mit unbestimmten Rechtsbegriffen.147 Gegen die These Bernatziks, der eine Überschreitung 144 Zu nachfolgenden Entscheidungen, in denen das BVerfG dieser begrifflichen Präzisierung folgt, vgl. E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 570 Anm. 7. 145 Vgl. F. Tezner, Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden. Kritisch-systematisch erörtert auf Grund der österreichschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, Leipzig 1924, S. 15. 146 Vgl. dazu M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Zweiter Band: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800 – 1914, München 1992, S. 415. Zu einem tieferen Einblick in die Entwicklung der Ermessenslehre vgl. U. Held-Daab, Das freie Ermessen: von den vorkonstitutionellen Wurzeln zur positivistischen Auflösung der Ermessenslehre, Berlin 1996, insb. S. 113 ff. 147 Die Verengung des Ermessensbegriffs mit seiner Verdrängung auf die Rechtsfolgeseite bzw. die Verknüpfung der unbestimmten Rechtsbegriffe mit dem Begriff des Beurteilungsspielraums vollzog sich im deutschen Verwaltungsrecht erst in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Zu einem Überblick über diesen Prozess vgl. M. Bullinger, Das Ermessen der öffentlichen Verwaltung – Entwicklung, Funktionen, Gerichtskontrolle, JZ 1984, S. 1001 ff. Wegweisend O. Bachof, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, JZ 1955, S. 97 ff. Die Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen bzw. Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite einerseits und Ermessen auf der Rechtsfolgeseite andererseits wird bis heute weitgehend gemacht, was sie von mancher Kritik nicht abzuschirmen vermag: vgl. nur M. Jestaedt, Maßstäbe des Verwal-

III. Die Entwicklung des Willkürverbots

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der Grenzen des freien Ermessens – mit der konsequenten Möglichkeit einer Revision durch die Verwaltungsgerichte – lediglich im Fall einer Pflichtverletzung im Sinne „böser Absicht oder grober Fahrlässigkeit“148, im Fall „eine[r] dolose[n] oder culpose[n] Pflichtwidrigkeit“149 der Verwaltungsbehörde annahm, sprach sich entschieden Tezner aus.150 Ein Ermessensbegriff, der auf die subjektive Ansicht der Verwaltungsbehörde abstellt, sei „eine ausgesprochene Ausgeburt des Irrsinnes“.151 Tezner wollte dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof nicht nur die Überprüfung der Auslegung der unbestimmten Begriffe, sondern auch die Prüfung von tatsächlichen Verhältnissen zuerkennen.152 Ohnehin bezeichneten weder Bernatzik noch Tezner das, was nach ihren jeweiligen Meinungen Anstoß zu einer gerichtlichen Revision geben würde, ausdrücklich als Willkür. Auf das Wort Willkür griff aber Fritz Stier-Somlo zurück. Stier-Somlo unternahm – schon im deutschen Kontext – einen Versuch, die Arten von freiem Ermessen zu klassifizieren.153 Eine Art freien Ermessens bestehe in der Freiheit der Verwaltung, über das Ob, das Wann und die Form ihres Eingriffs zu entscheiden. Beispiele dafür finde man in der Sicherheitspolizei. Eine weitere Art sei dadurch gekennzeichnet, dass trotz gesetzlicher Grundlage die Entscheidung im Belieben der Verwaltung liege. Dies sei etwa bei der Gestattung von Handlungen der Fall. Für diese beiden Arten sagte Stier-Somlo, dass das Erfordernis einer pflichtgemäßen Entscheidung einen „gewissen“ Schutz gegen Willkür bedeutet – denn die Grenzen ihrer Pflicht bestimme die Verwaltung selbst.154 Ausgeschlossen seien jedenfalls „Bestechung, Handeln des Beamten zu eigenem Nutzen, ungerechtfertigte[r] Bevorzugung und Benachteiligung des Bürgers“.155 Entscheidungen also, die auf Bestechung, Handeln zu eigenem Nutzen und ungerechtfertigter Bevorzugung und Benachteilung des tungshandelns, in: H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin 2010, § 11 Rn. 10 ff. Dazu s. auch unten D. III. 7. 148 Vgl. E. Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft. Verwaltungsrechtliche Studien, Wien 1886, S. 44 f. 149 Vgl. E. Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft, S. 46. 150 Vgl. F. Tezner, Ueber das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 19 (1892), S. 327 (380), wo es heißt, dass „die Bernatzik’sche Theorie die Forschung nach dem Inhalt der verwaltungsrechtlichen Begriffe überall mit Brettern verschlägt und auch in ihrer erneuten Form den Rechtsschutz in Ermessenssachen nur gegen die Dummheit oder Schlechtigkeit der Verwaltungsbehörde gewähren will.“ 151 Vgl. F. Tezner, Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 21. 152 Vgl. F. Tezner, Ueber das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte, S. 383. 153 Vgl. F. Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, in: W. van Calker/F. Fleiner/F. Hauke et al., Staatsrechtliche Abhandlungen. Festgabe für Paul Laband zum fünfzigsten Jahrestage der Doktor-Promotion. Zweiter Band, Tübingen 1908, S. 443 (505 ff.). 154 Ähnlich W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 30. 155 Vgl. F. Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, S. 506.

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

Bürgers beruhten, würden unter den Willkürbegriff fallen. Bei der dritten Art von freiem Ermessen verwendete Stier-Somlo den Willkürbegriff in einem umfassenderen Sinn.156 Die dritte Art von freiem Ermessen zeichne sich dadurch aus, dass die Rechtsgrundlage des Verwaltungshandelns zwar allgemein ist, jedoch eine besondere Voraussetzung enthält – z. B. die des öffentlichen Interesses. In diesem Fall bestehe schon da Willkür, „wo schlechterdings jedes polizeiliche Motiv fehlt“.157 Eine andere Stimme, die von Österreich aus die Diskussion um das Ermessen der Verwaltung geprägt hat, war die von Rudolf von Laun. 1910 veröffentlichte er sein Werk „Das freie Ermessen und seine Grenzen“. von Laun begriff freies Ermessen als die Freiheit der Verwaltung bei der Wahl des Zwecks ihrer Handlung.158 Dabei unterliege sie gesetzlichen Grenzen, nämlich, denen der Zuständigkeit, der Form und der materiellrechtlichen Schranken.159 Neben diesen „äußeren“ Grenzen stünden die „inneren“ Grenzen.160 Die inneren Grenzen würden „erlaubte und verbotene Motive“ trennen, sie würden die Unterscheidung „zwischen jenen Zwecken, welche sie [die Behörde] verfolgen darf, und jenen, deren Realisierung ihr verwehrt ist“, ermöglichen.161 Überschritt die Verwaltung die inneren Grenzen, dann begehe sie eine Ermessensüberschreitung, ein „détournement de pouvoir“.162 von Laun erkennt zwei innere Grenzen, eine objektive und eine subjektive. Bei der objektiven Grenze163 handele es sich um vom Gesetz verbotene Zwecke bzw. Erfolge. Die Überschreitung der objektiven Grenze unterteilte von Laun in Diskretionsverletzung und Ermessensverwirrung. Bei der Diskretionsverletzung will die Verwaltung einen verbotenen Zweck erreichen. Sie glaubt, so im öffentlichen Interesse zu handeln. Bei der Ermessensverirrung handelt es sich um verbotene Erfolge, die die Verwaltung bei Verfolgung eines Zwecks herbeiführt.164 Bei der subjektiven Grenze165 sei die Verwaltung zwar an keinen bestimmten Zweck gesetzlich gebunden, sie dürfe aber nur im öffentlichen Interesse handeln. Dies schließe aber letztendlich nur die vorsätz156

Denn „In der Praxis ist die Betonung des ,pflichtgemässen‘ Ermessens der Deckmantel für allerhand bestgemeinte Willkür.“ Vgl. F. Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, S. 512. 157 Vgl. F. Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, S. 507. 158 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, Leipzig 1910, S. 62 f., 66. 159 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 113. Als materiellrechtliche Schranke betrachtete er z. B. die gesetzlichen Voraussetzungen, die eine Person erfüllen muss, um für die Ausübung eines öffentlichen Amtes überhaupt qualifiziert zu sein. 160 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 114. 161 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 117. 162 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 175. Seine These baute von Laun auf der französischen Lehre des „détournement de pouvoir“ auf. Vgl. ebd., S. 118 ff. 163 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 186 ff. 164 Aber die Verursachung verbotener Erfolge führe nur dann zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes, wenn dieser „völlig oder der Hauptsache nach ungeeignet ist, irgend einen der erlaubten Zwecke zu erfüllen“. Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 189. 165 Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 176 ff.

III. Die Entwicklung des Willkürverbots

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liche Handlung der Verwaltung gegen das öffentliche Interesse aus. Die Überschreitung dieser subjektiven Grenze nennt von Laun Ermessensmissbrauch. Und es ist im Rahmen des Ermessensmissbrauchs, dass von Laun vom Willkürbegriff Gebrauch macht. Vorsätzlich dürfe die Verwaltung gegen das öffentliche Interesse nicht handeln; bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses sei die Verwaltung also nicht befugt, „ihr Verhalten von jedem beliebigen Motiv bestimmen zu lassen“. „Eigennutz, Laune, Protektion, Schikane gegen persönliche oder politische Gegner u. dgl.“ seien als Motiv des Verwaltungshandelns ausgeschlossen. Denn dies sei Willkür.166 Ähnliche Ansichten vertrat – zurück in den deutschen Kontext – Paul Oertmann. Die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung sei objektiven Grenzen ausgesetzt, z. B. der Grenze der Zuständigkeit. Dazu gehöre auch die Grenze des allgemeinen Zwecks: der Ermessensakt müsse sich „innerhalb der Grenzen des allgemeinen Zweckes halten, dem die Ermessensfreiheit nachweislich allein dienen soll.“167 Bei Beachtung der Grenze des allgemeinen Zwecks könne das Ermessen der Verwaltung nicht aus dem Grund beanstandet werden, „daß seine Ausübung objektiv unzweckmäßig, sachwidrig, unangemessen gewesen sei“.168 Dennoch seien subjektive Schranken169 zu beachten. Die Behörde müsse „das Gemeininteresse, das öffentliche Wohl“ im Blick haben. Handelte die Behörde bewusst – also vorsätzlich – dagegen, dann überschreite sie die subjektive Grenze ihres Ermessens. Zwar nicht ausdrücklich, jedoch mittelbar charakterisierte Oertmann diese Ermessensüberschreitung, die er in Ahnlehnung an von Laun Ermessensmissbrauch nannte, als Willkür.170 Intensiv mit den Grenzen der Polizeigewalt hat sich Walter Jellinek 1913 beschäftigt. Wie schon erwähnt wurde,171 unterschied Jellinek zwischen der relativen und der absoluten Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, wobei er innerhalb der relativen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit vier Arten von Fehlerhaftigkeiten erkannte, nämlich die Ungeeignetheit, die Schädlichkeit, die Unzulänglichkeit und das

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Vgl. R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 176. Vgl. P. Oertmann, Die staatsbürgerliche Freiheit und das freie Ermessen der Behörde. Vortrag gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 18. November 1911, Leipzig 1912, S. 23. 168 Vgl. P. Oertmann, Die staatsbürgerliche Freiheit und das freie Ermessen der Behörde, S. 24. 169 Vgl. P. Oertmann, Die staatsbürgerliche Freiheit und das freie Ermessen der Behörde, S. 25 f. 170 Vgl. P. Oertmann, Die staatsbürgerliche Freiheit und das freie Ermessen der Behörde, S. 25: „Freies Ermessen ist eben nicht die schrankenlose, von keiner Rücksicht auf das Gemeinwohl gezügelte Willkür des Tyrannen; es entspricht nicht dem Despotismus orientalischer Sultane, sondern den Staatsmaximen des aufgeklärten Absolutismus, der den Fürsten in selbstgewählter Beschränkung seiner Herrscherwillkür nur als den ersten Diener des Staates erachtet.“ 171 S. o. B. II. 2. a). 167

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

Übermaß. Freies Ermessen habe die Polizei nicht hinsichtlich der relativen,172 sondern der absoluten Notwendigkeit. Immerhin könne die Polizei Ermessensfehler begehen. Zwar könne die Zweckmäßigkeit bzw. die Zulässigkeit des Aktes selbst nicht einer richterlichen Nachprüfung unterzogen werden, wohl aber die Zulässigkeit der Erwägungen, die dem Akt zugrunde lagen.173 Auf dieser Grundlage erkennt Jellinek neun fehlerhafte Erwägungen (Ermessensfehler).174 Hier interessiert sein Gebrauch des Willkürbegriffs. Jellinek benutzt den Willkürbegriff, um den Ermessensfehler der Grundsatzlosigkeit zu bezeichnen. Mit Grundsatzlosigkeit meinte er nichts Anderes als Ungleichbehandlung von „gleichgelagerten Fällen“. Willkür (im engeren Sinne) sei also die Ungleichbehandlung von „gleichgelagerten Fällen“.175 Kriterien dafür, wann man vor einer Ungleichbehandlung gleichgelagerter Fälle steht, bot er nicht an.176 Immerhin ist die Verbindung des Willkürbegriffs mit dem der Ungleichbehandlung festzuhalten. Ein anderer Autor, der sich der Frage des freien Ermessens der Verwaltung gewidmet hat, war 1914 Ottmar Bühler.177 Bühler konzentrierte sich darauf, darzulegen, dass die Nachprüfung der Notwendigkeit178 einer polizeilichen Maßnahme 172 So sagte W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 80: „Zum freien Ermessen gehört nicht die Frage der Geeignetheit, der Ungeeignetheit, der Schädlichkeit, der Unzulänglichkeit und des Übermaßes.“ 173 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 331. 174 1) die irrige Annahme eines Gebundenseins (durch Gesetz, Tatbestand oder Dienstbefehl) bzw. die auffallende Nichtbeachtung einer Wahlmöglichkeit; 2) die irrige Annahme der Freiheit von objektiven Schranken (eines Gesetzes, des Tatbestands oder eines Dienstbefehls) bzw. die Auffallende Nichtbeachtung einer Schranke; 3) die Meinung, nach freiem Belieben wählen zu dürfen; 4) die Nichtberücksichtigung der dem Untertan günstigen Umstände; 5) die Berücksichtigung von etwas Unrichtigem zuungunsten des Untertans (keine Übereinstimmung der tatsächlichen oder rechtlichen Unterlagen der Verfügung mit der Wirklichkeit bzw. dem geltenden Recht); 6) die Berücksichtung eines unsachlichen Gesichtspunkts, insbesondere die Verfolgung eines unsachlichen Zwecks; 7) die mangelnde Sorgfalt bei Abwägung der Gründe und Gegengründe; 8) die Grundsatzlosigkeit oder die Willkür im engeren Sinne; 9) die mangelnde Folgerichtigkeit. Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 337 ff. 175 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 348 f. 176 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 323 ff., 261 ff. 177 Unter freiem Ermessen verstand O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, Berlin 1914, S. 26, „die vom Gesetz einer Behörde gewährte Möglichkeit, die Entscheidung in einer Verwaltungsmassnahme danach zu treffen, ob sie ihre Wirkung vom Standpunkt der Förderung der Staatszwecke aus für wertvoll hält oder nicht.“ 178 Verstanden im Sinne der Erforderlichkeit des Verhältnismäßigkeitsbegriffs – s. o. B. II. 2. a) –, wobei Bühler der Erforderlichkeitsprüfung ein Moment der Interessenabwägung beimaß. Vgl. dazu O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 179 f. Anm. 283 und 284.

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Rechtskontrolle sei und dass demgemäß die Verwaltungsgerichte sie zu unternehmen hatten179 – und der Sache nach zumindest das preußische Oberverwaltungsgericht sie schon unternehmen würde180. Unabhängig von der Frage, ob die Verwaltungsgerichte zu einer Ermessenskontrolle181 konkret befugt waren – dies bejahte Bühler für das preußische Oberverwaltungsgericht182 –, dürfe die verwaltungsgerichtliche Ermessenskontrolle „nicht das Ergebnis der Erwägungen nachprüfen, sondern nur deren Zustandekommen. Ob der Kläger mit seinen Einwendungen formell berücksichtigt ist, ob bei der Abwägung von Gründen und Gegengründen ein gewisses Mass der Sorgfalt vorgelegen hat, ob die Behörde in der Behandlung eines Falls nicht Inkonsequenzen im Vergleich mit anderen Fällen begangen hat, das soll bei dieser Kontrolle geprüft werden, aber nicht, ob alle diese Erwägungen auch zu einem richtigen Resultate geführt haben“.183 Jedenfalls sprach sich Bühler grundsätzlich dagegen aus, dass den Verwaltungsgerichten die Befugnis zur Ermessenskontrolle zugesprochen würde.184 Vom Willkürbegriff machte er keinen Gebrauch. Aus der Untersuchung der Arbeiten der genannten Pioniere in der Erforschung der Ermessensfrage ergibt sich, dass der Willkürbegriff weder allgemein gebraucht wurde noch da, wo er gebraucht wurde, immer denselben Gehalt hatte. Mal bezeichnete man mit Willkür das Fehlen jedes polizeilichen Motivs (Stier-Somlo), mal ein vorsätzliches Verhalten der Behörde (von Laun, Oertmann, Stier-Somlo), mal eine Ungleichbehandlung gleichgelagerter Fälle (Jellinek); oder benutzte den Willkürbegriff nicht (Bernatzik, Tezner, Bühler). Bühler bezeichnete das preußische Oberverwaltungsgericht als dasjenige, das „mit der Ermessenskontrolle vorangegangen ist und mit ihr Schule gemacht hat“.185 Ein Überblick über seine Rechtsprechung kann Auskünfte über die Weiterentwicklung des Willkürbegriffs geben.

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Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 174 ff. 180 Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 176, 192 ff. 181 Zur von ihm gemachten Unterscheidung zwischen Rechtskontrolle und Ermessenskontrolle vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 205 f. 182 Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 208, 215 ff. 183 Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 219 f. 184 Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 220 ff. 185 Vgl. O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 215.

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

b) Der Willkürbegriff in der Rechtsprechung des PrOVG Das Preußische Oberverwaltungsgericht verwendete den Willkürbegriff zum ersten Mal in einer Entscheidung vom 21. 03. 1877.186 Dabei ging es um den Kampf eines Schankwirtes gegen eine polizeiliche Verfügung, die ihm wegen Beschwerden über ruhestörenden Lärm die Erlaubnis zurücknahm, seine Gaststätte über die Polizeistunde (11 Uhr Abends) hinaus bis 1 Uhr Morgens offen zu halten.187 Nach dem Zuständigkeitsgesetz vom 26. 07. 1876 (§§ 30, 31) könnte eine Klage betreffend eine polizeiliche Verfügung nur auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung des bestehenden Rechts oder darauf gestützt werden, „daß die thatsächlichen Voraussetzungen nicht vorhanden seien, welche die Polizeibehörde zum Erlassen der Verfügung berechtigt haben würden“.188 Und es war der Anfechtungsgrund des Nichtvorhandenseins der tatsächlichen Voraussetzungen, der dem Oberverwaltungsgericht Anlass gab, sich mit der Ermessensfrage auseinanderzusetzen. Bei der Erläuterung dieses Anfechtungsgrundes nahm das Gericht an, dass eine Klage für begründet zu halten sei, wenn „die Behörde gewisse, für die Entscheidung wesentliche Thatsachen dem klar vorliegenden wahren Sachverhalt zuwider als gegeben vorausgesetzt habe“ oder „wenn behauptet wird, die Verfügung überschreite die äußersten, jenem Ermessen gezogenen Grenzen; sie beruhe überhaupt nicht sowohl auf objektiven polizeilichen Motiven, als vielmehr auf Willkür oder sonstiger Pflichtwidrigkeit der Behörde“.189 Den Willkürbegriff verwendete das Gericht also als einen Korrelatbegriff zum Begriff des freien Ermessens der Polizeibehörde.190 186 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 65 Anm. 114. 187 Vgl. PrOVGE 2, 390 f. 188 Zu den verschiedenen Klagearten, mittels deren eine polizeiliche Verfügung angefochten werden könnte, nämlich der Schlussklage des § 30 und der Wahlklage des § 31 des Zuständigkeitsgesetzes von 1876, vgl. M. Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz im Verwaltungsrecht: zur Kontrolldichte bei wertenden Behördenentscheidungen. Vom Preußischen Oberverwaltungsgericht bis zum modernen Gerichtsschutz im Prüfungsrecht, Tübingen 1999, S. 226 ff. 189 Vgl. PrOVGE 2, 390 (393 f.). 190 M. Bullinger, Das Ermessen der öffentlichen Verwaltung, S. 1002 f., sagt, dass das PrOVG unbestimmte Begriffe wie den der „öffentlichen Ordnung“ nicht für Ermessensbegriffe hielt. Er hat insofern Recht, als damit gemeint ist, dass das Gericht die unbestimmten Rechtsbegriffe nicht als Hindernis, sondern als Tür zur gerichtlichen Kontrolle polizeilicher Maßnahmen betrachtete. P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem. Eine Analyse von Gesetzgebung und Rechtsprechung, 2. Aufl., Berlin 2006, S. 247, weist zu Recht darauf hin, dass in der Rechtsprechung des PrOVG „die als ,Richtschnur‘ interpretierten gesetzlich festgelegten polizeilichen Aufgaben in den Ermessensraum hineinprojiziert werden“. Die unbestimmten Rechtsbegriffe waren also der Schauplatz schlechthin sowohl für die polizeiliche Ermessensausübung als auch für die gerichtliche Ermessenskontrolle. Dies steht mit dem Befund in Einklang, dass sich die Verengung des Ermessensbegriffs mit seiner Verdrängung auf die Rechtsfolgeseite im deutschen Verwaltungsrecht erst in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts vollzog. S. o. Fn. 147. Häberle weist zudem – S. 247, 259

III. Die Entwicklung des Willkürverbots

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Dabei definierte es Willkür wiederum als das Fehlen eines objektiven polizeilichen Motivs – für ein solches Motiv hielt das Gericht die Beseitigung des ruhestörenden Lärms191. In den nachfolgenden Entscheidungen hielt das Gericht an seinem Standpunkt fest,192 dass Willkür eine Überschreitung des freien Ermessens darstelle, dass „die Berechtigung des freien Ermessens der Polizeibehörde nicht die Zulässigkeit der Willkür oder Schikane in sich schließt“193. Weiterhin umgrenzte es den Willkürbegriff durch Ausdrücke wie „objektive polizeiliche Gesichtspunkte“194, „objektiv erkennbares, polizeiliches Motiv“195, „sachlich begründetes Interesse“196 und ähnliche197. Dass das Gericht mit „objektiven polizeilichen Motiven“ etwas Anderes als böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausschließen wollte, hat es ausdrücklich klargestellt.198 Mit der Festigung des Willkürbegriffs kann nun vom Willkürverbot gesprochen werden. Hinsichtlich der Fälle der Versagung oder des Widerrufs der Erlaubnis zum Offenhalten einer Gaststätte über die allgemeine Polizeistunde hinaus akzeptierte das Gericht als objektives polizeiliches Motiv: die Beseitigung von ruhestörendem Lärm199, die Verhinderung von durch weibliche Bedienung geförderter Völlerei und Unsittlichkeit200 und das Fehlen des Bedürfnisses zur Billigung einer Ausnahme in der betreffenden Stadt201; hinsichtlich eines Falls der Verpflichtung eines Privatunternehmens zum Aufbau von vier statt zwei Hydranten an einer gewissen öffentlichen Straße: das feuerpolizeiliche und das verkehrspolizeiliche Interesse „auf und 271 – auf die Gegenseitigkeit zwischen Willkür und Ermessen einerseits und Willkür und Gemeinwohl bzw. öffentlichem Interesse andererseits und somit auf die Entsprechung zwischen Ermessen und Gemeinwohl bzw. öffentlichem Interesse in der Rechtsprechung des PrOVG hin. 191 Vgl. PrOVGE 2, 390 (394). 192 Die Verabschiedung weiterer Gesetze betreffend die Verwaltungsgerichtsbarkeit beeinflusste die Rechtsprechung des PrOVG zu dem hier in Betracht stehenden Punkt nicht, da §§ 30 und 31 des Zuständigkeitsgesetzes von 1876 in den neuen Gesetzen Niederschlag fanden. Vgl. M. Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz im Verwaltungsrecht, S. 226 Anm. 218. Erwähnt seien insbesondere §§ 127 und 128 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung (Landesverwaltungsgesetz – LVG) vom 30. 07. 1883, die sodann die gesetzliche Grundlage für die weitere Rechtsprechung des PrOVG bildeten. 193 Vgl. PrOVGE 7, 304 (306). 194 Vgl. PrOVGE 7, 304 (309); 29, 442 (446). 195 Vgl. PrOVGE 39, 365 (367). 196 Vgl. PrOVGE 42, 398 (400). 197 Vgl. PrOVGE 40, 434 (440); 41, 414 (416); 49, 397 (400); 50, 284 (289 f.); 58, 273 (274 f.); 59, 374 (375 f.); 61, 153 (155 f.); 95, 214 (215 f.). Zu weiteren Entscheidungen vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 65 f. Anm. 114. 198 Vgl. PrOVGE 6, 220 (226). 199 Vgl. PrOVGE 2, 390 (394), 200 Vgl. PrOVGE 7, 304 (310). 201 Vgl. PrOVGE 41, 414 (419).

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der Anbringung einer genügenden Anzahl von Hydranten“ sowie „die Zwecke der Straßenreinigung“202 ; bezüglich eines Falls der Verpflichtung einer Stadtgemeinde zur Beleuchtung einer gewissen Strecke: die Beseitigung der Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum, die beim Fehlen einer Beleuchtung „für das auf dem Wege verkehrende und in den daran liegenden Gebäuden wohnende Publikum entstehen“203; hinsichtlich eines Falls der Versagung der Genehmigung zur Aufstellung von Reklameschildern auswärts: die Verhinderung von Beeinträchtigungen des glatten Verlaufs des Straßenverkehrs204. Interessant ist ein Fall der Aufhebung einer polizeilichen Verfügung wegen Willkür. Eine am Strand liegende Gemeinde stellte auf einer bestimmten Strandstrecke Strandkörbe auf. Diese konnten gegen Gebühr von den Strandbesuchern benutzt werden. Von Privaten, die ihre eigenen Strandkörbe aufstellten, war die Hälfte der Gebühr zu erheben. Als ein Strandbesucher sich weigerte, die Gebühr für die Aufstellung seines eigenen Strandkorbs zu entrichten, ordnete die zuständige Behörde an, dass der Strandkorb des jeweiligen Strandbesuchers in seine Wohnung gebracht würde, was in der Tat geschehen ist. Letztendlich billigte die vorgesetzte Behörde zu, dass dem Strandbesucher ein Recht zustehe, ohne Gebühr seinen eigenen Strandkorb aufzustellen. Es sei jedoch ein berechtigtes polizeiliches Anliegen, anzuordnen, dass nach dem Verlassen des Strands der Strandbesucher seinen Strandkorb entfernte.205 Das Oberverwaltungsgericht gab statt, dass die Berücksichtigung des Interesses anderer Strandbesucher und des allgemeinen Strandverkehrs die Polizei dazu berechtigen könnte, „die Aufstellung der Strandkörbe nach Zeit und Ort zu regeln und insbesondere auch dahin einzuschränken, daß die Körbe außerhalb der Zeit ihrer Benutzung aus dem Bereich des Strandverkehrs entfernet werden“.206 Da aber die Behörden allein gegen diesen einen Strandbesucher vorgegangen waren, und zwar obwohl „die Belassung der Körbe am Strande auch außerhalb der Zeit ihrer Benutzung allgemeiner, örtlicher Übung entspricht“, sei ein solcher berechtigter Grund nicht ersichtlich.207 Vielmehr sei das Interesse an der Erhebung von Gebühren maßgebend gewesen,208 was der Polizeigewalt verwehrt war. Ein objektives polizeiliches Motiv fehlte also, es lag ein Fall von Willkür vor.

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Vgl. PrOVGE 29, 442 (446). Vgl. PrOVGE 40, 434 (440). 204 Vgl. PrOVGE 58, 273 (273, 275). 205 Vgl. PrOVGE 54, 261 (262 f.). 206 Vgl. PrOVGE 54, 261 (265 f.). 207 In den Worten des Gerichts: „Will die Polizei diese Art des Gemeingebrauchs regeln, so kann sie sich nicht nach Belieben einen der Strandkorbbesitzer auswählen und in seinem Gebrauchsrechte beschränken, alle übrigen aber unbehelligt lassen. Das wäre Willkür, zu der die Polizei niemals berechtigt ist.“ Vgl. PrOVGE 54, 261 (266). 208 Hier zeigt sich vorweg, welche Bedeutung die Idee der Widerspruchsfreiheit haben kann: ein Widerspruch legt die Unzulänglichkeit einer Argumentation offen. Dazu s. u. F. V. 203

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Das war einer der wenigen Fälle, in denen das Gericht das Vorhandensein von Willkür festgestellt hat.209 Dies veranlasste Walter Jellinek dazu, die Willkürformel des PrOVG als eine Redensart abzutun.210 Immerhin festigte das PrOVG einen Willkürbegriff, der mit Gerhard Leibholz im Willkürverbot des allgemeinen Gleichheitssatzes der Weimarer Reichsverfassung wieder auftauchen würde.

2. Das Willkürverbot im Verfassungsrecht a) Gerhard Leibholz Eine entscheidende Rolle für die Aufnahme des Willkürbegriffs in das deutsche Verfassungsrecht spielte Gerhard Leibholz. 1925 veröffentlichte er sein bahnbrechendes Werk „Die Gleichheit vor dem Gesetz. Eine Studie auf rechtsvergleichender und rechtsphilosophischer Grundlage“: bahnbrechend wegen der überzeugenden Postulierung der Bindung des Gesetzgebers an den allgemeinen Gleichheitssatz – Art. 109 Abs. 1 – der Weimarer Reichsverfassung, bahnbrechend auch wegen der Aufhellung des Willkürbegriffs und der Erhebung des Willkürverbots zum Maßstab dieser Bindung.211 Den Willkürbegriff setzte Leibholz in Verhältnis zum Begriff der Gerechtigkeit: der erste sei „der gegensätzliche Korrelatbegriff“ des zweiten, sein „Gegenpol“. Wie von Gerechtigkeit sei demgemäß auch eine „material gebundene Definition“ von Willkür unmöglich. Beide seien von unserem Rechtsbewusstsein getragen und insofern sei der Inhalt des Willkürbegriffs wandelbar. Trotz der Rede vom „gegensätzlichen Korrelatbegriff“ und „Gegenpol“ sagte Leibholz, dass Willkür die „radikale, absolute Verneinung“ von Gerechtigkeit sei.212 In Einklang damit machte er eine Unterscheidung zwischen „Unrichtigkeit“ und „Willkür“. Beide würden dem „Rechtsideal“ widersprechen. Zwischen ihnen gebe es somit keinen qualitativen, sondern nur „einen rein quantitativen Unterschied“; es handele sich um „Grade der Fehlerhaftigkeit“. Demgemäß könnte man „zwischen solchen [Sätzen], die zwar 209 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 66 Anm. 115. Zu einem weiteren, den Widerruf einer polizeilichen Genehmigung betreffenden Fall vgl. PrOVG 55, 459 (463 ff.). 210 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 65 f. 211 Vor Leibholz hatte in einem Rechtsgutachten schon sein Lehrer H. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien. Zur Frage der Rechtsgültigkeit der über sogenannte schuldverschreibungsähnliche Aktien in den Durchführungsbestimmungen zur GoldbilanzenVerordnung enthaltenen Vorschriften, Berlin 1924, S. 28 ff., Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung als ein auch den Gesetzgeber bindendes Willkürverbot interpretiert. Ähnlich auch schon J. Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht. Erster Band, Berlin 1922, S. 196. Zur Kontroverse um Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung im Kontext des staatsrechtlichen Richtungs- und Methodenstreits vgl. W. Heun, Der staatsrechtliche Positivismus in der Weimarer Republik, S. 392 ff. 212 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz. Eine Studie auf rechtsvergleichender und rechtsphilosophischer Grundlage, Berlin 1925, S. 72 f.

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sachlich, wenn auch unrichtig begründet sind und denen [unterscheiden], die sich überhaupt nicht rechtfertigen lassen“. Diese Unterscheidung zwischen Unrichtigkeit und Willkür begründete Leibholz damit, dass das Rechtsbewusstsein „nicht mit der genügenden Sicherheit zu ermitteln“ sei, dass es „nur in einzelnen Fällen, vor allem eben bei den Willkürakten, in voller Klarheit nach außen hin in Erscheinung tritt.“213 Willkür bestehe letztlich da, „wo schlechterdings überhaupt kein oder doch jedenfalls nur ein in der Hauptsache unvernünftiger Grund angeführt werden kann; dabei kann ,vernünftig wieder ebenso wenig wie das öffentliche Interesse oder das Gemeinwohl in ein für allemal feststehender Weise definiert werden“.214 Wenn aber der Willkürbegriff „materiell eindeutig nicht bestimmbar und formal durch ein Kriterium nicht abzugrenzen“215 ist, entbehrt das Willkürverbot nicht seiner Brauchbarkeit als ein Maßstab? Nach Leibholz nicht.216 Denn der Richter dürfe nicht „rein subjektiv und disziplinlos entscheiden“; die Frage sei „rein objektiv in der Weise zu stellen, ob unter dem bestimmten Gesichtspunkt, unter dem der Rechtssatz oder die sonstige Maßnahme zu prüfen ist, überhaupt irgendein maßgeblicher Grund zu seiner Rechtfertigung ausfindig gemacht werden kann“. Leibholz erkannte, dass die „Willkür“ der Lehre des Ermessensmissbrauchs217 sowie die des französischen „détournement de pouvoir“218 sich in der „sachfremden Motivation“ oder im „sachfremden Zweck“ ausdrücken ließen. Dies entspreche im Wesentlichen seiner eigenen Formulierung von Willkür als Fehlen eines irgendwie vernünftigen Grundes. Unter sachfremder Motivation verstand aber Leibholz „missbräuchliche Motivation“. Da aber eine missbräuchliche Motivation zu einem objektiv polizeimäßigen Verhalten und umgekehrt eine polizeiliche Motivation zu einem objektiv polizeiwidrigen Verhalten führen könnten, bevorzugte er seine Formulierung. Denn bei ihr sei das Schwergewicht „nicht auf die tatsächlich statt213

Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 76 f. Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 87. Die Ähnlichkeiten der Ausführungen Leibholz’ zum Willkürbegriff mit der „Radbruchschen Formel“ sind nicht zu übersehen. Vgl. M. H. Wiegandt, Norm und Wirklichkeit: Gerhard Leibholz (1901 – 1982) – Leben, Werk und Richteramt, Baden-Baden 1995, S. 106; P. Unruh, Erinnerung an Gerhard Leibholz (1901 – 1982) – Staatsrechtler zwischen den Zeiten, AöR 126 (2001), S. 60 (68). Gustav Radbruch betrachtete aber das Problem als einen Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“ Vgl. G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 105 (107). Demgegenüber sah Leibholz das Problem darin, dass erkenntnistheoretisch nicht möglich sei, das Rechtsideal in allen Fällen zu ermitteln. Dies sei nämlich im Fall von Willkür negativ möglich. 215 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 87. 216 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 74, 82 f. 217 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 88 f. 218 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 91. 214

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gefundene Motivation, sondern auf den objektiven Bestand des Staatsaktes gelegt“. Er sagt: „Nicht auf die tatsächliche, sondern die objektiv erschließbare Motivation kann es ankommen.“219 Das Schuldelement schloss er dementsprechend ausdrücklich aus dem Willkürbegriff aus.220 Entfernte sich sein Willkürbegriff insofern vom Willkürbegriff des französischen „détournement de pouvoir“ und dem der Lehre des Ermessensmissbrauchs,221 näherte er sich andererseits dem Willkürbegriff der Rechtsprechung des PrOVG222 an, wobei er freilich vom Attribut „polizeilich“ absehen musste. Den Willkürbegriff umschrieb Leibholz eigentlich, um einen Inhalt für den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung zu gewinnen: Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes sei das Verbot von Willkür, und zwar auch seitens des Gesetzgebers. Seine These stützte er auf die Rechtsprechung aus der Schweiz bzw. aus den Vereinigten Staaten von Amerika, wo ein Willkürverbot schon gelte.223 Namentlich erwähnt er das in den Vereinigten Staaten angewandte „principle of reasonableness“.224 Und es war durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass das Willkürverbot Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG gefunden hat.225 b) Der Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG Leibholz wurde zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt und in dessen zweitem Senat wirkte er vom September 1951, als das Gericht mit seinen Arbeiten anfing, bis zum Jahr 1971. Leibholz prägte die Rechtsprechung des BVerfG unter anderen auch hinsichtlich des Art. 3 Abs. 1 GG.226 Schon in einer seiner ersten Entscheidungen, dem Südweststaat-Urteil vom 23 Oktober 1951, wandte der zweite Senat diejenige Formel an, die die Rechtsprechung des Gerichts zum allgemeinen Gleichheitssatz seitdem begleitet: die auf die Lehre Leibholz’ zurückzuführende Willkürformel, wonach der Gleichheitssatz verletzt ist, „wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender 219

Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 92 f. Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 95. 221 Zur Lehre von Rudolf von Laun s. o. B. III. 1. a). 222 S. o. B. III. 1. b). 223 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 77 ff. 224 Vgl. G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 81. 225 Zum Stand der Diskussion und der Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz in den letzten Jahren der Weimarer Republik vgl. G Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 521 ff. 226 Vgl. dazu D. Schefold, Geisteswissenschaften und Staatsrechtslehre zwischen Weimar und Bonn, in: K. Acham/K. W. Nörr/B. Schefold (Hrsg.), Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zwischen den 20er und 50er Jahren, Stuttgart 1998, S. 567 (586 ff.). 220

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss“.227 Auf die Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz ist noch an anderer Stelle tiefer einzugehen.228

IV. Ergebnis Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfasste die Polizeigewalt jede Tätigkeit, die der Schaffung oder Erhaltung des Zustands guter Ordnung im Gemeinwesen diente. In der gegenwärtigen Sprache heißt dies: die Verwaltung durfte ohne besondere gesetzliche Ermächtigung jede Tätigkeit aufnehmen, sei es eine Tätigkeit der Gefahrenabwehr, sei es eine Tätigkeit der Wohlfahrtspflege. Die Änderung dieses Szenarios leitete das ALR 1794 ein, dessen § 10 II 17 besagte: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ Wie es nur sein konnte, verwirklichte sich diese Bestimmung erst mit der Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: die Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts festigte das Verständnis, dass die polizeiliche Generalklausel des § 10 II 17 ALR die Wohlfahrtspflege nicht umfasste; die Wohlfahrtspflege wurde vom Polizeibegriff ausgeschlossen. Nachdem die Frage geklärt war, ob § 10 II 17 ALR auch zur Wohlfahrtspflege ermächtigen würde, stellte sich bald das Problem der unbestimmten Rechtsbegriffe: was lässt sich eigentlich unter einen unbestimmten Rechtsbegriff wie den der öffentlichen Ordnung subsumieren? Im Zusammenhang mit diesem Subsumtionsproblem, einem Problem der materiellen Bewertung der konkreten polizeilichen Maßnahmen,229 begann man, sich mit der Frage des freien Ermessens der Polizei zu beschäftigen. Dabei griff vor allem das PrOVG auf den Willkürbegriff zurück: die Polizei dürfe nicht willkürlich handeln, d. h., ihrer Tätigkeit müsse ein objektives polizeiliches Motiv zugrunde liegen. So entstand das Willkürverbot.

227

Vgl. BVerfGE 1, 14 (52). S. u. D. II. 229 Bewertung also in dem Sinne, dass man über die „Erwünschtheit/Unerwünschtheit“ entscheiden muss, eine Situation dem Prädikat, dem unbestimmten Begriff, zuzuordnen. Vgl. H.-J. Koch, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, in: ders. (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, Kronberg im Taunus 1976, S. 186 (213). Nicht als Subsumtionsfrage wird hier die Frage empirischer Daten aufgefasst. Die Subsumtion setzt empirische Daten voraus. Subsumtion wird im Sinne von Anwendung der abstrakten Norm auf den Einzelfall, seine empirische Daten vorausgesetzt, gemeint. So wird das Subsumtionsproblem ein Problem der Auslegung im weiteren Sinne. Damit soll nur die Behauptung, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe kein Subsumtions- sondern ein Auslegungsproblem sind – so Koch, S. 208 –, abgelehnt werden. 228

IV. Ergebnis

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Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat seine Wurzeln im preußischen Polizeirecht. Den Verhältnismäßigkeitsbegriff hat Otto Mayer 1895 in die juristische Welt eingebracht, und zwar mit der Bedeutung von Erforderlichkeit. Vom Verhältnismäßigkeitsbegriff hat das PrOVG zwar keinen Gebrauch gemacht, gleichwohl unternahm es in der Sache auf Grundlage des Worts „nöthig“ im § 10 II 17 ALR eine Erforderlichkeitsprüfung. Der Frage der Erforderlichkeit war das Subsumtionsproblem vorgelagert. Die Erforderlichkeit betraf die empirische „Tauglichkeit [des Mittels] für einen als gut vorausgesetzten Zweck“230. Wo noch allein das Einschreiten gegen den Verkauf und Ausschank von Bier und Branntwein ohne polizeiliche Genehmigung für einen guten Zweck gehalten wurde, fragte man sich, ob dies nicht durchführbar wäre, ohne dass der rechtmäßige Verkauf anderer Waren verboten werden müsste; wo allein die Sanierung einer schadhaften Treppe in einem Wohnhaus für einen guten Zweck gehalten wurde, fragte man sich, ob dies nicht durchführbar wäre, ohne dass das ganze Haus abgerissen werden musste.231 Mit dem preußischen PVG vom 1. Juni 1931 setzte mit der Verschiebung der Erforderlichkeitsprüfung in der Rechtsprechung des PrOVG die Verschiebung des Inhalts des Verhältnismäßigkeitsbegriffs ein. Der Verhältnismäßigkeitsbegriff stand nun für die materielle Bewertung des Mittels im Hinblick auf den Zweck, für die Angemessenheit also. Dabei ging es aber lediglich darum, ein krasses Missverhältnis des Mittels zum erstrebten Zweck auszuschließen. Dass in einen Verhältnismäßigkeitsbegriff, der auf das krasse Missverhältnis des Mittels zum erstrebten Zweck setzt, die Erforderlichkeit wiederum hineingestellt würde, war nur eine Frage der Zeit. Dazu trug Rupprecht von Krauss 1955 mit der ersten Abhandlung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überhaupt („Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner Bedeutung für die Notwendigkeit des Mittels im Verwaltungsrecht“) entscheidend bei: Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne heißt Erforderlichkeit (bzw. Geeignetheit) einerseits und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Ange230

Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung, S. 77. Nach diesem Muster kann im Übrigen eine Entscheidung der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG aus dem Jahr 2004 rekonstruiert werden. Dabei ging es um ein Wochenendhaus, das zwar ungenehmigt und nicht genehmigungsfähig ist, das aber kraft einer Amnestie aus dem Jahr 1967 erduldet wird. Das Gericht erkannte ein öffentliches Interesse an der Verhinderung von Funktionsverbesserungen am Haus. Aber ein darüber hinausgehendes öffentliches Interesse an der Hausbeseitigung, das den auf der Amnestie gegründeten Vertrauensschutz des Beschwerdeführers überwiegen würde, verneinte es. Und „Jedenfalls dann, wenn die Funktionsverbesserung auf einer geringfügigen baulichen Veränderung beruht, die sich leicht rückgängig machen läßt, kann dieses Interesse aber nur die Beseitigung der nachträglich vorgenommenen Veränderungen tragen, nicht jedoch den Abbruch des gesamten Hauses begründen.“ Wenn der als gut vorausgesetzte Zweck der Beseitigung der Funktionsverbesserung durchführbar ist, ohne dass das ganze Haus beseitigt werden muss, wenn also die Hausbeseitigung nicht erforderlich zur Beseitigung der Funktionsverbesserung ist, scheitert sie an der Erforderlichkeitsprüfung. Das BVerfG ist methodisch anders verfahren. Es bejahte die Erforderlichkeit der Hausbeseitigung, um erst danach im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zur richtigen Schlussfolgerung zu gelangen. Vgl. BVerfG, BRS 69 Nr. 190. 231

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B. Verhältnismäßigkeitsprinzip vs. Willkürverbot

messenheit) andererseits. So festigte sich der Verhältnismäßigkeitsbegriff im Verwaltungsrecht der Nachkriegszeit. Zusammenfassend: das Willkürverbot schränkte die Polizei ein bei deren Bewertung konkreter Maßnahmen im Lichte der unbestimmten Rechtsbegriffe, die die Aufgabe der Polizei umschrieben. Dabei durfte die Polizei zunächst frei werten (Stichwort: freies Ermessen). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hatte demgegenüber den Sinn einer Schranke der Zweck-Mittel-Relation. In seiner Dimension von Erforderlichkeit lief es auf eine empirische Analyse des Verhältnisses zweier schon bewerteter konkreter Maßnahmen zueinander (Mittel und Zweck) hinaus. Es hatte insofern einen formellen Charakter. Zum anderen, in seiner Dimension von Angemessenheit, betraf das Verhältnismäßigkeitsprinzip wiederum die materielle Bewertung des Mittels im Hinblick auf den Zweck. Dabei durfte die Polizei allerdings zunächst frei werten. So ähnelte das Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner Dimension von Angemessenheit zumindest in seiner Dichte dem Willkürverbot (Stichwort: krasses Missverhältnis). Den Willkürbegriff verwendete Gerhard Leibholz 1925 in einer Untersuchung zum Gleichheitssatz des Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung: Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes sei das Verbot von Willkür, das Verbot nämlich des Fehlens eines irgendwie vernünftigen Grundes auch für eine gesetzgeberische Maßnahme. Und nicht zuletzt durch seinen Einfluss übernahm das BVerfG schon 1951 die These Leibholz’ und seitdem unterliegen gesetzliche Differenzierungen bzw. Gleichbehandlungen dem Willkürverbot. Parallel dazu fand der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit den drei Elementen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG zu den Freiheitsrechten. Mit dem Apothekenurteil von 1958 begann seine verfassungsrechtliche Erfolgsgeschichte. Verhältnismäßigkeitsprinzip und Willkürverbot entstanden nicht als eine beliebige Erfindung von Rechtsprechung und Wissenschaft. Sie entstanden als Folge verschiedener Voraussetzungen und entsprachen ihren jeweiligen Voraussetzungen. Es wurde versucht, dies klarzustellen. Darüber hinaus wurde ihr Sprung ins Verfassungsrecht beschrieben. Allerdings bleibt noch unklar, ob und inwiefern sich der differenziertere bzw. voraussetzungsvollere Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dabei anpassen musste. Diese Frage muss erst einmal geklärt werden, bevor man der Frage nachgeht, ob zum allgemeinen Gleichheitssatz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder das Willkürverbot passt. Im Folgenden wird somit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, eine Schranke der Zweck-Mittel-Relation, in seiner Struktur auf der Ebene der Gesetzgebung analysiert.

C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips 1. Die innere Schranke der Zweck-Mittel-Relation a) Die Geeignetheit Die Geeignetheit ist das strukturell konstitutive Element einer Zweck-MittelRelation und insofern deren innere Schranke: da, wo es keine Geeignetheit gibt, gibt es auch keine Zweck-Mittel-Relation. Als die strukturelle Voraussetzung einer Zweck-Mittel-Relation hat die Geeignetheit einen „schwachen“1 Sinn: Mittel ist das vorangehende Ereignis, das das Eintreten des nachfolgenden Ereignisses „Zweck“ mehr oder weniger wahrscheinlicher macht. Anders gesagt: Mittel ist das vorangehende Ereignis, das die Erreichung des nachfolgenden Ereignisses „Zweck“ fördert.2 Von einer solchen Definition des im Verhältnismäßigkeitsprinzip enthaltenen Elements der Geeignetheit gehen Literatur3 und BVerfG4 konsequent aus.

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Vgl. L. Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, Baden-Baden 2001, S. 37. In Einklang mit dieser Konzeption von Geeignetheit steht das Plädoyer sowohl von Zivilals auch Strafrechtlern für einen weiten, nicht deterministischen, sondern probabilistischen Kausalitätsbegriff. Vgl. für das Zivilrecht G. Spindler, Kausalität im Zivil- und Wirtschaftsrecht, AcP 208 (2008), S. 283 (285 ff.); P. Gottwald, Kausalität und Zurechnung – Probleme und Entwicklungstendenzen des Haftungsrechts, Karlsruher Forum 1986, S. 3 (5 ff.). Für das Strafrecht vgl. die Hinweise von C. Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I: Grundlagen – Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Aufl., München 2006, § 11 Rn. 35 ff. Bei der ZweckMittel-Relation handelt es sich freilich nicht einfach um Kausalität, sondern um Kausalität zwischen Gewollten, um Teleologie. Vgl. O. Weinberger, Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 280 ff. 3 Vgl. nur B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 29. Aufl., Heidelberg 2013, Rn. 293; J. Ipsen, Staatsrecht II – Grundrechte, 16. Aufl., München 2013, Rn. 189 f.; D. Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in: HGR III, 2009, § 68 Rn. 65; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band III, Halbband 2, München 1994, S. 776 ff. 4 Wörtlich: „Ein Mittel ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.“ Vgl. BVerfGE 115, 276 (308); 103, 293 (307), jeweils m. w. N. 2

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

b) Die Grenzen der Geeignetheit Allein an der Geeignetheit orientiert handelt man aber praktisch frei.5 So kann man etwa seinen Zweck so weit und abstrakt wie möglich gestalten – und je abstrakter der Zweck, desto größer die Anzahl der Mittel, die die Erreichung des Zwecks auf irgendeine Weise fördern –; andererseits fördert jedes abstrakte Mittel stets die Erreichung irgendeines Zwecks.6 Gleichwohl kann die Zweck-Mittel-Relation aus sich heraus keine über die strukturelle Voraussetzung der Geeignetheit hinausgehende Anforderung stellen. Sie muss daher noch äußeren Schranken unterliegen.

2. Die äußeren Schranken der Zweck-Mittel-Relation a) Die formelle Schranke aa) Die Erforderlichkeit Anders als die Geeignetheit ist die Erforderlichkeit keine strukturelle Voraussetzung einer Zweck-Mittel-Relation. Die Forderung nach einem notwendigen Mittel kann nur die Forderung einer außerhalb der Zweck-Mittel-Relation liegenden Norm sein. Insofern ist die Forderung nach Erforderlichkeit eine äußere Schranke der Zweck-Mittel-Relation. Dabei wird der „Einschätzungs- und Prognosevorrang“ des Gesetzgebers betont. Vgl. ferner BVerfGE 125, 260 (317 f.). 5 Demgemäß hielt das BVerfG nur selten eine Maßnahme für Ungeeignet. Vgl. BVerfGE 17, 306 (315 ff.) – Mitfahrzentrale, 1964; 19, 330 (338 f.) – Sachkundennachweis im Einzelhandel, 1965; 55, 159 (165 ff.) – Falknerjagdschein, 1980; 65, 1 (64 f.) – Volkszählungsurteil, 1983. 6 Dies drückt sich etwa in der Diskussion aus, welcher Zweck der Verhältnismäßigkeitskontrolle zugrunde zu legen ist. So betonen E. Stein/G. Frank, Staatsrecht, 21. Aufl., Tübingen 2010, S. 244: „Soweit er [der Zweck] nicht genannt wird, ist die Maßnahme auf ihre Angemessenheit hin für jedes einzelne in Betracht kommende verfassungsgemäße Ziel zu beurteilen.“ R. Wernsmann, Wer bestimmt den Zweck einer grundrechtseinschränkenden Norm – BVerfG oder Gesetzgeber?, NVwZ 2000, S. 1360 ff., weist auf die zwei Extreme hin, inmitten deren sich die erwähnte Sicht befindet: das Außerachtlassen des bekannten subjektiven gesetzgeberischen Zwecks und die Forderung nach einem erkennbaren subjektiven gesetzgeberischen Zweck. Diese Positionen werden am Beispiel von Entscheidungen des BVerfG dargestellt: die erste habe die 2. Kammer des Ersten Senats in einer Entscheidung zur Altersgrenze von Vertragsärzten (BVerfG, NJW 1998, 1776) übernommen; die zweite sei die des Zweiten Senats, auf dessen Seite sich Wernsmann stellt. Für ein „Zweckverdeutlichungsgebot“ schon G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats: Verhältnismäßigkeitsgebot und Freiheitsschutz im leistenden Staatshandeln, Tübingen 1983, S. 290. Für die Möglichkeit des Abstellens auf objektive Zwecke dagegen W. Cremer, Rechtfertigung legislativer Eingriffe in Grundrechte des Grundgesetzes und Grundfreiheiten des EG-Vertrags nach Maßgabe objektiver Zwecke, NVwZ 2004, S. 668 (670 ff.).

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Erforderlichkeit heißt zunächst, dass das Mittel erforderlich nicht im Sinne einer conditio sine qua non sein muss,7 sondern in dem Sinne, dass es das mildeste, am wenigsten belastende ist. Man spricht insofern von „Geringsterforderlichkeit“8. Verfolgt man einen abstrakten Zweck, der durch verschiedene Mittel in verschiedenen Maßen gefördert werden kann, bedarf es einer Präzisierung: in Betracht kommen nur diejenigen Mittel, die gleich wirksam sind. Dementsprechend, so die Literatur9 und auch das BVerfG10, ist ein Mittel erforderlich, wenn der Zweck nicht durch ein gleich wirksames aber weniger belastendes, milderes Mittel gefördert werden kann.11 Dieses Erforderlichkeitsgebot ist zwar anders als die Geeignetheit keine strukturelle Voraussetzung der Zweck-MittelRelation; es ist aber ein Rationalitätsgebot. bb) Ihre Grenzen Bei der Erforderlichkeit soll es sich um ein formelles Rationalitätsgebot handeln,12 um ein Rationalitätsgebot also, das sich in einer empirischen Analyse erschöpft und insofern die materielle Bewertung des Mittels im Hinblick auf den Zweck verdrängt. Dies entspricht der Wirkungsweise der Erforderlichkeit in ihrem Ursprung.13 Für die Erforderlichkeitsprüfung war der Zweck nicht etwa die abstrakte Kategorie des öffentlichen Interesses, sondern eine dem öffentlichen Interesse bereits zugeordnete konkrete Maßnahme; Mittel für die Erforderlichkeitsprüfung war nicht etwa eine abstrakt-generelle Regelung, sondern eine konkrete Maßnahme, die ihrerseits bereits als Nebenfolge, eben als Mittel, klassifiziert worden war. Diese waren die Bedingungen einer Erforderlichkeitsprüfung, die sich in einer empirischen Analyse erschöpfen konnte.

7 So schon K. Friedrichs, Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931. Zweite neubearbeitete Auflage des Kommentars zum Polizeigesetz vom 11. März 1850, Berlin 1932, S. 96. 8 Vgl. M. Kloepfer, Verfassungsrecht II – Grundrechte, München 2010, § 51 Rn. 100. 9 Vgl. nur B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 295; J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 191 f.; D. Merten, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Rn. 66; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 318; K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 779. 10 Vgl. BVerfGE 121, 317 (354) m. w. N. Vgl. ferner BVerfGE 128, 1 (62); 115, 276 (309). 11 Nach K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 780, darf im Fall eines einzigen geeigneten Mittels „dieses nur dann eingesetzt werden, wenn es auch dem Erforderlichkeitskriterium entspricht“. Das ist missverständlich. Denn besteht nur ein einziges geeignetes Mittel, liegt Erforderlichkeit schon vor. So auch J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 191; M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – mit einer exemplarischen Darstellung seiner Geltung im Atomrecht, Köln 1985, S. 66. 12 Oder „bloß“ um „Zweckrationalität“. Vgl. R. Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte und das Übermaßverbot. Zur maßstabsetzenden Kraft der Grundrechte in der Übermaßprüfung, AöR 104 (1979), S. 414 (455). 13 S. o. B. II. 2. a); B. IV.

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

Auch auf einem hohen Abstraktionsniveau, d. h., auch dem abstrakte Zwecke verfolgenden und abstrakt-generelle Mittel einsetzenden Gesetzgeber gegenüber gilt das Erforderlichkeitsgebot. Der Satz, wonach zwischen gleich wirksamen Mitteln dasjenige auszuwählen ist, das am wenigsten Opfer abverlangt, kann kaum verworfen werden. Und dennoch: ob die so verstandene Erforderlichkeit praktisch gehandhabt werden kann, ist fraglich. Denn: je abstrakter der Zweck ist, desto größer wird die Anzahl der geeigneten Mittel überhaupt bzw. die Anzahl der gleich geeigneten Mittel,14 d. h., desto unbrauchbarer wird das Eingrenzungskriterium der gleichen Wirksamkeit.15 Mit einem abstrakten Mittel können auch verschiedene Zwecke verfolgt werden bzw. werden verschiedene Nebenfolgen verursacht. Welche Zwecke wären der Erforderlichkeitsprüfung zugrunde zu legen?16 Bei der Frage, welches Mittel am wenigsten Opfer abverlangt, wer soll berücksichtigt werden? Die Allgemeinheit, der Einzelne, welcher Einzelne?17 Die Bewertung eines Zwecks als legitim und die Bewertung eines Mittels als erlaubt scheinen insofern nicht immer die Bedingungen für eine Erforderlichkeitsprüfung zu schaffen, die sich in einer empirischen Analyse erschöpft. In Hinblick darauf schlägt man vor, dass bei der Prüfung der Erforderlichkeit von generellen Regelungen nicht der Einzelfall, sondern der „Durchschnitt der Anwendungsfälle“18 berücksichtigt werden soll.19 Dass generelle Regelungen eben generalisieren, soll nicht zu dem Schluss verleiten, dass bei der Erforderlichkeitsprüfung vom Einzellfall abgesehen werden soll. Und dies schon aus prozessrechtlichen Gründen. Die im Art. 19 Abs. 1 GG enthaltene Garantie des Rechtswegs sowie die Verfassungsbeschwerde des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG dienen an erster Stelle dem individuellen Rechtsschutz.20 Das hat Konsequenzen auch für die Er14 Vgl. P. Lerche, Übermass und Verfassungsrecht. Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, 2. Aufl., Goldbach 1999, S. 20. 15 Den Gesetzgeber daran zu hindern, abstrakte Zwecke zu verfolgen, wäre eine Verkennung der Komplexität des politischen Lebens, ja der Rationalität des politischen Systems. Vgl. C. Engel, Das legitime Ziel als Element des Übermaßverbots. Gemeinwohl als Frage der Verfassungsdogmatik, in: W. Brugger/S. Kirste/M. Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, Baden-Baden 2002, S. 103 (161 ff.). Vgl. ferner L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Göttingen 1981, S. 169. Es wäre eine Verkennung der Natur der Gesetzgebung überhaupt. So aber L. Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 32. 16 S. o. Fn. 6. 17 Dieses Problem ist weitgehend anerkannt. Vgl. nur R. Alexy, Theorie der Grundrechte, Baden-Baden 1985, S. 101 insb. Anm. 86; L. Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 86; M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 67 f.; L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 66 ff. 18 Vgl. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 66. 19 Ihm folgend L. Clérico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 93 ff. 20 Zur darüber hinausgehenden Bedeutung der Verfassungsbeschwerde in der Rechtsprechung des BVerfG als ein „Rechtsschutzmittel des objektiven Verfassungsrechts“ vgl. K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen. Ein Studienbuch, 9. Aufl., München 2012, Rn. 205.

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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forderlichkeitsprüfung: es muss sich um eine Erforderlichkeit im konkreten Fall handeln.21 Somit bleibt die Frage offen: was sagt die Erforderlichkeit im Fall eines alternativen Mittels, das zwar für den einzelnen Kläger milder ist, das jedoch Nachteile für die Allgemeinheit oder Dritte mit sich bringt? Einen Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu geben, stellt die Deutung der Erforderlichkeit nach dem Pareto-Kriterium dar: ein Mittel ist erforderlich, wenn die Besserstellung des einzelnen Klägers nicht ohne die Schlechterstellung eines Anderen (der Allgemeinheit oder eines Dritten) erreicht werden kann.22 Damit behält die Erforderlichkeit zumindest theoretisch die für sie gedachte Funktion eines formellen Prüfungsmaßstabs. Dennoch bleibt sie praktisch bedeutungslos. Denn die Erforderlichkeit stellt keine Lösung in solchen Situationen bereit, in denen die Besserstellung des Einen nur mit der Schlechterstellung eines Anderen erkauft werden kann.23 Hinzu kommt: kann der Prüfer objektiv, d. h., ohne eigene Bewertungen aufklären, ob der Wechsel des Mittels Verschlechterungen bewirkt? Dass er jedenfalls auf Bewertungen des einzelnen Klägers hinsichtlich dessen angewiesen ist, was ein milderes Mittel für ihn, den Kläger, darstellt, ist nicht problematisch. Denn die Bewertung des einzelnen Klägers impliziert nicht Bewertungen des Prüfers im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung.24 Was ist aber mit betroffenen einzelnen Dritten oder mit der Allgemeinheit? Sollten alle die Chance bekommen, sich im Verfahren zu äußern? Es liegt die Vermutung nahe, dass hier die Bewertungen des Gesetzgebers durch diejenigen des Richters ersetzt werden. Auch deswegen ist das Pareto-Kriterium zwar abstrakt kaum abzulehnen, konkret aber wenig ergiebig.25 Eine Alternative dafür bietet Rainer Dechsling an, indem er auf ein „modifiziertes Kaldor-Hicks-Kriterium“ setzt. Dechsling geht von der Unterscheidung zwischen „selbständigen“ und „unselbständigen“ Zwecken aus. Selbständige Zwecke seien

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So auch M. Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 72. Grundlegend B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, Berlin 1976, S. 181 f. Vgl. ferner ders., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht. Band 2: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Tübingen 2001, S. 445 (457); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 149 Anm. 222. 23 Vgl. B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 457. Und es lässt sich zweifeln, ob es möglich ist, dass eine alternative Maßnahme in allen denkbaren Hinsichten überhaupt keinen Nachteil mit sich bringt. Vgl. R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot: eine Bestandaufnahme der Literatur zur Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns, München 1989, S. 53. 24 Vgl. B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 456. 25 Eine ähnliche Formel, deren Plausibilität durch ihre Abstraktheit erkauft wird, bietet M. Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, NJW 1968, S. 1600 (1604) an: „Erst wenn die Betrachtung aller Nebenwirkungen ergibt, daß die Nachteile der getroffenen Maßnahme größer sind als die Nachteile einer anderen, kann die Erforderlichkeit der gewählten Regelung verneint werden.“ 22

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

diejenigen, die an sich vorteilhaft sind.26 Die Forderung der Erforderlichkeit nach gleicher Wirksamkeit beziehe sich auf die selbständigen Zwecke. Demgegenüber seien die unselbständigen Zwecke einer Kompensation zugänglich. Mit Rückgriff auf das Kaldor-Hicks-Kriterium vertritt er den Standpunkt, „daß eine Entscheidung, durch die mindestens eine Person benachteiligt wird, genau dann durchgeführt werden soll, wenn es möglich ist, aus dem Gewinn der Begünstigten die Benachteiligten zu entschädigen“ – „unter Konservierung der selbständigen Zwecke“, was eine Modifikation des Kaldor-Hicks-Kriteriums darstelle. Dabei heiße „Kompensation“, dass „die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen gegeneinander abzuwägen sind“.27 Damit betritt man aber den Bereich der Angemessenheitsprüfung (Stichwort: Abwägung). Die Quelle der an dieser Stelle genannten Probleme um die Erforderlichkeit herum scheint aus alledem verzeichnet zu sein: ihre Platzierung auf einer allzu abstrakten Ebene. Sie verbindet sich zwar gut mit der Prüfung des polizeilichen Ermessens im Einzelfall aber nur schlecht mit einer ihr vorausgehenden Prüfung der Legitimität des abstrakten gesetzgeberischen Zwecks bzw. der Erlaubtheit des Mittels des abstrakt-generellen Gesetzes.28 Letztendlich muss dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Prognosespielraum bei der Einschätzung der Erforderlichkeit eingeräumt werden.29 Weist die formelle Schranke der Erforderlichkeit dem abstrakte Zwecke verfolgenden und abstrakt-generelle Mittel einsetzenden Gesetzgeber gegenüber Unzulänglichkeiten auf, gewinnen wiederum diejenigen Schranken an Bedeutung, die bei der materiellen Bewertung des Mittels im Hinblick auf den Zweck greifen. Dies sind die materiellen Schranken der Zweck-Mittel-Relation. b) Die materiellen Schranken aa) Die Grenzen der Abwägung An Bedeutung gewinnt indes die Abwägungsthese. Robert Alexy hat einen anspruchsvollen Versuch unternommen, die Struktur der Methode der Abwägung in der 26 In seinen Worten: „Der Zweck eines staatlichen Akts ist genau dann selbständig, wenn er auch ohne Vergleich mit einer Entscheidungsalternative als Vorteil erscheint.“ Vgl. R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 54. 27 Vgl. R. Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 68. 28 Skeptisch gegenüber der Übertragung der Erforderlichkeitsprüfung von der Kontrolle der Polizei auf die Kontrolle des Gesetzgebers schon E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., München 1971, S. 138. 29 Vgl. nur BVerfGE 128, 1 (62); 121, 317 (354), jeweils m. w. N. Vgl. ferner H. Schneider, Zur Verhältnismässigkeits-Kontrolle insbesondere bei Gesetzen, in: C. Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts. Zweiter Band: Verfassungsauslegung, Tübingen 1976, S. 390 (396 f.).

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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juristischen Argumentation darzustellen. Ausgangspunkt sei ein „materielles Abwägungsgesetz“, wonach „je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“.30 Demgemäß bestehe die Abwägung aus drei Schritten: der Feststellung des Grads der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips31; der Feststellung der Wichtigkeit der Erfüllung des anderen; und schließlich der Feststellung, ob die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen Prinzips die Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen rechtfertigt.32 Unter der Voraussetzung, dass „rationale Urteile über Eingriffsintensitäten und Wichtigkeitsgrade möglich sind“, sei das Ergebnis der Abwägung „offensichtlich“. In seinen Worten: „Steht … die Eingriffsintensität als leicht und der Grad der Wichtigkeit des Eingriffsgrundes als hoch fest, so ist das Ergebnis der Abwägung … ,offensichtlich‘“.33 Der Einstufung des Grads der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips bzw. der Wichtigkeit der Erfüllung des anderen legt er eine triadische Skala zugrunde. Diese wird wörtlich durch die Ausdrücke „leicht“, „mittel“ und „schwer“ repräsentiert.34 Dabei handele es sich um „konkrete Größe“, nicht um das abstrakte Gewicht der Prinzipien.35 Des Weiteren versucht Alexy seine Überlegungen in einer mathematischen Formel zusammenzufassen. Numerisch wird die triadische Skala als eine geometrische Folge repräsentiert: 28, 21 bzw. 22, d. h., 1, 2 bzw. 4. Dadurch werde dem Gesetz der abnehmenden Grenzrate der Substitution36 entsprochen. Die „Gewichtsformel“ in ihrer einfachsten Form bestehe schließlich in der Division der Eingriffsintensität durch den Wichtigkeitsgrad. Dementsprechend stellt der über 1 fallende Quotient dar, dass das Prinzip überwiegt, für welches der Zähler steht; der unter 1 fallende Quotient stellt dar, dass das Prinzip überwiegt, für welches der Nenner steht; der gleich 1 fallende Quotient stellt dar, dass beide Prinzipien gleichgewichtig sind.37

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Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 146. „Prinzipien sind … Optimierungsgebote. Als solche verlangen sie, ,daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und die tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maß realisiert wird‘.“ Vgl. R. Alexy, Grundrechte und Verhältnismäßigkeit, in: U. Schliesky/C. Ernst/S. E. Schulz (Hrsg.), Die Freiheit des Menschen in Kommune, Staat und Europa. Festschrift für Edzard Schmidt-Jortzig, Heidelberg 2011, S. 3 (Hervorhebung im Original). Zu seiner „Prinzipientheorie“ vgl. ders., Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 32 Vgl. R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), S. 7 (19 f.). 33 Vgl. R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 20. 34 Vgl. R. Alexy, Die Gewichtsformel, in: J. Jickeli/P. Kreutz/D. Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, Berlin 2003, S. 771 (777). 35 Vgl. R. Alexy, Die Gewichtsformel, S. 778. 36 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 147. 37 Vgl. R. Alexy, Die Gewichtsformel, S. 785 f. 31

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

Die Methode der Abwägung sieht sich verschiedenen Einwänden ausgesetzt,38 die zum Teil erst in der Kombination der Abwägung mit der alexyschen Prinzipientheorie durchschlagen. So führe die Abwägung der Prinzipientheorie zu einem Leerlaufen der Grundrechte.39 Kritisieren kann man auch die Tendenz zur Missachtung der herkömmlichen Interpretationsmethoden,40 die Tendenz, dass alles zu einer Frage der Abwägung wird;41 kritisieren kann man also die unkontrollierte Inanspruchnahme der Abwägung,42 ihren Gebrauch als eine „grundrechtsmethodische und grundrechtsdogmatische Passepartoutformel“43. Die Abwägung im Kontext der Grundrechte bereitet Schwierigkeiten, weil die „Masse“ eines Grundrechts, seine Wichtigkeit oder sein „Gewicht“, anders als die Masse eines Körpers, keine absolute Größe ist. Damit zwei Grundrechte auf die Waage gelegt werden können, muss man ihnen zunächst überhaupt ein Gewicht an sich zuschreiben. So fragt sich zunächst, ob das GG Maßstäbe für die Gewichtszuschreibung liefert. Jede Jagd nach solchen Maßstäben muss die Hürde überwinden, dass sie in einer funktionellen Interpretation der Grundrechte44 enden würde. Man mag ohnedies vertreten, dass das Gewicht eines Grundrechts von seiner Bedeutung etwa für die Demokratie abhängt.45 Ob die Eingriffsintensität bzw. der Wichtigkeitsgrad dann als leicht, mittel oder schwer einzustufen ist, hängt danach davon ab, inwiefern die Demokratie betroffen wird. Bemerkenswert ist an dieser Stelle nur, dass, wenn das GG solche Maßstäbe liefert, es zweifelhaft wird, ob es noch irgendeinen Sinn hat, zwischen Subsumtion und Abwägung zu unterscheiden. Denn letztlich würde der 38 Zu einem Überblick über die Kritiken aus der internationalen Diskussion vgl. M. Klatt/ M. Meister, Verhältnismässigkeit als universelles Verfassungsprinzip, Der Staat 2012, S. 159 ff. Klatt und Meister setzen, wohlgemerkt, Verhältnismäßigkeit und Abwägung gleich und interpretieren die Einwände gegen die Abwägung als Einwände gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dementsprechend betrachten sie ihre Verteidigung der Abwägung als eine Verteidigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. 39 Problematisch ist jedenfalls, dass sie zu einem Leerlaufen der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG führt. Näher dazu s. u. C. II. 3. 40 So etwa B. Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt. Eine veränderte Perspektive auf die Grundrechtsdogmatik durch eine präzise Schutzbereichsbestimmung, Tübingen 2009, S. 160 ff. 41 Mahnend schon F. Müller, Normstruktur und Normativität. Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit in der juristischen Hermeneutik, entwickelt an Fragen der Verfassungsinterpretation, Berlin 1966, S. 209: „Die Abwägung verschiedener Gesichtspunkte der Normkonkretisierung darf die Anstrengung der Interpretation nicht ersetzen. Sie setzt sie voraus.“ 42 Die sogar zur „Erzeugung von Spannungslagen“ führe. Vgl. F. Ossenbühl, Abwägung im Verfassungsrecht, DVBl. 1995, S. 904 (907 f.). 43 Vgl. M. Jestaedt, Die Abwägungslehre – ihre Stärken und ihre Schwächen, in: O. Depenheuer/M. Heintzen/M. Jestaedt/P. Axer (Hrsg.), Staat im Wort. Festschrift für Josef Isensee, Heidelberg 2007, S. 253 (260). 44 Kritisch dazu C. Möllers, Wandel der Grundrechtsjudikatur. Eine Analyse der Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG, NJW 2005, S. 1973 (1976 f.). 45 Vgl. O. Lepsius, Rechtswissenschaft in der Demokratie, Der Staat 2013, S. 157 (183 f.).

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Maßstab als eine Metanorm zur Lösung der Grundrechtskollision fungieren. Es würde sich insofern um einen Fall einer „Metasubsumtion“ handeln.46 Die Methode der Abwägung ist insbesondere dann naheliegend, wenn das GG eben keinen Maßstab für die Gewichtszuschreibung liefert.47 Aber dann zieht sie die Kritik nach sich, „subjektiv und dezisionistisch“48 zu sein. Den Vorwurf des Subjektivismus und Dezisionismus versucht Alexy zunächst dadurch auszuräumen, dass er die Möglichkeit von rationalen Urteilen über Eingriffsintensitäten und Wichtigkeitsgrade betont. Gegen die Möglichkeit eines rationalen Urteils über die Intensität eines Eingriffs in ein Grundrecht ist in der Tat nichts einzuwenden – auch nicht, dass die Einstufung der Eingriffsintensität nach einer Kardinalskala unmöglich ist49. Dabei handelt es sich allerdings um ein Urteil, das sich an einem verfassungsrechtlichen Maßstab orientiert, und zwar, an ein und demselben in Frage stehenden Grundrecht.50 Dass die Verpflichtung zu Warnhinweisen auf Packungen von Tabakerzeugnissen ein leichterer Eingriff relativ zum Verbot des Vertriebs solcher Erzeugnisse ist,51 ist ein Urteil allein am Maßstab der Berufsfreiheit. Damit ist aber nichts über das Gewicht des Grundrechts an sich gesagt. Um mit einer einfachen Metapher zu sprechen: um zu wissen, dass eine Bleikugel in Bezug auf zwei Bleikugeln leichter ist, braucht man ihre jeweiligen Massen nicht zu kennen – und um zu wissen, ob eine Bleikugel in Bezug auf eine Goldkugel leicht oder schwer ist, muss man ihre jeweiligen Massen kennen. Was die These Alexys und seine Gewichtsformel hinfällig macht, ist, dass er auf Eingriffsintensitäten bzw. Wichtigkeitsgrade setzt, die zwar rational eingestuft werden, aus denen aber eine Entscheidung doch nicht „offensichtlich“ folgen kann. Daraus, dass eine Bleikugel leichter in Bezug auf zwei Bleikugeln ist, möchte er schließen, dass eine Bleikugel leichter in Bezug auf zwei Goldkugeln ist.52 Das ist 46 Vgl. R. Alexy, On Balancing and Subsumption. A Structural Comparison, Ratio Juris 2003, S. 433 (434). 47 Vgl. J.-R. Sieckmann, Zur Begründung von Abwägungsurteilen, Rechtstheorie 1995, S. 45 (68). 48 Vgl. B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 460. Vgl. ferner C. Hillgruber, Grundrechtsschranken, in: HStR IX, 32011, § 201 Rn. 80: „subjektiv, voluntativ und dezisionistisch“. Ähnlich J. Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 5. Aufl., Frankfurt am Main 1997, S. 315 f.; ders., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main 1996, S. 369; ders., Reply to Symposium Participants, Benjamin N. Cardozo School of Law, Cardozo Law Review 17 (1995 – 1996), S. 1477 (1531 f.). 49 Vgl. R. Alexy, Die Gewichtsformel, S. 783. 50 Mehr dazu s. u. C. I. 2. b) bb). 51 Vgl. R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 20, mit Referenz auf BVerfGE 95, 173 – Warnhinweise auf Packungen von Tabakerzeugnissen, 1997. 52 Die von Florian Windisch auf Grundlage der Strukturierenden Rechtslehre entwickelte Methodik der „Gewichts-, genauer: Wertzumessung“ löst dieses Problem nicht. Sie macht die Abwägung nicht zu einer „logischen Trivialität“. Vgl. F. Windisch, „Abwägung“ als Relationsnorm-Konstruktion. Konstruktive Überlegungen zur Abwägung im Kontext der Struktu-

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

keine neue Entdeckung, sondern wird seit langem unter der Rubrik der Inkommensurabilität oder Unvergleichbarkeit diskutiert.53 So kehrt man zu der Frage zurück: liefert das GG Maßstäbe für die Gewichtszuschreibung? Wenn ja, verliert die Methode der Abwägung ihre Berechtigung gegenüber der guten alten Subsumtion; wenn nicht, stößt die Abwägung an die Grenzen des Subjektivismus und Dezisionismus. Letztlich versucht Alexy sein Modell mit dem allgemeinen Hinweis darauf zu retten, dass die Gewichtszuschreibung „vom Standpunkt des Verfassungsrechts aus“54 zu erfolgen hat. Und so schließt sich der Kreis: was mit dem Fehlen eines Maßstabs angefangen hat, endet mit der Existenz eines solchen. Es soll dabei bleiben: gerade wegen des Fehlens und nur beim Fehlen eines Maßstabs für die Gewichtszuschreibung bei gleichzeitiger Möglichkeit der Einstufung der Eingriffsintensität bzw. des Wichtigkeitsgrades hat das materielle Abwägungsgesetz seine Berechtigung: „je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“. Der subjektive und dezisionistische Charakter der Abwägung ist aber damit nicht aus der Welt geschafft. Daher verdient der erste Halbsatz dieses Gesetzes, der eine Pol der Abwägung, besondere Beachtung und eine Präzisierung: es geht um eine absolute Eingriffsintensität. bb) Die absolute Eingriffsintensität Umstritten in der deutschen Grundrechtsdogmatik ist die Frage der Schutzbereichsbestimmung, d. h., ob man von einem engen oder weiten Schutzbereich ausgehen soll.55 Diese Diskussion berührt aber nicht ein Charakteristikum mancher rierenden Rechtslehre, in: F. Müller/P. Mastronardi (Hrsg.), „Abwägung“. Herausforderung für eine Theorie der Praxis, Berlin 2014, S. 19 (51) (Hervorhebungen im Original); zu seiner Methodik der Wertzumessung vgl. S. 54 ff. Vgl. ferner ders., „Abwägung“: total, formal oder strukturiert? Ansätze einer Methodik rechtsgebundener Wertzumessung, Rechtstheorie 44 (2013), S. 61 (88 f. bzw. 92 ff.). 53 Grundlegend T. A. Aleinikoff, Constitutional Law in the Age of Balancing, The Yale Law Journal 96 (1987), S. 943 (972 ff.). Aus der deutschen Literatur vgl. W. Leisner, Der Abwägungsstaat. Verhältnismäßigkeit als Gerechtigkeit?, Berlin 1997, S. 72 ff. 54 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 271 (Hervorhebung im Original). Vgl. ferner ders., On Balancing and Subsumption, S. 442; ders., Grundrechte und Verhältnismäßigkeit, S. 15 Anm. 60. 55 Für eine Verengung des Schutzbereichs aus jeweils verschiedenen Voraussetzungen etwa E.-W. Böckenförde, Schutzbereich, Eingriff, verfassungsimmanente Schranke. Zur Kritik gegenwärtiger Grundrechtsdogmatik, Der Staat 2003, S. 165 (174 ff.); W. Hoffmann-Riem, Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte?, in: M. Bäuerle/A. Hanebeck/C. Hausotter et al. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit. Beiträge zum Kolloquium anlässlich des 60. Geburtstags von Brun-Otto Bryde, Baden-Baden 2004, S. 53 (71 ff.); ders., Grundrechtsanwendung unter Rationalitätsanspruch. Eine Erwiderung auf Kahls Kritik an neueren Ansätzen in der Grundrechtsdogmatik, Der Staat 2004, S. 203 (226 ff.). Kritisch dazu eben W. Kahl, Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewähr-

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Grundrechtsgüter: ihre Offenheit zu Abstufungen. Man kann Zweifel haben, ob ein religiös zwar motiviertes aber nicht gebotenes Verhalten, Bräuche etwa, den Schutz von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG genießt.56 Konsens dürfte aber darüber bestehen, dass das Verbot eines solchen Verhaltens immerhin ein leichterer Eingriff in die Religionsfreiheit wäre.57 Man kann darüber streiten, ob die Inanspruchnahme fremden Eigentums in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 GG fällt.58 Auch hier dürfte aber ein Konsens bestehen, dass das Verbot der Inanspruchnahme fremden Eigentums ohnehin einen leichteren Eingriff in die Kunstfreiheit darstellen würde. Denn es „kann sich Kunst auch ohne Beschädigung fremden Eigentums entfalten“.59 Gleiches gilt im Beispielfall des Malens auf Straßenkreuzungen.60 Es ist sogar schwer den Eindruck einzudämmen, dass die Intensität der Beeinträchtigung des Grundrechts-

leistungsgehalt. Kritik einer neuen Richtung der deutschen Grundrechtsdogmatik, Der Staat 2004, S. 167 (184 ff.); ders., Neuere Entwicklungslinien der Grundrechtsdogmatik. Von Modifikationen und Erosionen des grundrechtlichen Freiheitsparadigmas, AöR 131 (2006), S. 579 (610 f.). Zu einem Überblick über die Diskussion in der Literatur sowie über die dafür Anlass gebende Rechtsprechung des Ersten Senats des BVerfG vgl. ferner D. Murswiek, Grundrechtsdogmatik am Wendepunkt?, Der Staat 2006, S. 473 (479 ff.). 56 Dagegen: B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 556 f.; ihnen folgend und klar auf die „offiziellen Lehren der Religionsgemeinschaft“ gegenüber „einer individuellen Glaubensüberzeugung“ abstellend K. Fischer/T. Groß, Die Schrankendogmatik der Religionsfreiheit, DÖV 2003, S. 932 (938 f.); den Begriff der Religionsgemeinschaft bei der Auslegung von § 4a Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 TierSchG relativierend BVerwGE 127, 183 (185 f.) – Schächten, 2006 – und BVerfGE 104, 337 (353 ff.) – Schächten, 2001, wobei die Einschlägigkeit von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht klargestellt wird. Dafür und auf der individuellen Überzeugung abstellend L. Michael/M. Morlok, Grundrechte, 3. Aufl., Baden-Baden 2012, Rn. 195, die über das durch eine „innere Handlungspflicht“ ausgelöste Handeln hinaus auch Bräuche, „die keine strengen religiösen Gebote darstellen“, geschützt sehen. Diese Unterscheidung zwischen „der wesentlich ,geistigen‘ Freiheit des Art. 4 Abs. 1 GG“ (Rn. 194) und der Bekenntnisfreiheit zuzuordnenden Handlungen wird auf der Rechtfertigungsebene Konsequenzen haben, s. dazu auch untere Fn. 57 Vgl. H. M. Heinig/M. Morlok, Von Schafen und Kopftüchern. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Deutschland vor den Herausforderungen religiöser Pluralisierung, JZ 2003, S. 777 (782). 58 Dagegen: BVerfG NJW 1984, 1293 (1294) – Sprayer von Zürich. Dieser Entscheidung zustimmend: B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 665; kritisch demgegenüber M. Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 62 Rn. 13; A. von Arnauld, Freiheit der Kunst, in: HStR VII, 32009, § 167 Rn. 44. 59 Vgl. BVerfG NJW 1984, 1293 (1294). 60 Zu diesem Beispiel vgl. F. Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, Berlin 1969, S. 56 f., 124, der das Malen auf Straßenkreuzungen aus dem Normbereich ausschließt. Zum „Normbereich“, den er dem „Normprogramm“ gegenüberstellt, beide zur Konstitution der „Rechtsnorm“ zusammenfügt, vgl. F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik. Band I: Grundlegung für die Arbeitsmethoden der Rechtspraxis, 11. Aufl., Berlin 2013, Rn. 230 ff. Das Malen auf Straßenkreuzungen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fallend sieht A. von Arnauld, Freiheit der Kunst, Rn. 43.

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

guts irgendeine Rolle schon bei der Bestimmung gerade eines engen Schutzbereichs spielt.61 Jedenfalls auf der Rechtfertigungsebene greift das BVerfG durchaus auf Abstufungen der Eingriffsintensität zurück. Das klassische Beispiel ist die für die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG entwickelte Stufentheorie im Apothekenurteil aus dem Jahr 1958. Dabei unterscheidet das BVerfG nach aufsteigender Eingriffsintensität zwischen Berufsausübungsregelungen und die Berufswahlfreiheit betreffenden subjektiven und objektiven Zulassungsvoraussetzungen.62 Dass schon Berufsausübungsregelungen schwerwiegende Folgen haben können,63 d. h., dass sie von ihren Wirkungen her objektiven Zulassungsvoraussetzungen gleichkommen können,64 ist nicht zu bestreiten. Das ist einer der Gründe, die die Literatur zur Kritik an die Stufentheorie veranlassen.65 Die formelle Zuordnung zu Berufsausübungsregelungen, subjektiven oder objektiven Zulassungsvoraussetzungen kann nichts Anderes als „ein erstes Indiz für die Intensität des Eingriffs“ sein; aus ihr folgt nicht die Bestimmung der Eingriffsintensität. Maßgebend sind die tatsächlichen Wirkungen des Eingriffs.66 Insofern kann die Stufentheorie für ein „Grobraster“67 oder eine „Faustformel“68 gehalten werden. Wichtig ist: bei aller berechtigter Kritik an der formellen Stufentheorie wird auf die Kategorie der Eingriffsintensität nicht verzichtet.69 Ein weiteres Beispiel kann ein Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht liefern. Aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schließt das BVerfG auf die Existenz eines unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung, in den überhaupt nicht eingegriffen werden darf; „eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt“.70 Von dieser unantastbaren Intimsphäre wird eine Privatsphäre unterschieden, in die „unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots“ eingegriffen werden darf.71 Schließlich wird eine vom Kernbereich der Intimsphäre noch weiter entfernte Sozialsphäre anerkannt. Diese 61

(267). 62

Dies versucht U. Volkmann, Veränderungen der Grundrechtsdogmatik, JZ 2005, S. 261

BVerfGE 7, 377. Dazu s. o. B. II. 2. b). Vgl. BVerfGE 121, 317 (345, 363 ff.) – Rauchverbot in Gaststätten, 2008. 64 So schon BVerfGE 11, 30 (42 ff.) – Kassenarzturteil, 1960. 65 Dazu J. Wieland, in: Dreier, GG-Kommentar I, 2. Aufl. 2004, Art. 12 Rn. 112 ff. 66 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar I, 6. Aufl. 2010, Art. 12 Rn. 143. 67 Vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar I, 6. Aufl. 2010, Art. 12 Rn. 144. 68 Vgl. R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 22 Anm. 87. 69 Auf den Punkt bringend R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 22 Anm. 87. 70 Vgl. BVerfGE 80, 367 (373 f.) – Tagebuch, 1989. Aus der neueren Rechtsprechung vgl. etwa BVerfGE 120, 274 (335) – „Computergrundrecht“, 2008. 71 Vgl. BVerfGE 120, 224 (239) – Geschwisterinzest, 2008. 63

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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sog. „Sphärentheorie“72 wird zum einen wegen ihrer Annahme kritisiert, es gebe eine einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips entzogene Intimsphäre.73 Dieser Einwand bezieht sich aber auf das Moment der Lösung von Kollisionsproblemen; gegen die Möglichkeit einer Abstufung der Eingriffsintensität spricht sie nicht. Ähnlich wie die Stufentheorie wird die Sphärentheorie zum anderem deswegen kritisiert, weil die formelle Zuordnung zu einer der drei Sphären die Eingriffsintensität nicht impliziert: ein Eingriff etwa in die Sozialsphäre kann von seiner Intensität her einem in die Intimsphäre gleichkommen.74 So kann auch die Sphärentheorie lediglich als „Groborientierung“75 dienen oder in den Wörtern des BVerfG: „Die unterschiedlichen Dimensionen des Persönlichkeitsrechts sind nicht im Sinne einer schematischen Stufenordnung zu verstehen, wohl aber als Anhaltspunkte für die Intensität der Beeinträchtigung“.76 Ob die Eingriffsintensität einer Maßnahme deren formeller Zuordnung zu einer der drei Sphären nicht immer entspricht, gilt immerhin auch hier: die Kategorie der Eingriffsintensität bleibt maßgebend. Schließlich sei ein Blick auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG geworfen. Einerseits nimmt das BVerfG schon in der Mephisto-Entscheidung aus dem Jahr 1971 an, dass der Werk- („die künstlerische Betätigung“) und der Wirkbereich („die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks“) „in gleicher Weise“ durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt werden.77 Andererseits erkennt es an, dass es „den Wertvorstellungen des Verfassungsgebers [entspricht], den Werkbereich, die eigentliche Kunstschöpfung, grundsätzlich für weniger einschränkbar zu halten als die ebenfalls notwendige Kommunikation zwischen dem Künstler und der Außenwelt“ (den Wirkbereich). Es fügt noch hinzu: „staatliche Eingriffe [sind] um so weniger zuzulassen, je näher die umstrittene Handlung dem Kern der Kunstfreiheit zuzuordnen ist und je mehr sie sich im Bereich des Schaffens abspielt.“ Doch gegen eine formelle Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich, aus der sich die Eingriffsintensität erschließen lässt, erhebt das BVerfG selbst einige schon aus der Stufen- und Sphärentheorie bekannte Einwände: nicht immer lassen sich Werk- und Wirkbereich klar voneinander trennen, nicht immer hat der Wirkbereich eine nur nebensächliche Bedeutung. Letztendlich gelte „nur eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Kunstfreiheit im Werkbereich eher Vorrang genießt als im Wirkbe-

72 Kurz dazu F. Hufen, Schutz der Persönlichkeit und Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht. Band 2: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Tübingen 2001, S. 105 (107). 73 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 327 ff. Darin kommt eine relative Theorie der Wesengehaltsgarantie von Art. 19 Abs. 2 GG zum Ausdruck. Näher dazu s. u. C. II. 3. 74 Vgl. H. Kube, Persönlichkeitsrecht, in: HStR VII, 32009, § 148 Rn. 87. 75 Vgl. H. Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 2 I Rn. 93. 76 Vgl. BVerfGE 119, 1 (30) – „Esra“, 2007. 77 Vgl. BVerfGE 30, 173 (189). So auch BVerfGE 119, 1 (21 f.).

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

reich“; eine Würdigung des Einzelfalls sei unentbehrlich.78 Auch wenn sich aus der formellen Zuordnung zum Werk- oder Wirkbereich, soweit eine solche möglich ist, lediglich eine Vermutung für die Eingriffsintensität ergibt: von der Kategorie der Eingriffsintensität wird nicht abgesehen. All diese Beispiele – Stufentheorie im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG, Sphärentheorie im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und die Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich im Rahmen der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG – stellen nichts Anderes als Versuche dar, ein System von formellen Maßstäben zu entwickeln, aus denen die konkrete Eingriffsintensität abgeleitet werden kann. Diese Versuche und die Kritik daran, die im Wesentlichen darin besteht, dass aus einer formellen Zuordnung des Eingriffs dessen konkrete Intensität nicht gefolgert werden kann, zeugen für die zentrale Bedeutung der konkreten Eingriffsintensität bzw. für die Möglichkeit ihrer Abstufung. An dieser Stelle ist von einer Eingriffsintensität die Rede, die nach einem individuellen Maßstab eingestuft wird, und zwar, dem einen und selben Grundrecht, in das eingegriffen wird. Es geht noch nicht darum, das Grundrecht gegen den Zweck zu wiegen, Grundrecht und Zweck ohne Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Maßstab ein Gewicht an sich zuzuschreiben, präziser: Grundrecht und Zweck relativ aufeinander frei zu werten. Die Einstufung der Eingriffsintensität ist ein Moment vor der Abwägung.79 Deswegen lässt sich eine Kritik an der Abwägung nicht einfach als eine Skepsis gegenüber der Möglichkeit der rationalen Einstufung der Eingriffsintensität verstehen.80 Der Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Maßstab lässt die Einstufung der Eingriffsintensität als Rechtsfindung erscheinen. Wenn auch Rechtsfindung ein Moment der Rechtsetzung, d. h., ein Moment der Wertung aufweisen soll, deutet die Unterscheidung zwischen Rechtsetzung und Rechtsfindung jedenfalls auf eine Kompetenzverschiebung hin: wenn da, wo es allein um Rechtsetzung geht, wie mangels eines verfassungsrechtlichen Maßstabs bei der Wertung des Eingriffs relativ auf den Zweck (Abwägung), eine Kompetenzverschiebung zugunsten des Gesetzgebers naheliegt, liegt im Fall von Rechtsfindung eine Kompetenzverschiebung zugunsten des Verfassungsgerichts nahe. 78 Vgl. BVerfGE 77, 240 (253 f.) – „Herrnburger Bericht“, 1987. Im Übrigen kritisiert das Gericht die von C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar I, 6. Aufl. 2010, Art. 5 Rn. 330 ff., vertretene „Stufentheorie der Einschränkung der Kunstfreiheit“. Wegen der Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheit scheint die Theorie in der Tat insoweit problematisch, als die Kunstfreiheit zum Teil (bei der „Vorbereitung des Kunstwerks“ und der „Verbreitung in ihrem Wie“) der Schranke der allgemeinen Rechtsordnung unterworfen wird. Kritisch auch A. von Arnauld, Freiheit der Kunst, Rn. 58. 79 Zur Abwägung und ihren Grenzen s. o. C. I. 2. b) aa). 80 Missverständlich insofern R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 20: „radikale Abwägungsskeptiker … müssen bestreiten, dass rationale Urteile über Eingriffsintensitäten und Wichtigkeitsgrade möglich sind.“

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Die Rede ist dementsprechend von einer absoluten Eingriffsintensität: zum einen wird ein Eingriff, der am Maßstab der Berufsfreiheit ein schwerer Eingriff ist, am Maßstab der Berufsfreiheit immer ein schwerer Eingriff sein, unabhängig davon, dass man ihn relativ auf verschiedene Zwecke verschieden wertet; zum anderen wird er immer als ein schwerer Eingriff in die Berufsfreiheit dem Gesetzgeber entgegengehalten werden. Es klingt plausibel, der Einstufung der Eingriffsintensität eine dreistufige Ordinalskala zugrunde zu legen: leicht, mittel und schwer.81 Dabei spielt der Vergleich verschiedener Eingriffe eine wichtige Rolle: dafür, dass am Maßstab der Berufsfreiheit die Verpflichtung zu Warnhinweisen auf Packungen von Tabakerzeugnissen ein leichter oder mittlerer Eingriff ist, sprechen schon die schwerwiegenderen Konsequenzen eines Vertriebsverbots für die Berufsfreiheit des betroffenen Grundrechtsträgers.82 Dafür, dass sie ein mittlerer Eingriff ist, könnte ein Vergleich mit einer Maßnahme sprechen, die noch weniger schwerwiegende Konsequenzen für die Berufsfreiheit des betroffenen Grundrechtsträgers hervorrufen würde. Nichtsdestotrotz bleibt ein beträchtlicher Raum für Divergenzen: so wie alle rechtsfindende Subsumtion weist auch die Einstufung der Eingriffsintensität ein Moment der Wertung auf,83 gegebenenfalls unter empirischer Unsicherheit.84 Für die Ausarbeitung von Kriterien, die den Eigentümlichkeiten der unterschiedlichsten Grundrechtsgüter Rechnung tragen sollen, ist die Grundrechtsdogmatik gefragt. Jedenfalls

81

Vgl. R. Alexy, Die Gewichtsformel, S. 777. Vgl. R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 20, mit Referenz auf BVerfGE 95, 173 – Warnhinweise auf Packungen von Tabakerzeugnissen, 1997. 83 Richtig insofern V. A. da Silva, Comparing the Incommensurable: Constitutional Principles, Balancing an Rational Decision, Oxford Journal of Legal Studies 31 (2011), S. 273 (288), der allerdings bei seiner Verteidigung der Methode der Abwägung fälschlicherweise annimmt, dass mit der Einstufung der Eingriffsintensität dem Grundrecht ein Gewicht an sich zugeschrieben wird. 84 R. Alexy, Die Gewichtsformel, S. 789 ff.; ders., On Balancing and Subsumption, S. 446 ff., betrachtet demgegenüber die empirischen Unsicherheiten bezüglich des Eingriffs an sich nicht als eine Bedingung der Eingriffsintensität. Vielmehr stellt er in seiner vollständigen Gewichtsformel Eingriffsintensität, Zuverlässigkeit empirischer Annahmen bezüglich des Eingriffs an sich und abstraktes Gewicht des jeweiligen Grundrechts nebeneinander. Dies steht in Widerspruch damit, dass Eingriffe immer konkrete Eingriffe sind, sowie damit, dass die Eingriffsintensität eine konkrete Größe ist: „Eingriffe sind immer konkrete Eingriffe. Die Eingriffsintensität ist daher eine konkrete Größe.“ Vgl. R. Alexy, Die Gewichtsformel, S. 778. Vgl. ferner ders., On Balancing and Subsumption, S. 440. Bei der Einstufung der Eingriffsintensität geht es also um die Einstufung von konkreten Wirkungen des Eingriffs, was die Analyse empirischer Zusammenhänge einschließt. Das ist ein zweites Bedenken gegen Alexys Gewichtsformel – zu dem grundlegenden s. o. C. I. 2. b) aa). Die Bedeutung von empirischen Unsicherheiten bezüglich des Eingriffs an sich für die Eingriffsintensität scheinen M. Klatt/ J. Schmidt, Abwägung unter Unsicherheit, AöR 137 (2012), S. 545 (559 ff.), zu erkennen, wenn sie eine Einstufungsunsicherheit absondern, welche eben bei der Einstufung der Eingriffsintensität bzw. des Wichtigkeitsgrades relevant wird. 82

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

sieht man sich hier, anders als bei der Abwägung, nicht mit dem Problem der „Heterogenität der argumentationsgenerierenden Kontexte“85 konfrontiert. Eine Stütze findet der Gedanke der Abstufung der Eingriffsintensität in der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG.86 Freilich sind nicht alle Grundrechtsgüter offen für Abstufungen. Die Würde, das Leben sind nicht abstufbar. Jeder Eingriff in die Würde oder in das Leben hat dieselbe, und somit schwere, Intensität. Ob ein Eingriff in die Würde oder in das Leben gerechtfertigt werden kann, ist dann eine andere Frage. Die absolute Eingriffsintensität: sie stellt die materielle Schranke dar, die die Zweck-Mittel-Relation primär bedingt. cc) Eingriffsintensität und Prognosen Die – absolute – Eingriffsintensität soll schon die Anforderungen an die Wirkungen des Mittels in Bezug auf den Zweck87 bedingen: je stärker die Eingriffsintensität ist, desto geeigneter muss das Mittel sein, sei es im Sinne der positiven Förderung des Rechtsguts des Zwecks, sei es im Sinne der Bekämpfung einer Gefahr. Diese Frage der Geeignetheit wird zwar zu einer Frage von Prognosen – und deswegen sei von einer Prognosenprüfung gesprochen –, doch verdankt die Prognosenfrage eben dieser Frage der Geeignetheit ihre Bedeutung. Es geht nicht um Prognosen an sich; es geht nicht etwa darum, dass das Mittel mit hoher Sicherheit nur wenig geeignet ist, sondern darum, dass es hoch geeignet ist, was sichere Prognosen voraussetzt. Es soll also nicht aus dem Auge verloren werden, dass der Prognosenfrage die erwähnte Regel vorausgeht. Kurzum: je stärker die Eingriffsintensität ist, desto geeigneter muss das Mittel sein bzw. desto sicherer müssen die diesbezüglichen gesetzgeberischen Prognosen sein. Dafür, dass die Eingriffsintensität den Spielraum des Gesetzgebers für Prognosen bedingen soll, hat das BVerfG früh Zeichen gegeben: schon im für das Verhältnismäßigkeitsprinzip paradigmatischen88 Apothekenurteil aus dem Jahr 1958. Wenn von den Anforderungen an subjektive Zulassungsvoraussetzungen die Rede ist, setzt das Gericht auf eine Möglichkeit;89 wenn es hingegen um objektive Zulassungsvoraussetzungen geht, setzt das Gericht auf die Nachweisbarkeit oder Höchst-

85 Vgl. R. Christensen/K. D. Lerch, Dass das Ganze das Wahre ist, ist nicht ganz unwahr, JZ 2007, S. 438 (439). 86 Dazu s. u. C. II. 3. 87 Die Wirkungen des Mittels in Bezug auf das Grundrechtsgut, in das eingegriffen wird, einschließlich der damit zusammenhängenden empirischen Unsicherheiten, sind wiederum eine Bedingung der Eingriffsintensität. Dazu s. o. Fn. 84. 88 S. o. B. II. 2. b). 89 „Verhütung möglicher Nachteile und Gefahren“, BVerfGE 7, 377 (407).

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wahrscheinlichkeit.90 „Am freiesten“ sei der Gesetzgeber schließlich bei einer Berufsausübungsregelung.91 Dabei ging es um die Bekämpfung einer Gefahr, nicht um die positive Förderung eines Rechtsguts.92 Immerhin handelte es sich um den Spielraum des Gesetzgebers, eine Prognose aufzustellen. Die Ausdehnung des Abstufungsgedankens von der Prognose einer Gefahr auf Prognosen im Allgemeinen lag auf der Hand. So konzedierte das BVerfG 1979, dass der Prüfung von Prognosen des Gesetzgebers verschiedene Maßstäbe zugrunde zu legen seien, die nämlich „von einer Evidenzkontrolle… über eine Vertretbarkeitskontrolle… bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen“ würden. Welcher Maßstab jeweils gelte, hänge u. a. von „der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter“ ab.93 Das BVerfG blieb allerdings nicht konsequent. So betont es im RettungsdienstUrteil zwar, dass „objektive Berufszugangsvoraussetzungen … im Allgemeinen nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt [sind].“ Zugleich räumt es aber dem Gesetzgeber einen Einschätzungs- und Prognosespielraum ein, um schließlich zu unterstreichen, dass der Gesetzgeber im vorliegenden Fall die schwere Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung als höchstwahrscheinlich einschätzen durfte.94 Darüber hinaus betont es immer wieder, dass der Gesetzgeber sowohl bei der Geeignetheit als auch bei der Erforderlichkeit einen Einschätzungsund Prognosespielraum genießt.95 Zusammengefasst: „Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann.“96

90 „Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“, BVerfGE 7, 377 (408). 91 Vgl. BVerfGE 7, 377 (405). 92 Vgl. U. Seetzen, Der Prognosespielraum des Gesetzgebers, NJW 1975, S. 429 f. 93 Vgl. BVerfGE 50, 290 (333) – Mitbestimmungsgesetz, 1976. Diesen Gedanken hat auch die Literatur aufgegriffen. Vgl., je mit eigenen Nuancen, R. Breuer, Legislative und administrative Prognoseentscheidungen, Der Staat 1977, S. 21 (41 ff.); F. Ossenbühl, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: C. Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts. Erster Band: Verfassungsgerichtsbarkeit, Tübingen 1976, S. 458 (506 ff.); U. Seetzen, Der Prognosespielraum des Gesetzgebers, S. 429 ff. Vgl. ferner K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, Berlin 2000, S. 990 ff. 94 Vgl. BVerfGE 126, 112 (141 f.) – Rettungsdienst, 2010. 95 S. o. Fn. 4 bzw. Fn. 29. So auch im Rettungsdienst-Urteil, BVerfGE 126, 112 (145). Wie das BVerfG ähnlich B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 458. 96 Vgl. BVerfGE 90, 145 (173) – Cannabis, 1994.

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In etlichen Fällen scheint das BVerfG andererseits die Maßnahme der Gesetzgebung doch einer durch die Eingriffsintensität bedingten Prognosen- oder Wahrscheinlichkeitsprüfung97 zu unterziehen, wenn auch unter der Rubrik der Angemessenheitsprüfung. Man denke an den Fall des in Bayern eingeführten staatlichen Monopols für Sportwetten. Dieser starke Eingriff in die Berufsfreiheit sollte dem Gemeinwohlziel der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht dienen. Nur ließ sich nicht prognostizieren, dass die bayerische Regelung hoch geeignet zur Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht sei.98 Die Regelung wurde also dem durch die Eingriffsintensität geforderten Maß an Geeignetheit bzw. Prognosensicherheit nicht gerecht. War die Prüfung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. von § 16b Abs. 1, 2, 3 und 4 des Gentechnikgesetzes nicht schon dadurch erleichtert worden, dass diese Bestimmungen – als Berufsausübungsregelung klassifiziert – eine geringe Eingriffsintensität aufwiesen, was höchst unsichere Prognosen – und damit: eine geringe Geeignetheit – als genügend erscheinen ließ?99 Selbst im Apothekenurteil fungierte nicht wirklich eine erst nach einer Abwägung festgestellte Unverhältnismäßigkeit i. e. S. als Grund für die Verfassungswidrigkeit der in Frage stehenden Regelung, sondern der Mangel an „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ – oder: an hinreichender Geeignetheit – im Verhältnis des starken Eingriffs zum verfolgten Zweck.100 Die Verhüllung der Prognosenfrage unter die Angemessenheitsprüfung findet Resonanz in der Literatur. So spricht Robert Alexy von einem „epistemischen Abwägungsgesetz“: „Je schwerer ein Eingriff in ein Grundrecht wiegt, desto größer muss die Gewissheit der den Eingriff tragenden Prämissen sein.“101 Es verwirrt nur, dem Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum bei der Einschätzung und Prognose einer Gefahr sowie einen Einschätzungs- und Prognosespielraum bei der Geeignetheit einzuräumen, ihn aber andererseits einer Prognosenprüfung unter dem Mantel einer Angemessenheitsprüfung zu unterwerfen. Eine Prognosenprüfung auf Basis der Regel je stärker die Eingriffsintensität ist, desto geeigneter muss das Mittel sein, trägt zwar dem Umstand Rechnung, dass, wie die empirischen Unsicherheiten bezüglich des Eingriffs an sich eine Bedingung der Eingriffsintensität sind, so auch aus der Ab- oder Zunahme der Geeignetheit auf die Ab- bzw. Zunahme des konkreten Gewichts des Zwecks geschlossen werden kann. Dennoch hat die Prognosenprüfung noch nichts mit der Abwägung der Angemes97 „Die Prognose ist ein Wahrscheinlichkeitsurteil“, vgl. C. Bumke, Die Pflicht zur konsistenten Gesetzgebung. Am Beispiel des Ausschlusses der privaten Vermittlung staatlicher Lotterien und ihrer bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle, Der Staat 2010, S. 77 (98 Anm. 108). 98 Vgl. BVerfGE 115, 276 (309 ff.) – Staatliches Monopol für Sportwetten, 2006. 99 Vgl. BVerfGE 128, 1 (58 ff.) – Gentechnikgesetz, 2010. 100 Vgl. BVerfGE 7, 377 (415) – Apothekenurteil, 1958. Dies bemerkt auch B. Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr – Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion, EuGRZ 1984, S. 457 (461), der darüber hinaus der Verhältnismäßigkeit i. e. S. jedwede Bedeutung in der nachfolgenden Rechtsprechung des BVerfG abspricht. 101 Vgl. R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 28.

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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senheitsprüfung zu tun. Es geht noch nicht darum, dem Grundrecht, in das eingegriffen wird, und dem Zweck ohne Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Maßstab ein Gewicht an sich zuzuschreiben und sie dementsprechend gegeneinander abzuwägen. Der Zweck wird keineswegs bewertet, sondern dient allein als Referenz für die empirischen Prognosen. Andererseits ist materiell allein die – absolute – Eingriffsintensität entscheidend. Somit verspricht die Prognosenprüfung die Funktion auszuüben, die die Geeignetheits- und die Erforderlichkeitsprüfung auf der Ebene der Gesetzgebung nicht immer auszuüben vermögen:102 die umstrittene Methode der Abwägung zu entlasten.103 Hat die Prognosenprüfung noch nichts mit der Abwägung der Angemessenheitsprüfung zu tun, bleibt sie letztlich eine Geeignetheitsprüfung. Dem Gesetzgeber wird doch nicht pauschal ein Einschätzungs- und Prognosespielraum bei der Geeignetheit eingeräumt. Denn es geht doch nicht lediglich um Geeignetheit im Sinne der inneren Schranke der Zweck-Mittel-Relation, mit welcher ein weiter Prognosespielraum einhergeht und auf die sich die Geeignetheitsprüfung im herkömmlichen Sinne bezieht.104 Es geht darüber hinaus um Geeignetheit als eine Anforderung der Eingriffsintensität, welche auf einen weiteren oder engeren Prognosespielraum hinausläuft und auf die sich die Prognosenprüfung bezieht. Ob es irgendeinen Sinn hat, die herkömmliche Geeignetheitsprüfung und die Prognosenprüfung als zwei verschiedene Momente der Verhältnismäßigkeitsprüfung anzusehen, lässt sich fragen. Jedenfalls sollte die Prognosenprüfung eine gesonderte Stellung innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung haben, und zwar vor der als Abwägung verstandenen Angemessenheitsprüfung.105 102 Zu den Grenzen der Geeignetheit und der Erforderlichkeit s. o. C. I. 1. b) bzw. C. I. 2. a) bb). 103 Zur Abwägung und zu ihren Grenzen: C. I. 2. b) aa); zur Eingriffsintensität: C. I. 2. b) bb). 104 S. o. C. I. 1. a). 105 Die Prognosenfrage als eine Frage von Abwägung erfasst hingegen M. Raabe, Grundrechtsschutz und gesetzgeberischer Einschätzungsspielraum: Ein Konstruktionsvorschlag, in: C. Grabenwarter/S. Hammer/A. Pelzl et al. (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft. 34. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“ – Wien 1994, Stuttgart 1994, S. 83 ff. Auf Grundlage der Prinzipientheorie von Robert Alexy nimmt Raabe eine Kollision zwischen zwei Normen zweiter Stufe an, d. h., zwei Normen, die die Anwendung des Geeignetheitsgebots, der Norm erster Stufe, regeln (S. 95): einerseits ergebe sich aus einem Grundrecht das Prinzip – das prima facie Gebot –, bei empirischen Unsicherheiten von derjenigen Prognose auszugehen, „die die Verwirklichung des Grundrechts am meisten fördert“. Dagegen kollidiere das „formelle Prinzip der Entscheidungskompetenz des demokratisch legitimierten Gesetzgebers“ (S. 97). Diese Kollision sei nun im Wege der Abwägung zu lösen. Dabei würden zum einen eine Rolle spielen, „wie weit der Gesetzgeber von der vom Grundrecht prima facie geforderten, seiner Verwirklichung dienlichsten Prämisse abgewichen ist“ – und hierbei „die Güte der empirischen Gründe, die für die vom Grundrecht geforderten Prämisse sprechen“ – und daneben auch die „Schwere des realen Grundrechtseingriffs“, das ist, die „Intensität des Grundrechtseingriffs“. Zum anderen, auf der Seite des formellen Prinzips der Entscheidungskompetenz des demokratischen legitimierten Gesetzgebers, die „Wichtigkeit der vom Gesetzgeber mit dem

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

Festzuhalten ist nach alledem: stoßen die Geeignetheits- und die Erforderlichkeitsprüfung auf der Ebene der Gesetzgebung an ihre Grenzen, greift vor der Angemessenheitsprüfung immerhin die Prognosenprüfung ein. Denn je stärker die Eingriffsintensität ist, desto geeigneter muss das Mittel sein. Je nach der Eingriffsintensität variiert dementsprechend der Prognosespielraum des Gesetzgebers: je stärker die Eingriffsintensität ist, desto sicherer müssen seine Prognosen sein.106 Entsprechend dem Mitbestimmungsgesetz-Urteil soll dabei die Kontrollbefugnis des BVerfG von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen.107 Kurzum: eine leichte, mittlere oder schwere Eingriffsintensität fordert eine geringe, mittlere bzw. hohe Geeignetheit, welche wiederum unsichere, vertretbare bzw. sichere Prognosen voraussetzt, was schließlich auf eine Evidenzkontrolle, eine Vertretbarkeitskontrolle bzw. eine intensivierte inhaltliche Kontrolle der gesetzgeberischen Prognosen hinausläuft. Erst nach der Prognosenprüfung geht es um Abwägung. dd) Die Angemessenheitsprüfung Im Moment der Angemessenheitsprüfung, der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, der Abwägung, wird im Einzelfall dem Grundrecht, in das eingegriffen wird, und dem Zweck ohne Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Maßstab ein Gewicht an sich zugeschrieben und dementsprechend werden sie gegeneinander abgewogen. Anders gesagt: Grundrecht und Zweck werden gegenGrundrechtseingriff verfolgten materiellen Ziele“ und „die Güte der empirischen Gründe, die für die vom Gesetzgeber angenommene Prämisse sprechen“ (S. 99). Mehr zu seinem „Abwägungsmodell des Einschätzungsspielraums“ ders., Grundrechte und Erkenntnis: Der Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, Baden-Baden 1998, S. 207 ff. 106 Somit bezieht sich die Prognosenprüfung einerseits auf den einen Pol der Zweck-MittelRelation, indem sie durch die absolute Eingriffsintensität bedingt wird. Zum anderen bezieht sich die Prognosenprüfung auf den anderen Pol der Zweck-Mittel-Relation, nämlich, den Zweck. Missverständnisse sollen vermieden werden, wie etwa die Annahme von M. Klatt/ J. Schmitt, Abwägung unter Unsicherheit, S. 557, das epistemische Abwägungsgesetz von Robert Alexy beziehe sich „sowohl in seinem Vorder- als auch in seinem Hintersatz auf ein und dasselbe Prinzip“ (Hervorhebung im Original). Gewiss machen in der Gewichtsformel Alexys den Zähler allein die Variabel betreffend das eine Prinzip, den Nenner allein die Variabel betreffend das andere aus. Das ändert aber nichts daran, dass es dem epistemischen Abwägungsgesetz eben um eine „Kreuzabwägung“ geht; es enthält eine Aussage darüber, wie Zähler und Nenner je in Bezug auf eine Variation des anderen variieren müssen. Kein anderer Gedanke liegt dem materiellen Abwägungsgesetz zugrunde. Zum Modell Alexys s. o. C. I. 2. b) aa) sowie Fn. 84. Kritisch zur Annahme Klatts bzw. Schmitts auch J. Quecke/J. Sturm, Unsicherheit über Abwägung. Zum Konzept der „Abwägung unter Unsicherheit“, Rechtstheorie 45 (2014), S. 113 (118 ff.). 107 Die Abstufung der Kontrolldichte von gesetzgeberischen Prognosen ist insofern kein Ausfluss irgendeiner funktionell-rechtlichen Schranke. Vgl. W. Heun, Funktionell-rechtliche Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit. Reichweite und Grenzen einer dogmatischen Argumentationsfigur, Baden-Baden 1992, S. 36 ff.; K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 537.

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einander frei gewertet. Es handelt sich um das „subjektive und dezisionistische“108 Moment der Verhältnismäßigkeitsprüfung.109 Nun bedarf auch der zweite Halbsatz des „materiellen Abwägungsgesetzes“ von Robert Alexy110 einer Präzisierung: es geht um eine absolute111 Wichtigkeit. Als Leitregel der Abwägung gilt somit: je stärker die absolute Eingriffsintensität ist, desto größer muss die absolute Wichtigkeit des Zwecks sein. Dieser Regel trägt schon eine Prognosenprüfung Rechnung, die darauf setzt, dass, je stärker die Eingriffsintensität ist, desto geeigneter das Mittel sein muss, sei es im Sinne der positiven Förderung des Rechtsguts des Zwecks, sei es im Sinne der Bekämpfung einer Gefahr. Denn wenn einerseits aus der Ab- oder Zunahme der empirischen Sicherheiten bezüglich des Eingriffs an sich auf die Ab- bzw. Zunahme der Eingriffsintensität geschlossen werden kann, so kann andererseits aus der Aboder Zunahme der Geeignetheit auf die Ab- bzw. Zunahme des konkreten Gewichts des Zwecks geschlossen werden. Dabei handelt es sich noch nicht um Abwägung.112 Im Rahmen eines Verhältnismäßigkeitsprinzips, das da, wo die Geeignetheitsund die Erforderlichkeitsprüfung an ihre Grenzen stoßen,113 eine solche Prognosenprüfung einschaltet, verliert die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und somit die Methode der Abwägung an Bedeutung. Denn ausgerechnet in Fällen schwerwiegender Eingriffe wird in nicht unerheblichem Umfang schon die Prognosenprüfung eine Lösung bereitstellen. Man denke an das zuvor genannte Beispiel des in Bayern eingeführten staatlichen Monopols für Sportwetten. Der starke Eingriff in die Berufsfreiheit verlangte eine hohe Geeignetheit der Regelung in Bezug auf den Zweck der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht. Die hohe Geeignetheit konnte allerdings durch sichere Prognosen nicht bestätigt werden. Die Regelung scheiterte also eher an der Prognosenprüfung als an der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, wie durch das BVerfG fälschlich angenommen.114 Dem durch die Eingriffsintensität geforderten Maß an Geeignetheit bzw. Prognosensicherheit wurde die Regelung einfach nicht gerecht. Eine Gewichtung des Eingriffs dem Zweck gegenüber, die Abwägung, war nicht erforderlich. Dieses Beispiel zeigt zugleich einen wichtigen Effekt der Differenzierung der Anforderungen an die Geeignetheit bzw. an die Prognosen je nach der Eingriffsintensität: will der Gesetzgeber schwer in ein Grundrecht eingreifen, d. h., muss durch den schweren Eingriff das Rechtsgut des Zwecks stark bzw. nach sicheren Prognosen 108

Vgl. B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 460. Zur Methode der Abwägung und ihren Grenzen s. o. C. I. 2. b) aa). 110 „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.“ Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 146. 111 Dazu s. o. C. I. 2. b) bb). 112 Zur Prognosenprüfung s. o. C. I. 2. b) cc). 113 S. o. C. I. 1. a) bzw. C. I. 2. a) bb). 114 Vgl. BVerfGE 115, 216 (309 ff.) – Staatliches Monopol für Sportwetten, 2006. 109

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

gefördert oder eine Gefahr stark bzw. nach sicheren Prognosen bekämpft werden, dann muss der Gesetzgeber das zu fördernde Rechtsgut bzw. die zu bekämpfende Gefahr hinreichend konkretisiert präsentieren. Mit Hinweis auf hoch abstrakte Rechtsgüter bzw. Gefahren wird der Gesetzgeber einen starken Eingriff in ein Grundrecht nur schwer rechtfertigen können. Dies gilt im Übrigen nicht nur hinsichtlich der Rechtsgüter bzw. Gefahren, die einen starken kollektiven Sinn haben, sondern auch hinsichtlich derjenigen, deren Bezug verstärkt das Individuum ist – dies kommt vor allem dann vor, wenn es sich um ein zu förderndes oder zu schützendes Grundrechtsgut handelt. Wird das Verbot des Tragens eines Kopftuchs als ein starker Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) der muslimischen Lehrerinnen eingestuft, sollte ein generelles Verbot, das auf einer abstrakten Gefährdung des staatlichen Erziehungsauftrags bzw. dessen Neutralitätspflicht, des Erziehungsrechts der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schüler basiert,115 schon an der Prognosen-, nicht erst an der Angemessenheitsprüfung scheitern.116 Die vorigen Überlegungen passen auch zum mehrmals erwähnten Apothekenurteil (BVerfG 7, 377 – 1958). Dessen ungeachtet kann es als Basis eines weiteren Beispiels dienen, diesmal als eines für eine positive Prognosenprüfung. Es sei angenommen, dass die Prognosenprüfung positiv ausgefallen ist, d. h., dass die objektive Zulassungsvoraussetzung in der Form der Bedürfnisklausel zur Errichtung einer Apotheke nach sicheren Prognosen hoch geeignet zur Bekämpfung der Gefährdung der Arzneimittelversorgung war. In diesem Fall wäre eine Abwägung unausweichlich. Ihr Ergebnis würde aber nahe liegen. Bei aller Schwere einer solchen Bedürfnisklausel wäre sie vor der Bedeutung der Arzneimittelversorgung nicht zu beanstanden. Auch ein staatliches Monopol für Sportwetten wäre nicht zu beanstanden, wenn es nach sicheren Prognosen hoch geeignet zur Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht wäre. Diese Beispiele lassen erwarten, dass es nach der Prognosenprüfung selbst im Fall eines schweren Eingriffs nur einen engen Raum für ein gerichtliches Revidieren gesetzgeberischer Abwägungen gibt; nur selten soll der Zweck nicht bedeutend

115 Vgl. BVerfGE 108, 282 (299 ff.) – Kopftuch im Unterricht, 2003. Vgl. ferner BVerwGE 121, 140 (146), vom 24. 6. 2004. 116 In Einklang damit stellt E.-W. Böckenförde, Anmerkung zum Urteil des BVerwG vom 24. 6. 2004, JZ 2004, S. 1181 (1183), die Frage: „Ist es damit vereinbar und verhältnismäßig, die Bekenntnisfreiheit der Lehrkräfte soweit zurücktreten zu lassen, daß schon jedwede äußere Bekundung eines Bekenntnisses, ohne zusätzliche suggestive oder missionarische Aktivität und ohne daß Schüler oder Eltern daran konkret begründeten Anstoß genommen haben, vorab generell zu untersagen? Hier bleiben erhebliche Zweifel.“ Ähnlich schon ders., „Kopftuchstreit“ auf dem richtigen Weg?, NJW 2001, S. 723 (728). Die entsprechende Regelung des baden-württembergischen Schulgesetzes hielt das BVerwG in Anlehnung an der BVerfGE 108, 282, für verhältnismäßig. Vgl. BVerwGE 121, 140. Anders nun BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015, 1 BvR 471/10, 1BvR 1181/10.

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genug sein, um den Eingriff zu rechtfertigen. Insofern kann der Angemessenheitsprüfung die Bedeutung einer „Stimmigkeitskontrolle“117 zugesprochen werden. In Fällen von leichteren Eingriffen in ein Grundrecht soll die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne insoweit an Bedeutung gewinnen, als öfter die geringeren Anforderungen an die Geeignetheit bzw. an die Prognosen erfüllt werden sollen. Nur, der Milderung der Anforderungen an die Geeignetheit bzw. an die Prognosen entspricht eine Entschärfung der Angemessenheitsprüfung. Um bei einem schon erwähnten Fall zu bleiben: im Urteil des BVerfG zum Gentechnikgesetz konnte kein schwerer Eingriff in ein Grundrecht der durch das Gesetz Betroffenen festgestellt werden, sei es in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG oder in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG oder in die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG oder in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG oder in die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG.118 Dementsprechend bereitete die Prognosenfrage kein Problem: die Einschätzungen des Gesetzgebers wurden hingenommen. Kein Problem bereitete auch die Angemessenheitsprüfung: abstrakte einleuchtende Gründe wie „die Gewährleistung einer Koexistenz der verschiedenen landwirtschaftlichen Erzeugungsformen“119 konnten die Eingriffe tragen. Auch hier verbleibt dem BVerfG kaum Raum für ein Revidieren der gesetzgeberischen Abwägungen. Dieser Entwertung der Angemessenheitsprüfung gegenüber der Prognosenprüfung entspricht der weite gesetzgeberische Spielraum dort, wo es allein auf eine Angemessenheitsprüfung ankommt. Dies kommt bei den Normen vor, die nicht auf eine äußere Wirksamkeit abzielen, das heißt, auf die Wirkungen, die deren Befolgung, deren innere Wirksamkeit, wiederum hervorrufen kann.120 Ihnen liegt nicht eine Zweckrationalität zugrunde: sie wollen lediglich befolgt werden. Insofern entziehen sie sich einer Zweck-Mittel-Relations-Analyse. Ohne also hinter eine Zweck-Mittel-Relations-Analyse aufgeschoben werden zu können, tritt die Angemessenheitsprüfung von vornherein in den Vordergrund. Paradigmatisch sind in diesem Zusammenhang die Strafgesetze.121 Denn dank seiner Bestimmtheit fungiert das Strafgesetz selbst als Eingriff. D. h.: der Eingriff bzw. die Abwägung kann dem Gesetzgeber unmittelbar zugeschrieben werden.122 117

Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 304. Vgl. BVerfGE 128, 1 (35 ff.) – Gentechnikgesetz, 2010. 119 BVerfGE 128, 1 (5 ff.). 120 Dem Begriffspaar innere/äußere Wirksamkeit entspricht das gängige Begriffspaar Wirksamkeit/Effektivität. Von Wirksamkeit und Effektivität spricht etwa M. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, Berlin 1998, S. 43 ff. 121 Verstanden als Ausdruck einer Strafgerechtigkeit – iustitia vindicativa –, neben der wiederherstellenden Gerechtigkeit – iustitia restitutiva – einer Unterform der ausgleichenden Gerechtigkeit – iustitia commutativa. Kurz dazu R. Dreier, Was ist Gerechtigkeit?, JuS 1996, 580 f. 122 Im Deliktsrecht des Privatrechts wird die Sache insofern komplizierter, als der Gesetzgeber in den einzelnen Regeln dem Zivilrichter einen größeren Spielraum überlässt. Der 118

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

Auch hier, ohne die Möglichkeit einer Prognosenprüfung, wird dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zugestanden.123 Nach alledem lässt sich zusammenfassend folgern: die Angemessenheitsprüfung, die Abwägung, spielt generell und erst recht im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation, die einer durch die Eingriffsintensität bedingten Prognosenprüfung zugänglich ist, eine nur nebensächliche Rolle bei der Kontrolle einer Maßnahme der GeEingriff kann dann nur mittelbar dem Gesetzgeber zugeschrieben werden. Primär wird er dem Zivilrichter zugeschrieben. Auf der Abstraktionsebene des Gesetzes kann die Norm kaum verworfen werden. So sind §§ 823 I, 826 und 1004 BGB als Schranken der Meinungsfreiheit nicht beanstandet worden (vgl. nur BVerfGE 7, 198 [214] – Lüth, 1958; 66, 116 [138] – Springer Verlag, 1984). Die Angemessenheitsprüfung betrifft insofern nicht eine Abwägung des Gesetzgebers, sondern die eines Gerichts. Ob die Entscheidung des Zivilgerichts überhaupt auf eine Abwägung reduziert werden kann, ist aber eine schwierige Frage. Denn anders als der Gesetzgeber, der allein am Verfassungsrecht gebunden ist, ist der Zivilrichter auch am einfachen Recht gebunden. Dass das GG keinen Maßstab zur Lösung von Grundrechtskollisionen enthält – s. o. C. I. 2. b) aa) –, bedeutet noch lange nicht, dass aus dem einfachen Recht einen solchen nicht gewonnen werden kann. Daraus, dass das BVerfG bei der Kontrolle eines gesetzgeberischen Eingriffs auf Abwägungen angewiesen ist, lässt sich insofern nicht ohne Weiteres schließen, dass auch das Zivilgericht bei der Lösung von Grundrechtskollisionen auf Abwägungen angewiesen ist. Vielmehr scheint die Annahme, dass auch das Zivilgericht auf Abwägungen angewiesen ist, seine Rolle gerade zu verkennen. Vielleicht hatte das BVerfG dies im Kopf, wenn es in Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der MephistoEntscheidung aus dem Jahre 1971 ausführte: „Zur Beurteilung von Grund und Höhe eines zivilrechtlichen Anspruchs, etwa eines Schadensersatzanspruchs, können diejenigen Erfordernisse, die von Verfassungs wegen im Verhältnis des Bürgers zum Staat bei Eingriffen in die Freiheitssphäre des Einzelnen zu beachten sind, auch nicht entsprechend herangezogen werden.“ Vgl. BVerfGE 30, 173 (199). Bei der Frage, inwieweit es ein zivilgerichtliches Urteil nachprüfen soll, greift das BVerfG jedenfalls auf die Idee der Eingriffsintensität zurück: „Je nachhaltiger ferner ein zivilgerichtliches Urteil im Ergebnis die Grundrechtssphäre des Unterlegenen trifft, desto strengere Anforderungen sind an die Begründung dieses Eingriffs zu stellen und desto weitreichend sind folglich die Nachprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts; in Fällen höchster Eingriffsintensität (vgl. etwa BVerfGE 35, 202 – Lebach –) ist es durchaus befugt, die von den Zivilgerichten vorgenommene Wertung durch seine eigene zu ersetzen.“ Vgl. BVerfGE 42, 143 (149) – DGB, 1976. Vgl. ferner BVerfGE 42, 163 (168) – Echternach, 1976. Zu dem „dreistufigen Kontrollmodell“ des BVerfG vgl. A. Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“. Das Ausmaß individueller Grundrechtsbetroffenheit als materiellrechtliche und kompetenzielle Determinante der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Fachgerichtsbarkeit im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde, Berlin 1989, S. 41 ff. 123 Vgl. nur BVerfGE 120, 224 (241) – Geschwisterinzest, 2008: „Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage festzulegen.“ Obgleich in diesem Fall das BVerfG es schwer hatte, klarzustellen, was das Geschwisterinzest überhaupt schaden oder zumindest gefährden sollte. Vgl. die Kritiken von Winfried Hassemer in seinem Sondervotum, S. 255 ff. Im Übrigen: im Fall von Verletzungsdelikten wird die Abwägung dadurch entlastet, dass ein Schadenseintritt und die Zurechnung zum Tatbestand der Norm gehören. Diese Entlastungsfunktion übt im Fall von konkreten Gefährdungsdelikten neben der Zurechnung der Gefahreintritt. Entsprechendes lässt sich hinsichtlich des Schadensersatz- bzw. des Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs des Deliktsrechts des Privatrechts sagen. Problematischer sind im Strafrecht die abstrakten Gefährdungsdelikte.

I. Die Struktur des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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setzgebung. Das Urteil der Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne, die gerichtliche Revision der Abwägung des Gesetzgebers ist ein Ausnahmefall.124 In ihrer Dichte, wenn nicht schon in ihrer Struktur, scheint sich somit die Angemessenheitsprüfung einer Willkürprüfung anzugleichen.

3. Ergebnis Mit der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in seinem Ursprung im Rahmen des preußischen Polizeirechts im Blick wurde nun der Frage seiner Struktur auf der Ebene der Gesetzgebung nachgegangen. Der konkret und gesetzgebunden handelnden Polizei gegenüber konnte sich die Erforderlichkeitsprüfung in einer empirischen Analyse erschöpfen. Dem abstrakte Zwecke verfolgenden und das Mittel des abstrakt-generellen Gesetzes einsetzenden Gesetzgeber gegenüber stößt das formelle Rationalitätsgebot der Erforderlichkeit schnell an seine Grenzen. Denn je abstrakter der Zweck ist, desto größer wird die Anzahl der geeigneten Mittel überhaupt bzw. die Anzahl der gleich geeigneten Mittel. Mit einem abstrakten Mittel können auch verschiedene Zwecke verfolgt werden bzw. werden verschiedene Nebenfolgen verursacht. Die Erforderlichkeitsprüfung lässt sich insofern nicht in einer empirischen Analyse erschöpfen. Es muss nach materiellen Schranken der ZweckMittel-Relation gesucht werden. Sogleich wird an Abwägung gedacht. Abzuwägen heißt, im Einzelfall dem Grundrecht, in das eingegriffen wird, und dem Zweck ohne Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Maßstab ein Gewicht an sich zuzuschreiben und sie dementsprechend gegeneinander abzuwägen, mit anderen Worten: Grundrecht und Zweck relativ aufeinander frei zu werten. Ihre Berechtigung verdankt die Methode der Abwägung dem Mangel eines verfassungsrechtlichen Maßstabs zur Gewichtszuschreibung. Denn gäbe es einen solchen, würde es sich um einen Fall der guten alten Subsumtion handeln. Der Grund ihrer Berechtigung ist aber zugleich der Grund ihres Verhängnisses: die Abwägung kann sich des Einwands nicht entziehen, sie sei „subjektiv und dezisionistisch“125. Als primäre materielle Schranke der Zweck-Mittel-Relation soll daher die absolute Eingriffsintensität fungieren. Damit ist die konkrete Intensität des Eingriffs gemeint, welche allein am Maßstab des Grundrechts eingestuft wird, in welches eingegriffen wird. Die Eingriffsintensität bedingt zunächst die Anforderungen an die Wirkungen des Mittels in Bezug auf den Zweck: je stärker die Eingriffsintensität ist, desto geeigneter 124 Dies wird hinsichtlich des BVerfG empirisch bestätigt von N. Petersen, Verhältnismäßigkeitskontrolle als Rationalitätskontrolle. Eine rechtsempirische Studie verfassungsrechtlicher Rechtsprechung zu den Freiheitsgrundrechten, Tübingen 2015, S. 147 ff., der eben von einer „Rationalitätskontrolle“ spricht. 125 Vgl. B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 460.

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

muss das Mittel sein, sei es im Sinne der positiven Förderung des Rechtsguts des Zwecks, sei es im Sinne der Bekämpfung einer Gefahr. Dementsprechend variiert der Spielraum des Gesetzgebers für die Aufstellung von Prognosen, was sich schließlich auf die Reichweite der Kontrollbefugnis des BVerfG auswirkt. In Stichworten zusammengefasst: leichte, mittlere oder schwere Eingriffsintensität; geringe, mittlere bzw. hohe Geeignetheit; unsichere, vertretbare bzw. sichere Prognosen; Evidenzkontrolle, Vertretbarkeitskontrolle bzw. intensivierte inhaltliche Kontrolle. Da die Arbeit des BVerfG letztlich in einer Kontrolle von Prognosen endet, ist von einer Prognosenprüfung die Rede. Die Prognosenprüfung hat ihren Platz vor der Angemessenheitsprüfung. Denn dabei geht es noch nicht um Abwägung. Der Zweck wird keineswegs bewertet, sondern dient lediglich als Referenz für die empirischen Prognosen. Materiell entscheidet allein die – absolute – Eingriffsintensität. Immerhin trägt die Prognosenprüfung der Leitregel der Abwägung (je stärker die absolute Eingriffsintensität ist, desto größer muss die absolute Wichtigkeit des Zwecks sein) Rechnung. Denn zum einen kann aus der Ab- oder Zunahme der empirischen Sicherheiten bezüglich des Eingriffs an sich auf die Ab- bzw. Zunahme der Eingriffsintensität geschlossen werden. Dementsprechend kann zum anderen aus der Ab- oder Zunahme der Geeignetheit auf die Ab- bzw. Zunahme des Gewichts des Zwecks geschlossen werden. Ihr Versprechen, die umstrittene Methode der Abwägung zu entlasten, löst die Prognosenprüfung tatsächlich ein. Aus den angegebenen Beispielen aus der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich einerseits erwarten, dass schwere Eingriffe oft schon an der Prognosenprüfung scheitern werden. Jedenfalls wird der Gesetzgeber mit Hinweis auf hoch abstrakte Rechtsgüter oder Gefahren einen schweren Eingriff kaum rechtfertigen können. Läuft die Prognosenprüfung positiv aus, wird andererseits der Zweck nur selten nicht wichtig genug sein, um den Eingriff zu rechtfertigen. Der Angemessenheitsprüfung kommt insofern die Bedeutung einer „Stimmigkeitskontrolle“126 zu. In Fällen von leichteren Eingriffen kommt es zwar weniger auf die Prognosenprüfung an. Dem entspricht aber eine Entschärfung der Angemessenheitsprüfung. Dem BVerfG verbleibt auch hier kaum Raum für ein Revidieren der gesetzgeberischen Abwägungen. Dieser Abwertung der Angemessenheitsprüfung entspricht ferner der weite Spielraum des Gesetzgebers dort, wo es nicht um eine Zweck-Mittel-Relation geht, wo die Angemessenheitsprüfung also von vornherein im Vordergrund steht, wie etwa – mindestens zum Teil – im Strafrecht. Der Schwerpunkt der Kontrolle der Verhältnismäßigkeit gesetzgeberischer Eingriffe in Grundrechte liegt nach alledem nicht im Vorfeld der Analyse der Legitimität des Zwecks bzw. der Erlaubtheit des Mittels. Er liegt auch weder in der Geeignet126

Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 304.

II. Die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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heits- noch in der Erforderlichkeitsprüfung. Und auch nicht in der Angemessenheitsprüfung, die sich in ihrer Dichte, wenn nicht schon in ihrer Struktur, einer Willkürprüfung angleicht. Der Schwerpunkt der Verhältnismäßigkeitskontrolle liegt hier in einer durch die Eingriffsintensität bedingten Prognosenprüfung. Je nach der Eingriffsintensität abgestufte Geeignetheits- bzw. Prognosenanforderungen zu stellen: das ist letztlich das wichtigste Merkmal des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf der Ebene der Gesetzgebung. Nun ist nach der Grundrechtskonzeption zu fragen, die dem so verstandenen Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde liegt.

II. Die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips 1. Absolute Grundrechte Nach Art. 1 Abs. 3 GG sind die Grundrechte des GG keine bloße Programmsätze, sondern sie binden auch die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht. Dies bedeutet nicht viel, denn auch objektives Recht bindet. Entscheidendes Merkmal der Grundrechte des GG ist, dass sie nicht nur objektives Recht, sondern Grundrechte im Sinne von subjektiven Rechten sind.127 D. h., sie binden nicht nur die Gesetzgebung, sondern sie begründen Ansprüche des einzelnen Grundrechtsträgers, individuelle Ansprüche also, gegenüber der Gesetzgebung. Noch mehr: es handelt sich um justiziable Ansprüche.128 Nicht zuletzt der Geltendmachung solcher Ansprüche im Wege der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) schuldet das BVerfG seinen Ruhm. An dieser Stelle seien die Begriffe des materiellen einerseits und des absoluten Grundrechts andererseits eingeführt. Der Begriff des absoluten Grundrechts ist schon zum Verständnis des Verhältnismäßigkeitsprinzips unentbehrlich. Darüber hinaus werden beide Begriffe später bei der Analyse des allgemeinen Gleichheitssatzes wieder auftauchen, wobei erst im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ihre jeweiligen Gegenteile (die Begriffe des formellen bzw. des relativen Grundrechts) erläutert werden.129 Die Grundrechte des GG sind insofern materiell, als sie einen materiellen Anspruch begründen, d. h., als kraft ihnen der einzelne Grundrechtsträger von der öffentlichen Gewalt insgesamt verlangen kann, nicht belastet (Unterlassen – Abwehranspruch) zu werden bzw. vom Gesetzgeber verlangen kann, gefördert (Tun –

127 Vgl. K. Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: HStR IX, 32011, § 185 Rn. 50. 128 Vgl. H. Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 66. 129 S. u. D. I.

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

Leistungsanspruch) zu werden.130 Danach, ob sie dem einzelnen Grundrechtsträger einen Abwehranspruch oder einen Leistungsanspruch gewähren, können die materiellen Grundrechte als Abwehrrechte131 oder Leistungsrechte132 bezeichnet werden. Die materiellen Grundrechte des GG sind insofern absolut, als sie einen absoluten Anspruch begründen, d. h., als weder dessen Entstehung noch dessen inhaltliche Konkretisierung einen Akt der Gesetzgebung voraussetzt. Dass der einzelne Grundrechtsträger von der öffentlichen Gewalt bzw. vom Gesetzgeber seine NichtBelastung bzw. Förderung verlangen kann, ergibt sich unmittelbar aus dem GG; und welche belastenden Maßnahmen es sind, deren Unterlassen er verlangen kann, welche fördernden Maßnahmen es sind, deren Ergreifen er verlangen kann, ergibt sich unmittelbar aus dem GG, d. h., sie sind durch das GG vorbestimmt. Eines konstitutiven Aktes der Gesetzgebung bedarf der Anspruch also nicht. Er wird insofern „nicht ,nach Maßgabe der Gesetze‘ gewährleistet“. Vielmehr erscheint die gesetzgeberische Handlung (Tun beim Abwehrrecht bzw. Unterlassung beim Leistungsrecht) als Ausnahme, als Eingriff.133 130 Für das Zivilrecht enthält § 194 I BGB eine Legaldefinition vom materiellen Anspruch: Anspruch ist „Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. „Materiell“ fungiert lediglich als Gegenstück zu „prozessual“. Der materielle Anspruch der Grundrechte ist dieser Definition gegenüber in doppelter Hinsicht spezifischer, in einer persönlichen und in einer sachlichen. Erstens ist der Anspruchsträger, nämlich der Grundrechtsträger, zugleich Anspruchsbegünstigter: verlangen kann er nur zu seinen Gunsten. Damit hängt zusammen, dass sich der Anspruch zweitens auf ein bestimmtes Tun (Förderung) bzw. Unterlassen (Nicht-Belastung) beschränkt. In diesem engeren Sinne verstanden scheint der materielle Anspruch auch gegenüber dem „Recht auf etwas“ von R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 171 ff., spezifischer. Im Übrigen teilt Alexy die subjektiven Rechte in Recht auf Etwas, Freiheiten und Kompetenzen ein. Was das subjektive Recht aber strukturell kennzeichnet, ist allein das Recht auf etwas. Freiheit und Kompetenzen sind keine Rechte, die sich strukturell vom Recht auf etwas unterscheiden, sondern füllen es mit bestimmten Inhalten. Wenn er das Beispiel der Wissenschaftsfreiheit gibt, spricht er symptomatisch zwar von einer „rechtlichen Freiheit“, aber „von einem die rechtliche Freiheit bewehrenden Recht auf negative Handlungen des Staates (Abwehrrecht), und von einem die rechtliche Freiheit bewehrenden Recht auf positive Handlungen des Staates“. Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 224 f. (Hervorhebungen im Original). 131 Tatsächlich löst die Verletzung eines Abwehrrechts einen „Reaktionsanspruch“ aus. Der Reaktionsanspruch setzt aber einen Anspruch darauf voraus, dass die Aktion überhaupt nicht vorgenommen wird. Anders gesagt: der Anspruch auf die Beseitigung der Abwehrrechtsverletzung (positiver Anspruch, Tun) setzt einen Anspruch auf die Nicht-Verletzung überhaupt (negativer Anspruch, Unterlassen) voraus. Schon bei G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1905, S. 105, kommt dies zum Ausdruck: Anspruch auf „Unterlassung und Beseitigung von Störungen“. Es ist deswegen allenfalls missverständlich, undifferenziert zu sagen, dass die Abwehransprüche erst durch die Abwehrrechtsverletzung entstehen. So aber H. Dreier, Subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte, Jura 1994, S. 505 (506 f.); D. Merten, Begriff und Abgrenzung der Grundrechte, in: HGR II, 2006, § 35 Rn. 112. 132 Im weiteren Sinne also, als „das genaue Gegenstück zum Begriff des Abwehrrechts“ verstanden. Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 402. 133 C. Schmitt, Verfassungslehre, München 1928, S. 166, sprach den „echten Grundrechten“ die Qualität „absolut“ zu. In seinen Worten: „Alle echten Grundrechte sind absolute Grund-

II. Die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Dabei spielt ein Unterschied in der Wirkungsweise von Abwehr- und Leistungsrechten keine Rolle. Bei dem Abwehrrecht sind alle belastenden Maßnahmen verboten; von der öffentlichen Gewalt kann der einzelne Grundrechtsträger das Unterlassen aller belastenden Maßnahmen verlangen. So kommt dem Grundrechtsträger der Anspruch aus Art. 4 Abs. 1 GG zu, dass die öffentliche Gewalt jegliche Maßnahme unterlässt, die ihn in seiner Religionsfreiheit belastet. Die öffentliche Gewalt hat also keine Auswahlmöglichkeit – daher richtet sich übrigens der Anspruch gegen die gesamte öffentliche Gewalt und nicht grundsätzlich gegen den Gesetzgeber. Das Leistungsrecht kann, muss sich aber nicht auf eine einzige Maßnahme der Gesetzgebung beziehen. Geboten sind dann nicht alle und ist auch nicht spezifisch eine, sondern unter den vielen fördernden Maßnahmen der Gesetzgebung, die dem Leistungsrecht genügen, ist alternativ eine geboten; verlangen kann der einzelne Grundrechtsträger nicht alle und auch nicht spezifisch eine, sondern nur, dass der Gesetzgeber irgendeine der fördernden Maßnahmen ergreift. Die Auswahl bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Dies bereitet Probleme bei der Justiziabilität solcher Leistungsansprüche,134 denaturiert sie als absolute Ansprüche aber nicht. So sind Leistungsrechte wie das Grundrecht auf ein Existenzminimum und die Schutzgrundrechte135 absolut. Jeder Mensch hat den Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber ihm das Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) gibt;136 jeder Mensch hat den Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit in dem durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotenen Maße durch Schutz vor Übergriffen Dritter fördert.137 Bei aller Kontroverse um die Derechte, d. h. sie werden nicht ,nach Maßgabe der Gesetze‘ gewährleistet, ihr Inhalt ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern der gesetzliche Eingriff erscheint als Ausnahme und zwar als prinzipiell begrenzte und messbare, generell geregelte Ausnahme“ (Hervorhebung im Original). 134 Vgl. W. Heun, Funktionell-rechtliche Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 66 ff. Wenn auch die Rüge eines gesetzgeberischen Unterlassens bzw. die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit nicht darauf hinauslaufen soll, dass das Verfassungsgericht unter Missachtung der Haushaltskompetenz des Gesetzgebers an dessen Stelle handelt, kann sie den Anstoß zu einem „Verfassungsdialog“ zwischen den Gewalten geben. Vgl. V. A. da Silva, O Judiciário e as políticas públicas: entre transformação social e obstáculo à realização dos direitos sociais, in: C. P. de Souza Neto/D. Sarmento (Hrsg.), Direitos sociais: fundamentação, judicialização e direitos sociais em espécie, Rio de Janeiro 2008, S. 587 (598). 135 Im weiteren Sinne, die Organisations- und Verfahrensrechte eingeschlossen. Denn ihnen liegt der Schutzgedanke zugrunde. Vgl. H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte. Von der Wertordnungsjudikatur zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, Hannover 1993, S. 48. 136 Vgl. BVerfGE 125, 175 (222 ff.) – Hartz IV, 2010. 137 Zur Subjektivierung der objektiv-rechtlichen Schutzpflichten mit der Eröffnung des Wegs der Verfassungsbeschwerde vgl. BVerfGE 77, 170 (214) – Chemische Waffen, 1987. Vgl. noch BVerfGE 53, 30 (57 ff.) – Mülheim-Kärlich, 1979: hier wird die Bedeutung des Schutzes durch Verfahren hervorgehoben. Vgl. ferner BVerfGE 56, 54 (73 ff.) – Fluglärmschutz, 1981; 79, 174 (201 f.) – Verkehrslärmschutz, 1988. Zu weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 111.

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

finition des Existenzminimums bzw. des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotenen Maßes an Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit liegen diese Ansprüche, wenn es sie gibt, der gesetzgeberischen Handlung voraus. Ob er dem einzelnen Grundrechtsträger das Existenzminimum geben bzw. dessen Leben und körperliche Unversehrtheit schützten soll, darüber hat der Gesetzgeber zunächst nichts zu sagen. Er soll dies. Welche Maßnahmen dem Existenzminimum bzw. dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit des Einzelnen genügen, dies entscheidet ebenso wenig der Gesetzgeber. Ihm bleibt allenfalls die Auswahl einer von mehreren durch das GG vorbestimmten Maßnahmen überlassen. Wie oben gesehen wurde, wird die Zweck-Mittel-Relation primär durch die materielle Schranke der absoluten Eingriffsintensität bedingt, d. h., einer Eingriffsintensität, die an sich jeglicher Ab- oder Aufwertung von Seiten des Gesetzgebers entzogen ist.138 Der absoluten Eingriffsintensität entspricht der absolute Anspruch (Anspruch, der keines konstitutiven Aktes der Gesetzgebung bedarf). Von einer absoluten Eingriffsintensität zu sprechen, heißt letztlich nichts Anderes, als von der Nichtverwirklichung eines absoluten Anspruchs zu sprechen. Eigentlich kann dort, wo der Anspruch eines konstitutiven Aktes der Gesetzgebung bedarf, wo der Anspruch also „,nach Maßgabe der Gesetze‘ gewährleistet“ wird, das Gesetz überhaupt nicht als Eingriff erscheinen. Die erste Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist somit ein absoluter Anspruch bzw. ein absolutes Grundrecht.

2. Relativität der Anspruchsverwirklichung Wie schon angedeutet wurde, werden die absoluten Ansprüche auf der Ebene ihrer Verwirklichung relativ (Stichworte: Ausnahme, Eingriff). Es geht also um prima facie Ansprüche. Wenn sie zunächst unabhängig von gesetzgeberischen Wertungen sind, werden sie auf der Verwirklichungsebene für gesetzgeberische Wertungen offen. Denn konkret kollidiert der Anspruch des einen mit dem Anspruch des anderen.139 In der Sprache der Freiheitsrechte gesagt: die Freiheit des einen muss mit der Freiheit des anderen in Einklang gebracht werden. Insoweit kann man sagen: „Im Ergebnis begründen die Grundrechte des Grundgesetzes daher keine absolute Sphäre der Freiheit.“140 Dementsprechend sieht das GG für manche Grundrechte die Möglichkeit von Einschränkungen ausdrücklich vor. Z. B. im Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG: in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und in die Freiheit der Person darf „auf 138

Zur absoluten Eingriffsintensität s. o. C. I. 2. b) bb). So unterscheidet G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte: Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, Baden-Baden 1988, S. 26, zwischen „Schutzbereich“ und „effektivem Garantiebereich“. 140 Vgl. W. Heun, Die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 2012, S. 224 f. 139

II. Die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“. Das ist ein Fall des sog. einfachen Gesetzesvorbehalts. Oder im Art. 5 Abs. 2: die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit, so wie die Rundfunk- und Filmfreiheit „finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“. Das ist ein Fall des sog. qualifizierten Gesetzesvorbehalts. Es ist im Moment der Relativierung der Anspruchsverwirklichung, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip Anwendung findet. Als zweite Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist insofern die Relativität der Anspruchsverwirklichung zu nennen.

3. Die Wesensgehaltsgarantie Aber selbst da, wo das GG entschieden eine Tür zur relativen Dimension eröffnet hat,141 hat es zugleich eine Sperre eingerichtet: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Das ist die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG. Man mag im Sinne der relativen Theorie142 vertreten, dass es nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich ein absoluter Anspruch143 nicht verwirklichen lässt.144 Normtheoretisch findet dies einen Ausdruck in der These, dass die Grundrechte des GG nicht Regeln, sondern Prinzipien sind, die als solche „in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können“.145 Der Eindruck, dass ein absoluter Anspruch notwendig verwirklicht werden muss, beruhe selbst auf Abwägungen, auf Relationen.146 Verstanden in dem Sinne, dass das GG schlechthin von der Relativität der Grundrechte auf der Verwirklichungsebene ausgeht, setzt die Prinzipientheorie schon im Ansatz auf eine Entleerung der Wesensgehaltsgarantie und kann insofern nicht zutreffen. So scheint sie eine Theorie zu sein, die nicht durch das positive Verfassungsrecht bedingt wird, sondern es bedingen will.147 Das GG, das der Aus141

S. o. C. II. 2. Zur Diskussion um die Wirkungen der Wesensgehaltsgarantie – ob die Grundrechtsnormen objektiv oder einzelne Grundrechtsträger subjektiv geschützt werden bzw. ob der Schutz ein absoluter oder ein relativer ist – vgl. nur H. Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 II Rn. 12 ff. 143 S. o. C. II. 1. 144 Verfechter einer subjektiv-relativen Theorie ist etwa H. Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 II Rn. 17. Als Vertreter einer subjektiv-absoluten Theorie seien nur genannt: C. Hillgruber, Grundrechtsschranken, Rn. 100; A. Leisner-Egensperger, Wesensgehaltsgarantie, in: HGR III, 2009, § 70 Rn. 28 ff. 145 Vgl. dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 146 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 271 f. 147 So in der Tat R. Alexy, Grundrechte und Verhältnismäßigkeit, S. 11 ff.: Verwerfung der „Kontingenz-“ oder „Positivitätsthese“, Verteidigung der „Notwendigkeitsthese“. D. h.: die 142

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C. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der Ebene der Gesetzgebung

gangspunkt jeglicher theoretischen juristischen Konstruktion, so auch der Prinzipientheorie,148 sein muss, geht nicht schlechthin von der Relativität der Grundrechte auf der Verwirklichungsebene aus. Und dies belegt eben die Wesensgehaltsgarantie, deren Sinn ist, dass gewisse Ansprüche notwendig verwirklicht werden müssen.149 Der Idee nach müssen manche Ansprüche notwendig verwirklicht werden. Ist das so, dann kann ihre Relativierung auf der Verwirklichungsebene allein auf zwei Gründen basieren: entweder ist das Wesen des Grundrechts unbestimmbar; oder man kann faktisch das Wesen des einen Grundrechts nicht schonen, ohne zugleich in das Wesen des anderen einzudringen. Diesen Fragen kann hier nicht nachgegangen werden. Festzuhalten ist nur, dass differenziert werden muss: der Idee nach haben die Grundrechtsträger bestimmte Ansprüche, die notwendig verwirklicht werden müssen. Die absolute Dimension der Grundrechte wird insofern auf der Verwirklichungsebene aktualisiert. Diese Feststellung ist für das Verständnis der grundgesetzlichen Grundrechtskonzeption unentrinnbar und bleibt darüber hinaus nicht ohne methodische Folgen: ist andererseits eine Relativierung auf der Verwirklichungsebene unumgänglich, dürfte eines sicher sein: wenn es einen Wesensgehalt gibt, dann muss es auch einen „Nicht-Wesensgehalt“150, ich sage: einen „Nebengehalt“ geben; der Eingriff in den Wesensgehalt muss intensiver sein und unter höheren Rechtfertigungsanforderungen stehen als derjenige in den Nebengehalt – dieser ist schon der Idee nach einer Relativierung offen –; umgekehrt, je schwerer die Eingriffsintensität ist, desto näher muss man dem Wesensgehalt stehen. So variieren mit der Eingriffsintensität die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Im Hinblick darauf, dass das GG ein Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht explizit nennt, eine Wesensgehaltsgarantie jedoch kennt, ist es allenfalls missverständlich zu sagen, dass sich die Wesensgehaltsgarantie auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip reduzieren lässt.151 Auch die Rede von einer „symbolischen Funktion“152 scheint die Bedeutung der Wesensgehaltsgarantie nicht auszudrücken. Letztlich ist die Wesensgehaltsgarantie eine Vorbedingung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die dritte Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist somit die Wesensgehaltsgarantie. Sie bietet das Fundament für den Gedanken der abstufbaren

Verbindung der Grundrechte des GG mit der Prinzipientheorie (und daher mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip) wird nicht erst durch das GG geschafft; sie ist vielmehr notwendig. 148 Vgl. M. Jestaedt, Die Abwägungslehre, S. 262 f. 149 Dazu grundlegend K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 865 ff. 150 Vgl. A. Kaufmann, Was heißt „Wesensgehalt“ der Grundrechte? Überlegungen zu Artikel 19 Absatz 2 Grundgesetz, in: B. Schünemann/J. P. Müller/L. Phillips (Hrsg.), Das Menschenbild im weltweiten Wandel der Grundrechte, Berlin 2002, S. 23 (24). 151 So H. Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 II Rn. 17; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 269. 152 Vgl. A. Kaufmann, Was heißt „Wesensgehalt“ der Grundrechte?, S. 33.

II. Die Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips

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Eingriffsintensität,153 die von einer schweren über eine mittlere bis hin zu einer leichten reichen kann; sie bietet das Fundament für je nach der Einstufung der Eingriffsintensität differenzierte Anforderungen; sie bietet das Fundament für eine je nach der Einstufung der Eingriffsintensität differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung.

4. Ergebnis Absolutes Grundrecht; Relativität der Anspruchsverwirklichung; die Wesensgehaltsgarantie: diese sind die drei Bestandteile der Grundrechtskonzeption, die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde liegt. Die Frage, die sich nun stellt, lautet: wie fügt sich der allgemeine Gleichheitssatz in dieses Konzept ein? Ist er überhaupt als ein absolutes Grundrecht aufzufassen?

153 Ähnlich schon R. Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte und das Übermaßverbot, S. 446 ff. Vgl. ferner N. Jansen, Die Abwägung von Grundrechten, Der Staat 1997, S. 27 (51 ff.).

D. Der allgemeine Gleichheitssatz I. Die Fragestellung: formell und absolut oder materiell und relativ? Oben wurde von materiellen und absoluten Grundrechten gesprochen. Materiell und absolut sind etwa das Recht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG (Abwehrrecht) und das Recht auf das Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (Leistungsrecht). Absolut heißt, auf einer ersten Ebene, dass weder die Entstehung des Anspruchs noch seine inhaltliche Konkretisierung einen Akt der Gesetzgebung voraussetzt.1 Der Anspruch ist jedoch ein prima facie Anspruch: auf einer zweiten Ebene ist seine Verwirklichung offen für gesetzgeberische Wertungen, d. h., seine Verwirklichung ist relativ. Bei der Relativierung der Anspruchsverwirklichung kommt das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung.2 Im Moment der Abwägung werden die Nichtverwirklichung des Anspruchs (Eingriff, Mittel) und der Zweck gegeneinander abgewogen. Heißt das nicht, dass sie miteinander verglichen werden? Ist dann die Abwägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes? Es geht dabei um die Frage der Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes für das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Für einige Autoren lässt sich die Abwägung zwischen Mittel und Zweck vom Vergleich verschiedener Tatbestände strukturell unterscheiden.3 Manche Andere sehen die Abwägung doch als einen Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes an.4 Unabhängig davon, ob diese letzte Ansicht zutrifft oder nicht: dabei 1

Zu den Begriffen des materiellen bzw. absoluten Grundrechts s. o. C. II. 1. Zu ihren jeweiligen Gegenteilen, d. h., den Begriffen des formellen bzw. relativen Grundrechts gleich unten im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. 2 S. o. C. II. 2. 3 Vgl. P. Lerche, Übermass und Verfassungsrecht. Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, 2. Aufl., Goldbach 1999, S. 29 f. 4 So etwa P. Wittig, Zum Standort des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im System des Grundgesetzes, DÖV 1968, S. 817 (819 ff.): Verhältnismäßigkeit i. e. S. als „Ausprägung des Willkürverbotes“. Auch A. Somek, Rechtliches Wissen, Frankfurt am Main 2006, S. 198, postuliert die „Anwendung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes bei der Güterabwägung“, „eine spezifische Ausprägung des Gleichheitsprinzips“. Mit spezifischer Ausprägung des Gleichheitsprinzips kann aber nicht die Erhebung der „Unvermeidlichkeit der Anpassung“ (S. 186) zum Kriterium der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Freiheit eines Grundrechtsträgers gemeint sein. Denn diese Rolle übernimmt die „Unvermeidlichkeit der Anpassung“

I. Die Fragestellung: formell und absolut oder materiell und relativ?

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hätte der allgemeine Gleichheitssatz jedenfalls lediglich eine akzessorische Bedeutung anderen Grundrechten gegenüber. Von Interesse ist an dieser Stelle etwas Anderes, nämlich: seine Bedeutung als ein eigenständiges Grundrecht. Erst in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für den allgemeinen Gleichheitssatz: kann vom Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes gesprochen werden? Eine Deutung des allgemeinen Gleichheitssatzes sei vorweg verworfen: dass er als Grundrecht originäre Leistungsansprüche begründet. In Bezug auf staatliche Leistungen kann er nur derivative Teilhabeansprüche begründen.5 Dementsprechend enthält Art. 3 Abs. 1 GG kein Grundrecht auf Herstellung faktischer Gleichheit.6 Eines ist jedenfalls sicher: als Grundrecht hat auch der allgemeine Gleichheitssatz den Sinn, zugunsten des einzelnen Grundrechtsträgers justiziable Ansprüche auch dem Gesetzgeber gegenüber zu begründen.7 Fraglich ist, ob er ein materielles oder ein formelles Grundrecht sein soll. Der allgemeine Gleichheitssatz kann ein formelles Grundrecht sein. Der Anspruch, den der allgemeine Gleichheitssatz begründet, besteht danach nicht in einer Nicht-Belastung bzw. Förderung des Grundrechtsträgers, sondern in der rechtlichen Gleichbehandlung schlechthin (bzw. in der rechtlichen Ungleichbehandlung schlechthin). Für den allgemeinen Gleichheitssatz hat insofern die Erstreckung einer Begünstigung auf die zunächst nicht begünstigte Gruppe den gleichen Wert wie ihre Abschaffung; die Abschaffung einer Belastung hat den gleichen Wert wie ihre Erstreckung auf die zunächst nicht belastete Gruppe. Ihm geht es doch um rechtliche Gleichbehandlung schlechthin. Das ist der Sinn vom formellen subjektiv-öffentlichen Recht8 oder „modalen Abwehrrecht“9. schon wegen ihrer Bedeutung einer Einschränkung der Freiheit des betroffenen Grundrechtsträgers, nicht erst wegen ihrer Bedeutung einer Benachteilung des betroffenen Grundrechtsträgers anderen Grundrechtsträgern gegenüber. Bei dem Vergleich der Einschränkung der Freiheit des betroffenen Grundrechtsträgers mit dem andere Grundrechtsträger berührenden Ziel: in diesem Zusammenhang kann von einer spezifischen Ausprägung des Gleichheitsprinzips die Rede sein. 5 Zu den Begriffen der originären Leistungs- und der derivativen Teilhabeansprüche vgl. grundlegend W. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 8 (21). 6 Vgl. C. Starck, Die Anwendung des Gleichheitssatzes, in: C. Link (Hrsg.), Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat. Symposium zum 80. Geburtstag von Bundesverfassungsrichter i. R. Professor Dr. phil. Dr. iur. Dr. h. c. Gerhard Leibholz am 21. November 1981, Baden-Baden 1982, S. 51 (55 ff.). 7 Vgl. nur die Argumente bei F. Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBl. 1988, S. 863 (867). 8 So M. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar I, 5. Aufl. 2000, Art. 3 Rn. 35, 41. 9 In Anlehnung an J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, Darmstadt 1977, S. 23, M. Sachs, Zur dogmatischen Struktur der Gleichheitsrechte als Abwehrrechte, DÖV 1984, S. 411 (414). Vgl. ferner P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: HStR V, 22000, § 124 Rn. 275 f., der im allgemeinen Gleichheitssatz kein modales, sondern ein „materielles Abwehrrecht“ erkennt. Damit will er den allgemeinen Gleichheitssatz von den Form- und Verfahrensgarantien unterscheiden (vgl. übrigens H. P. Ipsen, Gleichheit, in: F. L. Neumann/H. K.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Um dies mit einem Beispiel zu erläutern: das in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebende gleichgeschlechtliche Paar hat keinen Anspruch auf das Ehegattensplitting,10 sondern lediglich auf eine rechtliche Gleichbehandlung schlechthin, es kann also nicht die Erstreckung des Ehegattensplittings auf sich verlangen, sondern lediglich eine rechtliche Gleichbehandlung. Für den allgemeinen Gleichheitssatz hat die Erstreckung des Ehegattensplittings auf die gleichgeschlechtlichen Paare und seine Abschaffung den gleichen Wert. Ihm geht es lediglich darum, dass Ehegatten und gleichgeschlechtliche Paare gleich behandelt werden. Dabei ist eine vorgegebene Gleichheit die Voraussetzung des Anspruchs aus Art. 3 Abs. 1 GG auf Gleichbehandlung, ähnlich wie etwa die Qualifizierung als Religion eine Voraussetzung des Anspruchs auf freie Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 1 GG ist. Wie dieser setzt jener jedoch keinen Akt der Gesetzgebung voraus. Er ist insofern absolut. Der Akt der Ungleichbehandlung ist keine Voraussetzung des Anspruchs, sondern erscheint vielmehr als Eingriff. Der formelle allgemeine Gleichheitssatz, der also zugleich ein absolutes Grundrecht ist, scheint somit die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu erfüllen. Um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beim so verstandenen allgemeinen Gleichheitssatz abzulehnen, muss man dann mit der Unbestimmtheit des Gleichheitsbegriffs argumentieren. Darüber wird noch zu reden sein.11 Alternativ dazu kann der allgemeine Gleichheitssatz ein materielles Grundrecht sein. Der Anspruch, den der allgemeine Gleichheitssatz begründet, besteht danach nicht in der Gleichbehandlung schlechthin (bzw. in der Ungleichbehandlung schlechthin), sondern in einer Nicht-Belastung bzw. Förderung des Grundrechtsträgers. Für den allgemeinen Gleichheitssatz hat insofern die Erstreckung einer Begünstigung auf die zunächst nicht begünstigte Gruppe einen höheren Wert als ihre Abschaffung; die Abschaffung einer Belastung hat einen höheren Wert als ihre Erstreckung auf die zunächst nicht belastete Gruppe. Ihm geht es doch nicht um rechtliche Gleichbehandlung schlechthin, sondern um die Nicht-Belastung bzw. Förderung des Grundrechtsträgers. Um bei dem Beispiel des Ehegattensplittings zu bleiben: das gleichgeschlechtliche Paar hat nicht einen Anspruch auf Gleichbehandlung schlechthin, sondern den spezifischen Anspruch auf das Ehegattensplitting; es kann nicht lediglich eine Gleichbehandlung verlangen, sondern verlangen kann es spezifisch das Ehegattensplitting. Für den allgemeinen Gleichheitssatz hat die Erstreckung des EhegattenNipperdey/U. Scheuner [Hrsg.], Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte. Zweiter Band: Die Freiheitsrechte in Deutschland, Berlin 1954, S. 111 [128 f.], der den allgemeinen Gleichheitssatz für ein in diesem Sinne sowohl formelles – „Recht auf ,Vergleichung‘“ – als auch materielles subjektives öffentliches Recht hält). Insofern aber, als „sich das Abwehrrecht auf ein Unterlassen der bisherigen Regelung, nicht aber auf ein Unterlassen der bisherigen Belastung des Beschwerdeführers [richtet]“, als in diesem Sinne der allgemeine Gleichheitssatz „subjektivrechtlich ergebnisoffen“ ist, bleibt er formell. 10 Zu diesem Fall vgl. BVerfGE 133, 377. 11 S. u. D. III. 7.

I. Die Fragestellung: formell und absolut oder materiell und relativ?

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splittings auf die gleichgeschlechtlichen Paare einen höheren Wert als seine Abschaffung. Ihm geht es nicht lediglich darum, dass Ehegatten und gleichgeschlechtliche Paare gleich behandelt werden, sondern darum, dass die gleichgeschlechtlichen Paare in den Genuss des Ehegattensplittings kommen. Nur: ein Grundrecht auf das Ehegattensplitting kennt das GG nicht. Der allgemeine Gleichheitssatz bezieht sich auf Nicht-Belastungen bzw. Begünstigungen, auf die der Grundrechtsträger sonst, d. h., unmittelbar aus dem GG, keinen Anspruch hat. Es handelt sich dabei also nicht um absolute Ansprüche. Dementsprechend übt der Gesetzgeber zunächst sein Ermessen aus: ob er dem Grundrechtsträger eine NichtBelastung bzw. eine Begünstigung gewährt, auf die dieser keinen Anspruch hat, liegt in seiner freien Entscheidung.12 Das kann nur für ein Willkürverbot Anlass geben. So greift Art. 3 Abs. 1 GG erst im Fall einer willkürlichen Ungleichbehandlung (bzw. Gleichbehandlung), wobei die willkürliche Ungleichbehandlung (bzw. Gleichbehandlung) nicht als Engriff, sondern als Voraussetzung des Anspruchs auf die NichtBelastung bzw. Begünstigung fungiert. Kurzum: der Anspruch auf die Nicht-Belastung bzw. Begünstigung, den der allgemeine Gleichheitssatz begründet, ist kein absoluter, sondern ein relativer Anspruch; der allgemeine Gleichheitssatz, dem es um die Nicht-Belastung bzw. Begünstigung des Grundrechtsträgers geht, der materielle allgemeine Gleichheitssatz, ist ein relatives Grundrecht13 und erfüllt somit die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht. Damit sind die zwei Fronten vorgezeichnet: entweder ist der allgemeine Gleichheitssatz formell und absolut und erfüllt somit die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips – in diesem Fall verlagert sich die Diskussion auf die Frage des Gleichheitsbegriffs –; oder der allgemeine Gleichheitssatz ist materiell und relativ, so dass schon die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht erfüllt wird. Die Frage lautet also: ist der allgemeine Gleichheitssatz ein formelles und absolutes oder ein materielles und relatives Grundrecht? Bevor diese zwei Deutungen näher untersucht werden, gilt es, die Rechtsprechung des BVerfG einzuordnen.

12 Der Ermessensbegriff wird hier also nicht in dem engeren Sinne verwendet, den er im Verwaltungsrecht später erhalten hat (s. o. Kap. B. Fn. 147), sondern einfach im Sinne von Gestaltungsfreiheit. Von Ermessen des Gesetzgebers statt von Gestaltungsfreiheit oder Ähnlichem zu sprechen, ist in dieser Untersuchung insofern zweckmäßig, als mit dem Ermessensbegriff auf den Begriff zurückgegriffen wird, mit welchem das Willkürverbot in seinem Ursprung in Verbindung stand – s. o. B. III. 1. b). Darüber hinaus ist der Ermessensbegriff ein gängiger Begriff in der Willkürrechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz – s. u. D. II. 1. In einem bestimmten Kontext wird allerdings der Ermessensbegriff in einem spezifischeren Sinne verwendet: s. u. D. III. 7. Fn. 191. 13 In Anlehnung an der Statuslehre von Georg Jellinek spricht H. D. Jarass, Bausteine einer umfassenden Grundrechtsdogmatik, AöR 120 (1995), S. 345 (357 f.), den Gleichheitsgrundrechten den „status relativus“ zu.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

II. Das BVerfG: von der Willkürzur Neuen Formel-Rechtsprechung 1. Die Willkürrechtsprechung Den Gehalt von Art. 3 Abs. 1 GG erläuterte das BVerfG anhand verschiedener Formeln: der allgemeine Gleichheitssatz verbiete nur, „daß wesentlich Gleiches ungleich, nicht dagegen daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt wird“14 ; der allgemeine Gleichheitssatz gebiete, „Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden“15 zu behandeln; der Gesetzgeber dürfe „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln“16. Diese Formeln können so dargestellt werden: es ist geboten, Gleiches gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln; es ist geboten, wesentlich Gleiches gleich, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; es ist verboten, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln.17 Die erste Formel ist nicht hilfreich, da sie keine Auskunft darüber gibt, was Gleiches, was Ungleiches ist. Außerdem setzt sie auf das Binom Gleichheit/Ungleichheit, d. h.: nach ihr sind zwei Gegenstände entweder gleich oder ungleich. Somit läuft sie darauf hinaus, dass es nur die normativen Kategorien des Gebots zur Gleichbehandlung einerseits und des Gebots zur Ungleichbehandlung andererseits gibt. Die zweite Formel hilft in dem Sinne nicht weiter, dass trotz der Qualifizierung der Gleichheit/Ungleichheit mit dem Attribut „wesentlich“ offen bleibt, was wesentlich Gleiches, was wesentlich Ungleiches ist. Insofern gibt es keinen Unterschied zwischen ihr und der ersten Formulierung.18 Sie setzt aber nicht auf das Binom Gleichheit/Ungleichheit, sondern auf ein Trinom: zwischen der wesentlichen Gleichheit und der wesentlichen Ungleichheit liege eine dritte Kategorie, nämlich, eine unerhebliche Gleichheit bzw. Ungleichheit. Dementsprechend deutet sie darauf hin, dass es eine dritte normative Kategorie gibt: die der Erlaubnis zur Gleich- oder Ungleichbehandlung. Insofern unterscheidet sie sich von der ersten Formulierung. Die dritte Formel ist hilfreicher, indem sie vom Willkürbegriff Gebrauch macht. Zum einen impliziert schon der Willkürbegriff die Existenz der wesentlichen Gleichbzw. Ungleichheit einerseits und der unerheblichen Gleich- bzw. Ungleichheit andererseits. Insofern ähnelt sie der zweiten Formel und wird das Wort „wesentlich“ überflüssig. Zum anderen deutet der Willkürbegriff auf einen Maßstab hin: es geht 14

Vgl. BVerfGE 1, 14 (52) – Südweststaat, 1951. Vgl. BVerfGE 3, 58 (135) – Beamtenverhältnisse, 1953. 16 Vgl. BVerfGE 4, 144 (155) – Abgeordneten-Entschädigung. Ähnlich 17, 319 (330); 38, 1 (17); 42, 64 (72); 50, 177 (186); 51, 1 (23, 37); 52, 277 (280). 17 Zu den Formeln des BVerfG vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, Baden-Baden 1985, S. 365. 18 So auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 365. 15

II. Das BVerfG: von der Willkür- zur Neuen Formel-Rechtsprechung

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um Willkürverbot. Insoweit geht sie über die zweite Formel hinaus und soll daher als die paradigmatische Formel der Willkürrechtsprechung des BVerfG betrachtet werden, und zwar der Klarheit halber in einer solchen Gestalt: es darf weder willkürlich ungleich noch willkürlich gleich behandelt werden. Diese Konzeption des allgemeinen Gleichheitssatzes wird verständlicher, wenn man sich über die Formel hinausgehend die Rechtsprechung des BVerfG näher anschaut. Die erste Phase der Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz beginnt 1951 mit dem Südweststaat-Urteil, durch welches das Willkürverbot Eingang in die verfassungsgerichtliche Judikatur findet.19 Im Südweststaat-Urteil heißt es: „Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss.“20 In Übereinstimmung mit der oben erwähnten paradigmatischen Formel (es darf weder willkürlich ungleich noch willkürlich gleich behandelt werden) hebt die Formulierung im SüdweststaatUrteil, das im Übrigen eine Ungleichbehandlung betraf, sowohl das Verbot einer willkürlichen Ungleichbehandlung als auch das Verbot einer willkürlichen Gleichbehandlung hervor. Über das Südweststaat-Urteil geht das BVerfG in nachfolgenden Entscheidungen hinaus. So setzt es auf den Gerechtigkeitsgedanken: entscheidend sei „eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise“.21 Im Beamtenverhältnisse-Urteil pointiert das Gericht zudem seine begrenzte Kontrollbefugnis: es sei nicht Sache des BVerfG, „die vom Gesetzgeber gewählte Lösung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen“; es sei nicht Sache des BVerfG zu untersuchen, ob sie „die ,gerechteste‘ denkbare Lösung darstelle“. Nur die Überschreitung „gewisser äußerster Grenzen“ könne das Gericht beanstanden.22 In weiteren Entscheidungen wird die Existenz eines gesetzgeberischen Ermessensbereichs bestätigt. So betont das Gericht, dass von Willkür noch nicht zu sprechen sei, wenn der Gesetzgeber „im Rahmen seines freien Ermessens unter mehreren gerechten Lösungen im konkreten Falle nicht die ,zweckmäßigste‘, ,vernünftigste‘ oder ,gerechteste‘ gewählt hat“. Das Gericht fügt noch hinzu: es handele sich um „Willkür im objektiven Sinn, d. h. die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand“.23 In einer Entscheidung zu einem Amnestiegesetz24 geht das BVerfG wieder davon aus, dass es 19 20 21 22 23 24

S. o. B. III. 2. b). Vgl. BVerfGE 1, 14 (52). Vgl. BVerfGE 1, 264 (276) – Altersgrenze für Schornsteinfeger, 1952. Vgl. BVerfGE 3, 58 (135) – Beamtenverhältnisse, 1953. Vgl. BVerfGE 4, 144 (155) – Abgeordneten-Entschädigung, 1955. Vgl. BVerfGE 10, 234 (246) – Platow-Amnestie, 1959.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

nicht befugt sei zu prüfen, ob die vom Gesetzgeber „getroffenen Regelungen notwendig oder zweckmäßig sind“; das Gericht könne „nur feststellen, ob der Gesetzgeber die äußersten Grenzen des ihm offenstehenden weiten Ermessensbereichs überschritten hat“. Eine Regelung verstöße erst gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn sie „offensichtlich nicht am Gerechtigkeitsgedanken orientiert ist“. Schließlich bringt das BVerfG präzis zum Ausdruck, was eigentlich schon impliziert war: bei der Prüfung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz komme es auf die „Eigenart des konkreten Sachverhalts“ an.25 Dieser Überblick über die Willkürrechtsprechung des BVerfG26 zeigt, dass sie als ein Ausfluss der Konzeption des allgemeinen Gleichheitssatzes als eines materiellen relativen Grundrechts27 angesehen werden kann. Das BVerfG sah in der Prüfung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes eine Ermessenskontrolle, die insofern auf eine Willkürkontrolle hinauslaufen musste.28 So wolle Art. 3 Abs. 1 GG einen materiellen Anspruch begründen, dann aber erst im Fall einer willkürlichen Ungleichbehandlung bzw. einer willkürlichen Gleichbehandlung, letztlich einer offensichtlichen Negation des Gerechtigkeitsgedankens, wobei es auf den konkreten Sachverhalt ankomme.29 Relativität des Anspruchs wird zugleich Absolutheit der Anspruchsverwirklichung: es geht nicht um einen prima facie Anspruch, der unter Umständen nicht zu verwirklichen ist.30 Dementsprechend wagte das BVerfG nicht

25 Vgl. BVerfGE 17, 122 (130) – Wiedergutmachung, 1963. Vgl. auch schon BVerfGE 6, 84 (91) – Grundmandatsklausel, 1957: „Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs“. 26 Dazu s. a. K. Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 (1984), S. 174 (185 ff.). 27 S. o. D. I. 28 Vgl. L. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme: methodenrechtliche Analyse und Fortentwicklung der Theorie der „beweglichen Systeme“ (Wilburg), Berlin 1997, S. 230. 29 So identifiziert L. Osterloh, Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz – Entwicklungslinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 2002, S. 309 (310), in der Willkürrechtsprechung des BVerfG „drei essentielle Elemente der verfassungsgerichtlichen Gleichheitsinterpretation“, nämlich „die Auffüllung des ,semantisch leeren‘ Begriffs rechtlicher Gleichheit durch den Begriff der Gerechtigkeit, zweitens die korrelierende Beschränkung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle auf ein Willkürverbot und drittens … das ranggleiche Nebeneinander von Gleichbehandlungs- und Ungleichbehandlungsgebot oder -verbot, je nachdem, ob ,Gleiches‘ oder ,Ungleiches‘ Regelungsgegenstand ist“. Die Bedeutung der Eigenart des konkreten Sachverhalts betont sie aber an anderer Stelle, S. 311 f., als einen spezifischen Beitrag des Zweiten Senats zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG – s. u. Fn. 44. 30 G. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte: Struktur und Reichweite der Eingriffsdogmatik im Bereich staatlicher Leistungen, Baden-Baden 1988, S. 17 f., 27, spricht von „präformierten“ Ansprüchen bzw. vom „präformierten“ Grundrechtsschutz. Dem Ausdruck „präformiert“ liegt der Gedanke nahe, dass der Anspruch vor jeglicher gesetzgeberischen Handlung gebildet wurde. Insofern passt er schlecht zu den Ansprüchen aus Art. 3 Abs. 1 GG, die nur mittelbar, d. h., nach einer gesetzgeberischen Handlung entstehen.

II. Das BVerfG: von der Willkür- zur Neuen Formel-Rechtsprechung

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die Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.31 In einer Formel zusammengefasst: es darf weder willkürlich ungleich noch willkürlich gleich32 behandelt werden.

2. Die Neue Formel-Rechtsprechung Mit dem Präklusion I-Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1980 setzte die Diskussion ein, ob der Willkürmaßstab nicht zumindest teilweise aufgegeben worden sei. Anlass dafür bot die folgende Formulierung des Ersten Senats: Art. 3 Abs. 1 GG „gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“.33 Diese „Neue Formel“ wirkt vor allem dann als eine Alternative zum Willkürmaßstab, wenn man die folgenden Ausführungen des Ersten Senats betrachtet. Der Erste Senat unterscheidet zwischen der Ungleichbehandlung von Personengruppen einerseits und der Ungleichbehandlung von Lebenssachverhalten und des Verhaltens „ein und derselben Person in verschiedenen Regelungszusammenhängen“ andererseits. In letzten beiden Fällen habe der Gesetzgeber eine „weitgehende Freiheit“. Im Zusammenhang mit diesen Fällen spricht der Erste Senat dann vom Willkürverbot, von Willkür als evidente Unsachlichkeit.34 Einige Kritiken an der Unterscheidung zwischen Ungleichbehandlung von Personen, Sachverhalten und Verhalten ein und derselben Person in verschiedenen Regelungszusammenhängen35 mögen berechtigt sein – z. B.: jede Ungleichbehandlung von Sachverhalten betrifft auch die dahinterstehenden Personen36. Jedenfalls kann sie als ein Versuch gedeutet werden, Kriterien der Willkür, der evi31 Vgl. aber H.-M. Kallina, Willkürverbot und Neue Formel. Der Wandel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 I GG, Tübingen 2001, S. 40 ff., der vereinzelte Fälle einer Verhältnismäßigkeitsprüfung identifiziert: BVerfGE 16, 147 – Werkfernverkehr, 1963; BVerfGE 18, 121 – „Fiskusprivileg“ im Mieterschutzgesetz, 1964; und ferner Typisierungsfälle. 32 Das Ungleichbehandlungsgebot in der Willkürrechtsprechung betonend K. Stern, Das Gebot zur Ungleichbehandlung, in: H. Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz. Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geburtstag, München 1990, S. 205 (209 ff.). 33 Vgl. BVerfGE 55, 72 (88). 34 Vgl. BVerfGE 55, 72 (89 f.). 35 Die Unterscheidung zwischen Ungleichbehandlung von Personen und Ungleichbehandlung von Sachverhalten erinnert an H. Nawiasky, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung, VVDStRL 3 (1927), S. 25 (35 ff.), der zwischen persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit unterschied und postulierte, dass Art. 109 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung allein die Bedeutung der persönlichen Rechtsgleichheit zukam. 36 In diesem Sinne stellt W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 22, die Frage, „wann die Ungleichbehandlung von Sachverhalten keine mittelbare Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt“.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

denten Unsachlichkeit, auszudifferenzieren und stehe insofern nicht in Widerspruch zur vorherigen Rechtsprechung: schon im Zusammenhang der Willkürrechtsprechung37 stellte das BVerfG auf die „Eigenart des konkreten Sachverhalts“ ab.38 Die Rechtsprechung des Erstens Senats ging in die neue Richtung weiter – freilich mit Abweichungen, z. B. im Bereich des Steuerrechts39. Weitere Kriterien wurden einbezogen – die Berührung „andere[r] grundrechtlich verbürgte[n] Positionen“ –40, ohne dass es schon klar geworden wäre, für welchen anderen Maßstab sich eine Tür öffnete. Schnell wurde aber die Neue Formel in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gebracht.41 Schließlich kam der Erste Senat zu derjenigen Formulierung, die in der Rechtsprechung des BVerfG heute geläufig ist: „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus Wortlaut und Sinn des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen.“ Zudem ordnete er die Kriterien der Abstufung der Anforderungen an den Gesetzgeber: die mittelbare und die unmittelbare Personenbezogenheit, die Sachbezogenheit und die Verhaltensbezogenheit der Differenzierung; die Annäherung an die Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG; die Auswirkungen „auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten“.42 Die Tür war für das Verhältnismäßigkeitsprinzip nun klar geöffnet.43 Demgegenüber schien der Zweite Senat, „die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs“ betonend, an der vorherigen Rechtsprechung festzuhal-

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S. o. D. II. 1. Vgl. W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 23. Vgl. ferner R. Wendt, Der Gleichheitssatz, NVwZ 1988, S. 778 (780 f.). 39 Vgl. etwa BVerfGE 74, 182 (200) – Einheitswerte I, 1987. 40 Vgl. BVerfGE 74, 9 (24) – Arbeitsförderungsgesetz 1979, 1986. 41 Vgl. BVerfGE 74, 9 (29) – Arbeitsförderungsgesetzt 1979, 1986, abweichende Meinung vom Richter Dietrich Katzenstein. Im Schrifttum bereits K. Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, S. 189. 42 Vgl. BVerfGE 88, 87 (96) – Transsexuelle II, 1993. 43 Zu einem Überblick über die Entwicklung der Neuen Formel-Rechtsprechung des BVerfG vgl. zunächst M. Sachs, Die Maßstäbe des allgemeinen Gleichheitssatzes – Willkürverbot und sogenannte neue Formel, JuS 1997, S. 124 (125 ff.). Vgl. ferner U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG-Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 28, der die wiedergegebenen Formulierungen als neue bzw. neueste Formel bezeichnet und von dieser letzten eine weitere, in der BVerfGE 129, 49 – Großer Teilerlass der BAföG-Rückzahlung, 2011 – erschienene „Stufenlos-Formel“ unterscheidet. Zu den möglichen Neuerungen der BVerfGE 129, 49 vgl. L. Osterloh, Der Gleichheitssatz zwischen Willkürverbot und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: C. Franzius/S. Lejeune/K. von Lewinski et al. (Hrsg.), Beharren. Bewegen. Festschrift für Michael Kloepfer zum 70. Geburtstag, Berlin 2013, S. 139 (141, 151). Die mit der „Stufenlos-Formel“ verfolgte Strategie zur Umgehung des Problems des Zwiespalts des aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abzuleitenden Maßstabs erinnert an die Rechtsprechung des BVerfG zum Grundsatz der Gleichheit der Wahl (s. u. Fn. 136). 38

II. Das BVerfG: von der Willkür- zur Neuen Formel-Rechtsprechung

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ten.44 Er hat sich aber dem neuen Trend gebeugt und schließlich einen Versuch unternommen, das Alte ins Neue zu integrieren.45 Festzuhalten ist an dieser Stelle die dem aktuellen Stand der Rechtsprechung des BVerfG46 entsprechende Ansicht, dass sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nach den erwähnten Kriterien „unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber [ergeben], die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen“. Dass sie auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung tatsächlich hinausläuft,47 scheint nicht der Fall zu sein.48 Jedenfalls legt sie im 44

Vgl. etwa BVerfGE 75, 108 (157) – Künstlersozialversicherungsgesetz, 1987; 84, 239 (268) – Kapitalertragssteuer, 1991. Dazu s. a. K. Hesse, Der allgemeine Gleichheitssatz in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsetzungsgleichheit, in: P. Badura/R. Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München 1993, S. 121 (125 f.), der allerdings in der Betonung der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs eine Erneuerung des Willkürverbots sieht, und zwar dahingehend, dass es sich „dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit annähert“. Eine ähnliche Ansicht scheint L. Osterloh, Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz, S. 309 ff., zu vertreten, wenn sie einerseits behauptet, beide Senate des BVerfG hätten das Willkürverbot verabschiedet – S. 310 –, und andererseits die Betonung der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs als den spezifischen Beitrag des zweiten Senats zur Entwicklung der verfassungsrechtlichen Judikatur zum Art. 3 Abs. 1 GG betrachtet – S. 311 f. 45 So heißt es im Pensionsbesteuerung-Urteil aus dem Jahr 2002, BVerfGE 105, 73 (110 f.): „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfGE 88, 5 [12]; 88, 87 [96]; 101, 54 [101]). Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls verletzt, ,wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt’ (BVerfGE 1, 14 [52]; stRspr, vgl. etwa BVerfGE 89, 132 [141]). Weiterhin ist der allgemeine Gleichheitssatz auch dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 93, 386 [397]). Dafür kommt es wesentlich auch darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfGE 82, 126 [146]; 88, 87 [96]; 95, 267 [316 f.]). Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfGE 75, 108 [157]; stRspr des Zweiten Senats, z. B. BVerfGE 93, 319 [348 f.]; 93, 386 [397]; 101, 275 [291]; 103, 310 [318]; vgl. auch aus der Rechtsprechung des Ersten Senats BVerfGE 88, 5 [12 f.]; 88, 87 [96 f.]; 90, 226 [239]).“ Zur Neuen Formel-Rechtsprechung im Zweiten Senat vgl. R. Wendt, Die Weiterentwicklung der „Neuen Formel“ bei der Gleichheitsprüfung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: M. Sachs/H. Siekmann (Hrsg.), Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat. Festschrift für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, Berlin 2012, S. 1553 (1566 f.). 46 Vgl. nur aus dem Ersten Senat BVerfGE 129, 49 (68); aus dem Zweiten Senat BVerfGE 130, 52 (66). 47 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 29. Aufl., Heidelberg 2013, Rn. 470 ff.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Vergleich zur Willkürrechtsprechung eine andere Konzeption des allgemeinen Gleichheitssatzes nahe, eine, die ihn dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugänglich macht.49 Eine also, die im allgemeinen Gleichheitssatz kein materielles relatives, sondern ein formelles absolutes Grundrecht50 sieht. Welche Konzeption findet nun eine theoretische Fundierung? Diejenige, die die Willkürrechtsprechung, oder diejenige, die die Neue Formel-Rechtsprechung anklingen lässt?

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht Nach der These des allgemeinen Gleichheitssatzes als ein formelles absolutes Grundrecht besteht der Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Gleichbehandlung schlechthin (bzw. nach einigen Versionen dieser These in der Ungleichbehandlung schlechthin). Voraussetzung des Anspruchs ist eine Gleichheit. Die Ungleichbehandlung ist keine Voraussetzung des Anspruchs, sondern ein Eingriff. Die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist erfüllt.51 Die Versionen dieser These unterscheiden sich je nachdem, wie sie mit der Voraussetzung der Gleichheit umgehen. Es lassen sich zwei Grundversionen dieser These unterscheiden. Einerseits kann man von einem formellen Gleichheitsbegriff ausgehen. D. h., es wird von einer wesentlichen Gleichheit abgesehen, so dass zwei Menschen ohnehin gleich sind. Dementsprechend sind zwei Menschen immer gleich zu behandeln. Damit ist ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung ausgeschlossen – vielmehr erscheint jegliche Ungleichbehandlung als Eingriff. Bei dieser Reichweite des Grundrechts auf Gleichbehandlung bleibt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung weiterhin denkbar. Die andere Grundversion dieser These setzt auf einen materiellen Gleichheitsbegriff, d. h., auf den Begriff der wesentlichen Gleichheit (bzw. der wesentlichen 48 Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle bleibt im Großen und Ganzen aus. Vgl. W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 23. 49 So wird im Schrifttum in Anknüpfung an die Neue Formel-Rechtsprechung des BVerfG die Möglichkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung beim allgemeinen Gleichheitssatz mit zahlreichen Nuancierungen bejaht. Vgl. etwa H. D. Jarass, Folgerungen aus der neueren Rechtsprechung des BVerfG für die Prüfung von Verstößen gegen Art. 3 I GG. Ein systematisches Konzept zur Feststellung unzulässiger Ungleichbehandlungen, NJW 1997, S. 2545 (2546 ff.); C. Brüning, Gleichheitsrechtliche Verhältnismäßigkeit, JZ 2001, S. 669 (670 ff.); M. Albers, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, JuS 2008, S. 945 (947); V. Epping, Grundrechte, 5. Aufl., Heidelberg 2012, Rn. 818 ff. Dort, wo die Verhältnismäßigkeitsprüfung abgelehnt wird, wird immerhin eine Überbietung des Willkürmaßstabs durch „Verhältnismäßigkeitserfordernisse“ bejaht. So etwa B.-O. Bryde/R. Kleindiek, Der allgemeine Gleichheitssatz, Jura 1999, S. 36 (41 ff.). 50 Dazu s. o. D. I. 51 Dazu s. o. D. I.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Ungleichheit). Zwei Alternativen lassen sich wiederum erblicken: zum einen kann der Begriff der wesentlichen Gleichheit eng verstanden werden, was immer noch Raum für das Verhältnismäßigkeitsprinzip lässt; zum anderen kann wegen der Unbestimmtheit des Begriffs der wesentlichen Gleichheit dem Gesetzgeber ein Vorrang zuerkannt werden, so dass der Begriff der wesentlichen Gleichheit anhand des Willkürmaßstabs definiert wird (weiter Begriff der wesentlichen Gleichheit). Erst auf diesem Umweg wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeschlossen: zwar bleibt der Anspruch auf Gleichbehandlung absolut und so bleibt die Ungleichbehandlung ein Eingriff, dabei geht es aber um einen nicht mehr zu rechtfertigenden Eingriff, der Anspruch auf Gleichbehandlung ist nicht lediglich ein prima facie Anspruch. Die These des allgemeinen Gleichheitssatzes als ein formelles absolutes Grundrecht ist diejenige, die die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips überhaupt erfüllt. Im Folgenden werden die Versionen dieser These einer Kritik dahin gehend unterzogen, inwiefern sie nicht schon am Gleichheitsbegriff scheitern müssen. Erst wenn ein Gleichheitsbegriff, der Raum für das Verhältnismäßigkeitsprinzip noch lässt, vertretbar scheint, muss auf die fundamentalste Frage eingegangen werden, ob sie nicht daran scheitern müssen, dass der allgemeine Gleichheitssatz nicht ein formelles absolutes, sondern ein materielles relatives Grundrecht ist. Dabei wird die Argumentation in Auseinandersetzung mit Ansätzen einiger Autoren entwickelt. Sie bekennen sich zwar nicht ausdrücklich zur These des allgemeinen Gleichheitssatzes als ein formelles absolutes Grundrecht; ihre Heranziehung ist aber an dieser Stelle wegen ihres jeweiligen Umgangs mit dem Gleichheitsbegriff jedenfalls zweckmäßig.

1. Prinzip absoluter persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit: Peter Martini Die einfachste Form überhaupt, mit dem allgemeinen Gleichheitssatz umzugehen, ist von der Voraussetzung einer wesentlichen Gleichheit abzusehen und so auf einen formellen Gleichheitsbegriff zu setzen.52 So etwa Peter Martini, der aus Art. 3 Abs. 1 GG ein „Prinzip absoluter persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit“ ableitet. Diese Konzeption des allgemeinen Gleichheitssatzes will Peter Martini auf einer semantischen, teleologischen, systematischen und genetischen Auslegung von Art. 3 Abs. 1 GG stützen.53 Dabei übernimmt er die Prinzipientheorie Robert Alexys, das heißt, seine normtheoretische Unterscheidung zwischen Regel und 52

Absolute, schematische Gleichheit. Vgl. K. Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, AöR 77 (1951/52), S. 167 (176). 53 Vgl. P. Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, Köln 1997, S. 117 ff.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Prinzip.54 So wird der allgemeine Gleichheitssatz zu einem „prima-facie-Grundrecht jedes Menschen auf absolute Gleichbehandlung“; verlangt wird die „Gleichbehandlung in möglichst großem Umfang“.55 Angesichts des Widerspruchs zwischen einer absoluten persönlichen und sachlichen Rechtsgleichheit und der Gesetzgebung, die ja ohne Differenzierung nicht auskommen kann, unterliege der allgemeine Gleichheitssatz einem ungeschriebenen einfachen Gesetzesvorbehalt.56 Das für die Freiheitsrechte geläufige Schema Schutzbereich-Eingriff-Rechtfertigung des Eingriffs, einschließlich der Schranken-Schranke des Verhältnismäßigkeitsprinzips, würde sich somit auf den allgemeinen Gleichheitssatz übertragen lassen.57 Diese Konstruktion weicht zwar dem Problem der wesentlichen Gleichheit aus. Wenn das Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit als allumfassendes Auffanggrundrecht verbunden mit einem weiten Eingriffsbegriff Bedenken erregt,58 sollte ein analoges Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als Prinzip absoluter persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit aus ähnlichen Gründen jedoch Kritik nach sich ziehen. Nahezu jedes staatliche Handeln fungiert nun als Eingriff in ein Grundrecht, nämlich den allgemeinen Gleichheitssatz, was das Problem der flächendeckenden Geltung eines – ungeschrieben einfachen – Gesetzesvorbehalts mit sich bringt. Jedenfalls ist der erwähnte Widerspruch zwischen einer absoluten persönlichen und sachlichen Rechtsgleichheit und der Gesetzgebung das grundlegende Problem. Der Gesetzgebung wird theoretisch eine untergeordnete Stellung zugewiesen, wenn man auf ein unverzichtbares Moment der Gesetzgebung zurückgreift, um damit beinahe jedes Gesetz prinzipiell zu verbieten. Diese theoretische Herabsetzung der Gesetzgebung vermag Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu begründen.59

54

Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. Vgl. P. Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, S. 158. 56 Vgl. P. Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, S. 165. 57 In den Worten von P. Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, S. 167: „Der allgemeine Gleichheitssatz schützt dann vor jeder Ungleichbehandlung. Jede Differenzierung beeinträchtigt daher seinen Schutzbereich und stellt deshalb einen Grundrechtseingriff dar. Dieser ist allerdings wegen des Gesetzesvorbehalts nicht notwendigerweise ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Er kann vielmehr nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.“ 58 Vgl. nur W. Hoffmann-Riem, Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte?, in: M. Bäuerle/A. Hanebeck/C. Hausotter et al. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit. Beiträge zum Kolloquium anlässlich des 60. Geburtstags von Brun-Otto Bryde, Baden-Baden 2004, S. 53 (70). 59 Mit einem etwas anderen Akzent gegen ein solches Regel („quantitativen“ Gleichheitsbegriff)-Ausnahme-Verhältnis schon G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz. Eine Studie auf rechtsvergleichender und rechtsphilosophischer Grundlage, Berlin 1925, S. 41 ff. Auf Leibholz Bezug nehmend führt C. Gusy, Der Gleichheitssatz, NJW 1988, S. 2505 (2506) aus: „Ausgehend von dem Befund, daß jede Rechtsordnung notwendig Differenzierung und damit Ungleichheit bedeutet, verliert danach ein Gleichheitssatz, welcher anordnet, alles gleich zu behandeln, in der differenzierten Rechtsordnung seinen Sinn.“ Vgl. ferner R. Thoma, Un55

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

99

Dieses Argument ist insofern schlagkräftig, als wer auf einen formellen Gleichheitsbegriff setzt, vom Einzelfall absieht. Es fehlt somit an dem Einzelfallbezug, welcher den Eingriff bzw. die Eingriffsintensität und damit das Verhältnismäßigkeitsprinzip selbst, eigentlich den Grundrechtsschutz überhaupt, charakterisiert. Es verwundert daher nicht, dass man auf spezifische Umstände des Einzelfalls zurückgreift, etwa die Betroffenheit anderer Grundrechte,60 um die Eingriffsintensität, die Intensität der Ungleichbehandlung, zu differenzieren. Wenn man aber erkennt, dass sich die Intensität der Ungleichbehandlung erst im Zusammenhang der spezifischen Umstände des Einzelfalls bestimmen lässt, erkennt man zugleich die Irrelevanz der formellen Gleichheit: die formelle Gleichheit stellt keine materiellen Anforderungen an die Ungleichbehandlung und steuert dementsprechend die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht. So mag jede Ungleichbehandlung zwar rechtfertigungsbedürftig sein; die materiellen Rechtfertigungsanforderungen, denen der Gesetzgeber unterliegt, ergeben sich aber aus den spezifischen Umständen des Einzelfalls. Letztlich wird eine Argumentationslastregel mit einem Grundrecht auf Gleichbehandlung verbunden, welches eine wesentliche Gleichheit voraussetzt. Dies erinnert an Adalbert Podlech.

2. Adalbert Podlech Adalbert Podlech vertritt die These, dass mit Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG allein eine Ungleich-, nicht aber eine Gleichbehandlung gerügt werden kann. Denn die „Unbestimmtheit des Verwirklichungsgrades“ sei nicht durch eine „Unbestimmtheit der Richtung“ begleitet. Betont wird das folgende Argument: die aus der Unbestimmtheit der Richtung resultierende Forderung nach einer Begründung sowohl für jede Ungleich- als auch für jede Gleichbehandlung hätte zur Folge, dass „die Rechtsprechung zum Herrn aller Rechtsetzung“ würde.61 So fungiere der allgemeine Gleichheitssatz als eine „Argumentationslastregel“, und zwar „zugunsten derjenigen, die die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit einer rechtlichen Differenzierung rügen.“ D. h.: eine „Differenzierung [ist] nicht bereits zulässig, wenn die Unzulässigkeit der Differenzierung nicht feststeht, sondern nur, wenn die Zulässigkeit der Differenzierung festgestellt werden kann“.62 Kann ein

gleichheit und Gleichheit im Bonner Grundgesetz, DVBl. 1951, S. 457 (458), und H. P. Ipsen, Gleichheit, S. 141 f., die von einem „flagranten Unsinn“ sprechen. 60 Vgl. P. Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, S. 271 f. 61 Vgl. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, Berlin 1971, S. 56 f. 62 Vgl. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 89.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

zureichender Grund für die Zulässigkeit der Differenzierung nicht festgestellt werden, dann steht man vor einer „verfassungsrechtlichen Gleichheit“63. Anders als Martini scheint Podlech also bewusst zwischen einer Argumentationslastregel und einem Grundrecht auf Gleichbehandlung zu trennen, das eine „relative wertmäßige“64 oder „materielle“65, eine wesentliche Gleichheit nämlich voraussetzt. Dass er die Feststellung der Zulässigkeit einer Differenzierung nicht als Rechtfertigung, sondern als den Ausschluss der Einschlägigkeit von Art. 3 Abs. 1 GG überhaupt verstand, legt auch sein Satz 11.4 nahe: „Trifft eine rechtliche Regelung Personen mit zureichendem Grund (in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts: nicht willkürlich) ungleich, so bedeutet dies nicht, daß nur eine weniger schwerwiegende Verletzung des Gleichheitssatzes vorliegt, sondern daß die Personen nicht verfassungsrechtlich ungleich behandelt werden, also kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt.“66 Nun fragt es sich: wenn das Grundrecht auf Gleichbehandlung eine wesentliche Gleichheit voraussetzt, warum nicht ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung anerkennen, das eine wesentliche Ungleichheit voraussetzt? Podlech will nicht, wie gesagt, dass „die Rechtsprechung zum Herrn aller Rechtsetzung“ wird. Sein Bedenken lässt sich als ein Bedenken gegen eine übermäßige Verkürzung des gesetzgeberischen Spielraums verstehen. Dieses Bedenken hätte eine Berechtigung, wenn die Anerkennung eines Grundrechts auf Ungleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten würde, dass dem Gesetzgeber jeglicher Spielraum beraubt würde. Wenn Art. 3 Abs. 1 GG also Raum für nur eine Lösung belassen würde: entweder ist dem Gesetzgeber geboten, zwei Menschen gleich zu behandeln, oder es ist ihm geboten, sie ungleich zu behandeln. Auf Grundlage der Ausführungen von Podlech selbst verhält es sich aber nicht so. Liegt kein zureichender Grund für die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung vor, gilt: die Ungleichbehandlung ist verboten, die Gleichbehandlung ist geboten. Liegt kein zureichender Grund für die Zulässigkeit der Gleichbehandlung vor, gilt: die Gleichbehandlung ist verboten, die Ungleichbehandlung ist geboten. Das sind die Fälle, in denen die Hände des Gesetzgebers gebunden sind. In allen anderen Fällen hat der Gesetzgeber die Entscheidungsfreiheit. Ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung anzuerkennen, scheint somit den gesetzgeberischen Spielraum nicht übermäßig zu verkürzen.

63 Vgl. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 48. 64 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 363. 65 Vgl. K. Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, S. 177: materielle oder substantielle. 66 Vgl. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 88 f.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Daran ändert sich nichts, wenn eine Argumentationslastregel auch zugunsten derjenigen gilt, die eine Gleichbehandlung rügen. Die Argumentationslast hat einen akzessorischen oder formellen Charakter. Sie lässt sich nicht mit dem materiellen Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes vermischen. D. h.: dass eine Ungleichbehandlung gerügt werden kann und daraufhin rechtfertigungsbedürftig wird, heißt nicht, dass nach dem materiellen Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes eine Gleichbehandlung geboten ist; dass eine Gleichbehandlung gerügt werden kann und daraufhin rechtfertigungsbedürftig wird, heißt nicht, dass nach dem materiellen Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes eine Ungleichbehandlung geboten ist; dass sowohl Ungleich- als auch Gleichbehandlungen gerügt werden können und daraufhin rechtfertigungsbedürftig werden, heißt nicht, dass nach dem materiellen Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes der Gesetzgeber keinen Spielraum hat; dass sowohl die Ungleich- als auch die Gleichbehandlung gerügt werden kann und daraufhin rechtfertigungsbedürftig wird, heißt schließlich nicht, dass man vor dem Paradox steht, dass nach dem materiellen Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes zugleich die Gleich- und die Ungleichbehandlung geboten sind. In einem Sinne würde allerdings „die Rechtsprechung zum Herrn aller Rechtssetzung“: in einem quantitativen Sinne. Denn jegliche Ungleich- bzw. Gleichbehandlung könnte zur gerichtlichen Nachprüfung gebracht und dabei rechtfertigungsbedürftig werden. Dies mag praktisch problematisch sein. Mit Rücksicht darauf könnte man aber ebenso gut vertreten, dass eine wesentliche Ungleichheit einen Anspruch auf rechtliche Ungleichbehandlung begründen kann, eine wesentliche Gleichheit einen Anspruch auf rechtliche Gleichbehandlung dagegen nicht. Auf Grund des erwähnten praktischen Problems zwischen wesentlicher Gleichheit/ Anspruch auf Gleichbehandlung und wesentlicher Ungleichheit/Anspruch auf Ungleichbehandlung zu unterscheiden, scheint daher willkürlich. Naheliegend ist vielmehr eine Anpassung der Argumentationslastregel.67 Zusammenfassend: die Schwäche Podlechs These liegt darin, dass er die wesentliche Ungleichheit nicht mitberücksichtigt und dementsprechend ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung verneint.

3. Prinzip der Gleichheit, Regel der Ungleichheit: zum Modell von Robert Alexy Die Schwäche Podlechs These, ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung bei wesentlicher Ungleichheit nicht anzuerkennen, versucht Robert Alexy zu beseitigen. Anders als Podlech nimmt er an, dass ein Ungleichbehandlungsgebot nicht mit der Aufgabe der Richtung auf Gleichheit erkauft werden muss. Von einer Ungleichbehandlung wird mindestens ein zureichender Grund für ihre Erlaubtheit verlangt; gibt es keinen, ist eine Gleichbehandlung geboten.68 Dabei definiert er zureichenden 67 68

S. u. F. III. bzw. F. IV. Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 370 f.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Grund für die Erlaubtheit einer Ungleichbehandlung mit Rückgriff auf den Willkürbegriff und mit Verweis auf Gerhard Leibholz als plausiblen Grund.69 Nur kann die Begründung einer Ungleichbehandlung so weit gehen, dass, mehr als ein zureichender Grund für ihre Erlaubtheit, ein zureichender Grund für ihre Gebotenheit geltend gemacht wird. In diesem Fall wird die Ungleichbehandlung geboten.70 Damit, dass eine Ungleichbehandlung erst dann geboten ist, wenn es einen zureichenden Grund für ihre Gebotenheit gibt, bzw. dass ansonsten die Gleichbehandlung prima facie geboten ist, will R. Alexy die Richtung auf Gleichheit beibehalten. Im Art. 3 Abs. 1 GG erkennt er also ein „Prinzip der Gleichheit“, „das prima facie eine Gleichbehandlung fordert und eine Ungleichbehandlung nur dann zulässt, wenn sie durch gegenläufige Gründe gerechtfertigt werden kann“.71 Was unterscheidet diese Konzeption eines Prinzips der Gleichheit vom oben dargestellten72 Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als eines Prinzips absoluter Rechtsgleichheit?73 Wird Art. 3 Abs. 1 GG als ein Prinzip absoluter Rechtsgleichheit verstanden, kann er keine Ungleichbehandlung begründen. Denn ansonsten würde er die Vergleichsgegenstände in Bezug auf denselben Vergleichsmaßstab zugleich für gleich und ungleich halten, was logisch unmöglich ist.74 Entnimmt man aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Prinzip der Gleichheit und zugleich ein Gebot zur Ungleichbehandlung, dann ergibt sich dieses Gebot aus einer eine wesentliche Ungleichheit voraussetzenden Regel, die die Reichweite des von einer wesentlichen Gleichheit absehenden Prinzips von vornherein begrenzt. Das Prinzip der Gleichheit gilt dann nicht uneingeschränkt, sondern nur insoweit, als es mit der Regel der Ungleichheit nicht in Konflikt gerät, es gilt also nur, solange es keinen zureichenden Grund für die Gebotenheit der Ungleichbehandlung gibt. Da nicht alle 69

Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 375. Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 372. 71 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 373. So entnimmt er, S. 389 ff., aus Art. 3 Abs. 1 GG „abstrakte prima-facie-Gleichheitsrechte“, darunter das Prinzip der rechtlichen Gleichheit. Darüber hinaus spricht er von „abstrakten definitiven Gleichheitsrechten“, darunter dem abstrakten definitiven Recht auf Gleichbehandlung („Wenn es keinen zureichenden Grund für die Erlaubtheit einer Ungleichbehandlung gibt, dann ist eine Gleichbehandlung geboten“). Das abstrakte definitive Recht auf Gleichbehandlung scheint als eine „Schrankenklausel“ zu fungieren, die bei einer Ungleichbehandlung, einem – könnte man sagen – Eingriff in das Prinzip der Gleichheit, zur Anwendung kommt. Aus dem Zusammenhang vom prima facie-Recht und Schrankenklausel würden sich die „konkreten definitiven Gleichheitsrechten“ ergeben. 72 S. o. D. III. 1. 73 Prinzip, es sei wiederholt, im Sinne der Prinzipientheorie von R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 74 Insofern ist die Kritik von W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 69, an der Herleitung eines Prinzips und seines Gegenteils aus dem Gleichheitssatz zutreffend. Gewiss kann ein und derselbe Normsatz verschiedene Normen begründen. So M. Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, Tübingen 2006, S. 683, insb. Anm. 15. Auf einen großen Abstand davon geht aber die Unterstellung, dass mit einem und demselben Normsatz der Verfassungsgeber widersprüchliche Normen begründen wollte. 70

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Ungleichbehandlungen geboten sein sollen, gibt es noch Raum für ein Prinzip der Gleichheit, wonach die sonstigen Ungleichbehandlungen prima facie verboten sind.75 Das Prinzip der Gleichheit mit dieser Einschränkung zu versehen, befreit die Konzeption Alexys aber nicht von den Problemen, die schon bei dem Prinzip absoluter Rechtsgleichheit festgestellt wurden. Wie dort wird hier die Gesetzgebung prinzipiell unter Verdacht gestellt. Versteht man den allgemeinen Gleichheitssatz als ein solches durch eine Regel der Ungleichheit beschränktes Prinzip der Gleichheit, gilt: jenseits des Gebots zur Ungleichbehandlung kennt der Gesetzgeber nur ein – wenn auch nur prima facie – Gebot zur Gleichbehandlung. Der Gesetzgeber hat also grundsätzlich keinen Spielraum. Diese Herabsetzung der Gesetzgebung scheint mehr von Art. 3 Abs. 1 GG zu verlangen, als er gebieten will. Zumal jenseits der wesentlichen Ungleichheit, des Gebots zur Ungleichbehandlung, auf eine formelle Gleichheit gesetzt wird. Man kann zwar sagen, dass im Einzelfall keine wesentliche Ungleichheit vorliegt, dass eine Ungleichbehandlung also nicht geboten ist; was übrig bleibt ist aber eine pauschale Gleichheit, die weiterhin zu allgemein ist, die also mangels eines unmittelbaren Einzelfallbezugs keine Steuerungsfunktion ausüben kann. Aus ihr lassen sich keine materiellen Rechtfertigungsanforderungen ableiten, sie kann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht steuern. Nicht von Ungefähr zieht Alexy nicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip heran, sondern bleibt beim Willkürverbot. Ein Gebot zur Gleichbehandlung, das eine formelle Gleichheit voraussetzt, welche wiederum von sich heraus keine materiellen Rechtfertigungsanforderungen stellen kann, kann in der Tat nur in dem Maße des Willkürverbots gelten. Eigentlich verkennt Alexy nicht, dass sich Art. 3 Abs. 1 GG nur auf eine „relative wertmäßige“, d. h., auf eine materielle oder wesentliche Gleichheit beziehen kann.76 Das ist richtig. Wenn Art. 3 Abs. 1 GG sich nur auf eine relative wertmäßige Gleichheit beziehen kann, kann er nicht ein Prinzip sein, das – jenseits des Gebots zur Ungleichbehandlung – sich auf eine formelle Gleichheit, auf eine „wertmäßige Gleichheit der Individuen schlechthin“77 bezieht. Das ist widersprüchlich.

75 Deutet man das Prinzip der Gleichheit hingegen so, dass es nicht nur jenseits des Gebots zur Ungleichbehandlung, sondern schlechthin gilt, wird es zum Prinzip absoluter Rechtsgleichheit. Ungleichbehandlungen können dann aber nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, sondern müssen mit anderen Verfassungsbestimmungen begründet werden. Würde die Konzeption Alexys so gedeutet, könnte sie keinen weiteren Kontrapunkt zum hier entwickelten Argument bilden. Zu einem Verständnis des „Prinzips der rechtlichen Gleichheit“ als eines schlechthin geltenden, stets abzuwägenden Prinzips vgl. M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 2. Aufl., Baden-Baden 2007, S. 400 ff., der trotzdem an einem Ungleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG festhält. 76 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 363: wertmäßige Gleichheit „relativ auf partielle faktische Gleichheiten“, „relativ auf bestimmte Behandlungen“ und relativ auf ein „Bewertungskriterium“. 77 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 363.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Das Festhalten an einem Prinzip der Gleichheit, dem ein formeller Gleichheitsbegriff zugrunde liegt, scheint nur den Zweck zu haben, eine Argumentationslastregel zu rechtfertigen: jede Ungleichbehandlung kann gerichtlich gerügt werden, jede Ungleichbehandlung wird daraufhin rechtfertigungsbedürftig. Die Argumentationslast hat aber, wie gesagt, einen akzessorischen oder formellen Charakter und darf nicht mit dem materiellen Gehalt des Grundrechts auf Gleichbehandlung vermischt werden. Dass eine Ungleichbehandlung gerügt werden kann und daraufhin rechtfertigungsbedürftig wird, muss nicht heißen, dass nach dem materiellen Gehalt des Grundrechts auf Gleichbehandlung die Gleichbehandlung geboten ist. Alexy entnimmt zu Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung, das eine wesentliche Ungleichheit voraussetzt; sein Fehler ist, aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gleichbehandlung abzuleiten, das eine formelle Gleichheit voraussetzt. Ähnlich wie der Anspruch auf Ungleichbehandlung erst im Fall einer wesentlichen Ungleichheit entsteht, so soll auch der Anspruch auf Gleichbehandlung erst im Fall einer wesentlichen Gleichheit entstehen.78

4. Gleichbehandlung bei wesentlicher Gleichheit, Ungleichbehandlung bei wesentlicher Ungleichheit: Michael Kloepfer Schon vor der Neuen Formel-Rechtsprechung des BVerfG79 entwickelte Michael Kloepfer für Art. 3 Abs. 1 GG ein Eingriffsmodell, das der herkömmlichen Dogmatik der Freiheitsrechte entsprechen sollte.80 Die „rechtlich relevante, wesentliche Gleichheit (bzw. Ungleichheit)“ als den Tatbestand des allgemeinen Gleichheitssatzes unterscheidet er von den Schranken-Schranken des Willkürverbots und des Übermaßverbots. Kloepfer erhebt die wesentliche Gleichheit zur Voraussetzung des Anspruchs auf rechtliche Gleichbehandlung; seiner Konzeption liegt insofern ein materieller Gleichheitsbegriff zugrunde. Konsequent richtet Kloepfer Art. 3 Abs. 1 GG auch auf die rechtliche Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Wie im Fall einer wesentlichen Gleichheit Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf rechtliche Gleichbehandlung begründet, so begründet er im Fall einer wesentlichen Ungleichheit einen Anspruch auf rechtliche Ungleichbehandlung.81

78 Ähnlich H. A. Haller, Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Untersuchung zur Kompensation von Grundrechtseingriffen, Berlin 2007, S. 244 f. 79 S. o. D. II. 2. 80 Vgl. M. Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, Berlin 1980, S. 56 ff. 81 Dabei betont M. Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 57 Anm. 109, mit Hinweis auf BVerfGE 18, 38 (46): „Eine Benachteiligung oder Schlechterstellung ist nicht erforderlich.“

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Das Willkür- und das Übermaßverbot betrachtet Kloepfer als SchrankenSchranken. Die „rechtlich relevante, wesentliche Gleichheit (bzw. Ungleichheit)“, die den Tatbestand des allgemeinen Gleichheitssatzes ausmacht, die also Voraussetzung des Anspruchs auf Gleichbehandlung (bzw. Ungleichbehandlung) ist, muss insofern mehr als bloße Nicht-Willkür sein; es muss sich um eine wesentliche Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne handeln. Die Voraussetzung der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne ist plausibel, zumal wenn es darum geht, die Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes der Dogmatik der Freiheitsrechte anzugleichen. Nur: wie genau die Subsumtion des Einzelfalls unter den abstrakten Tatbestand der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne durchzuführen ist, darüber sagt Kloepfer nicht viel – außer, dass sie „vom Gesetzeszweck her“82 zu unternehmen ist.83 Dies deutet auf das erste von zwei Problemen hin, denen sich Kloepfers Modell ausgesetzt sieht. Die Idee von Erkenntnis einer wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne84 ist sehr problematisch.85 Es ist insofern fraglich, ob irgendeine Vorstellung von wesentlicher Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne derjenigen Vorstellung von Gleichheit bzw. Ungleichheit ent82 Vgl. M. Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 56. Ähnlich S. Möckel, Der Gleichheitsgrundsatz – Vorschlag für eine dogmatische Weiterentwicklung, DVBl. 2003, S. 488 (493 f.), der von einer vom Regelungszweck abhängigen „Individualgerechtigkeit“ spricht. 83 Etwas präziser will Michael Sachs hinsichtlich des Anspruchs auf Gleichbehandlung sein – einen Anspruch auf Ungleichbehandlung lehnt er ab, vgl. M. Sachs, Verfassungsrecht II – Grundrechte, 2. Aufl., Berlin 2003, B 3 Rn. 41 ff. Sachs spricht von einer „Entsprechungsprüfung“. Mit Entsprechung wird aber nicht die zwischen einer Maßnahme der Gesetzgebung und einem vom Gesetzgeber selbst gesetzten oder sonst geltenden Gerechtigkeitsmaßstab gemeint (s. u. das Modell von Stefan Huster, D. III. 6.), sondern die zwischen den „unterschiedlichen Rechtsfolgen“ und den „Verschiedenheiten des Regelungsgegenstandes“. Schon im Rahmen dieser Prüfung sei eine Differenzierung der Kontrollintensität möglich: verschärfte Maßstäbe würden greifen, „wenn sie [Differenzierungen] die Betroffenen mit für sie zumindest praktisch und zumutbarerweise unausweichlichen Konsequenzen konfrontieren“, vgl. M. Sachs, Die Maßstäbe des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 129. Immerhin vertritt auch er ein Eingriffsmodell, indem er die Möglichkeit von Eingriffen bzw. Schranken (negative Entsprechungsprüfung) und Schranken-Schranken (Verhältnismäßigkeitsprinzip) annimmt, ein Modell also, das auf eine wesentliche Gleichheit im positiven und engeren Sinne setzt. 84 An dieser Stelle sei nur klargestellt, dass mit der Gleichheit im engeren Sinne die Ungleichheit im weiteren Sinne konkurriert. Mit der Ungleichheit im engeren Sinne konkurriert dementsprechend die Gleichheit im weiteren Sinne. Vereinfachend gesagt: näher betrachtet sind wir eigentlich gleich (Gleichheit im engeren Sinne), aus einer weiteren Perspektive sind wir aber ungleich (Ungleichheit im weiteren Sinne); oder näher betrachtet sind wir eigentlich ungleich (Ungleichheit im engeren Sinne), aus einer weiteren Perspektive sind wir aber gleich (Gleichheit im weiteren Sinne). 85 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 369, der statt von wesentlicher Gleichheit im positiven und engeren Sinne und wesentlicher Gleichheit im negativen und weiteren Sinne von wertmäßiger Gleichheit im idealen bzw. beschränkten Sinne spricht.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

gegengehalten werden kann, die mit dem Siegel der demokratischen Legitimation gestempelt wird. Symptomatisch ist, dass Kloepfer das Willkürverbot, nun als Schranken-Schranke, nicht aufgibt – wobei überflüssig ist, zunächst nach einer wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne zu fragen, um daraufhin eine Willkürkontrolle zu unternehmen.86 Dieses Problem versucht man dadurch zu überwinden, dass man eben dem Gesetzgeber die Definition der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne überlässt. Angesprochen ist die Folgerichtigkeitsthese. Auf das zweite Problem, dem sich das Modell Kloepfers ausgesetzt sieht, ist später noch zurückzukommen.87

5. Die Folgerichtigkeitsthese a) Ihr Sinn und ihre Schwächen Zum Verständnis der Folgerichtigkeitsthese – oder These der Systemgerechtigkeit88 – sind die Ausführungen von Claus-Wilhelm Canaris hilfreich. Unter Folgerichtigkeit versteht Canaris die „,konsequente‘“ Wiederaufnahme einmal getroffener Wertungen, ihr „,Zuendedenken‘“ bis in alle Einzelfolgerungen.89 Die Frage nach den maßgebenden, wieder aufzunehmenden, zu Ende zu denkenden Wertungen beantwortet Canaris mit den „allgemeinen Rechtsprinzipien“, denjenigen Prinzipien, die, weil allgemein, die Einheit der Rechtsordnung, insgesamt oder eines Teils, garantieren. In diesem Sinne systemtragend seien im Bereich des Zivilrechts unter anderen die Prinzipien der Selbstbestimmung, der Selbstverantwortung und des Verkehrs- und Vertrauensschutzes.90 So fungiert ein Prinzip als Grundlage für Folgerichtigkeit wegen seiner Allgemeinheit, nicht wegen seines Inhalts. Es handelt sich dann zwar um eine „wertungsmäßige Folgerichtigkeit“91, die Folgerichtigkeit weist jedoch einen formellen Charakter auf: von der Qualität des Inhalts der zu Ende zu denkenden Wertung wird abgesehen.92 Anders gesagt: von Verfassungs wegen hat die grundlegende Wertung inhaltlich keinen höheren Stellenwert als die von ihr abweichende Wertung; die 86

Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 369. S. u. D. III. 7. 88 Bei aller Verschiedenheit der Meinungen darüber, was für ein System konstitutiv ist, scheint Einigkeit über die Stellung der Folgerichtigkeit zu bestehen: Folgerichtigkeit steht für die Systemgerechtigkeit. Vgl. dazu F.-J. Peine, Systemgerechtigkeit: die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, Baden-Baden 1985, S. 24 ff. 89 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz: entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, 2. Aufl., Berlin 1983, S. 16. 90 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 46 ff. 91 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16. 92 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 45 f. 87

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Grundregel hat inhaltlich keinen höheren Stellenwert als die Ausnahme – und insofern geht es beim Folgerichtigkeitsgebot um eine Selbstbindung des Gesetzgebers: an den Inhalt der zu Ende zu denkenden Wertung bindet sich der Gesetzgeber selbst. Das heißt, dass problematisch einzig und allein die Ungleichbehandlung sein kann93 – in dem Sinne, dass die Einen nach der grundlegenden Wertung, die Anderen nach der von ihr abweichenden Wertung behandelt werden. Dementsprechend sucht Canaris eine Begründung für das Folgerichtigkeitsgebot nicht zuletzt im allgemeinen Gleichheitssatz. Die Folgerichtigkeit, „zu den fundamentalsten rechtsethischen Forderungen“ gehörend, „in der Rechtsidee selbst“ wurzelnd, sei ein Gebot des „anerkannten Gerechtigkeitspostulat[s], Gleiches gleich und Ungleiches nach dem Maße seiner Verschiedenheit ungleich zu behandeln“.94 Eines der Probleme solch eines Folgerichtigkeitsgebots, das auf abstrakte Prinzipien setzt, besteht darin, dass abstrakte Normen erst mit ihrer Konkretisierung Konturen gewinnen.95 Dies übersieht Canaris freilich nicht96 und es spiegelt sich wider in der Schwierigkeit, Wertungswidersprüche zu identifizieren.97 Wenn mit Blick darauf ein Wertungswiderspruch selbst erst im Fall von Willkür vorliegen soll, ist die Frage erledigt, ob und inwiefern der Gesetzgeber an die grundlegende Wertung gebunden ist. Wenn man vom Problem der Abstraktheit der Normen absieht, die als Grundlage für Folgerichtigkeit fungieren sollen, bleibt die Frage, warum und inwiefern der Gesetzgeber an sie gebunden sein soll. Problematisch bei einem Wertungswiderspruch ist, wie gesagt, einzig und allein die Ungleichbehandlung in dem Sinne, dass die Einen nach der grundlegenden Wertung, die Anderen nach der von ihr abweichenden Wertung behandelt werden. Präziserweise gewinnt Art. 3 Abs. 1 GG in der Form des Folgerichtigkeitsgebots eine spezielle Bedeutung: der Gesetzgeber ist an die grundlegende Wertung ge93 Dass es letztlich darauf ankommt, bemerkt auch U. Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), S. 174 (194 f.); ders., Gleichheitssatz und Steuerrecht – Gefahren eines dogmatischen Sonderwegs, in: R. Mellinghoff/U. Palm (Hrsg.), Gleichheit im Verfassungsstaat. Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von Paul Kirchhof, Heidelberg 2008, S. 175 (184). Vgl. ferner M. Payandeh, Das Gebot der Folgerichtigkeit: Rationalitätsgewinn oder Irrweg der Grundrechtsdogmatik?, AöR 136 (2011), S. 578 (591 f.). 94 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16 (Hervorhebung im Original). 95 So auch W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 30. 96 Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 57 f. 97 Dabei setzt C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 112 ff., auf die Gegenüberstellung von Wertungswiderspruch und Wertungsdifferenzierung, Wertungswiderspruch und immanenten Schranken eines Prinzips, Wertungswiderspruch und Prinzipienkombination, Wertungswiderspruch und Prinzipiengegensatz. Letztlich bleibt nur noch wenig Raum für „echte“ Wertungs- oder Prinzipienwidersprüche, diejenigen, „die die innere Folgerichtigkeit und Einheit der Rechtsordnung, ihre ,Harmonie‘, stören und die daher grundsätzlich vermieden bzw. beseitigt werden müssen“, S. 116.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

bunden, weil sie im Allgemeinen maßgebend ist. Anders gesagt: der Grundrechtsträger soll nach der grundlegenden Wertung behandelt werden, weil andere im Allgemeinen nach ihr behandelt werden. Problematisch ist also die Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers gegenüber der Allgemeinheit. Nun stellt sich die Frage: dass andere im Allgemeinen nach einer Wertung behandelt werden, rechtfertigt eine besondere Bindung des Gesetzgebers an sie? Der allgemeine Vorrang einer Wertung basiert auf einer Generalisation, die als solche Einzelheiten von konkreten Fällen nicht berücksichtigt. Dass Wertungen verfassungsrechtlichen Rangs gerade abgesehen von den spezifischen Umständen des Einzellfalls nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen und dass demgegenüber auf der Ebene des einfachen Rechts der Gesetzgeber gerade dazu gefragt ist, je nach den spezifischen Umständen von konkreteren Situationen die eine oder die andere Wertung zur Geltung zu bringen, macht erst den Sinn einer in Rangstufen gedachten demokratischen Rechtsordnung aus. Lex superior derogat legi inferiori; lex specialis derogat legi generali. Dass der Gesetzgeber generalisieren und abstrahieren muss, hat allenfalls einen praktischen Grund; eine qualitative Bedeutung hat dies jedenfalls nicht. Es verwundert daher nicht, wenn nach Canaris ein Wertungswiderspruch erst dann zu einem verfassungsrechtlichen Problem wird, wenn er gegen das Willkürverbot verstößt.98 So mag der Folgerichtigkeitsgedanke eine zentrale Rolle in der Jurisprudenz spielen: er bleibt ein Leitgedanke der gerichtlichen Auslegung und Anwendung des Rechts, er bleibt eine Prämisse der Rechtsdogmatik.99 Sollte allerdings der Gesetzgeber an eine seiner Wertungen allein wegen deren Allgemeinheit gebunden sein, sollte das Folgerichtigkeitsgebot der „weiteren Strukturierung und Rationalisierung des Willkürverbots“100 dienlich sein, dies dann eben lediglich nach „Maßgabe des Willkürverbots“101. Nach alledem scheitert das Folgerichtigkeitsgebot als eine besondere Bindung des Gesetzgebers an eine von ihm selbst getroffene allgemeine Wertung und damit ein Versuch, dem Gesetzgeber die Kompetenz zur Definition der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne102 zu übertragen. Es wurden zwei Schwächen der Folgerichtigkeitsthese gezeigt: erstens die Abstraktheit der grundlegenden Wertungen; zweitens der Mangel an einer Rechtfertigung für den Vorrang der Grundregel gegenüber der Ausnahme – immer im Sinne 98

Vgl. C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 125 ff. Vgl. U. Battis, Systemgerechtigkeit, in: R. Stödter/W. Thieme (Hrsg.), Hamburg, Deutschland, Europa. Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungsund Wirtschaftsrecht. Festschrift für Hans Peter Ipsen zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 1977, S. 29 f. 100 Vgl. C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar I, 6. Aufl. 2010, Art. 3 Rn. 44. 101 Vgl. W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 37. 102 S. o. D. III. 4. 99

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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einer besonderen Bindung des Gesetzgebers an die erste. Diese Schwächen werden in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG deutlicher, wobei das Folgerichtigkeitsargument eine immer wichtigere Rolle spielt. b) Die Folgerichtigkeitsthese in der Rechtsprechung des BVerfG aa) Zum Wahlrecht Eine markante Rolle spielt das Folgerichtigkeitsargument zum einen in der Rechtsprechung des BVerfG zum Wahlrecht. Schon einer seiner ersten Entscheidungen zum Wahlrecht legte das BVerfG ein Folgerichtigkeitsgebot zugrunde: aus dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl, einem „Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes“103, würden sich je nach dem vom Gesetzgeber ausgewählten Wahlsystem verschiedene Anforderungen an seine weitere Gestaltung ergeben: bei dem Mehrheitswahlsystem sei nur die Zählwertgleichheit geboten, und zwar absolut; bei dem Verhältniswahlsystem sei darüber hinaus die Erfolgswertgleichheit geboten, diese aber nur grundsätzlich. Im Fall einer Kombination von Elementen des einen mit Elementen des anderen Wahlsystems müsse „innerhalb jedes Abschnittes der Wahl Folgerichtigkeit herrschen“.104 Auffällig ist zunächst eine Ungereimtheit, die die ganze Rechtsprechung des BVerfG zum Wahlrecht durchzieht: bei der Definition des Mehrheitswahlsystems wird der Entscheidungsmodus betont, während bei der Definition des Verhältniswahlsystems das Ziel oder die Wirkung auf die Zusammensetzung des Parlaments in den Vordergrund tritt.105 Eine gründliche Systematisierung lässt die Rechtsprechung des BVerfG nicht erkennen. So unterscheidet das BVerfG nicht klar zwischen den Entscheidungsregeln Mehrheitswahl und Verhältniswahl einerseits und den Repräsentationsprinzipien Mehrheitswahl und Verhältniswahl andererseits106 oder zwischen Entscheidungstechniken einerseits und Wirkung auf die Zusammensetzung des Parlaments andererseits.107 Ob die beiden Wahlsystemgrundtypen nach ihren Entscheidungstechniken, nach ihren Repräsentationsprinzipien oder nach dem 103 Vgl. BVerfGE 1, 208 (242) – 7,5 %-Sperrklausel des Schleswig-Holsteinischen Landeswahlgesetzes, 1952. Prüfungsgegenstand war dabei eine Bestimmung eines Landeswahlgesetzes, deren Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl im Wege der Verfassungsbeschwerde allein mit Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG gerügt werden konnte. 104 Vgl. BVerfGE 1, 208 (244 ff.). 105 Vgl. auch BVerfGE 95, 335 (352 f.) – Überhangmandate II, 1997. 106 Zu dieser Unterscheidung vgl. D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem. Zur Theorie und Empirie der Wahlsysteme, 7. Aufl., Opladen 2014, S. 151 ff. Vgl. ferner ders., Erfolgswertgleichheit als fixe Idee oder: Zurück zu Weimar? Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Bundeswahlgesetz vom 3. Juli 2008, ZParl 40 (2009), S. 179 (183), der den Mangel an einer gründlichen Systematisierung auch in der BVerfGE 121, 266 – Negatives Stimmgewicht I, 2008 – feststellt. 107 So H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: HStR III, 32005, § 45 Rn. 25.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Proportionalitätsgrad zwischen Stimmen- und Mandatsgewinn zu differenzieren sind, dazu gibt das BVerfG keine eindeutige Stellungnahme ab. Eine Differenzierung nach Entscheidungstechniken kann beispielweise auf die Dichotomie Wahl von Personen-Wahl von Parteien setzen108 und dementsprechend kann die Rechtsprechung des BVerfG gedeutet werden.109 Nur impliziert weder die Wahl von Parteien eine Gleichheit im Ergebnis – man denke an eine Listenwahl bei Geltung einer Sperrklausel – noch schließt die Wahl von Personen eine Gleichheit im Ergebnis aus – man denke an die sog. lose gebundene Liste110. Deswegen muss man sich mit einer Ergänzung behelfen: die Mehrheitswahl wird der relativen Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen und die Verhältniswahl wird der reinen Verhältniswahl gleichgesetzt, damit mit ihnen die Zähl- bzw. die Erfolgswertgleichheit in Verbindung gebracht werden kann.111 Insofern kann man von einer „scheinbaren“ Differenzierung der Wahlsysteme nach Entscheidungstechniken sprechen.112 Mit Dieter Nohlen kann man auf das Repräsentationsprinzip oder -ziel abstellen. Nohlen unterscheidet zwei Repräsentationsprinzipien, nämlich die Mehrheitsbildung einerseits und „die möglichst getreue Widergabe der in der Bevölkerung bestehenden sozialen Kräfte und politischen Gruppen“113 andererseits. Ein Wahlsystem sei dem Grundtyp Mehrheitswahlsystem oder dem Grundtyp Verhältniswahlsystem je nachdem einzuordnen, ob es sich eher dem einen oder dem anderen Repräsentationsprinzip annähert, wobei die Existenz eines Mischwahlsystems ausgeschlossen sei:114 bei den Repräsentationsprinzipien handele es sich um „zwei antithetische Prinzipien“115. Auf dem Kontinuum Proportionalität-Disproportionalität zwischen Stimmen- und Mandatsgewinn sei die reine Verhältniswahl der eine, die „extreme“ Mehrheitswahl der andere Pol. Inmitten des Kontinuums bzw. der beiden Pole liege ein „Nullwert“, der die Verhältniswahlsysteme von den Mehrheitswahlsystemen trenne.116 Dieses Modell weist gewiss ein Problem auf, nämlich das Problem der Klassifizierung der Wahlsysteme, die sich dem Nullpunkt annähern, was selbst

108 So etwa W. Bausback, Verfassungsrechtliche Grenzen des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, Frankfurt am Main 1998, S. 173 ff. 109 Vgl. W. Pauly, Das Wahlrecht in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 123 (1998), S. 232 (235 ff.). 110 Zu den Listenformen vgl. D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 110 f. 111 Vgl. W. Bausback, Verfassungsrechtliche Grenzen des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, S. 190 f. 112 So H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, Rn. 25. 113 Vgl. D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 153 f. 114 Vgl. D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 154 ff. 115 Vgl. D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 150. 116 Vgl. D. Nohlen, Wahlsysteme der Welt. Daten und Analysen. Ein Handbuch, München 1978, S. 60. Ähnlich W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie. Grundlagen – Struktur – Begrenzungen, Berlin 1983, S. 114 f., insb. Anm. 64.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Nohlen anerkennt.117 Jedenfalls reduziert dieses Modell weder das Mehrheitswahlsystem auf die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen noch das Verhältniswahlsystem auf die reine Verhältniswahl. Insofern entkoppelt es das Verhältniswahlsystem von der Erfolgswertgleichheit.118 Mehr noch: es gründet zwar darauf, dass manche Verfassungen das eine oder das andere Wahlsystem vorschreiben,119 es gründet also auf einer normativen Anforderung, es hat aber an sich eine deskriptive Funktion. Allein aus der Zuordnung eines Wahlsystems zu dem einen oder zu dem anderen Grundtypen werden keine normativen Konsequenzen gezogen. Für Folgerichtigkeit in diesem Sinne bleibt kein Raum. Hans Meyer setzt auf den Proportionalitätsgrad zwischen Stimmen- und Mandatsgewinn und unterscheidet ein „neutrales Wahlverfahren“ von den „mehrheitsfördernden bis mehrheitsbildenden Wahlverfahren“.120 Seine Argumentation ist insofern schlüssig, als nicht schon aus der Zuordnung des Wahlsystems zu dem einen oder zu dem anderen Typen normative Konsequenzen gezogen werden; vielmehr orientiert er sein Klassifikationsmodell an einer normativen Anforderung des GG: aus dem GG wird eine grundsätzliche Entscheidung für das neutrale Wahlverfahren, ein grundsätzliches Gebot der Erfolgswertgleichheit also, herausgelesen.121 Wie man zu dieser Prämisse auch immer stehen mag:122 auch hier findet die Folgerichtigkeit im Sinne von Ableitung von normativen Konsequenzen allein aus der Klassifizierung des Wahlsystems keinen Platz.123 Allein aus der Klassifizierung eines Wahlsystems, die nur eine deskriptive Funktion haben kann, normative Konsequenzen ziehen zu wollen, führt vielmehr zu einer widerspruchsvollen „Folgerichtigkeit“. So hat das BVerfG das Wahlsystem des Bundeswahlgesetzes, welches keine Erfolgswertgleichheit ergibt, als ein Verhält117 Vgl. D. Nohlen, Wahlsysteme der Welt, S. 60. E. Jesse, Wahlrecht zwischen Kontinuität und Reform: eine Analyse der Wahlsystemdiskussion und der Wahlrechtsänderungen in der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1983, Düsseldorf 1985, S. 156, umgeht dieses Problem, indem er die Kombination der Repräsentationsprinzipien nicht ausschließt. Wahlsysteme, „die weder eindeutig den Mehrheitswahl- noch den Verhältniswahlsystemen zuzurechnen sind“, seien demnach Mischwahlsysteme. 118 So stellt D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 206, zwei weitere Typen von Verhältniswahlsystemen neben das reine Verhältniswahlsystem. 119 Vgl. D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, S. 157. 120 Vgl. H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, Rn. 30, 26 f. Ähnlich C. Lenz, Die Wahlrechtsgleichheit und das Bundesverfassungsgericht, AöR 121 (1996), S. 337 (342 ff.). 121 Vgl. H. Meyer, Wahlsystem und Verfassungsordnung. Bedeutung und Grenzen wahlsystematischer Gestaltung nach dem Grundgesetz, Frankfurt am Main 1973, S. 191 ff. 122 Etwa zustimmend M. Morlok, Demokratie und Wahlen, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht. Band 2: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Tübingen 2001, S. 559 (597 ff., 606 ff.); H. Dreier, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, Jura 1997, S. 249 (253 f.); U. Mager/R. Uerpmann, Überhangmandate und Gleichheit der Wahl, DVBl. 1995, S. 273 (276); R. Bakker, Verfassungswidrigkeit des Mehrheitswahlrechts, ZRP 1994, S. 457 (458). Ablehnend C. Lenz, Die Wahlrechtsgleichheit und das Bundesverfassungsgericht, S. 353 f. 123 Kritisch dazu H. Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, Rn. 23, 33 f.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

niswahlsystem klassifiziert. Insofern soll die Erfolgswertgleichheit der reinen Verhältniswahl kein konstitutives Element eines Verhältniswahlsystems sein. Zugleich misst es aber das Verhältniswahlsystem des Bundeswahlgesetzes an derjenigen Erfolgswertgleichheit der reinen Verhältniswahl, die für ein Verhältniswahlsystem eben nicht konstitutiv sein soll.124 Das Wahlsystem des Bundeswahlgesetzes einerseits als ein Verhältniswahlsystem zu klassifizieren und allein daraus andererseits die Forderung nach Erfolgswertgleichheit abzuleiten, ist ein Widerspruch. Dementsprechend kann das Folgerichtigkeitsgebot nur den oben dargestellten Sinn einer speziellen Erscheinung von Art. 3 Abs. 1 GG (bzw. von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) haben: im Zusammenhang des Wahlsystems des Bundeswahlgesetzes ist Erfolgswertgleichheit geboten, weil die Wählerstimmen im Allgemeinen gleichen Erfolgswert haben; der Grundrechtsträger (Wähler) hat einen Anspruch darauf, dass seine Stimme einen bestimmten Erfolgswert hat, weil die Stimme anderer Wähler im Allgemeinen diesen Erfolgswert haben. Dass die Wählerstimmen nicht nur gleichen Zählwert, sondern auch gleichen Erfolgswert haben, erscheint dabei als die Grundregel; dass manche Wählerstimmen nur gleichen Zählwert haben, als die Ausnahme. Nur, wie gezeigt wurde, fehlt es an einer Begründung dafür, dass der Gesetzgeber an eine von ihm selbst getroffene Grundregel allein wegen deren Allgemeinheit besonders gebunden sein soll. Auch die Rechtsprechung des BVerfG zum Wahlrecht legt keine Begründung dafür vor, dass der Gesetzgeber an die Grundregel des gleichen Erfolgswerts allein wegen deren Allgemeinheit besonders gebunden sein soll. Das Festhalten des BVerfG an einem Folgerichtigkeitsgebot, wonach der Gesetzgeber an den Erfolgswert der Wählerstimmen besonders gebunden ist, hat vielmehr einen historischen Grund. Im Kontext der Weimarer Reichsverfassung 124

Vgl. nur BVerfGE 7, 63 (70, 73 ff.) – Listenwahl, 1957; 16, 130 (138 ff.) – Wahlkreiseinteilung, 1963; 79, 169 (170 ff.) – Überhangmandate I, 1988. In dem Überhangmandate II-Urteil aus dem Jahr 1997 haben die die Entscheidung tragenden Richter insofern eine Wende der Rechtsprechung des BVerfG angedeutet, als sie die Erfolgswertgleichheit als Maßstab aufgegeben haben. Die durch die Überhangmandate bewirkte Verzerrung des Proporzes zwischen Stimmen- und Mandatsgewinn sei vielmehr ein konstitutives Element des Wahlsystems des Bundeswahlgesetzes. Vgl. BVerfGE 95, 335 (356 f.). Wörtlich heißt es, S. 358: „der verhältniswahlrechtlichen Erfolgswertgleichheit aller Stimmen [kommt] nur eine von vornherein begrenzte Tragweite zu.“ Vgl. dazu C. Lenz, Grundmandatsklausel und Überhangmandate vor dem Bundesverfassungsgericht, NJW 1997, S. 1534 (1535 f.); R. Backhaus, Neue Wege beim Verständnis der Wahlgleichheit? Besprechung des Überhangmandate-Urteils des Bundesverfassungsgerichts, DVBl. 1997, S. 737 (738 f.); M. Wild, Die Gleichheit der Wahl. Dogmengeschichtliche und systematische Darstellung, Berlin 2003, S. 148 f. Der Relativierung der Erfolgswertgleichheit folgte jedenfalls nicht die Aufgabe des Folgerichtigkeitsgedankens: „Der Grundcharakter der Wahl als Verhältniswahl läßt eine Differenzierung des Gewichts der für die Parteien abgegebenen Stimmen nicht unbeschränkt zu.“ Vgl. BVerfGE 95, 335 (365 f.). Die nachfolgenden Entscheidungen des BVerfG haben diese Entwicklung jedoch nicht bestätigt. Sie schließen sich eher an seine vorherige Rechtsprechung an. Vgl. BVerfGE 95, 408 (417 ff.) – Grundmandatsklausel, 1997; 121, 266 (295 ff.) – negatives Stimmgewicht I, 2008; 131, 316 (359 ff.) – negatives Stimmgewicht II, 2012.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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wurde die in den Art. 17 und 22 vorgeschriebene Verhältniswahl als reine Verhältniswahl begriffen, vor allem seitens des Staatsgerichtshofs, der bis zur Endphase der Weimarer Republik nahezu jegliche Abweichung von der Erfolgswertgleichheit durch Landeswahlgesetze beanstandet hat.125 Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass im Hintergrund dieser Bestimmungen zu den Wahlrechtsgrundsätzen die Verordnung über die Wahlen zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 (Reichswahlgesetz) stand, ein Produkt der Novemberrevolution, präziser, des aus Sozialdemokraten bestehenden126 Rates der Volksbeauftragten.127 Es liegt nahe, in Anbetracht der „Lage der Dinge“ die für die Wahl der Nationalversammlung angeordnete Verhältniswahl128 im Sinne eines „radikaldemokratischen Programms“ auszulegen.129 So wird die Haltung des Staatsgerichtshofs verständlich, zumal die grundsätzliche Frage der Bedeutung des Verhältniswahlsystems, wie die Frage des Wahlsystems überhaupt,130 kein relevantes Thema in der Nationalversammlung war.131

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Vgl. H. Schneider, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, in: HStR I, 32003, § 5 Rn. 49; ausführlich: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band VI: Die Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart 1981, S. 146 ff. Vgl. ferner C. Gusy, Das Demokratiekonzept der Weimarer Reichsverfassung, Jura 1995, S. 226 (230); W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 2. Aufl., München 1964, S. 182 ff.; W. Jellinek, Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich und die Splitterparteien, AöR 54 (1928), S. 99 (111 f.). 126 Nämlich zu je drei Mitgliedern der Mehrheitssozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung. 1914 – 1919, Stuttgart 1978, S. 709 ff. 127 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, S. 793. 128 Den ersten Schritt in die Richtung Verhältniswahl gab das nie zur Anwendung gekommene Reichsgesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 24. August 1918. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte V, S. 472 ff. Kurz zum Zusammenhang dieser Wahlrechtsreform mit wichtigen Reformen der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 W. Frotscher/B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, 12. Aufl., München 2013, Rn. 499 ff. 129 Vgl. H. Preuss, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung, Berlin 1920, S. 4. Vgl. ferner H. G. Erdmannsdörffer, Das automatische System. Betrachtungen zum Reichswahlrecht, ZfP 20 (1931), S. 170. 130 Vgl. K. Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht. Ein Handbuch über die Bildung der gesetzgebenden Körperschaften in Europa. I. Band: Das Wahlrecht in den einzelnen Staaten, Berlin 1932, S. 86 f.; W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, S. 179; C. Gusy, Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung, JZ 1994, S. 753 (760 f.). Die Verhältniswahl war ja letztlich eine „Errungenschaft der Revolution“ gewesen: C. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 118. 131 Immerhin weist einer, der vor seiner Flucht nach Brasilien als Mitglied der Nationalversammlung an der Verfassungsgebung und danach als Reichsminister des Innern an der Bearbeitung des Reichswahlgesetzes vom 27. April 1920 teilgenommen hat, darauf hin, dass weder dem Verfassungs- noch dem Gesetzgeber der Gedanke einer reinen Verhältniswahl zugrunde lag. Vgl. E. Koch-Weser, Gleichheit und Allgemeinheit der Verhältniswahl nach der Reichsverfassung, Juristische Wochenschrift 59 (1930), S. 106 ff.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Das BVerfG knüpft an dem Punkt der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs an,132 der damals einen Fortschritt darstellte, nämlich, der „Abkehr von der pedantischen Handhabung des Gleichheitsgebots im Verhältniswahlrecht und Berücksichtigung sinnvoller Überlegungen“133. Konsequent musste es aber die Voraussetzung dieser Rechtsprechung übernehmen: das Gebot eines Verhältniswahlsystems im Sinne reiner Verhältniswahl, das Gebot von Erfolgswertgleichheit. Nur: nirgends im GG wird eine Verhältniswahl angeordnet, die eine ähnliche Entstehungsgeschichte wie die Verhältniswahl der Art. 17, 22 der Weimarer Reichsverfassung aufweisen kann. Es wird überhaupt kein Wahlsystem angeordnet. An diesem Verständnis festzuhalten, ist insofern nicht eine Distanzierung von,134 sondern eine Rückkehr nach Weimar.135 Es ist vielmehr eine Distanzierung vom GG, was durch das Folgerichtigkeitsargument allenfalls verdeckt wird. Im Kontext des GG bedarf es einer anderen Beweisführung, welche nicht auf der Weimarer Reichsverfassung, sondern auf dem GG selbst basiert.136

132 Vgl. BVerfGE 1, 208 (245). Bezug wird auf eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 17. Februar 1930 zum preußischen Landeswahlgesetz genommen. Vgl. RGZ 128, Anh., S. 1 (7 f.). 133 Vgl. H. Schneider, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, Rn. 49. 134 Vgl. C. Gusy, „Vergangenheitsrechtsprechung“: Die Weimarer Reichsverfassung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ZNR 2004, S. 62 (75 f.). 135 Vgl. D. Nohlen, Erfolgswertgleichheit als fixe Idee oder: Zurück zu Weimar?, S. 185. 136 Ein Versuch kann in neueren Entscheidungen des BVerfG gesehen werden, wo es heißt, dass der Grundsatz der Gleichheit der Wahl den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance gebietet. Diese würde sich aber je nach dem Wahlsystem unterschiedlich auswirken: im Fall der Mehrheitswahl seien möglichst gleich große Wahlkreise, im Fall der Verhältniswahl sei der gleiche Erfolgswert geboten. Vgl. BVerfGE 95, 335 (353 f.); 95, 408 (417); 121, 266 (295 f.); 129, 300 (317 f.) – 5 %-Sperrklausel EuWG, 2011; 130, 212 (225 f.) – Wahlkreiseinteilung, 2012; 131, 316 (336 ff.). Diese Verabschiedung des Folgerichtigkeitsgedankens oder der „Unterwerfungsthese“ – vgl. W. Pauly, Das Wahlrecht in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 247 – scheint nicht mehr als eine terminologische zu sein. So auch M. Morlok, Demokratie und Wahlen, S. 601 f. Zu einem neueren Versuch aus der Literatur vgl. C. Möllers, Wahlrecht: Das missverstandene Systemargument im Streit um die Überhangmandate, Recht und Politik 2012, S. 1 (2 ff.). Möllers hat insofern Recht, als er für die Prüfung des Wahlsystems des Bundeswahlgesetzes einen einheitlichen Gleichheitsmaßstab verlangt. Gegen die Zählwertgleichheit als diesen aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu entnehmenden Maßstab führt er aus, dass zum einen selbst die die Entscheidung zu den Überhangmandaten aus dem Jahr 1997 (BVerfG 95, 335, s. o. Fn. 124) tragenden Richter letztlich die Erfolgswertgleichheit nicht aufgegeben haben und zum anderen wären, gäbe man die Erfolgswertgleichheit konsequent auf, „viele Ausgestaltungen des Wahlrechts verfassungsrechtlich unbedenklich, die allgemein als verfassungswidrig bewertet würden, eben etwa eine Anhebung der 5 %-Hürde auf 15 %“ (S. 3). Ist aber die Erfolgswertgleichheit der einzige aus dem GG abzuleitende Maßstab zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Wahlsystems überhaupt? Ist die Erfolgswertgleichheit die einzige Voraussetzung eines verfassungsrechtlich legitimen Wahlsystems? Das Festhalten an der Erfolgswertgleichheit scheint die Konsequenz der zu kurz greifenden Bejahung dieser Frage zu sein. D. Nohlen, Erfolgswertgleichheit als fixe Idee oder: Zurück zu Weimar?, S. 183, betont z. B. die Einfachheit, Transparenz und Nachhaltigkeit als Dimensionen von „Sinnhaftigkeit“ eines Wahlsystems.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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bb) Zum Steuerrecht Immer wichtiger wird das Folgerichtigkeitsargument zum anderen im Steuerrecht. Es soll durch das Kapitalertragsteuer-Urteil aus dem Jahr 1991 Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG gefunden haben:137 „Der Gesetzgeber hat zwar bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Bei der Ausgestaltung dieses Ausgangstatbestandes hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung dann aber folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen.“138 Die Wertschätzung des Präjudizes machte diese Formulierung zu einer Erfolgsgeschichte.139 Dabei übersieht man eine Eigentümlichkeit des Falls, für die er eigentlich berühmt geworden ist140 und zu der die Rede von Folgerichtigkeit besser zu passen scheint: es ging um ein sog. strukturelles Vollzugsdefizit, d. h., um eine dem Gesetzgeber zuzurechnende Ungleichbehandlung bei dem Vollzug einer an sich nicht zu beanstandenden materiellen Steuerrechtsnorm.141 Die Ungleichheit bei dem Vollzug kann durch die gleich behandelnde materielle Norm nicht geheilt werden; die Ungleichheit im Ausgang kann durch die Gleichheit im Eingang nicht geheilt werden. Im Gegenteil: die Existenz eines Besteuerungsanspruchs, der durch die materielle Norm begründet worden ist, 137

Vgl. K.-A. Schwarz, „Folgerichtigkeit“ im Steuerrecht. Zugleich eine Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG, in: O. Depenheuer/ M. Heintzen/M. Jestaedt/P. Axer (Hrsg.), Staat im Wort. Festschrift für Josef Isensee, Heidelberg 2007, S. 949 (959); O. Lepsius, Erwerbsaufwendungen im Einkommensteuerrecht. Anmerkung zu BVerfG, Urteil v. 9. 12. 2008 – 2 BvL 1/07 u. a. (Pendlerpauschale), JZ 2009, S. 260 (261). 138 BVerfGE 84, 239 (271). Ähnlich aber schon BVerfGE 23, 242 (256) – Vermögensteuerveranlagung, 1968. K. Tipke, Mehr oder weniger Entscheidungsspielraum für den Steuergesetzgeber?, JZ 2009, S. 533 (537), geht noch weiter bis hin zur BVerfGE 19, 101 (116) – Zweigstellensteuer, 1965 – zurück. 139 Vgl. BVerfGE 93, 121 (136) – Einheitswerte II, 1995. Ab dem PensionsbesteuerungUrteil aus dem Jahr 2002 ist nun ausdrücklich von einem „Gebot der Folgerichtigkeit“ die Rede: „Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert …, wird für den Bereich des Steuerrechts und insbesondere für den des Einkommensteuerrechts vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit.“ Vgl. BVerfGE 105, 73 (125). Ähnlich BVerfGE 123, 111 (120 f.) – Jubiläumsrückstellungen, 2009; 127, 224 (245) – Pauschalierung eines Betriebsausgabenabzugsverbots, 2010; 126, 400 (416 f.) – Erbschaft- und Schenkungsteuer bei eingetragener Lebenspartnerschaft, 2010; 126, 268 (277 f.) – häusliches Arbeitszimmer, 2010; 122, 210 (230 f.) – Pendlerpauschale, 2008. 140 Vgl. D. Birk, Verfassungsfragen im Steuerrecht – Eine Zwischenbilanz nach den jüngsten Entscheidungen des BFH und des BVerfG, DStR 2009, S. 877 (878). 141 Ausführlich dazu BVerfGE 84, 239 (271 ff.). Weiterführend BVerfGE 110, 94 (112 ff.) – Spekulationsgewinne, 2004. Zu einer Darstellung der Rechtsprechung des BVerfG zum strukturellen Vollzugsdefizit vgl. F. Werth, Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum strukturellen Vollzugsdefizit im Lichte der jüngeren Kammerrechtsprechung, in: H. Rensen/ S. Brink (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Berlin 2009, S. 411 ff.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

deutet auf die Grundlosigkeit der Ungleichheit bei seinem Vollzug hin. Eine durch die materielle Steuernorm nicht gemachte Differenzierung darf nicht durch die Vollzugsnorm bewirkt werden. Insofern ist Folgerichtigkeit geboten. Nur wurde das Folgerichtigkeitsgebot bei dem Vollzug einer materiellen Steuernorm zu vorschnell auf andere Konstellationen übertragen. Eine Frage ist das Verhältnis zwischen zu vollziehender materieller und vollziehender prozessualer Norm, wie im Kapitalertragsteuer-Urteil das Verhältnis zwischen den Normen, die eine Steuerpflicht aus den Kapitalerträgen begründen, und den Normen zum Erhebungsverfahren (Veranlagungs- statt Quellenprinzip, Absenz von Kontrollmitteilungen). In Bezug auf die materielle (zu vollziehende) Norm hat die (vollziehende) Erhebungsnorm einen instrumentellen Charakter.142 Die von ihr bewirkte, von der materiellen Norm aber nicht gewollte Ungleichbehandlung ist daher, wie gesagt, haltlos. Eine andere Sache ist es, „die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert“, durch ein Folgerichtigkeitsgebot begrenzen zu wollen. Das Verhältnis zwischen Gewährung-nicht Gewährung einer Pendlerpauschale hat eher die Struktur eines Regel-AusnahmeVerhältnisses143 als die Struktur eines Verhältnisses zwischen zu vollziehender materieller und vollziehender prozessualer Norm. Vielmehr zählen Regel und Ausnahme zu den Normen, die im Zusammenspiel den Besteuerungsanspruch erst begründen. Sie vollziehen nichts, sie sind die materielle Norm. Die Entscheidung, die am Anfang der Entscheidungskette des BVerfG zum Folgerichtigkeitsgebot steht, mag also zwar ein festes Fundament für die Entwicklung der Folgerichtigkeitsthese sein; dies aber nur insoweit, als Folgerichtigkeit im Sinne der Ablehnung des strukturellen Vollzugsdefizits verstanden wird. Die davon abgekoppelte aktuelle Version des Folgerichtigkeitsgebots unterstützt sie nicht. Diese bedürfte eines anderen Fundaments. In den weiteren Entscheidungen des BVerfG ist es aber nicht zu finden, auch nicht im Pendlerpauschale-Urteil aus dem Jahr 2008, wo die Folgerichtigkeitsthese ihren Höhepunkt erreicht hat. Dabei ging es um § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes vom 19. Juli 2006, welcher erst die Aufwendungen für den Weg zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte für abzugsfähig hielt, die ab dem 21. Entfernungskilometer eintraten. Will man mit Folgerichtigkeit argumentieren, muss man eine Norm des einfachen Rechts identifizieren, die Grundlage der Folgerichtigkeit ist. Das BVerfG setzt zum einen auf das objektive Nettoprinzip und zum anderen auf das Veranlassungsprinzip. Nicht nur sei davon auszugehen, dass die 142 Allein insofern trifft die Gleichsetzung von Folgerichtigkeit und Verhältnismäßigkeit zu: Selbstbindung des Gesetzgebers bei dem Erhebungsverfahren da, „Selbstbindung bei der Wahl des Mitteleinsatzes“ hier. Dies übersieht L. Osterloh, Folgerichtigkeit. Verfassungsrechtliche Rationalitätsanforderungen in der Demokratie, in: M. Bäuerle/P. Dann/A. Wallrabenstein (Hrsg.), Demokratie-Perspektiven. Festschrift für Brun-Otto Bryde zum 70. Geburtstag, Tübingen 2013, S. 429 (439). 143 Vgl. U. Kischel, Gleichheitssatz und Steuerrecht, S. 184 f.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Werbungskosten prinzipiell abzuziehen sind, sondern auch, dass diese nach dem Veranlassungsprinzip zu bestimmen sind. Die berufliche Veranlassung der Wegkosten vorausgesetzt sei daher die Option für das Werkstorprinzip besonders rechtfertigungsbedürftig. „Verfassungsrechtlich hinreichende sachliche Gründe für diese Abweichung“, d. h., „vom Gesetzgeber erkennbar verfolgte Lenkungs- und Förderungsziele“ seien nicht vorhanden. Auch ein grundsätzlich nicht zu beanstandender Systemwechsel liege nicht vor. Schließlich: zwar sei die Verabschiedung der These, dass die Wegkosten beruflich veranlasst sind, nicht anzufechten, und daraus ergebe sich zugunsten des Gesetzgebers eine Typisierungsbefugnis; um eine zulässige Typisierung handele es sich jedenfalls nicht.144 Schon die Handhabung des Folgerichtigkeitsmaßstabs gibt manchen Anlass für Bedenken. Warum z. B. der Ausschluss der Wegkosten betreffend die ersten 20 Entfernungskilometer von den Werbungskosten gerade eine Abweichung und nicht eine Konkretisierung vom Veranlassungsprinzip bzw. vom objektiven Nettoprinzip sein soll, stellte das BVerfG nicht klar. Vielleicht weil es selbst darüber nicht im Klaren war, hat es doch gute Gründe dafür gesehen, die Wegkosten als gemischt veranlasst zu betrachten.145 Jedenfalls hat es aber die fundamentalere Frage nach der Begründung dieses Folgerichtigkeitsgebots nicht geantwortet. Woraus ergibt sich, dass eine Ausnahme vor der Regel weichen soll? Woraus ergibt sich, dass die Regel Vorrang vor der Ausnahme hat?146 Folgerichtigkeit setzt auf Generalisierung.147 Sie „konterkariert differenzierte Regelungen und läuft damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zuwider“.148 Es sei hinzugefügt: und läuft dem Ideal von Einzelfallgerechtigkeit zuwider. Letztlich hätte es nicht auf Folgerichtigkeit, sondern einfach darauf ankommen sollen, ob sich für die in Frage stehende Ungleichbehandlung rechtfertigende Gründe finden lassen würden.149 Kann man rechtfertigende Gründe dafür geltend machen, dass die Wegkosten nicht abzugsfähig sind, während die Aufwendungen für berufliche Aus- und Fortbildung, Dienstreisen oder Geschäftsessen dies sind? Lassen sich rechtfertigende Gründe dafür finden, dass die Wegkosten für die ersten 20 Kilometer abzugsunfähig, die für die weiteren Entfernungskilometer aber abzugsfähig sind? 144

Ausführlich BVerfGE 122, 210 (235 ff.). Die Problematik des Mangels an „verallgemeinerungsfähigen Kriterien dafür …, wie bei Gesetzen Grundentscheidungen und Ausnahmen festzustellen sind“, und die darauffolgende Konsequenz einer „Aufwertung der Gerichte gegenüber dem Gesetzgeber“ betont B. Grzeszick, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 71 (2012), S. 49 (60 f.). 146 Für die “Gleichrangigkeit der Gesetze untereinander“ etwa C. Gusy, Der Gleichheitssatz, S. 2508. 147 Vgl. K. Tipke, Mehr oder weniger Entscheidungsspielraum für den Steuergesetzgeber?, S. 535. 148 Vgl. O. Lepsius, Erwerbsaufwendungen im Einkommensteuerrecht, S. 262. 149 Vgl. M. Payandeh, Das Gebot der Folgerichtigkeit, S. 597 f. Vgl. ferner H. WeberGrellet, Unzulässige Diskriminierung von Nahpendlern, DStR 2009, S. 349 (351 f.). 145

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Die weitere Rechtsprechung des BVerfG ist nicht ergiebiger. Im Jubiläumsrückstellungen-Urteil aus dem Jahr 2009150 zeigt sich erneut eine Gefahr, die man mit der Folgerichtigkeit läuft: sich in Diskussionen um die Stellung des Prüfungsgegenstands innerhalb des „Systems“ zu verlieren151 und somit die Frage der Ungleichbzw. Gleichbehandlung entgegen allen Erwartungen nicht offen zu behandeln.152 Dies scheint eins der Anliegen der Folgerichtigkeit, nämlich, Differenzierungen entgegenzutreten, „die erkennbar nur der Befriedigung von Individual- oder Gruppeninteressen dienen können“153, gerade zu verfehlen. Außerdem sind „Steuerprivilegien um der Förderung einzelner, willkürlich bzw. nach klientelpolitischen oder wahltaktischen Erwägungen abgegrenzter Gruppierungen willen“154, wie die Formulierung selbst zu erkennen gibt, seit je der Inbegriff von Willkür als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Um sie mit dem Makel der Verfassungswidrigkeit zu stempeln, braucht man das Folgerichtigkeitsargument nicht. cc) Ergebnis Die Entfaltung der Folgerichtigkeitsthese in der Rechtsprechung des BVerfG zum Wahl- und Steuerrecht erklärt sich nach alledem eher als eine unpassende Ausdehnung eines Ansatzes auf Konstellationen, auf welche er ursprünglich nicht ausgerichtet war, als der Gewinn einer rechtstheoretischen oder verfassungsrechtlichen Erkenntnis. Es bleibt dabei: die Prinzipien, die als Grundlage für Folgerichtigkeit fungieren, sind zum Teil zu abstrakt, um die Rolle eines Maßstabs zu spielen. Wichtiger noch: es fehlt an einer Begründung dafür, dass die Grundregel einen Vorrang vor der Ausnahme genießen soll. Mit dem Scheitern des Folgerichtigkeitsgebots als eine besondere Bindung des Gesetzgebers an eine von ihm selbst getroffene – allgemeine – Grundregel scheitert ein Versuch, dem Gesetzgeber die Definition der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne zu überlassen.

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Zu einer Darstellung dieser Entscheidung im Kontext der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG zum Ertragsteuerrecht vgl. G. Morgenthaler/F. Frizen, Das Ertragsteuerrecht in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2010, S. 287 (291). 151 Vgl. BVerfGE 123, 111 (121 ff.) einerseits und die daran geäußerten Kritiken von J. Hey, Zur Geltung des Gebots der Folgerichtigkeit im Unternehmensteuerrecht. Zugleich Besprechung der Entscheidung des BVerfG zum Verbot von Jubiläumsrückstellungen vom 12. 5. 2009, DStR 2009, S. 2561 (2565 f.), und J. Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht als Verfassungsgebot, in: K. Tipke/R. Seer/J. Hey/J. Englisch (Hrsg.), Festschrift für Joachim Lang zum 70. Geburtstag. Gestaltung der Steuerrechtsordnung, Köln 2010, S. 167 (203 ff.), andererseits. 152 Mit Blick auf das Pendlerpauschale-Urteil weist auch M. Payandeh, Das Gebot der Folgerichtigkeit, S. 599, auf dieses Problem hin. 153 Vgl. G. Morgenthaler, Gleichheit und Rechtssystem – Widerspruchsfreiheit, Folgerichtigkeit, in: R. Mellinghoff/U. Palm (Hrsg.), Gleichheit im Verfassungsstaat. Symposium aus Anlass des 65. Geburtstages von Paul Kirchhof, Heidelberg 2008, S. 51 (65). 154 Vgl. J. Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht als Verfassungsgebot, S. 207.

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Nicht zuletzt auf die Schwächen der Folgerichtigkeitsthese scheint Stefan Huster zu reagieren.

6. Das Modell von Stefan Huster Huster unternahm den anspruchsvollsten Versuch, die in der Neuen FormelRechtsprechung des BVerfG155 zum Ausdruck kommende Spaltung des Maßstabs, dem eine rechtliche Gleich- bzw. Ungleichbehandlung unterliegt, in ein sauberes dogmatisches Gewand zu kleiden. Auf der Grundlage der herkömmlichen Dogmatik der Freiheitsgrundrechte entwickelt er ein „Eingriffsmodell des Gleichheitssatzes“. „Der Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehe darin, daß wesentlich Gleiches gleich bzw. wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist.“156 Er lehnt also ein Gebot „schematischer“, „mechanischer“, „absoluter“, „formaler“ oder „deskriptiver“ Gleichbehandlung ab; vielmehr nimmt er an, dass es sich bei Art. 3 Abs. 1 GG um eine „normative“ oder „materiale“ Gleichbehandlung handelt.157 Dem allgemeinen Gleichheitssatz liege ein dementsprechender „normativer“ Gleichheitsbegriff zugrunde.158 Die normative oder materiale Gleichbehandlung sei die Konsequenz der Anwendung eines „für alle gleichen“ Gerechtigkeitsmaßstabs.159 Dabei geht es um Gerechtigkeit im engeren Sinne, die Huster der „generellen Richtigkeit staatlichen Handelns“ (Gerechtigkeit im weiteren Sinne) gegenüberstellt.160 So ergibt sich nach Huster aus Art. 3 Abs. 1 GG „das Recht…, gemäß den jeweiligen Maßstäben der Gerechtigkeit im engeren Sinne und damit gemäß der individuellen Würdigkeit

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S. o. D. II. 2. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele: zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, Berlin 1993, S. 225 f. 157 Zur Terminologie vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 21, 25. 158 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 41 ff. 159 So definiert S. Huster, Rechte und Ziele, S. 20, den normativen Gleichbehandlungsbegriff: „Der Begriff der Gleichbehandlung selbst wird normativ, weil er von der Legitimität des jeweiligen Maßstabs abhängt: Ist der für alle gleiche Maßstab legitim, liegt trotz der unterschiedlichen Ergebnisse seiner Anwendung eine Gleichbehandlung vor; ist er nicht, bezeichnet man die Behandlung als ungleich.“ 160 So unterscheidet S. Huster, Rechte und Ziele, S. 198 f., die Gerechtigkeit im engeren und weiteren Sinne: „Auf der einen Seite ist Gerechtigkeit ein inhaltlich bestimmter Aspekt oder Wert und kann daher mit anderen Aspekten kollidieren; auf der anderen Seite ist sie der Ausdruck für einen Maßstab, der alle denkbaren Wertkonflikte in sich aufnimmt. Im letzteren Fall ist Gerechtigkeit gleichbedeutend mit der generellen Richtigkeit staatlichen Handelns; dies macht es so unplausibel, von einer Maßnahme zu sagen, sie stände im Konflikt mit der Gerechtigkeit, sei aber trotzdem richtig und gerechtfertigt. Versteht man dagegen den Begriff der Gerechtigkeit in einem engeren Sinn, so bezieht er sich nur auf einen Teil der Aspekte, die dazu führen können, daß eine Handlung richtig oder falsch ist.“ 156

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

behandelt zu werden“161. In Anlehnung an Ronald Dworkin162 setzt Huster auf die Idee gleicher Achtung und Rücksicht: dem allgemeinen Gleichheitssatz bzw. der durch ihn geforderten Behandlung nach dem für alle gleichen Gerechtigkeitsmaßstab liege der Gedanke zugrunde, „daß jeder auf dieselbe Weise mit Achtung und Rücksicht (,with equal concern and respect‘) zu behandeln ist“.163 Huster deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht zur Wahl des Gerechtigkeitsmaßstabs bestellt ist: „Ausschlaggebend muß sein, welche Gerechtigkeitsmaßstäbe sich aus der Verfassung, aber auch aus der Rechtsgeschichte, der Rechtsphilosophie, also dem gesamten Diskurs der ,offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten‘ mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen.“164 Insofern übernimmt die These Husters eine andere Gestalt als die Folgerichtigkeitsthese, wobei das Problem der besonderen Bindung des Gesetzgebers an eine von ihm selbst getroffene Wertung allein wegen deren Allgemeinheit umgangen wird.165 Als Beispiel von Gerechtigkeitsmaßstäben gibt Huster das Bedürftigkeitsprinzip des Sozialrechts, das Leistungsfähigkeitsprinzip des Steuerrechts und das Schuldprinzip des Strafrechts an.166 Allerdings ist das Recht, gemäß dem jeweiligen Maßstab der Gerechtigkeit im engeren Sinne behandelt zu werden, dieses „Recht auf eine Behandlung als ,Gleicher‘“167, dieses „Grundrecht auf Gerechtigkeit“168, jedenfalls „sehr abstrakt“, wie Huster selbst anerkennt. „Deshalb gibt es einen Sinn, in dem man es als leer bezeichnen kann; nämlich in dem Sinne, daß es keine konkreten Handlungsanweisungen enthält bzw. diese sich nicht mechanisch aus ihm ableiten lassen.“169 Oder anders gesagt: „Der inhaltliche Schutzbereich des Gleichheitssatzes ergibt sich nicht – wie mehr oder weniger bei den Freiheitsrechten – unmittelbar aus dem Wortlaut der Grundrechtsnorm; vielmehr muß hier erst festgestellt werden, welche Rechte jeweils zu beachten sind.“ Es sei deswegen „innerhalb der Grenzen des Willkürverbots zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, diese Rechte festzulegen“170. D. h.: wenn ei161

Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 225. Vgl. R. Dworkin, Taking Rights Seriously. New Impression with a Reply to Critics, London 1978, S. 180 ff., 227, 272 ff. 163 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 41 f. 164 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 226. 165 Liegt es beim Gesetzgeber, die Gerechtigkeitsmaßstäbe zu wählen, wird die These Husters zu einer Folgerichtigkeitsthese. Vgl. W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 37 Anm. 252. Zu dieser Variante seiner These vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 390 ff.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz I, Stand: August 2013, Art. 3 Rn. 112. Damit unterliegt sie den gleichen Problemen, denen die Folgerichtigkeitsthese sonst unterliegt – s. o. D. III. 5. 166 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 165. 167 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 44. 168 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 226. 169 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 44. 170 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 238. 162

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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nerseits der Gesetzgeber zur Wahl des Gerechtigkeitsmaßstabs nicht bestellt ist, obliegt ihm andererseits die Konkretisierung des Gerechtigkeitsmaßstabs. Dabei unterliegt er dem Willkürverbot. Bei der gerichtlichen Nachprüfung, ob ein Gesetz dem jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab entspricht171, handelt es sich also um eine Willkürkontrolle.172 So gibt Huster eine Antwort auf das andere Problem der Folgerichtigkeitsthese: die Abstraktheit der grundlegenden Wertung. Andererseits wird dem Gesetzgeber eine Anteilnahme an der Bestimmung der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne gewährt. Dabei handelt es sich noch um den Maßstab der Gerechtigkeit im engeren Sinne, die Huster von der Gerechtigkeit im weiteren Sinne unterscheidet. Mit der Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit im engeren und weiteren Sinne verbindet Huster die Unterscheidung zwischen internem und externem Zweck.173 Auch von Gerechtigkeit vs. gesellschaftlichem Gesamtnutzen, Gerechtigkeits- vs. Nützlichkeitserwägungen,174 Rechten vs. Zielen175 ist die Rede. Mit internem Zweck wird also der Zweck der Norm gemeint, „gerecht zu sein“176, d. h., ihr Zweck, jemanden gemäß dem jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab, gemäß seiner individuellen Würdigkeit zu behandeln. Indem etwa eine Norm nach dem Ausmaß der Schuld bestraft, nach der Leistungsfähigkeit Steuern erhebt oder nach der Bedürftigkeit Sozialleistungen gewährt, verfolgt sie einen internen Zweck. Anhand der Gegenüberstellung dieser Beispiele von internen Zwecken mit Beispielen von externen Zwecken lassen sich beide Begriffe besser verstehen. Externe Zwecke seien etwa „der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten“, „die Förderung der Wirtschaft“ und „die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung“.177 Bei ihnen geht es „eher um den gesellschaftlichen Nutzen, die Wohlfahrt der Gesellschaft oder die Zweckmäßigkeit der Regelung“178. Bei einem internen Zweck unterliegt der Gesetzgeber, wie angedeutet, dem Willkürverbot. Bis zur Grenze des Willkürverbots geht es dann um die Konkretisierung des Gerechtigkeitsmaßstabs, des Schutzbereichs des allgemeinen Gleichheitssatzes. Entspricht die Norm nach dem Willkürverbot dem Gerechtigkeitsmaßstab nicht, dann steht man vor einem Eingriff in den allgemeinen Gleichheitssatz. Dieser kann dann mit externen Zwecken nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gerechtfertigt werden.179 171 172 173 174 175 176 177 178 179

Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 171: „Entsprechungsprüfung“. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 226. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 165 ff. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 206. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 215. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 173. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 174. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 195. Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele, S. 233, 239 ff.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Husters These basiert auf der Annahme eines Gegensatzes zwischen individueller Würdigkeit des Grundrechtsträgers und gesellschaftlichem Gesamtnutzen, zwischen internem und externem Zweck.180 Und genau darin liegt das Problem. Die Verfolgung eines „externen“ Zwecks geschieht nicht trotz, sondern auf Grundlage der individuellen Würdigkeit des Grundrechtsträgers. In anderen Worten: die Verfolgung eines „externen“ Zwecks geschieht nicht in Widerspruch zu, sondern in Anknüpfung an der individuellen Würdigkeit des Grundrechtsträgers. Denn die Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers kann nur mit seiner Verschiedenheit gerechtfertigt werden.181 Seine Verschiedenheit mag zwar nicht in einem seiner körperlichen Merkmale, etwa seiner Hautfarbe, liegen, sondern ihn kann die Position auszeichnen, in der er sich befindet – und in die er sich selbst eventuell gebracht hat. Immerhin ist die Position, in der er sich befindet, ein Ausdruck seiner Individualität, wie auch seine körperlichen Merkmale dies sind. So kann die Verfolgung eines außerfiskalischen Zwecks nur insofern gerechtfertigt werden, als sie an der Eigenheit der Situation des Grundrechtsträgers anknüpft: dass nur er einer „Ökosteuer“ unterliegt, liegt darin, dass sein Verhalten die Umwelt in spezifischer Weise gefährdet oder belastet. Die Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers zum „externen“ Zweck des Umweltschutzes erfolgt also auf Grundlage seiner individuellen Würdigkeit. „Externer“ Zweck ist „interner“ Zweck. Anders gesagt: Verfolgung eines „externen“ Zwecks ist Konkretisierung der Gerechtigkeit im engeren Sinne. Dass Husters Unterscheidung zwischen internem und externem Zweck nicht gemacht werden kann, heißt schließlich: wenn der Gesetzgeber den „internen“ Zweck bis zur Grenze des Willkürverbots verfolgen darf, dann darf er bis zur Grenze des Willkürverbots einen „externen“ Zweck verfolgen. Er darf überhaupt bis zur Grenze des Willkürverbots handeln. Es bleibt insofern kein Raum für das Verhältnismäßigkeitsprinzip übrig: der Eingriff, den erst die Willkür darstellt, ist ohnehin verboten. Darüber hinaus scheint der allgemeine Gleichheitssatz eigentlich überflüssig, wenn man auf sonst geltende Gerechtigkeitsmaßstäbe setzt. Denn die Frage, ob die Art und Weise, wie der Gesetzgeber den einzelnen Grundrechtsträger behandelt, dem Gerechtigkeitsmaßstab entspricht, ist unabhängig von jeglichem Gleichheitsgedanken.182 Vielmehr geht es einfach darum, „daß das Recht so angewendet werden 180

Ähnlich H. A. Haller, Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, S. 276 f., der auf Husters Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken, zwischen Entsprechungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung, und auf einen „verfassungsrechtlich vorgegebenen Maßstab“ setzt. 181 Näher dazu s. u. F. II. 182 Das erinnert an eine Willkürprüfung, die von der Bildung von Vergleichspaaren absieht. Dafür G. Leibholz, Diskussionsbeitrag, in: C. Link (Hrsg.), Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat. Symposium zum 80. Geburtstag von Bundesverfassungsrichter i. R. Prof. Dr. phil. Dr. iur. Dr. h. c. Gerhard Leibholz am 21. November 1981, Baden-Baden 1982, S. 105 ff. Vgl. dazu C. Gusy, Der Gleichheitssatz, S. 2506; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 364 f.,

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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soll, wie es seinem Sinne nach anzuwenden ist“, um das „Prinzip der Recht- oder Gesetzmäßigkeit“ also. „Mit Gleichheit hat dieses Prinzip kaum noch etwas zu tun.“183 Zusammenfassend: Husters Modell kann als ein Versuch angesehen werden, beim Überwinden der Schwächen der Folgerichtigkeitsthese dem Gesetzgeber eine Anteilnahme an der Bestimmung der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne zu gewähren. Letztendlich läuft es aber auf die These hinaus, die auf den weiten Begriff der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit setzt: bei der Definition des Begriffs der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit wird dem Gesetzgeber ein Vorrang zuerkannt, so dass er, der Begriff, anhand des Willkürmaßstabs definiert wird.

7. Ergebnis Die Versionen der These des allgemeinen Gleichheitssatzes als ein formelles absolutes Grundrecht wurden danach geprüft, wie sie mit der Voraussetzung der Gleichheit umgehen (zur Erinnerung: die These des allgemeinen Gleichheitssatzes als ein formelles absolutes Grundrecht ist diejenige, die die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips überhaupt erfüllt; danach besteht der Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Gleichbehandlung schlechthin; Voraussetzung des Anspruchs ist eine Gleichheit; die Ungleichbehandlung ist keine Voraussetzung des Anspruchs, sondern ein Eingriff). Zunächst konnten die Versionen verworfen werden, die von einem formellen Gleichheitsbegriff ausgehen (allgemeiner Gleichheitssatz als ein Prinzip absoluter persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit – Peter Martini; allgemeiner Gleichheitssatz als ein durch eine Regel der Ungleichheit beschränktes Prinzip der Gleichheit – Robert Alexy). Des Weiteren wurde die Version zurückgewiesen, die zwar auf einen materiellen Gleichheitsbegriff setzt, die aber nur ein Grundrecht auf jeweils mit Hinweis auf einzelne ältere Entscheidungen vor allem des Zweiten Senats des BVerfG. 183 Vgl. H. Kelsen, Was ist Gerechtigkeit, 2. Aufl., Wien 1975, S. 26 f. Vgl. ferner H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 146. Dieses Prinzip der Recht- oder Gesetzmäßigkeit, das mit Gleichheit nichts zu tun hat, bezieht sich auf die Rechtsanwendung. Die Möglichkeit der Einschlägigkeit des Gleichheitssatzes bei der Rechtsetzung wird damit nicht ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen wird insofern die Möglichkeit der Geltung des Gleichheitssatzes auf den Ebenen der Verwaltung und der Rechtsprechung: nicht nur wenden Verwaltung und Rechtsprechung Recht an, sondern setzen sie auch Recht – so wie Gesetzgebung auch Rechtsanwendung ist. Vgl. H. Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), S. 30 ff. So konnte S. Huster, Das Gleichheitsrecht zwischen Verfassungsdogmatik und Rechtsphilosophie, in: K. P. Berger/G. Borges/H. Herrmann et al. (Hrsg.), Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext – Private and Commercial Law in a European and Global Context. Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag, Berlin 2006, S. 1149 (1155 ff.), auf allen drei Ebenen – Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung – das Vorkommen der Gleichbehandlungsproblematik bemerken. Verwirrend ist jedenfalls die Rede von Rechtsanwendungsgleichheit.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Gleichbehandlung bei wesentlicher Gleichheit, nicht aber ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung bei wesentlicher Ungleichheit anerkennt (Adalbert Podlech). So konnte festgehalten werden, dass Art. 3 Abs. 1 GG einerseits ein Grundrecht auf Gleichbehandlung enthält, das eine wesentliche Gleichheit voraussetzt; und dass Art. 3 Abs. 1 GG andererseits ein Grundrecht auf Ungleichbehandlung enthält, das eine wesentliche Ungleichheit voraussetzt. Dabei tauchte die Frage auf, ob es sich um eine wesentliche Gleichheit (bzw. Ungleichheit) im positiven und engeren Sinne handelt – eine also, die mehr als bloße Nicht-Willkür ist – oder um eine wesentliche Gleichheit (bzw. Ungleichheit) im negativen und weiteren Sinne – eine also, die anhand des Willkürmaßstabs definiert wird. Der Versuch, dem Gesetzgeber die Definition der wesentlichen Gleichheit (bzw. Ungleichheit) im positiven und engeren Sinne zu überlassen, wurde verworfen (Folgerichtigkeitsthese). Ebenfalls zurückgewiesen wurde der Versuch von Stefan Huster, dem Gesetzgeber eine Anteilnahme an der Bestimmung der wesentlichen Gleichheit (bzw. Ungleichheit) im positiven und engeren Sinne zu gewähren. Nach alledem ergibt sich als aktueller Stand der Untersuchung, dass offen steht, ob es sich bei der Voraussetzung der Gleichheit (bzw. Ungleichheit) um eine wesentliche Gleichheit (bzw. Ungleichheit) im positiven und engeren Sinne handelt, die mehr als bloße Nicht-Willkür ist und für deren Definition der Gesetzgeber nicht zuständig ist (Michael Kloepfer); oder ob es sich dabei um eine wesentliche Gleichheit (bzw. Ungleichheit) im negativen und weiteren Sinne handelt, deren Definition dem Gesetzgeber bis zur Grenze des Willkürverbots überlassen wird. Im ersten Fall bleibt Art. 3 Abs. 1 GG offen für das Verhältnismäßigkeitsprinzip; im zweiten Fall findet das Verhältnismäßigkeitsprinzip nun keinen Platz mehr. Das ist letztlich eine Frage der Bindung des Gesetzgebers an einen unbestimmten Rechtsbegriff, nämlich den materiellen Gleichheitsbegriff. Das Problem der Bindung der kontrollierten Instanz an unbestimmte Rechtsbegriffe, die aber, weil unbestimmt, der Konkretisierung durch Wertungen bedürfen, ist kein spezifisches Problem des allgemeinen Gleichheitssatzes. Seit den Anfängen der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit bereiten unbestimmte Rechtsbegriffe Probleme für die Rechtswissenschaft.184 Aus dieser Not entstand im preußischen Polizeirecht der Willkürbegriff bzw. das Willkürverbot.185 Schien das Willkürverbot bei der Subsumtion einer konkreten polizeilichen Maßnahme etwa unter den unbestimmten Rechtsbegriff der öffentlichen Ordnung seine Berechtigung zu haben, so scheint es dann auch bei der Subsumtion eines Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit seine Berechtigung zu haben. Die Regel, wonach im Zweifel der Gesetzgeber das Wort hat, mag zwar eine demokratietheoretische Antwort auf das Problem sein, sie bleibt aber eine externe 184 185

S. o. B. III. 1. a). S. o. B. III. 1. b).

III. Art. 3 Abs. 1 GG als ein formelles absolutes Grundrecht

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Lösung: sie ist eine allgemeine, keine spezifische, auf den in Frage stehenden unbestimmten Rechtsbegriff bezogene Antwort. Vor allem ist sie keine Antwort der anzuwendenden Norm selbst. Deswegen kann in diesem Fall die Rede von einer Bindungslockerung nicht einfach als paradox abgetan werden.186 Denn es kann vorausgesetzt werden, dass die Norm, die einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, keinen Spielraum einräumen, sondern binden will. Nicht zufällig sahen sich die neuere Verwaltungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtswissenschaft ab Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts darauf verwiesen, zwischen einem, der Verwaltungsgerichtsbarkeit nahezu voll unterworfenen Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite einerseits und einem, der Verwaltungsgerichtsbarkeit nur eingeschränkt unterworfenen, eigentlichen Bereich des Ermessens auf der Rechtsfolgeseite andererseits zu unterscheiden:187 das Ermessen im eigentlichen Sinne geht von der Norm selbst aus, d. h., schon die Norm selbst ermächtigt den Adressat zur Entscheidung, wie etwa § 22 Satz 1 VwVfG („Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt.“). Während also im Fall des unbestimmten Rechtsbegriffs die Norm binden will, ermächtigt sie im Fall des Ermessens den Adressat zur Entscheidung.188 Wird der allgemeine Gleichheitssatz als eine Frage der Bindung des Gesetzgebers an einen unbestimmten Rechtsbegriff behandelt, kann es insofern nicht verwundern, dass sich die Verfassungsrechtswissenschaft immer wieder gehalten sieht, auf eine wesentliche Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne zu setzen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf den allgemeinen Gleichheitssatz zu übertragen: man geht davon aus, dass Art. 3 Abs. 1 GG als ein Fall des unbestimmten Rechtsbegriffs dem Gesetzgeber keinen Spielraum einräumen, sondern ihn binden will. Die Unbestimmtheit der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit, ihr Bedürfnis nach Wertungen,189 ihre Leere,190 scheint somit ein allzu schwacher Grund für 186 Bezogen auf das Verwaltungsrecht sei diese Rede paradox, denn wenn die unbestimmten Rechtsbegriffe die Verwaltung nicht binden, ist dies jedenfalls eine Forderung des geltenden Rechts, d. h., eine Folge eben der Bindung der Verwaltung an das geltende Recht. Vgl. M. Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin 2010, § 11 Rn. 17: „Paradoxon einer gesetzesgebundenen Gesetzesbindungslockerung“. 187 Vgl. M. Bullinger, Das Ermessen der öffentlichen Verwaltung – Entwicklung, Funktionen, Gerichtskontrolle, JZ 1984, S. 1001 (1003 ff.); F. Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung: Rechtliche Gebundenheit und Ermessen der Verwaltung, in: H.-U. Erichsen/D. Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Berlin 2002, § 10 Rn. 32. 188 In Einklang damit kann die sog. normative Ermächtigungslehre, bei aller praktischen Schwierigkeit, eine „einmütig bekundete These“ sein. Danach hat die Verwaltung erst dann einen Spielraum bezüglich eines unbestimmten Rechtsbegriffs, wenn sie speziell dazu ermächtigt worden ist. Vgl. F. Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, Rn. 33. 189 Vgl. S. Huster, Das Gleichheitsrecht zwischen Verfassungsdogmatik und Rechtsphilosophie, S. 1151. 190 Vgl. H. Kelsen, Was ist Gerechtigkeit, S. 26.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

die Verwerfung eines Modells wie Kloepfers zugunsten des Willkürverbots zu sein. Wenn einige Versionen der These des formellen absoluten allgemeinen Gleichheitssatzes schon wegen des Fehlens der Voraussetzung der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit scheiterten, scheitert das Modell Kloepfers nicht schon am plausiblen Rückgriff auf die Voraussetzung der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne. Man muss schließlich auf seine tiefste, fundamentalste Schwäche eingehen; diejenige, die nicht in der Voraussetzung der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit, sondern in der Rechtsfolge sichtbar wird: die Konzeption des allgemeinen Gleichheitssatzes als eines formellen absoluten Grundrechts. In anderen Worten: wenn im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG ein Willkürverbot gilt, dies dann nicht als eine dem Demokratieprinzip entnommene Lösung für das Problem der Unbestimmtheit des Begriffs der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit, sondern als eine Forderung des Art. 3 Abs. 1 GG selbst. Man hat es eben mit einem Fall des Ermessens, nicht mit einem des unbestimmten Rechtsbegriffs zu tun.191

IV. Art. 3 Abs. 1 GG als ein materielles relatives Grundrecht 1. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung Dass das Grundrecht auf Gleichbehandlung kein formelles, sondern ein materielles Grundrecht ist, heißt, wie schon oben erwähnt, dass es ihm nicht um Gleichbehandlung schlechthin geht, sondern um die Nicht-Belastung bzw. Förderung des einzelnen Grundrechtsträgers. Für das Grundrecht auf Gleichbehandlung hat insofern die Erstreckung der Begünstigung auf den Grundrechtsträger einen höheren Wert als ihre Abschaffung; die Abschaffung seiner Belastung hat einen höheren Wert als deren Erstreckung auf die zunächst nicht belastete Gruppe. Dementsprechend hat etwa das gleichgeschlechtliche Paar nicht einfach einen Anspruch auf Gleichbehandlung schlechthin, sondern den spezifischen Anspruch auf das Ehegattensplitting. Dass das Grundrecht auf Gleichbehandlung nicht ein formelles, sondern ein materielles Grundrecht ist, zeigt die folgende Problematik.

191 Bei dieser Gegenüberstellung zum Fall des unbestimmten Rechtsbegriffs, bei welchem sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht unmittelbar aus der den unbestimmten Rechtsbegriff enthaltenden Verfassungsnorm, sondern ihr eigentlich widersprechend erst aus dem Demokratieprinzip ergeben würde, übernimmt der Ermessensbegriff einen spezifischeren Sinn: mit ihm wird ausgedrückt, dass das GG dem Gesetzgeber eine Gestaltungsfreiheit entschieden einräumt. Allein insofern wird Bezug auf den Ermessensbegriff des Verwaltungsrechts genommen.

IV. Art. 3 Abs. 1 GG als ein materielles relatives Grundrecht

127

Nach dem Kriterium Begünstigung/Belastung lassen sich vier Ungleichbehandlungsarten unterscheiden: der Grundrechtsträger wird belastet; der Andere wird begünstigt; der Grundrechtsträger wird begünstigt; der Andere wird belastet.192 Wer von einem Grundrecht auf Gleichbehandlung im formellen Sinne ausgeht, setzt darauf, dass die Gleichbehandlung ein „abwehrrechtlicher Schutzgegenstand“193 und insofern selbständig gegenüber „sonstigen Belangen des einzelnen“ ist.194 Man sieht also von der Unterscheidung der Ungleichbehandlungsarten ab. D. h., unabhängig davon, ob der Grundrechtsträger belastet oder der Andere begünstigt oder der Grundrechtsträger begünstigt oder der Andere belastet wird: am Status der Gleichbehandlung als abwehrrechtlicher Schutzgegenstand wird nichts geändert. Nur muss dies darauf hinauslaufen, dass der Grundrechtsträger eine Ungleichbehandlung nicht nur in den Fällen seiner Belastung bzw. der Begünstigung des Anderen, sondern auch in den Fällen seiner eigenen Begünstigung bzw. der Belastung des Anderen rügen kann.

192 Dabei werden Belastung und Begünstigung in einem engeren Sinne verstanden, also als unmittelbare Begünstigung bzw. Belastung. Denn im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes können allein unmittelbare Begünstigungen bzw. Belastungen relevant sein. Aus der Sicht des allgemeinen Gleichheitssatzes heißt mittelbare Belastung des Einen unmittelbare Begünstigung des Anderen; mittelbare Begünstigung des Einen heißt unmittelbare Belastung des Anderen. D. h.: wenn die mittelbare Belastung des Einen auch relevant wäre, würde sie in Konflikt mit der unmittelbaren Begünstigung des Anderen geraten; wenn die mittelbare Begünstigung des Einen auch relevant wäre, würde sie in Konflikt mit der unmittelbaren Belastung des Anderen geraten. Letztlich würden sich mittelbare Belastung/unmittelbare Begünstigung bzw. mittelbare Begünstigung/unmittelbare Belastung ausgleichen. Also können im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes allein unmittelbare Begünstigungen bzw. Belastungen relevant sein. Dementsprechend gewinnt die mittelbare Belastung des Grundrechtsträgers durch die unmittelbare Begünstigung des Anderen erst dann an Relevanz, wenn sie zugleich einen Eingriff in ein Freiheitsrecht darstellt. Grundlage des Anspruchs auf diese Nicht-Belastung bzw. auf deren Beseitigung bildet dann nicht Art. 3 Abs. 1 GG, sondern das Freiheitsrecht. Dazu vgl. H.-U. Erichsen, Art. 3 Abs. 1 GG als Grundlage von Ansprüchen des Bürgers gegen die Verwaltung, VerwArch 71 (1980), S. 289 (296); F. Schoch, Der Gleichheitssatz, S. 867 Anm. 65. Vgl. ferner J. Pietzcker, Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung nach Art. 3 I GG, JZ 1989, S. 305 (309 f.). Aus der Rechtsprechung grundlegend zur Wettbewerbsfreiheit vgl. BVerwG 30, 191 (197 f.) – Subventionierung von Winzergenossenschaft, 1968. 193 Vgl. M. Sachs, Der Gleichheitssatz als eigenständiges subjektives Grundrecht, in: R. Wendt/W. Höfling/U. Karpen/M. Oldiges (Hrsg.), Staat. Wirtschaft. Steuern. Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1996, S. 309 (318 f.), der nun statt vom modalen (s. o. Fn. 9) vom „substanziellen Abwehrrecht“ spricht. Dem „Interesse daran, ,in gleicher Weise’ behandelt zu werden“, weist er einen „substantiellen Charakter“ zu. Denn die Gleichheit sei ein „Gut“, ein „abwehrrechtlicher Schutzgegenstand“, ein „Persönlichkeitsrecht“. Ihm folgend M. Desens, Neid als Grundrechtsausübungsmotiv. Zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsanspruchs bei gleichheitswidrigen Gesetzen, AöR 133 (2008), S. 404 (427 f.). So für den Fall der unmittelbaren Begünstigung Dritter auch S. Kempny/P. Reimer, Die Gleichheitssätze. Versuch einer übergreifenden dogmatischen Beschreibung ihres Tatbestands und ihrer Rechtsfolgen, Tübingen 2012, S. 75. 194 Vgl. M. Sachs, Der Gleichheitssatz als eigenständiges subjektives Grundrecht, S. 320.

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D. Der allgemeine Gleichheitssatz

Diese Konsequenz zu ziehen, sind aber nur Wenige bereit.195 Der Hinweis darauf, dass „kaum ein Bürger eine ihn begünstigende Norm angreifen wird“, genügt nicht als Erklärung dafür. Man sucht dann einen Ausweg im Prozessrecht: eine ihn begünstigende Norm kann der Grundrechtsträger wegen des Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses196 oder der Selbstbetroffenheit197 nicht rügen. Das ist zwar richtig, kann aber nur die prozessrechtliche Folge der materiellrechtlichen Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes sein: der zum Guten ungleich behandelte (begünstigte oder nicht belastete) Grundrechtsträger ist nicht rechtsschutzbedürftig, nicht selbstbetroffen, weil sein Grundrecht auf Gleichbehandlung überhaupt nicht einschlägig ist. Und es ist nicht einschlägig, weil der Grundrechtsträger zum Guten ungleich behandelt wird.198 Dem Grundrecht auf Gleichbehandlung geht es also doch nicht um Gleichbehandlung schlechthin; ihm sind die dahintersteckenden Wirkungen, die „sonstigen Belange des einzelnen“, nicht gleichgültig. Wenn es dem Grundrecht auf Gleichbehandlung nicht um Gleichbehandlung schlechthin geht, dann kann es nur einen Sinn haben: dass der Grundrechtsträger zum Guten gleich behandelt wird,199 d. h., dass er nicht belastet oder begünstigt wird.200 Anspruch auf Gleichbehandlung heißt nicht einfach Anspruch auf Gleichbehandlung schlechthin, sondern Anspruch auf eine Begünstigung bzw. auf eine Nicht-Belastung. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist also ein materielles Grundrecht. Dementsprechend gebietet es letztlich, dass die Begünstigung des Anderen auf den Grundrechtsträger erstreckt wird201 bzw. dass die Belastung des Grundrechtsträgers beseitigt wird.

195 Konsequent nur M. Sachs, Der Gleichheitssatz als eigenständiges subjektives Grundrecht, S. 324 ff. 196 Vgl. U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG-Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 23. 197 Vgl. M. Desens, Neid als Grundrechtsausübungsmotiv, S. 429. 198 Zu einer anderen Begründung vgl. S. Kempny/P. Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 77 f. 199 So schon G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar I, Stand: Mai 2013, Art. 3 Abs. 1 Rn. 353, 365, mit dem Gedanken der „Gesamtrichtung des Gleichheitssatzes nach oben“. 200 Unabhängig davon, ob es sich um anderweitig „rechtlich geschützte Interessen“ handelt. Vor allem dann, wenn es sich nicht um anderweitig rechtlich geschützte Interessen handelt, gewinnt der allgemeine Gleichheitssatz in seiner subjektiv-rechtlichen Funktion an Bedeutung. Anders A. Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, Köln 1995, S. 37, 53 ff., der dem allgemeinen Gleichheitssatz als subjektivem Recht lediglich eine instrumentelle Funktion bezüglich der Freiheitsrechte und der sozialen Grundrechte zuweist. Ähnlich hinsichtlich Fälle einer Belastung S. Kempny/P. Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 73. Eigentlich ist es schwer an eine Belastung zu denken, die beim Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit als allumfassendes Auffanggrundrecht nicht zugleich einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG darstellt. 201 Hierzu vgl. J. Pietzcker, Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung nach Art. 3 I GG, S. 307.

IV. Art. 3 Abs. 1 GG als ein materielles relatives Grundrecht

129

Damit geht aber keineswegs eine prozessrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung der „Chance auf Besserstellung“202 einher. Ob der Grundrechtsträger eine größere oder kleinere Chance auf Besserstellung hat: das ist jedenfalls dem Gesetzgeber zuzurechnen. Insofern muss er, nicht der Grundrechtsträger, Verantwortung dafür tragen. Allerdings soll dem Gesetzgeber in der Tat203 prinzipiell die Möglichkeit eröffnet werden, die Begünstigung des Anderen abzuschaffen, statt sie auf den Grundrechtsträger zu erstrecken. Entsprechendes gilt im Fall einer Belastung: dem Gesetzgeber soll prinzipiell die Möglichkeit eröffnet werden, den Anderen gleichermaßen zu belasten, statt die Belastung des Grundrechtsträgers abzuschaffen.204 Dies liegt aber nicht in der Formalität des Anspruchs auf Gleichbehandlung, sondern in dessen Relativität: den Anspruch auf die Begünstigung bzw. auf die Nicht-Belastung hat der Grundrechtsträger nicht unmittelbar aus dem GG. Vielmehr setzt der Anspruch einen Akt der Gesetzgebung voraus, nämlich, eine Ungleichbehandlung. So hat das gleichgeschlechtliche Paar den Anspruch auf das Ehegattensplitting jedenfalls erst, wenn der Gesetzgeber das Ehegattensplitting dem Ehepaar zugebilligt hat. Wenn sich etwas an dieser Voraussetzung ändert, erlischt der Anspruch einfach. In anderen Worten: der Gesetzgeber hat es in der Hand, den Anspruch erlöschen zu lassen. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist, zusammenfassend, ein materielles relatives Grundrecht.

2. Das Grundrecht auf Ungleichbehandlung Nun stellt sich die Frage nach einem Grundrecht auf Ungleichbehandlung und seinen Besonderheiten gegenüber dem Grundrecht auf Gleichbehandlung. Beim Grundrecht auf Gleichbehandlung geht es darum, ob zwei Menschen in Bezug auf eine staatliche Maßnahme gleich sind, so dass die Maßnahme beide treffen muss. Dementsprechend ist auch das Grundrecht auf Ungleichbehandlung zu denken: es geht darum, ob zwei Menschen in Bezug auf eine staatliche Maßnahme ungleich sind, so dass diese Maßnahme nur den Einen, nicht aber den Anderen treffen darf. Es geht nicht um eine Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers entsprechend seiner Verschiedenheit, d. h., es geht nicht darum, nach der Maßnahme zu

202 Vgl. dazu U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG-Kommentar, 2. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 21 f.; M. Desens, Neid als Grundrechtsausübungsmotiv, S. 416 ff. 203 Vgl. M. Desens, Neid als Grundrechtsausübungsmotiv, S. 411. Erst in diesem Sinne ist der allgemeine Gleichheitssatz als subjektives Recht ergebnisoffen. 204 Unzutreffend insofern G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar I, Stand: Mai 2013, Art. 3 Abs. 1 Rn. 365.

130

D. Der allgemeine Gleichheitssatz

suchen, die seiner Besonderheit Gerechtigkeit tun würde. Denn sonst würde das Grundrecht auf Ungleichbehandlung zu „Jedem das Seine“.205 Nach dem Kriterium Begünstigung/Belastung lassen sich zwei Gleichbehandlungsformen unterscheiden: sowohl der Grundrechtsträger als auch der Andere werden begünstigt; sowohl der Grundrechtsträger als auch der Andere werden belastet. Ähnlich wie das Grundrecht auf Gleichbehandlung den Sinn hat, dass der Grundrechtsträger zum Guten gleich behandelt wird, so hat das Grundrecht auf Ungleichbehandlung den Sinn, dass der Grundrechtsträger zum Guten ungleich behandelt wird. Dementsprechend greift das Grundrecht auf Ungleichbehandlung, wenn sowohl der Grundrechtsträger als auch der Andere belastet werden. Präziser: es will verhindern, dass der Grundrechtsträger belastet wird.206 Anspruch auf Ungleichbehandlung heißt somit Anspruch auf eine Nicht-Belastung. Dabei handelt es sich um einen relativen Anspruch: den Anspruch auf die Nicht-Belastung hat der Grundrechtsträger nicht unmittelbar aus dem GG; vielmehr setzt der Anspruch einen Akt der Gesetzgebung voraus, nicht aber eine Ungleichbehandlung, sondern nämlich eine Gleichbehandlung.

V. Ergebnis Nach der These des allgemeinen Gleichheitssatzes als ein formelles absolutes Grundrecht besteht der Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Gleichbehandlung (bzw. Ungleichbehandlung) schlechthin; Voraussetzung des Anspruchs ist eine Gleichheit; die Ungleichbehandlung ist keine Voraussetzung des Anspruchs, sondern ein Eingriff; die grundlegende Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist erfüllt. Es wurde aber gezeigt, dass der allgemeine Gleichheitssatz ein materielles Grundrecht ist: der Anspruch, den der allgemeine Gleichheitssatz begründet, besteht in einer Begünstigung bzw. Nicht-Belastung des Grundrechtsträgers. Der allgemeine Gleichheitssatz will dem Grundrechtsträger eine Begünstigung bzw. eine Nicht-Belastung gewähren, auf die dieser sonst, d. h., unmittelbar aus dem GG, keinen Anspruch hat, auf die der Grundrechtsträger also keinen absoluten Anspruch hat – so begründet Art. 3 Abs. 1 GG relative Ansprüche; er ist ein materielles relatives Grundrecht. Nur: in dem Bereich, in dem der Grundrechtsträger dem Gesetzgeber gegenüber noch keinen Anspruch hat, handelt der Gesetzgeber dem Grundrechtsträger gegenüber frei. Ob er dem Grundrechtsträger eine Begünstigung bzw. eine Nicht205

Vgl. V. Epping, Grundrechte, Rn. 791. Auch hier geht es um unmittelbare Belastung. Die mittelbare Belastung des Grundrechtsträgers durch die unmittelbare Begünstigung auch des Anderen gewinnt erst dann an Relevanz, wenn sie zugleich einen Eingriff in ein Freiheitsrecht darstellt. S. o. Fn. 192. 206

V. Ergebnis

131

Belastung zugesteht, auf die dieser keinen Anspruch hat, liegt zunächst in der freien Entscheidung des Gesetzgebers. Er übt sein Ermessen aus. Insofern bleibt Raum nur für ein Willkürverbot: sein Ermessen überschreitet der Gesetzgeber erst, wenn er willkürlich handelt. Im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes heißt dies: den Anspruch auf die Begünstigung bzw. Nicht-Belastung, auf die er sonst keinen Anspruch hat, hat der Grundrechtsträger erst, wenn der Gesetzgeber ihn willkürlich ungleich bzw. gleich behandelt. Dabei erscheinen Ungleich- bzw. Gleichbehandlung weder als Anspruchsinhalt noch als Eingriff, sondern als Voraussetzung des Anspruchs. Es ist schließlich zwischen einem Grundrecht auf Gleichbehandlung und einem Grundrecht auf Ungleichbehandlung zu unterscheiden. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung besteht in einer Begünstigung bzw. Nicht-Belastung des Grundrechtsträgers; und es setzt eine willkürliche Ungleichbehandlung voraus. Das Grundrecht auf Ungleichbehandlung besteht wiederum in einer Nicht-Belastung des Grundrechtsträgers; und es setzt eine willkürliche Gleichbehandlung voraus. Das Willkürverbot ist nach alledem keine externe – und damit unbefriedigende –, dem Demokratieprinzip entnommene Lösung für das Problem der Unbestimmtheit des Begriffs der wesentlichen Gleichheit; es ist eine Forderung des allgemeinen Gleichheitssatzes selbst. Bei dem allgemeinen Gleichheitssatz hat man es nicht mit einem Fall des unbestimmten Rechtsbegriffs zu tun, sondern mit einem Fall des Ermessens.

E. Der besondere Gleichheitssatz: Art. 3 Abs. 3 GG Die Geltung des Willkürverbots im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG könnte in Frage gestellt werden, wenn es nicht zugleich im Rahmen von Art. 3 Abs. 3 GG gelten würde. Denn auch wenn es nicht nur einen Gleichheitssatz geben soll,1 stehen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 GG jedenfalls ganz nah aneinander. So setzt das BVerfG im Zuge der Neuen Formel-Rechtsprechung2 unter anderem auf das Kriterium der „Annäherung an den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG“3, um den Gesetzgeber erhöhten Rechtfertigungsanforderungen zu unterwerfen. Deswegen soll nun Art. 3 Abs. 3 GG untersucht werden.

I. Absolutes Anknüpfungsverbot? Art. 3 Abs. 3 GG kann zum einen als ein Anknüpfungsverbot verstanden werden, d. h., als ein Verbot der Anknüpfung an die durch ihn aufgelisteten Merkmale. Ein Vertreter dieser These ist Michael Sachs.4 Verboten sei, „daß die Staatsgewalt diese Merkmale als notwendige Bedingung für den Eintritt von Folgen einsetzt“.5 Diese These weist zwei Probleme auf. Das erste liegt darin, dass das Anknüpfungsverbot nicht vor mittelbaren Diskriminierungen schützt.6 Als mittelbar diskriminierend ist die Rechtsfolge zu verstehen, für deren Eintritt ein im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelistetes Merkmal keine notwendige Bedingung ist, die aber typischerweise nur die Angehörigen der einen der Gruppen trifft, die sich nach diesem Merkmal bilden lassen. Allerdings scheint Sachs nicht zu verkennen, dass eine mittelbare Diskriminierung mindestens fast so problematisch wie eine unmittelbare Diskriminierung sein kann: die Möglichkeit, dass an eine mittelbare Dis-

1 Vgl. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, Berlin 1971, S. 91: „Es gibt nur einen Gleichheitssatz.“ 2 S. o. D. II. 2. 3 Vgl. BVerfGE 88, 87 (96). 4 Vgl. M. Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots. Eine Untersuchung zur Reichweite des Unterscheidungsverbots nach Artikel 3 Abs. 2 und 3 Grundgesetz, München 1987, S. 428 ff.; ders., Besondere Gleichheitsgarantien, in: HStR VIII, 32010, § 182 Rn. 29 ff., 73 ff. 5 Vgl. M. Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, Rn. 29. 6 Vgl. M. Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, Rn. 95 ff.

II. Begründungsverbot?

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kriminierung besondere Rechtfertigungsanforderungen gestellt werden, wird mit Verweis auf die Neue Formel eingeräumt.7 Das zweite Problem dieser These liegt in der Annahme eines absoluten Anknüpfungsverbots. Nicht jeder Ungleichbehandlung, die an eins der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale anknüpft, mangelt es an guten Gründen. Man denke nur an die Entschädigungsgesetze der Nachkriegszeit. Gerade wenn es darum geht, der systematischen Demütigung von Menschen mit einem bestimmten Merkmal entgegenzutreten, muss daran angeknüpft werden. Auch dies verkennt Sachs nicht. Er zieht Grenzen für das Anknüpfungsverbot, wenn auch „allein aufgrund anderer Verfassungsnormen“8. Dass eine mittelbare Diskriminierung mindestens fast so problematisch wie eine unmittelbare Diskriminierung sein kann, und dass eine Ungleichbehandlung, die an eins der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale anknüpft, gute Gründe für sich haben kann, deutet darauf hin, dass es letztlich nicht auf eine bloße Anknüpfung ankommt.9

II. Begründungsverbot? Eine andere These gewinnt aus Art. 3 Abs. 3 GG kein Anknüpfungsverbot, sondern ein Begründungsverbot: Sinn von Art. 3 Abs. 3 GG sei, diejenigen Ungleichbehandlungen zu verbieten, die mit einem Unterschied hinsichtlich einer der aufgelisteten Merkmale begründet werden.10 Dass Unterschiede hinsichtlich der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale nicht als Grund für eine Ungleichbehandlung fungieren dürfen, kann in einem weiteren und in einem engeren Sinne verstanden werden. In einem weiteren Sinne heißt dies, dass ein solcher Unterschied überhaupt keine Rolle bei der Begründung der Ungleichbehandlung spielen darf.11 Anders gesagt: man soll die Ungleichbehandlung begründen können, ohne auf den Unterschied hinsichtlich des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse usw. hinzuweisen. Hier gilt aber dasselbe, was im 7

Vgl. M. Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, Rn. 32. Vgl. M. Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 493; eingehend dazu ebd., S. 229 ff. Vgl. ferner ders., Besondere Gleichheitsgarantien, Rn. 153 ff.; R. Uerpmann-Wittzack, Strikte Privilegierungs- und Diskriminierungsverbote, in: HGR V, 2013, § 128 Rn. 4. 9 Vgl. S. Huster, Rechte und Ziele: zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, Berlin 1993, S. 321. 10 Grundlegend zu Art. 3 Abs. 3 GG als einem Begründungsverbot A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 91 ff. Vgl. auch B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 29. Aufl., Heidelberg 2013, Rn. 481, 488; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar I, 6. Aufl. 2010, Art. 3 Rn. 379; W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 125; B. Schlink, Zwischen Identifikation und Distanz. Zur Stellung des Beamten im Staat und zur Gestaltung des Beamtenrechts durch das Staatsrecht, Der Staat 1976, S. 335 (349 f.). 11 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 488. 8

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E. Der besondere Gleichheitssatz: Art. 3 Abs. 3 GG

Hinblick auf die These des absoluten Anknüpfungsverbots schon gesagt wurde – letztlich würde ein so weitgehendes Begründungsverbot das Anknüpfungsverbot mit umfassen (und darüber hinaus mittelbare Diskriminierungen zurück in den Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 3 GG bringen), denn wenn die Ungleichbehandlung an eins dieser Merkmale anknüpft, spielt es notwendig bei deren Begründung eine Rolle. Also kann eine Ungleichbehandlung gute Gründe für sich haben, auch wenn auf einen Unterschied hinsichtlich des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse usw. hingewiesen wird. In anderen Worten: die Begründung der Ungleichbehandlung kann nachvollziehbar sein, auch wenn dabei ein Unterschied hinsichtlich des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse usw. eine Rolle spielt. Dementsprechend muss das Begründungsverbot mit Ausnahmen versehen werden, so dass es letztlich einen engeren Sinn übernimmt. In einem engeren Sinne heißt Begründungsverbot, dass die Ungleichbehandlung nicht mit dem einfachen Hinweis auf einen Unterschied hinsichtlich eines der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale begründet werden darf. D. h.: für die Ungleichbehandlung zweier Menschen reicht nicht einfach die Begründung, dass der Eine schwarz, der Andere weiß ist. In diesem engeren Sinne ist aber das Begründungsverbot selbstverständlich – wie auch selbstverständlich ist, dass die Ungleichbehandlung zweier Menschen nicht einfach damit begründet werden darf, dass der Eine größer als der Andere ist, auch wenn das Merkmal der Körpergröße nicht im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelistet ist. Dass das Begründungsverbot im weiteren Sinne zu weit geht, und dass das Begründungsverbot im engeren Sinne selbstverständlich ist, deutet darauf hin, dass es sich bei Art. 3 Abs. 3 GG nicht um ein Begründungsverbot handelt.

III. Relatives Differenzierungsverbot? Eine dritte These sieht im Art. 3 Abs. 3 GG weder ein Anknüpfungsverbot noch ein Begründungsverbot, sondern ein relatives Differenzierungsverbot. Ihr Ausgangspunkt ist die Frage, ob die Rechtsfolge typischerweise nur die Angehörigen der einen der Gruppen trifft, die sich nach einem der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale bilden lassen. Dies sei prima facie verboten bzw. bedürfe einer besonderen Rechtfertigung.12 Damit wird Art. 3 Abs. 3 GG also ganz im Sinne der herkömmlichen Dogmatik der Freiheitsrechte gedeutet: es handelt sich um ein prima facie Grundrecht, in welches eingegriffen werden kann bzw. darf, wobei der Eingriff, die Ungleichbehandlung, höheren Rechtfertigungsanforderungen als dem bloßen Willkürverbot, möglicherweise dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, unterliegt.

12 So etwa M. Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, Tübingen 2006, S. 711 ff.

IV. Begründungsgebot

135

Die Beurteilung dieser These erfordert eine tiefere Auseinandersetzung mit Art. 3 Abs. 3 GG.

IV. Begründungsgebot Nach der These des relativen Differenzierungsverbots hat die typische Gleichbehandlung von Menschen, die sich nach einem der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale unterscheiden, als solche eine besondere Bedeutung, ein besonderes „Gewicht“. Dementsprechend hat die typische Ungleichbehandlung von Menschen, die sich nach einem der im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale unterscheiden, als solche eine besondere Anstößigkeit, eine besondere Intensität. Ist das der Sinn von Art. 3 Abs. 3 GG? Wenn man die im Art. 3 Abs. 3 GG aufgelisteten Merkmale (Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben und religiöse oder politische Anschauungen) betrachtet, merkt man, dass jedes von ihnen eine eigene Genealogie aufweist,13 die eine Geschichte der Bewältigung konkreter Herausforderungen erzählt.14 Der Endpunkt des Werdegangs dieser Merkmale, nämlich, ihre Positivierung im Art. 3 Abs. 3 GG, ist jedenfalls eine unverkennbare Reaktion auf Ungerechtigkeitserfahrungen, nämlich, die aus der Zeit des Nationalsozialismus.15 Kaum eine andere Grundrechtsbestimmung des GG kann so gut wie Art. 3 Abs. 3 als ein Versuch angesehen werden, „historisches Unrecht bzw. Unrechtsursachen zu verarbeiten“.16 D. h.: Art. 3 Abs. 3 GG listet Merkmale auf, die Ungerechtigkeitserfahrungen in Erinnerung rufen und die insofern mit Willkür in Verbindung gebracht werden. Sie sind daher verdächtig. Schwarze, Frauen, Juden, Kommunisten usw. wurden systematisch gedemütigt. Bei jeder typischen Ungleichbehandlung von Schwarzen, Frauen, Juden, Kommunisten usw. werden diese Ungerechtigkeitserfahrungen in Erinnerung gerufen. Jede typische Ungleichbehandlung von Schwarzen usw. bringt insofern den Verdacht von Willkür mit sich. Damit ist angedeutet, wann ein im Art. 3 Abs. 3 GG nicht aufgelistetes Merkmal zu einem verdächtigen Merkmal wird. Auch dieses wird erst nach Ungerechtigkeitserfahrungen zu einem verdächtigen Merkmal. Auch dieses wird erst nach Ungerechtigkeitserfahrungen durch das jeweilige Rechtsbewusstsein mit Willkür in 13

Vgl. M. Sachs, Die Merkmale verfassungsgesetzlicher Unterscheidungsverbote in Deutschland vom Ende des alten Reiches bis zum Grundgesetz, Der Staat 1984, S. 549 ff. 14 Vgl. M. Kriele, Befreiung und politische Aufklärung. Plädoyer für die Würde des Menschen, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau 1986, S. 63 f.: „Grundrechte entstehen immer aus konkreten Herausforderungen“. 15 Zur Entstehungsgeschichte von Art. 3 Abs. 3 GG vgl. M. Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 313 ff., insb. 323 ff. Dazu vgl. auch L. Osterloh, in: Sachs, GG-Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 226; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar I, 6. Aufl. 2010, Art. 3 Rn. 367; W. Heun, in: Dreier, GG-Kommentar I, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 6. 16 Vgl. M. Kloepfer, Zur historischen Legitimation des Grundgesetzes, ZRP 1983, S. 57.

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E. Der besondere Gleichheitssatz: Art. 3 Abs. 3 GG

Verbindung gebracht. Dabei kann ein Blick auf andere Rechtsordnungen eine wichtige Rolle spielen, wie beim Unterschied hinsichtlich der sexuellen Orientierung.17 Dass die Unterscheidungsmerkmale des Art. 3 Abs. 3 GG mit Willkür in Verbindung gebracht werden, deutet darauf hin, dass es ihm nicht darum geht, der Gleichbehandlung als solche eine besondere Bedeutung zuzusprechen, sondern eben darum, Willkür zu unterbinden. Dementsprechend ist die Ungleichbehandlung als solche nicht besonders anstößig, sondern anstößig bleibt allein die willkürliche Ungleichbehandlung. Insofern stellt Art. 3 Abs. 3 GG an die Ungleichbehandlung keine besondere, über das Willkürverbot hinausgehende Rechtfertigungsanforderungen.18 Andererseits kann man aus dem Verdacht von Willkür nicht auf erhöhte Rechtfertigungsanforderungen schließen, wenn es in der Sache darum geht, Willkür zu unterbinden.19 Wenn Art. 3 Abs. 3 GG keine erhöhte Rechtfertigungsanforderungen stellt, worin besteht seine Besonderheit? Seine Besonderheit besteht darin, den Gesetzgeber unmittelbar unter eine Rechtfertigungsanforderung zu stellen. D. h.: seine Besonderheit besteht darin, eine Ungleichbehandlung unmittelbar verdächtig bzw. be17

So bezieht sich Art. 19 Abs. 1 AEUV (ehemaliger Art. 13 EGV) auch auf das Merkmal der „sexuellen Ausrichtung“. Art. 19 ermächtigt die Union zur Bekämpfung auch von Diskriminierungen auf der privatrechtlichen Ebene. Unter anderem dadurch bringt er ein „,starkes‘ Antidiskriminierungskonzept“ zum Ausdruck. Vgl. M. Jestaedt, Diskriminierungsschutz und Privatautonomie, VVDStRL 64 (2005), S. 298 (314 ff.). Dies kulminierte in den Erlass 2006 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, welches sich auch auf das Merkmal der „sexuellen Identität“ bezieht. Auch Art. 14 EMRK umfasst das Merkmal der sexuellen Orientierung. Grundlegend dazu EGMR, 21. 12. 1999, Salgueiro da Silva Mouta/Portugal, 33290/96, Rn. 28. 18 Es verwundert daher nicht, dass trotz des „gesteigerten Rechtfertigungsbedarfs“ nach sachlichen Gründen für die Ungleichbehandlung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe gesucht wird. Vgl. BVerfGE 124, 199 (224) – Hinterbliebenenversorgung, 2009. 19 Der Trend geht aber in Richtung auf erhöhte Rechtfertigungsanforderungen. Wie gesagt greift das BVerfG im Zuge der Neuen Formel-Rechtsprechung auf das Kriterium der „Annäherung an den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG“, um den Gesetzgeber, zumindest rhetorisch, erhöhten Rechtfertigungsanforderungen zu unterwerfen. Damit nähert sich die Rechtsprechung des BVerfG der des EGMR an. A. Peters/T. Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention. Mit rechtsvergleichenden Bezügen zum deutschen Grundgesetz, 2. Aufl., München 2012, § 33 Rn. 10, erkennen in der Rechtsprechung des EGMR eine Hierarchisierung der durch Art. 14 EMRK umfassten Unterscheidungsmerkmale: es gebe zum einen „besonders ,verdächtige‘ Merkmale“, darunter auch die sexuelle Orientierung, und zum anderen „weniger suspekte, ,einfache‘ personenbezogene Merkmale“, wobei bei den ersten strengere Rechtfertigungsanforderungen gelten würden. Vgl. ferner A. Peters/D. König, Das Diskriminierungsverbot, in: O Dörr/R. Grote/T. Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG. Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz. Band II, 2. Aufl., Tübingen 2013, Kap. 21 Rn. 225 ff. Darüber hinaus weist die Rechtsprechung des BVerfG nun Ähnlichkeiten mit der des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten von Amerika auf, der „verdächtige Klassifizierungen“ – suspect classifications – an einem strengeren Maßstab prüft – strict scrutiny test. Daneben gibt es ein rational basis test und ein intermediate level of scrutiny. Vgl. dazu W. Heun, Equal Protection im amerikanischen Verfassungsrecht, EuGRZ 2002, S. 319 (320 ff.); W. Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl., München 2001, S. 131 ff.

IV. Begründungsgebot

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gründungsbedürftig zu machen. So bringt jede Ungleichbehandlung von zwei Personen verschiedenen Geschlechts, verschiedener Abstammung, Rasse, usw., die typisch ist, den Verdacht von Willkür mit sich und ist somit begründungsbedürftig. Art. 3 Abs. 3 GG enthält insofern ein Begründungsgebot. Zusammenfassend spricht Art. 3 Abs. 3 GG nicht gegen die Geltung des Willkürverbots im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes. Vielmehr stellt Art. 3 Abs. 3 GG kein selbständiges, vom allgemeinen Gleichheitssatz zu unterscheidendes Grundrecht dar. „Es gibt nur einen Gleichheitssatz.“20 Als ein Begründungsgebot unterscheidet sich Art. 3 Abs. 3 GG von den allgemeinen Fällen von Ungleichbehandlung hinsichtlich der Verteilung der Argumentationslast. Dies soll nun genauer erklärt werden.

20 Vgl. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 91.

F. Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes strukturell entfaltet.

I. Seine Bezugnahme: die Gründe für die Ungleich- bzw. Gleichbehandlung Das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG schränkt den Gesetzgeber bei der Ermessensausübung ein. Insofern bezieht es sich von vornherein auf die Gründe des Gesetzgebers für die Ungleichbehandlung (bzw. Gleichbehandlung).1 Näher erklärt: Zwei sind die Ergebnisse einer gesetzgeberischen Maßnahme, in Bezug auf welche der Grundrechtsträger ungleich behandelt wird. Einerseits die Belastung bzw. NichtBegünstigung des Grundrechtsträgers. Und andererseits die Ungleichbehandlung an sich. Für die Ungleichbehandlung an sich interessiert sich Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Er ist, wie gezeigt, ein materielles Grundrecht. Insofern ist die Ungleichbehandlung an sich nicht problematisch. Andererseits will Art. 3 Abs. 1 GG dem Grundrechtsträger eine Nicht-Belastung bzw. Begünstigung gewähren, auf die dieser sonst, d. h., unmittelbar aus dem GG, keinen Anspruch hat. Art. 3 Abs. 1 GG ist, wie gezeigt, ein relatives Grundrecht. D. h.: auch die Belastung bzw. Nicht-Begünstigung des Grundrechtsträgers ist an sich nicht problematisch. Die Ergebnisse der Ungleichbehandlung sind an sich also nicht problematisch – und dementsprechend bewegt sich der Gesetzgeber im Bereich seines Ermessens. Wenn die Ergebnisse der Ungleichbehandlung an sich nicht problematisch sind, dann bezieht sich das Willkürverbot von vornherein auf die Gründe des Gesetzgebers für die Ungleichbehandlung (bzw. Gleichbehandlung).2 Kurzum: nicht objektive, unsachliche, unvernünftige, nämlich willkürliche Gründe sind verboten; ein objektiver, sachlicher, vernünftiger, nämlich nicht-willkürlicher Grund ist geboten.

1 Dem entspricht der Willkürbegriff des PrOVG, von Gerhard Leibholz und des BVerfG: Fehlen eines objektiven, sachlichen, vernünftigen Grundes. Dazu s. o. B. III. 1. b), B. III. 2. a) bzw. D. II. 1. 2 So hätte N. Luhmann, Grundrechte als Institution: ein Beitrag zur politischen Soziologie, 3. Aufl., Berlin 1986, S. 167, nichts Anderes feststellen können, als dass das Gleichheitsgrundrecht „eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der Rechtssetzungsgründe der Legislative“ erwirkt.

II. Der Begriff des Grundes für eine Ungleich- bzw. Gleichbehandlung

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II. Der Begriff des Grundes für eine Ungleich- bzw. Gleichbehandlung Wie schon erwähnt wurde,3 kann die Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers nur mit seiner Verschiedenheit gerechtfertigt werden. Ein „Grund“, der an keinem Unterschied zwischen den ungleich behandelten Personen anknüpft, ist der Ungleichbehandlung gegenüber neutral4, d. h., ihm ist es egal, ob etwa eine Belastung die Person A oder die Person B trifft. Er kann insofern überhaupt nicht als Grund für die Ungleichbehandlung fungieren. Ein typisches Beispiel eines neutralen Grundes ist der Fiskalzweck, dessen Untauglichkeit als Grund für Ungleichbehandlungen das BVerfG immer wieder hervorhebt.5 Der Fiskalzweck ist der Grund überhaupt für die Steuererhebung. So spricht der Fiskalzweck dafür, dass die Person A Steuern zahlt. Darüber, warum nur die Person A Steuern zahlt, die Person B aber nicht, sagt er nichts. Eigentlich wäre er gleichermaßen erfüllt, wenn statt der Person A die Person B Steuern zahlen würde. Er ist der Ungleichbehandlung gegenüber neutral und kann insofern nicht als Grund für die Ungleichbehandlung fungieren. Ähnlich wie beim Fiskalzweck verhält es sich bei allen „Gründen“, denen es lediglich um die quantitativen Wirkungen der Ungleichbehandlung geht. Zu erwähnen sind zunächst die bekannten Topoi Knappheit der Mittel, Praktikabilität und Einfachheit. Dass der Gesetzgeber nur der Person A, nicht aber der Person B eine Leistung gewährt, kann er nicht einfach damit begründen, dass er Mittel für die Förderung von nur einer Person hat. Denn dieses Argument stützt auch die umgekehrte Ungleichbehandlung. Dasselbe gilt für die Praktikabilität und Einfachheit, wenn damit gemeint ist, dass es praktischer bzw. einfacher ist, eine statt zwei Personen zu fördern bzw. zu belasten.6

3

S. o. D. III. 6. C. A. Bandeira de Mello, O conteúdo jurídico do princípio da igualdade, 3. Aufl., São Paulo 2009, S. 29 ff., spricht vom „neutralen Faktor“: demjenigen, der nicht in den Personen, Situationen oder Sachen selbst liegt. Auch die Faktoren Zeit und Raum lehnt er ab. 5 Vgl. nur BVerfGE 122, 210 (233). 6 Die Topoi Praktikabilität und Einfachheit treten im Zusammenhang der Typisierung auf (vgl. S. Huster, Rechte und Ziele: zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, Berlin 1993, S. 249 f.). Dass mit einer Typisierung noch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vorliegt (vgl. BVerfGE 126, 268 [278 f.]; 122, 210 [232]), ist richtig. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Wie im Allgemeinen die Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers nur mit seiner Verschiedenheit gerechtfertigt werden kann, so auch bei einer Typisierung. Die Typisierung, die die Praktikabilität und Einfachheit zu rechtfertigen scheinen, ist nichts Anderes als eine Ungleichbehandlung, die mit der Verschiedenheit des Grundrechtsträgers gerechtfertigt werden kann. Eine Ungleichbehandlung, die mit der Verschiedenheit des Grundrechtsträgers nicht gerechtfertigt werden kann, kann auch nicht durch die Praktikabilität und Einfachheit gerettet werden. 4

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F. Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes

Schließlich sei ein Beispiel angeführt, wobei die Topoi Knappheit der Mittel, Praktikabilität und Einfachheit keine Rolle spielen: man kann nicht lediglich den Biologen Tierversuche mit dem Argument verbieten, dass dies die Zahl der Tierversuche verringern würde.7 Denn dem Tierschutz wäre in dieser quantitativen Hinsicht gleichermaßen gedient, wenn das Verbot statt der Biologen die Tierärzte treffen würde. So ist der „Grund“ des Tierschutzes der Ungleichbehandlung gegenüber neutral und kann insofern nicht als Grund für die Ungleichbehandlung fungieren. Im Fall des Beispiels der Steuererhebung könnte als Grund etwa angeführt werden, dass die Person B im Unterschied zur Person A nicht leistungsfähig ist. Oder dass das Verhalten der Person A im Unterschied zum Verhalten der Person B die Umwelt in spezifischer Weise gefährdet oder belastet. Damit wird ersichtlich, dass es sich bei dem Grund für eine Ungleichbehandlung nicht unbedingt um eine Verschiedenheit des Grundrechtsträgers hinsichtlich eines körperlichen Merkmals handelt. Es geht hierbei um Unterschiede in einem weiteren Sinne. Zusammenfassend: Grund für eine Ungleichbehandlung ist eine Verschiedenheit, ein Unterschied, die bzw. der den Grundrechtsträger gegenüber der Vergleichsperson auszeichnet.8 Entsprechendes gilt für die Gleichbehandlung: Grund für eine Gleichbehandlung ist eine Gleichheit, die der Grundrechtsträger mit der Vergleichsperson hat.

III. Das Willkürverbot bei einer Ungleichbehandlung: die Verschiebung der Argumentationslast Oben wurde dargelegt, dass sich das Willkürverbot auf die Gründe des Gesetzgebers für die Ungleichbehandlung bezieht: willkürliche Gründe sind verboten; ein nicht-willkürlicher Grund ist geboten. Offen bleibt die sekundäre Frage, ob jegliche Ungleichbehandlung einfach gerügt werden können soll bzw. ob jegliche Ungleichbehandlung so rechtfertigungsbedürftig ist. Das ist keine notwendige Folge des Inhalts des allgemeinen Gleichheitssatzes. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der allgemeine Gleichheitssatz ein prima facie Gebot absolut persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit9 enthalten würde. Denn jegliche Ungleichbehandlung wäre dann ein Eingriff in das Grundrecht auf Gleichbehandlung und somit angreifbar bzw. rechtfertigungsbedürftig. Art. 3 Abs. 1 GG enthält aber kein prima facie Gebot absolut persönlicher und sachlicher Rechtsgleichheit. Eine Ungleichbehandlung ist nicht prima facie verbo7

Zu dem diesem Beispiel zugrunde liegenden Fall vgl. BVerfGE 48, 376 – Tierversuche, 1978. 8 Ähnlich S. Kempny/P. Reimer, Die Gleichheitssätze. Versuch einer übergreifenden dogmatischen Beschreibung ihres Tatbestands und ihrer Rechtsfolgen, Tübingen 2012, S. 116. 9 S. o. D. III. 1.

III. Das Willkürverbot bei einer Ungleichbehandlung

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ten. Überhaupt stellt eine Ungleichbehandlung als solche keine besondere Gefährdung des Grundrechts auf Gleichbehandlung dar, zumal es eine willkürliche Ungleichbehandlung voraussetzt. Insofern scheint eine pauschale Argumentationslastregel zugunsten desjenigen, der eine Ungleichbehandlung rügt, bzw. zuungunsten des Gesetzgebers in der Tat nicht folgerichtig.10 Naheliegend ist demgegenüber, dass eine Ungleichbehandlung rechtfertigungsbedürftig ist, wenn die konkrete Gefahr ersichtlich ist, dass es sich um eine willkürliche Ungleichbehandlung handelt, wenn also die konkrete Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich ist. Ob die Ungleichbehandlung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weiß man zwar noch nicht, es besteht jedoch schon der Verdacht. Kurzum: ist eine Ungleichbehandlung verdächtig, dann ist sie begründungsbedürftig. Eine Ungleichbehandlung kann unmittelbar oder mittelbar verdächtig sein. Danach verteilt sich die Argumentationslast.

1. Mittelbar verdächtige Ungleichbehandlungen Im Allgemeinen sind die Ungleichbehandlungen nicht unmittelbar verdächtig. Das ist der Fall, wenn der typische Unterschied zwischen Betroffenen/Nicht-Betroffenen (durch die Rechtsfolge der Norm) nicht verdächtig ist, d. h., wenn es sich nicht um einen Unterschied hinsichtlich des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse usw. handelt.11 Dabei fehlt der Anhaltspunkt dafür, die Ungleichbehandlung als solche in Verbindung mit Willkür zu bringen. So ist der Unterschied hinsichtlich der Bedeutung des häuslichen Arbeitszimmers für die gesamte betriebliche und berufliche Betätigung12 kein verdächtiger Unterschied. Die Ungleichbehandlung einer Person einerseits, deren häusliches Arbeitszimmer den Mittelpunkt ihrer gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet, und etwa des Lehrers andererseits, dessen häusliches Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet, ist dementsprechend nicht unmittelbar verdächtig. Man kann insofern nicht schon deswegen vom Gesetzgeber eine Rechtfertigung verlangen. Dass die Ungleichbehandlung verdächtig ist, ihre Begründungsbedürftigkeit, muss erst einmal in Hinblick auf die weiteren Umstände des Einzelfalls dargelegt werden. Diese Argumentationslast trägt derjenige, der die Ungleichbehandlung rügt. Da es lediglich um die Verdächtigkeit der Ungleichbehandlung geht, obliegt es dem Kläger nicht darzulegen, dass die Ungleichbehandlung willkürlich ist. Es ob10

Vgl. M. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 2. Aufl., Baden-Baden 2007, S. 422; H. A. Haller, Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Untersuchung zur Kompensation von Grundrechtseingriffen, Berlin 2007, S. 244. 11 Zu den verdächtigen Merkmalen s. o. E. IV. 12 Vgl. BVerfGE 126, 268 – Häusliches Arbeitszimmer, 2010.

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F. Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes

liegt ihm also nicht darzulegen, dass es überhaupt keinen nicht-willkürlichen Grund für die Ungleichbehandlung gibt. Vielmehr obliegt es ihm lediglich darzulegen, dass es einen nicht-willkürlichen Grund für die Gleichbehandlung gibt. Im Zentrum der Argumentation des Klägers steht insofern eine Gleichheit zwischen den Vergleichspersonen – Grund für eine Gleichbehandlung ist, wie gezeigt, eine Gleichheit zwischen den Vergleichspersonen. Dabei geht es um die Frage, ob hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Begünstigung bzw. Belastung die Gleichheit als ein nicht-willkürlicher Grund für die Gleichbehandlung fungiert – relevante Gleichheit. Ein Beispiel für eine relevante Gleichheit ist die Gleichheit zwischen dem Lehrer und der Vergleichsperson in der Hinsicht, dass beide ein häusliches Arbeitszimmer halten müssen, dass beide also notwendig Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer haben, wenn es um die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geht. Freilich muss der Kläger seine empirischen Behauptungen wie auch sonst beweisen. Der Lehrer als Kläger muss also beweisen, dass er notwendig Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer hat. Bei den empirischen Behauptungen des Klägers kann es sich aber um unsichere Diagnosen bzw. Prognosen handeln. Dem Willkürmaßstab entsprechend – es geht lediglich darum, ob es einen nicht-willkürlichen Grund für die Gleichbehandlung gibt – soll es ausreichen, dass die Einschätzungen des Klägers nicht evident falsch sind. Es gilt insofern der Evidenzmaßstab bzw. die Evidenzkontrolle. Dass die Begründungsbedürftigkeit einer Ungleichbehandlung einen Schritt der Feststellung einer relevanten Gleichheit zwischen den Vergleichspersonen voraussetzt, ist der deutschen Grundrechtsdogmatik eigentlich nicht fremd. So wird von einer Zwei-Schritt-Prüfung gesprochen, wobei der zweite Schritt in der Prüfung der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung besteht. Der erste Schritt, als Schritt der Feststellung der Ungleichbehandlung bekannt, beginnt wiederum mit der Pointierung eines gemeinsamen Oberbegriffs oder genus proximum13, d. h., mit der Pointierung einer Gleichheit zwischen den Vergleichspersonen. Dass es sich dabei um eine relevante Gleichheit handelt, ist mit dem missverständlichen Stichwort „Vergleichbarkeit“14 gemeint.15 13 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 29. Aufl., Heidelberg 2013, Rn. 465; V. Epping, Grundrechte, 5. Aufl., Heidelberg 2012, Rn. 786; M. Albers, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, JuS 2008, S. 945 (948). 14 Vergleichbar sind zwei Gegenstände ja immer. Vgl. S. Huster, Das Gleichheitsrecht zwischen Verfassungsdogmatik und Rechtsphilosophie, in: K. P. Berger/G. Borges/H. Herrmann et al. (Hrsg.), Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext – Private and Commercial Law in a European and Global Context. Festschrift für Norbert Horn zum 70. Geburtstag, Berlin 2006, S. 1149 (1151 f.). 15 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rn. 463; V. Epping, Grundrechte, Rn. 783; M. Albers, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, S. 948. Zur Voraussetzung der Vergleichbarkeit in der Rechtsprechung des EGMR vgl. C. Grabenwarter/K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention. Ein Studienbuch, 5. Aufl., München 2012, § 26 Rn. 6; ausführlich: T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, Heidelberg 2011, S. 165 ff. Freilich kann man die Unterscheidung zwischen einem Moment der „Vergleich-

III. Das Willkürverbot bei einer Ungleichbehandlung

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Erst wenn es dem Kläger gelingt, eine relevante Gleichheit geltend zu machen, kehrt sich die Argumentationslast um – und mit ihr das Zeichen des Arguments. D. h.: nun liegt es beim Gesetzgeber, darzulegen, dass es einen nicht-willkürlichen Grund für die Ungleichbehandlung gibt. Seine Argumentation bezieht sich dementsprechend auf einen Unterschied zwischen den Vergleichspersonen bzw. auf die Frage, ob hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Begünstigung bzw. Belastung der Unterschied als ein nicht-willkürlicher Grund für die Ungleichbehandlung fungiert – relevante Ungleichheit. Was ist der Unterschied zwischen dem Lehrer und der Vergleichsperson, der die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer rechtfertigt, der also rechtfertigt, dass nur für die Vergleichsperson, nicht aber für den Lehrer, die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer abzugsfähig sind? Auch hier stellt sich die Frage des Beweises empirischer Behauptungen. Der Gesetzgeber muss seine empirischen Behauptungen beweisen, wobei es im Fall von unsicheren Diagnosen bzw. Prognosen dem Willkürmaßstab mit seiner „negativen bloßen Grenzfunktion“16 entsprechend ausreichen soll, dass sie nicht evident falsch sind.17 Auch für den Gesetzgeber gilt also der Evidenzmaßstab bzw. die Evidenzkontrolle.18 Zusammenfassend: Bei einer Ungleichbehandlung, die nicht unmittelbar verdächtigt ist, läuft das Willkürverbot auf eine Verteilung der Argumentationslast zwischen Kläger und Gesetzgeber hinaus: Darlegung der Verdächtigkeit der Ungleichbehandlung bzw. Rechtfertigung. In der Sache geht es um Argumente, die bei umgekehrtem Zeichen die gleiche Struktur haben: eine Gleichheit, die hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Begünstigung bzw. Belastung als ein nicht-willkürlicher Grund für die Gleichbehandlung fungieren soll; einen Unterschied, der hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Begünstigung bzw. Belastung als ein nicht-willkürlicher Grund für die Ungleichbehandlung fungieren soll. barkeit“ und einem Moment der Rechtfertigung einfach verwerfen, wenn darin die Verschiebung der Argumentationslast zugunsten des Gesetzgebers nicht gesehen wird. Denn alles ist dann eine Frage der Rechtfertigung. So etwa S. Kempny/P. Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 40 ff. 16 Vgl. C. Starck, Die Anwendung des Gleichheitssatzes, in: C. Link (Hrsg.), Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat. Symposium zum 80. Geburtstag von Bundesverfassungsrichter i. R. Professor Dr. phil. Dr. iur. Dr. h. c. Gerhard Leibholz am 21. November 1981, Baden-Baden 1982, S. 51 (61). 17 So wird bei der Verfolgung eines außerfiskalischen Zwecks, deren generelle Verfassungsmäßigkeit vom BVerfG bejaht wird (vgl. nur BVerfGE 127, 224 [245]), akzeptiert, „daß das Lenkungsziel nicht verläßlich erreicht wird“; an ihm muss man sich lediglich annähern. Vgl. BVerfGE 98, 106 (121). Evident falsch ist etwa die Annahme eines Unterschieds zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren und Ehepaaren hinsichtlich der Erziehungseignung, wenn sich nach „der ganz überwiegenden Zahl der sachverständigen Stellungnahmen“ keine allgemeine Bedenken „gegen das Aufwachsen von Kindern in gleichgeschlechtlichen Elterngemeinschaften“ erheben lassen. Vgl. BVerfGE 133, 59 (90) – Sukzessivadoption, 2013. 18 Zur Abstufung des Prognosespielraums des Gesetzgebers bzw. der Kontrolldichte von gesetzgeberischen Prognosen (Evidenzkontrolle – Vertretbarkeitskontrolle – intensivierte inhaltliche Kontrolle) im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips s. o. C. I. 2. b) cc).

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F. Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes

2. Unmittelbar verdächtige Ungleichbehandlungen Es sind die verdächtigen Merkmale bzw. Unterschiede des Art. 3 Abs. 3 GG19, die eine Ungleichbehandlung unmittelbar verdächtig machen können. Wenn der Grundrechtsträger und die Vergleichesperson einen verdächtigen Unterschied aufweisen, ist die Gefahr von Willkür schon dann ersichtlich, wenn die Ungleichbehandlung von Personen, die diesen Unterschied aufweisen, typisch ist, d. h., wenn die Rechtsfolge typischerweise nur die Angehörigen der einen der beiden Gruppen trifft, die sich nach diesem Unterschied bilden lassen. Wenn etwa der Grundrechtsträger schwarz und die Vergleichsperson weiß ist, ist die Gefahr von Willkür schon dann ersichtlich, wenn es sich dabei um eine typische Ungleichbehandlung von Schwarzen und Weißen handelt, d. h., wenn die Rechtsfolge typischerweise nur Schwarze oder Weiße trifft. Auf die Einzelheiten des konkreten Falls braucht man nicht einzugehen. Die Ungleichbehandlung ist insofern unmittelbar verdächtig bzw. begründungsbedürftig. Die Argumentationslast trägt also von vornherein der Gesetzgeber. Letztlich wird die schon angesprochene Besonderheit des Art. 3 Abs. 3 GG als ein Begründungsgebot verständlich. Während Ungleichbehandlungen im Allgemeinen nicht unmittelbar verdächtig bzw. begründungsbedürftig sind, so dass zunächst der Kläger die Argumentationslast trägt, macht Art. 3 Abs. 3 GG eine Ungleichbehandlung unmittelbar verdächtig bzw. begründungsbedürftig, so dass sich die Argumentationslast auf den Gesetzgeber verlagert. Wenn diese Verschiebung der Argumentationslast erkannt wird, braucht man nicht die Besonderheit des Art. 3 Abs. 3 GG darin zu sehen, dass er erhöhte Rechtsfertigungsanforderungen stellt. Hinsichtlich der Rechtfertigungsanforderungen unterscheiden sich mittelbar und unmittelbar verdächtige Ungleichbehandlungen nicht.

IV. Das Willkürverbot bei einer Gleichbehandlung: die mittelbare Verdächtigkeit von Gleichbehandlungen Eine Art. 3 Abs. 3 GG entsprechende Vorschrift kennt das GG für Gleichbehandlungen nicht. D. h.: eine Gleichbehandlung ist nie unmittelbar verdächtig bzw. begründungsbedürftig. Ihre Verdächtigkeit muss in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls erst einmal dargelegt werden. In der Hinsicht, dass eine Gleichbehandlung nicht, eine Ungleichbehandlung dagegen doch unmittelbar verdächtig bzw. begründungsbedürftig sein kann, kann von einer Asymmetrie zwischen beiden gesprochen werden. Somit verhält es sich bei einer Gleichbehandlung wie bei einer nicht unmittelbar verdächtigen Ungleichbehandlung: die Argumentationslast verteilt sich zwischen Kläger und Gesetzgeber. Der Unterschied liegt freilich darin, dass es sich nicht um 19

Dazu s. o. E. IV.

V. Die Bedeutung von Widersprüchen

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eine Ungleich-, sondern um eine Gleichbehandlung handelt. Insofern obliegt dem Kläger die Darlegung der Verdächtigkeit der Gleichbehandlung; dem Gesetzgeber obliegt die Rechtfertigung der Gleichbehandlung. D. h.: wer für die Ungleichbehandlung argumentiert, ist also der Kläger; der Gesetzgeber argumentiert für die Gleichbehandlung. So geht es zunächst um einen Unterschied, der hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Belastung als ein nicht-willkürlicher Grund für die Ungleichbehandlung fungieren soll; und danach um eine Gleichheit, die hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Belastung als ein nicht-willkürlicher Grund für die Gleichbehandlung fungieren soll.20

V. Die Bedeutung von Widersprüchen Oben wurde ein Folgerichtigkeitsgebot zurückgewiesen, wonach sich der Gesetzgeber an die Wertung selbst bindet, die im Allgemeinen maßgebend ist. D. h.: aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich nicht ein spezielles bzw. resistenteres Grundrecht darauf, nach der Wertung behandelt zu werden, nach welcher Andere im Allgemeinen behandelt werden.21 Damit ist aber nicht gesagt, dass Widersprüche überhaupt keine Rolle im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG spielen – der Klarheit halber sei von „Folgerichtigkeit“ allein im Sinne des erwähnten Folgerichtigkeitsgebots die Rede; in den nun darzustellenden Zusammenhängen sei nur von „Widersprüchen“ die Rede. Widersprüche spielen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG dieselbe Rolle, die sie sonst bei jeglichem Argumentationsgang spielen: sie legen die Unzulänglichkeit eines Arguments offen. Dies wird anhand der Betrachtung von Beispielen verständlicher.

20 Aufschlussreiche Beispiele für Gleichbehandlungsfälle bietet die Rechtsprechung des EGMR an. Erwähnt sei nur der Fall Thlimmenos. Der Kläger hatte eine schwere Straftat (Wehrdienstverweigerung in Zeiten genereller Mobilisation) aus religiösen Motiven begangen. Die Vergleichsperson hatte eine schwere Straftat aus anderen, nicht religiösen Motiven begangen. Der Kläger und die Vergleichsperson wurden gleich behandelt: beiden wurde es untersagt, ein öffentliches Amt zu bekleiden. So ging es zunächst um einen Unterschied, der hinsichtlich des Verbots der Bekleidung eines öffentlichen Amtes als ein nicht-willkürlicher Grund für die Ungleichbehandlung fungieren sollte: den Unterschied zwischen Kläger und Vergleichsperson hinsichtlich ihrer Eignung zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes. Während die Vergleichsperson nicht geeignet sei, sei der Kläger geeignet. Zum zweiten ging es um eine Gleichheit, die hinsichtlich des Verbots der Bekleidung eines öffentlichen Amtes als ein nicht-willkürlicher Grund für die Gleichbehandlung fungieren sollte: die Gleichheit zwischen Kläger und Vergleichsperson hinsichtlich der Schwere der von ihnen begangenen Straftaten, wobei der Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst den Charakter einer Strafe hätte. An dieser Stelle interessiert nicht das Urteil, sondern die Offenlegung der Struktur der Argumentation. Jedenfalls hielt der EGMR die Gleichbehandlung für konventionswidrig. Vgl. EGMR, 6. 4. 2000, Thlimmenos/GRE, 34369/97. 21 S. o. D. III. 5.

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F. Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes

Paradigmatisch ist der Fall der Tierversuche.22 Nach dem Tierschutzgesetz durften Tierversuche mit operativen Eingriffen nur Tierärzte und Ärzte einerseits und Biologen an Hochschulen oder staatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen andererseits durchführen. Biologen an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen durften also keine Tierversuche mit operativen Eingriffen durchführen. Sinn und Zeck der Regelung sei ein besserer Tierschutz. Zum einen wurde zwischen Tierärzten und Ärzten an Hochschulen oder staatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen einerseits und Tierärzten und Ärzten an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen andererseits nicht unterschieden. Dies führte zur Irrelevanz des Merkmals „staatlich“: hinsichtlich des Tierschutzes unterschieden sich Hochschulen oder staatliche wissenschaftliche Einrichtungen einerseits und andere wissenschaftliche Einrichtungen andererseits nicht. Man könnte also die Ungleichbehandlung nicht auf das Argument stützen, dass der Tierschutz bei anderen wissenschaftlichen Einrichtungen besonders gefährdet sei. Anders gesagt: den Biologen an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen könnte der Gesetzgeber Tierversuche mit operativen Eingriffen nicht mit dem Argument untersagen, dass es sich um andere wissenschaftliche Einrichtung handelt. Übrig blieb das Argument, dass die Biologen ohnehin eine besondere Gefahr für den Tierschutz darstellen. Und nun zu dem Widerspruch: der Gesetzgeber hat die Biologen an Hochschulen oder staatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen den Tierärzten und Ärzten gleichgesetzt. Es wäre ein Widerspruch dazu, zu behaupten, dass die Biologen ohnehin eine besondere Gefahr für den Tierschutz darstellen. Daher scheidet dieses Argument aus. D. h.: der Gesetzgeber könnte die Ungleichbehandlung der Biologen an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen (sprich: Untersagen von Tierversuchen mit operativen Eingriffen) nicht mit dem Argument begründen, dass die Biologen ohnehin ungeeignet dazu sind. Widerspruch hat hier also die Bedeutung, dass schon aus der Entscheidung des Gesetzgebers, Biologen an Hochschulen oder staatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen den Tierärzten und Ärzten gleichzusetzen, sich die Folge des Ausschlusses des Arguments ergibt, dass die Biologen ohnehin eine besondere Gefahr für den Tierschutz darstellen. Der Widerspruch führt zum Ausschluss des Arguments; er stellt aber an sich noch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar, noch führt er zu erhöhten Rechtfertigungsanforderungen. Um das zuvor Gesagte allgemein zusammenzufassen: schon aus der Entscheidung des Gesetzgebers folgt, dass Argumente, die zu ihr in Widerspruch stehen, als Argumente für weitere Entscheidungen ausscheiden. Das ist die Bedeutung von Widersprüchen für den allgemeinen Gleichheitssatz. Zur Erläuterung sei ein weiteres Beispiel herangezogen, das Beispiel einer unmittelbar verdächtigen Ungleichbehandlung. Der Gesetzgeber erlaubt, dass eine homosexuelle Person, in eingetragener Lebenspartnerschaft, das leibliche Kind ihres Partners adoptiert (Stiefkindadoption). Der Gesetzgeber erlaubt des Weiteren, dass eine homosexuelle Person allein ein Kind adoptiert (Einzeladoption). Zu diesen 22

Vgl. BVerfGE 48, 376 – Tierversuche, 1978.

V. Die Bedeutung von Widersprüchen

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Entscheidungen steht etwa das Argument in Widerspruch, dass das Kindeswohl bei Homosexuellen ohnehin gefährdet sei. Insofern scheidet dieses Argument als Argument für die Ungleichbehandlung von Homosexuellen hinsichtlich der Sukzessivadoption aus. D. h.: der Gesetzgeber kann einer homosexuellen Person die Sukzessivadoption des von ihrem Partner bereits adoptierten Kindes nicht mit dem Argument versagen, dass das Kindeswohl bei Homosexuellen ohnehin gefährdet sei.23 Ein „deutlich strengerer Prüfungsmaßstab“24 auf Grund des verdächtigen Merkmals der sexuellen Orientierung braucht nicht angewandt zu werden; es ist auch nicht der Fall eines erhöhten Rechtfertigungsbedarfs auf Grund eines Folgerichtigkeitsgebots; es ist nur, dass bestimmte Entscheidungen (Stiefkindadoption, Einzeladoption) einen bestimmten zu ihnen in Widerspruch stehenden Grund (die Gefährdung des Kindeswohls bei Homosexuellen) als Grund für eine weitere Entscheidung (Sukzessivadoption) ausschließen.25 Schließlich sind von den Widerspruchsfällen die Fälle zu unterscheiden, in denen ein Grund deswegen ausscheidet, weil er material problematisch ist. Bei dem Widerspruch handelt es sich um ein formallogisches, nicht um ein materiales Problem. D. h., der Inhalt des Arguments ist irrelevant. Wenn das Problem hingegen im Inhalt des Arguments liegt, geht es nicht um einen Widerspruchsfall. Aufschlussreich ist an dieser Stelle der viel diskutierte Fall des Rauchverbots in Gaststätten. Der Gesetzgeber behandelt die Einzelraumgasstätte und die größere Gaststätte mit einem separaten Raum für Raucher ungleich, d. h., bezüglich des Rauchverbots macht er für die erste keine, für die zweite doch eine Ausnahme. Nun stellt sich die Frage, ob sich beide im Hinblick auf die Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung durch Passivrauchen unterscheiden. Ist das nicht der Fall, dann scheidet der „Schutz der Bevölkerung vor den Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen“26 als Grund für die Ungleichbehandlung aus – Grund für eine Ungleichbehandlung kann nur ein Unterschied zwischen den Vergleichspersonen sein, wie schon gezeigt. Dies ist aber kein formallogisches, sondern ein materiales Problem. Denn der Grund scheidet nicht wegen Widerspruchs aus, sondern vielmehr ist sein Inhalt falsch: die Einzelraumgasstätte und die größere Gaststätte mit einem separaten Raum für Raucher sind nicht ungleich, sondern gleich. Bei dem Fall des Rauchverbots in Gaststätten geht es also um die materiale Prüfung, ob die Vergleichspersonen gleich oder ungleich sind. Ein Blick auf die oben gegebenen Beispiele hilft weiter bei der Beantwortung der Frage, warum bzw. wann man vor einem Widerspruchsfall steht. Bei den Widerspruchsfällen geht es um Aussagen, die sich auf dieselbe Person beziehen. So sagt der 23

Vgl. T. Altwicker, Menschenrechtlicher Gleichheitsschutz, S. 229, mit der Darstellung eines ähnlichen Falls vor dem EGMR. 24 Vgl. BVerfGE 133, 59 (87) – Sukzessivadoption, 2013. 25 Freilich konnte man überhaupt keinen anderen möglichen rechtfertigenden Grund ausfindig machen. Vgl. BVerfGE 133, 59 (86 ff.). 26 Vgl. BVerfG 121, 317 (355) – Rauchverbot in Gasstätte, 2008.

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F. Das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes

Gesetzgeber, dass die Biologen nicht ohnehin eine besondere Gefahr für den Tierschutz darstellen; folglich kann der Gesetzgeber nicht sagen, dass die Biologen doch ohnehin eine besondere Gefahr für den Tierschutz darstellen. Der Gesetzgeber sagt, dass die Homosexuellen nicht ohnehin eine Gefahr für das Kindeswohl darstellen; folglich kann der Gesetzgeber nicht sagen, dass die Homosexuellen doch ohnehin eine Gefahr für das Kindeswohl darstellen. Bei den anderen Fällen geht es hingegen um Aussagen, die sich auf verschiedene Personen beziehen. So sagt der Gesetzgeber, dass die größere Gaststätte mit einem separaten Raum für Raucher keine besondere Gefahr für die Bevölkerungsgesundheit darstellt. Daraus folgt nicht schon formallogisch, dass der Gesetzgeber nicht sagen kann, dass die Einraumgaststätte eine besondere Gefahr für die Bevölkerungsgesundheit darstellt. Vielmehr muss man sich mit dem Inhalt des Arguments beschäftigen: sind die größere Gaststätte mit einem separaten Raum für Raucher und die Einraumgaststätte hinsichtlich der Gefährdung der Bevölkerungsgesundheit tatsächlich ungleich? Vom Widerspruch in diesem Zusammenhang zu sprechen, scheint insofern lediglich eine „Legitimierungsstrategie“27: man gibt als eine formallogische Prüfung an, was nur eine materiale Prüfung sein kann.

VI. Ergebnis Im Kapitel F. wurde gezeigt, wie sich das Willkürverbot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes strukturell entfaltet. Das Willkürverbot bezieht sich auf die Gründe des Gesetzgebers für die Ungleichbzw. Gleichbehandlung: willkürliche Gründe sind verboten; ein nicht-willkürlicher Grund ist geboten. Dabei ist Grund für eine Ungleichbehandlung ein Unterschied zwischen dem Grundrechtsträger und der Vergleichsperson; Grund für eine Gleichbehandlung ist eine Gleichheit zwischen ihnen. Das Willkürverbot bewirkt eine Verschiebung der Argumentationslast je nachdem, ob es sich um eine unmittelbar oder nicht unmittelbar verdächtige Ungleichbehandlung handelt. Eine unmittelbar verdächtige Ungleichbehandlung betrifft eins der verdächtigen Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG: jede typische Ungleichbehandlung von Personen verschiedenen Geschlechts, verschiedener Abstammung, Rasse usw. ist unmittelbar verdächtigt. Andernfalls ist die Ungleichbehandlung nicht unmittelbar verdächtigt: ihre Verdächtigkeit, die konkrete Gefahr einer willkürlichen Ungleichbehandlung, wird erst bei näherer Betrachtung des Einzelfalls ersichtlich. Bei einer nicht unmittelbar verdächtigen Ungleichbehandlung verteilt sich die Argumentationslast zwischen Kläger und Gesetzgeber. Dem ersten obliegt es, die Verdächtigkeit der Ungleichbehandlung darzulegen; dem zweiten obliegt es, die 27 Vgl. N. Petersen, Gesetzgeberische Inkonsistenz als Beweiszeichen. Eine rechtsvergleichende Analyse der Funktion von Konsistenzargumenten in der Rechtsprechung, AöR 138 (2013), S. 108 (113).

VI. Ergebnis

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Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Bei einer unmittelbar verdächtigen Ungleichbehandlung verlagert sich die Argumentationslast auf den Gesetzgeber: ihm obliegt es, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Anders als Ungleichbehandlungen sind Gleichbehandlungen nie unmittelbar verdächtig. Dementsprechend verteilt sich die Argumentationslast zwischen Kläger und Gesetzgeber: dem ersten obliegt es, die Verdächtigkeit der Gleichbehandlung darzulegen; dem zweiten obliegt es, die Gleichbehandlung zu rechtfertigen. Dass der Kläger die Verdächtigkeit der Ungleichbehandlung darlegen muss, heißt, dass er für die Gleichbehandlung argumentieren muss. Dass der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung rechtfertigen muss, heißt, dass er für die Ungleichbehandlung argumentieren muss. Dementsprechend argumentiert der Kläger im Fall einer Gleichbehandlung für die Ungleichbehandlung, während der Gesetzgeber für die Gleichbehandlung argumentiert. In der Sache handelt es sich um Argumente, die – auch wenn mit umgekehrtem Zeichen – immer die gleiche Struktur haben. Bei der Argumentation für die Gleichbehandlung geht es um eine Gleichheit, die hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Begünstigung bzw. Belastung als ein nicht-willkürlicher Grund für die Gleichbehandlung fungieren soll; bei der Argumentation für die Ungleichbehandlung geht es um einen Unterschied, der hinsichtlich der spezifisch in Frage stehenden Begünstigung bzw. Belastung als ein nicht-willkürlicher Grund für die Ungleichbehandlung fungieren soll.

G. Ergebnis Das Willkürverbot schränkte die Polizei ein bei deren Bewertung konkreter Maßnahmen im Lichte der unbestimmten Rechtsbegriffe, die die Aufgabe der Polizei umschrieben. Dabei durfte die Polizei zunächst frei werten (Stichwort: freies Ermessen). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hatte demgegenüber den Sinn einer Schranke der Zweck-Mittel-Relation. In seiner Dimension von Erforderlichkeit lief es auf eine empirische Analyse des Verhältnisses zweier schon bewerteter konkreter Maßnahmen zueinander (Mittel und Zweck) hinaus („Tauglichkeit [des Mittels] für einen als gut vorausgesetzten Zweck“1). Es hatte insofern einen formellen Charakter. Zum anderen, in seiner erst später erhaltenen Dimension von Angemessenheit, betraf das Verhältnismäßigkeitsprinzip wiederum die materielle Bewertung des Mittels im Hinblick auf den Zweck. Dabei durfte die Polizei allerdings zunächst frei werten. So ähnelte das Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner Dimension von Angemessenheit zumindest in seiner Dichte dem Willkürverbot (Stichwort: krasses Missverhältnis). Kurz gesagt: während das Willkürverbot dort griff, wo die Polizei ihr Ermessen ausübte, zeichnete sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip dadurch aus, dass es in seiner Dimension von Erforderlichkeit außerhalb des Ermessensbereichs der Polizei wirkte. Auf der Ebene der Gesetzgebung stößt das formelle Rationalitätsgebot der Erforderlichkeit schnell an seine Grenzen: die Erforderlichkeitsprüfung lässt sich nicht in einer empirischen Analyse erschöpfen. So setzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf eine materielle Schranke, nämlich, die Eingriffsintensität: je nach der Eingriffsintensität stellt das Verhältnismäßigkeitsprinzip verschiedene Anforderungen an die Geeignetheit bzw. an die Prognosen des Gesetzgebers. Bei der Eingriffsintensität handelt es sich um eine – konkrete – Eingriffsintensität, die nach einem verfassungsrechtlichen Maßstab eingestuft wird, und zwar, dem einen und selben Grundrecht, in das eingegriffen wird. Die Rede ist dementsprechend von einer absoluten Eingriffsintensität: zum einen wird ein Eingriff, der am Maßstab eines Grundrechts ein schwerer Eingriff ist, am Maßstab desselben Grundrechts immer ein schwerer Eingriff sein, unabhängig davon, dass man ihn relativ auf verschiedene Zwecke verschieden wertet; zum anderen wird er immer als ein schwerer Eingriff in das betreffende Grundrecht dem Gesetzgeber entgegengehalten werden.

1 Vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmässigkeitserwägung: zugleich ein System der Ungültigkeitsgründe von Polizeiverordnungen und –verfügungen. Eine staatsund verwaltungsrechtliche Untersuchung, Tübingen 1913, S. 77.

G. Ergebnis

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Der absoluten Eingriffsintensität entspricht der absolute Anspruch. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip setzt also einen absoluten Anspruch bzw. ein absolutes Grundrecht voraus. Insofern, als das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf die – absolute – Eingriffsintensität setzt, zeichnet es sich weiterhin dadurch aus, dass es außerhalb des Ermessensbereichs, nun des Gesetzgebers, wirkt. Dort hingegen, wo der Gesetzgeber sein Ermessen ausübt, d. h., wo er ohne Rückgriff auf einen verfassungsrechtlichen Maßstab Grundrecht und Zweck relativ aufeinander materiell wertet (Stichwort: Abwägung), läuft das Verhältnismäßigkeitsprinzip lediglich auf eine „Stimmigkeitskontrolle“2 hinaus. In seiner Dimension von Angemessenheit nähert sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip also weiterhin zumindest in seiner Dichte dem Willkürverbot an. Es ist unterdessen allenfalls kontrovers, ob mit unbestimmten Rechtsbegriffen freies Ermessen einhergeht. Mit der Unbestimmtheit des Begriffs der wesentlichen Gleichheit (bzw. Ungleichheit), mit ihrer Leere, für das Willkürverbot zu argumentieren, ist dementsprechend nicht befriedigend. Denn dabei geht es um eine externe, dem Demokratieprinzip entnommene Lösung. Im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG soll das Willkürverbot als eine Forderung des Art. 3 Abs. 1 GG selbst gelten. Der allgemeine Gleichheitssatz will dem Grundrechtsträger eine Begünstigung bzw. eine Nicht-Belastung gewähren, auf die dieser sonst, d. h., unmittelbar aus dem GG, keinen Anspruch hat, auf die der Grundrechtsträger also keinen absoluten Anspruch hat – so begründet Art. 3 Abs. 1 GG materielle relative Ansprüche; er ist ein materielles relatives Grundrecht. Nur: in dem Bereich, in dem der Grundrechtsträger dem Gesetzgeber gegenüber noch keinen Anspruch hat, handelt der Gesetzgeber dem Grundrechtsträger gegenüber frei. Ob er dem Grundrechtsträger eine Begünstigung bzw. eine NichtBelastung zugesteht, auf die dieser keinen Anspruch hat, liegt zunächst in der freien Entscheidung des Gesetzgebers. Er übt sein Ermessen aus. Insofern bleibt Raum nur für ein Willkürverbot: der Maßstab, der dort greifen soll, wo der Gesetzgeber sein Ermessen ausübt, ist nicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern das Willkürverbot. Im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes heißt dies: den Anspruch auf die Begünstigung bzw. Nicht-Belastung, auf die er sonst keinen Anspruch hat, hat der Grundrechtsträger erst, wenn der Gesetzgeber ihn willkürlich ungleich bzw. gleich behandelt. Die weitere Aufgabe kann nach alledem nicht darin bestehen, für den allgemeinen Gleichheitssatz ein Verhältnismäßigkeitsprinzip neu herauszuarbeiten; sie kann nur darin bestehen, die Struktur des Willkürverbots im Rahmen des allgemeinen 2 Vgl. B. Pieroth/B. Schlink/T. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 29. Aufl., Heidelberg 2013, Rn. 304.

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G. Ergebnis

Gleichheitssatzes zu erschließen. Mit Kapitel F. wurde schließlich versucht, einen Anstoß dazu zu geben.

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Sachwortverzeichnis Abwägung – subjektiv und dezisionistisch 61 f., 73, 77 Abwehranspruch 79 Abwehrrecht 80 f., 86 – modales 87 AEUV, Art. 19 Abs. 1 136 Alexy, Robert 58 f., 61 f., 70, 73, 97, 101 – 104, 123 – epistemisches Abwägungsgesetz 70, 72 – Gewichtsformel 59, 61, 67, 72 – materielles Abwägungsgesetz 59, 62, 72 f. – Prinzipientheorie 59 f., 71, 83, 97, 102 allgemeiner Gleichheitssatz – der formelle allgemeine Gleichheitssatz 88 – der materielle allgemeine Gleichheitssatz 89 – formell und absolut 89, 126 – materiell und relativ 89 – materieller Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes 101 – materiellrechtliche Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes 128 ALR, § 10 II 17 16, 19 – 23, 32 – 34, 50 f. Anspruch – absoluter 80 – 83, 86, 88 f., 97, 130, 151 – Formalität des Anspruchs 129 – materieller 79, 92, 151 – Nichtverwirklichung des Anspruchs 82, 86 – prima facie 82, 86, 92, 97 – relativer 89, 130, 151 – Relativierung des Anspruchs auf der Verwirklichungsebene 84 – Relativität des Anspruchs 92, 129 – Relativität des Anspruchs auf der Verwirklichungsebene 82 Anspruchsverwirklichung – Absolutheit der 92 – Relativierung der 83, 86

– Relativität der 83, 85 Apothekenurteil 28, 37, 52, 64, 68, 70, 74 Argumentationslast – akzessorischer oder formeller Charakter 101, 104 außerfiskalischer Zweck 122, 143 Beamtenverhältnisse-Urteil 91 Begünstigung/Belastung – unmittelbare, mittelbare 127, 130 Berg, Günther Heinrich von 23 Bernatzik, Edmund 38 f., 43 Bewertung 56 f. – konkreter Maßnahmen im Lichte der unbestimmten Rechtsbegriffe 52, 150 – materielle Bewertung der konkreten polizeilichen Maßnahme 50 – materielle Bewertung des Mittels im Hinblick auf den Zweck 29, 51 f., 55, 58, 150 Bühler, Ottmar 42 f. Canaris, Claus-Wilhelm 106 – 108 Carmer, Johann Heinrich Casimir Graf von 19 Dechsling, Rainer 57 derivativer Teilhabeanspruch Diskriminierung – mittelbare 132 – 134 – unmittelbare 132 f. Drews, Bill 34 Dworkin, Ronald 120

87

EGMR 136, 142, 147 – Salgueiro da Silva Mouta/Portugal 136 – Thlimmenos/GRE 145 Ehegattensplitting 88 f., 126, 129 Eingriffsintensität – absolute 62, 67 f., 71 – 73, 78, 150 f. – absolute – primäre materielle Schranke der Zweck-Mittel-Relation 68, 77, 82

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Sachwortverzeichnis

– – – –

abstufbare 85 Abstufung der 64 – 66, 68 Einstufung der 61 f., 66 f., 85 Geeignetheit als eine Anforderung der s. Geeignetheit – konkrete 66, 150 – konkrete Größe 67 EMRK, Art. 14 136 Erforderlichkeit – äußere Schranke der Zweck-Mittel-Relation 54 – formelle Schranke der Zweck-Mittel-Relation 58 – formeller Prüfungsmaßstab 57 – formelles Rationalitätsgebot 55, 77, 150 Ermessen 31, 33, 35 f., 38 – 42, 44 f., 50, 52, 58, 89, 91, 125 f., 131, 138, 150 f. Evidenzkontrolle, Vertretbarkeitskontrolle, intensivierte inhaltliche Kontrolle 69, 72, 78 Evidenzmaßstab, Evidenzkontrolle 142 f. Existenzminimum 81, 86 Fiskalzweck 139 Fleiner, Fritz 25, 30 Folgerichtigkeit – formeller Charakter 106 Franzen, Wilhelm 25, 34 Friedrich der Große 19 Geeignetheit – Anforderung der Eingriffsintensität 71 – innere Schranke der Zweck-Mittel-Relation 53, 71 Gewicht 59 f., 70, 73, 78, 135 Gewicht an sich 60 f., 66, 71 f., 77 Gewichtszuschreibung 60 – 62, 77 Gewichtung 73 Gleichbehandlung – abwehrrechtlicher Schutzgegenstand 127 Gleichbehandlungsformen 130 Gleichheit – enger Begriff der wesentlichen Gleichheit 97 – faktische 87 – formelle 99, 103 f. – materielle 103

– pauschale 103 – relevante 142 f. – unerhebliche Gleichheit bzw. Ungleichheit 90 – weiter Begriff der wesentlichen Gleichheit 97 – weiter Begriff der wesentlichen Gleichheit bzw. Ungleichheit 123 – wesentliche 96 – 104, 124, 131 – wesentliche Gleichheit bzw. Ungleichheit 90, 97, 124 f., 151 – wesentliche Gleichheit bzw. Ungleichheit im negativen und weiteren Sinne 124 – wesentliche Gleichheit bzw. Ungleichheit im positiven und engeren Sinne 105 f., 108, 118, 121, 123 – 126 Gleichheit der Wahl 94, 109, 114 – Erfolgswertgleichheit 109 – 114 – gleiche rechtliche Erfolgschance 114 – Zählwertgleichheit 109, 114 Gleichheitsbegriff 88 f., 97, 119 – formeller 96 f., 99, 104, 123 – materieller 96, 104, 123 f. Grund – neutraler 139 – nicht-willkürlicher 138, 140, 142 f., 145, 148 f. – willkürliche Gründe 138, 140, 148 Grundrecht – absolutes 79 f., 82, 85 f., 88 f., 96 f., 123, 126, 130, 151 – formelles 79, 87, 89, 96 f., 123, 126, 130 – materielles 79 f., 86 – 89, 92, 96 f., 126, 128 – 130, 138, 151 – relatives 79, 89, 92, 96 f., 129 f., 138, 151 – Relativität der Grundrechte auf der Verwirklichungsebene 83 Grundrechtsgut 63, 67 f., 74 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit s. Verhältnismäßigkeitsprinzip Hatschek, Julius 25, 32 Huster, Stefan 119 – 124 Inkommensurabilität oder Unvergleichbarkeit 62

Sachwortverzeichnis Jellinek, Walter 25 f., 31 f., 41 – 43, 47 Jubiläumsrückstellungen-Urteil 118 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 17 f. Kaldor-Hicks-Kriterium 57 Kapitalertragsteuer-Urteil 115 f. Kloepfer, Michael 104 – 106, 124, 126 Knappheit der Mittel 139 f. Krauss, Rupprecht von 27 f., 35 – 37, 51 Kreuzbergurteil 21 – 23 Kunstfreiheit 63, 65 f. Laforet, Wilhelm 25, 33 Laun, Rudolf von 40 f., 43 Leibholz, Gerhard 47 – 49, 52, 102 Leistungsanspruch 80 f. – originärer 87 Leistungsrecht 80 f., 86 Lerche, Peter 29, 36 Martini, Peter 97, 100, 123 Mayer, Otto 24 – 26, 29 – 32, 51 Mephisto-Entscheidung 65 Meyer, Hans 111 Mitbestimmungsgesetz-Urteil 69, 72 Nebinger, Robert 25 Neue Formel 93 f., 96, 104, 119, 132 f., 136 Neuwiem, Erhard 25 Nohlen, Dieter 110 f. Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika 136 Oertmann, Paul 41, 43 Pareto-Kriterium 57 Pendlerpauschale-Urteil 116 Podlech, Adalbert 99 – 101, 124 Polizeibegriff 16, 18, 20, 22, 26, 50 – institutioneller 16 – materieller 17 f. Präklusion I-Urteil 13, 93 Praktikabilität und Einfachheit 139 f. Prognosenprüfung 68, 70 – 76, 78 f. – Prognosen- oder Wahrscheinlichkeitsprüfung 70

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Radbruchsche Formel 48 Rauchverbot in Gaststätten 147 Recht – formelles subjektives öffentliches 87 – objektives 79 – subjektives 79 f., 128 f. – subjektives öffentliches 14 Rechtsanwendung und Rechtsetzung 123 Rechtsanwendungsgleichheit 123 Rechtsfindung und Rechtsetzung 66 Rechtsgut 68 f., 73 f., 78 Religionsfreiheit 63, 74, 81, 86 Rettungsdienst-Urteil 69 Sachs, Michael 132 f. Schutzgrundrecht 81 Selbstbindung des Gesetzgebers 107, 116 Sonnenfels, Joseph von 17 f. Sphärentheorie 65 f. staatliches Monopol für Sportwetten 70, 73 f. Stier-Somlo, Fritz 39 f., 43 Stimmigkeitskontrolle 75, 78, 151 strukturelles Vollzugsdefizit 115 f. Stufenlos-Formel 94 Stufentheorie 37, 64 – 66 Subsumtion 50, 60, 62, 67, 77, 105, 124 – Metasubsumtion 61 Subsumtionsproblem 50 f. Südweststaat-Urteil 91 Sukzessivadoption 147 suspect classifications 136 Svarez, Carl Gottlieb 19 f. Systemgerechtigkeit 106 Teleologie 53 Tezner, Friedrich 38 f., 43 Tierversuche 140, 146 Typisierung 139 Übermaß 25, 31, 42 Übermaßverbot 36, 104 f. unbestimmter Rechtsbegriff 38, 44, 50, 124 – 126, 131, 151; s. a. Bewertung Ungleichbehandlungsarten 127

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Sachwortverzeichnis

Ungleichheit – relevante 143 – wesentliche 100 – 104, 124 Ungleichheit s. a. Gleichheit verdächtiger Unterschied 141, 144 verdächtiges Merkmal 135 f., 144, 147 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip – formeller Charakter 52, 150 – Schranke der Zweck-Mittel-Relation 52, 150 Wacke, Gerhard 34 Weimarer Reichsverfassung 26, 47, 49, 52, 112, 114 Willkürrechtsprechung 89, 91 f., 94, 96

Wirksamkeit der Norm – äußere 75 – innere 75 Wolzendorff, Kurt 25, 30 Zweck-Mittel-Relation – äußere Schranke der s. Erforderlichkeit – äußere Schranken der 54 – formelle Schranke der s. Erforderlichkeit – innere Schranke der s. Geeignetheit – materielle Schranken der 58, 77 – primäre materielle Schranke der s. Eingriffsintensität – Schranke der s. Verhältnismäßigkeitsprinzip