Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung [1 ed.] 9783428478767, 9783428078769


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German Pages 267 Year 1994

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Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung [1 ed.]
 9783428478767, 9783428078769

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ANDREAS GEIGER

Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung

Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehmann und Prof. Dr. Rainer Pitschas

Band 7

Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung .. der Video-Uberwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung

Von

Andreas Geiger

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Geiger, Andreas: Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der VideoÜberwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung / von Andreas Geiger. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik; Bd. 7) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07876-4 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0940-1172 ISBN 3-428-07876-4

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau im Sommersemester 1993 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Januar 1993 abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D. Prof. Dr. Ernst Benda. An seinem Freiburger Lehrstuhl ist die Arbeit entstanden; dort bin ich in vielfaltiger Weise mit verfassungsrechtlichen Fragen in Berührung gekommen und habe Zugang zum Verständnis des Verfassungsrechts gefunden. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Thomas Würtenberger für die Übernahme des Zweitberichts zur Dissertation. Mein herzlicher Dank gilt schließlich meiner Frau für ihre Geduld, die sie während der kritischen Phasen der Arbeit mit mir hatte. München, im Winter 1993 / 1994

Andreas Geiger

Inhalt Erstes Kapitel Einführung

17

A. Problemstellung und Gegenstand der Untersuchung

17

B. Methode der Untersuchung

20

C. Gang der Untersuchung ............................................................

26

Zweites Kapitel Geltungsbedingungen des Grundgesetzes im Blick auf Anwendungen der Videotechnik bei der Straftatbekämpfung

27

A. Technische Bedingungen ................................................ . ..........

27

1. Überblick ....... . ........................................... . ....... . ..........

27

H. Kamera- und Aufnahmetechnik .............................................

30

1. Bildaufnahme .............................................................

30

2. Tontechnik .................................................................

32

III. Aufzeichnungs-, Auswertungs- und Wiedergabetechnik .................

32

I. Videorecorder .............................................................

32

2. Bildplatte

33

3. Computer

34

a) Digitalisierung .........................................................

34

b) Speicherung digitaler Bild- und Tondaten .........................

35

aa) Bilddaten .........................................................

35

bb) Tondaten ..........................................................

36

Inhalt

10

c) Reproduktion digital gespeicherter Bild- und Tondaten, insbesondere durch Mustererkennungsverfahren .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

aa) Reproduktion .....................................................

36

bb) Mustererkennung ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

cc) Bildsimulation, -synthese und -manipulation ....... . .........

37

4. Karteien ................................................. . ........ . .........

37

IV. Übertragungstechnik ....................... ...... . .. . ..... . ..................

38

1. Grundlagen und Stand der Technik .....................................

38

2. Übertragungsmedien (Netze und Dienste) .............................

39

3. Praxis der Telekommunikation: Planung und Realisierungsstand ...

40

4. Satellitentechnik ..........................................................

42

5. Funktechnik ...............................................................

42

6. Postversand ................................................................

42

7. Integration der Telekommunikationsnetze und Ergänzung verschiedener Übertragungssysteme ..............................................

43

B. Kriminalistische Bedingungen .....................................................

43

1. Die objektive Sicherheitslage ...............................................

43

11. Strategien und Taktiken zur Straftatbekämpfung .........................

44

1. Kriminal- und Polizeitechnik als Mittel moderner Straftatbekämpfung

45

2. Beweis mit technischen Mitteln .........................................

46

3. Prävention, Vorsorge zur Gefahrenabwehr, vorbeugende Straftatbekämpfung ...............................................................

48

4. Begründungsansätze der Strategien zur Kriminalitätsbekämpfung

52

c.

Psychologische Bedingungen

52

1. Angst vor moderner Technik in den Händen des Staates ................

52

1. Hinweise in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum ...........

52

2. Erkenntnisse der Psychologie ................... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

a) Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit .....................

55

b) Theorie der autonomen Selbstdarstellung, Rollentheorie und kommunikationstheoretischer Ansatz ....................................

56

11. Sicherheitsbedürfnis und Verbrechensangst ...............................

57

Inhalt

11

Drittes Kapitel

Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie bei der Kriminalitätsbekämpfung

59

A. Das visuell-akustische Instrumentarium der Polizei ........... . .................

59

B. Praxis der polizeilichen Video-Überwachung

64

c. Anwendungs-Szenarien .............................................................

69

D. Der Prüfungsgegenstand im einzelnen: Typen der Anwendung ................

71

I. Beobachtung von Personen mit Videogeräten........ . ....................

71

11. Aufzeichnung von Personen in Wort und Bild ...........................

72

III. Überwachung bei der Ausübung spezieller Freiheitsrechte

72

IV. Speicherung des Materials ..................................................

72

V. Nutzung und Auswertung der Videoaufnahmen ..........................

72

VI. Übermittlung ... ...............................................................

73

VII. Videoaufnahmen von Unverdächtigen und Nichtstörern .................

73

VIII. Offene und geheime Überwachung (Das Problem der Einwilligung) ..

73

Viertes Kapitel

Literatur und Rechtsprechung zu Verfassungsfragen der Überwachung von Personen A. Spezielle Literatur und Rechtsprechung zu Verfassungsfragen der Videoüberwachungstechnik ............................ ................. ....... ................ I. Bundesverfassungsgericht

75 75 75

11. Fachgerichte ..................................................................

77

111. Schrifttum .....................................................................

81

12

Inhalt

B. Literatur und Rechtsprechung zu Verfassungsfragen der optischen und akustischen Überwachungstechnologie im allgemeinen ................................

88

I. Überwachung und allgemeines Persönlichkeitsrecht .................... .

88

1. Konkretisierung als Reaktion auf Überwachungstechnik .............

89

2. Recht am eigenen Bild ...................................................

96

3. Recht am gesprochenen Wort ..... ..................... ...... ...........

103

4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung ..........................

109

5. "Eingriffsqualität" von Überwachungsmaßnahmen (Schwellentheorie, Verwaltungsinternalität) ........................................

111

6. Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .....................

117

a) Abgrenzung zu schrankenlosen Maßnahmen .......................

117

b) Anforderungen an Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ..............................................................

118

aa) Straftatbekämpfung als überwiegendes Interesse der Allgemeinheit ...........................................................

118

bb) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Überwachung ...........

119

(1) Geeignetheit .................................................

120

(2) Erforderlichkeit und Zumutbarkeit ........................

124

cc) Gesetzliche Grundlagen und Überwachung...................

125

(1) Güterabwägung statt Gesetze? .............................

125

(2) Notwendigkeit gesetzlicher Bestimmungen nach Maßgabe von Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgrundsatz .....................................................

126

(a) Die Diskussion bis zur Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1983 ......

128

(aa) Gesetze für die Bildaufnahme ..................

128

(bb) Gesetze für Abhören und Aufnahme des gesprochenen Wortes ....................................

130

(cc) Gesetze für die Verwendung der Bild- und Tonaufnahmen ........................................

131

(dd) Sonstige Rechtsgrundlagen für Anfertigung und Verwendung von Bild- und Tonaufnahmen ... .132 (ee) Ertrag der älteren Diskussion ...................

133

(b) Tendenz zur spezialgesetzlichen Regelung polizeilicher Überwachungsmaßnahmen nach der Volkszählungsentscheidung ..................................

134

Inhalt H. Überwachung und spezielle Freiheitsrechte

13 143

1. Versammlungs-, Meinungs- und Koalitionsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG .........................

143

2. Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG ..............

145

3. Einschränkung weiterer Freiheitsrechte ................................

149

III. Überwachung als gleichzeitige Berührung mehrerer Freiheitsrechte....

149

IV. Überwachung und Menschenwürde....... .................................

150

1. Keine Wahrheitsermittlung um jeden Preis.... . . .............. .. . .....

151

2. Heimlichkeit der Überwachung .........................................

151

3. Überwachung von Unverdächtigen und Nichtstörern als "potentielle Straftäter"? .... :...........................................................

152

4. Überwachung zur Disziplinierung, Erziehung und "Besserung" der Betroffenen................................................................

156

5. Überwachung zur Effektivierung und Erleichterung der Polizeiarbeit

156

V. Überwachung und Rechtsstaatsprinzip .....................................

156

VI. Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG und Auskunftsanspruch

158

Fünftes Kapitel

Würdigung und Kritik der in Literatur und Rechtsprechung vorgefundenen Lösungsansätze

161

A. Kritik des Diskussionsstands ............................ . ..........................

161

B. Kritik und Lösung zur Frage der Heranziehung spezieller Freiheitsrechte als Prüfungsmaßstäbe ...................................................................

162

I. Schutz der Entschließungsfreiheit zur Ausübung spezieller Freiheitsrechte? .........................................................................

162

H. Freiheitsrechte als spezielle Grundrechte gegen Überwachungsmaßnahmen? .......................................................................

167

C. Kritik des Materials zu Art. 2 Abs. I GG und seinen Konkretisierungen

I. Aufbau auf zivilrechtlichen Grundlagen ...................................

168 168

14

Inhalt 11. Fehlende Berücksichtigung der Geltungsbedingungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Würdigung der Videotechnik .............

170

III. Das Material zum Schutzbereich und zum Eingriffsbegriff

171

IV. Zu den Schranken ............................................................

173

1. Kritik an der Abwägungsdogmatik .................................. . ..

173

2. Kritik am Begriff der "Informationsverantwortung" ..................

173

3. Übertragung der Datenschutzdiskussion auf optisch-akustische Überwachungstechnik? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

D. Kritik zur Behandlung heimlicher Überwachungsmaßnahmen .................

175

E. Kritik zur Behandlung der Vorfeldproblematik ..................................

177

Sechstes Kapitel Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen unter Berücksichtigung der technischen, kriminalistischen und psychologischen Bedingungen A. Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

178 178

I. Konkretisierung der Gewährleistungen ............... . ....................

178

1. Die einzelnen Gewährleistungen ........................................

178

2. Begründung der Konkretisierungen .....................................

179

11. Konkretisierung der Schranken .............................................

182

1. Inhaltlich bestimmte Regelung des Wesentlichen.. ........ ...........

182

2. Organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen ............

185

3. Weitere Anforderungen an Beschränkungen ...........................

185

III. Prüfung einer Schutzbereichsbeschränkung durch die einzelnen Anwendungen .........................................................................

186

1. Beobachtung .................. . .. . ........... . ............. . ..............

186

2. Aufnahme, Aufzeichnung .......................................... . .. . ..

187

3. Überwachung bei der Ausübung spezieller Freiheitsrechte ..........

187

4. Aufbewahrung und Speicherung.................. ......................

188

5. Auswertung, Nutzung und Nutzungsänderung der Videoaufnahmen

188

6. Übermittlung und Übertragung der Videoaufnahmen .................

189

7. Videoaufnahmen von Unverdächtigen und Nichtstörem .. .... .......

189

8. Offene Überwachung (das Problem der Einwilligung) ...............

190

9. Geheime Überwachung ....... ..... ... ........................... ........

190

Inhalt

15

IV. Prüfung der Rechtfertigung von Einschränkungen ................. . ......

190

1. Grundsätzliche Bemerkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

2. Prüfung der bestehenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen ...

193

a) Ermächtigungsgrundlagen für die Anwendungen im Bereich der Strafverfolgung ........................................................

193

aa) Die Bestimmungen der §§ 161, 163 Abs. 1 StPO ............

194

bb) Ablehnung von Beschränkungen auf Grund einer Analogie und unbestimmter Rechtsgrundlagen ..........................

194

cc) Maßnahmen nach § 81 b 1. Alt. StPO ........................

194

dd) Identitätsfeststellung nach § 163 b Abs. 1 S. 1 u. 2, Abs. 2 StPO .. ............ ... ................. ........................ ....

196

ee) Identitätsfeststellung an Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen nach § 111 StPO ........................................

197

ff) Die Ermächtigung in § 100 c StPO ............................

198

gg) Grundlagen für die strafprozessuale Aufbewahrung, Verwendung und Veröffentlichung von Videobildern ...........

198

hh) Organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen...

200

b) Ermächtigungsgrundlagen für die Anwendungen im Bereich der Gefahrenabwehr .......................................................

201

aa) Aufgabenzuweisungen, polizeiliche Generalklausel und weitere unbestimmte Grundlagen ..............................

202

bb) Bild- und Tonaufnahmen nach dem Versammlungsgesetz

202

cc) Befugnisse zur Erhebung und Verwendung personenbezogener Informationen in den neuen Landespolizeigesetzen ...

204

dd) Bestimmungen zum verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Bild und Tonaufnahme in den Landespolizeigesetzen .......

205

(1) Darstellung der Rechtslage.................................

205

(a) Zulässige polizeiliche Zwecke ........................

205

(b) Adressaten ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (c) Verfahrensrechtliche Vorkehrungen ..................

209

(d) Vernichtung der Unterlagen, Unterrichtung und Auskunftserteilung ..........................................

210

(e) Bild- und Tonaufnahmen von Personen bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und an besonderen Objekten .....................................

211

16

Inhalt (2) Verfassungsrechtliche Würdigung.........................

213

ee) Ermächtigung zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO ........................................... '"

217

ft) Bestimmungen zum Erkennungsdienst über § 81 b 2. Alt.

hinaus.............................................................

218

gg) Die Bestimmung des § 24 2. Alt. KUG ................ . ......

220

B. Prüfung der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG ... ......

221

I. Schutzbereich und Schranken ...............................................

221

H. Prüfung bestehender Gesetze ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 C. Bemerkungen zur Menschenwürdegarantie .......................................

227

D. Zur Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG ..................................

229

E. Zum Rechtsstaatsprinzip ............................................................

230

Siebtes Kapitel Zusammenfassung der Ergebnisse

232

Literaturverzeichnis

240

Erstes Kapitel

Einführung A. Problemstellung und Gegenstand der Untersuchung Im Geltungsbereich des Grundgesetzes wird die Videotechnik zunehmend zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten 1 durch die Polizei 2 genutzt. Videogeräte ermöglichen die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen in Wort und Bild und werden daher als Mittel zur Fahndung nach Straftätern sowie zur Identifizierung, Ermittlung und Überführung von Verdächtigen im Ermittlungsund Strafverfahren eingesetzt. Darüber hinaus kann die Videotechnik auch zur Prävention künftiger Straftaten verwendet werden. Gegenwärtig ist es kein technisches Problem mehr, beliebige Orte permanent oder vorübergehend mit Videoanlagen zu überwachen und Personen, die sich dort aufhalten, auf Videoband optisch und akustisch aufzunehmen. Die Videotechnik verbindet die Möglichkeiten der schon bisher bei der Verbrechenskontrolle angewandten Fotografie und des Tonbandes in einem einzigen Gerät. Darüber hinaus bietet sie neuartige Möglichkeiten. Zum einen ist sie zur Aufnahme bewegter Bilder in der Lage. Zum anderen ist sie ein elektronisches 1 Bekanntlich existieren insbesondere zwischen der Europäischen Menschenrechtskommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einerseits und der Bundesrepublik Deutschland andererseits Meinungsverschiedenheiten über den Begriff der Straftat: Während die Organe des Europarats auch Ordnungswidrigkeiten als Straftaten ansehen (vgl. dazu Kühl 1988, S. 604 m. N. der Rspr. des EGHM, sowie Trechsel 1989, S. 830), unterscheidet die Rechtsordnung der Bundesrepublik zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Ordnungswidrigkeiten sollen nach diesem Verständnis lediglich Verwaltungsunrecht sanktionieren, während Straftaten die ultima ratio Reaktion des Staates auf als sozialschädlich definiertes Verhalten angesehen werden. Sie enthalten ein sozial-ethisches Negativurteil als Reaktion auf den hohen Grad von Verwerflichkeit strafbarer Handlungen; vgl. Jescheck 1988, S. 52 m. H. auf BVerfGE 22, 49 [79]. Zum unterschiedlichen Verständnis des Verbrechensbegriffs vgl. ferner Kaiser 1988, S. 225 m. w. N.; Mansperger 1971, S. 3. Die vorliegende Arbeit legt das bundesdeutsche Verständnis des Straftatbegriffs zugrunde. Damit stehen nur Maßnahmen zur Verhinderung oder Aufklärung von Tatbeständen des Strafrechts und Nebenstrafrechts in Frage. 2 Hierunter sind die Polizeistellen des Bundes und der Länder zu verstehen. Dies sind namentlich das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Polizeidienststellen der Länder, die Grenzschutzdirektion, die Grenzdienststellen des Bundes sowie das Zollkriminalinstitut (Wiesel/ Gerster 1978, S. 16) und die Bundesbahnpolizei, deren Aufgaben jedoch durch Gesetz vom 23.1.1992 auf den Bundesgrenzschutz übertragen wurden (BGBI. 1992, Teil I, S. 178).

2 Geiger

18

1. Kapitel: Einführung

Medium und kann verbunden werden mit der Computertechnologie und der modemen Nachrichtentechnik mit ihren Möglichkeiten der nahezu unbegrenzten Speicherkapazität, der Fähigkeit der Vemetzung von Datenbanken und der Übermittlung des Materials in Sekundenschnelle über weite Strecken hinweg. Bei der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten hat sich die Polizei zwar seit eh und je der jeweils verfügbaren Technologien bedient und diese für ihre Zwecke angepaßt und fortentwickelt, wodurch die Kriminaltechnik als kriminalistische Disziplin entstand 3. Dies führte in der Vergangenheit wiederholt zu verfassungsrechtlichen Diskussionen 4 und zur verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgerichts. Demgegenüber hat eine verfassungsrechtliche Würdigung der Videotechnik bei der Straftatbekämpfung bisher nur ansatzweise stattgefunden. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bisher nicht grundlegend mit Anwendungen der Videotechnik zu befassen. Das Fehlen ergiebiger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und das weitgehende Fehlen einer wissenschaftlichen Diskussion finden ihren Grund nicht zuletzt darin, daß die Videotechnik eine neue Technologie ist, deren Anwendungen sich erst in jüngster Zeit zu entfalten beginnen. Da sie zur Zeit der Schaffung des Grundgesetzes im Jahre 1949 noch unbekannt war, gehört sie zu jenem Bereich, der die beständigste Herausforderung an das Verfassungsrecht und damit an Verfassungsrechtsprechung und Staatsrechtslehre bildet. Denn naturwissenschaftlich-technische Erfindungen offenbaren bei ihrer Anwendung oftmals Gefahrdungen für den Menschen und seine Persönlichkeit, die zum Zeitpunkt der Normierung des Grundgesetzes noch unbekannt waren 6• Angesichts dieser Situation ist es vorrangige Aufgabe von Auslegung und Anwendung des Verfassungsrechts, zu prüfen, ob und in welcher Weise die Bestimmungen des Grundgesetzes die neuen Sachverhalte erfassen. Dies unternimmt die vorliegende Arbeit für den im Thema bezeichneten Gegenstand. Prüfungsmaßstab ist das Bundesverfassungsrecht1.

3 Institutioneller Ausdruck dieser Entwicklung ist zum Beispiel das Kriminalistische Institut des BKA. 4 Dies gilt in besonderem Maße für die polizeiliche Informationsverarbeitung, die wesentlicher Bestandteil polizeilicher Arbeit ist; vgl. Kauß 1989, S. 41; Bäumler 1987, S. 236; Busch u. a. 1988, S. 115 ff.; vgl. auch die Diskussion um Tonbandverwertung auf dem 42. DJT. S BVerfG NJW 1982, S. 36; BVerfGE 16, 194; 24, 236 [246]; 35,202 [221]. 6 Diese Konstellation zeigt sich besonders deutlich bei Entwicklung und Anwendung der Gentechnologie sowie der elektronischen Datenverarbeitung; vor vergleichbare Fragen wird das Verfassungsrecht im Umweltbereich gestellt. Skeptisch Arzt 1970, S. 7, der eher die Wiederkehr naturrechtlicher Vorstellungen als ursächlich für die Diskussion ansieht. 7 Zur Rechtfertigung der Begrenzung auf das Bundesverfassungsrecht und der Vernachlässigung der Landesverfassungen vgl. Hesse 1983, S. 83 f.

A. Problemstellung und Gegenstand der Untersuchung

19

Zwar entstehen auch bei der Anwendung der Videotechnik im Verhältnis von Bürger zu Bürger Problemlagen und Gefährdungen, die den durch den Staat verursachten nicht von vornherein nachstehen. Diesen Umstand verdeutlicht der bekannt gewordene Fall eines Frauenarztes, der mit einer versteckten Videokamera lange Zeit unbekleidete Patientinnen während der Untersuchung gefilmt haben soll8. Weitere Beispiele sind die Beobachtung von Umkleidekabinen in Kaufhäusern mit Kameras oder die Überwachung des Bordellbetriebes mit versteckten Videokameras. Weniger gravierend, aber nicht von vorneherein unproblematisch ist auch der Einsatz von Videokameras in Banken zum Schutz vor Bankraub 9• Verfassungsrechtlich werfen sie indessen gänzlich andere Probleme auf: geht es bei jenen um Fragen des Inhalts, Umfangs- und der Schranken von Abwehrrechten, betreffen diese Fragen der sogenannten Drittwirkung der Grundrechte und der staatlichen Schutzpflichten angesichts von durch Dritte verursachten Grundrechtsgefährdungen. Andere Anwendungen der Videotechnik durch die Polizei, wie z. B. die Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten 10 oder die Überprüfung der Echtheit von Urkunden, der Spurensicherung 11, sowie ihr Einsatz durch andere staatliche Stellen zu anderen Zwecken als der Kriminalitätsbekämpfung, z. B. beim Verfassungsschutz, verursachen wiederum andersartige Probleme im Bereich der Grundrechtsschranken. Diese Verschiedenheiten berechtigen dazu, die Untersuchung auf die polizeilichen Anwendungen der Videotechnik gegen Personen zur Verbrechens bekämpfung zu beschränken. Damit wird der verfassungsrechtliche Rahmen sichtbar, in dem sich die Darstellung bewegen wird. Soweit die Anwendungen am Maßstab der Grundrechte verfassungsrechtlich überprüft werden, liegt die bekannte Konstellation staatlicher Eingriffe vor, denen nach herkömmlichem Verständnis die Grundrechte als Abwehrrechte entgegenstehen. Fragen nach anderen als abwehrrechtlichen Bedeutungsschichten der Grundrechte werden daher nicht aufgeworfen 12.

8 Vgl. Badische Zeitung v. 1. 2.1990, S. 7. Vgl. Voge/gesang 1987, S. 35 Fn.43; Reaktion auf die Gefährdung der Persönlichkeit durch Technikanwendungen Privater war auch das Thema des 42. Deutschen Juristentages, der den zivilrechtlichen Schutz gegen Indiskretionen zum Gegenstand hatte; zur vergleichbaren Problematik der Tonbandtechnik schon Kohlhaas 1957, S. 84 f.; nicht überzeugend hingegen die Argumente Weicherts 1988, S. 7, der das Gef"ährdungspotential zivilrechtlicher Anwendungen zu gering veranschlagt. 10 Nachweise bei Weichert 1988, S. 5 ff. und Bernhardt 1988,4 ff. 11 Anonym 1987, S. 200. 12 Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Videotechnik für die Forschungsfreiheit ergeben, bleiben außer Betracht, da es hier allein um Anwendungsfragen geht. 9

2*

1. Kapitel: Einführung

20

B. Methode der Untersuchung Diese Aufgabe weist methodische Besonderheiten auf, die in der Eigenart des Verfassungsrechts wurzeln. Der Text insbesondere der Grundrechtsbestimmungen ist durch Offenheit und Unbestimmtheit gekennzeichnet. Das Wesen der Verfassung als rechtlicher Grundordnung zur Schaffung und Erhaltung rationaler Ordnung des Gemeinwesens erfordert diese inhaltliche Offenheit I3 • Nur so kann sie den geschichtlichen Wandel der Lebensverhältnisse bewältigen und Bestand und Kontinuität haben 14. Daß dies ihre Aufgabe ist, ergibt sich auch aus Art. 79 Abs. 3 GG; die darin enthaltene "Ewigkeitsgarantie" soll den Bestand der tragenden Verfassungsgrundsätze sichern, zu denen über Art. 1 Abs. 3 GG auch die übrigen Grundrechte in ihrem Kernbereich gehören. Ließe eine Verfassung keinen Raum für Antworten auf neue, zur Zeit ihrer Schaffung noch unbekannte Sachverhalte, wie sie die Anwendung der Videotechnik in ihrer heutigen und künftigen Gestalt bilden, wäre ein häufiger Wechsel des Verfassungstexts erforderlich, der sich angesichts des Erfordernisses einer qualifizierten Mehrheit nicht stets herbeiführen ließe. Dann entstünde die Gefahr, daß die Wirklichkeit über die Verfassung hinweggeht. Aber auch im Falle häufiger verwirklichter Verfassungs änderungen erfüllte das Grundgesetz nicht seine Aufgabe als dauerhafte Grundordnung des Gemeinwesens 15. Dies trifft jedenfalls für Fälle der Änderung tragender Bestimmungen, wie dem Grundrechtsteil und dem Rechtsstaatsprinzip zu 16. Die Möglichkeit einer Wandlung des Verfassungverständnisses angesichts geschichtlicher Veränderungen ist mithin Grundlage der Entfaltung und Bewahrung der normativen Kraft einer Verfassung. Dies gilt auch angesichts der wiederhergestellten staatlichen Einheit Deutschlands. Zur Bewältigung der sich aus der Wiedervereinigung ergebenden Probleme bedarf das Grundgesetz seiner Offenheit verstärkt. Denn Kontinuität des Bewährten läßt sich nicht durch destabilisierendes Hinzufügen oder Streichen von Verfassungsbestimmungungen ersetzen 17.

Vgl. Trechsel1989, S. 819 ff.; Kälin 1987, S. 132 ff. m. H. auf die reiche Literatur. Diese Funktion übersieht Narr 1986, S. 42, der angesichts neuer politisch-ökonomisch-technischer Entwicklungen ausführt, die Menschenrechte seien antiquiert, dennoch sei an ihnen festzuhalten, allerdings seien sie gründlich zu verändern. 15 Hesse 1988, Rnm. 5, 17,36 ff. 16 Bis 1991 sind durch die beachtliche Zahl von bisher 35 Änderungsgesetzen etwa ein Drittel der ursprünglichen Verfassungsnormen neu gefaSt worden (vgl. Benda 1991, S. 225). Allerdings fanden bei den Grundrechten wenige, beim Rechtsstaatsprinzip keine Veränderungen statt (ebenso Mahrenholz 1990, S. 56). 17 Vgl. Rüthers 1990, S. 13; dies gilt freilich nur, wenn am Grundgesetz festgehalten werden soll. Wird im Einheitsprozeß "das Entstehen eines neuen politischen Körpers", eine ,,neue politische Ordnung mit neuen ökonomischen und sozialen Gegebenheiten" gesehen (Preuß 1990), droht allerdings die Aufgabe oder Deformierung des Grundgesetzes. 13

14

B. Methode der Untersuchung

21

Die Offenheit der Verfassung birgt aber auch Gefahren. Sie kann insbesondere dazu führen, daß ihr beliebige Sachverhalte auf beliebige Weise zugeordnet werden. Auch in diesem Fall bliebe kein normativer Gehalt der Verfassung übrig. Bei der Begegnung dieser Gefahr kommen der Methode der Auslegung und dem der Verfassung zugrunde gelegten Verständnis ausschlaggebende Bedeutung zu 18. Hier liegen Verantwortung oder Gefahr der Verantwortungslosigkeit der Staatsrechtslehre für die Verfassung. Folgerichtig ist das Verhältnis von Verfassungsnorm und Wirklichkeit, von Sollen und Sein zum beständigen Thema der Staatsrechtslehre geworden. Unter der Geltung des Grundgesetzes ist es dies angesichts der Herausforderungen moderner technischer Entwicklungen und ihrer Anwendungen geblieben. Namentlich im Bereich der polizeilichen Verbrechensbekämpfung ist im Hinblick auf die unt~r Einsatz elektronischer Hilfsmittel angewandten neuen Methoden der "Kontrolle im Vorfeld", der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" und der "elektronischen Fahndung" eine Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit' polizeilicher Arbeit und dem Verfassungsrecht angenommen worden 19. Die polizeiliche Informationsverarbeitung im allgemeinen und die Anwendung optisch-akustischer Überwachungs-Technik im besonderen werden als Abweichung der Verfassungswirklichkeit von der Verfassung angesehen. Dies wird einerseits mit ihrer gänzlichen Unvereinbarkeit mit der Verfassung begründet, andererseits im Fehlen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Gesetzen gesehen. Das Verhältnis von verfassungsrechtlichem Sein und Sollen lösten Verfassungsrechtslehrer des Konstitutionalismus und der Weimarer Republik wiederholt zugunsten der Wirklichkeit auf. Sie behaupteten, Verfassungsfragen seien Machtfragen, die ausschließlich bestimmende Kraft seien die faktischen Verhältnisse 20. Dieses Zurückweichen des Verfassungsrechts und damit der Staatsrechtswissenschaft vor den Fakten stellte diejenigen, die nicht bereit waren, sich mit diesem Befund zufrieden zu geben, vor die Aufgabe, den bis heute "letztlich nicht voll zu erfassenden Zusammenhang"21 zwischen Wirklichkeit und Verfassu·ngsnorm aufzuklären. Aus diesem Grunde hat bereits R. Smend die Frage nach dem Einfluß der Wirklichkeit auf die Verfassungsnorm als "das Kernproblem der Verfassungstheorie" in der Weimarer Republik benannt 22 . Verfassungsrechtsprechung und Staatsrechtslehre haben in einem Prozeß des ständigen "Gebens und Nehmens"23 an der Lösung des Verhältnisses von Wirklichkeit und Verfassungsnorm gearbeitet. Insbesondere die mittlerweile über 80 18 Vgl. Hesse 1983, s. 18; H.-P. Schneider 1990, S.39; Kritik an der fehlenden methodischen Transparenz verfassungsrechtlicher Arbeiten bei F. Müller 1976, S. 50. 19 Weßlau 1989, S. 15 ff. 20 Vgl. die Nachweise bei K. Hesse 1984, S. 3. 21 Häberle 1988, S. 24 f.; zum Schicksal der Geisteswissenschaften als "ungenaue" Wissenschaften vgl. Gadamer 1972, S. 2 f. 22 Smend 1928, S. 188. 23 Hesse 1983a, S. 82.

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1. Kapitel: Einführung

Bände umfassende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich als permanente Auseinandersetzung mit dieser Grundfrage der Verfassungsordnung verstehen 24. Dafür, wie die Aufgabe angegangen werden und rational nachvollziehbare und damit die Chance zur Akzeptanz gewährende Ergebnisse geben kann, weisen im neueren Schrifttum namentlich die Arbeiten von K. Hesse den Weg 25 . Nach seiner Auffassung sind "die Konkretisierung des Inhalts einer Verfassungsnorm und dessen Verwirklichung ... nur möglich unter Heranziehung der Verhältnisse der ,Wirklichkeit', die diese Norm zu ordnen bestimmt ist" 26. Wenn das Verfassungsrecht lebendige Kraft bewahren und nicht toter Buchstabe werden will, lasse es sich "nicht von den geschichtlichen Bedingungen ablösen . .. dazu gehören die jeweiligen natürlichen, technischen, ökonomischen, sozialen Bedingungen, denen gegenüber der Geltungsanspruch der Rechtsnorm sich nur realisieren läßt, wenn sie diese Bedingungen in Rechnung stellt. Und dazu gehören nicht minder die geistigen Gehalte, die in einem Volke Wirklichkeit geworden sind, die konkreten gesellschaftlichen Anschauungen und Vorstellungen, welche die Gestaltung, das Verständnis und die Autorität der Rechtssätze entscheidend beeinflussen"27. Nach dieser Grundlegung weist K. Hesse darauf hin, daß beim Verfahren der Konkretisierung weitere, wesentliche Gesichtspunkte beachtet werden müssen. So sei man "auf die Erfassung dessen gewiesen, was die zu konkretisierende Verfassungsnorm in ihrem Normprogramm und ihrem Normbereich an Konkretisierungselementen liefert und was die Verfassung an Direktiven für die Verwendbarkeit, Zuordnung und Bewertung dieser Elemente bei der Problemlösung enthält"28. In diesem Zusammenhang finden die Auslegungsmethoden aus dem Wortsinn (grammatische Auslegung), aus dem Zusammenhang der Norm (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) Anwendung 29. Bei aller Überzeugungskraft und damit relativen Richtigkeit läßt dieser Ansatz auch Fragen offen. Zwar finden sich die Hinweise, es seien "nur solche Gesichtspunkte zu verwenden, die problembezogen sind" und die "Bestimmung durch das Problem" schließe sachfremde topoi aus 30• Welche Verhältnisse der "Wirk-

24 Kritisch zur Methodik des Bundesverfassungsgerichts äußert sich F. Müller 1976, S. 29 ff. 25 Hesse 1988, S. 16 ff.; die Lehre Hesses läßt sich als Weiterentwicklung der Arbeiten von Heller, Staatslehre, 1934, S. 250 ff. undD. Schindler 1959, S. 70 ff., 92 ff. verstehen; vgl. zu diesem Problem H. H. Klein 1968, S. 28. 26 Hesse 1988, Rn. 45; vgl. auch Heußner 1987, S. 114 f. 27 Hesse 1984, S. 6 f. 28 Hesse 1988, Rn. 67. 29 Vgl. Hesse 1988, Rom. 54 u. 68 ff. 30 Hesse 1988, Rn. 67.

B. Methode der Untersuchung

23

lichkeit" dies im konkreten Fall sind 31 und wie sie auf den Vorgang der Konkretisierung einwirken, wird damit aber nicht begründet. Darüber hinaus läßt der Umstand, daß die Feststellung der technisch oder in anderer Weise geprägten "Wirklichkeit" Fachkenntnisse erfordert, die bei Verfassungsjuristen nicht vorausgesetzt werden können, Grenzen einer an der Wirklichkeit orientierten Verfassungsinterpretation erkennen 32. Auch ist nicht geklärt, welche Bedeutung künftigen - auch für Experten in ihrem Verlauf unsicheren und Prognoseentscheidungen erfordernde - Entwicklungen zukommt, die noch nicht feststehen, mithin noch nicht "Wirklichkeit" sind und dies womöglich niemals werden 33. So setzt die Beurteilung der Möglichkeiten und Gefahren der Videotechnik ein Grundverständnis der elektronischen Bild- und Tonverarbeitung aber auch der kriminalistischen Zielsetzung sowie der psychologischen Wirkungen ihrer Anwendung voraus; dies geht über das engere Fachgebiet des Juristen hinaus. Auch ist die technische Entwicklung der Videotechnik noch nicht abgeschlossen; insbesondere auf den Gebieten der elektronischen Bild- und Tonverarbeitung sowie der Bild- und Tonübertragung befindet sich die Realisierung des technisch bereits gegenwärtig Möglichen noch am Anfang. Niemand kann heute sagen, in welchem Umfang diese Technik künftig wirklich entfaltet und eingesetzt werden wird. Als weitere Schwierigkeit tritt beim vorliegenden Thema hinzu, daß die mit der Straftatbekämpfung beauftragten staatlichen Organe, namentlich die Polizeien, nur beschränkt Auskunft über sich selbst gewähren. Auch sozialwissenschaftliche Forschung 34 , Kriminologie 35 und Kriminalistik 36, die als empirische Erfahrungswissenschaften die Kriminalität und ihre Bekämpfung zum Gegenstand haben, verfügen über wenige Erkenntnisse in diesem Bereich 37. Insofern hat das Wort vom "Arkanum"38 oder der "hermetischen Polizei"39 eine gewisse Berechtigung. Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung polizeilicher Anwendungen der Videotechnik und ihrer polizei spezifischen Bedingungen sind aber nicht unüberwindlich. Veröffentlichungen im polizeilichen Fachschrifttum, in der Presse, in den Datenschutzberichten des Bundes und der Länder sowie parlamentari31 Vgl. Hesse 1988, Rn. 67. 32

Benda 1990, S. 10.

33 Vgl. Benda 1990, S. 10 ; zum Wesen der Wirklichkeit als "Ergänzung des Mögli-

chen" vgl. Ernst Jünger 1990, S. 127 mit Hinweis auf Christian v. Wolf und Immanuel Kant; andere Aspekte des Kommenden betrachten Ermacora 1971, S. 81 ff.; Häberle 1987, S. 73ff. 34 Zum Fehlen von Forschungen im Bereich von Struktur und Arbeit der Polizei durch die Sozialwissenschaften vgl. Busch u. a. 1988, S. 15. 35 Zu Gegenstand und Begriff der Kriminologie als empirische Wissenschaft Kaiser 1988, S. 4; Dölling 1988, S. 95 f. 36 Zu Gegenstand und Begriff vgl. Geerds 1986, S. 7. 37 Vgl. die Bilanz zur Polizeiforschung in der Bundesrepublik von Funk 1990, S. 105 f. 38 Kutscha 1987, S. 421,423 f. 39 Busch u. a. 1988, S. 15, 23.

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1. Kapitel: Einführung

sche Anfragen zu diesem Sachverhalt lassen Gestalt, Umfang und Zweck der polizeilichen Videoüberwachung von Personen erkennen. Die Nutzung dieses Materials setzt allerdings die Auswertung einer weit verstreuten Literatur voraus. Dennoch sollte angesichts der dargelegten Erschwernisse niemand glauben, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten wie dem vorliegenden, auf die Einbeziehung seiner gegenwärtigen und künftigen Bedingungen verzichten zu können 40. Nur auf diese Weise lassen sich beizeiten diejenigen Gesichtspunkte erkennen, aus denen Bedrohungen erwachsen können. Wird dies versäumt, besteht die Gefahr, daß Entwicklungen eintreten, die den Intentionen der Verfassung widersprechen. Auf die Notwendigkeit, an einer Verfassungsinterpretation festzuhalten, die an der Wirklichkeit orientiert ist und auch künftige Entwicklungen berücksichtigt, weist insbesondere E. Benda hin, wenn er in Anwendung der "Heuristik der Furcht" von H. Jonas auf das Verfassungsrecht zu "wohlinformierten Gedankenexperimenten" aufruft 41 und darlegt, indem die bisher unbekannten Bedrohungen gesehen werden, ergebe sich die Chance, das Wesentliche zu finden, um dessentwillen der Freiheitsbereich geschützt werde. Die "Heuristik der Furcht" könne helfen, besser zu sehen, was bei allem Wandel der Verhältnisse unverändert, aber an den realen Bedrohungen orientiert, zu schützen sei 42 . Auf diese Weise kann auch dem Vorwurf begegnet werden, das Recht "hinke stets hinter der technischen Entwicklung hinterher"43 oder weiche der technischen Entwicklung 44 • Nach alledem dürfen die skizzierten Anwendungen nicht isoliert behandelt werden. Die Videotechnik ist ein elektronisches Medium, das Möglichkeiten der Verbindung mit der elektronischen Datenverarbeitung und der modernen Nach40 Der Ansatz von Rohlj 1980, S. 132, 134, den Inhalt von Art. 2 Abs. 1 GG durch Auslegung der Spezialfreiheitsrechte zu ermitteln, ist ebenso abzulehnen, wie das umgekehrte Vorgehen Beiers' 1988, S. 47, die Schranken für ein Spezialgrundrecht (Art. 13 GG) aus Art. 2 Abs. 1 GG zu gewinnen. Denn dieses wechselseitige Zurückgreifen von speziellem Freiheitsrecht auf das Auffanggrundrecht und umgekehrt führt in einen Zirkel. 41 Benda 1984a, S. 2; zur Funktion von Utopien, den "Blick für Entwicklungen zu schärfen, welche normativ mit unserer politischen Kultur unverträglich sind" s. Riehle 1988, S. 138 m. N. 42 Benda 1990, S. 11. 43 Busch u. a. 1988, S. 144; zur Notwendigkeit der Antizipation s. auch Lang-Hinrichsen 1970, S. 2; Benda 1983, S. 116 ff.; Bull1982, S. 9; P.-A. Albrecht 1986, S. 58, 67; W. Schmidt 1974, S. 241, 248; O. Mal/mann 1973, S. 274, 275; Kreissl 1981, S. 136; Riegel 1987, S. 330; Rosenbaum 1988, S. 180; Schwinghammer 1980, S. 246; Herzog 1966, S. XXIII. 44 Ob die Einbeziehung der Bedingungen aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates folgt, ob sich künftige Entwicklungen juristisch erst erfassen lassen, wenn Grundrechte zumindest potentiell bedroht sind oder gar erst bei klarer und konkreter Gefahr, oder nur Element sinnvoller Methode der Verfassungsinterpretation ist, kann hier dahinstehen. Denn sobald eine Gefahr denkbar und damit erkennbar ist, muß ihre verfassungsrechtliche Bewertung und die Schaffung und Bereithaltung verfassungsrechtlicher Kriterien, wenn verfassungsrechtlich womöglich nicht geboten, jedenfalls zulässig sein; vgl. Benda 1983, S. 116.

B. Methode der Untersuchung

25

richtentechnik gibt. Darüber hinaus findet ihr Einsatz im Kontext bestimmter kriminalstrategischer Konzepte statt; ihre Anwendung führt zu spezifischen psychologischen Reaktionen der davon Betroffenen. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung der einzelnen Anwendungen muß diese Bedingungen zur Kenntnis nehmen. Sie sind sowohl für die Auslegung des Schutzbereichs als auch für die Bestimmung der Schranken von Grundrechten bedeutsam. Dabei ist im Rahmen des zugänglichen Materials Rechenschaft über Stand und Entwicklung der Technik, der polizeilichen Verbrechensbekämpfungsstrategien und der psychologischen Erkenntnisse abzulegen. Die bekannten Hinweise auf "rasante technische Entwicklungen", auf die Gefahr eines "Überwachungs staats" oder eines "Sicherheitsstaats" einerseits sowie auf "Überwachungsängste" oder aber "Verbrechensängste" in der Bevölkerung andererseits, reichen nicht aus, eine rational nachvollziehbare und damit methodischen Anforderungen genügende Konkretisierung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen zu begründen 45 • Auch geht es nicht pauschal um ein "Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit". Diese Begriffe aus der Ideengeschichte haben vielfaltige Bedeutungen. Ihr Inhalt und ihr Verhältnis zueinander müssen nicht mit den Gewährleistungen des Grundgesetzes übereinstimmen. Darüber hinaus enthält das Grundgesetz weder ein "Grundrecht auf Sicherheit" 46 noch liegt ihm ein Begriff der "Freiheit" zugrunde, der unabhängig von Zeit und Ort gelten könnte. Daher ist auch unter diesem Aspekt allein eine vom Normtext und den Bedingungen seiner Geltung ausgehende Konkretisierung der Verfassung zur Problemlösung geeignet, wobei der Wortlaut die äußerste Grenze ihrer Interpretation bildet 47. Ihren aktuellen Inhalt zu finden, wird erleichtert durch die Betrachtung des in Rechtsprechung und Literatur zum Problem bereits vorzufindenden Materials 48. Hier zeigen sich auch Sinn und Grenzen der Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung. Ihre Darlegung ist nicht Selbstzweck. Sie dient vielmehr der Beschaffung von Erkenntnissen, die zu den sich stellenden Fragen bereits vorliegen. Dies vermeidet doppelte Arbeit und ermöglicht das Weiterarbeiten auf bereits gelegtem Grund. Ob die vom staatsrechtlichen Schrifttum und der Rechtsprechung entwickelten Gewährleistungen angesichts der unter den Bedingungen der EDV einsetzbaren Videotechnik ausreichen, wird die nachfolgende verfassungsrechtliche Untersuchung erweisen müssen. Vom Ausgang dieser Frage wird es abhängen, inwieweit verfassungsrechtlich neue Wege gegangen werden müssen, oder ob es mit Feststellung und Anwendung des bisherigen Meinungsstandes auf den vorliegenden Gegenstand sein Bewenden haben kann 49. 45 Vgl. die Kritik von Hesse 1984a, S. 548 f. an der Bildung von Schlagworten bei der Erörterung verfassungsrechtlicher Fragen. 46 Verdunkelnd daher Scholz / Pitschas 1984, S. 198 und lsensee 1983; wie hier auch Robbers 1987, S. 15 - der Titel seiner Arbeit "Sicherheit als Menschenrecht" erscheint deshalb angreifbar. 47 Hesse 1988, Rn. 77. 48 Hesse 1988, Rn. 68.

26

1. Kapitel: Einführung

c. Gang der Untersuchung Im folgenden zweiten Kapitel sollen zunächst die technischen, kriminalistischen und psychologischen Bedingungen der Anwendungen beschrieben werden, die zu ordnen das Grundgesetz bestimmt ist. Das dritte Kapitel wird Anwendungen und Anwendungsmöglichkeiten der Videotechnik gegen Personen bei der Straftatbekämpfung darstellen und typisieren. Auf diese Weise wird der Sachverhalt entwickelt, der Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sein soll. Das vierte Kapitel gibt einen Überblick der für das Thema bedeutsamen Literatur und Rechtsprechung. Das fünfte Kapitel unternimmt eine kritische Würdigung des Materials. Die verfassungsrechtliche Prüfung im sechsten Kapitel wird ihren Ausgangspunkt bei der Konkretisierung· der einschlägigen Verfassungsbestimmungen in Schutzbereich und Schranken nehmen und die Anwendungen an den entwickelten Maßstäben zu Schutzbereich und Schranken prüfen. Die Frage nach den Schranken der Grundrechte wird der Ort sein, an dem einfach-gesetzliche Vorschriften, die als Ermächtigungsgrundlagen in Frage kommen, daraufhin überprüft werden, ob sie verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, oder, falls nicht, als Ermächtigungsgrundlagen ausscheiden. An die Grundrechtsprüfung schließen sich Überlegungen zur Menschenwürdegarantie, zur Rechtsweggarantie und zum Rechtsstaatsprinzip an. Das siebte Kapitel wird schließlich die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammenfassen.

49 Diese Frage stellt sich stets bei der Überprüfung neuer Technologien am Maßstab des Grundgesetzes; diese Situation ist die aktuellste Herausforderung an die Grundrechtsdogmatik.

Zweites Kapitel

Geltungsbedingungen des Grundgesetzes im Blick auf Anwendungen der Videotechnik bei der Straftatbekämpfung Eine methodischen Anforderungen genügende verfassungsrechtliche Prüfung eines Sachverhalts setzt voraus, daß die sachlich relevanten Bereiche der Wirklichkeit, in deren Zusammenhang der Prüfungsgegenstand steht, in den Blick genommen werden I. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß wesentliche Gesichtspunkte für die verfassungsrechtliche Lösung übersehen werden. Die Einsicht in diese methodische Notwendigkeit ist der verfassungsrechtliche Grund für die Aufführung der technischen, kriminalistischen und psychologischen Bedingungen in diesem Kapitel.

A. Technische Bedingungen I. Überblick Die gegenwärtig verfügbare Videotechnik ist eine Weiterentwicklung und Popularisierung der Fernsehtechnik 2 • Fortschritte in der Mikroelektronik 3 und die damit verbundene Miniaturisierung der Geräte sowie die Senkung der Herstellungskosten, haben zur Verbreitung und Anwendung der Videotechnologie in vielen Bereichen des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens geführt 4 • Als Folge der industriellen Massenproduktion ist es heute kein Problem der Kapazität Vgl. oben 1. Kap. B. Zur Geschichte des Fernsehens Brockhaus 1988, S. 217 m. w. N.; Webers 1983, S. 24 ff.; Brepohl 1974, S. 135. 3 Für die Entwicklung neuer Telekommunikationsnetze und die Installierung neuer Telekommunikationsdienste kommt der Mikroelektronik die Bedeutung einer Grundlagenwissenschaft zu. Durch das Vermögen der Halbleitertechnik, viele tausend Transistorfunktionen auf Siliziumkristallplättchen von wenigen Quadratmillimetern Fläche ("Chips") unterzubringen, ist die Einrichtung integrierter TK-Systeme technisch und wirtschaftlich möglich geworden; vgl. Scherer 1985, S. 56 ff. 4 Allein im Jahr 1988 wurden 350.000 Videokameras mit eingebautem Recorder im Geltungsbereich des Grundgesetzes verkauft. Im Jahre 1989 waren es dann bereits 550.000 Geräte. Die Zahl der verkauften Videorecorder betrug 1988 2,4 Millionen Stück und lag im Jahre 1989 bei 2,3 Millionen (die Zahlen beziehen sich auf den Verkauf an den Handel; vgl. Medienstatistik 1988/1989 des Deutschen Video Institus e. V.; ferner Brepohl 1989, S. BI). 1

2

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2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

mehr, beliebige Orte im Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Videogeräten zu überwachen. Ihre vollen technischen Möglichkeiten gehen weit über jene der bekannten Handkameras hinaus, wie sie von Filmamateuren benutzt werden. Videogeräte ermöglichen die Aufnahme, Übertragung, Speicherung und Wiedergabe von bewegten Bildern sowie von Tönen. Darüber hinaus ist die Aufnahme von "Standbildern" möglich 5, was bedeutet, daß die Videokamera wie ein Fotoapparat eingesetzt werden kann. Das visuelle Geschehen wird über eine Optik in schwarz-weiß oder Farbe aufgenommen, Töne werden von einem Mikrofon erfaßt. Das Bild- und Tonmaterial kann aufgezeichnet und im Prinzip beliebig oft wiedergegeben werden. Die Aufzeichnung des Tons erfolgt synchron zum jeweils aufgenommenen Bild. Videoaufnahmen sind zeitgleich mit ihrer Aufnahme verfügbar. Die Aufnahmen können vom Ort des Geschehens über Kabel oder drahtlos mit einem Sender ohne Zeitverlust über weite Strecken übertragen werden 6 • Mit Hilfe der Videotechnik können alle Arten der Bildverarbeitung integriert werden. Papierbilder können in Videobilder umgewandelt, gespeicherte Videobilder über Papierdrucker ausgegeben werden 7 • Bilddetails können durch sogenannte "Rastervergrößerungen"8 erkennbar gemacht werden. Diese Anwendungsmöglichkeiten werden durch ein komplexes technisches System erreicht. Die wesentlichen Elemente der Videotechnologie bilden Videokamera samt Mikrofon für die Bild- und Tonaufnahme, Videokabel, Glasfaserleitungen und Funk zur Signalübertragung, Videorecorder zur Bild- und Tonaufzeichnung sowie Magnetbänder, -spulen oder Bildplatten 9 zur Abspeicherung der Aufnahmen. Der Recorder kann von der Videokamera getrennt oder mit dieser in einem Gerät integriert sein; die Wiedergabe erfolgt auf einem Bildschirm 10 oder über Bilddrucker auf Papier l1 • Da die Videotechnik ein elektronisches Medium ist, bietet sie die Möglichkeit der Verbindung mit anderen Informationstechnologien, die für Fotografie und Film bisher nicht möglich waren. Die Speicherung und Verarbeitung des Videomaterials kann, statt auf Videorecordern, im Wege der elektronischen Datenverarbeitung erfolgen 12, die Übertragung der Videoaufnahmen kann mit den Mitteln der Telekommunikation in Sekundenschnelle über große Distanzen hinweg zwischen beliebigen Kommunikationspartnern abgewickelt werden. Die elektronische Datenverarbeitung hat bekanntlich in den letzten vier Jahrzehnten eine Kimmerle 1991, S. 82. Palme 1983, S. 11, 13 f., 15,22; Fahry / Palme 1980, S. 9 ff.; vgl. auch Grasmeier 1980, S. 344 ff. 7 Raether 1981, S. 51 f.; Kimmerle 1991, S. 82. 8 Vgl. Hamburg. Bürgerschafts Drs. 11 /2808.; Gössner / Herzog 1984, S. 197 f. 9 Palme 1983, S. 14, 16; Budde 1985; BVerwG DVBI 1989, S. 200. 10 Palme 1983, S. 22. 11 Weichert 1988, S. 21. 12 Palme 1983, S. 12, 22. 5

6

A. Technische Bedingungen

29

Entwicklung durchlaufen, die als "Weg in die Informationsgesellschaft" beschrieben worden ist 13. Die sie kennzeichnenden Merkmale sind die Fähigkeit, Informationen in großer Zahl auf kleinem Raum zu speichern und in kurzer Zeit nach beliebigen Gesichtspunkten und, im Falle einer Vernetzung der Anlagen, auf weite Distanzen hinweg verfügbar zu machen. Diese Entwicklung wurde ermöglicht durch neue Erkenntnisse in der Gerätetechnik, durch die Miniaturisierung von Bauteilen, die Erhöhung von Rechengeschwindigkeit und Speicherkapazität, die Parallelisierung von Verarbeitungsabläufen und durch die stetige Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Geräten (Hardware) und Programmen (Software) bei gleichbleibenden Preisen~ Nachdem ursprünglich die elektronischen Rechenanlagen fast ausschließlich zur Lösung numerischer Fragestellungen eingesetzt wurden, fanden sie später in immer größerem Maße bei der Symbolverarbeitung (z. B. Texten) Anwendung. Aus elektronischen Rechenanlagen wurden Datenverarbeitungssysterne 14. Schließlich wurde damit begonnen, auch visuelle und akustische Informationen elektronisch zu verarbeiten. Anwendungsgebiete und damit Schrittmacher für die technologische Entwicklung in diesem Bereich waren die Qualitätskontrolle von Werkstoffen, die Robotik, die Überwachung, Sortierung und Bestückung von Produktionsmaschinen, die Auswertung mikroskopischer und sonstiger visueller Aufnahmen in Biologie und Medizin. Eine Antriebsfunktion hatte insbesondere die für militärische Zwecke entwickelte Auswertung von Luftbild- und Geländedaten 15. Gegenwärtig ist ein Stand der Technik erreicht, der die elektronische Verarbeitung aller Formen von Information unabhängig davon ermöglicht, ob sie in Bildern, Sprache, Text oder Daten enthalten sind 16. Die hierfür verwendeten Geräte, Übertragungsmedien (Hardware) und Datenverarbeitungsprogramme (Software) können integriert Text, Bilder und Sprache abspeichern, übertragen und wieder verfügbar machen. Diese Integration von Datenverarbeitungs-, Nachrichten- und Medientechnik zu einer integrierten Technologie, wird mit dem Begriff "Telematik" 17 bezeichnet. Sie führt zur Aufhebung der Grenzen zwischen Übermittlung und Verarbeitung von Information und damit zur Entwicklung von immer komplexeren Informationssystemen 18. Die nachfolgende Beschreibung der Videotechnik wird daher die Methoden der elektronischen Bild- und Tonverarbeitung sowie die Übertragungstechnologien miteinzubeziehen haben. Ohne die Betrachtung des Zusammenwachsens der skizzierten 13 Rupprecht 1989, S. 296 m. w. N.; Der Begriff "Informationsgesellschaft" soll die dem "Industriestaat" nachfolgende gesellschaftliche Entwicklungsstufe beschreiben (siehe zum Staat der Industriegesellschaft Forsthoff 1971). 14 Haberäcker 1987, S. 1. 15 Haberäcker 1987, S. 2 f. 16 Bocker 1987, Vorwort S. 6. 17 Diese Bezeichnung ist ein Kunstwort aus Telekommunikation und Informatik, dessen Schöpfung auf die Studie von S. Nora, A. Mine, Die Informatisierung der Gesellschaft, 1979 zurückgeht; vgl. Palme 1983, S. 204 f; Scherer 1985, S. 181 ff.; Scherer 1987, S. 9 f.; Wißmann 1988, S. 38; Kubicek / Rolf 1986, S. 17, 78. 18 Scherer 1987, S. 9.

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2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

Technologien ist eine angemessene verfassungsrechtliche Würdigung der Videotechnik bei der Straftatbekämpfung nicht möglich. Im einzelnen gilt für den Stand von Wissenschaft und Technik in diesem Bereich folgendes:

11. Kamera- und Aufnahmetechnik Die Aufnahme von Tönen und Bildern erfolgt mit der Videokamera. Sie nimmt über ein Objektiv Bilder und mit dem Mikrofon Töne auf und wandelt diese in elektrische Spannungswerte um.

1. Bildaufnahme Die Umsetzung optischer Impulse in elektrische Impulse wird von der in die Kamera eingebauten Bildaufnahmeröhre oder neuerdings durch spezielle Chips 19 bewirkt. Bei Videokameras für Farbaufnahmen wird die Farbe zunächst optisch mit Filtern in ihre Bestandteile Rot, Grün und Blau zerlegt; die so entstandenen Teilbilder werden zu einem Farbbildsignal zusammengesetzt 20. Ein optisches Bild wird dabei in 500.000 Bildpunkte (625 Zeilen zu ca. 800 Bildpunkten)21 zerlegt. Auf diese Weise entsteht ein analoges 22 elektronisches Abbild des optischen Urbildes. Die hohe Zahl der Bildpunkte ergibt sich aus dem Umstand, daß nur auf diese Weise alle Feinheiten des Urbildes exakt erfaßt werden und die erforderliche Abbildungsgenauigkeit erreicht werden kann. Die Zahl der Bildpunkte und damit die Abbildungsgenauigkeit und -qualität wird sich künftig weiter erhöhen 23 • Die einzelnen Bildpunkte werden zeilenweise elektronisch übertragen. Nach Verstärkung werden die Bildsignale über eine Regelung auf den Bildschirm der Kamera oder einen anderen Monitor, an einen Videorecorder oder zum Zwecke der Übertragung über Funk oder Kabel weitergeleitet 24. Die Übertragungsgeschwindigkeit bei der Bewegtbildübertragung beträgt in der Regel 25 Bilder (= 500.000 x 25 Bildpunkte) pro Sekunde. So wird erreicht, daß das menschliche Auge beim Betrachten der Aufnahmen die Abbildung als fließende Bewegung wahrnimmt und ein Flimmern unterbleibt 25 • 19 Zu diesen sog. CCD ("charge coupled devices") Chip-Kameras vgl. Anonym, FAZ 25.4.1990, S. N2. 20 Fahry I Palme 1980, S. 52. 21 Wobei international unterschiedliche Nonnen gelten. 22 Analoge Darstellung einer Infonnation bedeutet im Zusammenhang mit optischen Infonnationen, daß die optischen Schwingungen des Lichts in elektrische Schwingungen umgewandelt werden, die den optischen Schwingungen entsprechen; vgl. dazu Thieme 1989, S. 792. 23 Anonym, FAZ 25.4. 1990, S. N2: Verdoppelung bei den Fernsehgeräten dernächsten Generation. 24 Fahry I Palme 1980, S. 50 u. 63; Palme 1983, S. 199; Brockhaus 1988, S. 210 f.

A. Technische Bedingungen

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Die Rückwandlung der elektrischen Signale in optische Bilder bewirkt die entweder als "Sucher" in die Kamera eingebaute oder in einem separaten Bildschirm befindliche Bildröhre. Nahezu alle internationalen Elektronikunternehmen bieten Videokameras der verschiedensten Typen auf dem Markt an. Die Kameratechnik befindet sich gegenwärtig auf einem Stand, der es ermöglicht, Videoaufnahmen an beliebigen Orten, zu beliebiger Zeit zu fertigen. Insbesondere ist es möglich, Videokameras zu Beobachtungs- und Überwachungs zwecken an Orten einzusetzen, an denen Gefahren für einen anwesenden menschlichen Beobachter bestünden und generell in allen Fällen, in denen Aufnahmeort und Empfangsort nicht identisch sein können, weil beispielsweise die Anfertigung der Aufnahmen verdeckt erfolgen soll. In diesen Fällen können die von der externen Kamera gemachten Aufnahmen mit Kabelverbindungen zum Beobachter übertragen werden 26 • Auf der anderen Seite erlaubt das geringe Gewicht moderner Kameras den problemlosen mobilen Einsatz der Geräte. Die auf dem Markt verfügbaren Videokameras mit eingebautem Aufzeichnungsgerät wiegen gegenwärtig ca. 1 kg 27 • Ursache der ständigen Verkleinerung der Geräte ist die Miniaturisierung in der Elektronik und die Entwicklung von Glasfaseroptiken. Auf diese Weise reicht heute ein Loch von einem Millimeter Durchmesser aus, um einen Raum optisch zu erfassen 28; es können Kameragehäuse von lediglich 10 cm Länge und 3 cm Höhe gebaut werden; mit Sendern von Streichholzschachtelgröße lassen sich Videokameras überall genauso wie Abhör-Wanzen einsetzen. Elektronische Stabilisatoren unterstützen die ruhige Kameraführung und korrigieren Verwacklungsfehler 29 • Methoden der Bildverbesserung ermöglichen Aufnahmen nahezu unabhängig von den jeweils herrschenden Lichtverhältnissen. Rund um die Uhr können spezielle Videokameras Bilder aufnehmen, die Signale werden elektronisch verstärkt, so daß das Abbild, bei Nacht, mitunter besser ist als das Urbild. Die Ausrüstung mit Objektiven verschieden langer Brennweite erlaubt Aufnahmen von weit entfernten Objekten ebenso wie Übersichtsaufnahmen von großen Flächen. Bereits 1984 war es kameratechnisch möglich, Menschen noch in einer Entfernung von 30 km zu observieren 30• Die Verwendung von Restlichtverstärkern erlaubt Bildaufnahmen in fast gänzlicher Dunkelheit. Infrarotkameras können auch in völliger Dunkelheit brauchbare Aufnahmen liefern 31 • Die Verwen25

Palme 1983, S. 193 ff.; Fahry/ Palme 1980, S. 57 ff.; Brepohl1989, S. 52.

Vgl. zu den Anwendungsmöglichkeiten der Videotechnik zu Zwecken der Beobachtung und Überwachung allgemein Fahry / Palme 1980, S. 28 f. 27 Es sind bereits Geräte ab 700 Gramm auf dem Markt, Kimmerle 1991, S. 82. 28 F ahry / Palme 1980, S. 31. 29 Kimmerle 1991, S. 82. 30 Weichert 1988, S. 19. 31 Jasper 1991, S. 203; Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 347. 26

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2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

dung der sog. Wännebildtechnik schließlich geht über die Aufzeichnung optisch wahrnehmbarer Bilder hinaus. Sie beruht auf der Registrierung thermischer Strahlung, die jeder Körper abgibt. Diese strahlt im Bereich der unsichtbaren Wellenlängen. Wännebildkameras können Wänneunterschiede von bis zu 0,01 Grad Celsius unterscheiden und diese in Videobilder umsetzen. Auf diesem Wege wird es zum Beispiel möglich, eine gegenüber dem menschlichen Körper kältere Schußwaffe durch die Kleidung hindurch zu erkennen 32.

2. Tontechnik Für die Aufnahme des Tons werden herkömmliche Mikrophone verwendet, die das akustische Geschehen synchron zur Bildaufnahme festhalten. Schallwellen versetzen hierbei eine Membran in mechanische Schwingungen, die anschließend in elektrische Spannungen umgewandelt werden. Über Kabel oder drahtlos können sie sodann zu einem Aufzeichnungsgerät weitergeleitet werden und auf einem Fernsehgerät zusammen mit dem Bild durch Rückwandlung in Schallwellen wiedergegeben werden 33 •

III. Aufzeichnungs-, Auswertungs- und Wiedergabetechnik 34 1. Videorecorder Die Aufzeichnung, also das Festhalten von Bildern und Tönen, erfolgt mit dem Videorecorder. Dies geschieht in der Weise, daß die optischen und akustischen Signale aus der Videokamera nach Umwandlung in elektrische Impulse auf ein laufendes Magnetband aufgezeichnet werden. Da die Signale auf dem Videoband magnetisch fixiert werden, sind sie beliebig oft wiedergebbar. Videobänder, die bereits bespielt sind, können mit neuen Aufnahmen überspielt werden. Bereits vorliegende Aufzeichnungen können beliebig oft kopiert werden. Die Aufzeichnung des Tons erfolgt synchron zum jeweils aufgenommenen Bild auf das Magnetband. Eine Tonaufnahme kann aber auch nachträglich stattfinden 35. Das Auffinden und die Wiedergabe erfolgt durch Vor- und Rücklauf des Magnetbandes. Das Auffinden bestimmter Aufnahmesequenzen kann bis zu Minuten dauern 36 • Hieraus ergibt sich eine nur eingeschränkte Verwendbarkeit, wenn ein rascher Zugriff auf bestimmte Aufnahmen erforderlich ist. Weichert 1988, S. 19 f. Zur Tonaufnahmetechnik in der Videographie Fahry / Palme 1980, S. 45 ff., 95; allgemein zur Tonaufnahmetechnik Meyers Enzyklopädisches Lexikon 1976, Stichwortartikel "Mikrophon" m. w. N. 34 Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystemes 1975, Anlageband 6, S. 34. 35 Fahry / Palme 1980, S. 63. 36 Kommission für den Ausbau des Technischen Kommunikationssystems (KtK), 1975, Bd. 6, S. 34. 32

33

A.Technische Bedingungen

33

2. Bildplatte Neben der Aufzeichnung der Aufnahmen auf einem Magnetband besteht die Möglichkeit der Speicherung auf Bildplatte (optical disc), welche die Abspeicherung großer Bild- und Tonmengen in guter Qualität sowie einen schnellen Zugriff auf Einzelbilder und Bewegtbildsequenzen ermöglicht 3? Bei der Bildplatte handelt es sich um sehr kompakte, analoge oder digitale Speichermedien, die für die Archivierung und Bereitstellung von farbigen Einzelbildern und Bewegtbildsequenzen einschließlich zweier HIFI-Tonkanäle eingesetzt werden. Nach mehr als zehnjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit haben Bildplatten-Systeme inzwischen Einsatzreife erreicht. Das Funktionsprizip besteht darin, daß audiovisuelle Informationen auf spiralförmigen Rillen als analoge Signale in Form mikroskopisch kleiner Vertiefungen, sogenannter Pits, mit variabler Länge durch einen Laser in die oberste, photoempfindliche Schicht der Bildplatte eingeschrieben werden. Jede Seite einer Bildplatte kann bis zu 54.000 Einzelbilder speichern. Auf diese Weise lassen sich große Bildmengen auf kleinem Raum archivieren. Dies löst Platzprobleme 38 • Nach dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung sind auch nachträgliche Änderungen der Bildplatteninformation möglich. Dies erlaubt eine Aktualisierung der gespeicherten Information und die Löschung alter Bilddaten. Eine Bildplatte wird auf einem Bildplattenspieler durch Abtasten der Signale mit einem Laserstrahl von der sich drehenden Platte abgespielt. Die Suche und das Wiederauffinden der abgespeicherten Bildinhalte kann mit einer Zugriffszeit von 2 bis 5 Sekunden erfolgen 39 • Das aufgerufene Bild kann auf einem mit dem Bildplattenspieler verbundenen Monitor dargestellt werden. Beim Betrachten von Standbildern bleibt der Laser auf eine Rille (= 1 Bild) fokussiert, beim Abspielen von Bewegtbildsequenzen wandert der Laserstrahl bei jeder Umdrehung eine Rille weiter; dies entspricht bei der Drehgeschwindigkeit von 1500 U / min der üblichen Frequenz von 25 Bildern/ s. Von jedem Bild aus kann vor- und rückwärts, Bild für Bild, in normaler Geschwindigkeit(25 Bilder / s), in Zeitlupe oder in Zeitraffer die Bildplatte durchgegangen werden 40 • Das inhaltsbezogene Wiederauffinden abgespeicherter Bilder (Retrival) wird durch die Unterstützung eines an die Bildplatte gekoppelten Rechners ermöglicht. Solche Bildplatten-Retrivalsysteme können auf Grund der in einer Datenbank über den Inhalt der Bildplatte gespeicherten Informationen Bildmengen nach verschiedenen Gesichtspunkten von der Bildplatte abrufen 41. Dies erlaubt beispielsweise die automatisierte Suche nach Bildern auf Grund des eingegebenen Familiennames oder anderer Suchbegriffe oder durch Eingabe charakteristischer Merkmale des aufzufindenden Bildes 42 • 3? 38 39 40

41

Appelrath 1985, S. 337; Wißmann 1988, S. 83 f. Fahry / Palme 1980, S. 14; Wißmann 1988, S. 83 f.

Vgl. auch KtK, Bd. 6, S. 34.

Appelrath 1987, S. 74.

Vgl. zur Technik der Bildplatte Appelrath 1985, S. 337 f.

3 Geiger

ffi.

w. N.

34

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

3. Computer

Über die soeben dargelegten Bildspeicher- und Auswertungsmethoden hinaus, können Bilder und Stimmen elektronisch in Rechner eingelesen, abgespeichert und nach unterschiedlichen Kriterien wieder abgerufen werden. Über EingabeschnittsteIlen und Wandler werden hierbei Bildinhalte, die z. B. mit Videokameras aufgenommen wurden, digital in einen Bildspeicher eingelesen. Die gespeicherten Informationen werden bei Bedarf über einen digital/analog Wandler wieder in analoge Signale umgewandelt und auf einem externen Farbbildschirm dargestellt. Programmsteuerung und Signalaustausch werden von einem Rechner veranlaßt 43 • Es handelt sich hierbei um elektronische Bild- und Tondatenverarbeitung. a) Digitalisierung

Um Bilder und Töne mit Rechensystemen verarbeiten zu können, müssen sie in Datenformate umgesetzt werden, die rechnerkompatibel sind. Diese Umsetzung heißt Digitalisierung 44 • Unter diesem Begriff wird allgemein die Übersetzung von Information in eine Darstellungsweise verstanden, die mit zwei Zeichen ("binäre" Zeichen) auskommt. Es sind die Zahlen 1 und O. Sie entsprechen den physikalischen Zuständen "Strom" und ,,kein Strom", ,,Licht" und ,,kein Licht". Mit Hilfe von solchen binären Zeichen lassen sich alle Zahlen, Buchstaben und Zeichensysteme darstellen. Auch schwarz-weiß und Farbbilder sowie Töne lassen sich in digitale Form übersetzten. Nach der Umwandlung können sie in Form binärer Strom- oder Lichtimpulse ("optischer Computer") abgespeichert und mit den Mitteln der Nachrichtentechnik, ebenfalls digital, übertragen werden 45 • Die Digitalisierung von Tönen und Bildern, die physikalisch zunächst als akustische und optische Schwingungen vorliegen, erfolgt grundsätzlich in zwei Schritten. Zunächst werden sie in die ihnen entsprechende elektrische Spannung umgewandelt. (Bei Bildern ist es auch möglich, die Vorlage mit einem Raster in einzelne Rasterflächenstücke zu unterteilen 46 .) Diese analogen Stromkurven werden sodann "abgetastet". In regelmäßigen, sehr kurzen Abständen mißt ein elektronisches Gerät die Höhe der Amplitude und gibt diese Größen in Ziffern an. So verwandelt sich eine analoge Stromkurve in eine Reihe von Meßwerten ihrer Abschnitte 47. Diese Werte werden als codierte Ziffern (Strom - kein Strom; Appelrath I Lorek 1989. Vgl. Bundesfinanzhof, CuR 1990, S. 472 [473]. 44 Zur Digitalisierung Haberäcker 1987, S. 7 ff.; Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK), 1975, Bd. 2, S. 7 f.; Scherer 1985, S. 56; Wißmann 1988, S. 48 ff.; Thieme 1989, S. 792. 45 Zu Entwicklung und Perspektiven der Infonnationsverarbeitungs- und -übertragungstechnologie ausführlich Bocker 1987; Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystemes 1975; Scherer 1987, S. 15 ff., 44 ff.; Scherer 1985, S. 31 ff. 46 Haberäcker 1987, S. 7 f. 42 43

A. Technische Bedingungen

35

Licht - kein Licht) dargestellt, übertragen und auf Datenträgern abgespeichert. Auf diese Weise ist es möglich, bereits gegenwärtig vorliegende Bildaufnahmen in Videoaufnahmen und sodann in elektronische Form umzuwandeln. Insofern ist der Satz zutreffend, wonach alle Bildaufnahmen potentielle Bilddaten sind 48. Voraussetzung für das Funktionieren digitaler Informationsübermittlung war und ist die Festlegung von verbindlichen Codes durch die Kommunikationspartner. Andernfalls ginge die Information verloren. Die erforderliche Normierungsarbeit ist international insbesondere durch die IS049 erfolgt.

b) Speicherung 50 digitaler Bild- und Tondaten aa) Bilddaten Bei der Bilddatenverarbeitung gab es bisher Probleme bei der Speicherung und darüber hinaus bei der Übertragung - der Bilddaten, die auf der großen Menge der anfallenden Daten bei der Digitalisierung von laufenden Bildern beruhen. Denn ein Bild wird in 500.000 Bildpunkte zerlegt; ein Bildpunkt benötigt nach der Digitalisierung 8 Bit, bei Farbaufnahmen 24 Bit 5l . Bei einer Speicherung von 25 Bildern pro Sekunde, wie sie für die Bewegtbildaufnahme erforderlich ist, faIllen pro Sekunde 12,5 Milionen Bildpunkte und damit I Mega Bit an. Bei Farbaufnahmen sind es dreimal soviel mithin 3 Mega Bit / s. Diese hohe Zahl der anfallenden Daten verursacht Schwierigkeiten bei Speicherung und Verarbeitung. In der Informatik 52 wird gegenwärtig intensiv an der Kompression und Reduktion von Bilddaten gearbeitet. Darüber hinaus wird versucht, die Speicherkapazität der Rechner zu erhöhen. Dies geschieht wiederum im Wege der Miniaturisierung. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung und Serienproduktion des sog. 4-Mega-Bit-Chips 53 und in Zukunft des Giga-Chips von großer Bedeutung. Das Unternehmen IBM produziert bereits den 16-Mega-Bit-Chip 54. 47 Vgl. auch Thieme 1989, S. 792. 48 Vgl. Bernhardt 1988, S. 8. 49 International Organization for Standardization. 50 Haberäcker 1987, S. 30,50 f., 51. 5l Ein Bit (aus dem Englischen für "ein bißehen") ist die kleinste Informationseinheit in der elektronischen Datenverarbeitung. Alle elektronischen Informationen setzen sich aus Binärzeichen zusammen (0 - 1; Strom - kein Strom; Licht - kein Licht); ein Bit ist eines dieser binären Zeichen. Tausend Bit bilden ein KiloBit, eine Million Bit ein MegaBit, eine Milliarde ein GigaBit. Byte bildet die Anzahl von Bit, die zur Darstellung eines Zeichens notwendig ist. Bei den meisten gebräuchlichen Rechnersystemen bilden 8 Bit ein Byte. Die Zahl 1 kann z. B. digital 00000001 geschrieben werden; die Zahl 2 z. B. 00000010, vgl. Brepohl 1989, Stichwortartikel zu BIT und Byte; Wißmann, 1988, S. 53 ff. 52 Diese hat die systematische Verarbeitung von Informationen, insbesondere mit Computern zum Gegenstand, vgl. Anonym 1989a, S. 14 (Max-P1anck-Spiege1). 53 Brepohl 1989, S. 28. 54 FAZ v. 14.3.1990, Seite N I. 3*

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

36

bb) Tondaten Die Speicherung digitaler Tondaten bereitet gegenwärtig keine technischen Schwierigkeiten mehr. Insbesondere bei der Digitalisierung der menschlichen Stimme ist eine verglichen mit der Bildübertragung nur geringe Datenmenge erforderlich. c) Reproduktion digital gespeicherter Bild- und Tondaten 55 ,

insbesondere durch Mustererkennungsverfahren 56

aa) Reproduktion Nach Bedarf werden die digitalen Signale mit Hilfe von Digital/ AnalogWandlern wieder in analoge Stromimpulse umgesetzt - die als Summe eine analoge Kurve aufweisen - und diese wieder in Schallschwingungen oder optische Lichtimpulse. Bei diesem Verfahren der Rückwandlung digitaler Signale in eine analoge Stromkurve wird von "Decodierung" gesprochen. Das Gerät, das diese Aufgabe durchführt, ist der Decoder 5? Die Wiedergabe erfolgt auf Bildschirmen, Bilddruckern und über Lautsprecher. Durch die Verwendung von Bilddruckern können Videoaufnahrnen als Standfoto auf Papier ausgedruckt werden, womit die Möglichkeit gegeben ist, Videobilder in herkömmliche Papierbilder umzuwandeln 58. bb) Mustererkennung 59 Durch die Technik der Mustererkennung sind Verfahren der elektronischen Recherche möglich; namentlich können Bilder und Stimmen zusammen mit Stichwörtern abgelegt werden und durch Aufruf der Stichwörter wiedergefunden werden. Hier gilt das bei der Bildplatte Gesagte entsprechend. Auf den Gebieten der Identifizierung und Verifizierung von Personen befinden sich gegenwärtig verschiedene Systeme in der praktischen Anwendung. Bei räumlichen Sicherungssystemen wird ein vorhandenes "Referenzbild" mit allen nachfolgend von der Kamera aufgenommenen Bildern automatisch verglichen. Eine Veränderung des Bildes löst Alarm aus. Zugangskontrollsysteme wie SIPASS von Siemens gleichen das "Life"-Bild mit gespeicherten elektronischen Bildern ab, um zu kontrollieren, ob der Ausweisinhaber mit dem gespeicherten Gesicht, dessen Für Bilder vgl. Haberäcker 1987, S. 87. Vgl. Haberäcker 1987, S. 2; Willim 1989, S. 619. 5? Wißmann 1988, S. 51. 58 Kimmerle 1991, S. 82. 59 Wißmann 1988, S. 47 ff., 51; über die Erkennung von Stimmen und Gesichtern hinaus wird die Mustererkennung zur Identifikation von Fingerabdrücken, Schriften und Geschoßspuren eingesetzt; vgl. Niemann 1980, S. 27; Schwan 1987, S. 286. 55

56

A: Technische Bedingungen

37

Träger Zugangsberechtigung besitzt, identisch ist 6O • Für die automatische Erkennung von Sprechern gilt Entsprechendes. Bei der Verifikation kommt es darauf an, an Hand einer sprac~lichen Äußerung zu entscheiden, ob ein Sprecher die von ihm angegebene Identität besitzt, während es bei der Identifizierung darum geht, die Identität eines Sprechers durch automatischen Abgleich mit abgespeichertem Stimmaufnahmen bekannter Personen zu ermitteln. Elektronikunternehmen bieten auf diesem Gebiet bereits Systeme für die Praxis der Zugangskontrolle an 61 • cc) Bildsimulation, -synthese und -manipulation Die Computertechnik ermöglicht eine Aufbesserung von Bildmaterial von nicht ausreichender Qualität, z. B. von Aufnahmen, auf denen die abgebildeten Personen nicht oder nicht gut zu erkennen sind 62. Darüber hinaus erlaubt die elektronische Bildverarbeitungstechnik die Simulation (sog. Computer-Simulation) und Manipulation von Bildern. Hierbei können künstlich Bilder von Gegenständen und Situationen erzeugt werden, die in Wirklichkeit nicht existieren, oder Gegenstände in visuelle Zusammenhänge gebracht werden, die in Wirklichkeit nicht oder nicht so bestehen. Auf diese Weise könnten Personen künstlich in strafrechtlich relevante Situationen gebracht werden. Dies wird durch den Umstand möglich, daß sich jede visuelle Information als mathematische Formel darstellen und diese wiederum auf dem Bildschirm als elektronisches Bild oder Bildfolge bzw. nach dem Ausdruck als Papierbild darstellen läßt. "Fälschungen" können auf diese Weise nicht mehr von "Originalen" unterschieden werden, da durch die Abspeicherung des bearbeiteten Bildes ein neues Original entsteht. Auf diese Weise läßt sich synthetisch eine "zweite Realität" schaffen, deren Künstlichkeit nicht mehr zu erkennen ist. Bereits heute sind Computeranimation und Computergraphik dazu in der Lage 63. Die perfekte optische Retuschierbarkeit und Manipulierbarkeit beliebiger Bildaufnahmen können künftig das Vertrauen in Bilddokumentationen erheblich relativieren. Insbesondere Aufnahmen, die der Polizei von Privaten zur Verfügung gestellt werden, werfen künftig Probleme der Eignung als Beweismittel auf 64 •

4. Karteien Wie bereits ausgeführt wurde ist es auch möglich, Videobilder in Papierbilder umzuwandeln (Papierdrucker)65 und in herkömmlicher Weise von Hand in Kartei60 61

62

63

64 65

Bernhardt 1988, S. 6. Niemann 1980, S. 25 f. Willim 1989, S. 22,617. Willim 1989, S. 5,623 f.; Willim 1990, S. B 18; Dörr 1990, S. B 18. Vgl. zu den Möglichkeiten der Bild-Manipulation auch Willim 1989, S. 308 ff. Unterwallny 1990, S. 112; Weichert 1988, S. 21.

38

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

en zu speichern, zu ordnen und zu verwenden. Darüber hinaus können herkömmliche Bildersammlungen - wie das sog. Verbrecheralbum - in Videobilder umgewandelt elektronisch abgespeichert und verfügbar gehalten werden.

IV. Übertragungstechnik 1. Grundlagen und Stand der Technik Von wesentlicher Bedeutung für die verfassungsrechtliche Beurteilung und Anwendbarkeit der Videotechnik bei der Kriminalitätsbekämpfung ist das Maß der Übermiuelbarkeit der Videoaufnahmen. Es entscheidet darüber, ob die Aufnahmen bei Bedarf an der Stelle verfügbar sind, die sie zur Lösung einer polizeilichen Aufgabe benötigt und damit gleichzeitig über Attraktivität und Intensität der Nutzung der Videotechnik. Auch die Verfügungsrnacht des Betroffenen hängt vom Maß der Übertragbarkeit und damit Verknüpfbarkeit des Bild- und Tonmaterials ab. In diesem Zusammenhang sind gegenwärtige Entwicklungen auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik bedeutsam. Der Erkenntniszuwachs in Informatik, Elektrotechnik und Nachrichtentechnik sowie der Umsetzung dieses Wissens durch weltweite Produktion nachrichtentechnischer Geräte in den Elektronikunternehmen ermöglichen gegenwärtig die körperlose Übermittlung von Bild- und Tonmaterial zwischen Menschen, Maschinen und sonstigen Systemen über weite Strekken und in Sekundenschnelle sowohl im Monolog (Massenkommunikation) als auch im Dialog (lndividualkommunikation)66. Der Stand der Nachrichtentechnik oder Fernmeldetechnik, für die üblicherweise auch der Begriff "Telekommunikation" 67 verwendet wird, ist wesentlich geprägt durch die Entwicklung der Mikroelektronik und neuartiger Übertragungsmedien wie der Glasfaser sowie der Entwicklung von neuartigen und leistungsflihigen Endgeräten zum Empfangen und Aussenden von Nachrichten 68 • Die Entwicklung verläuft hin zur Schaffung integrierter Telekommunikationsnetze, auf denen der Austausch von Informationen unabhängig davon möglich ist, ob die Information als Bild, Ton, Text oder Datum Scherer 1985, S. 34. Telekommunikation bezeichnet gemäß Anhang 1 i. V. m. § 2 TKO, BGBI. I 1986, S. 1749 ,jede Art der Nachrichtenvennittlung im Sinne des Gesetzes über Fernmeldeanlagen"; nach BVerfGE 46,120 [143] ist "wesentlich für den Begriff der Fernmeldeanlage", der den Inhalt des Fernmeldewesens i. S. v. Art. 73 Nr. 7 GG prägt, "die körperlose Übennittlung von Nachrichten in der Weise, daß die ausgesandten Zeichen am Empfangsort wieder erzeugt werden". Im Internationalen Fernmeldevertrag (IFV - Nairobi 1982, Anl. 2) bezeichnet Telekommunikation" ... any transmission, emission or reception of signs, signals, writing, images and sounds or intelligence of any nature by wire, radio, optical or electromagnetic systems" (zit. nach Scherer 1987, S. 9); vgl. auch Scherer 1985, S. 31. 68 Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystemes 1975, TKBericht, S. 49 f.; ferner Pötz[ 1985, S. 111 ff. 66

67

A. Technische Bedingungen

39

vorliegt ("neue Dienste - bestehende Netze"). In den neuen Telekommunikationsnetzen und den auf ihnen möglichen neuen (oder erweiterten) Telekommunikationsdiensten wird die einheitliche Übertragung und der Austausch von, TonBild- und Textinformationen möglich. Damit einhergehend findet ein Zusammenwachsen von Fernmeldetechnik und Datenverarbeitungstechnik statt 69 • 2. Übertragungsmedien (Netze und Dienste) Bei der Nachrichtenübertragung wird herkömmlich zwischen drahtgebundener, drahtloser und neuerdings auch optischer Übertragung von Informationen unterschieden 70. Die Übertragungsmedien sind gegenwärtig vorwiegend schmalbandige Kupferleitungen. Sie ermöglichen die elektromagnetische - analoge oder digitale - Übertragung aller Formen der Information unter Einschluß von Tönen, Fest- und Bewegtbildern. Neben den Kupferleitungen kommen für die digitale Nachrichtenübermittlung Glasfaserleitungen in Betracht. Sie ermöglichen die Übertragung größerer Datenmengen in besserer Qualität. Glasfaserleitungen sind Lichtwellenleiter. Der Lichtwellenleiter ist eine Faser aus Quarzglas, über die Lichtstrahlen im Infrarot-Bereich übertragen werden. Er wird als Übertragungsmedium bereits seit den 50er Jahren diskutiert und ist seit den 70er Jahren technisch einsetzbar 71 • Künftig wird das nachrichtentechnische Übertragungssystem aus diesen breitbandigen Glasfaserleitungen bestehen 72. Ein solches optisches Nachrichtenübertragungssystem besteht aus einem Lichtsender, der ein elektrisches (analoges oder digitales) Signal in ein digitales Lichtsignal umwandelt, dem Glasfaserkabel, in dem das Signal als Lichtimpuls mit annähernd Lichtgeschwindigkeit übertragen wird. Am Ort des Empfanges erfolgt schließlich die sekundenschnelle Rückumwandlung der optischen Impulse in elektrische Signale und weiter die Umwandlung des elektrisch vorliegenden Signals in Töne und Bilder. Darüber hinaus kann das Signal beim Empfänger in digitaler oder analoger Form abgespeichert werden. Die Lichtwellentechnik ermöglicht es, sehr große Informationsmengen, wie sie etwa bei der Bewegtbildkommunikation anfallen, im Sekundenbereich zu transportieren. Die Eigenschaft der hohen Übertragungskapazität gestattet die Übertragung aller gegenwärtig bekannten Kommunikationsformen einschließlich der Bewegtbildübertragung in Fernsehqualität auf einer Glasfaser pro Netzteilnehmer. Die Leistungsfähigkeit der Übertragungskapazität wird sich künftig durch Kompression der Bilddaten noch erhöhen. Nach gegenwärtig in der Fachliteratur gestellten Prognosen wird die Bedeutung der Bildübertragung im Alltag zunehmen, das "Videophon", die Übertragung von 69

Scherer 1985, S. 25.

Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK), 1975, TK-Bericht, S. 21. 71 Bocker 1987, S. 196. 72 Vgl. Scherer 1987, S. 15; Wißmann 1988, S. 12, 66 ff. 70

40

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

Videobildern, soll um die Jahrtausendwende zur täglichen Routine im privaten und geschäftlichen Bereich gehören 73 • Diese Prognosen beruhen auf gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich des Fernmeldewesens.

3. Praxis der Telekommunikation: Planung und Realisierungsstand 74 Die für den Geltungsbereich des Grundgesetzes bedeutendste Entwicklung auf dem Gebiet der Übertragung von Bild- und Toninformationen stellen die Planungen der Deutschen Bundespost für die Einführung eines zunächst schmalbandigen und später breitbandigen Telekommunikationsnetzes dar, das eine integrierte Abwicklung aller bisher bekannten und für die Zukunft vorstellbaren Telekommunikationsdienste ermöglicht. Seit 1982 wird dieses neuartige Fernmeldenetz von der Bundespost aufgebaut 75 • Es beruht auf den Empfehlungen der Konferenz der europäischen Post- und Fernmeldeverwaltungen (CEPT) und des Internationalen beratenden Ausschusses für das Telegrafen- und Fernsprechwesen (CCITT) 76. Die Entwicklung des Netzes erfolgt in drei Phasen, die sich zeitlich überschneiden. Die Planungen reichen bis in das nächste Jahrhundert hinein. In der ersten Stufe werden in das vorhandene analoge Fernsprechnetz digitale Vermittlungs- und Übertragungssysteme eingefügt. Mit dem seriellen Einsatz digitaler Vermittlungsstellen wurde 1984 begonnen. Der Aufbau digitaler Übertragungssysteme, einschließlich der Errichtung erster optischer Übertragungsstrecken (Glasfaser-Fernlinien) hat bereits begonnen. Das auf diese Weise entstehende digitale Fernsprechnetz wird in der zweiten Phase für die Übertragung und Vermittlung aller schmalbandigen Telekommunikations-Dienste Verwendung finden ("bestehende Netze - neue Dienste"). Die bisher getrennten öffentlichen Fernmeldenetze "Fernsprechnetz" und "integriertes Text- und Datennetz" werden dann zu einem einheitlichen, digitalen, dienste-integrierten Netz zusammengefaßt werden. In diesem diensteintegrierten Digitalnetz (Integrated Services Digital Network - ISDN) werden die bestehenden und zukünftigen vermittelten Fernmeldedienste mit einer Bitrate von bis zu (2 x) 64kbits/ s abgewickelt werden können. Das bedeutet, daß - mit Ausnahme von Tonrundfunk- und Fernsehen - praktisch alle heute vorhandenen Telekommunikationsdienste einschließlich Standbilder und Bildfernsprechen 77 über dieses 64 kbit/ s oder "Schmalband"ISDN abgewickelt werden können. Leistungsmerkmale des ISDN-Netzes und der in ihm verfügbaren Dienste sind beispielsweise die bis zu SOmal schnellere Übertragung von Daten als im Fernsprechnetz über Modem 78 , die Übertragung 73 74

75 76 77

Leuthold / Orum 1990, S. 30. Das folgende im wesentlichen nach Scherer 1985, S. 56 ff. Vgl. Thieme 1989, S. 792 m. w. N.; Kühn 1986, S. 132 f. m. w. N. Thieme 1989, S. 792. Anonym, FAZ 7.6.1989, S. NI.

A. Technische Bedingungen

41

eines stehenden Farbbildes in etwa 10 Sekunden sowie die Übertragung bewegter Farbbilder 79 • In einer dritten Phase soll dieses "Schmalband"-ISDN durch Einbau breitbandiger Netzelemente zu einem "Breitband"-ISDN ausgebaut werden; hierfür wird nach den bisherigen Plänen die Glasfaser als Übertragungsmedium eingesetzt werden. Das Breitband-ISDN ermöglicht zusätzlich zu den "schmalbandigen" auch die Übermittlung "breitbandiger" Dienste wie Ton- und Fernsehrundfunk einschließlich des Abruffernsehens sowie das Bildfernsprechen in Farbfernsehqualität sowie heute noch unbekannte Dienste 80. Es bietet die umfassendste Integration von Diensten, die denkbar ist. Technik und Systemkonzepte für dieses Telekommunikationssystem werden seit 1977 im Rahmen lokaler Feldversuche und des sogenannten BIGFON-Versuchs sowie einem ISDN-Pilotprojekt 81 entwickelt. Ziel des ISDN-Pilotprojekts war es, alle Netzbestandteile unter rauhen Betriebsbedingungen zu erproben und ihre einwandfreie Funktionstüchtigkeit sicherzustellen. Hierbei hat sich gezeigt, daß das technisch Mögliche auch im fernmeldetechnischen Alltag praktikabel ist. Der BIGFON 82_ Versuch ist die Entwicklung der Übertragungs-, Vermittlungsund Endgerätetechnik für das breitbandig integrierte Telekommunikationssystem. Bei dem Versuch wurden zehn insel artige Glasfaserortsnetze insgesamt 320 Teilnehmer in sechs westdeutschen Städten (Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Nürnberg und München) und in West-Berlin miteinander verbunden und über Fernstrecke (BIGFERN) verknüpft 83 • Nach den ursprünglichen Planungen soll der flächendeckende Ausbau des Netzes bis zum Jahre 1993 in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen sein. Darüber hinaus ist die Ausdehnung des Netzes auf europäischer Ebene vorgesehen. Um das Jahr 2000 wird nach diesem Terminplan die breitbandige Vermittlungs- und Übertragungstechnik voraussichtlich zur standardmäßig eingesetzten Technik gehören. Was als BIGFON gegenwärtig Versuch ist, wird dann das Telekommunikationsnetz für jedermann sein 84 • Die tatsächliche Einführung von ISDN hinkt dieser ursprünglichen Terminplanung gegenwärtig um etwa zwei Jahre hinterher. Die Verspätung hat keine technischen Gründe. Das Hauptproblern bildete bisher das langsame Voranschreiten des Standardisierungsprozesses sowie 78 Modem steht für Modulator Demodulator. Ein Modem setzt binäre Zeichen in Frequenzen um. Es ist eine Datenübertragungseinrichtung an Fernsprech- und Breitbandwegen und die Schnittstelle des Datenverarbeitungssystems zum Fernmeldebereich (vgl. Thieme 1989, S. 791). 79 Siemens-Magazin COM 2/1989, S. 13. 80 Kubicek / Rolf 1986, S. 290. 81 Einen positiven Erfahrungsbericht über das ab 1986 in Stuttgart und Mannheim durchgeführte Pilotprojekt gibt Zier 1989, S. 76 ff.; siehe ferner Seif 1986, S. 28. 82 "Breitbandig integriertes Glasfaserortsnetz" . 83 Vgl. zu BIGFON Braun 1987, S. 216-221. 84 Nach Scherer 1987, S. 49 ff.

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

42

das Fehlen marktgängiger Endgeräte und Dienste. Zur künftigen Vermeidung dieser Schwierigkeiten wurde das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) errichtet 85. Im Geltungsbereich des Grundgesetzes sind in über 50 Städten Anschlüsse für insgesamt 30000 Teilnehmer geschaffen worden 86. Inwieweit die Verspätung aufgeholt werden wird, muß die Zukunft erweisen.

4. Satelliten technik Eine Verbesserung der Bild-, Ton- und Textkommunikation wird durch die Einführung digitaler Satellitennetze ermöglicht (Reaktion auf das Problem der Erschöpfung terristrischer Frequenzen). Satellitensysteme zur Telekommunikation haben gegenüber den Fernmeldenetzen auf der Erde den Vorteil der wesentlich kürzeren Aufbauzeit. Sie ermöglichen auf diese Weise die kurzfristige Einführung von Breitbanddiensten wie etwa der Bewegtbildkommunikation und der hochratigen Datenkommunikation unabhängig vom Ausbaustand der terristrischen Telekommunikationsnetze.

5. Funktechnik Der Stand der Funktechnik hat sich durch die Digitalisierung der Signalübertragung so verbessert, daß durch die sog. Bündelnetz-Technik die bisherigen Frequenzprobleme weitgehend entfallen. Daher können gegenwärtig Bilder, Töne und Daten in großem Umfang per Funk übertragen werden 87 •

6. Postversand Ergänzend hierzu ist es selbstverständlich auch möglich, Videomaterial, das auf Kasetten oder Bildplatten gespeichert wurde, körperlich durch Boten oder Post zu übermitteln. Diese Transportart ist nicht zu vernachlässigen. Auf diesem Wege könnte beispielsweise Videomaterial zu einem zentralen Rechner gebracht und dort in digitaler Form abgespeichert oder mit dort bereits vorhandenem Material abgeglichen werden. Dies bietet sich insbesondere dort an, wo die Zeitfrage keine bedeutende Rolle spielt.

85

86 87

Cornu 1990, S. B2. Charlier 1990, S. 12. ]öttkandt 1990, S. 118; ferner Scherer 1985, S. 57 f.

B. Kriminalistische Bedingungen

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7. Integration der Telekommunikationsnetze und Ergänzung verschiedener Übertragungssysteme Die dargelegte technische Entwicklung führt zu einer Integration der gegenwärtig möglichen Telekommunikationsnetze und zur Schaffung neuer Dienste. Dadurch wird es möglich, über ein einheitliches Netz (eine Glasfaser) beliebige Dienste von einem Anschluß zu einem anderen in beiden Richtungen zu übertragen. Das Netz kann durch Satelliten- und Richtfunksysteme ergänzt werden. Die einen TK-Dienst charakterisierende Kommunikationsform (z. B. Fernsprechen, Festbildübertragung, Bewegtbildübertragung) wird in der Endstelleneinrichtung des Senders in eine übertragbare, einheitliche, digitale Form umgewandelt und in der Endstelleneinrichtung des Empfängers in die ursprüngliche Kommunikationsform zurückgewandelt. Die für die Anwendung dieses Vorgangs in der Praxis erforderliche Standardisierung der End- und Übertragungsgeräte wird durch das CCITT und CERN vorgenommen. Auf die verfassungsrechtlichen Konsequenzen der in diesem Abschnitt dargelegten technischen Bedingungen wird zurückgekommen 88.

B. Kriminalistische Bedingungen I. Die objektive Sicherheitslage Seit Anfang der siebziger Jahre werden im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland jährlich zwei bis vier Millionen Straftaten (ohne Verkehrsdelikte) polizeistatistisch erfaßt. In den achtziger Jahren wurden jährlich rund 4 Millionen Fälle zur polizeilichen Anzeige gebracht und damit amtlich registriert. Bezieht man diese Zahlen auf die Bevölkerung, gelangt man im Jahr 1990 zu einer Häufigkeitsziffer von etwa 7103 Straftaten auf 100.000 Einwohner. Berücksichtigt man auch die Verkehrs straftaten, ist in den achtziger Jahren von einer jährlichen Verbrechensmenge von rund 7 Millionen amtlich bekanntgewordener Rechtsbrüche im Bundesgebiet auszugehen. Hinzu kommt noch ein zahlenmäßig nur schätzbares Dunkelfeld begangener Straftaten 89. Die bundesdeutsche Anzeigenstatistik und die Dunkelfeldforschung weisen auf eine Verdoppelung der Kriminalität in den letzten zwanzig Jahren hin, wobei seit 1961 zunächst ein stetiges Ansteigen der Häufigkeitsziffer zu verzeichnen ist; nach Schwankungen Ende der siebziger Jahre hat sie sich stabilisiert 90 • Neuerdings wird zunehmend auf die Bedrohung der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung durch das organisierte Verbrechen Unten 6. Kap. All, 2, A II 1,2, A I1I, A IV 1,2, A IV 2 b dd (2), E. Zum ganzen Kaiser, Stichwort Kriminalität, in: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl., noch unveröff.; Kaiser 1988, S. 357 ff. 90 Vgl. Kaiser 1988, S. 368,382; ders. zu Leistung, Aussagekraft und Grenzen kriminalstatistischer Daten und der Dunkelfeldforschung 1988, S. 352 ff. 88 89

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hingewiesen 91, ohne daß diese gefährliche, keineswegs zu unterschätzende Kriminalitätsform bisher insgesamt zu einer wesentlichen Veränderung der Sicherheitslage geführt hat. Im Vergleich der westeuropäischen Staaten befindet sich die Bundesrepublik Deutschland ausweislich der Kriminalstatistik insgesamt im oberen Feld der Kriminalitätsbelastung und des Verbrechenszuwachses, ohne sich aber wesentlich von den anderen westeuropäischen Ländern zu unterscheiden 92 • Von einer besonders bedrohlichen objektiven Sicherheitslage oder Krise kann auch angesichts der organisierten Kriminalität daher gegenwärtig nicht ausgegangen werden. Im übrigen kann festgestellt werden, daß das politische System der Bundesrepublik Deutschland in seiner bisherigen Geschichte eine ernsthafte innenpolitische Gefahr glücklicherweise noch nicht zu bestehen hatte 93 •

11. Strategien und Taktiken zur Straftatbekämpfung Dem Bemühen, die objektive Kriminalitätslage zu verbessern, dienen seit je Strategien und Taktiken zur Kriminalitätsbekämpfung, die ihrerseits wiederum von den technischen Möglichkeiten beeinflußt wurden. Der Einsatz von Technik bei der Kriminalitätsbekämpfung bildet einen Teilbereich im System der Verbrechenskontrolle, worunter die Gesamtheit der gesellschaftlichen und staatlichen Mittel, Einrichtungen, Strategien und Sanktionen, die auf Einhaltung der Strafrechtsordnung gerichtet sind, verstanden wird 94. Jedem bisherigen und auch dem gegenwärtigen Reaktionssystem auf als sozialschädlich vermutetes Verhalten liegt ein bestimmtes Konzept der Verbrechenskontrolle zugrunde. Darin sind stets auch informelle Kontrollstrukturen und nichtstrafrechtliche Strategien eingebettet gewesen 95. Neben dem geschichtlich feststellbaren Wandel in Stil und Mitteln der Verbrechensbekämpfung, ist die Konstanz bestimmter Ansätze zu beobachten 96 • Konstanz in seiner Geltung kommt namentlich der Vergeltung und Vorbeugung als den beiden Grundgedanken der Verbrechenskontrolle 97 zu: Die Bestrafung begangener und die Verhinderung künftiger Straftaten sind zeitunabhängige Grundgedanken der Kriminalitätsbekämpfung. Unabhängig von theoretischen Auseinandersetzungen im kriminologischen Schrifttum über Verständnis, Erklärung und Überwindung von Kriminalität, verfolgt das Kriminaljustizsystem gegenwärtig bekanntlich sowohl präventive als auch repressive Verbrechenskontrollansätze; dies läßt sich auch an der ZuweiNachweise bei Kowalczyk 1989, S. 148; Wolter 1988, S. 49,50 ff. Kaiser, Stichwort Kriminalität, in: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl., noch unveröff. 93 Vgl. Benda 1985, S.1192ff. 94 Vgl. Kaiser 1988, S. 224 m. w. N. 95 Kaiser 1988, S. 236; vgl. auch Dürig 1984, S. 89, der unter Hinweis auf E. Huber an den vorstaatlichen Charakter der Störungsbekämpfung erinnert. 96 Kaiser 1988, S. 238. 97 Jescheck 1988, S. 51. 91

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sung der Gefahrenabwehr einerseits und der Straftataufklärung andererseits als Polizeiaufgaben erkennen. Diese lassen sich als Teilbereiche der übergeordneten, einheitlichen Staatsaufgabe der "Straftatbekämpfung" ansehen 98. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe sind angewandte Mittel und Strategien einem beständigen Wandel unterworfen 99 • Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind im hier interessierenden Zusammenhang insbesondere drei Entwicklungen 100 zu beobachten, die sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Es sind dies die Zunahme des Einsatzes von Technik, namentlich der Informationstechnologie bei der Kriminalitätsbekämpfung 101, die Zunahme der Bedeutung des technisch erbrachten Beweises im Strafverfahren, sowie die Stärkung präventiver Ansätze, einschließlich der Stärkung "operativer"· kriminalstrategischer Ansätze, die sich nicht mehr mit der Reaktion auf bereits begangene Straftaten bzw. bereits eingetretene Gefahrenlagen begnügen, sondern bereits im Vorfeld der konkreten Gefahr und des Tatverdachts "operativ" vorgehen 102, um wirksamer als bisher erstens die Begehung von Straftaten zu verhindern und zweitens bereits begangene Straftaten aufzuklären 103. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Videotechnik als typisches Instrument aktueller Verbrechenskontrollansätze.

1. Kriminal- und Polizeitechnik als Mittel moderner Straftatbekämpfung Der Einsatz technischer Hilfsmittel bei der Straftatbekämpfung hat eine lange Tradition, gewinnt aber zunehmend an Bedeutung 104. Kriminologie und Kriminalistik 105, die als empirische Erfahrungswissenschaften die Kriminalität und ihre Bekämpfung zum Gegenstand haben, verwenden für diese Anwendung von Technologien seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts den Begriff Kriminaltechnik. Darunter werden sämtliche Werkzeuge, Hilfsmittel und Verfahren zur Aufklärung und Verhinderung von kriminellem Verhalten verstanden 106. Ohne Einsatz moder98 99

Vgl. BVerwG NJW 1990, S. 2766.

Ahlf 1983, S. 44.

100 Über die im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Tendenzen auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung hinaus, gibt es weitere Ansätze (vgl. etwa TäterOpferausgleich etc.); vgl. Kaiser 1988, S. 224 ff.; es besteht keinesfalls eine einheitliche Tendenz in Richtung auf einen "Überwachungsstaat". 101 Vgl. auch Kauß 1989, S. 44 f. zur Informationstechnologie; ausführlich Nagola 1989. 102 Vgl. Weßlau 1989, S. 15 ff., 335. 103 Kniesel1989, S. 5 f.; vgl. Weßlau 1989, S. 335. 104 Groß / Geerds 1977, S. 51 ff., 53 f., 442; Unterwallney 1990, S. 81. 105 Zu Gegenstand und Begriff vgl. Geerds 1986, S. 7. 106 Groß / Geerds 1977, S. 437 f.; anders offenbar Lang-Hinrichsen 1970, S.4, der unter ,,kriminalpolizeilicher Technik" nur Geräte zur Aufklärung bereits begangener Straftaten versteht. Neuerdings findet sich sogar die Unterscheidung von "Kriminaltechnik" und ,,Polizeitechnik" (vgl. Kube 1989, Vorwort).

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ner Techniken ist Straftatbekämpfung heute nicht mehr möglich 107. Zweck der Verwendung von insbesondere optisch-akustischer Technik bei der Straftatbekämpfung sind Abschreckung, Ermöglichung des präventiven Zugriffs, Identifizierung und Überführung von Straftätern. Die Videotechnik ist rasch nach ihrer Erfindung und Erwerbbarkeit auf dem Markt für die Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung genutzt worden 108. Sie teilt insoweit das Schicksal der älteren Techniken der Fotografie 109 und des Tonbandes 110. Soweit Anwendungen in Frage stehen, die sich gegen Personen richten 111, sind von Bedeutung die Verwendungen im Zusammenhang mit der Verhinderung von Straftaten, der Beweissicherung zur Täterüberführung, dem Erkennungsdienst, der sich mit der Identifizierung von Personen befaßt 112 , sowie der Fahndung nach Personen. Optische und akustische Hilfsmittel fanden in diesem Bereich schon bisher Anwendung. Für erkennungsdienstliche Zwecke wurde insbesondere das Personenlichtbild verwendet. Aus Lichtbildern wurde das sog. Verbrecheralbum, die Rechtsbrecherlichtbildkartei, gebildet 113. Auch der Einsatz des Tonbands ist ein gängiges kriminal technisches Instrument. So wurden in der Vergangenheit z. B. Notrufe 110 generell aufgezeichnet 114, Telefongespräche nach § 100 a StPO aufgenommen und die Aufnahmen im Strafverfahren verwertet. Diese polizeilichen Tätigkeitsfelder haben sich unter den Bedingungen der modemen Videotechnik verändert und werden dies auch künftig tun. Die sogenannte Videofahndung, die in der Ermittlung des Täters mit Hilfe von Bild-, aber auch Tonaufnahmen geschieht, ermöglicht in Verbindung mit Digitalisierungsverfahren den Abgleich von Täterfotos mit in Computern gespeicherten Bild- und Tondaten 115 • 2. Beweis mit technischen Mitteln Beim Bemühen um die Aufklärung von Straftaten und die Überführung von Straftätern hat sich parallel zur Erweiterung des kriminaltechnischen Instrumentariums und als dessen Motor in den letzten Jahren eine zunehmende Hinwendung Unterwallney 1990, s. 81. Grasmeier 1980, S. 345. 109 Groß / Geerds 1977, S. 458 ff. 110 Vgl. R. Schmitt 1967, S. 19. 111 Zu den anderen Anwendungen bei der Kriminalitätsbekämpfung, namentlich bei der Spurenkunde, der Tatortfotografie etc. vgl. Groß / Geerds, 1977, S. 458 ff. 112 Groß / Geerds 1977, S. 443. 113 Es besteht aus Bildern von geständigen, überführten oder verdächtigen Personen. Hierbei werden in der Regel drei Bilder vom Kopf der betreffenden Person aus unterschiedlicher Blickrichtung aufgenommen; vgl. Groß / Geerds 1977, S. 461 f. 114 Vahle 1987a, S. 210. 115 Herold 1988, S. 88 f. 107

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zum sogenannten Sachbeweis 116 oder - besser - zum technisch erbrachten Beweis vollzogen. Dabei ist auf die Differenzierung hinzuweisen, die insbesondere K. Peters zwischen Sachbeweis, der eine Sache zum Gegenstand hat, und dem objektiven Personalbeweis trifft, bei dem der Mensch Beweismittel ist, menschliche Tatsachen und Umstände aber ohne Mitwirkung des Betroffenen oder Dritter, sondern in erster Linie durch technische Geräte festgestellt werden 117. Strafprozessual handelt es sich dabei nach überwiegender Meinung um Augenscheinsbeweise ll8 • Die Bevorzugung technischer Beweismittel gegenüber z. B. dem Zeugenbeweis wird mit dem Hinweis auf die größere Zuverlässigkeit, Objektivität und Überzeugungskraft von mit technisch-wissenschaftlichen Mitteln gewonnenem Beweismaterial begründet 119. Dies wird insbesondere von Fotografien 120, Tonbandaufnahmen der Stimme des Täters 121 und in noch höherem Maße von Videoaufnahmen angenommen 122. In diesem Zusammenhang findet sich die Prognose, wonach das Eindringen von Computern und Mikroelektronik in alle naturwissenschaftlichen Untersuchungsbereiche die "stummen Zeugen" zum alleinigen Beweismittel machen und die subjektiven Beweismittel - Zeugen und Sachverständige - zurückdrängen werde. Da ein rechtsstaatliches Interesse an der Ausschaltung von Willkür, Befangenheit und subjektiven Elementen bestehe, sei die "Verobjektivierung, also die Entsubjektivierung des Ermittlungsverfahrens, ... ein wichtiges rechts staatliches Ziel" 123. Die Technisierung des Ermittlungsverfahrens hat über herkömmliche Verfahren der Identifizierung von Tatverdächtigen hinaus zur Erweiterung der polizeilichen Beschaffung von Beweisen geführt: Die herkömmliche Personenund Sachfahndung auf Grund konkreter tat- und täterbezogener Verdachtsmerkmale wird ergänzt durch eine - zeitlich meist vorangehende - systematisierte und automatisierte Suche nach Personen und Sachen, bei der ein theoretisch unbegrenzt großer Kreis zunächst nichtverdächtiger Personen auf Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter Einzelmerkmale hin überprüft wird, um schrittweise 116 Vgl. Busch u. a. 1988, S. 237; Ganschow 1977, S. 485,486; Otto 1984, S. 6 ff.; GörUng 1985, S. 58; Kreß / Kreideweiß 1986, S. 5. 117 Peters 1985, S. 325 f.; nicht differenzierend Weichert 1988, S. 37 m. w. N. 118 Peters 1985, S. 453 m. H. a. BGHSt 27, 135; BGHStI4, 341; a. A. Schmitt 1967, S.21. 119 Busch u. a. 1988, S. 145 f.; Schwinghammer 1980, S. 21 m. Zit. Herold; Kreissl 1981, S. 134 Fn.24 - Hinweis auf Stand und Arten der Kriminaltechnik; Weichert 1988, S. 15 m. H. auf Herold; Leineweber 1979, S. V; ferner Undeutsch 1984, S. 461. 120 Büchler/ Leineweber 1986, S. 148; Knoll 1984, S. 172; Mrozek 1985, S.211; Lang-Hinrichsen 1970, S.4 für Ton und Bild; Vahle 1984, S. 205. 121 J. Hoffmann 1979, S. 217, 220 (Rundfunkfahndung); Anonym 1984, S. 259. 122 Schütz 1987, S. 24; Händel 1980, S. 116; Schmuck 1984, S. 138, 139; Neumann 1986, S. 329, 330; Krüger 1977, S. 249;vgl. auch Kreß / Kreideweiß 1986, S. 5. 123 Herold 1988, S. 67 f.

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einen immer enger werdenden Personenkreis herauszufiltern, auf den immer zahlreichere der für den Täter als charakteristisch angenommenen Einzelmerkmale zutreffen. Auf diesem Wege der gestuften Verdachtsverdichtung sollen "ermittlungsfähige Einzelspuren" gewonnen werden 124. Technisch wird dies z. B. durch automatischen Dateienabgleich erreicht, wofür der Begriff "Rasterfahndung" verwendet wird 125. Bei der negativen und positiven Rasterfahndung 126 wird nicht mehr allein der Verdächtige untersucht; vielmehr wird unter einer Anzahl Unverdächtiger nach bestimmten Kriterien der Personenkreis herausgesucht, auf den die Suchkriterien passen. Mit den Mitteln der elektronischen Bildverarbeitung und Stimmenauswertung wird diese Methode künftig auch für Bild- und Stimmaufnahmen angestrebt.

3. Prävention 127, Vorsorge zur Gefahrenabwehr, vorbeugende Straftatbekämpfung Die Verhütung von Straftaten hat als kriminalpolitische Zielbestimmung seit den siebziger Jahren 128 neue Bedeutung gewonnen 129. Insbesondere die Präven124 Riehle 1988, S. 134, 136 f.; Weßlau 1989, S. 335 zur "operativen Strategie", mit der "die Kriminalität als solche und nicht mehr bloß der Einzeltäter und die Einzeltat bekämpft werden", die allerdings die polizeiliche Vorfeldarbeit zu eng nur unter dem Aspekt der Strafaufklärung (Repression) definiert; zutreffend hingegen Kniesei 1989, S. 5 ff., der den repressiven und präventiven Charakter der Vorfeldarbeit betont. 125 Zur Methode der Rasterfahndung Denninger 1987, S. 157 f. m. N.; zum Datenabgleich bei der Rasterfahndung Rogalll985, S. 4; Riegel 1987, S. 330 zum Abgleich des Fahndungsbestandes mit anderen polizeilichen Dateien; Peters 1985, S.453; Schwan 1982, S. 317; Busch u. a. 1988, S. 140 f. 126 Dazu Busch u. a. 1988, S. 139 f. 127 Vgl. Kauß 1989, S. 45. Die Prävention ist ein vielschichtiger Verbrechenskontrollansatz. Es hat sich in Wissenschaft und Praxis durchgesetzt, zwischen mehreren Arten der Prävention zu unterscheiden. Die Begriffe Primär-, Sekundär-, Teritärprävention, General- und Spezialprävention sowie technische Prävention bezeichnen verschiedene Aspekte der Verbrechensvorbeugung, die sich inhaltlich gelegentlich überschneiden. Generalprävention will alle potentiellen Rechtsbrecher von stratbaren Handlungen abhalten, Spezialprävention hingegen möchte bereits ermittelte Rechtsbrecher zu rechtskonformem Verhalten in der Zukunft bewegen. Primäre Prävention meint diejenigen Vorbeugungsstrategien auf Grund überzeugender Kultur-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Sozialpolitik durch gezielte Beeinflussung der sozialen Lebensbedingungen; ihre Maßnahmen richten sich daher an jedermann; auf diese Weise sollen Bedingungen geschaffen werden, welche die Entstehung von Kriminalität erschweren. Sekundäre Prävention wendet sich an die als potentiell gefährlich beurteilten Personen oder an die gelegentlich Straffälligen, indem sie Gelegenheiten zur Straftatbegehung vermindern soll wie z. B. durch Errichtung technischer oder baulicher Vorkehrungen. Tertiäre Prävention schließlich hat vor allem die strafrechtliche und polizeiliche Rückfallbekämpfung zum Gegenstand. Sie setzt in jedem Falle bereits die Begehung einer Straftat voraus, bezieht sich mithin auf die Verhinderung weiterer Straftaten; die hier angewandten Mittel sind z. B. die Anordnung von Sicherungsverwahrung; vgl. dazu Kaiser 1988, S. 248 ff.; Kube 1986, S. 7 ff., 11 ff. 128 Zur Geschichte des Präventionsgedankens im Strafrecht vgl. Kaiser 1988, S. 247 ff.

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tion mit technischen Hilfsmitteln, durch Überwachungs- und Sicherungstechnik, wird von Vertretern der Polizei als erfolgversprechend angesehen 130. Dahinter steht der plausible Gedanke, wonach es besser ist, Straftaten von vornherein zu verhindern, als bereits begangene Straftaten zu verfolgen und zu ahnden 131. Dies meint der Satz, wonach "Prävention die vornehmste Polizeiaufgabe" sei 132. Zwar gehörte präventives Polizeihandeln stets zum polizeilichen Aufgabenbereich 133; hinzu kam aber eine qualitativ neue Form der Prävention, die duch Begriffe wie pro-aktive Polizei, vom Konditional- zum Zweckprogramm und regelkreisgesteuerte Polizei umschrieben wurde 134. Nach diesen Konzepten sollte anstelle verbrechensabhängiger polizeilicher Reaktionen die Polizei schon zur Stelle sein, bevor die verbrecherische Seite zu handeln vermag und bevor verbrecherische Tatmotive sich vor dem Hintergrund sozialer Verhältnisse entwickeln konnten 135. Dies sollte durch den Einsatz moderner elektronischer Datenverarbeitung ermöglicht werden, mit deren Hilfe das bei den Polizeien vorhandene Informationsreservoir über die soziale Wirklichkeit zusammengetragen, verfügbar gemacht und analysiert werden sollte 136. Aus dem "Informationsprivileg" der Polizei sollte dank der modemen Datentechnologie ein "Erkenntnisprivileg" werden, das die Polizei zur Diagnose befähigen sollte, sicherheitsrelevante Fehlentwicklungen bereits frühzeitig zu erkennen und vorbeugend zu beeinflussen; als Diagnoseinstrument 137, als Prognose- und Erkenntnisinstanz sollte die Polizei anderen Teilen des Staates ihr Wissen zugänglich machen, damit Fehlentwicklungen korrigiert werden können, ohne daß die Polizei noch zu hoheitlichen Mitteln greifen müsse. Es war dies das Konzept der "Forschung statt Fahndung" und der "Prävention durch Information" 138. Die Hoffnung, durch vorbeugende Maßnahmen Kriminali129 Die Überzeugung von der Nützlichkeit präventiver Ansätze geht weit über die Straftatbekämpfung hinaus und ist ein allgemein anerkannter Topos; vgl. zu weiteren Anwendungsgebieten des Präventionsgedankens Werken tin 1985, S. 221. 130 Vgl. dazu Seifert 1987, S. 262, 270; Bäumler 1987, S. 243; Büchnerl Leineweber 1986, S. 147 f.; kritisch Arzt 1976a, S. 433 ff. 131 Die Einteilung der Verbrechenskontrolle in die Verhinderung von Straftaten einerseits und die Verfolgung und Ahndung andererseits wird im Schrifttum kritisiert, da eine Unterscheidung nicht möglich sei (Stümper 1975, S. 49 ff.); diese Kritik ist indessen nicht berechtigt, denn eine Unterscheidung präventiver und repressiver Zwecke ist möglich und sinnvoll. Zwar soll auch die Verfolgung und Ahndung von Straftaten der Verbrechensverhütung dienen; Vorbeugung beschränkt sich in diesem Rahmen aber auf die Prävention weiterer Rechtsbrüche, nachdem bereits eine Straftat begangen wurde. Vor allem aber dient sie der Schuldvergeltung; zutreffend an der Kritik einer Unterscheidung ist aber der Umstand, daß dieselbe Maßnahme sowohl präventiven als auch repressiven Zwecken dienen kann. 132 Prävention als vornehmste Polizeiaufgabe: Stümper 1980, S. 243; Kreissl 1981, S. 131 m. w. N.; P.-A. Albrecht 1986, S. 61, 81. 133 Werkentin 1985, S. 222 ; Riehle 1988, S. 129. 134 Werkentin 1985, S. 222. 135 Werkentin 1985, S. 222. 136 Werkentin 1985, S. 222 f. 137 Riehle 1988, S. 130 mit Hinweis auf Äußerungen von Herold.

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tät zurückdrängen zu können, ist eingebettet in eine breitere gesellschaftstheoretische Strömung, die davon ausgeht, durch Planung gesellschaftliche Prozesse steuern, Fehlentwicklungen zuvorkommen, Entwicklungen diagnostizieren und prognostizieren, vorbeugend intervenieren statt im Nachhinein reparieren zu können 139. In diesem Zusammenhang besteht die Tendenz zur Verknüpfung der Teilnetze sozialer Kontrolle 140. Diese Annahme der Planbarkeit sozialer Entwicklungen kann als konsequente Fortführung des Gedankens Max Webers begriffen werden, wonach die rationale Gestaltung staatlichen und gesellschaftlichen Lebens Kennzeichen des bürgerlichen Rechtsstaats sei 141, freilich auch als Gefahr einer neuen Rationalisierungsutopie zu verstehen sein 142. In Ansehung dieses Konzeptes ist mittlerweile zwar Ernüchterung eingetreten 143. Geblieben ist aber die Stategie einer Präventionspolizei, welche die Sammlung, Auswertung, Speicherung und Übermittlung von Informationen schon "im Vorfeld" 144 von Straftaten, zur "Gefahrenvorsorge" und "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" anstrebt 145, wobei der Inhalt der Begriffe oft dunkel bleibt und synonym verwandt wird. Die Verarbeitung von Informationen war zwar seit je wesentliches Element polizeilicher Arbeit 146. Diese im Vergleich zur herkömmlichen Bekämpfung konkreter Gefahren 147 erweiterte Präventionsstrategien führen indessen dazu, daß auch Nichtstörer und "andere" Personen zunehmend Adressaten polizeilicher Maßnahmen werden. 138 Werkentin 1985, S. 223, Herold 1977, S. 34; Busch u. a. 1988, S. 424,432; Grimm 1986, S. 38 ff.; P.-A. Albrecht 1986, S. 55 ff. 139 Werkentin 1985, S. 220, 221. 140 P.-A. Albrecht 1986, S. 55 ; Riehle 1988, S. 130. 141 Zit. nach Forsthojf 1971, S. 12. 142 Kritisch dazu Gramm 1990, S. 187 Fn. 50. 143 Vgl.Werkentin 1985, S. 224 f. ffi. H. a. Steinke; Riehle 1988, S. 132. 144 Vahle 1984, S. 203; Sielajf 1983, S.419, 421 f.; Stümper 1975, S.52; Stümper 1980, S. 243; Kniesel 1985, S. 130 ff.; R. Keller 1984, S. 521, 526; Lang-Hinrichsen 1970, S. 84 Fn. 77; Riehle 1985, S. 44; Sielajf 1983, S. 419,421 f. 145 Vgl. BVerfGE 17,232 [251 f.]; 30,1 ff.; 49, 89 [140,143]; EGHM NJW 1979, S. 1755, 1756; BVerwGE 26, 169 ff.; VGH München DVR 1985, S. 130, 138 f.; BayVerfGH DVBI 1986, S. 35; VG Frankfurt DVR 1985, S.234; VG Berlin DVR 1985, S. 129; BVerwG NJW 1990, S. 2761 ff.; Schwan 1982, S. 317; Schwan 1985, S. 286, 291 ff., 295, 300; Schäfer 1979, S. 87, 114; Stümper 1965, S. 369; Mösch 1975, S. 337; Riegel 1980a, S. 224 ff.; Riegel 1983, S. 660; P.-A. Albrecht 1986, S. 81; Schoreit 1985, S. 171 ff.; Schoreit 1986, S. 55; Schoreit 1986a, S. 226,227; Seifert 1985, S. 94, 96 f.; Seifert 1987, S. 261 f.; Eigenbrodt 1965, S. 361; Kube 1982, S. 84 f., 86; 6. TB BWLfD, S. 80 ff.; Boge 1982, S. 161, 165; Vahle 1987a, S. 211; Funk/ Werkentin 1985, S. 113, 114 ff.; Krüger 1977, S. 252; Kniesell983, S. 377; Staats 1979, S. 159; Tegtmeyer 1986, S. 12 ff.; Simitis 1987, S. 306; Kniesel1986, S. 252 Fn. 11 ffi. N.; Kaiser 1988, S. 241, 245,247; Riehle 1982, S. 167; Bull1982, S. 4 ff.; Rachor 1989; Meyer 1982, S. 47 ff., 52 ff.; J. Hoffmann 1979, S. 214; Kniesel 1987/88, S. 161; Wagner 1987, Einleitung A. Rn. 18;. 146 Bäumler 1987, S. 236. 147 Zur Abgrenzung zwischen abstrakter und konkreter Gefahr vgl. Staats 1979, S. 155, 158, 162.

B. Kriminalistische Bedingungen

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Diese im "Vorfeld" durchgeführten Maßnahmen, bereiten dem polizeirechtlichen Schrifttum erhebliche Einordnungsprobleme. Sie werden vielfach weder als Gefahrenabwehr noch als Straftataufklärung im herkömmlichen Sinne angesehen. Dadurch wird das bisherige Verständnis der Aufgabenzweiteilung der Polizei in Gefahrenabwehr einerseits und Strafverfolgung andererseits berührt l48 • Auch bereitet es dem Schrifttum zunehmend Schwierigkeiten, strafprozessuales und gefahrenabwehrendes Handeln der Polizei abzugrenzen 149. Dies wird deutlich daran, daß die Begriffe "Repression" und "Prävention" synonym verwendet werden, wie die These erweist, wonach "Repression die beste Prävention" 150 sei und die Auffassung, Prävention und Repression seien nicht unterscheidbare Begriffe, deren Abgrenzung überholt und durch eine die gesamten menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse einbeziehende Kriminalstrategie zu ersetzen seien 151. Polizeiliche Tätigkeit enthalte - insbesondere gegen die organisierte Kriminalität - zugleich in bezug auf die Vergangenheit ein ermittelndes wie hinsichtlich der Zukunft ein verhinderndes Element. Das polizeiliche Einschreiten sei somit wesensmäßig weder repressiv noch präventiv, sondern im Grunde operativ. Dieser Begriff des Operativen sei ein Oberbegriff, der eine neue Art polizeilichen Tätigwerdens bezeichne 152. Freilich geht die nunmehr vom Bundesverwaltungsgericht angeführte Hauptmeinung 153 bei der Lösung der Abgrenzungsfrage von der doppelten AufgabensteIlung der Polizei zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aus. Entsprechend dieser doppelten AufgabensteIlung könne ein und dieselbe Maßnahme stets gleichzeitig beide Zwecke verfolgen, also "Doppelfunktionalität" aufweisen. Zur Abgrenzung von Maßnahmen der Strafverfolgung und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, die der Polizei nach § 163 Abs. 1 StPO zugewiesene Aufgabe der Erforschung und Aufklärung von Straftaten setze nach § 152 Abs. 2 StPO das Vorliegen eines konkreten Tatverdachts voraus. Fehle es daran, diene die Maßnahme nicht der Strafverfolgung. Daher gehörten Erhebung, Speicherung und Verwendung personenbezogener Daten ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren stets zur der Polizei Vgl. zum Problem der Abgrenzung Schwan 1979, S. 109 ff. Versuche, "operatives" Vorgehen der Polizei zu qualifizieren, unternahmen neuerdings Weichert 1990, S. 73 ff. (antizipierte Strafverfolgung") und Weßlau 1989, S. 335 ("dritte Dimension"). 150 Nachweise des polizeilichen Schrifttums bei Grimm 1986, S. 41; Meyer / Ventzke 1980, S. 180 m. N. Fn.4; Schäfer 1983, S. 56 f. 151 Stümper 1975, S. 49 ff.; ders. 1980, S. 242. 152 Stümper 1975, S. 49 f.; ferner Heußner 1987, S. 231, der davon spricht, zu den drei klassischen Aufgaben der "Gefahrenabwehr", Schutz privater Rechte und vorbeugende Bekämpfung von Straftaten" sei eine neue vierte Aufgabe der "Vorsorge zur Gefahrenabwehr" hinzutreten; die von Kniesell983, S. 377. ohne nähere Begründung geäußerte Ansicht, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als solche können deutlich voneinander abgegrenzt werden, trifft nach alledem nicht mehr ohne weiteres zu. 153 Vgl. Kowalczyk 1989, S. 91 ff., 102 ff. m. w. N. 148

149

4*

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2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

obliegenden Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dies gelte insbesondere auch für vorsorgende oder vorbeugende Verbrechensbekämpfung und für Maßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren, die nach Meinung des Bundesverwaltungsgericht bereits herkömmlicherweise zur Gefahrenabwehr gehörten 154.

4. Begründungsansätze der Strategien zur Kriminalitätsbekämpfung Von der Polizei wurden die dargelegten Strategien bisher mit der Notwendigkeit wirksamer Bekämpfung von Schwerkriminalität, Terrorismus, Drogenkriminalität und organisiertem Verbrechen gerechtfertigt 155 und darauf verwiesen, "Datenschutz" dürfe nicht "Tatenschutz" werden 156. Die Tendenz zur Hinwendung zu "kriminogenen Räumen" oder "Tatkomplexen" wird auch mit dem Argument begründet, es finde eine Veränderung des Tätertyps hin zum "Täter ohne Eigenschaften" statt, der sich aus der normalen Gesellschaft nicht heraushebe l57 • Auf die verfassungsrechtlichen Implikationen der dargelegten kriminalistischen Bedingungen wird an anderer Stelle zurückzukommen sein 158.

c. Psychologische Bedingungen I. Angst vor moderner Technik in den Händen des Staates 1. Hinweise in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum Gesellschaft und Persönlichkeit des Einzelnen können durch die Anwendung einer zur Überwachung geeigneten Technologie, insbesondere durch ihre psychologischen Wirkungen, beeinträchtigt werden. Rechtsprechung und Schrifttum haben im Zusammenhang mit optischen und akustischen Überwachungsinstrumenten sowie der elektronischen Datenverarbeitung wiederholt auf das Entstehen von Ängsten aufmerksam gemacht. Diese Vermutungen werden auch in bezug auf die Videotechnologie geäußert. 154 BVerwG NJW 1990, S. 2765,2767, 2769m. w. H.aufdieh. M. und die Gegenmeinung; a. A. Merten 1992, S. 355. 155 Vahle 1983, S. 1 ff.; Busch u. a. 1988, S. 416 ff.; Bäumler 1987, S. 258; vgl. auch Walz 1990, S. 140 m. w. N. 156 BMI Zimmermann 1985, S. 117; BayVerfGH DVBI 1986, S. 35; Kniesei 1983, S. 374; Rogall 1985, S. 27; Schoreit 1987, S. 153; kritisch Schwan 1987, S. 281. 157 Vgl. Busch u. a. 1988, S. 236 N. aus dem polizeilichen Schrifttum. 158 Unten 5. Kap. A, C, D, E; 6. Kap. All, 2, A 11 1, 2, A III, A IV 1, 2, A IV 2 b dd (2), E.

C. Psychologische Bedingungen

53

Das Bundesverfassungsgericht führte in bezug auf die Anfertigung heimlicher Tonbandaufnahmen privater Gespräche aus, die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation würde gestört, wenn ein jeder mit dem Bewußtsein leben müßte, daß jedes seiner Worte bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang hervorgeholt werden könnte, um mit ihrem Inhalt, Ausdruck und Klang gegen ihn zu zeugen 159. Zuvor hatte bereits der Bundesgerichtshof in Zivilsachen dargelegt, es müsse eine Verkümmerung in der Entfaltung seiner Persönlichkeit bedeuten, wenn der Teilnehmer eines Gesprächs befürchten müßte, ohne sein Wissen auf jede Wendung eines Gesprächs, ja auf den Klang seiner Stimme mit allen Besonderheiten und Unvollkommenheiten festgelegt zu werden. Mit dieser Befürchtung sei untrennbar das Gefühl ständigen Argwohns und Mißtrauens verbunden. Damit wäre für die zur menschlichen Natur gehörende vertrauensvolle Auseinandersetzung mit dem Mitmenschen verbaut. Müßte man sich angesichts der technischen Entwicklung resignierend damit abfinden, daß Gespräche heimlich abgehört und mittels Tonträgers festgehalten werden, so wäre der technische Fortschritt einer präzisen Gesprächsfixierung mit dem hohen Preis eines Schwindens der Unbefangenheit der menschlichen Beziehungen und einer einschneidenden Behinderung der Persönlichkeitsentfaltung erkauft 160. In der Volkszählungsentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die EDV ausgeführt, mit dieser hätten sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsichts- und Einflußnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen könne, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermöge, könne in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Wer unsicher sei, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden, werde versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechne, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, werde möglicherweise auf eine Ausübung seiner Grundrechte verzichten l61 • Das Bundesverwaltungsgericht 162 und das Bundesarbeitsgericht 163 haben im Zusammenhang mit der Installation von Videoanlagen in Unternehmen davon gesprochen, daß ein Beschäftigter, der befürchten müsse, während der Arbeit mit Hilfe technischer oder elektronischer Kontrolleinrichtungen jederzeit beob159

160 161 162 163

BVerfGE 34, 238 [246 f.]. BGHZ 27, 284 [288]. BVerfGE 65, I [42 f.]. BVerwG DVBI 1989, S. 200 ff. BAGE 51, 143, 150.

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

54

achtet oder in anderer Weise kontrolliert zu werden, unter einen Überwachungsdruck geraten könne, der ihn in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit behindere. Der Überwachungsdruck erhöhe sich durch die Einbeziehung technischer Einrichtungen in die Überwachung. Im Zusammenhang mit der Hinwendung zu präventiven Ansätzen und zu Konzepten der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung wird im Schrifttum vermutet, daß die Technisierung der Polizei zu Ängsten und zur Entfremdung sowie zu Vertrauensverlusten zwischen dieser und den Bürgern führe 164. Das sei insbesondere aus der jüngeren deutschen Geschichte zu erklären. Darüber hinaus schmälere die Überwachung und Registrierung des Einzelnen dessen persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten und erhöhe seine Abhängigkeit. Wenn der Einzelne sich beobachtet und registriert wisse, gerate er unter eine psychologische Zwangswirkung, die von dem Gefühl des ständig Überwachtwerdens ausgehe 165. Der Einzelne werde sich mehr oder weniger bewußt darauf einstellen und sich den an ihn gestellten Erwartungen anpassen 166. Vielfach genüge schon das Bewußtsein der Existenz bestimmter Informationssysteme, um mehr oder minder weitreichende Verhaltensänderungen des Einzelnen zu verursachen 167. Nach anderen Stimmen in der Literatur verstärke sich beim Bürger zunehmend das Gefühl, daß er die Zusammenhänge nicht mehr vollständig erfassen könne und daher den Experten ausgeliefert sei 168. Die Furcht vor dem Ausgeliefertsein gegenüber den oft unsichtbaren Herrschern über die Daten bestätige und verstärke die den Menschen innewohnende Urangst vor undurchschaubarer und unkontrollierbarer Elektronik 169. Meinungsumfragen bestätigen die verbreitete Angst vor der Technik insgesamt 170 und speziell der Datenverarbeitungstechnik 171; diese Angst wird gelegentlich als eine Grundstimmung der politischen Stimmungslage kritisiert 172 oder als "überbordende Datenschutzhysterie" 173 oder "Überwachungsparanoia" 174 bezeichnet.

164 165

166 167 168 169

170

Feltes 1988, S. 154. Schwan 1987, S. 288. W. Schmidt 1974, S. 245. Vgl. Vogelgesang 1987, S. 125. Bei Vogelgesang 1987, S. 29 ff., 35 ff. Benda 1974, S. 27; ders., 1984, S. 87. Vogelgesang 1987, S. 31.

171 Bei einer Bevölkerungsumfrage 1987 (EMNID-Institut) wurde die Gefährdung durch Mißbrauch persönlicher Daten auf einer Skala von 1 (sehr gering) bis 5 (sehr stark) mit 2.6 bewertet; im Vergleich dazu wurde die Angst vor Schädigung durch gewalttätige Demonstranten mit 1.8 eingestuft; zit. nach Rupprecht 1989, S. 299 Fn. 17. 172 Isensee DÖV 1983, S. 565 ff., 567 (zit. nach Vogelgesang, 1987, S. 34). 173 Krause 1984, S. 270. 174 Kreissl 1981, S. 136.

C. Psychologische Bedingungen

55

2. Erkenntnisse der Psychologie a) Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit Die dargestellten Thesen in Rechtstprechung und Literatur zu den psychologischen Auswirkungen moderner Überwachungs-Technologien beruhen zum Teil auf Alltagstheorien, zum Teil aber auch auf Erkenntnissen der Psychologie als der für Ängste zuständigen Wissenschaft. Deshalb ist es erforderlich, den Stand der psychologischen Forschung auf diesem Gebiet zur Kenntnis zu nehmen. Im Jahre 1971 meinte Miller in bezug auf psychologische Auswirkungen des Eindringens in die Privatsphäre durch den Einsatz technischer Instrumente, die "Psychologie der Privatsphäre" sei praktisch noch völlig unerforscht, man wisse noch nichts darüber, wie diese Praktiken den Menschen beeinflussen 175. Gegenwärtig verfügt die psychologische Forschung über erste Erkenntnisse in bezug auf Reaktionen von Personen, deren Lebensäußerungen mit Kameras und Tonbandgeräten registriert werden. Die Hypothese, daß der Mensch sein Verhalten ändere, wenn er mit elektronischen Aufnahmegeräten konfrontiert wird, veranIaßte Forscher zur Durchführung entsprechender Versuche, die die vorwissenschaftlichen (Alltagstheorien) Vermutungen weitgehend bestätigen. Ihre Ergebnisse führten zu einer der neuesten Theorien in der Psychologie, der "Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit" 176. Sie geht davon aus, daß Menschen durch Konfrontation mit Stimuli wie etwa Kameras oder Tonbandaufnahmen der eigenen Stimme so reagieren, daß sie die eigene Person als Objekt wahrnehmen. Dieser Zustand wird als "auf das Selbst konzentrierte Aufmerksamkeit ("self focused attention") oder als "objektive Selbstaufmerksamkeit ("Objective Self Awareness") bezeichnet 177, die zu spezifischen Verhaltensweisen bei den Betroffenen führt. Experimentell wurde objektive Selbstaufmerksamkeit durch Anbringen von Spiegeln, Kameras und Abspielen eines Tonbandes mit der eigenen Stimme der Versuchsperson hervorgerufen. Aber bereits allein das Wissen oder die Vermutung, von anderen beobachtet zu werden, führt zu einer verstärkten Selbstreflexion. Der Zustand der Selbstreflexion bewirkt, daß sich Personen bei objektiver Selbstaufmerksamkeit der Diskrepanz zwischen internen Standards und tatsächlichem Verhalten stärker bewußt werden. Die Folge" ... ist eine Motivation, diese Diskrepanz zu reduzieren. In den meisten Fällen wird dies eine Änderung des Verhaltens in Richtung auf einen spezifischen ... Standard der Korrektheit A. R. Miller 1971, S. 57; ferner Kamlah 1969, S. 32 ff. Vgl. Frey / Wicklund / Schreier 1984, S. 191; diese neue psychologische Theorie kann als Fortführung und Konkretisierung der von E. Goffman beschriebenen Theorie 175

176

des sozialen Interaktionismus angesehen werden, die darlegt, daß durch von außen verursachte Ungewissheit und Unsicherheit beim Betroffenen entweder eine Anpassung an von ihm vermutete Verhaltens standards oder Vermeidung bedrohender Situationen zu beabachten ist; Goffman 1978, S. 21, 24, 130 f.; vgl. dazu die Interpretation bei Amelung / Tyrell 1980, S. 1560. 177 Frey u. a. 1984, S. 192.

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

56

bedeuten ... " 178. Diese Diskrepanzreduktion kann sich einmal in direktem Verhalten äußern, wobei versucht wird, die Diskrepanz zu minimieren, und zum anderen auch in Defensivreaktionen, mit deren Hilfe versucht wird, Verantwortung für selbstbedrohende Informationen und Ereignisse abzulehnen. Eine weitere Reaktion auf erkannte Diskrepanz besteht darin, daß die selbstaufmerksame Person die Selbstaufmerksamkeit erzeugenden Stimuli zu vermeiden sucht 179. Insbesondere verhalten sich Personen unter diesen Bedingungen dann weniger aggressiv als sonst, wenn nichtaggressives Verhalten als Standard erwartet wird, und umgekehrt verhalten sie sich aggressiver als sonst, wenn Aggression als "legal" vorgegeben wird 180. Dabei wird die Tendenz zur Einhaltung von als "legal" angesehenen Normen führen. Die Konformität mit als wichtig angesehenen Gruppennormen wird mithin verstärkt 181. Andererseits führt der durch Situationen der objektiven Selbstaufmerksamkeit entstehende Anpassungsdruck bei betroffenen Personen oft dazu, der Situation zu entkommen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Einhaltung der vorgegebenen Normen für den Betroffenen nicht erreichbar ist, weil die Standards zu hoch sind. "Die erste Art des Entkommens ist die Vermeidung der Stimuli, die Selbstaufmerksarnkeit erzeugen. Bei negativer Diskrepanz sagt die Theorie eine Vermeidung von Spiegeln, Kameras und ähnlichen Stimuli vorher" 182. Diese Reaktionen finden ganz unabhängig von kalkulierten oder vermuteten Nachteilen der Überwachung wie Registrierung und dergleichen statt. Solche Erwartungen dürften aber die dargelegten Reaktionen mit großer Sicherheit noch verstärken. b) Theorie der autonomen Selbstdarstellung. Rollentheorie und kommunikationstheoretischer Ansatz

Eingeschränkt gehören auch die älteren sozialpsychologischen Theorien in diesen Zusammenhang, die zwar nicht die speziellen Wirkungen optischer Überwachung untersuchen, sondern allgemeiner die Bedingungen ungestörter Kommunikation als Voraussetzung freier Persönlichkeitsentfaltung in den Blick genommen haben. Diese Theorien sind bereits durch die Datenschutzdiskussion unter der Bezeichnung Theorie der autonomen Selbstdarstellung, Rollentheorie und kommunikationstheoretischer Ansatz bekannt geworden 183.

178 179 180 181 182

183

Frey u. a. 1984, S. 203. Frey u. a. 1984, S. 193 f. Vgl. Frey u. a. 1984, S. 204 f. Frey u. a. 1984, S. 208. Frey u. a. 1984, S. 209. Vgl. ausführlich dazu Rohlf 1980, S. 47 ff.

ffi.

w. N.

c. Psychologische Bedingungen

57

Die Rollentheorie 184 geht davon aus, Privatsphäre bedeute nicht Ausgrenzung aus der Öffentlichkeit, sondern bestehe auch in der Öffentlichkeit durch Übernahme unterschiedlicher Rollen durch den Einzelnen in verschiedenen Lebensbereichen, deren Schutz von Verfassungs wegen gewährleistet werden müsse. Die Theorie der autonomen Selbstdarstellung nimmt an, es komme für die Persönlichkeitsentfaltung weniger auf den Schutz der Privatsphäre, sondern darauf an, daß der Einzelne selbstverantwortlich und frei über sein Verhalten auch in der Öffentlichkeit - entscheiden könne. Eine weitere Ansicht versucht, Persönlichkeitsschutz als Möglichkeit der ungestörten Kommunikation zu begreifen, deren Voraussetzungen zu schützen seien 185. Die Ausbildung der individuellen Persönlichkeit vollziehe sich von einem frühen, rechtlich unerheblichen Zeitpunkt individueller Kindheitsentwicklung an in Kommunikation, in Informationsaustausch mit anderen. Privatheit sei keine Sache des isoliert gedachten Individuums, die durch Kommunikation mit anderen, durch einen Sozialbezug verlorengehe. Privatheit sei eine mögliche Eigenschaft des Umgangs mit anderen 186. Nach den skizzierten Theorien stellen staatliche Überwachungsmaßnahmen sowie Datenerhebungs- und -verarbeitungsmaßnahmen grundsätzlich und unabhängig von der Privatheit und Intimität des beobachteten Lebenssachverhalts eine Störung von Kommunikations- und Verhaltenszusammenhängen dar, die zu Ängsten bei den Betroffenen führen können.

11. Sicherheitsbedürfnis und Verbrechensangst Allerdings wird nicht allein auf Ängste vor staatlicher Überwachung aufmerksam gemacht; es gibt auch Ängste vor zuwenig Sicherheit 187. Die Verbrechensangst, also die Befürchtung, selbst Opfer einer Straftat zu werden, bewegt einen beachtlichen Teil der Bevölkerung. Nach Einstellungsforschungen 188 und demoskopischen Umfragen 189 gehört die Verbrechensbekämpfung zu den drei bis vier Hauptaufgaben, die 90 % und mehr der Bevölkerung als staatliche Leistung 184 Einen Überblick über die Entwicklung des rollentheoretischen Ansatzes in der Soziologie gibt Schülein 1989, S. 481 ff. 185 Zu alledem ausführlich und mit Nachw. Rohlf 1980, S. 23 ff., 47 ff., 55 ff., 59 ff. 186 Podlech 1989, S. 265 ff. 187 Insoweit wird von der subjektiven Sicherheitslage gesprochen, die durchaus von der objektiven Sicherheitslage abweichen kann; vgl. Busch u. a. 1988, S. 436 ff. 188 Busch 1988, S. 436. 189 Rupprecht 1989, S.299 m. N.; Bei einer Bevölkerungsumfrage 1987 (EMNIDInstitut) wurden die im polizeilichen Aufgeabenbereich liegenden Gefahren auf einer Skala von 1 (sehr gering) bis 5 (sehr stark) zwischen 1.8 (Schädigung durch gewalttätige Demonstrationen) bis 3.1 (Verkehrsunfall) eingestuft. Im Vergleich dazu wurde die Gefährdung durch Mißbrauch persönlicher Daten mit 2.6 bewertet. Am sichersten fühlten sich die Befragten zu Hause, am unsichersten in Parkhäusern.

2. Kapitel: Geltungsbedingungen des Grundgesetzes

58

erwarten. Das Bedürfnis nach Sicherheit gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen 190. Als wesentliche Ursachen des Unsicherheitsgefühls und der Angst vor Straftaten nennt Arzt Unsicherheitsgefühl durch spektakuläre Einzelfälle, Gettounruhen, Studentendemonstrationen und Generationskonflikt sowie Erleben von Konfrontationen und offenen kriminellen und nichtkriminelIen Rechtsverletzungen 191. Ignorierte der Staat Sicherheitsgefühl und Verbrechensangst, könnten Gefahren für die staatliche Integrität durch Aufweichung seines Gewaltmonopols durch Tendenzen zur Selbstjustiz entstehen 192 und sich bei Bürgern die Versuchung ergeben, nach anderen Staatsformen Ausschau zu halten oder jedenfalls Abwandlungen der Demokratie zu suchen, von denen man annimmt, daß sie mit dem Problem der Kriminalität leichter fertig werden würden 193. Gelegentlich wird versucht, die Aufhebung der Spannung zwischen "Freiheit und Sicherheit" mit dem Hinweis aufzuheben, die Sicherung der Freiheit erfordere einen "starken Staat". Andernfalls müsse "exekutive Ohnmacht diesen Staat auf mittlere oder auf lange Sicht zum Erliegen bringen" 194. Der Begriff des "starken Staats" ist indessen zu unscharf, um zur Problemlösung beitragen zu können. Auf die verfassungsrechtlichen Konsequenzen der dargelegten psychologischen Bedingungen wird an anderer Stelle einzugehen sein 195.

Rupprecht 1989, S. 299 ffi. w. N. Arzt 1976, S. 13 ff. Diese Einteilung bezieht sich zwar auf die USA; Arzt sieht aber keine grundlegenden Unterschiede zur Bundesrepublik Deutschland; vgl. ebenda, S. 134 ff. 192 Busch u. a. 1988, S. 436 ffi. w. N. 193 So bereits Benda 1972, S. 268 f. 194 So Filbinger 1987, S. 19. 195 Unten 5. Kap. A, C, D, E; 6. Kap. A I 1,2, A II 1,2, A III, A IV 1,2, A IV 2 b dd (2). 190 191

Drittes Kapitel

Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie bei der Kriminalitätsbekämpfung A. Das visuell-akustische Instrumentarium der Polizei Im Geltungsbereich des Grundgesetzes finden die Aufzeichnung und Überwachung von Personen mit Hilfe der Videotechnik zu Zwecken der Straftatbekämpfung in Ton und Bild in größerem Umfang soweit ersichtlich seit Mitte der 70er Jahre mit zunehmender Intensität statt; ihre Anwendung gehört zum derzeitigen polizeilichen Instrumentarium I. Von der kriminalistischen Praxis werden als besonders vorteilhaft angesehen die videographische Vereinigung von Bild (Aussehen, äußere Merkmale), Film (Bewegungsbesonderheiten, Gebärden) sowie Ton (Stimme, Tonfall Akzent) und als "untrügerische, naturgetreue Wiedergabemöglichkeit" geschätzt 2. Allerdings fanden Videokameras bereits im Jahre 1958 bei der Polizei Verwendung. Damals wurden in München an 17 Verkehrsschwerpunkten stationäre Fernsehkameras angebracht, die mit einer Zentrale verbunden waren und Informationen über die aktuelle Verkehrsbelastung lieferten 3 • In den darauf folgenden Jahren wurden in weiteren Großstädten der Bundesrepublik Fernseh-Überwachungssysteme zur Verkehrslenkung installiert4, die neben Bildüberwachung auch Tonüberwachung ermöglichten 5 • Neben fest installierten Anlagen verfügte die Polizei ab 1964 auch über mobile Fernsehaufnahmewagen 6 , die in einem Lkw installiert waren; die aufgenommenen Bilder konnten ins Lagezentrum gefunkt und mit Hilfe eines Bildspeichers festgehalten werden 7. Die Anlagen sollten Lücken der stationären Videoüberwachung des Straßenverkehrs ausfüllen. Willkommen war auch die mögliche Verwendung bei größeren Menschenansammlungen, Aufmärschen, Versammlungen unter freiem Himmel, Streiks, KraVahle 1987, S. 4; Weichert 1988, S. 7 ff. m. w. N. Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 346. 3 Weichert 1988, S. 7; Kistler 1965, S. 166. 4 Frankfurter Rundschau v. 17.12.1976; SternsdorJf 1983, S.61; Horvarth 1984, S.16. 5 Weichert 1988, S. 8. 6 Schmuck 1984, S. 138; Neumann 1986, S. 329. 7 Weichert 1988, S. 8. 1

2

60

3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

wallen oder ähnlichen Vorgängen 8• Diese Technik wurde aber von der Polizei zunächst als noch zu wenig ausgereift für den Einsatz bei der Kriminalitätsbekämpfung angesehen 9 • Namentlich im Zusammenhang mit der Ausstattung von Banken und Geldinstituten mit optischen Überwachungsgeräten zur Verhinderung und Dokumentation von Banküberfällen in den 60er Jahren wurden Videokameras herkömmlichen Fotoapparaten als unterlegen angesehen 10. Diese Auffassung, die auf der damals noch unzureichenden Bildqualität und umständlichen Bedienung der Kameras beruhte, wurde mit der Entwicklung von optisch und elektronisch verbesserten Überwachungskameras sowie kleinen, tragbaren Videokameras mit eingebautem Aufzeichnungsgerät ("Camcorder") aufgegeben 11. Die Miniaturisierung sowie die Verbesserung der Bild- und Tonqualität führten zur leichteren Handhabbarkeit und als Folge davon zur vermehrten Verwendung bei den Polizeien im Bund und den Ländern. Die Polizeien in Bund und Ländern verfügen über modernste Geräte der Videotechnik für den mobilen und stationären Einsatz 12. Gegenwärtig wird namentlich durch eine "Gruppe Tatortdienst" des Gemeinsamen Landeskriminalamts (GLKA) versucht, den Stand dieser Technik den Polizeien in den fünf neuen Bundesländern zugänglich zu machen 13. Für den Bereich der Videotechnik trifft die Beobachtung, wonach die Ausrüstung der Polizei regelmäßig nicht dem neuesten Stand der Technik entspreche 14, nicht zu. Insbesondere stehen Videogeräte mit Zoomkamera und synchroner Sprachaufzeichnung zur Verfügung. Es besteht die Möglichkeit, Bildausschnitte zu vergrößern (sog. "Rastervergrößerung") 15, Videoaufnahrnen nachträglich durch Aneinanderreihen von Teilen einer Videodokumentation, durch Einfügen von Teilen in eine Videodokumentation, durch Nachvertonen und Kommentarbesprechen, durch Vervielfältigung und Wechsel des benutzten Videosystems zu bearbeiten. Videodrucker ermöglichen den Ausdruck von Videobildern für die Aktenhaltung 16. Zur Verbesserung der Dokumentation und Beweissicherung sollen die vorhandenen Videoübertragungssysteme 17 ausgebaut und auf die polizeiliche Aufgabenerfüllung angepaßt Weicher! 1988, S. 8. Gössner / Herzog 1984, S. 197 f. 10 Vgl. Bömer 1980, S. 433; Mrozek 1985, S. 210; vgl. auch Mrozek 1985a, S. 332; Anonym 1985, S. 233; Schmuck 1988, S. 138 f.; Schäfer 1989, S. 22; Hubmann 1957, 8

9

S.755. II 12

13

14

Gössner / Herzog 1984, S. 198. Jasper 1991, S. 201 ff. Jasper 1991, S. 201,202 ff. Braun 1990, S. 49; Schmuck 1984, S. 138; Neumann 1986, S. 329; Kreß / Kreide-

weiß 1986, S. 4 ff. 15 16

Vgl. Hamburg. Bürgerschafts Drs. 11/2808.; Gössner / Herzog 1984, S. 197 f.

Anonym 1991, S. 113.

17 Die Polizei kann Videosignale gegenwärtig drahtgebunden und drahtlos über mittlere Entfernungen hinweg (auch in Farbe) übertragen, vgl. Jasper 1991, S. 203; Ristow 1986, S. 663.

A. Das visuell-akustische Instrumentarium der Polizei

61

werden. So wird z. B. gefordert, ein Videosystem bereitzuhalten, das den Einsatz von Aufnahmeteams hinter Schutzschildern und Kraftfahrzeugen ermöglichen soll 18 • Darüber hinaus besitzt die Polizei Datenverarbeitungsanlagen und ein eigenes Kommunikationsnetz, welche künftig verstärkt für die Übertragung und Verarbeitung visueller und akustischer Informationen genutzt werden sollen 19. Über den Umgang mit Videoaufnahmen in Form von herkömmlichen Videokasetten und -bändern hinaus ist daher bereits gegenwärtig und mehr noch künftig die elektronische Verarbeitung von Videomaterial bei der Polizei möglich. Zusätzlich wird den Polizeien das Telekommunikationsnetz der Bundespost und die darauf möglichen Dienste der Bild- und Tondatenübertragung zur Verfügung stehen. Auf diese Weise ist es denkbar, daß die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt, oder sämtliche größeren Polizeidienststellen durch das öffentliche Netz miteinander verbunden werden 20. Schließlich können sie zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben dieses Netz abhören (Telefax, Btx etc.) und die in ihm fließenden Informationsströme in einer Weise nutzen, die der gegenwärtig bekannten Telefonüberwachung analog wäre, und auf diese Weise Zugriff auf Bilder und Texte bekommen. Auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung finden schon gegenwärtig automatische und halbautomatische Verfahren zur Erkennung von menschlichen Stimmen und Gesichtern (Mustererkennungsverfahren) zu Zwecken der Identifizierung und Überführung von Personen Anwendung 21 • Nachdem noch im Jahre 1980 geäußert wurde, die "echte Anwendung von Mustererkennungsverfahren" befinde sich in der Kriminalistik noch am Anfang 22, stehen heute Geräte und Programme zur elektronischen Abspeicherung und Auswertung von Stirnm- und Bildaufnahmen für Zwecke der Straftatbekämpfung zur Verfügung, deren Entwicklung auch wegen des angeblichen Nachlassens der Leistungskraft der Daktyloskopie unternommen wurde 23 • Diese Tendenz zur elektronischen Verarbeitung menschlicher Bilder und Stimmen wird sich künftig aller Voraussicht nach verstärken. Beim BKA wird ein Verfahren eingesetzt, das die halbautomatische Identifizierung sog. kooperativer Sprecher, d. h. desjenigen, der seine Stimme nicht verstellt, ermöglicht; auch die - für die Polizeiarbeit wichtige - Erkennung nichtkooperativer Sprecher ist gelöst worden 24. Bei der Sprecheridentifizierung oder Sprecher18 19

20 21

Unterwallney 1990, S. 112. Unterwallney 1990, S. 86 ff., 101, 112. Kubicek / Ralf 1986, S. 230. Haberäcker 1987, S. 2 f.; Niemann 1980, S.25, 27; weitere Anwendungsfelder

sind die Erkennung von Fingerabdrücken und Schriften. 22 Niemann 1980, S. 27. 23 Herold, zit. nach Schwan 1987, S. 286; zur automatisierten Daktyloskopie Herold 1988, S. 70; Wiesel/ Gerster 1978, S. 50 f.

62

3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

erkennung geht es darum, einen Sprecher aus einer Vielzahl von Kandidaten zu ermitteln. Seine Stimmprobe muß dazu mit den gespeicherten Stimmaufnahmen verglichen werden, die der Polizei z. B. auf Videoband zur Verfügung stehen 25 • Das zunächst angestrebte Ziel des vollautomatischen Stimmvergleichs durch den Rechner unter den Alltagsbedingungen der Kriminalitätsbekämpfung wurde zwar nicht erreicht und wird dies auch in nächster Zukunft nicht werden 26; Stimmaufnahmen können aber elektronisch abgespeichert und durch automatische Recherchesysteme mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden. Das auf diese Weise gefundene Vergleichsmaterial kann dann in weiteren Schritten anhand zusätzlicher Methoden der Stimmidentifizierung auf Übereinstimmung überprüft werden 27. Dieses Verfahren hat sich mittlerweile in weit über tausend Kriminalfällen bewährt 28 • Verfahren der Stimmaufzeichnung, wie die Videotechnik und ergänzende Methoden der Stimmidentifizierung, sind kriminalistisch von besonderer Bedeutung, da die menschliche Stimme immer häufiger bei der Tatbegehung, wie z. B. bei telefonischen Erpressungen, Bombendrohungen, Bankraub aber auch bei terroristischen Gewalttaten, Tötungsdelikten, Raub, Sprengstoffanschlägen, Einbruch, Landesverrat, Drogenmißbrauch und Menschenhandel benutzt wird 29. Auf den Inhalt der gesprochenen Worte kommt es bei der Identifizierung nicht mehr entscheidend an, da die Stimmaufnahmen anband von Spektralanalysen, Oszillogrammen und rechnergestützten Grundfrequenzanalysen in ihrer physikalischen Eigenart erkannt werden 30. Entsprechendes gilt für die Verarbeitung von Bildmaterial. Hier gibt es im Bundeskriminalamt Bemühungen, die Individualität der menschlichen Physiognomie maschinenlesbar zu machen, indem für jede der Polizei vorliegende Portraitaufnahme auf Grundlage des von Mensch zu Mensch unterschiedlichen Augenabstands, Nasenlänge, Stimbreite etc. mathematische Formeln entwickelt werden, die genauso einmalig wie der Fingerabdruck sind 31. Das im kriminaltechnischen Institut des BKA entwickelte videotechnische Instrumentarium wurde in der Praxis bereits erprobt. Die Firma IBM hat für den polizeilichen Einsatz ein System entwickelt (SIGMA), das zu einem Phantombild ähnliche Bilder aus einem elektronischen Verbrecheralbum heraussucht oder auch selbst Phantombilder erstellt 32 • Da Straftäter 24

25 26 27

28 29 30

31 32

Künzel 1987, S. I ff.; Künzel 1987a, S. 11. Van der Gietl Künzel 1981, S. 343. Künze11987, S. 3; van der Giet 1987, S. 125. Van der Giet 1987, S. 121 ff., 126 ff. Künze11987, S. 4; ders. 1985, S. 120. Künzel 1985, S. 120. Künze11987, S. 6. Schwan 1987, S. 286 f. Vgl. dazu Bernhardt 1988, S. 6.

A. Das visuell-akustische Instrumentarium der Polizei

63

unter anderem als Reaktion auf verstärkte optische Überwachung z. B. bei Banküberfällen oder bei Versammlungen dazu übergegapgen sind, sich zu maskieren, entwickelt die Polizei gegenwärtig ergänzende Verfahren zur optischen Identifizierung vermummter Personen. In diesem Zusammenhang ist ein anthropologisches Forschungsprojekt aus jüngster Zeit von Bedeutung, das neben der Bestimmung unverwechselbarer Merkmale des menschlichen Gesichts auch die menschliche Hand einer Identitätsermittlung zugänglich macht. Untersuchungen haben erwiesen, daß die Hand eines Menschen durch spezifische morphologische Formprägungen individualisierbar ist. Insbesondere Finger und Handrücken weisen unverwechselbare Eigentümlichkeiten auf. Hierbei liefern die spezifischen Formprägungen des Daumens besonders beweiskräftige Hinweise zur Identität der Person. Darüber hinaus können unter Umständen auch bestimmte Gesten der Hand, die im Videofilm festgehalten wurden, selbst beim Tragen von Handschuhen Kriterien für die Identifizierung abgeben 33. Mit der Digitalisierbarkeit von menschlichen Bildern und Stimmen ist es möglich geworden, das bereits existierende polizeieigene elektronische Informationssystem (INPOL) durch Bild- und Stimmdaten zu ergänzen; dies soll durch die Entwicklung eines "Bildinformationssystems der Polizei" (BIPOL) geschehen, das eigens zur Videoübertragung gedacht ist 34 . Gegenwärtig gibt es Überlegungen, sowohl das allgemeine Telekommunikationsnetz der Deutschen Bundespost zu nutzen als auch eigene polizeiliche Telekommunikations-Sondernetze aufzubauen. Das als Grundlage hierzu dienende INPOL35 wurde durch Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister / -senatoren des Bundes und der Länder vom 27. Januar 1972 und dem von ihnen am 16. Juni 1972 beschlossenen Programm für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland errichtet, und wird gegenwärtig auf der Grundlage des 1981 von der Innenministerkonferenz beschlossenen Fortentwicklungskonzepts betrieben 36 . Es ist das gemeinsame, arbeitsteilige, elektronische Informations- und Auskunftssystem für die gesamte Polizei in der Bundesrepublik mit dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle 37 und setzt sich zusammen aus Geräten (Hardware), Betriebssystemen und Anwendungsprogrammen (Software), Dateien 38 sowie dem Übertragungsnetz. Im Jahre 1989 verfügte das Netz über 4.000 Computer-Terminals und enthält Datensätze von über 3 Millionen Personen 39. Ziel des Verbundsystems ist es, 33 Schott / Peschke 1989, S. 205 f. 34 Wiesel/ Gerster 1978, S. 50 f.; Busch u. a., 1988, S. 143; Bernhardt 1988, S. 6. 35 Neben dem INPOL existieren weitere elektronische Verbundsysteme innerhalb einzelner Bundesländer, vgl. Brendel 1990, S. 87. 36 Brendel1990, S. 86; gegenwärtig ist eine weitere Fortschreibung des Konzepts in Vorbereitung, vgl. Brendel 1990, S. 89. 37 Wiesel/ Gerster 1978, Vorbemerkung; Brendel1990, S. 86 ff.; Küster 1983, S. 20; Kersten 1987,325 ff.

38 Vgl. dazu die Dateienberichte des Bundesinnenministers, in: Frankfurter Rundschau, 28. und 30. April 1979 und 27. März 1980; zu diesen Dateien Wiesel/ Gerster, 1978, S. 17 f.; Kauß, 1989, S. 131 ff., 151 ff.

64

3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

die bei den beteiligten Dienststellen eingehenden oder bereits vorhandenen Informationen den anderen am Verbund beteiligten Dienststellen bei Bedarf sofort über Stromwege (gegenwärtig auch optische Übertragung) zur Verfügung zu stellen 40 • Das System ist für die Befriedigung der gemeinsamen Informationsbedürfnisse der Polizei ausgelegt. Dazu gehört auch der Zugriff auf polizeirelevante Daten in Informationssystemen, die sich außerhalb des Polizeibereichs befinden 41. Die Informationen sollen aktuell und vollständig bereitgestellt werden 42 • Dieser Zweck deckt auch die beabsichtigte Verarbeitung von Bild- und Stimmdaten. Zum Verbundsystem sind das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Polizeidienststellen der Länder, die Grenzschutzdirektion, die Grenzdienststellen des Bundes mit Zustimmung der Grenzschutzdienstdirektion sowie das Zollkriminalinstitut zugelassen. Sonstige Bundes- und Landesbehörden oder ausländische Polizeidienststellen können mit Zustimmung des Bundesministers des Innern und der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder angeschlossen werden. Gegenwärtig werden die technischen Möglichkeiten geschaffen, um auf die nichtpolizeilichen Datenbanken Zentrales Verkehrsinformationssystem, Ausländerzentralregister und Einwohnermeldedateien unmittelbar ("on-line") zugreifen zu können 43. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt unternommene Versuche der Polizei, für die Telebildübertragung Telefax-Geräte heranzuziehen, verliefen noch nicht voll zufriedenstellend. Es gibt aber Überlegungen, wonach sich künftige Telebildanlagen aus leistungsfähigeren Telefaxgeräten zusammensetzen könnten 44. Zusätzlich können visuelle und akustische Informationen über Funkstrecken der Polizei ausgetauscht werden. Bereits gegenwärtig werden z. B. Videobilder, die von Polizeihubschraubern aus aufgenommen werden, aus der Luft zu einer Bodenstation gefunkt. Die funktechnische Ausstattung der Polizei wird daher dauernd ergänzt 45 • Aber auch der herkömmliche Versand von Videobändern mit der Post ist möglich.

B. Praxis der polizeilichen Video-Überwachung Gegenwärtig werden Videogeräte in vielfältiger Weise zur Personenüberwachung bei der Straftatbekämpfung eingesetzt. Der Einsatz reicht über die Durchführung von Observationen und polizeilicher Beobachtung 46 bis hin zur Erfüllung einzelner AufgabensteIlungen. Videoaufnahmen werden mit mobilen Kameras 39

40 41 42 43 44 45

46

Flaherty 1989, S. 71. Wiesel! Gerster 1978, S. 15. Wiesel! Gerster 1978, S. 15; Kauß 1989, S. 44; Breflde11990, S. 89. Wiesel! Gerster 1978, S. 16. Brendel 1990, S. 89. löttkandt 1990, S.1l7. Weichert 1988, S. 13 m. N.; Unterwallney 1990, S. 101 f. Zu den Begriffen Weßlau 1989, S. 83 ff. und 94 ff.

B. Praxis der polizeilichen Video-Überwachung

65

von Beamten zu Fuß, in Fahrzeugen, Polizeihubschraubern sowie mit stationären Videokameras hergestellt, gespeicheit, ausgewertet und mit verschiedenen Nachrichten-Übermittlungstechniken übertragen. AiIerdings ist der genaue Anwendungsumfang nicht bekannt, da Anschaffung und Verwendung der Videogeräte, dem föderalen Aufbau der Polizei entsprechend, dezentral und weitgehend unkoordiniert erfolgt. Sie blieb in der Vergangenheit oft untergeordneten Diensstellen vorbehalten. Auf parlamentarische Anfragen antworteten die Bundesregierung 47 und der Innenminister Baden-Württembergs 48 , Zahl und Typ der in ihrem Kompetenzbereich angeschafften und eingesetzen Videogeräte seien ihnen nicht bekannt. Auf eine parlamentarische Anfrage hin teilte 1984 der damalige Innensenator Lummer mit, daß es im Berliner Stadtgebiet 164 Video-Überwachungsanlagen gab, wobei die Kameras in öffentlichen Gebäuden mitgezählt worden sind 49 • Mittlerweile liegen Äußerungen in der polizeilichen Fachliteratur, in Presse und den Datenschutzberichten vor, die über Erfahrungen mit dem Einsatz von Videokameras bei der Beweissicherung, Dokumentation und Abschreckung von Straftaten berichten S0. Danach werden beim Personen- und Objektschutz die Kameras an geeigneten Stellen offen oder versteckt angebracht und erfassen jeden, der sich in ihrem Sichtfeld aufhält. Die gegenwärtige Anwendungspraxis vermögen die folgenden Beispiele zu illustrieren: Bei den Polizeien des Bundes und der Länder wurden besondere Einsatzeinheiten zur Beweissicherung, Dokumentation und damit auch zur Prävention von Straftaten gebildet. Diese Dokumentations- und Beweissicherungstrupps wurden im erforderlichen Umfang aus- und fortgebildet, so daß nicht nur der sichere Umgang mit der Videotechnik, sondern auch das taktische Denken in der Gesamtkonzeption des jeweiligen Einsatzes gewährleistet ist 51 • Darüber hinaus werden zumindest in Hessen Beamtinnen und Beamte, deren Aufgabengebiet dies erfordert, generell in der Videotechnik geschult, da der jedem Laien mögliche Umgang mit Videogeräten als unzureichend für die polizeiliche Aufgabenerfüllung angeseKleine Anfrage Die Grünen, BT Drucks. 11 /2064; 11 /2108. Antwortschreiben Innenmin. Baden-Württ. an LT Abg. Faßnacht (unveröffentlicht). 49 TAZ v. 2.7.1984 zit. nach Weichert 1988, S. 8. 50 Schütz 1987, S. 24; Vahle 1985, S. 80; Lang-Hinrichsen 1970, S. 89; Kreß / Kreideweis 1986, S. 5; Vahle 1987, S. 4; Schmuck 1984, S. 138; Neumann 1986, S. 329; Kreissl 1981, S. 136; Mende, 1983, S. 11 ff.; Richter 1986, S. 275; Keller 1984, S. 528; Starck 1985, S. 221, 223; Busch u. a. 1988, S. 143; Kniesel1985, S. 134; BVerfG NStZ 1983, S. 84; OLG Schleswig JZ 1979, S. 816; 8. TB BfD S. 25 f.; 9. TB BfD, S. 41 f., 76, 86; 10. TB BfD, S. 22, 49, 99; 6. TB BWLfD, S. 84; 5. TB HbgLfD, S. 75 f.; Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DuD, 1985, 194; Badische Zeitung v. 5.12.1988, S. 26; FAZ v. 11.6.1988; FAZ v. 7.6.1988; Anonym 1985a, S. 29 f.; Bernhardt 1988, S. 5 ff. m. N.; Weichert 1988, S. 4 ff. m. w. N.; kleine Anfrage Die Grünen BT Drucks. 11/2064; 11/2108; ferner BAG NJW 1980, S. 359; BVerwG DVB11989, S.200; Weise 1986, S. 346. 51 Braun 1990, S. 49; Thielmann 1991, S. 148 ff. 47

48

5 Geiger

66

3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

hen wird 52. Beim "Bahnfahndungsprogramm der Deutschen Bundesbahn", welches in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt durchgeführt wurde, erfolgte die Schulung von 500 Bahnpolizeibeamten duch das BKA zur effektiveren Auswertung von auf Bahnhöfen aufgezeichneten Videoaufnahmen 53. Die Aufzeichnung des Geschehens auf Bahnsteigen, im Bereich von Schließfächern, Aufzügen, Stückgutabstellplätzen und Lagerhallen zur Bekämpfung von Diebstählen und Sachbeschädigungen durch die Bahnpolizei, hat wiederholt den Bundesbeauftragten für den Datenschutz beschäftigt 54. Seinen Tätigkeitsberichten ist zu entnehmen, daß auf dem Gelände der Bundesbahn feststehende oder schwenkbare Kameras angebracht sind, von denen Bilder auf Monitore in die Räume der Bahnpolizei übertragen werden. Damit soll die Streifentätigkeit der Bahnpolizei oder sonstige Kontrolltätigkeit ersetzt oder ergänzt werden 55. Die Kamerabeobachtung erfolgte zunächst unter anderem zur Personalersparnis; die Videoanlagen wurden darüber hinaus zur Aufzeichnung des Geschehens und zur Verfolgung von Straftaten genutzt 56. Eines der häufigsten Anwendungsgebiete ist die Überwachung von Versammlungen 57 • Beispielsweise wurden bei der Überwachung einer Großdemonstration am 14. November 1981 in Wiesbaden, an der etwa 120.000 Personen teilnahmen, die Kameras der Stadtwerke Wiesbaden, die normalerweise zur Verkehrslenkung und -überwachung verwendet werden, von der Kriminalpolizei zur Beobachtung der Versammlung genutzt. Das Bundeskriminalamt installierte zusätzlich eine Anlage mit Sender, die Aufnahmen von Demonstranten zu einem Bildspeicher in die Befehlsstelle funken konnte 5S • Bei Fußballveranstaltungen, bei denen es insbesondere auch in den neuen Bundesländern 59 immer wieder zu Gewalttätigkeiten kommt 60 sowie bei sonstigen Großveranstaltungen 61 , werden Videokameras verwendet, die den gesamten Zuschauerraum erfassen können; Zoomobjektive ermöglichen hierbei die zielgerichtete Aufnahme von Gewalttätern; bei Veranstaltungen unter freiem Himmel werden zunehmend in Hubschraubern installierte Kameras eingesetzt 62 • In zahlreichen Großstädten werden die Fußgängerzonen Thielmann 1991, S. 148 und 150. Gössel/Herzog 1984, S. 200 f. 54 8. TB BfD S. 25 f.; 9. TB BfD, S. 41 f., 76, 86; 10. TB BfD, S. 22, 49, 99; vgl. auch 6. TB BWLfD, S. 84; 5. TB HbgLfD, S. 75 f.; Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten, DuD, 1985, 194. 55 Weichert 1988, S. 10 ffi. w. N. 56 Richter 1986, S. 275; Weichert 1988, S. 11 ffi. w. N. 57 Dazu neuerdings Braun 1990, S. 49 ff.; Gössel/Herzog 1984, S. 201; Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 347.; Jasper 1991, S. 202. 58 SternsdorJf 1983, S.46-67; kritisch zu dazu Mende 1983, S. 14 f.; siehe auch Gössel! Herzog 1984, S. 20l. 59 Grigowskil Bonk 1991, S. 35l. 60 Schmuck 1984, S. 138. 61 Weichert 1988, S. 13. 62 Weichert 1988, S. 13 ffi. N. 52

53

B. Praxis der polizeilichen Video-Überwachung

67

ganz oder teilweise erfaßt. Zweck war z. B. das Aufklären von Wandmalereien, von wilden Plakaten, die Bekämpfung von Verschmutzungen und Zerstörungen, mithin die Bekämpfung von Sachbeschädigungen 63. Zur Dokumentation und Aufklärung von Straftaten werden zunehmend im Straßenverkehr Videokameras verwendet. Spezielle, in neutralen Dienstfahrzeugen und -motorrädern montierte Kameras sind in der Lage, das vorausfahrende Fahrzeug und seine Insassen aufzunehmen, über ein Meßgerät seine Geschwindigkeit zu messen und Verkehrsstraftaten wie z. B. Nötigung (§ 240 StGB) und Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c StBG) zu dokumentieren 64 • Bei Observationen 65 wird die Videotechnik von Kriminalisten als "geradezu obligatorisch" empfunden 66 • Die dafür notwendige Einsatztechnik steht der Polizei zur Verfügung 67. Unter Hinweis auf die erforderliche Geheimhaltung des Videoeinsatzes bei Observationen werden deren polizeiliche Anwendungsmöglichkeiten global dahingehend beschrieben, Videokameras könnten wegen ihrer geringen Abmessungen nahezu überall installiert und mit anderen Einsatzmitteln gekoppelt werden und durch Selbstaufzeichnung (Camcorder) oder Fernübertragung (Kabel, Funk) recht brauchbare Observationsergebnisse liefern. Sie seien bereits in (Damen-) Handtaschen und ähnlichen Behältnissen mit Funksendern kombiniert oder in Leuchtreklamen eingebaut worden. Der Videokameraeinsatz ermögliche es, konspirative Treffs ebenso wie die Übergabe von Lösegeld, Hehlerware oder Rauschgift in allen Abläufen beweiskräftig festzuhalten. Stationäre Observationen ließen sich ohne großen Personalaufwand realisieren. Selbst bei ungünstigen Lichtverhältissen, bis hin zu Dunkelheit, ermöglichen spezielle Bildröhren noch brauchbare Ergebnisse 68 • Wird die Überwindung großer Distanzen erforderlich, werden Objektive mit großen Brennweiten eingesetzt, die Aufnahmen aus der Entfernung ermöglichen. Auf diese Weise wurde der Bereich einer Schule, an der sich wiederholt ein Schamverletzer gezeigt hatte, aus etwa 1000 Meter Entfernung von einem Gebäude aus beobachtet und alle sich dort aufhaltenden Personen gut erkennbar und auswertbar aufgenommen 69 • Mobile oder stationäre Videogeräte wurden etwa bei der Observation von Kunden der Frankfurter Hauptpost Ende 1981 bis in den Februar 1982 durch das Bundeskriminalamt mit TAZ v. 2.7.1984 zit. nach Weichert 1988, S. 8. OLG Frankfurt NJW 1990, S. 1308; OLG Düsseldorf NJW 1988, S. 1039; Weichert 1988, S. 9; Schmuck 1984, S. 138; Krage 1987, S. 368; Neumann 1986, S. 329, 332; Badische Zeitung v. 30.5.1990. 65 Observationen werden als planmäßige, unauffällige Beobachtung von Personen oder Sachen zum Zwecke der Erkenntnisgewinnung aus präventiven oder repressiven Anlässen definiert. Ihre Taktik sei stets geheim zu halten; vgl. Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 345 m. H. auf die Polizei-Dienstvorschrift (PDV) 100, Ziffer 2.1.2. und §§ 16, 17 PolG Nordrh.-Westf. 66 Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 346. 67 Jasper 1991, S. 202. 68 Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 345; Jasper 1991, S. 203. 69 Schmuck 1984, S. 139. 63

64

S*

68

3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

dem Ziel eingesetzt, Absender von Bekennerbriefen für Sprengstoffanschläge ausfindig zu machen. Im Zeitraum der Videoüberwachung wurde jeder überwacht, der Post in die überwachten Briefkästen warf 70 • Eine langfristige Videoüberwachung fand gegen eine der mehrfachen Brandstiftung verdächtigten Person statt, wobei von der Polizei über mehrere Monate hinweg durch eine heimlich in einer der Wohnung des Verdächtigen gegenüber liegenden Wohnungstüre eingebaute Videokamera jedes Betreten und Verlassen der Wohnung des Verdächtigen aufgezeichnet wurde, um einen Zusammenhang zwischen Brandlegungszeiten und Ausgang des Angeklagten nachzuweisen 71. Das größte Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte eine vom Bundeskriminalamt im Jahre 1981 durchgeführte Observation ("Aktion-Paddy"). Die Aktion diente der Erprobung des im kriminaltechnischen Institut des BKA entwickelten videotechnischen Instrumentariums. Dabei wurde zum Schutze des amerikanischen Generals Kroesen und anderer Mitglieder des NATO-Führungsstabs vor terroristisehen Anschlägen der "Rote-Armee-Fraktion" in Heidelberg ein Videoüberwachungssystem installiert. An insgesamt 10 Beobachtungspunkten wurden Wohnhäuser und Straßenabschnitte in einem Umkreis von 30 Kilometern observiert. Die verdeckten Kameras waren mit Objektiven verstellbarer Brennweite ausgerüstet, die bis zu lO-fache Vergrößerungen ermöglichten. Über ein eigens installiertes Übertragungsnetz wurden die Videoaufnahmen in Echtzeit zur Aufzeichnung und Auswertung an ein Lagezentrum in der Stadtmitte von Heidelberg weitergeleitet. Als Übertragungsmedien für die Schwarzweiß- und Farbbilder wurden Funk, Laserstrahlen und Telefonkabel verwendet. Die gewonnenen Videoaufnahmen, die von Passanten und Kraftfahrzeugen angefertigt wurden, wurden gespeichert und mit den Datenbeständen der Polizei abgeglichen. Nach Bekanntwerden und Abschluß der Aktion sind die Aufnahmen nach Angaben des Bundeskriminalamts gelöscht worden; eine Speicherung im polizeilichen Informationssystem INPOL habe nicht stattgefunden 72. Schließlich wurde, um Tätern von Sprengstoffanschlägen auf die Spur zu kommen, die zur Tat Wecker eines bestimmten Typs als Zeitzünder verwendet hatten, von Mitarbeitern des Bundeskriminalamts in dreißig Uhrenfachgeschäften in zwanzig Städten Nordrhein-Westfalens Videokameras installiert. Nach Auskunft der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der GRÜNEN seien 82 Käufer dieses Weckertyps ohne ihr Wissen videographiert worden; die Aufnahmen würden im Bundeskriminalamt aufbewahrt 73. Seit Anfang der 80er Jahre wurden automatische Kameras an Grenzübergängen aufgestellt, die Bilder des Einreiseund Ausreiseverkehrs in eine Zentrale übertragen. Dabei sollen die Bildleitungen z. B. am Grenzübergang Suben bei Passau mit dem bayerischen Landeskriminal70 71

72 73

Gössel! Herzog 1984, S. 20l.

BGH NJW 1991, S. 265l.

Weichert 1988, S. 14 m. N.

BT-Drucks. 11 /2129 und 11 /2064; Faßnacht 1988, S. 3.

C. Anwendungs-Szenarien

69

amt und dem Bundeskriminalamt verbunden worden sein 74. Im Zusammenhang mit der Ermittlung von Sachbeweisen werden Tatorte und Tatverdächtige videographiert. Insbesondere die Dokumentation von Vernehmungen und das Abspielen von Videoaufnahmen Verdächtiger vor Zeugen (Wahlgegenüberstellungen), die bei einer Vielzahl von Fällen zur Vermeidung von Reisekosten zweckmäßig sein kann, finden in immer stärkerem Maße Anwendung 75 • Darüber hinaus wird mit Videobildern von Bankräubern, die von Kameras in den Banken aufgezeichnet wurden, über die Massenmedien gefahndet 76. Die Kundenüberwachung in Banken und Kaufhäusern durch Private erfolgt oft in Abstimmung mit Polizeistellen. Auch können Eingangsbereiche von Dienstgebäuden überwacht werden. Videoanlagen zur Verkehrsbeobachtung und -lenkung können zur Personenüberwachung verwendet werden 77 • Wenn das Material von Privaten nicht freiwillig zur Verfügung gestellt wird, kommt seine Beschlagnahme in Betracht78 • Das in den genannten Zusammenhängen anfallende Videomaterial wird von der Polizei zu Zwecken der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten verwendet. Die Videoaufnahmen werden gespeichert, aufbewahrt, ausgewertet, übermittelt, im Verlauf von Strafverfahren abgespielt und als Beweismittel verwertet.

c. Anwendungs-Szenarien Angeregt von den bekannt gewordenen Anwendungen sowie den gegenwärtigen und künftigen technischen Möglichkeiten der Videotechnologie finden sich im Schrifttum eine Reihe von Szenarien, welche die Gebrauchs- und Mißbrauchsmöglichkeiten beschreiben. Schwan etwa weist auf Anwendungsmöglichkeiten hin, die an die Science Fiktion eines George Orwell erinnern 79. Schwan skizziert zunächst die ForWeichert 1988, S. 14; Horvath 1984, S. 181. Weichert 1988, S. 15, 17 m. w. N.; Rehrmann / Stüllenberg 1990, S. 346, 347; vgl. auch BVerfG NStZ 1983, S. 84. 76 Weichert 1988, S. 17. 77 Weichert 1988, S. 10. 78 BVerfGE 77, 65. 79 Dieser hatte bereits 1950 geschrieben: "Der Televisor war gleichzeitig Empfangsund Sendegerät. Jedes ... verursachte Geräusch, das über ein ganz leises Flüstern hinausging, wurde von ihm registriert. Außerdem konnte Winston, solange er in dem von der Metallplatte beherrschten Sichtfeld blieb, nicht nur gehört, sondern auch gesehen werden. Es bestand natürlich keine Möglichkeit, festzustellen, ob man in einem gegebenen Augenblick gerade überwacht wurde. Wie oft und nach welchem System die Gedankenpolizei sich in einen Privatapparat einschaltete, blieb der Mutmaßung überlassen. Es war sogar möglich, daß jeder Einzelne ständig überwacht wurde ... Man mußte in der Annahme leben - und man stellte sich tatsächlich instinktiv darauf ein - , daß jedes Geräusch, das man machte, abgehört und, außer in der Dunkelheit, jede Bewegung beobachtet wurde" (George Orwell ,,1984", Erstveröff. 1950 (in der deutschen Übersetzung Fassung von 1976, S. 6). 74 75

70

3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

schungsprojekte des BKA zur automatischen Erkennung der menschlichen Stimme und der menschlichen Physiognomie und meint, wenn es gelinge, diese Technik zur Einsatzreife zu entwickeln, könnten akustische Kontrollstellen an beliebigen Orten heimlich errichtet werden, an denen jedermann ohne merkbare Belästigung aufgenommen und identifiziert wird. Anschließend könnten durch den Computer Bewegungsbilder erstellt werden. Auch könnten an beliebigen Orten Kameras aufgestellt werden, um in Verbindung mit dem Computer zu registrieren, wer wann wo in Begleitung welcher anderen Personen angetroffen worden ist. Es sei nur eine Frage der intensiven Nutzung dieses Instruments, ob es zur Totalerfassung jedweder Bewegung in unserer Gesellschaft komme oder aber nicht. Da es aber nicht in der Potenz des typisch deutschen Perfektionismus liege, bei den Vertretern unserer Sicherheitsbehörden, das, was technisch möglich ist, zu unterlassen, sei zu befürchten, daß das Instrumentarium des "Großen Bruders" eben nicht nur vorhanden sei oder unmittelbar vor der Einsatzreife stehe, sondern ebenso die Bereitschaft, diese Instrumentarium tatsächlich zu nutzen 80. Sternsdorf glaubt vorauszusehen, daß künftig auf eine beliebige Menschenansammlung gerichte Kameras die Impulse mit den gespeicherten SuchbildDaten abgleichen, die Zielperson heraussortieren und sekundenschnell die lauernden Observanten alarmieren werden 81 • Herold wünschte sich eine an Computer gekoppelte Videoanlage, die bei der Überwachung gefährdeter Objekte die Personen am Observationsort automatisch elektronisch mit den im Computer gespeicherten Bildern gesuchter Terroristen abgleicht und Alarm gibt, sobald einer der Gesuchten ins Sichtfeld kommt 82 • Diese Verfahren könnten durch zentrale Bild- und Stimmenbanken ergänzt werden. Ein entsprechendes System der Übertragung und Speicherung von Bildern und Stimmen ist mit dem digitalisierten, integrierten Breitband-Sondernetz der Polizei für Sprache, Bild, Daten (DIS POL) als "Bildinformationssystem der Polizei" (BIPOL) geplant. In diesem Netz sollen alle digitalisierten Nachrichten der Polizei transportiert werden 83 • Busch u. a. führen in diesem Zusammenhang aus, daß im BIPOL künftig ähnlich wie bisher mit Daten eine sekundenschnelle Übertragung vom Tat- oder Video-Observationsort zur Bildstation eines LKA oder zu den Bildbanken beim BKA erfolgen könnte. Dort könnten diese Bilder automatisch abgeglichen werden 84. Diese Szenarien können ergänzt werden. Z. B. könnten künftig an Grenzübergängen Bildaufnahmen von beliebig vielen ahnungslosen Reisenden in den Polizeicomputer eingespeist werden 85, der über öffentliche Telekommunikationsnetze 80 81

82 83

84 85

Schwan 1987, S. 286 f. Sternsdarjf 1983, S. 67. Cabler 1984, S. 70 ff. Ketelsen / Müllert 1988, S. 81. Busch u. a. 1988, S. 143. Weichert 1988, S. 14 f. ffi. w. N.

D. Der Prüfungsgegenstand im einzelnen: Typen der Anwendung

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fließende private Bild- und Gesprächsverkehr zur Gewinnung von menschlichen Stimmen und Gesichtern als Abgleichmaterial für aktuelle oder künftige Fahndungen angezapft werden, oder die Paßbilder in den Personalausweisen und Reisepässen eines jeden, etwa solange sie bei den Meldeämtern der Städte oder bei der Bundesdruckerei lagern, systematisch und heimlich aufgenommen und zur späteren Verwendung bei der Fahndung und Identifizierung abgespeichert werden 86 , und schlichtweg jedermann zu jeder Zeit an jedem beliebigen Ort heimlich oder offen mit Videogeräten beobachtet und in Wort und Bild aufgezeichnet werden.

D. Der Prüfungsgegenstand im einzelnen: Typen der Anwendung Die nachfolgende Darstellung unterscheidet verschiedene Typen von Anwendungen. Jede dieser typischen Maßnahmen kann entweder zum Zwecke der Straftatverhinderung oder zur Straftataufklärung erfolgen, oder beide Zwecke gleichzeitig verfolgen. Dies entspricht der Doppelfunktionalität der polizeilichen AufgabensteIlung. Bei der Bildung von Typen bietet sich an, den zeitlichen Phasen der Anwendungen zu folgen, mithin nach den Phasen Beobachtung, Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung bis zur Übermittlung der Videoaufnahmen zu ordnen 87, da jedem dieser Stadien eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen kann. Dies reicht aber nicht aus, denn für eine ergiebige verfassungsrechtliche Beurteilung ist es erforderlich, daß man sich weitere Anwendungsmodalitäten vor Augen hält 88 • So kann es nämlich verfassungsrechtlich unterschiedlich zu würdigen sein, wenn etwa Personen mit Videogeräten bei der Teilnahme an einer Versammlung oder aber zuhause in der Wohnung überwacht werden. Prüfungsgegenstand sollen demnach folgende Typen der Anwendung sein:

I. Beobachtung von Personen mit Videogeräten Nicht selten werden Personen lediglich mit Videogeräten von der Polizei beobachtet, ohne daß Aufzeichnungen gemacht werden. Insoweit werden sie als Sichthilfen und Hörhilfen eingesetzt, um beispielsweise an gefährlichen Stellen oder unbemerkt vom Betroffenen die Grenzen der Leistungsfähigkeit der natürlichen Sinne Auge und Ohr zu erweitern. Es gibt spezielle Überwachungskameras, die lediglich eine Beobachtung, nicht aber die Herstellung von Aufzeichnungen ermöglichen. 86 87 88

Vermutungen in diese Richtung finden sich bei Bernhardt 1988, S. 9. Vgl. Denninger 1987, S. 151. Zur Notwendigkeit der Bildung von "Modifikationen" vgl. Starck 1986, S. 11.

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3. Kapitel: Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

11. Aufzeichnung von Personen in Wort und Bild Mit der dargestellten Verbesserung der Bild- und Tonqualität sowie der Erhöhung der Handlichkeit der Geräte und der Verwertungsmöglichkeiten der Videoaufnahmen, hat sich die Anzahl der Aufzeichnungen von Videoaufnahmen erhöht. Die modernen Geräte sind zur Aufnahme sowohl des Bildes als auch des gesprochenen Wortes in hoher Qualität in der Lage. Thematisch sind Aufnahmen von Personen in allen Bereichen menschlichen Daseins möglich. Diese reichen von der sogenannten Intimsphäre bis zu Betätigungen in der Öffentlichkeit.

111. Überwachung bei der Ausübung spezieller Freiheitsrechte Besondere verfassungsrechtliche Fragen können sich daraus ergeben, daß die Ausübung spezieller Grundrechte überwacht wird. Es erscheint verfassungsrechtlich nicht von vornherein klar zu sein, an welchem verfassungsrechtlichen Maßstab etwa das Überwachen von Teilnehmern einer Versammlung, von Personen bei der Berufsausübung oder von Privaten in ihrer Wohnung zu messen ist.

IV. Speicherung des Materials Die Speicherung kann auf technisch unterschiedliche Weise erfolgen. Die Aufnahmen können auf Magnetband, Magnetspule, Bildplatte oder in digitaler Form in elektronischen Rechnern abgespeichert werden. Sie können automatisch oder manuell geordnet und archiviert werden. Die Umwandlung von der einen in eine andere Form der Speicherung ist jederzeit möglich. Dies könnte verfassungsrechtlich von Bedeutung sein.

V. Nutzung und Auswertung der Videoaufnahmen Die Nutzungen der Videoaufnahmen zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten sind vielfältig. In erster Linie kommen Wiedergabe und Abspielen der Aufzeichnungen zu Zwecken der Identifizierung der darauf Abgebildeten beispielsweise vor Zeugen und zum Zwecke der strafrechtlichen Einordnung der aufgezeichneten Handlungen im Verlauf des Ermittlungs- und Strafverfahrens in Betracht. Eine spezifische Form der Verwendung von Videoaufnahmen ist ihre Verwertung als Beweismittel durch das erkennende Gericht im Strafprozeß. Nutzung und Auswertung der vorhandenen Videoaufnahmen können - wie bisher - manuell oder unter Nutzung automatischer Datenverarbeitungsanlagen erfolgen. Das Ablegen und Auffinden von Bild- und Tondaten nach bestimmten Kriterien erfolgt über Zugriffsmerkmale wie Name etc. Diese Verfahren sind schon bei der herkömmlichen Datenverarbeitung bekannt. Das Vergleichen von

D. Der Prüfungsgegenstand im einzelnen: Typen der Anwendung

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Bildern und Stimmen von Unbekannten mit Stimm- und Bildmaterial von bekannten Personen im Wege des Abgleichs mit dem Bestand von polizeilichen Dateien wird gegenwärtig entwickelt. Ein vollautomatischer Abgleich von Bild- und Stimmaufnahmen ohne weitere Suchkriterien - wie etwa die textliche Information des Namens des Gesuchten etc. - sind indessen weder gegenwärtig noch in nächster Zukunft möglich.

VI. Übermittlung Die Übermittlung von Videoaufnahmen zu Zwecken der Strafverfolgung oder zu anderen Zwecken kommt in Betracht von der die Aufzeichnungen führenden Polizeistelle an eine andere Polizeistelle, an die Staatsanwaltschaft und an das zuständige Strafgericht, an sonstige Stellen der öffentlichen Verwaltung sowie an private Dritte. Insbesondere bei der Fahndung nach Straftatverdächtigen ist auch eine Veröffentlichung von Videoaufzeichnungen möglich, etwa im Wege der Ausstrahlung über das Fernsehen. Die Übermittlung ist technisch möglich im Wege der elektronischen glasfaservermittelten "on-line"-Abfrage oder auf Anfrage. Darüber hinaus kann eine Übermittlung im Wege der herkömmlichen (körperlichen) Übersendung der Videobänder duchgeführt werden. Im Hinblick auf die Übermittlung von Videoaufnahmen können sich insbesondere verfassungsrechtliche Fragen der Amtshilfe und Zweckbindung der Aufnahmen stellen.

VII. Videoaufnahmen von Unverdächtigen und Nichtstörern Bei der Gewinnung von Videoaufnahmen werden nicht selten Personen aufgenommen und deren Aufnahmen gespeichert, die weder im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, noch im Verdacht stehen, eine Straftat künftig begehen zu wollen. Auch bei der Auswertung von Aufnahmen Dritter oder beim (halb-) automatischen Bild- und Stimmenabgleich sind Aufnahmen von Unverdächtigen betroffen. Dieser Umstand ist einerseits Folge einer Tendenz der gegenwärtigen Polizeistrategien, andererseits läßt sich die Mitaufnahme Dritter, etwa bei selbsttätigen Aufzeichnungsgeräten oder bei der Aufzeichnung von Straftätern in einer größeren Menschenmenge technisch oft nicht vermeiden.

VIII. Offene und geheime Überwachung (Das Problem der Einwilligung) Die heimliche Anfertigung, Speicherung und Verwendung von Videoaufnahmen findet besonders im Zusammenhang mit der Straftataufklärung statt. Die Täter werden die Beweissicherung oft nicht bemerken. Zuweilen ist gerade die geheime Beobachtung bei der Repression Voraussetzung des Erfolgs der Überwachungsmaßnahme. Bemerkte der Täter die Überwachung, beginge er die Tat nicht oder auf andere Weise.

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3. Kapiteb Anwendungen der Video-Überwachungstechnologie

Anders liegt die Sache bei der geheimen Überwachung zur Prävention von Straftaten. Hier ist Offenheit der Beobachtung grundsätzlich Voraussetzung für das Erreichen der gewünschten Abschreckungswirkung. Denn nur wer sieht, daß er überwacht wird, unterläßt unter Umständen die Tatbegehung. Allerdings könnte eine Präventionswirkung auch insoweit erreicht werden, als durch die heimliche Überwachung Täter vor Vollendung der Tat durch rechtzeitigen Zugriff an der Tatbegehung gehindert werden, wodurch ein präventiver Erfolg einträte. "Abschreckungswirkung" könnte schließlich auch das Erzeugen einer Atmosphäre bewirken, in der jeder jederzeit mit dem heimlichen Überwachtwerden rechnen müßte. Verfassungsrechtliche Fragen liegen in diesem Zusammenhang auf der Hand. Im Zusammenhang damit wird von Interesse sein, wie eine Überwachungsmaßnahme zu würdigen ist, die zwar nicht heimlich, aber ohne oder gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen wird. Insoweit sind Fragen der Freiwilligkeit des Überwachtwerdens berührt.

Viertes Kapitel

Literatur und Rechtsprechung zu Verfassungsfragen der Überwachung von Personen A. Spezielle Literatur und Rechtsprechung zu Verfassungsfragen der Video-Überwachungstechnik I. Bundesverfassungsgericht Verfassungsrechtliche Fragen vergleichsweise neuer Technologien benötigen erfahrungsgemäß eine geraume Zeit, bis sie dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorliegen I. Es überrascht daher nicht, daß das Bundesverfassungsgericht bisher erst am Rande Anlaß hatte, sich mit Verfassungsfragen der Videotechnik zu befassen. Alle Entscheidungen hatten Anwendungen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung zum Gegenstand. Ohne ausdrücklich die konkret betroffene grundrechtliche Gewährleistung zu nennen, führte ein Dreier-Ausschuß des 2. Senats im Beschluß vom 27.9.1982 aus, es unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Gegenüberstellung des der Begehung einer Straftat beschuldigten Beschwerdeführers mit Zeugen auf der Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehenen Vorschrift des § 81 b StPO mit einem Videogerät aufgenommen worden sei. Die beanstandete Maßnahme sei der in § 81 b StPO ausdrücklich genannten Aufnahme von Lichtbildern ähnlich. Eine TonfilmAufnahme von der Gegenüberstellung sei zum einen geeignet, - unter Umständen gegenüber protokollierten Zeugenaussagen und bloßen Lichtbildern vorzugswürdigen Beweis über deren Ablauf im weiteren Strafverfahren zu erbringen. Zum anderen könne eine Filmaufnahme darüber hinaus möglicherweise zum Zweck einer Täteridentifizierung weiteren Zeugen, die bei der Gegenüberstellung nicht zugegen waren, vorgespielt werden. Daher sei der mit der Aufnahme verbundene, schon durch deren mögliche Verwendung eng begrenzte Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Beschwerdeführers offensichtlich nicht unverhältnismäßig 2 • Dementsprechend wurde die Verfassungsbeschwerde nicht zur 1 Die Tonbandentscheidung erging beispielsweise erst im Jahre 1973, obwohl die Tonbandtechnik seit den fünfziger Jahren bei der Straftatbekämpfung eingesetzt wurde, vgl. Schmitt 1967, S. 19. 2 BVerfG, Beschl. v. 27.2.1982 2 BvR 1199/82 = BVerfG, NStZ 1983, S. 84.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Entscheidung angenommen, weil sie nach Ansicht des Dreier-Ausschusses keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Keine Hinweise auf Grundrechte der von der Aufnahme Betroffenen enthalten die heiden anderen Entscheidungen. Im Beschluß vom 16. 1. 1980 hatte ein DreierAusschuß des 2. Senats über die Verfassungsmäßigkeit einer Beschlagnahme von Filmmaterial eines Fernsehteams zu befinden. Die Prüfung wurde auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit begrenzt, das als durch die Beschlagnahme eingeschränkt angesehen wurde. Weder die Beschlagnahmevorschriften der Strafprozeßordnung (§§ 94 ff. StPO) noch die auf ihrer Grundlage ergangene Beschlagnahme wurden verfassungsrechtlich beanstandet 3. Der Beschluß des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. 10. 1987 hatte wiederum die Verfassungsmäßigkeit der Beschlagnahme von Videofilmmaterial einer Fernsehanstalt durch die Strafverfolgungsbehörden zum Gegenstand. Die Beschlagnahme sollte die Aufklärung von Gewalttaten ermöglichen, die anläßlich einer Großdemonstration begangen worden waren. Erneut war allein Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Prüfungsmaßstab, insbesondere wurde der Gegenstand nicht unter dem Aspekt der Grundrechte der auf den Videoaufnahmen abgebildeten Gewalttäter und Demonstranten geprüft. Das Bundesverfassungsgericht führte bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beschlagnahme am Maßstab von Art. 5 Abs. 2 GG aus, die auf der Grundlage von durch das Fernsehen gemachten Aufnahmen zu gewinnenden Erkenntnisse könnten nur in seltenen Fällen durch eigene Ermittlungen der Strafverfolgungshehörden vollständig ersetzt werden. Es sei nicht Aufgabe der Polizei, Vorgänge des Zeitgeschehens, wie etwa die rechtmäßige Ausübung des Versammlungsrechts, aus Gründen vorbeugender Verbrechensbekämpfung oder zur potentiellen späteren Strafverfolgung lückenlos und gleichsam auf Vorrat aufzuzeichnen; dies müsse im Gegenteil erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Daher könne die Erforderlichkeit der Beschlagnahme von Bildmaterial nicht von vornherein mit der Begründung verneint werden, die Strafverfolgungsorgane hätten die Möglichkeit gehabt, das Geschehen durch eigene Aufnahmen festzuhalten 4 • Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu Überwachungsmaßnahmen bei Versammlungen wiederholt geäußert. Da diese Rechtsprechung nicht speziell zur Videotechnik ergangen ist, sondern sich allgemein aufÜberwachungsmaßnahmen bezieht, wird sie nicht an dieser Stelle vorgestellt, sondern beim Material zur optischen und akustischen Überwachungstechnologie im allgemeinen erörtert 5 •

BVerfG, Beschl. v. 16.1.1980 = BVerfG EuGRZ 1981, S. 314. BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987 - 2 BvR 1434/86 = BVerfGE 77,65 [74ff.] = BVerfG EuGRZ 1987, S. 442. 5 Unten 4. Kap. B 11 1. 3

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A. Literatur und Rechtsprechung speziell zur Videoüberwachung

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11. Fachgerichte Über diese Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus liegen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs 6, des Bundesverwaltungsgerichts 7, des Bundesarbeitsgerichts S sowie mehrerer Untergerichte 9 zu Fragen der Anwendung der Videotechnik im Zusammenhang mit der Straftatbekämpfung vor. Der Bundesgerichtshof lO hatte zur Frage der Rechtmäßigkeit der langfristigen Videoüberwachung einer der mehrfachen Brandstiftung verdächtigten Person und der Verwertbarkeit dieser Videoaufnahmen im Strafverfahren zu entscheiden. Hierbei wurde von der Polizei über mehrere Monate hinweg durch eine heimlich in einer der Wohnung des Angeklagten gegenüberliegenden Wohnungstüre eingebaute Videokamera jedes Betreten und Verlassen der Wohnung des Angeklagten aufgezeichnet, um einen Zusammenhang zwischen Brandlegungszeiten und Ausgang des Angeklagten nachzuweisen. Der Bundesgerichtshof führte hierzu zunächst am Maßstab von Art. 8 EMRK aus, es spreche manches dafür, daß eine solche Observation einen Eingriff in die Privatsphäre darstelle, der nach Art. 8 EMRK eine spezielle gesetzliche Eingriffsnorm voraussetze, und daß als solche Norm weder die Aufgabenzuweisung nach bayerischem Polizeirecht noch die §§ 160,161,163 StPO ausreichten; denn das Gesetz müsse sowohl die Voraussetzungen als auch Art und Umfang des Eingriffs klar und eindeutig formulieren, wobei freilich nicht verkannt werden dürfe, daß "gesetzlich vorgesehen" i. S. von Art. 8 MRK nicht nur das sei, was ein Gesetz im formellen Sinn regelt, sondern daß der gesamte Rechtszustand in dem betreffenden Staat einschließlich der Rechtsprechung gemeint sei. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG sich ergebende allgemeine Persönlichkeitsrecht könne zum selben Ergebnis führen wie Art. 8 MRK. Ausfluß dieses Rechts könne auch die Freiheit persönlicher Lebensgestaltung ohne - noch dazu -langdauernde behördliche Überwachung sein. Dem trage die Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung ll . Grundlage und Voraussetzung jener Entscheidung seien zwar die Bedingungen der modemen Datenverarbeitung ge~esen. Sie spielten im vorlieBGH NJW 1991, S. 2651 ff. BVerwG DVBI 1989, S. 200 ff. S BAGE 51, 143 [150]. 9 OLG Frankfurt NJW 1990, S. 1308; OLG Düsseldorf NJW 1988, S. 1039; OLG Schleswig NJW 1979, S. 816,817; AG ItzehoeNZV 1989, S. 41 f.; fernerOLG Frankfurt NJW 1987, S. 1088: Verbreitung einer Videoaufnahme durch Private liege darin, daß Videofilm vor Arbeitgeber und Arbeitskollegen vorgeführt und auf öffentlicher Straße abgespielt wurde und Anfertigung und Übergabe einer Kopie des Videofilms an einen Zeugen erfolgte; BGH NJW 1985, S. 1617: Ausstrahlung eines Nacktfotos in Fernsehsendung sei eine Verwendung, die über ursprüngliche Zweckbestimmung der Abbildung in einem Schulbuch hinausgehe; ferner LG Berlin NJW 1988, S. 346; OLG Frankfurt MDR 1981,316 zu Videoaufnahmen Privater. 10 BGH NJW 1991, S. 2651. II BVerfGE 65, 1. 6

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

genden Verfahren keine Rolle; allerdings griffe eine Observation der vorliegenden Art auch dann in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, wenn es die moderne Datenverarbeitung nicht gäbe. Der Bundesgerichtshof ließ offen, ob durch die Aufnahme des Angeklagten im Treppenhaus des Achtfamilienhauses Art. 13 GG tangiert wurde; wenn dies zu bejahen wäre, sei dies wegen Art. 13 Abs. 2 GG jedenfalls gerechtfertigt. Die Videoüberwachung komme einer Durchsuchung nicht gleich. In bezug auf Art. 13 Abs. 2 GG sollen, was die dort geforderte gesetzliche Grundlage angehe, nach der im Jahre 1987 herrschenden Auffassung die polizeiliche Generalklausel und die §§ 160, 161, 163 StPO ausgereicht haben 12. Obwohl zu der Zeit der Observation noch keine spezielle gesetzliche Regelung bestand, bejahte der Bundesgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Rechtsgrundlage sei - jedenfalls auch - Art. 2 Abs. 2 BayPAG. Nach dieser Vorschrift habe die Polizei die Aufgabe, die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Dementsprechend sei die Polizei bestrebt gewesen, den vielfachen Brandstifter, den sie in dem Beobachteten vermutete, zu entlarven und auf diese Weise andere Brandlegungen zu verhindern. Damit einher gegangen sei die Verpflichtung aus § 163 StPO, (begangene) Straftaten zu erforschen, ohne jedoch die präventive Aufgabe zu verdrängen 13. Die Erkenntnis, daß es hier möglicherweise besonderer gesetzlicher Regelungen bedurfte, sei vergleichsweise neu; sie sei im wesentlichen auf Grund des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts entstanden. Bis dahin habe es allgemeiner Rechtsüberzeugung entsprochen, daß Observationen, auch solche langfristiger Art, durch den allgemeinen Gefahrenverhütungsund Ermittlungsauftrag von Polizei und Staatsanwaltschaft, im einzelnen näher bestimmt durch die umfangreiche verwaltungsrechtliche und strafprozessuale Rechtsprechung, gedeckt seien. In einem solchen Fall sei dem Gesetzgeber einerseits, den Behörden andererseits ein gewisser Übergangszeitraum einzuräumen 14. Da die geschehene Überwachung jedenfalls aus polizeirechtlichen Gründen hinzunehmen sei, seien ihre Ergebnisse auch im Strafverfahren als Beweismittel verwertbar, obwohl in der Strafprozeßordnung bisher eine Vorschrift über diese besonderen Ermittlungsmaßnahmen fehle. Etwas anderes könne nur gelten, wenn zur Zeit der Observierung ein wirklicher Anlaß für präventivpolizeiliches Handeln nicht bestanden hätte, diese also auch nicht rechtmäßig gewesen wäre, weil (etwa) der polizeiliche Weg nur beschritten worden wäre, um nicht bestehende strafprozessuale Bestimmungen zu ersetzen, wovon im vorliegenden Fall aber nicht die Rede sein könne 15.

BGH NJW 1991, S. 2652. BGH NJW 1991, S. 2651. 14 BGH NJW 1991, S. 2652 m. H. a. BVerwG NJW 1990, S.2765; Bay VerfGH BayVBI 1985, S. 652. 15 BGH NJW 1991,2652; kritisch zu dieser Entscheidung Merten 1992, S. 354. 12

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A. Literatur und Rechtsprechung speziell zur Videoüberwachung

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Das Bundesverwaltungsgericht 16 und das Bundesarbeitsgericht 17 hatten unter mitbestimmungsrechtlichen Gesichtspunkten über Betriebsfernsehanlagen (Videoanlagen) zu befinden, die auch zur Verhinderung und Aufklärung von Diebstählen in Unternehmen installiert worden waren. In diesem Zusammenhang legten beide Gerichte dar, daß ein Beschäftigter, der befürchten müsse, während der Arbeit mit Hilfe technischer oder elektronischer Kontrolleinrichtungen jederzeit beobachtet oder in anderer Weise kontrolliert zu werden, unter einen Überwachungsdruck geraten könne, der ihn in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit behindere. Der Überwachungsdruck auf die Beschäftigten erhöhe sich durch die Einbeziehung technischer Einrichtungen in die Überwachung. Ihre Bedeutung für die Überwachung von Leistung oder Verhalten der Beschäftigten liege vornehmlich darin, diesen Vorgang über das individuelle Wahrnehmungsvermögen eines kontrollierenden Menschen hinaus zu erweitern oder ihn von dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen mehr oder weniger unabhängig zu machen. Darin liege zugleich der mit ihrem Einsatz unabwendbar verbundene verstärkte Eingriff in die Persönlichkeitssphäre der Betroffenen 18. Das OLG Schleswig entschied über die Rechtmäßigkeit der Aufnahme und prozessualen Verwertung von Videoaufnahmen, die zur Überführung eines diebstahlsverdächtigen Angestellten auf Anraten der Kriminalpolizei durch den Inhaber eines Spielcasinos heimlich aufgezeichnet worden waren. Die Aufnahmen überführten den Verdächtigen. Das zuständige Amtsgericht verwertete die Aufnahmen als Beweismittel und verurteilte ihn wegen Diebstahls. Auf die Sprungrevision des Verurteilten führte das OLG Schleswig aus, die - auch heimliche - Aufnahme einer Person mit fotografischen oder filmischen Mitteln sei weder durch strafrechtliche noch strafprozessuale Vorschriften verboten. Insbesondere beträfen die Verbote der §§ 22 ff. KUG nur die Verbreitung und das öffentliche Zurschaustellen, nicht aber die Herstellung von Bildnissen. Auch ein Verstoß gegen das Grundgesetz sei in der heimlichen Bildaufnahme des Angeklagten nicht zu sehen. Zwar verbriefe Art. 2 Abs. I GG jedem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Hierzu gehöre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch das "Recht am eigenen Bild" 19. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 20 fährt das OLG Schleswig fort, dieser habe die Unzulässigkeit einer heimlichen Festlegung der äußeren Erscheinung einer Person nur innerhalb ihres privaten Bereichs bejaht. Soweit eine Person von einer Abbildung nicht in ihren eigenen oder eigengenützten (z. B. Hotelzimmer) Privaträumen, sondern im sozialen Außenbereich betroffen werde, BVerwG DVBI 1989, S. 200 ff. BAGE 51, 143 [150]. 18 BVerwG DVBI 1989, S. 201. 19 Das OLG Schleswig verweist auf BVerfGE 34, 238 = JZ 1973, S. 504 f. m. Anm. Arzt; ferner auf Paeffgen JZ 1979, S. 516 ff. 20 BGHZ 24, 209 = JZ 1957, S. 753 m. Anm. Hubmann "Spätheimkehrer". 16 17

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

lasse sich die Frage einer hier gleichwohl etwa noch vorhandenen geschützten Sphäre nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles entscheiden. Der Arbeitsplatz zähle nicht schon als solcher zu dem grundgesetzlieh und persönlichkeitsrechtlich geschützten Bereich privater Lebensgestaltung. Davon, daß der Angeklagte durch die heimliche Filmaufnahme im Zählraum des Spielcasinos in dem geschützten Bereich seines privaten Lebens betroffen worden wäre, könne keine Rede sein. Die Vorführung der (rechtmäßig gewonnenen) Video aufnahmen in der öffentlichen Hauptverhandlung sei ebenfalls zulässig gewesen. Zwar erfülle dieser Sachverhalt den Tatbestand des § 22 KUG, denn es seien Bildnisse ohne Einwilligung des Abgebildeten öffentlich zur Schau gestellt worden. Dieses Verhalten sei jedoch für Zwecke der Rechtspflege gern. § 24 KUG geschehen und deshalb erlaubt gewesen. Auch die Verwertung der Videoaufnahmen durch das AG als Beweismittel sei nicht zu beanstanden, da ein in rechtlicher Hinsicht unanfechtbar gewonnenes Beweismittel regelmäßig in das Strafverfahren eingeführt werden dürfe und müsse 21 • Das OLG Schleswig unterschied bei der Schutzbedürftigkeit zwischen akustischer und optischer Fixierung. Die Grenzen der geschützten Sphären seien unterschiedlich zu bestimmen, je nachdem, ob die Möglichkkeit einer Selbstverwirklichung des Einzelnen durch gesprochene Worte oder durch nur optisch erfahrbares Verhalten in Rede stehe. Wer "privat" sprechen wolle, könne dies erreichen durch die Auswahl seiner Gesprächspartner und die Dosierung der Lautstärke; damit lasse sich auch eine verletzliche Tabuzone beschreiben. Die Schutzschranken für anders als akustisch erfahrbare Lebensäußerungen privater Art seien hiermit nicht identisch. Das Liebespaar auf der Bank im öffentlichen Park dürfe möglicherweise nicht abgehört, aber unter Umständen abgelichtet werden 22 • Das LG Berlin hat in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht die Anfertigung von Videoaufnahmen eines des Diebstahls Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft für verfassungsrechtlich zulässig erachtet. Die Aufnahmen wurden angefertigt, um sie Zeugen zur Identifizierung des Beschuldigten vorzuführen. Als Rechtsgrundlage hat das Gericht § 81 b 1. Alt. StPO angenommen, da das Videographieren eine "ähnliche Maßnahme" i. S. des § 81 b 1. Alt. StPO sei. Die Aufnahme sei im konkreten Fall im Hinblick auf die Schwere der dem Betroffenen zur Last gelegten zwei Diebstähle und der eingeschränkten Verwendung der Aufnahmen, die ja nicht der Öffentlichkeit, sondern nur einem kleinen OLG Schleswig JZ 1979, S. 817 m. Hw. auf BGH NJW 1975, S. 2076. OLG Schleswig JZ 1979, S. 817; die Entscheidung wurde ablehnend besprochen von Amelung I Tyrelll980, S. 1560 f.; nach der Rechtsprechung des BayObLG ist jedenfalls das Beobachten eines Liebespaares, das öffentlich Zärtlichkeiten austauscht, keine Berührung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das Interesse, nicht beobachtet zu werden, schaffe für sich gesehen noch keinen privaten und deshalb geschützten Bereich. Wo der abgegrenzte Bereich verlassen und Persönliches für Dritte wahrnehmbar gemacht werde, könne von einem Eindringen in die Privatsphäre nicht die Rede sein; BayObLG JZ 1980, S. 580, 581 m. H. auf Röttelmann, NJW 1964, 207. 21

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A. Literatur und Rechtsprechung speziell zur Videoüberwachung

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Kreis von Personen zugänglich gemacht werden sollten, auch nicht unverhältnismäßig gewesen 23. Das VG Bremen hatte über die Rechtmäßigkeit der Herstelllung von Videoaufnahmen durch die Polizei bei einer Demonstration zu entscheiden. Das Gericht war der Ansicht, die Herstellung von Fotos oder Videoaufnahmen von Einzelpersonen oder von Gruppen von Versammlungsteilnehmern beschränke die Grundrechtsausübung "im Rahmen" von Art. 8 GG und zwar im wesentlichen im Bereich der Entschließungsfreiheit. Denn die durch Aufnahmen ermöglichte Identifizierung und Registrierung von Versammlungsteilnehmern sei geeignet, auf die Entscheidungsfreiheit von Bürgern einzuwirken, da diese durch die Informationserhebung von der Grundrechtsausübung abgehalten werden könnten. Dies sei ein Verwaltungs akt mit Eingriffscharakter und nicht lediglich schlicht-hoheitliche Tätigkeit. Wenn Unsicherheit darüber geschaffen werde, ob die Versammlungsteilnahme vom Staat registriert und möglicherweise gespeichert werde, werde erfahrungsgemäß eine namhafte Zahl von Bürgern von vornherein versuchen, durch eine solche Verhaltensweise nicht aufzufallen 24 • Das VG Bremen bezweifelt eine Unterscheidbarkeit von Aufnahmen in "Gesamtdemonstration" und Einzelaufnahmen von Personen und Gruppen, da die Bildaufzeichnung einer Versammlung als Ganzes naturgemäß immer die Aufnahme von Einzelpersonen enthalte. Dies gelte namentlich für die Videotechnik, die durch Rastervergrößerungen auch aus einer Gesamtdokumentation jederzeit zur Identifizierung Einzelner geeignete Bilder herzustellen vermöge 25 • Die Entscheidung wurde vom OVG Bremen durch Urt. v. 24.4.1990 bestätigt, das die Dokumentation eines Demonstrationszuges durch Videoaufnahmen ebenfalls als Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit angesehen und darüber hinaus auch eine Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bejaht hat 26 •

III. Schrifttum Im Schrifttum wird erst seit kurzem auf die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Prüfung polizeilicher Anwendungen der Videotechnik hingewiesen. Die für ihre bisherige Bewertung im Schrifttum charakteristische Äußerung von Braun, wonach die rechtlichen Probleme mit der Videoarbeit der Polizei immer einfacher Natur gewesen seien, da regelmäßig nach ganz herrschender Meinung schlicht hoheitliche Maßnahmen angenommen worden seien, "wenn nicht gerade durch Portraitaufnahmen Rechtspositionen einzelner hinsichtlich des Rechts am LG Berlin Kriminalistik 1990, S. 16. VG Bremen Urt. v. 5.12.1988, Az 4 A 226/86, S. 8 (teilw. veröffentlicht in NVwZ 1989, S. 895). 25 VG Bremen Urt. v. 5.12.1988, Az 4 A 226/86, S. 8. 26 OVG Bremen NVwZ 1990, S. 1188 ff. 23

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

eigenen Bild berührt waren"27, trifft gegenwärtig nicht mehr zu. Auf den folgenden Seiten soll die weit verstreute und zum Teil an schwer zugänglichen Stellen veröffentlichte Literatur im wesentlichen wiedergegeben werden. Herold begründet den Bedarf an verfassungsrechtlicher Prüfung kriminaltechnischer Instrumente wie der Videotechnik damit, daß "die gesteigerte Infonnationstechnologie, vor allem in den Bereichen der Mustererkennung, d. h. den Digitalisierungen von Bild, Sprache, Handschrift usw., ... die politischen Grundentscheidungen unserer Verfassung unterlaufen (könnte): Anerkennung der Subjektqualität, Fair-Trial-Gedanke, Menschenwürde. Die Ennittiungsbehörden würden übennächtig, die Chancengleichheit im Prozeß würde zur Farce, das Primitivrecht des Beschuldigten, sich dem Verfahren zu verweigern, würde außer Kraft gesetzt. Es träte die Vergegenständlichung des Beschuldigten ein, er würde zur Sache erniedrigt und seiner Menschenwürde entkleidet"28. Weichert und Bernhardt weisen erstmals im juristischen Schrifttum ausführlicher auf Stand und Möglichkeiten der Videotechnik zu Überwachungs zwecken hin 29 . Bernhardt fordert gesetzliche Regelungen ihrer Anwendungen, beschränkt sich auf den Hinweis, daß auch Videoaufnahmen einen polizeilichen Eingriff darstellten, unternimmt darüber hinaus aber kaum eine verfassungsrechtliche Prüfung der Anwendungen 3o • Weichert stellt das Recht am Bild weitgehend dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gleich. Er betrachtet das Recht am eigenen Bild als durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet. Er wendet sich dagegen, das Recht am eigenen Bild weniger stark als das Recht am eigenen Wort zu schützen. Als Begründung wird angeführt, auf Grund der technischen Möglichkeiten der Bildauswertung und Bildverarbeitung dürfte ein erheblich intensiverer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegen als z. B. bei der heimlichen Aufnahme des nicht-öffentlich gesprochenen Worts. Unter Hinweis auf bestehende Ähnlichkeiten der drohenden Gefahren durch die elektronische Datenverarbeitung und die elektronische Videotechnik sei es "weitgehend angebracht", die in bezug auf den Datenschutz entwickelten Grundsätze auf den Bildnisschutz zu übertragen. Unter den gegenwärtigen Bildverwertungsbedingungen sei die graduelle Unterscheidung von Persönlichkeitssphären nicht mehr aufrecht zu erhalten. Zwar finde die Bildherstellung zu Überwachungszwecken meist in der Öffentlichkeitssphäre statt. Bei der Auswertung seien jedoch Rückschlüsse auf Sozial- und Privatsphäre, eventuell gar auf die Geheim- und Intimsphäre möglich. Es könne also nicht allein auf die Art des Bildnisses abgestellt werden. Entscheidend seien Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeiten, welche vom mit dem Bild verfolgten Zweck, den Verarbeitungs-, Verknüpfungs- und Übermittlungs27 Braun 1990, S.49. 28 Herold 1988, S. 68 f. 29 Weichert 1988, S. 4 ff.; Bernhardt 1988, S. 4 ff. 30

Bernhardt 1988, S. 9 f.

A. Literatur und Rechtsprechung speziell zur Videoüberwachung

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möglichkeiten abhängen 31 • Je nach Zusammenhang und Verwendung könne ein belanglos erscheinendes Bild einen besonderen Stellenwert bekommen 32. Das Recht am eigenen Bild ließe sich in Anlehnung an die Definition des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung definieren als die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seines Bildnisses zu bestimmen 33. Der Einsatz elektronischer Videokameras greife darüber hinaus in das Recht der informationellen Selbstbestimmung ein; bei Bildnissen von Personen handle es sich um die Darstellung personenbezogener Daten. Bildnisse gäben über das äußere Erscheinungsbild allgemein bzw. in einer bestimmten Situation Auskunft 34 • Zwar seien geschriebene Informationen über eine Person von einer anderen Qualität als das Aussehen, dessen Stimme, dessen Gestik oder Mimik. Mit zunehmender Digitalisierung von Bild und Sprache werde aber diese unterschiedliche Qualtät technisch aufgehoben. Daher greife auch der Einsatz elektronischer Videokameras in das Recht der informationellen Selbstbestimmung ein 35. Es wird aber nicht weiter erörtert, ob der Bildnisschutz als Unterfall des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung anzusehen ist, oder ob es sich um zwei unabhängige Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt 36• Im Hinblick auf polizeiliche Eingriffe in das Recht am eigenen Bild werden verfassungsmäßige gesetzliche Grundlagen gefordert, aus denen sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen. Außerdem müsse der Gesetzgeber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten, sowie organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen treffen, die der Verletzung des Rechts am eigenen Bild entgegenwirken. Es genüge für künftige gesetzliche Regelungen nicht, klarzustellen, daß Datenschutzrecht auf die Praxis der Videoüberwachung anwendbar sei. Es bedürfe darüber hinausgehend spezieller und auf diesen Bereich eingehender Regelungen, z. B. zur Genehmigung des Aufbaus von Kameras, zum Verbot verdeckter Kameras oder zur Löschung von Bildern 37. Ähnlich wird argumentiert, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gewährleiste die "Freiheit der Selbstdarstellung" als eigenständiges, von der Privatsphäre unabhängiges Schutzgut. Insoweit sei der Einzelne generell gegen die Fixierung personenbezogener Informationen auf Bildträger, Tonträger und Datenbanken geschützt 38. 31 Auf die höhere "Intensität" bewegter Bilder im Vergleich zu Fotografien und Festbildem weist v. Hartlieb 1984, S. 45 hin. 32 Weichert 1988, S. 30. 33 Weichert 1988, S. 30. 34 Weichert 1988, S. 28 f. 35 Weichert 1988, S. 28 f. 36 Weichert 1988, S. 30. 37 Weichert 1988, S. 30. 38 Amelung / Tyrell 1980, S. 1561 m. H. auf Schmidt 1974, S. 244; Paeffgen 1979, S. 516; ablehnend Hubmann 1967, S. 299.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Das ploße Beobachten durch eine Fernsehkamera scheint nicht dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zugeordnet zu werden 39. Rechtmäßig hergestellte Aufzeichnungen werden als zu Beweiszwecken verwertbar angesehen 40 • In dieselbe Richtung gehen Bemerkungen, welche die Aufzeichnung von Video bild- und Tonaufnahmen als Erhebung personenbezogener Daten und als einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ansehen, der nur dann entfiele wenn eine Identifikationsmöglichkeit der Abgebildeten nicht bestehe 41 • Das Festhalten (des Bildes oder der Stimme einer Person) sei "weit mehr als das bloße Beobachten durch Sehen und Hören. . . sogar etwas ganz anderes", es werde "ein neues Objekt" geschaffen, "das nicht nur als Sache interessiert, sondern als Ausdruck der Persönlichkeit selbst, die auf Band festgehalten" werde. Das "Bild als Spiegel der Persönlichkeit" schaffe für dessen Besitzer eine neue Möglichkeit, darüber zu bestimmen, ob und unter welchen Begleitumständen die abgebildete Person in ihrem Bild einer neuen Umwelt vorgestellt werde. Die Abbildung beseitige den Zustand der freien Entscheidung des Individuums über sich selbst, indem das Bild für die Polizei einen Anknüpfungspunkt eines Machtverhältnisses darstelle, das sich zwischen die Person und ihr Eigenbild schiebe. Das gleiche habe für die Fixierung des Tons zu gelten, durch die das gesprochene Wort kraft der Apparatur einen Ausschließlichkeitsanspruch auf objektive Wahrheit erhalte, wie ihn sich keine sonstige Wiedergabe anmaße 42. Ein enger Zusammenhang zwischen Datenschutz und optischer Überwachung wird auch hergestellt, wo ausgeführt wird, Video aufnahmen von Personen beschränkten "das Recht am eigenen Bild als besondere Ausprägung des informationellen Selbstbestimmungsrechts" und fortgefahren wird, Anwendungen der Videotechnik zu Zwecken der Beobachtung und Aufzeichnung von Personen könnten unzulässig sein, auch soweit die Videokamera lediglich zur Rationalisierung der Beobachtung eingesetzt werde, z. B. zur Einsparung der persönlichen Anwesenheit von Aufsichtspersonen, weil im Gegensatz zu der persönlichen Beobachtung, bei der der Betroffene die Beobachtung unmittelbar zur Kenntnis nehmen könne, bei der Beobachtung durch Videokameras ein anonymer Überwachungsdruck erzeugt werde. Diente die Aufzeichnung dazu, bestimmte Personen zu identifizieren und ausfindig zu machen, sei sie zielgerichtet auf Personenbezug 43 • Kein Bezug zum Datenschutz, sondern zur "Privatsphäre" wird hergestellt, wo ausgeführt wird,44 der Einzelne werde vor erzwungenen oder heimlichen 39 40

41

42 43 44

Vgl. Amelung / Tyrell 1980, S. 1561. Amelung / Tyrell1980, S. 1560. Kowalczyk 1989, S. 122 ff. Kowalczyk 1989, S. 122 f. m. H. a. Dürig 1958, Rnm. 38,39 m. w. N. Gola 1989, S. 442. Starck 1985, Rnm. 70, 120.

A. Literatur und Rechtsprechung speziell zur Videoüberwachung

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filmischen Aufnahmen sowie gegen die Verbreitung solcher Aufnahmen durch Träger öffentlicher Gewalt durch das Recht am eigenen Bild geschützt, das unter den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG falle. Die Eingriffsmöglichkeiten des Staates, etwa zum Zwecke der Aufklärung und Bekämpfung von Verbrechen, seien im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips nach dem Grad der Intimität des Bildes und der Schwere der Straftat, deren der Fotografierte verdächtig sei, abzustufen. Würden aus einer Versammlung heraus Straftaten begangen oder drohe ihre Begehung, dürften auch Personen mitfotografiert oder mitgefilmt werden, die an den Straftaten nicht beteiligt sind, da andernfalls Aufnahmen gar nicht gemacht werden könnten. Dabei sei zu berücksichtigen, "daß der volle Schutz der Privatheit" gar nicht eingreifen könne, wenn jemand an einer öffentlichen Versammlung teilnehme 45. Das Recht am eigenen Bild sei durch § 22 KUG geschützt, in dem Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung ohne Einwilligung des Abgebildeten verboten seien. Die in § 23 vorgesehenen Ausnahmen verletzten nicht die Privatsphäre, da diese entweder gar nicht vorliege (Teilnahme an öffentlichen Versammlungen) oder die abgebildete Person nur Beiwerk sei. Bereits die Herstellung des Bildes einer Person könne die Privatsphäre verletzen, wenn entsprechend der heimlichen Tonbandaufnahme fotografische oder filmische Aufnahmen heimlich hergestellt würden. Das eigene äußere Erscheinungsbild außerhalb der Öffentlichkeit sei als Teil der Persönlichkeit geschützt. Für die Einschränkung des Schutzes des Persönlichkeitsrechts gelte Entsprechendes "wie bei den Tonbandaufnahmen". Ob Diebstahlsverdacht gegen einen Angestellten ausreiche, ihn durch eine verborgene Kamera heimlich überwachen zu lassen, wird als problematisch angesehen. Für das berechtigte Bedürfnis, diebische Angestellte zu ertappen, gebe es andere Möglichkeiten, die das Persönlichkeitsrecht nicht berühren. Das Recht, nicht unwissentlich fotografiert oder gefilmt zu werden, bestehe nicht nur in privaten Räumen, sondern auch am Arbeitsplatz, wo der Mensch seinen Tag verbringe und dabei in der Regel nicht in der Öffentlichkeit stehe. Die für jedermann erkennbaren Überwachungskameras in den Kaufhäusern, die die Kunden filmen, griffen deshalb nicht in das Persönlichkeitsrecht ein, weil "man sich ihnen entziehen kann, indem man seine notwendigen Einkäufe beim Einzelhandel tätigt". Das Betreten eines Kaufhauses bedeute Einwilligung in die Herstellung von Fernsehaufnahmen zum Zwecke der Verhinderung, Aufdeckung und Ahndung von Diebstählen; weiter reiche die Einwilligung jedoch nicht 46 • Ähnliche Überlegungen finden sich bei Autoren, die für die Bestimmung des Schutzbereichs des Rechts am eigenen Bild für Videoaufnahmen auf § 23 Abs. 1 Ziff.2 und 3 des Kunsturhebergesetzes zurückgreifen 47 • Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Videoaufnahmen zu Zwecken der Straftatbekämpfung wird angenommen, die Abbildung einzelner Personen bedür45 46

47

Starck 1985, Rnr. 70. Starck 1985, Rn. 120. Keller 1982, S. 105 f.; ebenso KnieseI / Tegtmeyer / Vahle 1986, S. 185 f.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

fe einer Grundlage in den polizeirechtlichen und strafprozessualen Eingriffsermächtigungen. Das seien insbesondere § 81 b StPO in beiden Alternativen, die Identitätsfeststellung nach § 163 b I 3 StPO und die polizeiliche Generalermächtigung. Aus letzterer leite sich freilich nicht die Befugnis zu Rechtseingriffen ab, die lediglich der Vorsorge für künftige Gefahrenabwehr oder künftiger Strafverfolgung dienten. Die strafprozessuale Aufgabenzuweisung des § 163 StPO i. V. m. § 24 KUG reichten insoweit nicht mehr aus. Dagegen trage § 23 I Nr. 3 KUG nach wie vor die Annahme, daß sogenannte Übersichts- oder Gesamtaufnahmen einer Demonstration keine Eingriffe in das Recht am eigenen Bild darstellten, so daß sie auf Grund der polizeirechtlichen Aufgabenstellung der Polizei gemacht werden dürften 48 • Ob dies auch für heimliche Maßnahmen gilt, wird als zweifelhaft angesehen 49 • Anders als die bisher genannten Autoren, die das Recht am eigenen Bild oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Prüfungsmaßstab heranziehen, finden sich auch Stimmen, die für die Überwachung von Personen bei und in Versammlungen der Meinung sind, daß insoweit nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern das spezielle Freiheitsrecht aus Art. 8 GG Prüfungsmaßstab sei 50. Es wird die Meinung vertreten, die Grundrechtsausübung im Rahmen des Art. 8 GG vertrage keine restriktive staatliche Beaufsichtigung, wie etwa durch die Anfertigung von Filmaufnahmen, da andernfalls das Recht, an Demonstrationen teilzunehmen, aus Furcht vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen und deren Folgen von besorgten Bürgern nicht mehr wahrgenommen werden könnte 51. Von anderen wird zwar Art. 8 GG als eingeschränktes Grundrecht angesehen, allerdings nur in den Fällen, in denen nach objektiven Kriterien, z. B. aus der Sicht "eines durchschnittlichen Demokraten" das Vorliegen eines Drucks auf die "innere Versammlungsfreiheit" zu bestimmen sei, da es auf das subjektive Gefühl des Überwachtwerdens potentieller Versammlungsteilnehmer nicht ankommen könne 52. Der Zuordnung von Videoaufnahmen bei Versammlungen zum Schutzbereich des Art. 8 GG wird von Götz unter Hinweis auf Schmitt Glaeser und die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 53 begegnet, eine exzessive Observation und Registrierung von Versammlungen, demonstrative Einschüchterung von Demonstranten und die systematische Versammlungsüberwachung sei eine verfassungswidrige Verletzung des Grundrechts der Götz 1990, S. 114, 116. Scholz / Pitschas 1984, S. 175; ähnlich auch Grasmeier 1980, S. 18 f. 50 Ebenso Braun 1990, S. 50; Alberts 1986, S. 392; Herzog 1981, Rn. 73. 51 Schwan 1975, S. 120 ff., 131 ff., 148; Bäumler 1985, S. 30 ff., 45 f.; Kübler 1966, S. 319 ff.; Schmidt 1974, S. 241 ff., 247 f.; Bäumler 1986, S. 470 ff.; Denninger 1979, S. 7 ff., 27; Arndt 1961, S.897, 898; v. Hartlieb 1976, S. 287, 291; Schatzschneider 1979, S. 131; Meyer 1982, S.9 Fn.3 ffi. w. N.; Braun 1990, S. 50 f.; Alberts 1986, S. 391; Herzog 1981, Rn. 73. 52 Braun 1990, S. 51; Alberts 1986, S. 391. 53 BVerfGE 69, 315. 48

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A. Literatur und Rechtsprechung speziell zur Videoüberwachung

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Versammlungsfreiheit. Man wechsle jedoch "auf ein ganz anderes Gleis", wenn man Informationserhebungen in und aus Versammlungen - jedenfalls wenn sie einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. das Recht am eigenen Bild darstellen - als einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und demgemäß als Beschränkung i. S. des Art. 8 Abs. 2 GG ansehe. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht am eigenen Bild folgten aus dem durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ihr Sitz sei nicht Art. 8 Abs. 1 GG. Dieser sei kein Spezialgrundrecht zur Selbstdarstellung. Nach Götz ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 54 nichts anderes; dessen Aussagen zur Verfassungs widrigkeit exzessiver Observationen von Versammlungsteilnehmern ließen sich auf die Ausübung informationeller polizeilicher Befugnisse nicht übertragen. Daher habe auch der Bundesgesetzgeber mit der Plazierung von Ermächtigungen zu Bildaufnahmen im Versammlungsgesetz selbst dem Mißverständnis Auftrieb gegeben, es handle sich hierbei um einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit 55 • Andere lehnen eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch Überwachungsmaßnahmen bei Demonstrationen mit der Begründung ab, die Polizei ziele mit der Überwachung nicht auf die Freiheit der Versammlung ab 56, auch bleibe der Ablauf der Versammlung durch Filmaufnahmen unberührt 57. Auch wenn durch exzessives Filmen von Demonstrationen die Willensfreiheit der Demonstrationsteilnehmer beeinträchtigt werde, sei nicht dieses entscheidend, sondern die ständige, als behindernd empfundene, auch objektiv behindernde Anwesenheit der Polizeibeamten 58 • Im Gegensatz dazu wird im Hinblick auf die Herstellung von Übersichts- oder Gesamtaufnahmen von Demonstrationen und anderen Massenveranstaltungen, wie beispielsweise Fußballspiele, verbreitet angenommen, diese stelle keinen Eingriff in das Recht am Bild, oder auf informationelle Selbstbestimmung dar. Denn der Einzelne sei nur ein anonymes Bildelement. Daher sei insoweit die polizeiliche Aufgabenzuweisung als Rechtsgrundlage ausreichend 59. Erst wenn die Aufnahme sich auf einzelne Pesonen richte, liege ein Eingriff vor 60 •

54 BVerfGE 65, 1 [43]-Volkszählung; BVerfGE 69, 315 [349]-Brokdorf vgl. dazu unten 4. Kap. BIll. 55 Götz 1990, S. 116. 56 Vahle 1986, S. 76, 77; ders. 1983, S. 29 f., 33 f., 39; Meyer 1982, S. 8 f.; v. Münch 1965, S. 404, 405; Schmidt 1974, S. 241, 248; Simon / Taeger 1981, S. 43; Krüger 1977, S. 249,254. 57 Keller 1982, S. 123. 58 Keller 1982, S. 123. 59 Götz 1990, S. 114. 60 Krüger 1977, S. 250, 253; Meyer 1982, S. 43; Weßlau 1990, S. 194 m. w. N.; Götz 1990, S. 114.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

B. Literatur und Rechtsprechung zu Verfassungsfragen der optischen und akustischen Überwachungstechnologie im allgemeinen Diese neueren, punktuellen Bearbeitungen zu Verfassungsfragen der Videotechnik stehen gleichsam auf einem Unterbau von verfassungsrechtlichem Material zu Anwendungen älterer visueller und akustischer Überwachungstechnologien bei der Straftatbekämpfung, insbesondere zur Fotografie und zur Tonbandtechnik 61 • Bekanntlich ist es auch mit diesen Geräten möglich, Personen in ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihren stimmlichen Äußerungen festzuhalten. Deshalb, und weil das spezielle Material zur Videotechnik oft stillschweigend von diesen älteren verfassungsrechtlichen Äußerungen ausgeht, sind diese hier von Bedeutung.

I. Überwachung und allgemeines Persönlichkeitsrecht Eine verfassungsrechtliche Würdigung optischer und akustischer Überwachung von Personen hat bisher in erster Linie stattgefunden am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Konkretisierungen des Rechts am eigenen Bild, des Rechts am gesprochenen Wort und, neuerdings, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Daher soll im folgenden dieses Material betrachtet werden. Da die Konkretisierungen ohne Vorstellung davon, was zu konkretisieren ist, nicht verständlich sind, erscheint es geboten, Entwicklung und Stand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter dem Blickwinkel des Themas zu beleuchten. Die Betrachtung kann sich angesichts der ausführlichen Behandlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im verfassungsrechtlichen Schrifttum 62 auf eine Sicht beschränken, wie sie für das Thema wesentlich ist.

61 Künze11985, S. 120; ders. 1987a, S. 11; Stolski 1982, S. 176 (Stimmidentifikation); Hunsicker 1986, S.365; Seifert 1985, S.94; Schatzschneider 1981, S. 130; Wolfslast 1987, S. 103; Bottke 1987, S. 356; Flossmann 1986, S. 441; Welp 1986, S. 294; Vahle 1986, S. 78; Vahle 1987a, S. 210; Evers 1970, S. 147; J. Hoffmann 1979, S. 214; LangHinrichsen 1970, S. 1 ff.; Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, DuD 1986, S. 221; Schwan 1980, S. 1992; Gusy 1981, S. 1581; Thomas 1977, S. 87 ff.; Gössel 1979, S. 163; Geerds 1986, S. 14; BOH JZ 1971, S. 389 m. Anm. Arzt; BVerfO DUD 1984, S. 244;

BVerfOE 30, 1 (0-10); BVerfOE 34, 238 (Tonband); ferner EOMR NJW 1979, 1755 (Abhörurteil); BOH JZ 1982, S. 375; BOH JZ 1982, S. 199; BOH NJW 1983, S. 1569; BOHZ 27,284,288 (grundlegend zum Recht am Wort); OLO Köln NJW 1979, S. 661; OLO Schleswig NJW 1979, S. 816,817. 62 Rohlf 1980, S. 22; Schotz 1975, S. 80 ff. u. 265 ff.; Vahle 1983, S. 19 ff.; Meyer 1982, S. 13 ff.; Woertge 1984, S. 66 ff.; Arzt 1970, S. 1 ff.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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1. Konkretisierung als Reaktion auf Überwachungstechnik Schon kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes sind in Zivilrechtsprechung und Zivilrechtslehre Versuche zu finden, aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG einen Schutz der Persönlichkeitssphäre des Einzelnen vor dem Eindringen Dritter abzuleiten. Diese Versuche gingen von der These aus, der Einzelne müsse zur Erhaltung der Integrität seiner Persönlichkeit vor dem Eindringen Dritter in den mit "Privatsphäre" oder "Intimsphäre" umschriebenen Bereich geschützt werden. Anlaß waren ganz wesentlich auch technische Entwicklungen auf dem Gebiet der optischen und akustischen Überwachungstechnik 63. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde dabei als zu konkretisierendes Element der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit verstanden. Zeitlich als einer der Ersten entwickelte Hubmann sein für das weitere Verständnis grundlegende System des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die verfassungsrechtliche Argumentation aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG diente ihm jedoch nur zur Verankerung eines Ergebnisses, das er aus der Gesamtschau des bis zum Jahre 1953 vorliegenden, reichhaltigen zivilrechtlichen Materials zum Persönlichkeitsrecht gewann 64 • Dieses ältere zivilrechtliche Material wurzelt im wesentlichen in der Naturrechtslehre, reicht aber in noch ältere Schichten hinab 65 • Hubmann ging von diesem Bestand aus, faßte 63 Arzt 1970, S.7 weist darauf hin, daß neben Wandlungen der Technik, auch die Wiederkehr naturrechtlicher Vorstellungen und die höhere Einschätzung der Würde der Person nach dem Zweiten Weltkrieg die Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes begünstigt haben. 64 So auch Rohlf 1980, S. 22; der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz entfaltete sich angesichts der Gefahren für die Privatsphäre des Einzelnen durch Indiskretionen der Presse; vgl. BGHZ 13, 334, 338; 24, 72, 76 f.; zu der Entwicklung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts U. Müller, 1985, S. 17 ff; Bussmann 1957, S. 8 ff., 19 ff.; Hubmann 1967, S. 85 ff.; Coing 1958, S. 558; D. Leuze 1962; Coing 1988, S. 87107; Brandner 1983, S. 689; W. Schmidt 1974, S. 241; Ahlf 1983, S. 43 Fn. 23.; Evers 1972, S. 377 f.; Lang-Hinrichsen 1970, S. 3; RGZ 113,413; 142, 123; BGHZ 11, 181; 13,334; 15,249; 20, 345; 24,72; 24, 200; 26, 349; 27, 284; BGHSt 10,202,205; 14, 358,361; 19,325,329; KG JZ 1980, 31 f. 65 Die naturrechtlichen Versuche Christian von Wolffs, aus dem Wesen der menschlichen Persönlichkeit eine Vielzahl von "angeborenen Rechten" zu konkretisieren (Jus naturae methodo scientificia, Bd. I, Pars I Cap I 26, 1736-1749) stieß auf den Spott seiner Zeitgenossen. Friedrich Schiller polemisiert in seinem Distichon: ,.Jahre lang schon bedien ich mich meiner Nase zum Riechen. Hab ich denn wirklich an sie auch ein erweislich Recht?" (Ausspruch Xenien, F. Schiller, Sämtliche Werke, I. Bd., Hanser Verlag München 1958, S.299 zit. nach D. Leuze 1962, S.22); diese Polemik wurde von anderen Autoren des 19. Jahrhunderts fortgeführt: So meinte Unger, die Naturrechtier müßten von ihrem Standpunkt aus von einem Recht zu riechen, zu niesen, zu gähnen, auf einem Fuß zu stehen u. a. sprechen; Kaerger kommt auf den Gedanken, ein Recht auf Verspeisung von gebackenen Froschschenkeln zur Diskussion zu stellen (zit. nach D. Leuze 1962, S. 22 Fn. 32). Etwas sachlicher aber dennoch spöttisch meinte Böcking: "Recht der Persönlichkeit? - Eigentum seiner selbst?, eine anmutige Spekulation, aber wegen Verkennung sowohl des Begriffs der Persönlichkeit als der des Eigentums unrichtig!"(zit. nach Süss 1956, S.206). Hingegen konnte Süss im Jahre 1956 festhalten, "dieses Stadium der anmutigen Spekulation" sei überwunden (Süss 1956, S. 206).

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

das Material zusammen und aktualisierte es. Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren die Gefahren, welche die moderne Technik für das Eigenleben des Einzelnen und damit zugleich für das Zusammenleben aller mit sich gebracht hatte: Das allgemeine Persönlichkeitsbewußtsein habe sich verfeinert, man sei hellhöriger geworden gegenüber Beeinträchtigungen der Persönlichkeit, weil man ihr Wesen, ihre Bedeutung und ihren Eigenwert klarer erfaßt habe. Diese Wandlung der "Kulturauffassung" dürfe bei der Gesetzesauslegung nicht außer acht gelassen werden. Es sei notwendig dem Richter überlassen, die geschriebene Norm den Veränderungen der Umstände und Wandlungen der Kulturauffassung anzupassen. Hubmann unterschied zwischen geschützten Rechtsgütern, Verletzungsarten sowie dem Schutzumfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Für die Prüfung des Schutzumfangs sei es notwendig, "nach der Natur der Persönlichkeit, die einerseits im Für-Sieh-Sein, andererseits aber auch in der Gemeinschaftsgebundenheit besteht, drei Schutzkreise zu unterscheiden: nämlich die Individualsphäre, die Privatsphäre und die Geheimsphäre". Die Individualsphäre schütze das Eigenleben des Einzelnen in der Öffentlichkeit, in seinen Beziehungen zur Welt. Soweit sich sein Leben in der Öffentlichkeit abspiele, könne es nicht vor dieser Öffentlichkeit bewahrt werden, müsse aber gegen sonstige Beeinträchtigungen gesichert sein. Die Privatsphäre umfasse das alltägliche Leben, wie es sich im Kreise des Berufs, der Freundschaft und Bekanntschaft, der Familie, aber auch auf der Straße und in sogenannten öffentlichen Lokalen abspiele. Sie müsse insbesondere vor der Öffentlichkeit bewahrt werden. Zur Geheimsphäre gehöre alles, was der Einzelne erkennbar geheim halte. Sie könne nicht nur Schutz vor der Öffentlichkeit, sondern auch vor Kenntnisnahme durch Einzelne verlangen 66. Dieser Ansatz sollte als "Sphärentheorie" das Verständnis des verfassungsrechtlichen ebenso wie des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts über Jahre hinaus prägen 67. In Übereinstimmung damit argumentierte der Bundesgerichtshof, die engere Lebenssphäre des Einzelnen sei in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt. Erstmals im Jahre 1954 entschied er unter Berufung auf Schriften von Enneccerus-Nipperdey, Enneccerus-Lehmann und Coing 68 , daß unter der Herrschaft des Grundgesetzes das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht gewährleistet sei. Dies beanspruche wegen Art. 1 Abs. 3 GG auch Geltung für die Normen des Privatrechts 69.

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Hubmann 1957, S. 521 ff.

Vgl. die ausführliche Darstellung der Entwicklung der Sphärentheorie bei Rohlf 1980, S. 22 ff.; Hubmann 1967 S. 268 f.; Hubmann 1957, S. 521; Neumann-Duesberg 1949, S. 189 ff.; Bussmann 1957, S. 40. 68 BGHZ 13, 334. 69 BGHZ 24, 72, 76 f.; Ipsen 1986, S.441 spricht in diesem Zusammenhang von einem "Versagen" des Gesetzgebers bei der Schaffung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem ,,Einspringen" des BGH bei seiner Schaffung. Die Rechtsprechung fand 67

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungs technologie

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In zwei weiteren, wegweisenden Entscheidungen, die unter anderem das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort betrafen 70, legte der Bundesgerichtshof dar, die menschliche Persönlichkeit müsse in seiner engeren Lebenssphäre, "in seinem inneren Persönlichkeitsbereich" 71 geschützt werden. Es bestehe die Notwendigkeit zur Wahrung der vom Recht gesetzten Schranken und dazu einem Mißbrauch des "leichter verletzbar gewordenen Persönlichkeitsrechts" vorzubeugen 72 • Die generalklauselartige Weite und Unbestimmtheit werde bedingt durch das Wesen der Persönlichkeit 73, die sich mit ihrer Dynamik nicht in feste Grenzen einschließen lasse. So sei auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht seinem Inhalte nach nicht abschließend festzulegen. Das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit sei gewissermaßen ein "Muttergrundrecht" oder "Quellrecht", aus dem die konkreten Gestaltungen flössen 74. Auf diese Weise war die jahrzehntealte zivilrechtliche Auseinandersetzung um Anerkennung und Existenz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entschieden 75, und eine verfassungsrechtliche Verankerung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erreicht. Die aus dem Zivilrecht stammende Konzeption des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Persönlichkeitsschutz innerhalb einer Sphäre privaten Lebens wurde in der Folgezeit - mit Modifikationen und weiteren Differenzierungen - ins Verfassungsrecht übertragen 76. Dürig entnahm angesichts der Möglichkeiten der Tonbandtechnik aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG die Gewährleistung der Intimsphäre 77 • Evers unterschied zwischen einer absolut geschützen Privatsphäre, einer relativ geschützten Privatsphäre und einer ungeschützten Öffentlichkeits sphäre 78. H. Peters ging bei seinem Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG davon aus, dieser enthalte ein "unbenanntes Freiheitsrecht", das die engere persönliche Lebenssphäre des Einzelnen innerhalb der von der Verfassung selbst gezogenen Grenzen schützen soll und insofern Begrenzungen durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes ausschließt 79 • Demgegenüber hielt Forstweitgehende Zustimmung im zivilrechtlichen Schrifttum (vgl. Hubmann 1967, S. 5 ff. m. w. N.) und wurde vom BVerfG verfassungsrechtlich bestätigt, BVerfGE 30, 173 [194 f.]; 34, 118 [135 f.]; 34, 238 [246 f.]; 34,269 [282]; 35,202 ff. 70 BGHZ 24, 72; 27, 284. 71 BGHZ 27, 284, 286. 72 BGH NJW 1966, S. 2353,2354. 73 Die Schwierigkeiten der Definition des Persönlichkeitsrechts beginnen bereits beim Begriff der Persönlichkeit. Der Psychologe Gordon W. Allport zählt fünfzig Bedeutungen des Worts auf; vgl. Hubmann 1967, S. 9 m. w. N. 74 BGHZ 24, 72, 78; Dürig 1957, S. 170. 75 Vgl. dazu BGHZ 13, 334, 337 m. w. N. zu der ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ablehnenden Rechtsprechung des Reichsgerichts. 76 Ausführliche Darstellung und Kritik bei Rohlj 1980, S. 24 ff., 31 f. 77 Dürig 1956, S. 117,129. 78 Meyer 1982, S. 25 f.; Evers 1960, S. 44 ff.; zum Begriff der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Sphärentheorie siehe Mahrenholz 1987, S. 261 Fn. 1 u. 2m. w. N. 79 H. Peters 1963, S. 47 ff.; zu diesem engen Verständnis des Art. 2 Abs. 1 vgl. K. Hesse 1988, Rn. 428 m. w. H.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

hoff noch 1964 einen Persönlichkeitsschutz im öffentlichen Recht mit der Begründung für überflüssig, die Intimsphäre habe im Verwaltungsrecht und der Strafrechtspflege als Eingriffsgrenze keine Existenzberechtigung; es fehle, anders als im Zivilrecht, die Publizität der Massenmedien als dialektischer Gegenbegriff und unabdingbare Voraussetzung eines Schutzes der Intimsphäre. Auf diese könne sich jedenfalls die Strafrechtspflege nicht einlassen 80. Ebensowenig gehe es bei der Strafrechtspflege, anders als im bürgerlichrechtlichen Persönlichkeitsschutz, nicht um die Sicherung der Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation 8l • Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zU diesen Fragen setzte zeitlich später ein. Ohne zunächst den Begriff des "allgemeinen Persönlichkeitsrechts" zu verwenden 82 , erst die Eppler-Entscheidung hat dies getan 83, lehnte sie sich an die von ihm vorgefundene Sphärenkonzeption an. In der Elfes-Entscheidung 84, deren verfassungsrechtliche Bedeutung in der Anerkennung der allgemeinen Handlungsfreiheit im weitesten Sinne 85 liegt, finden sich Ansätze der später zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelten Grundsätze. Nach dieser Entscheidung ergibt sich aus den Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 19 Abs. 2 GG, "daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist" 86. Dieser Ansatz wurde durch eine Reihe weiterer Entscheidungen weitergeführt 87. In der Tonband-Entscheidung legte das Gericht dar, das Grundgesetz gewähre dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung ("Intimsphäre"), der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen sei. Jedoch stehe nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Soweit der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht betroffen sei, habe der Einzelne als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinzunehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden. Die Eppler-Entscheidung 88 faßte die bis dahin vorliegende Rechtsprechung zur 80 Forsthoff 1964, S. 42 f., 44, 46; ähnlich auch H. Krüger, 1966, S. 347 f., 539; Krauß 1973, S. 365 ff. 8l Forsthoff 1964, S. 42 u. 44.

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Zur Übernahme der "Sphärentheorie" vom Zivilrecht ins Verfassungsrecht vgl.

Rohl[ 1980, S. 24; Stern 1988, S. 646.

BVerfGE 54, 148 [153]. BVerfGE 6, 32. 85 Schotz 1975, S. 265,266 f.; Woertge 1984, S. 66 ff. 86 BVerfGE 6, 32 [41]. 87 BVerfGE 24, 119 [144]; 27, 1 [6]; 27, 344 [350 ff.]; 30, 1 [42]; 32, 373 [379]; 33, 367 [374]; 35, 35 [39]; 35, 220 [235 f.]; 38, 105 [114 f.]; 39, 1 [42 f.]; 44, 353 [373]; 47, 46 [73]; 49, 286 [298]. 88 BVerfGE 54, 148 [153]. 83

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B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechno1ogie

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Privatsphäre zusammen und führte aus, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleiste das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses ergänze als "unbenanntes" Freiheitsrecht die speziellen ("benannten") Freiheitsrechte. Seine Aufgabe sei es, im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der Würde des Menschen die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten. Diese Notwendigkeit bestehe namentlich auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit. Wie der Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 GG zeige, enthalte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG ein Element der "freien Entfaltung der Persönlichkeit", das sich als Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs von dem "aktiven" Element dieser Entfaltung, der allgemeinen Handlungsfreiheit, abhebe. Demgemäß müßten auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts enger gezogen werden als diejenigen der allgemeinen Handlungsfreiheit. Es erstrecke sich nur auf Eingriffe, die geeignet seien, die engere Persönlichkeitssphäre zu beeinträchtigen 89. Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts könne aber - wie schon der Bundesgerichtshof festgestellt habe - der Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben werden. Stattdessen müßten seine Ausprägungen jeweils anband des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet werden 90. Auf Grund dieses untrennbaren zivilrechtlichen und verfassungsrechtlichen Argumentationszusammenhangs der Sphärentheorie verdankt das Zivilrecht der verfassungsrechtlichen Normierung des Art. 2 Abs. I GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 u. Abs. 3 GG wesentliche Impulse für die Belebung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts 91 • Andererseits verdankt das Verfassungsrecht dem Zivilrecht den Inhalt einer neuen Gewährleistung. Denn dem Schluß, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. 1 Abs. 1 GG gewährleiste ein grundrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht, folgte sogleich die Inkorporierung des vorliegenden zivilrechtlichen Materials in die Grundrechtsbestimmung, um diesen Inhalt sodann im Wege einer "Drittwirkung" wieder in das Zivilrecht zu transformieren. Die methodische Absicherung dieser ständigen Osmose 92 zwischen Verfassungsrecht (und seiner jeweiligen Auslegung) und Zivilrecht (in seiner jeweiligen Auslegung), erscheint bisher dunkel. Denn um eine Drittwirkung im herkömmlichen Sinne, wonach einfaches Recht im Lichte des zuvor mit den Mitteln der Verfassungsinterpretation festgestellten Verfassungsinhalt ausgelegt wird, kann es sich dann nicht handeln, wenn die Verfassung zuvor mit zivilrechtlichen Inhalten angereichert wurde. BVerfGE 53, 148 [153 ]. BVerfGE 54, 148 [153 f.]. 91 Ähnlich schon v. Caemmerer 1960, S. 105. 92 Diesen Begriff verwendet Forsthoff 1964, S. 43, wenn auch in anderem Zusammenhang. 89

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Die Vorstellung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als der rechtlichen Gewährleistung der engeren Sphäre privater Lebensgestaltung wurde im Verlauf der Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahre einsetzenden Datenschutzdiskussion zunehmend kritisiert und durch andere Theorien ergänzt. Dies war Folge der Erkenntnis, daß durch die Abgrenzung von "Sphären" keine Antworten auf die durch die modeme Datenverarbeitungstechnik mit ihrer Möglichkeit der technisch unbegrenzten Speicherung, Verbindung und Übertragung von Daten sichtbar werdenden Gefährdungen des Menschen zu finden sind, sowie Reaktion auf die Schwierigkeit der Abgrenzung von Sphären unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit 93 • Insbesondere wurde die Existenz eines absoluten Kembereichs und einer Intimsphäre angezweifelt oder ganz geleugnet 94 • Am Beispiel der elektronischen Datenverarbeitung zeigten sich die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Sphärentheorie. Ihr Menschenbild erschien nun manchen zu einfach. Daß sie sich überhaupt habe etablieren können, wurde damit erklärt, daß den deutschen Bildungsschichten unter dem Nationalsozialismus und in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg differenziertere Persönlichkeitsmodelle nicht zugänglich gewesen seien 95 • Als das Persönlichkeitsrecht in der Nachkriegszeit aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet worden sei, habe die Jurisprudenz noch nicht auf eine wissenschaftliche Persönlichkeitstheorie zurückgreifen können, sondern sei auf klassische deutsche Denktraditionen angewiesen gewesen. Diese aber hätten keine erfahrungswissenschaftliche Verhaltensanalyse bereitgehalten, sondern ein pathetisches Konzept der Person, die ihr "innerstes Wesen" im "Für- Sich- Sein" finde. Denn geschichtlich sei dieses Konzept eine späte Frucht des Umstandes, daß das deutsche Bürgertum bis an die Schwelle der Gegenwart aus der politischen Öffentlichkeit abgedrängt und daher seine persönliche Erfüllung habe im Privaten finden müssen. Von dem skizzierten Ansatz aus bleibe aber kein anderer Weg als der, die Privatsphäre wie eine Aura um die Persönlichkeit herumzulegen 96. Ausgangspunkt der neueren Ansätze zur Auslegung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts waren im Gegensatz zum angeblichen "Pathos" der Sphärentheorie 97 empirisch überprüfbare sozialpsychologische Thesen zum Wesen der menschlichen Persönlichkeit 98 , die als Theorie der autonomen Selbstdarstellung, 93 Vgl. die Nachweise bei Rohlf 1980, S. 47 ff., 55 ff.; 59 ff. (Luhmann, Kamlah, o. Mallmann, Steinmüller); kritisch auch Simitis 1971, S. 680; auch W. Schmidt 1974, S. 5 weist auf diesen Kritikpunkt hin; er beobachtet zutreffend, daß auf der Ebene der einfachrechtlichen §§ 22-24 KUG eine Ausdehnung der "Privatsphäre" in einen zuvor nicht als schutzbedürftig angesehenen Bereich der "Offentlichkeitssphäre" stattgefunden hat. Die Überlegungen bleiben aber ohne direkte verfassungsrechtliche Schlußfolgerung für das Recht am eigenen Bild; vgl. zur Kritik auch Podlech 1989, S. 265 f. 94 Nachweise bei Amelung 1990, S. 1755 Fn. 27 und S. 1757 Fn.44. 95 Amelung 1990, S. 1755. 96 Amelung / Tyrell 1980, S. 1560; ähnlich bereits Habermas und SchoUer, vgl. die Nachweise bei Rohlf 1980, S. 39. 97 Amelung / TyreU 1980, S. 1560.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Rollentheorie und kommunikationstheoretischer Ansatz bereits im Zusammenhang mit den psychologischen Bedingungen skizziert wurden. Aus den darin enthaltenen sozialpsychologischen Erkenntnissen zogen Autoren in bezug auf die verfassungsrechtliche Würdigung angesichts der Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung den Schluß, das allgemeine Persönlichkeitsrecht müsse zum Schutz der Persönlichkeit ein "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" mit der Befugnis des einzelnen enthalten, selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten ohne Rücksicht auf deren Zugehörigkeit zu Sphären zu entscheiden 99. Damit hatte das allgemeine Persönlichkeitsrecht im datenschutzrechtlichen Schrifttum eine Ausweitung erfahren, die sich in ihrer Weite der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG annäherte. Die Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die Gewährleistung der engeren Persönlichkeitssphäre und ihrer Voraussetzungen wurde auch vom Bundesverfassungsgericht durch die Entscheidung zum Volkszählungsgesetz 1983 zumindest für den Bereich des staatlichen Umgangs mit persönlichen Daten des Einzelnen relativiert. Es erkannte das zuvor im Schrifttum entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des grundrechtlichen allgemeinen Persönlicheitsrechts an; eine eng verstandene Sphärentheorie wurde überwunden und Elemente der genannten Ansätze übernommen 100. Dies wurde unmittelbar nach der Volkszählungsentscheidung überwiegend als Aufgabe der Sphärentheorie interpretiert 101. Gelegentlich wurde entgegengesetzt angenommen, die Volkszählungsentscheidung habe an der Sphärentheorie nicht nur festgehalten, sondern sie sogar noch verstärkt 102. Gegen eine gänzliche Aufgabe der Sphärentheorie durch das Bundesverfassungsgericht sprechen jedenfalls die Ausführungen des Gerichts in der Volkszählungsentscheidung selbst, wonach für die Frage, wieweit eine zulässige Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung möglich ist, es zwar "nicht allein" davon abhängen könne, ob intime Vorgänge betroffen sind 103. Ein die Beschränkung rechtfertigendes überwiegendes Allgemeininteresse werde indessen regelmäßig überhaupt nur an Daten mit Sozialbezug bestehen unter "Ausschluß unzumutbarer intimer Angaben und von Selbstbezi_chtigungen." 104 Diesen Kernbereich privater Lebensgestaltung für das 98 Nachweise bei Rohlf 1980, S. 47 ff., 59 ff. insbesondere mit Hinweis auf Rüpke, Podlech und Suhr; kritisch im Blick auf die Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Schutzbereichsbestimmung Rohlf 1980, S. 128.

99 Nachweise über den Gang der Datenschutzdiskussion und die Entwicklungsgeschichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bei Denninger 1987, S. 131; Vogelgesang 1987, S. 39 ff, 51 ff.; vgl. auch Heußner 1987, S. 110 ff. 100 BVerfGE 65, 1 [43]; Ansätze schon in der Mikrozensus-Entscheidung BVerfGE 27, 1 [6] erkennbar; w. N. aus der Rspr. in BVerfGE 65, 1 [42]. 101 Vgl. Weßlau 1989, S. 176.; Benda 1984, S. 88 spricht von der Überwindung der Sphärentheorie, die Schlüssel zum Volkszählungsurteil sei; vgl. auch Pieroth I Schlink 1987, Rn.432. 102 Wolter 1988, S. 134 Fn. 253. 103 BVerfGE 65, 1 [45]. 104 BVerfGE 65, 1 [46].

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Strafverfahren weiter zu konkretisieren, hat der 2. Senat in der sog. zweiten Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts unternommen, die sich um die Bestimmung von Kriterien zur Abgrenzung des unantastbaren Kernbereichs bemüht 105. Insoweit läßt sich sagen, daß das Gericht gegenwärtig die Existenz von jedenfalls zwei Sphären voraussetzt: Den Bereich privater Selbstbestimmung, in den Eingriffe im überwiegenden Allgemeininteresse erfolgen dürfen, sowie den Kernbereich privater Lebensgestaltung, der staatlichen Eingriffen absolut unzugänglich ist. Die Existenz einer dritten, völlig ungeschützten Sphäre ("Öffentlichkeitssphäre") ist hingegen nicht mehr erkennbar lO6 • Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit staatlicher Datenverarbeitung ist damit in erster Linie ein Problem der Schranken geworden 107, die ebenso wie der Schutzbereich im Hinblick auf den zu prüfenden Sachverhalt als konkretisierungsbedürftig und konkretisierungsfähig angesehen werden 108. Im hier interessierenden Zusammenhang waren vor allem Anwendungen der Tonbandtechnik und der Fotografie Gegenstand verfassungsrechtlicher Überlegungen zur Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

2. Recht am eigenen Bild Erst unter der Geltung des Grundgesetzes sind verfassungsrechtliche Äußerungen zum Recht am eigenen Bild als grundrechtlichem Schutz gegen Anwendungen der Fotografie feststellbar, obwohl bereits zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung die Fotografie bei der Straftatbekämpfung eingesetzt wurde 109. Wie die verfassungsrechtliche Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts selbst, hat auch seine Konkretisierung des Rechts am eigenen Bild zivilrechtliche Wurzeln. Es wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Schrifttum als Antwort auf die Gefährdung der Privatsphäre des Einzelnen, insbesondere durch Veröffentlichung von Bildaufnahmen erwogen 110. Arbeiten zu Existenz und Inhalt eines bürgerlichrechtlichen Bildnissschutzes entstanden erstmals durch Keyssner im Jahre 1896 und Kohler im Jahre 1903. Im Jahre 1907 ist das bis BVerfGE 80, 373; kritisch bespr. von Amelung 1990, S. 1753 ff., 1755. Vgl. Amelung 1990, S. 1753 ff., 1755, der eine Rückkehr zur Sphärentheorie kritisiert, aber die Reduzierung auf zwei Sphären übersieht. 107 Ähnlich auch Rohlf 1980, S. 54. 108 Hier wird besonders deutlich, daß die Sphärentheorie zwei verschiedene Gesichtspunkte enthält. Erstens betrifft sie die Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt überhaupt in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG fällt; dies soll für die "Öffentlichkeitssphäre" nicht der Fall sein. Zweitens enthält sie Maßstäbe für die Anforderungen, die an Beschränkungen der gewährleisteten Sachverhalte anzulegen sind. 109 In den staatsrechtlichen Werken zur Weimarer Reichsverfassung findet das Recht am eigenen Bild keine Erwähnung; vgl. Anschütz / Thoma 1930 u. 1932; Anschütz 1960; Apelt 1946; Gebhard 1932; Meißner 1923. 110 Ähnlich schon W. Schmidt 1974, S. 245. 105

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dahin sehr bestrittene Recht durch die §§ 22-24 KUG gesetzlich anerkannt worden 111. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs 112 zu diesen Vorschriften ist das Bildnis einer Person die Darstellung ihrer äußeren Erscheinung in einer dem Durchschnittsbetrachter erkennbaren Wiedergabe der sie identifizierenden Eigenheiten. Maßgebend für die Erkennbarkeit des Dargestellten ist der äußere Eindruck der Darstellung für den Betrachter aus dem mehr oder minder großen Bekanntenkreis des Dargestellten, dessen Umfang nicht von Bedeutung ist. Der äußere Eindruck der Darstellung bemißt sich zwar meist nach den Gesichtszügen des Abgebildeten, aber auch nach seinen sonstigen, ihn identifizierenden Eigenheiten. Die Mittel zu dieser für den Betrachter erkennbaren Identifizierung wie auch ihre Qualität sind grundsätzlich belanglos. Ist die Bildaufnahme selbst undeutlich, liegt dennoch ein Bildnis in diesem Sinne vor, sofern den Dargestellten eine gleichzeitig abgebildete Namensangabe identifiziert 113. Auf den äußeren Träger des Bildnisses kommt es danach ebensowenig an wie auf die Herstellungsart. Der Begriff des Bildnisses beschränkt sich nicht auf eine Abbildung im engeren Sinne, sondern umfaßt jede mögliche äußere Darstellung, die die Erkennbarkeit des Betroffenen zur Folge hat 114. Inhaltlich gewährleisten die §§ 22-24 KUG die ausschließliche Befugnis des Menschen, über Verbreitung und öffentliche Schaustellung seines Bildnisses zu verfügen, wenn nicht u. a. die Rechtspflege oder die öffentliche Sicherheit es beispielsweise durch Veröffentlichung von Steckbriefen und Aufnahmen aus Verbrecheralben erfordern. Demnach schützte § 22 KUG entsprechend seinem Wortlaut und seiner Auslegung durch Rechtsprechung und wissenschaftliche Literatur nicht gegen die Aufnahme als solche, sondern nur gegen die Schaustellung und Verbreitung des Bildnisses 115. Das Gesamtverständnis der §§ 22-24 KUG hat sich seit Inkrafttreten des Grundgesetzes jedoch dahin gewandelt, daß das Recht am eigenen Bild als ein Ausschnitt, als besondere Ausprägung des - selbst zivilrechtlich beeinflußten - grundrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen wurde 116. Dies führte einerseits zur Übertragung der Auslegungsergebnisse zu 111

Zum älteren Schrifttum zum Recht am Bild vgl. Bussmann 1957, S. 43 f. m. N.;

U. Müller 1985, S. 42 f.

112 Der folgende Abschnitt nach der Darstellung bei v. Gamm 1968, S. 133 f. m. N. der Rechtsprechung. 113 Ähnlich Riklin 1987, S. 537 f. m. w. N. aus der schweizerischen Diskussion zum Recht am Bild, der die den Abgebildeten identifizierende Stimme, oder eine Namensnennung durch Dritte zur Bejahung eines Bildnisses ausreichen läßt; auf die Erkennbarkeit stellt auch Rohlf 1980, S. 188 bzgl. Verkehrsüberwachungen ab, deren Eingriffscharakter er ablehnt. 114 v. Gamm 1968, S. 134 f. m. N. der Rechtsprechnung; vgl. Lehmann 1955, S. 403; grundlegend bereits KG Berlin JW 1928, S. 368: Wilhelm 11 gegen Piscator - Darstellung einer Person auf der Bühne; BVerfGE 35, 202 [224] m. w. N.; Riklin 1987, S. 536 m. N. aus der schweizerischen Diskussion zum Recht am eigenen Bild. 115 Lehmann 1955, S. 403. 116 BGHZ 20, 345, 347-Paul Dahlke; BGHZ 24, 200, 208, 209-Spätheimkehrer; BGHZ 26,349, 355-Herrenreiter; BGHZ 30, 7; BGH NJW 1962, S. 1004, 1005-Doppelmörder;

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

§ 22 KUG ins Verfassungsrecht und andererseits zu einer einfachrechtlichen Ausweitung des Bildnisschutzes über die §§ 22-24 KUG hinaus. Treffend beschreibt v. Garnm bereits 1968 diesen Vorgang:

,,zur Auslegung der Vorschriften (des KUG) und ihrer Ergänzung - soweit eine über die §§ 22 ff. KUG hinausreichende und von ihnen nicht erfaBte Persönlichkeitsverletzung vorliegt - kann auf die Generalklausel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurückgegriffen werden. Umgekehrt werden die Grundsätze der §§ 22 ff. KUG auch zur Auslegung der Generalklausei herangezogen"117. Dieses einfachrechtlich angereicherte verfassungsrechtliche Recht arn eigenen Bild hat namentlich durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Konturen erhalten. Nach seinen Worten schützen die Art. 1 und 2 des Grundgesetzes das, was man die menschliche Personhaftigkeit nenne. Auf dem begrenzten Gebiet des Bildnisschutzes sei dieser Schutz vom Gesetzgeber bereits lange vor Inkrafttreten des Grundgesetzes durch die Sonderregelung der §§ 22 ff. des Kunsturhebergesetzes festgelegt worden. Denn wenn nach § 22 KUG Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen, so beruhe dieser Schutz im Kern auf dem Grundsatz der Freiheit der Person in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich, zu dem vor allem auch das äußere Erscheinungsbild des Menschen zu rechnen sei. Die unbefugte Veröffentlichung des Bildes eines Menschen stelle einen Eingriff in die Freiheit der Selbstbestimmung und der freien Betätigung der Persönlichkeit dar. Die Unzulässigkeit der Bildnisveröffentlichung durch einen Dritten liege darin, daß damit dem Abgebildeten die Freiheit entzogen werde, auf Grund eigener Entschließung über dieses Gut seiner Individualsphäre zu verfügen 118. Bereits zuvor hatte der Bundesgerichtshof den Schutzbereich des Rechts arn eigenen Bild über § 22 KUG hinaus auf die Herstellung von Bildaufnahmen, jedenfalls in bestimmten Fällen, ausgedehnt: In einer Entscheidung aus dem Jahre 1957 ("Spätheimkehrer"-Fall), stellte er fest, aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge der Schutz des Einzelnen gegen alle Verletzungen der Eigensphäre. Personen hätten es deshalb grundsätzlich nicht zu dulden, daß von ihnen innerhalb ihrer privaten Sphäre - wozu im Regelfall auch ihr Geschäftsbereich gehöre - ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen Bildaufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung angefertigt werden. BGH NJW 1965, S. 1374 -Wie uns die anderen sehen; BGH NJW 1966, S. 2353, 2354 - vor unserer eigenen Tür; BGH NJW 1971, S.885, 886-Petite Jacqueline; ferner BVerfGE 35, 202 [274]-Lebach; Lehmann I Hübner 1966, S.432; v. Gamm 1968, S. 129 ff.; nach Helle 1986, S. 26 sei nach der "einhelligen Lehre" geschütztes Rechtsgut, dem § 22 KUG gewidmet sei, die Freiheit und das Recht des Abgebildeten, aufgrund eigener Entschließung über sein Bild zu verfügen, also das Selbstbestimmungsrecht in bezug auf das eigene Bild. Ob diese Gewährleistung verfassungsrechtlich gegeben ist, führt er nicht aus. Helle fährt dann (S. 27) unter unzutreffender Berufung auf BVerfGE 35, 202 [224]-Lebach fort, das Recht der persönlichen Ehre umfasse auch das Recht am eigenen Bild. 117 v. Gamm 1968, S. 130. 118 BGHZ 26, 349, 354 f.-Herrenreiter.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Der Bundesgerichtshof ließ dabei offen, ob jede heimliche Bildaufnahme innerhalb des privaten Bereichs einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt; dies sei aber jedenfalls dann der Fall, wenn die Aufnahme in der Absicht hergestellt werde, das Bildnis der Öffentlichkeit zugänglich zu machen 119. Da diese Entscheidungen des Bundesgerichtshofs keinen Aufschluß darüber geben, ob die Herstellung eines erkennbaren Bildnisses des Betroffenen stets den Schutzbereich des verfassungsrechtlichen Rechts am eigenen Bilde einschränkt 120, konnten Hubmann und v. Gamm in ihren grundlegenden Äußerungen zum Recht am eigenen Bild zur Bekräftigung ihrer jeweils eigenen Meinung zu einer genau entgegengesetzten Interpretation der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage kommen. Während Hubmann annimmt, der Bundesgerichtshof halte grundsätzlich die Herstellung eines fremden Bildnisses für unzulässig 121, geht v. Gamm davon aus, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei grundsätzlich nur bei über den Herstellungstatbestand hinausgehenden Eingriffen, insbesondere in die Intimsphäre, der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eröffnet 122. Hubmann, der zunächst die Herstellung eines Bildnisses überhaupt nicht als Eingriff in das Recht am eigenen Bild ansehen wollte 123, meint, § 22 KUG schütze nur gegen öffentliche Schaustellung und Verbreitung, nicht dagegen gegen die "Fixierung" des eigenen Bildes. Da das Erscheinungsbild in der Regel nicht zur Geheimsphäre, sondern nur zur Privatsphäre gehöre, weil es ohnehin jedem, z. B. auf der Straße, zugänglich sei, könne man daran zweifeln, ob die Aufnahme tatbestandsmäßig eine Persönlichkeitsverletzung sein könne. Hierbei sei aber zu bedenken, daß die Fixierung des Bildes nicht etwas naturgegebenes sei, daß sie vielmehr eine gewisse Herrschaft über das Erscheinungsbild und damit weitere Persönlichkeits beeinträchtigungen ermögliche 124. An anderer Stelle führt er aus, man müsse nicht den Vorstellungen primitiver Völker vom Bildzauber folgen, um zu erkennen, daß die Bildaufnahme eine gewisse Macht über den Abgebildeten gewähre und die Gefahr mißbräuchlicher Verwendung heraufbeschwöre 125. Daher müsse man bereits die Aufnahme des Bildes grundsätzlich als BGHZ 24,200,208 ff. = JZ 1957, 753-Spätheimkehrer. Möglicherweise weitergehend aber unklar BGH NJW 1966, S. 2353, 2354-"Vor unserer eigenen Tür"-; vgl. auch OLG Frankfurt GRUR 1958, S. 508 u. 509-Verbrecherbraut; ebenso wie hier v. Gamm 1968, S. 135; BGH 24, 200 [208,209]; anders Hubmann 1967, S. 298 Fn. 12, der meint, der BGH halte die Herstellung eines fremden Bildnisses grundsätzlich für unzulässig. 121 Hubmann 1967, S. 298. 122 v. Gamm 1968, S. 135. 123 Hubmann 1953, S. 230. 124 Hubmann 1957, S. 525. 125 Hubmann 1967, S. 299; demgegenüber fmdet man bei Blei 1979, S. 146 die Meinung, der Mensch empfinde kein Unbehagen bei dem Gedanken, daß von ihm Bilder erstellt werden, die ein anderer von ihm in Besitz habe und herumzeigen könne. 119

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Persönlichkeitsverletzung ansehen 126. Hubmann argumentiert hierbei zwar sprachlich mit der Sphärentheorie. Der Sache nach postuliert er jedoch ein Recht auf Selbstbestimmung über das eigene Bildnis unabhängig davon, ob es dem privaten Bereich entstammt. Anders gewendet: nach Hubmann gehört das Bildnis eines Menschen apriori seiner Privatsphäre an. Das Verhältnis von § 24 KUG und dem verfassungsrechtlichen Recht am eigenen Bild beschreibt er in folgender Weise: Nicht geregelt sei im KUG die Frage der Bildaufnahme. Offenbar wollte es eine solche zulassen. Diese gesetzgeberische Absicht stimme jedoch nicht mit der Wertung der Art. 1 und 2 GG zu Persönlichkeit und ihrem Selbstbestimmungsrecht überein 127. Da § 22 KUG das Recht am eigenen Bild spezialgesetzlich regle, könne prinzipiell nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden. Doch sei hier die allgemeine Regel die jüngere. Aus Art. 1 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 123 Abs. 1 GG ergebe sich, daß Art. 2 GG dem § 22 KUG vorgehe 128. Hubmann verkennt an dieser Stelle, daß es nicht um ein Konkurrenzverhältnis zwischen spezieller und allgemeiner, zwischen älterer und neuerer Norm geht. Art. 2 GG geht als Verfassungsrechtsnorm der einfach-gesetzlichen Vorschrift kraft Höherrangigkeit vor. Anders als Hubmann nimmt v. Gamm an, das Recht am eigenen Bild beschränke sich auf dessen Verbreitung und öffentliche Schaustellung. Die Herstellung des Bildnisses unterliege grundsätzlich noch nicht dieser besonderen Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieses müsse angesichts der speziellen Regelung des § 22 KUG regelmäßig außer Betracht bleiben. Nur bei über den Herstellungstatbestand hinausgehenden Eingriffen, insbesondere in die Intimsphäre, komme das allgemeine Persönlichkeitsrecht zum Zuge 129. Eine Ausdehnung des Schutzbereichs auf grundsätzlich jede Aufnahme des Bildnisses eines anderen scheint der Bundesgerichtshof dann jedoch durch Urt. v. 12.8.1975 vorzunehmen. In dem dort entschiedenen Fall ging es um die Rechtmäßigkeit des Fotografierens von Teilnehmern eines Demonstrationszuges durch die Polizei zur Aufklärung von Vorlesungs- und Übungsstörungen sowie von Wandschmierereien im Bereich der Universität Tübingen. Hierbei fotografierte die Polizei so viele Teilnehmer wie möglich, so daß auch Unverdächtige abgebildet wurden. Hierzu führt der Bundesgerichtshof aus, die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien nicht beeinträchtigt worden. Jedoch könne eine heimliche fotografische Aufnahme das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen. Dabei spielten Zweck und nähere Umstände der Aufnahme eine wesentliche Rolle. Im entschiedenen Fall sei der Betroffene nicht innerhalb seines privaten Bereichs, sondern als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung fotografiert worden. Daher seien gewisse Einschränkungen des Rechts am eigenen 126

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Hubmann 1957, S. 525; ders. 1967, S. 299 m. w. N. aus dem Schrifttum. Hubmann 1967, S. 298. Hubmann 1957, S. 525. v. Gamm 1968, S. 135.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Bild hinzunehmen. Der Eingriff sei auch von geringer Intensität und vorübergehender Natur gewesen. Denn gerade zu Beginn der polizeilichen Ermittlungen müsse die Untersuchung oft weit gestreut und auf Personen ausgedehnt werden, die alsbald als Beschuldigte ausschieden. Wenn sich in einer öffentlichen Versammlung neben verdächtigen auch unverdächtige Personen befanden, werde es im allgemeinen unvermeidlich sein, daß auch diese mitaufgenommen werden 130. Im gleichen zeitlichen Zusammenhang steht auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht am eigenen Bild. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht dieses in engster Beziehung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zur Sphärentheorie I3I. Die erste Entscheidung, in der das Recht am eigenen Bild Erwähnung findet, führt aus, Art. 2 Abs. 1 GG verbriefe jedem das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletze und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoße. Dieses Grundrecht schütze auch Rechtspositionen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig seien. Dazu gehöre in bestimmten Grenzen unter anderem auch das Recht am eigenen Bild. Eine nähere Bestimmung dieses Rechts erfolgte nicht 132. Auch in der zweiten einschlägigen Entscheidung ist dies nicht anders: in der ,,Lebach-Entscheidung'" findet sich lediglich die Bemerkung, "das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich ,für sich zu sein', ,sich selber zu gehören', ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen. Dies umfaßt das Recht am eigenen Bild ... " \33 In einem späteren Teil der Entscheidung finden sich dann Hinweise auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Recht am eigenen Bild 134. In der dritten einschlägigen Entscheidung ("Eppler") schließlich führt das Bundesverfassungsgericht nach der Feststellung aus, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleiste verfassungsrechtlich ein allgemeines Persönlichkeitsrecht 135, als dessen Schutzgut sei unter anderem anerkannt die Privat-, Geheim- und Intimsphäre, das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person und das Recht am eigenen Bild 136. Unklar blieb, ob dieses Recht am eigenen Bild lediglich innerhalb der engeren Persönlichkeitssphären geschützt sein soll, oder ob es bereits auf Grund seiner Eigenart der "engeren Persönlichkeitssphäre" angehören SOll137. BHG JZ 1976, S. 32 f. Vgl. Scholz 1975, S. 266 f.; Woertge 1984, S. 66 ff.; Rohlj 1980, S.81 m. N.; zusammenfassend zur Sphärentheorie Rohlj 1980, S. 24 ff. 132 BVerfGE 34, 238 [246]. 133 BVerfGE 35, 202 [220]. 134 BVerfGE 35, 202 [224]. 135 BVerfGE 54, 148 [153]. 136 BVerfGE 54, 148 [154]. 137 Bejahend für die Stimme Rohlj 1980, S. 207 Fn. 64 m. H. auf Evers 1960, S. 172. 130 131

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Das neuere verfassungsrechtliche Material zum Recht am eigenen Bild enthält im wesentlichen keine über die bereits dargelegten Erkenntnisse hinausgehenden Gesichtspunkte 138. Die ergiebigsten Äußerungen finden sich noch bei Autoren, die sich mit Fragen des einfach-rechtlichen Rechts am eigenen Bild der §§ 2224 KUG und mit polizeilichen Anwendungen der Fotografie beschäftigen 139. So wird unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Sphärentheorie" ausgeführt, jedermann könne "im gesamten Bereich des privaten Lebens (und nicht nur im Intimbereich)" selbst und allein bestimmen, wer sein Bild aufnehmen oder verbreiten SOllI4O. Gelegentlich wurde der Argumentationsrahmen der Sphärentheorie verlassen. In Übereinstimmung mit der Datenschutzdiskussion wurde eine Bedrohung der menschlichen Persönlichkeit nicht durch den Verlust der Privatsphäre, sondern durch den Verlust der Möglichkeit befürchtet, in verschiedenen sozialen Bezügen unterschiedliche Rollen zu spielen. Daraus wurde abgeleitet, daß auch das Herstellen der Abbildung unter den Schutzbereich des § 22 KUG gefaßt werden müsse. Denn bereits durch das Aufnehmen eines Bildnisses werde in den Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen, dessen besondere Ausprägung das Recht am eigenen Bild sei 141. Es gehöre zu den wesentlichen Schutzmechanismen des Menschen in seinen mitmenschlichen Beziehungen, ein gewisses Bild von sich in seiner Umwelt zu erzeugen und zu erhalten. In dieses Rollenspiel greife die unbefugte Abbildung massiv ein, insbesondere wenn die Tatsache ihrer Entstehung vom Betroffenen nicht wahrgenommen wurde, sie den Abgebildeten also im vermeintlich unbeobachteten und daher nicht rollenkonformen Verhalten antreffe. Hinzu komme ein hohes Maß an Inobjektivität der scheinbar so objektiven fotografischen Abbildung, die jedem von sogenannten "Schnappschüssen" her vertraut sei. Die Verabsolutierung und Verobjektivierung eines bloßen Mo138 Symptomatisch ist die Behandlung in verfassungsrechtlichen Lehrbüchern. Soweit sie überhaupt auf das Recht am eigenen Bild eingehen, begnügen sie sich regelmäßig mit dem Hinweis auf Entscheidungen des BVerfG; vgl. Schramm 1985, S. 100; Pieroth / Schlink 1989, Rn. 431; Gallwas 1985, S. 60; kritisch zur Vernachlässigung des Rechts am Bild im Vergleich zum Recht am gesprochenen Wort schon Kohlhaas 1957, S. 82 und Kamlah 1969, S.30, deren Kritik der geringen Anzahl der Bearbeitungen heute allerdings naturgemäß allein durch das Anwachsen des Materials im Laufe der bis heute verstrichenen Zeit nicht mehr zutrifft. 139 Allerdings wird dabei vielfach allein auf der Ebene des einfachen Rechts, namentlich der §§ 22 ff. KUG und des § 81 b StPO argumentiert: Jörg 1976, S. 86 ff., 87; Krüger 1977a, S. 37 ff.; Schmid 1970, S. 68 ff.; Jörg spricht zwar Art. 1 GG an, verweist aber auf Schmid, der seinerseits Bezug auf ein BGH Urteil zu § 22 KUG nimmt diese Vermengung verfassungsrechtlicher und einfach-rechtlicher Überlegungen ist für die Diskussion um das Recht am eigenen Bild charakteristisch; zur Rechtslage in der Schweiz s. Riklin 1987, S. 537 m. N. 140 Bonarens 1982, S. 220; vgl. auch H.-U. Erichsen 1989, S. 1209; Jarass / Pieroth 1989, Rn. 27; Schatzschneider 1988, S. 24 m. w. N. unter Hinweis auf die Auffassung von Nollau 1977, S. 24, der die Bildaufnahme nur als Spielart der Augenbeobachtung ansieht; Lang-Hinrichsen 1970, S. 89; Brandner 1983, S. 694. 141 Paeffgen 1979, S. 516 m. w. N. Fn. 7.

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ments, der durch ein Bild aus einem geschichtlichen Prozeß herausgerissen werde - diese Kritik trifft für Videoaufnahmen freilich nur eingeschränkt zu - bewirke eine Überzeichnung, die zwar bezeichnend, aber ebenso gut auch verzeichnend sein könne. Welche Alternative vorliege, könne nicht festgestellt werden. Als weiterer wesentlicher Punkt sei zu berücksichtigen, mit welcher Leichtigkeit angesichts der mittlerweile gegebenen technischen Möglichkeiten ein einmal gewonnenes Photo vervielfältigt und verbreitet werden könne 142. Darüber hinaus wird eine Gefahr der Fotografie darin gesehen, daß sie geeignet sei, das Wesen der Persönlichkeit in der ihr gegebenen Möglichkeit zur Selbstdarstellung und Fähigkeit zur Kommunikation zu bedrohen. Das Recht am eigenen Bild müsse bereits gegen das unbefugte Herstellen und nicht erst gegen die Verbreitung einer Fotografie des Einzelnen schützen. Denn schon das Anfertigen einer Aufnahme bedrohe die Selbstdarstellung des Betroffenen. Sei eine Verhaltensweise erst einmal festgehalten, so könne zumindest der Aufnehmende sie dem Abgebildeten vorhalten, ohne daß dieser sie - wie beim bloßen Beobachten - einfach abstreiten könne. Schon das Bewußtsein, daß eine unerwünschte Aufnahme existiert oder auch nur existieren könne, schaffe Unsicherheit, die u. U. die Unbefangenheit mit dem Mitmenschen aufs Schwerste beeinträchtige. Die Erhaltung der Fähigkeit zur Kommunikation sei aber der letzte Sinn des Interesses an ungehinderter Selbstdarstellung. Dies habe insbesondere die Theorie des symbolischen Interaktionismus aufgezeigt 143.

3. Recht am gesprochenen Wort Das Recht am gesprochenen Wort kann als verfassungsrechtliche Reaktion auf das Tonband angesehen werden 144. Die Tonbandtechnik und ihre Anwendungen, insbesondere bei der Straftatbekämpfung, fanden im juristischen Schrifttum seit den 50er Jahren Beachtung 145. Zu Beginn der Diskussion ist das Bemühen um einen sehr weitgehenden verfassungsrechtlichen Schutz des Rechts am Wort zu beobachten. Eine differenziertere Betrachtung der Verletzung des Rechts am Wort hat sich erst allmählich durchgesetzt 146. Der 42. und 46. Deutsche JuristenPaeffgen 1979, S. 516. Amelung / Tyrell 1980, S. 1560. Keine Bedenken im Hinblick auf die "Selbstdarstellung" finden sich bei Benda gegen die automatische Fotoaufnahme von Fahrzeugen, die "bei Rot" eine Kreuzung überfahren. Benda 1974, S. 35; vgl. dazu auch Götz 1990, S.114. 144 Zum Recht am gesprochenen Wort Kohlhaas, 1957, S. 82; Kamlah 1969, S. 30; Dürig 1958, Art. 2 Abs. 1 GG, Rnm. 38 ff.; Hubmann 1957, S. 524; Schatzschneider 1988, S. 24; Lang-Hinrichsen 1970, S. 8,47; Wolfslast 1987, S. 103, 105; BVerfGE 54, 208 [217]; 54, 148 [154]-Eppler; BGH JZ 1981, S. 705, 709; BGH NJW 1985, S. 1618; BGHZ 27,284,288; OLG Köln NJW 1979, S. 661; BGH NJW 1983, S. 1569; BGHSt 19,325,327; BGHSt 27, 355, 357; BGHSt 31, 296 ff.-Raumgespräch; BGHSt 34, 39Terrorist; BGH NJW 1985, S. 1618; BGHStI4, 359; BGHSt 19, 325. 145 Vgl. Schmitt 1967, S. 19 ff. für den Strafprozeß; Arzt 1970, S. 70 Fn. 198 m. N. 142

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tag, aber auch die Weinheimer Arbeitstagung, hatten rechtliche Gesichtspunkte der Tonbandaufnahmen menschlicher Stimmen zum Gegenstand 147. Die damit in Gang gekommene rechtspolitische Diskussion führte zur Schaffung der Strafrechtsvorschrift des § 201 StGB 148 zum Schutze des gesprochenen Wortes des Einzelnen. Die umfangreiche Diskussion zu Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz der Tonbandtechnik im Strafverfahren betraf im hier interessierenden Zusammenhang die Aufnahme und Wiedergabe des gesprochenen Wortes sowohl durch die Strafverfolgungsorgane als auch durch Private sowie die VerWertung der Aufnahmen im Strafverfahren 149. Die daran anknüpfende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zum Schutzbereich des Rechts am gesprochenen Wort sind in Inhalt und Ableitung praktisch deckungsgleich. Wie das Recht am eigenen Bild wurde auch das Recht am gesprochenen Wort aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG konkretisiert und als dessen Schutzgut verstanden. Dem Recht am gesprochenen Wort liegt somit rechtsgeschichtlich und rechtsdogmatisch dasselbe Material zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Sphärentheorie zugrunde, das bereits beim Recht am Bild dargelegt wurde. Hierauf kann verwiesen werden. Der Bundesgerichtshof l50 entnahm den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes die Befugnis des Menschen, selber darüber zu bestimmen, ob seine Worte einzig seinem Gesprächspartner, einem bestimmten Kreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen und erst recht, ob seine Stimme mittels eines Tonträgers festgehalten werden darf 151 • Ausgehend von der Voraussetzung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze den Menschen in seinem inneren Persönlichkeitsbereich, meint diese Rechtsprechung, es gebe auch Fälle, in denen eine ohne Zustimmung angefertigte Tonaufnahme das Persönlichkeitsrecht des Sprechers überhaupt nicht berühre. Soweit im geschäftlichen Verkehr sich die Übung angebahnt habe, telefonische Durchsagen, die Bestellungen, Börsennachrichten usw. enthalten, statt wie früher ins Stenogramm aufzunehmen, nunmehr mittels eines Tonabnehmers festzuhalten, werde der Sprecher kaum je beschwert sein können. Bei der akustischen Objektivierung einfacher Nachrichten oder Durchsagen stehe das Moment der Feststellung einer objektiven Gegebenheit derartig im Vordergrund, daß der Zusammenhang mit der Persönlichkeit des Sprechers weitgehend als gelöst erscheine. Auch wenn die Stimme des Sprechers bei der Wiedergabe ertöne, werde dieser nicht das Gefühl einer Beeinträchtigung seines Persönlich146 Arzt 1970, S. 70 Fn. 198 spricht davon, das Schutzbedürfnis sei anfänglich übersteigert worden. 147 Vgl. den Hinweis in BGHZ 27, 284, 289. 148 Amtliche Begründung BT-Drucksache 7/550, S. 235 ff. 149 Nachweise bei Dürig 1958, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 38 Fn. 2. 150 BGHZ 27,286 ff. 151 BGHZ 27,284,286; BGHSt 10,202,205.

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keitsbereichs haben können. Anders liege der Fall bei einem Gespräch, das einem Gedanken- oder Meinungsaustausch diene. In der Auseinandersetzung mit den Menschen, wie sie im Gespräch stattfinde, komme immer die besondere Persönlichkeit des Sprechers zum Ausdruck, der ein Recht darauf habe, das Gespräch frei, unbefangen und ohne das Gefühl des Mißtrauens und des Argwohns führen zu dürfen. Es bedeute eine entscheidende Verkümmerung des Menschen in der Entfaltung seiner Persönlichkeit, wenn der Teilnehmer eines Gesprächs befürchten müßte, ohne sein Wissen auf jede Wendung eines Gesprächs, ja auf den Klang seiner Stimme mit allen Besonderheiten und Unvollkommenheiten festgelegt zu werden. Mit dieser Befürchtung seien untrennbar das Gefühl ständigen Argwohns und Mißtrauens verbunden. Damit sei der Raum für die zur menschlichen Natur gehörende vertrauensvolle Auseinandersetzung mit dem Mitmenschen verbaut. Es müsse auch berücksichtigt werden, daß die Überlassung einer Tonbandaufnahme eines Gesprächs an einen anderen eine Angelegenheit des persönlichen Vertrauens sei, weil mit ihr die Möglichkeit zu einer gar nicht zu kontrollierenden mißbräuchlichen Verwendung gegeben sei. Der Besitzer der Tonaufnahme könne - auch wenn ihm eine Fälschung nicht zuzutrauen sei - schon durch Kürzung den Sinnzusammenhang entstellen, er könne die Situation bestimmen, in der die Stimme des Sprechers wieder erklinge und schon durch die Wahl des Zeitpunktes dem Gespräch eine andere Bedeutung geben, als es ursprünglich gehabt habe. Auch könne er das Gespräch Personen zugänglich machen, für die es nach seiner Art nicht bestimmt gewesen sei. Wegen dieser Möglichkeiten müsse die heimliche Tonaufnahme selbst und nicht erst die unzulässige Reproduzierung als widerrechtlicher Eingriff in die persönlichkeitsrechtliche Eigensphäre angesehen werden. Müßte man sich angesichts der technischen Entwicklung resignierend damit abfinden, daß Gespäche heimlich abgehört und mittels Tonträgers festgehalten werden, so sei der technische Fortschritt einer präzisen Gesprächsfixierung mit dem hohen Preis eines Schwindens der Unbefangenheit der menschlichen Beziehungen und einer einschneidenden Behinderung der Persönlichkeitsentfaltung erkauft. Die Rechtsordnung, die die in Art. 1 und 2 des Grundgesetzes genannten Persönlichkeitswerte zu schützen habe, dürfe einen solchen Mißbrauch technischer Einrichtungen nicht hinnehmen 152. In neueren Entscheidungen führte der Bundesgerichtshof aus, die Verbreitung eines ungenehmigten Tonbandmitschnitts verletze das Persönlichkeitsrecht des Gesprächsteilnehmers, weil die persönliche Eigensphäre nicht gegen den Willen des Betroffenen auf diese Weise "verdinglicht" und verfügbar gemacht werden dürfe 153. Hatte der Bundesgerichtshof im Fall BGHZ 27,286 noch keinen Anlaß, zur Frage Stellung zu nehmen, was zu gelten hat, wenn behördliche Tonaufnahmen zur Strafverfolgung gemacht werden 154, mußte der Bundesgerichtshof in Strafsa152 153 154

BGHZ 27, 286 ff. BGHZ 73, 120, 123; 80, 25,42 zit. nach Hübner 1985, S. 97. BGHZ 27, 284, 289.

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chen das Abhören eines Raumgespräches unter Ehegatten durch Strafverfolgungsbehörden rechtlich prüfen. Er hat als Prüfungsmaßstab Art. 2 Abs. 1 GG herangezogen. Nach der Feststellung, das Recht am gesprochenen Wort gewährleiste jedermann das Recht, selbst zu bestimmen, wer seine Worte aufnehmen soll sowie ob und von wem seine auf Tonträger aufgenommene Stimme abgespielt werden darf, entschied er, das Abhören und Aufzeichnen der in der eigenen Wohnung geführten Unterhaltung des Angeklagten mit seiner Ehefrau durch die Polizei habe den unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung, den "engsten Familienkreis", berührt, welcher durch Art. 2 Abs. 1 GG absolut geschützt sei und in den die öffentliche Gewalt nicht einwirken dürfe. Eine Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an Strafverfolgung und Kriminalitätsbekämpfung sei daher nicht statthaft 155 • Das Bundesverfassungsgericht hatte insbesondere in der Entscheidung im 34. Band 156 Anlaß, sich zur Anwendung der Tonbandtechnik bei der Straftatbekämpfung zu äußern. Es schloß sich den Ausführungen des Bundesgerichtshofs bis in den Wortlaut hinein an. Nach den Worten des Gerichts schütze das in Art. 2 Abs. I GG gewährleistete Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch Rechtspositionen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehöre in bestimmten Grenzen auch das Recht am gesprochenen Wort. Deshalb dürfe grundsätzlich jedermann selbst und allein bestimmen, wer sein Wort aufnehmen soll, sowie ob und vor wem seine auf einen Tonträger aufgenommene Stimme wieder abgespielt werden dürfe 157. Wort und Stimme des Menschen seien auf dem Tonband von ihm losgelöst und in einer verfügbaren Gestalt verselbständigt. Die Unantastbarkeit der Persönlichkeit würde erheblich geschmälert, wenn andere ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen über sein nichtöffentlich gesprochenes Wort nach Belieben verfügen dürften. Die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation würde gestört, wenn jeder mit dem Bewußtsein leben müßte, daß jedes seiner Worte bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang hervorgeholt werden könnte, um mit ihrem Inhalt, Ausdruck oder Klang gegen ihn zu zeugen. Private Gespräche müßten geführt werden können ohne Argwohn und die Befürchtung, daß deren heimliche Aufnahme ohne die Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet werde 158. Wann eine Tonbandaufnahme den schlechthin unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung berühre und wann sie lediglich den 155 BGHSt 31, 296 m. H. auf BGHSt 27,355,357; kritisch Amelung 1990, S. 1754, der dem BGH vorhält, er überspringe bei der Prüfung spezielle Grundrechte zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; Amelung sieht diese "Tendenz" auch beim Bundesverfassungsgericht; vgl. auch BGHSt 34, 39-Terrorist. 156 BVerfGE 34, 238-Tonbandentscheidung. 157 BVerfGE 34, 238 [246]. 158 BVerfGE 34, 238 [246]; das BVerfG hat sich mit dieser Entscheidung der Sache nach der Rechtsprechung des BGH zum Recht am gesprochenen Wort angeschlossen, vgl. BGHZS 10,202,205; BGHZ 27,284 ff.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offenstehenden Bereich privaten Lebens betreffe, lasse sich nur schwer abstrakt umschreiben. Diese Frage könne befriedigend nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten beantwortet werden. Im entschiedenen Fall einer geschäftlichen Unterredung im Zusammenhang mit dem Kauf eines Grundstücks sei nicht der unantastbare Bereich berührt, sondern der Bereich, welcher staatlichen Eingriffen unter bestimmten Voraussetzungen offen stehe. Höchstpersönliche Dinge, die der unantastbaren Intimsphäre zugerechnet werden könnten, seien nämlich nicht zur Sprache gekommen 159. In Ergänzung seiner sphärentheoretischen Ausführungen 160 führt das Bundesverfassungsgericht als obiter dictum aus, es gebe auch Fallgruppen, in denen auch eine ohne Wissen des Sprechenden hergestellte Tonaufnahme von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. I GG i. V. m. Art. lAbs. 1 GG herausfalle, weil "in diesen Fällen nach allgemeiner Auffassung von einem Recht am eigenen Wort nicht mehr die Rede sein kann". Soweit es z. B. im geschäftlichen Verkehr üblich geworden sei, fernmündliche Durchsagen, Bestellungen oder Börsennachrichten mittels eines Tonabnehmers festzuhalten, sei in aller Regel das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Sprechers noch nicht betroffen. Bei derartigen Mitteilungen stehe der objektive Gehalt des Gesagten so sehr im Vordergrund, daß die Persönlichkeit des Sprechenden nahezu vollends dahinter zurücktrete und das gesprochene Wort damit seinen privaten Charakter einbüße 161. Einen derartigen Fall fehlender Persönlichkeitsrelevanz des gesprochenen Wortes nahm das OLG Hamburg für die Schlußvorträge der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung an 162. In einem Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.1991 wurde dann klargestellt, daß der dienstliche oder geschäftliche Charakter eines Gesprächs den grundrechtlichen Schutz des gesprochenen Wortes nicht beseitige. Auch die bloße Kenntnis von der Mithörmöglichkeit Dritter verhindere nicht den Schutz des gesprochenen Wortes. Hinsichtlich des Inhalts der Gewährleistung wurde ausgeführt, daß in der gerichtlichen Verwertung von Kenntnissen und Beweismitteln, die unter Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht erlangt worden sind, regelmäßig ein neuer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht liege 163. Im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird in Übereinstimmung mit der referierten Rechtsprechung angenommen, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleiste dem Einzelnen ein Recht am gesprochenen Wort. Dessen Inhalt BVerfGE 34, 238 [248]. Ähnlich wie hier Bottke 1987, S. 357; den sphärentheoretischen Bezug übersieht Meyer 1982, S. 18. 161 BVerfGE 34, 238 [247]. 162 OLG Hamburg MDR 1977, S. 248; die Frage offenlassend OLG Düsseldorf NJW 1990, S. 2899. 163 BVerfG NJW 1992, S. 815. 159 160

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

und Umfang werden jedoch unterschiedlich beurteilt 164. Den Stand der Meinungen repräsentieren im wesentlichen die folgenden Stimmen: Bereits im Jahre 1958 wurde, da außer dem Sonderfall des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 für Tonbandaufnahmen keine Spezialgrundrechte eingriffen, aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG und 19 Abs. 2 GG ein Recht am eigenen Wort entnommen. Eine Gefahrdung der menschlichen Eigensphäre wurde in der technisch leicht erreichbaren Heimlichkeit der Aufnahme und darin gesehen, daß kraft einer mechanischen Apparatur das gesprochene Wort einen Ausschließlichkeitsanspruch auf objektive Wahrheit bekomme, wie ihn sich bis dahin keine sonstige Wiedergabetechnik (Stenogramm usw.) angemaßt habe 165. Hieraus wurde die Notwendigkeit eines Rechts am gesprochenen Wort abgeleitet, das die Gewährleistung enthalte "ins Unreine" sprechen zu dürfen, ohne auf jedes Wort festgelegt zu werden. Systematisch sei zu unterscheiden nach der Zulässigkeit der Aufnahme, der Zulässigkeit der Verwertung und der Zuverlässigkeit der Verwertung 166. Teilweise wurde die Fixierung des gesprochenen Worts auf Tonband stets als Eingriff in die Privatsphäre angesehen, weil die menschliche Stimme als solche schon der Privatsphäre zugerechnet wurde 167. Andererseits wurde auch die Meinung vertreten, daß die Fixierung selbst noch keinen Eingriff in die Privatsphäre darstelle, der über den der Kenntnisnahme hinausgehe 168, oder es wurde argumentiert, Art. 2 Abs. 1 GG schütze allein das nichtöffentlich gesprochene Wort 169 • Die zu § 201 StGB vorliegende Literatur, welche zwar die Auslegung einfachen Rechts betrifft, der aber das verfassungsrechtliche Schutzgut des Rechts am gesprochenen Wort zugrunde liegt, und die auch deshalb von Interesse ist, weil nach verbreiteter Auffassung, das Straf(verfahrensrecht) als angewandtes oder konkretisiertes Verfassungsrecht verstanden wird 170, ist im wesentlichen auf folgendem Stand: Für die Gewährleistung des Rechts am gesprochenen Wort komme es nicht darauf an, ob der Inhalt der Äußerung vertraulich, ob er privater oder beruflicher Art sei und ob es sich um eine fremde oder eigene Gedankenerklärung handele. Auch sei nicht erheblich, ob die Äußerung bewußt oder unbewußt im Schlaf, Rauschzustand oder in Geisteskrankheit gemacht werde. Das gesprochene Wort umfasse auch Gesang und Sprechgesang 171, nicht jedoch andere stimmliche Äußerungen wie Seufzen, Gähnen oder das bloße Aneinanderreihen 164 165 166

Unzutreffend daher Lang-Hinrichsen 1970, S. 48. Dürig 1958, Art. 2 Abs. 1 GG, Rnrn. 38, 39 m. w. N. Dürig 1958, Art. 2 Abs. I, Rn. 38; Leibholz / Rinck 1988, Art. 2, Rn. 61 beschrän-

ken sich im wesentlichen auf die Wiedergabe der Rechtsprechung des BVerfG. 167 168 169

170 171

Evers 1960, S. 172. Rohlf 1980, S. 207. Starck 1985, Art. 2 Abs. I GG, Rn. 67. Vgl. Benda 1983, S. 116 m. w. N. ; kritisch Forsthoff 1964, S.43. Tröndle 1991, § 201 StGB, Rn. 2.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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einzelner Silben 172; demgegenüber sieht Arzt auch diese Lautäußerungen durch das Persönlichkeitsrecht gewährleistet 173. Bemerkenswert ist, daß auch Autoren, die ausdrücklich von der Sphärentheorie ausgehen, Tonbandaufnahmen auch des öffentlich gesprochenen Wortes als Eingriff in die Privatsphäre ansehen 174. Die Stimme des Menschen wird somit teilweise anscheinend als apriori der Privatsphäre zugehörig angesehen. Damit aber wird die Sphärenkonzeption wenn auch nicht ausdrücklich so aber der Sache nach durchbrochen. Dies gilt auch für das in den folgenden Absätzen angeführte Schrifttum.

4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung In der neueren Literatur wird die Anwendung optischer und akustischer Überwachungstechnik verstärkt als Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten angesehen und folglich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Prüfungsmaßstab herangezogen 175. Dies wurde bereits im Zusammenhang mit den Äußerungen in Rechtsprechung und Literaur speziell zur Videotechnik dagelegt. Eine dogmatische Begründung für die Zuordnung von Bild- und Tonaufnahmen zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt Denninger, der im Anschluß an Schwan durch die Schaffung eines jede Art der Informationsbeschaffung und -verarbeitung umfassenden Begriffs des "Informationseingriffs", auch die Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen erfaßt l76 • Auf diese Weise werden das Recht am Bild und das Recht am gesprochenen Wort zu "Unterfallen" des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung 177 • Dieses Vorgehen scheint deshalb nahe zu liegen, weil sich Bild- und Stimmaufnahmen im Falle der elektronischen Bild- und Tonverarbeitung physikalisch nicht von elektronisch verarbeiteten textlichen Daten unterscheiden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und nunmehr überwiegender Meinung bekanntlich die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, ohne Rücksicht auf ihre "Sensibilität" oder Zugehörigkeit zu Sphären menschlicher Lebensführung 178. Nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts gibt es unter den Bedingungen Lenckner 1988, S. 1338 m. w. N. Arzt 1970, S. 243. 174 Evers 1960, S. 172; Hubmann 1957, S. 524; darauf weist Rohlj 1980, S. 35 hin.; ähnlich Meyer 1982, S. 18. 175 Vahle 1983,S. 42m. w. H.; Vahle 1990,S. 347 f.;GÖrling 1985,S. 60; Kowalczyk 1989, S. 122 f. 176 Der Begriff stammt ursprünglich von Schwan 1975, S. 120, 128 ff.; vgl. Denninger 172 173

1987, S. 151 f. 177 Vgl. Weichert 1988, S. 28 f., 30; Kowalczyk 1989, S. 122 f., 124. 178 BVerfGE 65, 1 [43]; bestätigt durch BVerfGE 78, 77 [84 ff.].

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

der modemen EDV mit ihren Möglichkeiten, Daten technisch gesehen unbegrenzt zu speichern, jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abzurufen und integrierte Informationssystme zu bilden, "kein belangloses Datum" mehr l79 • Hintergrund dieser Ausweitung des Schutzes ist die Überlegung, daß eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung, in der der Bürger nicht mehr wissen könne, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre 180. Da der Schutzbereich dem Einzelnen die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über die eigenen persönlichen Daten gewährleistet, sieht die "Theorie vom Informationseingriff' folgerichtig jede Kenntnisnahme, Erhebung, Verwertung, Zweckänderung, Speicherung, Weitergabe oder Veröffentlichung, kurz jeder staatliche Umgang mit persönlichen Daten ohne oder gegen den Willen des Betroffenen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung an 181. Anders als die Diskussion zum Recht am eigenen Bild, die im wesentlichen auf Fragen der Herstellung und Verbreitung von Bildaufnahmen begrenzt war, und anders als die Diskussion zum Recht am gesprochenen Wort, die sich um die Zulässigkeit von Aufnahme und Abspielen der Stimme auf Tonbandgeräten drehte, rückten im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zusätzlich die Phasen der Informationsgewinnung durch Beobachtung mit visuell-akustischen technischen Mitteln sowie Fragen der Verwendung, Speicherung und Übermittlung der Aufnahmen in das verfassungsrechtliche Blickfeld. Zuvor war insbesondere die bloße Beobachtung von Personen lediglich unter dem Gesichtspunkt der Privatsphärenverletzung erörtert worden. Hubmann meinte, daß das Anschauen einer anderen Person nur unter bestimmten Umständen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sei. Einen Menschen, dem man auf der Straße begegne, ins Gesicht zu sehen, sei ohne Zweifel schon tatbestandsmäßig keine Persönlichkeitsverletzung. Aus der Natur des menschlichen Zusammenlebens ergebe sich, daß sich niemand den Blicken anderer entziehen könne. Wolle er dies, müsse er sich verschleiern, wie es "die Frauen im Orient" täten. Wer dagegen durchs .Schlüsselloch des Hotelzimmers gucke, um den Hotelgast zu

179 Ansätze schon in der Mikrozensus-Entscheidung BVerfGE 27, 1 [6] w. N. in BVerfGE 65, 1 [42]; Dieses Verfügungsrecht über die "eigenen" Daten weist eine gewisse Ähnlichkeit zur Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG auf; in den USA ist folgerichtig die These aufgestellt worden, der Eigentumsbegriff sei auf die Verfügung überpersonenbezogene Informationen auszudehnen; vgl. W. Schmidt 1974, S. 245 Fn. 33; Starck 1985, Art. 2 Abs. 1 GG, Rnm. 11 ff.; vgl. auch Süss 1956, S. 206, der die Kritik von Böcking am "Eigentum seiner selbst" zurückweist. 180 BVerfGE 65, 1 [43]. 181 Zur sog. Theorie vom Informationseingriff vgl. Schwan 1975, S. 127 ff., 128 m. w. N.; neuerdings Kowalczyk 1989, S. 48 ff.; ferner Rohlj 1980, S. 127, der in den späteren Phasen eine Vertiefung des ursprünglichen Eingriffs und daher einen jeweils eigenständigen Eingriff sieht. Nachweise der Kritik dieser Theorie bei Weßlau 1989, S. 182 f. m. w. N.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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beobachten, begehe eine Indiskretion 182. Die Benutzung eines Fernglases zur Beobachtung wurde nicht als Eingriff in das Recht am Bild, sondern als bloße Belästigung angesehen 183. Ähnlich wurde das bloße Abhören eines Gesprächs kaum als Berührung des Rechts am gesprochenen Wort angesehen. Andeutungen, die von der späteren Rechtsprechung nicht aufgenommen wurden, finden sich allenfalls in BGHZ 27, 284 286 und BHGSt 10, 202, 205. Auch der Aufbewahrung der Bild- und Tonunterlagen wurde eigene verfassungsrechtliche Relevanz kaum beigemessen 184. Unter dem Aspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wurde dann über die Aufzeichnung und Wiedergabe von Bild- und Tonaufnahmen hinaus selbst die Beobachtung mit natürlichen Sinnen als Maßnahme der Informationserhebung und damit als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen 185. Erst recht sollte die Beobachtung mit technischen Mitteln eine besonders intensive, die Beobachtung mit natürlichen Sinnen weit übertreffende Beeinträchtigung des Persänlichkeitsrechts sein 186. Die Beobachtung von Personen mit Videogeräten wurde wegen des entstehenden Überwachungsdrucks auch ohne die Anfertigung von Aufzeichnungen als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht qualifiziert 187, wobei unklar blieb, ob die Konkretisierung des informationellen Selbstbestimmungsrechts oder ein anderes Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sein SOll188.

5. "Eingriffsqualität" von Überwachungsmaßnahmen (Schwellentheorie, Verwaltungsinternalität) Die bis hierher dargelegten Stimmen haben die Frage nach dem grundrechtlichen Schutz des Einzelnen vor visueller und akustischer Überwachung durch Auslegung des Schutzbereichs von Art. 2 u. Art. 1 GG zu beantworten gesucht. Danach entschied sich die Frage der Berührung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Konkretisierungen ohne weiteres durch einen Vergleich der Gewährleistung mit der betreffenden staatlichen Maßnahme. Dies entspricht der 182 183

Hubmann 1957, S. 523. Lang-Hinrichsen 1970, S. 88 m. w. N.

184 Vgl. BVerwGE 26, 169 [170]. 185 Vgl. Meyer 1982, S. 40 f.; zur Beobachtung von Personen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vgl. Schoreit 1982, S. 402; Schoreit 1982a, S. 39; Zeiss 1976, S. 393; Bull 1981, S. 879; Bull 1982, S. 14; Rogall 1985, S. 1 ff., 7, 25; Riegel 1985, S. 170. 186 Vahle 1983, S. 36 ff.; Meyer 1982, S. 42; Kowalczyk 1989, S. 122 f.; Weßlau 1989, S. 194; vgl. auch Simitis 1987, S.307; Ahlf 1983, S. 51; Zeiss 1976, S.397; LangHinrichsen 1970, S. 45, 46, 89; Meyer 1982, S. 42, 78; Bull1982, S. 8; BGH JZ 1971, S. 390 m. Anm. Arzt; Busch u. a. 1988, S. 237; a. A. Honnacker 1986, S. 291. 187 BVerwG DVBl 1989, S. 201; Gola 1989, S. 442. 188 Vgl. auch Weichert 1988, S. 28 m. w. N.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

insbesondere von Bleckmann gemachten Beobachtung, wonach die Frage, wann ein Eingriff in ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut anzunehmen ist, nach dem Verlust des ,,klassischen Eingriffsbegriffs" vom Schutzbereich der einzelnen Grundrechte her zu bestimmen ist l89 • Die Beantwortung der Frage, ob eine Grundrechtseinschränkung vorliegt, mit Hilfe des Eingriffsbegriffs zu leisten, wird insoweit als verfehlter Ansatz bezeichnet 190. Nach dem klassischen Eingriffsbegriff, wie er im 19. Jahrhundert entwickelt worden war, lag ein Eingriff nur vor, wenn eine hoheitliche Maßnahme, die Rechtsakt und nicht nur Realakt sein mußte, die Beschränkung des Grundrechts bezweckte und die Grundrechtsbeeinträchtigung ihre unmittelbare und nicht lediglich mittelbare Folge war l9l • Unter der Geltung des Grundgesetzes wurde der so verstandene Eingriffsbegriff erweitert, ohne anstelle der klassischen Kriterien allgemeingültige neue Merkmale zu entwickeln 192. Es ist gegenwärtig jedoch anerkannt, daß faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen ebenso Eingriffscharakter haben können wie "unfühlbare", "geistige" Eingriffe, die nicht körperlichen Zwang verursachen, sondern psychisch wirken und Ängste und Furcht auslösen 193. Bekanntlich schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auch die Integrität des Gefühlslebens 194. Daher wird davor gewarnt, vorschnell davon zu sprechen, die zum Beispiel durch moderne Elektronik ausgelösten Ängste seien kein verfassungsrechtliches Kriterium 195. Entgegen Fromme 196 werden demnach auch psychologische Wirkungen staatlicher Maßnahmen, insbesondere wenn sie in der Erzeugung oder dem Abbau - womöglich auch unberechtigter - Ängste bestehen, nicht von vornherein als verfassungsrechtlich unbeachtlich angesehen l97 • Rogall spricht von einer "Vergeistigung" des Eingriffsbegriffs 198, Stern vom "Recht auf Freiheit vor Furcht" 199, und für Gallwas ist es daher eine "staatsrechtliche Selbstverständlichkeit", daß die Grundrechte nicht nur gegen hoheitlichen Zwang schützen 2OO • Bleckmann 1979, S. 232; weitere Hinweise bei Weßlau 1989, S. 163. Gallwas 1979, S. 510. 191 Kniese11983, S. 383; Bleckmann 1979, S. 231 f.; vgl. auch Weßlau 1989, S. 162 ff.; Lübbe-Woljf 1988, S. 42 ff. 192 Weßlau 1989, S. 165; Ahlf 1983, S. 45; Krüger 1982a, S. 856. 193 Zum Begriff des geistigen und unfühlbare Eingriffs bereits W. Jellinek 1931, S. 258; vgl. auch Stern 1988, S. 645: "Recht auf Freisein von Furcht; Rohlf 1980, S. 37, 50,127,201 m. w. N.; Benda 1984, S. 87 (Bemühen um Vertrauen der Bürger); Pietzcker 1990, S. 345 ff.; Rosenbaum 1988, S. 180 m. N.; Weßlau 1990, S. 160 ff.; Kowalczyk 189

190

1989, S. 43 ff., 123 f., 233 m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 27, 344 [351]. 194 Vgl. BVerfGE 27, 1 [6 f.]; 65, 1 [43 f.]; aus dem Schrifttum Vahle 1983, S. 40; Meyer 1982, S. 9 ff. 195 Benda 1984, S. 87. 196 Fromme, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.4.1983. 197 Zu eng daher die Nachweise bei Meyer 1982, S. 42. 198 Rogall 1985, S. 8. 199 Stern 1988, S. 645.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Demgegenüber sind insbesondere im polizeilichen Fachschrifttum Versuche zu beobachten, am klassischen Eingriffsbegriff festzuhalten oder die Frage, ob visuell-akustische Überwachungsmaßnahmen und informationelle Tätigkeit der Poliziei das allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, durch die Definition eines (neuen) Eingriffsbegriffs zu beantworten. Diese Versuche sind einerseits vom Bemühen getragen, eine befürchtete Lähmung des Staates durch Schaffung eines Eingriffsbegriffs, der nur gravierende staatliche Maßnahmen erfaßt, zu verhindern 201, und hängen andererseits damit zusammen, daß Überwachungsund Datenerhebungsmaßnahmen unbemerkt und vom Betroffenen nicht fühlbar, gleichsam "ätherisch"202 sind. Der klassische Eingriffsbegriff muß daher bei diesen Maßnahmen versagen 203. Gelegentlich wird auch darauf hingewiesen, da der Normbereich des Grundrechts auf Achtung der Privatsphäre selbst wenig konturiert sei, erscheine es sinnvoll, sich den Schutzumfang anband der möglichen Eingriffe deutlich zu machen 204. Diese Meinung versucht mithin, die Problematik beim Eingriffsbegriff zu lösen und eine Verlagerung der Prüfung auf die Grundrechtsschranken zu vermeiden 205. Bei den zu beobachtenden Eingrenzungsversuchen wird unterschiedlich verfahren. Die Vertreter der sogenannten "Schwellentheorie" gehen davon aus, daß ein "Eingriff' in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch polizeiliche Überwachungsmaßnahmen erst vorliegt, wenn eine als Bagatellgrenze definierte Schranke der Beeinträchtigung überschritten wird. Andernfalls liege lediglich eine "schlicht-hoheitliche" Tätigkeit des Staates vor 206 . Nach der Schwellentheorie wurde ursprünglich jede staatliche Maßnahme, die keinen Zwangscharakter aufwies, als "schlicht-hoheitlich" angesehen 207. Danach wäre die optische und akustische Überwachung von Personen wie allgemein jedes rein tatsächliche Handeln des Staats unter Verzicht auf Zwang regelmäßig kein "Eingriff' im so definierten Sinne. Wegen dieses wenig grundrechtsschützenden Ergebnisses haben die neueren Vertreter der Schwellentheorie diese modifiziert. Sie fordern nur noch, die 200 Gallwas 1979, S. 513; ferner Ahlf 1983, S.46; Knemeyer 1988, S. 194 f.; Gusy 1983, S. 96; Grimm 1986, S.49; v. Hartlieb 1976, S. 290, 291; Steinke 1980, S. 457; Vahle 1986, S. 76 f.; Kniesel1983, S. 374, 381 f.; Kamlah 1970a, S. 362 f.; Bull1981, S. 880; Tegtmeyer 1986, S. 9; Ahlf 1983, S. 41 ff., 44 f., 48; Rogalll985, S. 8 ff.; BVerfGE 47, 46 [78 ff.]. 201 Krüger 1982, S. 856 f., Vahle 1983, S. 15 und 17 m. w. N. 202 Denninger 1987, S. 148. 203 Vgl. Rosenbaum 1988, S. 180. 204 Rohlf 1980, S. 201. 205 Ahlf 1983, S.46 meint, durch die Erweiterung des Eingriffsbegriffs werde die Frage der Grundrechtsschranken bedeutsam; daher sollte "uferlosen" Grundrechtseingriffen entgegengewirkt werden. 206 Mende 1983, S. 16; zur sog. "Schwellentheorie" vgl. Kniesei / Tegtmeyer / Vahle 1986, Fn. 490 f. m. w. N.; Kowalczyk 1989, S. 45 ff.; Weßlau 1989, S. 167 ff. m. w. N. 207 Vgl. Weichert 1990, S. 27.; Weßlau 1989, S. 167 m. w. N.; Vahle 1983, S. 28.

8 Geiger

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

fragliche Maßnahme müsse jedenfalls, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend, fühlbar, letztlich schmerzhaft sein 208 • Diese Meinung beruft sich zum Teil auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die etwa in der Barttracht-Entscheidung 209 einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit mit der Begründung ablehnte, dieser sei nur bei unangemessener übler Behandlung von nicht unbeträchtlichem Gewicht gegeben 2\0. Das Abstellen auf die "Schmerzhaftigkeit" mag bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit angehen, erscheint aber bei psychischen Einwirkungen von vornherein als Abgrenzungsmerkmal ungeeignet, was keiner weiteren Vertiefung bedarf. Beim Versuch, die Schwelle zum ,,Eingriff' zu bestimmen, wird Eingriff als eine hoheitliche Maßnahme - rechtlicher oder faktischer Art - definiert, die nach der mit ihr objektiven Tendenz ein Grundrecht des Bürgers nicht nur unerheblich beeinträchtige 211. Für die Frage, ob im konkreten Fall ein Grundrechtseingriff vorliege, komme es auf die Motivation 212 oder die Zweckbestimmung 2l3 der jeweiligen staatlichen Maßnahme an. Nicht dagegen sei auf bloß psychische Wirkungen beim Betroffenen abzustellen. Nicht was der Bürger an Beeinträchtigungen befürchte sei maßgebend, sondern was der Staat objektiv bezwecke. Das Abstellen auf reflexive, psychisch vermittelte Behinderungen oder Erschwerungen bei der Grundrechtsausübung müsse nämlich zwangsläufig zu einer uferlosen Ausweitung des Eingriffsbegriffs führen 214 • Hierbei wird zwar grundsätzlich anerkannt, daß polizeiliche Informationserhebungen unter Einsatz technischer Mittel gravierender sind als Informationserhebungen mit den natürlichen Sinnen Hören und Sehen. Dies führt aber nach dieser Meinung gleichwohl nicht zwangsläufig zur Annahme eines Eingriffs etwa bei Bildaufnahmen, Filmen, Abhören oder Aufzeichnung menschlicher Stimmen. So wurde das Filmen von Menschen in einer größeren Menschenmenge durch die Polizei nicht als Eingriff, sondern als schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln angesehen. Erst durch die Herstellung von Portraitaufnahmen oder die spätere Identifizierung 215 erreiche die Maßnahme Eingriffsqualität 216 • Denn der Einzelne erscheine auf Übersichtsaufnahmen lediglich als anonymes Bildelement 217 • 208 Kniesei 1983, S.384; zur Fühlbarkeit von Eingriffen vgl. auch Steinke 1980, S. 457; Rosenbaum 1988, S. 180. 209 BVerfG DVBI 1977, 743 [746]. 210 Vahle 1983, S. 15 f. 211 Vahle 1983, S. 17 m. w. N.; ähnlich Kniesei 1983, S. 384; Ahlf 1983, S. 49. 212 Vahle 1983, S. 14. 213 Kniesei 1983, S. 384. 214 Vahle 1983, S. 15 m. w. N. 215 Meyer 1982, S. 43. 216 Mende 1983, S. 16; Kniesei / Tegtmeyer / Vahle 1986, Rn. 474 ff., 533; Krüger 1977, S. 250; Weßlau 1989, S. 194. 217 Vahle 1983, S. 37; diese Argumetation ist h. M. im polizeilichen Schrifttum Nachw. bei Kowalczyk 1989, S. 123 f.; Götz 1990, S. 114 m. w. N.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Für die Beantwortung der Frage, wann eine Abbildung die ,,Eingriffsmerkmale" erfüllt, sollen die §§ 22, 23 KUG herangezogen werden. Da in den Fällen, in denen der Abgebildete nur als "Beiwerk" einer Landschaft oder eines ähnlichen Objekts oder als Teilnehmer von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen erscheine, eine Veröffentlichung zulässig sei, müsse geschlossen werden, daß das Gesetz "hier einen Persönlichkeitsschutz nicht anerkennen will". Demgegenüber liege ein Eingriff vor, wenn die Polizei ziel- und zweckgerichtet einzelne Personen abbildet, etwa zur Identifizierung für Zwecke eines Strafverfahrens 218 • In den Fällen, in denen die Polizei zunächst eine Menschenmenge filme und später anband der Auswertung der Bilder durch Vergrößerung einzelne Portraits herstelle, um so Folgernaßnahmen gegen potentielle Störer oder Straftäter treffen zu können, sei ein Eingriff anzunehmen. Im übrigen stelle die Aufbewahrung und Verwendung solcher Aufnahmen einen Eingriff in das Verfügungsrecht am eigenen Bild dar 219. Ähnlich wird argumentiert, wenn § 23 KUG, welcher die Voraussetzungen der Bildverbreitung ohne Einwilligung des Betroffenen regelt, Kriterien für die Frage entnommen wird, wann die Bildaufzeichnung durch die Polizei anläßlich von Groß veranstaltungen "keinen Eingriffscharakter" habe. Dies sei der Fall, wenn der Abgebildete eingewilligt habe, oder eine Person der Zeitgeschichte, Beiwerk einer Landschaft oder eines sonstigen Objektes, auf dem Bild einer Versammlung oder einem ähnlichen Vorgang mit abgebildet sei. Im letzten Fall liege der Grund für die Ablehnung einer Beeinträchtigung des Rechts am eigenen Bild darin, daß nicht der individuelle Mensch, sondern ein Anlaß als solcher abgelichtet sei, in dessen Rahmen der Mensch lediglich ein anonymes Bildelement bedeute 220. Soweit über die von ihm angeführten.Gesamtaufnahmen hinaus bei Großveranstaltungen Bildaufzeichnungen vorgenommen würden, werde das Recht am eigenen Bild als Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen 221. In diesen Fällen richte sich die Zu lässigkeit der Auswertung der Bildaufzeichnungen nach dem Zweck der die Gewinnung des Bildmaterials gestattenden Normen 222. Diesen Autoren, die bei Übersichtsaufnahmen einen "Eingriff' ablehnen, hat das VG Bremen die heutigen Möglichkeiten der Bildverbesserung und Bildvergrößerung (Rastervergrößerung) entgegengehalten. Es bezweifelt eine Unterscheidbarkeitvon Aufnahmen in "Gesamtdemonstration" und Einzelaufnahmen von Personen und Gruppen, da die Bildaufzeichnung einer Versammlung als Ganzes naturgemäß immer die Aufnahme von Einzelpersonen enthalte. Dies gelte namentlich für die Videotechnik, die durch Rastervergrößerungen auch aus einer Gesamtdokumentation jederzeit zur Identifizierung Einzelner geeignete Bilder herzustellen vermöge 223 • 218 219

220 221 222

8*

Kniesel! Tegtmeyer / Vahle 1986, S. 185 f. KnieseIl Tegtmeyer / Vahle 1986, S. 186 f. Krüger 1977, S. 250. Krüger 1977, S. 251. Krüger 1977, S. 253.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Einen anderen Gesichtspunkt enthalten diejenigen Ausführungen, die zur Beurteilung der Eingriffsqualität auf den Zweck der Überwachungsmaßnahme abstellen. Es wird argumentiert, in den Fällen, wo Bilder und Filmaufnahmen zur Dokumentation von Großeinsätzen - z. B. bei Fußballspielen und Demonstrationen, hergestellt werden, und dem Zweck dienten, einen Gesamtüberblick über eine bestimmte Lage zu gewinnen, ohne daß damit ein Vorgehen, gegen bestimmte Personen verbunden sei, fehle es an einem Eingriff 224 • Ebenfalls auf den Zweck einer Maßnahme wird abgestellt, wenn vorgetragen wird, die Beschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG sowie der übrigen Freiheitsrechte zu Zwecken der Abwehr von Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei kein Grundrechtseingriff, solange sie sich gegen den Störer richte. Eingriffsqualität soll sie erst aufweisen, wenn sie sich gegen Dritte (Unbeteiligte, Unverdächtige) richte 225. Ähnlich wird verfahren, wenn die Bildaufnahme einer strafbaren Handlung schon nicht als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des abgebildeten Straftäters angesehen wird 226. Wie die Schwellentheorie, versucht auch die Lehre von der Verwaltungsinternalität 227 den "Eingriffsbegriff' einzuschränken. Anders jedoch als jene sucht sie dies durch die Verneinung einer "Außenwirkung" staatlicher Informationserhebung und Verarbeitung zu erreichen. Namentlich bei Steinke findet sich die Meinung, es handle sich bei polizeilichen Informationserhebungen im Rahmen der Aufklärung und Observation nicht um Rechtseingriffe, weil es insoweit an der für die Annahme eines Eingriffs erforderlichen Außenwirkung fehle. Denn der behördliche Willensbildungsprozeß sei Verwaltungsinternum oder lediglich "rechtsneutraler Annex" zu hoheitlicher Eingriffstätigkeit 228 • In diese Richtung gehen auch Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen - wie etwa Lichtbilder - durch die Polizei als innerdienstliche Maßnahme angesehen wird 229, und des Bundesgerichtshofs, der die Herstellung von Fotos von Demonstrationsteilnehmern durch die Polizei zur Aufklärung begangener Straftaten als zum Zwecke "behördeninterner" Verwendung hergestellt ansah, und ihr mangels Öffentlichkeitsbezug lediglich geringe persönlichkeitsrechtliche Relevanz beimaß 230. Gelegentlich wird die Eingriffsqualität heimlicher Überwachungsmaßnahmen sogar mit dem Argument verneint, der Bürger erfahre in diesem Fall ja nichts von dem polizeilichen Vorgehen 231 • 223

VG Bremen Urt. v. 5.12.1988, Az 4 A 226/86 (NVwZ 1989, S. 895 ff.); ebenso

Krüger 1977, S. 253.; vgl. auch Kowalczyk 1989, S. 124. 224 Vahle 1983, S. 37. 225 Dürig 1984, S. 96,99. 226 Gössel 1979, S. 166 Fn. 38 m. H. a. BGHSt 19, 325, 331. 227 Kniesei / Tegtmeyer / Vahle 1986, Rnr. 488 m. w. N. 228 Steinke 1980, S. 456,457; kritisch Vahle 1983, S. 22. 229 230

BVerwGE 26, 169. BGH JZ 1976, S. 32.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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6. Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts a) Abgrenzung zu schrankenlosen Maßnahmen Für Schwellentheorie und Theorie der Verwaltungsinternalität stellt sich die Frage nach den Schranken insoweit nicht, als Bild- und Tonaufnahmen durch die Strafverfolgungsorgane als "schlicht-hoheitliches Handeln" ohne Eingriffsqualität angesehen werden 232. Dasselbe gilt im übrigen auch für Äußerungen, soweit nach der Sphärentheorie die konkrete staatliche Maßnahme den unantastbaren Bereich privater Lebensführung oder den grundrechtlich überhaupt nicht geschützten Öffentlichkeitsbereich berührt. Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung sind definitionsgemäß nicht zu rechtfertigen, eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt. Soweit ersichtlich, hat bislang lediglich der Bundesgerichtshof einen Fall akustischer Überwachung diesem innersten, unantastbaren Bereich zugeordnet, als er das Abhören eines Raumgesprächs zwischen straftatverdächtigen Ehegatten über einen nicht ordnungsgemäß aufgelegten Telefonhörer in der Ehewohnung durch Strafverfolgungsorgane als Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ansah und für rechtswidrig erachtete, da selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit einen solchen Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen könnten. Deshalb scheide eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus 233. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet sich hingegen keine Entscheidung, welche die unantastbare Sphäre betraf. Insoweit finden die Zweifel im Schrifttum an der Existenz dieser Sphäre eine Bestätigung 234 • Auch im entgegengesetzten Fall der Berührung der "Öffentlichkeits sphäre" entstehen keine Schrankenprobleme, da dieser Bereich nach der Sphärentheorie schon nicht vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sein soll. Einen solchen Fall nahm das OLG Schleswig in bezug auf das Videografieren eines Verdächtigen an dessen Arbeitsplatz an 235. Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof führten - in obiter dicta - aus, das im geschäftlichen Verkehr übliche Festhalten von fernmündlichen Durchsagen von Bestellungen oder Börsennachrichten mittels eines Tonabnehmers, betreffe noch nicht das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Sprechers 236 •

231

232

v. Kratz zit. nach Vahle 1983, S. 22. Kniesel1983, S. 377 m. w. N.

BGH NJW 1983, S. 1570-Raumgespräch. Nachweise bei Amelung 1990, S. 1755, 1757. 235 OLG Schleswig JZ 1979, S. 817 m. Hw. auf BGH NJW 1975, S. 2076. 236 BVerfGE 34, 238 [247]; BGHZ 27,286 ff.; vgl. auch OLG Hamburg MDR 1977, S. 248; OLG Düsseldorf NJW 1990, S. 2899. 233

234

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

b) Anforderungen an Beschränkungen des allgemeinen Persänlichkeitsrechts Soweit Ausführungen zu den Schranken im Hinblick auf Eingriffe durch visuell-akustische Aufnahmegeräte vorliegen, bewegen sich diese im Rahmen der allgemeinen Dogmatik zu den Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 237. Nach allgemeiner Meinung sind staatliche Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Ausprägungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt, die (zumindest) im überwiegenden Allgemeininteresse und unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden. Unstreitig dürfte auch sein, daß darüber hinaus Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage bedürfen. In jüngerer Zeit werden überdies organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen gefordert, um der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenzuwirken 238. aa) Straftatbekämpfung als überwiegendes Interesse der Allgemeinheit Die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes als wesentliche Aufgabe aufgegeben 239 • Deshalb ist die Straftatbekämpfung stets als Zweck angesehen worden, der Einschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Konkretisierungen ermöglicht 240. Der Begriff der Strafverfolgung wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden. Sie erschöpfe sich nicht in der in Art. 74 Nr. 1 GG vorausgesetzten Schaffung von Straftatbeständen und der Verfolgung entsprechender Straftaten, sondern erfasse ganz allgemein die Verbrechensbekämpfung (vgl. Art. 73 Nr. 10 GG) sowie das Bestehen und Funktionieren eines polizeilichen Auskunfts- und Nachrichtenwesens (v gl. Art. 87 12 GG), das zu seiner Effektivität der weitgehenden Geheimhaltung gewonnener Erkenntnisse gegenüber den Betroffenen bedürfe 241 • Das Bundesverfassungs237 Die umfangreiche Rechtsprechung des BGH und der anderen Fachgerichte zu den Schranken des Rechts am eigenen Bild und des Rechts am gesprochenen Wort im Verhältnis Privater untereinander sind hingegen, anders als beim Schutzbereich, wo verfassungsrechtlich argumentiert wird, verfassungsrechtlich unergiebig. Sie betreffen die Abwägung privater Interessen im Rahmen einfach-rechtlicher Vorschriften. Die grundrechtliche Schrankensystematik des Art. 2 Abs. 1 GG folgt bekanntlich völlig anderen Regeln. 238 BVerfGE 65, I [43 f.]; Hesse 1988, Rn. 428; Würtenberger 1992, S. 355. 239 BVerfGE 19, 342 [347]; 20, 45 [49], 144 [147]; 27, 344 [351]; 29, 183 [194]; 32,373 [381]; 33, 367 [383]; 36, 174 [186]; 49, 24 [56 f.]; 51, 324 [343 f.]; 77, 65 [76]; 77, 240 [255]; BVerfGE EuGRZ 1987, S. 441; Hassemer 1982, S. 275, 278 f.; Heyde 1983, S. 1199; Isensee 1983, S. 33 ff.; Kniesei 1985, S. 131. 240 Statt aller BVerwG NJW 1990, S. 2766 m. N. der Rspr. des BVerfG; Benda 1983, S. 106 ff., 117. 241 BVerwG NJW 1990, S. 2766.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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gericht 242 hat namentlich in der Tonbandentscheidung ausgeführt, als überwiegendes Interesse der Allgemeinheit, das Einschränkungen des Rechts am gesprochenen Wort rechtfertige, kommen in Betracht die Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung 243, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß - zur Überführung von Straftätern ebenso wie zur Entlastung Unschuldiger 244, die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einem wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens 245 und die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege 246 • Ganz entsprechend führte das Bundesverfassungsge" richt in bezug auf das Recht am eigenen Bild aus, Eingriffe seien je nach Intensität des Sozialbezuges des Verhaltens des Einzelnen im Interesse der Allgemeinheit zulässig, "etwa die Veröffentlichung von Bildern verdächtiger Personen im Interesse der Strafverfolgung (§ 24 KUG)" 247. Allerdings betont das Bundesverfassungsgericht, die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege dürfe nicht formelhaft als Schranke (der Kunstfreiheit) herangezogen werden 248. Auch das Bundesverwaltungsgericht entschied im Blick auf die informationelle Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane, diese sei ein verfassungsrechtlich legitimierter Aufgabenbereich. Die verfassungsrechtliche Legitimation für die Sammlung und grundsätzliche Geheimhaltung strafrechtsrelevanter Informationen durch die für die Bekämpfung der Kriminalität zuständigen Behörden folge aus der rechtsstaatlich gebotenen Verfolgung von Straftaten. Eine wirksame Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung, die auch den Schutz zukünftiger Opfer von Straftaten einschließe, sei eine wesentliche Aufgabe des rechtsstaatlichen Gemeinwesens 249. bb) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Überwachung Nach allgemeiner Meinung 250 ist das Übermaßverbot, das entweder aus dem Rechtsstaatsprinzip oder aus dem Wesen des jeweils betroffenen Grundrechts selbst abgeleitet wird 251 , dann beachtet, wenn unter mehreren möglichen staatli242 BVerfGE 34, 238 [246 f., 248]-Tonband ffi. H. auf BVerfGE 16, 194 [201 f.]; 17, 108 [117 f.]; 27, 211 [219],344 [351]; 32, 373 [379]. 243 BVerfGE 34,238 [248] ffi. H. a. BVerfGE 19,342 [347]; 20, 45 [49], 144 [147]. 244 BVerfGE 32, 373 [381]. 245 BVerfGE 29, 183 [193]. 246 BVerfGE 34, 238 [248 f.] ffi. Hw. auf die Rspr. 247 BVerfGE 35, 202 [220 f.]. 248 BVerfGE 77, 240 [255]. 249 BVerwG NJW 1990, S. 2765 ff. und S. 2768 ff. 250 Die folgenden Passagen nach der Darstellung bei Stern 1984, S. 866. 251 BVerfGE 19, 342 [348 f.]; 23, 127 [133]; 35,382 [400]; 38,348 [368]; 39, 156 [165]; 43, 101 [106]; 51, 324 [346]; 52, 1 [29]; 53, 135 [143 f.]; 54, 301 [313]; 55,249 [258]; 56, 298 [315]; 57, 9 [28]; 57,250 [270]; 58, 283 [290]; 65, 1 [44]; Hesse 1988, Rn. 318; Stern 1984, S. 861 ff. ffi. w. N.

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chen Maßnahmen diejenige getroffen wird, die geeignet ist, den angestrebten Zweck zu erreichen (Geeignetheit), die möglichst wenig Nachteile hervorruft (Erforderlichkeit), und bei der die Vorteile insgesamt die Nachteile überwiegen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Bei der Geeignetheit kommt es auf die Zieltauglichkeit der Maßnahme an, wobei die verfassungsgerichtliche Kontrolle darauf begrenzt wird, ob das Mittel zur Erreichung und Förderung des gesetzten Ziels "schlechthin ungeeignet", "objektiv untauglich" ist. Dazu gehört auch, ob insbesondere gesetzgeberische Erwägungen "offensichtlich fehlerhaft" oder "eindeutig widerlegbar" sind. Bei der Erforderlichkeit ist zu prüfen, ob nicht ein anderes, gleich wirksames aber weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte gewählt werden können; allerdings muß dieses auch offensichtlich gleichermaßen zur Zielerreichung geeignet sein. Bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist zu prüfen, ob eine staatliche Maßnahme außer Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Nachteilen steht. Danach sind Zweck und Mittel, geschütztes und beschränktes Gut in ihren Relationen gegeneinander abzuwägen. Belastet eine Maßnahme danach "übermäßig", "unzumutbar", so hält sie sich nicht im Rahmen der Proportionalität und ist verfassungswidrig 252 • (1) Geeignetheit

Verfassungsrechtliche Zweifel sind im Hinblick auf visuell-akustische Überwachungsgeräte, dies erscheint paradox zu sein, nicht in erster Linie wegen ihres Mangels an Eignung zur Straftatbekämpfung geäußert worden, sonden im Gegenteil gerade wegen der erst durch technische Aufnahmegeräte möglich gewordenen exakten Abbildbarkeit des Menschen in seinen Lebensäußerungen entstanden. So sieht Dürig eine Persönlichkeitsgefährdung in bezug auf das Tonband darin, daß kraft einer mechanischen Apparatur das gesprochene Wort einen Ausschließlichkeitsanspruch auf objektive Wahrheit bekomme, wie er ohne diese Technik nicht entstehen könnte 253 • Dementsprechend werden visuell-akustische Überwachungsgeräte als zur Straftatbekämpfung besonders geeignet angesehen. Die Erörterungen bewegen sich allerdings nicht auf der normativen, verfassungsrechtlichen Ebene, sondern bleiben auf eine empirische Betrachtung begrenzt 254 • Eine Ausnahme bildet der bereits oben genannte Beschluß eines Dreier-Ausschusses des Bundesverfassungsgerichts, der eine Tonfilm-Aufnahme von der Gegenüberstellung eines Beschuldigten mit einem Zeugen als zum einen geeignet ansah, - unter Umständen gegenüber protokollierten Zeugenaussagen und bloßen Lichtbildern vorzugswürdigen - Beweis über deren Ablauf im weiteren StrafverStern 1984, S. 866. Dürig 1958, Art. 2 Abs. 1, Rn. 38; neuerdings Weichert 1988, S. 38; Kowalczyk 1989, S. 122 f. unter Berufung auf Dürig. 254 Händel 1980, S. 116; Schmuck 1984, S. 138, 139; Neumann 1986, S. 329,330; Krüger 1977, S.249; Kreß / Kreideweis 1986, S.5; Rehermann / Stüllenberg 1990, 252 253

S. 345 ff.

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fahren zu erbringen. Zum anderen könne eine Filmaufnahme darüber hinaus möglicherweise zum Zweck einer Täteridentifizierung weiteren Zeugen, die bei der Gegenüberstellung nicht zugegen waren, vorgespielt werden. Daher sei der mit der Aufnahme verbundene, schon durch deren mögliche Verwendung eng begrenzte Eingriff in die Persönlichkeitsphäre des Beschwerdeführers offensichtlich nicht unverhältnismäßig 255. Von Strafgerichten werden insbesondere auch Videoaufnahmen zur Überführung von Straftätern als besonders geeignet angesehen. Videoaufnahmen sollen den Tatablauf in bewegten Bildern und im Zusammenhang "wahrheitsgemäß" 256 und mit "nahezu untrüglichem Beweiswert" dokumentieren 257 • Sie werden von den Gerichten als Beweismittel in hohem Maße anerkannt 258, weil der optische Eindruck bewegter Bilder, insbesondere in Verbindung mit Ton, besondere Überzeugungskraft besitzt 259 • Videoaufnahmen wird daher ein noch höherer Beweiswert zugemessen als herkömmlichen Fotos oder isolierten Tonbandaufnahmen 260. Die Verurteilungsrate auf Grund des Beweismittels Videoaufnahme ist hoch 261 • Beispielsweise wurden in Schleswig-Holstein 1987 allein 129 rechtskräftige Urteile wegen Straßenverkehrsgefahrdung nach § 315 c StGB auf Grund der von der Verkehrsüberwachungsbereitschaft erbrachten Videobeweise ausgesprochen 262. Lediglich ein Urteil des AG Itzehoe 263 hält polizeiliche Videofilmaufnahmen von einem Überholvorgang, die mit einem Zoom-Objektiv im Telebereich aufgezeichnet wurden, für - jedenfalls ohne sachverständige Auswertung grundsätzlich ungeeignet, eine konkrete Geflihrdung anderer Verkehrsteilnehmer nachzuweisen. Dies ergebe sich aus der durch die Teleobjektivperspektive erfolgende Verfalschung der wirklichen Entfernungen zwischen überholendem und entgegenkommendem Fahrzeug. Die Eignung videotechnischer Instrumente zur Überführung des Täters wird noch verstärkt durch die in der Praxis festgestellte erhöhte Bereitschaft des mit der Kamera gefilmten Täters, nach der Konfrontation mit den Aufnahmen ein Geständnis abzulegen 264. Freilich darf hierbei nicht übersehen werden, daß, jeden255

BVerfG NStZ 1983,

s. 84.

Krage 1987, s. 368. 257 Grasmeier 1980, S. 20; Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 345 ff. 258 Krage 1987, S.366; Ouo 1984, S.6; Hücker 1980, S. III; Ganschow 1977, S. 483 ff.; Schmuck 1984, S. 138 f. Grasmeier 1980, S.20; Schwarz / Neumann 1989, 256

S.42; zur Identifizierung durch Radarfoto OLG Düsseldorf NJW 1987, S. 2884. 259 Vgl. BVerfGE 35, 202 [226 f.]; Weichert 1988, S. 25. 260 Neumann 1986, S. 329; Schmuck 1984, S. 138 f.; Krage 1987, S. 366 ff.; Kreß / Kreideweiß 1986, S. 5; Rehermann / Stüllenberg 1990, S. 345-347; OLG Frankfurt NJW 1990, S. 1308. 261 Neumann 1986, S. 329,330. 262 Schwarz / Neumann 1989, S. 42. 263 AG Itzehoe NZV 1989, S. 41 f. 264 Schmuck 1984, S. 139; Krage 1987, S. 368; Neumann 1986, S. 329.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

falls solange es kein vollautomatisches Verfahren des Bildvergleichs gibt, das seinerseits Zuverlässigkeitsfragen aufwerfen würde, sich auch bei guten Bildaufnahmen stets das Problem der Wiedererkennung der auf dem Videoband abgebildeten Personen entweder für Zeugen des Tatgeschehens oder für den Richter stellt, ob es sich beim Angeklagten um die abgebildete Person handelt. Hier werden auch künftig Fehlerquellen bei der Identifizierung von Personen liegen 265. Auch zur Verdachtschöpfung im Vorfeld konkreter Tatverdächte werden Methoden der Beobachtung für geeignet gehalten 266. Soweit repressive Erfolge durch Aufklärung einer Straftat eintreten, werden damit auch präventive Effekte verbunden, weil die erfolgreiche Strafverfolgung und Bestrafung spezial- und generalpräventive Wirkungen erzeuge 267 • Eignung zur Prävention kommt der Video- und sonstigen Überwachungstechnik auch durch den ihr innewohnenden Effekt der Bewirkung von Verhaltenskonformität zu 268. Wer sich überwacht sieht, wird die Tat möglicherweise nicht oder nicht so begehen. Jedoch dürfte die Überwachung von Personen diese dann nicht von der Straftatbegehung abschrecken, wenn diese heimlich und unbemerkt von den überwachten Personen erfolgt 269 • Heimliche Überwachung wird also kaum mit dem Argument gerechtfertigt werden können, sie geschehe zur (primären) Prävention. Allerdings ist auch die heimliche Überwachung zur Verhinderung von Straftaten geeignet, wenn dadurch der Polizei der rechtzeitige Zugriff auf den Täter ermöglicht wird, bevor dieser die Tat begehen kann 270. Gleichwohl werden auch Zweifel an der Eignung von visuell-akustischen Überwachungs geräten insbesondere zur Straftatverhinderung geäußert, jedoch keine verfassungsrechtlichen Überlegungen angeschlossen. Es existieren Hinweise im Schrifttum, wonach namentlich bei der Anwendung optischer Überwachungsinstrumente eine Brutalisierung, Eskalierung und Verlagerung von Kriminalität entstehen kann. Unter Hinweis auf Erfahrungen in der Bundesrepublik und in Nordamerika wird angenommen, direkte Maßnahmen der Polizei zur Kriminalprävention durch Überwachung hätten so gut wie keinen Erfolg. Zwar ginge die Kriminalität an den überwachten Stellen zurück, verlagere sich aber an Orte, die nicht kontrolliert werden 271 • Die einzige größere bisher zur PrävenZum Problem der Wiedererkennung von Personen siehe Undeutsch 1984, s. 461 ff. Weßlau 1989, s. 105. 267 Vgl. Weßlau 1989, s. 105. 268 Vgl. Schwan 1985, S. 292, 295, 317; Kube 1982, s. 86 (Streifentätigkeit); Grimm 1986, S. 38 f., 43; Schoreit 1985, S. 171; Schwan 1979, S. 126; Denninger 1988, S. 1 ff, 10; Geeignetheit zur Prävention setze Kenntnis des Betroffenen voraus: Schoreit 1986a, S. 229; Kaiser 1982, S. 57; VGH München DVR 1985, S. 130 ff.; BGH JZ 1976, S. 32 Anm. Schmidt. 269 Kaiser 1982, S. 57. 270 Dies übersehen Kaiser 1982, S. 57 und Wolter 1988, S. 77; zutr. Meyer 1982, S. 56. 271 Zur Diskussion um die Eignung der Kriminalprävention durch Überwachungstechnik Schäfer 1979, S.88, 115; Meyer / Ventzke 1980, S. 183; Rengier 1985, S. 104 ff.; 265

266

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tionswirkung optischer Überwachungstechnik vorliegende empirische Untersuchung stellt indessen eine präventive Wirkung fest und mißt dem Brutalisierungsund Verlagerungseffekt keine wesentliche praktische Bedeutung zu 272. Zweifel an der präventiven Wirkung visuell-akustischer Überwachungsmaßnahmen können sich auch daran knüpfen, daß eine Präventionswirkung naturgemäß nur beschränkt feststellbar ist. Denn wieviele Straftaten verhindert werden, ist einer Messung kaum zugänglich 273 . Insoweit enthält die präventive Zielsetzung "Tendenzen zur Immunisierung gegenüber empirischer Überprüfung"274. Schließlich ist auch zu bedenken, daß insbesondere in bezug auf die Anfertigung und Aufbewahrung von Video aufnahmen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung bei der kein konkreter Gefahren- oder Tatverdacht, sondern lediglich eine Gefahrlichkeitsprognose hinsichtlich der Wiederholungs gefahr vorhanden ist, das verfassungsrechtliche Kriterium der Eignung einer Maßnahme fraglich sein kann. Denn Prognosen über die Gefahrlichkeit von Personen sind ungewiß275. Wissenschaftlich fundiertes Erfahrungswissen, das begründete Gefahrlichkeitsaussagen zu Personen erlaubt, ist kaum verfügbar. Weder klinische noch kriminologische Forschung haben bislang ein valides Instrumentarium zur Gefahrlichkeitsprognose entwickelt. Dieser Zustand der Prognoseforschung wird zwar beklagt 276 , der gegenwärtige Forschungsstand bietet aber, abgesehen von Extremgruppen, keine Anhaltspunkte dafür, daß eine nennenswerte Steigerung der prognostischen Aussagekraft in absehbarer Zeit möglich wäre. Damit spiegelt die Prognoseforschung im Bereich des Strafrechts die heutigen Grenzen menschlichen Erkennens wider 277. Dies bedeutet jedoch nicht, daß in der Vergangenheit auf Maßnahmen gegen Personen verzichtet wurde, bei denen mit der Begehung künftiger Straftaten gerechnet wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Aufbewahrung und Verwertung erkennungsdienstlicher Unterlagen (§ 81 b 2. Alt. StPO) verfassungsrechtlich gebilligt, der Polizei einen Prognosespielraum eingeräumt und lediglich Knall 1984, S. 172; Bömer 1980, S. 497; Eigenbrodt 1965, S. 362; Kube 1980, S. 156; Kube 1982, S. 86, 88; P.-A. Albrecht 1986, S. 66; Arzt 1976, S. 434; Anonym WS 1983, S. 324; Feltes 1988, S. 127 f. Fn. 10, S. 129 f. nimmt unter Hinweis auf amerikanische

Forschungen an, direkte polizeiliche Aktionen zur Kriminalprävention - wie z. B. Überwachungsmaßnahmen - hätten so gut wie keinen Erfolg. In Montreal hätten die Raubüberfälle 1985 / 86 auf kleine Eckläden drastisch zugenommen, nachdem Banken, Kaufhäuser und Tankstellen verstärkte. Sicherungsmaßnahmen getroffen hätten. In der BRD sei zu Beginn der 80 er Jahre eine Zunahme der Geiselnahmen, bei gleichzeitigem Rückgang der Raubüberfälle auf Banken etc. zu verzeichnen, nachdem letztere ihre Sicherungseinrichtungen verbessert hatten. 272 Büchler / Leineweber 1986, S. 147 ff.; Skeptischer Servay / Rehm 1986, S. 168 ff. 273 Kaiser 1990, S. 7. 274 Kaiser 1990, S. 7; vgl. auch H.-i. Albrecht 1980, S. 305 ff. 275 Insoweit sind die Schwierigkeiten auf Grund der fehlenden Berechenbarkeit des Menschen wohl noch größer als dies bei den schon schwierigen Prognoseentscheidungen auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet der Fall ist. 276 Nachweise bei Kaiser 1990, S. 17 Fn. 48. 277

Kaiser 1990, S. 17 f.

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verlangt, die Polizei behörde dürfe nicht jedermann als potentiellen Rechtsbrecher behandeln 278 . Das Bundesverfassungsgericht hat in bezug auf die Gefährlichkeitsprognose bei im freiheitsentziehenden Maßregelvollzug Untergebrachten einschränkend entschieden, aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folge, daß mit wachsender Dauer der Unterbringung die Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose steigen 279 , der Freiheitsanspruch des Untergebrachten könne mit der Zeit ein solches Gewicht erlangen, daß die Freilassung "fast mit geschlossenen Augen gewagt werden muß"280. Die Prognoseentscheidung bedarf daher der verfahrensrechtlichen Absicherung sowie der laufenden Überprüfung der Richtigkeit der getroffenen Prognoseentscheidung 281 . (2) Erforderlichkeit und Zumutbarkeit

Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Kriterium der Erforderlichkeit ist insbesondere die Frage der übermäßigen Erhebung und Speicherung von Informationen erörtert worden. So wird ausgeführt, die polizeiliche Erhebung und Speicherung nicht anonymisierter Daten oder Filmaufnahmen zu noch nicht bestimmten Zwecken auf Vorrat und eine Datensammlung, die das zum Erreichen des angegebenen Zieles erforderliche Minimum übersteigt, seien verfassungswidrig 282 . Das Bundesverfassungsgericht führte aus, es sei nicht Aufgabe der Polizei, Vorgänge des Zeitgeschehens, wie etwa die rechtmäßige Ausübung des Versammlungsrechts, aus Gründen vorbeugender Verbrechensbekämpfung oder zur potentiellen späteren Strafverfolgung lückenlos und gleichsam auf Vorrat aufzuzeichnen 283 . Allerdings ist daran zu erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat nicht absolut, sondern vom Wesen des jeweiligen staatlichen Aufgabenbereichs her bestimmt hat 284 . Für das Gebiet der Straftatbekämpfung wird aus dem Verbot der Datensammlung auf Vorrat lediglich der Schluß gezogen, Informationssammlung und -speicherung seien verfassungsrechtlich nicht nur dann zulässig, wenn die jeweilige Information konkret benötigt wird. Vielmehr müsse "selbstverständlich" offen bleiben, ob die einzelnen Daten jemals konkret benötigt werden 285. Aus dem Wesen der Polizeiarbeit als Tätigkeit der Informationssammlung und Informationsverarbeitung soll nur das Verbot abzuleiten sein, daß die Polizei Zugang zu allen beliebigen Daten anderer Behörden habe oder befugt sein soll, unspezifiziert 278 BVerwGE 26, S. 172. 279 BVerfGE 70, 257. 280 Vgl. Kaiser 1990, S. 20 Fn. 55 m. N. 281 Vgl. Kaiser 1990, S. 18 zum Gebiet der Dokumentationspflichten des Arztes und der ÜberpTÜfungspflicht der Berechtigung der weiteren Unterbringung im freiheitsentziehenden Maßregelvollzug m. w. N. in Fn. 49 sowie Hinweis auf BVerfGE 70, 257. 282 Weichert 1988, S. 30, 34 m. H. a. BVerfGE 65, 1 [43 f.]. 283 BVerfGE 69, 315 [349]; 77, 65 [78]. 284 BVerfGE 65, 1 [47]. 285 Rupprecht 1989, S. 305.

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alle nur möglichen Daten zu notieren. Eine Erfassung der Bürger aus dem Bestreben nach möglichst absoluter Effektivität der Polizei und Erleichterung der polizeilichen Tätigkeit widerspreche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 286 • cc) Gesetzliche Grundlagen und Überwachung (1) Güterabwägung statt Gesetze?

Soweit zu der Frage Äußerungen festzustellen sind, ob für Persönlichkeitsrechtsberührungen durch staatliche Anwendungen der Videotechnik und andere Überwachungsmaßnahmen gesetzliche Grundlagen erforderlich sind und welche Anforderungen von Verfassungs wegen an diese gestellt werden müssen, besteht ein erheblicher Dissens in der Diskussion. Allerdings betrifft dieser nicht so sehr die Frage, ob es überhaupt gesetzlicher Grundlagen bedarf. Zwar nahm das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zum Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort keine Stellung zur Frage der gesetzlichen Grundlage 287 , sondern führte lediglich mit den klassischen Worten aus, jedermann müsse als gemeinschaftsgebundener und gemeinschaftsbezogener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Allgemeininteresse und unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden 288 • Dementsprechend sei durch Güterabwägung im konkreten Fall zu ermitteln, ob das verfolgte öffentliche Interesse generell und nach der Gestaltung des Einzelfalls den Vorrang verdiene, ob der beabsichtigte Eingriff in die Privatsphäre nach Art und Reichweite durch dieses Interesse gefordert werde und im angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehe 289. Dieses Übergehen der Frage der gesetzlichen Grundlage und die Beschränkung auf eine Güterabwägung weist Parallelen zur älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf, der wiederholt Beschränkungen des Rechts am gesprochenen Wort durch Strafverfolgungsorgane einer einzelfallorientierten Güterabwägung unterzog, ohne zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage nach Art. 2 Abs. 1 GG Stellung zu nehmen 290 • Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum einerseits zu Kritik 291 , andererseits dazu geführt, es ebenfalls bei der Durchführung einer Güterabwägung bewenden zu lassen 292. Scholz / Pitschas 1984, S. 174 f. Dies gilt auch für BVerfG NStZ 1983, S. 84. 288 BVerfGE 34, 238 [246]-Tonband m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 35, 202 [220]Lebach; ebenso BVerfGE 4,7 [15]; 8,274 [329]; 27, 1 [7]; 27, 344 [ 351 f.]; 33, 303 [334]; 50, 290 [353]; 56, 37 [49]; 65, 1 [44]. 289 BVerfGE 35 202 [220f.] m. H. a. BVerfGE 27, 344 [353f.]; 32, 373 [381]; 34, 239 [248 ff.]; dazu auch Gössel 1979, S. 163, 166; R. Keller 1984, S. 524; durch Zivilgerichte: kritisch BGH JZ 1971, S. 990 Anm. Arzt; Hubmann 1957, S. 522. 290 BGHSt 14,358 ff.; BGH NJW 1983, 1570-Raumgespräch. 291 Lang-Hinrichsen 1970, S. 4; Bottke 1987, S. 357 f., 359; s. a. Vahle 1983, S. 58. 286

287

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(2) Notwendigkeit gesetzlicher Bestimmungen nach Maßgabe von Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgrundsatz Allerdings betont die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, die zwar nicht die Ausprägungen des Rechts am eigenen Bild und am gesprochenen Wort, sondern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betrifft, das Erfordernis einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage als Voraussetzung für Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 293 • Darüber hinaus bestehen nach allgemeiner Meinung auch im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie keine Zweifel am Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage. Denn soweit es sich bei visuell-akustischen Überwachungsmaßnahmen um Eingriffe des Staates in Schutzgüter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt, gehören sie zum "Wesentlichkeitsbereich", weil sie für die Verwirklichung von Grundrechten wesentlich sind 294 . So streitig die Wesentlichkeitstheorie und ihre Konkretisierung auf verfassungsrechtliche Fragestellungen ist, bei Beschränkungen von Grundrechten kann die Regelung nach ganz einheitlicher Meinung und namentlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht der Exekutive überlassen werden. Das Gesetz hat Vorrang vor allen übrigen staatlichen Regelungen. Verwaltungsvorschriften und Richtlinien - etwa die Richtlinien für die Führung Kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen (KpSRi)295 - reichen nicht aus 296. Jede staatliche Maßnahme, die als Berührung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Konkretisierungen zu qualifizieren ist, bedarf danach einer gesetzlichen Grundlage. In erster Linie war die Frage nach der gesetzlichen Grundlage deshalb bisher eine Frage nach dem Maß der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit. Darüber hinaus ging es um das - über die Frage der gesetzlichen Grundlage hinausgehende - Problem der Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld und gegen Personen, die weder im Verdacht stehen, Straftaten begehen zu wollen noch Strafttaten begangen zu haben, sowie um Fragen der Zweckbindung polizeilicher Informationen; darauf wird bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der Schranken des Einsatzes der Videotechnik zurückzukommen sein. Die ältere Diskussion findet sich namentlich in den Arbeiten von Meyer 1982 und Vahle 1983 niedergelegt. Die neuere Diskussion ist maßgeblich von 292 Vgl. auch BVerfGE 34, 239, 248 ff.; Gössel 1979, S. 163, 166; R. Keller 1984, S. 524; Bonarens 1982, S. 215, 220 m. w. N.; Meyer 1982, S. 23; zur Abwägung als verfassungsrechtliche Methode vgl. Grimm 1986, S. 49; Gusy 1983, S. 95,110; Gallwas 1979, S. 513; Herzog 1966, S. XXXI; Abwägung durch Zivilgerichte: kritisch BGH JZ 1971, S. 990 Anm. Arzt; Hubmann 1957, S. 522. 293 BVerfGE 65, 1 [44].

294 Vgl. zur Wesentlichkeitstheorie BVerfGE 40, 273 [248 ff.]; 47, 46 [78 ff.]; weitere Nachweise aus Rechtsprechung und Literatur bei W. Richter 1989, S. 186 ff. 295 Zu den Richtlinien zur informationellen Tätigkeit im Polizeibereich Wolter 1988, S. 55 ff. 296 Vgl. Heußner 1987a, S. 235m. w. N.; Wolter 1988, S. 58 ff.

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dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und dessen Auswirkungen auf den Datenschutz im Polizeibereich geprägt. Hauptsächlich kreist die Diskussion um die Frage, ob und wieweit Generalklauseln oder bloße Aufgabenzuweisungen verfassungsrechtlich ausreichen, oder ob bereichspezifische, inhaltlich bestimmte Regelungen von Verfassungs wegen geboten sind. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe grundsätzlich auch im Bereich der Gefahrenabwehr 297 für verfassungsrechtlich unbedenklich hält. Es betont jedoch, daß Vorschriften den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenklarheit und lustiziabilität entsprechen müssen. Normen seien in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so abzufassen, daß die von ihnen Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Gerichte müßten in der Lage sein, die gesetzgeberische Entscheidung zu konkretisieren. Die Zulässigkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe ergebe sich aus den Grenzen der Normierbarkeit vielgestaltiger Sachverhalte, sich rasch verändernder tatsächlicher Verhältnisse, oder aus den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes 298 . Der Grad rechts staatlich gebotener Bestimmtheit lasse sich dabei nicht allgemein festlegen: Er sei bei Straftatbeständen (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) oder bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters (vgl. Art. 101 Abs. 1 GG) höher als etwa bei solchen Gesetzen, die im Blick auf die Eigenart der geregelten Materie Raum für die Berücksichtigung zahlreicher im voraus nicht normierbarer Gesichtspunkte durch die Behörden lassen müßten. Wesentlich sei in jedem Falle die Bereitstellung eines rechts staatlichen Verfahrens, im besonderen der Rechtsschutz durch die Gerichte; Verfahren und gerichtliche Kontrolle erschienen geeignet, mögliche Nachteile der Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelung bis zu einem gewissen Grade auszugleichen 299. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen erfüllt sein müssen, sei auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen 3OO. Nach der Relativierung der Sphärentheorie wird dabei jedoch nicht mehr allein auf den Grad der Berührung der ,,Privatsphäre" abgestellt werden können 301 . Für Anwendungen von Bild- und Tonaufnahmegeräten wurde stets auf die Intensivierung der Persönlichkeitsrechtsberührung durch die Verwendung technischer Mittel hingewiesen; daraus werden strenge Anforderungen an gesetzliche Bestimmungen abgeleitep02.

297 298 299 300 301

BVerfGE 49, 168 [181]. Nach der Zusammenfassung bei W. Richter 1989, S. 197. m. w. N. BVerfGE 49, 168 [181]; 33,303 [341]. BVerfGE 49, 89 [133]; 59, 104 [114]. So aber noch Gusy 1983, S. 108; Rupprecht 1989, S. 303 m. H. a. BVerfGE 56,

302

Meyer 1982, S. 42, 62, 78; Vahle 1983, S. 37 ff., 69 ff.; vgl. auch Ahlf 1983, S. 51.

1 [13].

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(a) Die Diskussion bis zur Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1983 In der Diskussion wurden für Eingriffe in das Recht am eigenen Bild und für Eingriffe ins Recht am gesprochenen Wort allerdings zunächst unterschiedliche Maßstäbe angelegt. (aa) Gesetze für die Bildaufnahme In bezug auf Beschränkungen des Rechts am eigenen Bild zu Zwecken der Straftatbekämpfung wurden teilweise Aufgabenzuweisungen wie etwa die §§ 163, 160, 161 StPO bei der Straftataufklärung oder die polizeiliche Aufgabenzuweisung in den Landespolizeigesetzen ( z. B. § 1 BW PoIG) für die Straftatverhinderung als verfassungsrechtlich ausreichende Grundlage angesehen. Danach sollen Aufgabenzuweisungen auch die Kompetenz zur Anwendung der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Mittel enthalten 303. Diese Ansicht wurde jedoch teilweise im polizeirechtlichen Schrifttum mit der Begründung verworfen, zum einen bedürften Grundrechtsbeschränkungen grundsätzlich einer Befugnisnorm. Dies gelte jedenfalls auf dem Gebiet des Polizeirechts infolge der hier herrschenden Trennung von Aufgabe und Befugnis. Darüber hinaus sei eine Aufgabennorm angesichts der Intensität von Beobachtungseingriffen jedenfalls nicht bestimmt genug 304. Folglich wurden im Blick auf Eingriffe in das Recht am eigenen Bild Generalklausein für verfassungsrechtlich geboten, aber auch ausreichend erachtet 305. Für die Strafverfolgung existierte wie auch heute noch keine Generalklausel. Nicht in Betracht kommt insoweit § 163 StPO, der in seit langem ganz überwiegender Auslegung lediglich eine Aufgabenzuweisung und keine Befugnisnorm in Form einer Generalklausei enthält 306. Auch die subsidiäre Anwendung der polizeilichen Generalklausel zu Zwecken der Strafverfolgung sollte ausscheiden 307. Somit wurde die polizeiliche Generalklausel nur als Eingriffsgrundlage für präventive Zwecke erörtert 308. Dabei wurde es überwiegend für verfassungsrechtlich zulässig angesehen, Bildaufnahmen auf die Generalklausel zu stützen 309. In gefestigter Auslegung der polizeilichen Generalklausei durch Schrifttum und Rechtsprechung setzt deren Anwendung allerdings das Vorliegen einer konkreten Gefahr oder eines konkreten Gefahrenverdachts voraus, woraus geschlossen wurde, daß Kniesei 1985, S. 131. Meyer 1982, S. 67 f. 305 Grasmeier 1980, S. 18 f.; BVerfGE 35, 202 [224]-Lebach; BGHZ JZ 1976, S. 33Tübinger Krawalle. 306 Nachweise bei Vahle 1983, S. 49 f.; Meyer 1982, S. 79 f. 307 Meyer 1982, S. 85 f. m. w. H. 308 Meyer 1982, S. 62 ff.; Vahle 1983, S. 64 ff. 309 Meyer 1982, S. 70,77; Vahle 1983, S. 72. 303

304

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für jenen Teil der polizeilichen Beobachtungsmaßnahmen die Generalklausel nicht in Betracht kommt, der im Vorfeld konkreter Gefahren erfolgt 31O • Auch die analoge Anwendung von gesetzlichen Bestimmungen wurde teilweise für verfassungsrechtlich zulässig angesehen. Beispielsweise wurde für die Herstellung von Bildaufnahmen § 24 KUG herangezogen, der nach seinem Wortlaut lediglich die Ermächtigung zur VervieWiltigung, Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung von Bildnissen ohne Einwilligung des Betroffenen für u. a. Behörden zu Zwecken der Rechtspflege enthält 3l1 • Insbesondere der Bundesgerichtshof führte im Anschluß an Stimmen im Schrifttum in einem Fall aus, in dem Demonstrationsteilnehmer von der Polizei zur Aufklärung zuvor verübter Straftaten fotografiert wurden, nach § 24 KUG dürften für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit von Behörden Bildnisse ohne Einwilligung der Berechtigten vervieWiltigt, verbreitet und veröffentlicht werden. Dem Sinn dieser Vorschrift entspreche es, auch die im KUG nicht ausdrücklich geregelte Herstellung von Bildern, die ein "Minus" im Vergleich mit der Verbreitung sei, zu den genannten Zwecken als erlaubt anzusehen 3I2 • Diese Auffassung des Bundesgerichtshofs ist im polizeirechtlichen Schrifttum jedoch sogleich bestritten worden 313. Dagegen wurde - neben den einfachrechtlichen Argumenten, Entstehungsgeschichte und privatrechtlicher Charakter des KUG sprächen gegen seinen Charakter als Eingriffsermächtigung der Polizei 314 - eingewandt, eine analoge Anwendung von Eingriffstatbeständen bei Gefahrenabwehr und der Straftataufklärung verstoße gegen den Gesetzesvorbehalt 315 oder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz 316, jedenfalls fehle es auch an einer Bundesgesetzgebungskompetenz, soweit auf § 24 KUG Straftatverhütungsmaßnahmen - also Gefahrenabwehr gestützt würden 3J7. In diesem Zusammenhang ist auch an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 32. Bande zu erinnern, welche im Hinblick auf die vom Verfassungsgeber jeweils dem Wesen der Grundrechte angepaßten Schrankenregelungen Bedenken gegen die Annahme ungeschriebener gewohnheitsrechtlicher Beschränkung von Freiheitsrechten erhob 318 • 310 311

Meyer 1982, S. 77; Vahle 1983, v. Münch 1965, S. 406.

s. 72.

312 BGH JZ 1976, S.32 m. H. auf v. Münch 1965, S.404, 406; Lang-Hinrichsen 1970, S. 84, 90; Evers 1972, S. 384; unzutreffend die Interpretation der Entscheidung durch Götz 1990, S. 113 f.; Scholz / Pitschas 1984, S. 161 m. w. N. zur älteren Lit. und Rechtsprechung. 313 Meyer 1982, S. 71 m. w. H. u. 83; zum Analogieverbot im Strafverfahrensrecht bei GrundrechtseingriffenBottke 1987, S. 362 ffi. w. N.; Vahlel983, S. 48 f., 61 f., 69 f.; Götz 1990, S. 113 f. ffi. w. N. 314 Vahle 1983, S. 70 ffi. w. N. 315 Bottke 1987, S.362. und Meyer 1982, S. 71, 83 jeweils ffi. w. N.; Vahle 1983, S. 61 f.; Wolter 1988, S. 60 zur Diskussion eines verfassungsrechtlichen Analogieverbots bei Grundrechtseingriffen. 316 Vahle 1983, S. 71 f.; Kniesei / Tegtmeyer / Vahle 1986, Rdnr. 710; Meyer 1982, S.72; Weichert 1988, S. 34. 317 Meyer 1982, S. 72 ffi. w. N.

9 Geiger

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Verfassungsrechtlich für unbedenklich gehalten wurden schließlich gesetzliche Bestimmungen, die wie §§ 81 b 1. und 2. Alt. StPO, 163 b StPO spezielle Vorschriften zur Anfertigung oder wie § 24KUG zur Verbreitung von Bildaufnahmen enthalten. Allerdings wurden diese Bestimmungen wegen ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs für die polizeiliche Praxis als unzureichend empfunden 319 • (bb) Gesetze für Abhören und Aufnahme des gesprochenen Wortes Im Gegensatz zu Bildaufnahmen, bei denen Generalklauseln für von Verfassungs wegen ausreichend angesehen wurden, wurden für Tonaufnahme- und abhörgeräte stets strengere Anforderungen an gesetzliche Bestimmungen gestellt. Begründet wurde dies mit dem Argument, das Belauschen unter Zuhilfenahme technischer Geräte sowie die Herstellung von Tonaufnahmen seien wegen der großen Bedeutung des Rechts am gesprochenen Wort stets eine so erhebliche Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen, daß eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage notwendig sei 320. Anders als beim Recht am eigenen Bild lehnt es auch der Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit der Literatur 321 ab, bei Eingriffen in das Recht am gesprochenen Wort Eingriffstatbestände auf dem Gebiet der Strafverfolgung analog anzuwenden 322. Namentlich die analoge Anwendung der strafprozessualen Vorschrift des §§ 100 a StPO auf die Herstellung von Tonbandaufnahmen durch die Polizei außerhalb des Femmeldeverkehrs und deren Verwertung im Strafverfahren wurde in ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen 323. Diese vor der Volkszählungsentscheidung entwickelte Rechtsprechung ist im übrigen auch noch gegenwärtig ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1986 führte er aus, daß es außerhalb der gesetzlich geregelten Femmeldeüberwachung auch in Fällen schwerer Kriminalität grundsätzlich unzulässig sei, das nichtöffentlich gesprochene Wort des Angeklagten mittels einer ihm gegenüber verborgen gehaltenen Abhöranlage auf Tonband aufzunehmen, um Art und Weise seiner Gesprächsführung als Beweismittel gegen 318

BVerfGE 32, 54 [75].

Meyer 1982, S. 77; Vahle 1983, S. 72. 320 Meyer 1982, S. 62. 321 Statt aller Bauke 1987, S. 362; Vahle 1983, S. 62 ff. 322 Weichert 1988, S. 25 wendet sich dagegen, das Recht am eigenen Bild weniger stark als das Recht am eigenen Wort zu schützen. Als Begründung führt Weichert an, 319

auf Grund der technischen Möglichkeiten der Bildauswertung und Bildverarbeitung dürfte ein erheblich intensiverer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegen als z. B. bei der heimlichen Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Worts; damit verfällt er in den entgegengesetzten Fehler. 323 BGHSt 26, 298, 303; 31, 296 ff.= BGHSt NJW 1983, S. 1569-Raumgespräch; bestätigt und fortgeführt durch BGH v. 9.4.1986 BGHSt 34, 39-Terrorist; vgl. dazu Vahle 1985, S. 80; Bauke 1987, S. 356.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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seinen Willen verwerten zu können 324. Die Entscheidung darüber, ob ein Eingriff in das Recht am gesprochenen Wort unter den in §§ 100 a ff., 81, 81 a, 81 b, 94 ff. StPO genannten oder ähnlichen oder anderen Voraussetzungen zulässig sein soll, und gegebenenfalls welche organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zum Schutz dieses Rechtsguts getroffen werden sollen, müsse dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, der den Umfang solcher Grundrechtsbeschränkungen für den Bürger klar erkennbar regeln müsse. Dies erfordere der allgemeine Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. Aus ähnlichen Erwägungen habe der Bundesgerichtshof schon für den Bereich des Femmeldeverkehrs eine erweiternde Auslegung dieser Vorschriften abgelehnt 325 • Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr wurde die polizeiliche Generalklausel frühzeitig als verfassungsrechtlich unzureichend für Abhör- und Tonaufnahmemaßnahmen angesehen, weil ihr, gemessen an der Schwere der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, die gebotene Bestimmtheit fehle. Solange die Polizeigesetze keine spezielle Ermächtigung für das Abhören und Aufzeichen von Gesprächen enthielten, wurden diese Maßnahmen deshalb als verfassungsrechtlich unzulässig angesehen 326. (cc) Gesetze für die Verwendung der Bild- und Tonaufnahmen Gelegentlich wurden in den referierten Äußerungen zum Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild und am gesprochenen Wort auch die späteren Phasen der Veröffentlichung und des Abspielens der Aufnahmen erörtert. Das Bundesverwaltungsgericht schien frühzeitig auch die Aufbewahrung als Beschränkung des Rechts am eigenen Bild anzusehen. Eine besondere gesetzliche Bestimmung, die zur Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Aufnahmen ermächtigt, hielt es indessen nicht für erforderlich, sondern stützte die Befugnis dazu auf § 81 b StPO, der lediglich die Kompetenz zur Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen regelt 327 • Demgegenüber wurde nach der Lehre vom Informationseingriff bereits vor der Volkszählungsentscheidung in der Weitergabe und sonstigen Verwendung von Informationen, die durch polizeiliche Beobachtungs- und Überwachungsmaßnahmen erhoben wurden, ein jeweils neuer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht angenommen und eine inhaltlich bestimmte Rechtsgrundlage verlangt 328. Allerdings blieb unklar, ob dies für die Verwendung der Bild- und Tonaufnahmen selbst oder lediglich für die daraus gewonnenen Informationen gelten soll 329. Teilweise wurden Bild- und Tonaufnahmenjedenfalls als personen324 325 326 327 328

9*

BGHSt 34, 39; vgl. Bouke 1987, S. 357. Zit. nach Bouke 1987, S. 362. m. H. auf BGHSt 31, 296, 298. Vgl. Meyer 1982, S. 62; Vahle 1983, S. 74 f. BVerwGE 26, 169 f. Meyer 1982, S. 90 f. m. w. N.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

bezogene Daten angesehen 330. Allerdings wurde bestritten, daß Video aufnahmen in den Regelungsbereich der Datenschutzgesetze fallen, was damit begründet wurde, sie entsprächen nicht dem Dateibegriff der Datenschutzgesetze 331 , weil etwa Videobänder regelmäßig in Regalen archiviert und nur über Listen erschlossen und nicht in Datenbanken gespeichert und erschlossen werden 332. Diese Ansicht führte zu dem sonderbaren Ergebnis, daß einerseits der Schutzbereich der Datenschutzgesetze alter Fassung nicht eröffnet war, damit aber auch die Datenschutzgesetze von vornherein als Ermächtigungsgrundlagen für die Speicherung und Verarbeitung von Videoaufnahmen ausschieden. Als Ermächtigungsgrundlage zur Verwendung und Übermittlung von Informationen aus polizeilichen Beobachtungsmaßnahmen wurden die Amtshilfevorschriften in Art. 35 GG, §§ 4 ff. VwVfG mit der Begründung abgelehnt, diese enthielten lediglich eine formelle Grundlage für über Zuständigkeitsgrenzen hinausgreifendes behördliches Handeln; sei die Amtshilfeleistung mit einem Eingriff verbunden, sei zusätzlich eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich 333. Im Blick auf die polizeiliche Generalklausel wurde vertreten, sie komme wegen zu großer Unbestimmtheit als Befugnisnorm für Maßnahmen der Datenverwendung ebensowenig in Betracht wie für Datenerhebungsmaßnahmen 334 • Keine derartige Ermächtigungsgrundlage sollten nach einer Meinung § 2 Abs. I Nr. 1, 2, 7 und § 3 Abs. 1 Satz 2 BKA-G, der die Informationsübermittlung der Landeskriminalämter an das Bundeskriminalamt regelt. Es handle sich dabei um eine Aufgabenzuweisung, die lediglich verwaltungsinterne Pflichten begründen soll 335. (dd) Sonstige Rechtsgrundlagen für Anfertigung und Verwendung von Bild- und Tonaufnahmen Ebenfalls zunächst eine Frage der Bestimmtheit gesetzlicher Eingriffsgrundlagen war die umstrittene Frage, ob die Strafverfolgungsorgane Maßnahmen im allgemeinen und Überwachungsmaßnahmen im besonderen über die in Spezialtatbeständen geregelten Eingriffsbefugnisse hinaus auf die jedermann zustehenden allgemeinen Rechtfertigungsgründe der §§ 32, 34 StGB, 228, 904 BGB stützen können. Die im Strafrecht herrschende und vom Bundesgerichtshof geteilte Meinung billigt den staatlichen Organen für ihre Grundrechtseingriffe grundsätzlich Meyer 1982, S. 93. Die Zeit v. 12.8.1983, S.37; van der Giet/KünzeI1981, S.343; Vahle 1984, S.204; Vahle 1987, S. 4; Mende 1983, S. 15; KnieseI 1983, S. 374, 381; Seifert 1985, S.94. 331 Weichert 1988, S. 29 ffi. N. 332 Weichert 1988, S. 29. 333 Meyer 1982, S. 91; statt aller Kowalczyk 1989, S. 75 f. ffi. W. N. 334 Kowalczyk 1989, S. 68. 335 Meyer 1982, S.96; neuerdings Riegel 1991, Bd. 1 A 11, S.58; a. A. Schotz / Pitschas 1984, S. 171. 329

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B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zu. Eine vermittelnde Meinung beschränkt die rechtfertigende Wirkung der allgemeinen Rechtfertigungsgründe auf Zivil- und Strafrecht, will aber spezialbefugnisloses Handeln disziplinarrechtlich ahnden. Eine verbreitete Meinung in der Literatur lehnt demgegenüber - abgesehen von reinen Selbstschutzfällen - jede Anwendung der §§ 32, 34 StGB 228, 904 BGB als Ermächtigungsgrundlage ab, da das Prinzip des Gesetzesvorbehalts für jeden hoheitlichen Grundrechtseingriff eine Spezialermächtigung fordere 336 • Bedenken richteten sich auch gegen Ansätze, die vorgeschlagen hatten, für Überwachungsmaßnahmen § 9 BDSG, den Topos der "grundrechtsimmanenten Schranken" sowie die analoge Anwendung von Befugnisnormen heranzuziehen 33? (ee) Ertrag der älteren Diskussion Der Ertrag dieser älteren Diskussion besteht darin, daß schon frühzeitig für die Überwachung von Personen mit technischen Mitteln wie etwa Bild- und Tonaufnahmegeräten jedenfalls die Aufgabenzuweisungen der Strafprozeßordnung und in den Polizeigesetzen als nicht ausreichend angesehen wurden, weil die Benutzung technischer Geräte als besonders intensiver Informationseingriff der Polizei angesehen wurde. Diesen Befund verkennt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit einer längeren Videoobservation 338 • Allerdings wurde die polizeiliche Generalklausel - akustische Überwachungsgeräte ausgenommen - überwiegend für ausreichend bestimmt gehalten. Gelegentlich wurden bereits spezialgesetzliche Befugnisnormen für alle Anwendungen von Überwachungsgeräten gefordert 339 • Für zahlreiche Maßnahmen der polizeilichen Informationserhebung durch technische Mittel wurde das Fehlen ausreichender gesetzlicher Grundlagen bemängelt. Nur für das "Alltagsgeschäft" der Polizei bei Überwachungen aus konkretem Anlaß, beim Vorliegen einer konkreten Gefahr der Straftatbegehung oder beim Vorgehen gegen den Störer oder Verdächtigen bzw. den Beschuldigten wurden ausreichende gesetzliche Grundlagen und nur für Bildaufnahmen nicht für Abhören und Aufnahme des gesprochenen Wortes - angenommen. Zur Behebung dieses Regelungsdefizits wurde die Schaffung neuer Gesetze für polizeiliche Beobachtungseingriffe gefordert 340 • Es ging um die ,,Legalisierung" der polizeilichen Praxis, die bis dahin noch für eine Übergangszeit hinzunehmen sei 341. 336 Dazu Bottke 1987, S. 363 f. m. w. N. zum Meinungsstand; vgl. auch Vahle 1983, S. 53 ff.; Meyer 1982, S. 86 ff. 33? Vahle 1983, S. 52 ff. m. w. N.; Meyer 1982, S. 85 f. 338 BGH NJW 1991, S. 2652; zutreffend Merten 1992, S. 355. 339 Meyer 1982, S. 78. 340 Vahle 1983, S. 89. 341 Vahle 1983, S. 78 ff.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

(b) Tendenz zur spezialgesetzlichen Regelung polizeilicher Überwachungsmaßnahmen nach der Volkszählungsentscheidung Diese Tendenz zu spezialgesetzlichen Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Informationserhebung und -verarbeitung im allgemeinen und mittels technischer Mittel der Bild- und Tonaufnabme im besonderen wurde wesentlich durch die Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1983 befördert. Allerdings finden sich auch weiterhin bereits unabhängig von der Datenschutzdiskussion vorgetragene Argumente, wie etwa der Gesichtspunkt der besonderen Intensivierung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Anwendung visuell-akustischer Überwachungsinstrumente, aus dem die Notwendigkeit bereichspezifischer gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen geschlossen wird 342. Auch die Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen durch Gewohnheitsrecht oder Analogie in diesem Bereich wurde weiterhin erwogen und abgelehnt 343. Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich in der Volkszählungsentscheidung hohe Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit bei Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestellt. Im Blick auf die Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung bedarf danach jede Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben. Der Gesetzgeber muß den Verwendungszweck bereichspezifisch und präzise bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt darüber hinaus organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen, um der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenzuwirken 344. Das Gericht nennt in diesem Zusammenhang einen amtshilfefesten Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe und Verwertungsverbote, Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungsfristen sowie die Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter 345 • Die Volkszählungsentscheidung betraf zwar die Datenerhebung zu statistischen Zwecken. Nach allgemeiner Meinung kommt ihr aber grundlegende Bedeutung für alle Bereiche staatlicher Informationsverarbeitung 346 , namentlich auch für den Bereich der inneren Sicherheit zu 347. Indem Anwendungen optischer und akustischer Überwachungstechnik in zunehmendem Maße als polizeiliche "Informationseingriffe" qualifiziert werden 348, sind auch sie stärker als vor der Volkszählungsentscheidung Gegenstand der Datenschutzdiskussion im Polizei bereich 342

343

344

Simitis 1987, S. 307, Kowalcyzk 1989, S. 126. Wolter 1988, S. 60 f. ffi. w. N.; Bouke 1987, S. 363. BVerfGE 65, 1 [43 f.]; Hesse 1988, Rn. 428. Vgl. Rupprecht 1989, S. 298; BVerfGE 65, 1 [44 ff.]

345 ffi. H. a. 53, 30 [65]; 63, 131 [143]. 346 Statt aller Benda 1984, S. 89. 347 Rupprecht 1989, S. 301. 348 ygl. Weichert 1988, S. 30; Kowalczyk 1989, S. 124; Riegel 1991c, S. 392.

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geworden 349. Diese Neigung, Anfertigung und Verwendung von Bild- und Tonaufnahmen als Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten "mit technischen Mitteln" anzusehen, hat dazu geführt, daß Fragen der Beschränkung des Rechts am Bild und am gesprochenen Wort im wesentlichen zum Annex der Datenschutzdiskussion im Sicherheitsbereich wurden. Die Diskussion zieht unterschiedliche Konsequenzen aus der Volkszählungsentscheidung. Einerseits werden bereichspezifische Befugnisnormen für verfassungsrechtlich geboten angesehen, die detailliert die Informationserhebung und -verarbeitung bei der Polizei kodifizieren 350. Andererseits werden auch nach der Volkszählungsentscheidung die vorhandenen polizeilichen Aufgabenzuweisungen und Generalklausein als Grundlage polizeilicher Informationsverarbeitung zum Zwecke der Gefahrenabwehr, insbesondere auch der Straftatvorbeugung, für verfassungsrechtlich ausreichend erachtet 351 , was insbesondere auch für Bildund Tonaufnahmen gelten soll, die durch den Einsatz von Videogeräten gewonnen werden, was aus der staatlichen Pflicht zur Informationsvorsorge, die mit Verfassungsrang ausgestattet sei, folge 352. Dieser grundlegende Dissens setzt die vor der Volkszählung geführte Diskussion fort. Nach der einen Meinung soll kein Regelungsdefizit für die polizeiliche Datenerhebung und Datenverarbeitung, namentlich auch für die Aufnahme von Lichtbildern und Filmen durch die Polizei bestehen 353, weil Aufgabenzuweisungen und Generalklausein in den Polizeigesetzen und die Bestimmungen der StPO, insbesondere § 81 b StPO in beiden Alternativen und § 163 bl 3 StPO ausreichend seien 354. Sogar die §§ 161, 163 StPO werden als ausreichende Grundlage für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch polizeiliche Videoaufnahmen angesehen 355. Im Zusammenhang damit hat das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem VGH Baden-Württemberg 356 und einer verbreiteten Meinung in der Literatur 357 zur polizeilichen Erhebung, Aufbewahrung und Verwendung personenbezogener Daten u. a. in Kriminalakten 358 - bei denen sich auch Bildaufnahmen befinden - entschieden, daß die allgemeine polizeiliche Aufgabennorm den Anforderungen an die Normenklarheit genüge und als gesetzliche Grundlage geeignet sei. Die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vermöge nicht zu bewirken, daß die polizeiliche AufgabenWeichert 1988, S. 30 u. 34. Kawalczyk 1989, S. 77,232 f.; Weichert 1988, S. 30 f., 34 f. 351 BVerwG NJW 1990, S. 2761 ff. m. w. N. 352 Schalz I Pitschas 1984, S. 103 ff., 173. 353 Schalzl Pitschas 1984, S. 161,173,175; ähnlich auch Götz 1990, S. 114. 354 Götz 1990, S. 113 f. 355 Kramer 1992, S. 2732 ff. 356 VGH BW NJW 1987, S. 3022. 357 Götz 1988, Rnrn. 145, 150; Schalz-Pitschas 1984, S. 170 ff. 358 Zum Begriff Schareit 1986, S. 55; ders. 1985, S. 170; Ahlf 1983, S. 49 f.; KnieseI 1986, S. 253 11!: w. N. Fn. 18. 349

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nonn als Rechtsgrundlage ausscheide und nur noch die polizeiliche Befugnisnonn als Rechtsgrundlage in Betracht komme. Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmheitsgrundsatz verwiesen und ausgeführt, das rechtsstaatliehe Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze zwinge den Gesetzgeber nicht, Gesetzestatbestände stets mit genau erfaßbaren Maßstäben zu umschreiben: Sie seien so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Nonnzweck möglich sei 359. Somit hielt das Bundesverwaltungsgericht für die infonnationelle Tätigkeit der Polizei nicht einmal eine als Generalklausel fonnulierte Befugnisnonn für erforderlich. Diese Entscheidung wurde von Riegel mit der harschen Kritik bedacht, sie enthalte eine völlige Mißachtung der polizeilichen Dogmatik und der Entwicklung des Polizeirechts 360 • Im Hinblick auf die ausreichende Bestimmtheit von Aufgabenzuweisungen und Generalklauseln wird im Schrifttum das weitere Argument verwendet, die polizeirechtlichen und strafprozessualen Vorschriften seien im Kern bereits bereichspezifische Nonnierungen der Datenerhebung- und -verarbeitung und daher verfassungsrechtlich ausreichend 361 • Andere gehen davon aus, daß Aufgabenzuweisungen zumindest zu gewissen, wenig gravierenden Infonnationseingriffen ennächtigen können. Allerdings werden Infonnationseingriffe im Sicherheitsbereich herkömmlich als generell besonders empfindlich angesehen 362. Entgegen den genannten Stimmen ist aber seit der Volkszählungsentscheidung die Tendenz zu beobachten, daß spezialgesetzliche Regelungen der infonnationellen Tätigkeit der Polizei für von Verfassungs wegen geboten erachtet werden. Dies gilt auch für den Einsatz optisch-akustischer Überwachungsmittel. Die in der Diskussion konkretisierten verfassungsrechtlichen Kriterien sind im wesentlichen in den Äußerungen enthalten, die in folgenden Abschnitten wiedergegeben werden: Bei Heußner und anderen findet sich die Ansicht, für die infonnationelle Tätigkeit der Polizei - worunter Heußner wohl auch die Anfertigung von Bildund Tonaufnahmen zählt 363 - seien auf Grund des Prinzips der Nonnenklarheit präzise Aufgabenbeschreibungen, Verarbeitungsbefugnisse und Zweckbestim359 BVerwG NJW 1990, S. 2765 ff. und S. 2768 ff.; ferner zum Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis BVerwG JZ 1989, 997 ff. -Warnung vor Jugendsekten (m. Krit. Anmerkung von Gusy) bestätigt von BVerfGE NJW 1989, 3269 ff.; Im "Abhörurteil" in BVerfGE 30, 1 [20] ist der Satz zu finden, daß es nicht im Sinne der Verfassung sein könne, den verfassungsmäßigen obersten Organen im Staate eine Aufgabe zu stellen und für diesen Zweck ein besonderes Amt vorzusehen, aber den verfassungsmäßigen Organen und dem Amt die Mittel vorzuenthalten, die zur Erfüllung ihres Verfassungsauftrages nötig sind; kritisch dazu Schwan 1980, S. 1998. 360 Riegel 1991, Bd. 1 , A II, S. 15. 361 Scholz / Pitschas 1984, S. 170 f. 362 So Meyer 1982, S. 38. 363 Heußner 1987a, S. 231 u. 236.

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mungen erforderlich. "Generalklauseln" oder die Beschreibung von "Grundzwekken" könnten dies nicht leisten 364. Eine Aufgabenzuweisung (z. B. § 1 MEPoIG, § 163 StPO) reiche als Ermächtigungsgrundlage nicht mehr aus 365 • Der Schluß von der Zuweisung einer Aufgabe auf die Zulässigkeit der für die Aufgabenerfüllung notwendigen Eingriffe, also der Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis, sei unzulässig 366 • Auf der Notwendigkeit einer konkreten Befugnisnorm gründe die rechtsstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland 367. Speziell im Hinblick auf polizeiliche Anwendungen der Videotechnik verfassungsmäßige gesetzliche Grundlagen werden gefordert, die den Anforderungen der Volkszählung entsprechen 368 • Eine weitere Konkretisierung der Schranken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für die polizeiliche Datenverarbeitung unternimmt Denninger, der optische und akustische Aufnahmen durch die Polizei als polizeiliche Informationseingriffe betrachtet 369 • Er zieht aus der Volkszählungsentscheidung für das "Informationsverhalten" im Sicherheitsbereich die Folgerung, daß der Gesetzgeber zur Erfüllung des Bestimmtheitsgrundsatzes einzelfallbezogene, wenngleich typisierende Abwägungen und konkrete Zweckvorstellungen für Befugnisregelungen vorzunehmen habe 370. Die tatbestandliche Ausgestaltung der erforderlichen Ermächtigungsgrundlagen versucht er in enger Anlehnung an die typischen Maßnahmen polizeilicher Informationsverarbeitung nach den Hauptphasen der Datenverarbeitung zu ordnen 371 • Hieraus folgert er die Notwendigkeit der Aufnahme der jeweiligen Informationshandlungen - wie z. B. die Rasterfahndung - in den Text der Ermächtigungsgrundlage. Dem Gesetzesvorbehalt soll die Frage der Schaffung und Führung polizeilicher Datensammlungen unterfallen. Daher seien der Zweck der Datensammlung, der betroffene Personenkreis, die Art der zu speichernden Daten, die Voraussetzungen einer Informationsübermittlung, die Dauer der Aufbewahrung, also die Löschungsfristen sowie die 364 Heußner 1987a, S. 238, 239 mit Kritik an dem Konzept einer umfassenden staatlichen Aufgabe der "Informationsvorsorge" von Scholz / Pitschas 1984; kritisch zu Scholz / Pitschas auch Schlink NJW 1985, S. 1822 ff. und Denninger 1987, S. 128 f.; Wolter 1988, S. 60 f. m. w. N. 365 Rosenbaum 1988, S. 183; Vahle 1986, S. 77; Schwan 1980, S. 1998; Riegel 1980a, S. 225; Riegel 1985, S. 170; Steinke 1980, S. 457; Krüger 1977, S. 250; Schlink 1980, S. 553; Rebmann 1985, S. 3; Roga1l1985, S. 5; Vogel 1978, S. 1225 f.; Honnacker 1986, S.290; Wolter 1988, S. 60 f.; Würtenberger 1992, S. 355. 366 So Schwan 1980, S. 1998; a. A. R. Keller 1984, S. 522; vgl. Nachweise bei Meyer 1982, S. 38; Riegel 1991, Bd. 1, All., S. 14 f. 367 Blumenwitz 1982, S. 142; so Krüger 1982a, S. 857; Heußner 1987a, S. 240, 241, der auf die Bemerkung Otto Mayers 1895, S. 283 f. hinweist, wonach der Schluß von der Aufgabe einer staatlichen Stelle auf ihre Befugnisse als "Folgerungsweise des Polizeistaats" gekennzeichnet und abgelehnt wurde, weil sie mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar sei. 368 Weichert 1988, S. 30; ähnlich Würtenberger 1992, S. 355. 369 Denninger 1987, S. 150 f. 370 Denninger 1987, S. 148. 371 Denninger 1987, S. 151.

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Auskunftspflichten zugunsten des Bürgers vom Gesetzgeber selbst zu bestimmen. Auch die Kontrollbefugnisse des Datenschutzbeauftragten seien in den Grundzügen gesetzlich zu normieren 372. Maßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren, die sich häufig gegen Nichtstörer richten, genügten nur bei sorgfältiger Abwägung der Grundrechtsrisiken gegenüber dem Eingriffsinteresse dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 373 • Bei Durchführung einer "polizeilichen Beobachtung" sei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, daß der Gesetzgeber nur beim Vorliegen katalogartig aufgezählter Verdachtsgründe zu ihrer Vornahme ermächtigt sowie ihre Voraussetzungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht regelt. Organisations- und verfahrensrechtlich sei der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch Normierung eines Richtervorbehalts zu gewährleisten 374 • Auf Grund des Verbots der Zweckentfremdung müsse der Gesetzgeber versuchen, in einer spezifischen Regelung des Dateienabgleichs die näheren Voraussetzungen der Zulässigkeit, z. B. den Grad der polizeilichen Gefahr oder das Gewicht der aufzuklärenden Verbrechen näher zu umreißen 375. Entsprechend dem bundes staatlich ausgeprägten Dualismus von Strafprozeß- und Polizeigesetzgebung seien aufeinander abgestimmte Ergänzungen in beiden Gesetzeswerken anzustreben 376. Die polizeiliche Informationsübermittlung zwischen Polizeibehörden sowie die Übermittlung an Behörden außerhalb des Polizeibereichs sei gesetzlich zu regeln. Verschiedene Polizeibehörden seien datenschutzrechtlich zwar keine "Informationseinheit" , wohl aber funktional eine Zweckeinheit, jedenfalls, wenn spezifische Aufgaben, z. B. die Verbrechensbekämpfung, in Frage stünden 377. Daher sei zwar auch die "innerpolizeiliche" Informationsübermittlung hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung grundrechtsrelevant, so daß Übermaßverbot und Zweckentfremdungsverbot zu beachten seien; andererseits seien Eingriffsintensität und das Schutzinteresse bei derartigen Übermittlungen "unter Umständen" gering. Der polizeilich gesuchte Straftäter müsse und werde damit rechnen, daß die KriposteIlen bei der Fahndung kooperieren 378. Nicht so weitgehende verfassungsrechtliche Kriterien für gesetzliche Bestimmungen nimmt Rupprecht an. Er leitet Kriterien für die polizeiliche Informationserhebung und -verarbeitung aus dem "Spannungsverhältnis" zwischen den verfassungsrechtlichen Geboten der Gewaltenteilung, dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Gebot der Normenklarheit ab. Da eine funktionstüchtige Strafrechtspflege ebenso wie ein effektiver Schutz der Bürger und ihres

372

373 374 375 376 377

378

Denninger Denninger Denninger Denninger Denninger Denninger Denninger

1987, 1987, 1987, 1987, 1987, 1987, 1987,

S. S. S. S. S. S. S.

154 f. 154. 157. 160 ; zur Zweckbindung auch Wolter 1988, S. 62. 160. 163. 163.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Staates durch die öffentliche Gewalt beeinträchtigt würde, wenn das für den polizeilichen Einsatz maßgebliche Recht so kompliziert wäre, daß dem Polizeibeamten im Einsatz eine sofortige Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter die maßgebliche Norm nicht mehr möglich wäre, seien Generalklauseln zulässig. Und zwar um so eher, je leichter der Eingriff sei, je größer die Gefahr eingeschätzt werde, ohne Generalklausel bei einem Enumerativkatalog notwendige Eingriffsvarianten zu übersehen, je näher es liege, daß zu detailliert gefaßte Regelungen dem Wandel der Verhältnisse nicht gerecht werden können, so daß wiederholte Rechtsänderungen erforderlich sein würden und je eingeschränkter die Generalklausel formuliert sei379 • Auch könne "die Differenzierung der Eingrenzung" in Rechtsverordnungen geregelt werden, da im Bereich der Inneren Sicherheit auf Grund sich ändernder Lagen und sich entwickelnder Kriminalitäts- und Gefahrenphänomene in kurzer Zeit Vorschriften geändert oder ergänzt werden müßten. Dies soll z. B. gelten für Vorschriften über Dateitypen, Verarbeitungssysteme, für die Regel- und Höchstdauer der Speicherung bestimmter Datenkategorien und über die Zwecke, denen die einzelnen Datenspeicherungen dienen 38o • Allerdings hält Rupprecht die polizeiliche Generalklausel für zu unbestimmt, da der Bürger nicht erkennen könne, unter welchen Voraussetzungen die Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten zulässig sei. Insbesondere sei die Erhebung von Daten, auch wenn sie nicht für eine automatisierte Informationsverarbeitung vorgesehen sei, gesetzlich zu regeln 381. In Ansehung des sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Wesen der Grundrechte selbst ergebenden Erforderlichkeitsgebots meint Rupprecht unter Hinweis auf den vorliegenden Vorentwurf zur Änderung des MEPoIG, der Gesetzgeber trage diesem Rechnung, wenn er die Voraussetzungen für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten festlege, und, da dennoch Spielräume für die Polizei verblieben, ausdrücklich die Einhaltung des Erforderlichkeitsgebots erwähne 382 • Das Verbot der Sammlung nicht anonymisierter Daten zu unbestimmten oder nicht bestimmbaren Zwecken werde nur dann verletzt, wenn sich aus der gesetzlichen Regelung in Verbindung mit Ausführungsbestimmungen die Zweckbestimmung der Datensammlung nicht ergebe. Ob die einzelnen Daten jemals konkret benötigt werden, müsse "selbstverständlich" offen bleiben 383. Das Zweckbindungsprinzip, das durch Weitergabe- und Verwendungsverbote "amtshilfefest" sein so11 384 , verbiete dem Gesetzgeber in den vom Bestimmtheitsgrundsatz gezogenen Grenzen nicht, den Erhebungszweck so zu normieren, daß für den Betroffenen erkennbar eine Verwendungs änderung zulässig sei. Dem Grundsatz der Bestimmtheit und Nor-

379 380

381 382 383 384

302 f. 303 f. 302. 304. 305. BVerfGE 65, 1 [45 f.].

Rupprecht Rupprecht Rupprecht Rupprecht Rupprecht

1989, 1989, 1989, 1989, 1989,

S. S. S. S. S.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

menklarheit widerspreche es nicht, wenn gesetzlich bestimmt werde, daß die Nutzung der durch die Polizei erhobenen Daten auch zu einem anderen polizeilichen Zweck zulässig ist, soweit die Polizei die Daten auch zu diesem Zweck erheben dürfte. Demgegenüber sieht der Bundesgerichtshof keinen Verstoß gegen den Gedanken der Zweckbindung, wenn aus polizeirechtlichen Gründen aufgezeichnete Videoaufnahmen auch im Strafverfahren verwertet werden, obwohl in der Strafprozeßordnung bisher eine Vorschrift über diese besonderen Ermittlungsmaßnahmen fehlt. Denn Vorenthaltung rechtmäßig erlangter Erkenntnisse im Strafverfahren widerspräche nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Pflicht zur umfassenden Aufklärung 385 • Nach Rupprecht kann der Gesetzgeber bestimmen, daß die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen von Strafermittlungsverfahren über Verdächtige gewonnen hat, auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nutzen darf 386 • Eine Übermittlung zu anderen Zwecken, als jene der Kriminalitätsbekämpfung und zu Zwecken der Amtshilfe 387 , dürfe der Gesetzgeber ebenfalls normieren 388. Die Pflicht zur Berichtigung von unrichtigen oder unzulässig gespeicherten Daten sowie zur Löschung von Daten, die nicht mehr erforderlich sind, folge aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Da die Zulässigkeit bzw. Erforderlichkeit der Speicherung nicht permanent festgestellt werden könne, seien Überprüfungen in regelmäßigen Abständen vorzuschreiben. Soweit die Erforderlichkeitsprüfung durch Fristen generalisiert werde, nach deren Ablauf die Daten zu löschen seien, dürften die Fristen nicht die Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung beeinträchtigen. Daher seien Prüffristen besser geeignet als Löschungsfristen 389. Der verfassungsrechtli ehe Auskunftsanspruch entfalle nur dann, wenn ihm überwiegende Allgemeininteressen entgegenstünden. Dies sei der Fall, wenn eine Abwägung ergebe, daß das öffentliche Interesse, die Auskunft nicht zu erteilen, das Interesse des Betroffenen an der Auskunftserteilung überwiegt; eine Auskunft unterbleibe in jedem Falle, soweit hierdurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet würde oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereitet würde. Die Ablehnung der Auskunft bedürfe keiner Begründung, soweit hierdurch der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde 390. Die verfassungsrechtlich erforderliche verfahrensrechtliche Schutzvorkehrung der Kontrolle der Zulässigkeit der Datenerhebung und Datenverarbeitung durch Datenschutzbeauftragte dürfe die Fachkompetenz der kontrollierten datenführenden Stelle nicht schmälern. Insbesondere der kriminalistische Sachverstand, der zur Erforderlichkeit der Erhebung oder einer bestimmten Verarbeitung personenbezogener 385

BGH NJW 1991, S. 2652.

Rupprecht 1989, S. 305. 387 Zu dieser Problematik W. Schmidt 1974, S.249; Schoreit 1987, S. 155; Riegel 1983, S. 657; Rosenbaum 1988, S. 184; Gusy 1983, S. 108. 388 Rupprecht 1989, S. 307. 389 Rupprecht 1989, S. 306 f. 390 Rupprecht 1989, S. 307. 386

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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Daten führe, darf nach Rupprecht nicht durch den Datenschutzbeauftragten wahrgenommen oder ersetzt werden 391. Ähnlich wie Rupprecht äußert sich auch Kowalzcyk zur Unverzichtbarkeit von Generalklauseln "wegen vielgestaltiger und sich rasch ändernder Sachverhalte sowie im voraus nicht erkennbaren Entwicklungen", fordert jedoch präzisierende und eingeschränkte Generalklauseln 392. Auch in den gesetzgebenden Gremien und den mit dieser Materie befaßten Ministerien im Bund und den Ländern wird nach der Volkszählungsentscheidung angenommen, daß es fraglich geworden ist, ob die polizeiliche Aufgabenzuweisung in den Landespolizeigesetzen oder die §§ 160, 161, 163 StPO Eingriffe durch die informationelle Tätigkeit der Polizei namentlich auch mit Bildaufzeichnungsgeräten rechtfertigen können 393 • Allerdings konnte eine vom Bund in Angriff genommene Neuregelung des Datenschutzes im Sicherheitsbereich (Gesetzentwurf Regierung v. 17.4.1986, BT-Dr. 10/5343) in der 1987 abgelaufenen 10. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages nicht mehr erfolgen. In der 11. Legislaturperiode hat die Bundesregierung dem Bundestag erneut einen Gesetzentwurf vorgelegt (Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes v. 30.12.1988, BT-Dr 11/4306). Mit diesem Entwurf wird der Datenschutz auf die Datenerhebung sowie auf die nichtautomatisierte Datenverarbeitung erweitert und auch die Auskunftserteilung durch Bundesbehörden näher bestimmt 394 • Das Gesetz ist mittlerweile verabschiedet worden 395. Auf der Ebene des Bundesrechts regeln für den präventiven Bereich neue Bestimmungen im Versammlungsgesetz, welche Bestandteil des sog. Artikelgesetzes zur inneren Sicherheit sind 395., die polizeiliche Befugnis zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen. Die seit langem unveränderte Gesetzeslage im polizeilichen Informationswesen der Länder ist hingegen durch die Volkszählungsentscheidung und die im Schrifttum daraus gezogenen Folgerungen in Bewegung gekommen 396. An dieser rechtspolitischen Entwicklung konnten die dargelegten Gegenstimmen nichts ändern 397. Beispielsweise in den Bundesländern Baden-Württemberg 398 , Bayern 399 , HesRupprecht 1989, S. 308. Kowalczyk 1989, S. 30 f. m. w. N. 393 BGH NJW 1991, S. 2651 m. w. N. 394 VgI. BVerwG NJW 1990, S. 2764. 395 Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20.12.1990 (BGBI. I 1990, S. 2954). 395. Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. 6. 1989 (BGBl. I S. 1059). 396 VgI. Scholz / Pitschas 1984, S. 164. 397 Scholz / Pitschas 1984, S. 157 ff.; BVerwG NJW 1990, S. 2761 ff. 398 Polizeigesetz (PoIG) i. d. Fassung vom 13. Januar 1992 (GBI. 1992 S. 1). 399 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) i. d. Fassung vom 14. September 1990 (GVBI. S. 397). 391

392

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

sen 4OO , Nordrhein-Westfalen 401 , Rheinland-Pfalz 402 und Saarland 403 sind - wie zuvor schon in Bremen 404 - bereits bereichspezifische gesetzliche Bestimmungen zu polizeilichen Informationsbefugnissen in Kraft 405 • In den neuen Bundesländern gilt bis zur Verabschiedung eigener Polizeigesetze das DDR-PAG, das auf dem neuen NWPolG beruht 406. Weitere Bundesländer führen gegenwärtig Gesetzgebungsverfahren zur Neufassung ihrer Polizeigesetze durch. Es sind hier entsprechende Vorschriften zum Einsatz technischer Mittel geplant, wie sie die genannten Gesetze bereits vorsehen. Der gegenwärtig erreichte Stand der Polizeigesetzgebung läßt Regelungsstrukturen und Tendenzen erkennen, die es ermöglichen, einen Zwischenstand festzuhalten. Die gegenwärtige Gesetzeslage ist daher zwar einerseits eine Momentaufnahme des Polizeirechts, macht aber sichtbar, wie das Polizeirecht künftig auch in den Bundesländern aussehen wird, die gegenwärtig noch keine neuen Polizeigesetze verabschiedet haben. Die Novellierungen beruhen auf dem Vorentwurf eines Musterentwurfs für die Polizeigesetze VE MEPolG aus dem Jahre 1986 des Arbeitskreises 11 der Innenministerkonferenz, weichen in manchen Punkten jedoch von diesem in Einzelheiten, nicht aber in ihrer Grundstruktur und der Regelungstendenz des zunehmenden Abweichens vom Störerbegriff und der Einbeziehung stets größerer Betroffenenkreise ab 407 • Die Novellierungen der Polizeigesetze enthalten durchweg polizeirechtliche Bestimmung, die Anwendungen technischer Mittel zur Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen regeln 408 • Ob und wieweit diese Bestimmungen im Hinblick auf die zu untersuchenden Anwendungen der Videotechnik verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, muß die Prüfung im sechsten Kapitel erweisen. Die Bestimmungen nehmen jedenfalls für sich in Anspruch, den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Volkszählungsentscheidung zu genügen 409.

Für den Bereich der StPO hat das Bundesministerium der Justiz zwar in einem Referentenentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1988 Vorschriften

400 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) vom 26. Juni 1990 (GVBI. I S. 197). 401 Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfa1en (Po1GNW) i. d. Fassung vom 24. Februar 1990 (GV. NW. S. 70). 402 Polizeiverwaltungsgesetz von Rhein1and-Pfalz (PVG) i. d. Fassung vom 28. November 1986 (GVBI. S. 353). 403 Saarländisches Polizeigesetz i. d. Fassung vom 8. November 1989 (ABI. S. 1750). 404 Bremisches Polizeigesetz (BremPolG) vom 21. März 1983 (GBI. S. 141). 405 Neue Polizeigesetze sind mittlerweile z. B. auch in Hamburg (Hbg BürgerschaftsDr 13 / 5422) und Schleswig-Ho1stein (GVBI. Nr. 4 v. 13.2.1992, S. 63 ff.) in Kraft. 406 Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 59. 407 Riegel 1991a, S. 1; Riegel 1991 Bd. 1, A II, S. 58,59; Vahle 1991, S. 3; Kowalczyk 1989, S. 107 ff. 408 BGH NJW 1991,2651 m. w. N. 409 Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 59; Riegel 1991a, S. 1; Vahle 1991, S. 3; ferner Wolter 1988, S. 59 m. w. N.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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über die Anwendung von Bildaufzeichnungsgeräten vorgesehen (§§ 163 f, 163 g StPO Entwurf). Diese umfassende Neuregelung der Informationsverarbeitung im Strafverfahrensrecht ist nicht verabschiedet worden. Stattdessen wurden durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (Org KG) vom 15. Juli 1992 (BGB!. I, S. 1302), punktuelle Vorschriften über den Einsatz von Bild- und Tonaufnahmegeräten in die Strafprozeßordnung eingefügt (§§ 100a, 100c, 101 StPO).

11. Überwachung und spezielle Freiheitsrechte Neben den genannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurden auch spezielle Freiheitsrechte als PTÜfungsmaßstab für die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen mit Überwachungs geräten herangezogen. Ihnen kommt im Vergleich zum allgemeinen Persönlickeitsrecht jedoch geringere Bedeutung ZU 41O • Ob spezielle Freiheitsrechte PTÜfungsmaßstab für die Anwendung der Videotechnik sein können, steht und fällt zunächst mit der Frage, ob die Überwachung der Ausübung spezieller Freiheitsrechte als SchutzbereichsbeTÜhrung anzusehen ist 411 •

1. Versammlungs-, Meinungs- und Koalitionsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG Die Überwachung von Versammlungen durch visuell-akustische technische Mittel, namentlich durch Videogeräte, wurde in Rechtsprechung und Schrifttum wiederholt dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 zugeordnet, was damit begründet wird, Überwachungsmaßnahmen beeinträchtigten die innere Entschließungsfreiheit zur Teilnahme an davon betroffenen Versarnmlungen 412 • Dies ist speziell für Videoaufnahmen bereits oben beschrieben worden 413 •

410 Kritisch hinsichtlich der Unterlassung der Prüfung von Spezialfreiheitsrechten bei Eingriffen generell in die "Privatsphäre" Rohlf 1980, S. 131. 411 Vgl. zu der ähnliche Fragen aufwerfenden strafprozessualen Verwertung tagebuchartiger Aufzeichnung als Eingriff in die Gewissensfreiheit statt in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Amelung 1990, S. 1754 f. 412 VG Bremen Urt. v. 5.12.1988, Az 4 A 226/86, S. 14; OVG Bremen NVwZ 1990, S. 1188 ff.; Arndt, NJW 1961, S. 897, 898; Kübler 1966, S. 319; v. Hartlieb 1976, S.287, 291; Schatzschneider 1979, S. 131; Meyer 1982, S.9 Fn. 3 m. w. N.; Schwan 1975, S. 120 ff., 131 ff., 148; Bäumler 1985, S. 30 ff.,45 f.; Bäumler 1986, S. 470 ff.; Schmidt 1974, S. 241 ff., 247 f.; Denninger 1987, S. 127 ff., 135 ff., 152 ff.; Braun 1990, S. 50 f.; Alberts 1986, S. 391; Hoffmann-Riem 1989, Rn. 27; Riegel 1980a, S. 225; Herzog 1981, Rn. 73. 413 Oben 4. Kap. A III.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Durchführung von Überwachungsmaßnahmen bei Versammlungen wiederholt geäußert 414 • In der Volkszählungsentscheidung wird ausgeführt, mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen könnten, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher sei, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert oder als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, werde versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechne, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, werde möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies beeinträchtigte nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens sei. Hieraus folge: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setze den Schutz des Einzelnen vor unbegrenzter Verarbeitung seiner persönlichen Daten voraus, der von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfaßt werde 415 • In der Brokdorfentscheidung führt das Bundesverfassungsgericht aus, mit den Anforderungen aus Art. 8 GG wären behördliche Maßnahmen unvereinbar, die über die Anwendung grundrechts beschränkender Gesetze hinausgehen und etwa den Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändern 416 • In der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit einer Beschlagnahme von Fernsehmaterial des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) findet sich der Satz, es sei nicht Aufgabe der Polizei, Vorgänge des Zeitgeschehens, wie etwa die rechtmäßige Ausübung des Versammlungsrechts aus Gründen vorbeugender Verbrechensbekämpfung oder zur potentiellen späteren Strafverfolgung gleichsam auf Vorrat aufzuzeichnen; dies müßte im Gegenteil erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen 417 • Ergänzend zu den auf die Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit abstellenden Ansätzen, wird eine Beschränkung der Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5, 8 und 9 GG durch Beobachtung, Aufzeichnung oder Auswertung von Kommunikationsverhalten damit begründet, es werde die Selbstdarstellung ge414 BVerfGE 65, 1 [43]-Volkszählung; 69, 315 [349]-Brokdorf; 77, 65 [77 f.]-ZDF; siehe auch schon BVerfGE 27,1 [6]; vgl. die Besprechungen von Gusy 1986, S. 608 ff., 613; Alberts 1986, S. 389 ff., 391. 415 BVerfGE 65, 1 [43]. 416 BVerfGE 69, 315 [349]. 417 BVerfGE 77, 65 [77 f.].

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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stört, wenn die Partnerwahlfreiheit unterlaufen oder eine objektiv oder subjektiv vorhandene Anonymität in der Öffentlichkeit durch Identifizierung des konkreten Kommunikationsteilnehmers aufgehoben werde. Auch gegen die Weitergabe der registrierten Daten aus dem staatlichen Einflußbereich hinaus sollen Art. 5, 8 und 9 GG schützen 418 • Dem hat Götz im Blick auf die Versammlungsfreiheit mit der Begründung widersprochen, Art. 8 Abs. 1 GG sei kein Spezialgrundrecht zur Selbstdarstellung. Durch Überwachungsmaßnahmen bei Versammlungen seien daher - bis auf exzessive Observationen - das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht am eigenen Bild aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG einschlägig 419. Meyer führt ~us, Art. 8 oder Art. 5 GG seien durch polizeiliche Beobachtungsmaßnahmen nur dann berührt, wenn Zweck der Maßnahme die Feststellung und Registrierung sei, wer wann und wo ein bestimmtes Grundrecht wahrgenommen hat, so daß Ermittlungsanlaß allein die Ausübung des Grundrechts sei. Erfolge die Maßnahme nur bei Gelegenheit der Grundrechtsausübung zur Verfolgung anderer Zwecke wie der Feststellung gewalttätiger Demonstrationen oder zur Observation eines Straftatverdächtigen, bleibe die unbefangene Wahrnehmung des Grundrechts objektiv möglich, ein Eingriff in das jeweilige Kommunikationsgrundrecht scheide - trotz der bestehenden Möglichkeit eines Einschüchterungseffektes der Versammlungsteilnehmer - aus 420 • Im übrigen ist festzuhalten, daß die Landesgesetzgeber im Zusammenhang der Novellierung ihrer Polizeigesetze bis auf den Berliner Entwurf davon ausgingen, daß durch Datenerhebungsmaßnahmen in Versammlungen der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls unterhalb der Schwelle der exzessiven Überwachung nicht betroffen wird 421. Für die genannten Stimmen stellt sich auch das wenig erörterte Problem, die späteren Phasen der angefertigten Bild- und Tonaufnahmen, beispielsweise ihre Aufbewahrung und Verwendung, als ,,Folgeeingriffe" wiederum am speziellen Freiheitsrecht zu messen, obwohl der jeweiligen Aufnahme unter Umständen nicht mehr angesehen werden kann, in welchem Zusammenhang sie entstand 422.

2. Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG Darüber hinaus wurden akustische und optische Überwachungstechniken auch unter dem Aspekt der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), insbesondere unter dem Begriff des "Lauschangriffs" erörtert. Das Bundesverfassungsgericht Rohlj 1980, S. 188 f. Vgl. Göfz 1990, S. 116.; ferner Vahle 1983, S. 14 ffi. w. N.; Meyer 1982, S. 8 f. 420 Meyer 1982, S. 8 f. 421 Kowalczyk 1989, S. 135 f. 422 Andeutung bei Rohlj 1980, S. 189; ferner HbgVerfG NJW 1989, S. 1081, 1082 zu Art. 10 GG. 418

419

\0 Geiger

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hat unter anderem in der Volkszählungsentscheidung ausgeführt, Wohnung im Sinne von Art. 13 GG, worunter nach ständiger Rechtsprechung auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie sonstiges befriedetes Besitztum fallen 423, sei allein die ,,räumliche Privatsphäre"424. Das Grundrecht gebe dem einzelnen das Recht, "in Ruhe gelassen zu werden"425 und normiere für die öffentliche Gewalt ein grundsätzliches Verbot des Eindringens in die Wohnung oder des Verweilens darin gegen den Willen des Wohnungs inhabers. Dazu gehörten etwa der Einbau von Abhörgeräten und ihre Benutzung in der Wohnung, nicht aber Erhebungen und die Einholung von Auskünften, die ohne Eindringen oder Verweilen in der Wohnung vorgenommen werden können 426 . Das verfassungsrechtliche Schrifttum geht ganz überwiegend davon aus, Art. 13 GG schütze die Vorgänge in der Wohnung vor staatlicher Kenntnisnahme, wobei es keine Rolle spielen könne, ob sich die optische und akustische Überwachungstechnik innerhalb oder außerhalb der Wohnung befinde 427 . Dies wird im wesentlichen damit begründet, daß der Grundgesetzgeber zwar nach dem damaligen Stand der Technik nur die Fälle eines körperlichen Eindringes hoheitlicher Gewalt und die dingliche Inanspruchnahme der Wohnung habe regeln wollen. Eine Beschränkung hierauf würde aber eine Kapitulation vor den modernen Formen der Überwachung bedeuten. Die technologische Entwicklung ermögliche es, die Schranken der Wohnung zu umgehen. Der Einsatz technischer Geräte außerhalb der Wohnung zum Zweck der Beobachtung von Vorgängen innerhalb der Wohnung sei danach mit Art. 13 Abs. 1 GG ebensowenig vereinbar wie die Anbringung optischer und akustischer Hilfsmittel innerhalb der Wohnung zum Zweck der Überwachung 428 . Auf einen weiteren Gesichtspunkt wird abgestellt, wenn argumentiert wird, Privatsphärenschutz sei im Hinblick auf Art. 13 GG im Kern nichts anderes als "Informationenschutz". Verboten sei daher jede Einwirkung. Diese könne nicht nur durch ein physisches Betreten der Wohnung geschehen, etwa durch die Polizei zum Zwecke des Einbaus von Abhörgeräten und ihrer Benutzung in der Wohnung, sondern ebenso durch ,,Lauschangriffe" von außen, etwa durch Horchen an der Wand, durch Anbringen von Abhörgeräten an Außenwänden. Ein Eingriff könne aber auch auf die Weise erfolgen, daß durch gezielte Beobachtung des Wohnungs umfeldes Informationen über das Geschehen in der Wohnung selbst gewonnen werden. Art. 13 GG schütze auch davor, daß das jeweilige Verlassen und Wiederbetreten der Wohnung durch die 423 424 425 426

BVerfGE 32, 54 [69 ff.]. BVerfGE 65, 1 [40]; vgl. auch BVerfGE 32, 54 [69 ff.,n]. BVerfGE 32, 54 [75]; 27, 1 [6]. BVerfGE 65, 1 [40] ID. H. a. BVerfGE 32, 54 [n]; 42, 212 [219]; 51, 97 [107, 110]; vgl. ferner BVerfGE 17,232 [251]. 427 Schmitt Glaeser 1989, S. 74; Vahle 1983, S. 42 f.; in diese Richtung auch Meyer 1982, S. 8; Beier 1988, S. 40 f.; Rohlf 1980, S. 152 ff., 157 Fn. 124 ID. N., 161.; de Lazzer/ Rohlf 1977, S.207, 208 f., 212; Wolter 1988, S. 133; Seifert 1985, S. 94 ff.; ders. 1987, S. 271; Starck 1985, S. 190. 428 Pappermann 1985, S. 613.

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Bewohner, die Besucherfrequenz, die Namen der Besucher und ähnliches registriert würden 429 . Die Notwendigkeit, Überwachungsmaßnahmen auch ohne körperliches Betreten der Wohnung unter den Schutz von Art. 13 Abs. 1 GG zu stellen, wird damit begründet, daß ansonsten ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG erforderlich sei 430. Dieser Prüfungsmaßstab sei jedoch der technischen Entwick1ung, die vielfältige Durchbrechungen der gegenständlichen Schutzbarrieren einer Wohnung "auch ohne plumpes Einbrechen" ermögliche, "nicht gemäß"431. Ein Verständnis des Art. 13 GG, das für die Bejahung seiner Betroffenheit ein körperliches ,,Eindringen" in die Wohnung voraussetze, mache den Schutz dieser Vorschrift angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten weitgehend wirkungslos. Für die Bestimmung der Schranken wird aber wieder auf Art. 2 Abs. 1 GG und die Sphärentheorie zurückgegriffen 432 . Von anderen wird eine "Verwandtschaft" zwischen Hausfriedensbruch und dem Belauschen eines anderen in dessen Privatsphäre gesehen 433. Dementgegen wird anlässlich eines Falls, bei dem ein Dritter in einer Ehewohnung ein Tonband eingebaut, Aufnahmen angefertigt und sodann seinen Freunden vorgespielt hatte, ausgeführt, "Gewiß hätte man vielleicht mit Hausfriedensbruch und Beleidigung helfen können, aber man fühlt, daß diese Dinge am Rande liegen und den Kern der Sache juristisch nicht treffen" 434. Diesen Kern sieht der Bundesgerichtshof beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Er hat das Abhören eines Gesprächs über einen nicht ordnungsgemäß aufgelegten Telefonhörer in der Ehewohnung durch Strafverfolgungsorgane allein am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemessen 435. Darüber hinaus gibt es Stimmen, die Art. 13 GG als Prüfungsmaßstab für Ausforschungen in Wohnungen ablehnen und stattdessen Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG heranziehen mit der Begründung, die überwachten Lebensäußerungen - etwa Aussagen des Betroffenen - hätten mit der Wohnung wesensmäßig und funktional nur wenig gemeinsam 436 . Soweit Art. 13 Abs 1 GG als einschlägig angesehen wird, ist darauf hinzuweisen, daß die Gewährleistung zwar grundsätzlich jedermann zusteht. Auf Art. 13 GG berufen kann sich aber nur der berechtigte Inhaber einer Wohnung, wobei der Rechtsgrund der Berechtigung - etwa Eigentum oder Mietrecht - unerheblich ist. Hieraus wird etwa für Geschäftsräume geschlossen, daß insoweit ausschließlich der Geschäftsinhaber, nicht der Arbeitnehmer Grundrechtsträger ist 437 . Schmitt Glaeser 1989, S. 74; dies offenlassend BGH NJW 1991, S. 2652. 430 Insoweit inkonsequent, da er an anderer Stelle von der Zweckrichtung einer Maßnahme auf das betroffene Grundrecht schließt (Vahle 1983, S. 14). 429

Vahle 1983, S. 42 f. Beier 1988, S. 41 in Fn. 66. 433 Arzt 1970, S. 240 m. w. N. 434 Süss 1956, S. 189. 435 BGHSt 31, 296 ff. 436 Nachw. bei Wolter 1988, S. 132 m. w. N. 437 Schmitt Glaeser 1989, S. 73 m. w. N. 431

432

10*

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 u. 3 GG wird überwiegend angenommen, die Überwachung des Geschehens in einer Wohnung sei keine "Durchsuchung" i. S. von § 13 Abs. 2 GG. Diese setze eine körperliche Durchsuchung voraus; rein akustische oder optische Beobachtungen seien etwas anderes, auch wenn sie der Auffindung von Gegenständen dienen 438. Richtigerweise seien Lauschangriffe den "Eingriffen und Beschränkungen" i. S. v. Art. 13 Abs. 3 GG zuzuordnen 439 . Eingriffe und Beschränkungen (Art. 13 Abs. 3 GG) können entweder unmittelbar durch die Verfassung oder auf Grund eines Gesetzes vorgenommen werden. Im ersten Fall sind Eingriffe nur zur Abwehr (nicht auch zur Verhütung) einer gemeinen Gefahr oder Lebensgefahr für einzelne Personen möglich. Im zweiten Fall können auf Grund eines Gesetzes Eingriffe in die Wohnung auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden 44O • Allerdings ist nicht unumstritten, ob die heimliche optische und akustische Überwachung der Wohnung vom Gesetzesvorbehalt des Art. 13 Abs. 3 GG gedeckt wird. Dies wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, derartige Maßnahmen seien als unzulässiger Eingriff in den Kernbereich des Art. 13 GG zu werten 441. Im Bereich der Strafverfolgung gibt es (noch) keine gesetzlichen Bestimmungen, die zu Überwachungsmaßnahmen in oder aus Wohnungen ermächtigen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 u. 3 GG wird die Ansicht vertreten, eine derartige gesetzliche Grundlage wäre für den Bereich der Strafverfolgung auch de lege ferenda ausgeschlossen, weil aus Gründen der Strafverfolgung wegen Art. 13 Abs. 2 GG nur Durchsuchungen zulässig sein sollen 442. Nach dieser Meinung wäre zur Ermöglichung von Lauschangriffen eine Verfassungsänderung erforderlich. Selbst diese Möglichkeit wird mit dem Argument bestritten, eine Verfassungsänderung mit dem Ziel, die heimliche visuell-akustische Überwachung von privaten Wohnräumen zu ermöglichen, verstoße gegen Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG443. Überwiegend bejaht wird die Möglichkeit, daß auf Grund von Art. 13 Abs. 3 GG präventivpolizeiliche Lauschangriffe auf Grund eines entsprechenden Gesetzes zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben 438 Vgl. de Lazzer / Rohlf1977, S. 208 m. H. auf die entgegengesetzte Rechtsentwicklung in den USA. 439 Vgl. Schmitt Glaeser 1989, S. 74; so ausdrücklich bereits de Lazzer / Rohlf 1977, S. 208; das BVerfG hat ausgeführt, bei der Auslegung des Begriffs der "Eingriffe und Beschränkungen" sei nach dem verschieden starken Schutzbedürfnis bei Wohnräumen einerseits, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen andererseits zu differenzieren. Danach sollen behördliche Betretungs- und Besichtigungsrechte für Geschäfts- und Betriebsräume zu Kontrollzwecken keine Eingriffe und Beschränkungen i. S. v. Art. 13 Abs. 3 GG sein (BVerfGE 32, 54 [73 ff.]). 440 Vgl. Schmitt Glaeser 1989, S. 76 f. 441 de Lazzer/ Rohlf 1977, S. 211, Seifert 1987, S. 271. 442 Wolter 1988, S. 77, 134 m. w. N. 443 de Lazzer / Rohlf 1977, S. 213, die diese Meinung jedoch selbst nicht konsequent durchhalten können; vgl. dieselben, S. 209 Fn. 37.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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von Personen zulässig sein sollen 444 • Die polizeiliche Generalermächtigung wird dabei jedoch als zu unbestimmt angesehen, um Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigen zu können 445 . In den novellierten Polizeigesetzen der Länder sind Lauschangriffe mit visuell-akustischer Überwachungstechnik zum Teil geregelt. Darauf wird zurückzukommen sein.

3. Einschränkung weiterer Freiheitsrechte Beiläufig wird die Berührung weiterer Freiheitsrechte durch Überwachungshandlungen im Schrifttum angesprochen. So wird eine Einschränkung von Art. 14 GG durch Präparieren eines Kfz mit einem Sender und eine Beeinträchtigung von Art. 9 GG durch das Einschleusen eines V-Mannes in einen Verein zum Zwecke der Ausforschung genannt, ohne diese Fragen zu vertiefen 446 • Weichert meint, die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG schütze Arbeitnehmer davor, bei Streiks fotografiert oder gefilmt zu werden 447 .

111. Überwachung als gleichzeitige Einschränkung mehrerer Freiheitsrechte Verbreitet wird ein und dieselbe Überwachungsmaßnahme als gleichzeitige Beschränkung mehrer Grundrechte angesehen. Kowalczyk etwa sieht in der Überwachung des Telefonverkehrs neben einer Berührung des Art. 10 Abs. 1 GG auch einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG448, und in der Datenerhebung bei öffentlichen Versammlungen gleichzeitig einen Eingriff in Art. 8 Abs .. l GG und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 449. Denninger meint, die Ausforschung nichtöffentlicher Versammlungen in Räumen stoße nicht nur wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch wegen der Unverletzlichkeit der Wohnung auf engste verfassungsrechtliche Schranken 450. An anderer Stelle führt er aus, zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehörten auch das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort 451 . Weichert läßt das Verhältnis von Recht am eigenen Bild und Recht auf informationelle Vgl. Wolter 1988, S. 78. Vahle 1985, S. 81; de Lazzer / Rohlf 1977, S. 209 f.; a. A. wohl, die Frage aber offenlassend BGH NJW 1991, S. 2652 zu Überwachungsmaßnahmen im Treppenhaus 444

445

eines Mehrfamilienhauses. 446 Vahle 1983, S. 33 ff. 447 448

449 450 451

Weichert 1988, S. 44. Kowalczyk 1989, S. 160. Kowalczyk 1989, S. 134. Denninger 1987, S. 153. Denninger 1981, S. 232.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Selbstbestimmung offen, nimmt aber eine Betroffenheit beider Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Video aufnahmen von Personen an 452. Kniesel/ Tegtmeyer I Vahle nehmen bei der Ausforschung der Vorgänge in einer Wohnung mit optischen und akustischen technischen Hilfsmitteln neben einer Einschränkung des Art. 13 Abs. 1 GG auch einen "gravierenden Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen" an, die durch Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sei 453. Starck sieht den Schutz vor der Aufnahme des gesprochenen Worts nicht ausschließlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, sondern wendet Art. 13 GG durch staatliche Tonbandaufnahmen an, wenn das Gespräch in der eigenen Wohnung stattfindet. Neben einem Eingriff in Art. 13 GG bejaht Vahle auch einen "gravierenden Rechtseingriff' in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung", durch Ausforschen der Lebensverhältnissse im räumlichen Geltungsbereich einer Wohnung unter Verwendung akustischer Hilfsmittel 454 und setzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht am gesprochenen Wort gleich 455 •

IV. Überwachung und Menschenwürde Die bisher betrachtete Rechtsprechung und Literatur haben erwiesen, daß visuell-akustische Überwachungsmaßnahmen nicht für absolut unzulässig gehalten werden. Gleichwohl wurde die optische und akustische Überwachung von Personen als Problem der den Mittelpunkt und höchsten Wert der Verfassung bildenden Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG behandelt, die eine absolute Grenze für staatliches Handeln aufrichtet 456 • Eine Zuordnung von Überwachungsmaßnahmen zur Menschenwürde liegt nahe, wenn man bedenkt, daß insbesondere bei der visuellen Abbildung der Betroffene "Fotoobjekt" des Überwachers ist 457. Zwar wurde, soweit ersichtlich, im bildlichen oder stimmlichen Festhalten eines Menschen durch den Staat allein eine Menschenwürdeverletzung bisher nicht erblickt 458 • Das Argument der Menschenwürde läßt sich jedoch in steter Nähe zur Diskussion über Verfassungsfragen staatlicher Überwachungsmaßnahmen feststellen.

Weichert 1988, S. 28 f. Kniesei / Tegtmeyer / Vahle 1986, S. 233. 454 Vahle 1983, S. 42. 455 Vahle 1987a, S. 210. 456 BVerfGE 39, 1 [43]-§ 218; BVerfGE 35, 202 [221]-Lebach; kritisch Forsthoff 1959, S. 43. 457 V gl. zur bekannten Fonnulierung, wonach es der Würde des Menschen widerspreche, ihn zum bloßen Objekt im Staat zu machen, Benda 1983, S. 114 m. w. H. 458 Vgl. Starck 1985, Art. 1 Abs. 1, S. 51 f.; Hinweis bei Hubmann 1967, S. 299 auf die ängstlichen Vorstellungen "primitiver Völker vom Bildzauber". 452 453

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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1. Keine Wahrheitsermittlung um jeden Preis Nach allgemeiner Auffassung ist die Wahrheitsennittlung im Strafprozeß sowohl zur Überführung von Straftätern als auch zur Entlastung Unschuldiger dem Staat als wesentliche Aufgabe aufgegeben. Gleichwohl werden insbesondere auch gegen effiziente Methoden der Wahrheitsennittlung Bedenken im Hinblick darauf erhoben, daß die Menschenwürde es dem Staat verbiete, die Wahrheit mit allen Mitteln herauszufinden 459. Dies ist für menschenverachtende und grausame Methoden wie die Folter evident. Das Bedenken wird aber auch erhoben gegen technische Mittel, die, wie beispielsweise visuell-akustische Überwachungsgeräte, keine rohe Behandlung der Betroffenen enthalten, jedoch zu psychologischen Erniedrigungen oder zu Verletzungen des aus der Menschenwürdegarantie abgeleiteten und in § 136a StPO einfachrechtlich konkretisierten Täuschungsverbots führen könnten 4tiO • In diesem Zusammenhang spielt schließlich auch die Überlegung eine Rolle, daß bei grundsätzlicher Zulassung von Überwachungsmethoden die Grenze zwischen verfassungsrechtlich legitimen Anwendungen und dem Hineinsteuern in Methoden totalitärer Regime unscharf werden könnte 461 • Mit diesem Bedenken werden insbesondere "Lauschangriffe" - also die verdeckte visuell-akustische Überwachung von Wohnungen - als unzulässig abgelehnt 462.

2. Heimlichkeit der Überwachung In Übereinstimmung damit fand der heimliche Einsatz optischer und akustischer Überwachungstechnik besondere Aufmerksamkeit. So war zu Beginn der Anwendung der Tonbandtechnik die Tendenz zu einem umfassenden Schutz des Einzelnen zu beobachten. Roggemann erblickte in jeder heimlichen Abhönnaßnahme einen Verstoß gegen die Menschenwürde 463. Namentlich unter dem Gesichtspunkt des aus der Menschenwürdegarantie abgeleitenten nemo teneturPrinzips wurde die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung visuell-akustischer Überwachungsmaßnahmen bezweifelt. Nach überwiegender Meinung darf dieses Verbot, das den Einzelnen davor schützt, auf Grund staatlichen Zwangs an der eigenen Überführung mitwirken zu müssen 464 , nicht durch ausdrückliche oder schlüssige Täuschung umgangen werden 465. Der Bundesgerichtshof hat deshalb BGHSt 14,364 f.; 31, 309; Wolter 1988, S. 134 m. w. N. Vgl. zum Täuschungsverbot Wolter 1988, S. 88 f.; zur Konkretisierung der MenschenwÜfdegarantie dun;h § 136 a StPO Benda 1983, S. 116 m. N. 461 B. Hirsch 1992, S: 14; in bezug auf den Lügendetektor und ähnliche Methoden Benda 1983, S. 117. 462 B. Hirsch 1992, S. 14. 463 Roggemann 1962, S. 90 f. 464 Vgl. Wolter 1988, S. 89. 465 Wolter 1988, S. 89 m. w. N. 459

4tiO

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

die heimliche Tonbandaufnahme des Beschuldigten zum Zwecke der Erlangung einer Sprechprobe als Verletzung des Verbots angesehen, den Beschuldigten zur aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung zu zwingen 466 , was Wolter mit der Überlegung ablehnt, daß dann alle heimlichen Bild- und Tonaufzeichnungen unzulässig sein müßten 467 , was jedoch nach allgemeiner Meinung nicht der Fall ist. Das Bundesverfassungsgericht entschied bereits in der Abhör-Entscheidung, Art. 1 Abs. 1 GG werde unstreitig nicht stets dann verletzt, wenn der Bürger ungefragt einer ihm unbekannten und unbekannt bleibenden Maßnahme unterworfen werde. Der Ausschluß der Benachrichtigung über die Abhörung des Telefonverkehrs der davon Betroffenen sei nicht Ausdruck einer Geringschätzung der menschlichen Person und ihrer Würde, sondern eine den Bürger treffende Last, die um des Schutzes des Bestands des Staates und der freiheitlichen demokratischen Ordnung willen von ihm gefordert werde 468. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts als "Auslegungshilfe" bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes berücksichtigt werden muß 469, bestätigte diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Gerichtshof legte aber dar, daß geheime Überwachungsmaßnahmen eigentlich aus dem Arsenal des Polizeistaats stammten 470 • In neueren verfassungsrechtlichen Äußerungen wird im Blick auf die Heimlichkeit einer Überwachungsmaßnahme kaum noch ein Problem der Menschenwürde gesehen 471 •

3. Überwachung von Unverdächtigen und Nichtstörern als "potentielle Straftäter"? Unter einem anderen Gesichtspunkt hielten die drei Verfasser des Minderheitsvotums zur soeben genannten Abhör-Entscheidung eine Verletzung der Menschenwürdegarantie für gegeben: Der nach Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG mögliche. heimliche Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers unter Ausschluß des Rechtsweges treffe nicht nur Verfassungsfeinde und Agenten, sondern gleichfalls Unverdächtige und persönlich Unbeteiligte. Auch ihr Telefon werde abgehört, ohne daß sie jemals etwas davon erführen und ohne daß sie im Stande seien, sich zu rechtfertigen oder - was für die Betroffenen von äußerster Wichtigkeit sein 466

467

BGHSt 34, 39 ff.

Wolter 1988, S. 89.

468 BVerfGE 30, 1 [26 f.]; ebenso Kniesei 1985, S. 133 unter Berufung auf diese Entscheidung. 469 BVerfGE 74, 370 [380]; skeptisch Mahrenholz 1990, S. 59, der davon spricht, das BVerfG habe hiennit "eine weitere Hypothek auf sich genommen", da dies dem Gericht die Verfolgung dieser Rechtsprechug auferlege. 470 EGHM NJW 1979, S. 1756. 471 Vgl. Starck 1985, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 44.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechno!ogie

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könne - sich aus einer unerwünschten Verstrickung zu lösen. Mit dieser Behandlung werde über das Recht des Einzelnen auf Achtung des privaten Bereichs kurzer Hand von Obrigkeits wegen verfügt, der Bürger zum Objekt staatlicher Gewalt gemacht 472 . Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG ermögliche entgegen der Auslegung der Senatsmehrheit die Überwachung eines unbegrenzten, nicht auf "Verdächtige" beschränkten Kreises von Personen 473 . Daher verstoße Art. 10 Abs. 1 S. 2 GG gegen die Menschenwürde, das ihn in die Verfassung einfügende Gesetz gegen Art. 79 Abs. 3 GG474. Diese Meinung findet sich auch im Schrifttum. Überwachungsmaßnahmen gegen Unverdächtige wurden insoweit als unvereinbar mit dem Menschenbild des Grundgesetzes angesehen, das vom unbescholtenen, selbstverantwortlichen und redlichen Bürger ausgehe 475 • So gab Dürig zu bedenken, man könne nicht im sogenannten Vorfeld des Verfassungsschutzes, also in Wirklichkeit im rechtlichen Alltag, bei staatlichen Eingriffen den Bürger wehrlos machen. Das sei die Methode und die Stelle im System einer abwehrbereiten freiheitlichen demokratischen Grundordnung, mit der und an der sie umkippe, d. h. die Wertordnung der Verfassung verfehlt werde 476. Schwan meint unter Berufung auf die hergebrachten Grundsätze des preußischen Polizeirechts, die Informationsgewinnung der Polizei im Vorfeld konkreter Gefahren und eines konkreten Tatverdachts und eine diese Praxis festschreibende Gesetzgebung 477 bewegten sich außerhalb der Bahnen des geltenden Verfassungsrechts 478 . Dies folge aus der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung 479 , die sich ihrerseits nicht nur aus der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes, sondern auch aus der Garantie eines fairen Verfahrens durch Art. 6 EMRK ableite. Diese stehe nicht nur der Vermutung einer strafrechtlichen Schuld entgegen, sondern sehr wohl auch der Vermutung der Störereigenschaft sowie der Annahme einer Gefahr. Grundsätzlich habe der Rechtsstaat seine Bürger als unverdächtig, loyal und nicht geHi.hrlich zu erachten oder zu behandeln, und das heiße: unbeobachtet, nicht erfaßt, nicht registriert und nicht katalogisiert zu lassen 48o . Diese vom Grundgesetz "normativ vermutete Rechtstreue"481 verbiete es dem Staat, jedermann als potentiellen Straftäter anzusehen 482. 472 Minderheitsvotum der Richter Geiler, v. Schlabrendorffund Rupp, BVerfGE 30, 33 [42]. 473 BVerfGE 30, 1 [38]. 474 BVerfGE 30, 1 [41]. 475 Wolter 1988, S. 74 m. w. N. 476 Dürig 1973, S. 25. 477 Kritisch zu einer solchen Gesetzgebung auch Bäumler 1987, S. 254, 258; Schoreit 1986a, S. 226; BWLtD 6. TB, S. 80,82 f. und 7. TB, S. 8; Riegel 1987, S. 333. 478 Schwan 1987, S. 307. 479 Dazu BVerfGE 19, 342 [347]; 22, 254 [265]. 480 Schwan 1985, S. 287; ders. 1987, S. 303,307. 481 Weßlau 1989, S. 337. 482 BVerwGE 26, 169 [170 f.].

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Kernpunkt dieser an der Menschenwürdegarantie orientierten Kritik der bereits im Vorfeld konkreter Verdachtsmomente und Gefahren ansetzenden "operativen" Strategien und der Anwendung neuer kriminal technischer Instrumente bildet mithin die Befürchtung, durch "Vorbereitung auf Gefahrenabwehr", "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" , "Gefahrenvorsorge" und "Informationsvorsorge" werde der Polizei erlaubt, den "verdachtsfernen" Bürger im "Vorfeld" der Straftatbegehung polizeilicher Aufmerksamkeit zu unterziehen 483. Dadurch würden legale, aber "abweichende Verhaltensweisen" beobachtet, erfaßt, registriert und katalogisiert 484 . Dies führe dazu, daß jedermann als "potentieller Rechtsbrecher" verdächtigt werde 485 . Die Vorfeldaktivität werde durch operative und taktische Gesichtspunkte, nicht mehr juristisch und durch personelle Kriterien wie Störer oder Verdächtiger bestimmt, wodurch jedermann ins polizeiliche Visier gerate 486 , oder straffällig Gewordene zu künftigen erkennungsdienstlichen Zwecken in polizeilichen Dateien registriert blieben 487 . Die Kontrolle nehme nicht mehr am Verdacht gegen Einzelne ihren Ausgang, sondern an der Überprüfung des Individuums, "ob es denn verdächtig sei"488. Diese zunehmende Tat- statt Täterorientierung führe dazu, daß der Bürger zum Objekt polizeilicher Präventionsstrategien gemacht werde 489 . Heußner kommentiert mit spürbar skeptischem Unterton, daß das Konzept der "Vorsorge zur Gefahrenabwehr,"49o es möglich machen solle, eine Demonstration in Bild und Ton aufzuzeichnen und ihre Teilnehmer namentlich zu notieren, weil eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Großdemonstrationen nicht ausgeschlossen werden könne 491 . Benda gibt im Hinblick auf die körperliche Durchsuchung jedes einzelnen Flugreisenden, ohne daß dieser durch sein Verhalten irgendeinen Verdacht erregt hätte, zu bedenken, daß der Fortschritt der Technik erhöhte Gefährdungen bewirke, denen bislang nicht anders als durch den Rückgriff auf die primitive Vermutung begegnet werden könne, daß jedermann potentiell ein Flugzeugentführer oder Terrorist sei. Solange man von einer notstandsähnlichen Situation - also einer ernsthaften Gefahrenlage - ausgehen müsse, würden die Eingriffe in die Menschenwürde 483 Seifert 1987, S. 262; kritisch dazu Schwan 1985, S. 262 ff.; vgl. auch Bettmer / Kreissl/ Voß 1988, S. 200; Wagner 1987, zit. nach Kniesel1987 / 88, S. 161. 484 Schwan 1987, S. 278 f.; zum Überwachungspotential von Präventionsansätzen Kaiser 1988, S. 247. 485 Vgl. Schwan 1980, S. 1995 (Resozialisierungsanspruch m. H. auf BVerfG NJW 1971,283); Schwan 1982, S. 316,317; Schwan 1985, S. 272,287,301; Schwan 1987, S. 303,307; Busch u. a. 1988, S. 236; Evers 1972, S. 377,380; Benda, 1983, S. 121, 126; P.-A. Albrecht 1986, S. 65; Holland 1968, S. 561; Schoreit 1985, S. 172; BVerwGE 26, 169 ff.; OVG NRW DÖV 1983, S. 603,605. 486 Wagner 1987, Einleitung A., Rn. 10 zit. nach Kniesei, 1987/88, S. 162 Fn. 2 ; vgl. auch Alberts 1990, S. 147 ff. 487 Schwan 1980, S. 1995. 488 Riehle 1988, S. 134; Gössner / Herzog 1984, S. 42 m. N. 489 P.-A. Albrecht 1986, S. 66, 82. 490 Dazu Kowalczyk 1989, S. 91 ff. 491 Heußner 1987a, S. 231.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

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hinzunehmen sein, eine durch allgemeine Gewöhnung motivierte Fortsetzung solcher Praxis lasse sich aber nicht rechtfertigen 492. Auch sei es unerfreulich, wenn durch die Kontrolle von Kaufhausbesuchern durch Fernsehkameras der "mündige Bürger" als potentieller Dieb behandelt werde 493. Allerdings wird eine Verletzung der Menschenwürde nicht immer schon dann angenommen, wenn ein Unverdächtiger "Dritter" Adressat einer polizeilichen Überwachungsmaßnahme ist. So führt das Bundesverfassungsgericht im 3. Leitsatz der Abhör-Entscheidung aus, das Verfassungsgebot der Beschränkung einer Überwachungsmaßnahme auf das unumgänglich Notwendige schließe nicht aus, daß die Überwachung auf Nachrichtenverbindungen einer dritten Person erstreckt werde, wenn anzunehmen sei, daß sie für Zwecke des Verdächtigen benutzt werden 494. Der Europäische Gerichtshof hat diese Rechtsprechung bekanntlich mit dem Hinweis gebilligt, eine allgemeine oder erkundende Überwachung des Einzelnen sei insbesondere unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK nicht zulässig. Es müßten vielmehr konkrete Anhaltspunkte für einen bestimmten Verdacht gegen den Verdächtigen selbst oder seine mutmaßlichen Kontaktpersonen vorliegen 495. In Übereinstimmung damit entschied der VG H München, daß eine generelle Überwachung von Bürgern mit dem freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes nicht vereinbar wäre und daher Überwachungsmaßnahmen erst beim Vorliegen eines konkreten Verdachts erfolgen dürften 496 • Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verbietet das Menschenbild des Grundgesetzes zwar, daß die Polizei jedermann als potentiellen Rechtsbrecher betrachtet und jeden, der sich irgendwie verdächtig gemacht hat, aufgefallen ist oder bei der Polizei angezeigt worden ist, ohne weiteres erkennungsdienstlich behandelt. Auf der anderen Seite gehöre es zu den Aufgaben der Polizei, geeignete Vorbereitungen zur Aufklärung von Straftaten zu treffen. Wenn die Polizei es für möglich halte, daß sie eine Person, die wiederholt im Verdacht stand, Straftaten begangen zu haben, mit Hilfe ihrer erkennungsdienstlichen Unterlagen einmal als Täter einer Straftat feststellen zu können, begegene dies daher keinen Bedenken 497. Der Bundesgerichtshof entschied, wenn sich in einer öffentlichen Versammlung neben verdächtigen auch unverdächtige Personen befänden, werde es im allgemeinen unvermeidlich und zulässig sein, daß auch diese zur Aufklärung von Straftaten mitfotografiert würden. Gerade zu Beginn der polizeilichen Ermittlungen müsse die Untersuchung oft weit gestreut und auf Personen ausgedehnt werden, die alsbald als Beschuldigte ausscheiden 498 • 492 493

494 495 496 497 498

Benda 1983, S. 121. Benda 1983, S. 126.

BVerfGE 30, 1. EGHM NJW 1979, S. 1756, 1757. VGH München DVR 1985, S. 130 ff. BVerwGE 26, 169 [170 f.]. BGH JZ 1976, S. 32.

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4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

4. Überwachung zur Disziplinierung, Erziehung und "Besserung" der Betroffenen Im Zusammenhang mit der Überwachung von Personen zur Verhaltenssteuerung, etwa zur Abschreckung von der Straftatbegehung kann sich die Frage stellen, ob diese zur Besserung, Erziehung oder Disziplinierung von Bürgern zulässig wäre. Wie dargelegt 499 , führt die visuell-akustische Beobachtung von Personen grundsätzlich zu deren Anpassung an vorgegebene Verhaltenserwartungen mithin zur Vermeidung abweichenden Verhaltens und zum Anstreben von Wohlverhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang in Bezug auf staatliche Maßnahmen der Freiheitsentziehung entschieden, die lediglich den Zweck verfolgen, Bürger zu einem geordneten Leben hinzuführen, der Staat dürfe den Einzelnen nicht durch staatliche Maßnahmen "bessern" oder "umerziehen". Er habe nicht das Recht, ihm die Freiheit zu entziehen, nur um ihn zu bessern, ohne daß er sich selbst oder andere gefahrde 5oo • Allerdings rechtfertige der Zweck der Resozialisierung von Straftätern auch Zwangsmaßnahmen, die, wie etwa die Verpflichtung zur Teilnahme an Trainingsprogrammen, der Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienen 501.

5. Überwachung zur Effektivierung und Erleichterung der Polizeiarbeit Schließlich verbietet das Menschenbild des Grundgesetzes nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine weitgehende Registrierung der Bürger aus dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität der Polizeigewalt und Erleichterung der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung 502 •

V. Überwachung und Rechtsstaatsprinzip Dieses Verbot soll sich auch aus den Prinzipien des freiheitlichen Rechtstaats nach Art. 20 Abs. 3 GG ergeben 503, der - wie die Menschenwürde - durch die "Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird. Darüber hinaus wurde im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip die prinzipielle Sorge geäußert, daß technikunterstützte polizeiliche Präventionsstrategien und die Ausdehnung des technisch gewonnenen Beweises sich künftig noch dadurch Oben 2. Kap. C I. BVerfGE 22, 180 [219f.]. 501 BVerfGE 10, ~02; 35, 202 [235]; 40, 276 [284]. 502 BVerwGE 26,169 [171]; vgl. auch BVerfGE 69,315 [349]; 77, 65 [77 f.]; Bedenken im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei Scholz / Pitschas 1984, S. 174 f. 503 BVerwGE 26, 169 [171]; 32, 204; vgl. Meyer 1982, S. 56. 499

500

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

157

verstärken könnten, daß die Sozialpolitik durch zunehmende präventive Orientierung die Aufgabe sozialer Kontrolle übernehme 504 und auf diese Weise durch die Verbrechensbekämpfung ,,kolonialisiert" werde 50S • Das soziale Kontrollnetz erfahre eine bedrohliche Ausweitung (,,net-widening"), wodurch der Boden einer rechts staatlichen Polizei verlassen werde. Das freiheitliche politische System der Bundesrepublik drohe, sich in einen "Sicherheitsstaat", "Überwachungsstaat", "Präventionsstaat" oder "Polizeistaat" zu verwandeln 506. Schoreit geht davon aus, daß die Gewaltenteilung im Kern getroffen wäre, wenn exekutive Polizeiaufgaben und Maßnahmen der Strafverfolgung zusammengezogen, durcheinandergewürfelt oder untrennbar vermischt werden könnten 507 • Schwan sieht die Gefahr der Aufgabe des traditionellen, rechtsstaatlichen Polizeirechts 508 • In diesem Zusammenhang wird kritisch hingewiesen auf Schaffung und Betrieb umfangreicher polizeilicher Informationssysteme, die sowohl (repressive) Strafverfolgungsdaten wie (präventive) Gefahrenabwehrdaten enthalten, was als Verstoß gegen das Zweckbindungs- und das Trennungsgebot angesehen wird 509 , die Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises, den Einsatz von V-Leuten 51O sowie die Anwendung neuer Technologien zur Bild- und Tonaufnahme bei der Straftatbekämpfung 5ll. Die Stärkung des technisch gewonnenen Beweises im Strafverfahren hat Befürchtungen geweckt, die Chancengleichheit im Prozeß und das Prozeßgrundrecht des fairen Verfahrens seien durch die Anwendung moderner Überwachungstechnik gefahrdet 512 • Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Angeklagte aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dessen Bezug zur Menschenwürdegarantie einen Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren. Es hat an diesem Maßstab solche strafprozessualen Beschränkungen Verfahrensbeteiligter gemessen, die von speziellen Verbürgungen des Grundgesetzes nicht erfaßt werden. Danach gebietet das Recht auf ein faires Verfahren eine Selbstbeschränkung staatlicher Mittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen in der Weise, daß staatliche Organe korrekt und fair zu verfahren haben und gewährleistet dem Einzelnen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten wirk,sam wahrnehmen und P.-A. Albrecht 1986, S. 55. Kreissl 1981, S. 132 f.; P.-A. Albrecht 1986, S. 82. 506 Vgl. zu dieser Diskussion Denninger 1988, S. 1 ff.; Grimm 1986, S. 38 ff.; Kreissl 1981, S. 128 ff.; P.-A. Albrecht 1986, S. 55 ff.; sowie die Sammelbände v. Schoeler 1986; Kutscha / Paech 1987; Gössner / Herzog 1984; Sammelband von Hohmann 1987 m. zahlreichen Beiträgen; ferner Blanke 1988, S. 197. 507 Schoreit 1982a, S.45 ihm folgend Kniesel1983, S. 377. 508 Schwan 1987, S. 295, 303 ff. 509 Wolter 1988, S. 56 ff., 62, 79 f. m. w. N. 510 Vgl. dazu Rebmann. 1985, 1 ff.; P.-A. Albrecht 1986, S. 64 f.; BVerfGE 57,250 [284]. 511 Vgl. Wolter 1988, S. 84 ff. 512 Nachweise bei Wolter 1988, S. 87 f. 504

505

158

4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

Übergriffe staatlicher Stellen abwehren zu können. Neben dieser Funktion als Prozeßgrundrecht versteht das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein faires Verfahren als Leitlinie für den Gesetzgeber sowie als Auslegungsmaxime für Strafverfolgungsorgane und Gerichte. Eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren durch den Gesetzgeber kann insbesondere in der Ausgestaltung des Strafverfahrens liegen, welche die Ermittlung der Wahrheit zu Lasten des Beschuldigten behindert 513. Durch die heimliche Überwachung von Personen wird das Rechtsstaatsprinzip insofern als betroffen angesehen, als es der Polizei gebietet, dem Bürger grundsätzlich offen gegenüber zu treten 514 • In diesen Zusammenhang gehören auch verfassungsrechtliche Bedenken i~ Schrifttum gegen den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Bild- und Tonaufnahme unter dem Gesichtspunkt des Trennungsgebots von Polizei und Verfassungsschutz. Danach soll es der Polizei durch das einfachrechtlich in § 3 Abs. 3 BVerfSchG normierte und nach überwiegender Meinung mit Verfassungsrang ausgestattete Trennungsgebot 515 verwehrt sein, die genannten technischen Mittel verdeckt einzusetzen. Dieser Gedanke wird jedoch im Schrifttum mit der Überlegung verworfen, nach dem Trennungsgebot solle der Verfassungsschutz auf Grund der historischen Erfahrungen mit der nationalsozialistischen "Gestapo" lediglich keine typischen Polizeibefugnisse haben. Das Trennungsgebot stehe aber nicht der Anwendung neuer Techniken zur Verfolgung polizeilicher Zwecke durch die Polizei entgegen 516 • Nach allgemeiner Meinung bildet das Prinzip offenen staatlichen Vorgehens auch im Blick auf das Rechtsstaatsprinzip keine absolute Schranke. Die Polizei soll zur Straftatbekämpfung auch ausnahmsweise jene Mittel einsetzen dürfen, die insbesondere dem Verfassungsschutz unter der Bezeichnung nachrichtendienstliches Mittel erlaubt sind 5I7.

VI. Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG und Auskunftsanspruch Das Bundesverfassungsgericht hat im Abhörurteil zu Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG, der durch verfassungsänderndes Gesetz eingefügt wurde, entschieden, daß diese Bestimmung die in Art. 79 Abs. 3 GG als unberührbar garantierten Prinzipien aus Art. 1 Abs. i GG und Art. 20 GG nicht verletzt. Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber, unter gewissen Voraussetzungen den Rechtsweg gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt und ihre Bekanntgabe an den Betroffenen auszuschließen. Darin sah das Bundesverfassungsgericht zwar eine Ein513

514 515 516 517

Hili 1989, S. 1322 m. w. N. BVerfGE 30,1 [26]; Schotz / Pitschas 1984, S. 175;; Wolter 1988, S. 87 m. w. N. Vgl. Kowalczyk 1989, S. 143 f. m. w. N.; ferner Denninger 1981, S. 231 ff. Kowalczyk 1989, S. 145 ff. m. w. N.; Wolter 1988, S. 87 m. N. Scholz / Pitschas 1984, S. 176.

B. Literatur und Rechtsprechung zur älteren Überwachungstechnologie

159

schränkung der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil der Rechtsweg praktisch ausgeschlossen sei, wenn die Maßnahme, die so vorgenommen werde, daß der Betroffene davon nichts merke, ihm weder vorher noch nachher mitgeteilt werde 5I8 • Jedoch gehöre Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu den in Art. 20 GG "niedergelegten Grundsätzen", sei also durch Art. 79 Abs. 3 GG einer Einschränkung durch verfassungsänderndes Gesetz nicht entzogen 519 • Auch sei der Ausschluß der Benachrichtigung nicht unvereinbar mit der Menschenwürdegarantie, die nach Art. 79 Abs. 3 GG auch durch ein verfassungsänderndes Gesetz nicht antastbar ist. Art. 1 Abs. 1 GG werde nicht bereits durch dem Bürger unbekannte und unbekannt bleibende staatliche Maßnahmen als solche verletzt. Denn der Ausschluß der Benachrichtigung sei nicht Ausdruck einer Geringschätzung der menschlichen Person und Würde, sondern erfolge zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Ordnung 52o • Eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Auslegung des verfassungsändernden Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG erfordere die nachträgliche Benachrichtigung des Überwachten jedoch dann, aber auch nur dann, wenn eine Geflihrdung des Überwachungszwecks auszuschließen sei 521. Diese Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht zur Zulässigkeit eines verfassungs ändernden Gesetzes entwickelte, wurde inzwischen, insbesondere durch die Landespolizeigesetzgebung, auf einfache Gesetze übertragen, welche die Exekutive zur Vornahme heimlicher und heimlich bleibender Überwachungsmaßnahmen ermächtigen. In der Literatur wird überwiegend angenommen, heimliche polizeiliche Observationsmaßnahmen, die dem Betroffenen regelmäßig nicht mitgeteilt würden, seien aus Gründen der wirksamen Strafverfolgung oder Gefabrenabwehr verfassungsrechtlich hinzunehmen 522. Weder Art. 1 Abs. 1 GG, die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze, das durch eine unbekannt bleibende Maßnahme beschränkte Grundrecht selbst noch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sollen verletzt sein, sofern eine gesetzliche Bestimmung und die auf ihrer Grundlage heimlich vorgenommene Maßnahme notwendig zur polizeiliehen Aufgabenerfüllung sind und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, daß die nachträgliche Unterrichtung in den Fällen erfolgt, in denen eine Gefahrdung der Aufgabenerfüllung ausgeschlossen werden kann. Bedenken werden lediglich im Hinblick auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG erhoben mit der Begründung, die heimliche optische und akustische Überwachung der Wohnung sei vom Gesetzesvorbehalt des Art. 13 Abs. 3 GG nicht gedeckt, weil derartige Maßnahmen als Eingriff in den Kernbereich des Art. 13 GG zu werten seien 523. Im übrigen wird 518 519 520 521 522 523

So ausdrücklich BVerfGE 30, 1 [15 f.]. BVerfGE 30, 1 [25]. BVerfGE 30, 1 [26 f.]. BVerfGE 30, 1; vgl. auch BVerfGE 67, 157. Vahle 1983, S. 99 ff. ffi. w. N. de Lazzer I Rohlj 1977, S. 211; Seifert 1987, S. 271.

160

4. Kapitel: Literatur und Rechtsprechung zur Überwachung von Personen

offenbar angenommen, daß bereits die in den Grundrechten selbst enthaltenen Gesetzesvorbehalte die Ermächtigung für den Gesetzgeber enthalten, heimliche und heimlich bleibende staatliche Überwachungsmaßnahmen wie etwa die polizeiliche Informationserhebung und -verarbeitung zuzulassen. Nach anderer Meinung soll ein Ausgleich zwischen dem Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers und den Belangen des Staates in einer Interessenabwägung gesucht werden, die durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht ausgeschlossen werde 524. Ein verfassungsänderndes Gesetz, wie dies im Falle von Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG für Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses geschehen ist, wird für polizeiliche Obeservationen überwiegend nicht für geboten erachtet, obgleich derartige Maßnahmen nach der soeben genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Einschränkung der Rechtsweggarantie bedeuten 525. Gleichsam die Kehrseite dieser Frage war Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das prüfte, ob angesichts des Fehlens einfachrechtlicher Auskunftsansprüche bezüglich manuell in Polizeiakten geführter Daten ein Auskunftsanspruch sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergibt. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage gegen eine verbreitete Meinung in der Literatur verneint. Ein solcher Anspruch ergibt sich nach dieser Rechtsprechung weder aus der allgemeinen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus dem durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleiste zwar in erster Linie das formelle Recht, Gerichte gegen eine Verletzung materiellen Rechts durch die öffentliche Gewalt anzurufen, nicht aber materiellrechtliche Ansprüche. Zwar sei insoweit auch die Effektivität des Rechtsschutzes - also seine tatsächliche Wirksamkeit - gewährleistet. Dies setze grundsätzlich auch die Kenntnis voraus, wer wo über welche Daten in welcher Weise und zu welchen Zwecken verfügt. Dies führe aber gleichwohl nicht zu einem Auskunftsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG. Diese Verfassungsnorm wirke sich lediglich für die Ausübung des Ermessens bei der Auskunftserteilung aus 526 • Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewähre deshalb keinen Auskunftsanspruch, weil auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dem Einzelnen kein ausschließliches Verfügungsrecht über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten gebe und darüber hinaus im Sicherheitsbereich - zu dem auch die Aufgabenerfüllung der Polizei gehöre die weitgehende Geheimhaltung personenbezogener Daten zur Aufgabenerfüllung notwendig sei 527.

Vahle 1983, S. 100 m. N. So aU,sdrücklich BVerfGE 30, 1 [15 f.]. 526 BVerwG NJW 1990, S. 2762 u. 2766 m. N. der Für- und Gegenmeinung. 527 BVerwG NJW 1990, S. 2763 u. 2766 m. w. H. z. B. auf BVerfGE 57, 250 [284] und 31, 301 [306]; vgl. auch Vahle 1983, S. 98 ff. 524

525

Fünftes Kapitel

Würdigung und Kritik der in Literatur und Rechtsprechung vorgefundenen Lösungsansätze A. Kritik des Diskussionsstands Die Bestandsaufnahme zu Schrifttum und Rechtsprechung hat erwiesen, daß polizeiliche Anwendungen der Vidotechnik lediglich punktuell rechtliche Bearbeitung gefunden haben. Dem Material fehlt fast ausnahmslos die Berücksichtigung der technischen, kriminalistischen und psychologischen Bedingungen, unter denen die Videotechnik zum Einsatz kommt 1. Den zu den älteren Überwachungstechniken vorliegenden Äußerungen sowie der Datenschutzdiskussion im Sicherheitsbereich fehlen das erforderliche Maß der Problembezogenheit auf das Thema. Sie bieten aber wesentliche Gesichtspunkte für die Lösung. In der Diskussion ist ungeklärt, inwieweit die akustische und optische Überwachung den Schutzbereich spezieller Grundrechte einschränkt, oder die Konkretisierungen des Art. 2 Abs. 1 GG in Gestalt des Rechts am Bild, am gesprochenen Wort und auf informationelle Selbstbestimmung betroffen sind. Auch die Fragen, welchen Überwachungsmaßnahmen Eingriffsqualität zukommt und welche Anforderungen von Verfassungs wegen an Eingriffe gestellt werden müssen, sind nicht abschließend beantwortet. Aufflillig ist, daß den sich an die Aufzeichnung von Bild- und Stimmaufnahmen anschließenden Phasen der Speicherung, Aufbewahrung, Übermittlung und Verwendung der Aufnahmen insgesamt wenig Beachtung geschenkt wurde und eine auf Gewöhnung beruhende Zunahme der Akzeptanz der Anwendung von Überwachungstechnik festgestellt werden kann 2 •

1 Eine Ausnahme bilden in gewisser Hinsicht die Überlegungen von Weichert 1988, S.4ff. 2 Vgl. de Lazzer I Rohlf 1977, S. 213; vgl. Arzt 1970, S. 70 Fn. 198.

11 Geiger

162

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

B. Kritik und Lösung zur Frage der Heranziehung spezieller Freiheitsrechte als Prüfungsmaßstäbe I. Schutz der Entschließungsfreiheit zur Ausübung spezieller Freiheitsrechte? Soweit es um die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen und die Verwendung der Aufnahmen durch die Polizei geht, ist zu bemerken, daß als Prüfungsmaßstab für Anwendungen optischer und akustischer Überwachungsgeräte durch die Strafverfolgungsorgane zum einen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und dessen Konkretisierungen aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG herangezogen wird 3, andererseits aber auch spezielle Freiheitsrechte erörtert werden 4 • Manche Autoren sehen durch ein und dieselbe Maßnahme die Schutzbereiche mehrerer Grundrechte betroffen 5. Das praktisch bedeutsamste Beispiel für dieses Problem bildet die Überwachung von Versammlungen durch die Polizei zur Straftatverhinderung und verfolgung. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Durchführung von Überwachungsmaßnahmen bei Versammlungen bisher, soweit ersichtlich, dreimal geäußert und scheint der Auffassung zu sein, daß jedenfalls exzessive Überwachungsmaßnahmen oder die Aufzeichnung von Versammlungsteilnehrnem aus Gründen vorbeugender Verbrechens bekämpfung oder zur potentiellen späteren Strafverfolgung gleichsam auf Vorrat mit Art. 8 GG unvereinbar wären 6. Zu den Fragen, ob Überwachungsmaßnahmen, die keinen exzessiven Charakter aufweisen, Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG sind, und wann exzessive Überwachungsmaßnahmen überhaupt gegeben sind, enthält die genannte Rechtsprechung keine Aussagen. Selbst die Annahme, das Bundesverfassungsgericht ziehe bei Überwachungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Teilnahme an Versammlungen Art. 8 GG als einschlägigen Prüfungsmaßstab heran, birgt die Gefahr einer Überinterpretation seiner Rechtsprechung. Denn in der Volkszählungsentscheidung verwendet das Gericht das Beispiel der Überwachung einer Teilnahme an Versammlungen und die sich daraus für die individuelle Entfaltung und das Gemeinwohl ergebenden Gefahren zur Begründung der Notwendigkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht entnimmt das Gericht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und nicht aus speziellen Freiheitsrechten 7 • Oben 4. Kap. B 1 1,2,3. Oben 4. Kap. A n, In; B 11. 5 Oben 4. Kap. B In; von der Frage, welches Grundrecht betroffen ist, zu unterscheiden ist die Frage, ob z. B. die Übersichtsaufnahme von einer Menschenmenge überhaupt ein "Eingriff' ist; vgl. dazu unten 5. Kap. C 11, In. 6 Siehe oben 4. Kap. B 11. 7 BVerfGE 65, 1 [43]; siehe oben 4. Kap. B 11. 3 4

B. Kritik an der Heranziehung spezieller Freiheitsrechte

163

Das in der Diskussion für eine Heranziehung von Art. 8 GG als Prüfungsmaßstab für Überwachungsmaßnahmen bei Versammlungen angeführte Hauptargument bildet die Überlegung, Art. 8 GG vertrage keine restriktive staatliche Beaufsichtigung, wie durch die Überwachung mit Videogeräten, da andernfalls das Recht, an Demonstrationen teilzunehmen, aus Furcht vor staatlicher Überwachung und Registrierung und ihren Folgen von besorgten Bürgern nicht mehr wahrgenommen werden könnte. Dadurch entstünde Schaden für die Freiheit des Einzelnen und für das freiheitliche Gemeinwesen, das auf die aktive Teilnahme seiner Bürger notwendig angewiesen sei. Deshalb müsse die innere Entschließungsfreiheit durch Art. 8 GG vor Beeinträchtigungen durch staatliche Überwachungsmaßnahmen geschützt werden 8 • Gegen dieses Argument ist im wesentlichen vorgebracht worden, die Bejahung eines Eingriffs in die Versammlungsfreiheit könne nicht davon abhängen, ob die "innere Versammlungsfreiheit" oder die "innere Entschließungsfreiheit" beeinträchtigt werden, weil dadurch die Bejahung von Grundrechtseingriffen von, von Betroffenem zu Betroffenem unterschiedlich ausgeprägten, subjektiven Empfindlichkeiten abhängig gemacht würde. Auch ziele die Polizei mit Überwachungsmaßnahmen nicht auf die Freiheit der Versammlung ab und bleibe dadurch der äußere Ablauf der Versammlung unberührt. Im übrigen gebe Art. 8 GG dem Einzelnen kein Recht auf Selbstdarstellung. Deshalb seien Maßnahmen der Informationsgewinnung - auch mittels Videogeräten - kein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, sondern richtiger Prüfungsmaßstab sei das Recht am eigenen Bild oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 9 • Diesen Stimmen, wonach staatliche Überwachungsmaßnahmen bei Versammlungen keinen Eingriff in Art. 8 GG darstellen, sondern am Maßstab des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu messen sind, ist im Ergebnis zuzustimmen. Dies gilt jedenfalls für den Fall der Überwachung mit Videogeräten. Ob dasselbe in bezug auf andere Überwachungsmaßnahmen, namentlich für die polizeiliche Einkesselung von Versammlungsteilnehmern, für die Begleitung von Versammlungen durch ein erdrückendes Polizeiaufgebot oder durch eine schikanöse Kontrolle von Versammlungsteilnehmern durch die Polizei anzunehmen wäre, kann für das vorliegende Thema dahinstehen. Allerdings bedarf die Ablehnung des speziellen Freiheitsrechts als Prüfungsmaßstab der weiteren Begründung. Insoweit wird auf folgendes hingewiesen: Zwar können die speziellen Freiheitsrechte, namentlich Art. 8 GG, als Prüfungsmaßstab nicht bereits mit dem Argument verworfen werden, es fehle bei der Überwachung an einem gezielten Eingriff, beispielsweise in die Versammlungsfreiheit, sondern werde damit etwas anderes - z. B. Straftataufklärung - bezweckt 10. Auf den Zweck der Maßnahme kann es nämlich für, die 8

9

1\*

Siehe oben 4. Kap. A H, III; B H. Siehe oben 4. Kap. A III; B 11.

164

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

Frage, welcher Schutzbereich betroffen ist, grundsätzlich nicht ankommen. Denn die Schutzbereiche der Grundrechte können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und allgemeiner Meinung im Schrifttum nicht nur durch finale Eingriffe, sondern auch durch womöglich unbeabsichtigte Folgen von Handlungen mit gänzlich anderer Zielsetzung eingeschränkt werden. Der Eingriffsbegriff ist insoweit erweitert worden. Nicht ausreichend ist auch die Begründung, spezielle Freiheitsrechte - namentlich Art. 8 GG - gewährleisteten nicht das Recht zur Selbstdarstellung. Dieses sei durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG gewährleistet 11. Dies mag zwar zutreffen, schließt aber dennoch die Annahme der Betroffenheit spezieller Freiheitsrechte aus anderen Gründen - etwa zum Schutz der inneren Entschließungsfreiheit bei der Grundrechtsausübung - nicht aus. Auch das Argument, die Überwachung von Versammlungen zum Zwecke der polizeilichen Informationserhebung sei am allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu messen, während eine "exzessive Observation" Art. 8 GG verletze 12, vermag nicht zu überzeugen. Denn wenn eine Observation zu Zwecken der Informationserhebung schon nicht in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG eingreift, ist nicht nachvollziehbar, wie eine exzessive Observation Art. 8 GG verletzen kann. Es müßte nämlich zunächst begründet werden, daß die Observation einer Versammlung ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG ist. Erst wenn dies der Fall ist, kann sich die Frage stellen, ob eine Überwachung, die exzessiven Charakter hat, Art. 8 GG verletzt. Im übrigen erinnert das genannte Argument an die - ebenfalls nicht konsistente - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Abgabemecht, welche für Abgabentatbestände Art. 14 GG als Prüfungsmaßstab ablehnt und auf Art. 2 Abs. 1 GG zurückgreift, jedoch dann, wenn eine Abgabe erdrosselnde Wirkung hat, Art. 14 GG als verletzt ansieht 13. Dennoch sind die speziellen Freiheitsrechte als Prüfungsmaßstab für Videoüberwachungsmaßnahmen abzulehnen. Dies ergibt sich daraus, daß diejenigen Stimmen, die eine Berührung der (inneren) Entschließungsfreiheit annehmen, und damit - zumeist unausgesprochen - auf die vorliegenden psychologischen Erkenntnisse zu den Wirkungen von Überwachungsmaßnahmen zurückgreifen, übersehen, daß durch diese Argumentation das Recht am eigenen Bild und das Recht am gesprochenen Wort insgesamt hinfallig würden. Denn die Gewährleistung der Freiheit vor Überwachung der Ausübung eines Grundrechts durch dieses Grundrecht selbst, müßte dazu führen, daß alle speziellen Freiheitsrechte und darüber hinaus auch die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine 10 Insb. Vahle 1983, S. 29 f, 33 f., 39; Vahle 1986, S. 76,77; Meyer 1982, S. 8 f.; v. Münch 1965, S. 404,405; Schmidt 1974, S. 241,248; Simon / Taeger 1981, S. 43; Krüger 1977, S. 249,254. 11 Götz 1990, S. 116 ID. w. H.; ähnlich schon Meyer 1982, S. 12. 12 Götz 199, S. 116; siehe oben 4. Kap. A III. 13 BVerfGE 30, 250 [251 f.] ID. w. N.; vgl. auch 78, 232 [243].

B. Kritik an der Heranziehung spezieller Freiheitsrechte

165

Handlungsfreiheit eine derartige Gewährleistung enthielten: auch die Überwachung und Aufnahme "des Reitens im Walde" oder "des Füttems von Tauben" und schlechthin jeder beliebigen Handlung beeinträchtigte die Entschließungsfreiheit der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG oder spezieller Freiheitsrechte. Es bliebe kein Raum mehr für ein Recht am eigenen Bild oder am gesprochenen Wort. Diese Rechte wären entweder insgesamt überflüssig oder aber stets neben dem jeweiligen speziellen Freiheitsrecht bzw. der allgemeinen Handlungsfreiheit einschlägig. Dieses Ergebnis bedeutete die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung und Literatur zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Dies wäre zwar für sich genommen noch kein Grund, die dahin führende Meinung zu verwerfen, allerdings sprechen weitere beachtliche Erwägungen gegen die genannte Auffassung. Zum einen spricht dagegen, daß heimliche Überwachungsmaßnahmen, die der Betroffene gar nicht bemerkt und sich folglich bei der Grundrechtsausübung nicht beeinträchtigt fühlen wird, nicht erfaßt werden könnten 14. Die genannten Stimmen müßten in diesen Fällen - an deren Schutzwürdigkeit kein Zweifel bestehen kann entweder eine unabhängig von konkreter Überwachung stets vorhandene Überwachungsangst annehmen, die losgelöst von konkreten Anlässen in der Bevölkerung besteht. Solche weitgehenden Ängste, die zu einer konkreten Unterlassung der Grundrechtsausübung führen und an der Grenze zur Massenneurose lägen, sind bislang nicht beobachtet worden 15. Oder sie müßten in Fällen unbemerkter Überwachung auf die Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurückgreifen. Dies wiederum führte zu dem wenig einleuchtenden Ergebnis, daß das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort nur in Fällen der heimlichen Überwachung berührt wären, in Fällen der offenen Überwachung hingegen die Freiheitsrechte einschließlich der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen wären. Dadurch wäre die heimliche Überwachung, die dem Überwachten keine Möglichkeit zu Schutzvorkehrungen gibt, an den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen, die offene Überwachung hingegen an den Schranken der speziellen Freiheitsrechte. Ein derartiger Widerspruch ist nicht anzunehmen 16. Darüber hinaus ist das Argument, Freiheit vor Überwachung bei der Ausübung z. B. der Versammlungsfreiheit müsse zum Schutz der Entschlußfreiheit vom speziellen Grundrecht gewährleistet werden, auch deshalb nicht zwingend, weil die Entschlußfreiheit nicht durch das spezielle Grundrecht geschützt werden muß; es ist vielmehr ausreichend, wenn sie überhaupt wirksam geschützt wird. Es ist nach den gegenwärtig verfügbaren psychologischen Erkenntnissen 17 zwar damit 14

In diese Richtung auch BVerfGE 65, 1 [41].

Das Wort von der "Überwachungsparanoia" oder "Datenschutzhysterie" sind als Schlagworte in der Datenschutzdiskussion verwendet worden; ihre Verwender erheben nicht den Anspruch, dies sei im technischen Sinne als Beschreibung eines psychologischen Zustands gemeint. 16 BVerfGE 65, 1 [41] hat aus ähnlichen Erwägungen die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG als Grundlage des Datenschutzes verworfen. 17 Siehe oben 2. Kap. C I 2. 15

166

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

zu rechnen, daß bei der Videoüberwachung von Versammlungen Betroffene entweder auf eine Teilnahme verzichten oder sich auf der Versammlung besonders angepaßt verhalten werden. Vor dieser Gefahr zu schützen, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht geeignet und ausreichend. Insoweit sind die im Schrifttum geäußerten Befürchtungen zu einer angeblich weitergehenden Einschränkbarkeit des Art. 2 Abs. 1 GG im Vergleich zu einigen Spezialfreiheitsrechten unbegründet. Dies hat gerade die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gezeigt. Sie stellt strenge Anforderungen an Beschränkungen dieser Verbürgung. Insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein wirksames Korrektiv gegen eine der Überwachungstechnik tendenziell als Gefahr innewohnende übermäßige oder "exzessive" Anwendung der Videotechnik. Wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht Schutz vor Überwachungsmaßnahmen gewährleistet, verlören die Ängste vor rechtlich ungebundener Überwachung ihre Berechtigung. Insofern käme den Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Charakter einer Vorbedingung der Ausübung spezieller Freiheitsrechte oder des Hauptfreiheitsrechts zu 18. Sie erschöpfen sich aber nicht in dieser Funktion. Denn auch derjenige, dem es gänzlich einerlei ist, ob er bei der Ausübung eines Grundrechts überwacht wird, kann seine Abbildung in Wort und Bild als Bedrohung seiner Persönlichkeit empfinden, da sie seine Erscheinung und seine Stimme von ihm löst und Dritten zu ungewissen Zwecken verfügbar macht. Die Verfügbarkeit des optischen oder akustischen Abbilds und seine Verwendbarkeit in gänzlich anderem Zusammenhang als dem der Aufnahme, lassen das Grundrecht, dessen Ausübung optisch-akustisch registriert wurde, als nur mittelbar betroffen erscheinen. Daher beschränkt die Überwachung der Ausübung von Freiheitsrechten mit optischer und akustischer Überwachungs-Technik durch den Staat nicht das jeweils ausgeübte Grundrecht, sondern die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Überwachten 19. Für diese Meinung spricht endlich der Vorteil einer Konzentration der Prüfung bei einem Grundrecht. Eine prinzipielle Konzentration auf den Prüfungsmaßstab aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hat im übrigen auch die verfassungsrechtliche Datenschutzdiskussion ergeben, nachdem auch dort verschiedentlich die speziellen Freiheitsrechte als verfassungsrechtlich einschlägige Gewährleistungen erörtert wurden 20. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht 18 In diese Richtung in bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber wohl Rosenbaum 1988, S. 180, 183. 19 So im Ergebnis wohl schon Dürig 1958, Rn. 38, allerdings ohne nähere Begründung und Auseinandersetzung mit der Frage, ob durch die Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit spezielle Freiheitsrechte verletzt werden können. 20 Gallwas 1979, S. 514; Eberle 1977, S. 307 ff. wollte Art. 5 Abs. 1 GG als alleinige verfassungsrechtliche Grundlage des Datenschutzes ansehen; W. Schmidt 1974, 241 ff. schlug die Kommunikationsgrundrechte vor; Kamlah 1970, S. 46 f. sah Art. 13 GG als alleinige Garantie der Privatsphäre an; Rohlf 1980, S. 133 schließlich versuchte im Wege einer "Gesamtanalogie" zu den speziellen Freiheitsrechten ein Grundrecht auf Achtung der Privatsphäre im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG zu entwickeln.

B. Kritik an der Heranziehung spezieller Freiheitsrechte

167

auf informationelle Selbstbestimmung bekanntlich aus Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG unter Ablehnung der speziellen Freiheitsrechte als Prüfungsmaßstäbe abgeleitet 21 • Die Kritik namentlich von Rohlf an der Heranziehung des Auffanggrundrechts aus Art. 2 Abs. I GG hat insoweit eine Berechtigung, als sie auf die verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit hinweist, Art. 2 Abs. I GG erst nach Prüfung der speziellen Gewährleistungen heranzuziehen 22, wobei die Auslegung der speziellen Freiheitsgrundrechte aber stets deren Wesen zu beachten hat, lediglich "punktuellen" Freiheitsschutz zu gewährleisten 23. Sie ist aber unberechtigt, soweit sie sich grundsätzlich gegen die Konkretisierung von Einzelgewährleistungen aus Art. 2 Abs. I GG wendet 24 und stattdessen eine "Gesamtanalogie" aus den speziellen Grundrechten zieht 25 • Denn weder die Konkretisierung des Art. 2 Abs. I GG unter Berücksichtigung neuartiger Gefahren und von Erkenntnissen der Wissenschaften noch der Schluß von der einmal auf diese Weise erkannten Schutzbedürftigkeit der menschlichen Persönlichkeit auf ihren verfassungsrechtlichen Schutz sind willkürlich, sondern rational nachvollziehbar. Somit scheiden nach dem Ergebnis der bisherigen Prüfung die speziellen Freiheitsrechte aus, soweit es um die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen bei der Ausübung von Grundrechten geht.

11. Freiheitsrechte als spezielle Grundrechte gegen Überwachungsmaßnahmen? Etwas anderes gilt für die Überwachung von Personen in Wohnungen. Art. 13 Abs. I GG ist dazu bestimmt, den Einzelnen vor staatlichen Beeinträchtigungen der ,,räumlichen Privatsphäre" zu schützen und dem Einzelnen das Recht zu geben, in der Wohnung "in Ruhe gelassen zu werden". Insoweit wird nicht die Entschließungsfreiheit zur Ausübung eines speziellen Grundrechts beeinträchtigt, sondern das Grundrecht selbst eingeschränkt: Wer in seiner Wohnung überwacht wird, wird eben gerade nicht "in Ruhe gelassen". Der räumliche Schutz bestimmt wesentlich das freie und unbefangene Verhalten des Einzelnen in der Wohnung. Es kann deshalb nicht der Meinung beigetreten werden, die Wohnung habe "wesensmäßig und funktional" mit den in dieser beobachteten ,,Aussagen" des Betroffenen nur wenig gemein 26. In diesem Zusammenhang ist schließlich den Stimmen zuzustimmen, die eine Schutzbereichsbeschränkung annehmen unabhängig davon, ob das Überwachungsgerät in der Wohnung eingebaut ist oder mit Hilfe moderner Überwachungstechnik von außen auf die Wohnung gerichtet 21 22

23 24

25 26

BVerfGE 65, 1 [40 f.]. Rohlf 1980, S. 131. Vgl. Hesse 1988, Rnrn. 300 u. 428. Rohlf 1980, S. 131, 132, 134. Rohlf 1980, S. 133 f. Siehe oben 4. Kap. B 11 2.

168

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

wird. Eine an den Gefährdungen der Freiheit des Einzelnen durch moderne technische Entwicklungen orientierte Konkretisierung des Art. 13 GG als der räumlichen Privatsphäre gebietet diese Sicht. Unzureichend ist es allerdings, wenn dieses Gebot damit begründet wird, daß ansonsten ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG erforderlich sei, dieser Prüfungsmaßstab jedoch der technischen Entwicklung, die vielfältige Durchbrechungen der gegenständlichen Schutzbarrieren einer Wohnung "auch ohne plumpes Einbrechen" ermögliche, "nicht gemäß" sei 27 • Denn angesichts der allgemein anerkannten Funktion des Art. 2 Abs. 1 GG, als Auffangtatbestand vor den Gefahren neuer technischer Entwicklungen zu schützen 28 , reicht diese Begründung nicht aus. Widersprüchlich ist es schließlich auch, wenn dargelegt wird, ein Verständnis des Art. 13 GG, das für die Bejahung eines Eingriffes ein körperliches "Eindringen" in die Wohnung voraussetze, mache den Schutz dieser Vorschrift angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten weitgehend wirkungslos, für die Bestimmung der Schranken aber auf Art. 2 Abs. 1 GG und die Sphärentheorie zurückgegriffen wird 29 •

c. Kritik des Materials zu Art. 2 Abs. 1 GG und seinen Konkretisierungen

Wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat, suchte die Diskussion die verfassungsrechtliche Problematik visuell-akustischer Überwachungsmaßnahmen vornehmlich im Wege der Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG zu bewältigen. Diesem Weg kann grundsätzlich gefolgt werden, wobei auf folgende Bedenken hinzuweisen ist.

I. Aufbau auf zivilrechtlichen Grundlagen Das verfassungsrechtliche Material zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seinen Konkretisierungen des Rechts am eigenen Bild und am gesprochenen Wort gründet im wesentlichen auf zivilrechtlichen Fundamenten. Zivilrechtliche und verfassungsrechtliche Überlegungen sind im Laufe der rechtsgeschichtlich skizzierten Diskussion auf das Engste und eigentlich untrennbar verbunden worden 30 • Dies könnte Anlaß zu Bedenken gegen die Brauchbarkeit des Materials zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seinen Konkretisierungen geben. Bedenken könnten sich daraus ergeben, daß der Gehalt einer Grundrechtsbestimmung durch Auslegung der Verfassung und nicht durch Übernahme zivilrechtlicher Lösungen zu ermitteln ist und die Gefahr der Vermengung einfachrechtlicher 27

28 29

30

Vahle 1983, S. 42 f.; vgl. oben 4. Kap. B II 2. BGHZ 27, 286 ff.; Dürig 1956, S. 117, 129. Beier 1988, S. 41 in Fn. 66; vgl. oben 4. Kap. B II 2.

Oben 4. Kap. B I 1.

C. Kritik des Materials zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht

169

und verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte droht 31 • Dies zeigen die referierten Äußerungen, die Verfassungsrecht und einfaches Recht oft überhaupt nicht geschieden haben 32. Eingeschränkt muß dies auch von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts gesagt werden 33 • Die einfachrechtlichen Ergebnisse, insbesondere das Verständnis des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Kunsturhebergesetzes, wurden als Inhalt des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts in das Grundgesetz "hineingelesen," und sodann die Ergebnisse - modifiziert durch verfassungsrechtliche Überlegungen - im Wege des Art. 1 Abs. 3 GG wieder als Inhalt der einfachrechtlichen Bestimmungen in diese transformiert. Anders als dies die Lehre von der (mittelbaren) Drittwirkung der Grundrechte unternimmt, bei der das einfache Recht im Lichte der Verfassung ausgelegt wird, fand insoweit keine orginäre Konkretisierung der Verfassung statt, deren Ergebnisse dann bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts beachtet werden könnten. Die "Konkretisierung" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Schutzgüter war in Wirklichkeit zu einem großen Teil eine Inkorporierung einfach-rechtlicher Ergebnisse in das Verfassungsrecht. Diese methodisch-formale Kritik hat einen sachlichen Hintergrund. Denn Gefährdungen des Einzelnen durch Private können nicht ohne weiteres mit staatlichen Gefährdungen gleichgesetzt werden. Es ist nicht nur eine "unmittelbare Drittwirkung" der Grundrechte abzulehnen, sondern dürfen auch nicht im umgekehrten Fall Schutzinstrumente gegen Gefahrdungslagen zwischen Privaten, und um ein solches Schutzinstrument handelte es sich beim zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht, ohne Berücksichtigung der Abwehrfunktion der Grundrechte gegen Gefahrdungen des Einzelnen durch den Staat übernommen werden. Es erscheint daher auf den ersten Blick nicht unberechtigt, daß Forsthoff es ablehnte, den im Zivilrecht entwickelten Persönlichkeitsschutz ins öffentliche Recht zu übernehmen 34. Die im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht beobachtete "Osmose" zwischen Zivilrecht und Verfassungsrecht ist entgegen Forsthoff aber im Ergebnis unschädlich, weil sich im Hinblick auf Gefahren der Bild- und Tonaufnahmetechnik für Zivil- und Verfassungsrecht strukturell gleichartige technische und psychologische Probleme stellen. Wegen der Staatsgerichtetheit der Grundrechte und der daraus folgenden Struktur ihrer Schranken, namentlich des Gesetzesvorbehalts, der bekanntlich im Verhältnis Privater untereinander nicht gilt, kann dies aber von vornherein nur für Begriff und Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten.

31

32 33 34

Ähnlich, aber in anderem Zusammenhang Forsthoff 1964, S. 45. Oben 4. Kap. B I 1,2. Ähnlich U. Müller 1985, S. 153; vgl. Helle 1986, S. 27 f. Oben 4. Kap. B I 1.

170

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

11. Fehlende Berücksichtigung der Geltungsbedingungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Würdigung der Videotechnik Soweit Konkretisierungsversuche zu optischer und akustischer Überwachungstechnologie vorliegen, beziehen sie sich größtenteils auf die technischen Möglichkeiten der Fotografie und des Tonbands. Die Videotechnik wird überwiegend im Zusammenhang mit den älteren Techniken Fotografie und Tonband und ohne Hinweis auf die neueren Entwicklungen in der Bild- und Tonverarbeitungs- und -übertragungstechnik erörtert 35. Diese Äußerungen leiden daran, daß sie die Möglichkeiten der modernen Bild- und Tonverarbeitungstechnologien nicht in Betracht ziehen. Namentlich der Bundesgerichtshof führte im Zusammenhang mit der rechtlichen Überprüfung einer Videoüberwachung durch die Polizei aus, Grundlage der Volkszählungsentscheidung seien die "Bedingungen der modernen Datenverarbeitung" gewesen, die aber bei einer polizeilichen Videoüberwachung keine Rolle spielen sollen 36. Mit dieser Betrachtung können Gefahren nicht hinreichend erkannt werden, die der menschlichen Persönlichkeit durch Anwendungen der Videotechnik drohen 37. Auch die spezifischen Möglichkeiten der Videotechnologie im Vergleich zu Fotografie und Tonband werden rechtlich kaum angesprochen 38. Arbeiten, die sich speziell zu Fragen der Videotechnik äußern, lassen eine rechtliche Prüfung der Tonaufnahme außer Betracht und beschränken sich auf den Aspekt der Bildaufnahme 39 • Dies überrascht, da Videotechnik durch die Kombination von Bild und Wort ein umfassenderes Abbild menschlicher Persönlichkeit ermöglicht als die Anwendung der Tonbandtechnik alleine 4O • Darüber hinaus besteht mit der Möglichkeit der modernen Tonverarbeitung und Stimmenauswertung ein verbessertes technisches Instrumentarium bei der Nutzung von Stimmaufnahmen 41 • Besonders deutlich zeigt sich die Nichtberücksichtigung der technischen Möglichkeiten der Videotechnik und ihrer psychologischen Wirkungen bei jenen Äußerungen im Schrifttum, die in bezug auf die Herstellung von Übersichtsoder Gesamtaufnahmen von Demonstrationen und anderen Massenveranstaltungen, wie etwa Fußballspiele, das Vorliegen eines Eingriffs verneinen, weil der Oben 4. Kap. A, B I 2, 3. BGH NJW 1991, S. 2651; oben 4. Kap. A 11. 37 Anders bei Weichert 1988, S. 4 ff.; oben 4. Kap. A III. 38 Eine Ausnahme bilden die Ausführungen von Weichert 1989, S. 24 ff.; auf die ,,höhere Intensität" bewegter Bilder im Vergleich zu Fotografien und Festbildem weist v. Hartlieb 1984, S. 45 hin. 39 Weichert 1988; Bernhardt 1988; Gola 1989; Braun 1990; Götz 1990; ein Hinweis findet sich allerdings bei Kowalczyk 1989, S. 122 ff.; oben 4. Kap. A III. 40 Vgl. BVerfGE 35, 202 [226 f.]-Lebach. 41 Oben 2. Kap. A III 3. 35

36

c. Kritik des Materials zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht

171

Einzelne nur ein anonymes Bildelement sei 42. Diese Äußerungen vernachlässigen die heutigen Möglichkeiten der Bildverbesserung und Bildvergrößerung (Rastervergrößerung) 43 sowie den Einschüchterungseffekt und den Anpassungsdruck, der jeder optischen Überwachung innewohnt 44 •

111. Das Material zum Schutzbereich und zum Eingriffsbegriff Soweit im vorliegenden Material die Frage untersucht wird, welche staatlichen Überwachungsmaßnahmen den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschränken, wird zwar von unterschiedlichen Ausgangspunkten ausgegangen, aber dieselbe Frage behandelt. So gehen "Sphärentheorie", "Rollentheorie," "Kommunikationstheorie" und "Selbstdarstellungstheorie" von der Bestimmung des Schutzbereichs her an das Problem heran, während "Schwellentheorie", "Theorie von der Verwaltungsinternalität" und "Eingriffstheorie" eher vom Begriff des Eingriffs ausgehen 45 • Gemeinsam ist allen Ansätzen das Bemühen, Grundrechtsberührungen durch staatliche Maßnahmen von solchen ohne Grundrechtsberührung abzugrenzen. Hierbei erscheinen jene Stimmen überzeugend, wonach durch Definition eines (neuen) Eingriffsbegriffs das Problem nicht gelöst werden kann 46 • Aus diesem Grunde sind Schwellentheorie, Eingriffstheorie sowie die Theorie der Verwaltungsinternalität und ihre Ergebnisse für das Beispiel der Videoüberwachung bereits aus methodischen Gründen nicht von Nutzen 47. Vielmehr ist der verfassungsrechtliche Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG durch Konkretisierung des Schutzbereichs zu bestimmen. Ist die Gewährleistung bestimmt, ergibt sich bereits unmittelbar aus ihr, welche staatlichen Maßnahmen eine Grundrechtsbeschränkung sind 48. Hierfür kann auch heute noch die kritisierte und relativierte Sphärentheorie Gesichtspunkte beisteuern. Allerdings erscheint sie auch im Hinblick auf die Videotechnik mit ihren Möglichkeiten der flächendeckenden Überwachung und elektronischen Verwendung der Aufnahmen zum Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit nicht mehr ausreichend. Daher kann das Gewicht eines Schutzgutes nicht mehr allein verräumlicht nach Sphären bestimmt werden. Dies erhellen für die Videotechnik insbesondere die von der Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit, sowie den rollen- und kommunikationstheoretischen Ansätzen geOben 4. Kap. B; B I 5. Dazu oben 2. Kap. A I, III 3 c bb. 44 Dazu oben 2. Kap. C. 45 Zu diesen Theorien oben 2. Kap. C I 2 b; 4. Kap. B I 1, 5. 46 Oben 4. Kap. B I 5. 47 Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel der Übersichtsaufnahmen von Menschenansammlungen, denen ein "Eingriffscharakter" abgesprochen wird, siehe oben 4. Kap. Bund B I 5; vgl. zur Kritik dieser Auffassung die soeben gemachten Ausführungen. 48 Vgl. Geiger 1989, S. 35 f., siehe auch oben 4. Kap. B 15; ähnlich auch Denninger 1987, S. 135. 42 43

172

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

machten Beobachtungen. Diese haben erwiesen, daß die freie Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen beeinträchtigt werden kann durch visuell-akustische Überwachung und Registrierung sowie durch die dysfunktionale Verwendung und Zusammenfügung der erlangten Informationen 49 • Aus diesen Gründen sind Stimmen abzulehnen, die den Schutz vor visuell-akustischer Überwachung allein vom Grad der Intimität oder Privatheit des überwachten Vorgangs oder von dem mehr oder weniger privaten Charakter stimmlicher Äußerungen abhängig machen wollen. Bereits äußere Erscheinung und Stimme des Einzelnen sind Ausdruck seiner Persönlichkeit und nicht erst der Inhalt des Gesagten oder die Intimität des Lebenssachverhalts, in dem er sich befindet. Angesichts der beschriebenen modernen Möglichkeiten der Bild- und Tonaufnahmetechnik sowie der Bild- und Tonverarbeitung einschließlich den Methoden der Bild- und Stimmerkennung drohen der freien Entfaltung des Einzelnen erhebliche Gefahren. Daher kann insbesondere nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts gefolgt werden, die rein geschäftliche Durchsagen und Äußerungen wegen angeblichen Fehlens eines Bezugs des Gesprächsinhalts zur Persönlichkeit vom Schutzbereich des eigenen Wortes ausnehmen möchten 50. Auch soweit bei Bildaufnahmen auf den privaten Charakter der aufgenommenen Szene abgestellt wird, oder Übersichtsaufnahmen und reine Beobachtungsmaßnahmen mit technischen Geräten von der Schutzbereichsberührung von vornherein ausgenommen werden, kann dem angesichts der technischen Möglichkeiten und den psychologischen Folgen solcher Maßnahmen nicht gefolgt werden. Die Relativierung der Sphärentheorie darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, daß innerhalb des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Schutzgüter unterschiedlichen Gewichts vorliegen können. Daher ist etwa die Wahrung des Intimbereichs für den Einzelnen noch immer von besonderer Bedeutung, nicht aber von vornherein staatlichen Zugriffen entzogen 51. Die insoweit geäußerten Zweifel an der Existenz eines unantastbaren Bereichs auf der Ebene des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind deshalb berechtigt 52 • Ob eine Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verfassungsmäßig ist, entscheidet sich ausschließlich bei den Schranken dieser Gewährleistung. Diese werden bekanntlich maßgeblich durch die Erfordernisse eines verfassungsrechtlich ausreichenden Eingriffszwecks, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Notwendigkeit verfassungsmäßiger gesetzlicher Grundlagen bestimmt. So gesehen stellt sich der Topos des "unantastbaren innersten Bereichs" richtigerweise dar als Anwendungsfall der Schranken, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, auf nicht zu rechtfertigende Schutzbereichsbeschränkungen. Oben 2. Kap. C 2 b; 4. Kap. B I 1. Oben 4. Kap. B I 3. 51 Zu Recht weist Benda auf den Sozialbezug gerade auch der Sexualität als intimster menschlicher Sphäre hin, Benda 1974, S. 30; vgl. auch F(}rsthoff 1964, S. 42 u. 44. 52 Amelung 1990, S. 1755 Fn. 27 und S. 1757 Fn.44 m. w. N. 49

50

C. Kritik des Materials zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht

173

IV. Zu den Schranken 1. Kritik an der Abwägungsdogmatik Die zu beobachtende Neigung, bei der Annahme einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Frage der gesetzlichen Ermächtigung zu übergehen und stattdessen sogleich eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen 53, gibt Anlaß zu Bedenken. Dieses Vorgehen mag seine Ursache in der Übernahme der zivilrechtlichen Schrankendogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts haben, die verfassungsrechtlich jedoch unergiebig ist. Dies wurde im Schrifttum zu recht kritisiert 54. Im Blick auf Lebach- und Epplerentscheidung ist jedoch zu bemerken, daß insoweit für das Bundesverfassungsgericht kein Anlaß zur Auseinandersetzung mit der Frage nach den erforderlichen gesetzlichen Grundlagen bestand. Denn dort ging es nicht um staatliche Maßnahmen, sondern um die Auslegung einfach-rechtlicher Vorschriften im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 55 . Die Kritik ist aber insoweit berechtigt, als es in der Tonbandentscheidung um die Verwertung (privater) Tonbandaufnahmen zu Beweiszwecken im Strafverfahren ging, mithin um einen staatlichen Eingriff in das Recht arn gesprochenen Wort.

2. Kritik am Begriff der "Informationsverantwortung" Wenig hilfreich im Hinblick auf die Ermittlung der Schranken erscheint auch das Abstellen auf das Bestehen einer polizeilichen "Informationsverantwortung"56, weil diese weder das Erfordernis gesetzlicher Bestimmungen als Grundlagen für Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entbehrlich machen kann noch an den Kriterien etwas zu ändern vermag, die von Verfassungs wegen für das Maß der Bestimmtheit gesetzlicher Grundlagen gelten.

3. Übertragung der Datenschutzdiskussion auf optisch-akustische Überwachungstechnik? Bedenken bestehen auch gegen die beobachtete Neigung zur pauschalen Übertragung der Datenschutzdiskussion auf Videotechnik und visuell-akustische Überwachungsgeräte im allgemeinen 57. Zwar weisen Videotechnik und elektroni53 Vgl. oben 4. Kap. B I 6 b cc. 54

b cc.

Lang-Hinrichsen 1970, S. 4; Bottke 1987, S. 357 f., 359; vgl. oben 4. Kap. B 16

55 Zutreffend Vahle 1983, S. 58.

56 Schotz / Pitschas 1984, S. 103 ff.; vgl. oben 4. Kap. B I 6 b cc (2) (b). 57 Oben 4. Kap. A III; B 14; B I 6 b cc (2) (b).

174

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

sche Datenverarbeitung sowohl technisch als auch in ihren psychologischen Wirkungen wesentliche Übereinstimmungen auf. Jedoch gibt es auch beachtliche Unterschiede. Die pauschale Übertragung hat in der Diskussion einerseits dazu geführt, Überwachungsmaßnahmen verkürzt unter dem Gesichtspunkt der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten zu würdigen. Es entstehen jedoch Unschärfen bei der Ermittlung der einschlägigen Gewährleistungen, wenn Aufnahme und Verwendung von Bild- und Tonaufnahmen lediglich als "Erhebung pesonenbezogener Daten mit technischen Mitteln" qualifiziert werden. Zwar enthalten Aufnahmen menschlicher Stimmen und Bilder regelmäßig personenbezogene Daten des Abgebildeten, sie "sind" aber keine personenbezogenen Daten. Auch wenn diese Differenzierung als etwas spitzfindig empfunden werden mag ergibt sich ihre Notwendigkeit daraus, daß Bild- und Stimmaufnahmen den Menschen in seiner biologisch-physikalischen Eigenart unmittelbar abbilden: sein Erscheinungsbild und seine Stimme werden von ihm gelöst, verselbständigt und für den Inhaber der Aufnahmen verfügbar gemacht. Personenbezogene Daten hingegen enthalten ein sinnlogisches Abbild von Verhalten und persönlichen oder sachlichen Verhältnissen des Betroffenen, das erst durch intellektuelle Arbeit aus der Bild- oder Stimmaufzeichnung gewonnen wird. Damit "ist" die Aufnahme kein personenenbezogenes Datum, sondern "enthält" unter Umständen solche. Durch die Gleichsetzung des visuellen oder stimmlichen Abbildes einer Person mit den daraus gewonnen personen bezogenen Daten geht diese wesentliche Differenzierung verloren. Dies wird in verschiedenen Äußerungen im Schrifttum deutlich empfunden, wiewohl nicht hinreichend klar ausgedrückt, wenn etwa ausgeführt wird, daß bei Stimmaufnahmen "zwischen Redeinhalt und Redegestaltung" zu trennen sei 58, daß "Informationen über eine Person von einer anderen Qualität als das Aussehen eines Menschen, dessen Stimme, dessen Gestik oder Mimik" 59 seien, oder daß "das Festhalten (des Bildes oder der Stimme einer Person) weit mehr als das bloße Beobachten durch Sehen und hören. . . sogar etwas ganz anderes" sei, daß "ein neues Objekt, das nicht nur als Sache interessiert" entstehe, sondern als Ausdruck der Persönlichkeit selbst, die auf Band festgehalten werde und durch die Fixierung der Apparatur einen Ausschließlichkeitsanspruch auf objektive Wahrheit erhalte, wie ihn sich keine sonstige Wiedergabe anmaße 60. Im übrigen rechtfertigt auch der Umstand, daß Bild- und Stimmaufnahmen elektronisch wie textliche Informationen gespeichert und verarbeitet werden können, ihre pauschale verfassungsrechtliche Gleichsetzung nicht 61 • Denn nicht das Medium der Speicherung von Lebensäußerungen ist der wesentliche Punkt für die Schutzbereichszuordnung, sondern ihr sachlicher Gegenstand. Ob beispielsBouke 1987, S. 357. Weichert 1988, S. 30; oben 4. Kap. A III. 60 Kowalczyk 1989, S. 122 f. ffi. H. a. Dürig 1958, Rnm.38, 39 Kap. A III. 61 So aber Weichert 1988, S. 30. 58

59

ffi.

w. N.; oben 4.

D. Kritik zur Behandlung heimlicher Überwachungsmaßnahmen

175

weise das Bild einer Sache oder eines Menschen elektronisch gespeichert wird, zwingt gerade nicht zur rechtlich gleichen Bewertung beider Sachverhalte. Aus diesen Unterschieden zwischen personenbezogenen Daten einerseits sowie Bild- und Stimmaufnahmen andererseits ergeben sich verfassungsrechtliche Konsequenzen in bezug auf die Beurteilung von einfachrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen für die Anfertigung und Verwendung von Videoaufnahmen. Bei der Prüfung der bestehenden Gesetze wird auf die - im Ergebnis zu verneinende - Frage zurückzukommen sein, ob die Erhebung und Verwendung von Videoaufnahmen auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen kann, die lediglich die Verwendung "personenbezogener Daten" zum Gegenstand haben. Auch im Hinblick auf die Forderung "bereichspezifischer" Bestimmungen für die Aufnahme und Verwendung von Videoaufnahmen 62 ist zu bedenken, daß Videoaufnahmen - anders als die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten - nicht von sämtlichen staatlichen Behörden benötigt und angefertigt werden. Polizei und Nachrichtendienste nehmen insoweit eine gewisse Ausnahmestellung ein. Daher ist die Gefahr einer Änderung des Verwendungszusammenhangs oder der dysfunktionalen Verwendung der Aufnahmen technisch zwar ebenso möglich, der Verwaltungspraxis aber nicht in dem Maße systemimmanent wie bei personenbezogenen Daten. Der Gesichtspunkt der "bereichspezifischen" Regelung zur Sicherung des Selbstbestimmungsrechts erscheint für Videoaufnahmen mithin nicht so gewichtig zu sein, wie er es für die Erhebung und Verwertung personenbezogener Daten ist. Daraus ergibt sich freilich nicht, daß in bezug auf die Videotechnik geringe Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen zu stellen sind.

D. Kritik zur Behandlung heimlicher Überwachungsmaßnahmen Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur werden weder Art. 1 Abs. 1 GG, die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze, das durch eine heimliche Maßnahme eingeschränkte Grundrecht selbst noch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als verfassungswidrig beschränkt angesehen, wenn eine gesetzliche Bestimmung und die auf ihrer Grundlage heimlich vorgenommene Maßnahme notwendig zur polizeilichen Aufgabenerfüllung sind, und wenn dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung getragen wird, daß die nachträgliche Unterrichtung in den Fällen erfolgt, in denen eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung ausgeschlossen werden kann 63. Dieser Ansatz trifft jedoch nicht den verfassungsrechtlich entscheidenden Gesichtspunkt. Zwar trifft es zu, 62

Weichert 1988, S. 30.

Vgl. oben 4. Kap. B IV; anders für heimliche Beschränkungen von Art. 13 Abs. 1 GG de Lazzer / Rohlf 1977, S. 211, Seifert 1987, S. 271 oben 4. Kap. B 11 2. 63

176

5. Kapitel: Würdigung und Kritik des vorliegenden Materials

daß geheime und geheim bleibende staatliche Überwachungsmaßnahmen die Menschenwürde nicht kränken, wenn sie zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten durchgeführt werden. Denn dann sind sie nicht Ausdruck staatlicher Geringschätzung und Mißachtung des Betroffenen. Dies wurde bereits dargetan. Aus demselben Grund gilt dies auch für Einschränkungen des Schutzbereichs der Grundrechte des Betroffenen: der Wesensgehalt der Freiheitsrechte wird durch den Umstand heimlicher Überwachung ihres Freiheitsbereichs allein nicht angetastet (andernfalls bedürfte es übrigens eines verfassungsändernden Gesetzes, Art. 19 Abs. 2 GG). Ob eine heimliche Überwachungsmaßnahme zulässig ist, entscheidet sich im Zusammenhang mit den Freiheitsrechten vielmehr erst auf der Stufe ihrer Rechtfertigung am Maßstab der Schranken. Hierbei ist an die einzuhaltenden, wohlbekannten verfassungsrechtlichen Kriterien der Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Maßnahme zur Erreichung eines verfassungsrechtlich legitimen Zwecks und das Erfordernis verfassungsmäßiger gesetzlicher Grundlagen zu erinnern. Bereits aus dem Gesetzesvorbehalt ergibt sich die Notwendigkeit der Regelung heimlicher Grundrechtsbeschränkungen durch den Gesetzgeber. Allerdings ist damit noch nicht gesagt, daß die Zulassung heimlicher Überwachungsmaßnahmen durch den einfachen Gesetzgeber auch zulässig ist. Hiergegen bestehen verfassungsrechtliche Bedenken vor allem im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine Einschränkung der Rechtsweggarantie darin, daß heimliche Maßnahmen ermöglicht werden und ihre Bekanntgabe an den Betroffenen ausgeschlossen wird; denn der Rechtsweg ist praktisch ausgeschlossen, wenn die Maßnahme, von der dyr Betroffene nichts merkt, weder vorher noch nachher mitgeteilt wird 64. Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Einschränkung in der stark kritisierten, mit 5:3 Richterstimmen ergangenen, Abhörentscheidung durch verfassungsänderndes Gesetz im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG für zulässig erachtet. Aus dieser Entscheidung kann aber nicht der Schluß gezogen werden, eine entsprechende Beschränkung von Art. 19 Abs. 4 GG sei bereits durch einfaches Gesetz zulässig. Das Gegenteil ist der Fall. Art. 19 Abs. 4 GG selbst sieht nicht die Möglichkeit einer einfachgesetzlichen Beschränkung vor. Eine solche ergibt sich auch nicht aus den in den Grundrechtsbestimmungen enthaltenen Gesetzesvorbehalten oder aus den Grundrechtsartikeln über die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr (vgl. Art. 73 Nr. 10 GG, Art. 74 Nr. 1 GG, Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG). Die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte geben nur die Möglichkeit zur inhaltlichen Beschränkung der freiheitsrechtlichen Gewährleistungen nach Maßgabe der Verfassung. Sie haben nicht den Sinn, die in Art. 19 Abs. 4 GG enthaltene Garantie zu beschränken, Maßnahmen der Behörden durch ein unabhängiges Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

64

So ausdrücklich BVerfGE 30, 1 [15 f.];

ob~n

4. Kap. B VI.

E. Kritik zur Behandlung der Vorfeldproblematik

177

Den verfassungsrechtlichen Kompetenzbestimmungen zur Strafverfolgung und Straftatverhinderung kann ebensowenig der Sinn entnommen werden, Verfahrensgrundrechte einzuschränken 65. Die in der Ermächtigung zur heimlichen Überwachung von Personen liegende Einschränkung der Rechtsweggarantie bedarf daher grundsätzlich einer Änderung von Art. 19 Abs. 4 GG durch verfassungsänderndes Gesetz, wie dies im Falle des Art. 10 GG durch Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG geschehen ist. Ob jede unbekannt bleibende staatliche Maßnahme, die dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird, als Einschränkung der Rechtsweggarantie anzusehen ist, kann hier offenbleiben. Bei gewichtigen Grundrechtseinschränkungen - wie der Überwachung mit Videogeräten - ist dies jedenfalls zu bejahen. Hingegen wird von einer Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gesprochen werden können, wenn auf Grund eines Gesetzes eine staatliche Überwachungsmaßnahme zwar geheim vorgenommen und dem Betroffenen auch nachher nicht mitgeteilt wird, jedoch eine amtswegige Prüfung der Maßnahme durch ein Gericht entweder vor oder nach Durchführung der Maßnahme gesetzlich vorgesehen ist. Aus dieser Überlegung folgt die Notwendigkeit der durch Gesetz zu regelnden gerichtlichen Anordnung oder Prüfung geheimer staatlicher Überwachungsmaßnahmen. Fehlte sie, wären heimliche Überwachungsmaßnahme und das zu ihr ermächtigende Gesetz wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG verfassungswidrig.

E. Kritik zur Behandlung der Vorfeldproblematik Im Schrifttum werden Überwachungsmaßnahmen, die sich gegen andere Personen als Straftatverdächtige oder Störer richten, mit dem Argument als verfassungswidrig abgelehnt, der Staat dürfe nicht jedermann als potentiellen Straftäter behandeln, sondern habe seine Bürger als unbescholten und loyal anzusehen 66. Gegen die Richtigkeit dieser Meinung gibt es nichts einzuwenden. Der Ansatz trifft aber nicht den verfassungsrechtlich wesentlichen Punkt. Entscheidend ist nämlich nicht, ob der Staat den Einzelnen als potentiellen Täter behandeln darf - was abzulehnen ist - , sondern, ob und wann der Staat Unverdächtige, die er gerade nicht als potentielle Straftäter ansieht, mit Überwachungsmaßnahmen belasten darf. Hierauf wird bei der Prüfung der Videoanwendungen zurückzukommen sein 67 •

65 66 67

A. A. wohl BVerwG NJW 1990, S. 2766; oben 4. Kap. B 16 b ce (2) (b).

Siehe oben 4. Kap. B IV 3. Unten 6. Kap. A IV 1, 2 b dd (2); 6. Kap. C.

12 Geiger

Sechstes Kapitel

Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen unter Berücksichtigung der technischen, kriminalistischen und psychologischen Bedingungen A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab Als verfassungsrechtlicher Maßstab für die zu prüfenden Anwendungen der Videotechnik kommt in erster Linie Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in Betracht. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht als "unbenanntes" Freiheitsrecht nicht lediglich subsidiäres Auffanggrundrecht im Verhältnis zu den speziellen Freiheitsrechten ist, steht seiner vorrangigen Prüfung auch systematisch nichts im Wege.

I. Konkretisierung der Gewährleistungen 1. Die einzelnen Gewährleistungen

Die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte freie Entfaltung der Persönlichkeit enthält unter den Bedingungen der modernen Bild- und Tonaufnahme- und verarbeitungstechnologie die Gewährleistung eines Rechts am eigenen Bild, an der eigenen Stimme, das Recht des Einzelnen, von staatlicher Beobachtung mit visuell-akustischen technischen Geräten verschont zu bleiben sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese Verbürgungen sind Ausfluß des als Konkretisierung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das Recht am eigenen Bild gibt dem Einzelnen die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Aufnahme und Verwendung seines Bildes zu entscheiden. Begrifflich umfaßt das eigene Bild jede Abbildung des menschlichen Körpers oder von Teilen des Körpers, die eine Identifizierung, auch unter Zuhilfenahme technischer Mittel und von Zusatzkenntnissen, ermöglicht. Darunter fallen Gesicht, Gestalt, Hände, Finger und dergleichen mehr. Das Recht an der eigenen Stimme gewährleistet dem Einzelnen dieselbe Befugnis in Ansehung seiner Stimme. Die eigene Stimme ist jede lautliche Äußerung

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

179

des Menschen, wie beispielsweise Sprechen, Singen und andere Laute, deren physikalisches Abbild die Einzigartigkeit und Eigenart ihres Urhebers enthalten. Das Recht, von staatlicher Beobachtung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben, gibt dem Einzelnen unabhängig von Ort und Intimität des Lebenssachverhalts die Befugnis, nicht Adressat staatlicher Überwachung mit technischen Geräten - wie etwa Sichthilfen, Abhöreinrichtungen und Videogeräten - zu sein. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt dem Einzelnen bekanntlich das Recht, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.

2. Begründung der Konkretisierungen Unter den gegenwärtigen und stärker noch den künftigen Bedingungen der elektronischen Bild- und Tonaufnahme-, -verarbeitungs- und -übermittlungstechnik ist es kein technisches Problem mehr, jedermann zu jeder Zeit an beliebigen Orten in Wort und Bild aufzunehmen, diese Aufnahmen in prinzipiell unbegrenzter Zahl abzuspeichern und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten verfügbar zu halten. Die modeme Telekommunikation mit ihren Mitteln der sekundenschnellen Übermittlung von Bildern und Tönen über weite Distanzen ermöglicht gegenwärtig und verstärkt in Zukunft grundsätzlich die beliebige Verfügbarkeit des akustischen und optischen Abbilds des Einzelnen und gefährdet auf diese Weise die Verfügungsmacht über die Verwendung seines Bildes und seiner Stimme. Die Aufnahmen können mit textlichen personenbezogenen Daten verknüpft und in Zusammenhängen verwendet werden, die mit dem ursprünglichen Zweck der Aufnahme nicht mehr identisch sind. Die Gefahr der Verknüpfung und dysfunktionalen Verwendung ist zwar bei Video aufnahmen nicht so hoch wie bei personenbezogenen Daten, da jene nicht von sämtlichen Behörden der öffentlichen Verwaltung, sondern in erster Linie von den für die innere Sicherheit zuständigen Organen benötigt werden 1. Auf Grund der technischen Möglichkeiten besteht aber auch insoweit ein Gefährdungspotential. Der Schutz einer jeden stimmlichen Äußerung und nicht lediglich des gesprochenen Wortes erscheint im Hinblick auf die modemen Methoden der Stimmaufnahme, Stimmidentifizierung und -verifizierung geboten. Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der Verfügungsbefugnis über das eigene Bild und die eigene Stimme ergibt sich zweitens aus den psychologischen Wirkungen, die eine Gesellschaftsordnung haben müßte, in der jedermann_zu jeder Zeit und an jedem Ort damit rechnen müßte, in Wort und Bild beobachtet und aufgenommen zu werden. Dies müßte nach gegenwärtigem Stand der Psycho1 Eine erkennungsdienstliche Behandlung von Personen ist auch noch in § 41 i. V. m. § 78 Ausländergesetz, in § 13 Asylverfahrensgesetz sowie § 6 Abs. 3 Paßgesetz vorgese-

hen, vgl. Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 30. 12*

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

logie zu angepaßten Verhaltensweisen und zur Venneidung der Freiheitsausübung in jenen Bereichen führen, deren Überwachung vennutet wird und erst recht dort, wo optische und akustische Überwachung wirklich stattfinden. Diese Ängste könnten verstärkt unter den gegenwärtigen polizeistrategischen Bedingungen entstehen, deren Kennzeichen die zunehmende Dominanz des mit technischen Mitteln gewonnenen Beweises und die Verstärkung präventiver Kontrollstrategien - die nicht zuletzt verbreiteten Verbrechensängsten Rechnung tragen sind. Hier besteht auch die Gefahr der Verabsolutierung der Video aufnahmen als Beweismittel im Strafprozeß, die angesichts der beschriebenen Möglichkeiten der Bildmanipulation bei unkritischer Anwendung durch die Strafverfolgungsorgane zu ungerechten Verdächtigungen führen könnte. Das Recht am eigenen Bild und an der eigenen Stimme sind - wie das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung im Hinblick auf persönliche Daten unabhängig von der Sensibilität der Aufnahme und unabhängig davon zu gewährleisten, ob sie in der Intim-, Privat- oder Öffentlichkeitssphäre erfolgt. Eine für sich genommen hannlose Bild- und Stimmaufnahme kann, wenn sie im Rahmen polizeilicher Ennittlungsverfahren verwendet wird, an Bedeutung gewinnen. Da bei den modernen Methoden der Stimm- und Bildauswertung zur Identifizierung von Tätern Stimmsequenzen und Bildaufnahmen genügen, kann für die persönlichkeitsrechtliche "Schwere" oder Relevanz der Beschränkung auf den intimen Charakter der Aufnahmen allein nicht mehr abgestellt werden. Dies gilt auch deswegen, weil hannlose Portraitaufnahmen und Stimmaufzeichnungen von Gesprächen unpersönlichen Inhalts eine Belastung für den Betroffenen sein können, wenn sie zu Zwecken der Verbrechensbekämpfung verwendet werden. Endlich erscheint die Verfügungsmacht des Einzelnen angesichts der Möglichkeiten der modernen Bild- und Tonübertragungstechnik und ihre Nutzung durch die Polizeien in Bund und Ländern in Fonn eines Infonnationssystems als gefährdet. Wegen der technisch möglichen Umwandelbarkeit der Aufnahmen gilt dies unabhängig davon, ob es sich um herkömmliche Papierbilder oder elektronisch vorliegende Bildaufnahmen, ob es sich um auf herkömmlichen Tonbändern elektromagnetisch aufgezeichnete oder auf Rechnern oder Bildplatten gespeicherte Stimmaufnahmen handelt. Die Notwendigkeit eines verfassungsrechtlichen Schutzes der Aufnahme von Stimme und Bild sowie aller nachfolgenden Verwendungsphasen einschließlich einer Änderung des Verwendungszwecks ergibt sich aus den genannten technischen, psychologischen und kriminalistischen Gesichtspunkten und Gefahren für die menschliche Persönlichkeit. Soweit Personen mit Videokameras und anderen technischen Geräten nur beobachtet, aber nicht aufgezeichnet werden, kommen weder das Recht· am eigenen Bild noch das Recht an der eigenen Stimme in Betracht. Denn beim Beobachten ohne Festhalten des Gesehenen und Gehörten wird nicht von Staats wegen über Erscheinung und Stimme des Betroffenen verfügt.

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

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In diesen Fällen wird aber das Recht, von staatlicher Beobachtung mit technischen Geräten verschont zu bleiben, als weitere Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingeschränkt. Diese Gewährleistung findet ihre Notwendigkeit in dem Umstand, daß bereits durch die bloße Beobachtung mit Geräten, die den natürlichen menschlichen Sinnen überlegen sind, ein Überwachungsdruck entsteht, welcher psychologische Folgen beim Betroffenen auslöst, die eine freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht mehr zulassen. Diese psychologischen Folgen der Überwachung mit Sichthilfen 2 und Abhörhilfen treten grundsätzlich unabhängig vom Ort der Überwachung ein. Folglich kann es für die Schutzbedürftigkeit auf den Grad der Intimität des überwachten Sachverhalts nicht ankommen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterscheidet sich vom Recht am eigenen Bild und an der eigenen Stimme dadurch, daß Bild- und Tonaufnahmen zwar regelmäßig personenbezogene Daten enthalten, die durch Abspielen der Aufnahmen im Wege gedanklicher Arbeit festgestellt werden können. Sie erschöpfen sich aber darin nicht. Denn Bild- und Wortaufnahmen bilden den Menschen in seiner biologisch-physikalischen Eigenart unmittelbar ab: Sein Erscheinungsbild und seine Stimme werden von ihm gelöst, verselbständigt und für den Inhaber der Aufnahmen verfügbar gemacht. Personenbezogene Daten hingegen enthalten ein sinn-logisches Abbild des Verhaltens sowie der persönlichen und sachlichen Verhältnisse des Betroffenen. Damit "ist" die Aufnahme kein personenenbezogenes Datum sondern "enthält" unter Umständen Informationen über die persönlichen und sachlichen Verhältnisse des Abgebildeten. Vom Recht, vor staatlicher Beobachtung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben, unterscheidet sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dadurch, daß zwar das Gesehene und Gehörte auf Grund der Erinnerungs- und Aufnahmefähigkeit des Beobachters wiedergegeben werden kann. Dies muß aber nicht sein. Insbesondere bei selbsttätigen und automatischen Videokameras wird das Geschehen nicht permanent von Überwachungspersonal registriert. Dennoch sieht sich der durch die Kamera Beobachtete überwacht und damit einem psychologischen Überwachungsdruck ausgesetzt. Oft wird er auch nicht erkennen können, ob er lediglich beobachtet wird, oder Aufzeichnungen hergestellt werden. Die Beeinträchtigung der freien Persönlichkeitsentfaltung wird demnach nicht erst durch die aus dem Lebenssachverhalt gewonnene Information gehemmt, sondern stellt sich bereits auf Grund des Beobachtetwerdens ein.

2 Die Eingriffsqualität einer Beobachtung mit Fernglas oder dem bloßen Auge verneinen Lang-Hinrichsen 1970, S. 88; Vahle 1983, S. 36 ff. zum Problem der Verstärkung der Beeinträchtigung durch die Verwendung von optisch-akustischer Technik; ebenso Meyer, 1982, S. 42 f.; in dieselbe Richtung auch Knieseil Tegtmeyer I Vahle 1986, S.226.

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

11. Konkretisierung der Schranken Die Tragweite der konkretisierten Gewährleistungen unter dem Aspekt der polizeilichen Anwendungen der Videotechnik steht jedoch erst nach Bestimmung seiner Schranken fest 3• Nach Art. 2 Abs. 1 GG ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nur in den Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung, verstanden als die Gesamtheit der verfassungsmäßigen Rechtsnormen, gewährleistet 4 • Diese Beschränkung des Einzelnen durch das Grundgesetz selbst ist Ausdruck des ihm zugrundeliegenden Menschenbilds, welches nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums und nicht das des selbstherrlichen Menschen ist 5• In bezug auf die zu prüfenden Anwendungen sind weitgehend entsprechende Gesichtspunkte wie bei der Datenschutzdiskussion beachtlich. Da diese Gesichtspunkte freilich nicht pauschal auf die Möglichkeiten der Videotechnik übertragen werden dürfen, besteht insoweit - wie bereits beim Schutzbereich - Konkretisierungsbedarf. Dabei ist festzuhalten, daß die Anwendung der Videotechnologie angesichts ihrer technischen Möglichkeiten, dem ihr innewohnenden Überwachungsdruck, den die Sphäre des Einzelnen stark berührenden Zwecken der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten 6 , den von der Polizei entwickelten Strategien der Verbrechensbekämpfung sowie den beschriebenen psycholgischen Auswirkungen der Anwendung für den Einzelnen und das Gemeinwesen beträchtliche Gefahren bergen. Aus diesen Umständen folgt, daß in bezug auf Anwendungen der Videotechnik zu Zwecken der Verbrechensbekämpfung im Hinblick auf die Schranken strenge Maßstäbe anzulegen sind. Dies gilt um so mehr, als seit 1949 eine kontinuierliche Gewöhnung an den stetig ausgeweiteten staatlichen Einsatz von Überwachungstechnik festgestellt werden kann 7.

1. Inhaltlich bestimmte Regelung des Wesentlichen Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedürfen gesetzlicher Grundlagen, die ihrerseits verfassungsmäßig sein müssen. Insbesondere müssen die in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen dem Bestimmtheitsgebot genügen und zum Schutze des Rechts am Bild, an der eigenen Stimme, vor Vgl. Hesse 1988, S. 308. Das "Sittengesetz" hat in der Dogmatik der Schrankentrias keine Bedeutung erlangt; den "Rechten anderer" kommt auch keine selbständige Bedeutung zu, da diese bereits Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sind. 5 BVerfGE 65, 1 [44] m. H. auf BVerfGE 4, 7 [15]; 8,274 [329]; 27, 1 [7]; 27, 344 [ 351 f.]; 33, 303 [334]; 50, 290 [353]; 56, 37 [49]. 6 BVerfGE 42, 143 [148 f.]. 7 Vgl. de Lazzer I Rohlf 1977, S. 213. 3

4

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

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Überwachung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben sowie auf informationelle Selbstbestimmung verfahrensrechtliche und organisatorische Vorkehrungen treffen. Nach allgemeinem Verständnis des Bestimmtheitsgebots und der Wesentlichkeitslehre hat der Gesetzgeber den rechts staatlichen Grundsatz der Normenklarheit in der Weise zu beachten, daß sich aus der gesetzlichen Grundlage selbst Voraussetzungen, Umfang und Zweck der Beschränkungen in den verschiedenen Phasen klar und für den Bürger erkennbar ergeben s. Die in diesem Zusammenhang im Schrifttum geäußerte Meinung, daß im Bereich der Inneren Sicherheit aufgrund sich ändernder Lagen und sich entwickelnder Kriminalitäts- und Gefahrenphänomene in kurzer Zeit Vorschriften geändert oder ergänzt werden müßten, und die deshalb gebotene Flexibilität durch begrenzte Generalklauseln erreicht und gesichert werden soll 9, ist zwar ein beachtlicher Gesichtspunkt, aus dem sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit von Ermächtigungsgrundlagen verringern können. Das Gebot der Rechtssicherheit wird insoweit begrenzt durch das Gebot, praktikable und gerechte Entscheidungen im Einzelfall zu gewährleisten. Grundsätzlich darf der Gesetzgeber deshalb Generalklausein zur Regelung von Lebensbereichen verwenden, die infolge ihrer Dynamik oder Vielgestaltigkeit im voraus nicht überschaut und daher durch inhaltlich präzise Regelungen befriedigend nicht geregelt werden können 10. Diese Umstände treffen prinzipiell auch für die Anwendungen der Videotechnik zur Straftatbekämpfung zu. Dennoch muß sich der Gesetzgeber um soviel Normenklarheit bemühen, wie dies aus der Natur der zu regelnden Sachverhalte möglich ist. Dies folgt aus dem hohen Rang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem hohen Gefährdungspotential der Anwendung der Videotechnik unter den modernen Bedingungen der Bild- und Tonaufnahme- und -verarbeitungstechnik. Im Hinblick auf die Anwendungen der Videotechnik muß der Einzelne deshalb, notfalls mit der Hilfe eines Rechtskundigen, den gesetzlichen Bestimmung zumindest entnehmen können, daß Bild- oder Stimmaufnahmen gemacht, oder mit technischen Geräten stimmliche Äußerungen und äußere Erscheinung überwacht werden dürfen, zu welchen Zwecken und unter welchen Voraussetzungen dies geschehen soll, sowie ob und unter welchen Voraussetzungen die Aufnahmen verwendet und an welche Stellen weitergegeben werden dürfen, sowie unter welchen Voraussetzungen die Polizei sich Videoaufnahmen von Dritten beschaffen darf. Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Ermächtigung zu jeder dieser Verwendungen von Videoaufnahmen ergibt sich aus dem Eingriffscharakter einer über die Herstellung hinausgehenden Nutzung der Aufnahmen. Wegen der Schwere und des in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes bestehenden Ausnahmecharakters heimlicher Maßnahmen des Staates muß das Gesetz auch klar erkennbar regeln, ob und wann Videobeobachtungen und -aufzeichnungen S

9 10

BVerfGE 65, 1 [44] m. H. auf BVerfGE 45, 400 [420] m. w. N.

Rupprecht 1989, S. 305.

Vgl. zu diesem Problem Benda 1986, S. 73 m. N. der Rspr. d. BVerfG.

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

geheim und ohne Wissen des Betroffenen erfolgen dürfen. Dies ist der notwendige normative Ausgleich für die Nichterkennbarkeit der Überwachungsmaßnahme im Einzelfall!!. Dabei ist festzuhalten, daß eine heimliche Beobachtung oder Aufnahme wesensverschieden ist von einer offenen, aber gegen den Willen des Betroffenen erfolgenden Maßnahme. Dies folgt aus den bereits dargestellten!2 unterschiedlichen psychologischen Folgen offener und dem Betroffenen unbekannt bleibender visuell-akustischer Überwachung. Ebenfalls geboten erscheint die Aufnahme in den Wortlaut einer Ermächtigungsgrundlage, ob und unter welchen Umständen sich eine Überwachungsmaßnahme entgegen dem eigentlichen Zweck der Strafverfolgung und Strafverhütung gegen Personen richten soll, die weder im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, noch eine Straftat begehen zu wollen. Im Blick darauf, daß jede Änderung im Nutzungszweck von Videoaufnahmen eine neue Einschränkung der Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, bedarf jede Zweckänderung einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage. Auf Grund einer derartigen Grundlage kann das "Verbot der Zweckentfremdung" überwunden werden, solange nicht tendenziell unvereinbare Zwekke betroffen sind 13. Unterlagen für die Straftatverhinderung (präventive Unterlagen) einerseits und Strafverfolgungsunterlagean (repressive Unterlagen) andererseits dienen freilich nicht unvereinbaren Zwecken, sondern jeweils auf ihre Weise dem übergeordneten Zweck der Straftatbekämpfung. Die soeben genannten, für die Verwirklichung der Schutzgüter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wesentlichen Umstände können ohne nennenswerte regelungstechnische Probleme vom Gesetzgeber formuliert werden. Insoweit gibt es keine Schwierigkeiten im Hinblick auf die Abfassung von Eingriffsvoraussetzungen. Dynamische Entwicklungen von Verbrechen und Verbrechensbekämpfungsstrategien oder die "Vielgestaltigkeit" der Lebensverhältnisse im Bereich der Verbrechensbekämpfung können nicht als Argument gegen insoweit präzise gesetzliche Bestimmungen angeführt werden. Deshalb ist es von Verfassungs wegen geboten, diese wesentlichen Punkte durch den Gesetzgeber selbst und klar erkennbar zu regeln. Eine nähere Beschreibung der verwendeten technischen Mittel zur Beobachtung und Aufnahme von Menschen in Bild und Ton erscheint demgegenüber wegen des raschen und künftig sich noch beschleunigenden technischen Wandels der Geräte und ihrer Bezeichnung im Wirtschafts- und Rechtsleben von Verfassungs wegen nicht geboten, solange deutlich wird, daß, wie und in welche 11 Ob diese Überlegungen auch für das Gebiet des Verfassungsschutzes und das ,,nachrichtendienstliche Mittel" gelten, kann hier offenbleiben. Es erscheint jedoch nicht unproblematisch, sollte das Wesen nachrichtendienstlicher Tätigkeit auf die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Nonnenklarheit und Bestimmtheit durchschlagen. !2 Oben 2. Kap. C I 2. !3 Vgl. BVerfGE 61, 1.- 4. Leitsatz.

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verfassungsrechtlichen Schutzgüter eingegriffen werden soll. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß die technische Entwicklung - wie bei Telefon und Lichtbild bereits geschehen - den Gesetzeswortlaut überholt.

2. Organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen Angesichts der dargelegten Möglichkeiten der Videotechnik, die unter den Bedingungen der elektronischen Bild- und Tonverarbeitung eingesetzt werden kann, sind, ebenso wie im Zusammenhang mit der herkömmlichen elektronischen Datenverarbeitung, vom Gesetzgeber mehr als früher organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken 14. Hierunter fällt die Regelung von Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten für polizeiliche Video aufnahmen. Namentlich die präventive Speicherung und Aufbewahrung von Videoaufnahmen bedarf der regelmäßigen Überprüfung, weil keine empirischen Prognoseinstrumente für den Wirkungsgrad der Abschreckung und die Einschätzung der Gefährlichkeit bereits straffällig Gewordener existieren und solche Prognoseinstrumente auch künftig nicht wesentlich verbessert werden können. Überprüfungsintervall und Höchstdauer von Speicherung oder Aufbewahrung sind durch Gesetz zu normieren, was ebenfalls keine nennenswerten gesetzgebungstechnischen oder rechtsgestalterischen Schwierigkeiten aufwirft. Dies beweist etwa die Vorschrift des § 67 e StGB, der die regelmäßige Überprüfung der Aufrechterhaltung freiheitsentziehender Maßregeln gegen gefährliche Straftäter anordnet. Im Zusammenhang mit Auskunfts- und Benachrichtigungsansprüchen des Betroffenen ist in Erinnerung zu rufen, daß der Gesetzgeber im Bereich der Straftatbekämpfung diese nur so weit zu normieren hat, als die Erteilung von Auskünften nicht den Zweck der Bild- und Stimmverarbeitung gefährdet oder vereitelt. Insoweit ist an die bereits besprochene 15 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum G-IO Gesetz zu erinnern l6 •

3. Weitere Anforderungen an Beschränkungen Über die genannten Anforderungen hinaus müssen die gesetzlichen Bestimmungen ebenso wie die auf ihrer Grundlage ergehenden Maßnahmen weiteren, wohlbekannten verfassungsrechtlichen Kriterien genügen: Sie müssen im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit ergehen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit respektieren. Die inhaltlichen Anforderungen dieser Prinzipien sind 14 15

16

Vgl. BVerfGE 65, 1 [44]. Oben 4. Kap. B IV 3, VI. BVerfGE 30, 1.

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

auch unter den Bedingungen der modemen Video- und Informationstechnologie ausreichend. Insoweit kann es mit ihrer Anwendung auf die zu prüfenden Sachverhalte ihr Bewenden haben. Die Anwendung dieser zu den Gewährleistungen und den Schranken ausgeführten Grundsätze auf die typisierten polizeilichen Anwendungen der Videotechnik bei der Kriminalitätsbekämpfung führt zu den folgenden Ergebnissen.

111. Prüfung einer Schutzbereichsbeschränkung durch die einzelnen Anwendungen 1. Beobachtung Soweit Videogeräte lediglich als technische Sicht- und Abhörhilfen verwendet werden, ohne daß es zur Aufzeichnung der Bilder und Stimmen kommt, liegt ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild und der eigenen Stimme nicht vor. Dem steht das Wesen dieser Gewährleistungen als Verfügungsrechte über das eigene Erscheinungsbild und die eigene Stimme entgegen: Da es bei bloßer Beobachtung an einer technisch bewirkten Loslösung und Fixierung von Erscheinung und Stimme fehlt, ist das Verfügungsrecht des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Etwas anderes könnte allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Verfügungsrechts angenommen werden, wenn man darauf abstellt, daß, wo mit einer Videokamera beobachtet wird, irgendwann auch Aufzeichnungen angefertigt werden. Dies kann aber nicht grundsätzlich angenommen werden, da es - wie beschrieben - Videokameras gibt, die keine Aufzeichnungsmöglichkeit besitzen und die ausschließlich zur Beobachtung verwendet werden. Auch der Umstand, daß selbst bei der Beobachtung mit der eingeschalteten Videokamera im Sucher oder auf einem Bildschirm ein elektronisches Abbild erzeugt wird, kann zu keiner anderen Bewertung führen. Denn ohne eine Aufzeichnung geht das Abbild sofort und unwiderruflich verloren. Eine Verfügungsmöglichkeit durch den Überwachenden entsteht gerade nicht 17. Die bloße Beobachtung von Personen mit einer Videokamera beschränkt jedoch das Recht der Betroffenen, vor staatlicher Überwachung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben. Soweit durch die Beobachtung personenbezogene Daten zu dem überwachten Lebenssachverhalt erhoben werden, ist daneben auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen, wobei die genannten Gewährleistungen unabhängig von der Intimität des beobachteten Lebenssachverhalts eingeschränkt werden.

17 Zweifelnd Weichert 1988, S. 28; Amelung / Tyrell1980, S. 1561; vgl. auch Mende 1983, S. 17.

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2. Aufnahme, Aufzeichnung Die Anfertigung von Videoaufzeichnungen von Personen in Wort und Bild, die eine Identifizierung des Betroffenen ermöglichen, beschränkt dessen Rechte am eigenen Bild, an der eigenen Stimme und auf informationelle Selbstbestimmung. Die Abbildung des Gesichts des Betroffenen ermöglicht grundsätzlich die Identifizierung. Aber auch die Abbildung der Gestalt oder von Körperteilen enthält die Möglichkeit einer Identifizierung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die dargelegten Methoden der Personenerkennung, die sich künftig noch verbessern werden. Die Stimme wird bei Videoaufnahmen in der Regel schon in Verbindung mit dem optischen Abbild des Sprechers identifizierbar sein. Darüber hinaus kann sie jedoch auch unabhängig davon auf Grund ihrer physikalischen Eigenart anband von Stimmerkennungs- und Stimmverifikationsmethoden den Sprecher preisgeben. Auch Aufnahmen, die für sich genommen nicht zur Identifizierung der Person führen, auf denen die Person aber erkennbar ist, schränken die genannten Schutzbereiche ein. Denn auch insoweit handelt es sich um Abbilder der Persönlichkeit des Betroffenen. Die Identifizierbarkeit der auf Videoaufnahmen abgebildeten Personen kann im übrigen auf Grund der gegenwärtigen Methoden der Rastervergrößerung der Videoaufnahmen und Bildverbesserung für sogenannte Übersichtsaufnahmen nicht generell abgelehnt werden, sondern muß im Gegenteil grundsätzlich bejaht werden. Darüber hinaus beschränkt jede erkennbare Abbildung einer Person in Wort und Bild auch deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Denn solche Aufzeichnungen enthalten persönliche Daten. Dies ergibt sich entweder aus dem Kontext der Videoaufnahme - z. B. Besuch des X auf der Demonstration in Y am Tag Z - oder aber aus dem Abbild selbst - z. B. X hat helle Augen, abstehende Ohren etc. Mindestens die Tatsache der Anwesenheit und der stimmlichen Äußerung der aufgenommenen Person ist als persönliches Datum enthalten. Bei alledem kommt es auf den mehr oder weniger intimen Charakter der Aufnahme nicht an. Ohne Bedeutung ist es auch, welchen Inhalt (privat - geschäftlich) die stimmliche Äußerung hat oder ob der Ort der Aufnahme öffentlich oder privat ist. Als Einschränkung auszuscheiden sind mithin nur die Fälle, in denen die Aufnahme auf Grund technischer Mangelhaftigkeit auch unter Zuhilfenahme von Bildverbesserungstechniken nicht brauchbar ist.

3. Überwachung bei der Ausübung spezieller Freiheitsrechte Nach dem bei der Würdigung von Rechtsprechung und Literatur Gesagten sind bei der Überwachung und Aufzeichnung der Ausübung spezieller Freiheitsrechte mit Videogeräten ebenfalls die Gewährleistungen aus Art. 2 Abs. 1 GG und nicht die speziellen Freiheitsrechte einschlägig. Dies gilt auch angesichts

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

der vorgestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 18. Nicht um die Überwachung der Ausübung spezieller Grundrechte geht es bei der Überwachung von Personen in Wohnungen; auf diese Problematik wird bei der Prüfung von Art. 13 GG zurückzukommen sein 19.

4. Aufbewahrung und Speicherung Aufbewahrung und Speicherung von Videoaufnahmen, deren Aufzeichnung als Beschränkung der soeben genannten Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen sind, sind stets neuerliche Beschränkungen dieser Garantien. Eine Einschränkung der Rechte am eigenen Bild, an der eigenen Stimme und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung besteht unabhängig von der physikalischen Form der Speicherung. Denn unter den gegenwärtigen Bedingungen der Bild- und Tonverarbeitungstechnik können Aufnahmen jederzeit physikalisch umgewandelt werden.

5. Auswertung, Nutzung und Nutzungsänderung der Videoaufnahmen Jede Nutzung und Verwendung von Videoaufnahmen innerhalb der Polizei oder die spätere Verwertung der Aufnahmen im Strafverfahren sind jeweils neue Eingriffe in die genannten Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies gilt auch für eine Nutzungsänderung, namentlich der Nutzung von zu Zwecken der Straftatverhinderung gemachten Aufzeichnungen zu Zwecken der Strafverfolgung und umgekehrt. Allerdings wäre die Vorfrage zu überlegen, ob eine Zweckentfremdung dann nicht vorläge, wenn Repression und Prävention - Straftatverhinderung und Straftataufklärung - als Teilgebiete des übergreifenden Zwecks "Straftatbekämpfung" anzusehen wären. Dies liegt scheinbar durch die Synonymität der Begriffe "Repression" und "Prävention" nahe, die in der These Ausdruck findet, wonach ,,Repression die beste Prävention" sei, sowie in der Auffassung, Prävention und Repression seien nicht unterscheidbare Begriffe, deren Abgrenzung überholt und durch eine die gesamten menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse einbeziehende Kriminalstrategie zu ersetzen sei. Polizeiliche Tätigkeit enthalte - insbesondere gegen die organisierte Kriminalität - zugleich in bezug auf die Vergangenheit ein ermittelndes wie hinsichtlich der Zukunft ein verhinderndes Element. Das polizeiliche Einschreiten sei somit wesensmäßig weder repressiv noch präventiv, sondern im Grunde operativ. Dieser Begriff des Operativen sei ein Oberbegriff, der eine neue Art polizeilichen Tätigwerdens bezeich18 19

Vgl. oben 5. Kap. B. Unten 6. Kap. B.

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

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ne 190. Jedoch sieht die gegenwärtige Rechtsordnung eine Trennung der Polizeiaufgaben in die Bereiche Gefahrenabwehr (Prävention) und Strafverfolgung (Repression) vor. Dies ergibt sich aus den Polizeigesetzen einerseits und den §§ 163, 160 StPO andererseits. Auch den Rechtswegzuweisungen der § 23 Abs. 1 EGGVG, der gegen Justizverwaltungsakte im Zusammenhang mit der Straftatverfolgung den Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte eröffnet und des § 40 VwGO, wonach zur gerichtlichen Nachprüfung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr die Verwaltungsgerichte zuständig sind, liegt diese Unterscheidung zugrunde. Auch das Grundgesetz setzt diese Trennung voraus. Dies ergibt sich aus der Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz für das strafgerichtliche Verfahren an den Bund (Art. 74 Nr. 1 GG) und für die Gefahrenabwehr grundsätzlich an die Länder (Art. 70 Abs. 1 GG). Jede Änderung von präventiven Zwecken in Zwecke der Strafverfolgung und umgekehrt ist deshalb verfassungsrechtlich relevant. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß Videoaufnahmen wegen der polizeilichen Doppelzuständigkeit sowohl für Maßnahmen der Straftatverhinderung auf Grund der Polizeigesetze als auch für Maßnahmen zur Strafverfolgung auf Grund der Strafprozeßordnung regelmäßig für beide Zwecke gleichzeitig angefertigt werden können. Soweit diese Doppelfunktionalität bei Überwachungsmaßnahmen besteht, erscheint eine Nutzungsänderung von vornherein nicht gegeben zu sein.

6. Übermittlung und Übertragung der Videoaufnahmen Die Übermittlung und Übertragung von Videoaufnahmen von einer Polizeistelle an eine andere Polizeidienststelle, eine andere Behörde, ein Gericht zum Zwecke der Verwertung in einem Strafverfahren oder an sonstige Dritte zu weiteren Zwecken sind ebenfalls Einschränkungen der genannten Rechte. Denn es handelt sich dabei um Verfügungen über das Abbild einer Person. Die Technik der Übermittlung ist hierbei wiederum unwesentlich. Stets wird über das Bild oder die Stimme eines anderen verfügt. Daher ist sowohl die körperliche Übersendung als auch die elektronische oder optische Übermittlung von Aufnahmen in analoger oder digitaler Form als Grundrechtsbeschränkung zu qualifizieren. Dasselbe gilt für das Abrufen von Videoaufnahmen aus elektronischen Bildspeichern.

7. Videoaufnahmen von Unverdächtigen und Nichtstörern In dem soeben genannten Umfang handelt es sich stets um Einschränkungen der Konkretisierungen des allgemeinen Persönlickeitsrechts unabhängig davon, ob die Maßnahme Verdächtige oder andere Personen betrifft. Ob ausnahmsweise eine Verletzung der Menschenwürde gegeben ist, weil eine unverdächtige Person 190

Oben 2. Kap. B II 3.

190

6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

Adressat von Videoüberwachungsmaßnahmen ist, wird bei Art. 1 Abs. 1 GG zu erörtern sein.

8. Offene Überwachung (das Problem der Einwilligung) Soweit die Maßnahmen offen stattfinden und vom Betroffenen bemerkt werden, liegt grundsätzlich ein Eingriff in dem dargelegten Umfang vor. Denn auch insoweit erfolgt die Maßnahme bis auf die Fälle der Einwilligung des Betroffenen ohne oder gegen seinen Willen. Daher sind grundsätzlich seine Verfügungsbefugnis und sein Recht auf Freiheit vor Überwachung beeinträchtigt. Eine Einwilligung würde zwar eine Grundrechtsbeschränkung im Bereich des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG ausschließen. Denn diese wäre ihrerseits eine durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Betätigung der Verfügungsbefugnis über das eigene Bild, die eigene Stimme oder die persönlichen Daten 20 • Eine Einwilligung darf aber grundSätzlich nicht als konkludent erteilt unterstellt oder bereits auf Grund des Umstands angenommen werden, daß dem Betroffenen die Maßnahme selbst oder die Möglichkeit ihrer Durchführung bekannt war 21 •

9. Geheime Überwachung Finden die genannten Maßnahmen heimlich statt, ändert sich der Prufungsmaßstab nicht im Vergleich zu offenen Maßnahmen, welche ohne oder gegen den Willen der Betroffenen stattfinden. Auch hinsichtlich geheimer Überwachungsmaßnahmen entscheidet sich ihre verfassungsrechliche Rechtfertigung grundsätzlich erst bei den Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ob die geheime Überwachung Fragen der Menschenwürde aufwirft, wird bei der Erörterung von Art. 1 Abs. 1 GG zu bedenken sein. Entsprechendes gilt für die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip.

IV. Prüfung der Rechtfertigung von Einschränkungen Einschränkungen der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Rechts am eigenen Bild, der eigenen Stimme, auf informationelle Selbstbestimmung und des Rechts, von der Überwachung mit technischen Mitteln durch den Staat verschont zu werden, wären verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn sie den Anforderungen genügten, wie sie im Hinblick auf Grundrechtsbeschränkungen dargelegt worden sind 210. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der typisierten Anwendungen steht und fällt hierbei mit der Existenz gesetzlicher ErmächGeiger 1989, S. 35 ff. Vgl. BVerfG NJW 1992, S. 815. 210 Oben 6. Kap. A H. 20

21

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

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tigungsgrundlagen, die ihrerseits verfassungsmäßig sein müssen. Die Voraussetzungen der Anwendung der Videotechnik gegen Personen richtet sich grundsätzlich nach den Rechtsgrundlagen des Strafverfahrensrechts, soweit die Strafverfolgung betroffen ist. Für das Gebiet der Gefahrenabwehr müssen sich die Rechtsgrundlagen aus dem Polizeirecht des Bundes und der Länder ergeben, je nachdem, welche Polizeibehörde für die infonnationelle Tätigkeit zuständig ist 22 • 1. Grundsätzliche Bemerkungen

Soweit Bestimmungen aus den Bereichen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als gesetzliche Grundlagen für die zu prüfenden Anwendungen der Videotechnik in Betracht kommen, bestehen Bedenken jedenfalls nicht im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Kriterium, wonach Einschränkungen der beschriebenen Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zumindest im überwiegenden Allgemeininteresse liegen müssen. Denn sowohl Straftataufklärung als auch Straftatverhinderung liegen im überwiegenden Allgemeininteresse. Insoweit kann auf die dargelegte, ganz einheitliche Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum verwiesen werden 23 • Dies bedeutet, daß gesetzliche Bestimmungen und die auf ihrer Grundlage erfolgenden Anwendungen der Videotechnik, welche der Straftatverhinderung und Straftataufklärung dienen, nicht schon mit der Begründung von Verfassungs wegen untersagt werden können, es fehle an einem legitimen, verfassungsmäßigen Zweck. Dieser fehlte jedoch dann, wenn die Überwachung mit Videogeräten lediglich zur Besserung, Disziplinierung oder Erziehung der Überwachten erfolgt, um so etwa "auffälliges" Verhalten in der Öffentlichkeit abzustellen, ohne daß von diesem Gefahren für den Betroffenen selbst oder andere ausgehen 24. Verfassungsrechtliche Zweifel gegen die im Bereich der Strafverfolgung und Straftatverhinderung zu prüfenden Bestimmungen und die auf ihrer Grundlage erfolgenden Anwendungen der Videotechnik bestehen grundsätzlich auch nicht im Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot, wonach Grundrechtsbeschränkungen zur Zweckerreichung geeignet sein müssen. Die Videotechnik ist zur Beweisführung in hohem Maße geeignet und übertrifft Fotografie und Tonband deutlich zum einen durch die Möglichkeit der naturgetreuen Bewegtbildaufnahrne und zum anderen durch die Kombination von Bild und Ton. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß Aufnahmen im Einzelfall - z. B. durch Bedienungsfehler - unbrauchbar sein können 25 • Auch sind Manipulationen bei Videoaufnahmen besonders auf Grund der Möglichkeiten der elektronischen Bildanimation beson22 23

24

25

Vgl. Riegel 1991, Bd. 1, A 11, S. 58. Oben 4. Kap. B I 5 b.

Vgl. BVerfGE 22, 180 [219f.]. Vgl. dazu den Fall AG Itzehohe NZV 1989, S. 41.

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

ders schwer nachzuweisen. Auch hieraus ergeben sich jedoch keine grundsätzlichen Bedenken im Hinblick auf die Eignung von Videoaufnahmen und die zu ihnen ermächtigenden Gesetze zur Beweisführung bei der Strafverfolgung. Auch im Hinblick auf den Zweck der Straftatverhinderung kann den genannten Anwendungen und den in Frage kommenden gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden empirischen Arbeiten zum Präventionseffekt visueller Überwachungstechnik ein Präventions- und Abschrekkungseffekt nicht - auch nicht unter dem Aspekt einer durch Überwachung verursachten Eskalierung und Verdrängung von Kriminalität - abgesprochen werden 26. Dies gilt auch für Unterlagen, die zur vorbeugenden Bekämpfung künftiger Straftaten aufbewahrt werden. Einerseits besteht ihre Eignung darin, spätere Straftaten einmal rascher aufklären zu können, andererseits ist ihnen ein Abschreckungseffekt auf den durch die Unterlagen Betroffenen nicht von vornherein abzusprechen. Dies genügt zur Annahme der Eignung aus verfassungsrechtlicher Sicht. Soweit auf die zu prüfenden gesetzlichen Bestimmungen Anwendungen der Videotechnik gestützt werden, wird dem auch nicht generell der verfassungsrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit staatlicher Maßnahmen entgegengehalten werden können. Bei der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten steht ein gleich geeignetes, aber weniger einschneidendes Mittel als die Videotechnik nicht von vornherein und stets zur Verfügung. Insbesondere Fotografie oder Tonbandaufnahmen allein sind zum einen nicht weniger stark belastend und zum anderen dürfte die Eignung der Videotechnik wegen der Möglichkeit der Kombination von Ton und Bewegtbildaufnahmen zur Aufklärung von Straftaten und damit auch in ihrer präventiven Wirkung höher sein als bei den genannten Verfahren. Freilich haben die mit der Straftatverhinderung und Straftataufklärung betrauten Beamten im Einzelfall stets zu prüfen, inwieweit konkret ein milderes und den Betroffenen weniger beeinträchtigendes Mittel zur Lösung der jeweiligen Aufgabe zur Verfügung steht. Insoweit sind gesetzliche Bestimmungen verfassungskonform auszulegen. Aus den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Grundrechtsbeschränkungen folgt, daß eine Anfertigung und Verwendung von Videoaufnahmen auf Vorrat und die dazu ermächtigenden Gesetze verfassungswidrig wären. Eine Sammlung auf Vorrat wäre gegeben, wenn sie lediglich zur Erleichterung der Polizeiarbeit erfolgte, ohne daß ein konkreter Bezug zur Abwehr oder Verfolgung bestimmter Straftaten gegeben wäre. Deshalb wäre auch eine generelle, ohne konkrete Hinweise auf bevorstehende oder begangene Straftaten erfolgende flächendeckende Überwachung und Aufzeichnung von Lebensvorgängen verfassungswidrig, die beispielsweise auf öffentlichen Straßen und Plätzen in der Vorstellung erfolgte, dadurch etwaige Straftaten zu 26

Oben 4. Kap. B I 6 b bb.

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verhindern oder möglicherweise Straftaten zu dokumentieren. Dies müßte erst recht gelten, wenn solche Videoaufzeichnungen gespeichert und aufbewahrt würden. Entsprechende weitflächige Überwachungsmaßnahmen mit den Mitteln der Videotechnik wären nur dann verhältnismäßig, wenn sie sich auf Örtlichkeiten beziehen, an denen auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte Straftaten in einem Umfang begangen werden, welcher erheblich über dem anderer Bereiche liegt. Durchgreifenden Bedenken im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begegnete auch eine staatliche Überwachung mit Videogeräten, die lediglich zur Effektivierung polizeilicher Kontrolle oder zur Erziehung und Disziplinierung des Einzelnen erfolgte. Allerdings begegnen Maßnahmen gegen als unverdächtig angesehene Personen keinen grundsätzlichen Bedenken, wenn diese in bestimmter räumlicher oder sachlicher Verbindung mit Verdächtigen stehen und deren Inanspruchnahme einen Zugriff auf den Verdächtigen erwarten läßt, sowie Maßnahmen gegen Unverdächtige in den Fällen, in denen sich Ermittlungen erst am Beginn befinden und nähere Anhaltspunkte auf wirkliche Störer oder Straftäter erst im Vorfeld noch gewonnen werden müssen. Dasselbe gilt für Videoüberwachungen bestimmter, auf Grund tatsächlicher Umstände als gefährdet oder gefährlich bekannten Örtlichkeiten. Insoweit trägt der betroffene Einzelne eine zumutbare Last zugunsten der Straftatbekämpfung 27 •

2. Prüfung der bestehenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen a) Ermächtigungsgrundlagen für die Anwendungen im Bereich der Strafverfolgung Gesetzliche Bestimmungen, die ausdrücklich zu Beobachtung, Aufzeichnung und Verwendung von Video aufnahmen zu Zwecken der Strafverfolgung ermächtigen, gab es bis zum Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 (BGBI. I, S. 1302) nicht. Durch dessen Art. 3 wurde § 100 c StPO in die Strafprozeßordnung eingefügt, der den Einsatz visuell-akustischer technischer Mittel zur Bild- und Tonaufnahme regelt. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß Grundrechtseingriffe im Zuge des Ermittlungs- und Strafverfahrens voll den Anforderungen unterliegen, die zu den Schranken entwickelt wurden. Die Zulässigkeit der Erhebung und Verwendung von Videoaufnahmen im Strafverfahren richtet sich mithin keinesfalls nach einer Abwägung zwischen Grundrechtsposition einerseits und dem Interesse an der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren andererseits, sondern zunächst danach, ob ausreichende gesetzliche Bestimmungen hierzu ermächtigen. 27

Vgl. BVerfGE 30, 1[26 f.].

13 Geiger

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6. Kapitel: Verfassungsreehtliehe Prüfung der einzelnen Anwendungen aa) Die Bestimmungen der §§ 161, 163 Abs. 1 StPO

Nach den dargelegten Kriterien zum verfassungsrechtlich erforderlichen Maß der Bestimmtheit von gesetzlichen Normen 28 scheiden die §§ 163 Abs. I, 161 StPO für die zu prüfenden Anwendungen der Videotechnik von vornherein aus, ohne daß es noch auf die Frage ankäme, ob diese Vorschriften - wie die überwiegende Meinung annimmt -lediglich eine Aufgabenzuweisung oder eine generalklauselartige Ermächtigungsgrundlage enthalten. bb) Ablehnung von Beschränkungen auf Grund einer Analogie und unbestimmter Rechtsgrundlagen Auch die analoge Anwendung von gesetzlichen Bestimmungen scheidet aus Gründen des Gesetzesvorbehalts als verfassungsrechtliche Grundlage für Videoüberwachungsmaßnahmen aus. Daher ist etwa die Anwendung von § 24 1. Alt. KUG auf die Aufzeichnung von Videobildaufnahmen unzulässig. Diese Bestimmung regelt nur die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen von Personen für Zwecke der Rechtspflege. Die analoge Anwendung oder eine Anwendung im Wege des Schlusses a majore ad minus des § 24 KUG auf die Herstellung von Videoaufnahmen kommt nicht in Frage. Es widerspräche dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, wenn diese Vorschrift auf den andersartigen Eingriff der Aufzeichnung von Bildnissen angewandt würde. Stimmaufnahmen, die auf einer Videoaufzeichnung enthalten sind, werden vom Regelungsbereich dieser Vorschrift von vornherein nicht erfaßt. Ebensowenig als Ermächtigungsgrundlagen in Betracht kommen der Amtshilfegrundsatz (Art. 35 Abs. 1 GG), sowie die Bestimmungen über die Notwehr und Nothilfe (z. B. § 34 StGB). cc) Maßnahmen nach § 81 b 1. Alt. StPO (1) Für die strafprozessuale Aufzeichnung von Videoaufnahmen kommt zunächst § 81 b 1. Alt. StPO in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht und andere haben, wie bereits ausgeführt 29 , die Videoaufnahme der Gegenüberstellung eines Beschuldigten mit einem Zeugen als durch § 81 b 1. Alt. StPO gerechtfertigt angesehen 30. Nach § 81 b 1. Alt. StPO sind zur Durchführung eines Strafverfahrens u. a. Lichtbildaufnahmen und ähnliche Maßnahmen gegenüber dem Beschuldigten auch gegen dessen Willen möglich. Diese Bestimmung wird einfachrechtlich überwiegend so ausgelegt, daß sie der Identifizierung und Überführung einer 28

29 30

Oben 6. Kap. A 11. Oben 4. Kap. A. BVerfG, Beseh!. v. 27.2.1982 - 2 BvR 1199/82 = BVerfG, NStZ 1983, S. 84.

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Person etwa durch Vorlage der von der Polizei gefertigten Aufnahmen gegenüber Tatzeugen dient. Objekt der Bildaufnahme darf nur ein Beschuldigter sein, mithin derjenige, gegen den ein Strafverfahren eigeleitet wurde. Ein bloßer Tatverdacht reicht daher nicht aus. Allerdings soll die Beschuldigteneigenschaft bereits gegeben sein, wenn ein unbekannter Täter bei der Tatbegehung aufgenommen wird 31 • Die Anfertigung der Aufnahmen soll deshalb bereits bei Begehung der Tat oder unmittelbar im Anschluß daran möglich sein 32. Denn die Bildaufnahme sei eine gezielte Strafverfolgungsmaßnahme gegen den Abgebildeten, der bereits dadurch in den Beschuldigtenstatus versetzt werde 33 • Umstritten ist in der einfachrechtlichen Auslegung, ob die Ermächtigung heimliche Bildaufnahmen einschließt, wobei die überwiegende Meinung im Schrifttum heimliche Aufnahmen zuläßt 34, ob auch Stimmaufnahmen auf § 81 b StPO gestützt werden können 35. (2) Die Bestimmung ist verfassungskonform jedoch dahin auszulegen, daß sie lediglich die offene Beobachtung und Aufzeichnung der äußeren Erscheinung eines Beschuldigten mit einer Videokamera zu Zwecken seiner Identifizierung und Überführung zuläßt. Zwar sind Videoaufnahmen keine Lichtbilder. Sie können jedoch ohne weiteres als zu Lichtbildaufnahmen "ähnliche Maßnahmen" im Sinne von § 81 b StPO vom Betroffenen erkannt werden, so daß insoweit dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt wird. Heimliche visuelle Überwachung sowie Abhören und Aufzeichnen der Stimme des Betroffenen sind hingegen nicht zulässig. Die Aufnahme der Stimme richtet sich gegen ein anderes Schutzgut als eine Bildaufnahme oder die weiteren in § 81 b StPO genannten Maßnahmen. Es widerspräche daher dem Grundsatz der Normenklarheit, sie als "ähnliche Maßnahme" im Sinne von § 81 b StPO anzusehen. Auch die Zulässigkeit heimlicher Aufnahmen müßte der Gesetzgeber aus Gründen der Normenklarheit und Wesentlichkeit wegen ihrer Schwere im Wortlaut der Bestimmung zum Ausdruck bringen, was regelungstechnisch ohne weiteres möglich wäre. Die in § 81 b StPO erteilte Ermächtigung zu Bildaufnahmen gegen den Willen des Beschuldigten - also zwangsweise Maßnahmen - sind etwas anderes und nicht etwa ein Minus im Vergleich zu Maßnahmen ohne Wissen und Wollen des Betroffenen. Nicht in § 81 b 1. Alt. StPO geregelt wird die Frage, ob und wie lange die Unterlagen aufbewahrt und in welcher Weise sie zu Zwecken der Durchführung des Strafverfahrens verwendet werden dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat - allerdings zur 2. Alternative des § 81 b StPO - entschieden, dieser Meyer 1982, S. 73 f. m. w. N. Meyer 1982, S. 83 f. 33 Götz 1990, S. 114 m. w. N. 34 Dafür Meyer 1982, S. 83 f.; Götz 1990, S. 114 m. w. N. dagegen Vahle 1982, S. 48; Kleinknecht/Meyer StPO 1985, § 81 b StPO ID. w. N. 35 Nachweise bei Kleinknecht / Meyer 1985, § 81 b StPO Rn. 8. 31

32

13*

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

Bestimmung könne auch die Befugnis zur Aufbewahrung und Verwertung der Aufnahmen und deren Grenzen entnommen werden 36. Dem kann nicht gefolgt werden. Denn wenn die Aufbewahrung und Verwendung der Aufnahmen, wie bereits dargelegt wurde 37 , als jeweils neue Einschränkungen der Gewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind, bedarf es zur Vornahme dieser Maßnahmen jeweils einer inhaltlich bestimmten gesetzlichen Grundlage. Diesen Anforderungen genügt eine Bestimmung über die Anfertigung von Aufnahmen nicht, auch wenn sie den Zweck beschreibt, zu dem sie diese erlaubt. Zwar ist eine Anfertigung von Videobildaufnahmen zu Zwecken des Strafverfahrens sinnlos, wenn diese nicht zur Wahrheitsermittlung verwendet und aufbewahrt werden dürfen. Dies spricht aber nicht gegen die hier zugrundegelegte verfassungsrechtliche Sicht, die - unter Berücksichtigung der Wirklichkeit, die Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu ordnen bestimmt ist - über das bisherige Verständnis hinausgeht, sondern erweist allein die gebotene Anpassung der Strafprozeßordnung an die verfassungsrechtlichen Anforderungen. dd) Identitätsfeststellung nach § 163 b Abs. 1 S. 1 u. 2, Abs. 2 StPO Zu demselben Ergebnis führt die Prüfung des § 163 b StPO, der ausschließlich der Identitätsfeststellung von Personen im Strafverfahren dient. Nach dieser Bestimmung kann die Polizei im Ermittlungs- und Strafverfahren zur Feststellung der Identität eines Verdächtigen auch erkennungsdienstliche Maßnahmen treffen, wenn eine anderweitige Feststellung der Identität nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist (§ 163 b Abs. 1 S. 3 StPO). § 163 b Abs. 1 StPO ist einerseits enger, andererseits weiter als § 81 b StPO. Enger ist er insoweit, als er die genannten Maßnahmen nur zum Zwecke der Identitätsfeststellung zuläßt. Weiter ist er insoweit, als er keine Beschuldigteneigenschaft voraussetzt, sondern lediglich einen Straftatverdacht verlangt. Dieser besteht bereits dann, wenn der Schluß auf die Begehung einer Straftat gerechtfertigt ist und Anhaltspunkte vorliegen, die Täterschaft oder Teilnahme des Betroffenen als möglich erscheinen lassen 38 • Wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist, beispielsweise also die von Zeugen, wobei erkennungsdienstliehe Maßnahmen nicht gegen den Willen des Betroffenen zulässig sind (§ 163 b Abs. 2 StPO). Dies bedeutet, daß die bei § 81 b 1. Alt. StPO beschriebenen Anwendungen der Videotechnik als ultima ratio der Identitätsfeststellung nach Maßgabe von § 163 b StPO zulässig sind. Eine darüber hinaus gehende Anwendung, insbesondere zur Aufbewahrung und Verwendung der

36 37

38

BVerwGE 26, 169 [170]. Oben 6. Kap. A I, II, III. Weichert 1989, S. 35 f. ffi. w. N.

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Aufnahmen, scheidet aus den bereits im Zusammenhang mit § 81 b StPO genannten Gründen 39 aus 4O • ee) Identitätsfeststellung an Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen nach § 111 StPO Erkennungsdienstliche Maßnahmen können nach § 111 StPO als ultima ratio zur Identitätsfeststellung auch an eingerichteten Kontrollstellen durchgeführt werden. § 111 StPO unterscheidet sich von den vorgenannten Bestimmungen dadurch, daß er eine Identitätsfeststellung gegen jedermann an Kontrollstellen ermöglicht, die beim Verdacht des Vorliegens bestimmter schwerer Straftaten auf richterliche, bei Gefahr im Verzug auf staatsanwaltliche Anordnung 41 an öffentlich zugänglichen Orten zur Ergreifung des Täters eingerichtet werden können 42 • Daraus folgt, daß-wie bei den §§ 81 b, 163 b StPO-eine offene Anfertigung von Bildaufnahmen mit einem Videogerät verfassungsrechtlich zulässig ist, wenn die Identität einer bei der eingerichteten Kontrollstelle angetroffenen Person nicht anders festgestellt werden kann. Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet § 111 StPO in bezug auf die Ermächtigung zur Identitätsfeststellung bei jeder an der Kontrollstelle angetroffenen Person. Zwar wäre eine generelle, ohne konkrete Hinweise auf begangene Straftaten erfolgende flächendeckende Überwachung und Aufzeichnung von Lebensvorgängen verfassungswidrig, die auf öffentlichen Straßen und Plätzen in der Vorstellung erfolgte, dadurch etwaige Straftaten aufzuklären. Allerdings begegnen Maßnahmen gegen als unverdächtig angesehene Personen bei Fällen keinen grundsätzlichen Bedenken, in denen sich Ermittlungen erst am Beginn befinden und nähere Anhaltspunkte auf wirkliche Straftäter erst noch gewonnen werden müssen. Insoweit trägt der Einzelne eine zumutbare Last zugunsten der Straftatbekämpfung. Die Maßnahmen müssen zur Ergreifung des wirklichen Täters jedoch geeignet sein, was im Falle des § 111 StPO anzunehmen ist; dieser läßt Kontrollstellen nur zu, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Maßnahme zur Ergreifung des Täters oder zur Sicherstellung von Beweismitteln führen kann. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bestehen keine Bedenken, weil die Bestimmung zur Einrichtung von Kontrollstellen nur beim Verdacht bestimmter schwerer Straftaten ermächtigt.

Oben 6. Kap. A IV 2 a cc. Die weitergehende Meinung bei Meyer 1982, S. 85 m. N. ist aus diesem Grunde abzulehnen. 41 Bei Gefahr im Verzug sind auch die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) zuständig. 42 Vgl. zu dieser Bestimmung Kleinknecht / Meyer 1985, § 111 StPO; Laufhütte 1987, § 111 StPO. 39

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen ff) Die Ermächtigung in § 100 c StPO

Nach § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StPO dürfen ohne Wissen des Betroffenen Lichtbilder und Bildaufzeichnungen hergestellt werden, und nach Buchstabe b sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts des Täters verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist, und wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Täters auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. Nach § 100 c Abs. 1 Nr. 2 StPO darf darüber hinaus ohne Wissen des Betroffenen das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß jemand eine in § 100 a bezeichnete Straftat begangen hat, und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Nach § 100 c Abs. 2 StPO dürfen sich die Maßnahmen nach Abs. 1 nur gegen den Beschuldigten richten. Gegen andere Personen sind Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe b, Nr. 2 dürfen gegen andere Personen nur angeordnet werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß sie mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, daß die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Nach § 100 c Abs. 3 StPO dürfen die Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. gg) Grundlagen für die strafprozessuale Aufbewahrung, Verwertung und Veröffentlichung von Videobildem (1) Anders als § 81 bund § 163 b StPO selbst kommen für die strafprozessuale

Übermittlung, Aufbewahrung und Verwertung von Videoaufnahmen die §§ 101 Abs. 4, 199 Abs. 2 S. 2,214 Abs. 4, 221, 163 Abs. 2 S. 1, 244 Abs. 2, 245 StPO, § 169 S. 1 GVG und § 24 1. Alt. KUG, §§ 131, 457 Abs. 2 StPO, 87 StVollzG in Betracht. § 101 Abs. 4 StPO bestimmt, daß Entscheidungen und sonstige Unterlagen über Maßnahmen nach § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b, Nr. 2 bei der Staatsanwaltschaft verwahrt werden. Zu den Akten sind sie erst zu nehmen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind. Absatz 1 bestimmt, daß die Beteiligten über getroffene Maßnahmen zu benachrichtigen sind, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, von Leib oder Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten geschehen kann.

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Die §§ 199 Abs. 2 S. 2, 221, 214 Abs. 4, 163 Abs. 2 S. 1 StPO gebieten und gestatten die Übennittlung der Akten und Beweismittel von der Polizei an die Staatsanwaltschaft sowie von Polizei und Staatsanwaltschaft an das zuständige Strafgericht. § 244 Abs. 2 und § 245 StPO ennöglichen und gebieten dem Gericht die Erhebung der vorhandenen Beweismittel. Diese Bestimmungen, die das strafprozessuale Untersuchungsprinzip und damit die Verpflichtung zur Ennittlung des wahren Sachverhalts nonnieren 4 3, enthalten zwar genau so wenig wie die §§ 152 Abs. 2, 161, 163 Abs. 1 StPO für das Ennittlungsverfahren eine Ennächtigungsgrundlage für die Gewinnung von Beweisen, welche einen Grundrechtseingriff enthalten. Sie ennächtigen aber zur gerichtlichen Aufnahme und Verwertung bereits vorhandener Beweismittel. Im Hinblick darauf, daß Bild- und Tonaufnahmen strafprozessual "Augenscheinsbeweise" sind 44, können § 244 Abs. 2 und § 245 StPO verfassungsrechtlich noch als ausreichend bestimmte Ennächtigungsgrundlagen für die gerichtliche Verwertung von Videoaufnahmen angesehen werden. Denn im Zusammenhang mit den im Strafprozeß zulässigen Beweismitteln wird hinreichend klar, daß Videoaufnahmen Beweise im Sinne dieser Bestimmungen sind. Endlich ennöglicht § 24 1. Alt. KUG, der zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung von Bildnissen für Zwecke der Rechtspflege ennächtigt, die durch die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 169 S. 1 GVG) bedingte "Veröffentlichung" von Bildaufnahmen. (2) Im Blick auf die Veröffentlichung und Verbreitung von Videoaufnahmen zu Fahndungszwecken kommen endlich die §§ 131, 457 Abs. 2 StPO, 87

StVollzG in Betracht. Diese Bestimmungen regeln, daß ein Steckbrief erlassen werden darf bei Haftbefehl, Unterbringungsbefehl und Verurteilung, wenn der Betroffene flüchtig ist oder sich verborgen hält. In dem Steckbrief ist der Verfolgte zu bezeichnen und soweit möglich zu beschreiben (§ 131 Abs. 3 StPO). Nach überwiegender einfachrechtlicher Auslegung im Schrifttum enthält der Steckbrief neben Namen und Tatangaben auch eine Personenenbeschreibung oder ein Bild. Der Steckbrief wendet sich primär an die Strafverfolgungsbehörden, eventuell auch an andere Behörden und Privatpersonen und soll auch die öffentliche Fahndung mit Hilfe der Massenmedien ennöglichen 45 • Auf Grund der zu den Anforderungen an Einschränkungen des Rechts am eigenen Bild und am gesprochenen Wort dargelegten Maßstäbe ist aus verfassungsrechtlicher Sicht die Verbreitung und Ausstrahlung von Videobildaufnahmen im Rahmen der § § 131, 457 Abs. 2 StPO nicht möglich. In dieser Vorschrift ist weder von Bild- noch von Stimmaufnahmen die Rede. Die Wendung, wonach in dem Steckbrief der Verfolgte "soweit möglich zu

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45

Statt aller Kleinknecht / Meyer 1985, § 244 Rn. 10 ff. m. w. N. Vgl. Weichert 1988, S. 37 u. 39. Weichert 1988, S. 36 m. w. N.

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6. Kapitel:

Verfassungsre~ht1iche

Prüfung der einzelnen Anwendungen

beschreiben" ist, läßt sich verfassungskonfonn weder dahin auslegen, daß dies die Ennächtigung zur Verbreitung von Bildaufnahmen noch von Tonaufnahmen einschließt. Eine soweit als mögliche Beschreibung ist eben etwas anderes als das technisch hergestellte, genaue visuelle oder stimmliche Abbild einer Person. Daher kann für die Fahndung nach Straftatverdächtigen mit Videobildern wiederum nur § 24 1. Alt. KUG als Ennächtigungsgrundlage herangezogen werden 46 • Eine Fahndung durch Veröffentlichung von Stimmaufnahmen kann jedoch auch auf diese Vorschrift nicht gestützt werden. hh) Organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen Als verfahrensrechtliche Vorkehrung beim Einsatz von Überwachungstechnik ist in § 111 Abs. 2 StPO für die Einrichtung von KontrollsteIlen ein Richtervorbehalt gesetzlich vorgesehen. § 100 d Abs. 1 StPO bestimmt, daß das heimliche Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten angeordnet wird. Für die Herstellung heimlicher Bildaufzeichnungen hingegen ist ein Richtervorbehalt nicht vorgesehen. Dies begegnet unter dem Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinen Bedenken, weil die Fonnulierung der Eingriffsvoraussetzungen in § 100 c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO hinreichend bestimmt ist, um auch ohne eine richterliche Anordnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen zu gewährleisten. Hinsichtlich der aus Verhältnismäßigkeitsgründen und Gründen der Sicherung des Verfügungsrechts des Betroffenen über sein Bild gebotenen Unterrichtungsund Auskunftsansprüche ist zunächst darauf hinzuweisen, daß für Aufnahmen, die mit Kenntnis des Betroffenen erfolgen, keine Probleme entstehen. Im Hinblick auf heimliche Aufnahmen gewährleistet das in § 147 StPO geregelte Recht auf Akteneinsicht und Besichtigung der Beweisstücke - das durch den Verteidiger des Betroffenen ausgeübet werden muß - einen verfassungsrechtlich grundsätzlich ausreichenden Schutz des Verfügungsrechts des Betroffenen. Dies gilt auch, soweit dieses Recht zur Sicherung des Untersuchungszwecks vor Abschluß der staatsanwaltlichen Ennittlungen beschränkt wird (§ 147 Abs. 2 StPO). Allerdings wird in § 101 Abs. 4 StPO bestimmt, daß Videoaufnahmen erst zu den Akten genommen werden dürfen, wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwekkes, der öffentlichen Sicherheit, von Leib und Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ennittelnden Beamten geschehen kann (vgl. § 101 Abs. 1 StPO). Diese Zwecke sind geeignet, eine Nichtbekanntgabe der Überwachungsmaßnahme an den Betroffenen unter dem Aspekt des .allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu rechtfertigen. Ob insoweit den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügt wird, ist eine andere Frage 47 • 46

Ebenso Rüping 1983, S. 77 m. N. aus Lit. und Rspr.

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

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Soweit es um die Aufbewahrung und Vernichtung der Videobilder nach Abschluß des Strafverfahrens geht, fehlen hingegen gesetzliche Regelungen zur zulässigen Aufbewahrungsdauer. Die Videoaufzeichnungen werden Bestandteil der Strafak.te (unter Umständen erfolgt ihre Ablage in einem Asservatenraum) und werden solange wie diese autbewahrt 48 • Gesetzliche Vernichtungsregelungen gibt es aber insoweit nicht. Lediglich § 163 c Abs. 4 StPO ordnet an, daß die im Zusammenhang mit der Feststellung der Identität von Personen anfallenden Unterlagen nach Feststellung der Identität zu vernichten sind, wenn sie sich auf eine Person beziehen, die einer Straftat nicht verdächtig ist. Für angefallene Unterlagen Verdächtiger enthält die StPO demgegenüber keine Vernichtungsregelungen. Nach § 81 b 1. Alt und § 163 b StPO hergestellte oder sonst lediglich zu Beweiszwecken erhobenen Videoaufnahmen dürfen endlich nicht zu den präventiven Unterlagensammlungen der Polizei genommen werden. Dem steht der Grundsatz der Zweckbindung entgegen 49 • Etwas anderes gilt für solche Aufnahmen, die entweder ausschließlich oder jedenfalls auch zu - präventiven - erkennungsdienstlichen Zwecken nach § 81 b 2. Alt. StPO hergestellt wurden. Hingegen ist eine nachträgliche Umwidmung von Videounterlagen nach § 81 b 1. Alt. StPO in präventiv-polizeiliche Unterlagen nach § 81 2. Alt StPO mangels einer - auf Grund des Verbots der Zweckänderung erforderlichen - gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage 50 unzulässig. b) Ermächtigungsgrundlagenfür die Anwendungen im Bereich der Gefahrenabwehr Seit der Volkszählungsentscheidung ist die seit langem unveränderte Gesetzeslage auf dem Gebiet des Polizeirechts in Bewegung gekommen. In mehreren Bundesländern wurden bereichsspezifische gesetzliche Bestimmungen zur polizeilichen Informationsgewinnung und -verarbeitung verabschiedet. Andere Bundesländer führen gegenwärtig Gesetzgebungsverfahren zur Neufassung ihrer Polizeigesetze durch. Der gegenwärtig erreichte Stand der Polizeigesetzgebung läßt Regelungsstrukturen und Tendenzen erkennen, die es ermöglichen, einen Zwischenstand zu erkennen und festzuhalten. Alle Novellierungen beruhen auf dem Vorentwurf eines Musterentwurfs für die Polizeigesetze VE MEPOLG aus dem Jahre 1986 des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz 51 • Im folgenden werden die neuen Polizeigesetze der Länder Baden-Württemberg 52 , Bayern 53, Vgl. dazu unten 6. Kap. D. Vgl. Kleinknecht / Meyer 1985, § 81 b, Rn. 16. 49 Wolter 1988, S. 54 ff., 62 ff. 50 Vgl. auch Wolter 1988, S. 62. 51 Vgl. oben 4. Kap B 16 b cc (2) (b). 52 Polizeigesetz (PoIG) i. d. Fassung vom 13. Januar 1992 (GBI. 1992 S. 1). 53 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) i. d. Fassung vom 14. September 1990 (GVBI. S. 397). 47 48

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

Hessen 54, Nordrhein-Westfalen 55, Rheinland-Pfalz 56 und Saarland 57 exemplarisch vorgestellt und unter dem Blickwinkel des Themas der Arbeit gewürdigt. Diese Gesetze enthalten die gesamte Bandbreite an Vorschriften über polizeiliche Informationsbefugnisse, die in den gegenwärtig verabschiedeten und künftig auf der Grundlage des Musterentwurfs für die Polizeigesetze (VE MEPOLG) zu erwartenden Landespolizeigesetzen enthalten sind bzw. enthalten sein werden. Auch die Änderung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 9. Juni 1989 58 enthält Regelungen zu den polizeilichen Informationsbefugnissen, namentlich zu der Herstellung von Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei. aa) Aufgabenzuweisungen, polizeiliche Generalklausel und weitere unbestimmte Grundlagen Auf Grund der dargelegten Maßstäbe, die von Verfassungs wegen an Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Anwendungen der Videotechnik angelegt werden müssen, scheiden die Bestimmungen der polizeilichen Aufgabenzuweisung und die allgemeine polizeiliche Generalklausel als Ermächtigungsgrundlagen für sämtliche zu prüfenden Maßnahmen aus. Dies ist aus Gründen der Bestimmtheit und Wesentlichkeit geboten. Analoge Rechtsanwendung, Gewohnheitsrecht, Amtshilfegrundsatz (Art. 35 Abs. 1 GG) sowie die Bestimmungen über die Notwehr und Nothilfe (z. B. § 34 StGB) scheiden als mögliche Ermächtigungsgrundlagen aus den genannten Gründen ebenfalls aus. bb) Bild- und Tonaufnahmen nach dem Versammlungsgesetz (1) Auf der Ebene des Bundesrechts regeln für den präventiven Bereich die

§§ 12 a, 19 a VersG, welche Bestandteil des sog. Artikelgesetzes zur inneren Sicherheit sind 59, die Frage polizeilicher Bild- und Tonaufnahmen bei öffentlichen Versammlungen. Die Regelung gilt sowohl für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel (§ 19 a VersammlG) als auch für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen (12 a VersG)60. Die Bestimmun-

54 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) vom 26. Juni 1990 (GVBI. I S. 197). 55 Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolGNW) i. d. Fassung vom 24. Februar 1990 (GV. NW. S. 70). 56 Polizeiverwaltungsgesetz von Rheinland-Pfalz (PVG) i. d. Fassung vom 28. November 1986 (GVBI. S. 353). 57 Saarländisches Polizeigesetz i. d. Fassung vom 8. November 1989 (ABI. S. 1750). 58 BGBI. I S. 1059. 59 Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 (BGBI. I, S. 1059). 60 Götz 1990, S. 112 f.

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gen regeln die Befugnis der Polizei, bei öffentlichen Versammlungen oder im Zusammenhang mit diesen Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern anzufertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden (§ 12 a Abs. 1, 19 a Abs. 1 VersG). Die Unterlagen sind unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder im Einzelfall zur Gefahrenabwehr benötigt werden, weil die betroffene Person verdächtig ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, daß von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen (§ 12 a Abs. 2 VersG). Unterlagen, die aus den genannten Gründen nicht vernichtet wurden, sind nach dem Ablauf von drei Jahren seit ihrer Entstehung zu vernichten, wenn sie nicht für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern weiter benötigt werden (§ 12 a Abs. 2 S. 2 VersG). (2) Die Bestimmung ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß Videoaufnahmen und Beobachtungsmaßnahmen mit Videogeräten lediglich offen, nicht jedoch verdeckt und heimlich aufgenommen werden dürfen. Dies ergibt sich aus der Schwere und dem Ausnahmecharakter verdeckten staatlichen Vorgehens, aus dem sich die Notwendigkeit ausdrücklicher Zulassung verdeckter Maßnahmen ergibt. Dies muß jedenfalls für Anwendungen der Videotechnik aus Gründen eines besonderen Überwachungspotentials gelten. Soweit die Regelung auch Maßnahmen zuläßt, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden, könnten verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Maßnahmen bestehen. Diese Bedenken können durch die Überlegung ausgeräumt werden, daß die unvermeidbar betroffenen Dritten durch ihre räumliche Nähe zu erheblichen Gefahren für polizeiliche Schutzgüter Grundrechtsbeschränkungen hinzunehmen haben, solange sie nicht selbst als potentielle Störer angesehen werden. Erst letzteres müßte die Maßnahme verfassungswidrig machen. Eine verfassungsrechtlich hinreichend bestimmte Regelung zur Verwendung und Übermittlung der Aufzeichnungen enthält die Bestimmung nicht. Auch eine Ermächtigung zur Aufbewahrung der Aufnahmen zu Zwecken der Strafverfolgung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Insbesondere können entsprechende Ermächtigungen nicht der Wendung entnommen werden, die "Unterlagen sind unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder im Einzelfall zur Gefahrenabwehr" . In eine Bestimmung, die eine Pflicht zur Vernichtung von Unterlagen regelt, kann keine Ermächtigung zur Verwendung, Zweckänderung und Übermittlung hineingelesen werden. Diese Formulierung setzt vielmehr die Existenz solcher Befugnisse

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

voraus, normiert sie jedoch nicht selbst 61 • Somit kommt sie als Grundlage für die präventive Nutzung, etwa für das spätere Abspielen der Aufnahmen, nicht in Betracht. Eine Übermittlung der Bild- und Stimmaufnahmen an andere Polizeistellen und Dritte kann aus denselben verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf § 12 a VersG gestützt werden 62 • In verfassungskonformer Auslegung ermächtigt die Bestimmung mithin zur Beobachtung und Aufzeichnung von Personen mit Videogeräten in Wort und Bild und zur Aufbewahrung der Aufnahmen im durch den Wortlaut begrenzten Umfang zur Gefahrenabwehr. Endlich ist noch darauf hinzuweisen, daß das Versammlungsgesetz insoweit nicht das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zu beachten hatte, da eine Beschränkung von Art. 8 GG nicht gegeben ist 63 • cc) Befugnisse zur Erhebung und Verwendung personenbezogener Informationen in den neuen Landespolizeigesetzen Die genannten neuen Landespolizeigesetze, die im folgenden Gegenstand der Prüfung sind 64 , enthalten umfangreiche Kataloge über polizeiliche Befugnisse zur Informationsverarbeitung. Sie regeln ausführlich die Erhebung, Speicherung, Aufbewahrung, Übermittlung, Löschung, Veränderung und Sperrung von personenbezogenen Daten und enthalten Bestimmungen zur Unterrichtung und zum Auskunftsanspruch des Betroffenen. Gleiches gilt für das ältere Polizeigesetz von Bremen aus dem Jahre 1983. Es bestehen aber durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, diese Bestimmungen als Rechtsgrundlagen für die Verwendung, Aufbewahrung und Übermittlung von Videoaufnahmen heranzuziehen, soweit nach dem Wortlaut sämtlicher neuer Polizeigesetze unter den dort genannten Voraussetzungen personenbezogene Daten und Informationen erhoben und in Akten oder Dateien gespeichert, verwendet oder übermittelt werden können. Die Bedenken ergeben sich daraus, daß Bild- und Stimmaufnahmen etwas anderes als personenbezogene Daten sind. Sie werden verfassungsrechtlich unmittelbar durch das Recht am eigenen Bild und an der eigenen Stimme und nicht durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung garantiert. Dies wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt 65 • Deshalb können die in den neuen Polizeigesetzen enthaltenen Bestimmungen, soweit sie nach ihrem Wortlaut lediglich an das Vorliegen personenbezoger Daten anknüpfen, nicht Ermächtigungsgrundlagen für Erhebung, Verwendung und Übermittlung der Bild- und Stimmaufnahmen selbst sein. Dies verbietet der 61 62 63

A. A. Vahle 1990, S. 349 f. So zutreffend Dietell Gintzel § 12 a Rn. 22; a. A. Vahle 1990, S. 349 f. A. A. Kowalczyk 1989, S. 140 und wohl auch Vahle 1990, S. 347; vgl. oben 5.

Kap. B. 64 Oben 6. Kap. A IV 2 b. 65 Oben 5. Kap. C IV 2, 3; 6. Kap. A I.

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insoweit eindeutige Wortlaut der entsprechenden Bestimmungen. Auch haben die Landespolizeigesetze es nicht unternommen, durch Gesetzesdefinition oder Verweisungen personenbezogene Daten und Bild- bzw. Tonaufzeichnungen gleichzusetzen; sie unterscheiden im Gegenteil sehr wohl zwischen den Begriffen des personenbezogenen Datums und Bild- und Tonaufnahmen. Ein Ineinssetzen mittels Auslegung der entsprechenden Bestimmungen scheidet somit aus Gründen des Bestimmtheitsgebots aus. An dieser Betrachtung kann auch der technische Umstand nichts ändern, daß Bild- und Stimmaufnahmen wie geschriebene Informationen in elektronische Form umgewandelt und in elektronischen Datenverarbeitungsanlagen gespeichert, verarbeitet und übermittelt werden können, was ebenfalls bereits an anderer Stelle begründet wurde 66 • Daraus folgt, daß die Bestimmungen, die nach ihrem Wortlaut lediglich personenbezogene Daten zum Gegenstand haben, nur in Betracht kommen für die aus Bild- und Stimmaufnahmen - durch intellektuellen Akt - gewonnenen Informationen. Für die Bild- und Stimmaufnahmen selbst und damit für Anwendungen der Videotechnik scheiden sie als gesetzliche Grundlagen - insbesondere auch im Wege einer Analogie - aus. dd) Bestimmungen zum verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Bild- und Tonaufnahme in den Landespolizeigesetzen Die Novellen der Polizeigesetze enthalten aber auch Vorschriften und Befugnisse zur Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel, insbesondere zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder - aufzeichnungen sowie zum Abhören oder Aufzeichnen des gesprochenen Wortes auf Tonträger 67. Diese kommen als Ermächtigungsgrundlagen für die Anwendungen der Videotechnik in Betracht. Sie sollen daher auf den folgenden Seiten dargestellt und sodann im Hinblick auf den Prüfungsgegenstand verfassungsrechtlich gewürdigt werden.

(1) Darstellung der Rechtslage (a) Zulässige polizeiliche Zwecke Nach den novellierten Landespolizeigesetzen ist der verdeckte Einsatz technischer Geräte zur Bild- und Tonaufnahme grundsätzlich zulässig zur Abwehr konkreter Gefahren sowie zur Gefahrenabwehr durch vorbeugende Straftatbekämpfung. Als gemeinsames strukturelles Merkmal weisen die im folgenden exemplarisch vorgestellten neuen Polizeigesetze der Polizei ausdrücklich die Oben 5. Kap. C IV 2, 3; 6. Kap. A I. Informationserhebung durch Einsatz technischer Mittel: Art. 33-35 BayPAG; §§ 15, 16 HessSOG; §§ 16-20 NWPolG; §§ 25 a II, 25 b RPPVG; § 28 SaariPoiG. 66 67

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Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung bzw. die Verhütung von Straftaten zu. Damit ist klargestellt, daß der Aufgabenbereich der Polizei auch im "Vorfeld" konkreter Gefahren eröffnet ist und geklärt, daß die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten Gefahrenabwehr ist 68 • Begrifflich wird hinsichtlich der Gefahr im polizeirechtlichen Sinne üblicherweise in der Weise differenziert 69 , daß eine konkrete Gefahr nach allgemeiner Meinung vorliegt, wenn in einem bestimmten Einzelfall, mithin einem konkreten, nach Ort und Zeit bestimmten oder bestimmbaren Sachverhalt eine Sachlage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen würde, falls das Geschehen nicht unterbrochen wird. Einen Unterfall zur konkreten Gefahr bildet dabei die gegenwärtige - also die unmittelbar bevorstehende oder bereits eingetretene Gefahr. Eine abstrakte Gefahr besteht, wenn aus Handlungen und Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit konkrete Gefahren einzutreten pflegen. Hierbei wird von einem gedanklich gebildeten, abstrakt umschriebenen Sachverhalt ausgegangen. Von einer allgemeinen Gefahr wird gesprochen, wenn bei bestimmten Sachverhalten ein Schaden möglicherweise eintreten wird. Die allgemeine Gefahr erfaßt die Fälle, die auch mit dem Begriff der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung umschrieben werden. Darunter wird die polizeiliche Tätigkeit verstanden, die erstens schon im Vorfeld noch nicht begangener Delikte - auch heimlich - Informations- und Überwachungsmaßnahmen entfaltet, um die Begehung von Straftaten zu verhüten, und zweitens namentlich durch Vorhalten von Informationen und Unterlagen - wie etwa Bilder von Personen - die spätere Aufklärung von künftigen Straftaten zu ermöglichen 70. Der Unterschied zwischen den Gefahrenbegriffen besteht darin, daß das Vorliegen einer konkreten oder abstrakten Gefahr die (variable) Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts voraussetzt, bei der allgemeinen Gefahr hingegen die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts ausreicht 7 !. In Baden-Württemberg zum Beispiel kann nach § 22 Abs. 2 BWPolG der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten zur Wahrnehmung seiner Aufgaben durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Licht68 A. A. auch noch gegenwärtig Merlen 1992, S. 355 m. H. a. Weßlau 1989, S. 336; ähnlich Wolter 1988, S. 62 ff. 69 Darstellung nach Kowalczyk 1989, S. 91 ff. m. N. der Lit.; Riegel 1991, Bd. 1, A 11, S. 5; vgl. auch Woller 1988, S. 52 ff. 70 Vgl. Woller 1988, S. 52 u. 78. 7! Die Vertreter des engen Gefahrenbegriffs sehen in dieser Einbeziehung des Vorfelds konkreter Gefahren in die polizeiliche AufgabensteIlung das Ziel des Gesetzgebers, die Polizei von rechtlichen Bindungen freistellen zu wollen. Für die überwiegende Meinung bedeutet die ausdrückliche Nennung der vorbeugenden Bekämpfung bzw. der Verhütung von Straftaten keine Aufgabenerweiterung zugunsten der Polizei, sondern lediglich die KlarsteIlung, daß - seit je - die Aufgabe der Polizei neben der Abwehr konkreter und abstrakter Gefahren auch die Abwehr allgemeiner Gefahren umfaßt; vgl. Kowalczyk 1989, S. 98 m. N. des Meinungsstandes; Riegel 1991 Bd. 1, A 11, S. 5 ff.

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bildern und Bildaufzeichnungen von den in § 20 Abs. 2 BWPolG genannten Personen (das sind Störer im polizeirechtlichen Sinne sowie andere Personen) zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder von den in § 20 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4 genannten Personen (das sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, daß sie künftig Straftaten begehen, Kontakt- und Begleitpersonen einer der in Nr. 1 genannten Personen, Personen im räumlichen Umfeld einer im besonderen Maße als gefährdet erscheinenden Person) zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erheben, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. Nach § 22 Abs. 3 BWPolG kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten durch eine längerfristige Observation, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger oder durch den Einsatz verdeckter Ermittier von den in § 20 Abs. 2 genannten Personen (das sind Störer und andere Personen) zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögens werte oder von den in § 20 Abs. 3 Nr. 1 und 2 genannten Personen (das sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, daß sie künftig Straftaten begehen; Kontakt- und Begleitpersonen einer der in Nr. 1 genannten Personen) zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung erheben, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. Für die visuell-akustische Überwachung von Personen ist nach dem bayerisehen Polizeiaufgabengesetz der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen zulässig, wenn die Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe auf andere Weise gefährdet oder erheblich erschwert würde (Art. 33 Abs. 2 BayPAG). Die Erhebung personenbezogener Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und zur Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes ist zulässig, wenn dies erforderlich ist zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint (Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 BayPAG). Die Erhebung personenbezogener Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und zur Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes ist des weiteren zulässig, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen werden soll, wenn die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist (Art. 33 Abs. 3 Nr. 2 BayPAG). Nach hessisehem Polizeirecht können die Polizeibehörden durch den verdeckten Einsatz der genannten technischen Mittel personen bezogene Daten nur erheben, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben oder Freiheit einer Person unerläßlich ist. Darüber hinaus können durch den Einsatz technischer

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

Mittel personenbezogene Daten nur erhoben werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß eine Straftat mit erheblicher Bedeutung begangen werden soll. Die Maßnahmen sind nur zulässig, wenn die Verhütung der Straftat oder eine dafür wesentliche Aufklärung auf andere Weise wesentlich erschwert oder entscheidend verzögert würde und die Maßnahme nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. (§ 15 Abs. 2, 3 Nr. 1-3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 HessSOG). In Nordrhein-Westfalen ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Bildund Wortaufzeichnung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person sowie zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung 72 zulässig (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, § 18 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 NWPoIG). Nach dem PVG Rheinland-Pfalz ist die Erhebung öffentlich nicht zugänglicher personenbezogener Informationen durch den Einsatz zur verdeckten Informationserhebung bestimmter besonderer technischer Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Katalogstraftaten zulässig (§ 25 b Abs. 1 RPPVG). Verdeckte Erhebungen durch den Einsatz dazu bestimmter besonderer technischer Mittel können durchgeführt werden, wenn dies zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr erforderlich ist (§ 25 a Abs. 2 S. 2 RPPVG). Im Saarland ist die Erhebung pesonenbezogener Informationen mit verdeckten technischen Mitteln zur vorbeugenden Bekämpfung von Verbrechen zulässig, wenn auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß eine solche Straftat begangen werden soll sowie zur Bekämpfung anderer Straftaten, wenn auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß die Straftat gewerbsmäßig, gewohnheitsmäßig, von Banden oder von Organisationen begangen werden soll (§ 28 SaarIPoIG). (b) Adressaten Als weitere strukturelle Gemeinsamkeit der neuen Polizei gesetze ist festzustellen 73, daß polizeiliche Maßnahmen sich zwar grundsätzlich gegen den Störer zu richten haben, wobei Störer ist, wer die Gefahr verursacht hat, gleichgültig, ob er strafrechtlich verantwortlich ist oder nicht. Dabei wird zwischen dem Verursacher einer Gefahr (Handlungsstörer) und dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt über eine gefahrenverursachende Sache (Zustandsstörer) unterschieden, wobei nur die unmittelbare Verursachung die Störereigenschaft begründet, mittelbare Ursachen dagegen nicht ausreichen 74. In Fällen des polizeilichen Notstands kann auch der Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Voraussetzung dafür ist 72 73

74

Legaldefinition für Straftaten mit erheblicher Bedeutung in § 8 Abs. 3 NWPoLG. Das folgende nach Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 16 f. Statt aller Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 16.

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in der Regel eine gegenwärtige erhebliche Gefahr, die durch eine Inanspruchnahme des Störers nicht abwendbar ist (vgl. etwa § 9 BWPoIG, Art. 10 BayPAG, § 6 NWPoIG, § 7 RPPVG). In bestimmten Fällen, die im jeweiligen Polizeigesetz abschließend umschrieben sind, kommt es auf die Unterscheidung zwischen Störer und Nichtstörer nicht an. Dann kann zunächst jedermann, auf den die Tatbestandsvoraussetzungen zutreffen, Adressat von Maßnahmen sein 75. In bezug auf die Bestimmungen zur Erhebung von personenbezogenen Informationen durch visuell-akustische Mittel ist festzuhalten, daß diese nach allen Novellen im Rahmen der genannten Zwecksetzung verdeckt gegen den Verursacher der Gefahr oder Störung sowie gegen Nichtstörer im Falle des polizeilichen Notstands angewandt werden können. Erfolgt die Maßnahme zur vorbeugenden Straftatbekämpfung, kann sie sich gegen Personen richten, bei denen Anhaltspunkte bestehen, daß sie künftig eine Straftat begehen werden, sowie gegen Kontakt-oder Begleitpersonen der genannten Personen. Die Aufzeichnung weiterer Personen ist nach einigen Polizeigesetzen zulässig, wenn sich dies aus technischen Gründen nicht vermeiden läßt (§§ 21 Abs. 1,22 Abs. 4 BWPoIG, Art. 33 Abs. 4 BayPAG; § 15 Abs. 3 S. 2 HessSOG; § 17 Abs. 1 S.2 NWPoIG). (c) Verfahrensrechtliche Vorkehrungen Keine verfahrensrechtliche Vorkehrung ist nach § 22 Abs. 6 BWPolG vorgesehen. Danach bedarf der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger grundsätzlich keiner Anordnung durch besondere, mit Leitungsfunktionen betrauten Polizeistellen. Als verfahrensrechtliche Vorkehrung ist in Bayern vorgesehen, daß der Einsatz der genannten Mittel, ausgenommen die Anfertigung von Bildaufnahmen, die nicht besonders angeordnet zu werden braucht, nur vom Leiter eines Landespolizeipräsidiums oder einer Polizei- oder Kriminaldirektion, des Grenzpolizeipräsidiums oder des Landeskriminalamts angeordnet werden darf. Der Präsident des Landeskriminalamts kann die Anordnungsbefugnis auf die ihm nachgeordneten Abteilungsleiter übertragen. Die Anordnung hat schriftlich unter Angabe der für sie maßgeblichen Gründe zu erfolgen und ist zu befristen. Die Verlängerung der Maßnahme bedarf einer neuen Anordnung (Art. 33 Abs. 5 BayPAG). In Hessen erfolgt außer bei Gefahr im Verzug die Anordnung der Maßnahme durch den Behördenleiter oder einen von ihm Beauftragten. Für eine Observation über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten ist die Zustimmung des Ministe75 Beispiele hierfür sind die Personenfeststellung an sog. gefährlichen und gefährdeten Orten sowie an Kontrollstellen (vgl. Art. 13 Abs. 1 BayPAG, 9 Abs. 1 NWPoIG). Der Entbehrlichkeit der Unterscheidung zwischen Störer und Nichtstörer in diesen Fällen tragen Bestimmungen wie Art. 7 Abs. 4 BayPAG, § 4 Abs. 4 NWPolG oder § 9 NSOG Rechnung, die jeweils klarstellen, daß in diesen Fällen die Vorschriften über die Inanspruchnahme von Störem oder Nichtstörem nicht Platz greifen.

14 Geiger

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

riums des Innern oder einer von ihm benannten Stelle erforderlich. Das Abhören oder Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes durch Einsatz technischer Mittel darf außer bei Gefahr im Verzug nur durch den Richter angeordnet werden. Die Anordnung ergeht schriftlich. Sie muß die Personen, gegen die sich die Maßnahmen richten sollen, so genau bezeichnen, wie dies nach den zur Zeit der Anordnung vorhandenen Erkenntnissen möglich ist. Art und Dauer der Maßnahmen sind festzulegen. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen und, soweit möglich, räumlich zu begrenzen. Eine dreimalige Verlängerung um jeweils höchstens drei weitere Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen fortbestehen. Hat die Polizeibehörde bei Gefahr im Verzug die Anordnung getroffen, so beantragt sie unverzüglich die richterliche Bestätigung der Anordnung. Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird (§ 15 Abs. 2 S. 3, Abs. 4 u. 5 HessSOG). In Nordrhein-Westfalen darf der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen und der verdeckte Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes nur durch den Behördenleiter angeordnet werden (§ 17 Abs. 3 S. 1, § 18 Abs. 3 S. 1 NWPolG). Einer Anordnung bedarf es nicht, wenn das technische Mittel ausschließlIich zum Schutz der bei einem polizeilichen Einsatz tätigen Personen mitgeführt und verwendet wird (§§ 17 Abs. 4, 18 Abs. 4 NWPolG). In Rheinland-Pfalz darf die Erhebung öffentlich nicht zugänglicher personenbezogener Informationen durch den Einsatz technischer Mittel außer bei Gefahr im Verzug nur durch den Richter angeordnet werden (§ 25 b S. 2 i. V. m. § 21 Abs. 1 RPPVG). Im Saarland erfolgt die Anordnung der Erhebung personenbezogener Informationen mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel außer bei Gefahr im Verzug durch den Behördenleiter oder einen von ihm beauftragten Beamten (§ 28 Abs. 3 S. 6 SaarIPoIG). (d) Vernichtung der Unterlagen, Unterrichtung und Auskunftserteilung Nach § 22 Abs. 7 BWPolG sind in Baden-Württemberg Bild- und Tonaufzeichnungen, die ausschließlich die nicht in Abs. 2 und 3 von § 22 genannten Personen betreffen, unverzüglich, spätestens jedoch nach zwei Monaten zu löschen, soweit sie im Einzelfall nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Diese Löschungsvorschrift wird praktisch kaum relevant werden, weil sie im Ergbnis nur Personen zugute kommt, die weder als Störer noch in sonstiger Weise in einer Beziehung zu einer polizeilichen Gefahr stehen. Solche Personen dürften kaum ausschließlich aufgenommen werden. Nach § 22 Abs. 8 BWPolG ist der Betroffene von einer der genannten Überwachungsmaßnahmen zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Die Unterrichtung unterbleibt, wenn hierdurch ein verdeckter Ermittier oder seine

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weitere Verwendung gefährdet würde, sich an den die Maßnahme auslösenden Sachverhalt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt oder seit Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind. Nach Abschluß der Maßnahme ist nach hessischem Polizeirecht diejenige Person, gegen die die Maßnahme angeordnet worden ist, zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Die Unterrichtung ist dann nicht geboten, wenn keine Aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten erstellt oder sie und Unterlagen über hieraus gewonnene Erkenntnisse unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme vernichtet worden sind; dies gilt nicht für eine Observation über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten. Wenn sich an den auslösenden Sachverhalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die betroffene Person anschließt, entscheidet die Staatsanwaltschaft über den Zeitpunkt der Unterrichtung (§ 15 Abs. 7 HessSOG). Keine Regelung zur Vernichtung und Unterrichtung und Auskunftserteilung über polizeilich geführte Bild- und Tonaufnahmen enthält insoweit das bayerische PAG76. Nach PolG Nordrhein-Westfalen sind Personen, gegen die sich Datenerhebungen mit technischen Mitteln richteten, nach Abschluß der Maßnahme hierüber durch die Polizei zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung erfolgen kann. Eine Unterrichtung durch die Polizei unterbleibt, wenn wegen desselben Sachverhalts ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet worden ist (§§ 17 Abs. 5, 18 Abs. 5 NWPoIG). Bildaufzeichnungen und Aufzeichnungen des gesprochenen Wortes, die mit einem selbsttätigen Aufzeichnungsgerät angefertigt wurden und ausschließlich Personen betreffen, gegen die sich die Datenerhebungen nicht richteten, sind unverzüglich zu vernichten, es sei denn, sie werden zur Verfolgung von Straftaten benötigt «§§ 17 Abs. 5, 18 Abs. 6 NWPoIG). Ähnlich regelt das saarländische Polizeigesetz, daß dann, wenn bei einer Observation ein selbsttätiges Aufzeichnungsgerät eingesetzt wird, die Aufzeichnungen über Personen, die weder Störer noch Kontaktpersonen sind, unverzüglich zu vernichten sind (§ 28 Abs. 5 SaarlPoIG). (e) Bild- und Tonaufnahmen von Personen bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und an besonderen Objekten Die Novellen regeln überwiegend gesondert die Erhebung von Daten und Informationen mit technischen Mitteln bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und besonderen, gefährdeten oder gefährlichen Objekten. Soweit in Landespolizeigesetzen auch die Datenerhebung bei öffentlichen Versammlungen geregelt wird (§ 14 Abs. 2 HessSOG, § 30 BremPoIG), sind diese Bestimmungen durch die Novellierung der §§ 12 a, 19 a VersG im Wege der konkurrierenden Bundesgesetzgebung verdrängt worden (Art. 72 GG). 76 Anders nur bei Erhebungen aus Wohnungen. 14*

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In Baden-Württemberg kann der Polizeivollzugsdienst bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen, Bild- und Tonaufzeichnungen von Personen anfertigen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie dabei Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung oder Straftaten begehen werden. Die Datenerhebung darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvenneidbar betroffen werden. Der Polizeivollzugsdienst kann in den in § 26 Abs. 1 Nr. 3 genannten Objekten (das sind Verkehrs- oder Versorgungsanlagen oder -einrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder andere besonders gefährdete Objekte) oder in deren unmittelbarer Nähe Bild- und Tonaufzeichnungen von Personen anfertigen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß an oder in Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen, diese Objekte oder darin befindliche Sachen gefährdet sind. Bild- und Tonaufzeichnungen sind unverzüglich, spätestens jedoch nach zwei Monaten zu löschen, soweit sie im Einzelfall nicht zur Verfolgung von Straftaten oder von Ordnungswidrigkeiten, zur Geltendmachung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen oder zum Schutz privater Rechte, insbesondere zur Behebung einer bestehenden Beweisnot, erforderlich sind (§ 21 BWPoIG). In Bayern kann die Polizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen personenenbezogene Daten auch durch den Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen oder aufzeichnungen über die für eine Gefahr Verantwortlichen erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß dabei Ordungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder Straftaten begangen werden. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvenneidbar betroffen werden. Die Polizei kann an oder in besonders gefährdeten Objekten 77 Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Personen anfertigen, soweit tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß an oder in Objekten dieser Art Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen, diese Objekte oder andere darin befindliche Sachen gefährdet sind. Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen und daraus gefertigte Unterlagen sind spätestens zwei Monate nach der Datenerhebung zu löschen oder zu vernichten, soweit diese nicht zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder Straftaten benötigt werden. Für Bild- und Tonaufnahmen oder - aufzeichnungen durch die Polizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen und Aufzügen verweist Art. 32 BayPAG auf die §§ 12 a und 19 ades Versammlungsgesetzes (Art. 32 Abs. 1-4 BayPAG). Nach hessischem Polizeirecht können die Polizeibehörden personenbezogene Daten über Nichtstörer bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltun77 Dies sind: Verkehrs- oder Versorgungsanlagen oder -einrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder andere besonders gefährdete Objekte (vgl. Art. 13 Abs. I Nr.3 BayPAG).

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gen oder Ansammlungen erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß bei oder im Zusammenhang mit der Veranstaltung oder Ansammlung Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten drohen. Die Unterlagen sind spätestens zwei Monate nach Beendigung der Veranstaltung oder Ansammlung zu vernichten, soweit sie nicht zur Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit oder zur Strafvollstreckung benötigt werden. Eine Verwendung für andere Zwecke ist unzulässig (§ 14 Abs. 1 u. 2 HessSOG). Eine Ermächtigung zur Anwendung technischer Mittel zur Datenerhebung enthält die Bestimmung indessen nicht. In Nordrhein-Westfalen kann die Polizei bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen, personenbezogene Daten, auch durch den Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen, von Teilnehmern erheben, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden. Dabei dürfen auch personenbezogene Daten über andere Personen erhoben werden, soweit dies erforderlich ist, um eine Datenerhebung durchführen zu können. Bild- und Tonaufzeichnungen, in Dateien suchfähig gespeicherte personenbezogene Daten sowie zu einer Person suchfähig angelegte Akten sind spätestens einen Monat nach der Datenerhebung zu löschen oder zu vernichten, es sei denn, sie werden zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten benötigt oder Tatsachen rechtfertigen die Annahme, daß die Person künftig Straftaten begehen wird und die Aufbewahrung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich ist (§ 15 Abs. 1 NWPoIG). Keine speziellen Bestimmungen zur Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen sind im neuen PVG Rheinland-Pfalz vorgesehen. Nach saarländischem Polizeirecht kann die Vollzugspolizei personenbezogene Informationen bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen, erheben, soweit tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen. Die Unterlagen sind spätestens zwei Monate nach Ablauf der Veranstaltung oder Ansammlung zu vernichten, soweit sie nicht im Einzelfall zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich sind. Die Befugnis zur Anwendung technischer Mittel zur Informationserhebung ist jedoch nicht vorgesehen (§ 27 SaarIPoIG). (2) Verfassungsrechtliche Würdigung Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und die Wesentlichkeitslehre bestehen gegen die Subsumtion von mit Videogeräten durchgeführten verdeckten Beobachtungen und Aufzeichnungen von Personen in Wort und Bild unter die genannten Bestimmungen keine Bedenken. Videogerä-

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

te lassen sich ohne weiteres als technische Mittel zur Bildaufzeichnung und zum Abhören oder zur Aufnahme des gesprochenen Wortes zuordnen. Die in den Gesetzen erlaubte Erhebung personenbezogener Daten umfaßt hirneichend bestimmt sowohl reine Beobachtungsmaßnahmen mit Videokameras als auch Videoaufzeichnungen. Heimliche Maßnahmen fallen eindeutig unter den Wortlaut der genannten Bestimmungen. Hingegen sind von Verfassungs wegen Einwände gegen die Subsumtion auch offener Erhebungen unter die genannten Bestimmungen zu erheben. Offene Beobachtungsmaßnahmen sind wegen ihrer psychologischen Folgen 78 kein Minus zu der verdeckten Überwachung, eine Argumentation a majore ad minus kommt folglich nicht in Betracht. Auch die im allgemeinen Teil der novellierten Polizeigesetze zu findenden Bestimmungen, wonach Datenerhebungen grundsätzlich offen zu erfolgen haben und eine verdeckte Daten- oder Informationserhebung nur zulässig ist, wenn dies entweder durch Gesetz zugelassen oder zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben notwendig ist (z. B. Art. 30 Abs. 3 BayPAG; § 9 Abs. 5 NWPoIG; § 25 a RPPVG; § 25 Abs. 3 SaarIPoIG), ergeben nicht die Zulässigkeit offener Videoaufzeichnungen. Denn diese sind eben mehr als eine bloße "Datenerhebung" oder "Informationserhebung" 79. Auch das PVG Rheinland-Pfalz bildet keine Ausnahme. Dieses läßt den "Einsatz zur verdeckten Informationserhebung bestimmter besonderer technischer Mittel" zu (§ 25 b RPPVG). Diese Formulierung umfaßt nicht himeichnend deutlich auch eine von den Betroffenen wahrgenommene Anwendung von Videogeräten. Demgegenüber bestehen in bezug auf den Grundsatz der Normenklarheit insoweit keine Bedenken, als wiederholt auf umfangreiche Kataloge zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der vorbeugenden Bekämpfung einer "Straftat von erheblicher Bedeutung" verwiesen wird (§ 22 Abs. 3 BWPoIG, Art. 30 Abs. 5 BayPAG, § 8 Abs. 3 NWPoIG, § 25 b Abs. 1 Nr. 2 RPPVG). Die jeweiligen Kataloge sind zwar umfangreich. Dies führt aber nicht zur Unverständlichkeit oder Unklarheit der Bestimmungen im verfassungsrechtlichen Sinne, weil die in Bezug genommenen Strafrechtstatbestände durch (zwar aufwendiges) Nachlesen ermittelt werden können. Auch bestehen insoweit keine Bedenken gegen die Bestimmtheit der Normen, als sie neben Maßnahmen gegen Störer auch Maßnahmen gegen Kontaktpersonen sowie Personen zulassen, die unvermeidbar mitbeobachtet und mitaufgezeichnet werden. Die Bestimmung läßt vielmehr deutlich erkennen, daß Adressat grundsätzlich jedermann im Operationsfeld zulässiger Beobachtungsmaßnahmen werden kann. Im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehen gegen die genannten Vorschriften keine durchschlagenden verfassungsrechtlichen Beden78

79

Oben 2. Kap. C I 2. Oben 5. Kap. C IV 3; 6. Kap. A I 2.

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

215

ken, soweit sie die Straftatbekämpfung betreffen 80 • Die Vorschriften sind insbesondere nicht bereits deshalb unverhältnismäßig, soweit sie sich teilweise nicht ausdrücklich auf Maßnahmen zur Abwehr von Straftaten von erheblicher Bedeutung beschränken. Denn verfassungsrechtlich zulässig durch Straftatbestände geschützte Rechtsgüter haben jedenfalls auf der Ebene des abstrakten Gesetzes grundsätzlich ein hinreichendes Gewicht, um durch den Einsatz visuell-akustischer technischer Mittel geschützt zu werden. Ob eine solche Maßnahme dem Verhältnismäßigkeitsgebot genügt, muß daher im jeweiligen Einzelfall und unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles beurteilt werden. Soweit die Bestimmungen Beobachtung und Aufzeichnung ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr schon zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zulassen, ist dies nicht verfassungswidrig. Insbesondere ist dies nicht unzumutbar. Dies ergibt sich daraus, daß nach den genannten Polizeigesetzen visuell-akustische technische Mittel zur vorbeugenden Straftatbekämpfung nur angewandt werden dürfen gegen Personen, bei denen Anhaltspunkte bestehen, daß sie künftig eine Straftat begehen werden, sowie gegen Kontakt- oder Begleitpersonen der genannten Personen. Auch die Kontakt- und Begleitpersonen trifft insoweit eine Last, die durch den Zweck der Straftatverhinderung gerechtfertigt ist. Soweit die Bestimmungen Maßnahmen gegen Nichtstörer und Kontaktpersonen zulassen, ist dies jedenfalls verfassungsmäßig, wenn, wie dies die Bestimmungen durchwegs voraussetzen, bei der Gefahrenabwehr tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr oder bei der vorbeugenden Straftatbekämpfung, wenn auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß eine Straftat begangen werden soll und die Maßnahme zur Ermittlung des wirklichen Störers erfolgt. Soweit Maßnahmen gegen Dritte zugelassen werden, die unvermeidbar - etwa in einer Menschenansammlung - von der Beobachtungsmaßnahme betroffen werden, ist dies unbedenklich, solange eine unverzügliche Vernichtung der Aufnahmen gewährleistet wird, wie dies die Bestimmungen vorsehen. Dies gilt auch für den Fall, daß die Aufnahmen nicht vernichtet werden können, weil darauf gleichzeitig Störer oder Straftäter bei der Tatbegehung abgebildet sind und der Beweiswert der Aufnahme im Falle der Unkenntlichmachung der dritten Personen ganz oder teilweise aufgehoben würde. Durch die enge räumliche und sachliche Nähe der Unverdächtigen zu den Störern sind Maßnahmen jedenfalls verfassungsrechtlich den Unverdächtigen zumutbar, wenn sie der Ermittlung der wahren Störer dienen. Im Hinblick auf organisatorische und verfahrensrechtliche Regelungen genügen die Vorschriften durch die Anordnung eines Behördenleitervorbehalts, der übertragbar ist, sowie eines Richtervorbehalts verfassungsrechtlichen Anforderungen. Soweit in Bayern für isolierte Bildaufzeichnungen kein solcher Vorbehalt vorgesehen ist, begegnet dies unter dem Aspekt von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. 80 A. A. Kowalczyk 1989, S. 169 f.; ob dies auch für Ordnungswidrigkeiten gilt, kann hier dahinstehen.

216

6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

Art. 1 Abs. 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die detaillierte Formulierung der Eingriffsvoraussetzungen geeignet ist, die Verwirklichung der beschränkten Grundrechte zu gewährleisten 81. Allerdings fehlen in den neuen Polizeigesetzen in bezug auf Videoaufnahmen Löschungs- und Vernichtungsregelungen, was verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. In bezug auf die Speicherung, Nutzung und Übermittlung enthalten die Bestimmungen nur für die Speicherung punktuelle Bestimmungen. Dajede Verwendung und Übermittlung eine neue Einschränkung der Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, dürfen die Aufnahmen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf der Grundlage der genannten polizeirechtlichen Bestimmungen über die Aufzeichnung oder Speicherung von Bildund Tonaufnahmen genutzt und übermittelt werden 82. Bereits an anderer Stelle wurde ausgeführt, daß auch die Bestimmungen über die Verwendung und Übermittlung personenbezogener Daten in den Polizeigesetzen für Videoaufnahmen ausscheiden 83; denn Bild- und Stimmaufnahmen sind keine personenbezogenen Daten. Das verkennen die Landespolizeigesetze, wenn dort von Bild- und Tonaufnahmen lediglich unter dem Aspekt der "mit technischen Mitteln erhobenen personenbezogenen Daten" die Rede ist. Da es die in den Polizeigesetzen enthaltenen Datenverwendungs- und -übermittlungsregelungen an der aus Gründen des Bestimmheitsgrundsatzes erforderlichen - und gesetzestechnisch im übrigen ohne Schwierigkeiten formulierbaren - klaren Anordnung ihrer Anwendbarkeit auf Verwendung und Übermittlung von Bildund Stimm aufnahmen fehlen lassen, dürfen sie nicht als Ermächtigungsgrundlage für Verwendung und Übermittlung von Videoaufnahmen herangezogen werden. Keine Ermächtigung enthalten schließlich die polizeirechtlichen Bestimmungen, zu präventiven Zwecken (Verhinderung von Straftaten) angefertigte Aufnahmen unter Änderung des Erhebungszwecks zu Zwecken der Straftataufklärung aufzubewahren. Den Formulierungen im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die Löschung von Bild- und Tonaufnahmen kann aus Gründen des Bestimmtheitsgebots eine Befugnis zur Zweckänderung nicht entnommen werden; insoweit ist an das bereits beim Versammlungsgesetz Gesagte zu erinnem 84 •

81 Ob dies den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG genügt, ist eine andere Frage; darauf wird noch zurückzukommen sein. 82 Anders für das Versammlungsgesetz Vahle 1990, S. 349 f. 83 Oben 6. Kap. A IV 2 b cc. 84 Oben 6. Kap. A IV 2 b bb.

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab

217

ee) Ennächtigung zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO (1) Als gesetzliche Grundlage für die Aufzeichnung von Videoaufnahmen von

Personen zu präventiven Zwecken kommt auch § 81 b 2. Alt. StPO in Betracht. Auf Grund dieser bundesrechtlichen Vorschrift zur Gefahrenabwehr sind für Zwecke des Erkennungsdienstes u. a. Lichtbildaufnahmen des Beschuldigten zulässig. Nach der einfachrechtlichen Auslegung der Bestimmung dienen erkennungsdienstliche Maßnahmen, anders als § 81 b 1. Alt. StPO, nicht der Überführung des Beschuldigten, sondern der vorsorglichen Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Sie sind rein vorbeugender und sichernder Natur 85 • Zweck erkennungsdienstlicher Bildaufnahmen ist regelmäßig die Identifizierung des Betroffenen in etwaigen späteren Strafverfahren, oder die Verhinderung von Straftaten in späteren Fällen. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung ist nach Rechtsprechung und Schriftturn die begründete Prognose der Polizei, daß der Beschuldigte auch in Zukunft als potentieller Täter hinreichend gewichtiger Straftaten in Betracht kommen könnte. Streitig ist dabei, ob die Vorschrift auch eine heimliche Bildaufnahme erfaßt 86 •

(2) Die kompetenzrechtliche Verfassungsmäßigkeit der bundesgesetzlichen Regelung einer Aufgabe der Gefahrenabwehr ist außer Streit und wird mit dem engen sachlichen Zusammenhang von polizeilichem Erkennungsdienst und Durchführung eines Ennittlungsverfahrens begründet und daher auf Art. 74 Nr. 1 GG gestützt 87 • Neue Argumente, die zu einer Aufgabe dieser Meinung führen könnten, sind nicht ersichtlich; daher wird hier von der kompetenzrechtlichen Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ausgegangen. Inhaltlich ist an das bereits zu § 81 b 1. Alt. Gesagte zu erinnern 88. Dies bedeutet, daß auf Grund dieser Vorschrift Videobeobachtungen durchgeführt und Aufzeichnungen vom Beschuldigten hergestellt werden dürfen, wenn dies offen geschieht und wenn keine Stimmaufnahmen gemacht werden. Über den referierten Anwendungsbereich hinaus soll § 81 b 2. Alt. StPO nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch die Befugnis zur Aufbewahrung und Verwertung der Aufnahmen und deren Grenzen entnommen wer85

Kleinknecht / Meyer 1985, § 81b StPO, Rn. 3 m. w. N.; vgl. Meyer 1982, S.73

m.w.N.

86 Meyer 1982, S. 74 m. w. N.; vgl. Riegel zu den polizeirechtlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen 1991, Bd. I, A II, S. 29 ff. m. w. N. 87 BVerfGE 47, 239 [252]; BGH NStZ 1983, 84; Kleinknecht / Meyer 1985, § 81 b StPO, Rn. 3 m. N. der Rspr.; Meyer 1982, S. 73 m. w. N.; die Verfassungswidrigkeit bejaht Mansperger 1971, S. 30 ff., 41. 88 Oben 6. Kap. A IV 2 a cc.

218

6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

den 89. Dieser Rechtsprechung kann aus den oben genannten Gründen nicht beigetreten werden. Auch ist zu beachten, daß Aufbewahrung und Verwendung von Videoaufnahmen nicht auf die genannten strafprozessualen Vorschriften zur Beweisübennittlung und Beweisverwertung durch die Strafverfolgungsorgane gestützt werden können, weil es bei Maßnahmen nach § 81 b 2. Alt. StPO ausschließlich um Gefahrenabwehr geht. ff) Bestimmungen zum Erkennungsdienst über § 81 b 2. Alt. hinaus Die Anwendung von Videogeräten kommt auch auf Grund der insoweit im wesentlichen übereinstimmenden Landespolizeigesetze und dem Bundesgrenzschutzgesetz 90 als erkennungdienstliche Maßnahme in Betracht 91 (vgl. 19 Abs. 2 BGSG; Art. 14 BayPAG, § 36 BWPoIG, § 31 BremPolG, § 19 HessSOG, § 14 NWPoIG, § 10 SaarIPoIG). Keine der bestehenden landes- oder bundesrechtlichen Bestimmungen zur erkennungsdienstlichen Behandlung definiert abschließend die zulässigen Maßnahmen. Es findet sich stets die Nennung von Lichtbildern, gelegentlich auch von Bildaufzeichnungen (z. B. § 36 Abs. 2 Nr. 2 BWPoIG) sowie ähnlichen Maßnahmen. Tonaufnahmen werden nirgends erwähnt. Die Maßnahme darf erstens zum Zweck der Identitätsfeststellung erfolgen, wenn diese auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Insoweit ist die erkennungsdienstliche Maßnahme wie im strafrechtlichen Bereich ultima ratio der Identitätsfeststellung. Die Befugnis der Polizei zur Identitätsfeststellung dient der Überprüfung und Bestimmung der Identität einer Person zur Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe und ist in den meisten Polizeigesetzen als Spezialbefugnis geregelt, teilweise noch auf die Generalklausei gestützt. Die Durchführung der Identitätsfeststellung ist überwiegend an das Vorliegen einer konkreten Gefahr geknüpft, darüber hinaus auch zur vorbeugenden Tätigkeit vorgesehen, wodurch auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr verzichtet wird und die Differenzierung Störer oder Nichtstörer hinfällig wird 92. Dies betrifft in erster Linie Identitätsfeststellungen bei polizeilichen Sammelkontrollen an bestimmten, als gefährlich erachteten Orten (Razzia), oder an für die Allgemeinheit besonders wichtigen Objekten oder Orten, wenn diese als potentiell gefährdet anzusehen sind (sog. gefährdete Orte; vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 3 BWPoIG, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG, § 18 Abs. 2 Nr. 3 HessSOG, § 12 Abs. 1 Nr. 3 NWPoIG, § 12 Abs. 1 Nr. 3 NSOG, § 10 Abs. 1 Nr. 3 RPPVG, § 9 Abs. 1 Nr. 89 90

BVerwGE 26, 169 [170]. Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 29.

91 Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind auch in § 13 Abs. 1 AsylVerfG, § 3 Abs. 3 S. 1 AuslG, § 86 StVollzG geregelt. Diese Vorschriften ennächtigen jedoch nicht zu

erkennungsdienstlichen Maßnahmen aus Gründen der Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten und bleiben deshalb außer Betracht, (Kleinknechtl Meyer 1985, § 81 b StPO, Rn. 4). 92 Riegel 1991 Bd. 1, A II, S. 26 f.

A. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. ffi. Art. 1 Abs. 1 GG als Prüfungsffiaßstab

219

3 SaarIPoIG). Darüber hinaus hat sich im Bereich der Gefahrenabwehr die Einrichtung von Kontrollstellen entwickelt, mit dem Ziel, dort jedermann kontrollieren zu können, weil es vor oder nach einem Anschlag oft an konkreten Indizien fehlt, wer als Störer, Täter oder Mittäter in Frage kommt. Nach Riegel muß eine Befugnisnorm, die eine so umfassende Kontrolle gestattet, so streng wie möglich von den tatbestandlichen Voraussetzungen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingegrenzt werden. Sie soll danach nur zur Verhütung schwerer Straftaten zulässig sein (v gl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG, § 18 Abs. 2 Nr. 5 HessSOG, § 12 Abs. 1 Nr. 4 NSOG, § 12 Abs. 1 Nr. 4 NWPoIG, § 10 Abs. 1 Nr. 4 RPPVG) 93. Eine erkennungsdienstliche Maßnahme darf zweitens erfolgen, wenn es zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist, weil der Betroffene verdächtig ist, eine Tat begangen zu haben, die mit Strafe bedroht ist und wegen der Art der Ausführung der Tat die Gefahr der Wiederholung besteht (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 NWPoIG, Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG, § 19 Abs. 2 Nr. 2 HessSOG, § 10 Abs. 1 Nr. 2 RPPVG, § 10 Abs. I Nr. 2 SaarlPolG, § 19 Abs. 1 Nr.3 BGSG). Insoweit unterscheiden sich die polizeilrechtliche Bestimmungen von der strafprozessualen Bestimmung des § 81 b 2. Alt. StPO dadurch, daß jene erkennungsdienstliche Maßnahmen bereits gegen Verdächtige zulassen, diese solche nur gegen den Beschuldigten ermöglicht 94 • Die genannten Vorschriften können nach dem bereits zu § 81 b 2. Alt. StPO Gesagten 95 lediglich als Ermächtigungsgrundlagen für die offene Aufzeichnung von Bildaufnahmen mit Videokameras herangezogen werden; heimliche Bildaufnahmen können nicht darauf gestützt werden. Dies entspricht der überwiegenden einfachrechtlichen Auslegung der Bestimmungen zum präventiven Erkennungsdienst 96. Die Aufnahme der Stimme des Betroffenen ist insgesamt unzulässig, weil sich aus dem Wortlaut der genannten polizeirechtlichen Vorschriften eine Ermächtigung dafür nicht ergibt. Im Hinblick auf die Aufbewahrung und Verwendung der erkennungsdienstlichen Aufnahmen wird in den neuen Polizeigesetzen teilweise (vgl. z. B. § 14 Abs. 2 NWPoIG, 19 Abs. 3 HessSOG, 10 Abs. 2 SaarlPolG) die Pflicht zur Vernichtung angeordnet, sobald die Identität festgestellt ist. Solange die Aufnahme zur vorbeugenden Straftatbekämpfung im genannten Umfang - wofür der Verdacht erforderlich ist, eine Straftat begangen zu haben und Wiederholungsgefahr besteht 97 - oder nach anderen Rechtsvorschriften zulässig ist, darf sie jedoch aufbewahrt werden. In den übrigen Polizeigesetzen ist diese aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzuleitende Regel nur in innerdienstlichen

93

94 95

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Riegel 1991, Bd. 1, A 11, S. 26 f. Statt aller Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 30. Oben 6. Kap. A IV 2 b ee. Riegel 1991 Bd. 1 S. 29 ffi. H. a. BGHSt 34, 39 ff.=NJW 1986,2261 ff. Riegel 1991, Bd. 1, A II, S. 31 ffi. N.

220

6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

Vorschriften umgesetzt. Zu recht hält Riegel auch insoweit wegen des Grundsatzes der Normenklarheit eine gesetzliche Kodifizierung für erforderlich 98. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zwar teilweise die Verpflichtung vorgesehen, daß der Betroffene darüber zu belehren ist, daß er einen Vernichtungsanspruch hat, sobald die Aufbewahrungsvoraussetzungen entfallen (vgl. z. B. § 14 Abs. 3 NWPoIG). Verfassungsrechtlich unzureichend erscheint aber angesichts der Ungewißheit von Kriminalitätsprognosen die fehlende Normierung von Prüfungs- und Löschungspflichten. Soweit in einzelnen Bundesländern mangels spezieller Bestimmungen Maßnahmen der Identitätsfeststellung und ed-Behandlung auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden, kommt dies für Videoaufnahmen nicht in Betracht. Für Einschränkungen des Rechts am eigenen Bild, an der eigenen Stimme und auf informationelle Selbstbestimmung durch Videoaufzeichnungen ist die Generalklausel zu unbestimmt. Soweit die genannten Bestimmungen Maßnahmen des Erkennungsdienstes und der Identitätsfeststellung gegen Unverdächtige ermöglichen, ist dies unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit gesetzlicher Vorschriften nicht zu beanstanden. Auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bestehen keine Bedenken. gg) Die Vorschrift des § 24 2. Alt. KUG Für die Übermittlung und Veröffentlichung von Videoaufnahmen zur Verhinderung von Straftaten kommt schließlich § 24 2. Alt. KUG in Betracht. Diese Bestimmung ermöglicht die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildaufnahmen für Zwecke der öffentlichen Sicherheit. Sie läßt somit hinreichend deutlich erkennen, daß Übermittlungsmaßnahmen von Bildaufnahmen zu präventiv-polizeilichen Zwecken zulässig sein sollen. Welche Zwecke dies sind, ergibt sich aus den jeweiligen einschlägigen Aufgabenzuweisungen der Polizeigesetze. Eine Weitergabe zu anderen Zwecken sowie eine Weitergabe von Stimmaufnahmen wird durch die Bestimmung aber bereits nach ihrem Wortlaut nicht gedeckt. Für die Herstellung von Videoaufzeichnungen scheidet sie auch im Bereich der Gefahrenabwehr aus denselben Gründen als Ermächtigungsgrundlage aus, die bereits bei § 24 1. Alt. KUG dargelegt wurden 99 •

98

99

Riegel 1991, Bd. 1, A 11, S. 29.

Oben 6. Kap. A IV 2 a bb.

B. Prüfung der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. I GG

221

B. Prüfung der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG I. Schutzbereich und Schranken Die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen mit Videogeräten, die in oder aus Wohnungen i. S. v. Art. 13 Abs. 1 GGerfolgen, sind mit der dargestellten ganz überwiegenden Meinung als Einschränkung des Schutzbereichs von Art. 13 Abs. 1 GG zu qualifizieren. Die weitere Verwendung der in oder aus Wohnungen aufgezeichneten Vidoaufnahmen, etwa deren Speicherung, Nutzung und Übermittlung zu Zwecken der Straftatbekämpfung oder zu anderen Zwecken, sind als neuerliche Einschränkungen der Unverletzlichkeit der Wohnung und damit als erneute Eingriffe in Art. 13 Abs. 1 GG anzusehen. Durch die genannten Maßnahmen wird die Grundrechtsposition des berechtigten Wohnungsinhabers betroffen, der nicht identisch sein muß mit den in der Wohnung aufgenommenen Personen. Werden Personen mit Videogeräten beobachtet oder aufgezeichnet, die nicht Wohnungsinhaber sind, werden diese lediglich in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt. Eine Einwilligung 100 des Wohnungs inhabers in die Überwachung dieser Personen wäre daher lediglich dazu geeignet, eine Beschränkung von Art. 13 Abs. 1 GG, nicht jedoch der Grundrechte der Überwachten aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auszuschließen. Da die Beobachtung und Aufzeichnung der Videoaufnahmen keine "Durchsuchung" i. S. v. Art. 13 Abs. 2 GG, sondern sonstige Beschränkungen sind, ist für die Bestimmung der Schranken Art. 13 Abs. 3 GG maßgeblich. Für das Gebiet der Straftataufklärung enthält Art. 13 Abs. 3 GG insoweit keine Ermächtigung. Weder die erste noch die zweite Alternative gibt dem Staat die Befugnis, Videoaufnahmen zur Aufklärung von Straftaten unter Berührung der Garantie des Art. 13 Abs. 1 GG herzustellen oder zu verwenden. Denn Art. 13 Abs. 3 GG ermächtigt Gesetzgeber und Exekutive lediglich zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr, nicht jedoch zu Maßnahmen der Straftataufklärung. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß auch der Strafverfolgung präventive Elemente innewohnen, weil dem Grundgesetz die herkömmliche Trennung der Aufgaben der Strafverfolgung einerseits und der Gefahrenabwehr andererseits zugrunde liegt. Auch kommt ein Rückgriff auf "immanente Schranken" des Art. 13 Abs. 1 GG als Rechtfertigung für strafprozessuale Eingriffe insoweit nicht in Betracht, weil die Schranken von Art. 13 GG abschließend durch Art. 13 Abs. 2 und 3 GG geregelt werden. Videoaufnahmen und Videobeobachtung von Personen in oder aus Wohnungen zu Zwecken der Straftataufklärung wären somit von Verfas-

100

Vgl. dazu Schmitt Glaeser 1989, S. 74

ffi.

N.

222

6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

sungs wegen erst nach einer Grundgesetzänderung zulässig, soweit sie ohne oder gegen den Willen des W ohnungsinahbers erfolgen. Für das Gebiet der Gefahrenabwehr in der hier interessierenden Fonn der Verhinderung der Begehung einer Straftat hält Art. 13 Abs. 3 GG indessen eine Ennächtigung bereit. Videoaufnahmen und -beobachtungen sowie die Verwendung der Aufnahmen von Personen in oder aus Wohnungen können daher von Verfassungs wegen (nur) zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen (Art. 13 Abs. 3 1. Alt. GG) oder auf Grund eines Gesetzes zur Abwehr und darüber hinaus auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Art. 13 Abs. 3 2. Alt. GG) und damit zur Verhinderung der Begehung von Straftaten - vorgenommen werden. Aus Gründen der Wesentlichkeit und Bestimmtheit bedürfen Beschränkungen auf Grund von Art. 13 Abs. 3 2. Alt. GG gesetzlicher Grundlagen, die klar erkennen lassen, daß optische und akustische Überwachungsmaßnahmen gegen Personen in Wohnungen vom Gesetzgeber gewollt sind. In bezug auf das Bestimmtheitsgebot, die Wesentlichkeitslehre sowie auf verfahrensrechtliche und organisatorische Vorkehrungen gelten die bei Art. 2 Abs. 1 GG genannten Gesichtspunkte und die aus diesen gezogenen verfassungsrechtlichen Konsequenzen entsprechend.

11. Prüfung bestehender Gesetze 1. Polizeiliche Aufgabenzuweisungen und Generalklauseln kommen auf Grund der Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) für die Freiheit des Einzelnen aus Gründen der Wesentlichkeit und des Bestimmtheitsgrundsatzes jedenfalls unter den gegenwärtigen und künftigen Bedingungen der Videotechnologie - entgegen dem obiter dictum in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur langfristigen Videoüberwachung eines Wohnungseingangs - nicht in Betracht. Spezialgesetzliche Bestimmungen für den verdeckten Einsatz der technischen Mittel in oder aus Wohnungen enthalten die novellierten Landespolizeigesetze. Nach baden-württembergischem Polizeirecht kann der Polizeivollzugsdienst personenbezogene Daten in oder aus Wohnungen durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel von Störem im polizeirechtlichen Sinne sowie unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands über Nichtstörer erheben, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person erforderlich ist. Die Überwachungsmaßnahme bedarf der Anordnung durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Maßnahme durchgeführt werden soll. Sie ist zu befristen. Bei Gefahr in Verzug kann die Maßnahme von bestimmten Polizeiorganen angeordnet werden; diese Anordnung bedarf der Bestätigung des Amtsgerichts. Sie ist unverzüglich

B. Prüfung der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG

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herbeizuführen, sofern nicht anzunehmen ist, daß sie erst nach Beendigung der Maßnahme ergehen wird. Einer Anordnung im soeben beschriebenen Sinne bedarf es nicht, wenn technische Mittel ausschließlich zur Sicherung der bei einem polizeilichen Einsatz tätigen Person verwendet werden. Aufzeichnungen aus einem solchen Einsatz sind unverzüglich, spätestens jedoch zwei Monate nach dessen Beendigung zu löschen, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Es ist eine Unterrichtung des Betroffenen vorgesehen, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Sie ist unter anderem dann ausgeschlossen, wenn sich an den die Maßnahme auslösenden Sachverhalt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt oder seit Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind (§ 23 BWPoIG). Nach bayerischem Polizeirecht kann die Polizei durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen personenbezogene Daten erheben über die für eine Gefahr Verantwortlichen und über Nichtstörer im polizeilichen Notstand, wenn dies erforderlich ist zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, sowie über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese Personen ein Verbrechen oder gewerbs-, oder gewohnheits- oder bandenmäßig ein katalogartig begrenztes Vergehen begehen wollen. Die Maßnahme ist zu befristen und darf nur durch den Richter angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Maßnahme auch durch die oben genannten Dienststellenleiter angeordnet werden. Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird. Einer Anordnung bedarf es nicht, wenn technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem polizeilichen Einsatz tätigen Personen mitgeführt oder verwendet werden. Aufzeichnungen aus einem solchen Einsatz sind unverzüglich nach Beendigung des Einsatzes zu löschen, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden. Bildund Tonaufzeichnungen, die mit einem selbsttätigen Aufzeichnungsgerät angefertigt wurden und ausschließlich Personen betreffen, gegen die sich die Datenerhebungen nicht richteten, sind unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden. Der Betroffene ist von der Maßnahme zu unterrichten, sobald dies ohne Gefahrdung des Zwecks der Maßnahme, der eingesetzten, nicht offen ermittelnden Beamten, der Möglichkeit ihrer weiteren Verwendung oder der öffentlichen Sicherheit geschehen kann. Die Unterrichtung unterbleibt, wenn wegen desselben Sachverhalts ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet worden ist (Art. 34 BayPAG). Nach SOG Hessen dürfen in oder aus Wohn- und Nebenräumen sowie Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen die Polizeibehörden ohne Kenntnis

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

der betroffenen Person Daten nur erheben, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person unerläßlich ist. Maßnahmen in Wohn- und den anderen genannten Räumen dürfen außer bei Gefahr im Verzug nur durch den Richter angeordnet werden. Die Anordnung ergeht schriftlich. Sie muß die Personen, gegen die sich die Maßnahmen richten sollen, so genau bezeichnen, wie dies nach den zur Zeit der Anordnung vorhandenen Erkenntnissen möglich ist. Art und Dauer der Maßnahmen sind festzulegen. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen und, soweit möglich, räumlich zu begrenzen. Eine dreimalige Verlängerung um jeweils höchstens drei weitere Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen fortbestehen. Hat die Polizeibehörde bei Gefahr im Verzug die Anordnung getroffen, so beantragt sie unverzüglich die richterliche Bestätigung der Anordnung. Die Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von dem Richter bestätigt wird (§ 15 Abs. 4 und 5 HessSOG). Nach Abschluß der Maßnahme ist diejenige Person, gegen die sie angeordnet worden ist, zu unterrichten, sobald dies ohne GeHi.hrdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Wenn sich an den auslösenden Sachverhalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die betroffene Person anschließt, entscheidet die Staatsanwaltschaft über den Zeitpunkt der Unterrichtung (§ 15 Abs. 7 HessSOG). Sind Unterlagen, die durch Maßnahmen der im Abs. 5 S. 1 genannten Art erlangt wurden, für den der Anordnung zugrundeliegenden Zweck, zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung nicht mehr erforderlich, so sind sie zu vernichten. Sind durch den Einsatz technischer Mittel in Wohnräumen erlangte Unterlagen für den der Anordnung zugrundeliegenden Zweck, zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung verwendet worden, so ist vor ihrer Vernichtung die Zustimmung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Über die Vernichtung ist eine Niederschrift anzufertigen. Eine Verwendung für andere Zwecke ist unzulässig (§ 15 Abs. 8 HessSOG). In Nordrhein-Westfalen ist ein verdeckter Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes in oder aus der Wohnung des Betroffenen nur gegen den Störer und im polizeilichen Notstand auch gegen Dritte zulässig, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist (§§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 2 NWPoIG). Die Erhebung personenbezogener Daten in oder aus der Wohnung des Betroffenen durch den verdeckten Einsatz der genannten technischen Mittel darf nur durch den Richter angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Maßnahme durch den Behördenleiter angeordnet werden. Eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Beendigung der Maßnahme ergehen wird. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Polizeibehörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenhei-

B. Prüfung der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG

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ten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Einer Anordnung bedarf es nicht, wenn das technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem polizeilichen Einsatz tätigen Personen mitgeführt und verwendet wird. Aufzeichnungen sind unverzüglich nach Beendigung des Einsatzes zu löschen, es sei denn, sie werden zur Verfolgung von Straftaten benötigt (§§ 17 Abs. 4, 18 Abs. 4 NWPoIG). Personen, gegen die sich Datenerhebungen richteten, sind nach Abschluß der Maßnahme hierüber durch die Polizei zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung erfolgen kann. Eine Unterrichtung durch die Polizei unterbleibt, wenn wegen desselben Sachverhalts ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet worden ist. Aufzeichnungen, die mit einem selbsttätigen Aufzeichnungsgerät angefertigt wurden und ausschließlich Personen betreffen, gegen die sich die Datenerhebungen nicht richteten, sind unverzüglich zu vernichten, es sei denn, sie werden zur Verfolgung von Straftaten benötigt (§§ 17 Abs. 5, 6, 18 Abs. 5, 6 NWPoIG). Keine speziellen Bestimmungen zur Anwendung technischer Beobachtungsmittel in oder aus Wohnungen sieht das neue PVG Rheinland-Pfalz vor. Im Saarland kann die Vollzugspolizei in oder aus Wohnungen personenbezogene Informationen mit technischen Mitteln nur erheben, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person unerläßlich ist. Informationserhebungen mit technischen Mitteln dürfen in oder aus Wohnungen außer bei Gefahr im Verzug nur durch den Richter angeordnet werden, es sei denn, daß der Einsatz ausschließlich zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben der bei einem polizeilichen Einsatz in der Wohnung tätigen Personen erfolgt, wenn das technische Mittel mitgeführt wird und keine Aufzeichnung erfolgt. Wird bei der Observation ein selbsttätiges Aufzeichnungsgerät eingesetzt, sind die Aufzeichnungen über andere als die genannten Personen unverzüglich zu vernichten. Nach Abschluß der Maßnahmen ist der Betroffene zu unterrichten, sobald das ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Die Unterrichtung ist dann nicht geboten, wenn keine Aufzeichnungen mit personenbezogenen Informationen erstellt oder sie unverzüglich nach Beendigung der Maßnahme vernichtet worden sind. Eine Unterrichtung unterbleibt auch, wenn sich an den auslösenden Sachverhalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt oder fünf Jahre seit Abschluß der Maßnahme vergangen sind (§ 28 Abs. 4-6 SaarIPoIG). 2. Soweit die genannten Bestimmungen eine heimliche visuell-akustische Überwachung von Wohnungen zur Abwehr einer konkreten oder gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Personen zulassen, ist dies im Hinblick auf Art. 13 Abs. 3 GG unbedenklich (vgl. § 23 Abs. 1 BWPoIG, § 15 Abs. 4 HessSOG, §§ 17 Abs. 2,18 Abs. 2 NWPoIG, § 28 Abs. 4 SaarlPoIG). Soweit in Bayern die Polizei diese Maßnahmen darüber hinaus auch zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Sachen unter ande15 Geiger

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

rem treffen darf, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, sowie über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese Personen ein Verbrechen oder gewerbs-, oder gewohnheits- oder bandenmäßig ein katalogartig begrenztes Vergehen begehen wollen, geht dies zwar über die Ermächtigung des Art. 13 Abs. 3 1. Alt. GG hinaus, begegnet aber im Hinblick auf Art. 13 Abs. 3 2. Alt GG keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, da auch insoweit - wie es diese Verfassungsbestimmung voraussetzt - die Maßnahmen zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden. Im Hinblick auf die Ermächtigung zur Inanspruchnahme von Nichtstörern und die Verweisung auf Katalogstraftaten sowie im Hinblick auf die Normierung eines Richter- oder Behördenleitervorbehalts sowie im Blick auf die Regelungen über die Benachrichtigung sind Bedenken von Verfassungs wegen nicht ersichtlich. Insoweit wird an die bereits an anderer Stelle angestellten Überlegungen erinnert 101. Die Bestimmungen genügen schließlich auch dem für Beschränkungen des Art. 13 Abs. 1 GG geltenden Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S.2 GG (§ 4 BWPoIG, Art. 74 BayPAG, § 10 HessSOG; § 7 NWPoIG; § 7 SaarIPoIG). Allerdings fehlen auch für die in oder aus Wohnungen erhobenen Videoaufnahmen Übermittlungs- und Verwendungsregelungen in den Polizeigesetzen. § 24 2. Alt. KUG scheidet in diesem Zusammenhang aus. Diese vorkonstitutionelle Bestimmung, die der Gesetzgeber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in seinen Willen aufgenommen hat, unterliegt dem Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S.2 GG, wenn Eingriffe in Art. 13 GG auf diese Vorschrift gestützt werden sollen. Das Kunsturhebergesetz zitiert Art. 13 GG jedoch nicht. Die Vorschriften ermächtigen schließlich nicht zur Aufbewahrung präventivpolizeilich zulässig erhobener Videoaufnahmen für Zwecke des Strafprozesses. Soweit die Bestimmungen im Zusammenhang mit Löschungspflichten eine Aufbewahrung präventiver Aufnahmen zulassen, soweit die Aufnahmen zur Strafverfolgung benötigt werden (§ 23 Abs. 8 BWPoIG, Art. 34 BayPAG, §§ 15 Abs. 7 HessSOG, 17 Abs. 4,18 Abs. 4 NWPoIG, 28 Abs. 4-6 SaarIPoIG), kann nämlich darin keine Ermächtigung zur Zweckänderung erblickt werden. Dies wurde bereits an anderer Stelle begründet 102. Eine derartige Ermächtigung begegnete überdies verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Ermächtigung zur Aufbewahrung der Aufnahmen zu Zwecken der Strafverfolgung wäre ein erneuter Eingriff in die Wohnungsfreiheit. Dies wäre jedoch verfassungsrechtlich unzulässig, weil eine strafprozessual motivierte Einschränkung der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung außer im Falle der Durchsuchung (Art. 13 Abs. 2 GG) wegen Art. 13 Abs. 3 GG ausgeschlossen ist. Jede andere Betrachtung ließe den Schutz von Art. 13 Abs. 3 GG leerlaufen. 101 102

Oben 6. Kap. A IV 2 b dd (2). Oben 6. Kap. A IV 2 b cc.

c. Bemerkungen zur Menschenwürdegarantie

227

Soweit durch Videogeräte in oder aus Wohnungen andere Personen als der berechtigte Wohnungsinhaber überwacht und aufgezeichnet werden, handelt es sich insoweit um eine Einschränkung ihrer aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. I Abs. I GG konkretisierten Gewährleistungen des Rechts am eigenen Bild, an der eigenen Stimme, auf informationelle Selbstbestimmung sowie des Rechts, vor staatlicher Überwachung mit technischen Geräten verschont zu bleiben. Diese Einschränkung entfiele nicht etwa dadurch, daß der Wohnungsinhaber der Überwachung zustimmte.

c. Bemerkungen zur Menschenwürdegarantie Eine gesonderte Prüfung der Menschenwürdegarantie mag auf den ersten Blick überflüssig erscheinen angesichts des Umstands, daß das bereits geprüfte allgemeine Persönlichkeitsrecht von Rechtsprechung und Schrifttum aus Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG entnommen wird 103. Eine gesonderte Prüfung ist gleichwohl sinnvoll. Denn einerseits enthält die Formel, das allgemeine Persönlichkeitsrecht ergebe sich aus Art. 2 Abs. I i. V. m. Art. I Abs. I GG eine gewisse Unschärfe in der Beschreibung der Relation beider Verfassungsartikel. Andererseits hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht spätestens durch die Volkszählungsentscheidung 104 eine Ausweitung erfahren, die weit über den Gehalt der Menschenwürdegarantie hinausgeht. Die Bedeutung der Diskussion zu Fragen der Menschenwürde 100a liegt im wesentlichen darin, Gefahren des Mißbrauchs visuell-akustischer Überwachungstechnik beschrieben zu haben. Sie hat andererseits aber auch gezeigt, daß der Anwendung von Überwachungstechnik zur Straftatbekämpfung die Menschenwürde nicht von vornherein im Wege steht. In Übereinstimmung damit hat die soeben durchgeführte Grundrechtsprüfung erwiesen, daß die Menschenwürdegarantie einem Einsatz der Videotechnik bei der Straftatbekämpfung jedenfalls nicht aus Gründen der fehlenden Abgrenzbarkeit zwischen menschenunwürdigen und billigenswerten Anwendungen entgegensteht. In Anwendung der überwiegenden Literatur und Rechtsprechung auf das Beispiel der Videotechnik ist davon auszugehen, daß die Menschenwürde nicht durch Beobachtung und Aufzeichnung des Einzelnen mit Videogeräten als solche oder deren spätere Verwendung zu Zwecken der Straftatverhinderung und Straftataufklärung verletzt wird. Dies gilt auch, soweit Nichtverdächtige und Nichtstörer betroffen sind. Auch die Aufnahme intimer Vorgänge und die heimliche Aufnahme verletzen für sich genommen nicht die Menschenwürde der beobachteten und aufgezeichneten Personen. Eine Verletzung der Menschenwürdegarantie Vgl. oben 4. Kap. B 1. BVerfGE 65, 1. 100a Vgl. oben 4. Kap. B IV.

103

104

15*

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6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

kann sich lediglich aus der Art und Weise der Aufnahmen und namentlich aus den Zwecken und Motiven der sie anfertigenden Strafverfolgungsorgane ergeben. Wenn die Anwendungen der Videotechnik wie bei dem hier zu prüfenden Gegenstand zur Straftatverhinderung oder Straftataufklärung und nicht aus Mißachtung oder Geringschätzung des Betroffenen erfolgen, scheidet eine Verletzung der Menschenwürde aus. Allerdings wird nach allgemeiner, unwidersprochener Meinung eine verfassungswidrige Geringschätzung und Mißachtung darin erblickt, wenn der Staat jedermann als potentiellen Straftäter behandelte 105. Nach dem Menschenbild des Grundgesetzes sei jedermann als ehrlich, unbescholten, loyal und staatstreu anzusehen und zu behandeln 106. Diese Meinung könnte jedoch anfechtbar sein, was weitreichende verfassungsrechtliche Konsequenzen hätte: Das Menschenbild des Grundgesetzes wird als ein realistisches angesehen, das den Menschen so sieht, wie er in Wirklichkeit ist lO7 • Es könnte jedoch in die Gefahr der Realitätsferne geraten, wenn die vom Grundgesetz "normativ vermutete Rechtstreue" 108 des Einzelnen in Widerspruch zu empirischen Erkenntnissen stünde. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß bei empirischen kriminologischen Untersuchungen die Beobachtung gemacht wurde, daß Kriminalität ubiquitär, und folglich normal sei, daß jedermann zumindest zeitweilig oder tendenziell kriminell sei, daß Kriminalität der Natur jedes Menschen innewohne 109. Gestützt wird diese These auf Ergebnisse von Dunkelfeldforschungen (Täterbefragungen, Befragungen der Bevölkerung) die belegen, daß das tatsächlic4e Ausmaß der Kriminalität in der Bevölkerung um ein vielfaches höher ist, als dies durch die Strafverfolgungsstatistik widergespiegelt wird 110. Auf Grund der empirischen Befunde wird vorgetragen, die Einteilung der Bevölkerung in Kriminelle und nicht Kriminelle sei sinnlos 111. Die Befunde von Ubiqität und Normalität der Kriminalität sind jedoch dahin zu relativieren, daß die Begehung strafbarer Handlungen vorwiegend im Jugendalter stattfindet, und daß nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung schwere Delikte begeht oder über einen längeren Lebensabschnitt hinweg beharrlich und andauernd straffällig wird. Bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung hat kriminelles Verhalten Episodencharakter 112 • Die zum Dunkelfeld vorliegenden Erkenntnisse sind mithin jedenfalls gegenwärtig nicht geeignet, dem von Bundesverfassungsgericht und Staatsrechtslehre dem Grundgesetz entnommenen Menschenbild im Hinblick auf die Rechtstreue der 105 106

107

BVerwGE 26, 169 [170 f.]. Schwan 1987, S. 307.

Vgl. Benda 1984, S. 87; ders. 1983, S. 114.

Weßlau 1989, S. 337. Bettmer / Kreissl / Voß 1988, S. 194 ffi. H. auf Sessar 1984, S. 26 ff., 33; Smaus 1988, S. 543 ffi. w. N.; vgl. auch Kaiser 1988, S. 226, 239. 110 Herold 1988, S. 75; Rieß 1981, S. 4 ffi. N. 111 Zusammenfassend Kerner 1986, S. 104,105; H. J. Schneider 1987, S. 314; Kaiser 1988, S. 358 ff. 112 H. J. Schneider 1987, S. 314; Kaiser 1988, S. 360. 108

109

D. Zur Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG

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Bürger die Grundlage zu entziehen und es als realitätsfremd oder idealistisch erscheinen zu lassen. Eine verfassungswidrige Behandlung als potentieller Straftäter liegt aber entgegen entsprechenden Äußerungen in der Literatur nicht stets schon darin, daß ein Unverdächtiger Überwachungsmaßnahmen unterworfen wird. Die verfassungsrechtlich entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang nämlich nicht, ob jedermann als potentieller Straftäter oder Störer angesehen werden darf, - was abzulehnen wäre - , sondern, ob und zu welchen Zwecken ein Bürger überwacht werden darf, wenn er als unverdächtig und gerade nicht als potentieller Täter eingeschätzt wird. Dies ist aber eine Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer staatlichen Maßnahme, die den Freiheitsbereich des Einzelnen einschränkt, und kein Problem der Menschenwürde. Ob sie mit dem jeweils betroffenen Grundrecht des Inanspruchgenommenen in Einklang steht, ist in erster Linie eine Frage der Schranken des beschränkten Grundrechts. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, daß der Zweck, zu dem der Eingriff erfolgt, vor der Verfassung bestehen kann und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß bei der Würdigung und Auslegung von gesetzlichen Bestimmungen, die etwa zur Anwendung von Videogeräten ermächtigen, die Möglichkeit des rechts- und verfassungswidrigen Mißbrauchs eine Regelung noch nicht verfassungswidrig macht. Vielmehr ist in einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie davon auszugehen, daß sie korrekt und fair angewendet wird 113 •

D. Zur Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG Soweit auf Grund der geprüften Gesetze heimliche Videoaufzeichnungen angefertigt werden dürfen und eine nachträgliche Benachrichtigung entweder gar nicht oder nur vorgesehen ist, wenn dies ohne Gefährdung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme möglich ist, liegt darin eine - allein dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehaltene - Einschränkung der durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsweggarantie, soweit nicht gesetzlich vorgesehen ist, daß die Überwachungsmaßnahme entweder durch den Richter angeordnet oder nachträglich überprüft werden muß. Dies wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt 114.

Danach genügen gesetzliche Bestimmungen unter dem Aspekt der Rechtsweggarantie nicht der Verfassung, die für verdeckte Videoaufnahmen entweder gar keine besondere Anordnung beziehungsweise Kontrolle oder lediglich die Anordnung und Kontrolle durch den Behördenleiter oder andere Behörden der Exekutive vorsehen. Dies betrifft sämtliche novellierten Landespolizeigesetze, soweit 113

114

BVerfGE 22, 254 [265]; 30, 1 [27].

Oben 4. Kap. B VI; 5. Kap. D.

230

6. Kapitel: Verfassungsrechtliche Prüfung der einzelnen Anwendungen

heimliche Bild- und Tonaufnahmen außerhalb der Wohnung i. S. v. Art. 13 GG betroffen sind. Diese begegnen deshalb insoweit durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Lediglich für die verdeckte Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen in oder aus der Wohnung des Betroffenen enthalten die Novellen den verfassungsrechtlich gebotenen Richtervorbehalt 115. Dasselbe gilt für § lOOc StPO, der die heimliche Überwachung und Aufzeichnung des gesprochenen Wortes zuläßt und unter einen Richtervorbehalt stellt (§ lOOd StPO). Da a"er für die Herstellung heimlicher Bildaufnahmen kein Richtervorbehalt vorgesehen ist, begegnet die Vorschrift insoweit durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG.

E. Zum Rechtsstaatsprinzip Über die Rechtsweggarantie hinaus, welche ebenfalls dem Rechtsstaatsprinzip entnommen wird 116, sind weitere rechtsstaatliche Konkretisierungen bedeutsam. 1. Soweit der (auch) aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Bestimmtheit gesetzlicher Bestimmungen betroffen ist, kann auf die durchgeführte Grundrechtsprüfung verwiesen werden. Die Anforderungen an das Maß gesetzlicher Bestimmtheit, wie es aus den Grundrechten selbst folgt, ist jedenfalls nicht geringer als das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Bestimmtheitsgebot. Diesen Fragen braucht deshalb hier nicht weiter nachgegangen werden. 2. Der im Schrifttum geäußerten Befürchtung, die dargestellten technisch unterstützten polizeilichen Präventionsstrategien und die Stärkung des mit technischen Mitteln gewonnenen Beweises im Strafverfahren könnten zu einer Aufgabe des rechtsstaatlichen Polizei- und Strafprozeßrechts führen, weil namentlich die rechtsstaatlichen Verbürgungen der Gewaltenteilung, des fairen Verfahrens und der Unschuldsvermutung als verletzt angesehen werden, kann jedenfalls für die geprüften Anwendungen der Videotechnik nicht beigetreten werden. Allerdings erfordern erhöhte Gefahren verstärkte verfassungsrechtliche Vorkehrungen, wie sie bereits bei der Bestimmung des Schutzbereichs und der Anforderungen an Beschränkungen insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelt wurden 117. Gegen Anwendungen der Videotechnik zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten, die einer Prüfung am Maßstab der auf diese Weise konkretisierten Grundrechtsgarantien standhalten, wird schwerlich der Vorwurf der Rechtsstaatswidrigkeit erhoben werden können. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wie eine grundrechtskonforme 115 Das novellierte Polizeigesetz von Rheinland-Pfalz enthält überhaupt keine Ermächtigung für Überwachungsmaßnahmen in oder aus Wohnungen (vgl. § 25 b Abs. 2 PVG Rheinland-Pfalz). 116 Vgl. BVerfGE 30, 1 [25]. 117 Oben 6. Kap. A I, 11.

E. Zum Rechtsstaatsprinzip

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Anwendung technischer Mittel zur zuverlässigen Aufklärung und Verhinderung von Straftaten gegen das rechtsstaatliehe Gebot des fairen Verfahrens und der Unschuldsvermutung verstoßen soll. Auch das verdeckte Vorgehen der mit der Straftatbekämpfung beauftragten Organe ist nicht von vornherein durch das Rechtsstaatsprinzip untersagt. 3. Dasselbe gilt für Maßnahmen im Vorfeld konkreter Gefahren gegen Unverdächtige. Insoweit ergeben sich keine neuen, über das bereits im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG Gesagte l\8, hinausgehenden Bedenken unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine "der Sachlage zuwiderlaufende Gesetzesgestaltung, die die wahren Absichten des Gesetzgebers verschleiert", gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße. Die entsprechende Entscheidung betraf die Regelung des Personenförderungsgesetzes über die sog. Mitfahrerzentralen. Der Gesetzgeber wollte die Tätigkeit der Mitfahrerzentralen unterbinden, richtete das strafbewährte Verbot aber nicht gegen diese, sondern gegen Kraftfahrer, die ihr Fahrzeug hierfür zur Verfügung stellten. Das Bundesverfassungsgericht führte dazu aus, wenn der Gesetzgeber das genannte Ziel erreichen wolle, müsse er seine Gebote und Verbote unmittelbar an die Mitfahrerzentralen selbst richten. Er dürfe nicht eine Rechtsgestaltung wählen, die die Mitfahrererzentralen auf einem Umweg treffe und die volle Last des Verbots dem privaten Kraftfahrer aufbürde 119. Der Gesetzgeber hat demnach von Verfassungs wegen seine Verbote und Gebote an denjenigen zu richten, den er "treffen" will 120. In bezug auf Maßnahmen zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten will der Gesetzgeber und in Ausführung der Gesetze Polizei und Strafverfolgungsorgane gegen diejenigen vorgehen, die Straftaten begehen wollen oder begangen haben. Diese Personen sollen aber durch die entsprechenden Regelungen im Bereich von Straftataufklärung und -verhinderung nicht auf dem Umweg der Inanspruchnahme Unverdächtiger und auf deren Kosten getroffen, sondern im Gegenteil soll dadurch die Inanspruchnahme der wahren Störer oder Straftäter erst ermöglicht werden.

118

119 120

Oben 6. Kap. A IV 1, C. BVerfGE 17,306 [318]. Vgl. Benda 1985, S. 218.

Siebtes Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse Die in den vorstehenden Kapiteln entwickelten Ergebnisse dieser Untersuchung sind im wesentlichen: 1. Die Videotechnik ist ein zu Zwecken der Straftatbekämpfung geeignetes und in der Praxis genutztes polizei- und kriminaltechnisches Mittel. Durch das ihr innewohnende akustische und visuelle Überwachungspotential, ihre psychologischen Folgen und die Möglichkeit einer zunehmenden Gewöhnung an Überwachungsmaßnahmen birgt sie jedoch eine erhebliche Gefahr für den Einzelnen und die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes. Die Konkretisierung der Verfassung unter Berücksichtigung der Geltungsbedingungen der Videotechnik in ihren technischen, kriminalistischen und psychologischen Bezügen sowie die Prüfung ihrer Anwendungen und der bestehenden gesetzlichen Grundlagen am Maßstab der Verfassung ergibt: 2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet unter den Bedingungen der Videotechnologie das Recht am eigenen Bild, an der eigenen Stimme, auf informationelle Selbstbestimmung und darauf, von staatlicher Überwachung mit visuell-akustischen Mitteln verschont zu bleiben. Auf Grund der psychologischen Wirkungen und technischen Möglichkeiten der Videotechnik in Verbindung mit der elektronischen Informationsverarbeitung werden diese Rechte unabhängig von der Privatheit der betroffenen Lebenssituation gewährleistet. Weniger noch als im Hinblick auf Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten ist die Sphärentheorie allein zur Bewältigung der verfassungsrechtlichen Problematik der polizeilichen Anwendung der Videotechnologie geeignet. Sie bedarf daher auch insoweit der sachgerechten Ergänzung und Relativierung durch eine Sicht, die technische und psychologische Implikationen der Videotechnik ausreichend in Rechnung stellt. 3. Hieraus ergibt sich, daß das Recht am eigenen Bild dem Einzelnen die Befugnis gewährt, grundsätzlich selbst über die Aufnahme und jede spätere Verwendung seines Bildes zu entscheiden. Begrifflich umfaßt das eigene Bild jede Abbildung des menschlichen Körpers oder eines Körperteils, der eine Identifizierung, auch unter Zuhilfenahme technischer Mittel und von Zusatzkenntnissen, ermöglicht.

7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

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4. Das Recht an der eigenen Stimme gewährleistet dem Einzelnen dieselbe Befugnis in Ansehung seiner Stimme. Die eigene Stimme ist jede lautliche Äußerung des Menschen wie beispielsweise Sprechen, Singen und andere Laute, deren. physikalisches Abbild die Einzigartigkeit und Eigenart ihres Urhebers enthält. Das Recht an der eigenen Stimme geht folglich über das bisher herrschende Verständnis des Rechts am gesprochenen Wort hinaus. 5. Das Recht, von staatlicher Beobachtung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben, gibt dem Einzelnen unabhängig von Ort und Intimität des Lebenssachverhalts die Befugnis, nicht Adressat staatlicher Überwachung mit technischen Geräten wie etwa Sichthilfen, Abhöreinrichtungen und Videogeräten zu sein. 6. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt dem Einzelnen das Recht, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. 7. Aus diesen Grundsätzen folgt, daß die visuell-akustische Beobachtung von Personen mit Videogeräten das Recht einschränkt, von staatlicher Beobachtung mit technischen Mitteln verschont zu bleiben. Jede Aufzeichnung der ganzen oder teilweisen äußeren Erscheinung einer Person mit einer Videokamera sowie jede spätere Verwendung der Aufnahme beschränken das Recht am eigenen Bild des Betroffenen. Die Aufzeichnung der menschlichen Stimme und jede spätere Verwendung der Aufzeichnung beschränken das Recht an der eigenen Stimme des Betroffenen. Beobachtung und Aufzeichnung einer Person in ihren stimmlichen Äußerungen und ihrer äußeren Erscheinung schränken das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen ein, wenn dadurch personenbezogene Daten erhoben werden. Jede spätere Verwendung der personenbezogenen Daten bildet einen neuerlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. 8. Die Beobachtung und Aufzeichnung der Ausübung spezieller Freiheitsrechte - etwa von Versammlungs- oder Meinungsfreiheit - und der allgemeinen Handlungsfreiheit mit Videogeräten, beschränken nicht den Schutzbereich der ausgeübten Freiheitsrechte, sondern die soeben genannten Konkretisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. 9. Beschränkungen der genannten Gewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedürfen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende gesetzliche Grundlagen, die im überwiegenden Allgemeininteresse bestehen und Voraussetzungen, Umfang sowie Zweck der Beschränkungen in den

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7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

verschiedenen Phasen klar und für den Bürger erkennbar regeln. Im Hinblick auf die Anwendungen der Videotechnik muß der Einzelne deshalb den gesetzlichen Bestimmungen zumindest entnehmen können, daß Bild- oder Stimmaufnahmen gemacht, oder mit technischen Geräten stimmliche Äußerungen und äußere Erscheinung überwacht werden dürfen, zu welchen Zwecken und unter welchen Voraussetzungen dies geschehen soll, sowie ob und unter welchen Voraussetzungen die Aufnahmen verwendet und an welche Stellen sie weitergegeben werden dürfen. Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Ermächtigung zu jeder Verwendung aufgezeichneter Videoaufnahmen ergibt sich aus dem Eingriffscharakter einer über die Herstellung hinausgehenden Nutzung der Aufnahmen. Wegen der Schwere und des in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes bestehenden Ausnahmecharakters heimlicher Maßnahmen des Staates muß das Gesetz auch klar erkennbar regeln, ob und wann Videobeobachtungen und -aufzeichnungen geheim und ohne Wissen des Betroffenen erfolgen dürfen. Dabei ist festzuhalten, daß eine heimliche Beobachtung oder Aufnahme wesensverschieden von einer offenen aber gegen den Willen des Betroffenen erfolgenden Maßnahme ist. Dies folgt aus den unterschiedlichen psychologischen Folgen offener im Vergleich zur dem Betroffenen unbekannt bleibenden visuell-akustischen Überwachung. Ebenfalls geboten erscheint die Aufnahme in den Wortlaut einer Ermächtigungsgrundlage, ob und unter welchen Umständen sich eine Überwachungsmaßnahme entgegen dem eigentlichen Zweck der Strafverfolgung und Strafverhütung gegen Personen richten soll, die weder im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, noch eine Straftat begehen zu wollen. Im Hinblick darauf, daß jede Änderung im Nutzungszweck von Videoaufnahmen eine neue Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, bedarf jede Zweckänderung einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage. Auf Grund einer derartigen Grundlage kann das grundsätzliche "Verbot der Zweckentfremdung" überwunden werden. Eine nähere Beschreibung der verwendeten technischen Mittel zur Beobachtung und Aufnahme von Menschen in Bild und Ton erscheint demgegenüber wegen des raschen und künftig sich noch beschleunigenden technischen Wandels der Geräte und ihrer Bezeichnung im Wirtschafts- und Rechtsleben von Verfassungs wegen nicht geboten, solange deutlich wird, daß, wie und in welche verfassungsrechtlichen Schutzgüter eingegriffen werden soll. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß die technische Entwicklung - wie bei Telefon und Lichtbild bereits geschehen - den Gesetzeswortlaut überholt. Angesichts der dargelegten Möglichkeiten der Videotechnik, die unter den Bedingungen der elektronischen Bild- und Tonverarbeitung eingesetzt werden kann, sind, ebenso wie im Zusammenhang mit der herkömmlichen elektronischen Datenverarbeitung, vom Gesetzgeber mehr als früher organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer

7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

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Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken. Hierunter fällt die Regelung von Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten für polizeiliche Videoaufnahmen. Überprüfungsintervall und Höchstdauer von Speicherung oder Aufbewahrung sind durch das Gesetz zu normieren. 10. Die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen in Wohnungen, die entweder mit innerhalb oder außerhalb der Wohnung befindlichen Videogeräten erfolgen, sowie die spätere Verwendung der Videoaufzeichnungen greifen in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG des Wohnungs inhabers ein. Soweit in einer Wohnung befindliche Personen von der Überwachung betroffen werden, die nicht Inhaber der Wohnung sind, wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht beschränkt. Beschränkungen durch Anwendungen der Videotechnik müssen den Anforderungen genügen, wie sie unter 9. für Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschrieben wurden, und darüber hinaus den in Art. 13 Abs. 2 u. 3 GG besonders normierten Schranken entsprechen. Dieses Ergebnis ist Folge der Konkretisierung der Schranken der genannten speziellen Freiheitsrechte unter den Bedingungen der modernen Videotechnologie. 11. Menschenwürde, Rechtstaatsprinzip und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werden durch Maßnahmen nicht verletzt, die den bisher genannten Anforderungen genügen. Wenn Anwendungen der Videotechnik zur Straftatverhinderung oder Straftataufklärung und nicht aus Mißachtung oder Geringschätzung des Betroffenen stattfinden, scheidet eine Verletzung der Menschenwürde aus. Eine verfassungswidrige Behandlung als potentieller Straftäter liegt nicht stets schon darin, daß ein Unverdächtiger Überwachungsmaßnahmen unterworfen wird. Die verfassungsrechtlich entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang nämlich nicht, ob jedermann als potentieller Straftäter oder Störer angesehen werden darf, - was abzulehnen wäre - , sondern, ob und zu welchen Zwecken ein Bürger überwacht werden darf, wenn er als unverdächtig und gerade nicht als potentieller Täter eingeschätzt wird. Ob eine Überwachung Unverdächtiger und eine Überwachung im Vorfeld konkreter Gefahren und Verdachtsmomente zulässig sind, entscheidet sich deshalb auf der Ebene der Grundrechtsschranken. Aus den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Grundrechtseinschränkungen folgt, daß eine Anfertigung und Verwendung von Videoaufnahmen auf Vorrat und die dazu ermächtigenden Gesetze verfassungswidrig wären. Eine Sammlung auf Vorrat wäre gegeben, wenn sie lediglich zur Erleichterung der Polizeiarbeit erfolgte, ohne daß ein konkreter Bezug zur Abwehr oder Verfolgung bestimmter Straftaten gegeben wäre. Deshalb wäre auch eine generelle, ohne konkrete Hinweise auf bevorstehende oder begangene Straftaten erfolgende flächendeckende Überwachung und Aufzeichnung von Lebensvorgängen verfassungswidrig, die beispielsweise auf öffentlichen

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7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse Straßen und Plätzen in der Vorstellung erfolgte, dadurch etwaige Straftaten zu verhindern oder möglicherweise Straftaten zu dokumentieren. Dies müßte erst recht gelten, wenn solche Videoaufzeichnungen gespeichert und aufbewahrt würden. Entsprechende weitflächige Überwachungsmaßnahmen mit den Mitteln der Videotechnik wären nur dann verhältnismäßig, wenn sie sich auf Örtlichkeiten bezögen, an denen auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte Straftaten in einem Umfang begangen werden, welcher erheblich über dem anderer Bereiche liegt. Durchgreifenden Bedenken im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begegnete auch eine staatliche Überwachung mit Videogeräten, die lediglich zur Effektivierung polizeilicher Kontrolle oder zur Erziehung und Disziplinierung des Einzelnen erfolgte. Allerdings begegnen Maßnahmen gegen als unverdächtig angesehene Personen keinen grundsätzlichen Bedenken, wenn diese in bestimmter räumlicher oder sachlicher Verbindung mit Verdächtigen stehen und deren Inanspruchnahme einen Zugriff auf den Verdächtigen erwarten läßt, sowie Maßnahmen gegen Unverdächtige in den Fällen, in denen sich Ermittlungen erst am Beginn befinden und nähere Anhaltspunkte auf wirkliche Störer oder Straftäter erst noch gewonnen werden müssen. Dasselbe gilt fürVideoüberwachungen bestimmter, auf Grund tatsächlicher Umstände als gefährdet oder gefährlich bekannter Örtlichkeiten. Insoweit hat der Betroffene Grundrechtseinschränkungen hinzunehmen.

12. Gesetzliche Bestimmmungen, die zur Aufzeichnung verdeckter Videoaufnahmen ermächtigen und ihre Bekanntgabe an den Betroffenen ganz oder unter gewissen Voraussetzungen ausschließen, verletzen Art. 19 Abs. 4 GG dann, wenn sie einen Richtervorbehalt nicht vorsehen. 13. Polizeirechtliche und strafprozessuale Aufgabenzuweisungen, polizeiliche Generalklausel, Amtshilfevorschriften, Rechtfertigungsgründe sowie die analoge oder gewohnheitsrechtliche Rechtsanwendung scheiden als Grundlage für Einschränkungen von Grundrechten durch die geprüften Anwendungen der Videotechnik aus. 14. Auf dem Gebiet der Strafverfolgung bilden die §§ 81 b 1. Alt., 163 b, 111 StPO ausreichende Ermächtigungsgrundlagen für die nichtheimliche Beobachtung und Aufzeichnung des Beschuldigten oder Verdächtigen mit Videogeräten zu seiner Identifizierung und Überführung im Strafverfahren sowie von Personen an zur Ergreifung von Tätern schwerer Straftaten eingerichteten Kontrollstellen. Heimliche Beobachtungs- und Aufzeichnungsmaßnahmen sowie Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes mit Videogeräten werden von den genannten Bestimmungen nicht umfaßt. Die §§ 100 c, d StPO bilden eine verfassungsrechtlich grundsätzlich ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die heimliche Anfertigung von Videobild- und -tonaufnahmen von Straftatverdächtigen, Kontaktpersonen und von Dritten, die

7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

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unvenneidbar von den Aufnahmen betroffen werden. Soweit für heimliche Bildaufzeichnungen ein Richtervorbehalt und ein Auskunftsrecht des Betroffenen nicht vorgesehen sind (§§ 100 d Abs. 1, 101 Abs. 1 StPO), ist Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Für die übrigen Fälle ist das strafprozessuale Akteneinsich~srecht im Blick auf Benachrichtigungs- und Auskunftsrechte des Betroffenen ausreichend. Für die Aufbewahrung, Verwendung und Übennittlung von Videoaufnahmen zu Zwecken des Strafverfahrens bilden die Bestimmungen über die Aufbewahrung von Bild- und Tonaufnahmen (§ 100 Abs. 4 StPO), die Übennitt1ung von Akten und Beweismitteln zwischen den Organen der Strafrechtspflege und die Bestimmungen über Erhebung und Verwertung· von Beweisen im Strafprozeß verfassungsrechtlich noch ausreichende Grundlagen. Für Fahndungsmaßnahmen durch Veröffentlichung von Bild- und Stimmaufnahmen in der Öffentlichkeit gibt es in der Strafprozeßordnung keine ausreichenden speziellen Bestimmungen. Auch die erforderlichen grundrechts siehernden organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zur Aufbewahrung und Vernichtung der Aufnahmen nach Beendigung des Strafverfahrens fehlen ebenso wie Bestimmungen, die zu einer nachträglichen Umwidmung der strafprozessualen Unterlagen für präventiv-polizeiliche Zwecke ennächtigen. 15. Für das Gebiet der Straftatverhinderung (Gefahrenabwehr) existieren im Versammlungsgesetz und in den Bundesländern, die ihre Landespolizeigesetze nach der Volkszählungsentscheidung novelliert haben, spezialgesetzliche Ennächtigungsgrundlagen über die Erhebung personenbezogener Daten mit technischen Mitteln zur Bi1d- und Tonaufnahme. Diese Bestimmungen sind im wesentlichen ausreichende gesetzliche Grundlagen für die heimliche Beobachtung, Aufzeichnung und Aufbewahrung der Videoaufnahmen von Personen in Wort und Bild. Soweit für heimliche Bildaufnahmen weder ein Richtervorbehalt noch eine Benachrichtigungspflicht der Polizei vorgesehen ist, wird Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Keine ausreichenden Bestimmungen enthalten die genannten Vorschriften für die Verwendung und Übennittlung der Videoaufnahmen. Entsprechende Regelungen sind lediglich für personenbezogene Daten enthalten, die aber für die Videoaufnahmen selbst nicht in Betracht kommen. Denn Videobild- und -tonaufnahmen sind etwas anderes als personenbezogene Daten oder Informationen. Sie sind das technisch präzise fixierte visuell-akustische Abbild einer Person und enthalten allenfalls personenbezogene Daten, die im Wege der intellektuellen Auswertung der Aufnahmen erst gewonnen werden müssen. Für die Anfertigung von Bildaufnahmen mit Videogeräten können darüber hinaus die spezialgesetzlich geregelten polizeirechtlichen Bestimmungen über die erkennungsdienstliche Behandlung (§ 81 b 2. Alt. StPO und die in

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7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse den Polizeigesetzen enthaltenen Vorschriften) und über die Identifizierung von Personen zur Gefahrenabwehr herangezogen werden, die aber einen nur eingeschränkten Anwendungsbereich haben. Heimliches Abhören und Aufzeichnen der Stimme der Betroffenen können nicht auf diese Bestimmungen gestützt werden.

16. Für die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen mit Videogeräten in oder aus Wohnungen und die Verwendung der Aufnahmen sind im Bereich der Strafverfolgung Ermächtigungsgrundlagen nicht vorhanden. Sie wären wegen Art. 13 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich auch nicht zulässig. Da jede Verwendung von Videoaufnahmen, die unter Einschränkung von Art. 13 Abs. 1 GG aufgezeichnet wurden, eine neue Beschränkung dieser Garantie ist, gilt das Verbot aus Art. 13 Abs. 3 GG auch für diese Maßnahmen. Folglich wären Gesetze verfassungsrechtlich bedenklich, die eine Nutzung - beispielsweise die strafprozessuale Aufbewahrung und Verwertung von unter Einschränkung von Art. 13 Abs. 1 GG zu präventiven Zwecken hergestellten Videoaufnahmen zu Zwecken der Strafverfolgung erlaubten. Im Bereich der Straftatverhinderung ermöglicht Art. 13 Abs. 3 GG die Überwachung von Personen in oder aus Wohnungen mit Videogeräten. Gesetzliche Grundlagen hierzu existieren bisher lediglich in den novellierten Polizeigesetzen der Länder. Diese genügen im Hinblick auf Art. 13 GG im wesentlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Allerdings sind zusätzliche verfahrensrechtliche und organisatorische Regelungen erforderlich. 17. Für die Übermittlung und Veröffentlichung von Videoaufnahmen zu Zwekken der Strafverfolgung und Straftatverhinderung kann § 24 1. und 2. Alt. KUG herangezogen werden. Die Bestimmung bezieht sich lediglich auf Bildaufnahmen. Die Übermittlung und Verbreitung von Videotonaufnahmen kann daher von vornherein nicht auf diese Vorschrift gestützt werden. § 24 1. Alt KUG ermächtigt verfassungsrechtlich ausreichend zur Übermittlung und Veröffentlichung von Videoaufnahmen zu Zwecken des Strafverfahrens. § 24 2. Alt. KUG ermächtigt zur Übermittlung und Veröffentlichung von Bildaufnahmen zu Zwecken der Straftatverhinderung. Für Fahndungsmaßnahmen durch Veröffentlichung von Videobildern kann § 24 1. Alt KUG als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden. Wegen des für Eingriffe in Art. 13 GG geltenden Zitiergebots (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) scheidet § 24 KUG jedoch als Ermächtigungsgrundlage für die Übermittlung von unter Eingriff in Art. 13 GG erlangten Videoaufnahmen aus. Eine Kompetenz zur Aufnahme, Aufbewahrung oder Zweckänderung für Bildnisse enthält § 24 KUG nicht. 18. Soweit bestehende strafprozessuale und polizeirechtliche Bestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen Beobachtungsmaßnahmen auch im Vorfeld

7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

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konkreter Gefahren und ohne Tatverdacht und damit gegen Personen zulassen, die weder im Verdacht stehen, Straftaten begangen zu haben oder künftig Straftaten zu begehen, begegnen diese keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sämtliche insoweit existierenden Bestimmungen ermächtigen zur Überwachung Unverdächtiger nur, wenn diese in räumlicher oder sachlicher Verbindung mit Verdächtigen stehen und deren Inanspruchnahme einen Zugriff auf den Verdächtigen erwarten läßt, wenn Maßnahmen gegen Unverdächtige zur Verdachtschöpfung in den Fällen erforderlich sind, in denen sich Ermittlungen erst am Beginn befinden und nähere Anhaltspunkte auf wirkliche Störer oder Straftäter erst noch gewonnen werden müssen sowie in den Fällen, in denen auf Grund tatsächlicher Umstände als gefährdet oder gefährlich bekannte Örtlichkeiten überwacht werden. Den überwachten Unverdächtigen trifft insoweit eine grundsätzlich zumutbare Last zugunsten der Straftatbekämpfung. 19. Die in den novellierten Landespolizeigesetzen enthaltenen Bestimmungen, die heimliche Bild- und Tonaufnahmen von Personen zulassen, eine Benachrichtigung des Betroffenen ganz oder unter bestimmten Voraussetzungen ausschließen und keinen Richtervorbehalt vorsehen (§ 22 Abs. 8 BWPoIG; Art. 33 Abs. 5 BayPAG; §§ 17 Abs. 3 S. 1, 18 Abs. 3 S. 1 NWPoIG; 28 Abs. 3 S. 6 SaarIPoLG) begegnen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG. 20. Abschließend ist festzuhalten, daß Aufnahme, Aufbewahrung, Verwendung und Übermittlung von Videoaufnahmen zu Zwecken der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten gemessen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben nur lückenhaft geregelt sind.

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