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German Pages 110 Year 2015
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 37
Verfassungsfragen der dualen Krankenversicherung Von Udo Steiner
Duncker & Humblot · Berlin
UDO STEINER
Verfassungsfragen der dualen Krankenversicherung
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 37 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.
Verfassungsfragen der dualen Krankenversicherung
Von Udo Steiner
Duncker & Humblot · Berlin
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Vorwort Die deutsche Grundentscheidung für ein Nebeneinander von Gesetzlicher Krankenversicherung und Privater Krankenversicherung, duales System genannt, wird von Zeit zu Zeit zum sozial- und gesundheitspolitischen Großthema, um dann wieder von der öffentlichen Bühne zu verschwinden. Zuletzt fand im zeitlichen Vorfeld der Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag im September 2013 eine intensive politische und fachliche Diskussion zur Frage der Ablösung des dualen Systems durch eine sog. Bürgersicherung und damit durch eine Einheitsversicherung statt. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (jetzt: Staatsministerium für Gesundheit und Pflege) hat den Verfasser Ende 2012 beauftragt, gutachtlich zur Klärung der mit einem solchen Konzeptwechsel verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen beizutragen. Ich danke Herrn Kollegen Helge Sodan und Herrn Verleger Dr. Florian R. Simon herzlich für Ihre Bereitschaft, dieses Rechtsgutachten in die Reihe „Schriften zum Gesundheitsrecht“ aufzunehmen. Die Veröffentlichung erfolgt in der wohl realistischen Einschätzung, dass der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD „Deutschlands Zukunft gestalten“ vom 27. November 2013, der bekanntlich die Frage der Einführung einer Einheitsversicherung nicht aufgegriffen hat, nicht auf Dauer das Thema erledigt. Regensburg, im Juni 2015
Udo Steiner
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 B. Die Grundentscheidungen des GKV-WSG zum Verhältnis der Privaten Krankenversicherung (PKV) zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) . . . . . . . . . 10 I. Die Grundentscheidungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Änderungen im System der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2. Änderungen im System der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Die Grundentscheidungen in der verfassungsrechtlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . 11 C. Zum Stand der ordnungs- und gesundheitspolitischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Die Aussagen in den Wahlprogrammen der Parteien 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Das Regierungsprogramm der SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Das Bundestagswahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Gesetzgeberische Aktivitäten der Partei Die Linke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Das Regierungsprogramm von CDU/CSU und FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II. Sonstige Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Expertisen zu Grundsatzfragen des Systems der Krankenversicherung . . . . . . . . 15 III. Die Einbeziehung ausländischer Lösungen in die Krankenversicherungsfrage . . . . 16 D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG und ihre verfassungsrechtlichen Grundaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Das Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 (BVerfGE 123, 186) . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Aussagen zum sog. Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Verfassungsrechtliche Beurteilung der sog. Portabilität der Alterungsrückstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Regelung über die sog. Pflichtversicherungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Die Beobachtungspflicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
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Inhaltsverzeichnis II. Der Beschluss des BVerfG vom 10. Juni 2009 (BVerfGE 124, 25) . . . . . . . . . . . . . 20 III. Möglichkeiten und Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Die Kompetenzfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Die grundrechtliche Absicherung der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Der Gemeinwohlgesichtspunkt „Erhaltung der Funktionsfähigkeit“ der GKV . . 26 4. Die Beihilfefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 5. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität des sog. dualen Systems . . . . . . . . . . . . . 31
E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Möglichkeiten einer Erweiterung der Mobilität von Versicherten und Versicherungsnehmern innerhalb der PKV und zwischen den Systemen von GKV und PKV aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Tarifwechsel und Unternehmenswechsel innerhalb der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Der Systemwechsel zwischen GKV und PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Möglichkeiten und Grenzen eines einheitlichen, systemübergreifenden Vergütungssystems in der ambulanten ärztlichen Versorgung aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Die Kompetenzfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Art. 12 Abs. 1 GG als Maßstab für die Ausgestaltung der ärztlichen Vergütung in GKV und PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Zur Frage der Einbeziehung der PKV-Versicherten und der PKV-Unternehmen in das Finanzierungssystem der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Die Modelldiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Verfassungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Anhang: Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
A. Einleitung Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378) und das die versicherungsvertraglichen Vorschriften des GKVWSG inhaltlich übernehmende Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG-ReformG) vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) gelten als Gesetze, die in der schnellen Abfolge der Reformgesetze zum Krankenversicherungsrecht in den letzten Jahrzehnten1 das politische Konzept einer Konvergenz zwischen den beiden Versicherungssystemen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV) am stärksten zur Ausführung und bis auf weiteres zu einem Abschluss gebracht haben.2 Das auf Fortentwicklung der GKV und der PKV im Rahmen der dualen Ordnung der Krankenversicherung angelegte Konvergenzkonzept steht in Konkurrenz zu der politischen Idee einer Bürger- oder Einwohnerversicherung, einer Zusammenfassung der beiden Systeme zu einer monistischen Versicherung oder Einheitsversicherung, die Politik, Juristen und Ökonomen seit langem beschäftigt.3 Die mit einem Wechsel vom dualen System zur Einheitsversicherung verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen stehen im Folgenden im Vordergrund. Sie sollen insbesondere auf der Grundlage des richtungsweisenden Urteils des BVerfG vom 10. Juni 2009 (BVerfGE 123, 186) beantwortet werden (B. – D.). Bleibt es in Deutschland bei der Grundsatzentscheidung für das duale Konzept nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen, stellen sich Einzelfragen im Verhältnis von GKV zur PKV, die im Schlussteil des Rechtsgutachtens (E.) – wiederum aus verfassungsrechtlicher Perspektive – aufgegriffen werden.
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Zusammenstellung der wichtigen Reformgesetze zum SGB V seit 1988 bei Becker/ Kingreen, § 1 Rn. 21 ff. und ausführlich Ebsen, § 15 Rn. 18 ff. 2 Zu diesem Konzept der sog. Konvergenz zwischen PKV und GKV seit dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 siehe zusammenfassend Kingreen, DJT, K 15 ff.; Pfister, S. 174 ff.; vgl. auch Schmöller, S. 180 ff. 3 Siehe dazu aus verfassungsrechtlicher Sicht grundlegend Schräder, Bürgerversicherung und Grundgesetz, 2008; vgl. auch grundsätzlich zu den Konzeptfragen Axer, Gesundheitswesen, § 95 Rn. 7 ff.; Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, 2000 und Wallrabenstein, Versicherung im Sozialstaat, 2009. Zur Diskussion siehe auch den Symposiumbericht von Thüsing (NZS 2013, 698).
B. Die Grundentscheidungen des GKV-WSG zum Verhältnis der Privaten Krankenversicherung (PKV) zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) I. Die Grundentscheidungen im Überblick 1. Änderungen im System der PKV Das GKV-WSG wird allgemein als ein Gesetz bewertet, das die Zweigliedrigkeit des deutschen Krankenversicherungssystems von GKV und PKV bestätigt und bestärkt. Als seinen sozialstaatlichen Mittelpunkt kann man die Entscheidung des Gesetzgebers bewerten, eine Versicherungspflicht für alle Einwohner Deutschlands anzuordnen, die entweder in der GKVoder in der PKV nach Maßgabe des gesetzlich näher geregelten Zugangs zu erfüllen ist. Das GKV-WSG hat das Ziel, allen Bürgern in Deutschland einen ausreichenden und bezahlbaren Krankenversicherungsschutz in der GKV oder in der PKV zu sichern. Im Zusammenhang mit dieser Grundentscheidung hat der Gesetzgeber in beiden Versicherungssystemen wesentliche Modifikationen seines Regelungsmodells vorgenommen. Für die PKV steht ganz im Vordergrund die Verpflichtung der Versicherungsunternehmen mit dem Sitz im Inland, welche die sog. substitutive Krankenversicherung betreiben, ab dem 1. Januar 2009 einen branchenweit einheitlichen Basistarif anzubieten, dessen vertragliche Leistungen in Art, Umfang und Höhe der GKV jeweils vergleichbar sind (§ 12 Abs. 1a VAG). Für die Krankenversicherungsunternehmen ist in § 12 Abs. 1b Satz 1 VAG ein Kontrahierungszwang angeordnet, dem die Einräumung eines privatrechtlichen Anspruchs auf Abschluss eines entsprechenden Vertrages in § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG entspricht. Im Basistarif ist für die nach den gesetzlichen Vorschriften Zugangsberechtigten die Vereinbarung von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen unzulässig (§ 203 Abs. 1 Satz 2 VVG). Der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltsstufen darf den Höchstbetrag der GKV nicht übersteigen (§ 12 Abs. 1c Satz 1 VAG).4 Das Geschäftsmodell der PKV ist noch durch zwei weitere gesetzgeberische Entscheidungen betroffen. Es ist dies zum einen die Einführung der sog. Portabilität von Alterungsrückstellungen zum 1. Januar 2009. Sie wird grundsätzlich für den Wechsel in den Basistarif eröffnet (§ 204 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a VVG), vor allem aber bei einem Unternehmenswechsel (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a VVG; § 12 Abs. 1 4 Im Folgenden sind BVerfGE 123, 186 die Rz des im Anhang abgedruckten Urteils hinzugefügt.
II. Die Grundentscheidungen in der verfassungsrechtlichen Diskussion
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Nr. 5 VAG). Krankenversicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2009 abgeschlossen werden, müssen nach den genannten Vorschriften eine Portabilität der Alterungsrückstellungen in einem dem Basistarif entsprechenden Umfang vorsehen. Zum andern kommt nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Fassung des GKV-WSG ein Wechsel von der GKV in die PKV erst in Betracht, wenn das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze eines abhängig Beschäftigten in drei aufeinander folgenden Kalenderjahren überstiegen hat.5
2. Änderungen im System der GKV Im Zuge der gesetzlichen Umsetzung des Konvergenzkonzepts hat das Recht der GKV durch das GKV-WSG wichtige Änderungen erfahren. Im Mittelpunkt steht § 53 SGB V, der die verstärkte Einführung von Wahltarifen vorsieht.6 Dazu gehört die Möglichkeit, auf der Grundlage einer entsprechenden Vorschrift der Satzung einer Krankenkasse einen sog. Selbstbehalt einzuführen. Die Krankenkassen erhalten zudem die Option, Prämien bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen durch den Versicherten oder dessen mitversicherte Angehörige zu zahlen. Besondere Tarife müssen zudem in der Satzung für Versicherte geregelt werden, die an besonderen Versorgungsformen teilnehmen.
II. Die Grundentscheidungen in der verfassungsrechtlichen Diskussion Die dargestellten Grundentscheidungen des GKV-WSG waren schon während der Gesetzesberatungen und verstärkt danach Gegenstand einer intensiven verfassungsrechtlichen Diskussion.7 Im Vordergrund der Kritik standen und stehen die Vorschriften, die die PKV betreffen. Die Kritik gilt aber auch den Vorschriften des GKV-WSG, die – wie schon erwähnt etwa in der Form der Wahltarife (Selbstbehalt, Erstattung) – als Annäherung der GKV an die Strukturelemente der PKV konzipiert sind (§ 53 SGB V).8 Diese Diskussion ging in die Begründung der von Versiche5 § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist inzwischen geändert. Wird die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten, endet die Versicherungspflicht nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird (§ 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB V). Diese Regelung beruht auf Art. 1 Nr. 2 GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG) vom 22. 12. 2010 (BGBl. I S. 2309). 6 Dazu eingehend Preisner, passim. 7 Siehe z. B. U. Becker, ZMGR 2007, 1001; Sodan, in: FS Isensee, S. 983; zu den Grundsatzfragen der Einführung einer Bürgerversicherung siehe schon vorher Beer/Klahn, SGb 2004, 13; F. Kirchhof, NZS 2004, 1; Lohmann, ZIAS 2003, 247; Muckel, SGb 2004, 583; Sodan, ZRP 2004, 217 und Staudinger/Boetius, in: Bach/Moser, Einl. Rn. 236. 8 Siehe z. B. Isensee, NZS 2007, 449; eingehend P. M. Huber, Die Wahltarife im SGB V, 2008; siehe jetzt auch Lang, GreifRecht 2012, 12, 16 f. sowie Kingreen, DJT, K 15 ff.; Marko, S. 114 ff. und Preisner, passim.
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B. Die Grundentscheidungen des GKV-WSG
rungsunternehmen und Versicherungsnehmern gegen die Grundentscheidungen des GKV-WSG erhobenen Verfassungsbeschwerden ein.9 Das BVerfG hat sich jedoch mit diesen Vorschriften nicht in der Sache befasst, sondern die Verfassungsbeschwerden insoweit als unzulässig zurückgewiesen (siehe BVerfGE 123, 186, 228/ Rz 133 ff.). Sie sind nicht Thema der vorliegenden Untersuchung.
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Siehe dazu vor allem Thüsing/v. Medem, S. 85 ff., 141 ff.
C. Zum Stand der ordnungs- und gesundheitspolitischen Diskussion I. Die Aussagen in den Wahlprogrammen der Parteien 2013 1. Das Regierungsprogramm der SPD Das Jahr 2013, in denen die Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag stattfanden, war durch programmatische Aussagen, gutachtliche Äußerungen und Stellungnahmen zur Zukunft der versicherungsrechtlichen Absicherung der Bevölkerung gegen das Risiko Krankheit bestimmt. Die SPD beabsichtigt nach ihrem Regierungsprogramm 2013 – 2017 „DAS WIR ENTSCHEIDET“, eine Bürgerversicherung als Krankenvoll- und Pflegeversicherung im Grundsatz für alle Bürgerinnen und Bürger einzuführen (S. 73). Dies gilt für alle Neu- und alle bislang gesetzlich Versicherten. Menschen, die bisher privat versichert sind, können für ein Jahr befristet wählen, ob sie wechseln wollen. Mit der Bürgerversicherung würde ein einheitliches Versicherungssystem mit einer einheitlichen Honorarordnung eingeführt werden. Für alle Kassen, die an der Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege teilnehmen, soll ein einheitlicher solidarischer Wettbewerbsrahmen geschaffen werden.
2. Das Bundestagswahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen Das Bundestagswahlprogramm 2013 der Partei Bündnis 90/Die Grünen „Zeit für den grünen Wandel“ sieht eine Beendigung der „Zwei-Klassen-Medizin“ im deutschen Gesundheitswesen vor (S. 122 f.). Eine grüne Bürgerversicherung soll alle Bürgerinnen und Bürger in die Solidargemeinschaft einbeziehen. Alle Einkommensarten sollen gleich behandelt und zur Finanzierung herangezogen werden. Zudem will die Partei die Beitragsbemessungsgrenze auf das in der Rentenversicherung geltende Niveau anheben. Die Bürgerversicherung sei keine Einheitsversicherung. Sowohl gesetzliche als auch private Krankenversicherer könnten die Bürgerversicherung anbieten. Die Krankenkassen sollten selbst über die Höhe der Beiträge entscheiden, die strikt einkommensbezogen zu erheben sind.
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C. Zum Stand der ordnungs- und gesundheitspolitischen Diskussion
3. Gesetzgeberische Aktivitäten der Partei Die Linke Die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag hat einen Antrag zur Einführung einer Bürgerversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung eingebracht, der Gegenstand einer Anhörung im Deutschen Bundestag war (siehe BT-Drucks. 17/7197 vom 28. 9. 2011). Der Deutsche Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, umgehend einen Gesetzentwurf für die Einführung einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vorzulegen und dabei bestimmte Leitlinien umzusetzen. Dazu gehören: In diese Bürgerversicherung zahlen alle Versicherten nach ihrer individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit ein. Grundsätzlich werden alle Einkommen aus unselbständiger und selbständiger Arbeit sowie alle sonstigen Einkommensarten wie Kapital-, Miet- und Pachterträge bei der Bemessung der Beiträge zugrunde gelegt. Die Beitragsbemessungsgrenze ist perspektivisch abzuschaffen. Alle Menschen, die in Deutschland leben, werden Mitglied der solidarischen Bürgerinnenund Bürgerversicherung. Die private Krankenversicherung und die private Pflegeversicherung werden auf Zusatzleistungen beschränkt.
4. Das Regierungsprogramm von CDU/CSU und FDP Das Regierungsprogramm 2013 – 2017 von CDU/CSU „Gemeinsam erfolgreich für Deutschland“ enthält keine expliziten Aussagen zur Veränderung des dualen Systems. Im Bürgerprogramm 2013 der FDP vom Mai 2013 verspricht die Partei, sich für die freie Wahl bei der Krankenversicherung und für eine starke private Krankenversicherung einzusetzen. Dazu gehörten auch im Bereich der GKV die Abschaffung der Budgetmedizin und die Einführung des Kostenerstattungsprinzips. Für ein starkes duales Krankenversicherungssystem sei es auch wichtig, die Private Krankenversicherung zukunftsfest zu machen. Dazu zählten vor allem Transparenz bei den Basistarifen und Konzepte sowohl zur Beitragsentwicklung als auch zur Portabilität von Alterungsrückstellungen (S. 38).10
II. Sonstige Konzepte 1. Bundesärztekammer Die Bundesärztekammer hat im April 2013 im Hinblick auf die gesundheits- und ordnungspolitische Diskussion vor den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag der Öffentlichkeit ein Konzeptpapier unter dem Titel „Anforderungen zur Weiterent10 Eine Übersicht über die stark variierenden Konzepte einer Einheitsversicherung und den uneinheitlichlichen Sprachgebrauch z. B. bei Gaßner/Strömer, NZS 2013, 561, 562 und Jahn/ Staudt/ Wasem, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 160 ff.
II. Sonstige Konzepte
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wicklung des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland“ vorgelegt. Sie bewertet das GKV-System insgesamt als weder nachhaltig noch generationengerecht. Die bisher vorgelegten Vorschläge zu einer Bürgerversicherung trügen in keiner Weise zur Lösung der zukünftigen Finanzierung der GKV bei. Vielmehr werde im Grunde nur das nachhaltig finanzierte PKV-System ausgezehrt und damit langfristig zerstört. Die deutsche Ärzteschaft sei für den Erhalt der privaten Vollversicherung. Die Bundesärztekammer legt im Weiteren eine Reihe von Vorschlägen zur Weiterentwicklung des dualen Krankenversicherungssystems vor.
2. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Die EKD hat sich 2011 in einer Denkschrift mit dem Titel „Und unsern kranken Nachbarn auch! Aktuelle Herausforderungen der Gesundheitspolitik“ mit der Frage der Absicherung gegen das Risiko Krankheit befasst. Sie spricht sich in der Tendenz gegen eine Fortführung des dualen Systems aus und befürwortet eine Einheitsversicherung.
3. Expertisen zu Grundsatzfragen des Systems der Krankenversicherung a) Der gegenwärtige Diskussionsstand in Deutschland wird auch durch die Vorlage einer Reihe von Expertisen zu Grundsatzfragen des Systems der Krankenversicherung bestimmt. Hervorzuheben sind: Der Verband der Bayerischen Wirtschaft (vbw) informiert mit einer Studie des Instituts für Gesundheitsökonomie (IfG) in München vom April 2013 „Die Bürgerversicherung – Mythos und Wahrheit“. Der Bundesverband Verbraucherzentrale und die Bertelsmann-Stiftung sprechen sich in einer Studie vom Mai 2013 für eine sog. integrierte Krankenversicherung mit einer Reihe näher bestimmter Anforderungen aus. Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WiP) hat im März 2013 ein von Frank Niehaus erarbeitetes Diskussionspapier mit dem Thema „Der überproportionale Finanzierungsbeitrag privat versicherter Patienten. Die Entwicklung von 2006 bis 2011“ vorgelegt. Der Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen (Prof. Dr. Wasem) erörtert in einer Studie „Finanzielle Wirkungen eines einheitlichen Vergütungssystems in der ambulanten ärztlichen Vergütung“ vom März 2013 verschiedene Übergangsszenarien für ein einheitliches Honorarsystem, das die heutige Trennung zwischen der Vergütung von GKV und PKV aufhebt.11 b) Die ökonomische Analyse des dualen Systems in Deutschland ist schon lange und in den letzten Jahren wohl verstärkt Gegenstand einer Reihe von monographischen Untersuchungen. Dabei ist es legitim, wenn Ökonomen und ebenso die Politik eine Diskussion über eine Optimierung der Krankenversicherung führen, ohne den 11
Siehe Zusammenfassung in: TK-Spezial, Sonderausgabe März 2013.
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C. Zum Stand der ordnungs- und gesundheitspolitischen Diskussion
verfassungsrechtlichen Spielraum des Gesetzgebers für eine konzeptionelle Neugestaltung oder auch nur für Modifikationen des rechtlichen status quo auszuloten.12
III. Die Einbeziehung ausländischer Lösungen in die Krankenversicherungsfrage In der Reformdiskussion wird immer wieder betont, das deutsche Modell einer zweigliedrigen Krankenversicherung – in der DDR allerdings ersetzt durch eine Einheitsversicherung – sei im Ländervergleich ein Unikat und lasse sich nur historisch erklären.13 Damit wird der Eindruck erweckt, die zum Vergleich herangezogenen Länder hätten sich für das Konzept einer Sozialversicherung nach deutschem Modell entschieden. In Wirklichkeit finden sich dort privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Lösungen und auch Kombinationen zwischen diesen beiden Grundstrukturen. Dies braucht hier nicht im Einzelnen dargestellt zu werden. Von Interesse ist allerdings, dass in den Vergleichsländern regelmäßig Optionen zum Abschluss von Zusatzversicherungen, insbesondere zur Ergänzung einer gesetzlich vorgesehenen Grundsicherung, bestehen, also unterschiedliche Standards im individuellen Niveau der Krankenversorgung ermöglicht werden14 und damit eine Ungleichheit nicht nur im Bereich des Service, die dem gegenwärtigen deutschen System immer wieder zum Vorwurf gemacht wird.15 Zu dieser gesundheitspolitischen Diskussion gehört untrennbar auch die Frage, welchen Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber nach den Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG und zum 12 Siehe z. B. Birnbacher, in: Brudermüller/Seelmann, S. 9 ff.; Breyer/Zweifel/Kifmann, S. 233 ff.; Knappe, S. 41; Paquet, Impliconplus 2013, 1; Pfister, passim; ders., RPG 2012, 39; Porter/Guth, S. 85 ff., 106 ff., 126 ff.; Rürup, Reform, S. 55 ff.; Schmöller, passim, insbes. S. 303 ff. – Schmöller will ermittelt haben, dass sich von den sog. Versorgungskassen abgesehen (zum Begriff Schmöller, S. 347 ff.) kaum Krankenkassen finden, die sich ein Krankenversicherungssystem im Sinne einer Bürgerversicherung vorstellen können. Dies gelte ganz besonders für die geschlossenen Betriebskrankenkassen (Schmöller, S. 337). Es wird berichtet, dass sich nach Einschätzung eines von Robert Paquet erarbeiteten Gutachtens die Überführung der PKV in eine gesetzliche Bürger-Krankenversicherung zu einem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen in der privaten Versicherungsbranche zur Folge hätte (FAZ Nr. 81 vom 8. 4. 2013, S. 17). 13 Siehe z. B. Kingreen, DJT, K 9. 14 Gaßner/Strömer weisen zu Recht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein gesetzliches Verbot, privatärztliche Leistungen außerhalb eines Systems der Bürgerversicherung entgeltlich anzubieten und für diese Leistungen privaten Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht mit deutschem Verfassungsrecht und europäischem Recht vereinbar wäre (NZS 2013, 561, 566 ff.). 15 Siehe dazu die Übersicht bei Boetius, in: Münchener Kommentar, Vor § 192 Rdnr. 183 ff.; zu den Niederlanden siehe Greß, passim; Hamilton, in: Wille u. a., S. 187 ff.; Kingreen, DJT, K 35 ff.; Landauer, DVBl. 2006, 887; zur Schweiz siehe Meyer, S. 65 ff.; Riedel, Die Sozialversicherung 2003, 287. Eine Übersicht im europäischen Raum gibt Schulte, S. 52 ff.
III. Die Einbeziehung ausländischer Lösungen in die Krankenversicherungsfrage
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VVG-ReformG bei der Ordnung des Krankenversicherungswesens in Deutschland hat. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Die Antwort auf diese Frage bestimmt die Möglichkeiten einer Umsetzung der im politischen und öffentlichen Raum vorgestellten und diskutierten Konzepte zur Fortentwicklung oder zur Schließung der PKV zu Gunsten eines Modells der Bürger- oder Einwohnerversicherung.
D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG und ihre verfassungsrechtlichen Grundaussagen I. Das Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 (BVerfGE 123, 186) 1. Aussagen zum sog. Basistarif Im Zentrum der verfassungsrechtlichen Aussagen des BVerfG steht der sog. Basistarif und dessen Regelung im Einzelnen (a.a.O., S. 238 ff./Rz 155 ff.). Sie lassen sich in dem Ergebnis zusammenfassen, dass diese Vorschriften die verfassungsbeschwerdeführenden Unternehmen der Krankenversicherung nicht in ihren Grundrechten verletzen. Unter Kompetenzgesichtspunkten seien sie nicht zu beanstanden. Das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Durch den Kontrahierungszwang im Basistarif werde nicht unverhältnismäßig in dieses Grundrecht eingegriffen. Das grundsätzliche Geschäftsmodell der PKV bleibe unberührt. Der Gesetzgeber sei sozialstaatlich ermächtigt, auch in der PKV den Versicherungsschutz für solche Personen sicherzustellen, die nicht der GKV zuzuordnen seien und unter den Bedingungen von Vertragsfreiheit ansonsten keinen oder keinen ausreichenden Versicherungsschutz erlangen könnten. Der Versicherungszwang sei in Bezug auf alle Personengruppen, die nach den gesetzlichen Vorschriften im Basistarif berechtigt seien, den Versicherungsunternehmen zumutbar. Es bestehe auch keine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, den Basistarif auf eine minimale Grundversorgung zu beschränken.16
2. Verfassungsrechtliche Beurteilung der sog. Portabilität der Alterungsrückstellungen Das BVerfG hält aber auch die der PKV gesetzlich vorgegebene teilweise Portabilität der Alterungsrückstellungen für mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfGE 123, 186, 252 ff./Rz 196 ff.). Die entsprechende Regelung beeinträchtige die Unternehmen in der Freiheit der Berufsausübung. Art. 14 Abs. 1 GG sei dagegen nicht berührt, weil die Alterungsrückstellung nicht den Charakter eines konkreten, dem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordneten Eigentumsrechts habe; sie stelle lediglich einen Kalkulationsposten dar. Der Eingriff sei verhältnis16
BVerfG, a.a.O.; vgl. auch BVerfGE 124, 25, 37.
I. Das Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009
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mäßig. Die gesetzliche Neuregelung fördere die Kundenorientierung, führe zu mehr Vertragsparität und stärke die Selbstbestimmung der gegenüber den Versicherern strukturell benachteiligten Versicherungsnehmern in einer den Unternehmen zumutbaren Weise. Auch die Portabilitätsregelung des § 204 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b VVG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Regelung über die sog. Pflichtversicherungsgrenze Für das Verhältnis von GKV zu PKV ist die Regelung über die Jahresarbeitsentgeltgrenze, deren Überschreiten dem gesetzlich Versicherten in abhängiger Beschäftigung den Wechsel aus der GKV in die PKV eröffnet, von erheblicher Bedeutung. Die Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit ist je nach „Grenzverlauf“ seit langem Gegenstand rechtswissenschaftlicher Kontroversen. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat sich in ihrem Beschluss vom 4. Februar 200417 mit dieser Frage befasst. In dem hier zu analysierenden Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 hat das BVerfG entschieden, die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Fassung des GKV-WSG vorgesehene und hier schon vorgestellte Dreijahres-Regelung verletze den Beschwerdeführer, dem das neue Recht die Option für die PKV durch Anordnung einer Versicherungspflicht nehme, in keinem Grundrecht (BVerfGE 123, 186, 261 ff./Rz 225 ff.). Der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG durch die temporär angeordnete Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Krankenkasse sei verfassungsgemäß. Hierdurch würden in zumutbarer Weise besonders Leistungsfähige an die Solidargemeinschaft gebunden, die mit ihren Beiträgen die Finanzierung der GKV abzusichern helfen würden. Auch soweit die beschwerdeführenden Versicherer durch die zeitlich begrenzte Einschränkung ihres Kundenkreises in ihrer Berufsausübungsfreiheit betroffen seien, sei der Eingriff aus hinreichend gewichtigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt (BVerfGE 123, 186, 265/Rz 237). Immerhin sieht das BVerfG die Verlängerung der Versicherungspflicht in der GKV als eine staatliche Maßnahme an, die in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs steht und eine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennen lässt (BVerfGE 123, 186, 227 f./Rz 132 unter Verweisung auf BVerfGE 106, 275, 299).18 17
BVerfGK 2, 283 = NZS 2005, 479. Die Pflichtversicherungsgrenze, die durch das Jahresarbeitsentgelt bestimmt wird (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 – 8 SGB V), ist klar zu trennen von der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) des § 223 SGB V. Beitragspflichtige Einnahmen sind in der GKV bis zu einem Betrag von einem 360stel der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V für den Kalendertag zu berücksichtigen (§ 223 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Die Anhebung oder gar Aufhebung der BBG ist immer wieder Gegenstand der politischen Diskussion. Siehe zu den verfassungsrechtlichen und sozialrechtlichen Fragen einer Änderung der BBG eingehend Bieback, BBG, ders., Bürgerversicherung, S. 153 ff.; Schenke, S. 465 f. und Schräder, S. 111 ff. Davon zu unterscheiden ist wiederum die Frage, ob man in die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der GKV, nach denen sich die Beiträge bemessen (§ 223 Abs. 2 Satz 1 SGB V), über die Arbeitsein18
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
4. Die Beobachtungspflicht des Gesetzgebers An verschiedenen Stellen seines Urteils trifft das BVerfG Aussagen, die auf einer Einschätzung der künftigen Entwicklung von Sachverhalten und der Wirkungsweise der verfassungsrechtlich zu beurteilenden Rechtsvorschriften beruhen. Dies gilt ganz besonders für die Auswirkungen des Basistarifs, die teilweise Portabilität von Alterungsrückstellungen und auch für die auf drei Jahre verlängerte Versicherungspflicht in der GKV. Dazu hat das Gericht (BVerfGE 123, 186, 266) entschieden, den Gesetzgeber treffe eine Beobachtungspflicht. Gegenstand der Beobachtung sei es, ob die vom BVerfG geprüften gesetzlichen Regelungen eine „Auszehrung des eigentlichen Hauptgeschäfts der privaten Krankenversicherungen bewirken“. In diesem Fall bedürften sie einer erneuten Prüfung.19
II. Der Beschluss des BVerfG vom 10. Juni 2009 (BVerfGE 124, 25) Im Beschluss des BVerfG vom 10. Juni 2009 hat das Gericht noch einmal bekräftigt, dass der den Krankenversicherern gesetzlich vorgegebene Basistarif mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfGE 124, 25, 33). In den Fällen kleinerer Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit im Sinne des § 53 VAG bestehe die Verpflichtung, diesen Tarif anzubieten, nur gegenüber Antragstellern aus ihrem nach der Satzung vorgesehenen Mitgliederkreis (BVerfG, a.a.O., S. 37 ff.). Allerdings erfasse auch sie das bereits seit dem 1. Januar 2009 für alle substitutiven Krankheitsvollversicherungen geltende absolute Kündigungsverbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG (BVerfG, a.a.O., S. 42). Weitergehende und für die Aufgabenstellung des Gutachtens wesentliche Erkenntnisse enthält der Beschluss des BVerfG nicht.
kommen hinaus (vgl. § 226 SGB V) auch andere Einkommen, z. B. aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung, einbezieht (dazu etwa Schräder, S. 278 ff.). Auch diese Frage wird im politischen Raum diskutiert. 19 Dazu auch Butzer, NZS 2009, 649, 651. Bieback sieht in der Beobachtungspflicht eine „Anerkennung der Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Risikovorsorge“ (in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 25). Eine Art relative Bestandsgarantie für das duale System will Tiemann (S. 319) aus dem Gegenstand der Beobachtungspflicht (Auswirkungen des Basistarifs) ableiten.
III. Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland
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III. Möglichkeiten und Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland 1. Die Kompetenzfrage Das Urteil des BVerfG zur Pflegeversicherung hat dem Gesetzgeber vorgegeben, die legislative Zuständigkeit für Regelungen des sozialen Ausgleichs in der privaten Pflegeversicherung in der Bundeszuständigkeit für das privatrechtliche Versicherungswesen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und nicht in der Kompetenz zur Regelung der Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zu verankern20. An diese Rechtsprechung knüpft die Entscheidung vom 10. Juni 2009 für die PKV an (BVerfGE 123, 186, 235/Rz 155). Bewirken die Regelungen des Bundes, dass das Produkt „Krankheitsvollversicherung“ strukturell nicht mehr ein Produkt der privaten Versicherungswirtschaft ist, fehlt dem Bund dazu die Zuständigkeit; er kann sie sich nicht bei Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG beschaffen. Dies ist ordnungspolitisch und vor allem verfassungsrechtlich wichtig. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vermittelt dem Bundesgesetzgeber nicht die unbegrenzte Kompetenz, die private Krankenversicherung sozial auszugestalten (was immer dies heißt). Das Konvergenzkonzept hat demnach kompetenzrechtliche Grenzen. Auch die Annäherung der GKVan die PKV muss sich innerhalb des Bildes der „Sozialversicherung“ bewegen, das dem Grundgesetz – mit der Möglichkeit der Anpassung natürlich – zugrunde liegt.21 Das BVerfG hat sehr bewusst in seiner Rechtsprechung zur Pflegepflichtversicherung die Kompetenzräume „privatrechtliches Versicherungswesen“ und „Sozialversicherung“ als jeweils geschlossene Kompetenzräume gegeneinander abgegrenzt und dem Gesetzgeber nur die Möglichkeit einer Implantation von Elementen des jeweilig anderen Versicherungssystems in der Form einer systemkonformen Weiterentwicklung von PKV und GKV eröffnet. Eine Änderung der Substanz der jeweiligen Versicherungszweige ist ihm auf der Grundlage der geltenden Kompetenzordnung nicht möglich.22 Deshalb ist es nach geltendem Verfassungsrecht unter Kompetenzgesichtspunkten nicht möglich, die bisherige privatrechtliche Krankenversicherung 20
BVerfGE 103, 197, 216 f. Dazu näher Schenkel, VSSR 2010, S. 79; zur Entwicklungsoffenheit der GKV siehe BVerfGE 75, 108, 146; 103, 197, 217. Zur „Belastbarkeit“ des Kompetenztitels „Sozialversicherung“ im Zusammenhang mit den sog. Wahltarifen nach § 53 SGB V siehe Preisner, S. 269 ff. 22 So z. B. auch Lang, S. 12. Im vorliegenden Zusammenhang besteht kein Anlass, näher zu bestimmen, welches die konstituierenden und welches die fakultativen Elemente der „Sozialversicherung“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG sind. In der Kommentarliteratur liest man, der Gesetzgeber sei gehindert, den Typus „Sozialversicherung“ anzutasten (Kunig, Art. 74 Rn. 55), der ein Fall einer normativ-rezeptiven Benennung der Kompetenzmaterie sei (Degenhart, Art. 74 Rn. 56). Ausführlich zu den unentbehrlichen und den faktischen Komponenten der „Sozialversicherung“ Axer, BK, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Rnrn. 26, 28 f., 33. Umfassend zu dieser Frage Schräder, S. 44 ff.; Wallrabenstein, S. 325 ff. und Zimmermann, passim. 21
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
in ihrer privatrechtlichen Rechtsform zu belassen, sie aber als Bürgerversicherung gesetzlich zu verpflichten, Leistungen der Krankenvollversicherung nach den Prinzipien des Sozialausgleichs und der Umlagefinanzierung der GKV anzubieten. Dies wäre in der Sache Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, aber in einer vom Typus „Sozialversicherung“ unzulässig abweichenden Privatrechtsform.23 Das verkennt Kingreen.24 Er meint, es sei kompetenzrechtlich ohne weiteres zulässig, die duale Krankenversicherungsordnung in ein monistisches System zu überführen, wobei es dann von der Ausgestaltung im Einzelnen abhänge, ob es sich eher auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 oder auf Nr. 12 GG stützen könne. Eine solche Kombination mehrerer Kompetenztitel ist jedenfalls nach der Rechtsprechung des BVerfG hier nicht möglich. Das Gericht hat in seiner Pflegeversicherungsentscheidung – dies sei noch einmal hervorgehoben – sehr bewusst davon abgesehen, die sozialen Komponenten in der privaten Pflegepflichtversicherung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zu stützen. Dieses Kompetenzverständnis liegt auch der Entscheidung zum Basistarif zugrunde. VVG, VAG und SGB V schöpfen für das Krankenversicherungssystem die jeweiligen Kompetenzen im Sinne des Art. 72 Abs. 1 und 2 GG – sieht man von gewissen Lücken im Bereich der Kompetenz „Sozialversicherung“ ab25 – aus. Die Länder haben keine Zuständigkeit für eine Kombination von GKV und PKV in einer monistischen Versicherung. Mit dem Basistarif im GKV-WSG hat der Bundesgesetzgeber – mit Billigung des BVerfG (BVerfGE 123, 186, 235 f./Rz 155 ff.) – seine Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausgereizt.26 Der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auf dem Weg zu einem sog. monistischen Modell sind Grenzen gesetzt. Er kann die systemkonstituierenden Elemente von GKV und PKV nicht beliebig mischen.27 Als systemkonstituierend für das privatrechtliche Versicherungswesen im Sinne der Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG sieht das BVerfG die folgenden Merkmale an: Versicherungsunternehmen, die im Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern; Orientierung der Prämien am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers; Erbringung der vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzsystems.28 Diese Strukturgegebenheiten kann der Gesetzgeber modifizieren, wie dies durch den Basistarif geschehen ist, aber nur in Grenzen, die überschritten werden, wenn es zu einem Verlust der oben näher bestimmten 23
So auch Lang, S. 16. Kingreen, DJT, K 31. 25 Dazu Zimmermann, S. 275 ff. 26 Kritisch gegenüber dem BVerfG insoweit Lang, in: GreifRecht 2012, 12, 16; Lege, S. 147. 27 So auch Zimmermann, S. 365 ff. Deshalb hat auch der Gesetzgeber der Pflegeversicherung sein Ziel der Schaffung einer „Volksversicherung“ durch Anknüpfung an die bestehenden Systeme der GKV und PKV verwirklicht. Vgl. BVerfGE 103, 225, 237. Kritische Auseinandersetzung mit Zimmermann v. a. durch Bieback, Bürgerversicherung, S. 86 ff. 28 BVerfGE 123, 186, 235/Rz 155 im Anschluss an BVerfGE 103, 197, 216 f. 24
III. Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland
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Identität des privatrechtlichen Versicherungssystems kommt. Überschritten wären sie, würde der Bundesgesetzgeber versuchen, seine Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für das privatrechtliche Versicherungswesen zu nutzen, um die PKV nach dem Modell der GKV umzugestalten. Dies wäre dann nicht mehr „Fortentwicklung“ im Sinne des Spielraums, der dem Gesetzgeber nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG zur Verfügung steht. Es wäre die Herstellung eines „aliud“. Es ist also nicht primär der privatrechtliche Status der PKV-Unternehmen, der das privatrechtliche Versicherungswesen im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG prägt, sondern die privatwirtschaftliche Weise, in der das Versicherungsgeschäft betrieben wird. Deshalb können auf der Grundlage dieser Kompetenz – auch wenn die Privatrechtsform beibehalten wird29 – die Unternehmen der PKV nicht in die sog. monistische Einwohnerversicherung im Sinne des Konzepts von Kingreen/Kühling30 einbezogen werden. Denn dieses Konzept ist strukturell Sozialversicherung. Es gelten das Solidarprinzip, die Umlagefinanzierung und das Selbstverwaltungsprinzip der GKV. Folgerichtig ist der Weg zur Monistischen Einwohnerversicherung nur möglich, wenn die PKV (ggfs. schrittweise) aus dem Versicherungsmarkt der privaten Krankheitskosten(voll)versicherung gedrängt wird, insbesondere durch Untersagung des Abschlusses von Neuverträgen und durch die Option an die Bestandsversicherten der PKV zum Wechsel in die GKV unter Mitnahme ihrer Alterungsrückstellung. Dem gegenüber sind die systembildenden Merkmale der GKV im vorliegenden Gutachtenzusammenhang nicht von Interesse, weil deren Modifikationen durch den Gesetzgeber im GKV-WSG (vgl. § 53 SGB V) – wie schon hervorgehoben (B II) – nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind. Das BVerfG hat sich auf die Feststellung zurückgezogen, der Begriff der Sozialversicherung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG umfasse alles, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt. Es gehe um das soziale Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten.31 Kennzeichnend sei vor allem, dass Träger der Sozialversicherung selbstständige Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts seien, die ihre Mittel durch Beiträge der „Beteiligten“ aufbringen.32
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Vgl. Kingreen/Kühling, S. 27 ff. Vgl. zum Folgenden Kingreen/Kühling, S. 33, 35, 36, 37. 31 Siehe aus der späteren Rechtsprechung des BVerfG insbesondere BVerfGE 113, 167, 195 ff., 219; 114, 196, 220. 32 BVerfGE 75, 108, 146. Die öffentlich-rechtliche Organisation ist nach Auffassung des BVerfG offenbar ein konstituierendes Merkmal der Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (siehe auch BVerfGE 114, 196, 220). Will man eine Monistische Einwohnerversicherung im Sinne von Kingreen/Kühling, die auf privatrechtlicher Rechtsform aufbaut (S. 41), realisieren, steht für diese Konstruktion die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht zur Verfügung. Dies wurde bereits hervorgehoben. Das dargestellte Modell der Monistischen Einwohnerversicherung scheitert – wie noch einmal zu betonen ist – daran, dass man sich nicht kompetenzrechtlich einzelner Elemente aus den beiden Kompetenznormen bedienen kann, um ein Tertium der Krankenversicherung aufzubauen. 30
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
2. Die grundrechtliche Absicherung der PKV a) Weder die GKV noch die PKV haben einen Verfassungsstatus in dem Sinne, dass das Grundgesetz sie institutionell garantiert.33 Die Kompetenznormen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG sind nicht so zu interpretieren, dass es beide Systeme von Grundgesetz wegen geben muss. Sie enthalten keine Bestandsgarantie.34 Die PKV ist demnach verfassungsrechtlich nur so stark, aber eben auch so stark, als sie grundrechtlich abgesichert ist. Relativieren kann man die duale Ordnung des Krankenversicherungssystems in Deutschland jedenfalls verfassungsrechtlich nicht durch den Hinweis, dieses System sei vor allem historisch zu erklären.35 Denn die vorkonstitutionell entstandene PKV ist in das Grundgesetz und in dessen Grundrechtsordnung hineingewachsen. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG sind zwar keine Judikate, die sich allgemein mit dem Bestehen einer verfassungsrechtlichen Bestandsgarantie zu Gunsten der PKV befassen. Dies ist auch in dem Befund begründet, dass das Konzept der (limitierten) Konvergenz der beiden Versicherungssysteme nicht als Vorstufe einer Einheitsversicherung gedacht ist. Die Rechtsprechung des BVerfG gibt aber der PKV (Unternehmen und Versicherungsnehmern) das, was dieser grundrechtlich zusteht. b) Zu Recht sieht das BVerfG in der durch das GKV-WSG eingeführten Versicherungspflicht in der privaten Krankenversicherung einen Zusammenhang mit der Intention des Gesetzgebers, diese Versicherungssysteme „dauerhaft voneinander abzugrenzen“ (BVerfGE 123, 186, 250/Rz 190). Der Gesetzgeber habe – so das Gericht – das duale Krankenversicherungssystem erhalten und stärken wollen (a.a.O.). Im Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 finden sich an mehreren Stellen Aussagen, die den Schluss erlauben, dass das Verfassungsgericht eine Ablösung der PKV durch eine öffentlich-rechtliche Einheitsversicherung (monistische Versicherung) – selbst unter Beibehaltung des Geschäftssektors der Zusatzversicherung – im Falle juristischer Gegenwehr wohl kaum verfassungsrechtlich hinnehmen würde. Dies wäre auch erstaunlich, hat es der Gesetzgeber unter der Geltung des Grundgesetzes doch bisher noch nicht gewagt, einer Unternehmensbranche in Deutschland ihren historisch gewachsenen, gesellschaftlich akzeptierten und strukturell privatwirtschaftlichen Geschäftsgegenstand – hier die sog. substitutive Krankheitskostenvollversicherung – zu nehmen, durch den sie sich beruflich definiert. Die Entscheidung des BVerfG ist allgemein geprägt durch eine sorgfältige „Vermessung“ und Gewichtung der wirtschaftlichen Auswirkungen der zur verfassungsrechtlichen Prüfung anstehenden Beschränkungen des Geschäftsmodells und der Geschäftsfelder der Krankenversicherungsunternehmen. Dies verlangt Art. 12 Abs. 1 GG. Denn die Anforderungen sind für die Rechtfertigung eines gesetzlichen 33
Siehe zur GKV BVerfGE 39, 302, 315; 100, 1, 39; 113, 167, 219. So zutreffend Kingreen, DJT, K 30 f., in Auseinandersetzung mit der teilweise die Kompetenzvorschriften anders interpretierenden Literatur; ebenso Lege, S. 142 Fn. 143 und Schenke, S. 449 f. 35 So aber Kingreen, DJT, z. B. K 60. 34
III. Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland
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Eingriffs je nachdem unterschiedlich, ob es sich um einen Eingriff in die freie Berufsausübung oder in die der Berufswahl handelt. Stünde die PKV mit ihrem Kerngeschäft zur politischen Disposition des Gesetzgebers, wäre eine derartige Analyse nicht erforderlich. Das BVerfG ist bemüht, das Argument zu entkräften, das grundsätzliche Geschäftsmodell der PKV werde durch den Basistarif berührt (BVerfGE 123, 186, 241/Rz 169). Wäre dies der Fall – so darf man daraus schließen –, würde die verfassungsrechtliche Prüfung zu einem anderen Ergebnis führen. Das BVerfG drückt dies – mit der gebotenen Vorsicht – so aus: Wäre die Folge des Basistarifs eine „Auszehrung des eigentlichen Hauptgeschäfts“ der privaten Krankenversicherungsunternehmen, bedürften die gesetzlichen Regelungen einer erneuten Prüfung.36 Der Gesetzgeber müsse, wenn er im Einklang mit dem Grundgesetz die Versicherungsunternehmen zum Angebot eines Basisschutzes verpflichte, darauf „achten“, dass dies keine „unzumutbaren Folgen“ für sie und die bei ihnen Versicherten habe (BVerfGE 123, 186, 266/Rz 241).37 Theoretisch schließt dies nicht aus, dass es Gründe für die Beendigung des Kerngeschäfts der Unternehmen der Krankenversicherung gibt, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen solchen Eingriff genügen. Sie sind aber bisher nicht bekannt. Die in der Diskussion vorherrschende Erwägung, die GKV benötige die Finanzkraft der privat Versicherten als Beitragszahler, würde diesen Anforderungen nicht genügen. Dies wird noch auszuführen sein. c) Im Vordergrund des Grundrechtsstatus der privaten Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenvollversicherung steht die verfassungsrechtliche Absicherung ihrer Verträge gegenüber Eingriffen des Gesetzgebers. Demgegenüber tritt eher in den Hintergrund, dass Art. 2 Abs. 1 GG gegen eine sie gegebenenfalls treffende gesetzliche Verpflichtung, in der GKV Mitglied zu werden, auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG wenig Schutz gewährt.38 Freilich lässt sich eine solche Pflichtmitgliedschaft, vor allem von Neuversicherten, nicht damit begründen, es sei ein sozialstaatliches Anliegen, grundsätzlich für jeden Einwohner 36 Zutreffende Einschätzung der verfassungsrechtlichen Bedeutung der vom BVerfG angeordneten Pflicht zur Beobachtung durch den Gesetzgeber bei Sodan, in: Sodan, Handbuch, § 2 Rn. 79 und § 45 Rn. 44. 37 Butzer wertet zu Recht die Entscheidung des BVerfG als verfassungsrechtliches Hindernis auf dem Weg zu einer „Bürgerversicherung“. Werde das Zwei-Säulen-Modell von GKV und PKV wirklich in Frage gestellt und die Existenz privater Krankenversicherer tatsächlich gefährdet, dann wäre es seiner Auffassung nach sehr wohl nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass das BVerfG sich dem Gesetzgeber in den Weg stellt (MedR 2010, 283). Ähnlich analysiert Hufen (NZS 2009, 649, 651). Rittner/Dreher (S. 94 f.) verstehen die Entscheidung zum Basistarif nicht als „Freibrief“ zu weiteren Eingriffen in Strukturprinzipien der PKV. Denn Ziel einer systemgerechten Risikozuordnung dürfe es nicht sein, die PKV faktisch zu einer „zweiten GKV“ umzubauen. Depenheuer spricht im Zusammenhang der Krankheitskostenvollversicherung von einem „verfassungsgerichtlichen Bestandsschutz“ (NZS 2014, 201, 205). Kritisch zur verfassungsrechtlichen Akzeptanz des Basistarifs durch das BVerfG Lege, S. 147. Zu weiteren Reaktionen im Schrifttum auf das Urteil des BVerfG siehe die Nachweise bei Wallrabenstein, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 140 Fn. 16. 38 Siehe dazu Steiner, Versicherungsfreiheit, S. 142; siehe auch Kingreen, DJT, K 31.
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
eine Absicherung gegen das soziale Risiko Krankheit zu garantieren.39 Denn dieses Anliegen schließt nicht notwendig ein, dass man ihm gerade durch eine Mitgliedschaft in der GKV gerecht werden muss. Verfassungsrechtlich sehr viel gewichtiger ist, dass der Versicherungsschutz in der PKVauf Dauer angelegt ist (vgl. § 195 VVG) und Grundlage eines auch grundrechtlich geschützten Bestandsvertrauens der Versicherten und ihrer Unternehmen ist.40
3. Der Gemeinwohlgesichtspunkt „Erhaltung der Funktionsfähigkeit“ der GKV Der Gesichtspunkt „Erhaltung der Funktionsfähigkeit“ der GKV und deren finanzieller Stabilität gehört zwar zu der bei der Prüfung von Gesetzen im Krankenversicherungsrecht häufig vom BVerfG bemühten Rechtfertigung.41 Dieser Gemeinwohlpunkt ist jedoch nicht unbegrenzt im Zusammenhang mit der Einschränkung von Grundrechten zur Geltung zu bringen. a) Zunächst zieht das BVerfG ihn für die Rechtfertigung gesetzlicher Maßnahmen heran, die der finanziellen Stabilität der GKV durch Beschränkung der Rechte der Versicherten und der Leistungserbringer – also zur Rechtfertigung von Binnenmaßnahmen – dienen.42 Um Maßnahmen dieser Art geht es im vorliegenden Fall nicht. b) Allerdings findet sich in der Rechtsprechung des BVerfG der Satz, der Gesetzgeber könne den Kreis der Pflichtversicherten abgrenzen, wie er es für die Begründung und den Erhalt einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft für erforderlich hält. Er dürfe die Solidargemeinschaft in der GKV so gestalten, dass er dem Versicherungszwang nicht nur diejenigen unterwirft, die der Solidarität anderer bedürfen, sondern auch diejenigen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft zu Solidarität fähig sind.43 Es geht aber in diesem Zusammenhang immer wieder um 39
So aber Kingreen, DJT, K 31. So auch Kingreen, DJT, K 34 f. Dieses Vertrauen konkretisiere sich vor allem in den Alterungsrückstellungen für die Versicherten. Deshalb rät Kingreen von einer zwangsweisen Überführung der PKV-Bestandsversicherten in ein monistisches Versicherungssystem ab (a.a.O.). Siehe allgemein zum Schutz des Bestandes abgeschlossener Verträge Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 111. Zu übergangsrechtlichen Fragen siehe eingehend Bieback, Bürgerversicherung, S. 243 ff. Nach der Einschätzung von Breyer (S. 743) ließe sich eine Bürgerversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen erst nach einer Übergangszeit von vielen Jahrzehnten realisieren. 41 Siehe dazu Schaks, S. 165; vgl. auch Steiner, in: Medizinrecht, Art. 12 Rn. 4. 42 Vgl. BVerfGE 115, 25, 46. 43 Siehe dazu etwa BVerfGE 44, 70, 90; 102, 68, 89 ff.; 103, 271, 288; 113, 167, 215; 123, 186, 263. Den Vorschriften des § 5 SGB V liegt nach wie vor das Konzept eines (typisierten) Schutzbedürfnisses zugrunde. Auch §§ 6 und 7 SGB V betreffen Personenkreise, bei denen die eigene Sicherheitskompetenz vermutet wird oder anderweitiger Schutz vorhanden ist (siehe Berchtold, in: Kreickebohm u. a., § 5 Rnrn. 1, 6). Der Schutzgedanke steht auch in der 40
III. Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland
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Fragen der Zuordnung von überschaubaren und abgegrenzten Personenkreisen zu dem einen oder anderen System der Krankenversicherung. In seinem Urteil vom 10. Juni 2009 zieht das BVerfG die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der GKV als Legitimation dafür heran, dass zur Herstellung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft auch Erweiterungen des einbezogenen Personenkreises erfolgen könnten, um so für einen besseren Ausgleich zwischen Mitgliedern mit höheren und niedrigeren Einkommen zu sorgen (BVerfGE 123, 186, 264 f./Rz 233).44 Die genannte Formel kann aber nicht eine gesetzliche Regelung tragen, die im Zuge der Einführung einer öffentlich-rechtlichen Einheitsversicherung die bisher privat Versicherten dieser Versicherung zuweist, um sie auf diese Weise finanzwirtschaftlich leistungsfähiger zu machen. Diese Einschätzung lässt sich zumindest indirekt durch die verfassungsrechtliche Beurteilung der Pflichtversicherungsgrenze im Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 belegen. Das Gericht lässt den Bedarf der GKV an Versicherten mit höheren Beiträgen aufgrund höherer Einkommen als Rechtfertigungsgrund gelten. Man kann aber der insoweit mit 5:3 Stimmen ergangenen Entscheidung entnehmen, dass das lebenswichtige Interesse der Versicherungsunternehmen an einem steten Zugang neuer Versicherter bei der Prüfung der Angemessenheit eines Eingriffs durch die sog. Drei-Jahresgrenze eine zentrale Rolle spielt. Das BVerfG argumentiert in dieser Entscheidung45 (BVerfGE 123, 186, 266/Rz 240) auch damit, dass das, was an personellem Substrat für die PKV trotz der eingreifenden Regelung bleibe, einen wirtschaftlich vernünftigen Geschäftsbetrieb mit einem versicherungsmathematisch tragfähigen Mitgliederbestand nicht ausschließe. Könnte die PKV nicht mehr wirtschaftlich funktionieren, wäre dies ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl. Die damit aufgestellte Hürde im Rahmen der Eingriffsdogmatik des Art. 12 Abs. 1 GG könnte der Gesetzgeber deshalb schwerlich nehmen. Man darf annehmen, dass mit der Drei-Jahresregelung des GKV-WSG die verfassungsrechtliche „Schmerzgrenze“ erreicht ist. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber darf die PKV durch seine Zuordnungs- und Zugangsregelungen nicht in Lebensgefahr bringen. Die Vorhaben einer Einbeziehung der PKV-Versicherten in ein System der Sozialversicherung durch Schließung des Geschäftsmodells der privaten Krankheitskostenvollversicherung mit dem Ziel der Schaffung einer Einheitsversicherung erreicht eine ganz andere verfassungsrechtliche Dimension als die Verschiebung der Pflichtversicherungsgrenze zu Lasten der PKV. Es wäre die Beseitigung eines durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufs. Gleiches gilt auch aus den bekannten versicherungsmaRechtsprechung des BVerfG im Vordergrund (vgl. vor allem BVerfGE 102, 68, 88 ff; 103, 271, 288; 115, 25, 44). 44 Das BVerfG sieht in seiner Basistarif-Entscheidung vom Juni 2009 den Gemeinwohlgrund der Sicherung der finanziellen Stabilität und der Funktionsfähigkeit der GKV als Rechtfertigung dafür an, dass der Gesetzgeber, wenn er eine Vollversicherung aus zwei Versicherungssäulen schafft, die Personengruppen diesen beiden in einer ausgewogenen Lastenverteilung zuordnet (BVerfGE 123, 186, 244). 45 Siehe auch schon BVerfGK 2, 283, 289 = NZS 2005, 479.
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
thematischen Gründen, würde man – wie teilweise von den Parteien in ihren Wahlprogrammen beabsichtigt –, (nur) für alle Neuversicherten den Zugang zur PKV verschließen.46 Bei der Schließung der (substitutiven) Krankheitskostenvollversicherung als Kerngeschäft der PKV geht es um einen Eingriff von ganz anderer, weil existenzieller Tiefe.47 Der Eingriff könnte auch nicht dadurch kompensiert werden, dass den Unternehmen der PKV – was immer wieder diskutiert wird – offeriert wird, sie an den Angeboten einer Bürgerversicherung zu beteiligen.48 Dies wäre ein anderer Unternehmensgegenstand. Auch steht die Fortführung der PKV nicht allein zur Disposition der PKV-Unternehmen. Diese haben mit den Versicherungsnehmern langfristige Verträge abgeschlossen (§ 195 VVG). Primär oder ausschließlich fiskalische Interessen genügen als Rechtfertigung für eine derartige Berufswahlschranke nicht. Das Ziel der finanziellen Stabilität der GKV verliert seinen fiskalischen Charakter nicht dadurch, dass es Bedingung eines weiteren Zieles, der Funktionsfähigkeit dieses sozialversicherungsrechtlichen Systems, ist.49 Daher ist es zweitrangig, ob sich die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der Stabilität der GKV als ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang darstellt oder ob ihm (nur) hohe Bedeutung zukommt.50 c) Es stellt sich zudem noch die Frage nach der Eignung einer (gegebenenfalls schrittweisen) Schließung der PKV für das Geschäft der Krankheitskostenvollversicherung zu Gunsten einer Einheitsversicherung. Eine zuverlässige Rechnung über einen möglichen (Netto-) Zugewinn im Falle der freiwilligen oder gesetzlich vorgesehenen Einbeziehung der bisher oder neu in der PKV Versicherten existiert nicht und kann es wohl auch nicht geben. In diese Rechnung müssten beispielsweise die 46 Betroffen wäre also durch eine Schließung der Krankheitskostenvollversicherung die PKV – zumindest gemessen an der Intensität des Eingriffs – in ihrer Freiheit der Berufswahl, und nicht nur der Berufsausübung (so aber Kingreen, DJT, K 32). Dieser kann sich nicht darauf berufen, dass das BVerfG in seiner Entscheidung vom 10. Juni 2009 die dort geprüften Eingriffe in die Berufsfreiheit der Versicherer, wie vor allem durch den Basistarif, als Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit qualifiziert hat. Um derartige Eingriffe geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht. 47 Dazu näher Bethge, S. 93, 99 ff.; Schenke, S. 467 ff.; Schmidt-Aßmann, S. 134 und Sodan, in: Sodan, Handbuch, § 2 Rn. 107. 48 Siehe dazu etwa Rürup-Kommission, S. 14. 49 So zutreffend Isensee, HdbStR, § 150 Rn. 134 i.V.m. Fn. 302; vgl. auch schon ders., in: GS für Heinze, S. 419; Sodan, in: Sodan, Handbuch, § 2 Rn. 107; allgemein zur Zuordnung fiskalischer Interessen zum öffentlichen Interesse Uerpmann, S. 124 ff. 50 Vgl. zu den unterschiedlichen Formeln des BVerfG BVerfGE 70, 1, 30; 82, 209, 230; 103, 172, 184 f.; 113, 167, 215: „Gemeinwohl von hohem Rang“, „für das Gemeinwohl anerkanntermaßen von hoher Bedeutung“, „ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang“ – Kein Gemeinwohlgrund im Sinne des Eingriffsdogmatik des Art. 12 Abs. 1 GG ist für sich allein der Bedarf an Solidarität in einer Gesellschaft. Solidarität ist ein sozialstaatlich getragenes, politisches Leitbild, das der Gesetzgeber vor allem in den Systemen der sozialen Sicherheit zur Geltung bringt. Dazu – insbesondere mit Nachweisen zum Begriffsverständnis – Steiner, FS Knemeyer, S. 489, 495 ff. Siehe in diesem Zusammenhang noch Lege, S. 139 f.
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Zusatzbelastung durch die beitragsfreie oder beitragsgeminderte Familienversicherung bisher privat Versicherter nach § 10 SGB V ebenso einfließen wie der – jedenfalls politisch schwerlich zu vermeidende – Ausgleich des Verlustes an Arzthonoraren, die bisher von den Versicherten der PKV erbracht wurden.51 Auch wäre das beamtenrechtliche Beihilfesystem zumindest neu zu justieren; auch davon hinge die „Gewinnrechnung“ einer die PKV ersetzenden Bürgerversicherung ab.52 Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit einer Beschränkung der PKV auf Zusatzversicherungen wäre zu prüfen, ob die Finanzierungsprobleme der GKV zuerst durch Binnenmaßnahmen zu lösen sind, wie beispielsweise eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 Abs. 3 SGB V) oder die Einbeziehung von Einkünften der Versicherten aus Vermögen in die Beitragsbemessung.53 Am Ende stünde noch eine Angemessenheitsprüfung, die ohne detaillierte Informationen über die hier relevanten Elemente einer Vor- und Nachteilsabwägung nicht möglich ist.54
4. Die Beihilfefrage a) Im Rahmen der sog. Föderalismusreform I55 sind auch die Zuständigkeiten für die gesetzliche Ausgestaltung des Beamtenrechts in Deutschland neu geordnet worden. Die bis dahin bestehende Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG a.F.) und dessen konkurrierende Kompetenz für die Besoldung und Versorgung aller Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen (Art. 74a Abs. 1 GG a.F.), sind entfallen. Dem Bund ist nur die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Statusrechte und Statuspflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit 51 Der Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement (Prof. Dr. Wasem) hat – wie oben schon erwähnt – den Honorarverlust in verschiedenen Übergangsszenarien zu errechnen versucht, falls man die heutige Trennung der Vergütung nach GKV und PKV aufhebt (siehe die Zusammenfassung in TK special Sonderausgabe vom März 2013). Siehe zu dieser „Transferfrage“ auch Jahn/Staudt/ Wasem, S. 159 m. Nachw. und Kalis, in: Langheid/Wandt, § 193 Rn. 46. 52 Siehe dazu im Folgenden unter 4. 53 Siehe dazu schon BVerfGE 102, 68, 93 f. Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV siehe Bieback, BBG, passim. – Dieser Hinweis auf Möglichkeiten der Ausschöpfung systemeigener Finanzquellen ist zu trennen von dem durch das BVerfG verworfenen Argument, man könne den Grundrechtseingriff vermeiden, wenn man die öffentlichen Haushalte stärker belaste (BVerfGE 123, 186, 243). 54 Dagegen meint Lege, die Grundrechte der privaten Krankenversicherer würden dadurch, dass sie ihr Geschäftsfeld verlieren, nicht notwendig verletzt. Art. 12 und Art. 14 GG gäben keinen Bestandsschutz für alle derzeit vorhandenen Berufe. Nur dem Vertrauensschutz sei Rechnung zu tragen (S. 143 Fn. 147). Lege macht es sich damit verfassungsrechtlich zu einfach, ebenso mit seiner pauschalen Feststellung, alle geplanten Modelle zur Reform der Finanzierung des Gesundheitswesens, insbesondere auch die Bürgerversicherung, seien im Grundsatz mit der Verfassung vereinbar (S. 142). 55 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034.
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung geblieben (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG). An der Zuständigkeit zur Regelung des Rechts der Beihilfe hat sich durch die neue Kompetenzlage nichts geändert. § 45 Satz 1 BeamtStG enthält allgemein die Verpflichtung des Dienstherrn, im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl der Beamtinnen und Beamten und deren Familien zu sorgen. Dem entspricht § 78 Satz 1 BBG. § 80 BBG enthält eine spezielle Vorschrift über die Gewährung von Beihilfe in Krankheitsfällen für die Beamten des Bundes. Eine entsprechende Bestimmung für das bayerische Beamtenrecht findet sich in Art. 96 Abs. 1 BayBG. Die Beihilfe im Krankheitsfall ist als Ergänzung der aus den laufenden Bezügen zu bestreitenden Eigenvorsorge konzipiert.56 Besteht ein solcher Anspruch auf Beihilfe, so sieht § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 6 SGB V Versicherungsfreiheit vor. Aufgrund dieser Gesetzeslage stellt die Gruppe der Beamten einen großen Teil der privat Krankenversicherten.57 Es ist außer Streit, dass die beamtenrechtliche Fürsorge im Krankheitsfall nicht der Kompetenz des Bundes für die Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG unterfällt.58 Der Bund kann sich folgerichtig – vorbehaltlich der folgenden verfassungsrechtlichen Ausführungen – vom System der Beihilfe für seine Beamten lösen und beispielsweise für sie die Beiträge zur GKV ganz oder teilweise übernehmen.59 Der Bundesgesetzgeber hat jedoch keine Kompetenz, ein solches Konzept für die Länder gesetzlich zu realisieren. Er kann auch nicht die Länder zur Einbeziehung von Beamten in eine Einheitsversicherung nach dem Modell der GKV verpflichten.60 b) Es ist vom BVerfG61 entschieden, dass die Beihilfe in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 gehört. Das System der Beihilfen kann jederzeit geändert werden, ohne dass dadurch diese verfassungsrechtliche Garantie berührt wird. Der Dienstherr muss zwar aufgrund seiner Fürsorgepflicht Vorkehrungen treffen, dass der angemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer Belastungen, etwa im Krankheitsfall, nicht gefährdet wird. Es bleibt aber seinem Ermessen überlassen, ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise erfüllt. 56
Siehe dazu auch BVerfGE 106, 225, 232 f. Siehe dazu Wallrabenstein, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 138. Das BVerfG nennt 2009 als Zahl 4,5 Millionen Beamte mit beihilfekonformen Tarifen (BVerfGE 123, 186, 188). 58 BVerfGE 62, 354, 366. 59 Isensee hält dies allerdings nicht für zulässig. Der Dienstherr dürfe nicht die Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht auf ein externes, rechtlich verselbständigtes Vorsorgesystem wie die GKV als Bürgerversicherung abschieben (NZS 2004, 393, 400). 60 So auch Kingreen/Kühling, S. 38. Dies ist politisch schon deshalb von Bedeutung, weil nach den vorliegenden Rechnungen der Dienstherr geringere finanzielle Aufwendungen hat, wenn er die real auftretenden Krankheitskosten der Beamten durch Beihilfegewährung finanziert und nicht durch Beiträge zur GKV. Dazu u. a. Wallrabenstein, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 148. Zum Ganzen siehe auch Bieback, Bürgerversicherung, S. 93 f., 200 ff. 61 So BVerfGE 106, 225, 232 mit Nachweisen aus der bisherigen Rechtsprechung. 57
III. Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland
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c) Dem geltenden Recht lässt sich keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers entnehmen, durch eine entsprechende Vorschrift den Beamten eine Option zum Beitritt zur GKV einzuräumen. Die sog. Vorsorgefreiheit wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in der Weise umschrieben, dass die Beihilfevorschriften dem Beamten die eigenverantwortliche Entscheidung darüber überlassen, in welchem Umfange, bei welchem Versicherungsunternehmen, zu welchen Versicherungsbedingungen und mit welcher eigenen Beitragsverpflichtung er Vorsorge treffen will, ob er sich mit hohen Beiträgen einen möglichst viele Risiken umfassenden Versicherungsschutz mit hohen Erstattungsbeiträgen verschaffen will oder ob er sich gegen Zahlung niedriger Beiträge mit einem geringeren Versicherungsschutz begnügt, der gewisse in Betracht kommende Risiken von vornherein nicht mit erfasst. Dies schließt auch die Freiheit ein, anstelle einer Versicherung Rücklagen für die Kosten eines Krankheitsfalls zu bilden.62 Diese Vorsorgefreiheit umfasst also – herkömmlich definiert – nicht die Entscheidung des Beamten zwischen PKV und GKV. Selbst wenn man in die Vorsorgefreiheit grundsätzlich auch den Zugang des Beamten zur GKV einbeziehen würde, fehlt es an einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Grundlage, den Gesetzgeber zur Schaffung einer derartigen Option zu verpflichten. Denn Art. 33 Abs. 5 GG umfasst nicht die Vorsorgefreiheit als herkömmlichen Grundsatz des Berufsbeamtentums.63
5. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität des sog. dualen Systems a) Es ist nicht Aufgabe des vorliegenden Gutachtens, das zweigliedrige System der Krankenversicherung in Deutschland ordnungs- und gesundheitspolitisch zu bewerten. Aus der Sicht des Grundgesetzes und seines Menschenbildes ist jedoch festzustellen, dass beide Systeme über Legitimität in der Wertordnung des Grundgesetzes verfügen. Einerseits ist dessen Menschenbild nicht das „eines isolierten souveränen Individuums“. Es ist auf die Gemeinschaft bezogen und in die Gemeinschaft eingebunden.64 Zum Menschenbild des Grundgesetzes gehört solidarisches Handeln. Nicht weniger geht aber das Grundgesetz von der Eigenverantwortung des Menschen für sein Leben, das seiner Familie und für seinen Lebensentwurf einschließlich der selbstbestimmten Absicherung der großen Lebensrisiken (Vor62
BVerwGE 20, 44, 51; 28, 174, 176. Bieback, Bürgerversicherung, S. 203; Pieroth, in: Jarrass/Pieroth, Art. 33 Rn. 62 und Schenke, S. 459; a.A. Isensee, NZS 2004, 393, 400 und Grün, S. 54 f. Die Frage ist allerdings bisher in der Rechtsprechung des BVerfG offen gelassen worden. Siehe wohl zuletzt BVerfG, Beschl. vom 13. 2. 2008, NVwZ 2008, 1004 unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung. Im Übrigen würde ein entsprechender Grundsatz sich nur auf die Krankenvorsorge beziehen, nicht hingegen auf die Vorsorge für den Pflegefall (BVerfG, Beschl. vom 25. 9. 2001, DVBl. 2002, 114, 116). 64 BVerfGE 4, 7, 15 f.; 12, 45, 51. 63
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
sorgefreiheit) aus.65 GKV und PKV stehen jeweils für die Entfaltung zweier verfassungsrechtlicher Grundprinzipien: des Sozialstaatsprinzips einerseits und der Privatautonomie andererseits.66 b) Das BVerfG sieht durch die Einführung des Basistarifs die Lasten zwischen den gesetzlichen und privaten Trägern der Krankenversicherung „gerecht“ verteilt und dadurch den dualen Aufbau der Krankenversicherung aus gesetzlichen und privaten Trägern gefestigt (BVerfGE 123, 186, 245/Rz 178). Der Basistarif diene der mit dem GKV-WSG „angestrebten Vollfunktionalität“ der PKV für alle ihr zugewiesenen Versicherten (BVerfGE 123, 186, 249/Rz 187).67 Der Gesetzgeber wolle – so das BVerfG – das duale Krankenversicherungssystem erhalten und stärken; dabei solle auch die private Säule zur „Vollfunktionalität“ gelangen und ihre Mitglieder in gleicher Weise wie die öffentlich-rechtliche Versicherung umfassend, rechtssicher und dauerhaft absichern (BVerfGE 123, 186, 250/Rz 190).68 In der Tat lässt sich – betrachtet man Argument und Gegenargument in der politischen und fachlichen Diskussion – ein Gleichgewicht der sozialen Verantwortung in den beiden Systemen begründen. Zwar lässt das BVerfG im Zusammenhang mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Basistarifs das Argument des Gesetzgebers gelten, die Krankenversicherungsunternehmen seien in besonderer Weise an „guten Risiken“ interessiert, die oft jungen Menschen gehörten (BVerfGE 123, 186, 245/Rz 178). Mit dem Basistarif sind aber die Versicherten der PKV über ihr Versicherungsunternehmen in der Form einer staatlichen Indienstnahme sozial in die Pflicht genommen worden. Das schwächt das politisch gern bemühte Argument ab, das private Krankenversicherungssystem trage zu wenig zur Lösung der Solidaraufgaben im deutschen Gesundheitswesen bei. Nach der Einführung des Basistarifs ist es nicht allein Sache der öffentlich-rechtlichen Krankenversicherung, unerwünschte Risiken bezahlbar abzusichern. Es ist gerade der Basistarif, der eine neue 65
Siehe dazu Becker, Menschenbild, S. 35 f. unter Hinweis auf BVerfGE 5, 85, 204 f. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 28. Die derzeit geltende sog. Ein-Jahresgrenze in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V hat der Gesetzgeber damit begründet, sie ermögliche eine eigenverantwortliche Entscheidung über den Versicherungsschutz (BT-Drucks. 17/3040, S. 21); dazu Berchtold, in: Kreikebohm u. a. § 6 Rn. 3. 66 Siehe dazu statt Vieler Schräder, S. 61 ff.; zur Entfaltung der Privatautonomie im Versicherungswesen siehe Isensee, Privatautonomie, Rnrn. 130 ff. Das BVerfG formuliert im Zusammenhang mit dem Abschluss von Lebensversicherungsverträgen: Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben. Die eigenbestimmte Gestaltung von Rechtsverhältnissen ist ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (BVerfGE 114, 73, 89). 67 Die sog. Zuweisungsfrage hat die Rechtsprechung inzwischen beschäftigt. Siehe z. B. BGH, Urt. vom 16. 7. 2014, NJW 2014, 3516 (kein Zugang zum Basistarif beim Bezug von Sozialhilfe). Zur Gewährleistung von Beihilfeleistungen für im Basistarif versicherte Beamte siehe BVerwG, Urt. vom 17. 4. 2014, NVwZ-RR 2014, 606. 68 Heinig (S. 449) formuliert, der Sozialstaat des Grundgesetzes verbiete nicht die viel gescholtene „Zweiklassenmedizin“. Moderate Differenzierungen im medizinischen Versorgungsniveau seien in einer freiheitlichen Gesellschaft bei Knappheit der Ressourcen unvermeidlich.
III. Gestaltung des Krankenversicherungswesens in Deutschland
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Grundlage für einen Modus vivendi zwischen GKV und PKV geschaffen hat, weil durch ihn eine partielle Anpassung der PKV an das öffentlich-rechtliche Modell der solidarischen Krankenversicherung bewirkt wurde. Der Basistarif steht – jedenfalls bisher – am Ende einer Entwicklung, die durch mehrere sozial geprägte Ingerenzen des Gesetzgebers in das Recht der PKV gekennzeichnet ist. Dazu werden der Ausschluss eines ordentlichen Kündigungsrechts durch den Versicherer (§ 206 Abs. 1 VVG), die Einführung eines gesetzlichen Zuschlags in Höhe von 10 % der Bruttoprämie zur Absenkung der Prämiensteigerungen im Alter (§ 12 Abs. 4a VAG) und der Standardtarif (§ 257 Abs. 2a Nr. 2 – 2c SGB V a.F.) gezählt.69 Privatversicherte Personen tragen das Risiko der Krankheit und das Risiko der Krankheit ihrer Ehepartner und Kinder selbst.70 Im System der GKV wird die Familienversicherung (§ 10 SGB V) hingegen mit Zuschüssen aus dem Steueraufkommen (§ 221 SGB V; vgl. auch Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG) und damit auch aus den Abgaben Privatversicherter finanziert; der Gesetzgeber vermeidet es allerdings, den steuerlichen Gesamtaufwand einzelnen Ausgabeblöcken der GKV zuzuordnen.71 Man wird zudem auch schwerlich bestreiten können, dass die von den Versicherungsnehmern erbrachten Prämien in bedeutendem Umfang – wie hoch man auch immer die „Transferleistungen“ errechnet – der Finanzierung des Einkommens der Ärzte dienen und damit die Finanzierung eines leistungsfähigen Gesundheitswesens durch die GKV deutlich entlasten.72 Die Zukunft der Krankenversicherung scheint nicht in der Schaffung einer (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisierten) Einheitsversicherung zu liegen, sondern in der systemimmanenten Fortentwicklung der beiden Versicherungszweige, die in geeigneten Fällen auf der Ebene ihrer Spitzenverbände bereits zusammenarbeiten. Das geltende Recht sieht solche Fälle der Kooperation vor. So schließen der GBA, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung eine Vereinbarung über die von den Unternehmen der privaten Krankenversicherung zu erstattenden Kosten für die Nutzen-Bewertung nach § 35a SGB V und für die Kosten-Nutzen-Bewertung nach 69 Wallrabenstein, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 139. Siehe dazu auch BVerfGE 123, 186, 244/Rz 176: Dem privaten Krankenversicherungsrecht sind angesichts seiner existenziellen Bedeutung für die Versicherungsnehmer Einschränkungen der Berufsfreiheit der Versicherer traditionell eigen. 70 Das BVerfG stellt im Rahmen seiner kompetenzrechtlichen Prüfung fest, der Basistarif umfasse im Gegensatz zur privaten Pflegepflichtversicherung keine beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und keine ermäßigte Mitversicherung von Ehegatten; der Basistarif sei deshalb nicht nur der Form nach Privatversicherung (BVerfGE 123, 186, 236). 71 Dazu u. a. Brosius-Gersdorf, S. 560 ff.; Butzer, Fremdlasten, S. 66 f., 73; Rixen, in: Becker/ Kingreen, § 221 Rn. 3 f. 72 Zu den Zahlen siehe Jahn u. a., S. 159 m. Nachw.; Jahn/Staudt/ Wasem, S. 159 mit Nachw. und Kalis, in: Langheid/Wandt, § 193 Rn. 146. Das BVerfG will bei der Frage, ob zahnärztliche Honorarkürzungen zumutbar sind, auch solche Einkünfte berücksichtigt wissen, die nicht aus der GKV kommen (BVerfG, Beschl. vom 12. 7. 2000, NJW 2000, 3414). Siehe zu einer solchen ganzheitlichen Sicht Clemens, § 24 Rn. 11.
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D. Die Entscheidungen des BVerfG zum GKV-WSG
§ 35b SGB V sowie für die Festsetzung eines Erstattungsbetrags nach Absatz 4 (§ 130b Abs. 10 SGB V).73 In die Zukunft weist auch die Entscheidung des Gesetzgebers, der PKV in geeigneten Fällen zur Seite zu stehen, die über die umfangreichen gesetzlichen Möglichkeiten der GKV im Qualitäts- und Kostenmanagement nicht verfügt. So hat er den Unternehmen der PKV einen Anspruch gegen die pharmazeutischen Unternehmen auf Gewährung von Abschlägen vom Abgabepreis von Arzneimitteln nach näherer Maßgabe des § 130a SGB V eingeräumt.74
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Ein weiterer Fall ist die Mitarbeit des Verbandes der Privaten Krankenversicherung im GBA bei dessen Beschlüssen nach § 137 Abs. 3 Satz 5 SGB V. Siehe auch noch § 113b Abs. 2 Satz 5 SGB XI für die Pflegeversicherung. 74 Siehe Art. 11a § 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung – Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG – vom 22. Dezember 2010, BGBl. I S. 2261.
E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV I. Möglichkeiten einer Erweiterung der Mobilität von Versicherten und Versicherungsnehmern innerhalb der PKV und zwischen den Systemen von GKV und PKV aus verfassungsrechtlicher Sicht 1. Tarifwechsel und Unternehmenswechsel innerhalb der PKV a) Soweit ersichtlich besteht kein Bedarf, das geltende Recht des Tarifwechsels (Herkunftstarif/Zieltarif) innerhalb eines Unternehmens der Krankenversicherung (§ 204 VVG) zu ändern. Dies gilt auch für die Wechselfälle, die den sog. Basistarif betreffen.75 Findet ein Wechsel der Tarife innerhalb eines Versicherungsunternehmens statt, gilt der Grundsatz des unbeschränkten Tarifwechselrechts (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 VVG). Gründe braucht der Versicherungsnehmer für seinen Wechselwunsch nicht zu nennen.76 Das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung77, das am 1. August 2013 in Kraft getreten ist, hat einen Notlagentarif für säumige Prämienzahler eingeführt, der den Abbau von Beitragsschulden für die Betroffenen erleichtert und das Rückkehrrecht in den ursprünglichen Tarif stärkt (§ 193 Abs. 6 – 10 VVG n.F.; § 12 h VAG).78 Im Zusammenhang mit dem Tarifwechsel wird der Gesetzgeber zu prüfen haben, ob er die privaten Krankenversicherungsunternehmen über die schon jetzt gesetzlich bestehenden Informationspflichten, wie auch jüngst in Bezug auf den Notlagentarif79, hinaus zu mehr Information über die Voraussetzungen des Zugangs zu den
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Dazu die Erläuterungen durch Voit, in: Prölss/Martin, § 204 Rn. 32 ff. Boetius, Münchener Kommentar, § 204 Rn. 2, 7, 166. Zu den Einzelheiten des Tarifwechsels siehe Langheid, in: Römer/Langheid, § 204 Rn. 8 ff.; Schüffner/Franck, in: Sodan, Handbuch, § 43 Rn. 118 ff. und Fahr u. a., § 12 Rn. 15 ff. 77 BGBl. I S. 2423. 78 Siehe die Zusammenfassung in: NZS 2013/16, S. VIII. 79 Kritisch zu § 193 Abs. 6 – 10 VVG i.V.m. § 12 h VAG Langheid, in: Römer/Langheid, § 193 Rn. 79 ff. 76
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
einzelnen Tarifen, die Prämienhöhe und das mit den einzelnen Tarifen verbundene Leistungsspektrum anhalten will.80 b) Der Wechsel des Unternehmens der Krankenversicherung durch den Versicherungsnehmer (Versichererwechselrecht) hat der Gesetzgeber des GKV-WSG durch das Instrument der Mitnahme der sog. Alterungsrückstellungen zu erleichtern versucht.81 Eine Erweiterung der Portabilität der sog. Alterungsrückstellungen beim Wechsel des Versicherers gegenüber dem geltenden Recht dürfte verfassungsrechtlich nicht ohne Probleme sein. Der Gesetzgeber hat in § 204 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 5 Nr. 2a VVG und § 12 Abs. 1 Nr. 4 VAG lediglich für Krankenversicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2009 abgeschlossen werden, angeordnet, dass sie eine Portabilität der Alterungsrückstellung vorsehen. Diese Beschränkung auf Neuverträge ist wohl dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz geschuldet. Die Portabilität ist zudem nach den genannten Vorschriften auf einen dem Basistarif entsprechenden Umfang reduziert. Das GKV-WSG sieht also nicht die Übertragung der vollen kalkulierten Alterungsrückstellung vor. Dies ist aus der Sicht des BVerfG ein Argument, den in dieser gesetzlichen Verpflichtung liegenden Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Versicherer als zumutbar anzusehen (BVerfGE 123, 186, 255/Rz 206).
2. Der Systemwechsel zwischen GKV und PKV a) Der vom Gesetzgeber gewollte Wettbewerb zwischen den beiden Versicherungszweigen GKV und PKV um die bestmögliche Versicherung vor dem Hintergrund der Einführung einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht lässt sich dadurch verstärken, dass der Gesetzgeber über die bisherige Rechtslage hinaus – also erweiterte – Optionen für einen Wechsel zwischen den beiden Systemen zur Verfügung stellt. Dem Bürger würde er dadurch die Möglichkeit eröffnen, denjenigen Versicherer (Versicherungsunternehmer, Versicherungsträger) zu wählen, der aus seiner Sicht für ihn mit dem größten Nutzen verbunden ist.82 Das GKV-WSG hat zwar die Zuordnung der Personenkreise im Zuge der Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht nach Einschätzung der Fachwelt verfestigt.83 Gleichwohl wird im politischen Raum über verbesserte Wechselmöglichkeiten zwischen den Systemen diskutiert. Auch das BVerfG bewertet das Bestehen von Wahl- und Wechselmöglichkeiten zwischen GKV und PKV grundsätzlich positiv (BVerfGE 80
Zur Informationspflicht bei Beitragsanpassungen siehe im Einzelnen Boetius, in: Münchener Kommentar, § 204, Rn. 169 ff. Zum Beratungsbedarf beim Tarifwechsel siehe Müller, S. 323. 81 Zweifel an der praktischen Tauglichkeit dieses Instruments bei Bloch, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 195. 82 Der Wettbewerb der gesetzlichen Kassen untereinander ist nicht Gegenstand des vorliegenden Gutachtens. Siehe dazu eingehend Becker/Schweitzer, passim. 83 Dazu Wallrabenstein, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 149. Siehe auch Kingreen, Krankenversicherungsrecht, § 76 Rn. 33 ff.
I. Möglichkeiten einer Erweiterung der Mobilität von Versicherten
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123, 186, 245/Rz 178).84 GKV und PKV haben voneinander abweichende Untersuchungen über den Wunsch der jeweils bei ihnen Versicherten über die Wechselbereitschaft zwischen den Systemen vorgelegt.85 Allgemein lässt sich dazu feststellen, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht mehr Wechselmöglichkeiten eröffnet werden können als bei realistischer Einschätzung politisch durchsetzbar sind. b) Das geltende Recht ist unverändert vom Grundsatz bestimmt, dass für die Einbeziehung von Personenkreisen in die GKV deren Schutzwürdigkeit maßgeblich ist.86 Fehlt es aufgrund des gesetzlichen Schutzkonzepts von vornherein an der Einbeziehung in die GKV oder wird von den Möglichkeiten, diesem System beizutreten oder dort zu verbleiben, kein Gebrauch gemacht, ist das Krankheitsrisiko grundsätzlich und in aller Regel in der PKV abgesichert.87 Diese Richtungsentscheidung wird modifiziert durch eine Reihe von Vorschriften, die im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind. Wer vor dem Inkrafttreten des GKV-WSG nicht gegen Krankheitskosten abgesichert war, dem Status nach aber der Gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet sein sollte, wird in § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V für versicherungspflichtig erklärt. Es sind diejenigen, die in § 227 SGB V als „versicherungspflichtige Rückkehrer“ in die GKV bezeichnet werden.88 Das geltende Recht verschließt weiter Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahrs versicherungspflichtig werden, den Zugang zur GKV, es sei denn, sie waren in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht gesetzlich versichert (§ 6 Abs. 3a SGB V). Damit soll Personen, die sich frühzeitig für die PKV entschieden haben, der Wechsel in die GKV verwehrt und die Solidargemeinschaft von hohen Leistungsausgaben für ältere Versicherte geschützt werden, denen in der Regel nur niedrige Beiträge gegenüberstehen.89 Für gesetzlich näher geregelte Einzeltatbestände eröffnet § 8 SGB V die Möglichkeit eines Wechsels zwischen den Versicherungssystemen. Es geht dabei vor allem um Personen, die zuvor privatversichert waren. Sie sollen eigenverantwortlich entscheiden, ob sie in der PKV verbleiben oder den Versicherungsschutz der GKV in Anspruch nehmen.90 Zu den 84
Vgl. schon BVerfGE 102, 68, 87. Siehe dazu die Zahlen in: FAZ Nr. 138 vom 18. 6. 2013, S. 17. 86 Siehe BVerfGE 115, 25, 44; Berchtold, in: Kreikebohm u. a., § 5 Rnrn. 1, 6; Ebsen, § 15 Rn. 64; Felix, in: Engelmann/Schlegel, § 5 Rn. 15; Just, § 5 Rn. 1; kritisch zur Verifizierbarkeit des Prinzips der Schutzbedürftigkeit bei der Begründung einer Versicherungspflicht in der GKV Fachinger, S. 30 ff. Die Diskussion ist natürlich nicht neu. Siehe dazu eingehend Hase, S. 46 ff. und Schräder, S. 98 ff. 87 Siehe Berchtold, in: Kreikebohm u. a., § 6 Rn. 5. 88 Zu dieser gesetzgeberischen Entscheidung rechtspolitisch kritisch Hase, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 171 ff.; im Ergebnis ebenso Bloch, S. 192, 194 und Felix, in: Engelmann/ Schlegel, § 5 Rn. 93 (nicht unerhebliche Probleme in der Praxis). Zu den Einzelheiten siehe auch Just, § 5 Rn. 59 ff. Vgl. ferner zur „Rückkehrerfrage“ auch Bieback, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 26; Jahn, S. 158. 89 Siehe Just, § 6 Rn. 34. 90 Dazu Ebsen, § 15 Rn. 72; Just, § 8 Rn. 1, 18. 85
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
Vorschriften, die den Betroffenen eine begrenzte Bewegungsfreiheit zwischen GKV und PKV innerhalb einer Art Korridor einräumen, gehört insbesondere § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Danach wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer wegen Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 Satz 2 oder Abs. 7 SGB V (Anpassung an die Entwicklung der Bruttolohn- und Gehaltssumme) versicherungspflichtig wird.91 Erheblich eingeschränkt hat der Gesetzgeber gegenüber den Vorgängerregelungen des SGB V die Möglichkeiten einer freiwilligen (Weiter-) Ver-sicherung in der GKV, um den Gedanken der Solidarität zu verstärken und die Versichertengemeinschaft vor unzumutbaren Belastungen zu schützen.92 Sie ist durch § 9 SGB V Personen vorbehalten, die nicht so schutzbedürftig sind, dass sie der Versicherungspflicht oder der beitragsfreien Familienversicherung bedürften.93 c) Das geltende Recht der Abgrenzung der beiden Versicherungszweige ist verfassungsgemäß. Dies gilt auch für die immer wieder im Streit befindliche Pflichtversicherungsgrenze (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Es existiert auch keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die beiden Systeme wechselseitig stärker zu öffnen als dies dem gegenwärtigen Rechtszustand entspricht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich im Folgenden allein die Frage, ob und gegebenenfalls welche Optionen für einen Wechsel zwischen den Systemen de lege ferenda mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dazu kann noch einmal allgemein festgestellt werden, dass mehr Optionen verfassungsrechtlich zulässig als bei realistischer Betrachtung politisch durchsetzbar sind. Allgemeine verfassungsrechtliche Vorgabe für die Schaffung neuer Wechseloptionen ist die Aussage des BVerfG, es sei eine dem Staat und insbesondere dem Gesetzgeber vom Grundgesetz aufgegebene staatliche Aufgabe, jedermann ohne Rücksicht auf Alter und Einkommen den Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung zu gewähren. Der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit wird vom BVerfG in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes als eine Grundaufgabe des Staates angesehen.94 (1) Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken, dass der Gesetzgeber den Versicherungszwang in der GKV für alle oder für bestimmte Versicherungsgruppen aufhebt, deren Schutzbedürftigkeit er anders als im Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in die GKV beurteilt. Zwar muss der Gesetzgeber die Einführung eines Versicherungszwangs in der GKV – wie schon erörtert – verfassungsrechtlich rechtfertigen, weil er in das Grundrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG ein91 § 8 SGB V eröffnet bestimmten Personen die Möglichkeit, ihren bisherigen privaten Krankenversicherungsschutz auf Antrag fortzusetzen und auf den Schutz der GKV zu verzichten. Andererseits ist der Personenkreis beschränkt, weil die GKV gerade die finanziell leistungsfähigen Versicherten zur Absicherung der Familienversicherung, älterer Menschen und der Versicherten mit nur geringem Einkommen benötigt. So Felix, in: Engelmann/Schlegel, § 8 Rn. 35. 92 So u. a. Vogel, § 9 Rn. 1. 93 Dazu Ebsen, § 15 Rn. 73; Felix, in: Engelmann/Schlegel, § 9 Rn. 20 (begrenztes Schutzbedürfnis); Just, § 9 Rn. 1. 94 BVerfGE 115, 25, 43; 123, 186, 242.
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greift. Es bedarf aber keiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, wenn er diesen Eingriff beseitigt. Der Gesetzgeber wäre also durch das Grundgesetz nicht gehindert, dem Einzelnen freizustellen, für welches System er sich entscheidet. Jedermann wäre dann in der Lage, danach zu entscheiden, in welchem System er für sich einen größeren Vorteil sieht. Die Vorteils-Nachteilsabwägung könnte individuell erfolgen. Bekanntlich verbleiben nicht wenige über oder sogar weit über der Jahresarbeitsentgeltgrenze Verdienende in der GKV, weil sie die Vorteile der Familienversicherung nach § 10 SGB V nutzen wollen. Das BSG sieht offenbar in der Einbeziehung des Einzelnen in die GKV keinen Nachteil, weil beim Systemvergleich mit der PKV von der Gleichwertigkeit der PKV und GKV auszugehen sei.95 Verringert sich durch die Aufhebung des Versicherungszwangs in der GKV deren Finanzierungsbasis, so besteht – theoretisch – die Möglichkeit einer Erhöhung der Beiträge oder einer Erhöhung der staatlichen Zuschüsse, aber auch eine Verringerung der Leistungen der Krankenkassen. Gestaltet der Gesetzgeber den Zugang zur GKV grundsätzlich freiwillig, so kann dies mit einer Beendigung der zurzeit bestehenden allgemeinen Krankenversicherungspflicht bzw. Krankheitskostenversicherungspflicht verbunden sein, weil zu deren gesetzlicher Einführung eine verfassungsrechtliche Verpflichtung nicht bestand. Belässt der Gesetzgeber es bei der gegenwärtigen Versicherungspflicht für alle, sind die Auswirkungen zu berücksichtigen, die eine Aufhebung des Versicherungszwangs in der GKV für die PKV zur Folge hätte. Dies gilt nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 123, 186) vor allem für die – wegen Art. 12 Abs. 1 GG relevante – Frage, welche Folgen die verstärkte Inanspruchnahme des Basistarifs für das Geschäftsmodell der PKV bei Aufhebung der bestehenden gesetzlichen Zuordnung der Einwohner zu einem der beiden Versicherungssysteme hätte. Verfassungsrechtlich bleibt der Gesetzgeber im Übrigen durch die oben hervorgehobene sozialstaatliche Verpflichtung zur Sicherung einer angemessenen Versorgung aller Bürger in der grundgesetzlichen Verantwortung. (2) Der Gesetzgeber kann, ohne gegen das Grundgesetz zu verstoßen, die Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 SGB VI senken und dadurch den gesetzlich Versicherten verstärkt den Zugang zur PKV eröffnen. Die Versicherungspflichtgrenze in der GKV (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) folgt in der Gesetzesgeschichte keinem konstanten Konzept. Der Gesetzgeber setzte sie durch die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 Satz 1 SGB V für das Jahr 2003 mit 49.500 EUR fest und dynamisiert sie seitdem nach Maßgabe des § 6 Abs. 6 Sätze 2 – 4 SGB V. Hebt der Gesetzgeber die gegenwärtige Jahresarbeitsentgeltgrenze an und bindet er damit mehr Versicherte in der GKV, müssen die Folgerungen für die PKV nach ähnlichen Grundsätzen verfassungsrechtlich beurteilt werden wie die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V über die Dauer der Bindung in der GKV im Falle des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze (siehe dazu BVerfGE 123, 95 Siehe Felix, in: Engelmann/Schlegel, § 8 Rn. 36 m. Nachw. zur Rspr. Zur Frage, ob ein ehebedingter Nachteil vorliegt, wenn der geschiedene Ehepartner von der PKV nicht in die GKV wechseln kann, z. B. wegen § 6 Abs. 3a SGB V, siehe KG, Beschl. vom 2. 10. 2012, NJWSpezial 2013/8, S. 228.
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
186, 261 ff./Rz 225 ff.). In einer Anhebung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V i.V.m. § 6 Abs. 6 – 8 SGB V96 sieht das BVerfG offenbar einen intensiveren Eingriff in das Grundrecht der Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG als in der Bestimmung über den Zeitraum des Verbleibs in der GKV nach Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze, weil darin der Kreis der Pflichtversicherten auf Dauer erweitert werde (BVerfGE 123, 186, 262 ff./Rz 228 ff.). Im Unterschied zur vorausgegangenen Kammerrechtsprechung97 beurteilt der Erste Senat die Regelung über die Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze als einen Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit der Versicherungsunternehmen (BVerfGE 123, 186, 265/Rz 234). Für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Anhebung der Jahresarbeitsentgeltgrenze über die jährliche Lohn- und Gehaltsanpassung hinaus, die gegenwärtig nicht zur Diskussion steht, käme es entscheidend darauf an, welcher Anhebungsschritt welche grundrechtliche Eingriffsintensität für die Versicherten und für die Versicherungsunternehmen hätte. Für die Versicherten stehen die Nachteile aus einem späteren Eintritt in die PKV im Vordergrund (verzögerter Aufbau der Alterungsrückstellung), für die Versicherungsunternehmen die nachteiligen Folgen für ihr Kerngeschäft der (substitutiven) Krankheitskostenvollversicherung. (3) Im Zusammenhang mit der gesetzlichen Ausgestaltung der personellen Abgrenzung von GKVund PKV wird auch die Frage erörtert, ob älteren Versicherten der Wechsel von der PKV in die GKV unter Mitnahme der für sie in der PKV gebildeten Alterungsrückstellung, wohl im Umfang der Alterungsrückstellung beim Basistarif analog dem Wechsel zwischen privaten Krankenversicherungsunternehmen, ermöglicht werden soll.98 Das geltende Recht eröffnet – wie schon dargestellt – diese Option nur in den engen Grenzen des § 6 Abs. 3a SGB V. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Eröffnet man den älteren Privatversicherten, die bisher keinen Bezug zur GKV hatten, die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung in der GKV, so kann es zu einem unerwünschten Zugang im Versichertenbestand kommen, insbesondere wenn sich vor allem Personen mit „hohen“ Risiken zu vergleichsweise günstigen Bedingungen versichern lassen.99 Deshalb wird diese generelle Wechseloption nur mit der Maßgabe befürwortet, dass für die neu in der GKV Versicherten die Alterungsrückstellung in ein eigenes Sondervermögen des Gesundheitsfonds eingebracht wird, um die Versichertenge-
96 Derzeit – 2015 – liegt die sog. allgemeine Jahresarbeitsentgeltgrenze bei 54.900 E. Siehe zu deren Entwicklung über das letzte Jahrzehnt hinweg Vogel, § 6 Rn. 15. 97 BVerfGK 2, 283, 285 = NZS 2005, 479. 98 Zur Grundsatzproblematik der Portabilität der Alterungsrückstellung siehe Kalis, in: Langheid/Wandt, § 193 Rn. 42. 99 Siehe dazu Felix, in: Engelmann/Schlegel, § 6 Rn. 60, 62. Zu dieser Problematik im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung siehe BVerfGE 103, 225, 239.
I. Möglichkeiten einer Erweiterung der Mobilität von Versicherten
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meinschaft nachhaltig von den altersbedingten höheren Krankheitskosten der Systemwechsler zu entlasten.100 Das BVerfG hat – in Kenntnis der kontrovers geführten Diskussion101 – die aus den Prämien der Versicherungsnehmer gebildeten Alterungsrückstellungen weder dem Versicherungsnehmer noch dem Versicherungsunternehmen als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG zugeordnet.102 Die Alterungsrückstellung hätte in der PKV nicht den Charakter eines konkreten, dem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordneten Eigentumsrechts. Es handle sich um eine auf kollektiver Risikokalkulation beruhende Kapitalsicherstellung zur Finanzierung des Risikos einer altersbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes und erhöhter Krankheitskosten (BVerfGE 123, 186, 232, 253 f./Rz 149, 199 ff.).103 Art. 14 Abs. 1 GG stünde deshalb der Mitnahme der Alterungsrückstellung beim Wechsel von der PKV zur GKV nicht im Wege.104 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine auf diesen Wechsel zugeschnittene Regelung die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der privaten Versicherungsunternehmen berührt. Sieht der Gesetzgeber im Falle einer ordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages nach § 205 Abs. 1 VVG die „Mitnahme“ der Alterungsrückstellung bei Eintritt in die GKV vor105, so stellt dies, soweit es laufende Verträge betrifft, einen unmittelbaren Eingriff in die Berufstätigkeit der Versicherungsunternehmer dar (BVerfGE 123, 186, 223/Rz 116). Gleiches gilt aber auch für Neuverträge, weil das Versicherungsvertragsrecht für den Fall einer Kündigung nach § 205 Abs. 1 SGB V unter Einschränkung der Vertragsautonomie der Versicherungsunternehmen geändert würde. Das Ausmaß der Auswirkungen eines so gestalteten Kündigungsrechts und deren Gewicht auf das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Geschäftsmodell der PKV müsste näher untersucht werden. Von den Ergebnissen einer solchen Untersuchung hängt es ab, ob bei gesetzlicher Realisierung eines solchen „Mitnahme-Modells“ ein verhältnismäßiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Versicherungsunternehmer vorliegt. In sozialpolitischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass durch die Einführung des Basistarifs für den Versicherungsnehmer auch innerhalb des Systems der PKV die Möglichkeit einer Versicherung nach den Leistungsgrundsätzen der GKV – von der beitragsfreien Mitversicherung und der ermäßigten Mitversicherung des Ehegatten abgesehen – in den Grenzen des § 12 Abs. 1 a – c VAG und des § 204 Abs. 1 Satz 1 VVG – besteht. 100
Dazu Rürup-Kommission, S. 152. Siehe etwa Scholz, S. 647; Depenheuer, FS Scholz, S. 205 ff.; s. auch Knab, passim. 102 So auch die Interpretation durch Gaßner/Strömer, NZS 2013, 561, 562; differenzierend Kingreen/Kühling, S. 54 ff. Siehe auch Boetius, VersR 2014, 140; Depenheuer, NZS 2014, 201, 205 f. und Kingreen, GGW 2014, 16, 19. 103 Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung (BGHZ 141, 214) keine verfassungsrechtlichen Erwägungen angestellt. 104 Zu einem solchen Transfer siehe Sodan, in: Sodan, Handbuch, § 46 Rn. 23. 105 § 204 Abs. 6 VVG müsste dahin geändert werden, dass die Vorschrift auch für den Fall gilt, dass ein Wechsel zur GKV erfolgt. 101
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
Diese Möglichkeit kann man als dritte Option zwischen GKV und PKV bezeichnen. Im vorliegenden Fall eröffnet § 204 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 5b VVG dem Versicherungsnehmer nach Vollendung des 55. Lebensjahres den Wechsel in den Basistarif des Versicherers unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung.106 Umgekehrt wäre für ältere Versicherte ein Wechsel von der GKV in die PKV nur dann eine erwägenswerte Option, wenn der Gesetzgeber Mittel für eine Alterungsrückstellung in der PKV zur Verfügung stellen würde, beispielsweise aus dem Gesundheitsfonds, die den Wechselwilligen so stellen, als wäre er von Anfang an oder jedenfalls zu einem Zeitpunkt vor der Begründung des Versicherungszwangs in der PKV versichert gewesen.107 Verfassungsrechtlich wäre er zur Begründung einer solchen Option keinesfalls verpflichtet, weil er für solche Personen mit der GKV ein System bereithält, mit dem er seiner sozialstaatlichen Aufgabe zur Vorsorge im Krankheitsfall genügt. (4) Im Zusammenhang mit der Erweiterung von Wechselmöglichkeiten ist die Gruppe der selbständig Erwerbstätigen besonders in den Blick zu nehmen. Mit dem Argument der Schutzwürdigkeit sind in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr selbständig Erwerbstätige in die GKV einbezogen worden, weil deren materielle Situation als unzureichend für eine anderweitige Absicherung angesehen wurde.108 Zu den Grundentscheidungen des Gesetzgebers im Kontext der Regelung der Versicherungspflicht gehört § 5 Abs. 5 SGB V. Danach ist nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist. Diese Gruppe hat bisher auch keine Möglichkeit des freiwilligen Beitritts zur GKV. Die Literatur spricht hier von einem Fall absoluter Versicherungsfreiheit.109 Selbstverständlich ist diese Regelung nicht, weil der Gesetzgeber die Versicherungspflicht – wie schon hervorgehoben – immer wieder auf Gruppen Selbständiger, wie die Landwirte (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) und die freien Künstler, erweitert hat. Das Konzept des § 5 Abs. 5 SGB V kann man politisch überdenken. Zu Recht weist die Literatur darauf hin, dass die Gruppe der hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen außerordentlich heterogen sei und auch viele Personen umfasse, die eines sozialen Schutzes in der GKV für den Krankheitsfall bedürfen, weil sie insoweit versicherungspflichtigen Beschäftigten vergleichbar sind.110
106
87 f. 107
Speziell zu den Vorteilen der GKV für Menschen im Rentenalter siehe BVerfGE 102, 68,
Siehe dazu auch Sodan, in: Sodan, Handbuch, § 46 Rn. 21. Dazu Fachinger, S. 31 und Schräder, S. 36 ff. Dabei hat das BVerfG – wie schon hervorgehoben – die jeweilige Einschätzung des Schutzbedürfnisses durch den Gesetzgeber in der Sozialversicherung großzügig akzeptiert. Siehe zuletzt BVerfGE 109, 96, 112 ff. zur Alterssicherung der Ehefrauen von Landwirten. 109 Just, § 5 Rn. 71. 110 So Hase, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 175; Kingreen/Kühling, S. 19. 108
II. Möglichkeiten eines einheitlichen, systemübergreifenden Vergütungssystems
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Um schutzbedürftigen Selbständigen den Weg in die GKV zu eröffnen, wäre allerdings Voraussetzung, dass es gelingt, eine Definition dieses Personenkreises zu finden, die eine legitime, von der individuellen Schutzbedürftigkeit bestimmte Option zu Gunsten der GKV ermöglicht.111 Sozialpolitisch ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das geltende Recht – allerdings in den Grenzen des § 12 Abs. 1 a – c VAG und § 204 Abs. 1 Satz 1 VVG mit den oben genannten Einschränkungen in Bezug auf Familienleistungen – den Weg in den Basistarif eröffnet.
II. Möglichkeiten und Grenzen eines einheitlichen, systemübergreifenden Vergütungssystems in der ambulanten ärztlichen Versorgung aus verfassungsrechtlicher Sicht 1. Die Fragestellung Zu den gegenwärtig diskutierten Fragen im Zusammenhang mit der Zukunft des Gesundheitswesens in Deutschland gehört die einheitliche Gestaltung der Honorare für ambulant tätig werdende Ärzte im System von GKV und PKV.112 Eine solche einheitliche Honorarordnung wird als wesentliche Voraussetzung für eine Beseitigung der sog. Zweiklassenmedizin (was immer dies auch bedeutet) angesehen, die wiederum Folge eines Zwei-Honorar-Systems sei.113 Erhalten alle Ärzte für alle ambulant behandelte Patienten in beiden Systemen eine gleiche Vergütung, entfiele für sie – so wird argumentiert – das Interesse, sich dort bevorzugt niederzulassen, wo die Zahl der Privatpatienten besonders hoch sei. Es komme zu einer Verbesserung der ärztlichen Versorgung in strukturschwachen Räumen.114
2. Die Kompetenzfrage Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers für die Gestaltung der privatärztlichen Honorare entnimmt das BVerfG115 – aus entstehungsgeschichtlichen Gründen, aber 111 Der Gesetzgeber will – wie schon hervorgehoben – mit § 5 Abs. 5 SGB V verhindern, dass ein hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger, z. B. durch Aufnahme einer nebenberuflichen Beschäftigung, einen umfassenden Schutz der GKV erhält. Siehe dazu Felix, in: Engelmann/Schlegel, § 5 Rn. 111; Hase, in: Bieback, Mitgliedschaft S. 175; Just, § 5 Rn. 72 sowie Vogel, § 5 Rn. 204. Dies sollte kein unüberwindbares Hindernis sein. 112 Siehe dazu etwa Gutachten Wasem, zusammengefasst in: TK-Spezial, Sonderausgabe März 2013. 113 Siehe zum Begriff der sog. Zweiklassenmedizin und der Realität jüngst Gaßner/Strömer, NZS 2013, 561, 563 f. 114 Dazu etwa Kingreen/Kühling, S. 20 f. 115 BVerfGE 68, 319, 327 ff.
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
nicht zuletzt auch im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der ärztlichen Honorierung – dem Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Auf der Grundlage des § 11 BÄO hat die Bundesregierung – unter Beteiligung der betroffenen ärztlichen und zahnärztlichen Berufe und Unternehmen der PKV – Gebührenordnungen (GOÄ und GOZ) mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, die Mindest- und Höchstsätze für die ärztlichen Leistungen festsetzen. Diese Rechtsverordnungen entsprechen den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.116 Die Regelung der Vergütung der Vertragsärzte im vertragsärztlichen System des SGB V (§§ 85 ff.) findet demgegenüber ihre kompetenzrechtliche Grundlage in der Zuständigkeit des Bundes für die „Sozialversicherung“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Diese Zuständigkeit beinhaltet die Befugnis zur bundesgesetzlichen Gestaltung des Rechts der Leistungserbringung im System der GKV (§§ 69 ff. SGB V).117 Kompetenzrechtlich bestehen keine Bedenken, dass beide Zuständigkeiten parallel durch den Gesetzgeber dazu genutzt werden, die Vergütung vergleichbarer privatärztlich und vertragsärztlich ambulant erbrachter Leistungen einheitlich zu gestalten oder zumindest einander anzunähern.
3. Art. 12 Abs. 1 GG als Maßstab für die Ausgestaltung der ärztlichen Vergütung in GKV und PKV a) Gemeinsam ist den Vergütungssystemen in GKV und PKV der grundrechtliche Ausgangspunkt. Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst auch für Ärzte die Freiheit, das Entgelt für die beruflichen Leistungen selbst festzusetzen oder mit dem Vertragspartner oder Interessenten selbst auszuhandeln.118 Dies gilt im Grundsatz für jede ärztliche Tätigkeit als Beruf, auch für den Arzt in seiner Rolle als Vertragsarzt im System der GKV.119 b) Es ist nicht Aufgabe der vorliegenden Untersuchung, dem Gesetzgeber Wege aufzuzeigen, wie er konzeptionell zwei so unterschiedliche Vergütungssysteme wie die von GKV und PKV so einander angleicht, dass sie bei vergleichbaren ärztlichen Leistungen eine vergleichbare ärztliche Honorierung generieren. Von Interesse sind hier nur die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Dabei ist beiden Systemen gemeinsam, dass der Arzt im vertragsärztlichen System der GKV nicht und im PKVSystem nur begrenzt frei das Honorar für seine ambulanten ärztlichen Leistungen mit seinen Patienten vereinbaren kann.
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BVerfGE 68, 319, 332. So zutreffend Axer, BK, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Rn. 43. 118 Siehe BVerfGE 88, 145, 159; 101, 331, 347; BVerfG, Beschl. vom 25. 10. 2004, NJW 2005, 1036, 1036 f.; Kern, in: Laufs/Kern, § 75 Rn. 1. Informativ zum Vergütungsrecht der Heilberufe Hess/Hübner, in: Wenzel, Kap. 13, S. 1329 ff. 119 Näher dazu Isensee, VSSR 1995, 321, 332 ff.; Reuther, S. 132 f. 117
II. Möglichkeiten eines einheitlichen, systemübergreifenden Vergütungssystems
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(1) Die Höhe der Vergütung des Arztes bei ambulanter Behandlung im System der GKV muss angemessen sein (§ 72 Abs. 2 SGB V). Sie ist bekanntlich das Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer Komponenten: Festsetzung eines bundeseinheitlichen Bewertungsmaßstabes für die vertragsärztlichen Leistungen (§ 87 SGB V); vertragliche Vereinbarung einer Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung (§ 85 SGB V) und Verteilung der Gesamtvergütung an die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte (§ 87b SGB V).120 Dieses vom sog. Sachleistungsprinzip geprägte System hat das BVerfG grundsätzlich gebilligt. Im Hinblick auf die soziale Schutzbedürftigkeit der Versicherten und die Sicherstellung ihrer Versorgung seien Marktmechanismen weitgehend ausgeschaltet. Von der Stabilität des Systems der GKV würden die Leistungserbringer profitieren. Deshalb unterlägen sie in erhöhtem Maße sozialstaatlicher Gesetzgebung.121 (2) Im Bereich der privatärztlichen ambulanten Versorgung ist Grundlage des Honoraranspruchs der Behandlungsvertrag mit dem Patienten. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach den Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte. Diese setzen entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung (§ 11 Satz 2 BÄO) Mindest- und Höchstsätze für ärztliche Leistungen fest. Dabei ist dem berechtigten Interesse der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen (§ 11 Satz 3 BÄO).122 Im Grundsatz erstattet die PKV dem Versicherten das Honorar, das er dem Arzt im Rahmen der jeweiligen Gebührenordnung gezahlt hat. Das Honorarfindungssystem beruht demnach prinzipiell auf Privatautonomie, allerdings in den Schranken des staatlichen „Preisrechts“.123 c) Als grundgesetzlichen Maßstab für die angemessene Vergütung des Vertragsarztes wendet das BSG Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG an. Es spricht in diesem Zusammenhang vom „Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit“.124 Aus diesem verfassungsrechtlichen Ansatz wird freilich kein eindeutiger Schluss auf einen grundsätzlich grundrechtlichen Schutz der Vergütung gezogen.125 Demgegenüber wird zu Recht dem Vertragsarzt ein durch Art. 12 Abs. 1 GG fundierter Anspruch auf angemessene Vergütung zuerkannt, der auch unter den besonderen 120
Siehe dazu z. B. Clemens, § 24 Rn. 7 ff.; Hess, S. 380; Penner, S. 48 ff. BVerfGE 103, 172, 185, 186; BVerfG, Beschl. vom 25. 10. 2004, NJW 2005, 1036, 1038. 122 Das BVerfG spricht davon, dass dieser Interessenausgleich dem Gemeinwohl dient (BVerfG, Beschl. vom 25. 10. 2004, NJW 2005, 1036, 1038). 123 Dazu näher Kern, § 75 Rn. 1 ff. 124 Dazu Reuther, S. 148 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG. Vgl. auch Reuther, S. 218 ff. zur Bedeutung des Gleichheitssatzes für die Honorarverteilung. Zu diesem verfassungsrechtlichen Maßstab siehe etwa BSG, Urt. vom 8. 2. 2006, NZS 2006, 667, 670. 125 So Reuther, S. 149 f. in Analyse der Rechtsprechung des BSG. Zu der Frage, ob § 72 Abs. 2 SGB V einen Rechtsanspruch des Vertragsarztes gegen die Krankenkassen auf angemessene Vergütung seiner Leistung gewährt, siehe bejahend Reuther, S. 81, 149 f. in kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG, etwa BSGE 75, 187, 190 f.; ebenso Schnapp, S. 140. Beide Autoren wollen allerdings den Anspruch auf Honorierung des Vertragsarztes § 87b Abs. 1 Satz 1 SGB V entnehmen. 121
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
Bedingungen des Vergütungssystems der GKV dem Grunde nach zur Geltung kommt.126 d) Für den privatärztlichen Bereich entnimmt das BVerfG dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG die allgemeine Anforderung an den Gesetz- und Verordnungsgeber, die Gebühren so zu gestalten, dass sie „angemessen“ sind. Unangemessen niedrige Einkünfte sind unzumutbar. Wirtschaftliche Existenz muss möglich sein.127 Aus dem Grundgesetz lässt sich aber – so das BVerfG – nicht unmittelbar ableiten, was als Vergütung angemessen wäre und wie die Vergütungsstruktur auszugestalten ist.128
4. Folgerungen Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat in beiden Systemen – verfassungsrechtlich, nicht politisch gesehen – einen weiten Spielraum zur Gestaltung der Vergütung für ambulante ärztliche Leistungen. Vergütungsfragen in GKV und PKV sind verfassungsgerichtlich nur sehr eingeschränkt justiziabel. Weder die Vergütungshöhe noch die Vergütungsstruktur genießen in den beiden Systemen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Einführung eines einheitlichen Vergütungssystems für ärztliche ambulante Leistungen in den beiden Systemen sind demnach großzügig. Hinzuweisen ist allerdings, dass weder Art. 12 Abs. 1 GG noch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sind, wenn im System der GKV die Leistungserbringer und damit auch die Ärzte eine niedrigere Vergütung für ihre Leistungen erhalten als bei privatärztlicher Betätigung. Dies liege – so das BVerfG – in der sozialstaatlichen Logik des Systems der GKV, in dem auf die soziale Bedürftigkeit der Versicherten Rücksicht genommen werden müsse, ande126
So zutreffend Isensee, VSSR 1995, 321, 340 ff. („Äquivalenz von Individualleistung und Vergütung“); Penner, S. 543; Reuther, S. 151, 167, 217; Sodan, in: Sodan, Handbuch, § 2 Rn. 88 ff. Immerhin soll das gesetzliche Gebot der angemessenen Vergütung (§ 172 Abs. 2 SGB V) verletzt sein, wenn der Ausgleich zwischen dieser gesetzlichen Anforderung und dem besonders hochrangigen Ziel der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Versorgung erkennbar verfehlt worden ist. Dies sei der Fall, wenn in einem – fachlich und/oder örtlichen – Teilbereich kein ausreichender finanzieller Anreiz mehr bestehe, vertragsärztlich tätig zu werden, und dadurch in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet sei. Siehe mit Nachweisen zu dieser Rechtsprechung Clemens, § 24 Rn. 11. 127 BVerfGE 101, 331, 346 (Berufsbetreuer); BVerfG, Beschl. vom 19. 4. 1991, NJW 1992, 737 (GOÄ); Beschl. vom 25. 10. 2004, NJW 2005, 1036, 1036 f. Siehe auch Steiner, in: Medizinrecht, Art. 12 Rn. 3. 128 BVerfGE 101, 331, 350. Dies schließt aber einzelne Interventionen des BVerfG in der Frage der Angemessenheit einer Vergütung nicht aus. Wo beispielsweise wegen des besonderen Aufwands einer Leistung eine angemessene Vergütung durch den vorgegebenen Gebührenrahmen nicht mehr gewährleistet ist, bedarf es einer Öffnungsklausel, die im Einzelfall ein Abweichen von der Gebührenordnung erlaubt. Damit werde sichergestellt, dass dem Leistungserbringer nicht unangemessen niedrige Vergütungssätze oder von ihm abgelehnte Leistungsstandards zugemutet werden (BVerfG, Beschl. vom 25. 10. 2004, NJW 2005, 1036, 1037 f.).
III. Einbeziehung der PKV-Versicherten in das Finanzierungssystem der GKV
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rerseits den Leistungserbringern eine finanziell stabile Nachfrage gesichert werde.129 Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Angleichung der Vergütung in den beiden Systemen besteht demnach nicht.130
III. Zur Frage der Einbeziehung der PKV-Versicherten und der PKV-Unternehmen in das Finanzierungssystem der GKV 1. Die Modelldiskussion Im Zusammenhang mit Überlegungen zu einer verstärkten Zusammenführung der Systeme von GKV und PKV unter Aufrechterhaltung ihrer grundsätzlichen Selbständigkeit finden sich auch Modellvorstellungen, die die PKV-Versicherten und die PKV-Unternehmen an der Finanzierung der Kosten der GKV beteiligen. Zum einen wird erwogen, die PKV in den Risikostrukturausgleich (§ 266 SGB V – RSA) der GKV einzubeziehen, um die zwischen GKV und PKV-Unternehmen unterschiedlichen Einkommens- und Morbiditätsstrukturen über einen systemübergreifenden RSA auszugleichen. Alternativ dazu wird vorgeschlagen, eine pauschale Zahlung der PKV-Versicherten bzw. der PKV-Unternehmen an den Gesundheitsfonds (§§ 270 ff. SGB V) zu leisten. Dabei solle die Höhe dieser pauschalen Zahlung zumindest dem Volumen entsprechen, das die PKV aufgrund ihrer Einkommensselektion der GKV entzieht (Solidarausgleich).131 Davon zu trennen sind politische Vorstellungen, die Unternehmen der privaten Krankenversicherung an Kosten zu beteiligen, die für Einrichtungen und Aktivitäten entstehen, die auch der PKV zugutekommen.132
129
BVerfGE 103, 172, 185, 186; BVerfG, Beschl. vom 25. 10. 2004, NJW 2005, 1036, 1038. Vgl. auch BVerfGE 70, 1, 30: Das Sachleistungssystem der GKV vermittle Leistungserbringern größere wirtschaftliche Sicherheit als ein freies Konkurrenzsystem. 130 Zu den Unterschieden in der Vergütung siehe Gaßner/Strömer, NZS 2013, 561, 563 Fn. 34 und Kingreen/Kühling, S. 20 f., 38 f. „Abgeflacht“ sind die Gebührensätze im sog. Basistarif. Siehe § 75 Abs. 3a SGB V. 131 Dazu und zu den Einzelheiten siehe Langer, S. 176 f.; siehe ferner Schmöller, S. 313 ff. – Diese Frage steht in keinem Zusammenhang mit dem sog. Risikoausgleich nach § 12 g VAG. Hier geht es um den Ausgleich zwischen privaten Krankenversicherungsunternehmen, bei denen Personen basisversichert sind. Gegenstand des Ausgleichs sind Mehraufwendungen, die zur Gewährleistung der Beitragsbegrenzungen im Basistarif entstehen. Diese Mehraufwendungen der Unternehmen werden als sonstiger Zuschlag auf die Tarife der substitutiven Krankenversicherungen umgelegt (§ 12c Abs. 1 Nr. 1 VAG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV) und belasten im Ergebnis ausschließlich die Versicherungsnehmer. 132 Siehe zur Idee einer Zwangsbeteiligung der PKV am Landespräventionsfonds FAZ Nr. 196 vom 24. 8. 2013, S. 11.
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E. Einzelfragen des Verhältnisses von GKV zu PKV
2. Verfassungsrechtliche Aspekte a) Die dargestellten Konzepte einer stärkeren Einbeziehung der PKV in die Finanzierung der GKV lassen sich noch nicht abschließend verfassungsrechtlich beurteilen, weil es bisher an einer näheren politischen und gesetzestechnischen Ausformung fehlt. Gleichwohl lässt sich schon zum gegenwärtigen Stand der Überlegungen feststellen, dass dem Bund für eine solche durch Gesetz und Rechtsverordnung hoheitlich erfolgende Einbeziehung weder die Kompetenz zur Regelung des privatrechtlichen Versicherungswesens (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) noch der „Sozialversicherung“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) zur Verfügung steht. Eine derartige Inpflichtnahme ließe sich im Übrigen nur in der Form einer gesetzlich begründeten Sonderabgabe zu Lasten der PKV realisieren.133 Es ist allgemein anerkannt, dass vor dem Hintergrund der Begrenzungs- und Schutzfunktion der bundesstaatlichen Finanzverfassung alle nichtsteuerlichen Abgaben einer besonderen Rechtfertigungspflicht unterliegen. Für sie müssen über die Einnahmeerzielung hinaus besondere Gründe vorliegen, die dazu führen, dass sie sich ihrer Art nach von der voraussetzungslos auferlegten Steuer hinreichend unterscheiden.134 Voraussetzung für eine zulässige Sonderabgabe ist es danach, dass durch sie eine abgrenzbare, homogene Gruppe von Personen belastet wird, die dem jeweils mit der Abgabe verfolgten Zweck aufgrund eigener Sachverantwortung in spezifischer Art und Weise näherstehen (sog. Finanzierungsverantwortung) als die allgemeinen Steuerpflichtigen. Zudem muss – als weitere Voraussetzung – das Abgabenaufkommen im Interesse der Abgabenpflichtigen eingesetzt werden (sog. gruppennützige Verwendung).135 Diese Voraussetzungen liegen nicht für eine bundesgesetzliche Regelung vor, die zu Lasten der PKV (Versicherungsnehmer, Versicherungsunternehmen) finanzielle Mittel der GKV (RSA, Gesundheitsfonds) zuführt. Die PKV trägt keine besondere Verantwortung für die Mitglieder der GKV, für deren Krankheitskosten sie ohne entsprechendes Beitragsäquivalent aufkommen soll. Diesem Personenkreis würde die Abgabe zugutekommen und nicht den Versicherungsnehmern der PKV, die durch
133 Dies hat Gaßner (NZS 2007, 262, 363 f.) bereits im Zusammenhang mit Überlegungen klargestellt, auf Alterungsrückstellungen der privaten Pflegeversicherung zur finanziellen Stabilisierung der sozialen Pflegeversicherung zuzugreifen. 134 So statt Vieler Heinig, S. 562 im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG, z. B. BVerfGE 113, 128, 149 f. m. Nachw. aus der bisherigen Rechtsprechung. An dieser grundsätzlichen, strengen Linie hat sich in der jüngeren Rechtsprechung nichts geändert. Siehe z. B. BVerfGE 114, 196, 249 f.; 123, 132, 140 f.; 124, 348, 364. 135 Siehe die Zusammenfassung der Rechtsprechung des BVerfG durch Pieroth, in: Jarrass/ Pieroth, Art. 105 Rn. 10.
III. Einbeziehung der PKV-Versicherten in das Finanzierungssystem der GKV
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ihre Prämien die Abgabe zu finanzieren hätten.136 Umgekehrt ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehalten, Mittel, die er der GKVaus dem Steueraufkommen des Bundes zuführt, auch der PKV zugutekommen zu lassen. Das BVerfG hat in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren zum Basistarif die Argumentation der Beschwerdeführer nicht aufgenommen, es verletze die Unternehmen der PKV in ihrem Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Bund den gesetzlichen Krankenkassen nach § 221 SGB V Zuschüsse zur Subventionierung der beitragsfreien Mitversicherung von Kindern gewähre.137 Es hat die Verfassungsbeschwerde insoweit für unzulässig gehalten. Man kann das Anliegen aber auch als verfassungsrechtlich unbegründet ansehen. Denn es lassen sich durchaus in der unterschiedlichen Konzeption der beiden Versicherungssysteme liegende sachliche Gründe dafür finden, dass ein Gleichheitsverstoß nicht vorliegt.138
136 So überzeugend für die Pflegeversicherung Gaßner, NZS 2007, 362, 364; Isensee, Privatautonomie, Rn. 134 (in Bezug auf den Basistarif, in dem er – anders als das BVerfG – im Ergebnis eine fremdnützige Sonderabgabe sieht). 137 BVerfGE 123, 186, 210, 229 f./Rz 136 ff. 138 So zutreffend Wallrabenstein, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 150; ebenso im Ergebnis Bieback, in: Bieback, Mitgliedschaft, S. 26.
F. Zusammenfassung 1. Die Zuständigkeiten des Bundesgesetzgebers für das „privatrechtliche Versicherungswesen“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) und für die „Sozialversicherung“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) sind als jeweils geschlossene Kompetenzräume voneinander und untereinander abgegrenzt. Der Bundesgesetzgeber kann im Rahmen dieser Zuständigkeiten die jeweiligen Versicherungszweige in gewissen Grenzen unter Wahrung der jeweils systemkonstituierenden Strukturmerkmale fortentwickeln. Er ist jedoch verfassungsrechtlich nicht in der Lage, diese Zuständigkeiten für eine Zusammenführung beider Versicherungssysteme in einem monistischen System zu kombinieren. 2. Als systemkonstituierend für das privatrechtliche Versicherungswesen im Sinne der Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG sieht das BVerfG die folgenden Merkmale an: Versicherungsunternehmen, die im Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern; Orientierung der Prämien am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers; Erbringung der vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzsystems. Diese Strukturgegebenheiten kann der Gesetzgeber modifizieren, wie dies durch den Basistarif geschehen ist, aber nur in Grenzen, die überschritten werden, wenn es zu einem Verlust der oben näher bestimmten Identität des privatrechtlichen Versicherungssystems kommt. Überschritten wären sie, würde der Bundesgesetzgeber versuchen, seine Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für das privatrechtliche Versicherungswesen zu nutzen, um die PKV nach dem Modell der GKV umzugestalten. Dies wäre nicht mehr „Fortentwicklung“ im Sinne des Spielraums, der dem Gesetzgeber nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG zur Verfügung steht. Es wäre die Herstellung eines „aliud“. 3. Weder GKV noch PKV haben einen Verfassungsstatus in dem Sinne, dass das Grundgesetz sie institutionell garantiert. Auch die Kompetenznormen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG enthalten eine solche Bestandsgarantie nicht. 4. Die vorkonstitutionell entstandene PKV ist in das Grundgesetz und dessen Grundrechtsordnung hineingewachsen. Sie ist verfassungsrechtlich so stark, wie sie durch die Grundrechte der Versicherungsunternehmen und der Versicherungsnehmer gesichert ist. 5. Das Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 (BVerfGE 123, 186) zum sog. Basistarif u. a. ist keine Entscheidung, die sich allgemein mit dem Bestehen einer Verfassungsgarantie zu Gunsten der PKV befasst. Es enthält jedoch eine Reihe von Aussagen, die den Schluss erlauben, dass das BVerfG eine Schließung der substi-
F. Zusammenfassung
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tutiven privaten Krankheitskostenvollversicherung und deren Ersetzung durch eine öffentlich-rechtliche Einheitsversicherung nach dem Modell der deutschen Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verfassungsrechtlich nicht hinnehmen würde. Ein solcher gesetzgeberischer Schritt wäre ein Eingriff in das Grundrecht der Versicherungsunternehmen auf freie Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 GG, für den hinreichend rechtfertigende Gründe von gebotenem Gewicht nicht zu erkennen sind. Insbesondere darf der Gesetzgeber die PKV durch seine Zuordnungsund Zugangsregelungen nicht in Lebensgefahr bringen. 6. Zwar ist die Funktionsfähigkeit der GKV und die Erhaltung ihrer finanziellen Stabilität in der Rechtsprechung des BVerfG ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang. Der Zugewinn an Beiträgen durch Einbeziehung der bisher oder in Zukunft privat Versicherten in die GKV, wie groß er auch immer bei einer „Netto-Betrachtung“ sein mag, genügt als fiskalisches Interesse für die Schließung der PKV jedoch nicht. Es bleibt ein fiskalisches Interesse auch dann, wenn es der Finanzierbarkeit der GKVals Gemeinwohlziel dient. Zudem dürfte eine solche Eingliederungsmaßnahme den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nicht genügen. 7. Das System der Beihilfe und der Grundsatz der Vorsorgefreiheit der Beamten sind nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG zu rechnen. Der Bundesgesetzgeber kann deshalb für die Beamten des Bundes in anderer Weise seiner Fürsorgepflicht für sie im Krankheitsfall nachkommen als durch Beihilfeleistungen. Er hat jedoch nach dem Grundgesetz keine Kompetenz, die Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Länder, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, in der GKV pflichtzuversichern. Es fehlt auch an einer Zuständigkeit des Bundes, die Länder zur Einbeziehung dieses Personenkreises in eine beitragsfinanzierte Einheitsversicherung nach dem Modell der GKV zu verpflichten. 8. Aus der Sicht des Grundgesetzes und dessen Menschenbild verfügen beide Systeme – GKV und PKV – über Legitimität in der Werteordnung des Grundgesetzes. Insbesondere durch die Einführung des Basistarifs trägt die PKV zur Lösung der Solidaraufgaben im deutschen Gesundheitswesen bei. Der Basistarif ist eine Art dritte Option zwischen PKV und GKV. 9. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 hat einen modus vivendi zwischen GKV und PKV herbeigeführt, dessen Veränderung zu Lasten der PKV auf die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Hindernisse stößt. Deshalb scheint die Zukunft der Krankenversicherung in Deutschland nicht in der Schaffung einer (öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlich organisierten) Einheitsversicherung zu liegen, sondern in einer systemimmanenten Fortentwicklung der beiden Versicherungszweige, möglicherweise bei weiterer Konvergenz, zudem im Wettbewerb, aber auch in der Kooperation unter- und miteinander. 10. Soweit ersichtlich, besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Bedarf, das geltende Recht des Tarifwechsels und des Unternehmenswechsels innerhalb der PKV zu ändern. Im Zusammenhang mit dem Tarifwechsel wird der Gesetzgeber zu
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F. Zusammenfassung
prüfen haben, ob er die privaten Krankenversicherungsunternehmen über die schon jetzt gesetzlich bestehenden Informationspflichten hinaus zu mehr Information über die Voraussetzungen des Zugangs zu den einzelnen Tarifen, die Prämienhöhe und das mit den einzelnen Tarifen verbundene Leistungsspektrum anhalten will. 11. Das geltende Recht der personellen Abgrenzung der beiden Versicherungszweige GKV und PKV ist verfassungsgemäß. Es besteht auch keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die beiden Systeme wechselseitig stärker zu öffnen als dies dem gegenwärtigen Rechtszustand entspricht. De lege ferenda sind mehr Optionen für eine wechselseitige Öffnung der Versicherungszweige zulässig als bei realistischer Betrachtung politisch umsetzbar sind. Eine allgemeine verfassungsrechtliche Vorgabe für die Schaffung neuer Wechseloptionen ist die Aussage des BVerfG, es sei eine dem Staat und insbesondere dem Gesetzgeber vom Grundgesetz aufgegebene staatliche Aufgabe, jedermann ohne Rücksicht auf Alter und Einkommen den Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung zu gewähren. 12. Zu den verfassungsrechtlich möglichen Optionen gehören insbesondere: a) Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken, dass der Gesetzgeber den Versicherungszwang in der GKV für alle oder für bestimmte Versicherungsgruppen aufhebt, deren Schutzbedürftigkeit er anders als im Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in die GKV beurteilt. Zwar muss der Gesetzgeber die Einführung eines Versicherungszwangs in der GKV verfassungsrechtlich rechtfertigen, weil er in das Grundrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG eingreift. Es bedarf aber keiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, wenn er diesen Eingriff wieder beseitigt. Der Gesetzgeber kann auch die derzeit bestehende allgemeine Krankenversicherungspflicht bzw. Krankheitskostenversicherungspflicht wieder aufheben, weil zu deren Einführung eine verfassungsrechtliche Verpflichtung nicht bestand. b) Der Gesetzgeber kann, ohne gegen das Grundgesetz zu verstoßen, die Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 SGB V senken, und dadurch den gesetzlich Versicherten verstärkt den Zugang zur PKVeröffnen. Will er die Jahresarbeitsentgeltgrenze anheben, muss er eine solche Maßnahme gegenüber dem Grundrecht der Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG und gegenüber dem Grundrecht der privaten Versicherungsunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG nach den Grundsätzen rechtfertigen, die für die verfassungsrechtliche Beurteilung einer Jahresregelung der Pflichtversicherungsgrenze gelten. c) Ein Wechsel älterer Versicherter von der PKV in die GKV könnte mit der Maßgabe befürwortet werden, dass für die neu in der GKV Versicherten die Alterungsrückstellung in ein eigenes Sondervermögen des Gesundheitsfonds eingebracht wird, um die Versichertengemeinschaft nachhaltig von den altersbedingten höheren Krankheitskosten der Systemwechsler zu entlasten. Würde der Gesetzgeber im Falle einer ordentlichen Kündigung des Versicherungsvertrages nach § 205 Abs. 1 VVG die „Mitnahme“ der Alterungsrückstellung bei Eintritt in die PKV vorsehen, müsste allerdings das Ausmaß der Auswirkungen eines so gestalteten Kündigungsrechts und deren Gewicht auf das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Geschäftsmodell der
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PKV näher untersucht werden. In sozialpolitischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass § 204 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 5b VVG dem Versicherungsnehmer nach Vollendung des 55. Lebensjahres den Wechsel in den Basistarif des Versicherers unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung eröffnet. d) Nach § 5 Abs. 5 SGB V ist nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist. Diese Gruppe ist außerordentlich heterogen und umfasst auch viele Personen, die eines sozialen Schutzes in der GKV für den Krankheitsfall bedürfen, weil sie insoweit versicherungspflichtigen Beschäftigten vergleichbar sind. Um schutzbedürftigen Selbständigen den Weg in die GKV zu öffnen, wäre allerdings Voraussetzung, dass es gelingt, eine Definition dieses Personenkreises zu finden, die eine legitime, von der individuellen Schutzbedürftigkeit bestimmte, missbrauchsfeste Option zu Gunsten der GKV ermöglicht. 13. Eine einheitliche Honorarordnung für ambulant erbrachte ärztliche Leistungen könnte für die privatärztlich und vertragsärztlich tätigen Ärzte jeweils auf der Grundlage der Kompetenzen des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG realisiert werden. Verfassungsrechtlich wäre einer solchen einheitlichen Honorarordnung durch Art. 12 Abs. 1 GG vorgegeben, dass die Honorare „angemessen“ sind. Dem Grundgesetz lässt sich aber nicht unmittelbar entnehmen, was als Vergütung angemessen wäre und wie die Vergütungsstruktur auszugestalten ist. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Angleichung der Vergütung in den beiden Systemen besteht nicht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG verletzt es weder Art. 12 Abs. 1 GG noch Art. 3 Abs. 1 GG, wenn im System der GKV die Leistungserbringer und damit auch die Ärzte eine niedrigere Vergütung für ihre Leistung erhalten als bei privatärztlicher Betätigung. 14. Eine zwangsweise Einbeziehung der PKV-Versicherten und der PKV-Unternehmen in das Finanzierungssystem der GKV (Gesundheitsfonds, Risikostrukturausgleich) ist nach geltendem Verfassungsrecht nicht möglich. Es fehlt dazu an der erforderlichen Gesetzgebungskompetenz. Als Sonderabgabe ließe sich eine solche Inpflichtnahme der PKV nicht rechtfertigen.
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Sachverzeichnis Allgemeine Handlungsfreiheit 25, 32, 38 f. Alterungsrückstellungen 10, 11, 14, 18, 20, 26, 36, 40, 41, 48 Arzneimittel 34 Ausländische Konzepte 16 f. Basistarif 10 f., 14, 18, 20, 22, 25, 27, 28, 32 f., 35, 36, 39, 40, 41 ff., 47, 49, 50, 51, 53 Beihilfe 29 ff., 51 Beobachtungspflicht 20, 25 Berufsfreiheitsgrundrecht 18, 19, 24 f., 27, 29, 39, 41, 44 ff. Bürgerversicherung 5, 9, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 33, 51 Bundesärztekammer 14 f. Duales System der Krankenversicherung 5, 9, 15, 24, 31 ff. Eigentumsgrundrecht 41 Einheitsversicherung siehe Bürgerversicherung Einwohnerversicherung siehe Bürgerversicherung Erstattung in der GKV 11,14, 31, 34 Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 15 Familienversicherung 19, 33, 38, 39 Föderalismusreform 29 Gebührenordnung Ärzte/Zahnärzte 44 ff Gesetzgebungskompetenz Beamtenrecht 29 f. Gesetzgebungskompetenz Privatrechtliches Versicherungswesen 21 ff., 29, 48, 53 Gesetzgebungskompetenz Recht der Wirtschaft 43 f. Gesetzgebungskompetenz Sozialversicherung 21 ff., 30, 44, 48
Gesundheitsfonds 40 f., 42, 47, 48, 52, 53 GKV-Funktionsfähigkeit 26 ff., 46, 51 Gleichheitsgrundrecht 46, 49 Grundrechte der PKV 18, 24 ff., 29, 50 Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums 30, 31, 51 Jahresarbeitsentgeltgrenze 11, 19, 38, 39 f., 52 Kompetenz siehe Gesetzgebungskompetenz Kontrahierungszwang 10, 18 Konvergenzkonzept 9, 11, 21, 24, 51 Kooperation GKV/PKV 33, 51 Krankheitskostenvollversicherung 10, 20, 24, 25, 27, 28, 37, 40, 51 Kündigungsrecht in der PKV 33, 41, 52 Menschenbild des Grundgesetzes 31 f., 51 Monistische Versicherung siehe Bürgerversicherung Notlagentarif 35 Ökonomische Analysen 15 f. Parteiprogramme 28 Pflegeversicherung 13, 14, 21, 22, 34, 40, 48, 49 Pflichtmitgliedschaft in der GKV 18, 19, 25, 26, 38, 39 f., 42, 52 Pflichtversicherungsgrenze 19, 27, 38, 40, 52 Portabilität von Altersrückstellungen 10, 11, 14, 18, 19, 20, 36, 40 Privatautonomie 32, 45, 49 Risikostrukturausgleich 47, 53 Sachleistungsprinzip 30, 45, 47 Selbstbehalt 10, 11
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Sachverzeichnis
Selbständig Erwerbstätige 14, 42 f., 47, 53 Solidarausgleich 26, 27, 47 Sonderabgabe 49 Sozialstaat 9, 10, 18, 25, 28, 32, 38, 39, 42, 45, 46 Substitutive Krankheitskostenvollversicherung siehe Krankheitskostenvollversicherung Tarifwechsel in der PKV 35 f., 51 Unternehmenswechsel in der PKV 10, 36, 51 Vergütungssystem in der ambulanten ärztlichen Versorgung 15, 43 ff. Versicherungspflicht 10, 11, 19, 20, 24, 36, 37, 38, 39, 42, 52, 53
Versicherungszwang siehe auch Pflichtmitgliedschaft in der GKV Vorsorgefreiheit 31, 51 Wahlfreiheit GKV/PKV 39 Wahltarife in der GKV 11, 21, 35 Wechsel zwischen PKV und GKV 9, 10, 11,13, 19, 23, 35, 36, 37, 38, 39, 40 ff., 52, 53 Weiterversicherung in der GKV 38 Wettbewerb in der GKV 13, 36, 50, 51 Zugang zur medizinischen Versorgung 38 Zwei-Honorar-System 43 Zweiklassenmedizin 16, 32, 43
Anhang: Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 10. Juni 2009 – 1 BvR 706/08 – – 1 BvR 814/08 – – 1 BvR 819/08 – – 1 BvR 832/08 – – 1 BvR 837/08 – 1. Die Einführung des Basistarifs durch die Gesundheitsreform 2007 zur Sicherstellung eines lebenslangen, umfassenden Schutzes der Mitglieder der privaten Krankenversicherung ist verfassungsgemäß. 2. Der Gesetzgeber durfte zur Erleichterung des Versicherungswechsels und zur Verbesserung des Wettbewerbs in der privaten Krankenversicherung die teilweise Portabilität der Alterungsrückstellungen vorsehen. 3. Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse darf auf ein dreijähriges Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze ausgedehnt werden. 4. Den Gesetzgeber trifft eine Beobachtungspflicht im Hinblick auf die Folgen der Reform für die Versicherungsunternehmen und die bei Ihnen Versicherten. BUNDESVERFASSUNGSGERICHT – 1 BvR 706/08 – – 1 BvR 814/08 – – 1 BvR 819/08 – – 1 BvR 832/08 – – 1 BvR 837/08 – Verkündet am 10. Juni 2009 Kehrwecker Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Im Namen des Volkes
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der V… AG, – Bevollmächtigter: Professor Dr. Helge Sodan, Van’t-Hoff-Straße 8, 14195 Berlin – 1 BvR 706/08 –, 2. der A… – Bevollmächtigter: Professor Dr. Peter M. Huber, Gistlstraße 141, 82049 Pullach i. Isartal 013 – 1 BvR 837/08 –,
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Anhang: Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009 3. der A… AG, – 1 BvR 814/08 –, 4. der S… VaG, – 1 BvR 832/08 –, 5. der D… aG, 6. der Frau G…, 7. des Herrn H…, 8. des Herrn W… – 1 BvR 819/08 – – Bevollmächtigter zu 3. bis 8.:
Professor Dr. Gregor Thüsing, Adenauerallee 8a, 53113 Bonn gegen a) § 6 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), geändert durch Art. 1 Nr. 3 Buchstabe a des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV- WSG) vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378), b) § 6 Abs. 9 Satz 1 SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 3 Buchstabe e GKV-WSG, c) § 53 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, 7 und 9 SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 33 GKV-WSG, d) § 221 Abs. 1 SGB V, geändert beziehungsweise eingefügt durch Art. 1 Nr. 153 Buchstaben a, b GKV-WSG, e) § 315 SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 213 GKV-WSG, f) § 193 Abs. 5 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG), eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG-ReformG) vom 23. November 2007 (BGBl I S. 2631), g) § 193 Abs. 6 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVG-ReformG, h) § 203 Abs. 1 Satz 2 und 3 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVG-ReformG, i) § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Satz 3 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVG-ReformG, j) § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Satz 3 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVG-ReformG , k) § 204 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 3 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVGReformG, l) § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVG-ReformG, m) § 208 VVG, eingefügt durch Art. 11 Abs. 1 VVG-ReformG, n) § 12 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG), eingefügt durch Art. 44 Nr. 5 Buchstabe a GKV-WSG, o) § 12 Abs. 1a, 1c VAG, eingefügt durch Art. 44 Nr. 5 Buchstabe b GKV-WSG, p) § 12 Abs. 1b VAG, eingefügt durch Art. 44 Nr. 5 Buchstabe b GKV-WSG, geändert durch Art. 11 Abs. 2 VVG-ReformG, q) § 12 Abs. 1d VAG, eingefügt durch Art. 44 Nr. 5 Buchstabe c GKV-WSG, r) § 12 Abs. 4b VAG, eingefügt durch Art. 44 Nr. 5 Buchstabe d GKV-WSG, s) § 12 g VAG, eingefügt durch Art. 44 Nr. 7 GKV-WSG,
Anhang: Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009
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t) § 2 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV), eingefügt durch Art. 45 Nr. 1 GKV-WSG, u) § 5 Abs. 2 KalV, eingefügt durch Art. 45 Nr. 2 Buchstabe b GKV-WSG, v) § 8 Abs. 1 Nr. 6, 7 KalV, geändert beziehungsweise eingefügt durch Art. 45 Nr. 3 GKVWSG, w) § 10 Abs. 1a KalV, eingefügt durch Art. 45 Nr. 4 GKV-WSG, x) § 13 Abs. 5 KalV, eingefügt durch Art. 45 Nr. 6 GKV-WSG, y) § 13a KalV, eingefügt durch Art. 45 Nr. 7 GKV-WSG hat das Bundesverfassungsgericht – Erster Senat – unter Mitwirkung der Richterin und Richter Präsident Papier, Hohmann-Dennhardt, Bryde, Gaier, Eichberger, Schluckebier, Kirchhof, Masing aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2008 durch Urteil für Recht erkannt: Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Gründe: A. Gegenstand der zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren 1 ist die Frage, ob Vorschriften des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26. März 2007 und des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (im Folgenden: VVG-ReformG) vom 23. November 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar sind. I. In Deutschland sind rund 71 Millionen Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung 2 versichert, davon circa 65 Millionen Menschen als Pflichtversicherte und etwa 6 Millionen als freiwillig Versicherte. Die private Krankenversicherung versichert rund 8,4 Millionen Menschen, davon etwa 4,5 Millionen Beamte mit beihilfekonformen Tarifen. Daneben gibt es in Deutschland einen kleinen Personenkreis von geschätzt 200.000 Menschen, der über keinen Krankenversicherungsschutz verfügt. 1. a) Das System der gesetzlichen Krankenversicherung fußt auf den gesetzlichen Kran- 3 kenkassen als selbstverwalteten Körperschaften des öffentlichen Rechts. Finanziert wird die gesetzliche Krankenversicherung in erster Linie durch Beiträge ihrer Mitglieder und deren Arbeitgeber. Die Höhe der Beiträge bestimmt sich bis zur Beitragsbemessungsgrenze nach der Höhe des Arbeitsentgelts. Familienangehörige, die kein nennenswertes eigenes Einkommen haben, werden kostenfrei mitversichert. Versicherungsschutz ohne Beitragsleistung besteht auch für Personen, welche auf Sozialleistungen angewiesen sind. Liegen die gesetzlich be-
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Anhang: Urteil des BVerfG vom 10. Juni 2009
stimmten Merkmale der Versicherungspflicht vor, besteht Versicherungsschutz unabhängig davon, ob beim Versicherten Vorerkrankungen bestehen oder Beiträge gezahlt werden. Eine Kündigung oder einen Ausschluss aus der gesetzlichen Krankenversicherung kennt das Gesetz nicht. Für die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherten Personen gelten im Grundsatz die gleichen Bedingungen wie für Pflichtmitglieder. 4
b) Für den überwiegenden Teil der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die abhängig Beschäftigten, besteht kraft Gesetzes Versicherungspflicht. Von dieser werden bestimmte Berufsgruppen ausgenommen, zum Beispiel nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) Beamte, Richter und Soldaten, welche einen Anspruch auf staatliche Beihilfe oder Heilfürsorge besitzen, sowie nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt einen bestimmten Betrag übersteigt. Genügte es bei Arbeitern und Angestellten für die Befreiung von der Versicherungspflicht bisher, dass ihr regelmäßiges Arbeitsentgelt in einem Jahr über diesem Betrag lag, so muss es aufgrund der in diesen Verfahren angegriffenen Änderung der Vorschrift durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz seit 2. Februar 2007 nun in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren über der Jahresarbeitsentgeltgrenze liegen. Erst dann tritt Versicherungsfreiheit ein. Die Neuregelung zielt darauf, auch gut verdienende Angestellte für mindestens drei Jahre an die gesetzliche Krankenversicherung zu binden, um hierdurch die Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken. 5 2. In der privaten Krankenversicherung sind demgegenüber Beamte, Selbständige und andere nicht gesetzlich versicherte Personen ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens sowie solche Personen versichert, die aufgrund der Höhe ihres Verdienstes aus der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschieden sind und dort nicht als freiwillig Versicherte bleiben, sondern in die private Krankenversicherung wechseln. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen bieten Krankheitsvollversicherungen mit unterschiedlichem Leistungsspektrum an, das im Allgemeinen ein höheres und umfassenderes Leistungsniveau als die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung aufweist. Daneben bieten sie verschiedene Zusatzversicherungen, auch für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, an. Ihre Versicherungsprämien kalkulieren sie im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung nach dem individuellen Risiko der jeweiligen Versicherten, wobei auch das Alter des Versicherten bei Eintritt in die private Versicherung eine Rolle spielt. 6 a) Nach bisherigem Recht konnten die privaten Versicherungsunternehmen über den Abschluss eines Versicherungsvertrags frei entscheiden und einen Vertragsschluss ablehnen, wenn ihnen das Krankheitsrisiko eines Interessenten zu hoch erschien, oder aber mit ihm einen angemessenen Risikozuschlag oder einen Leistungsausschluss (z. B. für bestimmte Erkrankungen) vereinbaren. War jedoch ein Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen, der ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Krankenversicherungsschutz ersetzen kann (sog. substitutive Krankenversicherung), war schon bisher kraft Gesetzes sowohl eine Prämienerhöhung als auch die ordentliche Kündigung durch den Versicherer wegen einer nachträglichen Erhöhung des individuellen Krankheitsrisikos der versicherten Person ausgeschlossen. Nach wie vor ist eine Prämienerhöhung nur gestattet bei Umständen, die über den individuellen Versicherten hinausreichen, beispielsweise bei einer Veränderung der durchschnittlichen Lebenserwartung oder bei bisher nicht kalkulierten, erheblichen Ausgabensteigerungen innerhalb eines Tarifs. Prämiensteigerungen sind ferner möglich bei nicht nur vorübergehenden Veränderungen der Verhältnisse im Gesundheitswesen. Bei der Prämienkalkulation sind die Versicherungsunternehmen den Regeln der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung
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der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung (Kalkulationsverordnung – KalV) unterworfen, welche Vorgaben für die Berechnung risikogerechter Prämien unter Berücksichtigung ausreichender Sicherheiten enthält. b) Kraft gesetzlicher Bestimmungen haben die privaten Krankenversicherungen in der 7 substitutiven Krankenversicherung Alterungsrückstellungen zu bilden. Hierfür wird die Versicherungsprämie schon bei Beginn des Versicherungsverhältnisses so kalkuliert, dass ein bestimmter Anteil von ihr nicht für die Deckung der gegenwärtigen Krankheitskosten verwandt, sondern in eine Rückstellung eingebracht und verzinst wird, um später die altersbedingten Mehrausgaben in der jeweiligen Versicherungsbiographie abzudecken. Diese Rückstellungen sind nach dem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG) besonderen Sicherungsvorschriften unterworfen, um ihre zweckentsprechende Verwendung zu gewährleisten. Die von den privaten Krankenversicherungsunternehmen in der Vergangenheit abge- 8 schlossenen Krankenversicherungsverträge sahen bei Kündigung eines Versicherungsvertrags durch die versicherte Person keinen Anspruch auf Auszahlung der kalkulierten, individuellen Alterungsrückstellung oder eine Übertragung dieser Rückstellung auf einen neuen Versicherer vor. Schied der Versicherungsnehmer – etwa wegen des Wechsels zu einem anderen Unternehmen oder wegen des Eintritts einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung – aus der privaten Versicherung aus, wuchsen die für ihn gebildeten Alterungsrückstellungen dem Versicherungskollektiv zu (sog. „Vererbung“). Diese „Vererbung“ aufgrund der Abwanderung aus einer Versicherung unter Stehenlassen des angesammelten und rückgestellten Kapitals wird von den Versicherungsunternehmen bereits bei der anfänglichen Prämienberechnung als so genannte „Stornowahrscheinlichkeit“ berücksichtigt und führt zu einer niedrigeren Prämie. Allerdings hat diese „Vererbung“ für die Versicherungsnehmer zur Konsequenz, dass ihnen ab einem gewissen Lebensalter der Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen nur noch mit erheblichen Nachteilen möglich ist. Je höher das Eintrittsalter eines Versicherungsnehmers ist, desto höher ist seine Versicherungsprämie bei dem aufnehmenden Versicherungsunternehmen, weil dieses sein mit dem Alter steigendes Krankheitsrisiko noch nicht durch Alterungsrückstellungen kompensieren konnte. Mit zunehmender Dauer des Versicherungsverhältnisses und steigendem Alter wird der Wechsel des Versicherungsunternehmens daher wirtschaftlich immer unattraktiver und kommt in der Praxis nur noch in Ausnahmefällen vor. c) Diese Auswirkung wurde in der Vergangenheit wiederholt als Behinderung der Wahl- 9 freiheit der Versicherten und damit des Wettbewerbs zwischen den privaten Krankenversicherungsunternehmen kritisiert. Aufgrund dessen bestimmte der Gesetzgeber, dass der Versicherungsnehmer bei fortbestehendem Versicherungsverhältnis von seinem Versicherer verlangen kann, dass dieser Anträge auf Wechsel in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Tarif erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt. Damit ist eine Portabilität der Alterungsrückstellung bei einem Tarifwechsel innerhalb eines Versicherungsunternehmens geschaffen worden, um vor allem älteren Versicherten einen Umstufungsanspruch zu verschaffen, wenn ihr Tarif für Neuzugänge geschlossen wird und damit zu „vergreisen“ droht. Zudem wurden mit Wirkung zum 1. Juli 1994 in § 257 Abs. 2a bis 2c SGB V Vorschriften 10 über den sogenannten Standardtarif eingefügt. Nach § 257 Abs. 2 SGB V haben bestimmte versicherungsfreie oder von der Versicherungspflicht befreite Beschäftigte gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf einen Beitragszuschuss zu ihrer privaten Krankenversicherung. Dieser Zuschuss wurde aber nur gezahlt, wenn das private Krankenversicherungsunternehmen
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einen brancheneinheitlichen Standardtarif anbot, dessen Leistungsumfang bei Krankheit dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar und dessen Prämie auf den durchschnittlichen Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt war. 11
Der Zugang zum Standardtarif musste nur einem beschränkten Personenkreis gewährt werden. Hierbei handelte es sich insbesondere um lange in der privaten Krankenversicherung versicherte ältere Versicherungsnehmer und bestimmte beihilfeberechtigte Personen mit Vorerkrankungen. Große Bedeutung hat der Standardtarif nicht erlangt; 2006 waren nach Mitteilung des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V. bundesweit nur rund 24.800 Personen im Standardtarif versichert.
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d) Die Prämien in der privaten Krankenversicherung sind in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Die durchschnittliche, jährliche Prämiensteigerung in den letzten 13 Jahren betrug 5 % und lag damit über der Steigerungsrate der gesetzlichen Krankenversicherung. Gründe dafür werden in der allgemein überdurchschnittlichen Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, aber auch in teilweise unrealistischen Kalkulationsannahmen der Versicherungsunternehmen in der Vergangenheit, zum Beispiel hinsichtlich der zugrunde gelegten Sterbetafeln, gesehen. Um die Kostenlast im Alter zu dämpfen, wurde den Versicherungsunternehmen im Jahr 1994 zur Pflicht gemacht, den Großteil der sogenannten Überzinsen aus der Anlage der Alterungsrückstellungen den Versicherten gutzuschreiben und zur Ermäßigung der Prämie im Alter zu verwenden. Seit dem Jahr 2000 sieht das Gesetz zusätzlich die Erhebung eines zehnprozentigen Prämienzuschlags vor, welcher der Alterungsrückstellung zuzuführen und zur Prämienermäßigung im Alter zu verwenden ist. II.
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1. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007 hält das zweigliedrige Krankenversicherungssystem von gesetzlicher und privater Krankenversicherung aufrecht, hat aber zum 1. Januar 2009 erhebliche Neuerungen eingeführt. Es begründet eine Versicherungspflicht für alle Einwohner Deutschlands in der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung. Neben verschiedenen Neuregelungen, welche den Wettbewerb durch eine größere Vertragsfreiheit der Krankenkassen stärken sollen, zielt das Gesetz auf eine Verbesserung der Wahlrechte und Wechselmöglichkeiten in der privaten Krankenversicherung durch Einführung einer teilweisen Übertragbarkeit von Alterungsrückstellungen sowie die Einführung eines Basistarifs. Gesetzliche und private Krankenversicherung sollen als jeweils eigene Säule für die ihnen zugewiesenen Personenkreise einen dauerhaften und ausreichenden Versicherungsschutz gegen das Risiko der Krankheit auch in sozialen Bedarfssituationen sicherstellen. Hierzu werden neben Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch auch zahlreiche Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes und des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie der Kalkulationsverordnung geändert. Die durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz geänderten versicherungsvertragsrechtlichen Vorschriften sind durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23. November 2007 inhaltlich unverändert, aber mit neuer gesetzlicher Zählung in das ab dem 1. Januar 2009 geltende Versicherungsvertragsgesetz übernommen worden.
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2. Seit dem 1. Januar 2009 gilt für alle Personen, die weder gesetzlich krankenversichert sind noch einem dritten Sicherungssystem angehören, eine Pflicht zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung einer Krankheitskostenversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen (§ 193 Abs. 3 VVG). Jede Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, mit der die Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG (also zum Abschluss einer substitutiven
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Krankheitskostenversicherung) erfüllt wird, durch den Versicherer ist ausgeschlossen (§ 206 Abs. 1 Satz 1 VVG). 3. § 12 Abs. 1a VAG verpflichtet Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welche die 15 substitutive Krankenversicherung betreiben, ab dem 1. Januar 2009 zum Angebot eines branchenweit einheitlichen Basistarifs, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe der gesetzlichen Krankenversicherung jeweils vergleichbar sind. Der Basistarif muss Varianten für Kinder und Jugendliche sowie für beihilfeberechtigte Personen und deren berücksichtigungsfähige Angehörige enthalten. Den Versicherten müssen verschiedene Selbstbehaltsstufen eingeräumt werden. Im Basistarif besteht für die privaten Krankenversicherungsunternehmen gemäß § 12 16 Abs. 1b VAG ein Kontrahierungszwang. Versicherungsvertragsrechtlich spiegelt sich dies in § 193 Abs. 5 VVG wider, der einen privatrechtlichen Anspruch auf Abschluss eines Vertrags im Basistarif einräumt. Die Vorschrift lautet: „Der Versicherer ist verpflichtet,
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1. allen freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten
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a) innerhalb von sechs Monaten nach Einführung des Basistarifes,
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b) innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der im Fünften Buch Sozialgesetzbuch vor- 20 gesehenen Wechselmöglichkeit im Rahmen ihres freiwilligen Versicherungsverhältnisses, 2. allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die nicht in der gesetzlichen Krankenver- 21 sicherung versicherungspflichtig sind, nicht zum Personenkreis nach Nummer 1 oder Absatz 3 Satz 2 Nr. 3 und 4 gehören und die nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung mit einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben, die der Pflicht nach Absatz 3 genügt, 3. Personen, die beihilfeberechtigt sind oder vergleichbare Ansprüche haben, soweit sie zur 22 Erfüllung der Pflicht nach Absatz 3 Satz 1 ergänzenden Versicherungsschutz benötigen, 4. allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland, die eine private Krankheitskostenversi- 23 cherung im Sinne des Absatzes 3 mit einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben und deren Vertrag nach dem 31. Dezember 2008 abgeschlossen wird, Versicherung im Basistarif nach § 12 Abs. 1a des Versicherungsaufsichtsgesetzes zu ge- 24 währen. …“ Ist der private Krankheitskostenversicherungsvertrag vor dem 1. Januar 2009 abgeschlos- 25 sen, kann bei Wechsel oder Kündigung des Vertrags der Abschluss eines Vertrags im Basistarif beim eigenen oder einem anderen Versicherungsunternehmen unter Mitnahme der Alterungsrückstellungen gemäß § 204 Abs.1 VVG nur bis zum 30. Juni 2009 verlangt werden (§ 12 Abs. 1b Satz 2 VAG). Beantragt ein Versicherungsnehmer die Aufnahme in den Basistarif, darf der Antrag nur 26 abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer 1. den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat 27 oder 2. vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen 28 Anzeigepflicht zurückgetreten ist (§ 12 Abs. 1b Satz 4 VAG, § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG). Der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltsstufen darf den 29 Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen (§ 12 Abs. 1c Satz 1
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VAG). Für Personen mit Anspruch auf Beihilfe nach beamtenrechtlichen Grundsätzen tritt an die Stelle des Höchstbeitrages der gesetzlichen Krankenversicherung ein Höchstbeitrag, der dem prozentualen Anteil des die Beihilfe ergänzenden Leistungsanspruchs entspricht (§ 12 Abs. 1c Satz 3 VAG). Der Höchstbeitrag vermindert sich auf die Hälfte, wenn allein durch die Zahlung des Beitrags Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entsteht (§ 12 Abs. 1c Satz 4 VAG). Besteht auch bei einem verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit, beteiligt sich der zuständige Träger auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird (§ 12 Abs. 1c Satz 5 VAG). Besteht unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, gilt Satz 4 entsprechend; der zuständige Träger zahlt den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist (§ 12 Abs. 1c Satz 6 VAG). 30 Der Verband der privaten Krankenversicherung wird damit beliehen, Art, Umfang und Höhe der Leistungen im Basistarif nach Maßgabe der Regelungen in § 12 Abs. 1a VAG festzulegen. Die Fachaufsicht übt das Bundesministerium der Finanzen aus (§ 12 Abs. 1d VAG). 31
Die Beiträge für den Basistarif ohne die Kosten für den Versicherungsbetrieb werden auf der Basis gemeinsamer Kalkulationsgrundlagen einheitlich für alle beteiligten Unternehmen ermittelt (§ 12 Abs. 4b VAG).
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Im Basistarif ist die Vereinbarung von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen unzulässig (§ 203 Abs. 1 Satz 2 VVG). Alle Versicherungen, die einen Basistarif anbieten, müssen sich gemäß § 12 g Abs. 1 VAG zur dauerhaften Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen am Ausgleich der Versicherungsrisiken im Basistarif beteiligen und dazu ein Ausgleichssystem schaffen und erhalten, dem sie angehören. Das Ausgleichssystem muss einen dauerhaften und wirksamen Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen gewährleisten. Mehraufwendungen, die im Basistarif aufgrund von Vorerkrankungen entstehen, sind auf alle im Basistarif versicherten Personen gleichmäßig zu verteilen; Mehraufwendungen, die zur Gewährleistung der in § 12 Abs. 1c VAG genannten Begrenzungen entstehen, sind auf alle beteiligten Versicherungsunternehmen so zu verteilen, dass eine gleichmäßige Belastung dieser Unternehmen bewirkt wird. Die Mehraufwendungen für Vorerkrankungen tragen damit nur die im Basistarif Versicherten. Hingegen werden die Mehraufwendungen für Beitragsbegrenzungen im Ergebnis erforderlichenfalls auch auf die Versicherten der anderen substitutiven Tarife der privaten Krankenversicherung umgelegt, da nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV in die Kalkulation dieser Tarife die Aufwendungen zur Umlage der Begrenzung der Beitragshöhe im Basistarif eingerechnet werden. 4. Die Regelungen über den Basistarif werden durch § 315 SGB V ergänzt. Durch diese Vorschrift ist der frühere Standardtarif seit dem 1. Juli 2007 in ähnlicher Weise wie der Basistarif ausgestaltet worden. Personen, die weder in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert oder versicherungspflichtig waren und auch über keinen anderweitigen Versicherungsschutz verfügten, konnten bis zum 31. Dezember 2008 Versicherungsschutz im Standardtarif verlangen. Diese Verträge sind gemäß § 315 Abs. 4 SGB V zum 1. Januar 2009 auf den Basistarif umgestellt worden. Kommt der Versicherungsnehmer in einer substitutiven Krankheitskostenversicherung mit einem Betrag in Höhe von Prämienanteilen für zwei Monate in Rückstand, kann sein Versicherer nach § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG den Versicherungsvertrag zwar nicht kündigen, unter den in § 193 Abs. 6 VVG näher bestimmten Voraussetzungen (insbesondere einer vorangegangenen
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Mahnung) ruht sein Leistungsanspruch dann aber. Das Ruhen endet, wenn die rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind oder wenn der Versicherungsnehmer hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch wird. Während der Ruhenszeit haftet der Versicherer weiter, jedoch ausschließlich für Aufwendungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Sind die rückständigen Beitragsanteile, Säumniszuschläge und Beitreibungskosten nicht innerhalb eines Jahres nach Beginn des Ruhens vollständig bezahlt, wird die Versicherung im Basistarif fortgesetzt. 5. Ein weiterer Schwerpunkt des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes ist die Einführung 37 der Portabilität von Alterungsrückstellungen zum 1. Januar 2009. Bei fortbestehendem Versicherungsverhältnis kann der Versicherungsnehmer von seinem 38 Versicherer verlangen, dass dieser Anträge auf Wechsel in den Basistarif unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt. Das gilt nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a VVG uneingeschränkt für Krankheitskostenversicherungen, die nach dem 1. Januar 2009 abgeschlossen werden (Neuverträge). Bei Altverträgen, welche vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossen worden sind, ist ein Wechsel möglich, wenn der Versicherungsnehmer das 55. Lebensjahr vollendet hat, renten- oder ruhegehaltsberechtigt ist oder wenn Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch besteht. Darüber hinaus wird, befristet auf das erste Halbjahr 2009, Altkunden ein allgemeines Wechselrecht in den Basistarif ihres Unternehmens eröffnet. Alterungsrückstellungen werden darüber hinaus in einem gewissen Umfang auch bei einem 39 Unternehmenswechsel portabel. Gemäß § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG kann der Versicherte den nach § 13 Abs. 1 KalV berechneten Übertragungswert – also einen bestimmten Geldbetrag – zu seinem neuen Versicherer mitnehmen. Dieser Übertragungswert ist begrenzt auf die Alterungsrückstellung, die sich ergeben hätte, wenn der Versicherte von Anfang an im Basistarif versichert gewesen wäre. Diese Vorschrift gilt uneingeschränkt bei Verträgen, die nach dem 1. Januar 2009 neu abgeschlossen werden. Versicherungsnehmern, die ihren Vertrag vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossen haben, wird diese Möglichkeit im ersten Halbjahr 2009 eingeräumt. Soweit die Leistungen in dem Tarif, aus dem der Versicherungsnehmer wechseln will, höher oder umfassender sind als im Basistarif, kann der Versicherungsnehmer vom bisherigen Versicherer die Vereinbarung eines Zusatztarifs verlangen, in dem die über den Basistarif hinausgehende Alterungsrückstellung anzurechnen ist (§ 204 Abs. 1 Satz 2 VVG). Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen 40 Krankenversicherung vom 15. Dezember 2008 ( BGBl I S. 2426) ist das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt worden, durch Rechtsverordnung für die nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung nähere Bestimmungen zum Wechsel in den Basistarif gemäß § 12 Abs. 1b VAG und zu einem darauffolgenden Wechsel aus dem Basistarif zu erlassen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2009 ist auf dieser Grundlage in § 13 Abs. 1a KalV bestimmt worden, dass Altversicherten der privaten Krankenversicherung, die im ersten Halbjahr 2009 gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG zu einem anderen Versicherungsunternehmen in den Basistarif wechseln, bei einem nachfolgenden Wechsel in einen anderen Krankenvolltarif des neuen Unternehmens die mitgebrachte Alterungsrückstellung nur dann angerechnet wird, wenn eine Wartezeit von 18 Monaten abgelaufen ist. 6. Auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben sich durch das GKV- 41 Wettbewerbsstärkungsgesetz zum 1. Januar 2009 wesentliche Änderungen. a) § 53 SGB V in der Fassung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sieht die ver- 42 stärkte Einführung von Wahltarifen in der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Gemäß § 53
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Abs. 1 SGB V kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt). Nach § 53 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse in ihrer Satzung für Mitglieder, die im Kalenderjahr länger als drei Monate versichert waren, eine Prämienzahlung vorsehen, wenn sie und ihre mitversicherten Angehörigen in diesem Kalenderjahr keine Leistungen der Krankenkasse in Anspruch genommen haben. Gemäß § 53 Abs. 3 SGB V hat die Krankenkasse in ihrer Satzung zu regeln, dass Versicherten, die an besonderen Versorgungsformen nach § 63, § 73b, § 73c, § 137 f oder § 140a SGB V teilnehmen, besondere Tarife angeboten werden; für diese Versicherten kann die Krankenkasse eine Prämienzahlung oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen. 43 Weiter kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder für sich und ihre mitversicherten Angehörigen Tarife für eine Kostenerstattung anstelle der Sachleistung wählen. Sie kann die Höhe der Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen (§ 53 Abs. 4 SGB V). Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung auch die Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen regeln, die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen (§ 53 Abs. 5 SGB V). Schließlich hat die Krankenkasse in ihrer Satzung für bestimmte Versichertengruppen Tarife mit erweiterten Krankengeldansprüchen anzubieten; sie hat hierfür entsprechend der Leistungserweiterung Prämienzahlungen des Mitglieds vorzusehen (§ 53 Abs. 6 SGB V). 44 b) Der Bund gewährt seit einigen Jahren der gesetzlichen Krankenversicherung Zuschüsse. Das Gesetz sieht nunmehr für die Jahre 2007 und 2008 jährliche Zahlungen von 2,5 Mrd. Euro vor. In den Folgejahren erhöhen sich diese bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Mrd. Euro. Nach § 221 Abs. 1 SGB V dienen diese Zahlungen der pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen. III. 45
1. a) Die Beschwerdeführerinnen zu 1) bis 3) sind als Aktiengesellschaften, die Beschwerdeführer zu 4) und 5) als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit organisierte Versicherungsunternehmen. Sie bieten sowohl Voll- als auch Zusatzversicherungen an. Ihren weitaus größten Geschäftsanteil (75 % bis 90 %) machen allerdings die Krankenvollversicherungen unter Einschluss beihilfeberechtigter Beamter aus. Zusammengefasst versichern die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) über 4 Millionen Versicherungsnehmer in Krankenvollversicherungen. 46 Mit den Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) unmittelbar gegen die neuen Regelungen, soweit mit ihnen ein Zwang zum Abschluss von Versicherungen ab dem 1. Juli 2007 im Standardtarif und ab dem 1. Januar 2009 im branchenweit einheitlichen Basistarif sowie für alle substitutiven Krankenvollversicherungen ein absolutes Kündigungsverbot und eine Notversorgungspflicht eingeführt wird. Ferner greifen sie die Vorschriften über die Portabilität von Alterungsrückstellungen und die ergänzenden versicherungsmathematischen Vorschriften in der Kalkulationsverordnung an, soweit diese Regelungen zum Basistarif und zur Berechnung des Übertragungswertes der Alterungsrückstellungen enthalten. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Die als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit organisierten Beschwerdeführer zu 4) und 5) rügen zugleich eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG.
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Die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) greifen zusätzlich die Vorschriften von § 6 Abs. 1 Nr. 1, 47 § 53 Abs. 4 bis 6 und § 221 Abs. 1 SGB V an; sie rügen insoweit eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführerin zu 1) macht ferner § 208 VVG zum Gegenstand der Verfas- 48 sungsbeschwerde, wonach von den gesetzlichen Vorschriften nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abgewichen werden kann. Schließlich wendet sich die Beschwerdeführerin zu 2) gegen weitere Vorschriften über 49 Wahltarife in § 53 Abs. 1, 2, 5, 7 und 9 SGB V. b) Als Beschwerdeführer zu 6) bis 8) haben ferner drei bei dem Beschwerdeführer zu 5) 50 privat krankenversicherte Personen Verfassungsbeschwerde erhoben. Die 1981 geborene Beschwerdeführerin zu 6) ist selbständige Physiotherapeutin und seit 51 2003 bei dem Beschwerdeführer zu 5) krankenversichertes Mitglied. Sie leidet an Multipler Sklerose. Der 1949 geborene Beschwerdeführer zu 7), ein beamteter Lehrer, ist seit 1974 Mitglied des 52 Beschwerdeführers zu 5). Bei ihm entstanden im Jahr 2007 hohe Aufwendungen für Zahnersatzleistungen. Beide greifen – mit Ausnahme von § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 9, § 221 Abs. 1 SGB Vund den 53 Vorschriften über die Portabilität bei solchen Krankenversicherungsverträgen, die erst nach dem 1. Januar 2009 abgeschlossen werden – sämtliche genannten Vorschriften in gleichem Umfang wie der Beschwerdeführer zu 5) an. Sie sehen Art. 9 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Der Beschwerdeführer zu 8) war von 1987 bis 1998 als Angestellter beschäftigt. Ab 1999 54 war er freiberuflich tätig. Bei dem Beschwerdeführer zu 5) ist er seit 1993 privat versichert. Zum 1. November 2007 hat er eine abhängige Beschäftigung mit einem Gehalt oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze aufgenommen. Aufgrund von § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V neuer Fassung ist er nunmehr wieder gesetzlich krankenversichert. Der Beschwerdeführer zu 8) greift § 6 Abs. 1 Nr. 1 sowie § 6 Abs. 9 Satz 1 SGB V an und rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 GG durch den Versicherungszwang. 2. Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden gegen die Einführung des Basistarifs und 55 des erweiterten Standardtarifs, das Verbot jeder Kündigung und die Pflicht zur Notversorgung trotz Nichtzahlung der Beiträge tragen die beschwerdeführenden Unternehmen vor, effektiver Rechtsschutz stehe ihnen nur mittels der Verfassungsbeschwerde zur Verfügung. Insbesondere sei es unzumutbar, Verfahren vor den ordentlichen Gerichten dadurch zu provozieren, dass eindeutige Gesetzesanweisungen nicht ausgeführt würden, etwa indem Personen die Aufnahme in den Basistarif verweigert werde. Dies werde ein aufsichtsrechtliches Einschreiten und Maßnahmen bis hin zum Entzug der Erlaubnis nach sich ziehen. Derartige Verfahren würden außerdem dazu führen, dass die Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen erst weit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu erwarten sei, sodass unter Umständen eine Fülle nicht mehr rückabzuwickelnder Verträge eintrete. Die Beschwerdeführer zu 6) und 7) machen geltend, sie seien durch den Basistarif selbst und 56 unmittelbar betroffen, weil die nicht gedeckten Kosten dieses Tarifs auf sie als Versicherte in Normaltarifen abgewälzt würden. Zwar werde es zur ersten Beitragserhöhung erst 2010 kommen, die Belastung sei aber schon klar absehbar. Die erzwungene Aufnahme fremder Personen in ihren Versicherungsverein und das Kündigungsverbot verletzten sie in eigenen Rechten. Fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten stünden ihnen dagegen nicht zur Verfügung.
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3. Die Beschwerdeführer zu 2) bis 7) sind der Auffassung, für den Basistarif habe der Bund keine Gesetzgebungskompetenz. Zwar behalte das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz die Formen des Privatrechts bei, inhaltlich wichen die Normen aber so weit vom typischen und herkömmlichen Bild des privatrechtlichen Versicherungsvertrags ab, dass sie in ihrer Gesamtheit nicht mehr als Regelung des privatrechtlichen Versicherungswesens qualifiziert werden könnten. Die privaten Krankenversicherer würden verpflichtet, einen Tarif anzubieten, dessen Leistungen an das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gekoppelt und damit in vielerlei Hinsicht fremdbestimmt seien. Die Prämienbegrenzungen führten dauerhaft zu nicht kostendeckenden Tarifen und zwängen zur Quersubventionierung durch die Versicherungsnehmer der Normaltarife. Der Boden des privaten Vertragsrechts werde gänzlich durch die Regelung verlassen, dass der Versicherer während des Prämienverzugs des Versicherten nicht nur nicht kündigen dürfe, sondern sogar verpflichtet sei, eine Notfallversorgung des Versicherungsnehmers sicherzustellen und damit Fürsorgeleistungen zu erbringen. Außer der Tatsache, dass die Prämie nicht einkommensabhängig gestaltet sei und Familienangehörige nicht kostenfrei mitversichert würden, bleibe beim Basistarif damit vom Charakter einer Privatversicherung nichts übrig. Letztlich handele es sich um eine Mischform von Privat- und Sozialversicherung, die nicht von Bundeskompetenzen erfasst sei.
4. a) Die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) sehen in dem Basistarif eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit. Sie würden verpflichtet, unter Verstoß gegen grundlegende Regeln des Äquivalenzprinzips und der Privatautonomie neue Personen zu fremdbestimmten Bedingungen zu versichern. Die Kostenunterdeckung werde auf längere Sicht einen erheblichen Umfang erreichen, weil der Basistarif nur für „schlechte Risiken“ interessant sei, die in anderen Tarifen Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse hinnehmen müssten oder gar nicht versichert würden. Die langfristig unvermeidliche Häufung schlechter Risiken im Basistarif führe dazu, dass der Tarif schon ab einem Eintrittsalter von etwa 30 Jahren den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung überschreiten werde; für alle Personen, die in höherem Lebensalter einträten, werde also die generelle Prämienbegrenzung greifen. Tragen müssten dies alle in Normaltarifen der privaten Krankenversicherung versicherten Personen. Damit entstehe eine Risikospirale, welche mittel- bis langfristig geeignet sei, das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung zu zerstören. Denn steigende Preise in den Normaltarifen machten diese für Neukunden unattraktiver und steigerten für bereits versicherte Personen den Reiz, in den Basistarif zu wechseln. Da in den Normaltarifen wegen der zunehmenden Alterung des Versichertenbestands und der ohnehin überproportionalen Preissteigerungen der privaten Krankenversicherung auch aus anderen Gründen erhebliche Prämiensprünge drohten, sei damit zu rechnen, dass immer mehr Versicherte in den Basistarif wechselten, insbesondere ältere Versicherte, die bereits jetzt Beiträge in der Nähe des Höchstbeitrags der gesetzlichen Krankenversicherung zahlten. Durch weitere Wechsel in den Basistarif würde die Belastung der Normaltarife immer weiter steigen. Das könne im langfristigen Ergebnis zur Folge haben, dass die Normaltarife für die Versicherten nicht mehr finanzierbar seien. Auf die Quersubventionierung durch die Normaltarife sei jedoch auch der Basistarif angewiesen, um lebensfähig zu sein. 59 Zwar seien im Standardtarif bisher nur wenige Personen versichert worden. Der Basistarif stehe aber einem wesentlich größeren Personenkreis offen, biete einen größeren Leistungsumfang und könne zudem - anders als der Standardtarif - mit Zusatzversicherungen kombiniert werden und werde damit erheblich attraktiver. 60 Durch die Regelungen zum Basistarif, der sie zu Leistungen entsprechend dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichte, komme es zu einer Fremdbestimmung des Leistungsumfangs. Die privaten Versicherungsunternehmen würden faktisch an die Ent-
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scheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden, der für die gesetzliche Krankenversicherung die maßgeblichen Entscheidungen zur Festlegung der Leistungen treffe. In diesem Gremium seien sie aber gar nicht vertreten und es besitze auch sonst keinerlei Legitimation für Maßnahmen ihnen gegenüber. Unverhältnismäßig sei die Verpflichtung, allen freiwillig Versicherten der gesetzlichen 61 Krankenversicherung innerhalb bestimmter Fristen Versicherung im Basistarif zu gewähren, selbst wenn diese Personen bereits einen ausreichenden Versicherungsschutz hätten. Ebenso unverhältnismäßig sei der Zwang zur Aufnahme sogar solcher Personen, die wegen Täuschung, Drohung oder vorsätzlicher Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht ihren Versicherungsschutz bei einem anderen Versicherer verloren hätten. Sofern der Staat den Schutz dieser Personen für angezeigt halte, müsse er ihn durch eigene Einrichtungen sicherstellen und dürfe keine privaten Solidargemeinschaften damit belasten. Unter den Versicherten der Normaltarife befänden sich viele Personen, vor allem Beamte, 62 die ein relativ geringes Einkommen erzielten. Der Solidargedanke werde pervertiert, wenn diese Versicherten im Normaltarif eine Beitragsbegrenzung für solche Versicherte mittragen müssten, welche sich im Basistarif absicherten, obwohl sie sich die höheren Prämien der Normaltarife ohne weiteres leisten könnten. Die Halbierung der Höchstprämie bei Hilfebedürftigkeit sei eine finanzielle Umverteilungsmaßnahme zugunsten Einkommensschwacher, die dem Äquivalenzprinzip fremd und eine staatliche Aufgabe sei. Sie führe auch zu unangemessenen Ergebnissen, weil ein dergestalt Entlasteter unter Umständen besser dastehe als ein vergleichbarer Versicherter, der nur knapp oberhalb der Grenze der Hilfebedürftigkeit liege. Materiell führe der Basistarif zur Indienstnahme der Versicherungsunternehmen und ihrer Versicherten für eine Sozialleistung, ohne dass die dafür erforderliche Sach- und Verantwortungsnähe der Verpflichteten gegeben sei. Anders als der frühere Standardtarif stehe der Basistarif auch bislang Nichtversicherten, freiwillig gesetzlich Versicherten und Versicherten anderer Unternehmen offen, sei also nicht etwa als Maßnahme zur Unterstützung in Not geratener langjähriger Mitglieder gerechtfertigt. Zu Nichtversicherten oder freiwillig gesetzlich Versicherten stünden die Versicherungsunternehmen in keiner Verantwortungsbeziehung. Einen unzulässigen Eingriff stelle es ferner dar, dass das Vertragsverhältnis selbst bei schwersten, vom Versicherungsnehmer zu vertretenden Gründen aufrechterhalten werden müsse. Bei der häufigsten Störung, dem Prämienverzug, ruhe das Versicherungsverhältnis zwar, das Versicherungsunternehmen hafte aber für Aufwendungen bei akuten Erkrankungen, Schwangerschaft und Mutterschaft. Der Gesetzgeber nehme damit in Kauf, dass der Versicherer Leistungen erbringen müsse, obwohl er in vielen Fällen faktisch keine Möglichkeit haben werde, die geschuldeten Prämien einzutreiben. Für die Versicherten sei der Druck, die Prämien zu zahlen, gering, da sie in jedem Fall eine Notversorgung erhielten. Gerade solche Leistungen der Notversorgung seien jedoch besonders kostenintensiv. Es sei in jedem Fall unangemessen, dass private Versicherungsunternehmen selbst solche Personen unterstützen müssten, die ohne Hilfebedürftigkeit ihren Zahlungspflichten nicht nachkämen. b) Die Beschwerdeführer zu 4) und 5) tragen ergänzend vor, als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit würden sie durch die angegriffenen Vorschriften gleichzeitig in Art. 9 Abs. 1 GG verletzt, denn die Vereinigungsfreiheit schütze die autonome Entscheidung über die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern als auch über die Beiträge ihrer Mitglieder. Die Beschwerdeführerin zu 1) sieht in der Einführung des Basistarifs zusätzlich einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Sie sehe sich einer ansteigenden und
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nicht einkalkulierten Deckungslücke gegenüber, weil die zu erwartenden Ausgaben für die im Basistarif Versicherten nicht durch realistische Risikoprämien kompensiert würden. 68
Die Beschwerdeführerin zu 2) meint ferner, die Verpflichtung der Unternehmen, am Risikoausgleich teilzunehmen, stelle eine unzulässige Sonderabgabe dar. 69 c) Die Beschwerdeführer zu 6) und 7) tragen vor, der Basistarif und seine Ausgestaltung verletze sie in ihrer Vereinigungsfreiheit. Während sie sich zur Versicherung des Krankheitsrisikos freiwillig in einem Verein auf der Grundlage des Äquivalenzprinzips zusammengeschlossen hätten, werde nunmehr anderen Personen auf ganz anderer Grundlage der Beitritt ermöglicht. Sie müssten die dadurch verursachten Aufwendungen aufgrund des nicht kostendeckenden Basistarifs mitfinanzieren, obwohl damit auch Personen begünstigt würden, die wirtschaftlich besser stünden als sie selbst. Die Unterstützung von Personen, die sich Versicherungsprämien nicht leisten könnten, sei aber Aufgabe der Gesamtgesellschaft und obliege nicht speziell den Privatversicherten. Der Ausschluss jeder Kündigungsmöglichkeit mit den dadurch bewirkten finanziellen Belastungen infolge von Prämienausfällen mindere den Überschuss des Versicherungsunternehmens und falle letztlich ihnen zur Last. 70 5. a) Die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) führen aus, die Portabilität der Alterungsrückstellungen führe zu einer Beeinträchtigung unmittelbar durch das Gesetz, da weitere Vollzugsakte nicht erforderlich seien. Rechtsschutzmöglichkeiten außerhalb der Verfassungsbeschwerde gebe es ebenso wenig wie gegen den Basistarif. 71 Die Beschwerdeführer zu 6) und 7) tragen vor, sie seien als Altversicherte des Beschwerdeführers zu 5) durch die Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen unmittelbar betroffen, weil es infolge der Einführung einer Portabilität voraussehbar dazu kommen werde, dass sie aufgrund des Abgangs guter Risiken erhebliche Prämienerhöhungen hinzunehmen hätten. 72
Die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) sehen in der Einführung der Portabilität bei Neuverträgen eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Das Produkt, welches die private Krankenversicherung anbiete, sei die langfristige, stabile Absicherung des Krankheitsrisikos. Ein funktionierender Wettbewerb setze voraus, dass der Anbieter dies realistisch zusagen könne. Ein derartiges Versprechen sei bei den Normaltarifen wegen der Verpflichtung zur Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellungen nicht mehr möglich, weil jeder Tarif von einer späteren Abwanderung guter Risiken unter Mitnahme der Alterungsrückstellungen bedroht sei, die unausweichlich zu erheblichen Prämienerhöhungen für die verbleibenden, von einem Wechsel ausgeschlossenen Versicherten führen werde. Eine solche Folge destabilisiere den Markt und könne einzelnen Unternehmen massive Probleme bereiten. Die Entsolidarisierung zu Lasten schlechter Risiken sei mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar. Zur Verbesserung der Wechselmöglichkeiten sei die Regelung nicht erforderlich, da es dafür ausgereicht hätte, die Versicherungsunternehmen zu verpflichten, Tarife mit portablen Alterungsrückstellungen als alternatives Produkt anzubieten. 73 Die Beschwerdeführerin zu 1) sieht sich zusätzlich in Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Die Alterungsrückstellungen bildeten Eigentumspositionen, welche den Versicherungsunternehmen zustünden. Die Einführung der Portabilität greife in ihre Eigentumsfreiheit ein, weil sie die tarifliche Kalkulationsgrundlage erheblich verändere. 74 Die Einführung der Portabilität im Altkundenbereich für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 verstößt nach Auffassung der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) gegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Zur Erreichung der Verbesserung der Wahl- und Wechselmöglichkeiten sei die Herstellung von Portabilität der Alterungsrückstellungen im Altkundenbereich aus den
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gleichen Gründen wie bei den Neuverträgen nicht erforderlich. Sie könne auch nicht mit einem Eigentumsrecht der Versicherten an den Alterungsrückstellungen begründet werden. Das Eigentum an den Beiträgen der Versicherten und den daraus erzielten Zuwächsen sei den Versicherungsunternehmen zugeordnet, selbst wenn es als Sicherungsvermögen erheblichen Verfügungsbeschränkungen unterworfen sei. Ein Eigentum der Versicherten an dem der Alterungsrückstellung entsprechenden Vermögen bestehe hingegen nicht, weil die Alterungsrückstellung in den „Altverträgen“ nicht mit dem Charakter einer individuell zugeordneten Vermögensposition angespart worden sei, sondern einen Teil einer auf kollektiver Risikokalkulation beruhenden Versicherung gegen das Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und erhöhter Krankheitskosten bilde. In das Eigentumsrecht der Unternehmen werde durch die Verpflichtung zur Mitgabe des Übertragungswertes der Alterungsrückstellung im Umfang des Basistarifs ohne rechtfertigenden Grund eingegriffen. Zudem stelle die Einführung der Portabilität bei Altverträgen eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung dar. b) Die Beschwerdeführer zu 6) und 7) tragen vor, die rückwirkende Einführung der Por- 75 tabilität bei Altverträgen verletze ihr Eigentumsrecht. Das Vermögen, das aus den Beiträgen der Versicherten geschaffen werde, diene zu einem großen Teil der Ermöglichung altersunabhängiger Beitragsstabilität. Den Staat treffe daher die Pflicht, dieses Vermögen vor Verschleuderung und zweckwidrigen Eingriffen zu schützen. Eine Mitgabe der Alterungsrückstellung entziehe dem Kollektiv die Mittel, die es zur Erfüllung der vertraglichen Ansprüche benötige, und entwerte damit die Eigentumsposition der anderen Versicherten. Der „Ersatz“ für die geänderte Versicherungsleistung, der den Versicherten dafür in Form der Mitnahmemöglichkeit der Alterungsrückstellung eingeräumt werde, weise demgegenüber nicht den gleichen Wert aus. Denn für Personen, die wie sie selbst zu den „schlechten Risiken“ zählten, sei die gesicherte Aussicht, dass die künftigen Krankheitskosten vom Kollektiv getragen würden, wesentlich werthaltiger als die kalkulierte Alterungsrückstellung. Eigentumsfähige Position sei zum anderen die gesicherte Aussicht auf Beitragsrücker- 76 stattung beziehungsweise die Milderung von künftigen Beitragserhöhungen. Durch die Mitgabe eines Übertragungswertes an Altkunden, welche im ersten Halbjahr 2009 zu einem anderen Unternehmen wechselten, würden mittelbar die Rückstellungen ihrer Versicherung für Beitragserstattungen verringert. 6. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wird von dem Beschwerdeführer zu 8) mit der 77 Begründung angegriffen, das Erfordernis des dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze verletze ihn in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Gesetzgeber gebe keine Erklärung dafür, warum Personen, deren Einkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze für die nächsten Jahre überschreiten werde, erst nach drei Jahren die soziale Schutzbedürftigkeit als legitimierenden Anknüpfungspunkt für die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung verlieren würden. Der Gesetzgeber unterwerfe vor allem Personen der Versicherungspflicht, die – wie zahlreiche akademische Berufsanfänger – niemals zuvor gesetzlich versichert gewesen seien und somit auch nie die Solidarität der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hätten. Allein die Tatsache, dass die Neuregelung zu Mehreinnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung führe, sei kein ausreichender Rechtfertigungsgrund. Die Übergangsregelung des § 6 Abs. 9 SGB V sehe vor, dass Arbeitnehmer, welche am 78 2. Februar 2007 nach altem Recht versicherungsfrei und deshalb privat versichert gewesen seien, in ihrem Vertrauen auf den Bestand der privaten Versicherung geschützt würden. Er sei am Stichtag 2. Februar 2007 nicht versicherungspflichtig und daher privat versichert gewesen.
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Von der Übergangsregelung werde er nur deshalb nicht erfasst, weil er sein hohes Einkommen nicht als Arbeitnehmer, sondern als Selbständiger erzielt habe. Das sei gleichheitswidrig. 79
Auch die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) sehen sich durch die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in eigenen Rechten verletzt. Sie würden durch die Neuregelung in ihrer Berufsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Ihnen werde ein potentieller Kundenkreis für mindestens drei Jahre entzogen, obwohl es aus den von dem Beschwerdeführer zu 8) dargelegten Gründen an einem rechtfertigenden Grund hierfür fehle. Zudem seien die Unternehmen der privaten Krankenversicherung aufgrund der zahlreichen Eingriffe durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz in besonderer Weise auf ein Nachwachsen jüngerer Versicherter angewiesen, was durch die Neuregelung erheblich erschwert werde. So hätten sie seit der Einführung der Regelung signifikant niedrigere Neuzugangszahlen.
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Zu den Bundeszuschüssen an die gesetzlichen Krankenkassen nach § 221 SGB V sind die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) der Meinung, die Auszahlung verschlechtere die Situation der privaten Krankenversicherungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen, welche im Wettbewerb um freiwillig Versicherte in Konkurrenz stünden, in gleichheitswidriger Weise. Ziel der Regelung sei ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien eine Subventionierung der beitragsfreien Mitversicherung von Kindern. Obwohl es sich hierbei nicht um eine Sonderlast der gesetzlichen Krankenversicherung handele, komme der privaten Krankenversicherung keine entsprechende Leistung zugute.
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7. Zu den Wahltarifen tragen die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) vor, deren Zulassung verändere den Wettbewerb irreparabel. Deshalb sei es nicht zumutbar, solche Tarife einzeln anzufechten oder die Genehmigung entsprechender Tarifangebote der gesetzlichen Krankenkassen durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen abzuwarten. Die Zulässigkeit solcher Tarife betreffe im Kern ausschließlich die verfassungsrechtliche Frage, ob gesetzliche Krankenkassen auf einem Markt, der bisher den privaten Krankenversicherungen vorbehalten gewesen sei, tätig werden dürften. Dies sei kompetenzwidrig und verstoße gegen die Berufsfreiheit. Wahltarife in der gesetzlich vorgesehenen Form böten keine Sozialversicherungsleistungen, sondern optionale Zusatzleistungen, die mit dem elementaren Lebensrisiko der Krankheit nichts zu tun hätten. Den Wahltarifen fehlten zentrale Abgrenzungsmerkmale zur Privatversicherung. Besonders deutlich werde dies beim Wahltarif Kostenerstattung, bei dem es darum gehe, einzelne gesetzlich Versicherte von den normalen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in der Weise abzuheben, dass sie als „gesetzlicher Privatpatient“ über höhere Vergütungen in den Genuss besserer ärztlicher Leistungen kämen. Die Wahltarife der gesetzlichen Krankenkassen böten im Grunde das gleiche Leistungsangebot wie die auf dem Markt befindlichen Zusatzversicherungen der privaten Krankenversicherungen. Sie dienten weder dem Schutz sozial Bedürftiger noch der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft. Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung sei hier wegen der unterschiedlichen Finanzierungsmethoden nicht gegeben.
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Die Beschwerdeführerin zu 2) sieht diese Wettbewerbsverzerrung ebenfalls in Tarifen der gesetzlichen Krankenkassen, welche Selbstbehalte, Prämienzahlungen bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen sowie bei Leistungsbeschränkungen ermöglichen.
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8. Die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) tragen weiter vor, wenn nicht bereits die Einzelregelungen, so würden die Normen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes in ihrer Gesamtheit ihre Grundrechte verletzen. Durch die Ausgestaltung des Basistarifs und des Standardtarifs verhindere der Gesetzgeber eine risikoorientierte Kalkulation zugunsten der Einführung sozialer Elemente in die Prämiengestaltung mit der Folge, dass die Prämien ab einem gewissen Alter die Krankheitskosten der jeweiligen Alterskohorten nicht mehr decken würden. Damit
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werde das System der privaten Krankenversicherung vom Eintritt junger und gesunder Versicherter abhängig; das System breche zusammen, wenn zunehmend älteren und kranken Versicherten immer weniger junge, gesunde Versicherte gegenüberstünden, weil nur durch die kommenden Versicherten die Begrenzungen im Basis- und Standardtarif finanziert werden könnten. Den Wechsel in die private Krankenversicherung erschwere der Gesetzgeber durch das Erfordernis eines dreimaligen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Gleichzeitig bürde er den privaten Krankenversicherungsunternehmen zusätzliche finanzielle Belastungen durch das Kündigungsverbot und die Verpflichtung zur Notversorgung auf. Weiter hinzu kämen erhebliche finanzielle Belastungen durch die Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen. Unternehmen, die von einer negativen Risikoselektion betroffen seien, werde es zusehends schwerer fallen, ihre Aufgabe der dauerhaften Absicherung des Krankheitsrisikos wahrzunehmen und dabei die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen „sozialen“ Anforderungen zu erfüllen. In der Summe der Maßnahmen berge das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ein Potential, das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung zu zerstören. Hierin liege ein unzulässiger „additiver“ Grundrechtseingriff. 9. Die Beschwerdeführerin zu 1) trägt ferner vor, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 84 verletze den Parlamentsvorbehalt. Die Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Gesundheit zum Entwurf des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes sei mit Änderungsanträgen verabschiedet worden, welche den Ausschussmitgliedern erst am Abend vorher übermittelt wurden. Der Bericht des Gesundheitsausschusses zum Entwurf habe den Ausschussmitgliedern in schriftlicher Form zum Zeitpunkt der Zustimmung überhaupt nicht vorgelegen. Das Plenum des Deutschen Bundestages habe auf dieser Grundlage zwei Tage nach der Sitzung des Gesundheitsausschusses den Gesetzentwurf beschlossen. Es sei den Abgeordneten damit praktisch unmöglich gewesen, sich mit dem Gesetzentwurf in einer seiner Komplexität angemessenen Weise zu beschäftigen. Der Gesetzgeber müsse die mit seinen Vorschriften verbundenen Grundrechtseinschränkungen deutlich vor Augen haben. Hierzu sei es erforderlich, dass die Abgeordneten vor einer Abstimmung das Regelungsvorhaben inhaltlich vollständig überblicken könnten. Das sei nach dem Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht der Fall gewesen. IV. Zu den Verfassungsbeschwerden haben die Bundesregierung, der Verband der privaten 85 Krankenversicherung e.V., der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Bund der Versicherten e.V. sowie Professor Dr. Ulrich Meyer und Professor Dr. Bert Rürup Stellung genommen. 1. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden in weiten Teilen für unzulässig. 86 Die Beschwerdeführer argumentierten mit Prognosen über die von den Neuregelungen ausgehende Beschwer, die derzeit nicht valide geprüft werden könnten und vielfach spekulativ seien. Für eine solche Überprüfung sei das Verfahren der Rechtssatzverfassungsbeschwerde nicht geeignet. Die Neuregelungen seien verfassungsgemäß. Die angegriffenen Vorschriften des GKV- 87 Wettbewerbsstärkungsgesetzes seien Teil eines mit großer Mehrheit verabschiedeten Reformwerkes, welches die gesetzliche Krankenversicherung und die private Krankenversicherung als duales System aufrechterhalte, jedoch die Versichertenkreise beider Systeme klarer voneinander abgrenze. Durch die Regelungen über die Portabilität der Alterungsrückstellungen ziele das Gesetz auf eine Verbesserung der Wechselmöglichkeiten der Versicherungsnehmer und damit auf eine Stärkung des Wettbewerbs, sichere aber gleichzeitig durch Basistarif, Kontrahierungszwang, Kündigungsausschluss und Notversorgung den notwendigen Schutz der
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sozialen Belange in der neuen Wettbewerbsordnung. Die Änderungen seien für die Unternehmen zumutbar und die Darstellung angeblich existenzbedrohender Wirkungen des GKVWettbewerbsstärkungsgesetzes schon angesichts allgemein positiver, aktueller Geschäftsberichte der Unternehmen wenig plausibel. 88
Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur privaten Pflegeversicherung ergebe sich, dass der Bund für die Einführung eines Basistarifs die Gesetzgebungskompetenz habe; denn die dort genannten Typusmerkmale spiegelten sich im Basistarif. 89 Die Wartefrist für einen Wechsel in die private Krankenversicherung werde für diejenigen Arbeitnehmer auf drei Jahre verlängert, deren Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liege, um insbesondere akademische Berufsanfänger nicht von vornherein faktisch der privaten Krankenversicherung zuzuordnen. Die Neuzugänge in der privaten Krankenversicherung stammten zum ganz überwiegenden Teil aus Übertritten zuvor gesetzlich Versicherter und führten zu einem Verlust an Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Grundrechtseingriff zu Lasten der Versicherer liege hierin nicht, weil das Gesetz keine berufsregelnde Tendenz habe, sondern allein eine Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung bezwecke. 90
Die Angriffe der Unternehmen gegen den Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung seien unberechtigt, weil im Nebeneinander der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung keine wirkliche Konkurrenz bestehe. Die Zuschüsse seien wegen der gesamtgesellschaftlichen, sozialpolitischen Aufgaben gerechtfertigt, welche der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen seien, insbesondere wegen ihrer zahlreichen familienpolitischen Leistungen. 91 Der Basistarif verwirkliche ein wesentliches Ziel des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, beide Säulen der Krankenversicherung so auszugestalten, dass jede Säule für die gesamte Lebensbiographie ihrer Versicherten einen hinreichenden und bezahlbaren Versicherungsschutz bereitstelle. Deshalb solle in beiden Säulen in Notsituationen der Rückgriff auf staatliche Fürsorgesysteme entbehrlich und zugleich der Schutz für alle Versicherten finanzierbar sein. Der die Unternehmen im Basistarif treffende Kontrahierungszwang mit bisher Nichtversicherten sei erforderlich, um denjenigen Personen, die bei der gesetzlichen Marktabgrenzung der privaten Krankenversicherung zugewiesen worden seien, tatsächlich Versicherungsschutz zu garantieren; anderenfalls bestehe die Gefahr, dass deren Unternehmen sie abweisen würden. Die Risikoselektion, welche die Unternehmen im Wettbewerb mit der gesetzlichen Krankenversicherung betrieben, sei nicht schützenswert. 92
Das Hauptanliegen des Basistarifs seien die Begrenzung der Prämien auf einen der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbaren Höchstbeitrag und die Prämienreduzierung bei sozialer Hilfebedürftigkeit, um sicherzustellen, dass die dort Versicherten auch dann, wenn sie Versicherungsprämien wegen ihrer persönlichen Einkommens- oder Vermögenssituation vorübergehend nicht mehr zahlen könnten, weiter Versicherungsschutz genießen würden. Hieraus ergebe sich auch die Notwendigkeit des Kündigungsausschlusses bei Zahlungsverzug, weil sonst die Funktion der Versicherungspflicht leer liefe. Das für den Fall des Prämienverzugs vorgesehene Verfahren stelle sicher, dass seitens der Unternehmen in dieser Situation nur eine Notversorgung erbracht werden müsse, die aus sozialethischen Gesichtspunkten als unverzichtbar angesehen werde.
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Die Befürchtungen zu den Auswirkungen des Basistarifs auf das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung seien unrealistisch. Die Zahl der Versicherungsnehmer im Basistarif werde sich voraussichtlich kaum von der Gesamtzahl der Versicherungsnehmer im
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Standardtarif unterscheiden. Die dadurch verursachte Beitragserhöhung in den Normaltarifen werde gering ausfallen. Soweit sich die als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit organisierten Unternehmen 94 auf Art. 9 GG beriefen, führe dies nicht zu anderen Ergebnissen. Die angegriffenen Regelungen machten nur versicherungsrechtliche, nicht aber mitgliedschaftsrechtliche Vorgaben. Es bleibe die autonome Entscheidung des Vereins, ob er das Versicherungsgeschäft als Mitgliedergeschäft betreibe oder auch Nichtmitglieder versichere. Ein bedeutsames Ziel des Gesetzes sei die Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen in 95 der privaten Krankenversicherung durch Einführung der teilweisen Portabilität von Alterungsrückstellungen. Wegen der fehlenden Möglichkeit einer Mitnahme der Alterungsrückstellungen finde ein Wettbewerb um Bestandskunden gegenwärtig praktisch nicht statt mit der Folge, dass kaum Anreize zur kostenbewussten Leistungsgestaltung für die Unternehmen bestünden. Die Beschwerdeführer verteidigten mit ihrer Argumentation den faktischen Zwang zum Verbleib im Kollektiv und damit eine freien Marktbedingungen widersprechende Situation. Zwar seien die von den Beschwerdeführern beschworenen Gefahren für den Krankenversicherungsmarkt infolge der Wirkungen einseitiger Risikoselektion abstrakt zutreffend beschrieben, diesen Gefahren werde jedoch durch den Kontrahierungszwang entgegengewirkt, der sicherstelle, dass die Versicherungsnehmer – und damit auch die guten Risiken – im Markt blieben. Durch den Basistarif werde zudem erreicht, dass eine etwaige Verteuerung der Tarife auf einem bestimmten, brancheneinheitlichen Niveau sein Ende finde. Unterschiede in der Risikostruktur von Versicherungsunternehmen, die aus Sicht der Unternehmen zufällig seien, würden durch das Risikoausgleichssystem des Basistarifs branchenweit ausgeglichen. Für Versicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2009 abgeschlossen würden, führe die Einführung von Portabilität lediglich dazu, dass Tarife teurer, nämlich unter Berücksichtigung der eventuellen Übertragung der Alterungsrückstellung bei Wechsel eines Versicherungsnehmers zu einem anderen Unternehmen kalkuliert werden müssten. Dies treffe aber alle Unternehmen gleich. Die Verteuerung der Tarife werde voraussichtlich nur 2 % bis allenfalls 8 % ausmachen. Aber auch diese Prämienerhöhung wirke sich auf die Gesamtlaufzeit des Vertrages nicht beitragserhöhend aus, weil dieser Betrag den kalkulierten Alterungsrückstellungen zugute komme. Hinsichtlich der Altversicherten sei festzustellen, dass die Alterungsrückstellungen zwar 96 sachenrechtlich im Eigentum der Unternehmen stünden, wirtschaftlich aber allein den Versicherungsnehmern zuzuordnen seien, weil sie deren Ansprüche aus Versicherungsverträgen abdeckten. In der Portabilitätsregelung liege allenfalls eine Umgestaltung der bisherigen Vermögensposition im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums, die zur Verwirklichung einer größeren Freiheit der Bestandskunden gerechtfertigt sei. Denn die Alterungsrückstellungen seien durch die Versicherer zur Reduzierung der Prämienbelastung des Kollektivs im Alter zu verwenden. Auch die Erwartung der Unternehmen auf Stornogewinne könne nicht verfassungsrechtlich geschützt werden. Die Stornogewinne aus Versichererwechseln beruhten gerade nicht auf Investitionen oder Leistungen der Versicherer. Jedenfalls sei die Schmälerung einer solchen Gewinnerwartung gerechtfertigt, weil das Gesetz dem Ziel diene, die Versicherten an der Wettbewerbsstärkung durch das neue Vertragsrecht zu beteiligen. Die von den Beschwerdeführern zu 6) und 7) angegriffene Belastung durch die Umlage der 97 im Basistarif nicht gedeckten Kosten sei bei einem geschätzten Prämienerhöhungspotential von maximal ein Prozent zur Erreichung eines umfassenden Versicherungsschutzes für die gesamte Wohnbevölkerung verhältnismäßig, insbesondere weil die Möglichkeit zum Wechsel in den Basistarif auch den Beschwerdeführern zu 6) und 7) zugute komme. Die Kosten der Notver-
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sorgung seien über die Prämien bereits finanziert. Zusätzliche Belastungen brächten allein Beitragsausfälle, die aber auch heute bereits bestünden. 98
Die Rüge der Beschwerdeführer zu 6) und 7), eine Einführung von Portabilität für Altkunden ändere nachträglich ihren Versicherungsvertrag, sei unsubstantiiert, weil sich bei ihnen weder die Kalkulation der Prämie noch die Verwendung der aus ihrem Vertrag kalkulierten Alterungsrückstellungen ändere.
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2. Der Verband der privaten Krankenversicherung e.V. befürchtet, die politische Diskussion ziele auf eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung. Hierzu werde ohne nachvollziehbare Gründe die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung verlängert und den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt, die Versicherten über Wahltarife, die teilweise das klassische Zusatzversicherungsgeschäft der privaten Krankenversicherer bildeten, für mehrere Jahre an sich zu binden. Mit dem Basistarif erhielten Personen einen Zugang zur privaten Krankenversicherung, die nie einen Bezug zu ihr gehabt hätten. Damit würden typische Aufgaben der Sozialfürsorge auf die private Versichertengemeinschaft verlagert. Anders als die gesetzliche Krankenversicherung erhalte die private Krankenversicherung dafür keinen finanziellen Ausgleich und verfüge nicht über deren ökonomische Steuerungsmöglichkeiten, mit denen die Beitragshöhe gemäßigt werden könne. Schließlich führe die den Bestandsversicherten eingeräumte Wechselmöglichkeit unter Mitnahme ihrer kalkulierten Alterungsrückstellung in Höhe einer fiktiven Versicherung im Basistarif im ersten Halbjahr 2009 dazu, dass die Beiträge angehoben werden müssten. Die Kosten des Wechsels würden damit vom Einzelnen auf die Gesamtheit der Versicherten verlagert.
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3. Der Spitzenverband der Krankenkassen hält die Neuregelungen für verfassungsgemäß. Zwischen beiden Krankenversicherungssystemen finde eine systematische und permanente Risikoselektion zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung statt, was sich unter anderem daran zeige, dass die Versicherten der privaten Krankenversicherung eine geringere Morbidität als die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung aufwiesen. Die gesetzgeberischen Maßnahmen seien lediglich als Versuch zu werten, diese Schieflage zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu korrigieren. Der Basistarif sei nötig, um Versicherte der privaten Krankenversicherung vor einer finanziellen Überforderung im Alter zu bewahren. Die Einführung einer Übertragbarkeit von Alterungsrückstellungen diene der Herstellung eines derzeit nicht funktionierenden Wettbewerbs um Bestandskunden in der privaten Krankenversicherung. Die Gefahr einer Risikoselektion werde eher mittel- bis langfristig auftreten und lasse genügend Zeit für korrigierende gesetzgeberische Maßnahmen.
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4. Der Bund der Versicherten e.V. ist der Auffassung, das Gesetz höhle das bisherige Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung aus. Der Basistarif sei nicht kostendeckend und müsse durch die im Normaltarif Versicherten subventioniert werden, was die Gefahr einer Wanderungsbewegung in den Basistarif begründe. Die Portabilität des kalkulierten Werts der Alterungsrückstellung führe zu einer Risikoselektion und zur Entmischung des jeweiligen Tarifkollektivs bei zahlreichen Versicherern; das schaffe die Gefahr der Bildung eines Oligopols auf dem Versicherungsmarkt. Die privaten Krankenversicherungen würden im Wettbewerb mit den gesetzlichen Krankenkassen erheblich benachteiligt.
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5. Professor Dr. Bert Rürup führt aus, genaue Aussagen zu den Belastungswirkungen des Basistarifs seien nicht möglich, weil repräsentative Datensätze mit Angaben zur Versichertenstruktur in der privaten Krankenversicherung nicht öffentlich verfügbar seien. Aufgrund der Ausgestaltung des Basistarifs, der nur Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung anbiete, aber bereits für relativ junge Personen den gesetzlichen Höchstbeitrag kosten werde, sei dieser Tarif unattraktiv. Die hiervon ausgehenden Belastungswirkungen für
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andere seien daher voraussichtlich gering. Die Branche selbst rechne mit 90.000 Versicherten in diesem Tarif. Auf dieser Grundlage würden sich die Normaltarife der übrigen Versicherten um 1,2 % verteuern. Von den neuen Möglichkeiten zur Übertragung von Teilen der Alterungsrückstellungen 103 seien zumindest kurz- bis mittelfristig kaum substanzielle Auswirkungen auf die Prämien der privaten Krankenversicherung zu erwarten. Die Einführung der Portabilität entziehe der privaten Krankenversicherung keine Beitragsmittel, denn bei einem Wechsel eines Versicherten in die gesetzliche Krankenversicherung verblieben die Alterungsrückstellungen wie bisher im Unternehmen. Von den Unternehmen der privaten Krankenversicherung werde die Größenordnung von Prämienerhöhungen infolge der Einführung von Portabilität sehr unterschiedlich eingeschätzt, die Spanne reiche von 2 % bis 10 %. Die Einführung einer Portabilität der Alterungsrückstellungen im Umfang einer fiktiven 104 Versicherung im Basistarif sei ordnungspolitisch verfehlt, weil dadurch Risikoselektion provoziert werde; denn damit würden Wechsel um so attraktiver, je geringer das individuelle Krankheitsrisiko sei. Für Bestandsversicherte bestehe lediglich eine Übertragungsmöglichkeit im ersten Halbjahr 2009 und nur für einen Wechsel in den Basistarif. Ein Wechsel in den Basistarif sei jedoch für ein gutes Risiko keine attraktive Option. Die durch Änderung der Kalkulationsverordnung durchgesetzte Mindestverweildauer von 18 Monaten im Basistarif verhindere, dass solche Personen den Basistarif als „Sprungbrett“ in den Normaltarif gebrauchten; das entwerte ihr Wechselrecht stark. Für Neukunden stelle sich die Situation etwas anders dar, da sie auch in Normaltarife anderer Unternehmen wechseln könnten. Generell bleibe die Übertragbarkeit aber auch für diese Personen auf einen den Basistarifleistungen entsprechenden Teil begrenzt, sodass der Wechsel in den Normaltarif eines anderen Anbieters für die Versicherten in der Regel weiterhin mit finanziellen Einbußen verbunden sei. Angesichts der vorhersehbar nur sehr niedrigen Alterungsrückstellungen, die im Basistarif gebildet werden könnten, müssten vor allem ältere Versicherte mit hohen Alterungsrückstellungen mit erheblichen Verlusten bei einem Wechsel des Versicherers rechnen. Von der teilweisen Portabilität seien daher weder gravierende Prämienerhöhungen noch erhebliche Risikoselektionen zu erwarten. Die finanziellen Auswirkungen aller zum 1. Januar 2009 wirksam werdenden Maßnahmen 105 ließen sich nicht exakt beziffern. Neben den durch den Basistarif und den durch die Einführung einer teilweisen Portabilität ausgelösten Belastungen seien auch mögliche Beitragsausfälle zu berücksichtigen, die durch nicht zahlungswillige oder zahlungsunfähige Kunden entstünden; diese finanzielle Belastung sei jedoch gering zu veranschlagen. 6. Professor Dr. M. führt aus, die Ausführungen der Unternehmen zu der zu erwartenden 106 Verdrängung der Normaltarife durch den Basistarif könnten nicht überzeugen. Eine seriöse Abschätzung der zu erwartenden Belastung der Normaltarife durch den Subventionsbedarf der Basistarif-Versicherten setze nicht nur fundierte Schätzungen über den zu erwartenden Zugang von Versicherten in den Basistarif voraus, sondern auch über denjenigen Anteil der in den Basistarif wechselnden Versicherten, deren Prämie die tatsächlichen Krankheitskosten nicht decke, und der Höhe des danach zu finanzierenden Kappungsbedarfs. Eine in dieser Hinsicht vollständige und in sich konsistente Analyse des Wechsels in den Basistarif zeige keine der Verfassungsbeschwerden auf. Ohne Portabilität der Alterungsrückstellungen werde der Wettbewerb massiv behindert. 107 Zwar würde die Einführung einer Portabilität der vollen rechnungsmäßigen Alterungsrückstellung die erhebliche Gefahr einer Risikoselektion schaffen, die den Krankenversicherungsmarkt gefährden könne. Das Gesetz führe aber nur eine begrenzte Portabilität ein. Sie lasse
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die Gefahr einer Risikoselektion zwar nicht völlig entfallen, verringere jedoch ihren Umfang und öffne den Wettbewerb, welcher derzeit ausschließlich auf das Neukundengeschäft gerichtet sei. Der Vortrag der beschwerdeführenden Unternehmen, welche für die meisten Tarife sehr hohe Übertragungswerte angäben, sei unplausibel und von dem erkennbaren Bestreben motiviert, die durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz bewirkte Rechtslage möglichst dramatisch darzustellen. V. 108
In der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2008 haben sich die Beschwerdeführer, die Bundesministerin für Gesundheit für die Bundesregierung und die jeweiligen Bevollmächtigten geäußert. Für die Beschwerdeführer hat ferner Professor Dr. Bernd Raffelhüschen Stellung genommen. Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem den Verband der privaten Krankenversicherung e.V., den Spitzenverband der Krankenkassen, den Bund der Versicherten e.V. sowie die Professoren Dr. Ulrich Meyer und Dr. Bert Rürup zu den voraussichtlichen Wirkungen der gesetzlichen Maßnahmen gehört. B.
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Die Verfassungsbeschwerden sind nur zum Teil zulässig. I.
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Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) sind, soweit sie sich gegen die versicherungsvertrags- und versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorschriften zum Basistarif und der Portabilität wenden, im Wesentlichen zulässig.
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1. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung wird von den Beschwerdeführern zu 1) bis 5) allerdings entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht in jeder Beziehung ausreichend dargelegt. 112 a) Hinsichtlich der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Vorschriften über den Basistarif in § 193 Abs. 5 VVG, § 12 Abs. 1a bis 1c, 4b VAG und § 12 g VAG rügen die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) substantiiert eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG, weil die Normen einen kompetenzwidrigen und übermäßigen Eingriff in ihre berufsbezogene Vertragsfreiheit verursachen würden. 113 b) Soweit sich die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) gegen § 193 Abs. 6 VVG wenden, wird die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ausreichend dargelegt. Die für sämtliche substitutiven Krankheitskostenversicherungen geltende Pflicht zur Notversorgung trotz Nichtzahlung der Beiträge wird von ihnen substantiiert als Verletzung ihrer Berufsfreiheit mit dem Vortrag angegriffen, privaten Unternehmen werde hiermit grund- und entschädigungslos eine Sozialleistungspflicht auferlegt. 114 c) In Bezug auf das absolute Kündigungsverbot in § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG rügen die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) hinreichend substantiiert eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG und die Beschwerdeführer zu 4) und 5) zusätzlich von Art. 9 Abs. 1 GG. 115
d) Zulässig sind die Verfassungsbeschwerden ferner gegen § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a VVG, also gegen die Einführung einer Portabilität der Alterungsrückstellung im Falle eines Unternehmenswechsels bei Verträgen, die nach dem 1. Januar 2009 geschlossen werden. Die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) rügen substantiiert eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG mit der Begründung, die Portabilität von Alterungsrückstellungen beschwöre die
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Gefahr negativer Risikoselektion im Versichertenbestand eines Unternehmens und damit die Gefährdung der Erfüllung der Pflichten aus ihren anderen Versicherungsverträgen herauf. e) Das für Altkunden der privaten Krankenversicherung durch § 204 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 116 Buchstabe b VVG geschaffene Recht, innerhalb des ersten Halbjahres 2009 in den Basistarif eines anderen Unternehmens unter Mitnahme der beim bisherigen Versicherer aufgebauten Alterungsrückstellung im kalkulierten Umfang des Basistarifs zu wechseln, wird von den Beschwerdeführern zu 1) bis 5) als eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG gerügt. Weil das Gesetz in laufende Verträge und somit unmittelbar in die Berufstätigkeit der Beschwerdeführer eingreift, stellt sich der Vortrag der Beschwerdeführer aber der Sache nach als eine hinreichend substantiierte Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG dar. Das gilt auch für das in § 204 Abs. 1 Satz 2 VVG enthaltene Recht des Versicherungsnehmers, vom bisherigen Versicherer den Abschluss eines Zusatztarifs zu verlangen, in dem die über den Basistarif hinausgehende Alterungsrückstellung angerechnet wird. Hingegen berühren die Vorschriften über die Portabilität den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit aus den oben dargelegten Gründen nicht. f) Unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden, soweit § 12 Abs. 1d VAG angegriffen wird. 117 Durch diese Vorschrift wird der Verband der privaten Krankenversicherung damit beliehen, Art, Umfang und Höhe der Leistungen im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG festzulegen. Die Beschwerdeführer zu 1), 3) bis 5) legen nicht dar, weshalb dies ihre eigenen Grundrechte verletzen kann. Ihre Beschwer liegt in der Einführung und in den gesetzlichen Konditionen des Basistarifs, nicht in der Beleihung des Verbands der privaten Krankenversicherung, der letztlich nur die Vertragsbedingungen des Basistarifs nach gesetzlichen Vorgaben konkretisiert. g) Hinsichtlich der Vorschriften der Kalkulationsverordnung, welche mit den Verfas- 118 sungsbeschwerden angegriffen werden, fehlt jeglicher Vortrag der Beschwerdeführer zu 1) bis 5), welche verfassungsmäßigen Rechte der Unternehmen durch diese technischen Berechnungsregeln verletzt sein könnten. h) Soweit die Beschwerdeführerin zu 1) zusätzlich eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG 119 durch die Einführung von Portabilität bei Neuverträgen rügt, ist die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht dargetan. Die Beschwerdeführerin zu 1) trägt nicht vor, welche bestehenden Eigentumspositionen durch die Einführung von Portabilität bei Verträgen, die erst ab dem 1. Januar 2009 abgeschlossen werden können, betroffen sein sollen. i) Ebenfalls unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) gegen 120 § 208 VVG, wonach von den Vorschriften der §§ 194 bis 199 und 201 bis 207 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abgewichen werden darf. Es fehlt jede Darlegung, welche eigenständige Beschwer mit dieser Vorschrift verbunden sein könnte. j) Unzulässig ist ferner die von der Beschwerdeführerin zu 2) erhobene Rüge, es handele sich 121 bei der Pflicht zur Teilnahme am Risikoausgleich gemäß § 12 g VAG um eine verfassungswidrige Sonderabgabe. Insoweit fehlt es schon an der Darlegung einer Beschwer. Zwar werden gemäß § 12 g Abs. 1 Satz 3 VAG die Mehraufwendungen, die zur Gewährleistung der Beitragsbegrenzungen im Basistarif entstehen, auf alle beteiligten Versicherungsunternehmen so verteilt, dass eine gleichmäßige Belastung dieser Unternehmen bewirkt wird. Die Unternehmen der privaten Krankenversicherung tragen diese Belastung aber nicht, da gemäß § 12c Abs. 1 Nr. 1 VAG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV diese Mehraufwendungen der Unternehmen als sonstiger Zuschlag auf die Tarife der substitutiven Krankenversicherungen umgelegt werden, also im Ergebnis ausschließlich die Versicherungsnehmer belasten.
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k) Die Beschwerdeführer zu 4) und 5), welche als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit organisiert sind, rügen zusätzlich eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG durch die Vorschriften über den Basistarif. Insoweit kommt eine Verletzung dieses Grundrechts jedoch nur durch den Kontrahierungszwang im Basistarif in Betracht. Hingegen ist ein Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit durch die übrigen Vorschriften über den Basistarif ausgeschlossen. Eingriffe in die Vertrags- und Kalkulationsfreiheit eines Versicherungsunternehmens bei der Gestaltung eines Tarifs berühren nicht den speziellen, auf das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung bezogenen Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit (vgl. BVerfGE 50, 290 ). Weder die Organisation noch die Willensbildung oder die Führung der Vereinsgeschäfte des Versicherungsvereins wird durch Vorschriften berührt, welche einem Versicherungsunternehmen vorschreiben, einen in bestimmter Weise ausgestalteten Tarif anzubieten. Gleiches gilt für die Beitragsbegrenzungen im Basistarif gemäß § 12 Abs. 1c VAG. Sie betreffen den Verein nicht anders als die das gleiche Versicherungsgeschäft betreibende Aktiengesellschaft; sie weisen keinen besonderen Bezug zu der Vereinsstruktur auf. 123 l) Auch die gegen § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a VVG erhobene Rüge einer zusätzlichen Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG durch die Beschwerdeführer zu 4) und 5) ist unzulässig, denn sie sind insoweit nicht betroffen. Die Einführung einer Portabilität von Alterungsrückstellungen berührt weder die Organisation noch die Willensbildung eines Versicherungsvereins. Ebenso wenig wird durch Vorschriften, welche die Mitgabe von Alterungsrückstellungen regeln, in die Freiheit eingegriffen, der Vereinigung beizutreten oder sie wieder zu verlassen. Verändert werden lediglich die versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen, welche für das einzelne Mitglied bei seiner Entscheidung über den Verbleib im Verein von wirtschaftlicher Bedeutung sind, nicht aber die Regeln über Eintritt oder Austritt selbst. 124 m) Unsubstantiiert ist die Rüge des Beschwerdeführers zu 5), es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Portabilität von Alterungsrückstellungen nicht berücksichtigt habe, dass Unternehmen, welche die unmittelbaren Abschlusskosten eines Versicherungsvertrags nicht aus Alterungsrückstellungen, sondern anders finanzierten, ihren wechselwilligen Altversicherten höhere Alterungsrückstellungen mitgeben müssten als ein „zillmerndes“ Unternehmen, welches die Aufwendungen für die Versicherungsvermittlung bei Vertragsabschluss sofort den Alterungsrückstellungen entnimmt. Der Schutzbereich von Art. 3 Abs. 1 GG ist eröffnet, wenn unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, obwohl die tatsächliche Ungleichheit von Gewicht ist (vgl. BVerfGE 110, 141 ; stRspr). Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die ihm gestattet sind, nicht vornimmt, sondern erst dann, wenn ein vernünftiger Grund für diese Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte fehlt (vgl. BVerfGE 90, 226 ). Der Beschwerdeführer zu 5) legt schon nicht ausreichend dar, inwieweit er im Vergleich zu „zillmernden“ Unternehmen in erheblicher Weise ungleich behandelt wird. Konkrete Zahlen und Rechenbeispiele, welche tatsächlichen Unterschiede infolge der unterschiedlichen Höhe von Alterungsrückstellungen in den verschiedenen Unternehmen auftreten, werden nicht genannt. Der Beschwerdeführer setzt sich ferner nicht mit dem nahe liegenden Gedanken auseinander, dass die gerügte Gleichbehandlung aus Gründen der Typisierung und Generalisierung gerechtfertigt sein kann (vgl. BVerfGE 112, 268 ). 125 2. Soweit nach den vorangegangenen Ausführungen die Möglichkeit von Grundrechtsverletzungen hinreichend substantiiert dargelegt ist, sind die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) durch die angegriffenen Vorschriften selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen (vgl. BVerfGE 87, 181 ; 97, 157 ).
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Die privaten Krankenversicherungsunternehmen werden durch § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG, 126 § 12 Abs. 1b Satz 1 VAG verpflichtet, dem genannten Personenkreis Versicherungsschutz im branchenweit einheitlichen Basistarif anzubieten. Die angegriffenen Vorschriften sind in ihrem Regelungsgehalt und in ihren Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen eindeutig. Daher ist es den Krankenversicherungsunternehmen nicht zuzumuten, durch die Ablehnung von Anträgen auf Versicherung im Basistarif zivilrechtliche Streitigkeiten zu provozieren. Damit würde nicht nur die Gefahr entstehen, dass in einer Vielzahl von Fällen auf den Krankenversicherungsschutz angewiesene Personen zunächst ohne Leistungen blieben, vielmehr müssten die Versicherungsunternehmen angesichts ihres nach Maßgabe des einfachen Rechts erkennbar rechtswidrigen Verhaltens mit Maßnahmen der Versicherungsaufsicht gemäß § 81 Abs. 2 VAG rechnen, die bis zum Widerruf der Geschäftserlaubnis gehen könnten. Gleiches gilt für die Notversorgungspflicht nach § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG und das absolute 127 Kündigungsverbot gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG. Diese Vorschriften sind zudem unmittelbar mit der Versicherungspflicht in der privaten Krankenkostenversicherung und dem Versicherungszwang im Basistarif verknüpft, weil sie alle der Sicherstellung eines Basisschutzes innerhalb der privaten Krankenversicherung dienen. Eine gemeinsame verfassungsrechtliche Prüfung dieser Vorschriften entspricht auch dem Gebot der Prozessökonomie. Hinsichtlich der gesetzlichen Anordnung einer Portabilität der Alterungsrückstellungen ist 128 die Verweisung auf fachgerichtlichen Rechtsschutz ebenfalls unzumutbar. Die Krankenversicherungsunternehmen könnten nur durch offensichtlich rechtswidriges Vorgehen, nämlich die Weigerung, Alterungsrückstellungen mitzugeben, Zivilrechtsstreite provozieren, bei denen letztlich nur die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung im Streit stünde. II. Soweit die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) darüber hinaus verschiedene Vorschriften aus dem 129 Recht der gesetzlichen Krankenversicherung angreifen, sind die Verfassungsbeschwerden ebenfalls nur teilweise zulässig. 1. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) gegen die Vorschrift des 130 § 315 SGB V über den Standardtarif für Personen ohne Versicherungsschutz sind wegen fehlender Beschwer unzulässig. Denn die seit dem 1. Juli 2007 im Standardtarif nach § 315 Abs. 1 SGB V abgeschlossenen Versicherungsverträge sind kraft Gesetzes zum 1. Januar 2009 auf Verträge im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG umgestellt worden (§ 315 Abs. 4 SGB V). 2. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2) bis 5) gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 131 SGB V sind zulässig. Die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) rügen substantiiert eine mögliche Verletzung ihrer 132 Berufsfreiheit durch die auf drei Jahre verlängerte Versicherungspflicht, weil ihnen hierdurch potentielle Kunden entzogen werden. Zwar genügen nachteilige Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Berufsausübung nicht für die Annahme eines Eingriffs in die Berufsfreiheit. Das Erfordernis der Selbstbetroffenheit erfordert mehr als eine bloße Reflexwirkung staatlicher Maßnahmen. Vielmehr muss die staatliche Maßnahme in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen und eine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (vgl. BVerfGE 106, 275 ). Dies ist hier der Fall. Die Verlängerung auf jeweils drei Jahre schränkt den Personenkreis ein, der eine private Krankenversicherung abschließen kann. Damit werden die privaten Krankenversicherungen in der Möglichkeit beeinträchtigt, neue Versicherungsnehmer für sich zu gewinnen. Die Behauptung, hierfür fehle es an einem legitimierenden Gemeinwohlzweck, enthält die zulässige Rüge der
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Verletzung eigener Grundrechte der Unternehmen der privaten Krankenversicherung, welche nur verfassungsrechtlich gerechtfertigte Marktzugangsschranken dulden müssen. 133 134
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3. Unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden hingegen, soweit sie sich gegen die Vorschrift des § 53 SGB V über die Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung wenden. Es ist fraglich, ob die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) durch Wahltarife, welche die gesetzlichen Krankenkassen ihren Mitgliedern anbieten, überhaupt beschwert sind; denn Wahltarife öffnen allein den Wettbewerb für ihre Konkurrenten. Jedenfalls fehlt es schon an ihrer unmittelbaren Betroffenheit. Den gesetzlichen Krankenkassen wird lediglich die Befugnis verliehen, in ihrer Satzung Wahltarife vorzusehen. Sie treten erst nach Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde in Kraft (§ 195 Abs. 1 SGB V). Die angegriffenen Vorschriften enthalten lediglich eine ausfüllungsbedürftige Ermächtigung zum Erlass von Tarifen und bewirken keinen unmittelbaren Eingriff. 4. Unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden schließlich, soweit sie sich gegen § 221 Abs. 1 SGB V richten. Zweifel ergeben sich bereits in Hinblick auf § 93 Abs. 3 BVerfGG, wonach eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den kein Rechtsweg offen steht, binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlass des Hoheitsaktes erhoben werden muss. Denn § 221 Abs. 1 SGB V, wonach der Bund an die gesetzliche Krankenversicherung Zahlungen für versicherungsfremde Leistungen zu erbringen hat, gilt in verschiedenen Fassungen bereits seit dem 1. Januar 2004. Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz werden die Zahlungen des Bundes allerdings auf Dauer eingeführt und erhöht. Die Frage kann aber dahinstehen. Denn die Beschwerdeführer zu 2) bis 5) sind durch § 221 Abs. 1 SGB V nicht selbst betroffen. Die Vorschrift hat weder Einfluss auf das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen der privaten Krankenversicherung am Markt noch hat sie eine berufsregelnde Tendenz. Durch § 221 Abs. 1 SGB V wird der Bund verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen als Abgeltung für versicherungsfremde Leistungen die im Gesetz genannten Geldleistungen zur Verfügung zu stellen. Eine Verwendung des Geldes für spezielle Personengruppen oder besondere Zwecke sieht das Gesetz nicht vor; es fließt in den allgemeinen Haushalt der Krankenkassen. Die Geldleistungen des Bundes führen deshalb im Ergebnis zu einer alle Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen gleichmäßig begünstigenden Ermäßigung der Beitragssätze (§§ 241 ff. SGB V).
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Eine solche allgemeine, vom Bundeszuschuss ermöglichte Beitragssenkung hat keinen mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Nachteil der privaten Krankenversicherungsunternehmen zur Folge. Soweit die Unternehmen argumentieren, § 221 Abs. 1 SGB V sei eine Maßnahme des Familienlastenausgleichs und der Gesetzgeber daher gehalten, entsprechende Begünstigungen auch den Privatversicherten zur Verfügung zu stellen, rügen sie bereits keine Verletzung eigener Rechte; denn die privaten Krankenversicherungsunternehmen erheben für die Versicherung eines Kindes einen nach versicherungsrechtlichen Regeln risikoäquivalent berechneten Beitrag.
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Der Vorschrift des § 221 Abs. 1 SGB V fehlt zudem eine auf die Berufsausübung der privaten Krankenversicherungsunternehmen gerichtete Zielsetzung. Sie regelt die pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme diesen Begriff unter Rückgriff auf die von der gesetzlichen Krankenversicherung getragenen gesamtgesellschaftlichen Lasten definiert und vor allem auf familienpolitische Leistungen wie die beitragsfreie Versicherung von Famili-
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enangehörigen, die Beitragsfreistellung bei Bezug von Mutterschafts- und Erziehungsgeld oder das Krankengeld bei Betreuung eines kranken Kindes verwiesen. Das Bundesministerium für Gesundheit quantifiziert die gesamtgesellschaftlichen Kosten, welche die gesetzliche Krankenversicherung trägt, allein für die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Ehegatten auf rund 25 Mrd. Euro. § 221 Abs. 1 SGB V zielt auf einen Lastenausgleich innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht aber auf eine Veränderung der Marktsituation zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf den Personenkreis der freiwillig Versicherten. III. Als insgesamt unzulässig erweisen sich die Verfassungsbeschwerden der beiden privat 140 versicherten Beschwerdeführer zu 6) und 7). 1. Es fehlt den Beschwerdeführern zu 6) und 7) an der Beschwerdebefugnis, soweit sie sich 141 unter Berufung auf Art. 9 Abs. 1 GG gegen den Kontrahierungszwang im Basistarif wenden. Voraussetzung der Selbstbetroffenheit ist grundsätzlich, dass der Beschwerdeführer Normadressat ist, also aus einem in seiner Person erfüllten Tatbestand Rechte und Pflichten für ihn entstehen; er muss direkt rechtlich und nicht nur faktisch in einem Grundrecht betroffen sein (vgl. BVerfGE 35, 348 ). Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit zum Beitritt zu bestehenden Vereinen, die freie Teilnahme der Mitglieder an der Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung der Geschäfte (vgl. BVerfGE 50, 290 ; 80, 244 ). In diesen Gewährleistungsbereich greift die sich aus § 12 Abs. 1b VAG und § 193 Abs. 5 VVG ergebende Pflicht der Versicherungsunternehmen, bestimmten Personen Versicherungsschutz im Basistarif zu gewähren, zu Lasten der Beschwerdeführer zu 6) und 7) nicht ein. Denn diese Pflicht trifft ausschließlich und unmittelbar den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit in seiner Eigenschaft als Unternehmen. Selbst eine nur mittelbar-faktische Beeinträchtigung der Grundrechtssphäre der Beschwerdeführer zu 6) und 7) durch den Kontrahierungszwang liegt fern, weil bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit angesichts der Größe der Unternehmen, bei denen die beiden Beschwerdeführer versichert sind, soziale Elemente der persönlichen Begegnung der Mitglieder keine Rolle spielen. 2. Erst recht beschweren die Regelungen über den Basistarif die Beschwerdeführer zu 6) und 7) nicht in Art. 9 Abs. 1 GG, soweit es um die Verpflichtung der Unternehmen geht, einen branchenweit einheitlichen Basistarif mit Leistungen in Anlehnung an die gesetzliche Krankenversicherung anzubieten, in dem Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse verboten sind. Die Frage, unter welchen Bedingungen andere Mitglieder des Vereins versichert sind, berührt den Status der Beschwerdeführer zu 6) und 7) nicht und ist für sie nur insoweit von ökonomischem Interesse, als sich dies vermittelt über das Umlagesystem nach § 12 g VAG, § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV auf die Kosten ihrer eigenen Versicherung auswirkt. Ebenso wenig wird der von Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Rechtskreis der Beschwerdeführer zu 6) und 7) durch die Pflicht der Krankenversicherungsunternehmen zur Notfallversorgung (§ 193 Abs. 6 Satz 6 VVG) und das absolute Kündigungsverbot (§ 206 Abs. 1 Satz 1 VVG) berührt. 3. Soweit die Beschwerdeführer zu 6) und 7) die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG über die Möglichkeit der teilweisen Mitnahme der kalkulierten Alterungsrückstellung im ersten Halbjahr 2009 angreifen, sind die Verfassungsbeschwerden ebenfalls unzulässig. In Bezug auf Art. 9 Abs. 1 GG legen die Beschwerdeführer zu 6) und 7) nicht nachvollziehbar dar, wie die Vereinigungsfreiheit durch eine Veränderung der das Versicherungsver-
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tragsverhältnis betreffenden Regeln über die Mitnahme von Alterungsrückstellungen betroffen sein könnte. 146
Soweit die Beschwerdeführer zu 6) und 7) eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG rügen, begünstigt die angegriffene Vorschrift sie rechtlich ausschließlich. Ihnen wird für das erste Halbjahr 2009 bei einer Kündigung des Versicherungsvertrags mit ihrem bisherigen Versicherungsunternehmen die Möglichkeit der Mitnahme eines Teils ihrer Alterungsrückstellungen ermöglicht und damit ein zusätzliches, vertragliches Recht eingeräumt. 147 Die Behauptung der Beschwerdeführer zu 6) und 7), dieses zusätzliche Recht führe tatsächlich zu einer faktischen Entwertung ihrer aus dem Versicherungsvertrag resultierenden Eigentumsposition, ist unsubstantiiert. Die Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes und des Versicherungsaufsichtsgesetzes stellen sicher, dass der Versicherungsnehmer mit dem Abschluss einer substitutiven Krankenversicherung einen unkündbaren Krankenversicherungsschutz bei grundsätzlich gleichbleibender Prämie hat. Eine Prämienerhöhung ist nur zulässig bei einer Veränderung des kollektiven Risikos sowie bei einer Veränderung der Kostensituation im Gesundheitswesen (§ 203 Abs. 2 und 3 VVG). Wechseln Versicherungsnehmer infolge der neuen Rechtslage ihre Krankenversicherung, so hat das nicht zur Folge, dass dem Tarifkollektiv Kapital entzogen und damit die Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge beeinträchtigt wird. Kraft der zwingenden Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes muss immer ein den voraussichtlichen Leistungsaufwendungen aller Tarife entsprechendes Vermögen als Sicherungsvermögen des Unternehmens vorhanden und vor dem Zugriff geschützt sein (§ 66 Abs. 1, Abs. 1a Nr. 3, Abs. 2 VAG, § 77 Abs. 1 VAG). 148
Denkbar ist somit allenfalls, dass ein verstärktes Ausscheiden von Versicherungsnehmern, welche „gute Risiken“ aufweisen, aus dem betreffenden Tarifkollektiv dazu führt, dass sich die Risikostruktur verschlechtert, sodass es infolge steigender Krankheitskosten zu Prämienerhöhungen kommen kann. Hierbei handelt es sich aber um die Konsequenz eines Marktgeschehens, nicht um einen staatlichen Eingriff in ein individuelles vermögenswertes Recht der bei ihrer Versicherung verbleibenden Versicherungsnehmer. Eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG kann sich daraus nicht ergeben.
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Soweit die Beschwerdeführer zu 6) und 7) eine Eigentumsverletzung darin sehen, dass die Mitgabe von Alterungsrückstellungen die Rückstellungen der Unternehmen verringere, was bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sich auch zu ihren Lasten durch eine geringere Beitragsrückerstattung oder eine geringere Abmilderung von Beitragserhöhungen auswirke, ist eine geschützte, individuelle, vermögenswerte Rechtsposition nicht erkennbar. Die Überschussentwicklung der Versicherungsunternehmen ist gegenwärtig weder absehbar noch besteht hinsichtlich deren Verwendung eine Rechtsposition, welche den Versicherungsnehmern bereits individuell zugeordnet ist. IV.
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1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 8) gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, der den Eintritt seiner Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung von einem dreimaligen Überschreiten der regelmäßigen Jahresarbeitsentgeltgrenze abhängig macht, ist zulässig. Der Beschwerdeführer zu 8) legt eine mögliche Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG durch eine unverhältnismäßige Ausweitung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung hinreichend substantiiert dar. Er ist auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen, da er seit dem 1. November 2007 mit einem Gehalt oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze beschäftigt ist und in dieser Beschäftigung nunmehr der Krankenversi-
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cherungspflicht unterliegt, während er nach alter Rechtslage in seiner privaten Krankenversicherung bleiben könnte. 2. Soweit der Beschwerdeführer zu 8) darüber hinaus § 6 Abs. 9 Satz 1 SGB V angreift, ist 151 die Verfassungsbeschwerde hingegen nicht ausreichend substantiiert. Der Beschwerdeführer zu 8) rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Vorschrift ausschließlich Arbeitnehmer begünstige, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze am 2. Februar 2007 nach altem Recht versicherungsfrei und deshalb privat versichert gewesen seien, nicht aber andere Personengruppen. Die Verfassungsbeschwerde setzt sich nicht mit dem auf der Hand liegenden Argument auseinander, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung einer Bestandsschutzregelung in erster Linie den Personenkreis berücksichtigen muss, der durch die Verschärfung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt von Versicherungsfreiheit in einem Vertrauenstatbestand, hier in einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis, betroffen ist. Dies waren die nach alter Rechtslage wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfreien Arbeitnehmer, welche bereits privat versichert waren oder im Hinblick auf ein privates Krankenversicherungsverhältnis ihre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung schon gekündigt hatten, und deren Versicherungsverhältnis im ersten Fall ohne eine Übergangsregelung ex lege aufgelöst worden wäre. Hingegen änderte sich für außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung stehende Personen ein bestehender Versicherungsschutz nicht; sie brauchten vom Gesetzgeber daher auch nicht in den Blick genommen zu werden. Damit fehlt jeglicher Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG. V. Ausschließlich die Beschwerdeführerin zu 1) rügt eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG in 152 Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip durch die Art und Weise des Zustandekommens des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes. Die behauptete Verletzung des Parlamentsvorbehalts wird jedoch nicht hinreichend substantiiert. Der Parlamentsvorbehalt fordert, dass ein Gesetz genau und erkennbar bestimmen muss, welche Pflichten und Wirkungen sich für die Betroffenen aus ihm ergeben (vgl. BVerfGE 108, 186 ; stRspr). Mit der vorgetragenen Behauptung einer unzureichenden Information der Abgeordneten vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag wird jedoch ein Mangel im Verfahren der Gesetzgebung gerügt, also ein Verstoß gegen Art. 76 GG. Welche Rechtsvorschrift dabei verletzt sein könnte, wird nicht dargetan. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander, dass ein entsprechend den Regeln des Grundgesetzes formell ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz nicht deshalb verfassungswidrig ist, weil es im Plenum und in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages erst kurz vor dem beabsichtigten Inkrafttreten und in großer Eile behandelt wurde (vgl. BVerfGE 29, 221 ). C. Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig sind, erweisen sie sich als unbegründet.
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I. Die Vorschriften über den Basistarif in der privaten Krankenversicherung verletzen die 154 Beschwerdeführer zu 1) bis 5) nicht in Grundrechten. 1. Der Bund besitzt die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung eines Basistarifs in der 155 privaten Krankenversicherung. Die Gesetzgebungskompetenz ergibt sich aus dem Kompetenztitel für das privatrechtliche Versicherungswesen als Teil des Rechts der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Der Bundesgesetzgeber kann sich jedenfalls dann auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11
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GG stützen, wenn sich seine Regelungen auf Versicherungsunternehmen beziehen, die in Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern, die Prämien grundsätzlich am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers orientieren und die vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzierungssystems erbringen. Ebenso wie die Kompetenz „Sozialversicherung“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ist auch die Kompetenznorm „privatrechtliches Versicherungswesen“ Entwicklungen nicht von vornherein verschlossen. Der Gesetzgeber des Bundes kann sich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auch dann berufen, wenn er für einen von ihm neu geschaffenen Typ privatrechtlicher Versicherung Regelungen des sozialen Ausgleichs vorsieht, die das privatwirtschaftliche Versicherungswesen prägenden Merkmale nur begrenzt wirken lassen (vgl. BVerfGE 103, 197 ). 156 Die Vorschriften über den Basistarif halten sich in diesem Rahmen. Die Regelungen über den Basistarif bringen keine grundlegende Neugestaltung des Rechts der privaten Krankenversicherung, sondern beschränken sich auf die Einführung eines einzelnen, staatlich regulierten Tarifs in ein ansonsten unverändertes Versicherungsrecht der privaten Krankenversicherung; die Unternehmen können ihre Normaltarife weiterhin in vollem Umfang anbieten. Die Versicherung im Basistarif erfolgt durch einen privatrechtlichen Vertrag zwischen einem Versicherten und einem privaten Unternehmen, welches mit anderen Unternehmen im Wettbewerb steht. Die Prämien orientieren sich grundsätzlich am individuellen Risiko, nämlich Alter und Geschlecht, und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers. Der Versicherungsnehmer kann auf die Prämienhöhe durch die Vereinbarung von Selbstbehalten Einfluss nehmen. Die vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall werden grundsätzlich aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzierungssystems erbracht. 157 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) wird die Zuordnung des Basistarifs zum privaten Versicherungswesen nicht dadurch infrage gestellt, dass die privatautonome Gestaltung des Versicherungsvertrags durch den Basistarif nicht unerheblich eingeschränkt ist. Zwar enthält der Basistarif Elemente sozialen Ausgleichs durch ein Verbot von Risikozuschlägen und Leistungsausschlüssen, die Begrenzung der Prämienhöhe, den gesetzlich vorgeschriebenen Leistungsumfang und die Umlage der im Basistarif nicht gedeckten Aufwendungen in einem Risikoausgleich zwischen den Unternehmen. Diese Solidarelemente unterscheiden sich aber nicht von den entsprechenden Regelungen im Bereich der privaten Pflegepflichtversicherung (vgl. § 110 Abs. 1 SGB XI), zu denen das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat, dass sie sich im Rahmen der durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG eröffneten Bundeskompetenz halten (vgl. BVerfGE 103, 197 ). Da der Basistarif im Gegensatz zur privaten Pflegepflichtversicherung zudem keine beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und keine ermäßigte Mitversicherung von Ehegatten umfasst, ist die Auffassung der Beschwerdeführer zu 1) bis 5), der Basistarif sei nur noch der Form nach Privatversicherung, nicht zutreffend. 158
2. Die von den Beschwerdeführern zu 4) und 5) erhobene Rüge, der Versicherungszwang im Basistarif verletze sie in Art. 9 Abs. 1 GG, ist unbegründet. Wie bereits unter B. I. 1. k) ausgeführt, berühren Belastungen, die durch Eingriffe in die Vertrags- und Kalkulationsfreiheit eines Versicherungsvereins bei der Gestaltung eines Tarifs entstehen, nur seine ökonomische Tätigkeit und sind daher ausschließlich an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Lediglich die Pflicht zur Aufnahme neuer Mitglieder in einen Versicherungsverein könnte den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit berühren. Art. 9 Abs. 1 GG schützt das Recht, Vereine und Gesellschaften zu gründen. Der persönliche Schutzbereich erfasst dabei nicht nur die natürlichen Personen, welche sich zu einem Verein zusammenschließen, sondern auch den Verband selbst in seinem
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Recht auf Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren der Willensbildung und die Führung der Geschäfte sowie das Recht auf Entstehen und Bestehen (vgl. BVerfGE 80, 244 ; stRspr). Zum Schutzbereich gehört die Gründungs- und Beitrittsfreiheit, die Freiheit des Austritts und des Fernbleibens von einem Verein (vgl. BVerfGE 50, 290 ). Dieser Schutzbereich ist, was die Beschwerdeführer zu 4) und 5) angeht, durch die Vor- 159 schriften über den Versicherungszwang im Basistarif im Ergebnis jedoch nicht betroffen. Es kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob bei großen Versicherungsvereinen, bei denen sich das gemeinsame Interesse der Mitglieder auf möglichst günstige Versicherungsbedingungen beschränkt und personale Elemente der mitgliedschaftlichen Bindung und der sozialen Gruppenbildung ohne Bedeutung sind, die zwangsweise begründete Pflicht zur Aufnahme neuer Mitglieder als Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG zu werten ist. Denn das Gesetz verpflichtet die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nicht zur Aufnahme neuer Mitglieder, sondern lediglich dazu, Versicherung im Basistarif zu gewähren, also mit einem Bewerber einen Versicherungsvertrag abzuschließen. Den Beschwerdeführern zu 4) und 5) als großen Versicherungsvereinen ist die Durchführung einer Versicherung auch außerhalb des Mitgliedergeschäfts möglich. Denn nach § 21 Abs. 2 VAG kann auf satzungsmäßiger Grundlage das Versicherungsgeschäft gegen festes Entgelt betrieben werden, ohne dass die Versicherungsnehmer Mitglieder werden (vgl. Fahr/Kaulbach/Bähr, VAG, 4. Aufl. 2007, § 22 Rn. 11; Weigel, in: Prölss, VAG, 12. Aufl. 2005, § 21 Rn. 20). Diese so genannte Nichtmitgliederversicherung ist nach der Praxis der Versicherungsaufsicht zulässig, wenn sie den Rahmen eines unbedeutenden Geschäftszweigs nicht übersteigt und maximal ein Zehntel der gesamten Beitragseinnahmen ausmacht (vgl. Weigel, a.a.O., § 21 Rn. 21 m.w.N.). Die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit haben damit grundsätzlich die Möglichkeit, den Versicherungszwang im Basistarif auch in anderer Weise als durch Begründung eines Mitgliedschaftsverhältnisses zu erfüllen. Denn jedenfalls derzeit ist nicht zu erwarten, dass die Versicherung im Basistarif bei den Unternehmen der privaten Krankenversicherung einen wesentlichen Geschäftsumfang annehmen wird. Keiner Entscheidung bedarf hier, ob sich für die Prüfung der Vorschriften über den Ver- 160 sicherungszwang im Basistarif am Maßstab des Art. 9 Abs. 1 GG etwas anderes ergibt hinsichtlich kleinerer Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die einen „dem Personenkreis nach eng begrenzten Wirkungskreis“ haben (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 VAG), bei denen das Element der personellen Beziehung zwischen den Mitgliedern also stärker zur Geltung kommt. 3. Die Vorschriften über den Basistarif verletzen die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) nicht in 161 Art. 12 Abs. 1 GG. a) Durch den Kontrahierungszwang im Basistarif wird in die Berufsfreiheit der be- 162 schwerdeführenden Unternehmen nicht unverhältnismäßig eingegriffen. aa) Art. 12 Abs. 1 GG schützt vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die be- 163 rufliche Betätigung bezogen sind (vgl. BVerfGE 116, 202 ). Einen solchen Eingriff bewirkt der Kontrahierungszwang nach § 12 Abs. 1b VAG, § 193 Abs. 5 VVG im Basistarif für die Unternehmen der privaten Krankenversicherung. bb) Der Kontrahierungszwang im Basistarif enthält eine Beschränkung der Berufsaus- 164 übungsfreiheit der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) von einigem Gewicht, die jedoch in ihrer Schwere einer Beschränkung der Berufswahlfreiheit nicht nahe kommt. Das Bundesverfassungsgericht beurteilt Einschränkungen der Berufsfreiheit grundsätzlich 165 am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und unterscheidet dabei danach, auf welcher Stufe der Berufsfreiheit die Regelung ansetzt. Reine Berufsausübungsbeschränkungen können grund-
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sätzlich durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert werden (vgl. BVerfGE 103, 1 ). Allerdings müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 108, 150 ). Hingegen sind objektive oder subjektive Berufswahlbeschränkungen – mit Abstufungen im Einzelnen – nur zum Schutz überragender Gemeinwohlgüter zulässig (vgl. BVerfGE 7, 377 ; 102, 197 ). 166
Der Kontrahierungszwang im Basistarif enthält keine Beschränkung der Berufswahlfreiheit. Durch ihn wird weder der Zugang zum Beruf eines Versicherers verhindert noch eine Pflicht zur Aufgabe des Berufs bestimmt. Die gesetzlichen Regelungen beschränken sich darauf, bei Ausübung der beruflichen Tätigkeit dem Versicherungsunternehmen vorzugeben, dass es neben seinen Normaltarifen zusätzlich einen Basistarif anbietet und dort auf Antrag Versicherungsschutz gewährt.
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Eine sinnvolle Ausübung des Berufs eines privaten Krankenversicherers wird durch die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen nicht unmöglich. Soweit Personen den Basistarif wählen, könnten die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) zwar gezwungen sein, diese im Einzelfall zu nicht risikogerechten Prämien zu versichern, weil deren Höhe begrenzt ist. Zudem ist ihnen untersagt, Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse zu vereinbaren. Die möglicherweise eintretende Unterdeckung tragen jedoch nicht die Versicherungsunternehmen, sondern die Versicherten der privaten Krankenversicherung. Denn Mehrkosten, die entstehen, weil im Basistarif auch Personen mit Vorerkrankungen versichert werden müssen, werden auf die Versicherten des Basistarifs umgelegt (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 KalV). Die Mehrkosten wiederum, welche durch die absolute Begrenzung der Beitragshöhe im Basistarif entstehen, werden zunächst durch das Verfahren des Risikoausgleichs nach § 12 g VAG zwischen den einzelnen Unternehmen gleichmäßig verteilt und sodann gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV im Wege eines Zuschlags auf die Tarife aller privat Krankenversicherten umgelegt.
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Etwas anderes ergibt sich nicht aus den von den Unternehmen geäußerten Befürchtungen, zur Finanzierung des Basistarifs seien Prämienerhöhungen in den Normaltarifen notwendig, weshalb die Prämien in der privaten Krankenversicherung insgesamt überproportional steigen würden. Dies führe in Zukunft zu erheblichem Wechsel in den Basistarif mit seinen nicht kostendeckenden Prämien und zerstöre so auf Dauer das gesamte Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung. Nach den Darlegungen der durch den Senat gehörten sachkundigen Auskunftspersonen Professor Dr. Ulrich Meyer und Professor Dr. Bert Rürup kann jedenfalls derzeit ausgeschlossen werden, dass viele Versicherte in den Basistarif wechseln werden. Denn für diesen Tarif muss eine hohe Prämie von rund 570 Euro monatlich gezahlt werden. Gleichzeitig bietet der Basistarif in seinen zentralen Leistungen nicht den üblichen Leistungsumfang der Normaltarife der privaten Krankenversicherung. Der Vergütungsanspruch des behandelnden Arztes im Basistarif wird durch § 75 Abs. 3a SGB V auf den maximal 1,8fachen Gebührensatz der Gebührenordnung für Ärzte begrenzt und liegt damit erheblich unter dem, was bei der Behandlung von Privatpatienten üblicherweise abgerechnet wird, sodass der Versicherungsnehmer bei einem Wechsel in den Basistarif befürchten muss, dass er die als Privatpatient gewohnte Behandlung nicht mehr erfährt. Die vom Basistarif abgedeckten Leistungen nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben zudem vielfach hinter dem normalen Leistungsumfang der privaten Krankenversicherung zurück. So kennt die gesetzliche Krankenversicherung zahlreiche Leistungsausschlüsse und Leistungsbeschränkungen für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel und bei zahnärztlicher Behandlung. Bei Krankenhausbehandlung ist der Anspruch auf allgemeine Behandlungsleistungen beschränkt, während die private Krankenversicherung im Normaltarif etliche Zusatzleistungen (Ein- oder Zweibettzimmer, Chefarztbehandlung) bietet. Der reduzierte Versicherungsschutz des Basis-
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tarifs kann durch Zusatzversicherungen nur in Teilen ausgeglichen werden, die zudem weitere Kosten verursachen. Die von den beschwerdeführenden Unternehmen angeführten Beispiele, mit denen die Attraktivität solcher Kombinationen aus Basis- und Zusatzversicherung gezeigt werden soll, sind demgegenüber wenig realitätsnah. So erscheint die Annahme, dass ältere Versicherungsnehmer nach vielen Versicherungsjahren in einem Normaltarif für geringfügige finanzielle Vorteile in den Basistarif eines anderen Unternehmens wechseln und bei ihrer alten Versicherung nur noch eine Zusatzversicherung fortführen, sehr fernliegend. Angesichts dessen gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Basistarif in seiner jetzigen Form die 169 beschwerdeführenden Unternehmen in ihrer Berufsfreiheit schwerwiegend, in einer Berufswahlbeschränkungen gleich- oder nahekommenden Weise beeinträchtigt. Zwar äußern die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) die Befürchtung, dass sich dies in Zukunft ändern wird. Der Gesetzgeber geht jedoch davon aus, dass eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der privaten Krankenversicherung durch den Basistarif auch für die Zukunft auszuschließen ist. Es ist zunächst Sache des Gesetzgebers, die künftige Entwicklung von Sachverhalten zu beurteilen und die Auswirkungen der von ihm getroffenen Regelungen hierauf zu prognostizieren. Dabei kommt dem Gesetzgeber ein weiter Prognose- und Einschätzungsspielraum zu. Das Bundesverfassungsgericht überprüft derartige Prognosen daraufhin, ob sie auf hinreichend gesicherter Grundlage beruhen. In Abhängigkeit von dem zu regelnden Sachbereich und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter können hierbei differenzierte Maßstäbe zur Anwendung kommen, die von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen (vgl. BVerfGE 50, 290 m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann nicht gefordert werden, dass die Auswirkungen des Gesetzes mit 170 hinreichender Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit übersehbar sein müssen. Es genügt, dass der Gesetzgeber schwerwiegende Beeinträchtigungen des Geschäftsmodells der privaten Krankenversicherung durch den Basistarif in seiner jetzigen Form auch für die Zukunft mit vertretbaren Argumenten verneint. Der Basistarif verändert zwar in Teilbereichen die Marktbedingungen der privaten Krankenversicherung, lässt aber ihr grundsätzliches Geschäftsmodell unberührt; er soll auf der Grundlage einer Versicherungspflicht lediglich den Versicherungsschutz der privaten Krankenversicherung auch für solche Personen sicherstellen, die nicht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind und unter den Bedingungen von Vertragsfreiheit ansonsten keinen oder keinen ausreichenden Versicherungsschutz erlangen könnten. Angesichts der Erfahrungen mit dem bisherigen Standardtarif der privaten Krankenversicherungen, in dem sehr wenige Personen versichert waren, dem relativ kleinen Kreis bisher unversicherter Personen und den wenig attraktiven Versicherungsbedingungen des neuen Basistarifs konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass der Basistarif auf absehbare Zeit keine bedeutsamen Auswirkungen auf das Geschäft der privaten Krankenversicherungen haben wird. Dass es langfristig zu erheblichen, für die Beschwerdeführer nicht verkraftbaren Wechselbewegungen in den Basistarif kommen könnte, ist unter Berücksichtigung der Vielzahl der hierfür bedeutsamen rechtlichen, ökonomischen und demographischen Faktoren und individuellen Verhaltensweisen derzeit nicht vorhersehbar. Dass der Gesetzgeber bei seiner Prognose von unvertretbaren Annahmen ausgegangen wäre, ist nicht erkennbar. Wenn er sich auf dieser Grundlage für die angegriffene Regelung entschieden hat, ist die damit verbundene Beurteilung der Auswirkungen des Gesetzes als vertretbar anzusehen, mag sie sich später auch ganz oder teilweise als Irrtum erweisen (vgl. BVerfGE 50, 290 ). In diesem Fall wäre er dann gegebenenfalls zur Korrektur verpflichtet. cc) Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) ist durch 171 beachtliche Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt. Für das im GKV-Wettbewerbsstärkungs-
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gesetz formulierte Ziel, allen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen oder in der privaten Krankenversicherung zu sichern, kann sich der Gesetzgeber auf das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG berufen. Der Schutz der Bevölkerung vor dem Risiko der Erkrankung ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Kernaufgabe des Staates. Die gesetzgeberische Absicht, einen Krankenversicherungsschutz für alle Einwohner zu schaffen, ist von dem Ziel getragen, ein allgemeines Lebensrisiko abzudecken, welches sich bei jedem und jederzeit realisieren und ihn mit unabsehbaren Kosten belasten kann. Es ist ein legitimes Konzept des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers, die für die Abdeckung der dadurch entstehenden Aufwendungen notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 103, 197 ). 172
dd) Die Verbindung von Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG und Kontrahierungszwang im Basistarif nach § 193 Abs. 5 VVG ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet, dem der privaten Krankenversicherung zugewiesenen Personenkreis einen ausreichenden und bezahlbaren Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten. Die betroffenen Personen erhalten einen Anspruch auf den Abschluss eines Vertrags, der Versicherungsschutz im Umfang der Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung garantiert. Dieser Versicherungsschutz ist bezahlbar, weil die Prämienhöhe im Basistarif auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist und sich im Fall des Eintritts von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder des SGB XII reduziert.
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ee) Ein milderes Mittel als der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang zu Lasten der Versicherungsunternehmen ist nicht erkennbar, um für den betroffenen Personenkreis einen Krankenversicherungsschutz sicherzustellen. Ohne den Kontrahierungszwang hätten insbesondere Personen mit gravierenden Vorerkrankungen keine Möglichkeit, in eine private Krankenversicherung aufgenommen zu werden, weil diese sie wegen des erhöhten Risikos nicht aufnehmen würde. Zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels sind sowohl Versicherungspflicht als auch Kontrahierungszwang erforderlich.
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Zwar könnte eine angemessene medizinische Versorgung auch durch direkte staatliche Finanzierung gesichert werden. Der Gesetzgeber ist jedoch nicht gehalten, von einer finanziellen Belastung einer bestimmten Gruppe abzusehen, wenn die Belastung in der einen oder anderen Weise über den öffentlichen Haushalt auch der Allgemeinheit auferlegt werden könnte (vgl. BVerfGE 30, 292 ; 81, 156 ; 85, 226 ).
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Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, sämtliche Personen, welche in der privaten Krankenversicherung keinen Versicherungsschutz finden oder ihn verloren haben, der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuweisen. Dies würde zu einer einseitigen Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Sie müsste dann alle Personen aufnehmen, die wegen ihrer schlechten Risiken von den privaten Krankenversicherungen bisher abgewiesen wurden. In der Folge könnten die privaten Krankenversicherungen Risikoselektion mit dem Ziel betreiben, die Kostenlast solcher schlechten Risiken den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung aufzubürden. Eine derartig einseitige Risikoverteilung sieht die Verfassung nicht vor. Der Gesetzgeber kann, wenn er eine Volksversicherung aus zwei Versicherungssäulen schafft, die Personengruppen diesen beiden in einer ausgewogenen Lastenverteilung zuordnen (vgl. BVerfGE 103, 197 ) und damit die finanzielle Stabilität und die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sichern (vgl. BVerfGE 103, 172 ).
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ff) Die Verpflichtung der Krankenversicherungsunternehmen, dem in § 12 Abs. 1b Satz 1 VAG, § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG genannten Personenkreis Versicherungsschutz im Basistarif zu gewähren, überschreitet nicht das Maß des Zumutbaren. Das Ziel, allen Einwohnern bezahl-
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baren Versicherungsschutz für die gesamte Bevölkerung zu ermöglichen, besitzt einen hohen Stellenwert. Den Versicherungsunternehmen wird dabei eine Aufgabe übertragen, die zu ihrer ureigenen Geschäftstätigkeit gehört. Dem privaten Krankenversicherungsrecht sind angesichts seiner existenziellen Bedeutung für die Versicherungsnehmer Einschränkungen der Berufsfreiheit der Versicherer traditionell eigen und werden in der hohen Regelungsdichte der Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes und des Versicherungsaufsichtsgesetzes deutlich. Einschränkungen der Autonomie der Versicherungsunternehmen in Bezug auf die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern kennt das Recht seit langem (vgl. §§ 198, 206 VVG). gg) Der Versicherungszwang ist nicht hinsichtlich einzelner Personengruppen, die zur 177 Versicherung im Basistarif berechtigt sind, unzumutbar. Dies gilt für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert 178 oder zur freiwilligen Krankenversicherung berechtigt sind (§ 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 VVG). Zwar ist dieser Personenkreis nicht auf die private Versicherung im Basistarif angewiesen, um überhaupt einen Risikoschutz zu erhalten. Die Öffnung des Basistarifs für diesen Personenkreis ist aber gerechtfertigt, weil sie deren Wahl- und Wechselmöglichkeiten stärkt, den dualen Aufbau der Krankenversicherung aus gesetzlichen und privaten Trägern festigt und die Lasten zwischen ihnen gerecht verteilt. Denn Personen mit guten Risiken, deren Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung endet - etwa weil sie sich selbständig machen - wählen eher den Weg in die für sie möglicherweise attraktivere private Krankenversicherung, während Personen mit schlechten Risiken eher in der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben, weil sie in die private Krankenversicherung gar nicht, nur mit Risikozuschlägen oder unter Leistungsausschlüssen aufgenommen werden. Vor diesem Hintergrund ist es legitim, Personen auch mit schlechten Risiken, die über der Pflichtversicherungsgrenze liegen, durch Kontrahierungszwang im Basistarif den Zugang zur privaten Krankenversicherung zu verschaffen. Die Belastung der privaten Unternehmen infolge dieser Regelung dürfte zudem äußerst gering sein. Es sind kaum Fälle denkbar, in denen sich für einen freiwillig Versicherten oder Versicherungsberechtigten der gesetzlichen Krankenversicherung der Wechsel in den Basistarif lohnt, weil dessen Leistungen nur dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, hierfür aber regelmäßig der in der gesetzlichen Krankenversicherung zulässige Höchstbeitrag aufzuwenden ist. Der Versicherungszwang im Basistarif ist den privaten Unternehmen ferner bei solchen 179 Personen zumutbar, die bei einem anderen Versicherungsunternehmen vorsätzlich Vertragspflichten verletzt haben (§ 193 Abs. 5 Satz 4 VVG, § 12 Abs. 1b Satz 4 VAG). Ein Ablehnungsrecht in diesen Ausnahmefällen hätte zur Folge, dass solchen Personen der Zugang zur privaten Krankenversicherung voraussichtlich gänzlich verschlossen wäre, weil sich kein Unternehmen bereit erklären würde sie aufzunehmen. Der Gesetzgeber durfte das Ziel eines lückenlosen Versicherungsschutzes insoweit höher gewichten als die Interessen der Beschwerdeführer, zumal die Vertragsverletzung nicht in der Sphäre des aufnahmepflichtigen Unternehmens, sondern bei einem Dritten stattgefunden hat. Allein die Sorge, dass sich ein solches Verhalten wiederholen könnte, stellt keinen verfassungsrechtlich zwingenden Grund dar, um generell die Aufnahme in eine private Versicherung abzulehnen, bei der Gesichtspunkte eines besonderen, personal geprägten Vertrauensverhältnisses in der Regel keine Rolle spielen. b) Auch die übrigen Regeln zum Inhalt des Basistarifs verletzen die Berufsfreiheit der 180 Beschwerdeführer zu 1) bis 5) nicht. aa) Der durch § 12 Abs. 1c VAG vorgegebene Höchstbeitrag im Basistarif, verbunden mit 181 dem Verbot, Vorerkrankungen bei der Beitragsberechnung einzukalkulieren, verfolgt das legitime Gemeinwohlinteresse, für den durch § 193 Abs. 3 VVG der Versicherungspflicht in der
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privaten Krankenversicherung unterworfenen Personenkreis einen bezahlbaren Vollversicherungsschutz in der privaten Krankenversicherung sicherzustellen. 182
Die Anordnung einer Beitragshöchstgrenze ist für die betroffenen Unternehmen zumutbar. Sie könnte zwar zur Folge haben, dass bei bestimmten Versicherten kein risikoäquivalenter Beitrag mehr gezahlt würde und der Basistarif möglicherweise subventioniert werden müsste. Wegen der Umlage dieser nicht gedeckten Kosten auf die Normaltarife der Privatversicherten begründet dies jedoch für die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) keine bedeutsame Belastung. Für den Versicherungsnehmer führt dieser Umlagemechanismus zwar zu einem höheren Beitrag; dies trifft jedoch aufgrund des Verteilungssystems nach § 12 g VAG alle Unternehmen gleichermaßen und ändert ihre Wettbewerbssituation nicht.
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Soweit die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) darauf hinweisen, der Basistarif stehe nicht allein bedürftigen Personen, sondern jedem Versicherten der privaten Krankenversicherung offen, ist dies nicht geeignet, die Zumutbarkeit der Beitragsbegrenzung in Zweifel zu ziehen. Die Befürchtung, dass Normal- oder Geringverdiener im Normaltarif der privaten Krankenversicherung künftig Gutverdiener im Basistarif subventionieren, wird nach der Einschätzung der angehörten Finanzwissenschaftler, an deren Prognose zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat, nicht eintreten. Nach ihr dürfte der Basistarif nur von solchen Versicherten genutzt werden, die wegen gesteigerter Krankheitsrisiken keinen bezahlbaren Versicherungsschutz erhalten würden oder die aufgrund der Beitragsentwicklung in ihrem Normaltarif so hoch belastet sind, dass sie sich zum Wechsel in den leistungsschwächeren Basistarif entschließen. Die Annahme, ein Gutverdiener würde sich aus Gründen der Beitragsminimierung freiwillig zum Wechsel in den Basistarif mit seinem geringeren Leistungsangebot entschließen, erscheint nach dieser Prognose unrealistisch.
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bb) Auch die in § 12 Abs. 1c Satz 4 bis 6 VAG vorgesehenen Beitragsbegrenzungen bei Hilfebedürftigkeit sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie sind nach der Einführung von Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang in der privaten Krankenversicherung unerlässlich, um für Personen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen die Normaltarife nicht leisten können, dennoch eine private Krankenversicherung zu ermöglichen. Die Grenzen tragen der eingeschränkten Leistungsfähigkeit dieser Personengruppe Rechnung. Den Unternehmen sind sie wegen der gleichmäßigen Umverteilung der deswegen nicht gedeckten Kosten auf alle Unternehmen und deren anschließende Umlage auf die Versicherten der Normaltarife sowie der teilweisen Kostenübernahme durch öffentliche Träger zumutbar.
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cc) Verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist die den privaten Krankenversicherungsunternehmen auferlegte Pflicht, den Basistarif branchenweit einheitlich mit einem Leistungsumfang anzubieten, der in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB V, auf die ein Anspruch besteht, vergleichbar ist (§ 12 Abs. 1a Satz 1 VAG). Ein für alle Unternehmen einheitlich ausgestaltetes Leistungsniveau ist erforderlich, weil bei einem Tarif mit Kontrahierungszwang, in dem die privaten Krankenversicherungsunternehmen auch Personen mit erhöhten Risiken zu möglicherweise nicht risikoäquivalenten Beiträgen versichern müssen, ansonsten die Gefahr bestünde, dass die Unternehmen den Tarif unzureichend ausgestalten und auch bedeutende Gesundheitsrisiken nicht ausreichend versichern. Es liegt insoweit im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ein für gesetzliche wie private Versicherte im Grundsatz einheitliches, alle wesentlichen Krankheitsfälle befriedigend abdeckendes Versorgungsniveau festzulegen. Dabei lässt das Gesetz mit seiner Vorgabe, dass der durch den Verband der privaten Krankenversicherung festzulegende Leistungsumfang mit den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung „vergleichbar“ sein muss, genügend Spielraum für eine Konkretisierung des Leistungsrechts im Basistarif unter Berücksichtigung
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der Besonderheiten der privaten Krankenversicherung und schafft keineswegs einen Zwang, sämtliche Detailregelungen aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung in den Basistarif zu überführen. dd) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) gibt es demgegenüber keine 186 verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, den Basistarif auf eine minimale Grundsicherung zu beschränken. Verfassungsrechtlich problematisch könnten inhaltliche Vorgaben an einen Basistarif nur dann werden, wenn die Unternehmen gezwungen würden, dafür Leistungen zu erbringen, die den Basistarif im Vergleich zu den Normaltarifen der privaten Krankenversicherung für eine große Zahl von Kunden attraktiv erscheinen ließen, dieser jedoch aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht kostendeckend wäre. Würde in diesem Falle der Basistarif wegen eines attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnisses einen Wechsel von den Normaltarifen in den Basistarif in großem Umfang auslösen, stellte sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit den grundrechtlichen Freiheiten der privaten Versicherungsunternehmen erneut und auf anderer Faktengrundlage. Dies ist wegen der ungünstigen Gesamtkonditionen des Basistarifs derzeit aber, soweit absehbar, nicht der Fall. Denn der Basistarif bleibt in den zentralen Leistungen hinter dem üblichen Leistungsumfang der Normaltarife der privaten Krankenversicherung zurück. c) Der Basistarif stellt sich damit insgesamt als eine zulässige, sozialstaatliche Indienst- 187 nahme der privaten Krankenversicherungsunternehmen zum gemeinen Wohl dar (vgl. BVerfGE 30, 292 ), die der mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz angestrebten Vollfunktionalität der privaten Krankenversicherung für alle ihr zugewiesenen Versicherten dient und sicherstellt, dass die von Krankheit am stärksten betroffenen Personen unter den Bedingungen risikoäquivalent berechneter Prämien bezahlbaren und gleichwohl ausreichenden Versicherungsschutz finden. Zudem sieht der Gesetzgeber ein finanzielles Ausgleichssystem vor, um Unternehmen, welche durch Zufall eine große Zahl schlechter Risiken im Basistarif versichern, vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen. 4. Das absolute Kündigungsverbot des § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG verletzt die Grundrechte 188 der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) nicht. a) Die von den Beschwerdeführern zu 4) und 5) gerügte Verletzung von Art. 9 Abs. 1 GG 189 liegt nicht vor, weil bereits der Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit nicht berührt ist. Zwar kann ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit infolge des absoluten Kündigungsverbots das Versicherungsverhältnis nicht kündigen. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Mitgliedschaft im Verein. Der Ausschluss aus einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist nach den allgemeinen Regeln über die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch ohne eigene Grundlage in der Vereinssatzung möglich (Weigel, in: Prölss, a.a.O., § 20 Rn. 50 m.w.N.; Petersen, Versicherungsunternehmensrecht, S. 34; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Juli 1989 – II ZR 30/89 -, NJW 1990, S. 40, 42). Den Beschwerdeführern zu 4) und 5) steht die Möglichkeit offen, die Mitgliedschaft im Verein in einem solchen Fall zu beenden und nur den Versicherungsvertrag im Rahmen des Nichtmitgliedergeschäfts als Versicherung gegen feste Prämie fortzuführen. b) Die Freiheit der Berufsausübung wird durch § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht unver- 190 hältnismäßig beeinträchtigt. Das absolute Kündigungsverbot gewinnt seine Rechtfertigung aus dem Zusammenhang zwischen der durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführten Versicherungspflicht in der privaten Krankenversicherung und der damit verbundenen Intention des Gesetzgebers, die Versicherungssysteme von gesetzlicher und privater Krankenversicherung dauerhaft voneinander abzugrenzen. Der Gesetzgeber will das duale Krankenversicherungssystem erhalten und stärken; dabei soll auch die private Säule zur Vollfunktionalität
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gelangen und ihre Mitglieder in gleicher Weise wie die öffentlichrechtliche Versicherung umfassend, rechtssicher und dauerhaft absichern. Dem Gesetzgeber ging es darum, in dem weitaus häufigsten Fall der Vertragsverletzung, nämlich dem Prämienverzug, den mit einer Kündigung des Versicherungsvertrags verbundenen Verlust der Alterungsrückstellung zu verhindern (vgl. BTDrucks 16/4247, S. 68). Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Krankenversicherung um ein nicht personifiziertes Massengeschäft handelt, ist es nicht sachwidrig und zumutbar, dass der Gesetzgeber auf eine Kündigungsregelung wegen anderer Vertragsverletzungen, die nur relativ selten vorkommen, verzichtet hat. 191
5. Ebenso wenig bewirkt die Notversorgungspflicht nach § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der privaten Krankenversicherungsunternehmen.
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Nach § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG haftet der Versicherer auch während des Ruhens des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs infolge von Beitragsrückständen des Versicherten für Aufwendungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen oder Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Nach den Ausführungen der Bundesregierung soll dies einen Mindestschutz sicherstellen, der aus sozial-ethischen Gründen als unverzichtbar angesehen wird. Dies ist ein grundsätzlich legitimes gesetzgeberisches Ziel.
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Eine unzumutbare Inanspruchnahme der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) ist damit nicht verbunden. Zwar weicht die Vorschrift von den Grundsätzen des allgemeinen Zivil- und des Versicherungsvertragsrechts ab. Nach allgemeinen Regeln ist der Versicherer im Fall des Zahlungsverzugs von der Leistung frei (§ 38 Abs. 2 VVG). Demgegenüber verpflichtet § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG den Versicherer zu einer Leistung, für die er möglicherweise keine Gegenleistung erhält.
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Jedoch muss die Verpflichtung im Zusammenhang mit dem Gesamtkonzept des GKVWettbewerbsstärkungsgesetzes gesehen werden, dessen Ziel es ist, allen Privatversicherten eine Absicherung ohne Inanspruchnahme des staatlichen Fürsorgesystems zu verschaffen. Die Bundesregierung weist zutreffend darauf hin, dass die Erstreckung der Krankenversicherungspflicht auf die gesamte Bevölkerung bei einem zweigegliederten System von gesetzlicher und privater Krankenversicherung notwendig Regeln verlangt, welche eine Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen in beiden Systemen auch in sozial problematischen Fällen verhindern. Deshalb ist die Krankenversorgung in Notfallsituationen in beiden Säulen sicherzustellen; anderenfalls fehlte die Vollfunktionalität der privaten Säule. § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG spiegelt die entsprechende Regelung für freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung wider, welche bei Zahlungsverzug ebenfalls (nur) eine Notversorgung erhalten (§ 16 Abs. 3a SGB V).
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Es lässt sich nicht feststellen, dass der Zwang zur Notfallversorgung zu einer unzumutbaren Belastung der Unternehmen führen wird. Die Unternehmen tragen nur das beschränkte Risiko des Prämienausfalls; denn die Kosten der medizinischen Versorgung sind im Tarif zu Lasten der anderen Versicherten bereits kalkuliert. Dem steht der Vorteil gegenüber, dass infolge der Versicherungspflicht der privaten Krankenversicherung nunmehr ein erweiterter Kundenkreis dauerhaft zugewiesen ist. Zudem ist es – entgegen den Befürchtungen der Unternehmen – wenig wahrscheinlich, dass Versicherungsnehmer im Vertrauen auf eine Notversorgungspflicht ihres Unternehmens vorsätzlich ihre Zahlungen einstellen. Gegenüber einem zahlungsfähigen Versicherungsnehmer kann das Unternehmen seine Forderungen im Zivilrechtsweg durchsetzen. Aber auch bei Personen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist kaum anzunehmen, dass sie ihre Zahlungen einstellen; auch in Kenntnis der Notversorgungspflicht der Unternehmen werden sie
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sich fragen, ob sie weiterhin Wert auf die üblichen Leistungen im Krankheitsfall legen. Solche Fälle werden sich in der Praxis vielmehr – wie schon jetzt üblich – oft einvernehmlich, etwa durch eine Herabsetzung des versicherten Leistungsumfangs mit entsprechender Prämienminderung, lösen. Erreichen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Versicherungsnehmers ein Maß, dass Hilfebedürftigkeit im sozialhilferechtlichen Sinne eintritt, besteht gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger, die Aufwendungen für die private Krankenversicherung zu übernehmen. Bei Hilfebedürftigen, die unter das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende fallen, gilt gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II eine Zuschusspflicht des Grundsicherungsträgers zur privaten Krankenversicherung im Umfang von § 12 Abs. 1c Sätze 5 und 6 VAG. II. Die Einführung einer teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellungen ist mit dem Grundgesetz vereinbar. 1. Krankenversicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2009 abgeschlossen werden, müssen nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a VVG und § 12 Abs. 1 Nr. 5 VAG eine Portabilität der Alterungsrückstellungen in einem dem Basistarif entsprechenden Umfang vorsehen. Die bisher von den Unternehmen ausnahmslos gewählte Vertragsgestaltung, wonach bei einer Kündigung des Versicherungsvertrags kein Anspruch auf Übertragung der für den Versicherungsnehmer gebildeten Alterungsrückstellung bestand, diese also in vollem Umfang an die Versicherung „vererbt“ wurde (vgl. BGHZ 141, S. 214 ff.), ist damit für die Zukunft ausgeschlossen. a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt als Teil der Berufsfreiheit die Vertrags- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers (vgl. BVerfGE 97, 228 ). Die Vorschriften über die Portabilität greifen in diesen Freiheitsbereich ein, weil sie den Unternehmen die bisherige Vertragsgestaltung untersagen und ihnen zur Pflicht machen, im Versicherungsvertrag die Möglichkeit zur Mitnahme der Alterungsrückstellung vorzusehen. Die Vorschrift begründet damit unmittelbar und zielgerichtet Verhaltenspflichten der Versicherungsunternehmen. b) Die Einführung einer teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellungen trifft die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) in ihrer Berufsausübungsfreiheit. Ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit liegt hingegen nicht vor. Die Unternehmen werden weder an der Suche nach Kunden noch am Abschluss neuer Verträge gehindert. Zwar können die Unternehmen bei der Tarifkalkulation die „Stornowahrscheinlichkeiten“ nicht mehr prämienmindernd berücksichtigen. Dies trifft aber alle auf dem Markt tätigen Unternehmen in gleicher Weise.
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Die Einführung der teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellungen hat möglicherweise 200 nachteilige Auswirkungen auf einzelne Unternehmen, sollte es bei ihnen in Zukunft zu einem verstärkten Weggang von Versicherten mit guten Risiken und damit zu der befürchteten Risikoselektion in ihrem Versichertenbestand kommen. Dies ist für die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) aber weder vorhersehbar noch unausweichlich. Die Unternehmen können in Zukunft wechselbereite Versicherungsnehmer gleichermaßen gewinnen wie verlieren. Zudem kann, wie Professor Dr. Bert Rürup dargelegt hat, bei einem Nettoneuzugang von Privatversicherten von zuletzt knapp 60.000 Personen im Jahr 2007 im Verhältnis zu einem Bestand von 8,55 Millionen Versicherten in der privaten Krankenvollversicherung ein kritisches Potential für Risikoselektionsprozesse allenfalls längerfristig entstehen; in überschaubarer Zukunft, welche der Senat hier allein beurteilen kann, sind solche Entwicklungen nicht zu befürchten. c) Für die Einführung einer teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellungen kann sich 201 der Gesetzgeber auf legitime Gemeinwohlinteressen berufen.
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aa) Die Alterungssrückstellung hat in der privaten Krankenversicherung nicht den Charakter eines konkreten, dem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordneten Eigentumsrechts. Bei der Bildung von Alterungsrückstellungen handelt es sich nicht um einen individuellen Sparvorgang, sondern um eine auf kollektiver Risikokalkulation beruhende Kapitalsicherstellung zur Finanzierung des Risikos einer altersbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes und erhöhter Krankheitskosten (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2006 – III ZR 228/05 –, VersR 2006, S. 1072, 1073 m.w.N.). Während bei der Überschussbeteiligung und beim Rückkaufswert von kapitalbildenden Lebensversicherungen neben dem Risikoanteil ein beständig wachsender, individueller Sparanteil aufgebaut wird, der während der gesamten Vertragslaufzeit in konkreter Höhe beziffert werden kann und zum Abschluss der Vertragslaufzeit ausgezahlt wird (vgl. BVerfGE 114, 1 ff.; 73 ff. ), stellt die Alterungsrückstellung lediglich einen Kalkulationsposten dar (vgl. Scholz, in: Festschrift für Maydell, 2002, S. 636, 643; Bieback/Brockmann/Goertz, ZVersWiss 2002, S. 471, 477). 203 bb) Der Gesetzgeber verfolgt mit der Portabilität der Alterungsrückstellung das Ziel, im Markt der privaten Krankenversicherungen einen funktionierenden Wettbewerb herzustellen und den Versicherten einen Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen zu erleichtern. Die beschwerdeführenden Unternehmen räumen selbst ein, dass es für Bestandskunden der privaten Krankenversicherung ab einem gewissen Alter bisher praktisch unmöglich war, ihre Krankenversicherung zu wechseln, weil der damit verbundene Verlust der Alterungsrückstellungen dazu führte, dass ein neuer Versicherer seine Kalkulationen ohne diese Rücklage vornehmen musste und deshalb erhöhte Prämien verlangte. Dadurch beschränkte sich der Wettbewerb zwischen den Unternehmen auf den Neuzugang jüngerer Versicherungsinteressenten in die private Krankenversicherung sowie auf Versicherte anderer Unternehmen der privaten Krankenversicherung mit kürzerer Versicherungsdauer. Der bei Wechsel in eine andere Versicherung dem Versicherungsnehmer drohende Verlust der Alterungsrückstellung schirmte den Versicherer praktisch gegen Kündigungen ab und minderte zugleich die Chancen anderer Versicherer, neue Kunden zu gewinnen (vgl. Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privaten Krankenversicherung im Alter vom 18. Juni 1996, BTDrucks 13/4945, S. 42 ff.; Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004, S. 143 f., www.bmj.bund.de/ media/archive/647.pdf). Zugleich hinderte ein Fehlen der Portabilität mit zunehmendem Alter den Versicherten daran, zu einem anderen Versicherungsunternehmen zu wechseln. 204
d) Die Einführung einer teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellung ist geeignet, die Wechselmöglichkeiten der Versicherungsnehmer und damit den Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu verbessern. Zwar werden die Wechselchancen eines Versicherten mit erhöhtem Krankheitsrisiko auch durch die Mitgabe eines Teils der Alterungsrückstellung nicht erheblich verbessert, weil der Betreffende in einem Normaltarif keinen aufnahmebereiten Versicherer finden wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Portabilität grundsätzlich die Wechselmöglichkeiten fördert.
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e) Ein anderes Mittel, das die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) weniger belasten würde, ist nicht zu erkennen. Ihre Auffassung ist unzutreffend, es sei zur Wettbewerbsverbesserung gleichermaßen wirksam, die Unternehmen zu verpflichten, den Versicherungsnehmern sowohl Tarife mit portablen als auch mit nicht portablen Alterungsrückstellungen anzubieten, sodass Versicherungsnehmer, die Wert auf Flexibilität legten, die Wahl hätten. Denn es liegt nahe, dass damit eine den Wettbewerb anregende Wechselmöglichkeit nur für einen Teil der Versicherten geschaffen würde. Auch bestünde die Gefahr, dass Tarife mit portablen Alterungsrückstellungen von den Unternehmen unattraktiv gestaltet würden, da sie ökonomisch kein Interesse
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daran haben, Tarife anzubieten, welche ihren Kunden unter günstigen Bedingungen einen Wechsel zur Konkurrenz ermöglichen. f) Die Einführung einer teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellung stellt keinen 206 wegen der Gefahr einer Risikoselektion im Bestand der Unternehmen unzumutbaren Eingriff dar. Zwar setzt die dauerhafte Erfüllbarkeit der Krankenversicherungsverträge durch die Un- 207 ternehmen jedenfalls im Grundsatz voraus, dass sich unter ihren Versicherungsnehmern in ausreichendem Maße solche mit guten Risiken befinden. Ein stetiges Abwandern von Versicherten mit guten Risiken mit der Folge, dass in einem Unternehmen nur noch Menschen mit schlechten Risiken und hohen Krankheitskosten versichert sind, könnte insofern letztlich bis hin zur Insolvenz des Unternehmens führen. In der Reformdiskussion der Vergangenheit wurden deshalb Modelle abgelehnt, die eine Übertragbarkeit der vollen kalkulierten Alterungsrückstellung vorsahen, weil sie die Gefahr einer „unvertretbaren Risikoselektion und Entmischung“ in sich tragen würden (vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, S. 143 ff.). Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sieht jedoch nicht die Übertragung der vollen 208 kalkulierten Alterungsrückstellung, sondern lediglich deren Übertragung im Umfang der dem Basistarif entsprechenden Leistungen vor. Bei einem Versichererwechsel wird daher auch unter der Geltung des neuen Rechts ein erheblicher Anteil der für den Versicherungsnehmer in seinem Normaltarif gebildeten Alterungsrückstellung bei dem bisherigen Unternehmen verbleiben. Diese verbleibenden Alterungsrückstellungen kann der Versicherungsnehmer lediglich für Zusatzversicherungen bei seinem bisherigen Versicherer nutzen (§ 204 Abs. 1 Satz 2 VVG). Die Neuregelung erhöht zwar das Risiko einer Abwanderung von Versicherten, bietet aber auch gesteigerte Chancen, durch Wechsel Kunden hinzuzugewinnen. Der Wettbewerb zwischen den Versicherungsunternehmen wird damit auf verträgliche Weise gefördert. Die faktisch lebenslange Bindung an einen Versicherer ist, anders als die Beschwerdeführer 209 behaupten, kein von den Versicherungsnehmern bei Vertragsschluss akzeptierter Teil der Versicherungsbedingungen. In der Regel dürfte sie Versicherungsnehmern erst bewusst werden, wenn sie sich nach einer längeren Vertragszeit um einen Versicherungswechsel bemühen und dabei feststellen, dass dies wirtschaftlich nahezu ausgeschlossen ist. Die gegenwärtige Lage schafft Fehlanreize für die Unternehmen, da sie sich um ihre Bestandskunden praktisch nicht zu kümmern brauchen und deren Weggang ihnen sogar wirtschaftliche Vorteile verschafft (vgl. Terhorst, Wahlfreiheit und Wettbewerb in der privaten Krankenversicherung, S. 127 ff.). Die gesetzliche Neuregelung fördert insofern mehr Kundenorientierung, führt zu mehr 210 Vertragsparität und stärkt die Selbstbestimmung der gegenüber den Versicherern strukturell benachteiligten Versicherungsnehmer in einer den Unternehmen zumutbaren Weise. 2. Die zeitlich auf das erste Halbjahr 2009 begrenzte Einführung einer teilweisen Portabilität 211 bei Verträgen, die vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossen worden sind (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG), ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. a) Die Vorschrift enthält keinen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. 212 Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Entscheidend aber ist, dass der von der Rückwirkung betroffene Tatbestand vor der Verkündung des Gesetzes nicht nur begonnen hat, sondern bereits abgewickelt war. Dagegen liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet (vgl. BVerfGE 101, 239 ).
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Während echte Rückwirkungen vom Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich untersagt sind, bleiben unechte Rückwirkungen hingegen in der Regel zulässig, müssen sich aber im Schutzbereich des jeweils betroffenen Grundrechts anhand der allgemeinen Grundsätze für die Einschränkung dieses Freiheitsrechts legitimieren (vgl. BVerfGE 101, 239 ) 213
Die angegriffene Vorschrift des § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG entfaltet keine echte Rückwirkung. Das Gesetz greift nicht in einen vor dem Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes am 1. April 2007 bereits abgeschlossenen Tatbestand rückwirkend ein. Die Wirkung des Gesetzes beschränkt sich darauf, im Fall der Kündigung eines vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossenen, zur Zeit noch laufenden Versicherungsvertrages im ersten Halbjahr 2009 das Versicherungsunternehmen zur Mitgabe der kalkulierten Alterungsrückstellung im Umfang des Basistarifs zu verpflichten. Das Gesetz knüpft also an ein in der Vergangenheit begründetes Vertragsverhältnis an, bestimmt Rechtsfolgen aber nur für die Zukunft. Die nach bisheriger Rechtslage im Unternehmen verbleibenden Alterungsrückstellungen begründen bei Ausübung des vertraglichen Kündigungsrechts in der Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Zahlung eines Geldbetrages. Dem Versicherungsunternehmen wird keine Pflicht auferlegt, vom Versicherungsnehmer bereits entrichtete Prämienanteile für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zurückzuzahlen. 214 b) Die Pflicht zur teilweisen Übertragung der Alterungsrückstellung bei „Altverträgen“ nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG stellt keinen Eingriff in das gemäß Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum der Versicherungsunternehmen dar. 215
Zu den schutzfähigen Rechtspositionen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG gehören alle vermögenswerten Rechte, die das Recht einem privaten Rechtsträger so zuordnet, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf (vgl. BVerfGE 83, 201 ; 89, 1 ). Dem Grundrechtsträger soll ein Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich gesichert werden, die Rechtsposition soll als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem privatem Interesse von Nutzen sein (vgl. BVerfGE 100, 226 ; 102, 1 ).
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Hier fehlt es bereits an einem Eingriff in ein konkretes vermögenswertes Recht der Unternehmen. Die Annahme der Beschwerdeführer zu 1) bis 5), durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG werde in das Eigentum des Unternehmens am Sicherungsvermögen eingegriffen, trifft nicht zu. Das Gesetz ordnet an, dass an das aufnehmende Unternehmen „die kalkulierte Alterungsrückstellung des Teils der Versicherung, dessen Leistungen dem Basistarif entsprechen“, zu übertragen ist. Damit wird dem Unternehmen eine Geldzahlungspflicht gegenüber dem neuen Versicherer auferlegt. Das Sicherungsvermögen dient der Erfüllung der vertraglichen Ansprüche der Versicherungsnehmer und ist deshalb besonderen Schutzvorschriften unterworfen. Das Unternehmen darf darauf nur zugreifen, wenn durch den Weggang des Versicherungsnehmers das zur Abdeckung aller Leistungsansprüche der übrigen Versicherten benötigte Sicherungsvermögen kalkulatorisch geringer geworden ist (vgl. § 77 Abs. 1 VAG, § 66 Abs. 1a VAG). Auch Zahlungsansprüche Dritter geben ihm keine Befugnis, das Sicherungsvermögen zu vermindern.
217
Die Höhe der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämie wird durch die Vorschrift § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG nicht beeinflusst. Auch schafft die Vorschrift kein neues, den Prämienanspruch des Versicherers entwertendes Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers, sondern lediglich eine Geldzahlungspflicht bei Wahrnehmung der schon nach bisherigem Recht bestehenden vertraglichen Kündigungsmöglichkeit.
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Ebenso wenig begründet die angegriffene Vorschrift einen Eingriff in das Recht am ein- 218 gerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ungeachtet der Frage, ob die Eigentumsgarantie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb umfasst, schützt sie nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern (vgl. BVerfGE 68, 193 ; 84, 212 ; 96, 375 ). Die Einführung eines Anspruchs auf Übertragung eines Teils der Alterungsrückstellung bei Kündigung des Versicherungsvertrags greift in einen solchen konkreten Bestand an Rechten und Gütern der Versicherungsunternehmen nicht ein, weil er lediglich eine Zahlungspflicht der Unternehmen begründet. c) Hingegen greift § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG in die von Art. 12 Abs. 1 GG 219 geschützte berufsbezogene Vertragsfreiheit der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) ein. § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG ist allerdings als lediglich gering belastende 220 Berufsausübungsregelung zu qualifizieren. Die Vorschrift trifft sämtliche Unternehmen der privaten Krankenversicherung in gleicher Weise. Kündigt ein Versicherungsnehmer, um in den Basistarif einer anderen Versicherung zu wechseln, muss sein bisheriger Versicherer zwar an den neuen Versicherer eine Geldleistung erbringen. Der Versicherer kann aber im Gegenzug ebenfalls Kunden gewinnen, welche einen Teil ihrer Alterungsrückstellung mitbringen. Auch sind die Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen gleich, da der Basistarif bei allen Unternehmen sowohl hinsichtlich des Leistungsangebots als auch hinsichtlich der Prämienkalkulation kraft Gesetzes ein identisches Produkt bildet. Die von den beschwerdeführenden Unternehmen angenommene Gefahr einer die Funkti- 221 onsfähigkeit der Versicherungen gefährdenden Risikoselektion durch starke Abwanderung von Versicherten mit guten Risiken im ersten Halbjahr 2009 durfte vom Gesetzgeber als gering eingestuft werden. Denn die durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG geschaffene Möglichkeit der Mitnahme eines Teils der Alterungsrückstellung bedeutet für die Bestandskunden der privaten Krankenversicherung keine wesentliche Verbesserung ihrer Wechseloptionen. Am ehesten dürfte sie die Wechselmöglichkeiten von Personen verbessern, die aufgrund ihrer hohen Krankheitskosten bisher überhaupt keine Möglichkeit eines Versicherungswechsels hatten und nunmehr außer in den Basistarif des eigenen auch in den Basistarif eines anderen Unternehmens wechseln können. Ökonomisch bedeutet der Weggang von Versicherten mit schlechten Risiken für die Unternehmen jedoch einen Gewinn, selbst wenn sie den betreffenden Versicherungsnehmern einen Teil ihrer Alterungsrückstellung mitgeben müssen. Für wechselwillige Personen mit guten oder zumindest durchschnittlichen Risiken bringt 222 § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG hingegen keinen bedeutsamen Gewinn an Wahlund Wechselmöglichkeiten. Denn die Mitnahme eines Teils der Alterungsrückstellung wird lediglich in den Basistarif ermöglicht, nicht in Normaltarife eines anderen Versicherungsunternehmens. Der Basistarif ist für den durchschnittlichen Versicherten der privaten Krankenversicherung jedoch wegen seines schlechteren Leistungsniveaus bei gleichzeitig hoher Prämie ökonomisch in der Regel nicht interessant. Die von den beschwerdeführenden Unternehmen als Anreiz zum Wechsel beanstandete 223 Möglichkeit, aus dem Basistarif sofort in den Normaltarif des aufnehmenden Unternehmens zu wechseln, ist durch die Rechtsentwicklung mittlerweile unterbunden worden. Aufgrund von § 13 Abs. 1a KalV in der seit dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung wird Altversicherten der privaten Krankenversicherung, die im ersten Halbjahr 2009 gemäß § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG zu einem anderen Unternehmen in den Basistarif wechseln, bei einem nachfolgenden Wechsel in einen anderen Krankenvolltarif des neuen Unternehmens die mitgebrachte Alterungsrückstellung nur dann prämienmindernd angerechnet, wenn sie vorher eine Wartezeit von 18 Monaten im Basistarif verbracht haben. Für einen wechselwilligen Versi-
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cherungsnehmer hat das zur Folge, dass er 18 Monate lang im Basistarif des neuen Unternehmens zu den Leistungsbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben muss, bevor er in einen Normaltarif wechseln kann. Während dieser Zeit muss er den für den Basistarif kalkulierten Beitrag von rund 570 Euro monatlich zahlen. Angesichts dieser unattraktiven Bedingungen gibt es keinen realen Anhalt dafür, dass es innerhalb des kurzen Zeitraums von sechs Monaten zu nennenswerten Versicherungswechseln kommen wird. 224
Als gering belastende Berufsausübungsregelung ist § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG durch das Ziel der Schaffung einer wettbewerblichen Situation bei dem Wechsel in den Basistarif legitimiert (vgl. BVerfGE 103, 1 ; stRspr). Diese Wirkung kann § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG ungeachtet der tatsächlich nur gering erweiterten Wechseloptionen der Versicherungsnehmer haben, weil es die Unternehmen zwingt, ihren Kunden die Vorteile eines Verbleibs im eigenen Unternehmen zu verdeutlichen und ihnen gegebenenfalls neue Vertragsoptionen aufzuzeigen. III.
225
1. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Fassung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz verletzt den Beschwerdeführer zu 8) nicht in Grundrechten. 226 a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig. Allerdings trat nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der bis zum 1. Februar 2007 geltenden Fassung Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung für diejenigen Arbeiter und Angestellten ein, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze überstieg. Hierbei galt eine vorausschauende Betrachtungsweise. War bei erstmaliger Aufnahme einer Beschäftigung abzusehen, dass das vereinbarte Jahreseinkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze voraussichtlich überschreiten werde, war der betreffende Arbeitnehmer versicherungsfrei, so dass Berufsanfänger mit entsprechenden vorhersehbaren Jahreseinkommen nicht versicherungspflichtig waren (Peters, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand August 2008, § 6 SGB V Rn. 18). Hiernach wäre der Beschwerdeführer zu 8) bereits bei Aufnahme seiner Beschäftigung am 1. November 2007 versicherungsfrei gewesen, da sein Jahreseinkommen von 85.000 Euro über der Jahresarbeitsentgeltgrenze von 47.700 Euro für 2007 lag. Durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V neuer Fassung besteht für den Beschwerdeführer zu 8) dagegen nunmehr eine Versicherungspflicht mindestens für die nächsten drei Jahre. 227
b) Versicherte, die aufgrund von § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V neuer Fassung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen und damit nicht mehr sofort in die private Krankenversicherung wechseln oder in ihr verbleiben können, sind durch die temporär angeordnete Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlichrechtlichen Krankenkasse in Art. 2 Abs. 1 GG betroffen (vgl. BVerfGE 115, 25 m.w.N.). Ein Eingriff in die negative Vereinigungsfreiheit liegt dagegen bei der Pflichtmitgliedschaft nicht vor (vgl. BVerfGE 38, 281 ).
228
Der mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der seit dem 2. Februar 2007 geltenden Fassung verbundene Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG ist gerechtfertigt. Die Neuregelung zielt darauf, auch gut verdienende Angestellte für mindestens drei Jahre an die gesetzliche Krankenversicherung zu binden, um hierdurch die Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken. Die bisherige Regelung, wonach abhängig Beschäftigte bereits mit dem erstmaligen Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze die gesetzliche Krankenversicherung verlassen konnten, sah der Gesetzgeber nicht als ausreichend an, um die Funktionsfähigkeit der auf einem
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Solidarausgleich beruhenden gesetzlichen Krankenversicherung auch in Zukunft zu gewährleisten (vgl. BTDrucks 16/3100, S. 95). Die gesetzliche Krankenversicherung dient dem sozialen Schutz und der Absicherung von 229 Arbeitnehmern vor den finanziellen Risiken von Erkrankungen. Sie basiert auf einem umfassenden sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen (vgl. BVerfGE 79, 223 ) sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen. Der Gesetzgeber kann den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (vgl. BVerfGE 44, 70 ; 103, 271 ; BVerfGK 2, 283 ). Er hat dabei einen weiten Gestaltungsspielraum. c) Die auf drei Jahre verlängerte Versicherungspflicht von Arbeitnehmern mit einem die 230 Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitenden Jahreseinkommen ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet. Hierdurch werden besonders Leistungsfähige an die Solidargemeinschaft gebunden, die mit ihren Beiträgen die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung absichern helfen. Ein gleich wirksames, die betroffenen Versicherten weniger belastendes Mittel ist nicht ersichtlich. Die Regelung ist den betroffenen Versicherten auch zumutbar. Der Gesetzgeber hat nicht die 231 Jahresarbeitsentgeltgrenze weiter angehoben und damit den Kreis der Pflichtversicherten auf Dauer erweitert. Er hat vielmehr lediglich den Zeitraum verlängert, in dem Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben müssen, bevor sie sich für einen Wechsel in die private Krankenversicherung entscheiden können. Damit sollen insbesondere Beschäftigte, welche zuvor unter Umständen jahrzehntelang als beitragsfrei Familienversicherte, als Auszubildende oder Berufsanfänger mit geringem Arbeitsentgelt von den Leistungen der Solidargemeinschaft profitiert haben, bei ihrem erstmaligen Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze für einen gewissen Zeitraum weiterhin an die Solidargemeinschaft gebunden werden (vgl. BTDrucks 16/3100, S. 95). Das ist eine Erwägung, die eine gewisse zeitliche Ausweitung des Solidarausgleichs zwischen den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung mit höherem und niedrigerem Einkommen rechtfertigt. Allerdings trifft die auf drei Jahre verlängerte Versicherungspflicht auch solche Personen, 232 die nach bisherigem Recht schon mit der erstmaligen Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aufgrund der Höhe ihres Verdienstes versicherungsfrei waren, wie dies insbesondere bei akademischen Berufsanfängern vorkam. Bei ihnen wird die Einbeziehung in die Versicherungspflicht in vielen Fällen auch nicht mit einer Pflicht zur nachlaufenden Solidarität mit der Versichertengemeinschaft begründet werden können, da solche Personen oft ihr Leben lang privat versichert waren. Gleichwohl ist die Einbeziehung in die Versicherungspflicht auch für sie zumutbar. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, diese Personen von vornherein aus der Versicherungspflicht herauszunehmen, denn die Dreijahresfrist ist auch unabhängig von dem Gedanken der nachlaufenden Solidarität gerechtfertigt. Er kann den Nachweis des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze davon abhängig machen, dass diese Überschreitung von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stetigkeit ist. Bei der Verlängerung der Versicherungspflicht durfte der Gesetzgeber zudem den Aspekt 233 einer Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigen. Bei der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfGE 68, 193 ; 103, 172 ; 114, 196 ). Dies legitimiert im Rahmen der Herstellung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft auch Erweiterungen des einbezogenen
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Personenkreises, um so für einen besseren Ausgleich zwischen Mitgliedern mit höheren und niedrigeren Einkommen zu sorgen. 234
Eine Unzumutbarkeit der auf drei Jahre verlängerten Versicherungspflicht folgt schließlich nicht aus den faktischen Auswirkungen, welche sich für einen anschließenden Wechsel in die private Krankenversicherung ergeben. Zwar hat die auf drei Jahre verlängerte Versicherungspflicht zur Folge, dass sich die in der privaten Krankenversicherung zu zahlende Prämie aufgrund des späteren Eintrittsalters verteuert, sofern dieses Risiko nicht durch eine Ruhensvereinbarung abgefedert wurde. Diese zusätzliche Mehrbelastung wird keinen Versicherten daran hindern, in die private Krankenversicherung zu wechseln.
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2. Auch die Grundrechte der Beschwerdeführer zu 2) bis 5) werden durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht verletzt. 236 Die Verlängerung der Versicherungspflicht greift zwar in die Berufsausübungsfreiheit der Krankenversicherer ein, weil ihnen temporär der Kundenkreis eingeschränkt wird, der sich bei ihnen versichern kann.
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Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der beschwerdeführenden Unternehmen ist aber, wie schon dargelegt, aus hinreichend gewichtigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt, zumal der Versicherungsbestand der privaten Krankenversicherungsunternehmen von rund 8,3 Millionen Versicherten hiervon unberührt bleibt und Beamte, Freiberufler und Selbständige, für die sich keine Einschränkungen beim Zugang zur privaten Krankenversicherung ergeben, von der Neuregelung überhaupt nicht betroffen sind. IV.
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Die Rechtsänderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz begründen auch nicht in ihrer Gesamtheit einen mit der Berufsfreiheit der Beschwerdeführer zu 1) bis 5) unvereinbaren „additiven“ Grundrechtseingriff.
Grundsätzlich ist es möglich, dass verschiedene einzelne, für sich betrachtet geringfügige Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet (vgl. BVerfGE 112, 304 ; 114, 196 ). 240 Eine derartige Wirkung der gesetzlichen Neuregelungen lässt sich indes nicht feststellen. Die Darlegungen der Professoren Dr. Ulrich Meyer und Dr. Bert Rürup haben keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die auf drei Jahre verlängerte Versicherungspflicht, der Basistarif und die teilweise Portabilität von Alterungsrückstellungen in ihrem kumulativen Zusammenwirken das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherungsunternehmen aktuell ernsthaft bedrohen. 241 Den Gesetzgeber trifft jedoch eine Beobachtungspflicht. Denn die Vorschriften über den Basistarif, die Portabilität und die erweiterte Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung könnten zu Prämiensteigerungen für Versicherte in den Normaltarifen und dadurch zu erheblichen Wechselbewegungen in den Basistarif mit seinen begrenzten Prämien führen. Der Vorteil der Versicherungsnehmer im Basistarif könnte zum Nachteil der übrigen Versicherungsnehmer in den Normaltarifen werden. Denn je mehr Personen sich im Basistarif versichern und je mehr Verluste dieser verursacht, desto mehr steigt der Preis der Normaltarife und die Belastung der in diesen Tarifen Versicherten. Dies könnte letztlich eine Auszehrung des eigentlichen Hauptgeschäfts der privaten Krankenversicherungen bewirken, sodass die gesetzlichen Regelungen einer erneuten Prüfung bedürften. Weist der Gesetzgeber den privaten Krankenversicherungen durch die Einführung der Versicherungspflicht und den Kontrahie-
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rungszwang im Basistarif in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die Aufgabe zu, im Rahmen eines privatwirtschaftlich organisierten Marktes für den bei ihr versicherten Personenkreis einen Basisschutz bereitzustellen, muss er auch im Interesse der Versicherten darauf achten, dass dies keine unzumutbaren Folgen für Versicherungsunternehmen und die bei ihnen Versicherten hat. V. Diese Entscheidung ist zu Teil C. III. (Dreijahresfrist) im Stimmenverhältnis 5:3, im Üb- 242 rigen einstimmig ergangen. Papier Hohmann-Dennhardt Bryde Gaier Eichberger Schluckebier Kirchhof Masing