Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung [1 ed.] 9783428468539, 9783428068531


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German Pages 332 [333] Year 1990

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Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung [1 ed.]
 9783428468539, 9783428068531

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 109

Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung

Von

Detlev Schuster

Duncker & Humblot · Berlin

DETLEV SCHUSTER Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung

VerötTentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von J o s t D e I b r ü c k und R ü d i g e r W o I f r u m Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel 109

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Daniel Bardonnet Universität Paris II Rudolf Bernhardt Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg Lucius Caflisch Institut universitaire de hautes etudes internationales, Genf Antonius Eitel Bonn

John Norton Moore Universität Virginia, Charlottesville Fred L. Morrison Universität Minnesota, Minneapolis Albrecht Randelzhofer Freie Universität Berlin Krzysztof Skubiszewski Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau und Posen

Luigi Ferrari Bravo Universität Rom

Christian Tomuschat Universität Bonn

Louis Henkin Columbia Universität, New York

Grigorij Tunkin Universität Moskau

Tommy T. B. Koh Washington, D. C.

Sir Arthur Watts London

Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung

Von

Detlev Schuster

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schuster, Detlev: Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung / Detlev , Schuster. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel; Bd. 109) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06853-X NE: Institut für Internationales Recht (Kiel): Veröffentlichungen des Instituts ...

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7263 ISBN 3-428-06853-X

Meinen Eltetn

"lt is the right of the viewers and listeners, not the right of the broadcasters, which is paramount". Justice White, Red Lion Broadcasting Company vs. Federal Communications Commission, 395 U. S. 367, 390 (1969).

Vorwort Mein besonderer Dank für die intensive Betreuung dieser Arbeit gilt Prof. Dr. Jost Delbrück. Ohne seinen Rat und seine Anleitung hätte das Werk nicht gelingen können. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Rüdiger Wolfrum für zahlreiche An­ regungen und seine stete Diskussionsbereitschaft während meiner Tätigkeit am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Darüber hinaus bin ich Prof. Merritt B. Fox von der Indiana University in Bloomington, Indiana, zu Dank verpflichtet. Seine Beratung während mei­ nes Studienaufenthaltes in den USA im akademischen Jahr 1983/84 war von unschätzbarem Wert. Weiterer Dank gebührt Prof. Dr. Wilhelm A. Kewenig, der während meines Studiums an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mein Interesse am Rundfunkrecht geweckt hat. Der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universi­ tät danke ich für die Zuerkennung des Fakultätspreises 1989. Dem Bundes­ minister des Innern danke ich für einen großzügigen Druckkostenzuschuß. Die Bearbeitung der vorliegenden Studie wurde am 30. November 1987 abgeschlossen. Detlev Schuster

Inhaltsverzeichnis Teil 1: Erkenntnisintere�

19

Teil 2: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

21

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens ........ • ....... • .. .

21

I.

Etymologisches ............................ • ....... • ...

21

II.

Stufen der Rundfunkorganisation in Deutschland .. • ...........

22

l. Die erste Phase: Weimar .............................. a) Privatrechtliche Anfänge ........................... b) Konzentration der Macht bei der Reichspost • ........... c) Weitere Strukturierung in Richtung Staatsrundfunk .......

22 22 23 24

2. Die zweite Phase: Der Nationalsozialismus .... • ........... a) Der Propagandaminister als Befehlsgeber ... • ........... b) Ziele und Inhalte ........ • ........................

25 26 27

3. Die dritte Phase: Neuordnung durch die Besatzungsmächte .... a) Der Aufbau des öffentlich-rechtlichen Integrationsrundfunks in der Bundesrepublik .............................. aa) Das Konzept der Staatsfreiheit ................... bb) Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands .... • ....... • ..... • .. a) Die britische Zone ......................... • ß) Die amerikanische Zone ............ • ........ -y) Die französische Zone ...... • ............... • ll) Kooperation • ....... • .... • ....... • ........ cc) Das Zweite Deutsche Fernsehen ... • .............. b) Die Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ......................................... aa) Rundfunk im Klasseninteresse ................... bb) Die Organisation ........................ '......

28 28 28 29 29 29 30 30 31 32 32 33

10

Inhaltsverzeichnis c) Rechtliche Verfestigung der bundesdeutschen Situation durch das erste Fernsehurteil . . . . . . . . . . • . . . . . . . • . . . . . . . • • • 4. Die vierte Phase: Dynamisierung durch neue Technologien . . . .

34 37 38

. . . .

39 41 43

B. Der Rechtsbegriff „Rundfunk" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol . . . . • . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . .

51

a) b) c) d)

Kabelrundfunk . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . Satellitentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mediengesetzgebung der achtziger Jahre Neue Eckwerte durch das vierte Fernsehurteil

.... .... .... ...

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

• . . .

. . . .

1.

Der Stand der Meinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

II.

Institutionelles und individuales Grundrechtsdenken . . . . . . . • . . .

56

III. Traditionale Legitimation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . • . . .

64

IV. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . .

68

Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

Teil 3: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

74

V.

A. Vorbemerkung: Zum Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . • . . . . . • . . . . . .

74

1.

Der hochpolitische Charakter des Rundfunkrechts . . . . . . . . . . . . .

74

II.

Vorverständnis als allgemeines rechtswissenschaftliches Problem

76

III. Zur verfassungsrechtlichen Methodendiskussion . . . . . . . . . . . . . . .

79

IV. Recht und Politik in der Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . .

83

V.

Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . • . . • . . . . . .

87

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

I.

Die Literatur vor dem ersten Fernsehurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

Inhaltsverzeichnis II.

11

Die Kritik des ersten Fernsehurteils ............ • .. • ........

106

III. Die Diskussion des dritten Fernsehurteils ....................

108

IV. Reaktionen auf das vierte Fernsehurteil ................... , .

113

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung • ...................

116

1.

Rechtswissenschaftliche Anknüpfungspunkte .................

116

II.

Medienwirkungen als Objekt der Sozialforschung: Definitionen und Ansätze . • ............................................

117

III. Mediale Effekte im politischen Prozeß? ......................

120

l. 2. 3. 4.

Die Thesen Noelle-Neumanns . • ......... • .. • ........... Gegenstimmen ............................... • ...... Neuere Differenzierungen . • .. • • ........ • .............. Stellungnahme ... . . • . • ..............................

120 121 122 123

E. Die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt . • ..............

124

1.

Zum Ansatz der Rechtsprechung ........... • ..............

124

II.

Die Integrationslehre Rudolf Smends .......................

125

III. Pluralismus und Grundgesetz .............................

127

IV. Kommunikation und Demokratieprinzip

129

V. Geistesfreiheit im Parlamentarischen Rat

131

F. Resümee: Meinungsvielfalt als Prozeß ......... • .................

Teil 4: Analyse der Organisationsmodelle A. Das Modell des Binnenpluralismus . • ... • ... • ....... • ............

132

141 141

1.

Begriffliches: Binnenpluralismus als Programm- und Organisationskonzept ......... . ....... • .................... • .......

141

II.

Eignung für private und öffentlich-rechtliche Betreiber . .........

142

III. Das Problem der Staatsnähe der öffentlich-rechtlichen Anstalten

143

12

Inhaltsverzeichnis Vom Sinn der Staatsfreiheit ... • ...... • . • . • • . ... • • . • . . • . Inkompatibilitäten? . • .. • .... • .. . .. • ..... • • . • . • ....... Wer zählt zum Staat? • . • .. • ..... . . • • • . • . • • ..... • .. . ... Wie hoch darf die Staatsquote in den Kontrollgremien sein? ... Die Beurteilung der einzelnen Rundfunkanstalten .... • .. • ... a) Das Zweite Deutsche Fernsehen ...... • .... • ... • .. . ... b) Der Süddeutsche Rundfunk ... ........... ........... c) Die übrigen Anstalten des Landesrechts ............ • ... 6. Das Sonderproblem der parteipolitischen Zugehörigkeit der Gremienmitglieder . . • .. • .. • . • • ... • .. • .. • . • .. . . • .. • .. • a) Der Sachverhalt der Einflußnahme ... • .. • . • • . .. • • • . • • . b) Begrenzungsvorschläge ..... • • .............. • . • • ....

143 144 146 149 151 151 154 155

IV. Wer repräsentiert die Gesellschaft? • ............... .........

163

1. Kontrollmaßstäbe .......... • ............ • ........... 2. Das Gesetz über den "Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 19. März 1985 ........... .. • ............... . . .......

163 165

Anforderungen an die Kontrollmechanismen ..... • ...........

167

1. Veranstalterinterne Kontrollgremien 2. Veranstalterexterne Kontrollgremien

167 168

1. 2. 3. 4. 5.

V.

159 159 161

VI. Privatrundfunkgesetze mit binnenpluralistischen Zielsetzungen ...

169

1. Hamburg ....................... ................... a) Die Gesetzeskonzeption ......... ... .. .............. b) Der Verwaltungsaufbau ............................ c) Normierung der Meinungsvielfalt ..................... aa) Der Grundsatz .......... • ... • ....... • .. • ..... bb) Sicherungsmechanismen ........................ cc) Weiterverbreitung ..... • .............. • .. • .....

169 169 170 173 173 175 176

2. Nordrhein-Westfalen a) Grundstrukturen ........... • ..................... b) Normierung der Meinungsvielfalt ..................... c) Das Zwei-Säulen-Modell im lokalen Privatrundfunk ......

177 177 180 182

B. Das Modell des Außenpluralismus .......................... ; . • .

184

I.

Die USA als Vorbild? ................... • ............ • ..

184

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung: Die Bedeutung der Rechtsvergleichung im Rundfunkrecht . .. . .. ... .. • • . .. • . • . .. • . • • . . • . .. .. • . • . . • • .

13

184

2. Rechtliche Grundlagen des amerikanischen Rundfunksystems a) First Amendment ... .. .. . ... ... .. .. ... . .. ..... . . .. aa) Entstehungsgeschichte . .. ... . . • . . . . • .. ... ... .. .. a) Chafees Theorie ... ... .. .. . . .... . .... ... .... ß) Levys Theorie . . .. .. ... .. . .. . .. .. ... ... .. .. y) Berns' Theorie . .. . .. • .. .. • . • .. • . . • .. .. . .. . • bb) Grundrechtstheorien .. .. ... . . • .... • ... .. .. . . ... a) Der Marktplatz der Ideen ... • . . ... ... . .. • .. . . ß) Partizipation im Staatswesen • .. . • ... .. • .. • . . .. y) Systemstabilisierung .. ... • . • • . • • ... .. • .. • . . . . ll) Selbstverwirklichung des Grundrechtssubjekts . .. .. cc) Schranken der Kommunikationsfreiheiten ... ... . . . . dd) Prior Restraint . . . ... .. • . . ... .. .. . .. ... . • . . . .. b) Die Rolle der Federal Communications Commission . • . . .. aa) Organisation und Aufgaben • .. • .. .. • . . .. . . • . .. .. bb) Regulationsmechanismen . .. . . • .. .. • . .... . .. .. .. cc) Insbesondere: Lizenzvergabe ... . .. .. .. .. .... . . . .. a) Verfahrensfragen . • . • ... . • . .. .. • .. .. • .. . .. .. ß) Inhaltliche Anforderungen . • . .. . .. ... .. .. .. . .. c) Fairneß als regulatorisches Problem ... . . .. .. ... . .. .. .. aa) Anfänge und legislative Geschichte . .. . ... .. .. . .. . . bb) Entspricht die Aufgabe der Fairness Doctrine durch die FCC vom 4. August 1987 dem Federal Communications Act? . .. .. .. .. .. ... .. ... . .... ... .. .. . . . .. . .. cc) Die Verfassungsmäßigkeit ... .. . .. ... .. .. . .. . .. .. a) Die Red Lion-Entscheidung .. . . ... .. ... . .. . . .. ß) Frequenzknappheit und neue Technologien .. . .. .. y) Öffentliches Eigentum am Äther .. • .. ... . .. . . .. ll) Unterschiede zwischen Presse und Rundfunk .. • • .. f) Der Rundfunkveranstalter als Treuhänder . . .. . .. . dd) Zwischenergebnis . . .. .. ... ... .. ... .. ... .. . .. ..

190 190 190 190 191 192 193 193 194 196 196 197 202 203 203 205 206 206 207 210 210

3. Inhalte und Praxis der Fairness Doctrine . . • .. • .. . .. . . • .. . . a) Die Pflicht zur Sendung unterschiedlicher Standpunkte zu kon­ troversen Themen von öffentlicher Bedeutung (Teil 2 der Fairness Doctrine) • .. .. • . . • .. .. ... ... .. .. • .. . .. .. . .. .. aa) Was ist ein Thema? ... ... .. .. . . .. .. .. .. .. .. . ...

221

213 215 215 217 219 220 220 221

221 222

Inhaltsverzeichnis

14

bb) Thematisch definierte Variationen der Kontrolldichte cc) Welche Themen sind kontrovers und von öffentlicher Bedeutung? ... • ..... .. • ...... • .. • . • .. • .. • ...... dd) Die Rechtsfolgen im einzelnen . • ....... • .. • .. ... . b) Die Pflicht zur Präsentation kontroverser Themen von öffentlicher Bedeutung (Teil 1 der Fairness Doctrine) . . • ...... . aa) Das restriktive „Themen"-Konzept ....... ........ . bb) Der Patsy Mink-Fall ............... .... • ... .... cc) Kritik ............. • ....... .......... • ...... c) Persönliche Angriffe .... • .. • ...... ........ ........ . d) Politische Äußerungen des Betreibers ..................

II.

224 228 231 236 236 237 239 241 244

4. Die Durchsetzung der Fairness Doctrine ...... ... ......... a) Das Beschwerdeverfahren ............... ... ........ . b) Die Sanktionen ........ ....... ... ... .. • ........... c) Die Praxis der Lizenzerneuerung .... ..... ... .........

246 246 247 249

5. Würdigung • .... • ...... • ... • .. ............... • .. .... a) Die Debatte um die Abschaffung der Fairness Doctrine in den USA ............... • .. ........ ... .............. aa) Der Stand der Meinungen ....................... bb) Stellungnahme ...... ............. ............ b) Erkenntnisse für die bundesdeutsche Rundfunkdiskussion aa) Vergleich der Kommunikationsgrundrechte ........ . bb) Historische und kulturelle Hintergründe ... ........ . cc) Abschließende Stellungnahme ........ ... ..... ....

252 252 253 257 260 260 262 265

Heißt Außenpluralismus freies Spiel der Kräfte? . • • .... • ... ....

268

1. Über die Verantwortung des Gesetzgebers .... • ... .. • ..... . 2. Die Verteilung des Prognoseprimats zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber ........ • .................. ... . 3. Läßt sich Außenpluralismus überhaupt praktisch verwirklichen? 4. Schlußfolgerungen für die Gesetzgebung: Vielfaltssicherung durch Verfahrensregelung ...... • ..... . • ... ... .........

268

III. Verfassungsrechtliche Würdigung der außenpluralistischen Elemente im deutschen Rundfunkrecht ................. • ........ ... 1. Phasenweiser Übergang zum Außenpluralismus .. • • .. • .. .. • a) Der Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens ... aa) Grundstrukturen: Stufenmodell und Spezialregelung bundesweiter privater Programme .... . . ...........

269 272 273 274 274 274 274

Inhaltsverzeichnis

15

bb) Normierung der Meinungsvielfalt cc) Sicherung der Grundversorgung durch die öffentlichrechtlichen Anstalten .......................... Schleswig-Holstein ................................ Saarland ........................................ Baden-Württemberg ............................... Niedersachsen • ...................................

283 284 288 29 1 295

2. Unmittelbarer Einstieg in den Außenpluralismus ............ a) Rheinland-Pfalz .................................. b) Berlin .................... . .....................

297 297 300

C. Das bayerische Mischmodell ..... . . • ................. • .........

303

b) c) d) e)

277

I.

Fortgeltung der Landesverfassung .........................

303

II.

Vielfaltssicherung und Landesverfassung ....................

305

III. Der Maßstab des Art. 5 GG ..............................

309

Teil 5: Ergebnisse und rechtspolitischer Ausblick

311

Literaturverzeichnis

314

Abkürzungsverzeichnis a.A. a. a. 0. Abs. A. D. a. F. AfP AG Anm. AöR ARD Art. BayVBI. BayVerfGH BGB BGB!. BI. BV BVerfG BVerfGE BVerwGE CBS CDU CFR Cir. Co. Cong. Cong. Rec. Cranch CSU D. C. DDR ders. dies. DM DÖV DRP DVBI. DVfV EuGRZ

= = = = = =

= =

=

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz außer Dienst alter Fassung Archiv für Presserecht Aktiengesellschaft Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunk­ anstalten Deutschlands Artikel Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 Bundesgesetzblatt Blatt Verfassung des Freistaates Bayern Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Columbia Broadcasting System Christlich-Demokratische Union Code of Federal Regulations Circuit Company Congress Congressional Record United States Reports (Entscheidungen des Supreme Court von 1801 bis 1815) Christlich-Soziale Union District of Columbia Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselbe Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung Deutsche Reichspost Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung Europäische Grundrechte-Zeitschrift

Abkürzungsverzeichnis f. FCC F. C. C. F. C. C. 2d F. D. P. Fed. Reg. ff. FN FRC F. R. C. F. 2d F. Suppl. GB!. GG GGK GmbH GVBI. HambMG H. Rep. Hrsg. i. d. F. d. Bek. v. Inc. i. V. m. JöR N. F. JZ

KPPG lit. LMedG BW LPG LRG NW LRG Rh.-Pf. LRG Saar!. LRG SH MEG

Mio. m. w. N. NDR Nds. LRG n. F. NJW No. 2 Schuster

= =

=

17

folgende (Seite) Federal Communications Commission Federal Communications Commission Reports Federal Communications Commission Reports, Second Se­ ries Freie Demokratische Partei Federal Register folgende 1. footnote, 2. Fußnote Federal Radio Commission Federal Radio Commission Reports Federal Reporter, Second Series Federal Supplement Gesetzblatt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Grundgesetz-Kommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz- und Verordnungsblatt Hamburgisches Mediengesetz vom 3. Dezember 1985 House of Representatives Report Herausgeber in der Fassung der Bekanntmachung vom Incorporated in Verbindung mit Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, neue Folge Juristenzeitung Gesetz über die Durchführung des Kabelpilotprojekts in Berlin i. d. F. vom 24. März 1986 littera Landesmediengesetz Baden-Württemberg vom 16. Dezem­ ber 1985 Landespressegesetz Rundfunkgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 1987 Landesrundfunkgesetz Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1986 Rundfunkgesetz für das Saarland i. d. F. vom 20. Juni 1987 Rundfunkgesetz für das Land Schleswig-Holstein i. d. F. vom 5. Juni 1987 Gesetz über die Erprobung und Entwicklung neuer Rund­ funkangebote und anderer Mediendienste in Bayern i. d. F. vom 30. Juli 1987 Million mit weiteren Nachweisen Norddeutscher Rundfunk Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz i. d. F. vom 16. März 1987 neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift numero

18 Nr. NWDR OVG OVGE PAC RGBI. RMVP Rn. RRG

s.

SDR S. E. SED Sess. SPD S. Rep. S. Res. StGB StVNR TV u. a. ULR

u. s. USA u. s. c.

V. VerwArch VG vgl. Vorb. vs. VVDStRL WARC-ST WDR WRV W. Va. z. B. ZDF ZDF-Stv

Abkürzungsverzeichnis Nummer Nordwestdeutscher Rundfunk Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg Political Action Committee Reichsgesetzblatt Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Randnummer Reichsrundfunkgesellschaft 1. Satz, 2. Seite, 3. Senate Süddeutscher Rundfunk Southeastern Reporter Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Session Sozialdemokratische Partei Deutschlands Senate Report Senate Resolution Strafgesetzbuch Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens vom 3. April 1987 Television und andere Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen 1. United States, 2. United States Reports United States of America United States Code versus Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht vergleiche Vorbemerkung versus Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staats­ rechtslehrer World Administrative Radio Conference for Space Tele­ communications Westdeutscher Rundfunk Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Reichsverfas­ sung) vom 11. August 1919 West Virginia zum Beispiel Zweites Deutsches Fernsehen Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt des öffent­ lichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen" vom 6. Juni 1961

Teil 1: Erkenntnisinteresse Die Rundfunkverfassung der Bundesrepublik Deutschland war ursprüng­ lich durch das Sendemonopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gekennzeichnet. Erst seit Mitte der siebziger Jahre wurde die politische und die juristische Diskussion nachhaltig von der Frage nach der Einführung privatrechtlicher Rundfunkstrukturen bestimmt. Das dritte Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1 6. Juni 198 1 1 hat insoweit Eckwerte festgeschrieben. Dem Gesetzgeber wird die Zulassung privaten Rundfunks anheimgestellt2 - allerdings nicht ohne die Beachtung bestimmter Kautelen. Das Gericht hebt die Verantwortung der Legislative dafür hervor, ,,daß ein Gesamtangebot besteht, in dem die für die freiheitliche Demokratie konstitu­ tive Meinungsvielfalt zur Darstellung gelangt" . 3 Die Wortwahl erinnert an die schon klassische Formulierung des Lüth-Urteils, wonach die Meinungs­ freiheit „schlechthin konstituierend" für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist. 4 Bereits diese Parallele rückt die Tragweite des dritten Fernsehurteils ins Bewußtsein. Mit der Möglichkeit der Zulassung privater Rundfunkanstalten wurde die Meinungsvielfalt zum Schlüsselbegriff. 5 Diese Entwicklung wurde durch das vierte Fernsehurteil des Bundesverfassungsge­ richts vom 4. November 19866 bekräftigt. Soweit das Gericht Vorschriften des Niedersächsischen Landesrundfunkgesetzes vom 23. Mai 1984 verwarf, begründete es dies insbesondere mit dem Argument, die Wahrung der Mei­ nungsvielfalt bei Zulassung privatwirtschaftlicher Rundfunkveranstalter sei nicht hinreichend sichergestellt. 7 Trotz der zentralen Rolle des Begriffs der Meinungsvielfalt ist sein Inhalt bisher noch weitgehend ungeklärt. Zur Ausfüllung dieses Begriffs will die nachfolgende Untersuchung einen Beitrag leisten. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die Anforderungen, die die Verfassung an die rundfunkorgani­ satorischen Regelungsmodelle des Binnen- und des Außenpluralismus stellt; oder anders gesagt die Fragen: Wie ist der verfassungsrechtliche Maßstab der 1 BVerfGE 57, 295. BVerfGE 57, 295 (319). 3 BVerfGE 57, 295 (323). 4 BVerfGE 7, 198 (208). 5 Groß, Programmvielfalt, 1 1 18; Walter Schmidt, Rundfunkfreiheit, 1443. 6 BVerfGE 73, 1 88. 7 Siehe dort Seite 160, 1 72 2

20

1. Teil: Erkenntnisinteresse

Meinungsvielfalt einfachgesetzlich zu konkretisieren? Welche pluralistischen Vorkehrungen hat ein Land zu treffen, wenn es private Veranstalter zulassen will? Die Darstellung nimmt folgenden Gang: Zunächst werden die Grund­ probleme der bundesdeutschen Rundfunkverfassung analysiert (Teil 2). Dabei wird der Schwerpunkt der Untersuchung auf der historischen Be­ dingtheit des geltenden Rundfunkrechts in Deutschland sowie der grund­ rechtlichen Problematik eines Zulassungsanspruchs privater Veranstalter liegen. Nachem die rundfunkrechtliche Arena dargestellt umrissen ist, soll eine Annäherung an den vielschichtigen Begriff der Meinungsvielfalt erfol­ gen (Teil 3). In diesem Zusammenhang werden speziell die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt sowie die rechtstatsächliche Bedeutung der Realitätsperzeption durch elektronische Massenmedien hervorgehoben. Teil 4 der Arbeit ist der näheren Analyse der Organisationsmodelle des Binnen- und des Außenpluralismus gewidmet. In diesem Zusammenhang interessieren besonders die verfassungsrechtlichen Aspekte derjenigen neuen Landesmediengesetze, die eine Beteiligung privater Rundfunkveranstalter zulassen. Ferner wird die Frage der rechtlichen Steuerbarkeit eines privatö­ konomischen Rundfunksystems im Lichte einer rechtsvergleichenden Be­ trachtung des amerikanischen Modells untersucht. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnise sowie einem rechtspolitischen Ausblick auf das in stetem Fluß befindliche Rechtsgebiet (Teil 5). Abschließend soll die Frage beantwortet werden, ob die Landesparlamente ihrer verfassungsrecht­ lichen Verantwortung gerecht geworden sind, die Vielfalt der Meinungen in der sich herausbildenden dualen Ordnung des Rundfunks aus öffentlich­ rechtlichen und privaten Anbietern sicherzustellen.

Teil 2: Grundprobleme der Rundfunkverfassung A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens Die gegenwärtige Rundfunklandschaft der Bundesrepublik ist historisch bedingt. Zum Verständnis des Bestehenden bedarf es der Analyse des Gewe­ senen.

I. Etymologisches Der Begriff „Rundfunk", wie Art. 5 Abs. l S. 2 GG ihn verwendet, ist eine relativ junge Wortschöpfung; das schon deshalb, weil dieses technische Phä­ nomen erst mit der Jahrhundertwende nutzbar gemacht wurde. Als Urheber des Begriffs wird vielfach I Hans Bredow genannt, der der Organisator des deutschen Rundfunks in der Weimarer Republik war. Bredow selbst hat in seinen Erinnerungen geschrieben, er habe die Bezeichnung Rundfunk im Jahre 192 1 eingeführt. 2 Demgegenüber ist im neueren publizistikwissen­ schaftlichen Schrifttum nachgewiesen worden, daß er den Begriff bereits 1 9 1 9 in einer Besprechung mit Journalisten und Verlegern benutzte. 3 Wenn demnach auch die eigentliche Herkunft des Wortes dunkel bleibt, 4 so kann doch festgehalten werden, daß Bredow nachhaltig seine Verbreitung geför­ dert hat, um die Fremdworte „Radio" und „Broadcasting" zurückzudrängen. Er sah hierin einen Akt deutscher Sprachpflege. Die Zusammensetzung von „rund" und „Funk" sollte dabei eine Abgrenzung gegenüber dem allgemeinen Funkverkehr leisten, der sich auf die Kommunikation zwischen einem Sen­ der und einem Empfänger beschränkt, also auf ein längsseitiges Gespräch.

1 Z. B. Pohle, 20; Bauer, 998. Bredow, Ätherwellen, 1 52. 3 Lerg, Entstehung, 20. 4 Nesper (101) nennt den damaligen Telegrapheninspektor Hermann Thurn , später Ministerialrat und Mitglied des Aufsichtsrats der Reichsrundfunkgesellschaft und der Deutschen Welle, als Schöpfer. Hierfür spricht, daß Thurn als Autor einer amtlichen Liste mit deutschen Synonymen für Fremdworte der Funksprache gilt. 2

22

2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

II. Stufen der Rundfunkorganisation in Deutschland l . Die erste Phas e : Weimar a) Privatrechtliche Anfange

Der Rundfunk tritt als Massenmedium in Deutschland erstmals 1923 in Erscheinung. Am 29. Oktober dieses Jahres eröffnete die in Berlin gegrün­ dete „Radio-Stunde-AG" als erste Gesellschaft ihr Programm. 5 Die techni­ sche Entwicklung des Rundfunks lag bei der Deutschen Reichspost (DRP). Diese hatte die Gründung regionaler Programmgesellschaften des privaten Rechts angeregt, denen die inhaltliche Gestaltung der Programme oblag. 6 Deren Ausstrahlung erfolgte durch posteigene Sendeanlagen. Die Organisa­ tion des Rundfunks hatte im wesentlichen der Staatssekretär im Reichspost­ ministerium Hans Bredow erdacht und umgesetzt. Im Ausland war der Sendebetrieb bereits früher aufgenommen worden: In den USA hatten seit 1920 die Firmen der Funkindustrie unabhängig vom Staat einen Programmdienst eröffnet, um so einen Absatzmarkt für ihre Empfangsgeräte zu gewinnen. Dieses Modell führte alsbald zu einem Wellen­ chaos und machte eine staatliche Intervention erforderlich. 7 Es bot sich somit nicht für Deutschland an. In Großbritannien begann der Rundfunk sein regelmäßiges Programm im November 1922. Dort hatten sich mehrere Unternehmen der Funkindustrie zur British Broadcasting Company zusammengeschlossen. Ihr wurde ein Monopol sowohl für die Rundfunkversorgung als auch für den Vertrieb von Empfangsgeräten eingeräumt. 8 Dieses Modell besaß eher einen beispielhaf­ ten Charakter, da es reibungslos funktionierte. In Deutschland hatten im Mai 1922 die ersten Konzessionsanträge vorge­ legen. 9 Angesichts der angespannten Haushaltslage des Reichs in den Nach­ kriegsjahren stand zunächst das Finanzierungsproblem im Vordergrund. 1 0 Zugleich wurde aber bereits bei den ersten Anträgen auf Konzessionsertei­ lung besorgt, das neue Medium könne einseitig für Parteizwecke ausgenutzt werden. Daher hielt Bredow es für erforderlich, ,,den Rundfunk von Regie­ rungen und politischen Parteien möglichst unabhängig zu machen". 1 1 5 Klinge, 1 8; Netze,, 2. Vgl. die knappe historische Darstellung in BVerfGE 1 2, 205 (208 ff.). 1 Bausch, Rundfunk, 15; Kleinsteuber, 1 37. 8 Bausch, Rundfunk, 1 5. 9 Lerg, Entstehung, 123. 10 Bausch, Rundfunk, 15. 1 1 Bredow Ätherwellen, 209. 6

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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Die anschließend errichtete Rundfunkorganisation beruhte zum einen auf dem Prinzip der Dezentralisation, zum anderen auf dem Grundsatz priva­ trechtlicher Gründung und privater Kapitalbeschaffung. Die Dezentralisa­ tion erwies sich schon aus technischen und Kostengründen als erforderlich, wurde aber zugleich als Gewinn für die kulturelle Eigenständigkeit der Regionen herausgestellt. Zwischen 1923 und 1924 wurden neun regionale, zivilrechtliche Rundfunkgesellschaften gegründet. 1 2 Die Kapitalgeber fan­ den sich insbesondere in Kreisen von Industrie und Kunstmäzenatentum. Die DRP trat als Konzessionsbehörde auf. Im Laufe des Jahres 1925 schlos­ sen sich die Regionalgesellschaften - mit Ausnahme der bayerischen - in der ebenfalls privatrechtlich organisierten Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) zusammen. b) Konzentration der Macht bei der Reichspost

Im März 1926 wurden die Rechtsbeziehungen zwischen der Post und den einzelnen Programmgesellschaften durch die „Genehmigung(en) zur Benut­ zung der Funksendeanlagen der DRP für die Zwecke des Unterhaltungs­ rundfunks" vereinheitlicht. Diesen Konzessionen waren „Bedingungen" bei­ gefügt, die den staatlichen Einfluß auf die Programmgestaltung erweiterten. Zudem mußten die Regionalsender der Post ein bestimmendes, gesellschafts­ rechtlich fundiertes Mitspracherecht einräumen. Die „Bedingungen" umfaßten „Richtlinien für den Nachrichten- und Vor­ tragsdienst" . 1 3 Die Gesellschaft erhielt die zu verbreitenden Nachrichten durch Vermittlung einer vom Reich zu bestimmenden Stelle, nämlich der „Drahtloser Dienst-AG" . 1 4 Diese AG besaß das politische Vertrauen des Reichsministeriums des Inneren, das die Aktienmajorität an ihr hielt und die Organwalter mit Bedacht ausgewählt hatte. 1 5 Die als „Auflagenachrichten" bezeichneten Meldungen der Reichsregierung und der Länderregierungen mußten verbreitet werden. Die Kontrolle des Nachrichten- und Vortragsdienstes oblag neu errichte­ ten Überwachungsausschüssen. 1 6 Deren Zuständigkeit umfaßte auch alle mit der Programmgestaltung zusammenhängenden politischen Fragen. Regel12

Es handelt sich um die Funkstunde-AG in Berlin, die Mitteldeutsche Rundfunk-AG in Leipzig, die Deutsche Stunde in Bayern GmbH in München, die Südwestdeutsche Rundfunk-AG in Frankfurt (Main), die Nordische Rundfunk-AG in Hamburg, die Süd­ deutsche Rundfunk-AG in Stuttgart, die Schlesische Funkstunde-AG in Breslau, die Ostmarken Rundfunk-AG in Königsberg und die Westdeutsche Rundfunk-AG in Köln. 13 Der volle Text findet sich bei Schuster, 330 f. 14 Schuster, 3 14; Magnus, 20; ausführlich dazu; Lerg, Rundfunkpolitik, 182- 189. 15 Bausch, Rundfunk, 58; Lerg, Entstehung, 262 f. 16 Schuster, 3 14, 331 ; Magnus, 20.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

mäßig bestanden diese Ausschüsse aus drei Mitgliedern, von denen zwei seitens der zuständigen Landesregierung und eines durch die Reichsregierung ernannt wurden. Der Ausschuß besaß umfassende Informationsrechte. Sein Urteil mußte in allen politischen Fragen abgewartet werden, wenn das Pro­ gramm beanstandet wurde. Stellte der Ausschuß einen Verstoß gegen die Richtlinien für den Nachrichten- und Vortragsdienst fest, hatte er das Recht, die Abberufung des zuständigen Vorstandsmitglieds der Rundfunkgesell­ schaft zu verlangen. Zur Überwachung des Programms auf den Gebieten Kunst, Wissenschaft und Bildung wurden zudem Kulturbeiräte geschaffen. 1 7 Daneben wurde der Reichspost in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ein bestimmender Einfluß zuteil. Vor der Erteilung der Lizenzen hatten sich die Programmgesellschaften verpflichtet, jeweils 17 % ihres Aktienkapitals auf die RRG zu übertragen. 1 8 Hierbei handelte es sich um Vorzugsaktien mit mehrfachem Stimmrecht, die dem Inhaber eine Mehrheit bei der Entschei­ dungsbildung gewährten. 1 9 Im Februar 1926 wurden dann 5 1 % der Anteile der RRG auf die Reichspost übertragen. 20 Damit beherrschte die DRP die einzelnen Programmgesellschaften. Ab Juni 1926 nahm ein Rundfunkkom­ missar die Interessen der Post gegenüber der RRG und den Regionalgesellschaften wahr. 2 1 Als Resümee der Neuorganisation des Jahres 1926 läßt sich festhalten, daß einerseits eine staatliche Inhaltskontrolle des Programms etabliert und ande­ rerseits die interne Entscheidungsbefugnis der Gesellschaften auf die Post übertragen wurde. Beides erwies sich als möglich durch den Hebel der Konzessionserteilung. Der bestimmende Einfluß privater Initiative auf das Rundfunkwesen wurde ausgeschaltet, nachdem die Aufbauarbeit geleistet worden war. Damit waren die Privaten für den Staat uninteressant, wenn nicht gar hinderlich geworden. Die Neuordnung wird im Lichte der Grund­ rechte der Weimarer Reichsverfassung als verfassungswidrig angesehen; 22 doch hierüber ist niemals judiziert worden. c) Weitere Strukturierung in Richtung Staatsrundfunk

Das Rundfunkregime des Jahres 1926 wurde bereits 1932 erneut reformiert. Die Gedankengänge des Initiators Bredow werden in seiner Äußerung 17 Lerg, Entstehung, 255, 257. 1 8 BVerfGE 12, 205 (209). 19 Ebenda. 20 Bausch, Rundfunk, 58. 21 Diese Postion bekleidete von 1926 bis 1933 Hans Bredow, der dafür sein Amt als Staatssekretär aufgab; dazu: Fessmann, 68 f. 22 Ridder/Stein, 1006; siehe auch die Zweifel in BVerfGE 12, 205 (233 f.) m.w.N.

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offenbar, wohl jedermann werde „die Berechtigung der jeweiligen Regierung anerkennen müssen, das einzigartige Mittel des Rundfunks zur Nachrichten­ übermittlung, zur Verbreitung von Kundgebungen der verantwortlichen Staatsmänner und gegebenenfalls auch zur Stützung der Regierungspolitik benutzen". 23 Im Klartext hieß dies, daß der Einfluß des Staates auf den Rundfunk nochmals gesteigert werden sollte. Die Anteile der RRG wurden nunmehr zu 5 1 % der Post und zu 49 % den Ländern zugewiesen. 24 Bei der RRG sollten der Nachrichtendienst und die Grundsatzfragen des Rundfunks konzentriert werden. Die acht Runfunk­ Aktiengesellschaften in der RRG wurden liquidiert; ihre Stelle nahmen Ge­ sellschaften mit beschränkter Haftung ein, an denen jeweils die RRG 5 1 % und die Länder 49 % der Anteile hielten. 25 Die Privataktionäre wurden abgefunden. Zur Programmüberwachung setzte man einen neuen Rund­ funkkommissar des Reichsministeriums des Inneren ein. Zwecks Abwehr staatsgefährdender Bestrebungen hatte dieser das Recht, die Vorlage der Manuskripte des Programmes zu verlangen. 26 Aus staatspolitischen Grün­ den durfte er einzelne Programme untersagen oder ihre Ausstrahlung von Ä nderungen abhängig machen. 27 Zudem konnte er sowohl der RRG als auch den Regionalgesellschaften Weisungen erteilen. 28 2. D i e z w e i t e P h a s e : D e r N a t i o n a l s o z i a l i s m u s Die Neuregelung des Jahres 1932 war nur ein Übergang. Mit der national­ sozialistischen Machtergreifung 1933 erfolgte umgehend die Ausgestaltung des Rundfunks zum Instrument totalitärer Propaganda. Allerdings bleibt festzuhalten , daß die Reform des Jahres 1932 den Runfunk bereits derart verstaatlicht hatte, daß die organisatorische Arbeit den neuen Machthabern wesentlich erleichert worden war. Dabei offenbarte sich, wie auch an anderer Stelle, daß die Diktatur weniger durch revolutionäre Veränderungen der Rechtsordnung etabliert wurde, als vielmehr durch radikale Ausnutzung der faktischen Möglichkeiten unter formaler Aufrechterhaltung hergebrachter normativer Strukturen. Die Staatsmacht zeigte sich auch im Rundfunk „ent­ fesselt" 2 9 von rechtlichen Bindungen. Funk-Almanach 1932, 1 1 ; zum gesamtpolitischen Hintergrund: Behrens, 190-193. Pohle, 1 25; Magnus, 23; Herrmann, Rundfunkrecht, 10. 25 Bausch, Rundfunk, 104. 26 Pohle, 129. 27 Bausch, Rundfunk, 104. 28 Ebenda. 29 In Anlehnung an Eberhard Schmidts berühmte Formulierung von der „Entfesselung der Polizeigewalt" im Dritten Reich (ders. , Seite 439). 23

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

a) Der Propagandaminister als Befehlsgeber Neues Entscheidungszentrum des Rundfunks wurde der Propagandamini­ ster Goebbels. Er besetzte in Personalunion alle wichtigen Ä mter dieses Sektors und entmachtete die früheren Entscheidungsträger. Dabei war er sich der publizistischen und propagandistischen Möglichkeiten des noch jungen Mediums voll bewußt. Bereits am 25. März 1 933 sagte er zu den Rundfunkintendanten: ,,Mit diesem Instrument machen Sie die öffentliche Meinung". 30 Die totale Mobilisierung des Mediums im Sinne der nationalso­ zialistischen Ideologie charakterisiert die darauf folgenden 12 Jahre deut­ scher Rundfunkgeschichte. Die organisatorische Neuregelung des Rundfunks 1933 begann mit der Schaffung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP). Hier wurde die politische und die wirtschaftliche Kontrolle des Mediums konzentriert. 3 1 Die Post behielt nur ihre Zuständigkeit für Technik und Gebühren. 3 2 Das Innenministerium büßte seine Kontrollbefugnisse ein. Die einzelnen Rundfunkgesellschaften wurden zu bloßen Zweigstellen der RRG - und zwar als sogenannte Reichssender. 33 Die Geschäftsanteile der RRG gingen auf das Reich, vertreten durch das RMVP, über. Ferner wurde als Untergliederung der Reichskulturkammer die Reichsrundfunkkammer gebildet, deren Zwangsmitglieder alle am Rundfunk in irgendeiner Weise beteiligten Verbände waren. 34 Das Spektrum reichte von der RRG über die Radiohändler bis zu den Rundfunkteilnehmern. Auf diesem Wege sollte eine „Rundfunkeinheit" institutionalisiert werden, die dem optimalen Einsatz des Mediums im Sinne des Nationalsozialismus zu dienen bestimmt war. Goebbels selbst fungierte als Reichspropagandaminister, als Reichspro­ pagandaleiter der NSDAP, als Präsident der Reichskulturkammer und in Vertretung des Reiches als alleiniger Aktieninhaber der RRG. 3 5 Mit dieser Ämter- und Machtfülle konnte er beliebig seinen Willen ins Werk setzen. Weitergehende Bemühungen um eine Rundfunkrechtsreform, die den tradi­ tionellen Ministerien ihre letzten Kompetenzen auf diesem Gebiet genom­ men hätten, wurden nicht zu Ende geführt. Sie waren für den Propaganda­ zweck auch nicht erforderlich. Lediglich im Jahre 1 937 wurde der innere Aufbau der Rundfunkorganisation im Zuge der allgemeinen Entwicklung noch stärker am „Führerprinzip" orientiert - und zwar indem eine weitere 30 .Mitteilungen der RRG", Sonderbeilage zu Nr. 354 vom 30. März 1933, BI. 4. 31 Klinge, 25; Grimme, 62; Magnus, 24; eingehend dazu: Diller, 97-105. 3·2 Klinge, 25. 33 Grimme, 62; Magnus, 24. 3 4 Vgl. die .Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes" vom 1. November 1933 (RGBI. I, 797). 35 Pohle, 2 1 6.

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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Ämterkonzentration bis in den Mittelbau hinein erfolgte. Diese Aktion war mit einem politisch motivierten Revirement verbunden. b) Die Ziele und Inhalte

Die Möglichkeit, den Rundfunk zur politischen Beeinflussung der Masse einzusetzen, wurde von Anfang an klar erkannt und konsequent genutzt; wie sich die Nationalsozialisten überhaupt als Meister der Demagogie erwiesen. Als flankierende Maßnahme wurde die Verbreitung des Rundfunks forciert: Von etwa 4 Mio. Rundfunkteilnehmern im Jahre 1933 stieg die Zahl bis 1939 auf über 10 Mio. 36 Berücksichtigt man zudem die Gleichschaltung der Presse, so dürften die staatlich gelenkten Medien etwa 96 % der Bevölkerung erreicht haben. 37 Die Programminhalte wurden von drei Grundzügen bestimmt: 38 Erstens wurde die demokratische Vergangenheit Deutschlands verächtlich gemacht. Zweitens wurde ein Mythos um die Person Hitlers aufgebaut. Drittens wurde eine radikal verleumderische Kampagne gegen alle Gegner des NS-Systems geführt ("Judentum", "jüdischer Bolschewismus"). Hierbei wurden die Me­ thoden zunehmend subtiler: Insbesondere nach der Novemberwahl 1933 steigerte man sukzessive den Unterhaltungswert des Programms, um so einen möglichst großen Teilnehmerkreis für die politischen Botschaften zu gewin­ nen. 39 Das Hören von Auslandssendern konnte bereits in der Vorkriegszeit straf­ rechtlich als Hochverrat bewertet werden. Aus diesem Grunde verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht 1 937 mehrere Mitglieder der Kommunisti­ schen Partei Deutschlands wegen Hörens des Moskauer Senders zu Zucht­ haus bis zu 6 Jahren. 40 Ab 1 . September 1939 war der Empfang ausländischer Sender ausdrücklich durch spezielle Vorschriften41 verboten.

Pohle, 333. List, 106 f. 38 Poh/e, 227. 39 Pohle, 282. 36

37

40

Bericht von Poh/e, 343. §§ l, 2 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen, RGBI. I 1939, 1683. 41

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

3. D i e d r i t t e P h a s e : Neuordnung durch die Besatzungsmächte a) Der Aufbau des öffentlich-rechtlichen Integrations­ rundfunks in der Bundesrepublik

aa) Das Konzept der Staatsfreiheit Die Niederlage des Deutschen Reichs im Jahre 1945 bedeutete zugleich den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Rundfunksystems. Die Rund­ funkpolitik der folgenden Zeit wurde maßgeblich von den Besatzungsmäch­ ten bestimmt. Deren Intentionen waren von der Einsicht in die Bedeutung des Propagandainstruments Rundfunk für die Lenkung der Massen im Drit­ ten Reich geprägt. Dabei war es grundlegende Politik, die Kontrolle über die Mittel der öffentlichen Meinung, wie Presse und Rundfunk, zu verteilen und von der Beherrschung durch die Regierung freizuhalten. 42 Nach Ansicht des amerikanischen Militärgouverneurs Clay hat sich die deutsche Unfähigkeit, demokratische Freiheit wirklich zu erfassen, wohl auf keinem Gebiet, außer vielleicht dem der Schulreform, so deutlich gezeigt. 43 Selbst aufrichtige De­ mokraten hätten die Einführung eines Staatsrundfunks gefordert. 44 Die Idee, den Rundfunk in Form öffentlich-rechtlicher Anstalten zu organisieren, geht auf Nachkriegsthesen von Rundfunkpolitikern der Weimarer Zeit, wie den ehemaligen Rundfunkkommissar Hans Bredow und den ehemaligen Ge­ schäftsführer der RRG Kurt Magnus, zurück. 45 Diese Rechtsfigur sei am besten geeignet, die gemeinwohlorientierte Zweckbestimmung des Rund­ funks zu sichern, da die Anstalt juristisch niemandem gehöre. 46 Deren Ver­ fassung sollte die faire Repräsentanz aller Elemente der Bevölkerung si­ chern. 47 So könne eine einseitige Lenkung des Mediums sowohl von staatlicher wie von privater Seite ausgeschlossen werden. Die Einflußnahme der Post wurde bewußt - in Abkehr von Weimar - unmöglich gemacht. 48

42 Vgl. den schriftlichen Befehl des Militärgouverneurs Clay vom 2 1 . November 1947; bei Bausch, Rundfunkpolitik, 34 f. 43 Clay, 321 . 44

Ebenda . ., Vgl. Reich, 384; Bausch, Rundfunkpolitik, 77. 46 Magnus, 25; Reich, 382. 47 Reich, a.a.O. 48 Bausch, Rundfunkpolitik, 24 ff., insbesondere 33.

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bb) Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands a) Die britische Zone Als Vorbild für den Neuanfang in der britischen Besatzungszone diente die British Broadcasting Corporation. 49 Diese ist als Public Corporation organi­ siert. s o Sie ist vom Staat unabhängig und zentralistisch aufgebaut. Nach eben diesen Grundsätzen wurde durch die Kontrollratsverordnung Nr. 1 18 vom 1 . Januar 1948 der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) gegründet. 5 1 Er wurde in Hamburg angesiedelt, da sich dort das einzige Funkhaus Deutsch­ lands, das den Krieg funktionstüchtig überstanden hatte, befand. 52 Dieser Zentralismus wurde allerdings den regionalen Eigenheiten nicht gerecht. Die Anstalt wurde daher 1954 durch Staatsvertrag liquidiert. 53 Die norddeut­ schen Länder gründeten daraufhin - wiederum vertraglich - den Nord­ deutschen Rundfunk in Hamburg. 54 In Köln wurde durch Landesgesetz der Westdeutsche Rundfunk errichtet. 55 Der britische Hohe Kommissar hob die Verordnung Nr. 1 18 vom 3. Januar 1955 auf. 56 Damit war ein Schlußstrich unter 10 Jahre englischer Rundfunkpolitik in Deutschland gezogen. ß) Die amerikanische Zone

Die Amerikaner wünschten sich zunächst - wie die Briten - eine Rund­ funkorganisation nach heimischem Muster: also kommerzielle Sender auf privatrechtlicher Grundlage. 57 Dies war aber schon mangels Wirtschafts­ kraft nicht realisierbar. 58 Zumindest jedoch wurde das amerikanische Prinzip der Dezentralisierung beachtet. Auf diese Weise sollte publizistischer Machtkonzentration vorgebeugt werden. So errichtete man in den Jahren 1948/49 per Gesetz den Bayerischen Rundfunk (München), Radio Bremen (Bremen), den Hessischen Rundfunk (Frankfurt/Main) und den Süddeut­ schen Rundfunk (Stuttgart). 59 Jedes Land in der amerikanischen Zone hatte 49 50

51

52

Bausch,

Ebenda.

Brack,

Rundfunkpolitik, 18, 23.

in: Brack/Hermmann/Hillig, 36 f. f.

Schaaf, 5

53 Brack, in: Brack/Herrmann/Hillig, 44 ff. 54 Beteiligt sind Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Hostein; Bremen trat - trotz Angebots - nicht bei; Bausch, Rundfunkpolitik, 225 ff. 55 Brack, in: Brack/Herrmann/Hil/ig, 46. 56 Ebenda. 57 Parsons, 84; Magnus, 30; Reich, 38 1. 58 Bausch, Rundfunkpolitik, 1 8. 59 Eingehend: Herrmann, in/ Brack/Herrmann/Hillig, 62-77.

30

2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

damit einen eigenen Sender in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Alle Gesetze enthielten ausdrückliche und detaillierte Bestimmungen60 zur Überparteilichkeit der Programminhalte; dies stand im Gegensatz zum NWDR, da nach britischer Auffassung derlei papierne Vorschriften die Objektivität ohnehin nicht sichern könnten. 6 1 -y) Die französische Zone In der französischen Zone wurde - ebenfalls der heimatlichen Regelung entsprechend - eine zentralistische Lösung gewählt. Durch Verordnung der Militärregierung wurde am 30. Oktober 1948 der Südwestfunk als Anstalt des öffentlichen Rechts mit Sitz in Baden-Baden gegründet. 6 2 Später kamen die Länder Baden, Rheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern überein, der Rundfunk brauche eine deutsche Rechtsgrundlage und schlossen daher den Staatsvertrag über den Südwestfunk vom 27. August 195 1 . 6 3 Dieser stand zu den Regelungen der übrigen Länder insoweit im Widerspruch, als er den Landesregierungen weitgehende Rechte einräumt. Hiergegen wandte sich alsbald die öffentliche Meinung; der Vorwurf des Staatsrundfunks wurde laut. 64 Die Diskussionen mündeten in den Abschluß eines zweiten Staatsver­ trages am 29. Februar 1952, der den aufgetretenen Bedenken Rechnung trug. 6 s 6) Kooperation Die so entstandenen Anstalten kooperieren in der "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutsch­ land" (ARD). Weitere Mitglieder sind als Landesrundfunkanstalten der Saarländische Rundfunk und der Sender Freies Berlin sowie als Anstalten des Bundesrechts die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk. 66 Die Sat­ ·zung der ARD wurde auf einer Tagung der Intendanten am 9./10. Juni 1950 erarbeitet und anschließend von den Aufsichtsgremien der einzelnen Anstal­ ten genehmigt. 6 7 Auf der Tagung wurde betont, die ARD solle keinesfalls die 60 Vgl. z. B. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 - 1 1 des Gesetzes über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts "Der Bayerische Rundfunk" vom 10. August 1948; eingehend zu diesen Prinzipien: Bosmann, 79 ff. 61 Greene, 16. 62 Magnus, 36; Bausch, Rundfunkpolitik, 1 39. 63 Näher hierzu und zum folgenden: Bausch Rundfunkpolitik, 1 70 ff. 64 Magnus, 36. 65 Bausch, Rundfunkpolitik, 1 83. 66 § 1 der Satzung der ARD. 6 7 Bausch, Rundfunkpolitik, 257-259.

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Stelle der ehemaligen RRG einnehmen. 68 Die Rechtsnatur der Arbeitsge­ meinschaft ist bisher noch wenig untersucht worden. Es dürfte sich um eine öffentlich-rechtliche nichtrechtsfähige Bundkörperschaft handeln. 69 Wolff/­ Bachof definieren diese als Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Mitglieder ausschließlich juristische Personen sind. 7 0 1 953 schlossen die An­ stalten der ARD den Fernsehvertrag, womit sie sich zur Veranstaltung eines gemeinsamen Programms verpflichteten. 7 1 Ein weiteres Kernstück der Koo­ peration stellt der Finanzausgleich dar, der erstmals 1954 vertraglich geregelt wurde. 7 2 Mit der Etablierung der einzelnen Anstalten der ARD und ihrem Zusam­ menschluß war das erste wesentliche Teilstück der heutigen Rundfunkland­ schaft der Bundesrepublik vollendet. cc) Das Zweite Deutsche Fernsehen Die Anstalten der ARD hätten die Entstehung einer Konkurrenz in Gestalt des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) gern verhindert. In der rundfunk­ politischen Diskussion der späten fünfziger Jahre bemühten sie sich, ihr Fernsehmonopol durch Lizenzierung für ein zweites Programm zu sichern. 73 Doch zunächst versuchte der Bund durch Gründung der privatrechtlichen Deutschland-Fernsehen- GmbH maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung zu gewinnen. 7 4 Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch sein erstes Fernsehurteil 75 dieses Unterfangen beendet hatte, schlossen die Ministerprä­ sidenten der Länder am 6. Juni 1961 den Staatsvertrag über das ZDF. 7 6 Dieses Vorgehen löste bei den Intendanten der ARD Enttäuschung aus, zumal die neue Anstalt am bisherigen Fernsehgebührenaufkommen partizi­ pierte (30 % ). 77 Über die Finanzfrage kam es zum Rechtsstreit des Bayeri­ schen Rundfunks mit seiner Aufsichtsbehörde. Insbesondere die Schaffung einer "dritten Ebene" im Bundesstaat in Form der neuen Anstalt war Gegen­ stand verfassungsrechtlicher Kritik. 7 8 Demgegenüber wertete das Bundes­ verwaltungsgericht dies als Ausdruck eines zulässigen kooperativen Födera68 69 10

Herrmann, ARD, 214; vgl. auch Bausch, Rundfunkpolitik, Herrmann, ARD, 2 1 7 f. Wo/ff/Bachof/Stober, § 84 III 4 d).

257.

ARD, 221 f. Rundfunkpolitik, 287 ff. (296); Herrmann, ARD, 223. 7 3 Wehmeier, 7; Hillig, in: Brack/Herrmann/Hillig, 93. 74 Eingehend: Bausch, Rundfunkpolitik, 385 ff., insbes. 4 1 5 ff. 75 BVerfGE 1 2, 205; ausführlicher dazu: unten Teil 2, A., II., 3. c). 7 6 Hillig, in: Brack/Herrmann/Hillig, 106; Wehmeier, 7, 35 ff., insbes. 43. 11 He rrmann, ARD, 228. 78 Haegert, 1 140. 11

12

Herrmann,

Bausch,

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

lismus. 79 Dieser Entscheidung ist beizupflichten, da das Grundgesetz in Art. 130 „Einrichtungen, die auf Staatsverträgen zwischen den Ländern beruhen", ausdrücklich vorsieht. 80 Gleichwohl sind die Bedenken, daß auf diesem Wege die Kontrolle durch die Landesparlamente beeinträchtigt wird, 8 1 nicht von der Hand zu weisen. Mit der Anerkennung der Einrichtung durch die Recht­ sprechung war die Aufbauphase des Integrationsrundfunks in der Bundesre­ publik abgeschlossen, das System konsolidiert. b) Die Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aa) Rundfunk im Klasseninteresse Einen wesentlich anderen Gang als in der Bundesrepublik Deutschland nahm die Geschichte des Rundfunks in der DDR. Er wird dort als Mittel zur Bewirkung eines bestimmten gesellschaftlichen Bewußtseins angesehen. 82 Diese instrumentale Funktion wird 1963 erstmals offiziell im Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vom VI. Parteitag ausge­ sprochen. 83 Demzufolge haben die kulturellen Einrichtungen, und hierunter gerade die Massenmedien, der Verwirklichung des Menschenbildes des So­ zialismus zu dienen. 84 In der sozialistischen Revolution auf dem Gebiete der Ideologie und Kultur wird eine Gesetzmäßigkeit der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus gesehen. 85 Der Rundfunk arbeitet somit in einem bestimmten politischen Interesse (Klasseninteresse). 86 Im einzelnen wurden ihm folgende Ziele gesetzt: 87 „ 1. die Vertiefung des sozialistischen Patriotismus und des sozialistischen Internationalismus . . . 2. die Erzeugung einer sozialistischen Einstellung zur Arbeit und zum gesellschaftlichen Eigentum . . . 3. die Verbreitung der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxis­ mus-Leninismus . . . 4. die Entlarvung der reaktionären bürgerlichen Ideologie." 19 80 81 82 83 84

85 86 87

BVerwGE 22, 299 ff. (305 ff.). Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 20 Abs. 4, Rn. 104 f. Ebenda. Dokumente der SED, 245; Roth, 64. Vgl. Riede/, 10. Dokumente der SED, 247. Dokumente der SED, 244. Riede/, 1 O; Zagatta, 5 1 . Dokumente der SED, 244 ff., insbesondere 247-249.

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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bb) Die Organisation Die Umsetzung eines derart umfassenden politischen Auftrages für den Rundfunk bedarf einer straffen organisatorischen Gliederung. Die Aufbau­ phase des Rundfunks der DDR stand unter der unmittelbaren Leitung der sowjetischen Besatzungsmacht in Gestalt der „Sowjetischen Militäradmini­ stration in Deutschland". Am 2. Mai 1945 wurde der Sender Berlin erorbert. Bereits am 1 3 . Mai 1 945 wurde der „Gruppe Ulbricht" - einem Zusam­ menschluß von Emigranten, der sich in Moskau organisiert hatte - eine Sendeerlaubnis erteilt. 88 Diese Maßnahme hatte allerdings eher vorläufigen Charakter, um die nötigste Hörfunkversorgung zu sichern. In der Folgezeit wurde eine Verwaltung in der sowjetischen Besatzungs­ zone aufgebaut, die in elf Sachgebiete unterteilt war. Im Zuge dieser Entwick­ lung wurde der Rundfunk am 2 1 . Dezember 1945 der Deutschen Zentralver­ waltung für Volksbildung (DVfV) unterstellt. 89 Damit war er der direkten Lenkung der provisorischen Verwaltung unterworfen. Eine weitere Neu­ strukturierung erfolgte am 15. August 1 946: Das Rundfunkreferat bei der DVfV wurde in die Generalintendanz aller Rundfunksender umgewandelt. 90 Die Sendestationen wurden als Einrichtungen des öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit betrieben. 91 Die DVfV besaß Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse. 92 Als zentrale Verwaltungsinstanz mit kommissarischer Regierungsfunktion war mittlerweile die „Deutsche Wirtschaftskommis­ sion" gebildet worden. Bei dieser wurde am 7. September 1 949 die „Haupt­ verwaltung für Information" angegliedert und zugleich der Generalinten­ danz des Rundfunks vorgesetzt. 9 3 Nunmehr war der Rundfunk einer regierungsähnlichen Institution förmlich unterstellt; seine Integration in den Staatsapparat der bald zu gründenden DDR war somit vollzogen. Dennoch wurde in der Folgezeit fehlende ideologische Klarheit des Pro­ gramms bemängelt und eine noch engere organisatorische Verknüpfung des Rundfunks mit der Staatsleitung gesucht. Nach sowjetischem Vorbild bildete man am 1 . September 1952 das „Staatliche Rundfunkkomitee der DDR" bei dem Ministerrat. 94 So war der direkte Zugang der Staatsspitze zum Medium gesichert. 1 968 erfolgte dann lediglich noch eine Trennung in ein Rundfunk­ und ein Fernsehkomitee. 95 Riede/, 1 5. 8 9 Riede/, 1 7; vgl. auch Walther, 1 3. 90 Riede/, 17; siehe ferner Walther, 13. 91 Richter, 65: Abdruck eines entsprechenden Erlasses des Generalintendanten. 92 Ebenda. 93 Riede/, 20. 94 Dazu: Walther, 63 ff. 95 Die Massenmedien der DDR, 30. 88

3 Schuster

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Für die politische Ausrichtung des Programms ist seit den fünfziger Jahren die Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee der SED verantworlich. 96 Diese Abteilung sichert die ideologische Einheitlichkeit aller Massenmedien auf zweierlei Weise: Zum einen durch tägliche Argumentat­ ionsanweisungen, die vor allem Nachrichten und Kommentare betreffen, zum anderen durch vierteljährliche Globalrichtlinien, die in Wochenpläne unterteilt sind. Hierin werden langfristige Zielsetzungen und Schwerpunkte des Programms festgelegt. 9 7 Die Gesamtorganisation des Hörfunks und des Fernsehens erlaubt es somit der Regierung,jederzeit und in jedem dieser Medien exakt das erschei­ nen zu lassen, was die Staatsspitze wünscht. c) Rechtliche Verfestigung der bundesdeutschen Situation durch das erste Fernsehurteil Mit der Errichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik war ein System geschaffen worden, das als Monopol bis zum Anfang der achtziger Jahre Bestand hatte. Die Landesrundfunkgesetze sahen die Möglichkeit der Zulassung von Rundfunkveranstaltern des Privatrechts nicht vor. 98 Einzige Ausnahme war das Rundfunkgesetz des Saarlandes in der Fassung vom 7. Juni 1967. 99 Dieses wurde jedoch vom Bundesverfassungsge­ richt als grundgesetzwidrig verworfen 100 und eine Lizenz an Private wurde auf seiner Grundlange nicht erteilt. 1 0 1 Darüber hinaus waren die knappen Frequenzen zum Senden von Rundfunk durchweg vergeben und zusätzlicher Raum für etwaige privatwirtschaftliche Konkurrenten im wesentlichen nicht verfügbar. Als rechtlicher Meilenstein auf dem Weg in die ausschließliche Beherr­ schung der Rundfunklandschaft durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ist das erste Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1961 zu betrachten. 1 02 An dieser Stelle legte das Gericht erstmals eine umfas­ sende Konzeption zum Verständnis der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG dar. Zur Entscheidung standen zwei Fragen an: 10 3 Erstens, ob das 96 Hecht, 27 f.; Riede/, 28 f.; Weiß/Bargstedt, 192 f.; Scharf, 3; Holzweißig,29. 91 Riede/, 28 f. 98 Klein, 13; nur gelegentlich wurde vertreten, die Zulassung privater Rundfunkveran­ stalter sei auch ohne spezielles Landesgesetz möglich (vgl. Rudolf, 78 ff.); diese Auffassung hat später das Bundesverfassungsgericht zu Recht abgelehnt (BVerfGE 57, 295, 319). 99 Amtsblatt, Seite 1 1 1 1 . 100 BVerfGE 57, 295 ff. 101 Vgl. BVerfGE 57, 295 ff. (302 ff.). 102 BVerfGE 12, 205. 1 o3 BVerfGE 12, 205 (206 f.).

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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Sendemonopol zugunsten des Norddeutschen Rundfunks in dem betreffen­ den Staatsvertrag verfassungsgemäß war; zweitens, ob die Gründung der Deutschland-Fernsehen-GmbH durch die Bundesregierung zur Veranstal­ tung eines zweiten Fernsehprogramms mit dem Grundgesetz im Einklang stand. Im Rahmen dieser beiden Komplexe entwickelte das Gericht ein Bild der Rundfunkfreiheit, welches maßgeblich von den Prinzipien der Staatsfrei­ heit und der Beteiligung aller gesellschaftlich relevanten Kräfte am Pro­ gramm gekennzeichnet war. 104 Diese Grundsätze bestimmen die rundfunk­ rechtliche Organisation bis heute. Das Gericht erarbeitete seinen Standpunkt zunächst durch einen Rekurs auf die ebenfalls in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geregelte Pressefreiheit, zu der es sich schon früher in seiner Rechtsprechung geäußert hatte. 1 0 5 Art. 5 GG enthalte mehr als nur das individuelle Grundrecht des Bürgers gegen den Staat auf Respektierung einer Freiheitssphäre innerhalb welcher er seine Meinung ungehindert äußern könne. Durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG sei insbesondere auch die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung gewährleistet. 1 06 Dieser Verfassungsgarantie widerspräche es, die Presse oder einen Teil von ihr unmittelbar oder mittelbar von Staats wegen zu reglementieren oder zu steuern. Die Bedeutung des Art. 5 GG für den Rundfunk könne nicht ohne Rück­ sicht auf den eben dargelegten Inhalt des Art. 5 GG gewürdigt werden. Der Rundfunk sei mehr als ein „Medium" der öffentlichen Meinungsbildung; er sei ein eminenter „Faktor" der öffentlichen Meinungsbildung. Diese Mitwir­ kung an der öffentlichen Meinungsbildung beschränke sich keineswegs auf die Nachrichtensendungen, politischen Kommentare, Sendereihen über poli­ tische Probleme der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft; Meinungsbil­ dung geschehe ebenso in Hörspielen, musikalischen Darbietungen, Übertra­ gungen kabarettistischer Programme bis hinein in die szenische Gestaltung einer Darbietung. Damit sei noch nichts über den Weg gesagt, auf dem diese Freiheit des Rundfunks im allgemeinen und die der Berichterstattung durch Rundfunk im besonderen gesichert werden müsse, damit dem Art. 5 GG Genüge getan sei. Hier werde die Besonderheit bedeutsam, durch die sich der Rundfunk von der Presse unterscheide. Dieser Unterschied bestehe darin, daß innerhalb des deutschen Pressewesens eine relativ große Zahl von selbständigen und nach ihrer Tendenz, politischen Färbung oder weltanschaulichen Grundhaltung miteinander konkurrierenden Presseerzeugnissen existiere, während im Be­ reich des Rundfunks sowohl aus technischen Gründen als auch mit Rücksicht 1 04 1 05 1 06

3•

BVerfGE 12, 205 (259 ff.). BVerfGE 10, 1 18 (121). Hierzu und zum folgenden: BVerfGE 12, 205 (259 ff.).

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

auf den außergewöhnlich großen finanziellen Aufwand für die Veranstaltung von Rundfunkdarbietungen die Zahl der Träger solcher Veranstaltungen verhältnismäßig klein bleiben müsse. Diese Sondersituation im Bereich des Rundfunkwesens erfordere besondere Vorkehrungen zur Verwirklichung der in Art. 5 GG gewährleisteten Freiheit des Rundfunks. 1 07 Eines der diesem Zweck dienenden Mittel sei das Prinzip nach dem die bestehenden Rund­ funkanstalten aufgebaut seien: Für die Veranstaltung von Rundfunksendun­ gen werde durch Gesetz eine juristische Person des öffentlichen Rechts geschaffen, die dem staatlichen Einfluß entzogen oder höchstens einer be­ schränkten staatlichen Rechtsaufsicht unterworfen sei; ihre kollegialen Or­ gane seien faktisch in angemessenem Verhältnis aus Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen zusammengesetzt; sie hätten die Macht, die für die Programmgestaltung maßgeblichen Kräfte darauf zu kontrollieren und dahin zu korrigieren, daß den im Gesetz genannten Grundsätzen für eine angemessene anteilige Her­ anziehung aller am Rundfunk Interessierten Genüge getan werde. Es stehe mit Art. 5 GG nicht im Widerspruch, wenn einer mit solchen Sicherungen ausgestatteten Institution unter den gegenwärtigen technischen Gegebenhei­ ten und auf Landesebene ein Monopol für die Veranstaltung von Rundfunk­ darbietungen eingeräumt werde; aus Art. 5 GG folge aber keineswegs die Notwendigkeit, ein solches Monopol für eine Institution im Lande zu be­ gründen. Auch eine Gesellschaft des privaten Rechts könne Träger von Veranstal­ tungen dieser Art sein, wenn sie nach ihrer Organisationsform hinreichende Gewähr biete, daß in ihr in ähnlicher Weise wie in der öffentlich-rechtlichen Anstalt alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kämen und die Frei­ heit der Berichterstattung unangetastet bleibe. Art. 5 GG verlange jedenfalls, daß der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werde. Die Veranstalter von Rundfunkdarbietungen müßten also so organisiert werden, daß alle in Be­ tracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluß hätten und im Gesamt­ programm zu Wort kommen könnten, und daß für den Inhalt des Gesamt107 Die Argumentation aus der technischen und finanziellen Sondersituation des Rund­ funks heraus ist vor allem prägnant im mündlichen Plädoyer des Prozeßbevollmächtigten der beteiligten Länder, Rechtsanwalt AdolfArndt, zum Ausdruck gekommen. Er arbeitete bereits damals die noch heute beherrschende Sicht einer Unterscheidung zwischen Außen­ und Binnenpluralismus heraus, wenngleich diese Begriffe seinerzeit noch nicht geprägt waren. So führte er aus, theoretisch könne die Freiheit des Rundfunks entweder im Wege der Konkurrenzmethode durch einen Senderpluralismus ausgestaltet werden oder aber mittels der auf Parität der gesellschaftlichen Kräfte ausgerichteten institutionellen Infra­ struktur. Die Konkurrenzmethode scheide schon aus technischen Gründen aus (Wortpro­ tokoll der mündlichen Verhandlung, abgedruckt bei Zehner, Band 2, 83). Selbigen Gedan­ kengang Arndts hat sich das Bundesverfassungsgericht im wesentlichen zu eigen gemacht und prinzipiell bis heute weiterverfolgt.

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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programms Leitgrundsätze verbindlich seien, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung ge­ währleisteten. Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen zum Wesen der Rundfunk­ freiheit ergab sich konsequenterweise, daß Gründung und Existenz der ein­ seitig von der Bundesregierung beherrschten Deutschland-Fernsehen­ GmbH gegen das Grundgesetz verstießen. Darüber hinaus war die ausschließliche Vergabe von Sendelizenzen an öffentlich-rechtliche Anstal­ ten des bestehenden Musters verfassungsrechtlich sanktioniert worden. Weil nach der Errichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkregimes in der Bun­ desrepublik kein nennenswerter Zuwachs an Frequenzen zur Übertragung von Rundfunksendungen durch die herkömmliche terrestrische Technik zu verzeichnen war, stabilisierte sich das System. Privatrechtliche Konkurrenz kam bis zur Mitte der achtziger Jahre nicht zum Zuge. Das Recht bot keinen Hebel zur Veränderung dieser Strukturen. Gleichwohl war nicht zu verken­ nen, daß die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts wesentlich von der festgestellten technischen und finanziellen Sondersituation auf dem Ge­ biete des Rundfunks abhing. Neue Entwicklungen auf diesen Feldern konn­ ten nicht ohne Auswirkungen auf die rundfunkrechtliche Diskussion und Lagebeurteilung bleiben. 4. D i e v i e r t e P h a s e : Dynamisie rung durch neue Technologien In den siebziger Jahren rückten neue elektronische Medien zur Übertra­ gung von Programmen verstärkt ins Blickfeld. Die Hoffnungen zur Über­ windung der Frequenzknappheit des terrestrischen Bereichs richteten sich hauptsächlich auf die Breitbandverkabelung und die Satellitenkommunika­ tion. Mit diesen Technologien glaubte man die „Sondersituation" bei der Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen in Kürze aufheben zu können. 108 Die technischen Chancen dieser Kommunikationsmittel und ihre praktische Einsatzfähigkeit bestimmen nachhaltig die aktuelle rundfunk­ rechtliche Situation. Daher bedarf es einer Bestandsaufnahme in diesen Punkten. 1 09

108 Exemplarisch für diese Argumentation sind die Ausführungen bei Klein, 68-73; vgl. auch Bullinger, Kommunikationsfreiheit, 63-67. 109 Einen Überblick zu den neueren Entwicklungen geben Sehlink/Wieland, 570-572; Hatzisawas, 1 26 ff.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

a) Kabelrundfunk

Der Telekommunikationsbericht der 1974 von der Bundesregierung einge­ setzten „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssy­ stems" definiert Kabelrundfunk als „die Verteilung von Rundfunkprogram­ men (Fernsehen, Hörfunk) über Kabelsysteme . . . , in denen neben den ortsüblichen empfangbaren Programmen weitere, am Ort drahtlos nicht empfangbare Programme übertragen werden" . 1 1 0 Die zugrundeliegende Idee, den einzelnen Haushalt nicht über den Äther, sondern über einen Leiter mit den erforderlichen Informationen zu versorgen, kehrt zurück zu dem Prinzip des Drahtfunks, der schon 1928 in Deutschland unter Nutzung des Fernsprechnetzes zur Verteilung von Hörfunkprogrammen eingeführt wurde. 1 1 1 Die Verteilung von Fernsehprogrammen über Kabel stellt aller­ dings deutlich erhöhte technische Anforderungen, so daß die herkömmlichen Fernsprechkabel hierfür nicht genutzt werden können. Man benötigt viel­ mehr für die Fernsehübertragung ein sogenanntes Breitbandverteilnetz, des­ sen Name auf der Tatsache beruht, daß die Übertragung eines Fernsehpro­ grammes ebensoviel Platz im Kabel benötigt wie 1000 Telefongespräche. 1 1 2 Herzstück eines Kabelverteilnetzes ist die Zentrale, in der die Signale aufbereitet werden, die man entweder über Groß-Gemeinschaftsantennen­ Anlagen empfängt oder in einem angegliederten Studio erzeugt. 1 1 3 Diese Signale werden in ein Kabelsystem eingegeben, das eine Baumstruktur auf­ weist und über das eine Vielzahl von Haushalten versorgt wird. Das Verteil­ netz reicht in den Wohnsiedlungen bis zu den sog. ,,Übergabepunkten", die zumeist im Keller der jeweiligen Häuser gelegen sind und den Endpunkt der Verlegung durch die Deutsche Bundespost darstellen. Der Anschluß des einzelnen Rundfunkgeräts an diesen Punkt obliegt dem Empfänger. Die Bundespost hat ihre Aktivitäten zur Verlegung von Kabelnetzen seit dem Bonner Regierungswechsel im Jahre 1982 beträchtlich gesteigert. Ge­ genwärtig bietet sich folgendes statistisches Bild: Ende September 1987 k'onnte nahezu jeder dritte Haushalt in der Bundesrepublik ans Kabel ange­ schlossen werden - nämlich 7,9 Millionen. 1 1 4 Tatsächlich hatten 2,9 Millio­ nen Haushalte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Zukunft der Verkabelung ist wegen der hohen Kosten und der bislang eher verhaltenen Akzeptanz schwer zu prognostizieren. Während ursprüng11

°

111

1 12

Kommission für den technischen Ausbau des Kommunikationssystems, 1 .

Kulpok, 1 56. Meyer/Schiwy/Schneider, J. 1 . 1 , Seite 1 .

1 13 Zur Struktur von Kabelverteilnetzen im einzelnen: Expertenkommission, 56 ff.; Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems, 10; Kulpok, 153 ff.; Ratzke, 1 1 3 ff. 1 14 Kirche und Rundfunk Nr. 87 vom 7. November 1987, Seite 9.

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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lieh ein flächendeckendes Kabelnetz hergestellt werden sollte, plant die Deut­ sche Bundespost derzeit nur noch eine großflächige Verkabelung des Bun­ desgebietes mit einem Versorgungsgrad von höchstens 80 Prozent. 1 1 5 Der Ausbau soll zügig vorangehen, um baldmöglichst die Wirtschaftlichkeits­ schwelle zu erreichen, die bei circa 4,4 Millionen tatsächlich angeschlossenen Haushalten vermutet wird. 1 1 6 Per Saldo zeigt sich, daß manche der ursprünglich mit dem Eintritt in die Kabeltechnologie verbundenen Erwartungen sich als allzu optimistisch er­ wiesen haben. Insgesamt wird man der Feststellung des Bundesverfassungs­ gerichts im vierten Fernsehurteil beipflichten können, daß eine vollständige Behebung der Frequenzknappheit im Rundfunkwesen auf diesem Wege bis auf weiteres nicht erwartet werden könne; es werde nur eine im Laufe der Zeit wachsende Anzahl von Kabelinseln und einzelnen Flächennetzen geben. 1 1 7 b) Satellitentechnik

Eine weitere Möglichkeit zur Öffnung der bundesdeutschen Medienszene wird in der Satellitenkommunikation gesehen. Die Satellitentechnik hat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine nachgerade revolutionäre Entwick­ lung genommen. Der erste künstliche Erdtrabant, Sputnik l im Oktober 1957, löste eine Wellenbewegung ständig neuer Satellitengenerationen aus. Auf dem Felde der Kommunikationstechnik dienen Satelliten dazu, elek­ tromagnetische Wellen, die von der Erde abgestrahlt werden, zu reflektieren oder verstärkt weiterzugeben und damit weiträumige Gebiete der Erdober­ fläche zu bedienen. 1 1 8 Von besonderer Attraktivität für die Benutzer eines Satelliten ist dabei die sogenannte geostationäre Position in 36.000 Kilome­ tern Höhe. In dieser Stellung entspricht die Zeit, die der Satellit für eine Erdumrundung benötigt, derjenigen einer vollen Erdumdrehung, so daß der Trabant scheinbar unbeweglich über einer bestimmten Region der Erde steht. 1 1 9 Dies ermöglicht die dauerhafte Bestrahlung eines Empfangsgebietes durch einen einzelnen Satelliten, ohne daß bei den Erdempfangsstationen die Antennenpositionen verändert werden müßten. Unter den der Kommunikation gewidmeten Satelliten differenziert man üblicherweise zwischen Nachrichten- und Rundfunksatelliten. 1 20 Die Sende­ leistung eines Nachrichtensatelliten ist geringer als die eines RundfunksatelliVgl. BVerfGE 73, 1 1 8 (1 22). Ebenda. 1 1 7 BVerfGE 73, 1 1 8 ( 122). 1 18 Haagen, 1 1 f. 1 19 Delbrück, Satellitenrundfunk, 1 2; Engelhard, 18; Thieme, 14. 12° Kulpok, 1 63; Delbrück, Satellitenrundfunk, 1 1 ; Kabel/Strätling, 10. 1 15

1 16

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

ten und seine Signale sollen nicht von der Allgemeinheit unmittelbar emp­ fangen werden. Nachrichtensatelliten erfordern einen beträchtlichen Antennenaufwand und werden beispielsweise für den interkontinentalen Telefonverkehr und den internationalen Fernsehprogrammaustausch einge­ setzt. 121 In neuerer Zeit verwischen sich allerdings diese Abgrenzungen durch die sprunghaften Fortschritte der Antennentechnik. 122 Für die bundesdeut­ sche Medienlandschaft ist das Prinzip der direkt empfangbaren Rundfunksa­ telliten von zentraler Bedeutung. Die World Administrative Radio Confe­ rence for Space Telecommunications (WARC-ST) definierte direkten Satellitenrundfunk 197 1 als „a radiocommunicative service in which signals transmitted or retransmitted by space stations are intended for direct recep­ tion by the general public". 123 Das entscheidende Abgrenzungskriterium gegenüber den Nachrichtensatelliten liegt also in der Ausstrahlung zum unmittelbaren Empfang für jedermann und eben dieser Umstand eröffnet neue Perspektiven für die bundesdeutsche Rundfunkdiskussion. Man geht davon aus, daß der einzelne Rundfunkteilnehmer zum Empfang eine Parabol­ antenne mit einem Durchmesser von circa 60 bis 90 Zentimetern benötigen wird. 124 Auch das Spektrum für Satellitenrundfunk ist jedoch räumlich nicht unbe­ grenzt. Die sinnvolle Nutzung dieser Ressource bedurfte einer einvernehmli­ chen völkerrechtlichen Regelung durch eine internationale Organsation, um Überschneidungen und gegenseitige Störungen der beteiligten Staaten zu vermeiden. Zu diesem Zweck trat 1977 und 1979 die WARC zusammen. 125 Dabei wurde jedem Mitgliedstaat eine bestimmte Anzahl von Sendekanälen auf geostationären Rundfunksatelliten zugewiesen. Die Bundesrepublik er­ hielt fünf Kanäle. 126 Der Satellit der Deutschen Bundespost wurde - nach vielfachen Verzöge­ rungen mit jahrelanger Verspätung - im November 1987 ins All gestartet. Die Einmessungszeit soll bis ins Frühjahr 1988 dauern. 127 Aber auch dann stehen dem allgemeinen Empfang noch einige technische Schwierigkeiten entgegen. Ein Problem bildet derzeit insbesondere die Emp­ fängertechnik. Frankreich und die Bundesrepublik haben sich nämlich dar­ auf geeinigt, die Satellitenprogramme in Zukunft in einer einheitlichen Norm 121

Kulpok, 1 65; siehe auch Schmidbauer, 12- 1 3. Haagen, 44 f. 1 23 WARC-ST, Final Acts, Genf 197 1 . 1 24 Luyken, 86. 1 25 Delbrück, Satellitenrundfunk, 17; Engelhard, 19. 126 Delbrück, Satellitenrundfunk, 17. 1 27 Süddeutsche Zeitung, 23. September 1987, Seite 4. Derzeit lassen technische Pro­ bleme bei der Entfaltung der Sonnenkollektoren es ungewiß erscheinen, ob der Satellit überhaupt den geplanten Sendeberieb aufnehmen kann. 122

A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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auszustrahlen, um die historische Trennung zwischen den Farbfernsehsy­ stemen beider Länder zu überwinden. Die Vereinbarung der sogenannten „D2-Mac-Norm" erscheint jedoch als verfrüht, weil bei ihrem Abschluß noch keine elektronischen Chips existierten, die dieses System in Signale für die herkömmlichen Fernsehgeräte übersetzen konnten. 1 2 8 Schließlich gilt es zu beachten, daß die Akzeptanz dieses neuen Mediums durch den Rundfunkteilnehmer noch keinesfalls als gesichert gelten kann. In erster Linie dürfte sich dem Konsumenten ein Kostenproblem eröffnen. Die Antennenanlage im einzelnen Haushalt soll 1000 bis 2500 DM kosten und ferner kommen Zusatzausgaben für weitere Empfangsgeräte in Höhe von 500 DM in Betracht. 1 29 Angesichts dieses nicht unerheblichen Aufwands wird abzuwarten bleiben, wie schnell sich die Empfangsanlagen für Satelliten­ rundfunk ausbreiten, wenn erst Programme angeboten werden. Es ist eine gewisse Skepsis daran angebracht, ob dieses Medium in naher Zukunft weite Bevölkerungskreise der Bundesrepublik ansprechen kann und so zu einer wirklich effektiven Erweiterung der Medienlandschaft führen wird. c) Die Mediengesetzgebung der achtziger Jahre

Der technische Fortschritt verursachte Bewegung in der rundfunkrechtli­ chen Diskussion, weil er erstmals seit langer Zeit neue Übertragungsmög­ lichkeiten in die lange vom Mangel gekennzeichnete Situation einbrachte. Wie stets provozierte das Auffinden neuer Ressourcen unter Juristen die Frage nach dem Verteilungsmaßstab, zumal aus den Ländern privatökono­ mischer Rundfunksysteme hinlänglich bekannt war, daß hier äußerst lukra­ tive Werbemärkte zu erschließen sind. In dieser Lage hatte das Bundesverfas­ sungsgericht am 16. Juni 198 1 Gelegenheit, Richtwerte für die anstehende Landesrundfunkgesetzgebung zu liefern. Das dritte Fernsehurteil 1 30 des Ge­ richts betonte zunächst noch einmal ausdrücklich, daß Rundfunkpro­ gramme auch von privatrechtlich organisierten Veranstaltern angeboten werden dürften. 1 3 1 Dabei sei jedoch die Wahrung der Meinungsvielfalt durch den Gesetzgeber sicherzustellen. Dies könne einerseits durch eine binnenplu­ ralistische Struktur der Veranstalter geschehen, also eine Organisation, bei welcher der Einfluß der in Betracht kommenden gesellschaftlichen Kräfte intern, durch Organe der jeweiligen Veranstalter vermittelt werde; anderer­ seits könne sich der Gesetzgeber auch für eine externe (außenpluralistische) Vielfalt entscheiden. 1 3 2 In jedem Falle habe er aber zu gewährleisten, daß das Ebenda. Delbrück, Satellitenrundfunk, 19. 1 30 BVerfGE 57, 295. 131 BVerfGE 57, 295 (31 9, 326); so auch schon BVerfGE 1 2, 205 (262). 1 32 BVerfGE 57, 295 (325). 1 28 129

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungs­ vielfalt auch tatsächlich im wesentlichen entspreche. 1 3 3 Somit war den Landesgesetzgebern Anfang der achtziger Jahre sowohl ein neuer technologischer Horizont eröffnet als auch verfassungsrechtliche Ent­ scheidungshilfe an die Hand gegeben worden. Zahlreiche Bundesländer ord­ neten ihr Rundfunksystem grundlegend neu . .Zwischen 1984 und 1987 wur­ den nicht weniger als neun Landesmedien- und -rundfunkgesetze verab­ schiedet, die eine privatrechtliche Trägerschaft vorsehen. Dabei liegt den Gesetzen im einzelnen eine durchaus unterschiedliche Konzeption zugrunde. In Hamburg 1 3 4 und Nordrhein-Westfalen 1 3 5 schreibt der Gesetzgeber dem privaten Träger eine binnenpluralistische Programmgestaltung vor. Demge­ genüber setzen Berlin 136 und Rheinland-Pfalz 137 auf ein außenpluralistisches Modell und gehen davon aus, daß sich die Meinungsvielfalt im Rundfunk ohne weiteres durch die Vielzahl der insgesamt empfangbaren Programme einstellen wird. Langfristig setzen auch die Landesparlamente von Nieder­ sachsen, 1 3 8 Saarland, 1 3 9 Schleswig-Holstein 1 40 und Baden Württemberg 1 4 1 auf den Außenpluralismus. Für eine Übergangszeit bis zur Etablierung der vollen Meinungsvielfalt verlangen sie jedoch von jedem einzelnen privaten Veranstalter, daß sein Programm das volle gesellschaftliche Spektrum zu Wort kommen läßt. Eine vergleichbare Regelung haben die Ministerpräsi­ denten auch für den bundesweit verbreiteten privaten Rundfunk getroffen, als sie sich im April 1987 auf den Staatsvertrag zur Neuordnung des Rund­ funkwesens einigten. 1 42 Dieser Staatsvertrag schreibt die duale Ordnung des Rundfunks unter Beteiligung privater und öffentlich-rechtlicher Veranstalter fest. Er stellt einen historischen Kompromiß dar und trat am 1 . Dezember 1987 nach Ratifikation durch alle Bundesländer in Kraft. Ein ungewöhnliches Mischmodell aus binnen- und außenpluralistischen Elementen findet sich schließlich in Bayern, 1 4 3 das wegen einer besonderen Regelung seiner Landesverfassung eigene Wege geht. 1 44 BVerfGE 57, 295 (325). Hamburgisches Mediengesetz, GVBI. 1985, 3 1 5 ff. 1 3 5 Landesrundfunkgesetz, GVBI. 1987, 22 ff. 1 3 6 Landesrundfunkgesetz, GVBI. 1986, 1 59 ff. 1 37 Landesrundfunkgesetz, GVBI. 1986, 1 59 ff. 1 38 Landesrundfunkgesetz, GVBI. 1984, 147; 1987, 44 ff. 1 39 Landesrundfunkgesetz, Amtsblatt 1984, 1249; 1987, 1005 ff. 1 40 Landesrundfunkgesetz, GVBI. 1984, 214; 1987, 234. 1 4 1 Landesmediengesetz, GB!. 1 985, 539. 1 42 Abgedruckt zum Beispiel im GVBI. für Schleswig-Holstein 1987, 235 ff. 1 4 3 Medienerprobungs- und -entwicklungsgesetz, GVBI. 1984, 445 ff.; 1987, 214 ff. 1 44 Eingehend zur Kategorisierung der entstandenen Vielfaltsmodelle: Mook, 1 1 f.; eine instruktuve Übersicht hierzu liefert Albrecht Hesse, Organisation, 1 80-1 82. 1 33

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A. Die Entwicklung des deutschen Rundfunkwesens

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Von allen diesen Regelungswerken wird später noch im einzelnen zu handeln sein. Per Saldo läßt sich aber an dieser Stelle konstatieren, daß die Gesetzeslage im bundesdeutschen Rundfunk in den Jahren 1984 bis 1 987 von Grund auf umgestaltet worden ist. d) Neue Eckwerte durch das vierte Fernsehurteil

Als erstes Mediengesetz der neuen Generation mußte sich 1 986 die nieder­ sächsische Regelung der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterziehen. Erstmals 1 45 wurde ein dem Bundesverfassungsgericht vorgelegtes Privat­ rundfunkkonzept im wesentlichen als verfassungsgemäß bewertet. 146 Das Gericht konkretisierte seinen Entwurf der Meinungsvielfalt und erkannte das Konzept eines Nebeneinander privater und öffentlicher Rundfunkveranstal­ ter ausdrücklich an. 1 4 7 In dieser dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der bundesdeutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbilde, sei die unerläßliche „Grundversor­ gung" Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestrische Pro­ gramme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichten und die zu einem inhalt­ lich umfassenden Programmangebot in der Lage seien. Solange dies gesichert sei, erscheine es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich­ rechtlichen Rundfunk. Der Gesetzgeber müsse sichern, daß für alle Mei­ nungsrichtungen - auch die von Minderheiten - die Möglichkeit bestehe, im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen; ungleichgewichtiger Ein­ fluß einzelner Veranstalter und das Entstehen vorherrschender Meinungs­ macht seien auszuschließen. Diesen Anforderungen genüge grundsätzlich eine Konzeption der Ordnung privaten, durch Werbeeinnahmen finanzierten Rundfunks, welche neben allgemeinen Mindestanforderungen die Voraus­ setzungen der gebotenen Sicherung von Vielfalt und Ausgewogenheit der Programme klar bestimme, die Sorge für deren Einhaltung sowie alle für den Inhalt der Programme bedeutsamen Entscheidungen einem externen, vom Staat unabhängigen, unter dem Einfluß der maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte und Richtungen stehenden Organ übertrage und wirksame gesetzliche Vorkehrungen gegen eine Konzentration von Meinungsmacht treffe. Das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz entsprach diesen Anforde­ rungen im wesentlichen; Nachbesserungen wurden dem Gesetzgeber aufge­ geben in Bezug auf die Sicherung der Staatsfreiheit im Lizenzverfahren, 148 1 45 Sowohl die Deutschland-Fernsehen-GmbH (BVerfGE 12, 205 f f.) als auch das saarländische Rundfunkgesetz (BVerfGE 57, 295 ff.) erwiesen sich als grundgesetzwidrig. 1 46 BVerfGE 73, 1 18. 14 7 Ebenda. 148 BVerfGE 73, 1 18 ( 1 84 ff.).

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

der Klarstellung des Übergangs vom Binnen- zum Außenpluralismus 149 sowie der Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht. 150 Trotz dieser Beanstandungen im Detail läßt sich das vierte Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 1986 rechtsgeschichtlich als Wendepunkt hin zu einer dualen Rundfunkverfassung in der Bundesre­ publik Deutschland bewerten. Soweit auf Landesebene der politische Wille existiert, private Rundfunkveranstaltungen zuzulassen, steht nunmehr ein rechtliches Instrumentarium bereit, über dem kein Karlsruher Damokles­ schwert mehr schwebt. Inwiefern allerdings die verschiedenen Landesrund­ funkgesetze in ihrer heutigen Form, die zum Teil aus der Zeit vor der Verkündung des vierten Fernsehurteils herrühren, wird noch ausführlich zu untersuchen sein. Zusammenfassend läßt sich jedoch bereits hier festhalten, daß das deutsche Rundfunkrecht in diesem Jahrzehnt einen umwälzenden Strukturwandel erlebt hat und völlig neue Möglichkeiten eröffnet worden sind. Inwieweit diese Entwicklung die Rechtswirklichkeit tatsächlich verän­ dern kann, wird die Anwendung der neuen Normen in der konkreten Verwal­ tungspraxis erweisen müssen.

B. Der Rechtsbegriff "Rundfunk" Art. 5 Abs. l S. 2 GG besagt, daß die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk gewährleistet wird. Das Grundgesetz enthält selbst jedoch keine weitergehende Definition des Begriffs Rundfunk. Der terminus bedarf ge­ nauerer Beleuchtung, da er in der Diskussion um die neuen Mediengesetze von schlechthin grundlegender Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß der Begriff Rundfunk zwar nicht ausdrücklich an anderer Stelle im Grundgesetz genannt wird, daß er jedoch der Sache nach auch in Art. 73 Nr. 7 GG geregelt ist, wo dem Bund eine ausschließliche Gesetzge­ bungskompetenz für das Post- und Fernmeldewesen zugewiesen wird. Im einzelnen ist der Rundfunkbegriff heute heftig umkämpft. Einigkeit besteht allerdings insoweit, als allgemein angenommen wird, daß es sich um den Oberbegriff für Hörrundfunk (Hörfunk) und Fernsehfunk (Fernsehen) handelt. 1 5 1 Darüber hinaus wird gemeinhin zwischen dem fernmelderechtlichen Rundfunkbegriff (Rundfunk als Sendebetrieb) und dem kulturrechtlichen Rundfunkbegriff (Rundfunk als Programmbetrieb) unterschieden. 152 Beide 149 BVerfGE 73, 1 18 (167 ff.). iso BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 72 ff.). 1' 1 von Münch, GGK, Rn. 38 zu Art. 5; Herrmann, Fernsehen, 22; BVerfGE 12, 205 (226); 3 1 , 314 (3 1 5). 1 2 ' Paptistel/a, Rundfunkbegriff, 497 ff.; Scholz, Audiovisuelle Medien, 30 ff.

B. Der Rechtsbegriff „Rundfunk"

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Teilbegriffe werden als Komponenten eines umgreifenden verfassungsrecht­ lichen Rundfunkbegriffs verstanden. 1 5 3 Dabei gilt es zu beachten, daß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nur den normativen Standort des kulturrechtlichen Rund­ funkbegriffs beinhaltet. 1 5 4 In diesem Teilbereich des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs liegt das Zentrum des heutigen politischen und juristischen Meinungsstreits um die modernen Medientechnologien. Demgegenüber ist der fernmelderechtliche Rundfunkbegriff gefestigt; er wird unter Heranziehung des Fernmeldeanlagen-Gesetzes 1 5 5 und des Inter­ nationalen Fernmeldevertrages von Malaga-Torremolinos 156 bestimmt. Rundfunk ist danach ein „Funkdienst", dessen Aussendungen zum unmittel­ baren Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt sind. 1 5 7 Das Fernmeldean­ lagengesetz setzt diesen Rundfunkbegriff voraus und regelt allein die techni­ schen Einrichtungen zur Aussendung: ,,Funkanlagen sind elektrische Sendeeinrichtungen, bei denen die Übermittlung oder der Empfang von Nachrichten, Zeichen, Bildern oder Tönen ohne Verbindungsleitungen oder unter Verwendung elektrischer, an einem Leiter entlanggeführter Schwin­ gungen stattfinden kann" (§ 1 Abs. 1 S. 2). Schwieriger stellt sich demgegenüber die Ausfüllung des kulturrechtlichen Rundfunkbegriffs im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG dar. Auch hier liegt es nahe, einfachgesetzliche Definitionen heranzuziehen. Eine bundesweit aner­ kannte derartige Rundfunkdefinition enthält Art. 1 des Staatsvertrages über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens: 1 5 8 Rundfunk ist „die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwin­ gungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters". Manche Autoren wollen in dieser Regelung einen „verfassungskonkretisie­ renden Rundfunkbegriff' sehen und ihn der medienrechtlichen Diskussion zugrundelegen. 1 5 9 Wählt man diesen Weg, so bereitet die weitere Ausfüllung der Defi­ nitionsmerkmale „Allgemeinheit", ,, Verbreitung" und „Darbietung" einige Schwierigkeiten. Für die Praxis haben sich die Rundfunkreferenten der Län­ der in ihrem „Bericht zur Frage der Veranstaltung privater Rundfunksen� dungen und des Rundfunkbegriffs" vom 29. April 1 975 (Schliersee-Papier) auf mehrere konkretisierende Thesen verständigt. 1 60 Sie sehen hierin eine Ebenda. Scholz, Audiovisuelle Medien, 3 1 ; problematisierend: Pap tistel/a, Rundfunkbegriff, 497 , FN 23. 1 55 In der Neufassung der Bekanntmachung vom 1 7. März 1977, BGBI. I S. 459 ff. 1 56 Vom 25. Oktober 1973, BGBI. II 1976 S. 1090- 1 1 5 1 . 1 57 Siehe Pap tiste//a, Rundfunkbegriff, 497. 1 58 Vom 5. Dezember 1974, z. B. GVBI. für Schleswig-Holstein 1975, 76. 1 59 So Fuhr/Krone, 51 3, 5 1 7. 160 Abgedruckt bei Ring, F-1, 1.5. 1 53

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Ausformung des Rundfunkbegriffs im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. 1 6 1 Von wesentlicher Bedeutung sind folgende Aussagen: 1 . Eine Sendung sei nur dann nicht im rundfunkrechtlichen Sinn an die Allgemeinheit gerichtet, wenn sich der Adressatenkreis vorher in einer Weise bestimmen lasse, daß es sich hierbei ausschließlich um Personen handele, die durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehungen zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden seien. 2. Eine Verbreitung im rundfunkrechtlichen Sinne liege nicht vor, wenn sich diese innerhalb einer überblickbaren räumlichen Einheit vollziehe. 3. Eine Verbreitung an die Allgemeinheit liege ferner nicht vor, wenn die Übermittlung der im Einzelfall vom Besteller konkret gewünschten Darbie­ tung auf dessen Abruf an ihn allein erfolge. Wohl aber sei eine Verbreitung an die Allgemeinheit gegeben, wenn sich der Teilnehmer in eine allgemeine ohnehin laufend übermittelte Darbietung jederzeit miteinschalten könne, beispielsweise bei Werbemitteilungen von Kaufhäusern, Telefonansagedien­ sten der Bundespost oder „Pay-TV". 4. Eine Darbietung im rundfunkrechtlichen Sinne liege nicht vor, wenn sie zur öffentlichen Meinungsbildung weder bestimmt noch geeignet sei. Die zuständigen Verwaltungsbehörden haben somit ihren Standpunkt zum Rundfunkbegriff relativ weitgehend und auch kasuistisch dargelegt. Zweifel sind jedoch anzumelden, soweit ohne weiteres der Rundfunkbegriff in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und im Gebührenstaatsvertrag gleichgesetzt werden und insbesondere soweit diese Begriffe dann durch einen umfassenden Kata­ log verdeutlicht werden sollen. Die Ableitung des Thesenkatalogs ermangelt einer nachprüfbaren, rationalen Argumentation, weil Verfassungsrechtsbe­ griffe nur mit großer Vorsicht durch den Rückgriff auf einfaches Gesetzes­ recht oder Staatsverträge bestimmt werden können. Das Schlierseepapier und sein Nachfolger, das Würzburger Papier, gehen in diesem Punkt allzu positivistisch ans Werk. Vor allem Starck 1 62 hat gegen die Argumenatation aus dem Staatsvertrag mit Recht eingewandt, daß dieser sich auf Rundfunk beziehe, soweit dessen Nutzung eine Gebührenpflicht auslöse, was für den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff nicht erheblich sein könne. Die Verwaltungsrechtsprechung hat denn auch in ihrer bisherigen Judika­ tur das Schliersee-Papier nicht als Erkenntnisquelle herangezogen. Den In­ halt und die allgemeinen Definitionskriterien des Rundfunkbegriffs im Sinne von Art. 5 GG hat vor allem das OVG Münster näher in seiner „Phonopost"1 6 1 So ausdrücklich das „Würzburger Papier", ebenfalls abgedruckt bei Ring, F-1, 1. 6; Zweiter Bericht der Rundfunkreferenten der Länder zur Frage des Rundfunkbegriffs, insbesondere der medienrechtlichen Einordnung von "Videotext", .Kabeltext" und .Bild­ schirmtext" (Teleschriftformen) vom 25. Mai 1979, Seite 6. 1 62 von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, Rn. 62.

B. Der Rechtsbegriff „Rundfunk"

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Entscheidung 163 erörtert. Der dortige Kläger wollte die von ihm selbst produ­ zierten Unterhaltungs- und Nachrichtensendungen in Strafanstalten, Kran­ kenhäusern und Heimen aufführen. Hierzu beabsichtigte er, Tonbänder über anstaltseigene Leitungs- und Verteilsysteme abzuspielen sowie anzumietende Postübertragungsleitungen und Mikroportanlagen 1 64 zu verwenden. Das Gericht sah hierin Rundfunk und einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, weil für Privatfunk die erforderlichen landesgesetzlichen Grundlagen fehl­ ten. Methodisch ging das OVG davon aus, daß die Definition aus dem verfassungsrechtlichen Begriffsbild und aus einer am normativen Funktions­ zweck orientierten Betrachtungsweise zu erschließen sei. Gesetzlichen Defi­ nitionen könne dabei keine konstitutive, wohl aber eine verfassungsverdeut­ lichende Wirkung zukommen. Insoweit schließt das Gericht aus dem Gebüh­ renstaatsvertrag 1 65 und dem Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk 166 sowie der geschichtlichen Entwicklung des Funkwesens, daß es nicht darauf ankomme, ob die Übertragung drahtlos erfolge. Maßgebend erscheint dem OVG die Begriffsanpassung an die Fortschritte der Rundfunktechnik. Die Entstehungsgeschichte 1 6 7 des Art. 5 GG zeige, daß die Garantie der institu­ tionellen Rundfunkfreiheit entwicklungsoffen gehalten werden sollte. Die sendetechnische Seite des Rundfunkbegriffs sei daher durch die vom Kläger eingesetzten Mittel erfüllt. 1 68 Für die Zuordnung des betreffenden Verhaltens zum Rundfunk soll ferner wesentlich sein, daß der Kläger Programme darbiete; es handele sich um auf Dauer angelegte periodische Veranstaltungen. 1 69 Darüber hinaus sei maßgeblich, daß die Sendungen an die Allgemeinheit adressiert seien und von der Allgemeinheit empfangen werden könnten. 170 Würde man die nicht an die Allgemeinheit gerichteten Sendungen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unterwerfen, dann würden dessen institutionell-organisatori­ sche Vorkehrungen zu Lasten des Individualgrundrechtsgehaltes überzogen. Der vom Kläger angesprochene Adressatenkreis des Programms sei seinem Umfang nach unbestimmt und unbestimmbar und auch der Inhalt des Pro­ gramms sei nicht etwa nur anstaltsbezogen. Die Betrachtung des Urteils zeigt zunächst, daß das Gericht methodisch einen zutreffenden Ansatz zur Deutung des Rundfunkbegriffs in Art. 5 GG 1 63 OVGE 32, 126 ff. = DÖV 1978, 5 1 9 ff. = DVBI. 1977, 207 ff.; Vorinstanz VG Düsseldorf Media-Perspektiven 1974, 437 ff. 164 Es handelt sich um drahtlose Übertragungsanlagen kurzer Reichweite. 165 Art. 1 des Vertrags, siehe oben Teil 2, B. 1 66 Der Senat bezieht sich auf die Stellungnahmen der Abgeordneten Heuß und Süsterhenn im Parlamentarischen Rat, in: JöR N. F. 1 (1950/5 1), 86. 1 68 DÖV 1978, 520. 169 Ebenda. 1 70 Ebenda.

2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

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gewählt hat. Die Verfassung ist grundsätzlich aus sich heraus auszulegen und hat selbst den Maßstab dafür zu liefern, wie das einfache Gesetzesrecht zu interpretieren ist. Dies schließt es aus, unbesehen auf die Rundfunkdefinition des Gebührenstaatsvertrages zurückzugreifen. Nichtsdestoweniger kann aber dessen Aussage zur Bestimmung des üblichen Wortsinns des Rund­ funkbegriffs herangezogen werden. In diesem Punkt zeigt sich, daß die Medien Film, Rundfunk und Presse in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG durch den Kommunikationszweck innerlich verbunden sind. Die Differenzierung er­ folgt nach der technischen Verbreitungsmethode. Der Rundfunk bedient sich dabei - wie auch ein Blick in den Gebührenstaatsvertrag untermauert ­ elektrischer Schwingungen. Die Sendetechnik liefert somit ein Definitions­ kriterium. Diesbezüglich kann es nicht maßgeblich darauf ankommen, ob mit oder ohne Draht übermittelt wird. 1 7 1 Mit Recht arbeitet das OVG Mün­ ster nämlich heraus, daß der Rundfunkbegriff funktional auszulegen ist und offen für neue technische Entwicklungen bleiben muß. Auch die voraus­ schauendsten Väter des Grundgesetzes hätten nicht erahnen können, wel­ chen Formenreichtum die Signalübermittlung durch elektrische Wellen ein­ mal annehmen würde und selbst heute ist angesichts ständig wechselnder Generationen der Kommunikationstechnologie keinesfalls vorherzusagen, wie sich diese Szene entwickeln wird. Auf der sendetechnischen Seite sollte die Rundfunkdefinition also entwicklungsoffen und flexibel gehandhabt werden. Darüber hinaus gilt es, im Rahmen des Rundfunksbegriffs eine Abgren­ zung zwischen Massen- und Individualkommunikation zu leisten. Dies ergibt sich schon aus der traditionellen Aussonderung der Sonderfunkdienste (z. B. für die Seeschiffahrt) aus dem Rundfunkbegriff. 1 7 2 Sie können ihrer Natur nach nicht dem üblichen Rundfunkregime unterstellt werden. Ferner ist allgemein anerkannt, 1 7 3 daß das Fernsprechen im Individualverkehr nicht dem Rundfunkbegriff unterfällt, obwohl es sich elektrischer Schwingungen bedient. Verfassungssystematisch ergibt sich ein Abgrenzungsbedarf schon aus der Sonderregelung des Fernsprechwesens in Art. 10 GG. Die notwen­ dige Abgrenzungsleistung wird üblicherweise durch das Definitionskrite­ rium der „Allgemeinheit" als Adressat der Sendungen erfüllt. Das OVG Münster 1 7 4 spricht insoweit - ähnlich wie auch Lerche 175 - von „beliebigen Empfängern". Dieser Formulierung kann beigepflichtet werden, wenn man sich darüber im Klaren ist, daß sie ihrerseits noch offen bleibt und weiterer Anders: Demme, 18 f. im Jahre 1969. Vergleiche hierzu: OVG Münster DÖV 1978, 520 f. 1 73 Siehe dazu: Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5 Rn. 196; von Mangoldt/Kleinl­ Starck, Art. 5 Rn. 62; von Münch, GGK, Rn. 38 zu Art. 5. 1 74 DÖV 1978, 5 19. 1 75 Lerche definiert Allgemeinheit als "beliebige Öffentlichkeit", in: Rundfunkmonopol, 26 ff. 171

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B. Der Rechtsbegriff "Rundfunk"

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Konkretisierung im Einzelfall bedarf. Von entscheidender Bedeutung dürfte dabei wieder die ebenfalls vom OVG Münster 1 76 betonte funktionale Ausle­ gung des Grundrechts sein, wobei darauf abgestellt werden muß, ob die institutionell-organisatiorischen Vorkehrungen zum Schutz der Rundfunk­ freiheit im Einzelfall die adäquate Problemlösung darstellen. 1 77 Hier zeigt sich die Evolutionsfähigkeit des Rundfunkbegriffs, die allein dem Medium angemessen ist und stets eine erneute Interessenabwägung und -bewertung erfordert. Das OVG hält weiterhin für wesentlich, daß die Programme auf Dauer angelegt sind und periodische Veranstaltungen darstellen. In diesem Punkte kann dem Gericht nicht gefolgt werden, da eine nachvollziehbare Begrün­ dung fehlt. Auch wer sich nur gelegentlich oder sporadisch mit Sendungen an ein Massenpublikum wenden will, kann durchaus eine rundfunkrechtlich relevante Bedeutung haben. 1 78 Darüber hinaus wird häufig als Kriterium der Rundfunkdefinition ge­ nannt, die Sendung müsse Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung haben. 1 79 Zur Begründung bezieht man sich gern auf das erste Fernsehurteil des Bundeverfassungsgerichts, in dem der Rundfunk nicht nur als Medium, sondern auch als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung bezeichnet wird. Indes dürfte es sich dabei eher um eine Beschreibung des status quo als um ein taugliches Definitionskriterium handeln. Wie das Bundesverfassungsgericht �elbst betont 1 80 können nicht nur politische Informationssendungen, sondern auch Vnterhaltungsbeiträge aller Art das öffentliche Bewußtsein beeinflus­ sen. Damit aber wird das vorgeschlagene Kriterium inhaltsleer. Zudem bela­ stet es die Rundfunkdefinition mit unzuträglichen Inhaltsbewertungen. Sol­ che Ansätze haben sich schon bei der parallel verlaufenen Diskussion um den Inhalt des Pressebegriffs als praktisch undurchführbar erwiesen; man ist dort aus diesem Grunde heute allgemein 1 8 1 zu einer technisch-formalen Definition übergegangen und hat inhaltliche Kriterien fallengelassen. Ebenso sollte beim Rundfunkbegriff verfahren werden. Von diesem Standpunkt aus und unter Berücksichtigung der entwickelten Leitlinien erscheint es nun auch ohneweiteres als möglich, das Verhältnis der praktisch wichtigsten neuen Medientechnologien zum Rundfunkbegriff des D ÖV 1978, 519 f. 1 77 Diesen funktionalen Aspekt betont auch Hojfmann-Riem, Alternativ-Kommentar, Art. 5 Abs. 1 , 2 Rn. 123. Ebenso auch BVerfGE EuGRZ 1987, 275 = DVBI. 1987, 842 f. 1 78 Ebenso: Paptistella, Rundfunkbegriff, 499. 1 79 Vgl. Paptistella, Rundfunkbegriff, 500; auch das Sehtiersee-Papier, abgedruckt bei Ring, F-1, 1 .6, Seite 3. 180 BVerfGE 12, 205 (260). 1 1 8 Siehe hierzu die umfassende Darstellung bei Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5 Abs. 1 , 2 Rn. 126-128. 1 76

4 Schuster

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Art. 5 Abs. I S. 2 GG zu bestimmen. Die Übertragung herkömmlicher Hörfunk- und Fernsehprogramme durch Kabel oder Satellit stellt sich da­ nach lediglich als eine neue Verbreitungsform dar; diese ändert nichts am Charakter der Veranstaltung als Rundfunk. 182 Ähnlich liegt es beim sogenannten „Pay-TV", also der Übertragung von Fernsehprogrammen gegen privatvertraglich vereinbartes Entgelt. Da die Veranstalter solcher Sendungen grundsätzlich bereit sind, mit jedermann in schuldrechtliche Beziehungen einzutreten und sie potentiell eine ebenso große öffentliche Bedeutung erlangen können wie die schon bestehenden Rundfunkanstalten, erscheint es angemessen, sie den Anforderungen zur Sicherung der Rundfunkfreiheit zu unterwerfen, die im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entwickelt wurden. 1 8 3 Das gelegentlich gehörte Argument, der schuldrechtliche Bezugsvertrag beim Pay-TV widerspreche dem Rundfunk­ merkmal der „Allgemeinheit" 1 84 überzeugt nicht. Das Erscheinungsbild des Pay-TV rechtfertigt keine andere Behandlung als sie bei dem öffentlich-recht­ lichen Veranstalter vorliegt, der ebenfalls durch eine Sonderbeziehung - nämlich die Gebührenpflicht - mit dem Empfänger verbunden ist und bei dem dennoch niemand auf den Gedanken käme, das Kriterium der Sendung für die „Allgemeinheit" zu verneinen. Praktisch bedeutsam ist ferner die Übertragung des „Videotextes". Es handelt sich um die Übermittlung von Textdiensten an den Fernsehempfän­ ger unter Nutzung der sogenannten Austastlücke (der unsichtbaren Leerzei­ len) eines Fernsehsignals. 1 85 Da der Dienst unmittelbar mit der Vermittlung des herkömmlichen Fernsehprogramms verbunden ist, liegt es am nächsten, ihn ebenfalls dem Rundfunk zuzuordnen. 1 86 Einen Sonderfall stellt schließlich der „Bildschrimtext" (Btx) dar. Es ist ein Kommunikationsverfahren, bei dem Texte, aber auch stehende Bilder über schmalbandige Nachrichtenkanäle (z. B. im Fernsprechnetz) einseitig oder zweiseitig gerichtet übertragen werden. 1 87 Die amtliche Begründung zum Btx-Staatsvertrag geht davon aus, daß es sich um ein Medium sui generis handelt, welches nicht dem Rundfunkbegriff des Art. 5 GG unterfällt. 1 8 8 Da 1 82 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5 Abs. 1 , 2 Rn. 195; von Münch, GGK, Rn. 38 b zu Art. 5; Te ttinger, Neue Medien, 2 1 ; Bismark, Medientechnologien, 7 1 . 1 8 3 Im Ergebnis ebenso, jedoch ohne befriedigende dogmatische Durchdringung des Problems BVerfGE EuGRZ 1 987, 275 = DVBI. 1987, 842 f.; ferner: Hoflmann-Riem, in: . Alternativ-Kommentar, Art. 5 Abs. 1 , 2 GG Rn. 125; a.A.: Pap tistel/a, Rundfunkbegriff; 500 FN 64. 1 8 4 So Paptistella a.a.O. 1 8 5 Hojfmann-Riem, in: Alternativ-Kommentar Art. 5 Abs. 1 , 2 Rn. 1 17; Wolfgang Kaiser, H 1 1 . 1 86 Siehe BVerfGE EuGRZ 1 987, 275 = DVBI. 1987, 842 f. ; Pap tistella, Neuentwicklun­ gen, 753; a. A. Stammler, Kabelfernsehen, 750. 1 8 7 Hoffm ann-Riem, in: Alternativ-Kommentar Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1 1 7.

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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das Medium ausschließlich auf Abruf arbeitet und beliebig gewählte Textsei­ ten je nach Wunsch vorhält sowie auch ein Dialog mit einem Rechner möglich ist, versagt die übliche Differenzierung nach Massen- oder Individu­ alkommunikation. Das Medium ist „ambivalent". 1 89 Die selbständige recht­ liche Regelung durch einen Staatsvertrag war daher adäquat und aus diesem Grunde sollte er nicht zum Rundfunk im Sinne von Art. 5 GG gezählt werden.

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol I. Der Stand der Meinungen

Da lange Zeit zumindest faktisch ein Monopol der Rundfunkveranstal­ tung bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten lag, kreiste die juristische Dis­ kussion zunächst vornehmlich um die Frage, ob es einen grundrechtlich verbürgten Anspruch des Bürgers auf Zugang zur Veranstaltung dieses Me­ diums gebe. Das Problem ist nach wie vor relevant, da noch nicht alle Bundesländer die Veranstaltung privaten Rundfunks zulassen und die An­ nahme oder Ablehnung eines entsprechenden Anspruches auch - wie Beth­ ge unlängst zu Recht hervorhob 1 90 - den Abwägungsvorgang in Einzelfra­ gen der Rundfunkgesetzgebung maßgeblich beeinflussen kann. Normativer Anknüpfungspunkt der Diskussion ist primär die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. l. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dieser bis heute heftig um­ kämpften Frage noch nicht geäußert. Im ersten Fernsehurteil von 1961 führte es zum einfachgesetzlichen Rundfunkmonopol lediglich aus, daß dieses ver­ fassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei mit Rücksicht auf die Sondersi­ tuation im Rundfunk. Sowohl aus technischen Gründen als auch wegen des hohen finanziellen Aufwands müsse die Zahl der Träger solcher Veranstal­ tungen relativ klein bleiben. 1 9 1 Auch im dritten Fernsehurteil von 198 1 läßt das Bundesverfassungsgericht die Frage ausdrücklich offen, ob der Aus­ schluß privaten Rundfunks zugunsten der öffentlich-rechtlichen Anstalten unter den damaligen und künftigen technischen Bedingungen noch mit dem Grundgesetz vereinbar sei und ob im Zusammenhang damit eine verfas­ sungsrechtliche Pflicht bestehe, privaten Rundfunk einzuführen. 1 92 Aller188 Abgedruckt z. B. bei Meyer/Schiwy/Schneider, Teil H 2.3; siehe dort Seite 6 f. 189 Ebenda, Seite 8. 1 90 Bethge, Rundfunkfreiheit, 201. 1 9 1 BVerfGE 12, 205 (261 ). 1 92 BVerfGE 57, 295 (31 8). 4•

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

dings schreibt das Gericht fest, daß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG für die Veranstal­ tung privater Rundfunksendungen eine gesetzliche Regelung fordere, in der Vorkehrungen zur Gewährleistung der Freiheit des Rundfunks zu treffen seien. 1 93 Es erteilt damit der Auffassung eine Absage, aus der Rundfunkfrei­ heit selbst könne sich ein grundrechtsunmittelbarer Anspruch auf Zuweisung einer Rundfunkübertragungsmöglichkeit ergeben, ohne daß der Gesetzgeber zuvor eingeschaltet werden müsse. 194 Man wird dem Bundesverfassungsge­ richt in diesem Punkte beipflichten können. Der Sachverhalt der Zulassung von Privatfunk umfaßt eine solche Gemengelage juristischer, technischer, publizistischer und politischer Probleme, daß eine detaillierte Interessenab­ wägung und Regelung durch das demokratisch legitimierte Parlament als unerläßlich erscheint. Schon die bedeutende Öffentlichkeitswirkung des Rundfunks erhebt seine grundlegenden Organisationsfragen zu „ wesentli­ chen" Entscheidungen, die nach ständiger Rechtsprechung 195 den Gesetzes­ vorbehalt auslösen. Damit ist allerdings noch nichts über die Frage gesagt, ob ein privater Interessent für die Veranstaltung von Rundfunk verlangen kann, daß der Gesetzgeber tätig wird. Konkret heißt dies: Muß die Legislative private Veranstalter zum Rundfunk zulassen, sobald die Frequenzlage dies erlaubt? Die Frage wird im Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. 2. Wesentliche Teile der Literatur verneinen ein Zugangsrecht des Privat­ manns zum Rundfunk. a) Überwiegend wird diese Auffassung mit einer besonderen Betonung der institutionellen Dimension des Grundrechts der Rundfunkfreiheit verbun­ den. Besonders konsequent tritt dieser Gedankengang bei Badura 196 hervor. Er postuliert eine Unabhängigkeit der Rundfunkfreiheit von der Meinungs­ freiheit und stellt in den Vordergrund, daß die Rundfunkfreiheit letztlich der Information und der Informationsfreiheit des einzelnen diene. Sei das Schutzziel die Staatsfreiheit, Unabhängigkeit und Nicht-Instrumentalisie­ rung des Rundfunks, sei die Rundfunkfreiheit im Kern also die Programm­ freiheit des Rundfunks, werde die Bindung des Staates durch das Grundrecht sowohl in Richtung auf das Unterlassen von damit in Widerspruch stehenden Regelungen und Eingriffen als auch in Richtung auf die Pflicht, die Freiheit des Rundfunks organisatorisch und materiellrechtlich zu sichern, zur wesent­ lichen Richtschnur der Auslegung. Freiheitsrechte könnten dieser objektiven Gewährleistung entspringen, soweit Rechtssubjekte durch eine Verletzung der dem Staat auferlegten Bindung in der freien Veranstaltung von Rund1 93

BVerfGE 57, 295. So argumentiert z. B. Rudolf. 82. 195 BVerfGE 33, 125 ( 1 63); 33, 303 (336 ff.); 34, 1 65 ( 1 92 f.); 40, 237 (249 f.); 4 1 , 25 1 (259 ff.); 47, 46 (78 ff.); 49, 89 ( 1 26 ff.); BVerwGE 4 1 , 261 (263 ff.); 56, 155 ( 1 57 f.). 1 96 Badura, Rundfunkgesetzgebung, 28-33. 1 94

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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funksendungen oder in ihrer freien Teilnahme an dem Prozeß der öffentli­ chen Meinungs- und Willensbildung beeinträchtigt würden. Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit sei demnach eine objektive Gewährleistung und eine Rechtsstellungsgarantie. Die Berechtigung, Rundfunksendungen zu veran­ stalten, bestehe nur insoweit als dadurch nicht die Freiheit des Rundfunks -die wiederum nicht mit der Rechtsstellung der bestehenden Rundfunkan­ stalten gleichzusetzen sei - beeinträchtigt zu werden drohe. Die Rundfunkfrei­ heit begründe somit kein Recht für jedermann, Rundfunksendungen zu veranstalten. Anders als die überkommene und historisch geprägte Presse­ freiheit beziehe sich die Rundfunkfreiheit zuerst auf die vom Verfassungsge­ ber vorgefundene Sachlage eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, für die es allein die Freiheit des Rundfunks - ohne Rücksicht auf die Trägerschaft und Organisationsform - und nur nach dem Maßstab der Freiheit des Rundfunks auch das Recht der Veranstaltung von Rundfunk­ sendungen garantiere. Ähnliche Wege beschreitet Stock mit seiner These von der Professionali­ sierung der Rundfunkfreiheit. 1 97 Er meint, der institutionelle Kern des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG müsse hervorgehoben werden. Das entscheidende öffentliche Interesse sei in der Rundfunkanstalt als solcher institutionell subjektiviert. 1 98 Meinungs- und Informationsfreiheit seien Menschen- und Bürgerrechte, wohingegen die Rundfunkfreiheit ein Funktionsgrundrecht darstelle. 1 99 Sie betreffe die publizistische Vermittlungsfunktion. Stock will die Rundfunk­ freiheit auf einer zweiten, von der der Jedermanngrundrechte verschiedenen Ebene ansiedeln. Er betrachtet sie als Freiheit publizistischer Vermittlung, also als ein Mediatorgrundrecht und bezeichnet sie in diesem engeren Sinne als Medienfreiheit. Bei der Verwirklichung dieser Freiheit sei das bestehende System des Integrationsrundfunks sämtlichen sonstigen Systemen strukturell überlegen. 200 Stock erkennt ihm daher - unabhängig von einer etwaigen „Sondersituation" - Verfassungsrang zu. 20 1 Auch Hoffmann-Riem sucht das maßgebliche Argument zur Beantwor­ tung der Frage nach Zugangsrechten zum Rundfunk auf der objektivrechtli­ chen Seite des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Jede staatliche Regelung des Rundfunk­ rechts müsse vom Prinzip der Freiheitlichkeit geprägt und an den Funktionserfordernissen des Massenmediums im öffentlichen Kommunika­ tionsprozeß legitimiert sein. Der subjektiv-rechtliche Schutz sei insofern an den objektivrechtlichen Gehalt des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gekoppelt. 202 197 So Stock, Rundfunkkontrolle, 53; eingehend zu diesem Konzept: ders. , Funktionsgrundrecht, 1 83 ff. 198 Stock, Rundfunkkontrolle, 30. 199 Stock, Koordinationsrundfunk, 1 54. 200 Stock, Koordinationsrundfunk, 1 55. 2 01 Stock, Koordinationsrundfunk, 1 56. ,

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Angesichts der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes dürfe und solle der Gesetzgeber diejenige Organisations- und Wirtschaftsform wählen, die dem Grundsatz der Freiheitlichkeit der Medienverfassung für alle an der kommunikativen Entfaltung Interessierten am besten Rechnung trage. Ein davon abgelöster grundrechtlicher Anspruch auf Zulassung einze­ ler (insbesondere privater) Veranstalter bestehe nicht. 20 3 b) Lücke204 verneint gleichfalls eine verfassungsrechtliche Zugangssiche­ rung des Privatmanns zum Rundfunk. Er wählt jedoch einen anderen grund­ rechtsdogmatischen Ansatzpunkt, indem er die Rundfunkfreiheit als ein Gruppengrundrecht versteht. Die Träger von Rundfunkveranstaltungen seien eigentlich nicht Herr des Rundfunks, sondern nur Instrument, mittels dessen die gesellschaftlich relevanten Gruppen die öffentliche Aufgabe Rundfunk erfüllten; diese Gruppen seien als die über Form, Inhalt und Gestaltung der Rundfunkdarbietungen Bestimmenden anzusehen. 205 Kon­ sequenterweise müsse man diese Gruppen auch als die Träger der Rundfunk­ freiheit betrachten und demzufolge könne nicht dem einzelnen Bürger die Freiheit zur Gründung von Rundfunkunternehmen zugesprochen werden. 3. Demgegenüber nehmen zahlreiche Stimmen im Schrifttum an, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewähre dem Bürger ein Recht auf Rundfunkveranstaltung, wenn die Frequenzknappheit auf diesem Sektor entfalle. Paradigmatisch erscheinen die Ausführungen Scheuners zum Problem. 206 Er hebt die enge Wesensverwandtschaft der Grundrechte des Art. 5 GG hervor. Wie bei allen dort enthaltenen Grundrechten der Kommunikation bilde den Ausgangspunkt auch der Rundfunkfreiheit das individuelle Recht auf freie Informationsgewinnung und - im Rahmen der technisch bedingten Möglichkeiten - auf Eröffnung des unmittelbaren Zugangs zur Teilhabe an der Meinungsbildung. Daß Meinungsäußerung ihrer Natur nach einen Gruppenbezug aufweise, liege auf der Hand. Als Freiheitsrecht behalte sie aber grundlegend den individuellen Bezug und dürfe nicht in ein Kollektiv­ grundrecht oder ein nur den Mittlern der Freiheit zugestandenes Mediator­ grundrecht verwandelt werden. Das Grundgesetz - das sei für alle Kommu­ nikationsgrundrechte anerkannt und das gelte grundsätzlich auch für den Rundfunk - sichere die Freiheit der Meinungsbildung als individuelles Recht. In dieser Hinsicht bestehe zwischen allen Einzelausprägungen der 202

Hoffmann-Riem, Massenmedien, 4 1 1 . Hoffmann-Riem, Massenmedien, 416; ähnlich argumentieren ferner: Bethge, Zulas­ sung, 85-9 1 ; Walter Schmidt, Rundfunkgewährleistung, 96 f. ; Böckenförde/Wieland, 77 ff.; Wieland, 138- 1 5 1 ; im Ergebnis ebenso: Ladeur, 359 ff., 362. 204 Lücke, 979. 205 Lücke stützt sich a.a.O. zum Beleg dieser Prämisse auf die dissenting vote der Richter Geiger, Rinck und Wand zum Mehrwertsteuerurteil des Bundesverfassungsgerichts, 203

BVerfGE 3 1 , 314 (337, 340). 206 Siehe Scheuner, 22-24.

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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Meinungsfreiheit und Kommunikation im weiteren Sinne, die Art. 5 GG umfasse, ein innerer Zusammenhang, der es ausschließe, bei einer Form dieser kommunikativen Freiheit, dem Rundfunk, von einer anderen Sicht auszugehen, die allein oder vorrangig institutionelle Formen der Organisa­ tion der Freiheit in den Vordergrund stelle. Scheuner sieht zwei Richtungen des Individualrechts der Rundfunkfrei­ heit. Es gehe einmal darauf, daß in einem Medium die individuelle Möglich­ keit der aktiven Teilnahme an der Meinungsbildung ungeachtet seiner tech­ nischen Gestaltung so weit wie möglich gewahrt bleibe. Zum anderen richte es sich darauf, daß die Informationsfreiheit des einzelnen in möglichst gro­ ßem Umfang gewahrt bleibe, nicht nur durch die Sicherung einer Vielfältig­ keit des Meinungsausdrucks, sondern auch dadurch, daß die Organisation der Rundfunkfreiheit auf eine solche Vielfalt im weitesten Sinne gerichtet sei und sie nur insoweit beschränke, wie die technische Situation gewisse Be­ schränkungen notwendig mache. Scheuner sieht eine Schutzpflicht des Staa­ tes zur Wahrung der aktiven Beteiligung an der Meinungsbildung. Die Pflicht ziele darauf, den Zugang zur Teilnahme an der Diskussion im Rundfunk so weit wie möglich zu öffnen. Zum gleichen Ergebnis kommen die Studien Bullingers. Er meint, der technischen und inhaltlichen Individualisierung der Telekommunikation in der heutigen Zeit entspreche eine Individualisierung der Kommunikations­ freiheit, die im Prinzip dem Ausgangsgrundrecht der individuellen Mei­ nungsfreiheit eher entspreche als die scharfe Scheidung in Meinungsfreiheit und Medienfreiheit. 207 Das für die volle Kommunikationsfreiheit essentielle Recht, unter Ausnut­ zung aller technischen Möglichkeiten allgemein zugängliche Quellen der Information neu zu schaffen, bestehe bisher für die Presse, nicht aber für die Telekommunikation. 208 Daher bestehe ein Defizit nicht nur für die individu­ elle Seite der Kommunikationsfreiheit, sondern auch für deren objektive Funktion der freien Meinungsbildung im demokratischen Gemeinwesen; denn die Meinungsbildung solle gerade nicht wie die Willensbildung im Parlament durch Repräsentanten, sondern ständig und soweit wie möglich aus der Kommunikation der individuellen Meinungsträger in ihren stets wechselnden Gruppierungen hervorgehen. Die Lösung des Problems sieht Bullinger somit in einer Individualisierung der Rundfunkträgerschaft. Viel diskutiert werden in diesem Zusammenhang auch die Thesen Kleins. Er setzt sich ebenfalls für ein Zugangsrecht der Privaten zum Rundfunk ein;209 dafür spreche die parallele Verbürgung von Presse-, Film- und Rund201 Bullinger, Kommunikationsfreiheit, 62 f. 208 Bullinger, Kommunikationsfreiheit, 64 f.; siehe auch Bullinger. Marktplatz, 1 89-199. 209 Klein. 1 77 f.; ebenfalls für ein Zugangsrecht: v. Münch, GGK, Rn. 36 zu Art. 5; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5, Rn. 235 f.; Hermann. Fernsehen, 1 17 ff. ; Löffler, §

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

funkfreiheit, also der Wortlaut der Verfassung. 2 1 0 Der Staat sei gegenüber dem Rundfunk ebensowenig wie gegenüber der Presse im Besitz einer Gestal­ tungsmacht, die es ihm ermöglichen würde, den Rundfunk in seinem Sinne optimal zu ordnen. Der Grund sei, daß die Freiheitlichkeit der Kommunika­ tionsordnung beseitigt wäre, würde dem Staat die Befugnis zugestanden, zu definieren, "wie" sie zu funktionieren habe. 2 1 1 II. Institutionelles und individuales Grundrechtsdenken

Im Kern der Diskussion um das Zugangsrecht zur Rundfunkveranstaltung steht die grundrechtsdogmatische Problematik des Verhältnisses der institu­ tionellen zur subjektivrechtlichen Dimension der Rundfunkfreiheit. Zur sorgfältigen Bewertung der vorgebrachten Argumente bedarf es einer Aus­ einandersetzung mit Herkommen und Teleologie des grundrechtlichen Insti­ tutionendenkens. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfigur, deren Inhalt keineswegs einheitlich verstanden wird und die in vielen Varianten das Pro­ blemfeld der Grundrechtsdogmatik durchzieht. 1. So bediente sich auch das Bundesverfassungsgericht häufig des Argu­ mentationsmusters institutioneller Grundrechtselemente. Dabei vermied es jedoch sorgsam, eine präzise Definition des Begriffs "Institut" zu geben. Nichtsdestoweniger war es bereit, weitgehende rechtliche Folgerungen in Form von Ordnungskonzepten für bestimmte Lebens- und Freiheitsbereiche aus dem Institutsgedanken heraus zu entwickeln. Bemerkenswert für das Rundfunkrecht erscheint, daß dies besonders oft und intensiv im Rahmen der geistigen Gewährleistungen des Art. 5 GG geschah. Schon das erste Fernsehurteil aus dem Jahre 196 1 beruht auf dem Gedanken, daß Art. 5 GG mehr enthalte als nur das individuelle Grundrecht des Bürgers gegen den Staat auf Respektierung einer Freiheitssphäre, inner­ halb welcher er seine Meinung äußern könne. 2 1 2 Es wird auf die institutionelle Eigenständigkeit der Presse verwiesen und alsdann für den besonderen Be­ reich des Rundfunks aus der objektiven Seite des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die Notwendigkeit einer umfassenden gesetzgeberischen Pflicht zur Ausgestal­ tung des Rundfunks entwickelt. Ziel dieser Normierung soll die Erhaltung der „institutionellen Freiheit" 2 1 3 des Rundfunks sein. Im gleichen Sinne 25 Rn. 17; Scholz, Fernsehurteil, 566; Stern, Neue Medien, 1 109; Rudolf, 20 f.; Schmitt Glaeser, Kabelkommunikation, 140 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 68; Pesta­ lozza, Rundfunkfreiheit, 28; Demme, 36; Theisen, 33 f.; Oppermann, 726; Weber, Diskus­ sion, 82 ff. (92). 21

°

211

212 213

Klein, 41. Klein, 60.

B VerfGE 12, 205 (259 f.). B VerfGE 12, 205 (262).

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betont das dritte Fernsehurteil von 198 1 , daß die Rundfunkfreiheit zwar auch eine abwehrende Bedeutung habe. 2 14 Doch bloße Staatsfreiheit bedeute noch nicht, daß freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk möglich werde; dieser Aufgabe lasse sich durch eine lediglich negatorische Gestaltung nicht gerecht werden. Es bedürfe dazu vielmehr einer positiven Ordnung, welche sicherstelle, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck finde und daß auf diese Weise umfassende Information geboten werde. Das Gericht in­ strumentalisiert die institutionelle Grundrechtsseite also, um die Notwen­ digkeit eines weitgehenden und konkret ausgeformten rechtlichen Ord­ nungsbereichs zu postulieren. Die Rundfunkfreiheit wird bereits in sich durch ihre objektivrechtliche Komponente begrenzt, ohne daß diese als eine von außen an das Grundrecht herangetragene Beschränkung verstanden werden müßte. Die institutionelle Seite des Grundrechts führt demgemäß zu dessen immanenter Ausgestaltung, ohne daß die dogmatische Konstruktion des Grundrechtseingriffs bemüht zu werden braucht. Zugleich läßt das erste Fernsehurteil mit dem Argument, im Rundfunk bestehe eine Sondersituation wegen der Frequenzknappheit und des Finanz­ bedarfs, 2 1 5 eine weitere Facette des Institutionendenkens erkennen: Die Rea­ lität wird unmittelbar in das Verständnis der institutionellen Freiheit einbe­ zogen. So eignet sich das Rechtsinstitut als Einbruchstelle für das Faktische in den Bereich der Norm - ein Phänomen, das wesentlich war für Über­ nahme des Begriffs des Instituts aus den Sozialwissenschaften in die Rechts­ wissenschaft. 2 1 6 Eine zentrale Rolle spielt das Rechtsinstitut auch in der Judikatur zur Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Diese gewähre ein Abwehrrecht, habe zugleich jedoch auch eine objektivrechtliche Seite. 2 1 7 Letztere garan­ tiere das Institut „Freie Presse". Der Staat sei - unabhängig von subjektiven Berechtigungen einzelner - verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berühre, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Auch an diesem Punkt fließt über das Institu­ tionendenken Faktizität in das Grundrecht ein. Fast mag es erscheinen, als überhöhe das Bundesverfassungsgericht stets die in der Realität vorgefunde­ nen Kommunikationsstrukturen mittels der Rechtsfigur des Instituts zu ver­ fassungsrechtlichen Notwendigkeiten. Eine sehr wesentliche weitere Rolle spielt die institutionelle Deutung der Grundrechte ferner dann, wenn das Bundesverfassungsgericht Normen­ komplexe des Zivilrechts vorfindet, die bestimmte Lebensverhältnisse in 214 215 216 217

BVerfGE 57, 295 (320). BVerfGE 1 2, 205 (259 ff.). Vgl. Steiger, 105. BVerfGE 20, 162 ( 175).

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

althergebrachter Weise eingehend regeln. Musterbeispiel hierfür ist der Schutz der Ehe und Familie in Art. 6 GG. Welche Strukturprinzipien diese Institute bestimmten, ergebe sich zunächst aus der außerrechtlichen Lebens­ ordnung. Beide Institute seien von Alters her überkommen und in ihrem Kern unverändert geblieben; insoweit stimme der materielle Gehalt der Institutsgarantie aus Art. 6 Abs. l GG mit dem hergebrachten Recht über­ ein. 2 1 8 Desgleichen hat das Bundesverfassungsgericht in Art. 14 GG eine Institutsgarantie für das Eigentum erblickt. 2 1 9 Diese Garantie sichere einen Grundbestand von Normen. Sie verbiete, daß solche Sachbereiche der Privat­ rechtsordnung entzogen würden, die zum elementaren Bestand grundrecht­ lich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehörten und damit der durch das Grundrecht geschützte Freiheitsbereich aufgehoben oder wesentlich geschmälert werde. Nach allem lassen sich im wesentlichen zwei Funktionsbereiche des Insti­ tutionellen in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten ausmachen: Zum einen werden überkommene Lebensver­ hältnisse, die sich in Normenkomplexen des einfachen Rechts niedergeschla­ gen haben, grundrechtlich in ihrem Bestand geschützt. Zum anderen werden bestimmte grundrechtliche Freiheitsbereiche einer inneren Ordnung unter­ worfen, die nicht als Eingriff in das Grundrecht, sondern als Ausgestaltung seines eigentlichen Wesens verstanden werden soll. In beiden Funktionen wird der Institutsbegriff inhaltlich stark durch faktische Elemente angereich­ ert. Es liegt nun die Gefahr auf der Hand, daß die Betonung der objektivrecht­ lichen Seite der Grundrechte zu einem Verlust an subjektivrechtlicher Frei­ heit im Namen einer höheren institutionellen Sinngebung führt und so schon den Inhalt der Freiheitsrechte verkürzt. Der eingeschlagene Argumenta­ tionsweg, objektivrechtliche Grundrechtselemente zu betonen, könnte zu einem Verlust individueller Liberalität führen. 2 20 Unlängst hat jedoch auch das Bundesverfassungsgericht darauf hingewie­ sen, daß eine rein institutionelle Sicht der Grundrechte nicht in Betracht kommt. Im Mitbestimmungsurteil221 vom 1. März 1979 heißt es, die Grund­ rechte seien nach ihrer Geschichte und ihrem Inhalt in erster Linie individu­ elle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter beson­ ders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand hätten. Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien bestehe in der prinzipiel­ len Verstärkung ihrer Geltungskraft, habe jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung. Sie lasse sich nicht von ihrem eigentlichen Kern ablösen 218 219 220 221

BVerfGE 10, 59 (66). BVerfGE 24, 367 (389). Siehe Schwabe, 1 39- 143; Bleckmann, 202. BVerfGE 50, 290 (337).

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und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ur­ sprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktrete. Das Gericht scheint die potentiellen Risiken einer fortschreitenden Verob­ jektivierung der Grundrechte erkannt zu haben. Löst man sie von ihrem individuellen Träger ab, so kann eine Grundfreiheit sehr schnell im Interesse der Verwirklichung einer institutionellen Freiheit zur Unfreiheit des beteilig­ ten Bürgers werden. Der Begriff der Institution wird so zum Rechtferti­ gungsmittel weitgehender staatlicher Reglementierung. Dies gilt umso mehr, als der Begriff des Instituts in der Rechtsprechung nicht präzise definiert wird. Seine Aufladung durch faktische Elemente lädt dann dazu ein, die normative Wirkkraft der Grundrechte zu schmälern und in unscharfen For­ mulierungen verschwinden zu lassen. Die fehlende definitorische Präzisie­ rung des Institutionellen erweist sich so als mögliches Einfallstor für Dezisio­ nismus und nicht hinterfragte Vorverständnisse. Vor diesem Hintergrund muß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur institutionellen Grundrechtsseite mit Vorsicht gehandhabt werden, da sich ihre Konsequen­ zen kaum begrenzen lassen und in ihrer extremen Ausprägung sogar zur Beliebigkeit führen können. 2. Im Schrifttum ist die grundrechtliche Institutionenlehre unter der Gel­ tung des Grundgesetzes vor allem durch Häberle geprägt und verbreitet worden. In seiner Schrift über die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG wendet er sich gegen das seines Erachtens übertriebene Eingriffs- und Schrankendenken auf dem Gebiet der Grundrechte. 222 Nach Häberle haben Grundrechte einen doppelten verfassungsrechtlichen Gehalt; einerseits wei­ sen sie eine individualrechtliche Seite auf, andererseits eine institutionelle. 22 3 Letztere bedeute die verfassungsrechtliche Gewährleistung freiheitlich ge­ ordneter und ausgestalteter Lebensbereiche, die ihrer objektivinstitutionel­ len Bedeutung wegen sich nicht in das Schema individuelle Freiheit -Schranke der individuellen Freiheit - einfangen ließen, sich nicht auf die eindimensionale Relation Individuum - Staat zwingen oder allein auf das Individuum reduzieren ließen. Die „institutionelle Seite" der Grundrechte dürfe der individualrechtlichen weder nachgeordnet, noch ihr isolierend gegenübergestellt werden; sie dürfe auch nicht in eine Zweck-Mittel-Relation gebracht werden. Sie stehe viel­ mehr mit dieser in einer Wechselbeziehung und einem Verhältnis der Gleich­ rangigkeit. Umgekehrt dürfe das lndividualrechtliche nicht zur „subjektiven Fernwirkung" oder bloßen Ausstrahlung des Objektiv-Institutionellen de­ gradiert werden, das Individuum nicht zum „Organ" der überindividuellen Ordnungen und Lebenszüge erniedrigt werden. Der Institutionalisierung der 222 223

Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 3. Hierzu und zum folgenden: Häber/e, Wesensgehaltsgarantie, 70-72.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Grundrechte gehe kein Verblassen der individuellen Freiheit parallel, im Gegenteil, sie bezwecke und bewirke eine Stärkung der Freiheit. Es geht Häberle darum, eine Einheit von Freiheit und Gesetz zu konstru­ ieren, anstatt jede normative Regelung von Lebensbereichen als Beschnei­ dung gegebener Handlungsfreiräume zu begreifen. Gesetz und Grundrecht sollen nicht als Antinomie aufgefaßt, sondern als Harmonie verstanden werden. Häberle meint, die individuelle Freiheit bedürfe der institutionell gewährleisteten Lebensverhältnisse, der institutionellen Seite der Grund­ rechte sowie der diese anreichernden Normenkomplexe. 224 Diese gäben ihr Richtung und Maß, Sicherheit und Geborgenheit, Inhalt und Aufgabe. Die Spontaneität des Individuums bleibe ohne Normenkomplexe - in rechtslee­ ren Räumen - wirkungslos. Häberles Thesen bewegen sich auf einem recht hohen Abstraktionsgrad; dies erkennt er selbst an, wenn er ausführt, der Bedeutung des Institutionellen müsse für die einzelnen Grundrechte von Fall zu Fall nachgespürt werden. Dennoch dürfte deutlich werden, daß Häberles Verschränkung von subjekti­ vem und institutionellem Grundrechtsgehalt im einzelnen sehr weit geht. Hier droht die Gefahr, daß persönliche Freiheit und einfachgesetzliche Aus­ gestaltung derselben allzu sehr identifiziert werden. Zahlreiche Lebensberei­ che - als Beispiel seien Familie und Ehe genannt - haben durchaus einen eigenständigen dem positiven Recht vorgegebenen Sinngehalt. 225 Dieser er­ schließt sich dem Individuum auch ohne die Normierung im Vierten Buch des BGB. In diesem Zusammenhang erweist sich auch der zutreffende Kern des von Häberle attackierten Eingriffs- und Schrankendenkens: Es stellt sich nämlich die prinzipielle Frage, ob in einer Rechtsordnung nur das erlaubt ist, was die Gesetze ausdrücklich gestatten oder aber ob alles zulässig ist, was nicht verboten ist. 226 Auch Häberle schließt sich nicht dem ersten dieser Stand­ punkte an. Seine Verschränkung von subjektivem und institutionellem Ge­ halt der Grundrechte birgt jedoch die Gefahr einer Verwischung dieser im Grunde einfachen Grenzziehung. Nun ist jedoch auch Häberle stets darum bemüht, das Individualrecht zu schützen; er stellt seine Bedeutung besonders heraus. Nichtsdestoweniger liefert sein Ansatz das argumentative Rüstzeug dafür, den subjektivrechtlichen Gehalt der Grundrechtsbestimmungen in den Hintergrund zu drängen und durch Betonung institutioneller Werte zu überspielen, denen leicht die Bedeutung wichtiger Gemeinschaftsfunktionen zugemessen werden kann. Soweit das geschieht, tut man gut daran, sich zu erinnern, daß Häberle - als Hauptvertreter des institutionellen Grund224 225 226

Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 98. Siehe dazu Schwabe, 1 38. Vergleiche Schnur, 490.

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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rechtsverständnisses - ausdrücklich betont, diese Theorie solle nicht zum Verblassen der persönlichen Freiheit führen. 3. Das Institutionendenken Häberles, das der dargelegten22 7 Judikatur des Bundesverfassungsgerichts sehr nahesteht, hat insbesondere Steiger228 heftig kritisiert. Steiger sieht im Begriff der Institution eine Rechtsfigur zur Bewältigung des Spannungsverhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft. Er stimmt dem Bundesverfassungsgericht insoweit zu, als sich individuelles Handeln in einem sozialen Kontext, rechtlich gesehen in Rechtsverhältnissen vollziehe. Der einzelne sei für seine Existenz als Freier auf die Gesellschaft angewiesen. Die Gesellschaft ihrerseits sei aber für ihre Existenz darauf angewiesen, daß der einzelne in seiner Freiheit sich an gewisse Verhaltensre­ geln halte. Die Lösung des Problems sieht Steiger in der Institutionalisierung der Freiheit. Allerdings könne diese Institutionalisierung der Freiheit nicht, wie es in der Praxis des Bundesverfassungsgerichts als gefährliche Möglich­ keit angelegt sei, in der Übermächtigung der Freiheit durch die Institutionen liegen, indem die individuelle Freiheit auf die Institutionen bezogen werde. Vielmehr müßten die Institutionen selbst als Ort der individuellen Freiheit begriffen, auf diese als ihren fundierenden Zweck bezogen werden. Steiger betont die Schwierigkeit, den Begriff der Institution rechtstheore­ tisch zu fassen. 229 Denn dieser sei darauf ausgerichtet, einerseits das Subjek­ tive und das Objektive im Recht zu verbinden, zum anderen die soziale Wirklichkeit mit dem Recht in Verbindung zu setzen. Er sei weder ein rein normativer noch ein rein wirklichkeitswissenschaftlicher Begriff. Steiger definiert rechtliche Institutionen als „rechtstheoretische Typusbe­ griffe von Rechtsverhältnissen" . 230 Damit schieden einerseits Rechtsnormen als solche und andererseits bloße gesellschaftliche Sachverhalte als rechtliche Institutionen aus. Von diesem Ansatz her kritisiert Steiger die Gleichsetzung von Grund­ recht und Institut bei Häberle. Vielmehr stelle die institutionelle Seite der Grundrechte nur ein Teilelement der Institution dar. Die Konsequenz dieser Verwechselung Häberles sei gerade nicht eine Stärkung, sondern eine Aus­ höhlung der individuellen Freiheit. 2 3 1 Steiger erkennt an, daß konkrete individuelle Freiheit sich in Institutionen verwirklicht, insbesondere innerhalb des Staates. 2 32 Dann aber gehe es 227 Siehe oben Teil 1, C. II. 228 Steiger, 105 ff. 229 Steiger, 105. 230 23 1 232

Ebenda.

Steiger, 108. Steiger, 1 1 8.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

darum, die Institutionen auf eben diese Freiheit zu gründen, was weder beim Bundesverfassungsgericht noch bei Häberle hinreichend beachtet werde. 4. In der jüngeren Vergangenheit hat sich vor allem Schmidt-Jortzig ver­ tieft mit den Institutsgarantien der Verfassung beschäftigt und hier ein re­ striktives Verständnis der objektiven Seite der Grundrechte entwickelt. Er untersucht zunächst allgemein die Einrichtungsgarantien des Grundge­ setzes und beschränkt sich nicht nur auf den Grundrechtsteil. Unter Einrich­ tungsgarantien versteht er die "erkennbar gesteigerten, verfassungsgesetzli­ chen Fixierungen von bestimmten, rechtlich wie tatsächlich determinierten Faktoren grundlegend und eigengewichtig ordnender Funktion für das ver­ faßte Gemeinwesen". 2 33 Dort, wo solche Sicherungsfiguren im Zusammenhang mit einem Grund­ recht bestehen (etwa Art. 4 Abs. 2, 5 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 3 S. 1, 6 Abs. 1, 9 Abs. 3 S. 1, 14 Abs. 1 GG) will Schmidt-Jortzig ihnen eine eigenständige, von der subjektivrechtlichen Seite eher isolierte Bedeutung zumessen. 234 Die weitge­ hende Verschränkung von subjektiver und objektiver Grundrechtsseite durch die institutionelle Deutung lehnt er ab. Das institutionelle Verständnis erweitere durch den Zugewinn objektiver Gehalte die Geltungsbasis der Grundrechte nicht nur, es eröffne auch einen erheblich weitergehenden Spiel­ raum für gesetzliche Ausgestaltungen der individuellen Schutzzone. Einer­ seits erhielten bestehende Gesetzesregelungen die Bedeutung notwendiger "institutioneller" Ausformungen, andererseits würden vorhandene Besitz­ stände verfassungskräftig zementiert. Dies sei ein Verkrustungseffekt, der bei aller phänotypischen Anreicherung das Grundrecht zugleich einenge. Diese Reglementierungs- und Schwächungstendenzen der individuellen Freiheit erschienen bei einer, wie immer angelegten, objektiven Geltungser­ weiterung der Grundrechte unvermeidlich. Solche Tendenzen ließen sich jedoch dort weitgehend verhindern, wo neben den Grundrechten zugleich Einrichtungsgarantien gegeben seien, wenn eben diese als Träger objektiver Geltungsgehalte entschiedener anerkannt und genutzt würden.Da diese Ga­ rantien selbständig neben den Grundrechten stünden, seien ihnen zuflie­ ßende Inhaltserweiterungen jedenfalls auch auf sie zu begrenzen; uner­ wünschte Nebeneffekte für die Grundrechte blieben dann aus. Schmidt-Jortzigs Ansatz der stärkeren Trennung von Einrichtungsgaran­ tie und subjektivem Grundrecht genießt den Vorzug dogmatischer Schärfe. Er beabsichtigt die Zurückdrängung einer Rechtsentwicklung, die sowohl in der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts als auch den theoretischen Schriften Häberles wurzelt und eine kaum mehr begrenzbare Eigendynamik entfaltet hat. 2 33 234

Schmidt-Jortzig, 31 f.

Hierzu und zum folgenden: Schmidt-Jortzig, 63-68.

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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5. Eine zusammenfassende Würdigung der institutionellen Grundrechts­ deutung erfordert zunächst die Einsicht, daß es sich bei den Grundrechten heute nach allgemeiner Ansicht sowohl um subjektive Gewährleistungen als auch um Sätze des objektiven Rechts handelt. Entscheidend dürfte letztlich sein, wie man im Ansatz das Verhältnis dieser beiden Seiten bestimmt. Dabei sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß Grundrechte historisch gewachsene Schutzzonen im Verhältnis des einzelnen zur Gemeinschaft darstellen. Beide Seiten in diesem Verhältnis sind aufeinander angewiesen, habelil aber auch vielfach divergierende Interessen. Eine weitgehende gedankliche Harmonisierung dieses Spannungsverhält­ nisses durch eine Deutung der Freiheit in institutioneller Weise steht in der Gefahr, real vorhandene Konflikte zu kaschieren. Dies würde den Prozeß der Rechtsfindung im Rahmen des Ausgleichs zwischen individuellem und öf­ fentlichem Interesse eher verdunkeln als erhellen. Ein Freiheitsverständnis, das keinen staatlichen Eingriff mehr kennt, weil institutionell begriffene Freiheit durch den Gesetzgeber nicht nur ausgestaltet werden darf, sondern muß, steht vom Ansatz her in der Gefahr, dem legislativen Reglementie­ rungsdrang Tür und Tor zu öffnen. Hier wird eine Argumentationsebene beschritten, die die klare Grenzziehung für staatliches Handeln stark er­ schwert. Der Ausgangspunkt der grundrechtlichen Betrachtung sollte somit stets die subjektivrechtliche Schutzwirkung dieser Gewährleistungen blei­ ben; als subjektive Rechte sind sie geschichtlich erstritten worden und uner­ läßlicher Bestandteil des Staatslebens. Letztlich tritt diese Einsicht auch im Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts wieder stärker in den Vordergrund, wenn es dort heißt, die Einzelgrundrechte seien in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand hät­ ten. 235 Nach allem ist also als Zwischenergebnis festzuhalten, daß die subjek­ tivrechtliche Schutzfunktion der Grundrechte den Schwerpunkt ihrer Ge­ währleistung darstellt und den Hauptgrund ihrer Aufnahme in die Verfassung bildet. Die objektivrechtlichen Elemente reichern das Grund­ recht an und verstärken seine Geltungskraft, doch sie erscheinen prinzipiell als nachgeordnete Kategorien. 2 36 Nach diesen allgemeinen grundrechtlichen Erörterungen gilt es nun ihre Bedeutung für den Lebensbereich des Rundfunks festzustellen und zu fragen, inwieweit dort eine vorrangig institutionelle Interpretation angemessen ist, die zur völligen Negierung eines grundrechtlichen Zulassungsanspruchs für private Veranstalter führt. Denn die institutionelle Grundrechtstheorie ist ein Hauptargument zur Verneinung eines derartigen Rechts sowie auch zur 235 BVerfGE 50, 290 (336 f.; auch 344). 236 Ebenso ausdrücklich: Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 Abs. 1 Rn. 1 45 f.; von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 2 Rn. 126; Merlen, 1 1 1 ; siehe auch Grabitz, 252.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Postulierung eines verfassungskräftig abgesicherten dauerhaften Monopols der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. 2 3 7 Diese einseitige Begrün­ dung durch grundrechtstheoretische Erwägungen erweist sich nach der ge­ naueren Untersuchung der institutionellen Grundrechtslehre als schwach fundiert. Das Institutionendenken mag seine Vorzüge besitzen, soweit es um eine wirklichkeitsbezogene und kontinuitätswahrende Auslegung der Grundrechte geht. Seine Grenzen erscheinen jedoch überstrapaziert, wenn es darum geht, die völlige Negierung eines denkbaren Freiheitsbereiches für den Bürger zu tragen. 238 In diesem Kontext sollte nicht vergessen werden, daß schon die Bemühung des Argumentationsschemas Institution stets das Einfließen eminent politi­ scher Momente nahelegt, die im Gewande dogmatischer Deduktion auftre­ ten. Insbesondere Rüthers239 hat dies am Beispiel der Institution Ehe an­ schaulich gezeigt: Hierbei beruft sich der Bundesgerichtshof direkt auf das Christentum, das Obergericht der DDR auf den Sozialismus und das Reichs­ gericht auf die Volksgemeinschaft. Wenngleich dies Beispiel die besonders extremen Ausprägungen der Institutionenlehre aufzeigt, so macht es doch deutlich, daß die politische Ebene gerichtlicher Entscheidungsfindung nicht kaschiert, sondern offengelegt und hinterfragt werden sollte. Die Verwen­ dung der Institution als eines Meta-Systems, aus dem �eliebige Werte auf die Ebene der Subsumtion herabgeholt werden können, sollte nach alledem äußerst behutsam gehandhabt werden. Als Quintessenz bleibt festzuhalten, daß Grundrechte primär subjektive Schutzfunktion haben; ferner sollte ihre institutionelle Seite nicht überbetont werden. Unter dieser Prämisse überzeugt es nicht, einen denkbaren Frei­ heitsbereich des Bürgers unter Berufung auf die lnstitutionenlehre auf Null zu reduzieren. Diese Erkenntnis hat unmittelbare Relevanz für die Diskus­ sion um die Rundfunkfreiheit. Die rein oder doch primär institutionelle Interpretation des Art. 5 Abs. 1 S. 2. GG stellt demgemäß kein hinreichendes Argument dar, um ein Zugangsrecht für private Veranstalter zum Rundfunk zu verneinen. Es gilt daher, nach weiteren Begründungsmöglichkeiten in dieser Debatte Ausschau zu halten. III. Traditionale Legitimation?

Zu wenig Beachtung wurde bisher der Frage geschenkt, ob eine Begrün­ dung für ein Monopol zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal237 Zu den im einzelnen differenzierenden Ansichten siehe oben die ausführliche Dar­ stellung Teil 2, C. II. 238 Ebenso: Kleber, 66 f. 239 Rüthers, 50.

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ten durch eine traditionale Legitimation gefunden werden könnte. Hierbei handelt es sich um eine Argumentationsstruktur, die im Bereich der altherge­ brachten Verwaltungsmonopole durchaus ihre Anwendung gefunden hat240 und dort vorwiegend im Verhältnis zu der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG verwendet wird. Transformiert man diesen Gedanken auf die Rundfunk­ freiheit, so ließe sich etwa folgendermaßen argumentieren: Das Rundfunk� monopol zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stellt eine geschichtlich gewachsene Kommunikationsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland dar. Es hat sich historisch bewährt und ein vernünftiges Maß an Meinungsvielfalt im Rundfunk hervorgebracht. Hierdurch leistet es einen bedeutsamen Beitrag zur Funktion des demokratischen Staatswesens. Da es nicht sicher ist, ob neu zugelassene Privatveranstalter ebenso vielfältig zur Information der Öffentlichkeit beitragen werden, erscheint es legitim, das bisherige System unverändert beizubehalten. 24 1 Auch in der Zeit der Schöpfung des Grundgesetzes waren Privatleute im wesentlichen von der Rundfunkveranstaltung ausgeschlossen. Dies könnte als stillschweigende Anerkennung eines öffentlich-rechtlichen Regimes durch die Verfassung gedeutet werden. Gerade der letzte Gedanke läßt sich jedoch durch die Verhandlungen des Art. 5 GG im Parlamentarischen Rat widerlegen. In der 32. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 1 1. Januar 1949 machte der Abgeordnete von Mangoldt folgenden Vorschlag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit: 242 „Zur Sicherung dieser Freiheit und der Überparteilichkeit des Rundfunks werden die Sendeanlagen durch selbständige Anstalten des öffentlichen Rechts betrieben, die auch die Sendeprogramme bestimmen." Er empfahl die Aufnahme dieser Bestimmung, damit - im Gegensatz zu der Art, wie Goebbels die Massenmedien gelenkt habe243 - ,,dem Rundfunk eine gewisse Unabhängigkeit vom Staat" gesichert werden könne. Es genüge nicht, die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk zu gewährleisten. Der von Mangdolt'sche Vorschlag hätte nicht weniger als die ausdrückliche Anerkennung eines Sendemonopols der öffentlich-rechtlichen Rundfunkan­ stalten bedeutet. Ihm traten jedoch die Abgeordneten Heuß und Süsterhenn entgegen. Sie meinten, daß es nicht ratsam sei, eine solche Bestimmung aufzunehmen, denn dies sei die Vorwegnahme einer Gesetzgebung, die vorerst noch in den einzelnen Besatzungszonen sehr verschieden sei und es wäre falsch, die zukünftige Form des Rundfunks ein für allemal im Grundgesetz festzulegen. 240 Vgl. z. B. Zweigert/Reichert/Faci/ides, 26. 241 Siehe etwa die Argumentationsführung von Lieb, 249 f. 242 JÖ R N.-F. 1 (1950/5 1), S. 86. 2 43 Vergleiche hierzu die historische Darstellung, oben Teil 2, A., II., 2. a). 5 Schuster

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Beide Abgeordnete wollten die Möglichkeit eines staatlichen oder eines privaten oder eines kirchlichen Rundfunkbetriebes nicht ausgeschlossen wis­ sen. Entsprechend dieser Argumentation kam es nicht zur Aufnahme des Mangoldt'schen Vorschlages in den Verfassungstext. Die Gesetzgebungsge­ scnichte zeigt, daß eine öffentlich-rechtliche Organisationsform des Rund­ funkwesens nicht verfassungsrechtlich festgeschrieben werden sollte. Mag man somit auch nicht zu einer stillschweigenden Anerkennung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols durch das Grundgesetz kommen, so bleibt doch die Frage, ob nicht die darauffolgende geschichtliche Gewach­ senheit eines solchen Systems verfassungsrechtlich legitimierend wirken kann. Im Rahmen der Diskussion über die klassischen Verwaltungsmono­ pole (wie zum Beispiel Branntwein- oder Arbeitsvermittlungsmonopol) ist die Erörterung der verfassungsrechtlichen Bedeutung dieses Umstands bis heute nicht zum Stillstand gekommen. Ausgelöst wurde sie durch Bachof,244 der schrieb, daß Verwaltungsmonopole aller Art seit jeher ein fester Bestand­ teil der deutschen Rechts- und Wirtschaftsordnung seien und als solcher zu dem vom Grundgesetz vorausgesetzten „vorrechtlichen Gesamtbild" gehör­ ten. Insoweit will Bachof eine Berufung auf Grundrechtsschutz nur zulassen, soweit dieser eine Bestandsgarantie für eine freie Berufsordnung als Ganzes betrifft. Die Argumentationsfigur des „vorrechtlichen Gesamtbildes" ent­ lehnt Bachof bei Na wiasky. 245 Letzterer gebraucht diesen Begriff jedoch wohl in etwas anderem Sinne; 246 denn er sieht hierin eine Auslegungsmethode des Gesetzes, die den „leitenden Ideenkomplex", den „tragenden Gedanken" des betreffenden Rechtssetzers ermittelt und nutzbar macht. Hierbei handelt es sich nicht um die Frage der historischen Bedingtheit der rechtlichen Ordnung eines bestimmten Lebensbereiches, sondern um ein Problem des philosophi­ schen Überbaus des positiven Rechts. Nichtsdestoweniger ist die Bachorsche Lehre lebendig geblieben und so wird auch in der neueren Literatur über die Verwaltungsmonopole der traditionellen Überlieferung eine „mittragende Legitimationswirkung" zuge­ sprochen. 247 Demgegenüber betont man von anderer Seite, 248 daß auch jene Traditionstatbestände am Grundgesetz zu messen seien. Zur Begründung wird vor allem Art. 123 GG genannt, der vorkonstitutionelles Recht dem Maßstab der Verfassung unterwirft. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zu den Ver­ waltungsmonopolen von dem Argumentationsmuster traditionaler Überlie244 245 246 2 41 248

Bachof. 202. Nawiasky, 1 38. Siehe Lerche, Rundfunkmonopol, 58 f. Zweigert/Reichert-Facilides, 26. Lerche, Rundfunkmonopol, 48 ff.; Bettermann. Verfassungsmäßigkeit, 200 f.

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ferung bisher nur sparsam und vorsichtig Gebrauch gemacht. Das erste Urteil zu der jahrzehntealten Arbeitsvermittlung249 geht nicht davon aus, daß das Grundgesetz durch seine Kompetenzzuweisungen an den Bund in Art. 74 Nr. 12 GG und Art. 87 Abs. 3 GG die im Jahre 1949 bestehende Situation sanktioniert habe. Sogar die Entscheidung bezüglich des Finanzmonopols für Branntwein lehnt eine generelle Legitimation dieses Instituts durch Über­ lieferung ab. 250 Das Gericht sieht auch hier nur eine Bestätigung der Struktur der Finanzmonopole "im großen" und ihre Billigung "im Prinzip", wiewohl diese durch Kompetenzvorschriften (Art. 105 ff. GG) ausdrücklich ins Grundgesetz übernommen worden sind. Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Badischen Gebäu­ deversicherung, die für ihren Bereich ein Monopol innehat, das mit einem Versicherungszwang gekoppelt ist, betont zwar, daß sich diese Rechtsform "als eine dem Gemeinwohl in besonderer Weise dienende Verwaltung be­ währt" habe. 2 5 1 Diese Erwägung ist jedoch kein selbständig tragender Grund des Urteils. Es beruht letztlich auf der historischen Interpretation des Art. 74 Nr. 1 1 GG. Seiner Entstehungsgeschichte läßt sich entnehmen, daß den Ländern die Kompetenz für das öffentlich-rechtliche Versicherungswesen verbleiben sollte, dessen Kernbestand in der Monopolversicherung gesehen wurde. 252 Die Analyse der Verfassungsrechtsprechung zeigt, daß das Gericht die traditionale Legitimation nie als selbständige Rechtfertigung eines Monopols betrachtet hat. Diesem Standpunkt ist beizupflichten, da vor allem die Vor­ schrift des Art. 123 GG ein gewichtiges Argument für diese These darstellt, daß allein die Tradition sich gegenüber dem freiheitlichen Geltungsanspruch der Grundrechte nicht durchzusetzen vermag. Dem geschichtlichen Moment wird genügend Rechnung getragen, wenn man es neben anderen Elementen in den grundrechtlichen Auslegungsprozeß und in eine eventuelle Güterab­ wägung einstellt. Fiedler weist mit Recht darauf hin, in diesem wesentlich engeren Prüfungsrahmen könne sich sodann erweisen, daß der historischen Ausgangslage auch eine aktuelle sachliche Notwendigkeit entspreche. 253 Für die Diskussion über das Zugangsrecht Privater zum Rundfunk läßt sich nach allem festhalten, daß das Grundgesetz insoweit kein öffentlich­ rechtliches Monopol rezipieren sollte; ferner vermag allein der Gedanke der traditionalen Legitimation ein solches Monopol nicht zu rechtfertigen. 249 250 251 252 253

s•

BVerfGE 2 1 , 245 (248 ff.). BVerfGE 14, 105 ( 1 1 1 ). BVerfGE 4 1 , 205 (227). Vergleiche dazu die genauere Analyse bei Albrecht Hesse, Fernmeldemonopol, 34. Fiedler, 394.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

IV. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik

Auf Seiten der Befürworter eines Zugangsrechtes für Private zur Rund­ funkveranstaltung hört man nicht selten das Argument, hierbei handele es sich um den Normalfall der wirtschaftlichen Organisation in der Bundesre­ publik. Diese Autoren ziehen üblicherweise einen Vergleich zur Struktur des Pressewesens und postulieren, der Rundfunk dürfe vom Gesetzgeber nicht anders behandelt werden, sobald die technischen Voraussetzungen für eine derartige Verbreiterung der Veranstalterzahl vorlägen. So argumentiert Starck,254 die Freiheit, ein Presseunternehmen zu gründen, sei Kernpunkt der Gewährleistung der Pressefreiheit. Warum solle - außer unter besonderen tatsächlichen Voraussetzungen - für die Rundfunkfreiheit etwas anderes gelten? Auf derselben Linie liegt es, wenn Schmitt Glaeser eine privatwirtschaftli­ che Ordnung des Rundfunkwesens als dessen "natürliche Struktur" bezeich­ net. 255 Die „Präponderanz des individuellen Rechts auf Rundfunkgrün­ dungsfreiheit" werde ergänzt durch die Erkenntnis, daß dem Gedanken der Vielfalt durch Vielzahl das liberale ökonomische Prinzip des "offenen Mark­ tes" zugrundeliege, das gerade die Initiative des einzelnen zur Bedingungen habe, die Meinung des einzelnen als mitgestaltenden Faktor einer öffentli­ chen Meinung begreife, die sich auf einem freien Markt bilde. 256 Vielfalt durch Vielzahl im Bereich des Rundfunkwesens ergebe sich unter normalen Bedingungen gleichsam automatisch mit der subjektivrechtlichen Gewähr­ leistung für den Bürger und für Bürgergruppen, Rundfunkunternehmen frei gründen und betreiben zu können. Dieser Begründungsversuch berührt den tiefergehenden Problemkomplex, ob dem Grundgesetz eine bestimmte Vorstellung der Ordnung des Wirt­ schaftslebens zugrundeliegt. Ließe sich hier ein klares Bekenntnis zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung auf der Basis der Privatinitiative erkennen, so könnten von dieser Seite staatliche Monopole und Betätigungssperren für gewisse Erwerbszweige aufgelockert werden. Die Verfassung kommt indes ohne eine ausdrückliche Normierung dieses Punktes aus. Ihr Schweigen findet seinen guten Grund darin, daß die Väter des Grundgesetzes in diesem nur eine Übergangslösung sahen. Die politisch höchst bedeutsame Frage der Wirtschaftsordnung sollte einer künftigen gesamtdeutschen Verfassung vor­ behalten bleiben. 257 Aus diesem Schweigen schloß das Bundesverfassungsgericht schon 1954 in seiner Investitionshilfeentscheidung, 258 daß das Grundgesetz weder die wirt2 54 Starck, Neuordnung, 1 360. 255 Schmitt Glaeser, Kabelkommunikation, 156. 251 Ders., 1 54. 257 v. Mangoldt, Art. 12 Anm. 3.

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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schaftspolitische Neutralität der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt ga­ rantiere noch eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde soziale Marktwirtschaft. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung sei zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruhe auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Ent­ scheidung ersetzt oder durchbrochen werden könne. Zugleich hält sich das Gericht jedoch eine argumentative Hintertür offen, indem es betont, der Gesetzgeber habe bei jeder eingeschlagenen Wirt­ schaftspolitik das Grundgesetz zu beachten. 259 Bekanntester Vertreter der Gegenauffassug ist Nipperdey. 260 Er meint, mit der Gewährleistung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. I GG) auf sämtlichen Gebieten des menschlichen und somit in einer ihrer Erscheinungsformen auch auf dem Gebiet des gewerblichen, des wirt­ schaftlichen Lebens sei für den wirtschaftlichen Bereich das wesentliche Lebenselement der Markt- (Wettbewerbs)wirtschaft zum Verfassungsbe­ standteil gemacht worden. Man könne diese Wirtschaftsordnung gar nicht besser und klarer kennzeichnen als durch die Formulierung des Art. 2 Abs. 1 GG. Nipperdeys Thesen erscheinen jedoch als zu weitgehende Inkorporation politisch gewünschter volkswirtschaftlicher Ordnungsmodelle in den rechtli­ chen Rahmen bindender Verfassungsnormen. Anstelle der Sicht des Art. 2 Abs. l GG als magna charta der Marktwirtschaft ließe sich mit derselben Legitimation argumentieren, die Voraussetzungen für eine wahrhaft freie Entfaltung des einzelnen müßten im Staat der Industriegesellschaft erst noch durch nachhaltige Interventionen geschaffen werden. 261 Die Annahme der Existenz einer umfassenden marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassungs­ ordnung im Grundgesetz ist daher weder mit dessen Wortlaut noch mit seiner Entstehungsgeschichte noch mit seinem Sinn und Zweck in Einklang zu bringen. Auf diesem Wege lassen sich somit auch keine direkten Schlüsse für die verfassungsrechtlich gebotene Ordnung des Rundfunkwesens gewinnen. Der enger angelegte Versuch, die Organisation des Pressesektors als paral­ lel gelagerten „Normalfall" zu begreifen ist ebenfalls nicht unproblematisch. 258 BVerfGE 4, 7 (17 f.). 259 BVerfGE 4, 7 ( 1 8); diese semantischen Formeln gehören seither zur ständigen Rechtsprechung und wurden vor allem im Mitbestimmungsurteil des Jahres 1 979 noch­ mals nachdrücklich betont, BVerfGE 50, 290 (338). 260 Z. B. Nipperdey, Freie Entfaltung, 876. 261 Siehe die eingehende Kritik Ehmkes (Wirtschaft, S. 1 8 ff.) an den Thesen Nipperdeys und dessen juristisch problematischer direkter Berufung auf Volkswirtschaftler bestimm­ ter Denkrichtungen, wie zum Beispiel Eucken, Böhm, Röpke, Hayek und Galbraith in: Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft.

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

Die Ausgestaltung der freien Presse als private Institution kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nie ernst­ haft bezweifelt, daß der wirtschaftliche Wettbewerb auf diesem Gebiet geeig­ net ist, einen Spiegel der vielfältigen in der Gesellschaft vertretenen Meinun­ gen hervorzubringen. 262 Diese Fähigkeit wird jedoch aufgrund der stetig fortschreitenden Tendenz zur wirtschaftlichen Konzentration auf dem Pres­ semarkt zunehmend in Zweifel gezogen. 263 Die Zweifel führten bis in eine Diskussion, ob es nicht gar geboten sein könne, den Vielfaltscharakter auf dem Zeitungsmarkt durch Schaffung öffentlich-rechtlich organisierter Marktteilnehmer zu stützen. 264 Immerhin läßt sich aber zumindest theore­ tisch die potentielle Nutzbarkeit des Grundrechts der Pressefreiheit für je­ dermann mit der Erwägung begründen, daß man ohne großen technischen und finanziellen Aufwand in die Herstellung und Verbreitung politischer Flugblätter und kleiner Zeitungen eintreten kann. Hierhin hat schon das erste Fernsehurteil ein zentrales Differenzierungskriterium zwischen Presse und Rundfunk erblickt. 265 Zwar mag die fortschreitende Verkabelung der Bundesrepublik die Schwierigkeit des technischen Zugangs zum Medium Rundfunk in Zukunft abmildern. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Produktion von Fernsehprogrammen und professionellem Hörfunk einen hohen finanziellen Aufwand erfordert und auch in Zukunft erfordern wird. 266 Aus diesem Grunde wird die Ausübung des Grundrechts der Rund­ funkfreiheit im wesentlichen weiterhin von der Aufbringung erheblichen Betriebskapitals abhängen und somit nur von Privatleuten genutzt werden können, die über entsprechende Geldmittel verfügen. Hieraus ergeben sich selbstverständlich Probleme hinsichtlich der Meinungsvielfalt in einer so entstehenden Privatfunklandschaft. Die Ausgangsbedingungen zwischen Presse- und Rundfunkfreiheit sind demgemäß so unterschiedlich, daß es unzulässig erscheint, die Pressestruktur als ein Vorbild zu verwenden, von dem ohne weiteres zwingende Schlüsse auf einen grundgesetzlich gebotenen Rundfunkaufbau zu ziehen seien. V. Abschließende Stellungnahme

Nach allem haben sich die herkömmlich ausgetauschten Argumente hin­ sichtlich eines grundrechtlichen Anspruchs auf Zulassung zur Rundfunkver262

BVerfGE 20, 162 ( 1 75 ff.); 25, 256 (268); 52, 283 (296); vorsichtiger: 57, 295 (323). Vgl. hierzu Mestmäcker, 33 ff., 41 ff.; Löfjler/Ricker, 494 ff.; Hoffmann-Riem/Plander, 68 ff. 264 So: Stammler, Presse, 342 ff., 347; ablehnend: Mestmäcker, 17 ff. m. w. N. 265 BVerfGE 12, 205 (259 ff.). 266 Instruktiv zu den Kosten ausländischer Privatsender: Groß, Medienlandschaft, 120 ff. 263

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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anstaltung als nicht sehr tragfähig erwiesen. Keines vermag eine durchgrei­ fende Lösung der aufgezeigten Problemlage zu liefern. Nichtsdestoweniger lassen sich aufgrund der bisherigen Analyse einige Zwischenergebnisse fest­ schreiben, die besagten Erkenntnisprozeß zu fördern vermögen: Eine tradi­ tionale Legitimation zugunsten eines Verwaltungsmonopols des öffentlich­ rechtlichen Rundfunks läßt sich aus der Überlieferung nicht begründen. Weder aus der privatwirtschaftlichen Organisation der Presse noch aus dem marktwirtschaftlichen System der Bundesrepublik sind zwingende Schluß­ folgerungen auf die rechtlich notwendige Ausformung des Rundfunkwesens zu ziehen. Damit verlagert sich die Entscheidung über die Frage eines Zu­ gangsrechtes Privater zum Rundfunk ganz wesentlich auf die grundrechts­ dogmatische Ebene des Verhältnisses von institutionellen und subjektiv­ rechtlichen Elementen in Art. 5 Abs. l S. 2 GG. Hierbei bleibt es ein Indiz im Rahmen der systematischen Interpretation der Norm, daß Rundfunk dort zwischen Presse und Film steht, also zwischen zwei anerkannt dem Bürger offenstehenden Freiheitsbetätigungen. Dieser Umstand kann allerdings wegen der bereits aufgeworfenen technischen und finanziellen Sonderpro­ bleme im Rundfunk nur sehr behutsam verwendet werden. Es bleibt in diesem Zusammenhang jedoch zu vermerken, daß auch das Bundesverfas­ sungsgericht in seinem zweiten Fernsehurteil ausdrücklich festgestellt hat, der Rundfunk unterscheide sich wesensmäßig nicht von der Presse. 267 Dieser innere Zusammenhang der Grundrechte in Art. 5 Abs. l S. 2 GG spricht gegen eine rein institutionelle Deutung der Rundfunkfreiheit. Darüber hinaus erscheint es in der Gesamtschau des Grundrechtsteiles der Verfassung als wenig systemgerecht, ein Grundrecht, das dem Bürger vom Prinzip her eine Freiheitsbetätigung gewähren und ihn insoweit schützen kann, fast völlig zu entsubjektivieren. Dies widerspräche auch dem vom Bundesverfassungsgericht in seiner Judikatur stets betonten Prinzip, daß Grundrechte im Zweifel in einer Weise auszulegen sind, die ihrer normativen Wirkkraft eine größtmögliche Geltung verschafft. 268 Zwar darf man nicht verkennen, daß auch die institutionelle Seite der Rundfunkfreiheit insoweit zu ihrem Recht kommen muß, als dieses Kommu­ nikationsforum weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausge­ liefert werden darf. Die nähere Ausgestaltung dieses notwendigen grund­ rechtlichen Korrelats und damit die Sicherstellung der Meinungsvielfalt ist jedoch - wie insbesondere das dritte Fernsehurteil herausgearbeitet hat269 in verfassungsrechtlich hinreichendem Maße durch einfachgesetzliche Vor­ schriften möglich. Ist man erst einmal zu den Erkenntnissen gelangt, daß eine 26 7

BVerfGE 35, 202 (222). Siehe etwa BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (7 1); 39, 1 38); vgl. auch 59, 23 1 (265). 269 Siehe hierzu genauer oben Teil 1, A., II., 4, c.). 268

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2. Teil: Grundprobleme der Rundfunkverfassung

(zumindest teilweise) subjektivrechtliche Auslegung der Rundfunkfreiheit angezeigt und der institutionellen Dimension des Grundrechts durch ein­ fachgesetzliche Sicherungsvorschriften entsprochen werden kann, so ergibt sich konsequent der Schluß, daß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einen Anspruch Privater auf Zugang zum Rundfunk gewährt, sobald die Frequenzlage dieses erlaubt. Diese Schlußfolgerung wird durch funktionale Erwägungen noch bekräf­ tigt: Die breitere Trägervielfalt bei einem Nebeneinander von öffentlich­ rechtlichem und privatem Rundfunk verstärkt nämlich in organisatorischer Hinsicht zusätzlich die Meinungsvielfalt. Sie entspricht darüber hinaus in besonderer Weise dem zentralen rundfunkrechtlichen Anliegen der Staats­ freiheit. Letztlich wäre auch nicht zu erklären, warum in einem demokratischen Rechtsstaat, der die umfassende öffentliche Diskussion als verfassungspoliti­ sches Credo verkörpert, ein Teil des Meinungsbildungsprozesses dem priva­ ten Sektor organisatorisch völlig entzogen und monopolisiert wird. In diesem Staatsideal sind Meinungsmonopole ein "Unding". 270 Die Bejahung des Zulassungsanspruches bei Behebung des Frequenzman­ gels fordert jedoch die weitere Frage heraus, ab wann die technische Entwick­ lung als derart fortgeschritten betrachtet werden kann, daß sich die grund­ rechtliche Position des Bürgers zu einem Anspruch auf Tätigwerden gegen den Gesetzgeber verdichtet. Die Vielgestaltigkeit tatsächlicher Entwick­ lungsmöglichkeiten verbietet hier eine starre vorgefertigte Formel. Auch aus praktischen Erwägungen heraus kann nicht schon bei jeder minimalen Kabel­ insel ein Tätigwerden des Gesetzgebers erwartet werden. Ein Zulassungsan­ spruch dürfte jedoch entstehen, sobald ein wesentlicher Teil eines Landes den Mangel der Sendefrequenzen überwunden hat. 2 7 1 Dies ist im Einzelfall be­ hutsam abwägend zu ermitteln. Die Formel ist gemäß dem zuvor Gesagten bewußt offen gehalten. Die Frage des Anspruchs wird grundsätzlich zu bejahen sein, wenn der Frequenzüberfluß zum Regelfall geworden, also die ganz überwiegende Mehrheit der Haushalte eines Landes am Kabelnetz anschließbar ist. Sie kann aber auch schon bei der Vollverkabelung einer besonders bedeutenden Stadt oder einer stark bevölkerten Region positiv zu beantworten sein. Allein die Einführung des direkt empfangbaren Satellitenfernsehens in der Bundesrepublik wird jedoch noch nicht zu einer Überwindung der Fre­ quenzknappheit im Sinne der obigen Erörterungen führen, da dort - zu­ mindest vorläufig - lediglich fünf weitere Kanäle zur Verfügung stehen. Insoweit wird wegen der zahlenmäßigen Beschränkung der hinzugewonne210 27 1

von Münch, GGK, Art. 5 Rn. 36. Ähnlich: Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog,

C. Grundgesetz und Rundfunkmonopol

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nen Sendekapazitäten immer noch eine Mangelsituation bestehen. Die Zahl der Sendewilligen wird die der Kanäle übersteigen. Eine nachhaltige und daher relevante Verbesserung der Situation ist voraussichtlich nur von der Verkabelung zu erwarten. Nach allem ist ein Zugangsrecht des privaten Unternehmers zum Rund­ funk unter den genannten Voraussetzungen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG herzuleiten. Das berufliche Grundrecht des Rundfunkunternehmers findet sich in erster Linie in dieser Vorschrift. Allerdings führt das nach zutreffender und herrschender Lehre272 nicht dazu, daß die Berufsfreiheit des Art. 12 GG nunmehr völlig im Wege der Grundrechtskonkurrenzen verdrängt wäre. Sie tritt vielmehr ergänzend hinzu und zeigt, daß von den Kommunikations­ grundrechten auch in gewerblicher Weise Gebrauch gemacht werden darf. 27 3 Eine selbständige Bedeutung für die Frage des Zulassungsanspruchs kommt ihr indes nach der soeben entwickelten Konzeption nicht mehr zu.

272 27 3

Siehe dazu etwa Klein, 42 m. w. N. Ebenda.

Teil 3: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt Die Betrachtung der Grundlagen der deutschen Rundfunkverfassung hat gezeigt, daß die Rundfunkfreiheit unter dem Grundgesetz im wesentlichen von zwei Problemebenen gekennzeichnet ist: Die erste Ebene betrifft die Frage, ob überhaupt Private Träger von Rundfunkveranstaltungen sein können beziehungsweise sein müssen. Die zweite Ebene hingegen behandelt die Problematik, wie die Beteiligung der Privaten am Rundfunk auszugestal­ ten ist. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Er muß Rundfunkgesetze schaffen, die auch unter den Bedingungen privatökonomischen Wettbewerbs die ver­ fassungsrechtlichen Anforderungen an die Rundfunkfreiheit gewährleisten. 1 Zum Schlüsselbegriff in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der einschlägigen Literatur ist in dieser Frage die Meinungsvielfalt geworden. Sie gilt es sicherzustellen. 2 Der Erhalt der Meinungsvielfalt im (zumindest teilweise) privatwirtschaftlich organisierten Rundfunk ist ein Folgeproblem der Entscheidung, überhaupt Privatunternehmer zu diesem Medium zuzulassen. Der Inhalt der Meinungsvielfalt soll im folgenden näher betrachtet und erläutert werden.

A. Vorbemerkung: Zum Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation I. Der hochpolitische Charakter des Rundfunkrechts Die Konkretisierung des Begriffs der Meinungsvielfalt erfordert allerdings zunächst die Bewußtmachung der besonderen methodologischen Problema­ tik dieses Unterfangens. Der Jurist, der ein Rechtsproblem seiner Lösung zuführen soll, findet sehr häufig im bundesdeutschen Normensystem einen ausdrücklich formulierten Rechtssatz vor, der bereits von seinem Wortlaut her wesentliche Argumente für die zu treffende Entscheidung liefert. Ganz anders liegt es bei der Frage, was denn wohl „Meinungsvielfalt" heißt. Der Begriff taucht im Grundgesetz nicht auf. Er beruht auf einer Wortschöpfung des Bundesverfassungsgerichts, welches ihn aus der normativen Regelung des Rundfunks in Art. 5 GG abgeleitet hat. Und auch der Normtext zum Rund1 Siehe oben Teil 1 , A., II. , 4., c). Näher dazu oben Teil 1 , A. , II., 4., c).

2

A. Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation

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funk ist als dürftig zu bezeichnen. Die Verfassung sagt nicht mehr, als daß die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk gewährleistet werde. Man wird also festhalten dürfen, daß der textliche Anhalt des Grundgesetzes für die Beantwortung der Frage, was Meinungsvielfalt bedeutet, äußerst karg ist. Der: Mangel an ausdrücklicher Formulierung eröffnet der interpretatori­ schen Freiheit des juristischen Exegeten einen weiten Spielraum. Dieser Umstand sollte jedoch nicht bloß als Herausforderung an die Auslegungs­ kunst verstanden werden, sondern zugleich die rµethodentheoretische Frage nach den Prinzipien der Auslegung auf den Plan rufen: Welche Kriterien und Maßstäbe sind heranzuziehen, um den geringen Aussagewert des Verfas­ sungswortlautes inhaltlich anzureichern und warum sind es gerade diese Inhalte, die zur Hilfe genommen werden? Neben dem großen Spielraum, den der Wortlaut des Art. 5 GG eröffnet, tritt ein weiteres methodisches Problem: Der Rundfunk stellt eine eminent politische Regelungsmaterie dar. Die junge Geschichte des Mediums 3 ist in jeder Phase von dem Versuch der Politiker gekennzeichnet, Einfluß auf die vermittelten Inhalte zu nehmen. Nach verbreiteter Ansicht besitzt der Rund­ funk überragenden Einfluß auf die Bildung der öffentlichen Meinung. So­ wohl in der Weimarer Republik als auch während der nationalsozialistischen Diktatur wurde er zum Spielball politischer Interessen. Unter den neuen politischen Vorzeichen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik blieb der Rundfunk ebenfalls ein steter Zankapfel. Das erste Fernsehurteil stellt nicht weniger dar als eine Reaktion auf den recht direkten Versuch der Regierung Adenauer, Einfluß auf den Rundfunk zu gewinnen. Und auch die aktuellen Bestrebungen um die Einführung des privaten Rundfunks sind in ihrem vollen Bedeutungsgehalt nicht ohne den politischen Hintergrund zu verstehen, daß die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Anstalten vielfach als nicht genügend ausgewogen empfunden wurde. 4 Nach allem ist das Rundfunkrecht also gleichermaßen von weiten verfas­ sungstextlichen Spielräumen und höchster politischer Sensibilität gekenn­ zeichnet. Diese Kombination birgt für den Exegeten die Gefahr, das politisch Gewünschte mit dem rechtlich Gebotenen zu verwechseln oder beides gar bewußt miteinander zu vermengen. Eine genauere Analyse der Bedeutung und des Stellenwertes des Vorverständnisses der Juristen im Prozeß der Rechtsgewinnung tut daher not. Insbesondere das Verhältnis von Recht und Politik bedarf in diesem Zusammenhang einer näheren Betrachtung.

3 Siehe oben Teil 2, A. 4 Näher zu dieser Diskussion: Bausch, Rundfunk, 767 ff., 940 ff. und 987 ff.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

II. Vonerständnis als allgemeines rechtswissenschaftliches Problem Die Frage nach dem Verhältnis des Rechtsanwenders zur Norm, nach seinem Vorverständnis bezüglich des Rechtssatzes bei dessen Anwendung auf ein konkretes Problem, einen Fall, ist nicht auf das Gebiet des Verfas­ sungsrechts beschränkt, wenn es dort auch angesichts der Eigenheiten dieser Materie besonders brennend werden mag. Es handelt sich vielmehr um ein allgemeines methodisches Problem beim Verstehen und Anwenden juristi­ scher Texte. So darf es heute als gesicherte erkenntnistheoretische Einsicht gelten, daß kein Rechtsproblem von einiger Schwierigkeit gelöst werden kann, ohne daß dabei Wertungen erforderlich sind. 5 Das Auffinden solcher Wertungen und ihre Offenlegung stellen eine Herausforderung dar, von der die Glaubwür­ digkeit und die Stabilität eines justiziellen Systems in einem Rechtsstaat ganz wesentlich abhängen. Bereits die sprachliche Betrachtung, daß Recht „ange­ wandt" oder „erkannt" wird, zeigt, daß es hierbei um einen Prozeß nachvoll­ ziehbarer Erkenntnisakte aus zutreffenden Rechtsnormen handeln soll. 6 Dies entspricht der Stellung des Rechts gegenüber den rechtsuchenden Parteien. Diese tragen ihren Konflikt vor eine streitentscheidende Instanz mit der Erwartung, daß das vorgelegte Problem nach den Prinzipien eines rationalen Regelwerks und auf dem Wege eines für jedermann einsichtigen Entschei­ dungsprozesses gelöst wird. Die richterliche Entscheidung ist mit dem An­ spruch auf Gerechtigkeit versehen und soll einen Wahrspruch darstellen. 7 Es fragt sich, wie mit diesem Anspruch die doch allgemein verbreitete Ansicht zu harmonisieren ist, daß die Lösung aller rechtlich schwierigen Fragen nicht ohne Wertungen möglich ist. Nun hieße es jedoch, das Wesen der richterlichen oder juristischen Wertung mißzuverstehen, wenn man es mit der Privatmeinung oder gar der Willkür des einzelnen entscheidenden Richters oder sonst berufenen Rechtsanwenders gleichsetzen wollte. Der Zwiespalt zwischen rechtlicher Wertung und persönlicher Meinung, der den Subsumtionsprozeß kennzeichnet, gilt für alle Auslegungsarbeit an juristischen Texten gleichermaßen. Es mag sich daher empfehlen, zunächst seine Behandlung durch die zivilistische Lehre zu betrachten; denn dieses Rechtsgebiet steht weniger im Rampenlicht tagespolitischer Aufgeregtheiten als das Verfassungsrecht. So hat Josef Esser eine Reihe sachlicher Implika­ tionen herausgearbeitet, die mit jedem Rechtsfindungsprozeß innerhalb posi­ tiver Ordnungen notwendig verbunden sind: 8 Jedes „Anwenden" verlange 5 Hierzu eingehend: A/exy, Argumentation, 17 ff. Esser, Vorverständnis, 17. 7 Ebenda. 8 Esser, Vorverständnis, 1 8.

6

A. Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation

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ein Verstehen, welches vom Rechtsanwender abhänge und welches doch - sollten die normativen Elemente der „vorhandenen" Rechtsordnung nicht verfälscht werden - nicht von seiner Individualität abhängen dürfe, sondern nur von seinem Auftrag für Recht und Gerechtigkeit. Dieses Verständnis des Rechtsanwenders dürfe folglich nicht rein subjektiv sein, sondern müsse dem seiner Umwelt insoweit entsprechen, als es ihr die Entscheidung als Ausprä­ gung des objektiven Rechts überzeugend oder doch akzeptabel machen müsse. Diese Vermittlung zwischen Recht und Rechtbewußtsein könne nicht zu Lasten der einen oder der anderen Seite (des Rechts odbr seiner Akzeptier­ barkeit) gehen und bedinge daher auch die Legitimation der Rechtsprechung, offensichtliche Unvereinbarkeiten durch neue Lösungen zu beseitigen. Im Prozeß der Rechtsfindung und der Auslegung der Normen weist Esser dem Vorverständnis des Rechtsanwenders eine ebenso zentrale wie proble­ matische Bedeutung zu. 9 Ohne Vorurteile über die Ordnungsbedürftigkeit und Lösungsmöglichkeit könne die Sprache der Norm überhaupt nicht das aussagen, was erfragt werde: die gerechte Lösung. Die juristische Textauslegung könne nur dann relevant sein, wenn sie zuvor die konkreten Probleme „richtig" verstehe und aus diesem Verständnis heraus den Text befrage. Das Herantragen einer bestimmten Ordnungsfrage im Hinblick auf die mögliche Weisungsbedeutung des befragten Textes sei der entscheidende Akt, ohne den sich der Regelungssinn eines bestimmten Ausdrucks der Gesetzessprache überhaupt nicht erschließen könne. 10 Die Motive jener vorgreiflichen Normbeurteilung sind nach Esser vielge­ staltig. Er findet sie in praktischer Erfahrung und dem dabei erstarkten „Judiz" des Rechtsanwenders; sie sollen aber auch und vor allem in dem Bewußtsein einer Planungs- und Vermittlungsaufgabe vor dem Erwartungs­ horizont liegen, der in den Anforderungen und Argumenten der Betroffenen sichtbar wird, und dem dogmatisierten System mit seiner stets nur partiellen Verfestigung. Es bleibt daher festzuhalten, daß Esser aus der Stellung der Jurisprudenz den Schluß zieht, individuelle, rein subjektive Motive dürften nicht in das Verständnis der Norm einfließen. Gleichwohl hält er die Existenz von Vor­ verständnissen für einen immanenten Bestandteil des Prozesses der Rechts­ erkenntnis. Diese Vorverständnisse versteht er nicht voluntativ im psycholo­ gischen Sinne. Sie äußern sich jedoch darin, daß der Rechtsanwender gewisse Lösungsmöglichkeiten für ein ihm gestelltes Problem allein als sachgerecht und angemessen betrachtet, während er andere als unbefriedigend von vorn­ herein nicht weiterverfolgt. Dieser häufig unbewußt erfolgende Prozeß de9 Esser, Vorverständnis, 1 36- 1 4 1 ; eingehend zur Verwendung des Begriffs des Vorver­ ständnisses bei Esser: Frommet, 86-96; Esser selbst erläutert ihn nochmals in: Esser, Dogmatisches Denken, 101. 10 Esser, Vorverständnis, 1 38.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

terminiert dann nicht selten das Endergebnis des Subsumtionsvorganges und mittelbar die gewählte Methode der Norminterpretation, die im Hinblick darauf bestimmt wird, das als gerecht erkannte Ergebnis zu stützen. Die Betrachtung der Realität rechtlicher Entscheidung legt in der Tat die Annahme nahe, daß häufig nicht allein die Begutachtung der Normen das verkündete Ergebnis determiniert, sondern ein von Anbeginn als gerecht angesehenes Ergebnis durch den Richter mit einer juristisch-rationalen Ab­ leitung als Begründung ausgestattet wird. Hierbei spielt unter anderem der Umstand eine wesentliche Rolle, daß er dem Erwartungshorizont der betei­ ligten Parteien oder kritischer Kollegen vom Fach gerecht werden will. Sein Vorverständnis wird insoweit von einer diffizilen Vermittlungsaufgabe be­ stimmt. Zugleich aber spielt ein Motiv in die Entstehung des Vorverständnis­ ses hinein, das Esser nur knapp als „Judiz" bezeichnet und nicht weiter erklärt. Man mag in dieser Eigenschaft eine Mischung aus der Erfahrung des Juristen über das rechtlich Mögliche und dem Einfluß von Wertvorstellun­ gen erkennen. Bei diesen Wertvorstellungen darf es sich zwar aufgrund der systematischen Stellung der Rechtsfindung nicht um rein persönliche handeln, sondern nur um rechtlich anerkannte. Je unpräziser der Text der auszulegen­ den Norm wird, umso weniger erscheint es jedoch möglich, das Ergebnis der Interpretation vollständig von der Person des Rechtsanwenders zu trennen. Dies kann an den Grundrechtstheorien exemplifiziert werden: Mit ihrer Hilfe sollen die Grundrechte liberal-rechtsstaatlich, sozialstaatlich oder institutio­ nell ausgelegt werden. 1 1 Alle Theorien lassen sich auf Wertvorstellungen des Grundgesetzes zurückführen. Dennoch können sie für konkrete Grund­ rechtsprobleme zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das Bun­ desverfassungsgericht hat sich nicht für den Vorrang einer dieser Theorien entschieden, sondern benutzt sie wahlweise nebeneinander. Aber was deter­ miniert im jeweiligen Streitfall gerade die Anwendung der einen Lehre und die Außerachtlassung der anderen? Dies bleibt regelmäßig ungesagt und mag gemäß der Terminologie Krieles 12 zu den „verdeckten Entscheidungsgrün­ den" gerechnet werden. Gerade hier aber offenbart sich, wie eng das Ver­ ständnis der Norm mit den Wertvorstellungen des Anwenders zusammen­ hängt. Zwar ist es theoretisch möglich, für jeden Subsumtionsvorgang die Objektivation der Gründe im Sinne einer nicht-individuellen sondern recht­ lich fundierten Entscheidung zu fordern. Bei der praktischen Anwendung dieses Postulats der Gründe im Sinne einer nicht-individuellen sondern recht­ lich fundierten Entscheidung zu fordern. Bei der praktischen Anwendung dieses Postulats stößt man jedoch gerade im Verfassungsrecht nicht selten an die Grenzen der Rationalisierbarkeit des juristischen Erkenntnisprozesses. 11 12

Siehe näher dazu von Münch, GGK, Art. 1-19 Vorb. Rn. 16 ff. Krie/e, 21 8 ff.

A. Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation

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In diesem Stadium wird die juristische Argumentation zur Überzeugungs­ arbeit. An die Stelle logisch-axiomatischer Deduktion tritt ein Prozeß der Konsensbildung zwischen den an der Rechtsgewinnung Beteiligten, der in der Regel die Formung einer „herrschenden Meinung" als rationale Kontrollin­ stanz zur Folge hat.

III. Zur verfassungsrechtlichen Methodendiskussion Die aufgezeigten allgemeinen Probleme der Rechtsgewinnung erlangen im Verfassungsrecht eine herausragende Bedeutung, weil dieses sprachlich sehr vage und zudem nach seiner Natur besonders politisch ist. Demgemäß ist gerade im Verfassungsrecht stets eine sehr intensive Diskussion über die Methodologie und die Prinzipien der Norminterpretation geführt worden. Besonders eindringlich hat sich Ehmke in seinem Referat auf der Staats­ rechtslehrertagung 1961 mit der Bedeutung des Vorverständnisses für die Verfassungsauslegung beschäftigt. 1 3 Ausgehend von der zivilistischen Lehre begreift er die Jurisprudenz als praktische Disziplin. Er sieht juristisches Denken als Problemdenken, dessen Grundstruktur topisch ist. In schwierigeren Interpretationsfällen könne die Lösung nicht am Wort­ laut des Gesetzes abgelesen werden. 1 4 Daher müsse die die Entscheidung tragende Norm überhaupt erst gebildet, ,,gefunden" werden. Daraus ergebe sich jedoch nicht, daß sich die Jurisprudenz in Kasuistik erschöpfen könnte. Vielmehr sei das Problem des „Vor-Urteils" im Blick zu behalten. Man erfasse ein juristisches Problem ja nicht „an sich", sondern immer nur mit einem gewissen Vorverständnis. Die Begründung dieses Vorverständnisses, das Zusammentragen der für ein Problem maßgeblichen Gesichtspunkte, die vorläufige Einordnung des Problems und seiner Lösung in einen sinnvollen Zusammenhang mit anderen Problemkreisen seien Aufgaben der Theorie oder der Systematik. Für Ehmke wirft sich danach folgende „Gretchenfrage" auf: 1 5 Wenn es logisch zwingende Schlüsse in der Jurisprudenz im allgemeinen und im Verfassungsrecht im besondern nur in sehr begrenztem Maße gebe und wenn die am naturwissenschaftlichen Wissenschaftsideal ausgerichteten, sich „exakt" gebenden „Methoden" nur hinter scheinlogischen Argumenten ihre Vorurteile verbergen würden, wonach bestimme sich dann, welches verfas­ sungstheoretische Vorverständnis maßgeblich sei? Die Antwort müsse lau­ ten: Nach der von der naturwissenschaftlichen Beweisbarkeit grundverschie1 3 Ehmke, Prinzipien, 51 ff. 14 Ehmke, Prinzipien, 55 f. 15 ders. , Prinzipien, 71 f.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

denen Überzeugungskraft einer juristischen Argumentation. Diese Überzeu­ gungskraft beurteile der Konsens aller Vernünftig- und Gerecht-Denkenden. Zu den ersten zählt Ehmke vor allem die Rechtslehrer und Richter, zu den zweiten das ganze Gemeinweisen. An Ehmkes Kerngedanken, letztlich auf den Konsens der Vernünftig- und Gerecht-Denkenden abzustellen, haben vor allem die Verfassungsrichter Leibholz 1 6 und Friesenhahn 1 7 Kritik geübt. Leibholz meint zunächst, das verfassungstheoretische Vorverständnis könne nicht mit dem verfassungs­ rechtlichen Konsens identifiziert werden. Ferner könne die „Richtigkeit" eines verfassungstheoretischen Vorverständnisses auch nicht von dem Kon­ sens aller „Vernünftig- und Gerecht-Denkenden" abhängig gemacht werden, ohne daß man unwillkürlich in einen nicht mehr zeitgemäßen, letzthin positi­ vistischen Psychologismus zurückfalle. Auch Friesenhahn 1 8 fragt, woher der maßgebende Konsens kommen solle. Zwar bringe jeder Verfassungsinterpret schon durch seine Persönlichkeits­ struktur eine mehr oder weniger große Affinität zu der einen oder anderen Lösung eines Problems mit, aber er werde immer mit heißem Bemühen die notwendige Distanznahme zur eigenen politischen Beurteilung anstreben und sein Normverständnis aus Geist und Willen des Normgebers zu finden versuchen. Koch 19 schließlich hat Ehmke vorgeworfen, der Rekurs auf die „Vernünf­ tig- und Gerecht-Denkenden" schneide nicht nur Erörterungen über Chan­ cen rationalen Begründens ab, sondern sei andererseits auch geeignet, die Tatsache zu verschleiern, daß an irgendeiner Stelle der Begründungsregreß dogmatisch abgebrochen werden müsse. Die Kritik an Ehmkes Thesen trifft nicht immer den Kern. Er will mit dem Konsens der Vernünftig- und Gerecht-Denkenden nicht etwa die herge­ brachte Verfassungsinterpretation durch ein System juristischer Demosko­ pie ersetzen. Vielmehr geht es ihm um Schlußfolgerungen aus der Erkenntnis, daß im Wege rein axiomatisch-dekuktiver Interpretation aus einem Rechts­ satz nicht mehr herausinterpretiert werden kann als zuvor - sei es durch Legislative oder Exegeten - hineingelegt worden ist. Wenn man dies aner­ kennt und hieraus schließt, daß Verfassungsinterpretation in gehörigem Maße auch Rechtsfortbildung im Wege wertkonkretisierender Kasuistik dar­ stellt, dann stellt sich der Konsens der Vernünftig- und Gerecht-Denkenden als eine Richtigkeitskontrolle für die durch rationale Argumentation gefun­ denen Ergebnisse dar. 20 Eine derartige Richtigkeitskontrolle durch Erfor16 Diskussionsbeitrag zu Ehmkes Referat, in: VVDStRL 20, 1 1 7 ff. 1 7 Diskussionsbeitrag zu Ehmkes Referat, in: VVDStRL 20, 1 2 1 . 18 VVDStRL 20, 121. 1 9 Koch, 129.

A. Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation

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schung der Akzeptanz der Entscheidungen bei den am Rechtsleben Beteilig­ ten erscheint als unerläßlich, um den Prozeß der Rechtsfortbildung im Verfassungsrecht lebensnah und sachgerecht zu halten. Diese Konsensbil­ dung kann und soll die Auslegungsarbeit des Richters nicht ersetzen. Der Konsens der Rechtsunterworfenen ist letztlich aber bedeutsam als stabilisie­ rendes Element der Verfassungsordnung im ganzen. So gesehen stellen Ehm­ kes Thesen zwar keine umfassende oder neuartige Theorie der (verfassungs-) juristischen Interpretation dar - gleichwohl weisen sie auf ein wesentliches Element der Kontrolle bei der Gewinnung des Verfassmb.gsrechts hin. Eine zentrale Rolle in der Methodendiskussion des Verfassungsrechts haben in der neueren Zeit vornehmlich die Werke Friedrich Müllers gespielt. Die tragende These seiner „hermeneutischen Rechtsnormtheorie" 2 1 liegt in der behaupteten „Nichtidentität von Normtext und Norm". 22 Müller ist es vor allem darum zu tun, die althergebrachten Vorstellungen über das Ver­ hältnis von Rechtssatz und Wirklichkeit zu überwinden sowie auf der so gewonnenen Arbeitsgrundlage eine neue Methodenlehre und Verfassungs� theorie zu entwickeln, die er selbst als „strukturierende Rechtslehre" 2 3 be­ zeichnet. Er sieht unter zwei Hauptaspekten den Wortlaut einer positiven Rechts­ vorschrift nur als die „Spitze des Eisbergs" an. 24 Zum einen diene der Wort­ laut in der Regel der Formulierung des Normprogramms während der Normbereich als ein die Vorschrift mitkonstituierendes Element normaler­ weise nur angedeutet werde. Zum anderen gehe die der Norm nach herkömm­ lichem Verständnis zugehörige Normativität aus diesem Text selbst nicht hervor. Die Normativität folge vielmehr aus außersprachlichen Gegebenhei­ ten staatlich-gesellschaftlicher Art: aus einem tatsächlichen Funktionieren, aus einem tatsächlichen Anerkanntsein, aus einer tatsächlichen Aktualität dieser Verfassungsordnung für empirische Motivationen in diesem Bereich. Nach Müllers Terminologie drückt der Wortlaut des Gesetzes das „Norm­ programm" aus, den herkömmlich so verstandenen Rechtsbefehl. 25 Gleich­ rangig zählt er zur Norm auch den „Normbereich", worunter er den Aus­ schnitt sozialer Wirklichkeit in seiner Grundstruktur versteht, den sich das Normprogramm in seinem Regelungsbereich ausgesucht oder erst geschaffen hat. 2 6 Das Besondere an Müllers Theorie von der Verfassung liegt also darin, 20 Vgl. hierzu Lorenz, 1 46. Die Äußerung ist in der neuesten Auflage seiner Methodenlehre nicht mehr vorhanden. 21 Friedrich Müller, Arbeitsmethoden, 1 42. 22 Friedrich Müller, Arbeitsmethoden, 1 45. 23 So der Titel eines seiner Werke aus dem Jahre 1984. 24 Friedrich Müller, Arbeitsmethoden, 1 44. 25 Friedrich Müller, Arbeitsmethoden, 1 47. 26 ders. , Normstruktur, 1 17.

6 Schuster

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

daß er die Realität als integralen Bestandteil der Norm betrachtet. In der Interpretation des Normwortlauts sieht er eines der wichtigsten Elemente der Konkretisierung der Verfassung, aber eben nur ein Element. 27 Auf dieser Basis entwickelt Müller seine Einordnung des Vorverständnisses. 28 Er meint, Vorverständnis könne im Zusammenhang juristischer Methodik nur ein juristisches, nicht ein philosophisches oder allgemein geisteswissenschaftli­ ches bedeuten. Das gelte auch gegenüber den nichtjuristischen Elementen des, im umfassenden Sinn, ,,ideologischen" Vorverständnisses, gegenüber der Vorurteilshaftigkeit allen Verstehens. Müller sieht in diesem juristischen Vorverständnis den Ort einer nicht um ihrer selbst, sondern um der Realität und Richtigkeit der zu findenden Entscheidung willen anzustellenden Ideologiekritik. Die Forderung nach juristischer Objektivität könne nicht im Sinne eines „absoluten" Idealbegriffs erhoben werden; wohl aber als Forderung nach überprüfbarer, diskutierba­ rer Rationalität der Rechtsanwendung und nach ihrer Sachgerechtigkeit im Sinne der Sachgeprägtheit rechtlicher Vorschriften und der Einbeziehung der Sachelemente von Normativität in die Konkretisierung. Die Kritik an Friedrich Müllers Thesen entzündet sich nicht zuletzt an deren hohem Abstraktionsgrad und der damit verbundenen Schwierigkeit, hieraus Schlußfolgerungen für konkrete Streitfälle der Verfassungsinterpre­ tation zu ziehen. 2 9 Unklar bleibt vor allem, welche Konsequenzen die Einbe­ ziehung der realen Gesetzmäßigkeiten (Normbereich) in den Normbegriff haben soll. Hier hat Müller ein Gegenmodell zum herkömmlichen Verständ­ nis entworfen. Soweit damit ein neuer Sprachgebrauch vorgeschlagen sein soll, wird dessen Nutzen bestritten. 30 Soweit damit die Einstellung realitäts­ bezogener Gesichtspunkte in den Abwägungsvorgang bei verfassungsrecht­ lichen Problemlösungen begründet werden soll, ist dies der Sache nach nichts Ungewöhnliches und bedarf auch nicht unbedingt einer neuartigen Termino­ logie wie Müller sie empfiehlt. Dementsprechend kritisiert Alexy, 3 1 daß ohne die Unterscheidung zwi­ schen der Norm, dem Interpretationsvorgang und den diesen stützenden Argumenten kein klares Bild der juristischen Begründung gewonnen werden könne. Auch rechtsstaatliche Gründe ließen eine strikte Trennung zwischen dem Begriff der Norm und dem des bloß normativ Bedeutsamen nicht nur als möglich, sondern auch als geboten erscheinen. Es bleibt festzuhalten, daß die Einbeziehung sachhaltiger Argumente in den verfassungsrechtlichen Interpretationsvorgang auch ohne Müllers theo2 7 Hierzu und zum folgenden: Friedrich Müller, Arbeitsmethoden, 150 f. 28 Friedrich Müller, Arbeitsmethoden, 152 f. 29 Vgl. etwa Schwabe, 155. 3

°

31

Koch, I 32.

Alexy, Grundrechte, 68.

A. Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation

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retischen Ansatz möglich und geboten ist. Die Erweiterung des Normbegriffs erweist sich damit mehr als terminologische Frage denn als Beitrag zur Förderung konkreter Verfassungsfragen. Die hergebrachte Differenzierung zwischen Norm und Interpretationsargumenten kann daher beibehalten werden. Zustimmung verdienen hingegen Müllers Ausführungen zur Bestimmung desjuristischen Vorverständnisses als Ort der Ideologiekritik. Die Aufgabe der Rechtsanwendung in der Entscheidungspraxis verbietet den maßgebli­ chen Einfluß individueller Ideologien. Das Vorverständnis darf gemäß der Stellung des Rechts in der Streitentscheidung keine Wertungen enthalten, die nicht von der Individualität des Rechtsanwenders abzulösen sind. Hieraus folgt die Forderung, die Entscheidungsfindung soweit als möglich zu rationa­ lisieren, sie nachvollziehbar zu gestalten. IV. Recht und Politik in der Verfassungsgerichtsbarkeit Das Bundesverfassungsgericht genießt kraft der Kompetenzordnung des Grundgesetzes eine überragende Stellung bei der Konkretisierung des Ver­ fassungsrechts. Dabei gerät es naturgemäß nicht selten in eine Konfliktsitua­ tion mit Entscheidungen des Gesetzgebers, die das Produkt leidenschaftli­ cher politischer Diskussion und persönlicher Wertmaßstäbe sind. Die Formulierung, das Gericht befinde sich im Spannungsfeld von Recht und Poltik, ist schon beinahe klassisch zu nennen. 32 Die Stellung und das Verhal­ ten des Gerichts in diesem Konflikt sind demzufolge von besonderem Inter­ esse. Vor allem der frühere Bundesverfassungsrichter Leibholz3 3 hat angenom­ men, zwischen dem Wesen des Politischen und dem Wesen des Rechts bestehe idealtypisch ein innerer, letzten Endes auch kaum aufzulösender Widerspruch. Dieser lasse sich darauf zurückführen, daß das Politische seinem Wesen nach mehr in der dynamisch-irrationalen Sphäre verhaftet sei und sich den sich dauernd verändernden Lebensverhältnissen anzupassen suche, während umgekehrt das Recht in seiner grundsätzlichen Wesensstruk­ tur etwas Statisch-Rationales sei, das die im politischen Bereich nach Aus­ druck ringenden Kräfte um der Sicherheit und Ordnung willen, die auch das Recht zu garantieren habe, zu bändigen suche. Diese Auffassung betont nun allerdings die Antinomie von Politik und Recht in einer Weise, die einen unüberbrückbaren, nicht harmonisierbaren Gegensatz suggeriert. So wird letztlich vernachlässigt, daß zwischen beiden Lebensbereichen ein enger in­ nerer Zusammenhang dergestalt besteht, daß das geltende Recht das Resultat des politischen Prozesses der Vergangenheit ist. Das Recht von heute stellt, so 32 Benda, 41. 33 Leihholz, 397.

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betrachet, die verfestigte Politik von gestern dar. Beide verbindet dasselbe Ziel: Es geht um die Schaffung gerechter und friedlicher Lebensverhältnisse in der Gesellschaft. Die sich hierbei stellenden Probleme sind ebenso schnel­ lem Wechsel unterworfen wie das zu regelnde Leben selbst und in dieser Vielgestaltigkeit offenbart sich die Herausforderung, das Normensystem durch politisches Handeln den jeweiligen Anforderungen der Gegenwart anzupassen. In diesem ständigen Fluß geschichtlichen Werdens der Staats­ und Gesellschaftsordnung fällt dem Recht seiner Natur nach eher die Auf­ gabe der Bewahrung des als richtig Erkannten zu, während die Politik dazu berufen ist, mehr Gerechtigkeit durch Neuerung zu erschaffen. Insoweit gewinnt die Verfassung eine besondere Funktion. Ihre erschwerte Abänder­ barkeit seitens des Gesetzgebers zeigt, daß an diesem Orte Sollenssätze gespeichert werden, die man als grundlegend und erhaltenswert erkannt hat und die daher nicht leichthin zur Disposition der politischen Mehrheit ge­ stellt werden sollen. Besonders deutlich macht dies die mit Recht so genannte „Ewigkeitsklausel" des Art. 79 Abs. 3 GG, die die Menschenwürde und die Organisationsprinzipien des Art. 20 GG für unabänderbar erklärt. Damit hat der Verfassungsgeber einen Konsens gezeigt, der auch durch das demo­ kratische Mehrheitsprinzip nicht mehr zu überwinden ist. Zum Hüter dieser grundlegenden Rechtssätze hat das Grundgesetz vor allem und mit umfas­ senden Kompetenzen das Bundesverfassungsgericht berufen. Anhand der Konsequenz, daß dadurch Richter zu Kontrolleuren der demokratisch legi� timierten Parlamentarier werden, offenbart sich die gesamte konzeptionelle Problematik des Instituts Verfassungsgerichtsbarkeit. Aus der Wechselwirkung von Verfassungsrecht und neu zu setzendem Recht erklärt sich auch, daß naturgemäß ein sehr reformfreudiger und neue­ rungswilliger Gesetzgeber besonders häufig in Konflikt mit dem Verfas­ sungsgericht gerät. So nimmt es nicht wunder, daß gerade in den siebziger Jahren die Tendenz wuchs, nahezu jedes größere Reformvorhaben der da­ mals neuen Regierungskoalition in Bonn einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Bei aller Spannung zwischen Bewahrung und Erneuerung, die jedem Pro­ zeß des Fortschritts in der menschlichen Gesellschaft immanent ist, darf jedoch das Gemeinsame des Wesens von Recht und Politik nicht aus dem Blick verloren werden. Dies ist eben das Streben nach Gerechtigkeit der Lebensumstände und von daher sollte die Konfliktgeladenheit der staats­ rechtlichen Stellung des Bundesverfassungsgerichts nicht überbetont wer­ den. Es fragt sich vielmehr, was die Richter tun können und wie sie sich verhalten müssen, um der staatstheoretisch-funktionalen Stellung dieses Ver­ fassungsorgans gerecht zu werden. Daß den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts die Eigenheiten ihrer richterlichen Tätigkeit von Anfang an bewußt waren, zeigt bereits seine

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Denkschrift aus dem Jahre 1952, 34 in der es heißt, die Verfassungsgerichts­ barkeit unterscheide sich von jeder anderen Gerichtsbarkeit grundsätzlich dadurch, daß sie allein es mit einer besonderen Art von Rechtsstreitigkeiten, nämlich den "politischen" Rechtsstreitigkeiten zu tun habe. Unter politischen Rechtsstreitigkeiten seien dabei solche zu verstehen, bei denen über politi­ sches Recht gestritten und das Politische selbst an Hand der bestehenden Normen zum Gegenstand der richterlichen Beurteilung gemacht werde. Da die Problematik der politischen Entscheidung der Verfassungsge­ richtsbarkeit immanent ist und dieser Zweig der Rechtsp�echung in der Bundesrepublik noch eine relativ junge Tradition hat, empfiehlt sich ein Blick auf die langfristig gewachsenen Strukturen in den USA. Der dortige Supreme Court gilt als Urheber der Verfassungsrechtsprechung. Er hat die Political-Question-Doctrine entwickelt. Diese besagt, daß das Gericht bei Streitigkeiten politischer Art die Entscheidung verweigern kann, indem es sich für unzuständig erklärt. 3 5 Das Gericht führt dies auf die Verteilung der Aufgaben in der U.S.-Verfassung zurück. Bereits im Fall Marbury vs. Madi­ son3 6 - der Grundlegung der verfassungsrechtlichen Prüfung von Gesetzen - führt Chief Justice Marshall aus: "By the Constituion of the United States, the President is invested with certain policy powers, in the exercises of which he is to use his own discretion, and is accountable only to bis country . . . ". Im deutschen Schrifttum findet man gelegentlich Sympathie für diesen Ansatz und seine Übertragung in die Bundesrepublik; 3 7 er ist jedoch in seiner ur­ sprünglichen Form nicht in das deutsche Verfassungsrecht zu transponieren, weil die eindeutigen Kompetenzzuweisungen an das Bundesverfassungsge­ richt gemäß Art. 93 GG grundsätzlich zu einer Sachentscheidung zwingen und dem Gericht keinen Spielraum bei der Annahme einer Sache zur Ent­ scheidung lassen. 3 8 Fruchtbarer für die deutsche Problematik erscheint die Heranziehung des Prinzips des judicial self-restraint 3 9 aus der amerikanischen Rechtsprechung. Dieser Ansatz bemüht sich um einen Spannungsausgleich auf der Ebene der Sachentscheidung. Das Gericht erklärt sich für zuständig, es soll jedoch in richterlicher Selbstbeschränkung das dem Gesetzgeber bei der Gestaltung der wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Verhältnisse einge­ räumte Ermessen beachten. 40 Hierbei handelt es sich um einen Akt der selbst 34

Denkschrift des Bundesverfassungsgerichts in: JöR N. F. 6 (1957), 144 ff. (145). 35 Menger, 398; Dolzer, 100 ff. 36 1 Cranch 1 37. 37 Dolzer, a.a.O. 38 Vgl. Menger, 399. 39 Zu den Begriffen judicial self-restraint und judicial activism siehe näher Delbrück, Richter, 39 ff. 40 Menger, 398.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

auferlegten Nichtausnutzung denkbarer Kontrollspielräume in Anerken­ nung der Funktionserwartung, die die Verfassung an das Gericht stellt, sowie in Respekt vor der unmittelbaren demokratischen Legitimation des Gesetz­ gebers und seiner primären Rolle als Gestalter der gesellschaftlichen Bedin­ gungen. 4 1 Das Bundesverfassungsgericht hat sich selbst ausdrücklich zum Prinzip des judical self-restraint bekannt und es sieht hierin den Verzicht, Politik zu treiben. 42 Der Grundsatz ziele darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Ge­ staltung offen zu halten. 43 Freilich sind diese Prinzipien in abstracto recht einfach zu formulieren, während es im Einzelfall häufig Schwierigkeiten bereitet, die Balance zwischen gebotener Verfassungsdurchsetzung und wei­ ser richterlicher Selbstbeschränkung zu finden. In jedem Fall empfiehlt sich aber diese amerikanische Judikatur auch als Leitlinie für die deutsche Verfas­ sungsrechtsprechung, da sie den funktionellen Kern der Gewaltenbalance der Verfassung erkennt und konkretisiert. 44 Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts bemüht sich in vielfacher Weise, dem Problemfeld von Politik und Verfassungsrecht adäquat zu begegnen. Bereits in organisatorischer Hinsicht fällt auf, daß Verfassungsrichter -an­ ders als sonstige Richter - nach Art. 94 Abs. 1 GG je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Der wesentliche Grund für dieses Wahrverfahren liegt darin, auf diesem Wege ein Element demokratischer Legitimation einzuführen. 45 Bemerkenswert ist insoweit auch das Erforder­ nis einer 2/3-Mehrheit, welches den Voraussetzungen einer Verfassungsän­ derung entspricht. Neben dieser verfahrensrechtlichen Legitimation hat sich das Gericht weithin bemüht, seiner politischen Bedeutung durch eine zurückhaltende, den Gesetzgeber und seine Gestaltungsmöglichkeiten schonende Judikatur gerecht zu werden. Hier ist zunächst die Rechtsfigur der verfassungskonfor­ men Auslegung zu nennen, die ihre Ausbildung einer politischen - nicht rechtlich geforderten - Überlegung verdankt. 46 Der Respekt vor dem Ge­ setzgeber gebietet es in solchen Fällen, auf eine Nichtigerklärung zu verzich­ ten, obwohl diese möglich und auch nötig wäre, ließe man jene besondere Auslegung beiseite. 47 41

Vgl. Delbrück, Bundesverfassungsgericht, 88, 92; Schupper t, 1 59 ff. BVerfGE 36, 1 (14). 4 3 BVerfGE 36, 1 (14 f.). 44 Vgl. Delbrück. a.a.O.; Ehmke, Prinzipien, 97 f.; siehe auch Benda, 43 ff. , 5 1 ; Geiger, 21-23. 45 Benda, 38. 46 Geiger, 22; Leibholz, 399. 47 Geiger, a.a.O. 42

A. Verhältnis von Recht und Politik in der Verfassungsinterpretation

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Weiterhin hat das Gericht in ständiger Rechtsprechung betont, daß es Sache des Gesetzgebers sei, die Staatszielbestimmungen wie etwa das Sozial­ staatsprinzip oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Leben zu erfüllen. 48 Die Judikatur nutzt diese Spielräume nicht im Sinne einer progressiven Veränderung der Verhältnisse aus, sondern gewährt der Legis­ lative die Vorhand. 4 9 Im Bereich der Grundrechte offenbarte sich ebensol­ cher self-restraint vor allem in der Behandlung des Gleichheitssatzes, dessen Bedeutung auf ein allgemeines Willkürverbot reduzierte wurde. 50 Das Ge­ richt hat nach allem ein weitgehend zurückhaltendes Selbstverständnis ent­ wickelt. Gleichwohl blieb es nicht von den Versuchungen des "judicial activism" verschont. So kritisiert Delbrück5 1 an der Entscheidung zum Abtreibungs­ problem, 52 daß das Gericht hier seine eigenen (unbewiesenen) kriminalpoliti­ schen Vermutungen an die Stelle der Bewertung der in erster Linie berufenen Legislative gesetzt habe. Und im Urteil zur Hochschulorganisation nach dem niedersächsischen Vorschaltgesetz5 3 mußte sich die Mehrheit des erkennenden Senats gar von ihren dissentierenden Kollegen sagen lassen, mit dieser Entscheidung setze sich das Gericht unter Überschreitung seiner Funktion an die Stelle des Gesetzgebers. 5 4 Trotz derartiger Grenzfälle läßt sich jedoch resümieren, daß sich das Bundesverfassungsgericht zum Grundsatz des judicial self-restraint bekannt und ihn auch überwiegend seiner Spruchpraxis zugrundegelegt hat. In diesem Prinzip findet sich ein praktisch gangbarer Ansatz zur Meisterung des komplexen Spannungsverhältnisses zwischen Verfassungsgerichtsbar­ keit und Politik. V. Zusammenfassende Stellungnahme

Die Gesamtschau der Methodenprobleme der Verfassungsinterpretation zeigt, daß die Schwierigkeiten bereits mit der Sprachlichkeit des Textes beginnen. Die semantische Wissenschaft hat sich mittlerweile von der Vor­ stellung gelöst, daß Worten eine natürliche, quasi vorgegebene Bedeutung zukomme. Vielmehr werden Worte von der Sprachwissenschaft heute als 48 Vgl. BVerfGE 1, 97 (105); 4, 7 ( 1 8 f.); 7, 377 (400); 14, 22 1 (238); 25, 28 (35); 37, l (2 1); 40, 121 ( 1 33). 49 Geiger, 14 f. 50 Leibholz, 399. 51 Delbrück, Bundesverfassungsgericht, 100-103; ders., Richter, 4 1 . 52 BVerfGE 39, l . 53 BverfGE 35, 79. 54 BVerfGE 35, 79 (1 50).

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

offene Systeme eingeschätzt, 55 deren Bedeutung sich wandeln kann und auch muß, um die Sprache lebendig zu halten. Dieser Umstand wird als Porosität der Worte bezeichnet und charakterisiert den Sachverhalt, daß alle Erfah­ rungsbegriffe unabgeschlossen sein müssen, weil wir unvorhergesehene Er­ fahrungen und Entdeckungen machen können, hinsichtlich derer sich ein Gebrauch des fraglichen Ausdrucks noch nicht gebildet haben kann. 56 Bei­ spielsweise stelt sich heute die Frage, ob Satellitenfernsehen "Rundfunk" im Sinne von Art. 5 G sein kann, obwohl diese Übertragungsform den Vätern der Verfassung noch nicht bekannt war. 57 Hinlänglich bekannt ist der semantische Spielraum, der sich aus der Mehr­ deutigkeit von Wörtern ergibt. Eine weitere Quelle sprachlicher Interpretat­ ionsbreite stellt darüber hinaus die Vagheit von Begriffen dar. 5 8 Diese Eigen­ schaft umschreiben Juristen häufig durch die Metapher, daß es einen Begriffskern und einen Begriffshof gebe, 59 wobei nur der erstere eine gefe­ stigte, allgemein anerkannte Bedeutung aufweise. Die Zusammenstellung semantischer Spielräume zeigt, daß Verfassungsin­ terpretation das Schicksal aller Textwissenschaften teilt, daß die Sprache als Instrument der Bedeutungsspeicherung und Entscheidungsfindung kein in sich abgeschlossenes und feststehendes System darstellt. Die Erkenntnis der Grenzen der Exaktheit der Sprache als Ausdrucksmittel bedingt die Einsicht in die Grenzen der Rationalisierbarkeit des juristischen Entscheidungsvor­ gangs. Mit der Feststellung, daß die Bedeutung den Begriffen in juristischen Texten grundsätzlich nicht auf natürliche Weise innewohnt, sondern häufig erst durch die Interpretation im Wege der Konkretisierung des Gesetzes beigelegt wird, gewinnt der Prozeß des Herantragens von Fragen nach Be­ deutung an die Norm entscheidendes Gewicht. Die Wichtigkeit dieses Heran­ tragens im Rahmen der Interpretation hat Esser mit Recht besonders hervor­ gehoben. Schon in der Fragestellung offenbart sich das Vorverständnis des Exegeten von der Norm. Und genau hier fordert Friedrich Müller zutreffend die Verortung der Ideologiekritik. Dies folgt aus der verfassungsrechtlichen Konzeption des Instituts der Rechtsanwendung und Gerichtsbarkeit. Die Bürger, die einen Streit vor Gericht bringen, erwarten eine Entscheidung nach den Regeln des Rechts. Dies schließt es grundsätzlich aus, etwa erforderliche Wertungen und Überzeugungsstrategien zu verwenden, die nicht von der Individualität des 55 Vgl. Koch, 29-55, insbesondere 45. 56 Koch, 45. 57 Zu dieser Subsumtionsfrage schon Teil 2, B. 58 Koch, 43 f. 59 Z. B. Heck, 66.

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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Entscheidungsträgers ablösbar sind. 60 Damit soll nicht behauptet werden, daß es für einen Fall stets nur eine juristisch zwingend richtige Lösung gebe. Es ist jedoch zu verlangen, daß die notwendigen Wertungsfragen auf das Recht zurückgeführt werden und die angewandten Argumentationen ratio­ nal nachvollziehbar sind. Persönliche Ideologien sind unstatthaft. Ihr auch unbewußtes - Einfließen muß permanent hinterfragt werden. Die Einsicht in die Rolle der Jurisprudenz im Rechtsstaat berücksichtigt letztlich auch der Grundsatz des judicial self-restraint, der in praktischer Weise das Verhältnis von Politik und Recht zu bestimmen sucht. Dieser Grundsatz hat eine Doppelnatur: zum einen beinhaltet er die staatsorganisa­ tionsrechtliche Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Legislative und Justiz; zum anderen gerät er zur inhaltlich relevanten Auslegungsmaxime. Das Gericht verzichtet auf die Usurpation semantischer Spielräume des Verfassungstextes, um das Primat des Gesetzgebers in der politischen Sozial­ gestaltung zu wahren. Hierbei handelt es sich um die Gewährung des not­ wendigen Respekts gegenüber dem anderen Verfassungsorgan. Der Rückzug auf das Instrument der richterlichen Selbstbeschränkung zur Lösung des Verhältnisses von Recht und. Politik mag als wenig faßbar er­ scheinen. In ihm offenbart sich jedoch die Erkenntnis langer verfassungsge­ richtlicher Tradition in den USA, die gezeigt hat, daß ein Überziehen der richterlichen Gewalt die Stabilität des Systems gefährden und eine Verfas­ sungskrise heraufbeschwören kann. 61 Der Richter darf seine Beurteilung daher letztlich nur am Maßstab des Gesetzes und nicht dem der politischen Weisheit orientieren. 62

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die methodische Grundlagenbetrachtung hat gezeigt, daß im Rahmen der verfassungsrechtlichen Behandlung so vager Begriffe wie der Rundfunkfrei­ heit (oder genauer am Text des Grundgesetzes orientiert: der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk) eine gewisse Behutsamkeit des Interpre­ ten erforderlich ist, um nicht von der Ebene des Rechts auf die des politisch 60 Ebenso für das amerikanische Verfassungssystem: Ely, 44-48. Zur Geschichte des sogenannten "court-packing-plan" von Präsident Roosevelt vgl. Pritchett, 8 ff. 62 Siehe dazu anschaulich die dissenting vote von Justice Stone in: Butler vs. United States, 297 U.S. 1 , 78/79 (1 936): n· • • while unconstitutional exercise of power by the executive and legislative branches of the government is subject to judicial restraint, the only check upon our own exercise of power is our sense of self-restraint. For the removal of unwise laws from the statute books appeal lies not to the courts but to the ballot and to the processes of democratic government." 61

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

motivierten Zweckdenkens abzugleiten. Gerade die Schöpfung eines Begriffs wie „Meinungsvielfalt", aus dessen Inhalt weitestreichende rechtliche Konse­ quenzen hergeleitet worden sind, bedarf insoweit kritischer Analyse. Denn er taucht im Grundgesetz nicht auf und entspringt ausschließlich der richterli­ chen Konkretisierung semantisch äußerst vager Termini des Verfassungstex­ tes. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Meinungsvielfalt", seinem Herkommen, seiner Bedeutung, seinem Zweck und seines staatstheoreti­ schen Hintergrundes bedarf deshalb im Ansatz einer genauen Betrachtung seiner Entstehung in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichtes. 1. Im ersten Fernsehurteil6 3 fällt das Wort „Meinungsvielfalt" noch nicht ausdrücklich. J?ie Tendenz des Gerichtes geht jedoch auch in dieser Ent­ scheidung aus dem Jahre 196 1 bereits klar dahin, ein möglichst großes Maß der in der Gesellschaft vertretenen Anschauungen in Radio und Fernsehen repräsentiert zu sehen. Nachdem das Gericht seine Auffassung von der „Sondersituation" im Rundfunk entwickelt und daraus eine Rechtfertigung monopolistischer Strukturen auf diesem Sektor hergeleitet hat, 64 führt es aus: 65 Auch eine rechtsfähige Gesellschaft des privaten Rechts könne Träger von Rundfunkveranstaltungen sein, wenn sie nach ihrer Organisationsform hinreichende Gewähr biete, daß in ihr in ähnlicher Weise wie in der öffent­ lich-rechtlichen Anstalt alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kämen und die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bliebe. Art. 5 GG verlange jedenfalls, daß der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesell­ schaftlichen Gruppe ausgehändigt werde. Die Veranstalter von Rundfunk­ darbietungen müßten also so organisiert werden, daß alle in Betracht kom­ menden Kräfte in ihren Organen Einfluß haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen könnten, und daß für den Inhalt des Programms Leitgrund­ sätze verbindlich seien, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogen­ heit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisteten.

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II. An diese Prinzipien knüpfte das Bundesverfassungsgericht seinem zweiten Fernsehurteil 197 1 direkt an. 66 Der Streit betraf die Frage der Mehr­ wertsteuerpflicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Das Gericht arbeitete in diesem Zusammenhang die Funktion des Rundfunks im Staats­ ganzen genauer heraus. Es verwies zunächst wieder auf die Sondersituation im Rundfunksektor; aus diesem Grunde sei eine dem Pressewesen entsprechende Vielfalt von miteinander konkurrierenden Darbietungen - jedenfalls vorerst - nicht möglich. Dies erfordere besondere Vorkehrungen zur Verwirklichung und 63 Zum historischen Hintergrund dieses Streits, dem Sachverhalt und den wesentlichen Urteilsgründen siehe oben Teil 1 , A., II., 4., c). 64 Siehe dazu schon oben Teil 1 , A., II., 4., c). 65 BVerfGE 12, 205 (262 f.). 66 BVerfGE 3 1 , 3 14 (326 ff.).

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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Aufrechterhaltung der in Art. 5 G G gewährleisteten Freiheit, die allgemein verbindlich zu sein hätten und durch Gesetz zu treffen seien. Alle in Betracht kommenden Kräfte müßten auf die Tätigkeit des Rundfunks Einfluß haben und in dem „von einem Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sach­ lichkeit und gegenseitiger Achtung" 67 bestimmten Gesamtprogramm zu Worte kommen können. Die Ausgestaltung dieser Verfassungsprinzipien findet das Gericht in den Landesrundfunkgesetzen: Hinsichtlich der Organe der Anstalten enthielten diese Gesetze Bestimmungen, die eine weitgehende Beteiligung und Mitwir­ kung aller gesellschaftlich relevanten Kräfte gewährleisten sollten. 68 Es bleibt festzuhalten, daß auch im zweiten Fernsehurteil von 1971 eine umfassende Theorie der Meinungsvielfalt noch fehlt und der später so be­ deutsame Terminus noch nicht geprägt ist. Der Sache nach ist die moderne Konzeption aber bereits vorgezeichnet durch das Abheben auf die - nicht näher konkretisierten - .,gesellschaftlich relevanten Kräfte" und die ihnen einzuräumende Möglichkeit im „Gesamtprogramm" angemessen zu Worte zu kommen. III. Abermals beschäftigte das Gericht sich 1 973 in seinem „Lebach-Ur­ teil" 69 mit dem Fernsehen. Im Vordergrund stand die Frage des Persönlich­ keitsrechtsschutzes eines Straftäters gegenüber den Rundfunkanstalten. Bei diesem Sachverhalt hatte das Gericht keinen Anlaß, seine Theorie vom Einfluß der gesellschaftlichen Kräfte auf das Programm fortzuentwickeln. Gleichwohl wird auch hier eine Charakterisierung des Rundfunks vorge­ nommen. Diese stellt - stärker als die früheren Entscheidungen - auf die Bedeutung der Vermittlung von Meinungen ab und in selbiger Akzentver­ schiebung kann ein Kristallisationskern für die spätere Begriffsschöpfung der Meinungsvielfalt erblickt werden. Der Senat sagt, Hörfunk und Fernsehen ermöglichten die öffentliche Diskussion und hielten sie in Gang, indem sie Kenntnis von den verschiedenen Meinungen vermittelten, dem einzelnen und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit gäben, mei­ nungsbildend zu wirken, und sie stellten selbst einen entscheidenden Faktor in dem permanenten Prozeß der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung dar. 70 IV. Erst im Jahre 198 1 hob das Gericht in seinem dritten Fernsehurteil über das saarländische Rundfunkgesetz dazu an, eine weitausgreifende Kon­ zeption der Meinungsvielfalt zu skizzieren und hieraus konkrete Anforde­ rungen an die Organisation von privaten und öffentlich-rechtlichen Rund67 Hier bezieht sich das Gericht direkt auf das erste Fernsehurteil, BVerfGE 12, 205 (261-263). 68 BVerfGE 3 1 , 314 (327 f.). 69 BVerfGE 35, 202. 70 BVerfGE 35, 202 (222).

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

funkveranstaltern zu entwickeln. 7 1 Das Kernstück der Urteilsgründe 72 beginnt mit einer allgemeinen Betrachtung der Bedeutung der Rundfunkfrei­ heit im Staatsganzen. Sie diene der gleichen Aufgabe wie alle Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG: der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung, dies in einem umfassenden, nicht auf bloße Berichterstat­ tung oder die Vermittlung politischer Meinung beschränkten, sondern jede Vermittlung von Information und Meinung umfassenden Sinne. Auf diese Funktionalität des Grundrechts gelangt der Senat zu einer Charakterisierung der Rundfunkfreiheit, die wesentlich die anschließend entwickelten weitreichenden' Anforderungen des Verfassungsrechts an die Organisation des Rundfunks trägt: Die Rundfunkfreiheit sei primär eine der Freiheit der Meinungsbildung in ihren subjektiv- und objektivrechtlichen Elementen dienende Freiheit: 7 3 Sie bildet unter den Bedingungen der moder­ nen Massenkommunkation eine notwendige Ergänzung und Verstärkung dieser Freiheit; sie diene der Aufgabe, freie und umfassende Meinungsbil­ dung durch den Rundfunk zu gewährleisten. Der Senat bedient sich hier einer institutionell orientierten Methode der Grundrechtsauslegung. Er zieht die Realität zur Bestimmung der Normaussage unmittelbar heran und hebt insbesondere auf die modernen technischen Gegebenheiten der Kommunika­ tions- und Industriegesellschaft ab. Die Schlußfolgerung aus dieser Charakterisierung liegt zunächst in der schon bekannten Forderung des Verfassungsrechts nach der Staatsfreiheit des Rundfunks. Weiterhin bedarf es nach Ansicht des Gerichts aber auch einer positiven Ordnung, welches sicherstellen soll, daß die „Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollstän­ digkeit Ausdruck findet und daß auf diese Weise umfassende Informtion geboten wird. " 74 In selbiger Passage prägt das Bundesverfassungsgericht erstmals den Be­ griff von der Vielfalt der Meinungen. In ihm verdichtet sich der schon mehrfach zum Ausdruck gekommene Grundsatz, daß alle relevanten gesell­ schaftlichen Kräfte die Möglichkeit haben müßten, im Gesamtprogramm angemessen zu Wort zu kommen. Gefordert ist insoweit der Gesetzgeber. Die notwendige normative Ausgestaltung dieses Lebensbereichs unterfällt dem Gesetzesvorbehalt in der Form des (Landes-)Parlamentsvorbehalts, das heißt, das Parlament muß das zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit Wesentliche selbst bestimmen. 7 5 BVerfGE 57, 295 (325). 72 BVerfGE 57, 295 (31 9-327). 73 BVerfGE 57, 295 (320). Hervorhebung im Original; es handelt sich um die einzige Hervorhebung des ganzen Urteils. 74 BVerfGE 57, 295 (323). 75 BVerfGE 57, 295 (321). 71

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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Das Gericht schreibt fest, daß der Gesetzgeber insbesondere Vorkehrun­ gen zu treffen hat, die sicherstellen, daß der Rundfunk nicht einer oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird, daß die in Betracht kommenden gesellschaftlichen Kräfte im Gesamtprogramm zu Wort kom­ men und daß die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bleibt. 7 6 Zwar hatte man vergleichbare Formeln und Schlußfolgerungen auch schon seit dem ersten Fernsehurteil lesen können; in der Begründung findet sich jedoch eine Neuerung, die man als Wendepunkt bezeichnen muß. War das Gericht bisher stets davon ausgegangen, daß im Rundfunk eine Sondersituation wegen des Frequenzmangels und der hohen Veranstaltungskosten bestehe und daß bereits aus diesem Grunde der status quo fortbestehen könne, so spricht das dritte Fernsehurteil erstmals klar aus, daß der Gesetzgeber auch nach einem eventuellen zukünftigen Wegfall der Sondersituation die be­ zeichneten legislativen Vorkehrungen zu treffen hat, um die Erhaltung der Meinungsvielfalt im Rundfunk sicherzustellen. In diesem Punkte offenbart sich, daß die normative Bedeutung der durch das Bundesverfassungsgericht in überaus knappen und dürftigen Worten vorgenommenen Charakterisie­ rung der Rundfunkfreiheit als dienender Freiheit kaum überschätzt werden kann. Diesbezüglich wurden neue rundfunkverfassungsrechtliche Weichen für die überschaubare Zukunft gestellt. Von der Validität der zugrundelie­ genden staatstheoretischen Konzeption wird noch näher zu handeln sein. 77 Nach Auffassung des Gerichs kann auch bei einem Fortfall der bisherigen Beschränkungen nicht mit hinreichender Sicherheit erwartet werden, daß das Programmangebot in seiner Gesamtheit kraft der Eigengesetzlichkeit des Wettbewerbs den Anforderungen der Rundfunkfreiheit entsprechen werde. 78 Es sei ungewiß, ob bei einer Behebung des bisherigen Mangels in dem „Gesamtprogramm" als Inbegriff aller gesendeten inländischen Programme alle oder wenigstens ein nennenswerter Teil der gesellschaftlichen Gruppen oder geistigen Richtungen auch tatsächlich zu Wort komme, ob mithin ein „Meinungsmarkt" entstehe, auf dem die Vielfalt der Meinungsrichtungen unverkürzt zum Ausdruck gelange. 7 9 Zudem müßten gerade bei einem Me­ dium von der Bedeutung des Rundfunks die Möglichkeiten einer Konzentra­ tion von Meinungsmacht und die Gefahr des Mißbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflußnahme auf die öffentliche Meinung in Rechnung gestellt werden. Aus alledem schließt der Senat, daß das Parlament den Rundfunk nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen darf. Es liege vielmehr in der Verantwortung des Gesetzgebers, daß ein Gesamtangebot bestehe, in dem die für die freiheitliche Demokratie konstitutive Meinungsvielfalt zur Dar­ stellung gelange. 76 77 78 79

BVerfGE 57, 295 (322). Siehe dazu unten Teil 3, E. BVerfGE 57, 295 (322). BVerfGE 57, 295 (323).

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

Andererseits erkennt der Senat, daß sich allein durch Gesetzestexte der komplexe Prozeß der Kommunikation und das "Gesamtprogramm" als sein Endprodukt nur schwer in exakter Weise steuern lassen; zudem würde eine so weitgehende administrative Steuerung dem Prinzip der Staatsfreiheit der Kommunikation widerstreiten. Das Gericht relativiert daher seine Anforde­ rungen: zumindest müsse eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, daß sich in dem gesetzlich geordneten Rundfunksystem eine solche gleichge­ wichtige Vielfalt einstelle. 80 Zugleich beantwortet der Senat die Frage, ob eine genügende Vielfalt im Gesamtprogramm schon allein durch die komplementäre Existenz der her­ kömmlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewährleistet sei, im negativen Sinne. Diese Anstalten können nicht als Mängel heilende Vielfalts­ reserve im umfassenden Sinne begriffen werden, weil nach Ansicht des Senats eine zusätzliche einseitige Berücksichtigung nur einzelner Meinungsrichtun­ gen im privaten Rundfunk das Gleichgewicht im Gesamtprogramm stören, wenn nicht aufueben würde. 8 1 Das Gericht bleibt aber nicht im Abstrakten, sondern gibt dem Gesetzge­ ber auch zwei denkbare Organsationsmodelle an die Hand: 82 Schon im ersten Fernsehurteil war eine binnenpluralistische Struktur für Rundfunk in priva­ ter Trägerschaft als zulässig erkannt worden. Der Senat verlangt in einem solchen Fall eine sachgerechte, der bestehenden Vielfalt prinzipiell Rechnung tragende Bestimmung und Gewichtung der maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte und die Sicherheit des effektiven Einflusses desjenigen Organs, in dem diese vertreten sind. Darüber hinaus entwirft das Gericht erstmals ausdrücklich die Möglich­ keit eines außenpluralistischen Organisationsmodells: Wenn der Gesetzge­ ber Rundfunkfreiheit durch externe ("außenpluralistische") Vielfalt herstel­ len und erhalten wolle, so dürfe er auch bei dieser Lösung auf Regelungen nicht verzichten; die Gewährleistung der Freiheit bleibe in seiner Verantwor­ tung. Solange nicht genügend Frequenzen vorhanden sind, regt das Gericht die zeitlich begrenzte, mehrfache Nutzung derselben Frequenz an. 83 Das dritte Fernsehurteil hat ebensoviele Fragen beantwortet wie aufge­ worfen; vor allem bleibt der Zentralbegriff der „Meinungsvielfalt" unscharf und die Anforderungen an ein denkbares System des Außenpluralismus sind im einzelnen weitgehend offengelassen. V. Eine erste Weiterführung des Vielfaltskonzepts brachte der Beschluß „Freie Mitarbeiter im Rundfunk" vom 13. Januar 1982. 84 Die Entscheidung 80 81 82 83

BVerfGE 57, 295 (324). BVerfGE 57, 295 (324). BVerfGE 57, 295 (325). Ebenda.

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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betraf eine Reihe von Verfassungsbeschwerden des Westdeutschen Rund­ funks gegen arbeitsgerichtliche Urteile, die festgestellt hatten, daß freie Mit­ arbeiter der Rundfunkanstalt unter gewissen Voraussetzungen als festange­ stellte Arbeitnehmer einzuordnen waren. Es fragte sich, welche Bedeutung die Rundfunkfreiheit in diesem Rahmen spielte. Das Bundesverfassungsgericht beschränkte den Grundrechtsschutz der Rundfunkanstalt thematisch zunächst auf die Spezialregelung des Art. 5 Abs. 1 GG und schloß eine Berufung auf Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 GG aus. 85 Die letztgenannten Grundrechte seien nur für den Bürger, nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts gedacht. Im Rahmen der Auslegung der Rundfunkfreiheit erhob das Gericht wie­ derum die Meinungsvielfalt zum Zentralbegriff. Die überragende Bedeutung der Vielfalt im Rundfunk soll nach diesem Konzept nicht nur ihren konse­ quenten Niederschlag im Gesamtprogramm finden, sondern auch maßgeb­ lich die Organisation und den Arbeitsablauf der Anstalten determinieren, um so von der personellen Seite her zu gewährleisten, daß die Summe der Sendungen vielfältig ist. So argumentiert der Senat, ein Programmangebot, das der gebotenen Vielfalt Rechnung trage, lasse sich nicht allein durch rechtlich normierte inhaltliche Anforderungen oder organisatorische Regelungen gewährleisten; es setze auch, wenn nicht in erster Linie, voraus, daß die Sendungen von Personen gestaltet würden, die in der Lage seien, die gebotene Vielfalt in das Programm einzubringen. 86 Ebensowenig lasse sich Aktivität, Lebendigkeit, Einfallsreichtum, Sachlichkeit, Fairneß oder künstlicherisches Niveau, mit­ hin alles, was die Qualität von Rundfunksendungen ausmache, rechtlich regeln. 87 Da die Arbeitsgerichte nicht beachtet hatten, daß diese Erfordernise der Rundfunkfreiheit den Anstalten eine erhöhte Flexibilität in der Gestaltung ihrer Arbeitsverträge ermöglichten, waren die Verfassungsbeschwerden ganz überwiegend erfolgreich. 88 Festzuhalten bleibt als Quintessenz unter dem Gesichtspunkt der Meinungsvielfalt, daß dieser 198 1 neu in die Rechtspre­ chung eingeführte Begriff schon kurz darauf gefestigt und ausgebaut wurde. Ausgehend von seinen Anforderungen an den Programminhalt strahlt er weiterhin auf die personelle Organisation der Rundfunkanstalten aus. Er durchdringt so mehr und mehr den gesamten Sektor des Rundfunks und wird Hauptthema der Rundfunkfreiheit. 84 85 86 87 88

BVerfGE 59, 231 . BVerfGE 59, 231 (255). BVerfGE 59, 231 (259). Ebenda. Siehe im einzelnen BVerfGE 59, 23 1 (268 ff.).

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

Die Reichweite der Entscheidung dürfte allerdings auf die binnenplurali­ stisch strukturierten Rundfunkveranstalter zu beschränken sein; denn nur diese müssen ein in sich vielfältiges Programm aufweisen. Einzelne Veran­ stalter eines außenpluralistisch geordneten Rundfunkwesens, die auch eigene Meinungstendenzen verfolgen dürfen, sind also arbeitsrechtlich wie Pres­ seunternehmen zu behandeln, denen ebenfalls ein Tendenzschutz zusteht. 89 VI. Die Vorstellung der Vielfaltssicherung durch Repräsentation der be­ deutsamen gesellschaftlichen Gruppen hat das Bundesverfassungsgericht dann weiter durch seinen "Rundfunkratsbeschluß" vom 9. Februar 198290 erläutert. Dieser betraf die Frage, ob die F.D.P. Schleswig-Holsteins aus Art. 21 GG einen Anspruch auf Mitwirkung im Rundfunkrat des Norddeut­ schen Rundfunks geltend machen konnte. Das Gericht erteilte der Vorstellung eine Absage, die Mitglieder der gesell­ schaftlichen Gruppen seien in den Rundfunkrat berufen, um dort die Auffas­ sungen ihrer Interessenverbände egoistisch im Programm durchzusetzen. Vielmehr entwickelte der Senat das Konzept einer vielfaltssichernden Kon­ trolle der Programmhersteller durch eine Art Treuhänder der Allgemeinheit. Der Antrag der F.D.P. im landesverfassungsrechtlichen Organstreitver­ fahren wurde als unzulässig erkannt, weil Art. 21 GG kein Recht auf Teilhabe am Rundfunkrat gewähre. Die Sicht der Antragstellerin verkenne die Rund­ funkfreiheit. Die Mitwirkung der politischen Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes sei notwendig auch auf eine gezielte Beeinflussung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung im Sinne der von ihnen entwickelten und vertretenen politischen Auffassungen gerichtet. 9 1 Aufgabe des Rundfunkrates und seiner Mitglieder sei es dagegen, den Prozeß der freien Meinungsbildung offenzuhalten, indem sie dafür Sorge trügen, daß die Vielfalt der vorhandenen Meinungen und Zielsetzungen in objektiver und ausgewogener Weise durch den Rundfunk vermittelt und das Gesamtpro­ gramm von einseitiger Einflußnahme freigehalten werde. 92 Der Beschluß erhellt wesentlich die Konzeption des Gerichts zur Vielfalts­ sicherung durch den Binnenpluralismus in den öffentlich-rechtlichen Anstal­ ten. Die Partizipation der gesellschaftlichen Gruppen darf demnach nicht als einseitige Verfolgung der eigenen Intessen verstanden werden, sondern ist der Wahrung der Interessen der Allgemeinheit zu dienen bestimmt. An dieser Stelle fließt ein fiduziarischer Gedanke in die Rechtsprechung ein. Die aktiv an der Rundfunkherstellung und -verbreitung Beteiligten werden als Treu89 90 91 92

Zu diesem Tendenzschutz siehe im einzelnen BVerfGE 52, 283 (296). BVerfGE 60, 53. BVerfGE 60, 53 (67). Ebenda.

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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händer für die Interessen der Gesamtheit der Rundfunkrezipienten in die Pflicht genommen. In diesem Gedanken könnte ein fruchtbarer und ausbau­ fähiger Ansatz für vielerlei Probleme der Auslegung der Rundfunkfreiheit gefunden werden. VII. Im November 1 986 setzte das Bundesverfassungsgericht dann mit dem sogenannten vierten Femsehurteil93 einen weiteren Meilenstein in seiner Rundfunkrechtsprechung. Seit der letzten großen Entscheidung zur Mei­ nungsvielfalt im Jahre 1 98 1 hatte sich die Gesamtsituation technisch und rechtlich nachhaltig geändert. 94 Die Verkabelung schritt voran, das Satelli­ tenfernsehen rückte in greifbare Nähe. Die Mehrzahl der Länder hatte Lan­ desrundfunkgesetze verabschiedet, die privaten Veranstaltern Zugang ge­ währten. Dieser tiefgreifende Strukturwandel der Rundfunkszene blieb auch auf die Rechtsprechung nicht ohne Einfluß. Die Prüfung der Verfassungs­ mäßigkeit des Niedersächsischen Landesrundfunkgesetzes aus dem Jahre 1984 erforderte eine weitgehende Konkretisierung und Präzisierung des Konzeptes der Meinungsvielfalt aus dem dritten Fernsehurteil. Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht auch 1986 wieder auf die bisherigen Präjudi­ zien berufen und kein einziges davon ausdrücklich aufgegeben. Tatsächlich aber läßt das vierte Fernsehurteil deutliche Akzentverschiebungen erkennen, die das Konzept der Meinungsvielfalt auf eine neue Grundlage stellen, die vor allem an den veränderten Realitäten der Rundfunkszenerie orientiert zu sein scheint. Dieses neue Grundthema zeichnet sich bereits im ersten Leitsatz ab, der ausdrücklich von der dualen Ordnung des Rundfunks spricht, die sich ge­ genwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbilde. 95 In dieser dualen Ordnung sei die uner­ läßliche „Grundversorgung" Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestrische Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichten und die zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage seien. 96 Die damit verbundene Aufgabe soll die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik umfassen. Mit dieser neuen Konzetion weist das Bundesverfassungsgericht den öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Ba­ sisfunktion für die Sicherung der Meinungsvielfalt zu, auf die das private System quasi aufgesetzt werden kann, ohne exakt die gleichen Anforderun­ gen an die Vielfalt der Meinungen und Programminhalte erfüllen zu müssen, die die binnenpluralistisch organisierten Anstalten zumindest in der Theorie 93 BVerfGE 73, 1 1 8; zur geschichtlichen Einordnung siehe schon oben Teil 2, A., II.,

4., d) .

94 Siehe die Bestandsaufnahme auf Seite 121-126 des Urteils. 95 BVerfGE 73, 1 18. 96 Ebenda.

7 Schuster

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

kraft ihrer Struktur hervorbringen sollen. An dieser Stelle lassen sich un­ schwer Akzentverschiebungen gegenüber dem dritten Fernsehurteil erken­ nen, das noch voll theoretischer Schärfe gefordert hatte, die Vielfalt der Meinungen müsse im Rahmen der privaten Rundfunkveranstaltungen in gleichem Maße erreicht werden wie bei den öffentlich-rechtlichen. 9 7 Ande­ renfalls würden die Gewichte der Meinungen im Gesamtprogramm aller empfangbaren Rundfunksendungen verschoben. 98 Trotz dieser neuen Zungenschläge beruft sich das Bundesverfassungsge­ richt zur Herleitung seiner modifizierten Konzeption unmittelbar auf seine früheren Urteile. 99 Vor allem knüpft es direkt an die bisherigen Erkenntnisse über die Notwendigkeit der Sicherstellung der Meinungsvielfalt durch Rund­ funkorganisation seitens des Gesetzgebers an. Im Anschluß an diese Grund­ legung betont der Senat die methodologisch überzeugende 100 These, daß eine die normierende Wirkung der Rundfunkfreiheit entfaltende Auslegung nicht möglich erscheine ohne die Einbeziehung des konkreten Lebenssachverhalts, auf den das Grundrecht bezogen sei. 101 Im Hinblick auf die verfassungsrecht­ liche Methodendiskussion ist es bemerkenswert, daß der Senat die Einbezie­ hung der grundrechtsbezogenen Realitäten als einen Teil der Auslegung begreift und nicht etwa dem Inhalt der Norm selbst zurechnet. Der moderne Norm begriff Friedrich Müllers findet also in der Verfassungsrechtsprechung - zu Recht wie oben 102 gezeigt wurde - keine Anhängerschaft. Die Realitäten bewertet das Gericht dann aber in eigenwilliger Weise und ohne den sorgfältigen Nachweis empirischer Richtigkeit zu führen: 103 Im Hinblick auf die Veränderung der früher konstatierten Sondersituation des Rundfunks hält es fest, daß die neuen Medien die Empfangssituation zwar verbesserten, dies jedoch nichts daran ändere, daß die Zahl der für alle Teilnehmer im Bereich eines Bundeslandes oder im lokalen Bereich empfan­ genen Programme noch für längere Zeit auf die terrestrisch verbreiteten Programme beschränkt bleiben werde. 104 Die Feststellung mag stimmen, doch wird nicht erklärt, warum es darauf ankommen soll, daß alle Teilneh­ mer - bis auf den letzten - die neuen Empfangsmöglichkeiten haben. Jegliche Untermauerung in tatsächlicher Hinsicht fehlt dann für die apo­ diktisch aufgestellte Behauptung, die Programme privater Anbieter ver­ möchten der Aufgabe zu umfassender Information nicht in vollem Ausmaß 97 BVerfGE 57, 295 (324). 9 8 Ebenda. 99 Vgl. BVerfGE 73, 1 1 8 (152 ff.). 1 00 Zu dieser Problematik siehe schon oben Teil 3, A., III. 101 BVerfGE 73, 1 1 8 (1 54). 102 Siehe Teil 3, A., III. 1 03 Zum Folgenden siehe BVerfGE 73, 1 1 8 (154 f.). 1 0• BVerfGE 73, 1 1 8 (1 55).

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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gerecht zu werden. 1 05 Der Senat meint, von privatem Rundfunk könne kein in seinem Inhalt breit angelegtes Angebot erwartet werden, weil die Anbieter zur Finanzierung ihrer Tätigkeit nahezu ausschließlich auf Werbeeinnahmen angewiesen seien. Sendungen, die nur für eine geringe Zahl von Teilnehmern von Interesse seien und die oft - wie namentlich anspruchsvolle kulturelle Sendungen - einen hohen Kostenaufwand erforderten, würden in der Regel zurücktreten, wenn nicht gänzlich fehlen, obwohl erst mit ihnen die ganze Breite umfassender Information zu erreichen sei, ohne die es keine "Mei­ nungsbildung" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geben! könne. An dieser Stelle begibt sich das Gericht auf das Parkett der Spekulation über Entwick­ lungen, zu denen in Deutschland keine Erfahrungen existieren. Die Metho­ dik der Rechtsvergleichung wird nicht bemüht, was per Saldo den Eindruck mangelnder Begründungsgenauigkeit hinterläßt. Auf einem derart schwer zu prognostizierenden Sektor hat der Senat sich ohne Not weit vorgewagt. Das Gericht setzt seine rechtstatsächlichen Vorüberlegungen mit der Be­ fürchtung fort, die Meinungsvielfalt im Gesamtprogramm werde aufgrund der neuen Entwicklungen gewissen unvermeidlichen Schwankungen, mög­ licherweise auch Störungen unterliegen. In diesem Zusammenhang führt es eine neue Begriffsbestimmung der Meinungsvielfalt ein, die als nicht uner­ hebliche Relativierung des früher recht strengen Konzepts erscheint: Wann "gleichgewichtige Vielfalt" bestehe oder zu erwarten sei, lasse sich nicht exakt bestimmen, weil es hierfür an eindeutigen Maßstäben fehle; es handele sich vielmehr um einen Zielwert, 1 06 der sich stets nur annäherungsweise erreichen lasse. 1 07 Der Senat folgert dies aus dem Umstand, daß ausländische Satelli­ ten- und Kabelprogramme in Zukunft nicht mehr uneingeschränkt der Ver­ fügung des deutschen Landesgesetzgebers unterstehen werden. Bemerkens­ wert ist, daß das Gericht die Unausweichlichkeit des sich entwickelnden grenzüberschreitenden gesamteuropäischen Medienmarktes sieht und ak­ zeptiert. Ferner wird ein neuer Pragmatismus in der Formel von der Mei­ nungsvielfalt als Annäherungswert erkennbar. Hier sind manche Illusionen von der allumfassenden gesetzlichen Regelbarkeit des Rundfunks verloren­ gegangen, die noch das dritte Fernsehurteil kennzeichneten. Aus dieser Gesamtschau der medialen Realitäten der Gegenwart ent­ wickelt das Gericht sodann sein neues Konzept der Sicherung der Meinungs­ vielfalt in der aufziehenden dualen Rundfunkordnung. Vor allem aus der schon in der früheren Rechtsprechung gesicherten Erkenntnis, daß das Grundgesetz privaten Rundfunk erlaube, wird ein neuer, relativierender Schluß gezogen. Art. 5 GG gebiete nicht, daß der Gesetzgeber privaten Rundfunk nur noch unter Voraussetzungen zulasse, die eine Veraii1 05 1 06 107

Ebenda. Hervorhebung vom Verfasser. BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 56).

100

3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

staltung solcher Programme in hohem Maße erschweren, wenn nicht aus­ schließen würden. Das Gericht orientiert sich in dieser Passage deutlich an den neuen Realitäten der deutschen Rundfunklandschaft und steckt in seinen normativen Anforderungen gegenüber dem dritten Fernsehurteil zurück. Den öffentlich-rechtlichen Anstalten weist es die unerläßliche Grundver­ sorgung im Rundfunk zu. Die Grundversorgung soll die essentiellen Funk­ tionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik umfassen. Zu diesem klassischen Auftrag des Rundfunks soll neben seiner Rolle für die Meinungs- und politi­ sche Willensbildung, neben Unterhaltung und über die laufende Information hinausgehende Berichterstattung auch seine kulturelle Verantwortung zäh­ len. Von diesem Basisauftrag her relativiert das Bundesverfassungsricht so­ dann die Anforderungen, die es an die Privaten stellt: 108 Solange und soweit die Wahrnehmung der genannten Aufgaben jedenfalls durch den öffentlich­ rechtlichen Rundfunk sichergestellt sei, erscheine es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sodann erklärt das Gericht, es erhalte aus­ drücklich seine These aus dem dritten Fernsehurteil aufrecht, daß die öffent­ lich-rechtlichen Anstalten Ungleichgewichte im privaten Rundfunk nicht kompensieren könnten. Schon der nächste Satz der Urteilsgründe zeigt je­ doch wieder eine gegenläufige Tendenz. Dort heißt es, sofern derartige Ungleichgewichtigkeiten nicht gravierend seien, wären sie hinnehmbar unter der Voraussetzung, daß in den Programmen der öffentlich-rechtlichen An­ stalten die Vielfalt der bestehenden Meinungen unverkürzt zum Ausdruck gelange. Der Sache nach heißt dies nicht weniger, als daß das Gericht das formal aufrechterhaltene Verbot der Kompensation zum Teil aufgegeben und insoweit seine Rechtsprechung modifiziert hat. Der Senat hat sich der Macht der Tatsachen gefügt und dies dürfte letztlich der Einsicht entsprun­ gen sein, daß die neu geschaffenen Realitäten des Rundfunks nicht mehr zurückgedrängt werden können. So zeigt sich ein interessantes Exempel für das Wechselspiel zwischen Richterrecht und neuen technischen sowie politi­ schen Anforderungen. Es ist dies der rechte Ort, an Jellineks klassisches Wort von der"normati­ ven Kraft des Faktischen" zu erinnern. Das Gericht verordnet den Privatrundfunksendern schließlich einen "Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt". Dieser soll zum einen die Mög­ lichkeit für alle Meinungsrichtungen im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen beinhalten; insoweit besteht der abstrakten Formulierung nach 1 08 Hierzu und zum folgenden: BVerfGE 73, 1 18 (158 f.).

B. Der Begriff der Meinungsvielfalt

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wiederum praktisch kaum ein Unterschied an die Anforderungen, denen die öffentlich-rechtlichen Anstalten zu genügen haben. Zum anderen soll der Grundstandard den Ausschluß einseitigen, in hohem Maße ungleichgewich­ tigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung, namentlich die Verhinderung des Entstehens vorherr­ schender Meinungsmacht umfassen. 109 Allerdings stellt das Gericht an ande­ rer Stelle 1 10 des Urteils klar, daß auch schon mit einem privaten Sender der Programmbetrieb aufgenommen werden darf. Sollte dieser aber nicht von einer in sich vielfältigen Veranstaltergemeinschaft getragen werden, so be­ darf es eines Programmbeirates mit wirksamem Einfluß auf das Pro­ gramm. 1 1 1 Als Quintessenz des vierten Fernsehurteils bleibt festzuhalten, daß das Konzept der Meinungsvielfalt deutlich modifiziert worden ist. An private und öffentlich-rechtliche Veranstalter werden nicht mehr exakt die gleichen Anforderungen in diesem Punkt gestellt. Das Gericht weist die Hauptver­ antwortung für die Information und kulturelle Betreuung des Empfängers den öffentlich-rechtlichen Anstalten zu. Deren Existenz rechtfertigt es nach neuerer Auffassung des Senats, den Privaten eine Zeit des Experimentierens und des notwendig risikobehafteten Aufbaus zuzugestehen, in der sie freilich ebenfalls an den Zielwert der Meinungsvielfalt gebunden bleiben, der stets anzustreben ist. Allerdings hat das Gericht den Freiraum der Privaten inso­ weit ausdrücklich begrenzt. Er gilt nur "solange und soweit" 1 12 die öffentlich­ rechtlichen Anstalten ihre Aufgabe der Grundversorgung der Bevölkerung erfüllen. Hier hat der Senat das Schicksal der beiden Wettbewerbergruppen im Rundfunk aneinander geknüpft, was den Eindruck vermittelt, man habe keinen der am Rechtsstreit Beteiligten vollständig verlieren oder obsiegen lassen wollen, sondern nach einem Kompromiß gesucht. Die zeitliche Koppelung der Aufgabe der Grundversorgung mit dem Frei­ raum bezüglich der Meinungsvielfalt durch das Wort "solange" zeigt zu­ gleich, daß das Gericht sein Modell für weitere Entwicklungen offen hält. Eine dauerhafte Garantie des Status der öffentlich-rechtlichen Anstalten dürfte daraus nicht zu lesen sein. rn Der Sachverhalt zwang nicht dazu, diese Frage zu entscheiden. Die weitere verfassungsrechtliche Entwicklung wird maßgeblich davon abhängen, inwiefern die Privaten durch ihre praktische Programmarbeit den Zielwert der Meinungsvielfalt verwirklichen. Kurz ge­ sagt dürfte es dabei weniger auf rechtsdogmatische Deduktionen als auf die BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 60). BVerfGE 73, 1 1 8 (1 74 f.). 111 BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 75). 112 BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 58). 1 13 Ebenso: Schmitt G/aeser, Rundfunksystem, 20. Anders sehen dies Berg, Analyse, 800 und Hoffmann-Riem, Rundfunkfreiheit, 22; zu ihren Äußerungen siehe ferner unter Teil 3, C. IV. 109

1 10

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

tatsächliche Bewährung der neuen Veranstaltungsform ankommen, mit der in Deutschland bisher nicht genügend Erfahrungen gesammelt wurden. Das Konzept der Meinungsvielfalt jedenfalls ist nach dem vierten Fernsehurteil nicht mehr dasselbe wie zuvor. Seine Anforderungen sind spürbar zurückge­ nommen worden. Dem Privatrundfunk und den ihn befürwortenden Gesetz­ gebungskörperschaften wurde ein gewisser Spielraum für die Anlaufphase des dualen Rundfunksystems eingeräumt. Auch wenn beide Komponenten dieses Systems dem gleichen Ideal Meinungsvielfalt verpflichtet bl�iben, werden geringere Anforderungen an dessen effektive Erreichung im privaten Sektor formuliert. VIII. Einen vorläufigen Schlußpunkt unter die Entwicklung der Vielfalts­ rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die fünfte Fernsehent­ scheidung vom 24. März 1987. 1 1 4 Im Zentrum des Interesses stand das Problem, ob das lokale und regionale Monopol für Privatrundfunk in Baden­ Württemberg mit der Rundfunkfreiheit vereinbar sei. Das Gericht verneinte die Frage und erklärte, dieses Grundrecht verwehre es dem Gesetzgeber prinzipiell, die Veranstaltung bestimmter Rundfunkprogramme und rund­ funkähnlicher Kommunikationsdienste zu untersagen oder andere Maß­ nahmen zu treffen, welche die Möglichkeit verkürzten, durch Rundfunk verbreitete Beiträge zur Meinungsbildung zu leisten. 1 1 5 Auch jenseits der Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten sei es dem Ge­ setzgeber daher versagt, die Veranstaltung dieser Programme und Dienste ausschließlich privaten Veranstaltern vorzubehalten. Aus der Aufgabe der Rundfunkfreiheit, freie Meinungsbildung zu ermöglichen, schließt das Ge­ richt, daß der Gesetzgeber die hierzu bestehenden Möglichkeiten nicht ein­ schränken darf. 1 1 6 Konzeptionell stellt die Entscheidung keine wesentlichen Veränderungen der Anforderungen an die Pluralitätsbindung privater Rundfunkveranstalter auf, sie verfeinert aber den Begriff der Grundversorgung, der seit dem vierten Fernsehurteil zu Diskussionen Anlaß gegeben hatte 1 1 7 . Wesentlich seien drei Elemente: eine Übertragungstechnik, bei der ein Empfang der Sendungen für alle sichergestellt ist, bis auf weiteres also die terrestrische Technik; der inhaltliche Standard der Programme im Sinne eines Angebots, das nach seinen Gegenständen und der Art ihrer Behandlung dem Auftrag des Rund­ funks voll entspricht; schließlich die wirksame Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt der bestehenden Meinungsrichtungen durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen. 1 1 8 1 14 Beschluß des BVerfG EuGRZ 1987, 216 = DVBI. 1987, 834. 1 15 Ebenda, Leitsatz 1 . 1 16 BVerfGE EuGRZ 1987, 270 = DVBI. 1987, 838. 1 1 7 Siehe etwa: Berg, Grundversorgung, 459 ff.; Kuli, Rundfunk-Grundversorgung, 464 ff. 1 18 BVerfGE EuGRZ 1987, 268 = DVBI. 1 987, 836.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt

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Im Rahmen der Entwicklung der Konzept des Binnen- und Außenplura­ lismus ist demnach mit der fünften Fernsehentscheidung eine Phase der Konsolidierung eingetreten. 1 1 9 Die Neuerungen der dualen Rundfunkversor­ gung, die in der Niedersachsen-Entscheidung entwickelt worden sind, wur­ den gefestigt und im Einzelfragen weiter konkretisiert.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt Die Analyse der rechtswissenschaftlichen Literatur zeigt im großen und ganzen eine weitgehende Akzeptanz gegenüber der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihren Grundzügen. Die Arbeiten spiegeln die zentrale Stellung des Gerichtes für das Verfassungsleben wieder. Nach jeder Entscheidung ist mit der Zeit ein Einschwenken auch kritischer Autoren zu beobachten und die Tendenz ist unverkennbar, daß vielfach direkt und unkritisch unter die Rechtsprechung subsumiert wird. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die abstrakte Forderung des Gerichts nach Meinungsvielfalt angenommen wird, während über die Einzelheiten des Weges dahin Uneinig­ keit besteht. Eine umfassende Theorie zur Erklärung des Inhalts und der Bedeutung der Meinungsvielfalt läßt hingegen auf sich warten. I. Die Literatur vor dem ersten Fernsehurteil Da das Schrifttum im Rundfunkrecht inhaltlich weitgehend eine Reaktion auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts darstellt, ist in der Zeit vor dem ersten Fernsehurteil noch keine eingehendere Behandlung und Durchformung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rundfunk­ organisation zu finden. Die Begriffe „Binnenpluralismus", ,,Außenpluralis­ mus" und „Meinungsvielfalt" tauchen noch nicht auf. Sie finden ihre große Verbreitung erst durch ihre ausdrückliche Anerkennung im dritten Fernseh­ urteil 1 20 und sind in der früheren Literatur noch nicht im einzelnen vor­ gezeichnet. Walter Schmidt konstatiert in diesem Punkte ein „Theorie­ defizit" . 1 21 1 19 Obwohl die Entscheidung zu der vorliegend primär interessierenden Problematik der Pluralitätssicherung durch die Organisationsschemata privater Veranstalterformen keine grundlegenden Neuerungen zeigt, enthält sie doch innovative Akzente hinsichtlich des Schutzes der Rechtsstellung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Diesen Schutz hält Schmitt Glaeser angesichts deren heutiger Marktstärke für maßlos übertrieben (Schmitt Glaeser, Ewigkeitsgarantie, 840 ff.; kritisch insoweit auch Seemann, Das .Fünfte Rundfunkurteil", 850. ). 120 Siehe oben Teil 3, B. 1 2 1 Walter Schmidt, Rundfunkvielfalt, 44 ff.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

1 . Der Gedanke des Rundfunkpluralismus, wie er vom Bundesverfas­ sungsgericht seit dem ersten Fernsehurteil anerkannt wird, findet sich jedoch auch schon in frühen programmatischen Schriften wie den Überlegungen des Vaters des Weimarer Rundfunks Hans Bredow zur Neuregelung des Rund­ funks aus dem Jahre 1 952. 1 22 Er betont bereits die Notwendigkeit der Unab­ hängigkeit der Sendeanstalten vom Staat und ihre Lenkung durch Rund­ funk- und Verwaltungsräte. Dabei solle vor allen Dingen klargestellt werden, daß die Aufsichtsorgane die Interessen der Öffentlichkeit gegenüber den Rundfunkanstalten wahrzunehmen haben. Die Mitglieder des Verwaltungs­ rates sollten nach Ansicht Bredows nicht aufgrund politischer oder repräsen­ tativer, sondern aus rein sachlichen Erwägungen gewählt werden. In diesem Punkte zeigt sich, daß der Gedanke der Repräsentation der gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Aufsichtsgremien bei dem Rundfunkpionier Bre­ dow in der Phase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht im Vordergrund stand. 2. Werner Weber 123 hat sich ebenfalls bereits früh mit der Organisation des Rundfunks befaßt; doch auch bei ihm findet sich der Begriff des Pluralismus in diesem Zusammenhang noch nicht. Weber sieht die Institution des Rund­ funkrates durch drei Funktionen gekennzeichnet: erstens dem Rundfunkträ­ ger eine demokratisch-legitimierende Beziehung zu seiner Hörerschaft zu verschaffen; zweitens die potentielle Konkurrenz der Machtgruppen um Rundfunk durch Bindung in der paritätischen Beteiligung zu neutralisieren und drittens dem Rundfunk die Voraussetzungen für eine Aufgabenerfüllung zu schaffen, die im kulturellen Wirken rein sachbezogen ist und in den publizistisch-politischen Diensten die Gesamtexistenz des Volkes als Richt­ punkt hat. 124 Zwar wird in diesen Thesen bereits der Sinn der Existenz der Rundfunkgremien treffend gedeutet; eine verfassungsrechtliche Ableitung und ein dementsprechendes Pluralismusmodell haben sich jedoch noch nicht entwickelt. 3. Den gleichen Befund liefert die Auseinandersetzung Herbert Krügers mit der Zusammensetzung der Rundfunkräte im Jahre 1955. 1 25 Er sieht die entscheidende Frage darin, ob die politisch-sozialen Gruppen, an die das Gesamtvolk die demokratische Bestimmung des Rundfunks delegiert, auch wirklich repräsentativ sind. Der Begriff Pluralismus spielt noch keine Rolle und Krüger zieht auch keine Querverbindung zu den pluralistischen Elemen­ ten im Staatsaufbau im allgemeinen. 4. Das Hauptwerk der fünfziger Jahre über die Macht der Verbände ist Joseph H. Kaisers „Die Repräsentation organisierter Interessen". Er beruft 122 Bredow, Neuregelung , 7 f. 123 Weber, Rundfunk, 63 ff. 124 125

Ders., 72. Krüger, Rundfunk,

365 ff., insbes. 373 f.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt

105

sich auf Werner Webers Äußerung, 1 26 daß die großen Organisationsgebilde, Parteien, Kirchen und Gewerkschaften ungefähr paritätisch Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung hätten und belegt dies mit dem Beispiel der Rundfunkräte des NWDR. 1 2 7 Den Begriff des Pluralismus wendet Kaiser jedoch auf den Rundfunkbetrieb noch nicht an, wiewohl er an anderer Stelle 128 seines Werkes den Pluralismus im Prozeß der Staatshervorbringung ausführlich würdigt. 5. Eine umfassende Bestandsaufnahme des Rundfunkrechts vor dem er­ sten Fernsehurteil hat schließlich Loehning 129 in einem Aufsatz geliefert, der ein breites Echo fand. Er setzt sich ausführlich mit der Struktur der Rund­ funkräte auseinander und kritisiert, daß durch die Ablösung des Rundfunks vom Staat die Überantwortung des Mediums an Nebenmächte erfolgt, die im Gegensatz zu den demokratischer Kontrolle unterworfenen Staatsorganen unkontrollierbar und von den Wahlen zum Parlament unabhängig sind. Loehning zieht eine Parallele zu den gesellschaftlichen Gefahren des Syndi­ kalismus, 1 30 aber ein Rekurs auf den Begriff Pluralismus und auf eventuelle diesbezügliche Schlußfolgerungen aus Art. 5 GG findet sich nicht. 6. Die Literatur vor dem ersten Fernsehurteil zeigt, wie sehr das Rund­ funkrecht von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt wird. Die später maßgeblichen Begriffe und Gedanken des pluralistischen Modells sind im Schrifttum der fünfziger Jahre erst ansatzweise zu ent­ decken. Seinen Eingang in die rundfunkrechtliche Erörterung findet das Wort „pluralistisch" jedoch schon sehr früh in einem Brief des Intendanten des Süddeutschen Rundfunks Hans Bausch, der es zutreffend und in einem schon modernen Sinne auf die innere Struktur der öffentlich-rechtlichen Anstalten projiziert. Bausch formuliert: ,, Wer in der pluralistischen Gesell­ schaft, in der wir leben, den Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) nicht als Spiegelbild dieser Gesellschaft sehen will, sondern als Instrument der jeweili­ gen Regierungsmehrheit . . . ". 1 3 1 Hier wird der Gedanke erkennbar, daß eine pluralistische Gesellschaft einen pluralistisch organisierten Rundfunk erfor­ dert. Insgesamt gesehen ist jedoch das theoretische Konzept des Rundfunkplu­ ralismus im frühen Schrifttum noch nicht ausgeformt, sondern erst durch die Verfassungsrechtsprechung herausgearbeitet und verbreitet worden. 126 1 27 128 129 1 30 13 1

Weber, Spannungen, 52. Joseph H. Kaiser, 213 f. Ders.. 3 1 3 ff. Loehning, 193 ff. Loehning, 1 97. Abgedruckt bei Zehner, Band 1, 20 1 .

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt II. Die Kritik des ersten Fernsehurteils

Das erste Fernsehurteil 1 32 hatte das Postulat aufgestellt, Art. 5 GG fordere, daß im Rundfunk die relevanten gesellschaftlichen Kräfte angemessen zu Wort kommen könnten. Zugleich hatte das Gericht die Struktur der beste­ henden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ihrem System der In­ tegration der bestehenden Interessen vor diesem Maßstab gebilligt. Die heutigen Schlüsselbegriffe (Binnen- oder Außen-)Pluralismus und Mei­ nungsvielfalt fanden jedoch in die Entscheidungsgründe noch keinen Ein­ gang. Die Bezeichnung der gegebenen Binnenstruktur als pluralistisch bahnte sich aber alsbald ihren Weg in die entsprechende Literatur und wurde im Laufe der Zeit zum Schlagwort. l . Als einer der schärfsten Kritiker des Konzeptes des Bundesverfassungs­ gerichts zeigte sich Bettermann 1 3 3 in einem Aufsatz aus dem Jahre 1963. Er bezeichnete die Besetzung der Rundfunkorgane bereits als „pluralistisch-pa­ riätisch" 1 34 und leistete somit schon früh der modernen Begriffsbildung auf diesem Sektor Vorschub. Zugleich aber widersprach er der seitens des Gerichts vorgenommenen „ Verkopplung von Neutralität, Parität und Pluralität". 1 35 Bettermann sieht in der pluralistisch-paritätischen Besetzung und Beherrschung des Rund­ funks keineswegs die einzige noch die geeignetste Organisationsform, um die Neutralität und Unabhängigkeit des Rundfunks sicherzustellen. Er meint, der Rundfunk sei vermutlich weit neutraler und unabhängiger, wenn über­ haupt keine bedeutsame politische, weltanschauliche oder gesellschaftliche Gruppe auf ihn Einfluß hätte. Den praktikablen Ausweg zur Neutralität des Rundfunks und seiner Bewahrung vor den gesellschaftlichen und wirtschaft­ lichen Machtgruppen sieht Bettermann in seiner Verstaatlichung bei gleich­ zeitiger Unabhängigkeit von Regierung und Parlament. Dieser Ansatz hat sich jedoch zu Recht nicht durchgesetzt, weil er nicht erkennen läßt, wie ein staatlich getragener Sendedienst vom Einfluß der staatlichen Organe freige­ halten werden könnte. 2. Den Begriff des Pluralismus hat ferner Bettermanns Schüler Jank im Jahre 1963 zur Beschreibung der vorgefundenen Rundfunkstrukturen ver­ wendet. 1 3 6 Jank versucht eine differenzierende Terminologie für die auch schon damals in sich nicht einheitlichen Typen der Organisation der Kontroll­ organe öffentlich-rechtlicher Anstalten. Er bezeichnet diejenigen Rundfunk1 3 2 Siehe dazu eingehend oben Teil 2, A., II., 3., c). 1 33 Bettermann, Rundfunkfreiheit, 41 ff. 1 3 4 Bettermann, Rundfunkfreiheit, 43, auch Zeid/er, 402, bezeichnet die in den Gremien der Rundfunkanstalten vertretenen Kräfte schon 1961 als „pluralistisch". 1 35 Bettermann a.a.O., 1 3 6 Jank, Verfassung, 46.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt

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räte als "pluralistisch", 1 37 deren Mitglieder überwiegend von gesellschaftli­ chen Gruppen, Gemeinschaften und Einrichtungen, zum geringeren Teil von staatlichen Organen ausgewählt werden; davon unterscheidet Jank „parla­ mentarisch-bürokratisch gebildete Rundfunkräte", 138 an deren Bildung vor allem Parlamente und Regierungen beteiligt sind. Von dieser Typologie ausgehend, kritisiert Jank dann die Vorgehensweise des ersten Fernsehur­ teils, alle bestehenden öffentlich-rechtlichen Binnenstrukturen gleich zu be­ handeln. Diese Begriffsbildung ist in sich schlüssig. Sie hat jedoch auf die nachfolgende rundfunkrechtliche Diskussion aus dem guten Grund keinen nachhaltigen Einfluß gehabt, da Janks Terminologie kein wesentlicher neuer Erkenntniswert zukommt. Rechtlich zwingende Schlüsse sind hieraus nicht abzuleiten. Die spätere Ausformung des Begriffs Pluralismus im Rundfunk­ recht hat Janks Differenzierungen eingeebnet. Alle Organisationsmuster der öffentlich-rechtlichen Anstalten werden heute als binnenpluralistisch be­ zeichnet. 3. Eingehend hat sich auch Lenz 1 39 im Jahre 1963 mit dem "Modell des pluralistisch gegliederten Rundfunks", in der Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts befaßt und er beruft sich für diese Begrifflichkeit auf den Aufsatz Janks. 1 40 Im Gegensatz zu Jank meint Lenz jedoch, die Rundfunk­ anstalten der Bundesrepublik wiesen in ihrer organisatorischen Verfassung nicht derart tiefgreifende Unterschiede auf, daß sie nicht den vom Bundesver­ fassungsgericht aufgestellten Organisationsgeboten zugeordnet werden könnten. Er sieht lediglich das Verbot des Staatsrundfunks, des "Parteien­ proporzsenders" und des „Gruppentendenzsenders". Positiv gefordert sei nur die Besetzung der Rundfunkorgane mit vielgestaltig kontrastierenden nichtstaatlichen Meinungsträgern, so daß in der Programmgestaltung ein chancengleicher, fairer Meinungsmarkt verbürgt sei. 1 4 1 Dem Einwand, die pluralistischen Gruppen mediatisierten das Publikum, begegnet Lenz mit dem Argument, die wichtigsten in der öffentlichen Mei­ nungsbildung engagierten Publikumsverbände seien in ihrer internen Wil­ lensbildung den demokratisch-öffentlichen Formprinzipien und der freien Entfaltung der Meinungspluralität verpflichtet. 1 42 Der Aufsatz von Lenz setzt einen Schlußpunkt unter die unmittelbaren Reaktionen auf das erste Fernsehurteil. Der heutige Schlüsselbegriff Meinungsvielfalt taucht noch nicht auf. Die Bezeichnung der Binnenstruktur der öffentlich-rechtlichen Anstalten als pluralistisch ist bereits geprägt, in ihrer inhaltlichen Bedeutung m Jank, Verfassung, 46. 138 Jank, Rundfunkanstalten, 35. 139 Lenz, 338 ff. 140 Lenz, 347. 1 41 Lenz, 348. 142 Ebenda.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

jedoch noch nicht gefestigt. Die dementsprechenden Differenzierungen Janks konnten sich in der späteren Diskussion nicht mehr halten. Eine umfassende Analyse der bestehenden Rundfunkorganisation unter­ nahm Wufka 197 1 mit seiner Schrift über „die verfassungsrechtlich-dogmati­ schen Grundlagen der Rundfunkfreiheit". Er sieht den Gruppenpluralismus als organisationsrechtlichen Anknüpfungspunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 1 4 3 Die Grundlage der Judikate zur Vertretung der weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte in der Binnenstruktur der Rundfunkanstalten findet Wufka in dem schon von Werner Weber 144 erkannten Sozialbefund, daß die eigentlichen politischen Potenzen der wirk­ lichen Verfassung der Bundesrepublik aus einem Pluralismus oligarchischer Herrschaftsgruppen bestünden. 145 Die pluralistische öffentliche Meinungs­ bildung spiegele dabei die bunte Vielfalt der Meinungen wider, die sich aneinander entfalteten und gleichzeitig zueinander in einem Verhältnis ge­ sellschaftlicher Gewaltenhemmung im weitesten Sinne stünden. Zugleich sieht Wufka jedoch auch die Schwäche des Repräsentationswertes des Plura­ lismusmodells, da nicht alle in der Gesellschaft vorhandenen Interessen in durchsetzungsfähigen Gruppen organisiert sind und von daher das entspre­ chende Modelldenken im Rundfunk mängelbehaftet ist. Insgesamt läßt das Werk Wufkas erkennen, daß die Benutzung des Begriffs pluralistisch für die Rundfunkorganisation sich nunmehr durchgesetzt hatte und auch der theo­ retische Zusammenhang zwischen der Gesamtstruktur der Gesellschaft und ihrer Widerspiegelung in den Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hervorgehoben wurde. III. Die Diskussion des dritten Fernsehurteils

Ihren Eingang in die Verfassungsrechtsprechung und damit ihre entschei­ dende Verbreitung fanden die Schlüsselbegriffe Meinungsvielfalt und (Bin­ nen- oder Außen-)Pluralismus im Jahre 198 1 durch das grundlegende dritte Fernsehurteil. 1 46 Die literarische Rezeption dieser Entscheidung ist daher für die Begriffsdurchdringung von besonderem Interesse. 1. Eine umfassende theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept der ,,Rundfunkvielfalt" lieferte Walter Schmidt 1984 mit seiner gleichnamigen, vornehmlich der Analyse des Saarland-Urteils gewidmeten Monographie. Er sucht die Anknüpfung der Rundfunkorganisation in der bisherigen Dis­ kussion an die allgemeine Pluralismusdebatte herauszuarbeiten, in der fest1 4 3 Wujka, 83. 1 44

Weber, Spannungen, 53.

1 45 Wujka, 88. 1 46 Siehe dazu

im einzelnen oben Teil 3, B.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt

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gestellt wurde, daß für den demokratischen Prozeß politischer Willensbil­ dung die Existenz und die Mitwirkung von Interessengruppen unerläßlich ist. 147 Schmidt hebt nun im Gegensatz zu den früheren Autoren hervor, daß „Pluralismus" im Bereich der politischen Meinungsbildung durch Rundfunk sich qualitativ von dem „Pluralismus" im Bereich der politischen Willensbil­ dung unterscheide. Mit der Neuschöpfung „binnenpluralistischer" Organisa­ tionsstrukturen sei ein der allgemeinen „Pluralismus" -Theorie (die nur den .,Außenpluralismus" selbständiger Interessengruppen kenne) fremder Kon­ struktionsansatz formuliert worden, der die Einbeziehung nichtorganisierter Meinungsträger ( ., Richtungen" und „Kräfte") und zugleich die Zurückdrän­ gung politischer Machtgruppen namentlich der politischen Parteien ermögli­ che. 1 48 Die Rundfunkorganisation enthalte ein den „Gruppenpluralismus" überschießendes Element. Von dieser theoretischen Ausgangsposition her zieht Schmidt Konsequen­ zen für die Organisationsmodelle des Pluralismus. Im Vergleich mit den Möglichkeiten des binnenpluralistischen Systems bei der Repräsentation auch nichtorganisationsfähiger Interessen und Meinungsrichtungen soll ein „außenpluralistisches" System notwendig defizitär sein. 1 49 Beide Systeme seien deshalb nicht gleichwertig. Das Verdienst Schmidts ist es, theoretische Unterschiede zwischen dem allgemeinen Pluralismusdenken und der spezifisch rundfunkrechtlichen Be­ deutung dieses Begriffs herausgestellt zu haben. Die Differenzierung zwi­ schen der Einflußnahme der Gruppen auf den Prozeß politischer Willensbil­ dung und ihrer Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung liegt auf der Linie des Rundfunkratsbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Recht der politischen Parteien auf Teilnahme am Willensbildungsprozeß kein Recht auf Teilhabe am Rundfunkrat zur Sicherstellung des Prozesses der freien Meinungsbildung bedingt. Demgemäß bestehen Unterschiede zwi­ schen der allgemeinen Pluralismusdebatte und der Benutzung des Begriffs im Rundfunkrecht. Sind die pluralistischen Gruppen im allgemeinen Willens­ bildungsprozeß primär der Durchsetzung ihrer eigenen, egoistischen Interes­ sen verpflichtet, so soll die pluralistische Zusammensetzung der Rundfunk­ räte dem Interesse der Allgemeinheit an einer umfassenden, vielfältigen Information durch die elektronischen Massenmedien dienen. 1 50 Die plurali­ stisch zusammengesetzen Mitglieder der Rundfunkräte sind demgemäß Re­ präsentanten nicht ihrer Partikularinteressen, sondern Treuhänder des öf­ fentlichen Wohls, das in einer Demokratie das Prinzip der öffentlichen Diskussion der aktuellen Themen erfordert und unter diesem Blickwinkel 147 1 48 149 1 50

Walter Schmidt, Rundfunkvielfalt, 100. Ebenda. Ebenda. BVerfGE 60, 53 (66); ausführlich dazu schon oben Teil 3, B.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

eröffnet sich erst der wahre Grund der Mitgliedschaft der relevanten gesell­ schaftlichen Richtungen und Kräfte in den rundfunkanstaltlichen Kontroll­ gremien. Die Gruppenvertreter haben demzufolge treuhänderisch die Viel­ falt der Meinungen im Gesamtprogramm zu gewährleisten und müssen daher auch dafür Sorge tragen, daß Minderheiten und Ansichten angemessen zu Wort kommen, die nicht in gesellschaftlichen Gruppen organisiert sind. Dieser theoretische Befund, den Schmidt besonders hervorgehoben hat, liefert jedoch keinen zwingenden Beweis für seine Schlußfolgerung, das außenpluralistische Rundfunksystem sei gegenüber dem hergebrachten Bin­ nenpluralismus notwendig defizitär. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Konzeption klargestellt, daß die Übernahme außenpluralistischer Or­ ganisationsstrukturen den Gesetzgeber nicht von seiner Verantwortung ent­ hebt, im Gesamtprogramm die Meinungsvielfalt sicherzustellen. Die Anfor­ derungen an das Zu-Wort-Kommen der in der Gesellschaft vertretenen Meinungen sind also gleichartig. Auch ein außenpluralistisch organisiertes System muß dieser Zielvorgabe gerecht werden. Dies wird von selbständigen, unabhängigen Kontrollbehörden überwacht, in deren Vertretungsgremien wiederum in der Regel dieselben gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert 1 5 1 sind, die die Rundfunkräte der hergebrachten Anstalten besetzen. Die Ziel­ vorgaben für die Programme sind also ebenso identisch wie die Träger der Kontrolle, die treuhänderisch für die Allgemeinheit die Meinungsvielfalt schützen sollen. Vor diesem Hintergrund bleibt Walter Schmidt den Nach­ weis seiner Deduktion schuldig, daß das System des Außenpluralismus not­ wendig defizitär gegenüber dem des Binnenpluralismus sei. 2. Diverse Autoren 1 52 haben das Konzept der Meinungsvielfalt, wie es im dritten Fernsehurteil entwickelt wird, denn auch von gerade der entgegenge­ setzen Warte aus nachdrücklich kritisiert: Sie meinen, das Bundesverfas­ sungsgericht habe in dieser Entscheidung zuviel Angst vor den Möglichkeiten des freien Wettbewerbs der Meinungen gezeigt. Sie halten mehr Vertrauen in den Mechanismus des Marktes und die Urteilskraft der Bürger für ange­ zeigt.153 Charakteristisch sind folgende Einwände und Argumente gegen die Viel­ faltskonzeption des Bundesverfassungsgerichts: 151 Zur Organisation der Rundfunkbehörden in den Privatrundfunkgesetzen siehe die Prüfung der einzelnen Landesgesetze. 152 Ricker, Freiheit, 1925 ff. ; Ku/1, Rundfunkgleichheit, 382; Pestalozza, Schutz, 2 1 64 f.; Degenhart, Anmerkung, 963; Scholz, Fernsehurteil, 564; Oppermann, 126 ff., insbesondere 728 FN 54. 153 Selbstverständlich bestehen auch innerhalb dieser Gruppe Abstufungen hinsichtlich des Maßes, mit dem das Marktmodell verfochten wird: Besonders überzeugt zeigen sich Ku// und Pestalozza a.a.0., während bei Oppermann, 730 der Wunsch nach einer gemisch­ ten Rundfunkverfassung erkennbar wird.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt

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Die Kritiklosigkeit des Gerichts gegenüber den existierenden Beispielen des Binnenpluralismus ignoriere die jahrzehntelange Diskussion und Doku­ mentation über die Auslieferung der öffentlich-rechtlichen Anstalten an den Parteienproporz. Diese Verzerrungen der Vielfalt lasse das Gericht außer acht, während es hypothetische Gefahren in dem schmalen Bereich, den das außenpluralistische Modell neben den Anstalten allenfalls besetzen könne, das größte Gewicht beigemessen habe. 154 Ferner wird beklagt, daß die Entscheidungen jede pluralismustheoretische Fundierung vermissen lassen. 155 Darüberhinaus wird unter Hinweis darauf, daß ein breitbandiger Kabel­ kanal 50 Hörfunkprogramme transportieren kann, die Befürchtung des Ge­ richts, eine gesellschaftliche Gruppe oder Richtung könne nicht zu Wort kommen, ins Reich der Fabel verwiesen. 1 56 Ein weiterer Einwand betrifft den Punkt, daß der Inhalt des Begriffs .,gleichgewichtige Vielfalt" ebenso ungeklärt sei wie die Frage, ob alle gesell­ schaftlich relevanten Gruppen als Rundfunkveranstalter tätig werden müß­ ten oder ob es genüge, wenn sie es könnten. 157 Insgesamt wird die prognosti­ sche Aufgabe des Gesetzgebers als übermäßig schwierig eingestuft. 158 Schließlich kommen grundrechtsdogmatische Erwägungen zum Tragen, die belegen, daß hier derselbe Theorienstreit wie im Rahmen der Frage, ob es einen Anspruch auf Zugang zur Veranstaltung von Rundfunksendungen gibt, 1 59 in neuem Gewande und auf anderer Ebene wieder relevant wird: Die Argumentation geht dahin, daß in der Vielfaltskonzeption des Bundesverfas­ sungsgerichts die individualrechtliche Rundfunkfreiheit durch eine objektiv­ rechtliche Rundfunkgleichheit erdrückt wird. So offenbart sich erneut der Streit zwischen der institutionellen und der individualen Grundrechtsausle­ gung als besonders bedeutsam. Darüber hinaus wird die Kritik mit dem Argument untermauert, daß die Rechtsprechung nicht nur das individualrechtliche Zugangsrecht einzelner Bürger vernachlässigt, sondern auch die Konsequenzen des Grundrechts der Informationsfreiheit übersieht. 160 Danach stehe jedem Bürger das Recht zu, aus den vorhandenen Informationsquellen auszuwählen, weshalb der Bevöl­ kerung die Entscheidung über Erfolg oder Mißerfolg der einzelnen Publika­ tionen oder Sendungen gebühre. 16 1 Kuli, Rundfunkgleichheit, 382; ähnlich Degenhart, Anmerkung, 963. m Vgl. Kuli, Rundfunkgleichheit, 38 1 . 1 56 Siehe denselben, 382. 1 57 Pestalozza, Schutz, 2164; Ricker, Freiheit, 1926 ff. 158 Kuli, a.a.O. 1 59 Siehe dazu oben Teil 2, C. II. 1 60 Vgl. Scholz, Fernsehurteil, 565. 161 Kuli, Rundfunkfreiheit, 383; Pesta/ozza, Schutz, 2165. 1 54

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

3. Einen eher vermittelnden Standpunkt, dessen Tendenz auch in den Gründen der darauffolgenden Entscheidung zum Niedersächsischen Lan­ desrundfunkgesetz anklingt, hat Lerche 1 62 entwickelt. Er interpretiert das dritte Fernsehurteil zunächst dahingehend, daß dieses effektive Vielfalt for­ dert, das heißt das tatsächliche Erreichen von Vielfalt. Andererseits könne privater Rundfunk nicht nur dann in Betracht kom­ men, wenn schlechthin sämtliche relevanten Kräfte mit Partizipationswillen (und entsprechendem Potential) ausgestattet seien. Anderenfalls wäre priva­ ter Rundfunk im außenpluralen Modell so gut wie irreal. Lerche geht also bei seinem Konzept von der grundsätzlichen Bejahung der Zulässigkeit des privaten Rundfunks und des Außenpluralismus durch das Gericht aus und postuliert dann, daß aus diesem Grunde auch die tatsächli­ che Startmöglichkeit für ein solches System gegeben sein müsse, weshalb die Anforderungen in dieser Phase nicht überspannt werden dürfte. 1 63 Die glei­ che pragmatische Vorgehensweise läßt er bei der Bestimmung des gebotenen Vielfaltsstandards walten. Er folgert aus diesem Grunde, eine Interpretation des Standards im Sinne optimaler Vielfalt - was immer dies sei und wer immer kompetent sein möge, es zu definieren - werde kaum rechtens sein. Lerche meint daher, ausreichende Vielfalt sei nicht schon dann in Frage gestellt, wenn sich einzelne Interessenten und Wettbewerber, deren Beiträge nur bei Erwartung einer optimalen Vielfalt essentiell wären, nicht beteiligten oder wenn sie nachträglich ausschieden. 1 64 Diese abstrakten Gedanken münzt er sodann in organisatorische und gesetzgebungstechnische Überlegungen um: Wenn der Gesetzgeber konkrete Vorkehrungen für das Nicht-Erreichen oder Nicht-Behalten ausreichender Vielfalt im außenpluralen Modell treffe, werde ihm auch in dieser Hinsicht ein gewisser Gestaltungsspielraum verfügbar sein. 1 65 Eine gangbare Lösung sieht Lerche darin, in einer Anfangs- oder Versuchsphase keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, nach angemessener Zeit jedoch die Entscheidung einer unabhängigen Instanz zu verlangen, ob das Gesamtprogramm der bestehenden Meinungsvielfalt auch tatsächlich im wesentlichen entspricht. 1 66 Lerches Ideen kommen den Gedanken des vierten Fernsehurteils insofern nahe, als beide darum bemüht sind, aus den strengen theoretischen Formeln des Saarland-Urteils eine praktisch gangbare Rundfunkorganisation zu ent­ wickeln und die Urteilsgründe dabei etwas abzumildern. Dieser Weg kann deshalb überzeugen, weil eine allzu strikte Umsetzung der Vielfalts-Passagen 1 62

Lerche, Vielfaltsstandard, 1676 ff. 16 3 Ders., 1 678. 1 64 Ebenda. 1 65 Lerche, Vielfaltsstandard, 1 679. 166 Ders. , 1 680.

C. Das Schrifttum zur Meinungsvielfalt

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des Saarland-Urteils kaum mit der gleichzeitigen Anerkennung der Möglich­ keit privaten Rundfunks in Gestaltung des außenpluralistischen Modells zu harmonisieren wäre. IV. Reaktionen auf das vierte Fernsehurteil Auch in der Debatte um das vierte Fernsehurteil lassen sich wieder zwei Lager ausmachen, die in ihrem rechtlichen Kern auf die grundrechtsdogmati­ sche Ausgangsfrage zurückgeführt werden können, ob die Rundfunkfreiheit primär institutionell oder wesentlich individualrechtlich zu verstehen ist. 1 6 7 1. Die Verfechter einer primär objektivrechtlichen oder auch funktionellen Sicht der Rundfunkfreiheit bedauern die Aufweichung der früheren Viel­ faltskonzeption durch das vierte Fernsehurteil 168 und vermissen den ,,Charme" 1 69 der Saarland-Entscheidung. Kritisch wird vor allem gewürdigt, daß das Bundesverfassungsgericht den im politischen Raum dominanten Wunsch nach Einführung privaten Rund­ funks akzeptiert hat und nur noch fragt, welche normativen Anforderungen realisierbar sind, wenn diesem Wunsch Rechnung getragen wird. 1 70 Hoff­ mann-Riem meint, dies sei unausgesprochen eine relative Abkehr von der bisherigen auf Kommunikationsinhalte bezogenen Kommunikator- und Re­ zipientenorientierung. 1 7 1 Stock sieht eine „folgenschwere Kurskorrektur in Richtung Marktrundfunk". 1 72 Ferner wird beklagt, daß privater Rundfunk gemäß der Entscheidung des Gerichts schon mit einem Veranstalter beginnen dürfe. 1 7 3 Hierin liege die Aufgabe der eigentlich tragenden wettbewerblichen Rechtfertigung eines privatwirtschaftlichen Rundfunksystems, so daß das gesamte Urteil letztlich an einer konzeptionellen Schwäche leide, weil es auf eine Theorie des Rundfunks verzichte. 1 74 Einige Autoren dieser Gruppe leiten aus der Pflicht der öffentlich-rechtli­ chen Anstalten zur „Grundversorgung" 1 75 auch eine Bestands- und Entwick­ lungsgarantie ab. 1 76 1 67

Zum Streit siehe ausführlich oben Teil 2, C. II. Zum Inhalt oben im einzelnen Teil 3, B. 169 Stock, Rundfunkurteil, 219. 1 70 Hoffm ann-Riem, Rundfunkfreiheit, 20; ähnlich Stock, Rundfunkurteil, 219 und Grimm, 30-34. 17 1 Hoffmann-Riem, Rundfunkfreiheit, 21. 1 72 Stock, Rundfunkurteil, 223; ders. , Konzept 1 1 . 1 73 Hoffmann-Riem, Rundfunkfreiheit, 21. 1 74 Ders. , 22. 1 75 Vergleiche hierzu im einzelnen oben Teil 3, B. 1 76 Zu der streitigen Frage, ob das Urteil in diesem Sinne verstanden werden kann.siehe 168

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

2. Deutlich positiver wird die modifizierte Konzeption der Meinungsviel­ falt im vierten Fernsehurteil demgegenüber von denjenigen Autoren beur­ teilt, die Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG wesentlich individualrechtlich im Sinne einer Rundfunkunternehmerfreiheit verstehen. Sie loben das Bemühen des Ge­ richts um Wirklichkeitssinn und Pragmatik wie sie in den eher zurückge­ nommenen Anforderungen an die Sicherung der Meinungsvielfalt im Nieder­ sachsen-Urteil zum Ausdruck gelangen. 1 77 Beifall findet vor allem der Weg des Bundesverfassungsgerichts, 1 7 8 den früher schon Lerche behutsam vorgezeichnet hatte, 1 79 aus der Erkenntnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit privaten Rundfunks abzuleiten, daß Startbedingungen zu finden sind, die die Möglichkeit privaten Rundfunks nicht nur in der Theorie, sondern auch in der praktischen Umsetzung beste­ hen lassen. 1 80 Weiterhin wird dieser Teil des Schrifttums nicht müde zu betonen, daß die vom Bundesverfassungsgericht skizzierte „duale Rundfunkordnung" keinen Ewigkeitswert habe, sondern eher als Übergangsmodell einzustufen sei. 1 8 1 Grundlegend ist auch hier wieder die These, daß die Vielfalt der widerstrei­ tenden Meinungen in der Gesellschaft am besten durch ein möglichst wenig reguliertes Marktmodell wiedergegeben werden könne. So fragt Schmitt Glaeser: 1 82 Planungsdirigismus sei dysfunktional im Bereich der Wirtschaft, warum solle er auf dem Medienmarkt funktionieren? Bullinger 1 8 3 versucht denselben Ansatz von den grundlegenden Aufbau­ prinzipien des Grundgesetzes her zu bekräftigen: Er unterscheidet zwischen der öffentlichen Meinungsbildung und der demokratischen politischen Wil­ lensbildung. Dabei stelle die Meinungsbildung eine Vorstufe, nicht einen Bestandteil der Willensbildung dar. Nur letztere kenne Mehrheitsentschei­ dungen durch gewählte oder sonst legitimierte Vertreter. Bullinger meint, nur für die politische Willensbildung sehe das Grundge­ setz eine egalitärdemokratische reale Chancengleichheit vor. Für die Mei­ nungsbildung gelte dagegen eine wirkungsoffene, liberale Chancengleicheit; schon oben Teil 3, A. VII.; die Bestandsgarantie vertretenHoffmann-Riem, Rundfunkfrei­ heit, 22 und Berg, Analyse, 800; in diese Richtung zielt auch Fuhr, Rundfunk, 1 54; ebenso schon früher: Bethge, Ordnung, 864. 1 77 Bullinger, Freiheit, 259; Kuli, Rundfunksystem, 367; Schmitt Glaeser, Rundfunksystem, 14; Ricker/Müller-Malm, 219. 1 78 Dazu im Detail oben Teil 3, B. 1 79 Siehe dazu oben Teil 3, C. III. 180 Ausdrücklich zustimmend: Schmitt Glaeser, Rundfunksystem, 16; vgl. auch Bullin­ ger, Freiheit, 259. 181 Schmitt Glaeser, Rundfunksystem, 20; Kuli, Rundfunkmarkt, 357; ders, Rundfunk­ system, 368. 1 82 Schmitt Glaeser, Rundfunksysstem, 19. 1 83 Bullinger, Freiheit, 260 f.

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung

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jeder Bürger dürfe seine Tatkraft, sein Vermögen und sein Einkommen beliebig durch eigene publizistische Tätigkeit einsetzen und brauche sich nicht mit dem Anteil an Zeilen oder Sendeminuten zu begnügen, der ihm proportional zur Gesamtbevölkerung zustünde. Bullinger will außerdem den Blick für den Maßstab der Meinungsvielfalt vom einzelnen Medium ablösen und auf einen medienübergreifenden Chancenausgleich abstellen. 184 So rei­ che es für den Zugang kleinerer Gruppen zum Rundfunk sicher aus, daß sie eine begrenzte Sendezeit im kostengünstigeren Hörfunk erhalten können. 3. Die Rekonstruktion des neueren Schrifttum macht deutlich, daß sich im wesentlichen zwei Autorengruppen unversöhnlich gegenüberstehen: zum einen die Verfechter des öffentlich-rechtlichen Systems, zum anderen die streng Marktorientierten. Zwischenpositionen sind selten. Das Bundesverfassungsgericht, das ur­ sprünglich relativ deutlich dem Konzept der öffentlich-rechtlichen Anstalten vertraut hat, hat spätestens seit dem vierten Fernsehurteil eine stärker diffe­ renzierende Position eingenommen, die für die Zukunft weiterhin entwick­ lungsoffen erscheint. Eine Auseinandersetzung mit diesen Konzepten zur Meinungsvielfalt be­ darf einer tiefergehenden Analyse der theoretischen Grundlagen und der praktischen Bedeutung der Kommunikationsstrukturen in einer Demokra­ tie. In dieser Hinsicht weist die Diskussion bis heute nicht unerhebliche Defizite auf. 1 85 Dabei drängen sich zwei Hauptprobleme in den Vordergrund: Zum einen fragt es sich in rechtstatsächlicher Hinsicht, ob die elektronischen Massen­ medien wirklich den erheblichen Einfluß auf die Meinungsbildung der Be­ völkerung ausüben, der ihnen von den Verfassungsjuristen - in der Regel stillschweigend - zuerkannt wird. Insoweit sind die Erkenntnisse der mo­ dernen Medienwirkungsforschung aufzuarbeiten. Zum anderen gilt es die staatstheoretische Validität des Konzepts der Meinungsvielfalt zu überprüfen. Dabei sind die Zusammenhänge zwischen dem demokratischen Prinzip und. der vielfältigen, offenen, nicht einseitig übermächtigten Kommuniktion in der Gesellschaft von besonderem Inter­ esse. Erst nach der Bewertung dieser Problemkreise kann letzlich fundiert zu der Frage Stellung bezogen werden, ob die Veränderung, die die Rechtsprechung 184 Bullinger (Freiheit, 2(,()) meint, dies aus jener Verfassungsrechtsprechung ableiten zu können, die die Versammlungsfreiheit weit auslegt, mit der Begründung sie gebe denjeni­ gen Ausdrucksmöglichkeiten, die in den Massenmedien nicht zu Wort kämen. Wegen des sehr unterschiedlichen Wirkungsgrades der verschiedenen Kommunikationsformen er­ scheint dieser Vergleich Bu//ingers jedoch als bedenklich. 185 So mit Recht Walter Schmidt, Rundfunkvielfalt, 44. s•

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

vorn dritten zum vierten Fernsehurteil vollzogen hat, Zustimmung oder Ablehnung verdient.

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung I. Rechtswissenschaftliche Anknüpfungspunkte l . Juristen gehen im allgemeinen davon aus, daß die Massenmedien des Rundfunks einen besonders intensiven Einfluß auf ihre Rezipienten haben und nicht selten wird diese Annahme auch zur Grundlage für die Rechtferti­ gung einer besonders strengen normativen Reglementierung von Hörfunk und Fernsehen gemacht. Paradigmatisch für eine derartige Rechtfindung erscheinen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Lebachur­ teil 1 86 über die Rolle des Fernsehens bei der Meinungsbildung des Zuschau­ ers. Das Gericht hatte über die Zulässigkeit der namentlichen Darstellung eines zur Entlassung anstehenden Straftäters in einem Fernsehspiel zu ent­ scheiden. Von maßgeblicher Bedeutung war die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Grund der besonderen Wirkungskraft des Mediums Fernsehen. Nach Auffassung des Gerichts bedeutet auch eine um Objektivität und Sachlichkeit bemühte Berichterstattung durch das Fernsehen in der Regel einen weitaus gravierenderen Eingriff in die private Sphäre als eine Wort­ oder Schriftberichterstattung in Hörfunk oder Presse. 1 8 7 Dies wird begründet mit der stärkeren Intensität des optischen Eindrucks und der Kombination von Bild und Ton, vor allem aber aus der ungleich größeren Reichweite, die dem Fernsehen auch im Verhältnis zu Film und Theater eine Sonderstellung einräume. Darüber hinaus macht sich der Senat die Erkenntnisse des Sachverständi­ gen Lüscher zu eigen, wonach der Zuschauer dem Fernsehen im Durch­ schnitt weniger kritisch gegenübersteht als anderen Massenmedien; nach Meinungsumfragen genössen Fernsehsendungen mit Abstand die höchste Glaubwürdigkeit. 1 88 Schließlich folgt das Gericht auch der These von der ,,selektiven Wahrnehmung", wonach die Massenmedien erheblich dazu bei­ tragen, vorhandene - bewußte oder unbewußte - allgemeine Einstellungen zu verfestigen. 1 89 Das Lebachurteil offenbart die Auffassung des Bundesver­ fassungsgerichts über die besondere große Meinungsmacht des Fernsehens. Diese Ansicht wird in den fünf sogenannten Fernsehurteilen zwar nicht 186 187 188 189

BVerfGE 35, 202; vergleiche dazu schon Teil 3, B. BVerfGE 35, 202 (226 f.). BVerfGE 35, 202 (229). BVerfGE 35, 202 (230).

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung

1 17

annähernd so ausführlich betont, doch sie liegt auch ihnen letztlich zugrunde, wie die strengen Anforderungen zeigen, die das Gericht für die rechtliche Einhegung diese Massenmediums verlangt. 2. Im juristischen Schrifttum wird - in der Regel ohne den Nachweis empirischer Sozialforschung - ebenfalls von der großen Meinungsmacht des Rundfunks ausgegangen. Exemplatisch erscheint das Wort Werner Webers vom „Machtmittel allerersten Ranges" . 1 90 Und Herbert Krüger meint gar, als Gebilde von „unwiderstehlicher Macht" 1 9 1 unterfalle der Rundfunk dem staatlichen Gewaltmonopol, weshalb seine Privatisierung unzulässig sei. 3. Mit diesen und ähnlichen Behauptungen stehen die deutschen Juristen international gesehen nicht allein. Sie werden auch - ebenfalls ohne empiri­ sche Fundierung - von U.S.-amerikanischen Gerichten als Argument ver­ wendet; etwa dem U.S. Court of Appeals, District of Columbia Circuit, der schrieb: ,,Clearly the impact, and audience, of the nightly news is far greater than any one paper or magazine". 1 92 Genannte rechtswissenschaftliche Äußerungen gilt es im Lichte der empi­ rischen Sozialwissenschaften kritisch zu hinterfragen. II. Medienwirkungen als Objekt der Sozialforschung: Definitionen und Ansätze

1. Die Bezeichnung „Medienwirkungsforschung" ist eine gängige Formel in den Sozialwissenschaften, doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß bereits diese Begriffsbildung umkämpft ist, weil sie bestimmte Kausali­ tätsvorstellungen suggeriert. Der Begriff „Wirkungen" läßt sich in diesem Zusammenhang definieren als „alle Veränderungen bei Individuen und in der Gesellschaft, die durch Aussagen der Massenkommunikation oder durch die Existenz von Massenmedien entstehen". 1 93 Wirkungsforschung behandelt demzufolge die „empirisch-sozialwissenschaftliche Untersuchung solcher Veränderungen mitsamt ihren Ursachen". Die Kritik am Begriff der Medienwirkungsforschfung bemängelt, dieses Wort lege eine einseitig-monokausale Ursachenkette zwischen Medium und Effekt nahe. 1 94 Demgegenüber besteht jedoch heute unter Kommunika­ tionswissenschaftlern Einigkeit darüber, daß Massenkommunikation einen Prozeß darstellt, der durch das Zusammenspiel zahlreicher Faktoren be­ stimmt wird, wobei diese Faktoren auch untereinander auf vielfältige Weise 190 191 192 193 1 94

Weber, Rundfunk, 63; ähnlich in neuerer Zeit Bethge, Zulassung, 39 ff. Krüger, Verfassungsgefüge, 148. Brandywine-Main Line Radio, Inc. vs. FCC 473 F. 2 d 16, 79 FN 65 (D. C. Cir. 1972). Hierzu und zum folgenden: Maletzke, 10. Unolzer, 6 1 .

1 18

3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

verbunden sind. 1 95 Da somit über das Grundmuster der Kausalität Einmü­ tigkeit herrscht, erscheint es angebracht, den herkömmlichen Begriff „Me­ dienwirkungsforschung" beizubehalten, zumal seine Ersetzung (wodurch?) eher Verwirrung als Nutzen stiften würde. 2. Unter den Forschungsrichtungen zur Medienwirkung lassen sich heute im wesentlichen drei große Ansätze unterscheiden: 1 96 a) kommunikator-orientierte Ansätze: hier geht es in erster Linie um die Inhalte und die dargebotenen Informationen; b) rezipienten-orientierte Ansätze: die Untersuchung beschäftigt sich vor­ nehmlich mit der Aufnahme der Medien bei dem Empfänger und versucht Änderungen in seinem Verhalten oder seinen Anschauungen aufzuspüren; c) struktur- und prozeßorientierte Ansätze: diese nehmen das gesellschaft­ liche und soziale Umfeld der Herstellung und des Konsums der Massenme­ dien in den Blick und suchen wechselseitige Verknüpfungen der beteiligten Faktoren. In konkreten Projekten überschneiden sich die drei Ansätze oft. Grob gesprochen stimmen sie aber auch mit den drei wissenschaftshistorischen Stufen der Erforschung der Medienwirkungen überein. 1 97 Diese Entwicklung läßt sich weiter dadurch kennzeichnen, daß in den Anfängen dieser Disziplin - etwa in den fünfziger Jahren - überwiegend angenommen wurde, der Effekt der Medien sei gering, während heute die Auffassung überwiegt, ihre Wirkungen seien „stark, weitreichend und vielgestaltig" . 1 98 Die Einsicht in eine machtvolle Rolle der Medien nimmt also tendenziell zu. 3. a) Inhaltlich betrachtet galt das Interesse der Kommunikationswissen­ schaftler zunächst der sogenannten Einstellungsforschung. 1 99 Dieser For­ schungszweig hat sich im wesentlichen um den Beleg der These bemüht, daß Massenmedien eine Verstärkung der Meinungen, die die einzelnen Rezipien­ ten bereits besitzen, bewirken und daß sie nur selten zur Änderung einer Meinung führen. Wesentliche Bedeutung kommt ihnen danach für die Bil­ dung von Auffassungen über Themen zu, zu denen der einzelne Konsument noch keine eigene Meinung hat. b) Die zunehmende Debatte über Gewaltdarstellung im Fernsehen richtete sodann das Hauptinteresse auf die Frage des sozialen Lernens durch das Fernsehen, das heißt über Aufnahme gesehener Verhaltensmuster in den eigenen Lebenswandel. Hierbei ist besonders die emotionale Beeinflussung durch das Medium zu beachten, weil sie fortwirkt, obwohl der Zuschauer 195 196 1 97 198 199

Ma/etzke, a.a.O.

Dazu und zum folgenden: Lüscher, Medienwirkungen, H 28.

Lüscher, a.a.O.

Ebenda. Zu dieser Richtung: Hackforth, 18 ff.; Lüscher, Fernsehen, 234 ff.

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung

1 19

bereits vergessen hat, was inhaltlich dargestellt wurde. 200 Dabei erscheinen vor allem zwei Befunde bemerkenswert: aa) Hertha Sturm201 stellt als Quintessenz ihrer Untersuchungen fest, das eigenlich Medienspezifische seien die emotionalen Eindrücke, die wegen ihrer Dauer sozialen Bindungen gleichkämen; bb) das amerikanische National Institute of Mental Health202 gelangte 1982 zu der Erkenntnis, daß sich Kinder je nach dem von ihnen betrachteten Programm im Sinne von mehr Hilfsbereitschaft oder mehr Aggressivität beeinflussen ließen. Die Bedeutung der elektronischen Medien für das soziale Lernen sollte nach alledem keinesfalls unterschätzt werden. c) Im Zuge der Erweiterung des Medienangebots durch neue Technologien ist auch zunehmend das Problem wachsenden Konsums ins Blickfeld ge­ rückt. Die sogenannte „Vielseherforschung" hat sich etabliert. Sie stellt vor allem die Frage nach der Realitätsperzeption auf der Basis massiver Medien­ konsums. Ergibt dieses Leben aus zweiter Hand ein spezifisches Weltbild, das von dem der selektiven Mediennutzer abweicht? Im einzelnen ist hier - vor allem in methodischer Hinsicht - noch wenig gesicherte Erkenntnis vorhan­ den. Immerhin existieren aber ernstzunehmende Indizien dafür, daß eine Korrelation zwischen hohem Fernsehkonsum und einer erhöhten Ängstlich­ keit vor den Gefahren und Risiken einer kriminellen und allgemein unsiche­ ren Welt besteht. 203 d) Einen weiteren Forschungsschwerpunkt stellen schließlich die Medien­ wirkungen auf soziale Systeme dar. Hier hat sich das allgemein empfundene Phänomen erhärtet, daß die Medien vor allem das Zusammenleben in der Familie stark beeinflussen. Dazu zählen sowohl die Einteilung des familiären Tagesablaufs wie auch die innerfamiliäre Kommunikation und die Außen­ kontakte. 204 Die Medien nehmen somit nachhaltigen Einfluß auf Grundda­ seinsfunktionen des wichtigsten sozialen Verbandes in der Gesellschaft. Mit der Erforschung der Medienwirkungen in sozialen Systemen ist die für das Verfassungsrecht besonders bedeutsame Frage verbunden, ob tatsäch­ lich auch der Staat als Ganzes, als größte soziale Einheit spezifisch medialen Effekten ausgesetzt ist. Hier wird vor allem die Frage kontrovers diskutiert, ob das Fernsehen Wahlen beeinflussen oder gar entscheiden kann. 200 201 202 203 204

Expertenkommission, 1 08. Siehe Sturm, Wirkungen, 1 58 ff.; dies. , Irrtümer, 8 f. National Institute of Mental Health, 5 1 . Lüscher, Medienwirkungen, H 36. Lüscher, Medienwirkungen, H 36.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

III. Mediale Effekte im politischen Prozeß? 1. Die Thesen Noelle-Neumanns In neuerer Zeit hat vor allem Elisabeth Noelle-Neumann die Meinung vertreten, das Fernsehen habe bei Bundestagswahlen eine entscheidende Rolle gespielt. Sie sieht dabei den Einfluß des Fernsehens weniger direkt als Ursache der Veränderung des Stimmverhaltens als vielmehr indirekt auf dem Wege der Bestimmung des Meinungsklimas in der Fernsehgemeinde. 205 Zunächst setzt sie sich kritisch mit dem Forschungsansatz des Standard­ werks auf dem Gebiete Wahlen und Medien auseinander, der Untersuchung ,, The People's Choice" von Lazarfeld/Berelson/Gaudet aus dem Jahre 1940, das die Rolle des Hörfunks bei der Präsidentenwahl zwischen Roosevelt und Wilkie zum Gegenstand hat. 206 Dieses Werk untersucht die Entwicklung der Wahlabsichten von Personen mit viel oder weniger Rundfunkkonsum. Noel­ le-Neumann kritisiert den Ansatz als methodisch fehlerhaft, weil er die Wirkungen der Massenmedien dort zu testen versuche, wo die Einstellungen am härtesten und folglich die Wirkungen am schwersten zu messen waren. 20 7 Lazarfeld selbst habe später von einer „Hierarchie der Stabilitäten" 208 ge­ sprochen, in der die Wahlabsicht den ersten Platz einnahm und sich folglich zuletzt und am seltensten veränderte. Dem stellt Noelle-Neumann ihren Ansatz von der Beeinflussung des Mei­ nungsklimas durch das Fernsehen gegenüber. Ihr Konzept beruht auf der Annahme, daß die meisten Glieder einer Gesellschaft Isolation zu vermeiden suchen und darum - unter welcher Anstrengung auch immer - zur Anpas­ sung, zur Konformität bereit sind. 209 Der sozialpsychologische Mechanis­ mus, der die Konformität erzwinge, werde seit Edward Ross (1898) soziale Kontrolle genannt. Wenn man sich vergegenwärtige, wie sehr es Menschen zuwider sei, sich zu isolieren, könne man auch erkennen, wie lohnend es sei, eine Meinung als öffentliche Meinung durchzusetzen, als einzige Meinung, die man öffentlich ohne Bedrohung aussprechen könne. Ferner nimmt Noelle-Neumann an, daß die eine Seite, die sich selbstbe­ wußt äußert, zahlreicher wirkt als sie wirklich ist, während ein unsicheres Lager wegen seines schwächeren Auftretens zahlenmäßig unterschätzt wird. Die Täuschung über die wirklichen Stärkeverhältnisse soll wiederum weitere Personen veranlassen, sich der ersten Seite anzuschließen, während die An205 206 201 208 209

Noe//e-Neumann, Einfluß, 6 1 1 . Lazarsfeld/Bere/son/Gaudet, passim. Noel/e-Neumann, Einfluß, 610. Lazarsfe/d/Berelson/Gaudet, XI. Noelle-Neumann, Meinungsklima, 414.

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung

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hänger der Gegenseite sich in Schweigen zurückziehen; dieser Vorgang wird von der Autorin als "Schweigespirale" bezeichnet. Aufgrund ihrer Hypothesen hat Noelle-Neumann sich bei der Bundes­ tagswahl 1976 vor allem mit dem Einfluß des Fernsehens auf das Meinungs­ klima, auf die Erwartung, wer die Wahl gewinnt, beschäftigt. Bei Personen, die selten oder nie politische Fernsehsendungen sahen, hat sich nach den Zahlen dieser Untersuchung die Erwartung über den Wahlaus�ang zwischen März und Juli 1976 kaum verändert. Die CDU/CSU sahen erst 36 % dann 38 % vorn, die Regierungskoalition aus SPD und F. D. P. erst 24 % dann 25 %. Signifikante Veränderungen zeigten sich hingegen bei häufigen Zu­ schauern politischer Fernsehsendungen: Dort nahm die Zahl derjenigen, die an einen Sieg der CDU/CSU glaubten, zwischen März und Juli von 47 % auf 34 % ab, während umgekehrt die Annahme des Sieges der Koalition von 32 % auf 42 % stieg. Noelle-Neumann erblickt hier einen Kausalzusammenhang zwischen der Veränderung des Meinungsklimas und dem Einfluß des Fern­ sehens. Fraglich bleibt die politische Konsequenz aus diesen Zahlen. Die Forsche­ rin meint, der von der CDU/CSU geführte Wahlkampf hätte wahrscheinlich eine stärkere Wirkung gehabt, wenn er nicht den Druck der steigenden Erwartung eines SPD/F.D.P.-Sieges gegen sich gehabt hätte. 2 1 0 Angesichts des damals sehr knappen Wahlergebnisses könne daher nicht von der Hand gewiesen werden, daß das vom Fernsehen ausgehende Meinungsklima eine wahlentscheidende Rolle gespielt habe. 2. G e g e n s t i m m e n a) Die These, das Fernsehen habe die Bundestagswahl 1976 (mit-)entschie­ den, ist unter Sozialwissenschaftlern überwiegend auf deutliche Ablehnung gestoßen. Feist und Liepelt2 1 1 widersprechen aufgrund ihrer empirischen Forschung sowohl dem Kommunikationsmodell der Schweigespirale - hier insbesondere der Annahme eines Einflusses der Wahlerwartung auf die eigene Wahlabsicht - als auch der These, das Fernsehen steuere das Mei­ nungsklima. Diese Autoren entnehmen ihren Befragungen für die Bundestagswahlen 1976 und 1980, daß nicht die Medien, sondern die politischen Milieus den Wählermarkt spalteten. 2 1 2 Beherrschender als die Medien seien Bindungen an Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften und Verbände; insgesamt sei die reale Kommunikation viel wirksamer als die künstliche Welt der Medien. 2 10 211

212

Noe//e-Neumann, Meinungsklima, 442. Feist/Liepelt, 619 ff. Feist/Liepelt, 625.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

Vor allem sehen diese Autoren - im Gegensatz zu Noelle-Neumann überhaupt keinen Mitläufereffekt durch das Wahlklima. 2 1 3 Bei der graphi­ schen Darstellung des Erwartungsklimas und der Verhaltensabsichten haben sie nirgendwo einen "Lead-Effekt" der Erwartungskurve ausmachen können, aus dem allein auf einen Kausalzusammenhang zwischen Erwartungen und Verhalten geschlossen werden dürfe. Das Wahlergebnis sei demnach nicht Resultante eines spezifischen Erwartungsklimas, sondern vielmehr ein Reflex auf Entwicklungen, die sich schon vorher in der Wählerschaft vollzogen hätten. Per Saldo kommen Feist und Liepelt zu einem ganz anderen Modell der Wahlkampfkommunikation als Noelle-Neumann: Bei ihnen ist nicht die Wahlerwartung bedeutsam, sondern umgekehrt geht der Formulierung von Wahlerwartungen ein bereits in Segmenten der Wählerschaft vollzogenes Handeln voraus, das dann als Wahlklima empfunden wird. 2 14 Die Medien gehen in dem gesamten damit zusammenhängenden Prozeß nicht über eine Transmitterrolle hinaus. 2 1 5 b) Auch die Untersuchungen der Bundestagswahl 1980 durch Buß und Ehlers haben Zahlenmaterial erbracht, das nach der Interpretation der For­ scher den Thesen Noelle-Neumanns widerspricht. Je näher der Wahltag rückte, umso stärker war der Trend zur CDU/CSU. 2 1 6 Das galt nicht nur für die Gesamtheit der Befragten, sondern auch bei dem Teil, der seine politi­ schen Informationen bevorzugt aus dem Fernsehen bezog. Gleiches galt auch für die von Noelle-Neumann besonders hervorgehobene Gruppe derjenigen, die häufig politisches Magazine betrachten. Ferner stellten Buß und Ehlers fest, daß dieselbe Gruppe eher Strauß für kompetenter zur Lösung der wichtigsten politischen Probleme hielt, während die Gruppe derjenigen, die nie diese Magazine ansehen, eher Schmidt als kompetent einschätzte.2 1 7 Die Autoren meinen, die Ergebnisse widerlegen die These, das Fernsehen habe die Wähler einseitig zugunsten der damaligen SPD/F.D.P.-Koalition beeinflußt. 2 1 8 3. N e u e r e D i ffe r e n z i e r u n g e n Die Forschungen über die Bedeutung des Rundfunks bei allgemeinen Wahlen bieten demnach ein sehr uneinheitliches Bild. Sowohl die These von 213 214 215 216 217 218

Hierzu und zum folgenden dies. , 629 f. Feist/Liepelt, 633. Feist/Liepelt, 634. Buß/Eh/ers, 242. Buß/Eh/ers, 252. Ebenda.

D. Berücksichtigung der Medienwirkungsforschung

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der wahlentscheidenden Erheblichkeit des Mediums als auch das genaue Gegenteil, der Bedeutungslosigkeit von Fernsehen und Hörfunk für Volks­ abstimmungen, werden vertreten. Dieselbe Spannweite der Meinungen fin­ det sich nicht nur in der bundesdeutschen Medienwirkungsforschung, son­ dern auch in anderen westlichen Demokratien, vor allem im sozialwissen­ schaftlichen Schrifttum der USA. 2 1 9 In jüngerer Zeit hat daher vor allem Schönbach220 einen differenzierten Umgang mit der Frage des Einflusses des Fernsehens auf Wahlen gefordert. Er hält die Direktheit der Wirkung, die die Fragestellung impliziert, für allzu stark vereinfachend. Die Frage nach der politischen Werbewirkung des Mediums sei falsch gestellt. 221 Zunächst einmal betrachtet er die Untersuchungen als kaum vergleichbar, weil die Befragungen in ganz verschiedenen historischen Situationen stattge­ funden haben. Ferner kommt es ihm darauf an, neben der Wirkungsanalyse eine gleichzeitige Inhaltsanalyse des Mediums für den interessierenden Zeit­ raum anzustellen. Darüber hinaus sieht er das bisherige Konzept einer direk­ ten Wirkung als überholt an. Er will Wirkung als Produkt eines Zusammen­ spiels begriffen, einer „Transaktion der Medienbotschaft mit der Auf­ nahmebereitschaft und -fähigkeit des Rezipienten" . 222 4. S t e l l u n g n a h m e Per Saldo präsentiert sich die Medienwirkungsforschung dem Juristen, der Entscheidungsgrundlagen auf der Tatsachenebene sucht, als eine noch in den Anfängen steckende Disziplin, in der es kaum gesicherte und unbestrittene empirische Daten gibt. Davon unabhängig ist die sozialwissenschaftliche Interpretation dieser Daten erneut stark umkämpft, je nachdem welche kommunikativen und sozialpsychologischen Modelle herangezogen werden. Viele Ansätze tragen daher einen stark spekulativen Charakter. Dieser Ge­ samtumstand ist jedoch für den Juristen nichts Ungewöhnliches. Er ist nach seiner Aufgabe zur Streitentscheidung häufig zu einem Urteil berufen, ohne daß ihm zur Zeit der Findung seines Ergebnisses alle möglicherweise relevan­ ten Tatsachen bis ins letzte Datail bekannt sind. 223 So kommt es denn auch für eine Entscheidung zugunsten einer verfassungsrechtlich geforderten institutionellen Sicherung der Meinungsvielfalt Siehe dazu die Auswertung des internationalen Schrifttums bei Schönbach, 462-464. Schönbach, 462 ff.; ebenso Uekermann, 1 43. 221 Schönbach, 464. 222 Schönbach, 465; eine zu starke Monokausalität bei Noe//e-Neumann kritisiert auch Hacker, 66 bis 77, insbesondere 75. 223 Vergleiche Hoffmann-Riem, Medienwirkung, 28-3 1 . 219 220

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

im Rundfunk nicht unbedingt darauf an, ob sich Noelle-Neumanns These erhärten läßt, daß das Fernsehen Bundestagswahlen entscheiden kann. In diesem Punkte bleiben in der Tat schwerwiegende Zweifel an ihrem zentralen gedanklich-interpretatorischen Ansatzpunkt, dem Kommunikationsmodell der Schweigespirale. 224 Denn die These von der maßgeblichen Auswirkung des Meinungsklimas auf die Wahlabsicht konnte bisher weder durch ihre Begründerin noch durch spätere Forschungen empirisch abgesichert werden. Nichtsdestoweniger aber haben die Forschungsergebnisse, die weithin an­ erkannt sind, gezeigt, daß das Fernsehen Auswirkungen auf das menschliche Verhalten - gezeigt am Beispiel von Kindern225 - haben kann. Darüber hinaus gibt es ernsthafte Indizien für ein spezifisches Weltbild von Vielse­ hern. 22 6 Schließlich darf auch die historische Erfahrung über die Möglichkeit der einseitigen Ausrichtung der öffentlichen Meinung in diktatorisch gelenkten Systemen der Massenmedien nicht außer acht gelassen werden. Exemplarisch erscheint hierfür das oben untersuchte227 nationalsozialistische Modell, für das der „ Volksempfänger" zum Symbol wurde. Die Summe der Erfahrungen mit Medienwirkungen zeigt daher, daß hier nicht unerhebliche Gefahren und Chancen für die innere Struktur und die Zukunft eines demokratischen Gemeinwesens liegen. Auf die Zusammenhänge zwischen der Demokratie und der Meinungsvielfalt hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach zu Recht hingewiesen. Mit der normativen Regelung des Rundfunks wird also die Abwehr von Gefahren für höchste Gemeinschaftsgüter bezweckt. Je höherwertig das zu schützende Rechtsgut ist, umso geringere Anforderungen sind aber an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen. Unter Berücksichtigung dieser Relation wird man festhalten dürfen, daß die bishe­ rige Rechtsprechung durch die Erkenntnisse über Medienwirkungen auf der tatsächlichen Seite hinreichend abgesichert ist, um die Judikatur zu tragen.

E. Die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt I. Zum Ansatz der Rechtsprechung Schon die bisherigen Ausführungen haben deutlich werden lassen, daß zwischen der Vorstellung von der Funktion des Staatswesens insgesamt und dem Ablauf der Kommunikationsprozesse in der Gesellschaft ein enger Zusammenhang besteht. Vor allem vor diesem Hintergrund ist auch die 224 225 226 227

Siehe dazu im einzelnen oben Teil 3, D. II. Siehe oben Teil 3, D. II. Dazu oben Teil 3, D. II. Siehe oben Teil 2, A. II. 2. a).

E. Die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt

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Herausbildung des Konzeptes der Meinungsvielfalt durch das Bundesverfas­ sungsgericht zu begreifen. Die Freiheit der Kommunikation ist ein essentiel­ ler Bestandteil eines demokratischen Systems, weil die sinnvolle Ausübung des Wahlrechts durch die Bürger eine umfassende Information über die großen, zur Entscheidung anstehenden öffentlichen und politischen Pro­ bleme voraussetzt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Blick, wenn es im dritten Fernsehurteil von der „für die freiheitliche Demokratie konstituti­ ven Meinungsvielfalt" 228 spricht. Neben dem Demokratieprinzip haben aber auch weitere staatstheoretische Funktionsmodelle die Rechtsprechung zur institutionellen Durchbildung der Rundfunkfreiheit stark beeinflußt, ohne daß die zugrundeliegenden Ideen in den Urteilsgründen vertieft zum Ausdruck kämen. Zu denken ist hier vor allem an die seit dem ersten Fernsehurteil verfestigte Konstruktion der gruppenpluralen Besetzung der Aufsichtsgremien im Rundfunk. 22 9 In dieser Hinsicht gilt es die staatstheoretische Pluralismusdiskussion gezielt aufzuar­ beiten und ihre Tauglichkeit als Basis für die bezeichneten Rundfunkorgani­ sationsstrukturen nachzuprüfen. Ein letzter, staatsphilosophisch besonders interessanter Ansatzpunkt fin­ det sich schließlich im ersten Leitsatz des zweiten Fernsehurteils; dort230 heißt es kurz und knapp: ,,Die Rundfunkanstalten . . . erfüllen eine integrierende Funktion für das Staatsganze". Dieser Gedanke wird in den Entscheidungs­ gründen erstaunlicherweise überhaupt nicht wieder aufgenommen, obwohl seine exponierte Position in den Leitsätzen darauf hinweist, daß das Gericht ihm eine erhebliche Bedeutung bei der Entwicklung seiner Vorstellung von den Aufgaben des Rundfunks beigemessen hat. Die Formulierung „integrie­ rende Wirkung" legt schon semantisch eine gedankliche Ableitung von Smends Staatsmodell der Integrationslehre nahe. Es empfiehlt sich daher, dieser Theorie aus der Weimarer Diskussion nachzugehen und ihre Aktuali­ tät für die heutige Debatte um die verfassungsrechtlich gebotene Organisa­ tion des Rundfunks aufzuzeigen. II. Die Integrationslehre Rudolf Smends Smends Staatslehre ist erwachsen aus der Auseinandersetzung mit dem in der Weimarer Republik ursprünglich vorherrschenden Positivismus der Ver­ fassungsauslegung. 23 1 Der Autor versucht, die formalistische Trennung zwi228 BVerfGE 57, 295 (323). 229 Vgl. BVerfGE 1 2, 205 (259-264). 230 BVerfGE 3 1 , 314. 231 Vergleiche zur Auseinandersetzung der Staatsrechtslehrer mit dem Positivismus in der Weimarer Republik: Smend, Richtungsstreit, 575 ff.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

sehen dem Individuum an sich einerseits und dem statisch verstandenen Staat andererseits zu überwinden. Smend geht daher von einem Bild des Individuums als sozial bezogenem Wesen aus, das sich in bezug auf die Gemeinschaft äußert und ebenso ist der Staat bei ihm kein monolithisch neben der Summe der Einzelwesen stehendes Gebilde, sondern selbst ein Gefüge, das erst aus einem wechselseitigen Pro­ zeß des Austausches zwischen der Gesamtheit und den gemeinschaftsbezo­ genen Äußerungen der Individuen besteht. Der Staat lebt und existiert somit nur in einem Prozeß steter Neuerung und steten Neuerlebtwerdens. 232 Smend bezieht sich in diesem Punkte ausdrücklich auf Renans berühmtes Wort von der Nation als einem Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt. 2 3 3 Selbigen Lebensvorgang bezeichnet er als Integration. In diesem Rahmen unterscheidet er wiederum drei Untergruppen, die sich in der unermeßlichen Fülle des steten Werdens der Gemeinschaft ausmachen lassen: Als persönliche Integration sieht er die durch öffentliche Funktions­ träger aller Art; als funktionelle Integration bezeichnet er verschiedene kol­ lektivierende Lebensformen von der direkten Aktion gemeinsamer Tätigkeit bis zu den mittelbaren Wirkungsmechanismen wie Wahlen oder parlamenta­ rischen Verhandlungen, die vordergründig zu Gesetzesbeschlüssen oder son­ stigen Entscheidungen führen, weniger bewußt aber auch eine Erneuerung der politischen Gemeinschaft beinhalten; unter sachlicher Integration ver­ steht Smend alle Sinngehalte des staatlichen Lebens, die in der Regel als Staatswerke verstanden werden, auf der andern Seite aber wieder die zugrun­ deliegende Gesellschaft von Individuen integrieren. 2 34 Insgesamt geht es Smend um die Aufarbeitung des dialektischen Aus­ tauschprozesses zwischen Individuum und Gemeinschaft, um das Erkennen des Staates als gleichsam lebenden Systems, das aus dem Wechselspiel mit den individuellen Gemeinschaftsgliedern existiert und sie zugleich in einen überindividuellen Bezugsrahmen stellt. Smends moderne Betrachtungsweise des öffentlichen Lebens in einem Gemeinwesen erfordert zu ihrer Funktionstüchtigkeit in höchstem Maße der Kommunikation und der Geistesfreiheit, um den organischen Prozeß der Staatshervorbringung und der Einheitsstiftung zwischen den Gemein­ schaftsgliedern zu ermöglichen. Dieser sich ständig erneuernde Vorgang bedarf eines offenen Forums, auf dem sich einerseits die verschiedenen in der Gesellschaft vertretenen Meinungen äußern und einem Kompromiß zuge­ führt werden können sowie andererseits das gemeinsame Eingebundensein der Staatsangehörigen in eine größere Wirkungseinheit für alle Individuen 232 Smend, Integrationslehre, 299; ders., Verfassung, passim, insbesondere Seite 1 36 ff. m Smend, Integrationslehre, 299. 2 34 Zum Vorhergehenden vergleiche: Smend, Integrationslehre, 299 f.

E. Die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt

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erlebbar werden kann. Mit der Überwindung eines statischen Staatsver­ ständnisses wird zugleich die staatstheoretische Bedeutung der vom Bundes­ verfassungsgericht angesprochenen, aber nicht erläuterten integrierenden Funktion des Rundfunks für das Staatsganze235 deutlich. Wie die Betrach­ tung der rechtstatsächlichen und historischen Seite der Wirkung des Rund­ funks gezeigt hat, ist er heute wie kein anderes Medium in der Lage, die Gesamtheit eines weiträumigen, hochindustrialisierten und komplexen Ge­ meinwesens zu einem umfassenden Forum zusammenzuführen. Millionen von Menschen erleben gleichzeitig Parlamentsdebatten, Wahlkampfdiskus­ sionen oder Kulturdarbietungen. Die Aktualität und Intensität des Pro­ gramms erweist sich für die Integration der Gesamtgesellschaft im Staat des Industriezeitalters als zentrales Element. Von daher läßt sich die Bedeutung des möglichst freien Zugangs aller Meinungsrichtungen und gesellschaftli­ chen Kräfte zu diesem Marktplatz gerade unter Berücksichtigung des Staats­ bildes der Integrationslehre kaum überschätzen. Der Prozeß der Integration bedarf der aktuellen Kommunikation, die ihrerseits von größtmöglicher Offenheit für alle unterschiedlichen Auffassungen sein muß und diese einem Ausgleich zuführen kann, der einheitsbildend wirkt. Der Zugang zum aktu­ ellsten, intensivsten und sehr stark genutzten Medium Rundfunk darf somit bereits aus staatstheoretischen Erwägungen heraus nicht einseitig dem Zu­ griff eines Teils der Gesellschaft oder einer einzelnen Gruppe ausgeliefert werden. Diese Einbringung aller Anschauungen und kulturellen Werte der Gesellschaft, soweit es eben möglich ist, will letztlich das Konzept "Mei­ nungsvielfalt" erreichen. Die Meinungsvielfalt im Rundfunk erscheint somit als lebendiger Teil des größeren gesellschaftlichen Gesamtzusammenhanges der Integration.

III. Pluralismus und Grundgesetz Mit dem Konzept der Integration verschiedener gesellschaftlicher Grup­ pen in einem Staat durch Kommunikation ist im Grunde bereits der Gegen­ stand der Pluralismustheorie ins Spiel gebracht, der seinerseits wieder von der Staatslehre her starke - doch oft unausgesprochene - Auswirkungen auf das heutige System der Rundfunkorganisation in der Bundesrepublik hatte. Pluralismus stellt den Zustand einer Gesellschaft dar, die weder nach einem rein liberalen Bild von isoliert nebeneinanderstehenden Individuen geprägt ist noch von der Vorstellung ihres totalen Aufgehens in der Gemein­ schaft; der Pluralismus sieht vielmehr als Zwischenform die Organisation 235 BVerfGE 3 1 , 3 14.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

von Staatsbürgern und ihren Interessen in Gruppen zur Durchsetzung ihrer Ziele. 2 36 Daß von diesen drei Sichtweisen allein die des Pluralismusmodells den heutigen Realitäten in der Bundesrepublik entspricht, wird nicht bestritten. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, daß es neben der gruppenplura­ len Organisation auch Interessen gibt, die wegen ihrer geringen Anhänger­ zahl keine Vertretung in dieser Form finden, die aber dennoch nach dem in der Verfassung angelegten Grundmuster des freien Prozesses der Meinungs­ bildung in der Öffentlichkeit Minderheitenschutz genießen. 2 3 7 Diese Interes­ sen und Meinungen dürfen durch das Pluralismusdenken nicht ins Abseits gedrängt werden und müssen ihre legitime Äußerungschance erhalten, zumal sich gerade in einem demokratischen Rechtsstaat aus Minderheitsansichten im Laufe der Zeit Mehrheitspositionen bilden können und gesellschaftliche Neuerungen nach der historischen Erfahrung ihren Anfang häufig in Außen­ seiterpositionen nehmen. Der Pluralismus findet sich im Staat des Grundgesetzes auf verschiedenen Ebenen, das heißt, daß die verschiedenen Interessengruppen nicht auf dem gleichen Sachgebiet aktiv sind; so sind beispielsweise im religiösen Bereich die Kirchen tätig, im wirtschaftlichen die Gewerkschaften und Arbeitgeber­ verbände sowie im politischen die Parteien. Durch diese pluralistische Struktur des Verfassungslebens tritt ein Span­ nungsmoment auf. Diese Spannung strebt nach Ausgleich, um die Einheit des Staatsganzen zu stiften. Insoweit wird die innere Verwandtschaft zwi­ schen dem Pluralismusmodell und Smends Integrationslehre deutlich. Aus diesem Grunde offenbart sich wiederum die zentrale Rolle der Kommunika­ tionsfreiheiten für den Ausgleich der pluralen Interessen im Staat. Die Suche nach dem Kompromiß verläuft über die öffentliche Diskussion, in deren Konzert alle Stimmen und Argumente gehört zu werden verdienen. In dem Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung genießt der Rundfunk in der heuti­ gen Zeit die Rolle eines überragend wichtigen Forums. Von diesem Gedanken ausgehend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Fernsehurteil2 3 8 denn auch postuliert, der Rundfunk dürfe nicht einer gesellschaftlichen Kraft oder Gruppe ausgeliefert werden, son­ dern müsse von allen gesellschaftlich relevanten Gruppen kontrolliert wer­ den. Der Ansatz, das zentrale Forum der öffentlichen Meinungsbildung nicht einseitiger Übermächtigung und Manipulation auszuliefern, erscheint vor dem Hintergrund des pluralistischen Verfassungslebens der Bundesrepublik 236 He rzog, 2539; Bethge, Zulassung 73-78; vgl. auch Walter Schmidt, Rundfunkvielfalt, 61-64; Bernd-Peter Lange, 5 1-53. 237 Siehe Häberle, Staatsrechtslehre, 442 FN 80. 238 Siehe dazu oben Teil 2, A. II. 3. c).

E. Die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt

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und ihrem Bekenntnis zur Offenheit der Diskussion sowie zur Geistesfreiheit als Grundmaxime der rechtlichen Ordnung des Rundfunks überzeugend. Zweifel an der Überantwortung des Rundfunks an die relevanten Gruppen hat aber die Erkenntnis hervorgerufen, daß nicht alle Meinungen und Inter­ essen auch organisationsfähig und durchsetzungskräftig sind, wiewohl sie doch wichtige geistige Anregungen zu vermitteln vermögen. So wurde der mangelnde Minderheitenschutz in diesem verfassungsrichterlichen Modell gerügt. 2 3 9 In gewisser Weise tritt dem klarstellend der Rundfunkratsbe­ schluß 240 entgegen, soweit er besagt, daß die gesellschaftlichen Repräsentan­ ten in den Kontrollgremien der Rundfunkanstalten ihren Platz dort nicht zwecks einseitiger Durchsetzung ihrer Partikularinteressen innehaben, son­ dern vielmehr in treuhänderischer Funktion für das ganze Gemeinwesen über die Einhaltung der Meinungsvielfalt wachen sollen. Ob dem nicht eine allzu idealisierende Vorstellung vom Wesen der Verbandstätigkeit zugrunde liegt, bleibt jedoch die Frage, die die Praxis zu beantworten hat. 24 1 Vor allem ist bei der Konstruktion der Rundfunkgremien der Tatsache zu wenig Beach­ tung geschenkt worden, daß die vertretenen Gruppen auf ganz unterschied­ lichen Ebenen angesiedelt sind, so also häufig auf sehr spezielle Gebiete ausgerichtet sind, aber dennoch im Rundfunk über Lebensbereiche entschei­ den müssen, für deren Behandlung ihre Organisation nach ihrer ursprüngli­ chen Zweckrichtung nicht zuständig ist. Derartige Konstruktionsprobleme sollten jedoch nicht darüber hinweg­ täuschen, daß der Gesetzgeber hier vor praktisch nahezu unlösbaren Aufga­ ben steht. Sachgerechtere Modelle als das der Gruppenrepräsentanz sind bisher nicht vorgeschlagen worden und letztlich ist diese Form der Kontrolle mit allen ihren Mängeln auch ein Tribut für den heute allseits anerkannten Wert des Grundsatzes der Staatsfreiheit. Insgesamt stellt sich somit das gesellschaftliche Pluralismusmodell als hilfreiche theoretische Unterfütte­ rung für das Prinzip der Meinungsvielfalt in seiner heutigen Ausprägung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar. IV. Kommunikation und Demokratieprinzip

Die bisherige Erörterung der Integration und des Pluralismus hat nun auch schon wesentliche Querverbindungen zwischen der Meinungsvielfalt im Rundfunk und dem demokratischen Prinzip deutlich werden lassen. Die essentielle Bedeutung freier Kommunikation für ein demokratisches System liegt grundsätzlich darin, daß ein Prozeß der öffentlichen Willensbildung auf 2 3 9 Häberle, Staatsrechtslehre, 442 FN 80. 240 BVerfGE 60, 53 (67). 241 Siehe etwa zum Einfluß der politischen Parteien unten Teil 4, A. III. 6. 9 Schuster

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

der Basis gleicher politischer Partizipation aller Staatsbürger durch Stimm­ abgabe sich nur dann sinnvoll entwickeln kann, wenn alle Themen, die im öffentlichen Interesse liegen, auch in allen ihren Aspekten und mit allen Argumenten ohne Repression und unter prinzipieller Berücksichtigung sämt­ licher Auffassungen diskutiert werden. Dies ist ohne gleichmäßige Chancen auf Zugang zu dem zentralen Forum der Öffentlichkeit der heutigen Gesell­ schaft - nämlich den elektronischen Massenmedien - nicht zu denken. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, einige Strukturelemente des Demokra­ tieprinzips - wie Art. 20 Abs. 1 GG es festschreibt - genauer zu betrachten. Die demokratische Ordnung hat zunächst das Problem zu lösen, wie eine Entscheidung getroffen wird, wenn verschiedene Interessen der Gesellschaft konfligieren. Insoweit gilt zuerst einmal das Einigungsprinzip. 2 42 Zwar mag ein diktatorisches Wort politische Konflikte schneller lösen, doch entspricht es dem Wesen der demokratischen Ordnung, daß ihr zuvörderst die Verstän­ digung unter den streitenden Gruppen aufgegeben ist, die den Zwang von oben überflüssig macht und so im Wege der - oft mühevollen - Überzeu­ gungsarbeit Einheit im Staatsvolk stiftet. Die zentrale Rolle der freien Kom­ munikation und der Einbringung aller Argumente in diesen Prozeß der gegenseitigen Überzeugungsbildung liegt auf der Hand. Hier erweist sich demnach auch bereits die konstituierende Wirkung der Meinungsvielfalt im Rundfunk für die demokratische Ordnung. Beide Ordnungsbilder stützen und bedingen sich gegenseitig. 24 3 Diese Schlußfolgerung wird ebenso deutlich, wenn eine Einigung nicht gelingt und das zweite Strukturprinzip demokratischer Willensentscheidung - die Mehrheitsentscheidung - auf den Plan tritt. Die Konfliktlösung durch die Abstimmung der berufenen Entscheidungsträger vermag nur dann eine vernunftgeprägte Lösung darzustellen, wenn zuvor jeder im Ergebnis Betrof­ fene die Gelegenheit gehabt hat, seine Argumente in den Fluß der öffentli­ chen Meinungsbildung einzubringen. Angesichts der Bedeutung die der Rundfunk für das Werden und Sein der heutigen "Fernsehdemokratie" 244 einnimmt, kommt der Sicherstellung der Meinungsvielfalt in diesem Medium eine existentielle Bedeutung für die betreffende Staatsform zu. Das ergibt sich gleichermaßen aus dem in Art. 38 GG fixierten Instrument der unmittelbaren Partizipation des Staatsbürgers an der politischen Wil­ lensbildung, der Wahl. Dieses wichtigste politische Aktionsrecht des Bürgers kann nur dann sinnvoll und wahrhaftig "frei" im Sinne von Art. 38 Abs. 1 GG ausgeübt werden, wenn der Austausch aller Gedanken zuvor ungehemmt 242

Konrad Hesse, Rn. 141. Zu Recht bezeichnet daher Delbrück den Informationspluralismus als .konstitutives Element der Kultur westlich-demokratischer Staaten", ders. , Informationspluralismus, 186. 244 Begriff von Noe/le-Neumann, Fernsehdemokratie. 243

E. Die staatstheoretische Funktion der Meinungsvielfalt

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möglich ist und alle divergierenden Anschauungen über den besten Weg für das Gemeinwohl die Zugangschance zu ihren Mitmenschen gehabt haben. Darüber hinaus gehört der Schutz der Minderheit als Legitimation der Herrschaft der Mehrheit unabdingbar zur demokratischen Ordnung.245 Die Minderheit muß die Chance haben, dereinst durch Überzeugungsarbeit Mehrheit zu werden. 246 Aus diesem Grunde ist ihrer Ansicht unter den Bedingungen der hochtechnisierten Industriegesellschaft auch Zugang zu den Inhalten der Rundfunkprogramme zu gewähren. Eine einseitige Beherr­ schung dieser Medien wäre mit dem demokratischen Ansatz des Minderhei­ tenschutzes nicht zu vereinen. Die demokratische Ordnung wird letztlich charakterisiert durch die Frei­ heit und Offenheit des politischen Prozesses. 24 7 Auch in dieser generalisie­ renden Strukturbeschreibung erweist sich wieder, daß der ungehinderte Kommunikationsfluß und die stete Bereitschaft zur geistig-politischen Aus­ einandersetzung mit den Thesen Andersdenkender ein Stützpfeiler des de­ mokratischen Systems sind und auch unter diesem Gesichtspunkt das Ord­ nungsprinzip ohne die Rundfunkvielfalt nicht mehr gedacht werden kann, V. Geistesfreiheit im Parlamentarischen Rat

Neben den staatstheoretischen Grundlagen der Meinungsvielfalt gilt es auch die besondere historisch bedingte Komponente dieses kommunikati­ ven Ordnungsmodells herauszuarbeiten. Warum hat die Geistesfreiheit als deren integraler Bestandteil die Rundfunkvielfalt nach dem bisher Gesag­ ten zu verstehen ist - gerde unter dem Grundgesetz einen überragenden Stellenwert? Hier müssen die staatstheoretischen Überlegungen zur Rundfunkorganisation in unmittelbaren Bezug zu den geschichtlichen Er­ fahrungen der Schöpfer der Verfassung gesetzt sowie deren Vorstellungen von der Rolle der Freiheit des Denkens und der Kommunikation in der Bundesrepublik ergründet werden. Dabei ist der Blick nicht nur auf die Rundfunkfreiheit zu richten, sondern auch auf die anderen in Art. 5 Abs. l GG enthaltenen kommunikativen Garantien. Denn sie alle dienen gleicher­ maßen der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungbil­ dung in einem umfassenden, das heißt nicht bloß auf politische Ansichten, sondern jede Art von Information und Meinung bezogenen Sinne. 248 Den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates ging es nach der Erfahrung der totalen Beherrschung der Massenmedien durch den Nationalsozialis245 246 247 248

Konrad Hesse, Rn. 155 ff.; Bullinger, Freedom, 94. Bullinger, Freedom, 94. Konrad Hesse, Rn. 159 ff.; Stern, Staatsrecht, 6 1 5 ff. BVerfGE 57, 295 (319).

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

mus249 darum, an die liberalen Traditionen der deutschen Presse und des Rundfunks anzuknüpfen. 250 So fand sich bereits in § 143 der Paulskirchen­ verfassung von 1849 ein Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit25 1 und auch Art. 1 18 der Weimarer Reichsverfassung räumte selbigen Gewährlei­ stungen Verfassungsrang ein. Bereits diesen frühen bürgerlichen Freiheits­ verbürgungen lag nicht nur eine individualrechtliche Vorstellung der Persön­ lichkeitsverwirklichung zugrunde, sondern das Konzept der Kommuni­ kation als eines zentralen Bestandteils des politischen Prozesses in einem freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesen. Dieser doppelte Sinnge­ halt der Geistesfreiheit geht in seinen Ursprüngen bis in das 18. Jahrhundert zurück. 252 Dasselbe Gedankengut spiegelt sich deutlich in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates wider. Paradigmatisch erscheint der Diskussions­ beitrag des Abgeordneten Löwenthal, 253 der die Freiheit zur Verbreitung von Nachrichten und Kommentaren - die Publikationsfreiheit - als „für die Demokratie unverzichtbar" gekennzeichnet hat. Die historisch-genetische Betrachtung der Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG bestätigt nach allem, daß die Rundfunkfreiheit vor dem staatstheoretishen Hinter­ grund der demokratischen Ordnung auszulegen ist, die in ihrer heutigen Form ganz wesentlich durch das Bild einer pluralistischen Gesellschaft ge­ prägt wird und sich durch das Weimarer Erbe der Staatsrechtslehre Rudolf Smends trefflich deuten läßt. Auch die Schöpfer des Grundgesetzes sahen die Freiheit der Kommunikation als zentralen Bestandteil des politischen Pro­ zesses, der das Staatsleben wesentlich ausmacht.

F. Resümee: Meinungsvielfalt als Prozeß 1. Die bisherigen Betrachtungen über die Behandlung des Begriffs „Mei­ nungsvielfalt" in der Verfassungsrechtsprechung und im Schrifttum sowie die Fundierung durch Staatstheorie und Sozialforschung erlauben es, erste Zwi­ schenergebnisse zusammenzufassen und die Stellung des Begriffs im Verfas­ sungsganzen sowie seinen Inhalt näher zu präzisieren. Von der Seite der Staatslehre her, hat sich die Meinungsvielfalt im Rund­ funk zunächst als ein unerläßlicher Bestandteil eines pluralistisch geordneten Gemeinwesens erwiesen, da nur so die angemessene Gruppenpartizipation im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung gewährleistet werden kann. 249 250 251 252 253

Siehe dazu eingehend oben Teil 2, A. II. 2. Hoffmann-Riem, in: Alternativ-Kommentar, Art. 5 Rn. 6. Textabdruck bei Huber, 3 1 9. Schneider, 168. JöR N. F. 1 (195 1 ), 88.

F. Resümee: Meinungsvielfalt als Prozeß

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Ebenso erweist sich die Meinungsvielfalt als unverzichtbare Ausformung des demokratischen Prinzips für die Ordnung des Rundfunks. Darüber hinaus kann sie nicht hinweggedacht werden, ohne daß die integrierende Wirkung des Rundfunks für das Staatsganze entfallen würde. Nach allem findet die Meinungsvielfalt in den allgemeinen Grundzügen der Staatslehre eine nach­ haltige theoretische Fundierung. Die Betrachtung der Staatstheorie hat ge­ zeigt, daß die Erhaltung der Meinungsvielfalt im Rundfunk ein zwingendes Gebot ist. II. Zu dem gleichen Ergebnis hat des weiteren die nähere Beleuchtung der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung ge­ führt. Zwar mag unter den betreffenden Wissenschaftlern streitig bleiben, ob das Fernsehen schon allgemeine Wahlen entschieden hat beziehungsweise ob es dies zumindest tun könnte. 254 Nichtdestoweniger ist deutlich geworden, daß insbesondere das Fernsehen nachhaltigen Einfluß sowohl auf Einzel­ menschen haben kann wie auch auf soziale Verbände. Die elektronischen Massenmedien verbinden das gesamte Staatsvolk ohne zeitliche Verzögerung zu einem kommunikativ vereinten Ganzen. Die Manipulationsmöglichkei­ ten, die sich hieraus ergeben können, hat die deutsche Geschichte eindrucks­ voll gezeigt. 255 Doch auch im demokratischen Staat erwüchsen kaum abzu­ schätzende Gefahren, wenn diese Massenmedien einzelnen Personen oder Gruppen unkontrolliert zur Verfügung stünden. Die Forumsfunktion dieser Medien, die allein eine gleichzeitige Beeinflussung aller Einzelmenschen in einer hochkomplexen Industriegesellschaft ermöglichen, läßt sie zu einem einzigartigen "Faktor" 25 6 im politischen Prozeß werden. Die nachgewiesenen Verhaltensbeeinflussungen bei Kindern und die Indi­ zien für das spezifisch veränderte Weltbild von Vielsehern bestätigen eben­ falls die Annahme, daß es sich beim Rundfunk um ein Medium von einzigar­ tiger Wirkkraft handelt. Die Zusammenschau dieser sozialwissenschaft­ lichen Erkenntnisse spricht ebenso nachdrücklich wie die Betrachtung der Staatstheorie dafür, daß die Erhaltung der Meinungsvielfalt im Rundfunk sicherzustellen ist. III. Nun fällt es den Verfassungsexegeten im allgemeinen nicht schwer, sich auf einen so abstrakten Begriff wie Meinungsvielfalt zu verständigen. Von besonderer Bedeutung ist hingegen die Auffüllung dieses Wortes durch in­ haltliche Kriterien. Als Ausgangspunkt kann insoweit die erste, noch recht vage Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im dritten Fernsehurteil dienen, in der es heißt, es bedürfe einer positiven Ordnung, welche sicherstel­ len solle, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck finde und daß auf diese 254 Siehe dazu ausführlich oben Teil 3, D. III. 255 Zum Rundfunk im Nationalsozialismus siehe oben Teil 2, A. II. 2. 256 So BVerfGE 12, 205 (260) und ständige Rechtsprechung.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

Weise umfassende Information geboten werde. 2 5 7 Der Satz ist im Zusam­ menhang mit den weiteren Äußerungen des Gerichts zu sehen, daß sich Meinungsvielfalt auf das Gesamtangebot der inländischen Programme be­ zieht258 und daß sie nicht nur politische Ansichten umfaßt, sondern die gesamte kulturelle Vielfalt der verschiedenen Strömungen in der Bundesre­ publik widerzuspiegeln hat. 2 59 Diese Postulate finden ihre innere Rechtfertigung in der Einsicht in die weitreichenden Einflußmöglichkeiten der elektronischen Massenmedien sowie vor allem in die integrierende Wirkung des Rundfunks für das Staats­ ganze. Das überragend bedeutsame Medium Rundfunk muß als Forum allen partizipationsbereiten Gruppen und Meinungen in der pluralistisch struk­ turierten demokratischen Ordnung zur Verfügung stehen, um den offenen politischen Prozeß zu gewährleisten. Zugleich wird die integrierende Funk­ tion für das gesamte Staatswesen nur dann zufriedenstellend erfüllt, wenn auch die gesamte kulturelle Spannweite der Gesellschaft wiedergegeben wird und so die einheitsstiftenden Gemeinsamkeiten der einzelnen Staatsbürger im öffentlichen Leben zum Ausdruck gelangen. So gesehen wird auch die kulturelle Komponente ein wesentlicher Bestandteil des umgreifenden staat­ lichen Integrationsvorganges. Nun fragt es sich jedoch weiterhin, wie denn zu messen ist, ob wirklich alle in der Gesellschaft vertretenen Meinungen und Kräften im Gesamtprogram angemessen zum Ausdruck gelangen und ob nicht wegen der praktischen Unlösbarkeit einer solchen Aufgabe das gesamte Konzept der Meinungsviel­ falt auf tönernen Füßen steht. Diesem Einwand gilt es jedoch entgegenzuhal­ ten, daß ein rein statisch angelegtes Verständnis der Meinungsvielfalt verfehlt wäre und seine Aufgabe nicht erfüllen könnte. Zwar mag es rein theoretisch denkbar sein, eine logische Sekunde lang sich ein Abbild des kulturellen und politischen Spektrums der Gesellschaft vorzustellen und alsdann zu fragen, ob dieses adäquat im Gesamtprogramm der Rundfunkbetriebe reflektiert wurde. Eine solche Betrachtung würde jedoch dem dynamischen Charakter des politischen und kulturellen Lebens in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes in keiner Weise gerecht werden. Dies klingt auch in der Rechtsprechung an, wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, Meinungsviel­ falt sei stets ein „Zielwert" ,260 der sich „nicht als meßbare, exakt zu bestim­ mende Größe" 261 verstehen lasse. Die Betrachtung des Integrationsvorganges des politischen und kulturellen Lebens in einer pluralistischen Demokratie zeigt vielmehr, daß die Mei­ m BVerfGE 57, 295 (323). 25 8 BVerfGE 57, 295. 259 BVerfGE 73, 1 1 8 (155). 260 BVerfGE 73, 1 1 8 (156). 26 1 BVerfGE 73, 1 1 8 (159).

F. Resümee: Meinungsvielfalt als Prozeß

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nungsbildung ein steter Prozeß ist. In diesem dynamischen, niemals still­ stehenden Vorgang sind ständig manche politische Auffassungen im Vordringen begriffen, während andere zurückgehen oder sich neu bilden. Und schon in Kürze mögen neue tatsächliche Herausforderungen oder über­ zeugende Argumente auf den Plan treten, die ihrerseits das Parallelogramm der Kräfte verschieben. Gleiches gilt für die Akzeptanz und Hervorbringung kulturellen Schaffens. In diesem unaufhörlichen Prozeß des öffentlichen Lebens verwirklicht sich Meinungsvielfalt. Von daher muß auch ihre Wie­ dergabe im Rundfunk definiert werden: 262 Auch dort ist Meinungsvielfalt keine statische Größe, sondern selbst ein Prozeß - ebensosehr ein lebendiges Ganzes wie die Staatshervorbringung durch die Gemeinschaft der Indivi­ duen, deren unterschiedliche Anschauungen sich im Gesamtprogramm des Rundfunks erkennen lassen sollen. Von dieser Einsicht in die Prozeßhaftigkeit, Dynamik und daher fehlende abschließende inhaltliche Definierbarkeit des Konzepts der Meinungsvielfalt ergeben sich auch die erheblichen praktischen Probleme für den Gesetzgeber. Meinungsvielfalt im Rundfunk ist ein stetiger Verlauf und ein entwickhings­ offenes System. Aus diesem Grunde ist es unmöglich, etwa durch prozentuale Verteilung von Sendezeiten an verschiedene Verbände, ihre Pluralität zu garantieren. Demgemäß bietet sich vielmehr ihre Absicherung durch Verfah­ ren an, indem einem staatsunabhängigen Gremium repräsentativ ausgewähl­ ter gesellschaftlicher Vertreter, in deren Ethos öffentliches Vertrauen besteht, die - ihrer Natur nach unvertretbare - Entscheidung darüber zugewiesen wird, ob das Gesamtangebot der inländischen Rundfunkprogramme der vorhandenen Vielfalt der Meinungen im wesentlichen entspricht. Nach allem muß die Wiedergabe der Meinungsvielfalt im Rundfunk - bei allem Streben des Gesetzgebers und der Kontrollgremien nach Perfektion - prinzipiell ein in sich unvollkommener Annäherungsversuch bleiben. IV. Aus dem so bestimmten Wesen der Meinungsvielfalt im Rundfunk lassen sich weitergehende, praktische Schlußfolgerungen für ihre Umsetzung in die Realität der Rundfunkorganisation und -verwaltung ziehen.

1. Zunächst gilt es festzuhalten, daß die Meinungsvielfalt im Rundfunk aufgrund ihrer staatstheoretischen Bedeutung als effektive Vielfalt verstan­ den werden muß. 26 3 Es genügt nicht, daß Meinungsvielfalt nur den theoreti­ schen Anspruch des Gesetzes darstellt, während die sich tatsächlich nach diesen Normen ergebende Rechtspraxis unbeachtlich wäre. Für die Erfüllung der integrierenden Funktion des Rundfunks im Staatsganzen kommt es ebenso wie für seine Mittierrolle im demokratischen Prozeß in erster Linie 262 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Häher/es These von der Verfassung als Prozeß, als eines Musterbeispiels für .law in public action" (ders., Zeit, 1 16). 263 Zu diesem Gedanken vergleiche bereits oben die Ausführungen zu Lerche Teil 3,

C. III.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

darauf an, wie die Realität des Medieninhalts aussieht und welche Rückwir­ kungen sich hieraus auf die Wirklichkeit des Verfassungs- und Geisteslebens im Staate ergeben. Bestätigt wird diese Ausrichtung des Konzepts der Mei­ nungsvielfalt am Maßstab der Effektivität neuerdings auch wieder durch die Entscheidungsgründe der fünften Fernsehentscheidung. 264 Dort hält das Ge­ richt die bloße Verpflichtung eines im übrigen nicht weiter kontrollierten privaten Veranstalters zur Einrichtung eines offenen Kanals zugunsten sonst nicht berücksichtigter Meinungsrichtungen für untauglich, die Meinungs­ vielfalt zu sichern. 265 Es argumentiert, die Verpflichtung bedeute noch nicht, daß diese Meinungsrichtungen dann auch tatsächlich in dem Programm vertreten würden, vollends nicht, daß die ganze Vielfalt der in der Region oder am Ort bestehenden Meinungen in möglichster Breite und Vollständig­ keit Ausdruck finde. Insgesamt ist das Konzept der Meinungsvielfalt also am Prinzip der Effek­ tivität zu orientieren. Dem Gedanken der Effektivität entspricht es auch, wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem vierten Fernsehurteil aner­ kennt, daß die Anforderungen an die privaten Veranstalter in puncto Mei­ nungsvielfalt relativiert werden können, solange die Grundversorgung der Rundfunkteilnehmer durch das öffentlich-rechtliche System garantiert ist. 266 Dem Effektivitätsprinzip würde das Gericht insoweit aber erst in vollem Maße gerecht, wenn es hier offen die Möglichkeit einer Kompensation auch zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern anerkennen würde. Erst dieser Schritt wäre die gedankliche Konsequenz aus dem Abstel­ len auf das Gesamtprogramm und die Effektivität. Insoweit ist das Gericht auf halbem Wege stehengeblieben. Selbst bei Anerkennung einer echten Kompensation wäre jedoch zum Erhalt der Vielfalt insgesamt, den Privaten der Grundstandard der Pluralität aufzuerlegen. Dem betreffenden Ergebnis des Gerichts kann daher zugestimmt werden. 2. Es entspricht nicht nur der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts, sondern auch der oben267 herausgearbeiteten Prozeßhaftigkeit der Meinungsvielfalt, daß diese durch organisatorische Maßnahmen abzusi­ chern ist. Insoweit bieten sich zwei theoretische Lösungsmöglichkeiten an: Zum einen das Modell des Binnenpluralismus, das in seiner ursprünglichen Form in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Ausdruck ge­ kommen ist, und das in jedem Vollprogramm inhaltlich ausgewogen sowie vielfältig ist; die Einhaltung dieser Inhaltsprinzipien wird in der Regel durch interne Kontrollgremien überwacht, die mit Vertretern der relevanten gesell­ schaftlichen Gruppen und Kräfte besetzt sind. Die Überwachung durch ein 264 Zu diesem Urteil siehe oben Teil 3, B. 265 BVerfGE EuGRZ 1987, 269 = DVBI. 1987, 838. 266 Siehe oben Teil 3, B. 267 Vergleiche hierzu oben Teil 3, F.

F. Resümee: Meinungsvielfalt als Prozeß

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internes Organ entspringt jedoch nicht denknotwendig dem Wesen der Mei­ nungsvielfalt. Dieses läßt ebensogut inhaltlich binnenplurale Programme zu, deren Vielfalt von staatsfreien externen Aufsichtsgremien inspiziert wird. Zum anderen bietet sich als theoretisches Gegenmodell der Außenplura­ lismus an, bei dem das einzelne Programm für sich betrachtet Tendenzfrei­ heit genießt, jedoch in der Summe des Gesamtprogrammangebots wiederum die Vielfalt der Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit Aus­ druck findet. Die Legislative kann auch Mischmodelle zulassen, solange das Gesamt­ programm den Anforderungen der Meinungsvielfalt gerecht wird. 3. Im Rahmen dieser organisatorischen Überlegungen fragt es sich, ob der Gesetzgeber Ermessen bei der Wahl der Modelle genießt oder ob in dem Zeitpunkt, zu dem ein Überfluß an Übertragungsmöglichkeiten besteht, nur noch das Modell des Außenpluralismus der Rundfunkfreiheit des privaten Veranstalters gerecht wird. Diese Auffassung hat vor allem Herzog268 vertre­ ten. Er argumentiert, spätestens dann, wenn ein relevanter Teil eines Landes mit Glasfaser „ verkabelt" sei, und infolgedessen eine fast unbegrenzte Menge von Übertragungsmöglichkeiten bestehe, gebe es keinen sachlichen Grund mehr für eine staatliche Bewirtschaftung der Ressource. Spätestens in diesem Augenblick habe jeder potentielle Betreiber - selbstverständlich innerhalb gewisser, gesetzlich festzulegender Kautelen - einen Anspruch auf Zulas­ sung zum Rundfunk und zugleich einen Anspruch auf Zuteilung einer ent­ sprechenden Übertragungskapazität. In diesem Augenblick sei folgerichtig auch nur noch das außenpluralistische Modell mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG vereinbar. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem dritten Fern­ sehurteil dem Landesgesetzgeber die Organisationsmodelle des Binnen- und Außenpluralismus zwecks Sicherstellung der Meinungsvielfalt zur freien Wahl gegenübergestellt. 2 69 Einen Vorrang für eines der beiden Modelle hat es nicht ausgesprochen. Die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts kann auch überzeugen. Sie beruht zunächst einmal auf der grundlegenden Einsicht, daß die Sicherung der Meinungsvielfalt das überragende Leitmotiv bei der Auslegung der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG darstellt. Die Meinungsvielfalt ist für die demokratische Ordnung schlechthin konstitutiv und das herkömmli­ che System des Binnenpluralismus im Rundfunk hat - trotz aller Mängel und Kritik in seiner praktischen Umsetzung - in der bisherigen Geschichte 268 Hierzu und zum folgenden ders. , in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 236; dieselbe Ansicht vertritt auch die Bundesregierung, siehe dazu Seemann, Rundfunkurteil, 136. 269 BVerfGE 57, 295 (325).

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

der Bundesrepublik doch ein allgemein akzeptiertes Mindestmaß an Erfolg auf diesem Gebiet vorzuweisen. Stellt man das in Rechnung und berücksich­ tigt man zudem die überragende Bedeutung der betroffenen Verfassungsgü­ ter, so sollte es dem zur Entscheidung berufenen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt werden, sich auf dem Wege zu neuen Organisa­ tionsformen, mit denen in Deutschland noch keine praktischen Erfahrungen vorliegen, eher behutsam vorzubewegen. Angesichts des ausgesprochen dürftigen Wortlauts der Verfassung in die­ ser Frage, erscheint es angezeigt, daß der Interpret sich insoweit ein gerüttelt Maß an self-restraint210 auferlegt. Der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber sollte durchaus einen gewissen Handlungsspielraum behalten, um auf praktische Erfahrungen mit der neuen Medienrealität flexibel reagie­ ren zu können. Schließlich wirkt auch Herzogs Folgerung vom Zulassungsanspruch pri­ vater Unternehmen zum Rundfunk auf die ausschließliche Rechtmäßigkeit einer außenpluralistischen Organisation alles andere als zwingend. An dieser Stelle gilt es gerade einen angemessenen Ausgleich zwischen individualrecht­ lichen und institutionellen Elementen des Grundrechts der Rundfunkfreiheit zu finden. 27 1 Herzog selbst weist daraufhin, daß der Zulassungsanspruch des privaten Rundfunkunternehmers nur unter gewissen gesetzlichen Kautelen bestehen könne. Da im Kern des Zwecks dieser Gesetze gerade die Mei­ nungsvielfalt steht, die auch durch das Denkmodell des Binnenpluralismus abgesichert werden kann, ist der Schluß vom grundrechtlichen Zulassungs­ anspruch auf das Organisationsmuster des Außenpluralismus keinesfalls allein möglich. Nach allem ist dem Gesetzgeber also im Rahmen der Zulas­ sung privaten Rundfunks die Wahl zwischen Binnen- und Außenpluralismus freizustellen. 4. Als weiteres wesentliches Element des Verfassungsprinzips der Mei­ nungsvielfalt im Rundfunk ist ferner die Verhinderung einseitiger, überwälti­ gender Meinungsmacht bei der Zulassung privater Veranstalter festzuhal­ ten. 272 Hieraus ergeben sich grundsätzlich zwei Verpflichtungen für den Gesetzgeber. Zum einen gilt es sicherzustellen, daß - was insbesondere in der Start­ phase privaten Rundfunks denkbar ist - nicht ein einziger Veranstalter allein den Inhalt des gesamten privaten Rundfunkangebots kontrolliert. Dies wäre mit dem Zielwert der " Vielfalt" nicht mehr zu vereinbaren. Nimmt ein 270 Zu Sinn und Zweck dieser selbstauferlegten Zurückhaltung siehe ausführlich oben Teil 3, A. III. und IV. 2 7 1 Zu der dogmatischen Problematik, ob die Rundfunkfreiheit beide Elemente enthält und in welchem Verhältnis diese stehen, siehe bereits den Streitstand und die Stellung­ nahme oben Teil 2, C. II. 2 72 BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 60).

F. Resümee: Meinungsvielfalt als Prozeß

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einzelner Sender zunächst privaten Rundfunk auf, so erscheint die Lösung des Bundesverfassungsgerichts als angemessene Vielfaltssicherung, entweder auf einer Veranstaltergemeinschaft zu bestehen, in der kein einzelnes Mit­ glied allein die Mehrheit besitzt oder aber dem betreffenden Veranstalter einen mit effektiven Befugnisen ausgestatteten, pluralistisch besetzten Pro­ grammbeirat zuzuordnen. Zum anderen ist ein besonderes Augenmerk auf die intermediale Verflech­ tung zu legen, weil der Rezipient von Informationen auf den ersten Blick davon ausgeht, daß Nachrichten, die er aus dem Rundfunk bezieht, nicht von demselben Verantwortlichen stammen wie die einschlägigen Zeitungen. Wer immer daher in einer relevanten örtlichen Einheit - etwa einem Kreis, einer Großstadt oder gar einem Bundesland - bereits in der Presse eine beherr­ schende Stellung einnimmt, dem darf nicht auch noch einseitiger Einfluß auf den Rundfunk gewährt werden. 27 3 Anderenfalls würde die Rolle der gesell­ schaftlichen Kommunikation in der demokratischen Staatsordnung ihres Sinnes beraubt. In welcher Weise dieses Verfassungsgebot einfachgesetzlich umzusetzen ist, darauf wird bei der Behandlung der aktuellen Landesrund­ funkgesetze noch einzugehen sein. Da Pressemonopole auf Landesebene derzeit noch nicht ersichtlich sind, hat das Bundesverfassungsgericht entsprechende Postulate an die Legislative bisher zu Recht auf lokale und regionale „Doppelmonopole" beschränkt. 274 V. Die aktuelle Situation der Sicherung der Meinungsvielfalt und der Verwaltung von Radio und Fernsehen läßt sich durchaus in Einklang mit der Teminologie des Bundesverfassungsgerichts als „duale Rundfunkord­ nung" 2 75 charakterisieren. Auch die neuere Konzeption der Sicherung der Meinungsvielfalt, wie sie im vierten Fernsehurteil zum Ausdruck gelangt ist, verdient Beifall. Ihre Bemühung um praktikable Lösungen trägt der Einsicht Rechnung, daß die Umsetzung des als verfassungsrechtlich zulässig erkann­ ten privaten Rundfunks in der Praxis vereitelt werden könnte, zöge man die theoretisch sehr klaren Maßstäbe des dritten Fernsehurteils heran und legte sie besonders streng aus. Eine solche faktische Vereitelung privaten Rund­ funks durch Anlegen schärfster Maßstäbe an die Sicherheit der Einzielung effektiver Vielfalt würde dem individualrechtlichen Gehalt der Rundfunk­ freitheit jedoch nicht mehr gerecht. Da Privatfunk grundsätzlich verfas­ sungsrechtlich zulässig ist, muß sein Start auch praktisch durchführbar blei­ ben. Demgemäß ist die neue Linie des Gerichts, den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Grundversorgung zuzuweisen, während den Privaten zumin273 Siehe dazu den Ansatz des Bundesverfassungsgerichts zu den sogenannten "Dop­ pelmonopolen", BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 77); Frank, 106 ff. erhebt die Forderung nach neuen Normen des Kartellrechts. 214 BVerfGE a.a.O. 215 BVerfGE 73, 1 1 8.

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3. Teil: Vom Inhalt der Meinungsvielfalt

dest ein Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt auferlegt wird, ein gang­ barer und praktikabler Weg. Nun hat die duale Rundfunkordnung jedoch nicht per se Ewigkeitswert, sondern auch sie ist im Sinne des Zieles der Verwirklichung der Rundfunk­ freiheit wandelbar. Daher enthält diese Rechtsprechung nicht - wie anfangs gelegentlich angenommen276 - eine verfassungskräftige Bestandsgarantie für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Dem Gesetzgeber kann insoweit nicht jedwede Perspektive der Zukunftsgestaltung entzogen werden. Dies hat das Gericht jüngst auch in der fünften Fernsehentscheidung klarge­ stellt, indem es die duale Rundfunkordnung als das System für die „nähere Zukunft" 277 beschrieb. Die aktuelle Diskussion beschäftigt sich nun vielfach mit der Frage wie denn die „Grundversorgung" zu definieren sei, die den öffentlich-rechtlichen Anstalten derzeitig nicht entzogen werden darf und für die sie angemessen finanziell auszustatten sind. Hier hat das Gericht drei wesentliche Elemente genannt: eine Übertragungstechnik, die alle Bürger erreicht; den klassischen inhaltlichen Auftrag des Rundfunks von Information, Unterhaltung und Kultur; sowie schließlich die wirksame Sicherung der gleichgewichtigen Viel­ falt. 21s Von einem so verstandenen Fundament der Rundfunkgrundversorgung kann das Experiment mit den neuen privaten Veranstaltern gewagt werden. Nach der Konkretisierung des Verfassungsrahmens für die Gestaltung und Verwaltung des Rundfunks in der Bundesrepublik können die heute entwor­ fenen Organisationsmuster und ihre gesetzlichen Grundlagen der Betrach­ tung im Detail unterzogen werden. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die neu erlassenen Privatrundfunkgesetze dem Maßstab der Meinungsvielfalt, wie er zuvor entwickelt wurde, gerecht wer­ den.

276 277 278

Siehe zu dieser Frage schon oben ausführlicher Teil 3, B. BVerfGE EuGRZ 1 987, 268 = DVBI. 1987, 836. BVerfGE EuGRZ 1987, 268 = DVBI. 1987, 836.

Teil 4: Analyse der Organisationsmodelle A. Das Modell des Binnenpluralismus I. Begriffliches: Binnenpluralismus als Programm­ und Organisationskonzept Die organisatorische Absicherung der Meinungsvielfalt ist in der Bundes­ republik herkömmlich mit der Existenz der öffentlich-rechtlichen Rund­ funkanstalten assoziiert worden. Deren Aufbau und Programmgestaltung wird normalerweise als „binnenpluralistisch" bezeichnet. Die genauere Be­ schäftigung mit dem Modell des Binnenpluralismus als Vielfaltsgarantie bedarf jedoch zunächst einer begrifflichen Klärung, weil dieses Wort in den letzten Jahren im Gebrauch seine Bedeutung zunehmend erweitert hat. Ein Musterbeispiel für seine ursprüngliche Verwendung findet sich noch im dritten Fernsehurteil, wenn es dort heißt, der Gesetzgeber könne sich für eine ,,binnenpluralistische" Struktur der Veranstalter entscheiden, also eine Or­ ganisation, bei welcher der Einfluß der in Betracht kommenden Kräfte intern, durch Organe der jeweiligen Veranstalter vermittelt werde. 1 Eine erweiternde Benutzung des Wortes Binnenpluralismus ist dann zum Beispiel in der fünften Fernsehentscheidung zu vermerken. 2 Dort wird aus­ drücklich unterschieden zwischen dem Erfordernis inhaltlicher Binnenplura­ lität und dem Verlangen nach organisatorischer Binnenpluralität. Das bin­ nenpluralistische Modell läßt sich also zum einen als Inhaltsmaßstab verstehen, der die Pflicht zur Ausgewogenheit und Meinungsvielfalt in dem Programm eines Veranstalters umfaßt. Dieses Modell läßt sich jedoch auch weitergehend als Organisationsschema für einen Rundfunkveranstalter auf­ fassen, das nur dann verwirklicht ist, wenn die Pflicht zu inhaltlicher Vielfalt durch veranstalterinteme Gremien überprüft wird. Der Begriff Binnenplura­ lismus beinhaltet also nach neuerem Sprachgebrauch sowohl ein Programm­ inhaltsmodell als auch ein kombiniertes Inhalt-s- und Veranstalterorganisa­ tionsmodell. Im Folgenden soll der Begriff in diesem weiteren, beide Varianten umfassenden Sinne verwendet werden. 1 BVerfGE 57, 295 (325). BVerfG EuGRZ 1987, 269 = DVBI. 1987, 837.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

II. Eignung für private und öffentlich-rechtliche Betreiber

Das Modell des Binnenpluralismus wird üblicherwiese aufgrund seiner geschichtlichen Gewachsenheit mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkan­ stalten der Bundesrepublik in Verbindung gebracht. 3 Sie sind zu inhaltlicher Ausgewogenheit und Vielfalt kraft der ihrer Existenz zugrundeliegenden Organisationsgesetze und Staatsverträge verpflichtet. 4 Die Einhaltung dieser Pflichten wird durch die internen Gremien der Rundfunk- und Verwaltungs­ räte kontrolliert, die mit den Vertretern der gesellschaftlich relevanten Grup­ pen und Kräfte besetzt sind. 5 Dies macht sie zum Idealtypus der Theorie der Vielfaltsgarantie durch binnenpluralistische Organisation. Trotz der alther­ gebrachten Organisation darf jedoch nicht übersehen werden, daß dasselbe Denkmodell ebensogut für die Struktur eines privatrechtlich organisierten Rundfunkveranstalters nutzbar gemacht werden kann (so schon das erste Fernsehurteil). 6 Auch ein Privater kann zu inhaltlicher Vielfalt verpflichtet werden, deren Effektuierung entweder durch interne oder durch externe Kontrollgremien gesichert werden kann. Die Besetzung dieser Gremien würde wiederum gemäß dem Prinzip der Repräsentation der relevanten gesellschaftlichen Gruppe und Kräfte erfolgen. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß das Modell des Binnenpluralismus sowohl für private als auch für öffentlich-rechtliche Betreiber als Organisationsmuster geeignet ist. 3 Die Betrachtung bezieht sich auf die Rundfunkanstalten der Länder und klammert die Sender des Bundes (Deutschlandfunk, Deutsche Welle) aus, weil letztere zum einen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Bundesrecht und ihrer teilweisen Ausrichtung auf das Ausland Besonderheiten aufweisen und zum anderen in der Diskussion um die Einführung der dualen Rundfunkordnung mangels direkter privatrechtlicher Konkurrenten keine zentrale Rolle gespielt haben. 4 Zu den Programmgrundsätzen vergleiche Art. 4 Bayerisches Rundfunkgesetz i. d. F. d. Bek. v. 26. September 1973; § 3 des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk vom 2. Oktober 1 948; §§ 6, 7 des Staatsvertrages über den Norddeutschen Rundfunk von 1980; § 2 des Gesetzes über Radio Bremen vom 18. Juni 1979; § § 3-5 des Landesrundfunkgesetzes für das Saarland i. d. F. d. Bek. v. 1 1. August 1987; § 3 der Satzung der Rundfunkanstalt "Sender Freies Berlin" i. d. F. d. Bek. v. 5. Dezember 1974; § 2 der Satzung für den "Süddeutschen Rundfunk" vom 21. November 1970; § 5 des Staatsvertrages über den Südwestfunk vom 19. März 1985; § § 2, 3 des Staatsvertrages über das ZDF v. 6. Juni 1 961. 5 Zu den Kompetenzen und der Zusammensetzung der Verwaltungs- und Rundfunkräte (beim ZDF: Fernsehrat) siehe im einzelnen: Art. 5-1 0 des Bayerischen Rundfunkgesetzes i. d. F. d. Bek. v. 26. September 1 973; § § 4- 1 5 des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk vom 2. Oktober 1 948; § § 1 6-26 des Staatsvertrages über den NDR von 1980; § § 4-1 1 des Gesetzes über "Radio Bremen" v. 18. Juni 1979; § § 1 3-24 des Landesrundfunkgesetzes für das Saarland i. d. F. d. Bek. v. 1 1. August 1 987; § § 6-9 der Satzung der Rundfunkanstalt "Sender Freies Berlin" i. d. F. d. Bek. v. 5. Dezember 1974; § § 3-7 der Satzung für den "Süddeutschen Rundfunk" vom 21. November 1950; § § 8- 1 3 des Staatsvertrages über den Südwestfunk vom 28. August 1 95 1 ; § § 1 3-23 des Gesetzes über den "Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 19. März 1985; § § 12- 1 9 des Staatsvertrages über das ZDF vom 6. Juni 1 96 1 . Eine nähere Darstellung und Analyse der einschlägigen Normen findet sich bei Ricker, Rundfunkräte, 45 ff.

A. Das Modell des Binnenpluralismus

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III. Das Problem der Staatsnähe der öffentlich­ rechtlichen Anstalten

1 . Vom Sinn der Staatsfreiheit Im Rahmen der Analyse des Modells des Binnenpluralismus drängt sich zunächst die Untersuchung der bestehenden öffentlich-rechtlichen Rund­ funkanstalten auf, weil insoweit konkrete historische Erfahrungen in der Bundesrepublik vorliegen. Im Zentrum der Diskussion um diese Einrichtun­ gen hat seit den siebziger Jahren die Frage gestanden, ob ihr Programm die Vielfalt der politischen Auffassungen angemessen widerspiegelt und ob die zur Überwachung dieser Inhalte berufenen Gremien, also die Rundfunk- und Verwaltungsräte, ihre Aufgaben adäquat wahrnehmen. Der Hauptvorwurf ging in der Regel dahin, daß Vertreter staatlicher Stellen und politischer Parteien die Kontrollgremien übermächtigen und einseitig ausgerichtete, ihren Interessen entsprechende Programminhalte herbeiführen oder doch wenigstens zulassen. Das verfassungsrechtliche Hauptbedenken gegen derartige Tendenzen der Besetzung der Kontrollgremien rührt aus dem Prinzip der Staatsfreiheit des Rundfunks her. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Grundsatz schon in seinem ersten FernsehurteiF aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgeleitet. Es führte unter Berufung auf die institutionelle Seite der Rundfunkfreiheit aus, dieses moderne Instrument der Meinungsbildung dürfe weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werden. 8 Allerdings hindere Art. 5 GG nicht, daß auch Vertretern des Staates in den Organen des "neutralisier­ ten" Trägers der Veranstaltungen ein angemessener Teil eingeräumt werde. Dagegen schließe Art. 5 GG aus, daß der Staat unmittelbar oder mittelbar eine Anstalt oder eine Gesellschaft beherrsche, die Rundfunksendungen veranstalte. 9 Diese Prinzipien sind in die ständige Verfassungsrechtsprechung einge­ gangen. Dementsprechend formuliert das zweite Fernsehurteil, das Grund­ gesetz verlange, daß die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Nachrichten und Darbietungen durch den Rundfunk staatsfrei und unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte erfolge. 1 0 Und 1986 betonte das Gericht in seinem vierten Fernsehurteil, das Prinzip der Staatsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. l S. 2 GG schütze nicht nur vor unmittelbaren Einflüssen auf Auswahl, Inhalt und Gestaltung der Programme, sondern ebenso vor einer 6

Siehe dazu im einzelnen oben Teil 2, A.11. 3. c). 7 Siehe dazu im einzelnen oben Teil 2, A. II. 3. c). 8 Siehe BVerfGE 12, 205 (262). 9 BVerfGE 1 2, 205 (263). 10 BVerfGE 3 1 , 3 14 (329).

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

Einflußnahme, welche die Programmfreiheit mittelbar beeinträchtigen könne. 1 1 Geschichtlich gesehen ist der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks eine Antwort auf die nationalsozialistische Ausnutzung dieses Mediums als Propagandainstrument. 12 Die Väter des Grundgesetzes wollten eine einsei­ tige Steuerung des Rundfunks durch die Regierung für alle Zukunft ausge­ schlossen sehen. 1 3 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt dient der Verwirklichung jener Idee. Das Prinzip der Staatsfreiheit des Rundfunks wird denn auch heute im Schrifttum allgemein akzeptiert. 14 Der Vorstoß Bettermanns 1 5 aus den frühen sechziger Jahren, einen unabhängigen Rund­ funk in mittelbarer Staatsverwaltung zu betreiben, fand zu Recht keine Anhängerschaft, weil die praktische Umsetzbarkeit eines solchen Modells zweifelhaft erscheint. 2. Inkompa tibilitäten? Der Grundsatz der Staatsfreiheit kann heute als Blankettformel durchaus dem verfassungsrechtlichen Gemeingut zugerechnet werden. Weniger ein­ deutig erscheint hingegen seine Reichweite im Einzelfall. Vor allem fragt es sich, ob nicht eine puristische Realisierung des Gedankens zu der logischen Konsequenz führen mußte,jegliche Beteiligung von Vertretern der Exekutive und eventuell auch der Legislative in den Kontrollgremien der binnenplurali­ stisch aufgebauten Rundfunkanstalten für unzulässig zu erachten. Diese Schlußfolgerung haben in der Tat einige Autoren im Schrifttum gezogen. 1 6 So meint Starck, parlamentarisch beherrschte oder weitgehend beeinflußte Rundfunkgremien zerstörten das verfassungsrechtliche System von Herr­ schaft und Kritik. 1 7 Das gleiche gelte für die Besetzung der Rundfunkgremien mit Regierungsmitgliedern und weisungsgebundenen Beamten. Er fordert daher, aus Art. 5 GG und dem Demokratieprinzip eine Inkompatibilität zwischen Staatsamt und Mitgliedschaft in einem Rundfunkgremium herzu­ leiten. BVerfGE 73, 1 18 (1 82). Siehe oben Teil 2, II. 3. 13 Jarass, Staat, 1 1 ; zur historisch-genetischen Auslegung des Art. 5 GG siehe auch oben Teil 3, E. V. 14 Siehe Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5 Rn. 2 1 3; von Mango/dt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 79, 86; Jarass, Staat, 1 2; Kewenig, 36; v. Münch, in: GGK, Art. 5 Rn. 34 a; Ossenbühl, Freie Mitarbeit, 1 09 f. ; alle m. w. N. 15 Siehe dazu schon oben Teil 3, C. II. 16 Starck. Rundfunkfreiheit, 42; Schule, 1 10. 17 Starck. Rundfunkfreiheit, 42. 11

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A. Das Modell des Binnenpluralismus

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Zur umfassenden Untermauerung seiner These bezieht er sich auf prakti­ sche Erfahrungen zahlreicher Rundfunkredakteure mit den Versuchen staat­ licher Einflußnahme auf Programminhalte. 1 8 Dort wird unter anderem die Gefahr gesehen, daß in der Besetzung redaktioneller Stellen aller Ebenen, bis hinunter zum letzten Volontär, die Unterwerfung unter eine bestimmte Par­ teilinie zur Voraussetzung für die Förderung gemacht würde. Starck meint, dies treibe die öffentlich-rechtlichen Anstalten aus ihrer Rolle in der Gesell­ schaft heraus und gebe sie in die Verfügbarkeit des Staates. Gegen die These der Inkompatibilität von Staatsamt und Mitgliedschaft im Rundfunkgremium hat sich jedoch das Bundesverfassungsgericht ausge­ sprochen, das stets nur betonte, der Rundfunk dürfe nicht dem Staat ausge­ liefert werden 1 9 und die Vereinbarkeit von Gremiensitz und öffentlichem Amt ausdrücklich bestätigte. 20 In der Tat dürfte Starcks Forderung nach uneingeschränkter Inkompatibi­ lität - so bestechend konsequent sie auf den ersten Blick auch wirken mag ­ im Ergebnis überzogen sein. Der historische Sinn des Gedankens der Staats­ freiheit belegt, daß sie in erster Linie dazu dienen soll, die Bestimmung der Programminhalte durch staatliche Behörden zu verhindern. Diese Pro­ grammfreiheit ist der Kern der Rundfunkfreiheit. 21 Das wesentliche Element der Vermittlungsleistung liegt in der publizistischen Arbeit, die von der Sammlung über die Auswahl und Aufbereitung bis zur Sendung der Inhalte reicht. 22 Diese Phase darf nicht zur Disposition des Staates stehen. Jarass23 hat das mit Recht das Verbot der staatlichen Dominanz von Programminhal­ ten genannt. Der Staat kann aber nur dominieren, wo er ein hohes Maß an prozentualer Beteiligung an den Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten innehat. Das Postulat der völligen Inkompatibilität ist demgegenüber zur Sicherung der Rundfunkfreiheit nicht erforderlich. Ein geringer Anteil von Staatsvertretern kann hingenommen werden. Somit verlagert sich das Problem der Staatsfreiheit auf das zulässige Aus­ maß der Präsenz des Staates in den Kontrollgremien des Rundfunks. Diese Fragestellung zerfällt ihrerseits in zwei Unterpunkte: Zum einen gilt es, Abgrenzungskriterien dafür zu finden, welche Mitglieder der Rundfunk- und Verwaltungsräte dem "Staat" in diesem Sinne zuzurechnen sind. Zum ande­ ren fragt es sich, wie hoch der prozentuale Anteil der so definierten Staatsver­ treter in den Gremien sein darf beziehungsweise, ob sich das überhaupt numerisch festlegen läßt. 18

ders.. 28 ff. 19 BVerfGE 12, 205 (262). 20 BVerfGE 12, 205 (263); 73, 1 1 8 (165). 21 Ossenbühl, Freie Mitarbeit, 109 f. 22 Vgl. näher hierzu Jarass, Staat, 3 1 . 23 Ebenda; ders., Massenmedien, 198 ff. 10 Schuster

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

3. Wer zählt zum Staat? I n den Rundfunk- und Verwaltungsräten wirken eine Vielzahl von Vertre­ tern des öffentlichen Lebens mit. Die Skala reicht von Regierungs- und Parlamentsmitgliedern über Parteienvertreter bis zu Abgesandten der Ge­ meinden und ihrer Spitzenverbände sowie Gerichtspräsidenten, Verordneten der Industrie- und Handelskammern, Universitäten, Landesrechnungshöfe et cetera. Im weitesten Sinne ließen sich alle diese Repräsentanten dem öffentlichen Sektor zurechnen. Es ist jedoch gerade zu prüfen, ob eine derart globale Betrachtung den spezifischen Bedingungen des Staatsbegriffs im Sinne der Freiheit des Rundfunks gerecht würde. a) Einigkeit herrscht zunächst bezüglich der Einordnung der Mitglieder einer Bundes- oder Landesregierung und der ihnen nachgeordneten Verwal­ tungsbeamten. 24 Diese Gruppe steht im Kernbereich der aktiven Handlungs­ fähigkeit des Staates und gerade ihrem Einfluß gilt es - nach dem geschicht­ lichen Herkommen des Prinzips der Staatsfreiheit - den Rundfunk zu entziehen. Regierungs- und Exekutivmitglieder sind daher dem staatlichen Sektor zuzuordnen. b) Auf den ersten Blick scheint sich für die Mitglieder der Legislative dasselbe Ergebnis aufzudrängen. Dementsprechend hat das OVG Lüne­ burg25 formuliert, daß jedenfalls die Mitglieder des Landtages als des bedeu­ tendsten Staatsorgans als Staatsrepräsentanten im Bereich der Rundfunk­ freiheit zu verstehen seien. Gänzlich bedenkenfrei ist diese Betrachtungs­ weise hingegen nicht. So hat etwa Ipsen26 argumentiert, der Abgeordnete sei primär derjenigen gesellschaftlichen Gruppe zuzurechnen, die sich als politi­ sche Partei frei organisiert habe und er sei in dieser Qualität und Zuordnung Repräsentant einer bedeutsamen Gruppe mit „Stellenwert" in der Gesamtge­ sellschaft. Danach wären Parlamentarier im Rahmen der Rundfunkfreiheit der Gesellschaft und nicht dem Staat zuzuordnen. Demgegenüber hat Jarass27 jedoch zu Recht auf den engen funktionellen Zusammenhang zwischen der Regierung und der sie jeweils tragenden par­ lamentarischen Kräfte hingewiesen. Die Parlamentarier der Regierungsfrak­ tionen wählen nicht nur die Spitze der Exekutive, sondern stellen mit dieser auch eine politisch zusammengehörige Wirkungseinheit dar. Ihre Interessen konvergieren, ihre Aktionen ergänzen, stützen und bedingen sich gegenseitig im Verfassungsleben. Die Einflußmöglichkeiten der Regierung auf den Rundfunk sind daher in der Rechtswirklichkeit kombiniert mit denen der Parlamentsmehrheit zu beschreiben. Siehe Kewenig, 35 ff.; Jarass, Staat, 39; Starck, Rundfunkfreiheit, 1 5 ff.; OVG Lüneburg DÖV 1979, 170. 26 lpsen, 42 und 70. 2 1 Jarass, Staat, 40. 24

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Wujka,

98.

A. Das Modell des Binnenpluralismus

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Darüber hinaus hat Kewenig28 belegt, daß der rechtshistorischen Entwick­ lung nach dem zweiten Weltkrieg, die zum vermehrten Zugang von Vertre­ tern der Exekutive und Parlamente in den Kontrollgremien führte, der Grundgedanke innewohnte, mit diesen Gruppen die staatliche Verantwor­ tung für die öffentliche Aufgabe Rundfunk zu steigern. Es entspricht somit auch der gesetzgeberischen Intention, die Parlamentarier in den Rundfunk­ räten dem Staat zuzurechnen. Deutlich wird dies vor allem auch an Art. 6 Abs. 2 des bayerischen Rundfunkgesetzes, in dem es heißt, der Anteil der von der Staatsregierung, dem Landtag und dem Senat in die Kontrollorgane entsandten Vertreter dürfe ein Drittel nicht übersteigen. Dies alles spricht für die Zuordnung der Parlamentarier zum Staat im Rahmen der Rundfunkfreiheit. Bedenken hat allerdings Jarass29 geäußert, soweit es die Oppositionsangehörigen angeht. Er meint, diese Personen setzten auf das Scheitern der Regierung und dürften daher nicht zu der Gubernative als kritischer Einwirkungsinstanz zu zählen sein. Dem ist zuzu­ geben, daß Regierung und Opposition unterschiedliche Interessen verfolgen. Das Konzept der Staatsfreiheit bedarf jedoch zu seiner effektiven Umsetzung gewisser formalisierter Kriterien, die seine Anwendung praktisch handhab­ bar machen. Die Differenzierung zwischen Regierung und Opposition wirft bei Fällen des Parteiwechsels oder neuer Koalitionen erhebliche Unsicherhei­ ten auf. Der hohe Stellenwert, der verfassungsfunktional und rechtshisto­ risch der Staatsfreiheit zukommt, spricht darüber hinaus nachhaltig dafür, den erheblichen Anteil nicht zu vernachlässigen, der auch Mitgliedern der Opposition bei der staatlichen Willensbildung zukommt. Per Saldo sind somit alle Parlamentsangehörigen der Gruppe des Staates zuzurechnen. c) Strittig ist weiterhin, ob die Vertreter der Gemeinden und ihrer Ver­ bände im Rahmen der Rundfunkfreiheit zum Staate gehören. Gelegentlich wird dies verneint unter Hinweis auf die spezifisch kommunalen Interessen dieser Gremienmitglieder. Diese besonderen Interessen seien nicht mit denen der Regierung gleichzusetzen. 30 Andererseits spricht jedoch für die Einbeziehung der Gemeindevertreter in den Staatsbegriff, daß die Kommunen hoheitliche Aufgaben wahrnehmen 2 8 Kewenig, 37 ff.; Jank, Rundfunkanstalten, 24 ff., hat deshalb den ursprünglichen, von den Besatzungsmächten maßgeblich beeinflußten Typ der Rundfunkanstalten als »Plurali­ stisch" bezeichnet, während er die zweite Generation als »staatlich-politisch" charakteri­ siert. Musterbeispiele der zweiten Generation waren ursprünglich der Norddeutsche und der Westdeutsche Rundfunk; dort wurde der staatliche Einfluß jedoch durch den Staats­ vertrag von 1980 beziehungsweise das WDR-Gesetz vom 19. März 1985 wieder reduziert. Als Beispiele für den staatlich-politischen Rundfunkrat können daher heute in erster Linie noch der Deutschlandfunk und die Deutsche Welle fungieren (vgl. Jarass, Rundfunk, Rn. 75-80; Jank, Rundfunkanstalten, 32-36). Auch hier gibt es jedoch derzeit Reformbestre­ bungen. 29 Jarass, Staat, 41. 30 So Jarass, Staat, 42.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

und trotz ihres Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 GG) vom Grundgesetz als Untergliederung der Länder angesprochen werden. 31 Zu dieser Betrachtung neigt auch das Bundesverfassungsgericht in seinem vierten Fernsehurteil, 32 wenngleich in einem etwas anderen Zusammenhang. Es hält dort den gesetz­ lichen Ausschluß der Gemeinden von der Rundfunkveranstaltung unter dem Gesichtspunkt der Staatsferne des Mediums für verfassungsgemäß und er­ klärt, den Gemeinden sei zwar das Selbstverwaltungsrecht gewährleistet, sie seien aber als Träger öffentlicher Gewalt selbst ein Stück Staat. Dies über­ zeugt umso mehr, wenn man bedenkt, daß zwischen Gemeinde- und Regie­ rungsvertretern über das Band gemeinsamer Parteizugehörigkeit schnell eine aktive politische Wirkungseinheit herbeigeführt werden kann. d) Demgegenüber sind Vertreter sonstiger öffentlich-rechtlicher Körper­ schaften wie etwa Industrie- und Handelskammern oder Universitäten trotz ihrer Organisationsform nicht dem Staat zuzurechnen. Entweder sind sie wie Hochschulen und Religionsgesellschaften durch ihre Grundrechte (Art. 5 Abs. 3 GG, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV) von der Regierung hinreichend verselbständigt, oder sie dienen - wie die berufsständischen Kammern - eher der gesellschaftlichen Interessenvertretung als der mittel­ baren Staatsverwaltung. 33 e) In der Regel sind in den Kontrollgremien auch Sitze für die politischen Parteien als solche reserviert. Der Rechtsform nach handelt es sich bei diesen zwar um nichtrechtsfähige Vereine des bürgerlichen Rechts. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß die Parteien das entscheidende Bindeglied zwischen Regierung und Parlament und damit zwischen den Kernbestandtei­ len des Staats bilden. 3• Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem vierten Fernsehurteil 35 ausgeführt, daß sich der Einfluß der Parteien als gesellschaft­ lich bedeutsamer Gruppen in den Kontrollgremien kaum von einem als "staatlich" in Erscheinung tretenden Einfluß der Mehrheitsparteien unter­ scheiden lasse. Die innere Verknüpfung zwischen dem Willen von Exekutive und Legisla­ tive einerseits und den Interessen der Parteien andererseits spricht maßgeb­ lich dafür, diese dem Staat im Zusammenhang der Rundfunkfreiheit zuzu­ rechnen. f) Schließlich sind noch die Vertreter der sonstigen gesellschaftlichen Gruppen zu beachten. Sie könnten dem staatlichen Sektor zuzuordnen sein, wenn sie nicht ausschließlich von den Gruppen selbst nominiert werden, 31 Zum Lösungsweg siehe Lerche, Landesbericht, 77, Fn. 226. 32 BVerfGE 73, 1 18 (191). 33 Bethge, Reorganisation, 2 1 ; Jarass, Staat, 4 1 . 34 Jarass, Staat, 40 . 35 BVerfGE 73, 1 1 8 (1 65).

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sondern auch Parlament oder Regierung Einfluß auf ihre Auswahl nehmen. In diesem Bereich sind vielfältige Abstufungen denkbar, die von einem uneingeschränkten Benennungsrecht staatlicher Stellen reichen bis zu einer Auswahl gewisser gesellschaftlicher Gruppen durch den Staat, die dann ihrerseits einen Vertreter entsenden. Angesichts der gesellschaftlichen Her­ kunft dieser Repräsentanten dürfte die Mitwirkung des Parlaments allein kaum hinreichen, sie ohne weiteres dem staatlichen Sektor zuzuordnen. Das Ausmaß der staatlichen Einflußnahme in diesem Punkte kann jedoch durchaus als Position in die Gesamtbetrachtung eingestellt werden, ob die Summe der staatlichen Machtausübung auf die rundfunkrechtlichen Kon­ trollgremien noch tolerabel ist oder aber ob diese das gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gebotene Höchstmaß übersteigt. Sind keinerlei Kriterien für die Aus­ wahl der betreffenden Gremienvertreter im Gesetz genannt, empfiehlt es sich letztlich, sie dem Staat zuzurechnen. 4. Wie hoch darf die Staatsquote in den Kontrollgremien sein? Nach dieser Einordnung der Gremienmitglieder i n staatliche oder gesell­ schaftliche Repräsentanten gilt es nun die weitere Frage zu beantworten, wieviele Vertreter dem staatlichen Bereich angehören dürfen beziehungs­ weise, ob sich diese Frage überhaupt nach den Kriterien mathematischer Quoten behandeln läßt. Das OVG Lüneburg hielt im Jahre 1978 den Rundfunkrat des Norddeut­ schen Rundfunks für verfassungswidrig besetzt, weil in ihm die Vertreter des Staates nicht in der Minderheit geblieben waren. 36 Der Senat argumentierte, das Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks erfordere es, daß den Staatsor­ ganen selbst, also der Regierung und dem Parlament, kein entscheidender oder beherrschender Einfluß eingeräumt werde. Diese Forderung lasse sich nur erfüllen, wenn in dem Rundfunkrat als dem rechtlich bedeutsamsten Organ der Anstalt die Vertreter des Staates in der Minderheit blieben. 3 7 Die Äußerungen des OVG dürften dahingehend zu lesen sein, daß die kritische Schwelle für die Beurteilung staatlicher Repräsentanten in den Kontrollgre­ mien bei 50 % liegt. Demgegenüber werden im Schrifttum häufig auch niedrigere Werte gefor­ dert. So wird der Gedanke erwogen, ob nicht die Beschränkung der staatli­ chen Repräsentanten auf 1/3 der Mitglieder der Entscheidungskörper im 36 OVG Lüneburg DÖV 1 979, 170. Mit ähnlicher Argumentation hielt 1979 das VG Hamburg auch den Verwaltungsrat des NDR für verfassungswidrig zusammengesetzt, DVBI. 1980, 49 1 . 37 OVG Lüneburg DÖV 1 979, 170 f.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

bayerischen Rundfunkgesetz38 letztlich eine einfachgesetzliche Konkretisie­ rung des verfassungsrechtlich gebotenen Standards gemäß Art. 5 Abs. l S. 2 GG darstellt. 3 9 Die Ansicht des OVG Lüneburg, es genüge, wenn die Parla­ mentarier (und sonstigen Vertreter des Staates) überstimmt werden könnten, wird abgelehnt. Lerche40 weist auf das erste Fernsehurteil hin, in dem es heißt, daß dem Staat nur ein angemessener Anteil überantwortet werden dürfe. 4 1 Bei der Bestimmung eines unangemessenen Anteils sei ferner zu bedenken, daß sich auch bei den Nichtparlamentariern häufig parteipolitisch orientierte Fronten herstellen könnten. Der Forderung, die Staatsquote auf ein Drittel zu beschränken, schließt Lerche sich jedoch nicht an, weil der Kreis der Parlamentarier nicht interessenparallel zusammengesetzt sei und auch die Besonderheiten länderübergreifender Anstalten zu Buche kommen müßten. 42 Wenngleich er keine präzise Zahl festlegen mag, so soll der unge­ fähre Spielraum deutlich unter der absoluten Mehrheit liegen, ohne zwangs­ läufig auf ein Drittel absinken zu müssen. 43 Ähnlich wertet J arass, 44 der - von seinem Standpunkt aus, die Mitglieder der Opposition nicht mitzuzählen - den zulässigen staatlichen Einfluß in der Regel mit weniger als einem Drittel der Gremienmitglieder ansetzt. Er ver­ weist darauf, daß der Staat als starke Minderheit häufig ebenfalls (ähnlich einem bedeutenden Minderheitsaktionär) verhindern könne, von den restli­ chen, heterogenen Gruppen überstimmt zu werden. 45 Die Kritik am OVG Lüneburg überzeugt. Sieht man den Sinn der Staats­ freiheit in dem Verbot des Einflusses der hoheitlichen Gewalt auf die Pro­ gramminhalte, so drohen hier Gefahren nicht erst, wenn der Staat die Mehr­ heit der Mandate innehat. Als bedeutendste homogene, in sich abgestimmte Gruppe kann der Staat in der Regel auch mit weniger als 50 % der Sitze verhindern, daß Entscheidungen gegen seinen erklärten Willen fallen. Der Umstand parteipolitischer Verflechtungen auch in die gesellschaftlichen Gruppen hinein ermöglicht es (zum Beispiel durch die sogenannten „Freun­ deskreise" der Parteien),46 den Einfluß der Staatsrepräsentanten auch über tlie ihnen förmlich zugewiesenen Sitze hinaus kräftig zu verstärken. Das massive Auftreten eines homogenen Stimmenblocks aus Regierung, zugehö38 Art. 6 Abs. 2 S. 2 Bayerisches Rundfunkgesetz i. d. F. d. Bek. vom 26. September 1973. 39 Siehe die Überlegungen bei Lerche, Landesbericht , 76 m. w. N. 40 Ebenda. 41 BVerfGE 12, 205 (263). 42 Lerche, Landesbericht, 77 f.; ebenso Kewenig, 5 1 ; Bachof/Kisker, 64. 43 Lerche, Landesbericht, 78. 44 Jarass, Staat, 48-5 1 . 4 5 Jarass, Staat, 49. 46 Hierzu eingehend Fritz, 164 ff. und Lümmel, 190 ff. sowie unten Teil 4, A. III. 6.

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riger Parlamentariern und Vertretern der betreffenden Parteien vermag zudem, andere Kräfte mitzuziehen, die eventuell noch unentschlossen sind. Dies alles spricht dafür, die zulässige Staatsquote schon deutlich unter 50 % anzusetzen. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, daß die unterschiedli­ chen Strukturen der einzelnen Rundfunkanstalten - insbesondere was das Element vertikaler Gewaltenteilung durch Föderalismus angeht - eine all­ gemeingültige Aussage in Form einer Prozentzahl nicht zulassen. Es ist also jeweils nach der Art und Weise der Zusammensetzung der Vertreter des Staates zu differenzieren. Je weniger homogen diese Gruppe ist, umso höher kann ihr Anteil ausfallen. Immerhin wird sich - greift man das Beispiel des Minderheitenaktionärs auf - festhalten lassen, daß ein staatlicher Anteil von mehr als einem Drittel in den Kontrollgremien deutliche verfassungs­ rechtliche Bedenken im Hinblick auf die Freiheit des Mediums vom Staate hervorruft. Ob sich diese Bedenken zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit verdichten, hängt von einer Gesamtabwägung im Einzelfall ab. Maßgebliche Bedeutung gewinnen dabei unter anderem die Fragen, wie hoch die Prozent­ zahl ansteigt und ob die staatlichen Vertreter denselben Gebietskörperschaf­ ten zuzurechnen sind oder ein Element föderaler Kontrolle und Verschrän­ kung existiert. 5 . Die Beurteilung d e r e i n z e l n e n R u n d fu n k a n s t a l t e n a) Das Zweite Deutsche Fernsehen

Die gewonnenen Kriterien zur Ausfüllung des Konzepts der Staatsfreiheit sind abstrakt nur schwer mit Leben zu füllen und sollen daher anhand des praktischen Beispiels der existierenden Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts exemplifiziert werden. Das ZDF besitzt zwei Aufsichtsgremien: Zum einen den Fernsehrat, des­ sen Funktion der des Rundfunkrats der übrigen Anstalten entspricht;47 zum anderen den Verwaltungsrat, der gerade beim ZDF kompetentiell eine be­ sonders starke Stellung entfaltet. 48 Beide Instanzen haben direkte und indi­ rekte Einflußmöglichkeiten auf das Programm. Der Fernsehrat stellt für die Sendungen des ZDF Richtlinien auf und berät den Intendanten bei der Programmgestaltung. 49 Ferner überwacht er die Einhaltung der Richtlinien und der staatsvertraglich festgelegten Ausgewogenheit des Programms. Dar47 Zu einem strukturellen Vergleich siehe Jank, Rundfunkanstalten, 24-42, speziell zum ZDF: 39 ff. 48 Jarass, Staat, 44; Jank, Rundfunkanstalten, 85. 49 § 13 Abs. 1 S. 1 ZDF-StV.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

über hinaus genehmigt der Fernsehrat den Haushaltsplan und wählt den Intendanten. 50 Der Verwaltungsrat entscheidet über den Dienstvertrag mit dem Intendan­ ten und überwacht seine Tätigkeit. 5 1 Ferner ist das Einvernehmen des Ver­ waltungsrates für die Berufung des Programmdirektors, des Chefredakteurs und des Verwaltungsdirektors erforderlich. 52 Zudem beschließt dieses Gre­ mium über den Haushaltsplan und es bedarf seiner Zustimmung, wenn der Intendant Dienstverträge mit Leitern von Direktionen, Hauptabteilungen oder entsprechenden Einrichtungen schließt. Insgesamt nehmen also die Aufsichtsgremien des ZDF auf dreierlei Weise Einfluß auf Programminhalte: Erstens erlassen sie entsprechende Richtlinien und überwachen deren Einhaltung sowie die Beachtung der staatsvertragli­ chen Ausgewogenheitspflichten; zweitens bestimmen sie über die Verwen­ dung der Haushaltsmittel und drittens spielen eine wichtige Rolle bei den wesentlichen Personalentscheidungen. Diese Fülle von Einflußmöglichkei­ ten läßt deutlich werden, daß die genannten Gremien den Geboten der Staatsfreiheit - wie sie oben in Fortentwicklung der Prinzipien der Verfas­ sungsrechtsprechung dargestellt worden sind5 3 - voll entsprechen müssen. Insoweit sind jedoch erhebliche Bedenken zu formulieren. Zunächst zur staatsvertraglich vorgeschriebenen Besetzung des Fernsehra­ tes, der das zentrale Forum gesellschaftlicher Repräsentation bilden soll: Er hat 66 Mitglieder. Hierzu gehört je ein Vertreter der vertragschließenden Länder, das heißt es gibt 1 1 Länderdelegierte. 54 Zu ihnen gesellen sich 3 Abgesandte des Bundes. 55 Weiter gehören zum staatlichen Sektor im Sinne des Konzeptes der Staatsfreiheit 12 Vertreter der politischen Parteien sowie 4 Repräsentanten der kommunalen Spitzenverbände. 56 Insgesamt zählen also 30 von 66 Mitgliedern des Fernsehrates - das heißt 45,4 % - zum Staat. Auch im Verwaltungsrat des ZDF liegen die Dinge nicht viel günstiger. Dieser setzt sich aus neun Mitgliedern zusammen. 5 7 Davon entsenden drei Vertreter die Länder, einen der Bund und fünf wählt der Fernsehrat. Nach der vertraglichen Festsetzung zählen also 44,4 % der Mitglieder des Verwal­ tungsrates zum Staat. 50 § 13 Abs. 1 S. 2 ZDF-StV. 5 1 § 16 Abs. 1 , 2 ZDF-StV. 52 Hierzu und zum folgenden § § 1 1 und 19 der Satzung der gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts "zweites Deutsches Fernsehen" vom 2. April 1962. 5 3 Siehe dazu oben Teil 4, A. III. 3., 4. 54 § 14 Abs. l lit. a) ZDF-StV. 55 § 14 Abs. l lit. b) ZDF-StV. 56 § 14 abs. l lit. c) sowie lit. o) ZDF-StV. 5 7 Hierzu und zum folgenden § 17 Ab. 1 ZDF-StV.

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Betrachtet man die tatsächliche Herkunft der fünf weiteren Verwaltungs­ ratsangehörigen, so verdunkelt sich das Bild weiter58 : Am 3 1 . Dezember 1986 befanden sich hierunter ein Staatsrat a. D., ein Ministerialdirigent, ein Staatssekretär und ein Oberkreisdirektor a. D. Auf der Grundlage dieses Zahlenmaterials sind in der Literatur gelegent­ lich Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des ZDF­ Staatsvertrages über die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien laut ge­ worden. 59 Die überwiegende Zahl der Autoren, die sich mit dem Problem befaßt haben, sieht die betreffenden Normen jedoch im Einklang mit dem Grundgesetz. 60 Ihr Hauptargument ist die bundesstaatlich gegliederte Struk­ tur der Gremien des ZDF. Da die elf vertragschließenden Länder je einen Vertreter entsenden und die Bundesregierung drei, bildeten bereits die Ver­ treter der staatlichen Exekutiven keinen einheitlichen Block. 6 1 Sie könnten wegen der in den einzelnen Bundesländern bestehenden unterschiedlichen politischen Ausrichtung, die wiederum mit der der Bundesregierung allen­ falls zum Teil - in der Interessenlage meist noch weniger - übereinstimme, als eine Vielzahl von Staatlichkeit aufgefaßt werden, die lediglich eine födera­ listisch gebrochene und dadurch abgeschwächte Staatsgewalt ausübe. 62 Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick als sehr bedenkens­ wert; doch sie vermag einer genaueren Betrachtung nicht standzuhalten. Dies ergibt sich schon aus der historisch begründeten Zwecksetzung der Staats­ freiheit im Rundfunk. Es ist richtig, daß momentan verschiedene Kräfte in den einzelnen Ländern regieren und deren Interessen sowohl parteipolitisch als auch regional unterschiedlich sind. Die Staatsfreiheit soll und muß sich jedoch auch in schwierigeren Zeiten totalitärer Bedrohungen des Gemeinwe­ sens bewähren. Nicht allein der status quo entscheidet, sondern die Sicher­ stellung der Unabhängigkeit des Rundfunks in denkbaren Gefahrenlagen. So hätte denn auch in der Weimarer Republik für die Situation einer gedachten Rundfunkanstalt das Argument vorgebracht werden können, die dort prä­ sente Staatsgewalt sei föderal gebrochen und daher unbedenklich. Aber was hätte dieses Argument nach der Gleichschaltung aller Staatsgewalt durch die Nationalsozialisten noch gezählt? Die hypothetischen Fallgestaltungen, die die Inadäquanz der Aufsichts­ gremien des ZDF offenbaren, brauchen jedoch nicht einmal diese extremen Formen zu ereichen. Bereits die Vorstellung der Wiederkehr einer großen 58 Angaben aus dem Jahrbuch des Zweiten Deutschen Fernsehens, Seite 47. 59 Löffler, § 25 LPG Rn. 67 ff.; vergleiche auch Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 5 Rn. 2 18-220. 6 ° Fuhr/Konrad, 280; Bachof/Kisker, 64; Jarass, Staat, 5 1 ; so im Ergebnis wohl auch Jank, Rundfunkanstalten, 42. 61 Fuhr/Konrad a.a.O. 62 Ebenda.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

Koalition auf der Ebene von Bund und Ländern zeigt, daß die Auffassung, die staatlichen Vertreter dürften im Rahmen der Verfassungsprüfung des ZDF-Staatsvertrages nicht als Einheit gesehen werden, den verfassungsfunk­ tionalen Anforderungen an das Konzept der Staatsfreiheit des Rundfunks nicht gerecht werden. Stellt man dies in Rechnung und betrachtet sodann die Staatsquote von 45,4 beziehungsweise 44,4 % in den Aufsichtsgremien des ZDF, so wird deutlich, daß die Repräsentanten hoheitlicher Gewalt dort zwar nicht die absolute Mehrheit besitzen, jedoch eine so starke Kraft bilden, daß praktisch in der Regel nichts gegen ihren Willen durchgesetzt werden kann. Dieser Befund erweist, daß der Staat in den Aufsichtsgremien des ZDF nicht mehr nur angemessen, sondern unverhältnismäßig stark vertreten ist, so daß die Anstalt ihre Unabhängigkeit nicht in jeder denkbaren Situation adäquat wahren kann. Wenngleich eine föderale Zusammensetzung der Staatsvertreter ein gewisses Maß an horizontaler Gewaltenbalance erbringen mag, so kann dieses Element doch eine prozentuale Quote von der Höhe, die beim ZDF erreicht wird, nicht mehr ausgleichen. Die Besetzungsmodi für diese Räte sind daher als verfassungswidrig einzustufen. b) Der Süddeutsche Rundfunk Der Streit um die Staatsfreiheit der Gremien der Anstalten der ARD betraf in den vergangenen Jahren vornehmlich den WDR und den NDR. 63 Seit diese Sender neue Rechtsgrundlagen erhielten, 64 hat sich selbige Kontroversen jedoch entschärft, so daß aus heutiger Sicht vor allem noch die Betrachtung des SDR von Interesse ist. Dem Rundfunkrat des SDR gehören dreißig Mitglieder an. 65 Der Landtag von Baden-Württemberg wählt fünf Vertreter. 66 Weitere Repräsentanten des staatlichen Sektors bilden jeweils ein Vertreter des Städte- und des Gemein­ detages. 67 Der Staatsanteil beträgt somit 23,3 %. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Verbotes staatlicher Dominanz auf die Programminhalte als tolerabel. Problematischer stellt sich demgegenüber die Zusammensetzung des Ver­ waltungsrates dar. Er besteht aus neun Mitgliedern, von denen vier vom Landtag ohne Angabe näherer Kriterien für diese Bestimmung gewählt 63 Siehe dazu die Gutachten in : Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit sowie Jarass, Staat, 45. 64 NDR-Staatsvertrag von 1980; WDR-Gesetz vom 19. März 1985. 65 Vgl. § 4 Abs. 2 der Satzung für den "Süddeutschen Rundfunk" in Stuttgart, Anlage zum Gesetz Nr. 1096 - Rundfunkgesetz - vom 2 1 . November 1950. 66 § 4 Abs. 2 Nr. 22 dieser Satzung. 6 7 § 4 Abs. 2 Nr. 13, 14 dieser Satzung.

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werden. 6 8 Sie sind daher der Gruppe der Staatsvertreter in den Kontrollgre­ mien zuzurechnen, die somit im Verwaltungsrat des SDR eine Quote von 44,4 % erzielt. Bei diesem Wert fragt es sich, ob der Verwaltungsrat seine Aufgaben noch ohne unhältnismäßigen staatlichen Einfluß ausüben kann. Jarass69 ist der Auffassung, die Lage beim Süddeutschen Rundfunk sei verfassungsrechtlich tragbar. Die Regierungsparteien und damit die Guber­ native verfugten nur über einen Teil der Benennungsrechte. Dieser Argumen­ tation kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Aufspaltung der Landtagsver­ treter in solche der Opposition und in Regierungsvertreter verkennt den Einfluß der Opposition auf den staatlichen Willensbildungsprozeß. Nicht selten konvergieren die Interessen der im Parlament vertretenen Fraktionen und zahlreiche Legislativenentscheidungen werden auch einmütig verab­ schiedet. Dazu besteht die Möglichkeit großer Koalitionen. Überdies legt die Schutzrichtung der Staatsfreiheit eine klare und damit extensive Auslegung nahe. Per Saldo ist damit festzuhalten, daß der Staat im Verwaltungsrat des Süddeutschen Rundfunks überrepräsentiert ist. Die Vorschrift über die Be­ setzung dieses Gremiums 70 ist demzufolge verfassungswidrig wegen Versto­ ßes gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. c) Die übrigen Anstalten des Landesrechts

Der Anteil der Staatsvertreter in den übrigen Anstalten des Landesrechts ist in den vergangenen Jahren durch die Gesetzgebung zum Teil markant zurückgenommen worden. 7 1 Demzufolge haben sich in einzelnen Fällen die einschlägigen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht unerheblich verringert. aa) Die Rundfunkräte stellen nach der Kompetenzordnung der Mehrzahl der Rundfunkanstalten des Landesrechts das zentrale Organ gesellschaftli­ cher Repräsentanz dar. Hier bietet der staatliche Einfluß auf die Besetzungs­ rechte heute folgendes Bild: Der Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks besteht derzeit höchstens aus 5 1 Mitgliedern. Dazu gehören ein Mitglied der bayerischen Staatsregierung, bis zu 13 Parlamentsvertreter, drei Repräsen­ tanten des Bayerischen Senats und drei Abgesandte der Kommunalen Spit68 § 7 Abs. 1 dieser Satzung. 69 Jarass, Staat, 48. 70 § 7 Abs. 1 der oben genannten Satzung. 7 1 Vergleiche etwa § 8 Abs. 2 des Gesetzes über den . Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 25. Mai 1954 mit § 15 des gleichnamigen Gesetzes vom 19. März 1 985; ferner § 16 des Gesetzes Nr. 806 über die Veranstaltung von Rundfunksendungen im Saarland i. d. F. v. 1 . August 1968 mit § 1 8 des Gesetzes Nr. 1 1 74, Rundfunkgesetz fü r das Saarland (Landes­ rundfunkgesetz) i. d. F. d. Bek. v. 1 1 . August 1987.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

zenverbände. 7 2 Die Staatsquote stellt sich demnach bei maximal 39,2 % ein. Sie liegt damit zwar schon über der kritischen Schwelle von einem Drittel. Dennoch nähert sie sich noch nicht soweit einer absoluten Mehrheit, daß aus dieser Beteiligung eine dominierende Programmbeeinflussung durch hoheit­ liche Legaten angenommen werden müßte. Der Anteil erscheint unter dem Blickwinkel des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gerade noch tolerabel. Im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks gehören sechs der 16 Mitglie­ der zu den staatlichen Abgesandten, 73 woraus sich ein prozentualer Anteil von 37,5 % errechnet. Auch dieser Wert kann unter vergleichbaren Erwä­ gungen wie bei dem Bayerischen Rundfunk noch soeben hingenommen werden. Der neue Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk 74 sieht vor, daß die in den Landesparlamenten von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Harnburg vertretenen Parteien zusammen fünf Vertreter in den Rundfunkrat entsenden, die nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen gemäß dem Höchstzahlverfahren d'Hondt gewählt werden. Ferner kann jede Partei, die in zwei gesetzgebenden Körperschaften der Vertragsländer vertreten ist und nicht schon nach der vorhergehenden Regelung in den Rundfunkrat gelangt, einen Vertreter in denselben delegieren. Dies führt nach den heutigen politi­ schen Kräfteverhältnissen (Stand November 1987) dazu, daß zwei weitere Parteienvertreter in diesem Gremium repräsentiert sind. Ferner fragt es sich, ob der Gruppe der Staatsvertreter diejenigen neun Rundfunkratsmitglieder zuzurechnen sind, die die sogenannten "weiteren gesellschaftlich bedeutsa­ men Gruppen" vertreten sollen. 7 5 Diese werden von gesellschaftlichen Grup­ pen benannt, welche sich um einen Rundfunkratssitz bewerben und von den Landesparlamenten ausgewählt werden. Es besteht somit ein starker parla­ mentarischer Einfluß auf die Selektion dieser neun Rundfunkratsmitglieder. Dennoch erscheint es gerechtfertigt, selbige Personen aus der Staatsquote auszuklammern, da der einzelne Gesandte letztendlich von der gesellschaftli­ chen Gruppe selbst benannt wird und daher nicht in erster Linie dem hoheit­ lichen Interessenkreis zuzurechnen sein dürfte. Berücksichtigt man dies, so gehören per Saldo sieben von 32 Rundfunkratsmitgliedern, das heißt 21,8 % , zum Staat. Diese Zahl bleibt noch deutlich unterhalb der verfassungsrecht­ lich bedenklichen Quote von einem Drittel. Der Rundfunkrat von Radio Bremen besteht aus 35 Mitgliedern, von denen vier als Vertreter der bremischen Gemeinden und drei als Vertreter der 72 Vergleiche hierzu im einzelnen Art. 6 Abs. 3, 4 des Bayerischen Rundfunkgesetzes vom 10. August 1948 i. d. F. d. Bek. v. 26. September 1973. 73 Siehe Art. 5 Abs. 2, 5 des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk vom 2. Oktober 1948. 74 § 17 Abs. 1 des NDR-Staatsvertrages von 1980. 7 5 Siehe hierzu und zum folgenden § 17 Abs. 1 Nr. 16, Abs. 3 des NDR-Staatsvertrages von 1980.

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politischen Parteien ohne weiteres der staatlichen Bank zuzurechnen sind.76 Zweifelhaft ist in diesem Zusammenhang die Einordnung der fünf Mitglieder des Rates, die von der Deputation für Wissenschaft und Kunst gewählt werden. 77 Es soll sich um Einzelpersonen oder Gruppenvertreter handeln, die schwer organisierbare oder ansonsten nicht genügend berücksichtigte Rund­ funkteilnehmerkreise repräsentieren. Für die Zuordnung zum Staat könnte sprechen, daß sie von einer öffentlichen Stelle ohne Mitwirkung der Gesell­ schaft gewählt werden. Demgegenüber dürfte jedoch von maßgeblicher Be­ deutung sein, daß dieser Stelle als gesetzliches, nachprüfbares Auswahlkrite­ rium eine bestimmte gesellschaftliche Relevanz vorgeschrieben ist. Rechnet man diese Personen daher den gesellschaftlichen Gruppen zu, so verbleiben sieben Staatsvertreter von 35 Rundfunkratsmitgliedern, was auf eine Quote von 20 % hinausläuft und somit unter dem Blickwinkel der Staatsfreiheit des Rundfunks nicht zu beanstanden ist. Im übrigen erreicht die Staatsquote nach obiger Berechnungsmethode im Rundfunkrat des Saarländischen Rundfunks 19,3 % , 7 8 des Senders Freies Berlin 25,8 %, 79 des Südwestfunks 32,6 % 80 und des Westdeutschen Rund­ funks 29,2 %. 8 1 Da sich diese Werte durchweg unterhalb eines Drittels der Gesandten in diesen Ausschüssen bewegen, können sie nicht als Verstoß gegen das Prinzip der Unabhängigkeit des Rundfunks vom Staat bewertet werden. bb) Soweit es die Besetzung der Verwaltungsräte betrifft, werden beim Bayerischen Rundfunk vier Mitglieder dieses Gremiums vom Rundfunkrat gewählt, während ihm weiterhin die Präsidenten des Bayerischen Verwal­ tungsgerichtshofs, des Bayerischen Landtags und des Bayerischen Senats angehören. 82 Da nur die beiden letzteren Vertreter nach den obigen Ausfüh­ rungen 83 ohne weiteres dem gubernativen Bereich zuzuordnen sind, besteht ein staatliches Besetzungsrecht in diesem Gremium lediglich für 29 % der Mitglieder. Weil diese Zahl noch deutlich unter der verfassungsrechtlich neuralgischen Quote eines Drittels liegt, kann die einschlägige Vorschrift 76 Siehe § 5 Abs. 3 Nr. 1-4 und 26 des Gesetzes über die Errichtung einer öffentlichen Anstalt - Radio Bremen - vom 18. Juni 1979. 77 § 5 Abs. 3 Nr. 27 und § 6 Abs. 2 dieses Gesetzes. 78 Siehe dazu § 1 6 des Rundfunkgesetzes für das Saarland i. d. F. d. Bek. v. 1 1 . August 1987. 1 • Dazu näher: § 6 der Satzung der Rundfunkanstalt „Sender Freies Berlin", Anlage zum Gesetz über die Errichtung einer Rundfunkanstalt „Sender Freies Berlin" vom 1 2. Novem­ ber 1953 i. d. F. d. Bek. v. 5. Dezember 1974. 80 § § 10, 1 1 des Staatsvertrages über den Südwestfunk vom 27. August 195 1 . 81 § 1 5 des Gesetzes über den „Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 19. März 1985. 82 Art. 8 Abs. 1 des Bayerischen Rundfunkgesetzes vom 10. August 1948 i. d. F. d. Bek. v. 26. September 1973. 83 Siehe oben Teil 4, A. III. 3.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

noch nicht als Ausdruck eines übermäßigen staatlichen Einflusses betrachtet werden. Im Gegensatz zu der Regelung beim Bayerischen Rundfunk kennen die Rechtsgrundlagen für den Hessischen Rundfunk, 84 den Norddeutschen Rundfunk, 85 Radio Bremen, 86 den Sender Freies Berlin87 und den Westdeut­ schen Rundfunk 88 kein staatliches Benennungsrecht für die Mitglieder des Verwaltungsrates, so daß sich in diesem Punkte unter dem Prüfungsaspekt der Unabhängigkeit des Rundfunks keine Probleme ergeben. Beim Saarlän­ dischen Rundfunk 89 benennt die Landesregierung lediglich eines von sieben Verwaltungsratsmitgliedern, was einer Quote von 14,2 % gleichkommt und nach den bisher herausgearbeiteten Prinzipien der Staatsfreiheit90 ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken entstehen läßt. Ein erheblich stärkerer Einfluß der Staatsmacht läßt sich demgegenüber im Verwaltungsrat des Südwestfunks verzeichnen. 9 1 Dort werden drei der neun Gremienmitglieder von den beteiligten Landesregierungen in Baden­ Württemberg und Rheinland-Pfalz entsandt, so daß in diesem Ausschuß die kritische Staatsquote eines Drittels gerade erreicht wird. Dennoch wird diese Regelung im Schrifttum für verfassungsgemäß gehalten. 92 Hierfür läßt sich anführen, daß die Fraktion der Staatsvertreter durch die Beteiligung mehre­ rer Landesregierungen föderal gebrochen ist. 93 Die Notwendigkeit eines äußerst behutsamen Umganges mit dieser Argumentationsweise wurde be­ reits oben 94 im Hinblick auf die historische Bedingtheit des Konzeptes der Staatsfreiheit des Rundfunks dargetan. Nichtsdestoweniger kann diesem Ansatz im Falle des Südwestfunkes beigepflichtet werden, da hier der Anteil der staatlichen Vertreter im Verwaltungsrat nur gerade die Schwelle eines Drittels erreicht. Demgemäß können die Bedenken, die sich aus selbiger Quote ergeben, durch das bundesstaatliche Element horizontaler Aufspal­ tung der Staatsmacht zerstreut werden. Aus diesem Grunde steht die Rege84 § 1 1 des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk vom 2. Oktober 1948. 85 § 23 des NDR-Staatsvertrages von 1980. 86 § 9 des Gesetzes über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts - Radio Bremen vom 18. Juni 1979. 81 § 9 der Satzung der Rundfunkanstalt "Sender Freies Berlin", Anlage zum Gesetz über die Errichtung einer Rundfunkanstalt "Sender Freies Berlin" vom 12. November 1 953 i. d. F. d. Bek. v. 5. Dezember 1974. 88 § 20 des Gesetzes über den "Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 19. März 1985. 89 § 22 des Rundfunkgesetzes für das Saarland i. d. F. d. Bek. v. 1 1 . August 1987. 90 Siehe oben Teil 4, A. III. 5. 91 § 12 Abs. 2 des Staatsvertrages über den Südwestfunk vom 27. August 195 1 . 92 Jarass, Staat, 48. 9 3 Zu der Parallelproblematik beim Zweiten Deutschen Fernsehen siehe etwa Lerche, Landesbericht, 77 und Bachof/Kisker, 63 f. 94 Siehe dazu oben Teil 4, A. III. 5.

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lung über die Bildung des Verwaltungsrates des Südwestfunks im Einklang mit dem Grundgesetz. 6 . Das Sonderproblem der parteipolitischen Zugehörigkeit der Gremienmitglieder a) Der Sachverhalt der Einflußnahme

Mit der bisherigen Analyse der direkten staatlichen Bestimmungsbefug­ nisse für die Mitglieder der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen An­ stalten ist das wahre Ausmaß des Einflusses der Politiker auf den Rundfunk erst bruchstückhaft beschrieben. Das zentrale Problem dieser Institutionen wird seit langem in der faktischen Staatsnähe der Gremien gesehen, die aus der parteipolitischen Zugehörigkeit der Abgesandten der gesellschaftlichen Gruppen resultiert. Über diesen Nexus verläuft die tatsächliche Einfluß­ nahme der Inhaber hoher Staatsämter auf den Rundfunk in einem solchen Maße, daß Ossenbühl sich zu dem Befund veranlaßt sah, die "Dysfunktiona­ lität" dieser Aufsichtsgremien sei "mittlerweile evident" geworden. 95 Der durchdringende Einfluß der politischen Parteien auf die Medienreali­ tät im Rundfunk wird sowohl durch eine Vielzahl persönlicher Erfahrungs­ berichte von Gremienmitgliedern und Programmverantwortlichen als auch deren empirisch-statistische Untersuchungen belegt. Dementsprechend hat unlängst beispielsweise Paul 0. Vogel ein kritisches Resümee seiner drei Jahrzehnte Arbeit in den Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunk­ anstalten gezogen. 96 Er konstatiert für diesen Zeitraum einen ständig wach­ senden Druck von außen, der wesentlich aus den Parteien komme und von den Parteien weit übergreife über die Vertreter, die die Parteien unmittelbar entstandt hätten, hin zu einer Vereinnahmung eines jeden der dieser oder jener Partei in den Gremien nahestehe. 97 Darüber hinaus bestätigt er die ausgeprägte Tendenz zur parteipolitischen Fraktionierung der Kontrollgre­ mien. 98 Die Geschäftsführer der Parteien, die selbst gar nicht Mitglieder der Gremien seien, hätten von außen dergestalt in diese hineingewirkt, daß sie nicht nur geholfen hätten, in den Gremien zu gewissen strukturierten Auffas­ sungen zu kommen, sondern daß sie zum Teil ganz unverblümt Parteihoff­ nungen und -erwartungen eingebracht hätten, bis an den Punkt, an dem es schon schwer gewesen sei zu sagen, dies sei keine Parteiweisung gewesen, 9 5 Ossenbühl, Rundfunkprogramm, 385. 96 "Tödliches Ende auf Parteisohlen?" - Interview mit Paul 0. Vogel, Kirche und Rundfunk Nr. 65 vom 20. August 1983, S. 1-6. 91 Vogel, a. a. 0., 1. 98 Hierzu und zum folgenden Vogel, a. a. 0., 5.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

sondern ein besonders deutlich vorgebrachter Wunsch. Diese Praxis habe dann dazu geführt, daß in den großen Anstalten vor jeglicher Sitzung von Gremien die "Freundeskreise" zusammenträten, etwa nach dem Muster von Fraktionen. Ein ähnlich dominierendes Bild der Parteien in den Aufsichtsgremien wird nicht nur von deren Mitgliedern, sondern auch von den beteiligten Journali­ sten skizziert. So bezeichnet der ehemalige Chefredakteur des Deutschland­ funks und langjährige Intendant des Senders Freies Berlin die Parteipolitisie­ rung der Aufsichtsorgane als deren "Krebsübel" . 99 Kein Intendant könne die Pressionen der Parteien unbeachtet lassen. 100 Auch die Gremien seien strikt dem Parteieinfluß unterworfen, was sich selbst dann nicht ändere, wenn man den Anteil der „Grauen" - also sonsti­ gen gesellschaftlichen Gruppen - erhöhe. Denn diese ordneten sich in aller Regel parteipolitisch ein, wenn es um wichtige Entscheidungen gehe. 101 Beim Zweiten Deutschen Fernsehen mache man kein Hehl aus den parteipolitisch orientierten Freundeskreisen. Aber was dort öffentlich geschehe, gebe es in mehr oder minder heimlicher Form überall. Der maßgebliche Einfluß der Parteipolitik auf die Aufsichtgremien, der aus diesen Ä ußerungen erkennbar wird, ist auch durch die Methoden der empirischen Sozialforschung nachgewiesen worden. Besonders ausführliches statistisches Material auf diesem Gebiet hat Roland Fritz gesammelt und ausgewertet. 102 Seine Befragungen belegen vor allem die weithin verbreitete These des maßgeblichen Einflusses der parteipolitischen Freundeskreise beim Zweiten Deutschen Fernsehen. Die Existenz solcher Freundeskreise bestätigten 88,5 % der befragten Fernsehratsmitglieder und 73, l % gaben an, man könne sie einer derartigen Gruppe zurechnen. 1 0 3 Darüber hinaus erklär­ ten 69,2 % der Testpersonen, sie seien selbst Mitglied einer politischen Partei. 1 04 Die große Bedeutung dieser Fraktionsbildung im Fernsehrat zeigt sich in dem Ergebnis der Befragung, daß 6 1 ,6 % der Auffassung waren, die Zugehörigkeit zu einer parteipolitischen Gruppierung führe zu einer größe­ ren Bedeutung und Wirkung einer Aussage. 1 05 •• Barsig, 35. 1 00 Barsig, 175. 10 1 ders., 177. 1 02 Auch wenn seine Untersuchungen schon 1977 veröffentlicht wurden, so geben sie dennoch auch heute ein nützliches Bild über die Gremienpolitik; dies gilt vor allem hinsichtlich des Zweiten Deutschen Fernsehens, bei dem die Besetzungsverfahren für die Aufsichtsorgane unverändert geblieben sind. 1 03 Fritz, 162 f.; siehe zu diesen Kreisen auch Johannes Georg Müller, 190-193 und sein 1983 mit einem Mitglied des Rundfunkrats des Südwestfunks geführtes Interview. 1 04 Fritz, 171. tos ders., 173.

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Diese Zahlen sind zwar schon erschreckend hoch, doch darf man ange­ sichts der heiklen Natur des Themas zusätzlich eine ausgeprägte Dunkelziffer vermuten. Der Zugriff der Parteien auf die Rundfunkanstalten manifestierte sich in seinen extremsten Formen, solange die Mitglieder des Rundfunkrates des Norddeutschen Rundfunks ausschließlich von den Parlamenten gewählt wurden. Zum Zeil waren 100 % der Mitglieder dieses Gremiums wegen ihrer Parteizugehörigkeit nominiert worden. 1 06 Die Gesamtheit dieser Beobachtungen läßt erkennen, daß das Prinzip der Staatsfreiheit des Rundfunks mit der Begrenzung der Zahl der unmittelbar vom Staate selbst abhängigen Gremienmitglieder nicht optimal und in vol­ lem Umfange verwirklicht ist. Das Band der Parteizugehörigkeit der Vertre­ ter der gesellschaftlichen Gruppen eröffnet den Inhabern hoher und höchster Staatsämter effektive und weitreichende Einflußmöglichkeiten auf die Auf­ sichtsorgane der Rundfunkanstalten. Diese faktische Staatsnähe höhlt die Unabhängigkeit des Rundfunks aus. Es fragt sich, ob diesem Phänomen mit den Mitteln des Rechts entgegengewirkt werden kann beziehungsweise sogar muß. b) Begrenzungsvorschläge

Die weitestgehenden Vorschläge zur Restriktion der Parteienmacht in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten stammen von Starck. 107 Er tritt für eine quotenmäßige Beschränkung der Repräsentation von Parteimitgliedern in den Rundfunkgremien ein. Nach Art. 2 1 Abs. 1 S. 1 GG - so argumentiert Starck - wirkten die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Damit sei für den Rundfunk sogleich zweierlei gesagt: Erstens Rundfunkfreiheit als Instrument zur Herstellung eines offenen Meinungsmarktes und zur politischen Willens­ bildung sei nicht frei von den Parteien zu betreiben. zweitens "Mitwirken" bezeichne jedoch auch eine Grenze: auch andere gesellschaftliche Kräfte müßten noch echte Wirkungsmöglichkeiten haben. Wo man diese Grenze ziehe, bei 50, 30 oder 20 % hänge davon ab, ob über die sonstigen gesellschaftlichen Kräfte Parteieneinfluß in den Rundfunkgre­ mien geltend gemacht werden könne. Entweder müsse dieser Einfluß verhin­ dert werden durch eine absolute Grenze der Zahl der Parteibuchinhaber in den Rundfunkgremien oder die Prozentzahl der Parteienvertreter müsse von vornherein so niedrig gehalten werden, daß auch über zusätzliche Partei106 Vgl. Kewenig, 11 f., 67-69 und dort Fußnote 102. Hierzu und zum folgenden: Starck, Rundfunkfreiheit, 37 f.

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I I Schuster

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buchbesitzer unter den Verbandsvertretern eine Überrepräsentation der Par­ teien nicht drohe. Im Ergebnis will Starck die Zahl der von den Parteien selbst entsandten Gremienvertreter auf je einen beschränken und zu diesen Vertreter gesell­ schaftlicher Kräfte gesellen, über deren Normierung die Verbände selbst zumindest mitentscheiden. Alternativ hält er eine höhere Zahl von Parteige­ sandten zulässig, wenn durch Inkompatibilitätsvorschriften sichergestellt ist, daß insgesamt höchstens die Hälfte der Gremienmitglieder Parteibücher besitzt. Diesen Überlegungen hat vor allem Kewenig io8 prononciert widerspro­ chen. Zwar sieht auch er den übermäßigen Parteieneinfluß auf die Rund­ funkgremien als verfassungsrechtlich bedenklich an. Gleichwohl wendet er sich gegen Lösungsversuche auf der Ebene von Quotenregelungen. Zum einen argumentiert er, der Vorschlag Starcks sei in hohem Maße irreal, weil die Rundfunkanstalten derart wichtige Institutionen seien, daß keine Partei freiwillig auf Einfluß in denselben verzichten könne. Zum anderen macht Kewenig verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Er hält es für unzulässig, nicht auf die vorschlagsberechtigte und damit letztlich entsendende Institu­ tion abzustellen, sondern darauf, welchen Gruppierungen und Organisatio­ nen sich der einzelne Kandidat persönlich angeschlossen hat. Als Beispiel führt Kewenig an, es wäre sicher schon im Hinblick auf Art. 3 GG verfas­ sungswidrig, wenn man bei der Auswahl der Kandidaten für den Rundfunk­ rat auf die Konfessionszugehörigkeit achtete und evangelische oder katholi­ sche Kandidaten nur bis zu einer bestimmten Höchstzahl zuließe mit dem Argument, sonst würde den beiden Kirchen ein zu gewichtiger Einfluß einge­ räumt. Unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 3, 4, 9 und 33 Abs. 3 GG sei jede Berücksichtigung persönlicher Mitgliedschaften als bedenklich anzusehen, soweit es sich nicht etwa um Mitgliedschaften in verfassungsfeindlichen Organisationen handele. Starcks Begrenzungsvorschlag besticht auf den ersten Blick durch die Konsequenz, mit der er das erkannte Problem angeht. Im Ergebnis ist jedoch der Kritik Kewenigs Recht zu geben. Zwar vermag sein erstes Argument, die Ansicht Starcks sei irreal, nicht überzeugen, weil man sich der Macht der Parteien in den Aufsichtsgremien nicht einfach unter dem Druck der Fakten beugen darf, soweit man die dortige Konzentration von Parteibuchinhabern als verfassungswidrig erachtet. Von größerer praktischer Bedeutung wäre da schon das Argument, daß Starcks Quotensystem kaum effektiv zu überwa­ chen ist, weil das Kriterium der Parteimitgliedschaft beliebig durch Austritt manipuliert werden kann. Gewichtiger ist jedoch das Bedenken, daß ein Vertreter einer gesellschaftli­ chen Gruppe, den diese entsandt hat, auch in erster Linie deren Belange zu '°8 Kewenig, 78 f.

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vertreten hat und der Gruppe nicht vorgeschrieben werden kann, welche Persönlichkeit sie benennen muß. Besitzt diese Persönlichkeit zufällig ein Parteibuch, so darf dies nicht zu Lasten der Benennungsrechte der Gruppe gehen. Darüber hinaus steht es den wählbaren Personen auch von Verfas­ sungs wegen offen (Art. 3 Abs. 3, 4, 9, 21 und 33 Abs. 3 GG), sich beliebigen Institutionen anzuschließen. Insoweit überzeugt Kewenigs zweites Argu­ ment, daß die Berücksichtigung persönlicher Mitgliedschaften bei der Be­ nennung der Vertreter der übrigen gesellschaftlichen Gruppen verfassungs­ rechtlich bedenklich ist. Es bleibt das Dilemma, daß der großen Konzentration von Parteimitglie­ dern in den Kontrollgremien und der damit verbundenen faktischen Staats­ nähe der Rundfunkanstalten mit den Mitteln des Rechts kaum wirksam abgeholfen werden kann. Es handelt sich um eine systemimmanente Schwä­ che des Modells des Binnenpluralismus. Insoweit haben sich die Funktions­ erwartungen der Rechtsprechung an dieses System seit dem ersten Fernse­ hurteil als übermäßig positiv erwiesen. Eventuelle Schlußfolgerungen aus diesem Befund betreffen jedoch primär das Gebiet der Rechtspolitik sowie die Frage, ob das ursprünglich monopolistische System des Binnenpluralis­ mus durch neue Organisationsformen aufzulockern ist. IV. Wer repräsentiert die Gesellschaft? 1 . Kontrollmaßstäbe Die Besetzung der Aufsichtsorgane in den binnenpluralistisch organisier­ ten Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts wirft neben dem Problem der Staatsnähe die weitere Kardinalfrage auf, welche gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte denn die übrigen Sitze der Gremien einzunehmen haben und in welchem Kräfteverhältnis diese Kreise wiederum untereinander zu stehen haben. Die Äußerungen der Rechtsprechung zu der Frage, welche gesellschaftli­ chen Gruppen relevant und folglich vertretungswürdig sind, erscheinen bis­ her als vage. Ausgangspunkt der Erwägungen ist die Feststellung des ersten Fernsehurteils, daß der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftli­ chen Gruppe ausgeliefert werden dürfe. 109 In derselben Entscheidung heißt es, ein System, dessen kollegiale Organe faktisch in angemessenem Verhältnis aus Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen zusammengesetzt sei, stehe mit Art. 5 GG im Einklang. Man wird daraus schließen können, daß der Gesetzgeber bei der Besetzung der Gremienplätze ein "angemessenes" Verhältnis der betreffen109

11•

B VerfGE 12, 205 (262 f.).

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

den Gruppierungen zu wahren hat, da ansonsten die Gefahr droht, daß der Rundfunk einseitig dem einen oder anderen Teil der Gesellschaft ausgeliefert wird. Noch nicht gesagt ist damit allerdings, welche Gruppen nun so bedeutend sind, daß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ihre Repräsentation im Rundfunkrat verlangt. In diesem Punkte scheint eine umgreifende und abschließende Definition kaum möglich, zumal durch die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung die relative Bedeutung einer Gruppe Schwankungen unterwor­ fen sein kann. Eine konkrete Äußerung der Rechtsprechung zu diesem Punkt hat das OVG Lüneburg abgegeben, als es 1978 über die Frage zu entscheiden hatte, ob einer evangelisch-lutherischen Landeskirche ein Sitz in einem Rundfunkrat zustand. 1 1 0 Der Senat meinte, die Bestimmung dessen, was in einem pluralistischen Gemeinwesen gesellschaftlich relevant sei, sei nur sehr schwer zu treffen; neben den wohl unzweifelhaft unter den Begriff fallenden Vereinigungen - etwa den großen Religionsgemeinschaften und den So­ zialpartnern - werde es noch eine ganze Reihe von Organisationen geben, die sich mit durchaus vertretbaren Argumenten für gesellschaftlich relevant hielten. Die evangelisch-lutherische Kirche jedenfalls müsse überall in der Bundesrepublik aufgrund ihrer Mitgliederzahl, ihrer geistigen und sozialen Bedeutung und ihrer Rechtsstellung überhaupt als gesellschaftlich relevant angesehen werden. 1 1 1 Das Schrifttum hat sich der bisher relativ abstrakten Rechtsprechung angeschlossen und räumt dem Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum sowohl bei der Frage ein, welche Gruppen überhaupt zu berücksichtigen sind, als auch bei der Frage, welches Verhältnis zwischen diesen noch als "angemessen" zu betrachten ist. 1 1 2 Als verfassungswidrig wird ein entspre­ chendes Gesetz daher nur betrachtet, wenn die Legislative eine Evidenz­ schwelle überschreitet. 1 1 3 So hält Lerche 1 14 die Frage der Angemessenheit als solche zwar für einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voller gerichtlicher Kontrolle unterworfen ist; dennoch schließe er in sich selbst (als Verbot des D ÖV 1979, 1 70 ff., insbesondere 172. Zum Problem vergleiche weiterhin den Rundfunkratsbeschluß des Bundesverfas­ sungsgerichts (BVerfGE 60, 53, 66 f.), der jedoch zu den materiellen Fragen der verfas­ sungsmäßigen Besetzung der Gremien nicht vordringt, da er das Verfahren bereits für unzulässig erklärt. Als Begründung heißt es, daß der antragstellenden politischen Partei kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Zuweisung eines Rundfunkratssitzes aus Art. 21 GG zustehen könne. Siehe dazu im einzelnen schon oben Teil 3, B. II. Auch die Entschei­ dung des Bundesverwaltungsgerichts DÖV 1985, 1 0 1 4 lehnt ein verfassungsrechtliches Klagerecht auf Teilhabe am Rundfunkrat ab, das über die Regelungen des NDR-Staatsver­ trages von 1980 hinausginge. 112 Lerche, Verfassungsfragen, 198; ders.• Landesbericht, 72 f.; Starck, Rundfunkfrei­ heit, 38 f.; Hendrik Schmidt, 242 ff. 113 Lerche, Landesbericht, 72 f. 114 ders., Verfassungsfragen, 1 98. 1 10 111

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nur nicht „Unangemessenen") einen entsprechenden Bewertungsspielraum des Gesetzgebers ein. Der nicht unerhebliche Entscheidungsspielraum bis hin zur Schwelle der Evidenz, der dem Gesetzgeber eingeräumt wird, trägt zutref­ fend der Einsicht Rechnung, daß in einer pluralistischen Gesellschaft stets eine solche Vielzahl von Gruppen vorhanden ist, daß nicht jede einzelne in den rundfunkrechtlichen Aufsichtorganen repräsentiert sein kann. Die Aus­ wahl zu treffen, obliegt dem unmittelbar demokratisch legitimierten Parla­ ment. Ins Detail gehende verfassungsrechtliche Vorschriften wird man in diesem Punkte dem kargen Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bei der Einhaltung des gebotenen judicial self-restraint 1 1 5 kaum entlocken können. Es erscheint deshalb angemessen, der Legislative eine nicht unerhebliche Freiheit bei der Bestimmung der Vertreter der Gesellschaft zu belassen. Ein Versuch der abschließenden Definition in diesem Punkte müßte notwendig an der Dynamik gesellschaftlicher Entwicklungsfähigkeit scheitern; dennoch erweisen sich die bisher in der Diskussion genannten - nicht abschließend gemeinten - Kriterien der Mitgliederzahl sowie der geistigen und sozialen Stellung als hilfreich. In jedem Fall ist eine umfassende Bewertung der öffentlichen Rolle der jeweiligen Organisation oder Kraft vonnöten, die sich wenigstens mit ihrer politischen, kulturellen, geistigen, sozialen und gesamt­ gesellschaftlichen Bedeutung auseinandersetzt. 2 . Das Gesetz über den „Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 19. März 1985 Die Frage der „angemessenen" Besetzung der Aufsichtsorgane in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mag bisher auch deswegen so vage behandelt worden sein, weil die Gerichte bei ihren Fallentscheidungen kaum je gezwungen waren zu beurteilen, ob eine Gruppe nun gesellschaftlich relevant ist oder nicht 1 1 6 beziehungsweise, ob die Gewichtung zwischen den Gruppen adäquat austariert ist. Da die maßgeblichen Kriterien bisher im allgemeinen nur recht abstrakt diskutiert wurden, empfiehlt sich die Betrach­ tung eines aktuellen Streitfalls, das heißt des Gesetzes über den „Westdeut­ schen Rundfunk Köln" vom 19. März 1985. Lerche 1 1 7 hält den dortigen Zu dieser Maxime siehe oben Teil 3, A. V. Eine eindeutige Festlegung traf nur das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, siehe oben Teil 4, A. IV. 1 17 Lerche, Verfassungsfragen, 1 98; zwar betrifft das dortige Verdikt den Entwurf des vorliegenden Gesetzes, der in der Endfassung noch geändert wurde. Der beanstandete Überhang wurde in dem verabschiedeten Text jedoch nur zu einem gewissen Teil zurück­ genommen, so daß der betreffende Vorwurf Lerches weiterhin gelten dürfte. Demgegen­ über problematisiert Stock (Landesmedienrecht, 50-57) diese Frage nicht und meint, der neue Rundfunkrat sei .ein gelungener Wurf des Reformgesetzgebers" (ders., Landesme­ dienrecht, 57). 1 15

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

Rundfunkrat für verfassungswidrig konzipiert, weil das Gesetz einen einsei­ tigen Überhang zugunsten der Interessen von abhängig Beschäftigten und insbesondere von gewerkschaftlich Organisierten vorsehe. § 15 dieses Geset­ zes sieht vier „Bänke" im Rundfunkrat vor, von denen eine direkt vom Landtag gewählt wird ( 12 Mitglieder), eine weitere die gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert ( 17 Mitglieder), eine dritte die Bereiche Kultur und Wissenschaft vertritt (9 Mitglieder) und die vierte sonstigen Personenkreisen (3 Mitglieder) vorbehalten ist. Unter den Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen findet sich die Unternehmerseite durch je einen Gesandten der Arbeitgeberverbände und des Handwerkerbundes repräsentiert. Dem stehen drei Beschäftigtenvertreter gegenüber, nämlich des Deutschen Gewerk­ schaftsbundes, der Deutschen Angestellten Gewerkschaft und des Deutschen Beamtenbundes. Dieses leichte Übergewicht könnte im Rahmen der Größe des Rundfunk­ rates insgesamt vielleicht im Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers liegen, doch hat es damit nicht sein Bewenden. Auf der Bank der Kulturvertreter des Rundfunkrates hat die Beschäftigtenseite nämlich noch zahlreiche weitere Benennungsrechte; so der Verband Deutscher Schriftsteller in der Industrie­ gewerkschaft Druck und Papier, die Genossenschaft Deutscher Bühnenan­ gehöriger, die Journalistenunion in der Industriegewerkschaft Druck und Papier sowie die Rundfunk-Fernseh-Film-Union. Hinzu kommt, daß das Eigenpersonal der Rundfunkanstalt ebenfalls noch - wenngleich nur mit beratender Stimme - durch zwei Mitglieder des Personalrates im Rundfunkrat vertreten wird. Die Gesamtschau zeigt, daß den eingangs genannten beiden Vertretern der Unternehmerseite eine nicht­ endenwollende Liste von Beschäftigtenvertretern gegenübersteht. Diese Zu­ sammensetzung droht die Waffengleichheit der Tarifparteien in der öffentli­ chen Diskussion einseitig zugunsten der abhängig Beschäftigten zu verschieben, was angesichts der Bedeutung, die der Rundfunkberichterstat­ tung im Rahmen von sozialen und arbeitsrechtlichen Fragen zukommt, nicht mehr vertretbar ist. Gerade in Konfliktsituationen sind auch die Rundfunk­ ratsmitglieder in der einen oder anderen Weise Partei und es erscheint unrea­ listisch, ihnen auch dann die volle Objektivität im Sinne einer Sicherstellung der Vielfalt der vorhandenen Meinungen zuzutrauen. Vielmehr ist eine Machtbalance erforderlich, die den - sicherlich zu den gesellschaftlich rele­ vanten Gruppen rechnenden - Sozialpartnern im großen und ganzen ver­ gleichbare Möglichkeiten gibt, sich Gehör zu verschaffen. Einseitig bevorzu­ gende Regelungen gefährden überdies die durch Art. 9 GG garantierte Tarifautonomie, 118 da ein freier Interessenausgleich in den Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und -gebern auch davon abhängt, daß beide Seiten 118 Zur Tarifautonomie i m einzelnen siehe Scholz, in: Maunz/Düring/Herzog, Art. 9 Rn. 299 ff.

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in den Massenmedien angemessen zu Wort kommen. Diesem Gebiet sozialer Balance wird - da ist Lerche beizupflichten - die Konstruktion des Rund­ funkrates im Westdeutschen Rundfunk nicht mehr gerecht. Die Regelung ist demgemäß als verfassungswidrig zu erachten. V. Anforderungen an die Kontrollmechanismen

1 . Ve ranstalterinterne Kontrollgremien Kernstück der Idee des Binnenpluralismus ist, daß jedes Programm in sich die Vielfalt der vorhandenen Meinungen in möglichster Vollständigkeit und Breite wiederzugeben hat. Garant hierfür sind die entsprechend den bisher herausgearbeiteten Grundsätzen staatsunabhängig und unter Beteiligung der gesellschaftlich relevanten Gruppen zu besetzenden Aufsichtsorgane. Diese Aufsichtsorgane benötigen zur effektiven Sicherstellung der Meinungsviel­ falt und damit zu ihrer Aufgabenerfüllung durchsetzungskräftige Möglich­ keiten, Fehlentwicklungen im Programmprofil entgegenzuwirken. Die ent­ sprechenden Strukturen unterscheiden sich naturgemäß je nachdem, ob die Aufsichtsorgane organisatorisch ein Teil der rundfunkveranstaltenden Insti­ tutionen sind oder ob das Aufsichtsorgan den Sendebetrieb von außen kon­ trolliert. Zunächst soll gefragt werden, wie das Mindestmaß an verfassungs­ rechtlich geforderten Kontrollmechanismen auszugestalten ist, wenn das Aufsichtsorgan - wie im herkömmlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk­ system üblich - in die rundfunkbetreibende Einheit integriert ist. Dabei bleibt festzuhalten, daß eine solche integrierte Kontrolle durchaus nicht an die Form des öffentlichen Rechts gebunden, sondern ebensogut zur Beauf­ sichtigung einer privatrechtlichen Rundfunkgesellschaft vorstellbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechenden Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG an diese Kontrollmechanismen zur Sicherstellung der Meinungsvielfalt erstmals in seinem dritten Fernsehurteil 1 1 9 präzisiert. Das inkriminierte Privatrundfunkgesetz sah einen Programmbeirat vor, der die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften über die Veranstaltung von Rund­ funksendungen und die Einhaltung der Satzung der Sender überwachen sollte. Dieses Gremium sollte den Veranstalter und die Aufsichtsbehörde auf entsprechende Verstöße hinweisen, alle Fragen erörtern, die für den Veran­ stalter von grundlegender Bedeutung sind und den Veranstalter in der Pro­ grammgestaltung beraten. Diese Beschränkung des Beirats auf Beratung, Erörterung und Empfeh­ lung sah das Bundesverfassungsgericht nicht als hinreichende Sicherstellung der Meinungsvielfalt in Gestalt effektiver Kontrollmechanismen an. Der 1 19

BVerfGE 57, 295 (331 f.).

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

Senat hob die Notwendigkeit effektiven Einflusses hervor. Demgegenüber sei die Stellung des Beirates zu schwach, um gegegenüber den unternehmeri­ schen oder sonstigen Gesellschaftsinteressen die Interessen der Allgemein­ heit wirksam zur Geltung bringen zu können. Es fehle an einem entscheiden­ den, durch Gesetz zu schaffenden und wirksam zu machenden Element der Gewährleistung der Rundfunkfreiheit durch "binnenpluralistische" Struktur des Veranstalters. 120 Man wird die Position des Gerichts dahin umreißen können, daß einem integrierten Aufsichtsorgan die Befugnis zustehen muß, Verstöße gegen die rechtlichen Grundlagen des privaten Veranstalters durch juristisch bindende Maßnahmen abzustellen, die ihrerseits die Möglichkeit einer effektiven Sanktion und Durchsetzung beinhalten. Als Minimum wird zu fordern sein, daß das Aufsichtsorgan Rechtsverstöße durch Beschluß feststellen und ihre Unterlassung rechtlich verbindlich verlangen kann. Fort­ gesetzte Verstöße sind mit Rechtsnachteilen für den Veranstalter zu verbin­ den, die in letzter Konsequenz bis zum Verlust der Sendeerlaubnis führen können. 2. Veranstalterexterne Kontrollgremien Da das Modell des Binnenpluralismus auch in der Weise verwirklicht werden kann, daß zwar das Programm des Veranstalters in sich dem Gebot der Meinungsvielfalt genügen muß, jedoch die Kontrolle hierüber nicht einem integrierten, sondern einem externen Gremium obliegt, 1 2 1 fragt es sich, welche Anforderungen in einem solchen Falle an die Einflußmöglichkeiten des Kontrollorgans zu stellen sind. Trotz des unterschiedlichen organisatori­ schen Ansatzes bleiben die materiellen Anforderungen von der Zielsetzung her identisch, weil in beiden Fällen durch Verfahrensrecht sicherzustellen ist, daß das binnenplurale Programmangebot tatsächlich ausgestrahlt wird, was wiederum bedeutet, daß dem Aufsichtsorgan rechtlich verbindliche Maß nahmen ermöglicht werden müssen, die ihrerseits mit derart effektiven Sank­ tions- und Vollstreckungsmaßnahmen zu bewerten sind, daß eventuelle De­ fizite der Vielfalt nachhaltig beseitigt werden können. Praktische Anschauung für diesbezügliche rechtstechnische Gestaltungs­ möglichkeiten bietet das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz. Dieses enthält für eine Übergangszeit die Verpflichtung eines jeden privaten Rund­ funkveranstalters zu binnenpluraler Programmvielfalt. 1 22 Die Erfüllung die­ ser Pflicht wird von dem Landesrundfunkausschuß beaufsichtigt, dessen Einfluß- und Sanktionsmöglichkeiten auf die Veranstalter den verfassungs1 20 121 122

BVerfGE 57, 295 (332). Zur Begriffsbestimmung siehe oben Teil 4, A. 1. § 1 5 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Nds. LRG.

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gerichtlichen Anforderungen standhalten. 12 3 Der Landesrundfunkausschuß kann gemäß § 28 Abs. 2 Nds. LRG feststellen, daß ein Programm oder eine Sendung gegen das Recht verstößt und den Veranstalter zur Unterlassung anweisen. Wird nach einer solchen vollziehbaren Anweisung erneut schwer­ wiegend gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen, so kann der Landes­ rundfunkausschuß - nach entsprechender Androhung - den Widerruf der Erlaubnis zur Rundfunkveranstaltung veranlassen (§ 28 Abs. 4 Nds. LRG). Dieses Überwachungsmodell ermöglicht es, rechtsverbindliche Anweisun­ gen zu geben. Zugleich baut es für den Fall der Nichtbefolgung der Auf­ sichtsmaßnahmen Vollstreckungsdruck in Form der gravierenden Sanktion Erlaubniswiderruf auf. Mit diesem Instrumentarium von Sanktionen er­ scheint es vorstellbar, die Einhaltung der Vorschriften über die Meinungs­ vielfalt auch effektiv durchzusetzen, da dem Veranstalter wesentliche Rechtsnachteile angedroht werden. Es handelt sich bei selbigem Regelungs­ modell also um eine gelungene Umsetzung der verfassungsrechtlichen An­ forderungen. VI. Privatrundfunkgesetze mit binnenpluralistischen Zielsetzungen l . Hamburg a) Die Gesetzeskonzeption

Die achtziger Jahre haben in nahezu allen Bundesländern zur Verabschie­ dung neuer Rundfunk- oder Mediengesetze geführt, die die Veranstaltung von Rundfunksendungen durch privatrechtlich organisierte Veranstalter zu­ lassen. 124 In der Vielzahl der Gesetze lassen sich im Rahmen einer systemati­ schen Gruppierung vier Gesetzgebungsmodelle zur Sicherstellung der Mei­ nungsvielfalt bei Zulassung privater Rundfunkunternehmen ausmachen: die erste Gruppe von Gesetzen zielt prinzipiell darauf ab, das von den bestehen­ den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern bekannte Modell des Bin­ nenpluralismus - zumindest soweit es den Programminhalt betrifft 125 - auf die neuen Veranstalter zu übertragen; 126 die zweite Gruppe geht diametral entgegengesetzt unmittelbar in ein Modell des Außenpluralismus über und unterwirft das einzelne Programm der neu lizenzierten Rundfunkunterneh­ mer zu keinem Zeitpunkt dem Gebot der inneren Meinungsvielfalt; 127 eine 123 1 24 125 126 1 27

Vgl. BVerfGE 73, 1 1 8 (167 ff.). Siehe zur geschichtlichen Entwicklung im einzelnen oben Teil 2, A., II. 4. c). Zu den beiden Varianten des Binnenpluralismus siehe schon oben Teil 4, A. 1. Hamburg; Nordrhein-Westfalen. Rheinland-Pfalz; Berlin.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

dritte Gruppe schließlich wählt einen Mittelweg und verlangt zunächst von jedem einzelnen Programm die Präsentation binnenpluraler Vielfalt; ist eine so große Zahl privater Veranstalter zugelassen, daß die Meinungsvielfalt durch ein Konzert unterschiedlicher Stimmen herstellbar erscheint, gehen die Gesetze der dritten Gruppe zum Modell des Außenpluralismus über und entheben den einzelnen privaten Unternehmer von der Verpflichtung, ein binnenpluralistisch geprägtes Sendeangebot auszustrahlen. 128 Einen vierten Weg geht Bayern, das ein Mischmodell eigener Art aus Binnen- und Außenpluralismus geschaffen hat. Es gilt dementsprechend zunächst zu fragen, inwieweit die Privatrund­ funkgesetze mit binnenpluralistischen Zielvorstellungen den bisher für das entsprechende Regelungsmodell entwickelten verfassungsrechtlichen An­ forderungen gerecht werden. Dem Hamburgischen Mediengesetz vom 3. Dezember 1985 liegt dieses Ordnungsmodell zugrunde. Der Gesetzgeber ist ausweislich der amtlichen Begründung davon ausgegangen, in den Vollpro­ grammen sei ein Binnenpluralismus grundsätzlich schon deshalb erforder­ lich, weil in absehbarer Zeit eine außen pluralistische Rundfunkstruktur nicht zu erwarten sei. 1 29 b) Der Verwaltungsaufbau Organisatorisches Herzstück des Verwaltungszweiges für die privaten Rundfunkveranstalter ist die Hamburgische Anstalt für Neue Medien, die gemäß § 52 HambMG erricht wird. Zu ihren Aufgaben gehören insbesondere die Erteilung der Sendeerlaubnis (§ § 1 6 ff. HambMG) und die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften über die Sicherstellung der Meinungsvielfalt (§ § 6 ff. HambMG). Hamburg hat sich demgemäß für eine veranstalterexterne Kontrolle der binnenpluralen Programmstruktur entschieden. Sowohl die Einrichtung eines binnenpluralistischen Systems als auch der Verzicht auf veranstalterin­ terne Aufsichtsorgane sind grundsätzlich 1 30 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und stellen mögliche Antworten des Gesetzgebers auf seine Aufgaben dar, im Falle der Zulassung privater Anbieter eine rechtliche Ordnung zu schaffen, die der Gewährleistung der Freiheit des Rundfunks durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG entspricht. 1 3 1 Im Mittelpunkt des verfassungs128 Baden-Württemberg; Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein: die jeweiligen Landesgesetze werden im folgenden einzeln behandelt. 129 Zu § 6, in: Begründung zum Entwurf für ein Hamburgisches Mediengesetz, abge­ druckt zum Beispiel bei Meyer/Schiwy/Schneider, D 1.6/2. 130 Zu einer Ausnahme siehe oben Teil 3, F. IV. 4. 1 3 1 Zu den Pflichten der Legislative vgl. BVerfGE 57, 295 (3 19 ff.).

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rechtlichen Interesses steht bei jeglicher binnenpluralistischer Lösung natur­ gemäß zunächst die Errichtung und Zusammensetzung der Aufsichtsorgane. Diese stellen den Garanten dafür dar, daß das Rundfunkprogramm vielfältig und staatsfrei bleibt. Aus diesem Grunde kommt der Sicherstellung der angemessenen Repräsentanz aller gesellschaftlich relevanten Gruppen und Kräfte in diesen Gremien höchste verfassungsrechtliche Priorität zu. Das Hamburgische Gesetz sieht als Vertretungsorgan der Gesellschaft den elfköpfigen Vorstand der Hamburgischen Anstalt für Neue Medien vor (§ § 2, 53 HambMG). Seine Zusammensetzung erfolgt nach einem neuartigen und relativ komplizierten Verfahren, das bereits beachtliche verfassungs­ rechtliche Kritik auf sich gezogen hat. 1 3 2 Wahlvorschläge können von einer Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen unterbreitet werden. Das Gesetz faßt jeweils mehrere gesellschaftliche Gruppen ähnlicher Zielsetzung unter einer Ziffer zusammen (§ 59 Abs. 2 Nr. 1-6 HambMG); zum Beispiel unter Nr. l die großen Religionsgemeinschaften. Die Mitglieder des Vorstands werden von der Bürgerschaft aus dem Kreis der vorgeschlagenen Personen gewählt, wobei jede Fraktion mindestens einen Vorstandsangehörigen wäh­ len darf und im übrigen das Stärkeverhältnis der Fraktionen maßgeblich ist (§ 55 Abs. 3 HambMG). Die zusätzliche Besonderheit des Wahlverfahrens besteht darin, daß jede Fraktion aus den Vorschlägen der in § 55 Abs. 2 S. 1 HambMG jeweils unter den Ziffern 1 bis 6 zusammengefaßten Organisatio­ nen nur eine der vorgeschlagenen Personen in ihren Wahlvorschlag aufneh­ men darf. Dieses Verfahren kann ohne weiteres dazu führen, daß zahlreiche der vorschlagsberechtigten Organisationen im Aufsichtsgremium nicht berück­ sichtigt werden. Ein Beispiel: Sind in der Bürgerschaft zwei Fraktionen vertreten und wählt jede von ihnen unter der Nummer l des § 55 Abs. 2 HambMG einen Vertreter aus dem Vorschlag der evangelisch-lutherischen Kirche aus, so bleiben die römisch-katholische sowie die Jüdische Gemeinde in Hamburg unvertreten. Es fragt sich, ob derartige Unsicherheiten und Mißrepräsentationen mit den strengen Anforderungen in Einklang zu bringen sind, die das Bundesver­ fassungsgericht im dritten Fernsehurteil für die gesetzliche Organisation des Binnenpluralismus formuliert hat. 1 3 3 Danach kommt es bei dieser Organisa­ tion in besonderem Maße darauf an, daß alle gesellschaftlich relevanten Kräfte in dem Organ vertreten sind, welches ihren Einfluß vermitteln soll. Das Gesetz muß die relevanten Gruppen grundsätzlich selbst bestimmen und es genügt nicht, wenn große Gemeinschaften des öffentlichen Lebens ledig­ lich gehört werden. Vielmehr sind konkrete Kriterien erforderlich. Die Regeui Doll, 159 f.; Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, 74 f. m Zum folgenden siehe die Passage BVerfGE 57, 295 (330 f.).

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

lung muß so bestimmt sein, daß eine tatsächliche Repräsentation der plurali­ stischen Allgemeinheit in dem Aufsichtsorgan hinreichend gesichert erscheint. Gerade in diesem Punkt der Bestimmtheit der Bezeichnung der Repräsentanten der Allgemeinheit ergeben sich jedoch durchgreifende Be­ denken gegen das Hamburgische Mediengesetz. Auf den ersten Blick schei­ nen zwar die großen gesellschaftlichen Gruppen im wesentlichen namentlich unter den Wahlvorschlagsberechtigten genannt zu sein. Die Zusammenfas­ sung jeweils mehrerer Gruppen unter einer Ziffer, aus der jede Fraktion grundsätzlich nur einen Kandidaten auswählen darf, führt jedoch zu einer völligen Unsicherheit darüber, welche einzelnen gesellschaftlichen Organisa­ tionen überhaupt im Vorstand vertreten sind und wenn ja, in welchem Kräfteverhältnis sie stehen werden. Diese Unsicherheit darf jedoch ange­ sichts des hohen verfassungsrechtlichen Stellenwertes der Meinungsvielfalt nicht hingenommen werden. So kann es - entsprechend dem oben gebilde­ ten Beispiel - vorkommen, daß eine der großen Religionsgemeinschaften im Repräsentationsorgan gar nicht vertreten ist, obwohl angesichts der Größe und geistigen Bedeutung der christlichen Kirchen in Deutschland diese nach bisher unwidersprochener Ansicht 1 34 zu den gesellschaftlich relevanten Gruppen zu zählen sind. Die fehlende Bestimmtheit der Bezeichnung der gesellschaftlichen Reprä­ sentanten kombiniert sich bei den Einwänden gegen die gesetzliche Regelung überdies mit Bedenken hinsichtlich der Staatsfreiheit des Gremiums. 1 3 5 Sämtliche Vertreter werden von der Bürgerschaft gewählt; dieser Umstand ist nicht unbedingt zu beanstanden, solange durch gesellschaftliche Vorschlags­ rechte sichergestellt bleibt, daß die Loyalität der Repräsentanten in erster Linie den Gruppen verbleibt, die sie in dem Aufsichtsorgan repräsentieren sollen. Zusammen mit der erheblichen Unbestimmtheit, die dem Wahlver­ fahren nach dem Hamburgischen Mediengesetz immanent ist, ergeben sich jedoch durch die aufgezeigten weiten Spielräume erhebliche Manipulations­ möglichkeiten für das staatliche Organ Bürgerschaft. 1 3 6 Auf diesem Wege bestehen übermäßige staatliche Einflußmöglichkeiten auf Besetzung und Arbeit des Vorstands der Anstalt, selbst wenn staatliche Stellen für sich gesehen kein direktes Entsenderecht besitzen. Per Saldo ist daher festzuhal­ ten, daß § 55 HambMG sowohl unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheits­ gebotes als auch dem der Staatsfreiheit gegen das Grundgesetz verstößt.

1 34

Siehe oben Teil 4, A. IV. 1 . Zum zulässigen Ausmaß staatlichen Einflusses siehe oben Teil 4 , A. III. 1 36 Vergleiche zum Maßstab der Staatsfreiheit auch Do//, 160, der die Regelung ebenfalls unter diesem Aspekt als verfassungswidrig betrachtet. 1 35

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c) Normierung der Meinungsvielfalt aa) Der Grundsatz Das Hamburgische Mediengesetz geht prinzipiell davon aus, daß in der Hansestadt veranstaltete Rundfunkprogramme binnenplurale Inhalte auf­ zuweisen haben. Gemäß § 6 Abs. 1 HambMG haben die einzelnen überregio­ nalen und regionalen Vollprogramme die Vielfalt der Meinungsrichtungen im wesentlichen zum Ausdruck zu bringen. Die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen Kräfte und Gruppen müssen in den einzelnen überregio­ nalen und regionalen Vollprogrammen angemessen zu Wort kommen. Auf­ fassungen von Minderheiten sind zu berücksichtigen. Ferner hebt § 6 Abs. 2 HambMG hervor, daß die einzelnen Rundfunkprogramme nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dienen dürfen. Zunächst ist zu vermerken, daß sich die Hamburgische Legislative sowohl mit ihrer Grundsatzentscheidung für das System des Binnenpluralismus als auch mit der Regelung, dieses dauerhaft beizubehalten und nicht zu gegebe­ ner Zeit auf außenpluralistische Strukturelemente überzuwechseln, im Ver­ fassungsrahmen hält. Grundsätzlich kann der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Sicherstellung der Meinungsvielfalt bei Zulassung privater Rundfunkveran­ stalter durch eine binnenplurale Ordnung entsprechen; 1 3 7 er genießt insoweit einen Entscheidungsspielraum. Dieser Spielraum wird nach zutreffender Ansicht 1 3 8 auch dann nicht im Sinne einer einseitigen Priorität des Außen­ pluralismus eingeengt, wenn im Rundfunksektor ein Überfluß an Frequen­ zen und sonstigen Übertragungsmöglichkeiten entstehen sollte. Zwar enthält die Rundfunkfreiheit auch wesentliche individualrechtliche Elemente; auf­ grund der überragenden Bedeutung dieses Kommunikationsgrundrechts für das Demokratieprinzip und der damit auf das Engste verknüpften objektiv­ rechtlichen Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bleibt jedoch die Feinabstimmung der Sicherstellung der Meinungsvielfalt dem gewählten Gesetzgeber vorbehalten, dem schon aus funktionalen Erwägungen heraus wegen der dynamischen Entwicklungsmöglichkeiten dieses Rechtsgebiets eine gewisse Flexibilität zuzugestehen ist. Angesichts des spärlichen Norm­ textes tut insoweit ein Stück judicial self-restraint gegenüber dem Parlament not. Fraglich bleibt hingegen, ob § 6 Abs. 1 , 2 HambMG die Verpflichtung des Rundfunkveranstalters hinreichend bestimmt umschreiben. Dort wird quasi lediglich die Verfassungsrechtsprechung von der Vielfalt der Meinungen referiert, ohne daß eine detaillierte Ausformung erfolgt. Für den privaten 13 7 BVerfGE 57, 295 (325). 138 Zu dieser Diskussion siehe schon oben Teil 3, F.

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Veranstalter ist nur schwer zu ersehen, was genau in diesem Punkte von ihm gesetzlich verlangt wird. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß auch die Vorbilder des binnenpluralistischen Systems in Form der öffentlich-rechtli­ chen Rundfunkanstalten in der Regel keine eingehendere Durchnormierung ihrer Ausgewogenheitsverpflichtungen aufweisen. 1 3 9 Dies ergibt sich letztlich aus der oben 140 herausgearbeiten Natur der Meinungsvielfalt als Prozeß. Es handelt sich nicht um einen statisch definierten Begriff, den man in Quoten oder mathematischen Formeln ausdrücken könnte, sondern um einen stets nur annäherungsweise zu erreichenden Zielwert; eine weitergehende gesetzli­ che Ausgestaltung kann daher nicht verlangt werden, wäre wohl gar von der Gesetzgebungstechnik her aus kaum möglich. Die damit verbundene Unsi­ cherheit für den Rundfunkveranstalter und seine Journalisten gehört zum Wesen rundfunkpublizistischer Tätigkeit und muß aus dem Zusammenspiel von Öffentlichkeitswirkung, Aufsichtsarbeit und Sendetätigkeit zu einer praktisch akzeptablen Lösung geführt werden. Eine weiter ins Detail ge­ hende gesetzliche Durchnormierung könnte eher schaden als nützen, weil sie der Entwicklungsfähigkeit ihres Gegenstandes kaum gerecht würde. Dem entspricht letztlich auch die Argumentation des Bundesverfassungs­ gerichts im Rahmen der verfassungsrechtlichen Billigung des in vergleichba­ rer Weise offen und vage formulierten Ausgewogenheitsmaßstabes des § 15 Abs. 3 Nds. LRG. 1 4 1 Der Senat meint, dieser Maßstab sei zwar in hohem Maße unbestimmt; er lasse sich aber nicht näher konkretisieren. Es handele sich um einen Riebt- und Annäherungswert, der den zuständigen Organen eine Aufgabe stelle, dessen Realisierungen sich indessen nach Bestand und Gewicht nicht exakt messen ließen. Auch wenn ein solcher Maßstab nur bedingt geeignet erscheinen möge, Einzelverstöße im Rahmen einer laufen­ den Kontrolle mit der notwendigen Klarheit aufzuweisen oder zu verhindern, ermögliche er doch die Prüfung und Entscheidung, ob gleichgewichtige Vielfalt im wesentlichen bestehe. Diese Gedanken lassen sich in entsprechender Weise auf die einschlägige Hamburgische Gesetzespassage transformieren. Sie verdienen im Hinblick auf die Einsicht in die Prozeßhaftigkeit des Wesens der Meinungsvielfalt uneingeschränkte Zustimmung. Rufe nach größerer Konkretisierung der Maßstäbe 1 42 sind demgemäß zurückzuweisen. Nach allem ist die Formulie­ rung des Prinzips der Meinungsvielfalt in der durch § 6 Abs. 1, 2 HambMG gewählten Form unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Rund­ funkfreiheit nicht zu beanstanden. 1 39 Zu den entsprechenden Rechtsgrundlagen siehe schon oben Teil 4, A. II. 140 Teil 3, F. 141 BVerfGE 73, 1 1 8 ( 168 f.). 142 Zum Niedersächsischen Landesrundfunkgesetz siehe zum Beispiel Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Starck, 100 ff.

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bb) Sicherungsmechanismen Die verfassungsrechtliche Forderung nach Effektuierung des Prinzips der Meinungsvielfalt beinhaltet nicht nur die Pflicht des Gesetzgebers entspre­ chende Grundsätze zu formulieren, sondern auch deren Kontrolle und Durchsetzung zu gewährleisten. 143 Aufsichtsorgan für die Einhaltung der Programminhaltsvorschriften ist gemäß § § 53 Abs. 2 Nr. 2, 54 Abs. 1 HambMG der Vorstand der Hamburgischen Landesanstalt für Neue Me­ dien. Er kann feststellen, daß durch ein Rundfunkprogramm gegen das Gesetz oder die Zulassung verstoßen wird und bestimmte Maßnahmen oder Unterlassungen vorsehen. Sofern der Anbieter wiederholt schwerwiegend gegen seine Verpflichtungen hinsichtlich der Gewährleistung der Meinungs­ vielfalt verstoßen und die Anweisungen der Anstalt nicht befolgt hat, wird seine Zulassung widerrufen (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 HambMG). Die Kontrollin­ strumente der Unterlassungsverfügung und des Widerrufs der Sendeerlaub­ nis sind die typischen gesetzgebungstechnischen Elemente zur Realisierung inhaltsregulierender Programmvorschriften und erscheinen nach den oben 144 entwickelten Grundsätzen aus der Sicht des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als ausreichende Normierung. Da Meinungsvielfalt von der Unterschiedlichkeit der präsentierten Stand­ punkte lebt, drohen ihr aus der wirtschaftlichen Vermachtung infolge von Konzentrationsprozessen besondere Gefahren. 145 Der Gesetzgeber hat in diesem Punkte sowohl Vorkehrungen zur Prävention der Verschmelzung mehrerer Rundfunkanbieter zu treffen als auch zu verhindern, daß Doppel­ monopole aus Presseprodukten und Rundfunkprogrammen zugunsten eines privaten Anbieters entstehen. Das Hamburgische Mediengesetz trägt diesen Prinzipien in § 19 Rechnung: Eine Anbietergemeinschaft oder ein Einzelan­ bieter darf danach nur für jeweils ein Hörfunk- oder Fernsehprogramm zugelassen werden. Einer nachträglichen Verschmelzung wirkt § 20 Abs. 4 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 Nr. 1 HambMG in genügendem Maße entgegen; danach sind Änderungen, die nach der Entscheidung über die Zulassung eintreten und eine Beschränkung in diesem Punkte auslösen, anzuzeigen. Sofern nachträglich die Beschränkung eines Anbieters auf ein Programm durch Konzentrationsprozesse überschritten wird, ist die Zulassung zu wi­ derrufen. Hinsichtlich der Sonderproblematik von Doppelmonopolen sieht § 19 Abb. 2 HambMG vor, daß ein Antragsteller für ein regionales, das heißt auf Hamburg bezogenes, Programm als Einzelanbieter nicht zugelassen werden kann, wenn er dort bei Tageszeitungen eine marktbeherrschende Stellung 1 43 1 44 145

Siehe dazu oben Teil 3, F. Siehe oben Teil 4, A. V. Dazu schon oben ausführlich Teil 3, F.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

besitzt. An einer Anbietergemeinschaft für ein regionales Programm darf er sich höchstens mit 25 vom Hundert der Stimmrechte beteiligen. Diese Vor­ schriften beugen der Gefahr vor, daß der Rezipient der Massenmedien den Eindruck gewinnt, die unterschiedlichen Verbreitungsformen bürgten für verschiedenartige Verantwortliche, während in Wahrheit ein und derselbe Medienkonzern oder Unternehmer hinter den einzelnen Angeboten steht. Als Korrelat der Effektuierung der Meinungsvielfalt sieht Hamburg schließlich einen offenen Kanal vor, der einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen, die nicht Rundfunkanbieter sind, Gelegenheit zur Verbreitung eigener Beiträge gibt (§ 30 HambMG). In dieser Regelung ist eine zusätzliche Vielfaltsergänzung zu erblicken, die dazu beitragen kann, temporäre Störun­ gen der Meinungsvielfalt auf Seiten der lizenzierten Anbieter abzumildern und von daher als Pluralitätsreserve und somit dem Gesamtkonzept der Freiheit des Rundfunks förderliche Einrichtung bewertet werden darf. Die Etablierung eines solchen Forums ist zwar verfassungsrechtlich nicht zwin­ gend geboten, steht jedoch im Ermessen des Gesetzgebers und darf rechtspo­ litisch begrüßt werden. Einer gewissen Ergänzung bedarf die Sicherung der Meinungsvielfalt in Hamburg für den Fall, daß die Zahl der privaten Veranstalter einer Pro­ grammart auf einen einzigen beschränkt ist, sei es in einer Anlaufphase der dualen Rundfunkordnung oder durch Ausscheiden von privaten Konkurren­ ten. Handelt es sich in einer solchen Situation nicht um eine Veranstalterge­ meinschaft, bei der ein vorherrschender Einfluß eines Beteiligten vertraglich ausgeschlossen ist, sondern kann eine einzelne Person solchen Einfluß aus­ üben, so bedarf es weiterer Sicherungsmechanismen, wie etwa der Bildung eines Programmbeirates, dem effektiver Einfluß auf das Programm zu­ kommt. 1 46 In diesem Punkte ist die Hamburger Legislative verfassungsrecht­ lich zur Nachbesserung aufgerufen. cc) Weiterverbreitung Besonderen Augenmerks bedarf noch die Normierung der Verbreitung außerhalb Hamburgs produzierter Rundfunkprogramme. Das Bundesver­ fassungsgericht verlangt auch für diese Materie gesetzliche Regelungen, die jedoch nicht soweit zu gehen brauchen wie die Anforderungen an die Veran­ staltung von Rundfunksendungen. 1 47 Das Gericht verweist zutreffend dar­ auf, daß nicht erkennbar sei, was mit strengen Voraussetzungen erreicht werden könnte, wenn daneben außerhalb des Landes gesendete, mit durch­ schnittlichem Antennenaufwand empfangbare Programme als "allgemein 1 46 147

BVerfGE 73, 1 1 8 (174 f.); dazu näher oben Teil 3, F. BVerfGE 73, 1 1 8 (197 ff.); näher dazu: Albrecht Hesse, Weiterverbreitung, 28. f.

A. Das Modell des Binnenpluralismus

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zugängliche Quellen" (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) der lanuesgesetzlichen Rege­ lung prinzipiell unzugänglich seien. 1 48 Auf inhaltlicher Seite ist jedoch min­ destens auch zur Weiterverbreitung in Kabelanlagen zu fordern, daß ein Gegendarstellungsrecht für Betroffene besteht und eine Verpflichtung zu sachgemäßer, umfassender und wahrheitsgemäßer Information aufgestellt wird. 1 49 Gemäß § 41 Abs. 1 HambMG bedürfen öffentlich-rechtliche Programme und solche, die mit durchschnittlichem Antennenaufwand in Hamburg emp­ fangbar sind, keiner besonderen Zulassung zur Einspeisung ins Kabelnetz. Sonstige Programme benötigen eine Zulassung (§ 41 Abs. 2 HambMG), die voraussetzt, daß Jugendschutz und gewisse Programmgrundsätze eingehal­ ten werden (§ § 43 Abs. 1, 42 Abs. 2 HambMG). Diese Programmgrundsätze betreffen vornehmlich die Achtung der Verfassungsordnung und der Men­ schenwürde sowie das Verbot der Kriegsverherrlichung und der Aufstache­ lung zum Rassenhaß (§ 7 HambMG). Demgegenüber versäumt es das Ge­ setz, festzuschreiben, daß die Programme zu sachgemäßer, umfassender und wahrheitsgemäßer Information und zu einem Mindestmaß an gegenseitiger Achtung verpflichtet sind. Da das Gebot der Meinungsvielfalt, wie es aus Art. 5 Ab. 1 S. 2 GG herzuleiten ist, auch für die bloße Weiterverbreitung von Programmen eine derartige gesetzliche Regelung erfordert, 1 50 stellt ihr Feh­ len einen Verstoß gegen das Grundgesetz dar. Eine ausreichende Regelung des Gegendarstellungsrechts gegenüber wei­ terverbreiteten Programmen ist hingegen durch § 42 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 13 HambMG getroffen worden. 1 5 1 2. N o r d r h e i n - W e s t fa l e n a) Grundstrukturen Mit dem Rundfunkgesetz vom 19. Januar 1987 hat sich Nordrhein-Westfa­ len ebenfalls für die Einführung einer dualen Rundfunkordnung entschieden, die laut amtlicher Begründung den Zweck besitzen soll, das Land zu einem „attraktiven" Standort auch für private Rundfunkveranstalter werden zu lassen. 1 52 Von der Grundkonzeption der Sicherung der Meinungsvielfalt her 148

BVerfGE 73, 1 1 8 ( 197). BVerfGE 73, 1 1 8 ( 1 99); die Gegendarstellung stützt sich nicht auf das Konzept der Meinungsvielfalt, sondern auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 , 2 Abs. 1 GG, wird jedoch wegen der sachlichen Nähe hier mitbehandelt. 1 50 BVerfGE 73, 1 1 8 (200 f.). 15 1 Zu diesem Erfordernis siehe näher BVerfGE 73, 1 1 8 (200 f.). 1 52 Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung: Landesmediengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 1986, A. Allgemeiner Teil, 1., abgedruckt bei: Meyer/Schiwy/Schneider, D 1 . 9/2. 149

12 Schuster

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

betrachtet, läßt sich das Gesetz in diejenige systematische Gruppe einordnen, die auch für privatrechtlich organisierte Rundfunkveranstalter dauerhaft die Verfolgung binnenpluralistischer Programmzielsetzungen verlangt. 1 5 3 Die Entscheidung für ein solches System der Vielfaltsverwirklichung ist nach den obigen Erkenntnissen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 1 54 Im Zentrum der Verwaltungsorganisation für den privatwirtschaftlichen Rundfunkbetrieb steht die "Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfa­ len" (§ § 48 ff. LRG NW). In ihre Kompetenz fallen vor allem die Zuweisung der Übertragungskapazitäten, die Sicherstellung der Einhaltung der gesetzli­ chen Vorschriften des Rundfunkrechts und die Entwicklung des nordrhein­ westfälischen Rundfunkwesens im Rahmen des Gesetzes. Ihre Organe sind der Direktor und die Rundfunkkommission. Letztere ist das pluralistisch konzipierte Gremium, welches den Einfluß der relevanten gesellschaftlichen Gruppen auf den Rundfunk gewährleisten soll. Seine Zusammensetzung regelt sich nach § 52 LRG NW, der nach Inhalt und Wortlaut sehr eng an die Vorschrift über die Besetzung des Rundfunkrats des Westdeutschen Rund­ funks angelehnt ist und deshalb im Ergebnis denselben verfassungsrechtli­ chen Einwänden unterliegt. 1 5 5 In beiden Fällen hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum bei der Besetzung der rundfunkrechtli­ chen Repräsentationsorgane überschritten und eine Zusammensetzung ge­ wählt, die nicht mehr dem Gebot der angemessenen gesellschaftlichen Ver­ tretung entspricht, weil sie die Gesandten der Gruppe der abhängig Beschäftigten unverhältnismäßig bevorzugt. Die Bank der gesellschaftlichen Gruppen ist in § 52 Abs. 3 LRG NW gegenüber dem Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunksrats um eine Person vergrößert worden, was je­ doch für das Gewicht der Sozialpartner untereinander nicht ausschlaggebend ist, da es sich bei der Erweiterung um ein Mitglied für die Familienverbände und den Frauenrat des Landes handelt. Etwas bedeutendere Verschiebungen ergeben sich auf der Bank für den kulturellen Sektor. Dort dürfen die Rundfunk-Fernseh-Film-Union und die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger nicht mehr jeweils einen Ver­ treter, sondern nur noch gemeinsam ein Mitglied entsenden. Demgegenüber ist aus den Reihen der Wirtschaft die Gruppe der Verleger in § 52 Abs. 5 Nr. 9 LRG NW zusätzlich mit einem Entsenderecht ausgestattet worden. Dies führt dazu, daß auf der „kulturellen Bank" immerhin noch drei unmittelbar von gewerkschaftlichen Organisationen gesandte Mitglieder sitzen, denen gegenüber der Gesandte der Zeitungsverleger kein ausreichendes Gegenge­ wicht bilden kann. Auch die sonst noch für den Kultursektor entsendebe­ rechtigten Institutionen wie Filmbüro, Berufsverband Bildender Künstler et 153 1 54 1 55

Zu dieser Systematisierung siehe oben Teil 4, A. VI. Vergleiche oben Teil 3, F. Zum Westdeutschen Rundfunk siehe oben Teil 4, A. IV.

A. Das Modell des Binnenpluralismus

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cetera vermögen hier die spezifisch zwischen den Sozialpartnern verschobene Relation nicht mehr zu heilen. Die Modifikationen gegenüber der Bildung des Rundfunksrates des Westdeutschen Rundfunks fallen somit nicht ent­ scheidend ins Gewicht. Die Regelung des § 52 LRG NW über die Bildung der Rundfunkkommission verstößt daher ebenfalls gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Eine Besonderheit der neuen nordrhein-westfälischen Rundfunkordnung für private Betreiber liegt gemäß § § 6 Abs. 1, 25 Abs. 1 LRG NW darin, daß nur Veranstaltergemeinschaften eine Zulassung erhalten können, wodurch Einzelveranstalter von den jüngst erschlossenen Kommunikationswegen ferngehalten werden. Es fragt sich, ob diese Einschränkung mit der Freiheit des Rundfunk vereinbar ist. Wie bereits oben 156 eingehend erörtert wurde, enthält das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur eine institutio­ nelle, sondern auch eine individualrechtliche Komponente, die unter ande­ rem dazu führt, daß der einzelne Grundrechtsträger einen Anspruch auf Partizipation an der Rundfunkveranstaltung hat, sobald die Frequenzlage dies erlaubt. Herauszuarbeiten bleiben die Reichweite dieses subjektiven Rechtes im Detail und die Kautelen, unter die es gesetzgeberisch gestellt werden kann oder gar muß, um einen Ausgleich mit den objektivrechtlichen Elementen und Anforderungen der Rundfunkfreiheit zu erzielen. Auf diesem Weg findet sich auch die Lösung zu der Frage, ob es ein Recht auf Zulassung als Einzelveranstalter geben kannn und wann dieses gegebenenfalls entsteht. Dabei ist vornehmlich zu berücksichtigen, daß die individualrechtliche Komponente des Grundrechtes zurücktreten muß, soweit dies im Interesse der des für die Demokratie überragend wichtigen Prinzips der Vielfalt der Meinungen im Rundfunk erforderlich ist. Dem nordrhein-westfälischen Ge­ setzgeber geht es darum, durch organisatorische Gewährleistung verschiede­ ner Einflüsse in Form einer Veranstaltergemeinschaft zu erreichen, daß einzelne Personen keinen einseitigen Einfluß auf Programme erhalten. Dem­ gemäß definiert auch § 2 Abs. 9 LRG NW, den Veranstalter als denjenigen, der nach Zulassung als Veranstaltergemeinschaft ein Rundfunkprogramm veranstaltet oder verbreitet. Die Veranstaltergemeinschaft muß mindestens aus drei Personen bestehen oder eine juristische Person sein, bei der drei oder mehr Personen Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte besitzen. Zweifelhaft bleibt jedoch, ob diese organisatorische Sicherung der Vielfalt des Pro­ gramms erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, oder ob hierin eine übermäßige Beschränkung des Individualrechtsgehaltes der Rundfunk­ freiheit liegt. Dabei ist zu beachten, daß die Meinungsvielfalt üblicherweise bereits durch die Sicherungsmodelle des Binnen- oder Außenpluralismus hinreichend wahrscheinlich gewährleistet werden kann. Der völlige Aus­ schluß von natürlichen Einzelpersonen oder ihren Gesellschaften als Veran­ stalter erscheint somit als unverhältnismäßige, da nicht erforderliche Ein156

12•

Siehe oben Teil 3, C. II.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

schränkung des subjektivrechtlichen Elementes der Rundfunkfreiheit. Die entsprechenden Vorschriften des nordrhein-westfälischen Landesrundfunk­ gesetzes erweisen sich somit als grundgesetzwidrig. Ein weiteres tragendes Strukturelement dieser Rundfunkordnung ist die grundsätzliche Unterscheidung zwischen landesweitem (§ § 4 ff. LRG NW) und lokalem Rundfunk (§ § 23 ff. LRG NW). Für letzteren weist dieses Land ein bundesweites Unikum auf in der Form der organisatorischen Trennung zwischen einer Veranstaltergemeinschaft und einer Betriebsgesellschaft. Von der verfassungsrechtlichen Bewertung dieses sogenannten "Zwei-Säulen­ Modells" wird noch gesondert zu handeln sein. b) Normierung der Meinungsvielfalt Die Meinungsvielfalt wird in dem nordrhein-westfälischen Gesetz durch die dauerhafte Institutionalisierung binnenpluralistischer Strukturen gesi­ chert. Gemäß § 12 Abs. 3 LRG NW muß jedes landesweite Vollprogramm die Vielfalt der Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit zum Aus­ druck bringen. Die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesell­ schaftlichen Gruppen müssen in jedem Vollprogramm zu Wort kommen. Jedes Vollprogramm soll in der Berichterstattung angemessene Zeit für die Behandlung kontroverser Themen von allgemeiner Bedeutung vorsehen. Eine entsprechende Regelung enthält § 24 Abs. l LRG NW für lokale Programme. Die Formulierung des Konzeptes der Meinungsvielfalt ist in Nordrhein-Westfalen, wie auch schon in Hamburg 1 5 7 beobachtet, sehr ab­ strakt ausgefallen und das Parlament begnügt sich ebenfalls mit einer Para­ phrasierung des dritten Fernsehurteils. 1 5 8 Solche Abstraktheit kann jedoch im Hinblick auf den bereits eingehend dargelegten 159 Charakter der Mei­ nungsvielfalt als Prozeß und Zielwert nicht beanstandet werden. Die Kon­ trolle und Ausformung dieser Idealvorstellung wird ihrer Eigengesetzlichkeit nach adäquat von einem Aufsichtsorgan realisiert, in dem die Vertreter der relevanten gesellschaftlichen Gruppen angemessen vertreten sind. Eine der­ artige Vielfaltsicherung durch Verfahren hat auch Nordrhein-Westfalen in sachgerechter Form gewählt, wiewohl im Detail die Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums nicht akzeptabel erscheint. 1 60 Die Durchsetzung der Anforderungen an die Vielfalt der Meinungen mit­ tels effektiver Steuerungselemente für die Landesanstalt für Rundfunk ist gesetzlich sichergestellt. Der Gesetzgeber hat sich zunächst für das übliche 1 57 1 58 1 59 1 60

Dazu oben Teil 4, A. VI. 1 . c). BVerfGE 57, 295 (insbesondere 320 ff.). Siehe oben Teil 3, F. Zu letzterem siehe schon oben Teil 4, A. VI. 2. a).

A. Das Modell des Binnenpluralismus

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Kontrollinstrument der Anweisung gegenüber Rechtsverstößen der Veran­ stalter entschieden (§ 10 Abs. 1 LRG NW); bei wiederholten Verstößen kann die Landesanstalt das Ruhen der Zulassung anordnen (§ 1 0 Abs. 2 LRG NW) und bei dreimaligen schwerwiegenden Pflichtverletzungen ist die Zulassung zu widerrufen (§ 1 0 Abs. 5 lit. d) LRG NW). Dieser Maßnahmenkatalog erscheint funktionsgerecht, um die Einhaltung der Rechtspflichten durch die Veranstalter zu erreichen. Eine besondere Variante der Effektuierung in Nordrhein-Westfalen stellt das den Rundfunkrezipienten gemäß § 16 Abs. 2 LRG NW eröffnete Beschwerdeverfahren dar, mittels dessen unter anderem die Verletzung von Programmgrundsätzen gerügt werden kann. Eine schrift­ lich zu begründende Entscheidung des Rundfunkveranstalters und der Landesanstalt können auf diesem Wege erzwungen werden. Derartige Rege­ lungen mögen zwar nach den Grundsätzen des Konzeptes der Meinungsviel­ falt 1 6 1 nicht unbedingt geboten sein, sie stellen jedoch unter dem Gesichts­ punkt der Sicherstellung der Pluralität durch die öffentliche Kontrolle eine sinnvolle und gesetzgebungstechnisch vorbildhafte Lösung dar. Auf dem Gebiete des Schutzes der Vielfalt der Meinungen gegen die Gefahren wirtschaftlicher Konzentration der Macht hat der nordrhein-west­ fälische Gesetzgeber ebenfalls vorgesorgt: Je Veranstalter wird grundsätzlich nur ein landesweiter Rundfunkkanal vergeben (§ 6 Abs. 3 LRG NW); späte­ ren Unternehmenszusammenschlüssen wird durch das Erfordernis einer Ge­ nehmigung für Veränderungen einer zugelassenen Veranstaltergemeinschaft hinreichend wirksam begegnet (§ 8 Abs. 4 LRG NW). Der Bildung von beherrschender Meinungsmacht und „Doppelmonopolen" auf lokaler Ebene tritt das spezifisch nordrhein-westfälische System einer eigenständigen plura­ listischen Veranstaltergemeinschaft und einer davon getrennten Betriebsge­ sellschaft entgegen, das unten 162 gesondert untersucht wird. Als Vielfaltsreserve sieht das Gesetz einen offenen Kanal vor (§ 34 LRG NW). Für weiterverbreitete Programme gilt das Gebot des Binnenpluralismus nicht; sie brauchen, soweit sie in der Bundesrepublik veranstaltet werden, lediglich in ihrer Gesamtheit vielfältig zu sein (§ 36 Abs. 2 LRG NW). In diesem Punkt hat sich der Gesetzgeber zulässigerweise auf einen außenplura­ listischen Maßstab beschränkt. Die Erfordernisse eines gesetzlichen Gegen­ darstellungsrechtes und der Regelung eines Mindestmaßes publizistischer Pflichten 1 63 sind in § 36 Abs. 1 LRG NW erfüllt worden.

161 1 62 1 63

Zu dessen Anforderungen an die Kontrollmechanismen siehe oben Teil 4, A. V. Teil 4, A. VI. 2. c). Siehe dazu im einzelnen BVerfGE 73, l l 8 (199) und schon oben Teil 4, A. VI. 1. c) cc).

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

c) Das Zwei-Säulen-Model/ im lokalen Privatrundfunk

Der lokale Privatfunk in Nordrhein-Westfalen wird durch eine strukturelle Trennung zwischen Programmverantwortung und betriebswirtschaftlicher Leitung gekennzeichnet (sogenanntes Zwei-Säulen-Modell). Gemäß § 25 LRG NW wird die Zulassung zum lokalen Rundfunk ausschließlich einer Veranstaltergemeinschaft erteilt, die pluralistisch zusammengesetzt ist. Zur Veranstaltergemeinschaft müssen wenigtens acht natürliche Personen gehö­ ren, die von gesetzlich fixierten Stellen benannt werden, zu denen im wesent­ lichen die gesellschaftlich relevanten Gruppen 1 64 gehören, so zum Beispiel die Religionsgemeinschaften und die Tarifpartner (§ 26 Abs. 2 LRG NW). Die Mitgliederversammlung dieser Veranstaltergemeinschaft ist gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 6 LRG NW insbesondere zuständig für die Beschlußfassung über Grundsatzfragen der Programmplanung und der Rundfunktechnik. 1 65 Die Zulassung darf jedoch nur erteilt werden, wenn die Veranstalterge­ meinschaft eine für die beantragte Dauer verbindliche vertragliche Vereinba­ rung mit einer Betriebsgesellschaft nachweist, deren sie sich zur Durchfüh­ rung ihrer gesetzlichen Aufgaben bedient (§ 29 Abs. 1 LRG NW). Die Betriebsgesellschaft besteht aus privaten Financiers. Sie hat sich vertraglich zu verpflichten, für die Dauer der Zulassung die zur Produktion und zur Verbreitung des lokalen Programms erforderlichen technischen Einrichtun­ gen zu beschaffen und der Veranstaltergemeinschaft zur Verfügung zu stellen sowie die sonstigen zur Aufgabenerfüllung benötigten Mittel zu beschaffen (§ 29 Abs. 2 Nr. 1, 2 LRG NW). Diese Trennung von programmatischer und wirtschaftlicher Verantwort­ lichkeit ist im Schrifttum neuerdings als verfassungswidrig eingestuft wor­ den. Grawert argumentiert, das Zwei-Säulen-Modell zerreiße den rundfunk­ unternehmerischen Funktionszusammenhang zwischen Wirtschafts- und Programmbetrieb, der die private Seite des dualen Rundfunksystems typi­ siere, aus Gründen der Vielfaltssicherung, die zu einer Übersicherung der Meinungsvielfalt führten. 1 66 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichte den Gesetzgeber zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange und Interessen der Privaten im Hinblick auf den Finanzbedarf, auf die Unter­ nehmensgestaltung, auf die Programmgestaltung und auf deren Abhängig­ keit von den betriebs- und marktwirtschaftlichen Veranstaltungsbedingun­ gen. Entgegen diesen Maßgaben verschärfe das Gesetz die Vielfaltsanforde­ rungen speziell für den lokalen Rundfunk. Die Regelung des Zwei-Säulen­ Modells laufe darauf hinaus, daß die Betriebsgesellschft die ProgrammZum Inhalt dieses Terminus vergleiche oben eingehend Teil 4, A. IV. 1 . Eingehend zum gesetzgeberischen Ziel der Pluralitätsgewährleistung durch diese Organisationsform: Prodoeh/, 234 f. 1 66 Zu dieser Argumentation siehe ausführlich Grawert, 283-285. 164 1 65

A. Das Modell des Binnenpluralismus

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produktion zu finanzieren und für das Produkt wirtschaftlich einzustehen habe, ohne es gestalten zu können, und daß die Veranstaltergemeinschaft die Programmgestaltung betreiben solle, ohne das Veranstalterrisiko zu tragen. Diese Regelung sei unausgewogen. Grawerts Kritik erscheint berechtigt. Dabei lassen sich die Einwände gegen das Zwei-Säulen-Modell auf zwei Argumentationsebenen formulieren: Zum einen besteht nach zutreffender Auffassung 167 ein Recht auf Zugang zum Rundfunk für private Betreiber, sobald in wesentlichen Teilen eines Bundeslandes die Frequenzknappheit überwunden ist. Die entsprechenden Bedingungen der Meinungsvielfalt können durch die aufgezeigten Modelle des Binnen- oder Außenpluralismus gewährleistet werden. Erkennt man einen solchen Grundrechtsanspruch an, so kann er sich jedoch nicht auf den Zugang zur Finanzierung von Sendungen beschränken, sondern muß auch einen Einfluß auf den Programmbetrieb beinhalten. Wie unter anderem die systematische Stellung in Art. 5 Abs. l S. 2 GG zeigt, handelt es sich bei der Rundfunkfreiheit um ein Kommunikationsgrundrecht, das sich seiner Natur nach nicht auf eine bloße anonyme kapitalmäßige Beteiligung verengen läßt, sondern die Vermittlung von Inhalten zu umfassen hat. Allerdings dürfte dieses Argument im Ergebnis derzeit noch nicht durch­ greifen, da nicht ersichtlich ist, daß bereits in wesentlichen Teilen Nordrhein­ Westfalens die Frequenzknappheit überwunden wurde und somit die subjek­ tivrechtliche Komponente der Rundfunkfreiheit nach zutreffender Ansicht noch nicht zu einem Zulassungsanspruch erstarkt ist. 1 6 8 Zum anderen ist jedoch selbst dann, wenn man dieser grundrechtsdogma­ tischen Position skeptisch gegenübersteht, der Grundsatz der Verhältnismä­ ßigkeit ins Kalkül zu ziehen. Ein Gesetzgeber, der die einfachgesetzliche Normierung des Berufsbildes eines Rundfunkunternehmers beschließt, bleibt an das Übermaßverbot gebunden und hat daher für einen angemesse­ nen Interessenausgleich zwischen der Rechtsstellung der durch das Gesetz berührten Person zu sorgen. 1 69 Die einseitige Benachteiligung einzelner Betei­ ligter könnte nicht mehr als verhältnismäßiger Interessenausgleich bewertet werden. Dieser Gesichtspunkt dürfte letztlich auch im Zwei-Säulen-Modell durchgreifen. Der Gesetzgeber hat hier einseitig die Interessen der Mitglieder der Betriebsgesellschaft hintenangestellt, ja sie im Grunde unberücksichtigt gelassen. Ihnen wird lediglich die Möglichkeit gewährt, sich wirtschaftlich und finanziell an den Projekten des lokalen Rundfunks zu beteiligen, ohne Zu diesem Streit und seiner Entscheidung vergleiche oben Teil 2, C. Am 3 1 . Dezember 1986 waren dort erst 20,5 % der Wohnungen ans Kabel anschließ­ bar, Meyer/Schiwy/Schneider, J 1 .4. 1 69 Peter Lerche spricht in diesem Zusammenhang von der "Verfassungskonsequenz aus organisatorisch gesetzten Grundvorgaben"; Lerche, Presse, 25, 27; zustimmend: Badura, Vielfalt, 187 m. w. N.; Tettinger, Aktuelle Fragen, 8 l l . 1 67

1 68

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

daß ihnen ein nennenswerter Einfluß auf die Verwendung der von ihnen zur Verfügung zu stellenden Mittel eingeräumt würde. Im Ergebnis sind sie allein als Geldgeber willkommen, ohne daß ihnen die Chance gegeben würde, durch effektive Mitarbeit am Sendeprodukt sicherzustellen, daß ihre Investi­ tion nutzbringend und sinnvoll verwendet wird. Insoweit hat der Gesetzgeber seine Aufgabe versäumt, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten seines Regelungsmodells zu finden. Nach allem steht die Normierung des Zwei-Säulen-Modells in den § § 23-29 LRG NW nicht im Einklang mit dem Grundgesetz.

B. Das Modell des Außenpluralismus I. Die USA als Vorbild?

1 . E i n fü h r u n g : D i e B e d e u t u n g d e r R e c h t s ­ v e r g l e i c h u n g i m R u n d fu n k r e c h t Spätestens seit dem dritten Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts 170 ist klargestellt, daß das zentrale Element der Gewährleistung der Rundfunk­ freiheit, die Sicherstellung der Meinungsvielfalt im Gesamtprogramm, nicht nur durch das herkömmliche Organisationsmuster des Binnenpluralismus verwirklicht werden kann, sondern auch ein System des Außenpluralismus denkbar ist, in dem zwar nicht jeder einzelne Sender ein in sich ausgewogenes Programm präsentiert, aber die Gesamtheit der empfangbaren Rundfunk­ programme die Vielfalt der in der Gesellschaft vertretenen Ansichten und Strömungen angemessen widerspiegelt. Obwohl dieser theoretische Grund­ ansatz klar formuliert wurde, leidet die bundesdeutsche Rundfunkdiskussion hinsichtlich des außenpluralistischen Modells daran, daß in diesem Punkte keine eigenen nennenswerten Erfahrungen verfügbar sind. Aus diesem Grunde besteht ein rechtliches Erkenntnisinteresse an der Frage, wie die Praxis anderer Staaten aussieht, die sich auf ein System konkurrierender privater Rundfunksender verlassen. In erster Linie kommt für eine derartige Untersuchung das Rundfunkwesen der USA in Betracht. Dieses besitzt zum einen die längste einschlägige Tradition, zum anderen die größte ökonomi­ sche Relevanz. Darüber hinaus handelt es sich um ein Phänomen, das in das Staatswesen einer westlichen Demokratie eingebettet ist, so daß auch von den grundlegenden Strukturproblemen her betrachtet ein Vergleich mit den bun­ desdeutschen Fragen lohnend erscheint. 1 70

Siehe dazu im einzelnen oben Teil 3, B.

B. Das Modell des Außenpluralismus

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Demgemäß sollen im folgenden die amerikanischen Erfahrungen mit einem kommerziellen Radio- und Fernsehsystem näher beleuchtet werden. Insbesondere gilt es die Geschichte der amerikanischen Ansätze zur Regula­ tion der Programminhalte eingehend zu bewerten, um Erkenntnisse für die Formulierung, Anwendung und Effektivitätsprognose außenpluralistischer bundesdeutscher Landesrundfunkgesetze zu gewinnen. Die amerikanischen Radio- und Fernseheinrichtungen stellen Privateigen­ tum der Rundfunklizenznehmer dar. Das System basiert auf der Konkurrenz zwischen den einzelnen Stationen und dem Vertrauen in die Kräfte des Marktes. Nichtsdestoweniger wird die staatliche Regulation der Rundfunk­ wirtschaft für notwendig erachtet. Diese Verwaltungsaufgabe führt die Fede­ ral Communications Commission (FCC) aus. Ihre bedeutsamste Kompetenz ist die Zulassung von Rundfunksendern. Darüber hinaus überwacht die FCC, ob das Gesamtverhalten des Lizenznehmers im öffentlichen Interesse liegt. Die Etablierung eines vernünftigen Vielfaltsstandards durch staatliche Inhaltsregulation war jahrzehntelang eines der wichtigsten Ziele, die die FCC im Rahmen ihrer Kontrolle der Rundfunkunternehmer verfolgte. 1 7 1 Das zentrale Instrument zur Erreichung dieses Ziels stellte die sogenannte "Fair­ ness Doctrine" dar. Nachdem ihre Berechtigung und Zweckmäßigkeit lange Zeit überwiegend anerkannt waren, ist sie in den achtziger Jahren wie kein zweites Institut des amerikanischen Rundfunkrechts der Gegenstand erhitz­ ter juristischer und rechts politischer Diskussionen geworden. Sie wurde zum Prüfstein für die Konsequenz der durch Präsident Reagan und die von ihm benannten Mitglieder der FCC verfochtenen Politik der Deregulation. Diese Politik will die staatliche Reglementierung der Wirtschaft weitestgehend aufheben und vertraut auf die Kräfte des Marktes zur bestmöglichen Ver­ wirklichung des öffentlichen Wohls. Nach einer äußerst erbitterten Debatte während der gesamten achtziger Jahre hat diese Denkrichtung schließlich dazu geführt, daß die FCC am 4. August 1987 die Aufhebung der Fairness Doctrine beschloß. 1 72 Die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Federal Communications Act ist zweifelhaft und wird noch näher zu untersuchen sein. Nichtsdestoweniger bietet die äußerst wechselvolle Geschichte der Fairness Doctrine ein besonders fruchtbares Objekt für die rechtsverglei­ chende Frage, ob und inwieweit die staatliche Steuerung eines privatwirt­ schaftlichen Rundfunksystems mit dem Ziele der Sicherstellung von Mei­ nungsvielfalt möglich erscheint. Die Schwierigkeiten der inhaltlichen Formu­ lierung und praktischen Durchsetzung eines derartigen Standards sind 1 7 1 Siehe FCC, Editorializing by Broadcast Licensees. Report of the Commission. 13 F. C. C. 1246 ( 1949). 1 72 Wall Street Journal vom 5. und 8. August 1 987; Kirche und Rundfunk Nr. 61 vom 8. August 1987, Seite 15; Broadcasting vom 1 0. August 1987, 27 ff.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

beispielhaft für die universelle Problematik der behördlichen Verwaltung von Vielfalt in den Medien. Auf eine kurze Formel gebracht besagt die Fairness Doctrine, daß Rund­ funkveranstalter eine angemessene Möglichkeit für die Diskussion unter­ schiedlicher Anschauungen zu Themen von öffentlicher Bedeutung zur Ver­ fügung stellen müssen. Die Doktrin ist in der Verwaltungspraxis der FCC in jahrzehntelanger Kleinarbeit seit den zwanziger Jahren herauskristallisiert worden und hat einen gewissen Anklang im Gesetz erst in der Neufassung des § 3 1 5 (a) Federal Communications Act aus dem Jahre 1959 gefunden. Am Ende dieser Vorschrift wird die Pflicht der Rundfunkveranstalter erwähnt, eine angemessene Möglichkeit zur Diskussion von konfligierenden Stand­ punkten zu Themen von öffentlicher Bedeutung zu gewähren. Es heißt dort im einzelnen: "(a) If any licensee shall permit any person who is a legally qualified candidate for any public office to use a broadcasting station, he shall afford equal opportunities to all other such candidates for that office in the use of such broadcasting station: Provided, that such licensee shall have no power for censorship over the material broadcast under the provisions ofthis section. No obligation is imposed upon any licensee to allow the use of its station by any such candidate. Appearance by a legally qualified candidate on any - (1) bona fide newscast, (2) bona fide news interview, (3) bona fide news documentary (if the appearance of the candidate is inciden­ tal to the presentation of the subject or subjects covered by the news documentary) or (4) on-the-spot coverage ofbona fide news events (including but not limited to political conventions and activities incidental thereto), shall not be deemed to be use of a broadcasting station within the meaning of this subsection. Nothing in the foregoing sentence shall be construed as relieving broadcasters, in conncetion with the presentation of newscasts, news interviews, news documentaries, and on-the-spot coverage ofnews events, from the obligation imposed upon them under this chapter to operate in the public interest and to afford reasonable opportunity for the discussion of conflicting views on issues of public importance. " 1 73

Die Vorschrift gibt die Fairness Doctrine nicht direkt wieder; vielmehr behandelt sie das Recht der Kandidaten für politische Ämter auf gleichbe­ rechtigten Zugang zu den Rundfunkstationen. Zugleich stellt das Gesetz jedoch fest, diese Regelung entbinde die Rundfunkveranstalter nicht von ihrer Pflicht, eine vernünftige Möglichkeit für die Diskussion unterschiedli­ cher Anschauungen zu Themen von öffentlicher Bedeutung zur Verfügung zu stellen. Demgemäß wird eine entsprechende rechtliche Bedingung voraus­ gesetzt, die - wie der Kontext erweist - auf der Pflicht beruht, Radio und Fernsehen im öffentlichen Interesse zu betreiben. Die juristische Bedeutung 173 Hervorhebung vom Verfasser.

B. Das Modell des Außenpluralismus

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und Reichweite dieser Norm im einzelnen ist stark umstritten und wird noch genauer zu prüfen sein. i 74 Die frühere Spruchpraxis der FCC hat zwei Teile der Fairness Doctrine entwickelt: Teil 1 verpflichtet die Lizenznehmer, einen angemessenen Anteil ihrer Sendezeit kontroversen Themen von öffentlicher Bedeutung zu wid­ men. Teil 2 verlangt, daß bei der Behandlung solcher Themen unterschiedli­ che Standpunkte präsentiert werden müssen. Weiterhin existieren zwei Son­ derregeln zur Fairness Doctrine, mit denen die FCC die allgemeinen Fairneßstandards zu präzisieren suchte. Die „Personal Attack Rule" gibt solchen Personen ein Antwortrecht, die während der Diskussion eines kon­ troversen Themas von öffentlicher Bedeutung persönlich angegriffen wur­ den. Die „Political Editorial Rule" sorgt für Zugangsrechte zum Rundfunk, wenn ein Veranstalter einen bestimmten politischen Kandidaten in seinem Programm unterstützt oder ablehnt. Die FCC hat bis zum Ende der siebziger Jahre stets betont, daß die Fairness Doctrine den Interessen einer demokratischen Gesellschaft dient, indem sie das Recht auf Information für die Rundfunkrezipienten garan­ tiert.1 7 5 Die Kommission betrachtete die „strict adherence to the fairness doctrine as the single most important requirement of operation in the public interest - the 'sine qua non' for grant of a renewal of license" . 176 In den vergangenen zehn Jahren hingegen ist sowohl in rechtlichen als auch in politischen Diskussionen kein einzelner Aspekt der Rundfunkregula­ tion heftiger attackiert worden als die Fairness Doctrine. Simmons 177 - einer der profiliertesten amerikanischen Autoren auf diesem Gebiet - kritisierte, sie habe sich zur „Unfairness Doctrine" entwickelt - .,unfair zur Öffentlich­ keit, den Rundfunkveranstaltern, den Parteien, die Zugang zu den Medien suchen und ironischerweise zur FCC selbst". Die Kritiker argumentieren, die Verpflichtung der Rundfunkveranstalter, fair zu sein, stehe in flagrantem Widerspruch zu den Kommunikationsfreiheiten des First Amendment 1 78 und schränke diese Rechte in unzumutbarem Maße ein. Auf dem Höhepunkt der Debatte um den Fortbestand ·der Fairness Doctrine erklärte Präsident Reagan im Juni 1987 hierzu, an der Doktrin sei nichts fair und er glaube, 1 74 Siehe dazu unten Teil 4, B. 1. 2. c) bb). 1 7 5 FCC, Editorializing by Broadcast Licensees. Report of the Commission. 13 F. C. C. 1 246 f. ( 1949); FCC, Reconsideration of the Fairness Report, 58 F. C. C. 2 d 69 1 , 693 f. (1976). 1 7 6 Great Lakes Broadcasting Company. 3 F. R. C. 32 ( 1929); Committee for the Fair Broadcasting of Controversial lssues, 25 F. C. C. 282 f. ( 1 970); zur jüngeren Verwaltungs­ praxis vergleiche FCC, The Handling of Public Issues Under the Fairness Doctrine and the Public Interest Standards of the Communications Act. 89 F. C. C. 2 d 91 6, 9 1 9 f. ( 1982). 1 77 Simmons. 189. 1 7 8 Dessen relevante Passage lautet: "Congress shall make no law . . . abridging the freedom of speech, or of the press; . . . "

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

diese Form inhaltsbezogener staatlicher Regulation schränke die Freiheit der Rede in verfassungswidriger Weise ein. 1 79 Demgegenüber wird von deutscher Seite behauptet, die frühere Verwal­ tungspraxis der FCC hinsichtlich der Fairness Doctrine sei nicht effektiv genug, um die Rundfunkvielfalt zu garantieren, die für den demokratischen Prozeß erforderlich sei. Die Fairness Doctrine sei kein adäquates Mittel für effiziente regulatorische Maßnahmen. Sie sei nicht in der Lage, negative Entwicklungen aufzuhalten, die der Natur eines kommerziellen Rundfunksy­ stems innewohnten. 1 80 Die amerikanische Debatte über die Fairness Doctrine wurde 198 1 1 8 1 und 1985 1 82 durch zwei nachhaltige Appelle des damaligen FCC-Vorsitzenden Mark Fowler verschärft, der jeweils den Kongreß aufforderte, per Gesetz die Fairness Doctrine abzuschaffen, wofür sich jedoch keine legislative Mehrheit fand. Die FCC selbst nahm seinerzeit von der Aufgabe der Doktrin Abstand, weil überwiegend angenommen wurde, dem stehe deren Verankerung in § 3 15 Federal Communications Act entgegen. In diesem Punkt ergab sich 1986 ein wesentlicher Wendepunkt, als der U. S. Court of Appeals, District of Columbia Circuit mit 2 zu 1 Richterstimmen befand, die Norm stelle keine Kodifikation der Fairness Doctrine dar. 1 8 3 Die - sehr streitige - Frage, ob die Entscheidung der Mehrheit zutrifft, wird noch behandelt werden; jeden­ falls gab das Urteil der FCC politisch die Handhabe, endlich von der lange schon ungeliebten Fairness Doctrine Abschied zu nehmen. Im Kongreß wurden derartige Schritte vorausgesehen und aus diesem Grunde beschlossen seine beiden Häuser im Juni 1987 ein Gesetz zur aus­ drücklichen Kodifizierung der Doktrin. 1 84 In § 3 15 Federal Communications Act sollte die Formulierung aufgenommen werden, Rundfunkveranstalter hätten „reasonable opportunity for the discussion of conflicting views on issues of public importance" zu gewähren. Ferner stellte das neue Gesetz klar, daß Durchsetzung und Anwendung der Formulierung im Einklang mit den Regeln und Praktiken der Kommission vom Stand des l . Januar 1987 zu erfolgen hätten. 1 85 Die Regelung trat jedoch nicht in Kraft, weil Präsident 1 79

Interview in: Broadcasting vom 29. Juni 1987, Seite 29-30. Vgl. Hoffmann-Riem, Kommerzielles Fernsehen, 2 1 7-219. 181 Vgl. Nelson/Teeter, 584. m FCC, lnquiry into Section 73. 1910 of the Commission's Rules and Regulations Concerning the General Fairness Doctrine Obligations of Broadcast Licensees, 102 F. C. C. 2 d 143 (1985), im folgenden kurz als " 1985 Fairness Report" Zitiert; siehe auch Cooke, 108. m Telecommunications Research and Action Center vs. FCC, 801 F. 2 d SO i , 5 1 6-519 (D. C. Cir. 1986). 1 84 Siehe Broadcasting vom 29. Juni 1 987, 27-28. m Ebenda. 1 80

B. Das Modell des Außenpluralismus

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Reagan sein Veto hiergegen einlegte, das vom Kongreß nicht überstimmt wurde. 1 86 Die Zukunft der Gesetzesinitiative und damit der Fairness Doc­ trine ist aber weiter offen, weil seine Befürworter erwägen, die Vorschriften als Appendix einem anderen Gesetz beizufügen, das eine solche nationale Bedeutung aufweist (zum Beispiel der Verteidigungshaushalt), daß der Prä­ sident kein Veto einlegen würde. 1 87 Ob eine solche Aushebelung des Vetos verfassungsgemäß wäre, ist umstritten und könnte noch Gegenstand lang­ wieriger Rechtsstreite werden. 188 Die FCC nahm diese Entwicklungen am 4. August 1 987 zum Anlaß, die Fairness Doctrine abzuschaffen. Zugleich ließ sie erkennen, daß sie auch die Federal Regulations betreffend Personal Attack Rule und Political Editorial Rule aufzuheben gedenkt. 1 89 Das weitere juristische Schicksal der Fairness Doctrine ist ungewiß. Es dürfte die amerikanischen Gerichte noch lange beschäftigen. Nur drei Tage nach der Entscheidung der FCC zur Aufgabe der Doktrin hat das Media Access Project die Rechtmäßigkeit dieses Schrittes gerichtlich angegriffen und erklärt, den Fall bis vor den U. S. Supreme Court tragen zu wollen. 1 90 Unabhängig vom Ausgang der heute heftig geführten Debatte, verspricht die Untersuchung der teilweise dramatischen Geschichte der Fairness Doc­ trine wesentliche Einsichten für die bundesdeutsche Rundfunkdiskussion. Aus diesem Grunde sollen die juristischen und rechtspolitischen Probleme der staatlichen Inhaltsregulation in einem privatwirtschaftlichen Rundfunk­ system im folgenden analysiert werden. Da die Fairness Doctrine den wich­ tigsten Versuch in der Geschichte der FCC darstellt, inhaltliche Vielfalt zu gewährleisten und entsprechende Defizite abzustellen, wird die Untersu­ chung sich auf die Inhalte und die Anwendungsprobleme dieser Regelung konzentrieren. Zugleich soll sowohl die von amerikanischer Seite als auch die von deutscher Seite gegen die Doktrin vorgebrachte Kritik bewertet werden, um eine Basis für die rechtsvergleichende Gesamtbetrachtung des U.S.­ Rundfunksystems zu gewinnen. Die Fairness Doctrine ist in ein komplexes Gesamtgefüge des amerikani­ schen Verfassungsrechts und des Aufbaus der administrativen Agenturen (administrative agencies) eingebunden. Das Verständnis und die Bewertung der Doktrin hängen unmittelbar von der Interpretation der Grundfreiheiten des First Amendment ab. Daher soll zunächst die Art und Weise, in der die 186 Wall Street Journal vom 8. August 1987; Broadcasting vom 29. Juni 1 987, Seite 27-28. 187 Ebenda; auch Broadcasting vom 2 1 . September 1987, Seite 22. 188 Broadcasting vom 29. Juni 1 987, Seite 27-28. 189 Siehe Newsweek, International Edition vom 17. August 1987, Seite 7. 190 Siehe Broadcasting vom 1 7. August 1987, Seite 38 und vom 21. September 1987, Seite 22.

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4. Teil: Analyse der Organisationsmodelle

Kommunikationsfreiheiten aus amerikanischer Sicht sowohl der individuel­ len Selbstverwirklichung als auch der Suche nach Wahrheit in der Gesamtge­ sellschaft dienen, analysiert werden. Selbstverständlich müssen die Theorien zum First Amendment später mit dem deutschen Verständnis der Freiheit des Rundfunks und der Meinungsäußerung verglichen werden, um die Ver­ wertbarkeit der Erkenntnisse aus der Geschichte der Fairness Doctrine an­ gemessen einzustufen. Darüber hinaus bedarf die Würdigung der Fairneß-Regulation auch einer Betrachtung der U. S.-Bundesbehörde, die das Rundfunkrecht verwaltet. Deren Organisationsstruktur besitzt profunde Auswirkungen auf die Effek­ tivität der Politik der Inhaltsregulation. 2 . R echtliche Grundlagen des amerikanischen Rundfunksystems a) First Amendment

aa) Entstehungsgeschichte Das First Amendment wurde als Bestandteil des Bill of Rights am 15. Dezember 1791 in Kraft gesetzt. Mit seiner Gewährleistung der freien Rede stellt es einen Garanten für das politische Wohlergehen der Demokratie dar. Ein offenes System benötigt eine offene Diskussion zwischen den verschiede­ nen Interessengruppen. 1 9 1 James Madison, einer der Väter der amerikani­ schen Verfassung, erklärte im „Federalist" zu dieser Frage: "In a free go­ vernment, the security for civil rights must be the same as that for religious right. lt consists in the one case in the multiplicity of interests, and in the other, in the multiplicity of sects." 192 Trotz der Überlieferung derartiger Aussagen ist das Verständnis der Verfassungsautoren vom Inhalt der „Free­